Studien zum Physiologus im Mittelalter [Reprint 2013 ed.] 3484150343, 9783484150348

Originally presented as the author's thesis, Munich, 1974.

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Studien zum Physiologus im Mittelalter [Reprint 2013 ed.]
 3484150343, 9783484150348

Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1. FORSCHUNG ZUM PHYSIOLOGUS NACH 1940
2. DER GRIECHISCHE PHYSIOLOGUS
3. DIE LATEINISCHEN PHYSIOLOGUS - FASSUNGEN
4. DIE DEUTSCHEN PHYSIOLOGUS - FASSUNGEN
5. DER PHYSIOLOGUS - DAS ZOOLOGIEBUCH DES MITTELALTERS?
6. GRUNDFORMEN DER VERÄNDERUNG DES PHYSIOLOGUS IM LAUFE SEINER ÜBERLIEFERUNG
7. ANMERKUNGEN ZUR ÜBERLIEFERUNG DER TIERGESCHICHTEN AUSSERHALB DES PHYSIOLOGUS
LITERATURVERZEICHNIS
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HERMAEA GERMANISTISCHE

FORSCHUNGEN

NEUE FOLGE H E R A U S G E G E B E N VON HELMUT DE B O O R UND HERMANN

KUNISCH

B A N D 38

NIKOLAUS HENKEL

Studien zum Physiologus im Mittelalter

MAX NIEMEYER VERLAG T Ü B I N G E N 1976

Gedruckt mit Unterstützung der Ernst-Reuter-Gesellsdiaft der Förderer und Freunde der Freien Universität Berlin e.V.

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Henkel, Nikolaus Studien zum Physiologus im Mittelalter. - i. A u f l . - Tübingen : Niemeyer, 1976. (Hermaea : N . F . ; B d . 38) I S B N 3-484-1 $034-3

I S B N 3-484-1$034-3 © Max Niemeyer Verlag Tübingen 1976 Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany Satz und Druck: Bücherdruck Wenzlaff, Kempten Einband von Heinr. Koch, Tübingen

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

IX

Abkürzungsverzeichnis

XI

ι.

Forschung zum Physiologus nach 1940

1

2.

Der griechische Physiologus

12

2.1

Die Bezeichnung Physiologus, Fragen der Verfasserschaft . . .

12

2.2

Zur Entstehung des Physiologus

14

2.3

Die Tierberichte des Physiologus

17

2.4

Die griechischen Fassungen des Physiologus

18

3.

Die lateinischen Physiologus-Fassungen

21

3.1

Die Prosafassungen

21

3.1.1

Die Fassung y

2$

3.1.2

Die Fassung c

26

3.1.3

Die Fassung b

27

3.1.4

Kontaminierte Physiologus-Fassungen

28

3.1.5

Die Fassung der sogenannten Dicta Chrysostami

29

3.2

Die Versbearbeitungen des Physiologus

34

3.2.1

Der Physiologus Theobaldi

36

3.2.1.1 Zur Frage nach dem Verfasser des Physiologus Theobaldi . . .

39

3.2.2

Bisher unbeachtete Physiologusfassungen

41

3.2.3

Begleitverse zu den Kapiteln der Dicta-Version

3.2.4

Abbreviano

3.3

Zu den Wirkungsbereichen des lateinischen Physiologus

4.

Die deutschen Physiologus-Fassungen

59

4.1

Die Fassungen des 1 1 , und 12. Jahrhunderts

59

42

physologi und Dictamen de naturis animalium

4.1.1

Das Physiologus-Fragment des Cod. Vind. 223

4.1.2

Der Physiologus der Wiener Sammelhandschrift 2721

. .

47

. . .

53

59 . . . .

66

4.1.2.1 Zur Prosaform des Physiologus (W)

72

4.1.3

Der Physiologus der Millstätter Sammelhandschrift

73

4.1.4

Das Verwandtschaftsverhältnis von W und M

4.1.5

Fragen der Datierung und Lokalisierung von W und M

80 . . .

83

V

4-1.6

Anmerkungen zu den lateinischen Quellen der deutschen Übersetzungen

4.1.7

Das Physiologus-Fragment des Clm 17195

92

4.2

Die spätmittelalterlichen Fassungen

96

4.2.1

Der Melker Physiologus

96

4.2.2

Physiologus-Inschriften in der Daniels-Kirche von Celje/Jugoslawien Die gedruckte Prosaübersetzung des Physiologus Theobaldi . . Eine Indersdorfer Physiologus-Theobaldi-Übersetzung . . .

4.2.3 4.2.4

86

104 110 112

4.2.5 Ein deutscher Physiologus Theobaldi in Reimpaaren . . . . 4.2.5.1 Zur Einordnung der deutschen Reimpaarübersetzung des Physiologus Theobaldi

128

4.3

Exkurse

133

4.3.1 4.3.2

Eine mittelfränkische Übertragung des Bestiaire d'amour Ein »Moralischer Physiologus«?

4.4

Ergebnisse

5.

Der Physiologus - das Zoologiebudi des Mittelalters?

6.

Grundformen der Veränderung des Physiologus im Laufe seiner Überlieferung

147

Anmerkungen zur Uberlieferung der Tiergeschichten außerhalb des Physiologus Der »Quellbereich«

152 152

Belegsammlung zur Stoffgeschichte und Verbreitung der Tiergeschichten

160 160

7. 7.1 7.2

. . .

114

133 134 136

. . . .

139

7.2.1

Vorbemerkungen

7.2.2

Belegsammlung

164

7.2.3

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Texte

204

Literaturverzeichnis

207

Register

220

VI

Für Barbara

VORWORT

Die vorliegenden >Studien< sind einem Werk gewidmet, das nicht wegen seiner künstlerischen Qualität, sondern wegen der Vielfalt seiner Gebrauchsfunktionen und der entwickelten Textformen bemerkenswert ist. Der Erörterung iiberlieferungs- und wirkungsgeschichtlicher Fragen wurde deshalb besondere Bedeutung zugemessen. Im Mittelpunkt des ersten Teils stehen die lateinischen und deutschen Fassungen. Neben die lateinischen Prosa-Versionen treten mehrere bislang unbeachtete Versfassungen, von denen zwei hier erstmals herausgegeben werden. - Im Bereich der deutschen Physiologus-Texte ist, neben den bekannten Übersetzungen des 1 1 . / 1 2 . Jahrhunderts, auf die Fassungen des Spätmittelalters hinzuweisen. Zwei Texte können hier erstmals vorgestellt werden: Fragmente, die auf zwei Steintafeln im nordjugoslawischen Celje erhalten sind, sowie eine Reimpaar-Ubersetzung des Physiologus Theobaldi. Die Möglichkeit weiterer Textfunde ist für das Spätmittelalter am wenigsten auszuschließen, doch ein so geschlossenes Bild, wie es die Fassungen des 1 1 . / 1 2 . Jahrhunderts zeigen, wird sich auch in Zukunft hier kaum ergeben; zu vielfältig sind hier die Befunde in bezug auf Form, Uberlieferungssituation und Gebrauchsfunktion. Der zweite Teil der Arbeit behandelt einige übergreifende Aspekte wie die Fragen nach den Ursachen für die inkonstante Textform des Physiologus, nach dem Wahrheitsgehalt seiner Tiergeschichten und nach deren Wirkung und Verbreitung. Die vorliegende Untersuchung wurde im Herbst 1974 von der Philosophischen Fakultät I I der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie geringfügig überarbeitet. Der Abschnitt 4.2.2 konnte nach einem Besuch in Celje vollständig neu geschrieben werden. Die Anregung zu dieser Untersuchung gab Professor H . Fromm. Seiner fördernden Kritik und stetigen Hilfe verdankt sie ihr Zustandekommen. Professor Bernhard Bischoff gab seinen R a t und freundliche IX

Unterstützung für die den Bereich des Mittellateins und der Paläographie behandelnden Teile. Für nützliche Hinweise bin idi den Professoren H.-Fr. Rosenfeld, K. A. Wirth und Klaus Grubmüller verpflichtet. Meine Arbeit an den Handschriften haben u. a. die Bibliotheken in München, Wien, Wolfenbüttel, Melk und Lambach dankenswerterweise unterstützt. Die Mühe der Korrekturen konnte ich mir mit meinem Kollegen Dr. A. Hagenlocher teilen. Herrn Professor H . de Boor danke idi für sein Interesse an dieser Arbeit und, ebenso wie dem Max Niemeyer Verlag, für die Aufnahme in die Reihe der >HermaeaPhysiologus< gegeben.1 Nach ausführlichen und kritisch fundierten Darlegungen der Quellen und der antiken Verbreitung des griechischen Physiologus werden auch die von ihm ausgehenden Übersetzungen behandelt, jedoch ist diesem Abschnitt verständlicherweise nur wenig Raum gewidmet; audi wird hier nicht immer der neueste Forschungsstand referiert und die kurzen Informationen gehen häufig nicht über die von L A U C H E R T 2 gebotenen Ergebnisse hinaus. Die nach diesem Artikel erschienene Physiologus-Forschung soll hier kurz referiert werden. - Die kritische Textausgabe der gesamten griechischen Uberlieferung hatte 1936 F R A N C E S C O S B O R D O N E vorgelegt.3 Die Einwände gegen die Methoden seiner Textkritik werden noch unten (S. 18) anzuführen sein. Diese Edition wird ergänzt durch die Ausgabe einer der ältesten Hss. (G) der ersten griechischen Physiologus-Redaktion, des Cod. 397 der Pierpont Morgan Library, durch D I E T E R O F F E R M A N N S . 4 Im Paralleldruck werden die beiden Hss. G und M geboten, die zwei der insgesamt fünf Familien der ersten Redaktion repräsentieren. Die drei übrigen Familien sind herausgegeben worden durch D I M I T R I S K A I M A K I S . 5 Während es S B O R D O N E S Ziel gewesen war, mit den Methoden der Textkritik jeweils die Urform der einzelnen Redaktionen darzustellen, so wird durch die Ausgaben von O F F E R M A N N S und K A I M A K I S der Aspekt der Textentwicklung und Uberlief erungsgeschichte 1

R E X X , ι ( 1 9 4 1 ) Sp. 1 0 7 4 - 1 1 2 9 . In den Anmerkungen dieser Arbeit werden bei den Literaturangaben die im Literaturverzeichnis vollständig bibliographisch erfaßten Titel grundsätzlich nur mit dem Verfasser sowie einem Titelstichwort zitiert.

2

Geschichte des Physiologus (1889). V g l . Literaturverzeichnis I a. Der Physiologus nach den Handschriften G und M . (1966). Die Hs. G war Sbordone noch unbekannt. Der Physiologus nach der ersten Redaktion ( 1 9 7 4 ) .

3 4

5

I

betont. Die Veränderungen, die schon die älteste griechische Redaktion zeigt, machen deutlich, daß der Physiologus ein Gebrauchstext war, der immer wieder zur Umwandlung reizte und deshalb ständiger Bewegung unterworfen war (vgl. audi unten S. 147ÎÎ.). Eine englische Übersetzung der ersten griechischen Redaktion hat FRANCIS J. CARMODY erstellt;® von OTTO SEEL stammt eine neuere, sorgfältig erläuterte deutsche Ubersetzung. 7 Ihr ist ein Essay über die Stellung des Physiologus innerhalb der abendländischen Literatur beigegeben. Die Datierung des Physiologus ins 2. Jh. nach Chr., von der älteren Forschung einhellig vertreten, 8 war erstmals von MAX WELLMANN,9 der das 3. Jh. annahm, angefochten worden, was von PERRY10 wiederum zurückgewiesen wurde. E. PETERSON ist dann 1954 in seinem Aufsatz >Die Spiritualität des griechischen Physiologus< n zu einer neuen Datierung gekommen: in der geistlichen Haltung, die sich im Text zeige, träten mönchisch-asketische Züge zutage, wie sie dem 2. Jh. noch keineswegs eigen seien. Außerdem stellt PETERSON einige Zitate von Kirchenvätern des 4. Jhs. im Physiologus fest. 12 Terminus post quem ist für ihn das Jahr 385, da der Physiologus im Panther-Kapitel ein Zitat aus einer in diesem Jahr von Gregor von Nazians gehaltenen Osterhomilie enthalte und folglich später entstanden sein müsse. Dieser Spätdatierung ist URSULA TREU mit beweiskräftigen Argumenten entgegengetreten.13 Sie kann zeigen, daß die Zitate der späteren Autoren z . T . keineswegs im ursprünglichen Text gestanden haben, sondern als spätere Zutat eines Lesers (bzw. Abschreibers) anzusehen sind. So setzt SBORDONE im Kapitel über die Perle (44b), den Hss. folgend, ein Zitat aus einer Homilie des Johannes Damascenus (7-/8. Jh.) in den Text, 14 doch habe deshalb noch niemand den Physiologus nach 6

7 8

9

Physiologus. The very ancient Book of Beasts, Plants and Stones. San Francisco 19J3. Diese Übersetzung war mir nicht zugänglich. Der Physiologus (2ιzerlesenen< Text neigen die Abschreiber dazu, die oftmals aneinandergehängten Zitate nodi durch neue aus eigenem Wissen zu vermehren.« 15 TREU äußert ihrerseits die Meinung, der Physiologus habe schon Orígenes (ca. 1 8 5 - 2 5 4 ) vorgelegen, 1 ® womit ein terminus ante quem gesetzt wäre. Selbst die ausgesprochen frühe Datierung LAUCHERTS,17 vor 140, habe viel für sich: »Wichtiger als der Nadiweis, wer nun von w e m abhängt, was im einzelnen immer schwierig sein wird, ist die Feststellung, welche Gedanken und Motive in welcher Zeit geläufig sind. U n d da trifft sich der Physiologus mit der apokryphen Literatur des 1. Jahrhunderts in einer bemerkenswerten >ungeschützten< Sorglosigkeit der theologischen Aussagen, die in den Augen der Späteren häretisch (gnostisch usw.) erscheinen, während sie in Wirklichkeit nur eine frühe Phase kennzeichnen, in der die Fronten noch nidit verhärtet, die Begriffe nodi nicht etikettiert waren.« 1 8

Wenn sich PETERSONS Argumente für seine Datierung als nicht stichhaltig erwiesen haben, so ist dodi auch weiterhin festzuhalten, daß eine absolut sichere Aussage über die Entstehungszeit des Physiologus aufgrund der bisherigen Forschung nicht gemacht werden kann. Für den Bereich der Quellenforschung zum Physiologus sind mehrere neuere Arbeiten zu nennen. Eine Untersuchung zum Kapitel Viper/ Schlange des griechischen Physiologus hat URSULA TREU vorgelegt. 19 Sie nimmt Einfluß des Orígenes auf den Physiologus, zumindest im Vipernkapitel, an 2 0 und stellt eine Reihe von Belegen zu dieser Geschichte aus der Patristik fest, die gleichfalls von Orígenes oder von Aelian, nicht aber vom Physiologus abhängig sind. TREU kommt zu dem Schluß: »Der Physiologus spielt bei weitem nicht die Rolle, die man ihm zuschreibt, bei der Vermittlung dieser Geschichte [nämlich von der V i p e r ] : erst von byzantinischer Zeit an läßt sich sein Einfluß belegen.« 21 15 16

Treu, a.a.O. S. 102. V g l . dazu auch U . Treu, »Otterngezüdit« (1959).

» Geschichte. S. 64 f. 18 Treu, Datierung. S. 104. 19 »Otterngezücht« (1959). 20 »Ganz gewiß steht auch Orígenes nicht im Banne des Physiologus, [ . . . ] sondern es scheint zumindest sicher, daß das Kapitel des Physiologus durch Orígenes beeinflußt wurde.« (ebd. S. 1 1 7 ) . In einem späteren Aufsatz (Zur Datierung des Physiologus. 1966) hat die Verfasserin diesen Standpunkt revidiert (s.o.). 21

Ebd. S. 1 2 2 . Die neueren Beiträge zu einzelnen Physiologus-Kapiteln werden unten im Rahmen der Belegsammlung zu jedem Kapitel einzeln genannt ( A b schnitt 7.2.2); dazu sind auch die Artikel der einzelnen Handbücher heranzuziehen ( R E , R D K , R A C , Lexikon der christlichen Ikonographie). Z u weiteren Arbeiten über die Verwendung der Tierbilder in der Antike verweise ich auf:

3

Bemerkenswert ist dieser Aufsatz, weil er zeigt, wie schwierig es ist, eine Wirkungsgeschichte der Tiergeschichten des Physiologus zu schreiben, denn der gleiche Stoff kommt audi in einer Reihe anderer Werke und Schriften vor. Für den Bereich der frühchristlichen Literatur ist es bei der Frage der Abhängigkeit vom Physiologus mehrfach zu divergierenden Ansichten in der Forschung gekommen. Im Bereich der mittelalterlichen Literatur scheint es mir fast aussichtslos zu sein, die Wirkung des Physiologus beschreiben zu wollen, da die gleichen Tiergeschichten sowohl durch die gesamte exegetische Tradition wie audi durch Enzyklopädien, Exempelsammlungen u. a. tradiert werden. Zur Frage nach der Entstehung der Physiologus-Tiergesdiiditen sowie zur Verbreitung ihrer Motive sind Aufsätze von E. OTTO und M . F . MCDONALD 2 2 u n d besonders die A r b e i t e n v o n EMMA BRUNNER-

TRAUT zu nennen. 23 Sie hat sich mit den Zusammenhängen zwischen den Tiergesdiichten des Physiologus und altägyptischen mythischen Vorstellungen befaßt. Bei der Entstehung einer ganzen Reihe von Kapiteln stellt sie folgende Schichtung fest: Naturbeobachtung - Umformung zum Mythos - daraus wieder abgeleitete Naturlehre - Allegorisierung. Aufgrund solcher genetischer Betraditung wird zum Beispiel auch die Zweiheit: Hydrus - Ichneumon des griechischen Physiologus sowie der lateinischen Versio y verständlich, die bislang stets als Dublette des gleichen Motivs angesehen wurde: die beiden Tiergeschichten gehen auf ganz unterschiedliche altägyptische mythische Vorstellungen zurück.24 Der Einfluß altägyptischer religiöser Vorstellungen im Physiologus wird höher einzuschätzen sein, als das bislang üblich war. Zu den verschiedenen Übersetzungen des griechischen Physiologus sind mehrere neuere Forschungsergebnisse zu referieren. In koptischer Ubersetzung ist der Physiologus nur in Fragmenten sowie durdi indirekte Überlieferung erhalten. Als erster Forsdier hat FR. HOMMEL25 Bibliographie zur antiken Bildersprache. Unter Leitung von Viktor Pöschl bearb. von H . Gärtner und W . Heyke. Heidelberg 1964 (Bibl. d. klass. Altertumswiss. N . F . i.Reihe). 22

Eberhard Otto, Das Pelikan-Motiv in der altägyptischen Literatur ( 1 9 5 1 ) , M . F. McDonald, Phoenix redivivus (i960).

23

Vgl. die Titel im Literaturverzeichnis I I ; zum Bereich der Fabel sei nur nodi hingewiesen auf E m m a Brunner-Traut, Altägyptische Tiergeschichte und Fabel Gestalt und Strahlkraft. In: Saeculum 10 ( 1 9 5 9 ) S. 1 2 4 - 1 8 5 . Hier werden archäologische und literarische Quellen, Einflüsse anderer Märchenzentren (Babylonien, Griechenland, Indien) und Motivwanderungen Untersucht sowie mehrere ägyptische Mythen als Vorlage für griechische Fabeln nachgewiesen.

24

Emma Brunner-Traut, Altägyptische Mythen im Physiologus (1968). Die äthiopischen Übersetzungen. S. X X X V I .

25

4

darauf aufmerksam gemacht, daß es eine koptische Version gegeben haben müsse, da das einzig im Physiologus belegte Wort antholobs in einem koptisch-arabischen Glossar zitiert wird. 26 Der Uberlieferung und Wirkung der koptischen Übersetzung ist ein kurzer Aufsatz von A R N V A N L A N T S C H O O T 2 7 gewidmet, dem sich eine Gesamt-Ausgabe der erhaltenen koptischen Physiologuskapitel anschließt, von denen mehrere hier zum ersten Male gedruckt werden. Um einen weiteren Nachweis zur Wirkung des Physiologus in der koptisdien Literatur bemühte sich U R S U L A T R E U . 2 8 Der Prophet Amos berichtet über das Anstechen der Maulbeerfeige (Kap. VII,14). Diese Geschichte ist im griechischen Physiologus dargestellt (Kap. 48: Sykomora), dessen Deutung sich auch in einer Predigt des koptisdien Mönchs und Schriftstellers Schenute von Atripe ( f e a . 451 n.Chr.) findet. U . T R E U schließt daraus, daß Schenute die koptische Version des Physiologus gekannt haben dürfte. Daß Schenute, der in der Geschichte des nationalägyptischen Christentums und besonders auf dem 3. ökumenischen Konzil in Ephesus (431) eine bedeutende Rolle gespielt hat, den Physiologus durchaus auch in griechischer (und nicht unbedingt in koptischer) Sprache kennengelernt haben könnte, ist von T R E U nicht erwogen worden, scheint mir aber durchaus der Überlegung wert zu sein.29 Für den Bereich der lateinischen Physiologus-Fassungen hat die Forschung eine wesentliche Förderung durch die Arbeiten F R A N C I S J . C A R 30 M O D Y S erhalten, besonders durch die Ausgaben der lateinischen Fassungen y und b. 31 Drei weitere C A R M O D Y unbekannt gebliebene Hss. zur Versio y teilt F R A N C E S C O S B O R D O N E mit,32 der in seiner Abhandlung zur Überlieferung des lateinischen Physiologus außerdem noch eine Einteilung von Hss. der Dicta-Fassung in sechs Familien vorgenommen sowie eine Ausgabe von sechs Kapiteln dieser Fassung vorgelegt hat. 28

27

Näheres dazu bei Perry, Physiologus. R E , Sp. i i i 6 f . , w o auch die weitere Forschung referiert wird. A propos du Physiologus (1950).

28

Amos V I I , 1 4 , Schenute und der Physiologus. (1968).

29

V o m methodischen Ansatz zu vergleichen ist die in der Forschung vielfach überschätzte Wirkung der deutschen Physiologus-Übersetzungen auf die mittelalterliche deutsche Literatur. Es ist dabei zu beachten, daß der Physiologus in der Spradie der Kirdie (griechisch, lateinisch) wesentlich häufiger überliefert ist als in den verschiedenen Nationalsprachen und seine Geschichten außerdem durch zahlreiche Werke aus dem Bereich der >Wissensvermittlung< tradiert werden (vgl. dazu unten S. i j î f f . ) .

30

V g l . das Literaturverzeichnis II. V g l . das Verzeichnis der Textausgaben I b. L a tradizione manoscritta. Seine ebd. S. 2 4 7 A 5 mitgeteilte Ausgabe der Fassung c konnte nicht bibliographisch ermittelt werden.

31 32

5

A u f g r u n d seiner Einteilung sollte es möglich sein, den bei weitem nodi nicht ganz erfaßten Bestand v o n Hss. dieser Fassung zu ordnen. W e n n audi SBORDONES A u s f ü h r u n g e n über die Entstehungszeit der D i c t a Version w o h l k a u m zutreffen, ist doch ein wichtiger Beitrag f ü r die noch ausstehende kritische Gesamtausgabe dieser Fassung geleistet. A u c h die Fassung c (nach SBORDONE, L a tradizione: χ) liegt jetzt in einer neuen A u s g a b e v o r , 3 3 die sowohl ein farbiges Faksimile der illuminierten H s . C w i e auch eine Transkription mit den V a r i a n t e n der zweiten H s . dieser Version, des Wolfenbütteler C o d . G u d . lat. 1 4 8 , enthält. Sie bringt außerdem einen Beitrag OTTO HOMBURGERS zur Physiologus-Illustration, der MCCULLOCHS A r b e i t über die illustrierten Bestiarien ergänzt. E i n e kritische kommentierte A u s g a b e des Physiologus

Theobaldi

mit einer englischen Übersetzung hat P . T . EDEN erstellt. 34 D a s K a p i tel 2 » H i s t o r y of the Physiologus« (S. 2 - 4 ) ist nicht frei v o n Fehlern, 3 5 doch die f ü r den Physiologus Theobaldi geleistete Hss.-Einteilung macht erstmals die Masse der Überlieferungen übersehbar. D e r kritische T e x t gründet sich auf die A u s w e r t u n g v o n annähernd 5 0 H s s . ; eine größere A n z a h l weiterer T e x t z e u g e n w i r d im A n h a n g gegeben und klassifiziert. N ü t z l i c h w ä r e n nodi A u s f ü h r u n g e n zu den mittelalterlichen K o m m e n t a r e n des Physiologus T h e o b a l d i gewesen, die, w i e ich fest33

34

35

Physiologus Bernensis. Voll-Faksimile Ausgabe des Codex Bongarsianus 318 der Burgerbibliothek Bern. Wiss. Kommentar von Christoph von Steiger und Otto Homburger. Basel 1964. Der Textabdrude S. 5 0 - 1 1 5 . Vgl. Verzeichnis der Textausgaben. Kurze Anmerkungen zur Textkritik stammen von D. Kuipjer, Ad Theobaldi »Physiologum«. In: Mlat. Jb. 9 (1973) S. 122f., und zwar zu den Stellen I V , 1 3 ; V , i 3 f . ; XI,4; X I , 3 2 ; XI,35. Eine ausführliche und kritische Würdigung der Ausgabe hat Giovanni Orlandi gegeben. (In: Studi medievali, Serie terza 14,2 (1973) S. 902-922.) Orlandi bringt zu vielen Bereichen von Edens Arbeit wichtige Ergänzungen und Richtigstellungen (Geschichte des Physiologus, Verfasserfrage, Textkritik u.a.) und wird deshalb stets zusätzlich heranzuziehen sein. So wird z.B. das >Decretum Gelasianum< unbesehen als echt und außerdem als terminus ante quem für die Existenz eines lateinischen Physiologus gewertet; wie Sbordone so kennt auch Eden nicht den Hinweis Ernst Voigts (ZfdPh 22 (1890) S. 238) auf die o. a. zweite Hs. der Fassung c; die von Sbordone, La tradizione, vorgelegte kritische Ausgabe der Dicta erstreckt sich auf 6 nicht 7 Kapitel; weiterhin ist die Ansicht falsch, daß der Physiologus der Fassung y in keiner Hs. in seiner ursprünglichen Form existiere, vgl. Carmodys Vorwort zu seiner Ausgabe dieser Version S. 98. Bedauerlich ist ferner, daß auch Eden (wie schon Sbordone, Carmody und Perry) nicht die kritische Ausgabe der Dicta durch Fr. Wilhelm kennt, obwohl sie auf Menhardts Betreiben in L'Année Philologique 24 (1955), der Standard-Bibliographie für die lateinische und griechische Literatur, S. 136 angezeigt worden ist. Eden zitiert die Dicta-Version nach Heiders Abdruck der ehem. Göttweiger Hs. 101 sowie nach Cod. Vind. 303.

6

stellen konnte, in mehreren verschiedenen Fassungen verbreitet sind. EDEN hat für seine Ausgabe ein so reiches Hss.-Material zur Verfügung gehabt, daß nur zu hoffen und zu wünschen ist, daß er seine Ausgabe durch weitere Arbeiten zum Physiologus Theobaldi ergänzt. Zu der nur in drei Kapiteln überlieferten altenglischen PhysiologusAuswahl und ihrer Wirkung seien nur die beiden neueren Arbeiten von F R A N C E S C O C O R D ASCO

36

und G . MANGANELLA37 genannt; den

alteng-

lischen Physiologus, das u. a. auch vom Physiologus beeinflußte Phoenixgedicht sowie den mittelenglischen bestiary, eine Übertragung des lat. Physiologus Theobaldi, untersucht LOTHAR FRANK im Zusammenhang mit den entsprechenden Kapiteln der lateinischen Physiologi und der Bestiarien. 38 Eine Übersicht über die Entwicklung des Physiologus und Untersuchungen zu den lateinischen sowie französischen Bestiarien gibt FLORENCE MCCULLOCH.39 Sie teilt die lateinischen Bestiarien in vier Familien ein, zu denen u. a. auch die sogenannte b-Is.-Version (Physiologus der Version b, angereichert mit Material aus Isidors Etymologien) sowie das Vogelbuch des Hugo von Folieto gezählt werden. Das besondere Interesse der Verfasserin liegt bei den illustrierten Bestiarien und ihrer Verbreitung. Den größten Teil der Arbeit nehmen ikonographische Erläuterungen zu den einzelnen, alphabetisch angeordneten Tierkapiteln ein. Der Tafelteil enthält leider nur verhältnismäßig wenige nachgezeichnete Bestiarien- bzw. Physiologus-Illustrationen, so daß ikonographische Studien auch weiterhin hauptsächlich auf das verstreut publizierte Bildmaterial angewiesen sein werden. - Eine zusammenfassende Ubersicht über die Bedeutung des Physiologus in der Kunst gibt PETER GERLACH in seinem Artikel >PhysiologusReligiösen Dichtungen des 1 1 . und 12. Jhs.< entgegen. Eine Schwarzweiß-Reproduktion der Genesis und des Physiologus der Millstätter Hs. ist 1967 in der Reihe der >Codices selecti phototypice impressi erschienen.50 Gemessen an der kostspieligen Auf48

In: V L 5, 1 9 5 5 , Sp. 9 0 1 - 9 0 8 .

44

Denkmäler. Bd. 2. In den Erläuterungen Bd. 2 audi der erstmalige Abdruck des Physiologusfragments aus dem C l m 1 7 1 9 5 . In: Geistliche Dichtung des 1 2 . Jhs. (i960). Zur Diskussion um Maurers »Langzeilen« sei nur auf sein V o r w o r t zum 3. Bd. von: Die religiösen Dichtungen des 1 1 . und 1 2 . Jahrhunderts. (Tübingen 1970) sowie als Gegenpol auf die Aufsätze Werner Schröders P B B ( W ) 88 ( 1 9 6 7 ) 249fr. und ebd. 93 ( 1 9 7 1 ) S. 1 0 9 - 1 3 8 hingewiesen.

45 48

47

48

49

60

In: Die religiösen Dichtungen des 1 1 . und 1 2 . Jhs. nach ihren Formen besprochen und herausgegeben. Bd. 1, 1964. S. 1 6 9 - 2 4 5 . A T B Bd. 67, 1 9 6 7 (bis auf V o r w o r t und Anhang ein Abdruck aus: Die religiösen Dichtungen). Nach dieser Ausgabe wird zitiert. Vgl. etwa von ihrer Anlage her die Edition: Eilhart von Oberg, Tristrant, hrsg. von Hadumod Bussmann. Tübingen 1969 ( A T B Bd. 70). Vgl. Literaturverzeichnis Ic.

8

machung ist ihr W e r t f ü r die Wissenschaft vergleichsweise

gering. 5 1

G e r a d e bei einer Bilderhs. hätte eine farbliche Wiedergabe nahegelegen. F ü r den Kunsthistoriker kann diese A u s g a b e keinesfalls als v o l l wertiges Arbeitsinstrument gelten. - D e m Faksimile beigegeben ist eine E i n f ü h r u n g v o n A . KRACHER. D e r Verfasser folgt seitenweise eng dem G e d a n k e n g a n g H . DE BOORS (Literaturgeschichte B d . I), 5 2 das Verzeichnis der Illustrationen (S. 4 7 - 5 0 ) ist, mit A b ä n d e r u n g einiger W ö r t e r , bei V o s s , Studien, S. 1 9 7 f t . , abgeschrieben, wobei Fehler mit übernommen w u r d e n . 5 3 D i e A u s g a b e n der spätmittelalterlidien deutschen Physiologi v o n WOLFGANG STAMMLER 54 und DIETRICH SCHMIDTKE 55 werden unten in den entsprechenden Abschnitten besprochen. E i n e sprachliche Untersuchung v o n T e x t e n der Millstätter H s . , unter ihnen auch des Physiologus, hat RUTH BESSLING 5 6 vorgelegt.

Wie

U . PRETZEL 5 7 hält auch sie die Identität v o n Schreiber und Umarbeiter des Physiologus f ü r ausgeschlossen. Beide seien Baiern gewesen, w ä h rend die alemannischen Elemente der Prosavorlage entstammen. 5 8 Z u r wichtigen F r a g e der Datierung gibt diese A r b e i t leider keine A u s k u n f t . M i t Überlieferungsfragen der Handschriften, in denen die P h y s i o 51

Eine einfarbige Reproduktion der gleichfalls den Physiologus enthaltenden Wiener Sammelhandschrift 2721 hat der Verlag Kümmerle, Göppingen in seiner Reihe >Litterae< angekündigt. 52 Nicht auf de Boor geht Krachers Äußerung zum Gedidit >Die Hochzeit< zurück; dort schreibt er: »Der Wechsel in der Auslegung der Braut läßt vermuten, daß der Dichter mit den beiden uns überlieferten [sc.: deutschen] Fassungen des Hohen Liedes bekannt war, was Anhaltspunkt für eine Datierung sein könnte« (S. 22). Die Existenz lateinischer Auslegungen wird nicht in die Betrachtung mit einbezogen. Ohlys Hohe-Lied-Studien werden denn auch nicht erwähnt. 53 Vgl. etwa Bild 90: »Löwe mit Jungem«; es sind aber deutlich zwei(!) Junge erkennbar (audi bei Menhardt, Millstätter Physiologus. S. $6 falsch!). Bild 92: »Fischotter und Krokodil«, abgebildet ist aber eine Schlange, die ins Krokodil schlüpft (offensichtlich war Voss der Unterschied zwischen dem maskulinen Otter >enhydris< und der femininen Otter als der ostmd. Form für >Natter< nicht geläufig). 54 Melker Physiologus. In: Spätlese des Mittelalters. Bd. 2, 1965. Stammler hat noch einen weiteren spätma. Text herausgegeben: Ein »Moralischer Physiologus« in Reimen. In: Festschr. Josef Quint. Bonn 1964. S. 2 3 1 - 2 3 5 , der aus der 2. Hälfte des i j . J h s . stammt und im Kloster Mondsee/Österreich entstanden ist; vgl. dazu die Ausführungen unten S. 96ff. und 134t. 55 Physiologus Theobaldi deutsdi (1967). 56 Die Denkmäler der Millstätter Handschrift (i960). Eine im Jb. f. internationale Germanistik 11,2 (1970) S. 81 Nr. 1403 angekündigte Arbeit über die >Sprache des altdeutschen Physiologus< ist, wie mir Frau Prof. Dr. Maria Hornung, Wien, freundlicherweise mitteilte, nicht ausgeführt worden. 57 Frühgeschichte des deutschen Reims. S. 246f. 58 Bessling, ebd. S. 1 7 3 ^ und i^ßf.

9

logi W und M enthalten sind, haben sich eine Reihe von Arbeiten beschäftigt. Innerhalb einer Gesamtsicht der Uberlieferungsfragen der frühmittelhochdeutschen Literatur hat HUGO KUHN darüber gehandelt. 58 Auch ein großer Teil der weiter unten zu besprechenden Forschungen HERMANN MENHARDTS ist der Überlieferung der drei großen Sammelhss. des 12. Jhs. gewidmet. 60 Es w a r seine Absicht, in einer Reihe von Einzeluntersuchungen nadizuweisen, daß der Weifenhof zu Regensburg Zentrum der frühmittelhochdeutschen Literatur gewesen sei und alle Sammelhandschriften dieser Zeit mit Regensburg zu verbinden seien.61 E r hat dabei u. a. versucht, in einem Vergleich der Bilder der Millstätter Genesis mit denen einer byzantinischen Oktateuchhs. aus Regensburg diese These zu erhärten. 82 Seine Ergebnisse wurden aber von HELLA VOSS 63 zurückgewiesen. Sie gibt einen neuen Zeitansatz f ü r die Genesisbilder der Millstätter Hs. an: zwischen 1 1 8 0 und 1200 bis 1 2 1 0 sollen sie entstanden sein.64 Z u erwähnen ist hier noch der ausführliche Vergleich der lateinischen Dicta Chrysostomi mit ihren deutschen Übersetzungen, besonders den Kapiteln 1 - 1 2 , den HEINZ G . JANTSCH in seinen »Studien zum Symbolischen in frühmittelhochdeutsdier Literatur« (1959) gegeben hat. Mit dem Physiologus beschäftigt sich auch innerhalb einer umfassenden Arbeit über »Geistliche Tierinterpretation in der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters« (1968) DIETRICH SCHMIDTKE. Die Fülle der hier in durchsichtiger Konzeption gebotenen Aspekte und Materialien ist von der folgenden Forschung schon in reichlichem Maße aufgenommen worden, und auch meine Arbeit ist in vielem SCHMIDTKES Buch verpflichtet. 65 59

A r t . > Frühmittelhochdeutsche Literatura In: Reallex. der deutschen Literaturgeschichte. Bd. ι , 2 i 9 j 8 . S. 4 9 4 - 5 0 7 , zit. η adi Η . Κ., T e x t und Theorie. Stuttgart 1969. S. 1 4 1 - 1 5 7 . - Weniger instruktiv sind die Ausführungen von Friedrich Neumann, Die Überlieferung der altdeutschen Literatur. In: Gesdiidite der T e x t überlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur. Bd. 2, Zürich (1964). S. 65 j f . Die übrigen neueren Arbeiten, die sidi mit der Überlieferung beschäftigen, werden weiter unten im entsprechenden Abschnitt behandelt. Es sind dies besonders: M . Th. Sünger, Studien (1964) und Kathryn Smits, Die frühmittelhodideutsdie Wiener Genesis ( 1 9 7 2 ) und dies., Überlieferungsprobleme (1969).

60

Vgl. das Literaturverzeichnis II.

61

Eine Zusammenfassung enthält der V o r t r a g : Regensburg, ein Mittelpunkt der deutschen Epik des 1 2 . Jhs. 1 9 5 8 . Die Bilder der Millstätter Genesis. 1 9 5 4 . Studien zur illustrierten Millstätter Genesis. 1962. V g l . dazu die weitere Forschungsdiskussion unten Abschnitt 4 . 1 . 5 . Ebd. S. 109. Das ist der späteste Zeitansatz, den die Forschung bisher gewagt hat. Beiläufig wird der Physiologus audi in der Arbeit Susanne Wolfs behandelt: Die

62 63

64 65

10

Nidit zugänglich war mir die Arbeit ROBERT GLENDINNINGS, A critical Study of the old high German Physiologus and its Influence.66 Nach der Selbstanzeige des Verfassers 67 handelt es sich um eine Untersuchung des Physiologus mit Methoden der Archetypen-Lehre C . G. JUNGS. Dieser Aspekt wird in der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt.

ββ 67

Tiersymbolik im Mittelalter. Diss, (masdi.) Wien 1965. Eine zu weit gefaßte Themenstellung, Konzeptionslosigkeit und unpräzise Fragestellung geben der sehr materialreichen Arbeit einen nur beschränkten Wert. Diss, masdi. University of Manitoba, Winnipeg i960. In: Germanistik 2 (1961) S. 364. II

2.

DER GRIECHISCHE

PHYSIOLOGUS

2.1 Die Bezeichnung >PhysiologusPhysiologus< ist zunächst nicht Bezeichnung für das, was wir darunter verstehen, sondern, wie schon die frühesten Texte zeigen,1 Bezeichnung für eine naturwissenschaftliche Autorität, der ein Buch zugeschrieben wurde, das über bestimmte Eigenheiten von Tieren, Pflanzen und Steinen berichtet. In dem Werk, das wir gewöhnlich als >Physiologus< bezeichnen, wird dieses Naturbuch nur zitiert. Zu den zitierten naturkundlichen Berichten des >Naturforschers< (Φυσιολόγος) gibt dann ein christlicher Autor allegorische Auslegungen auf Christus, den Gläubigen, den Teufel etc. Der Physiologus stellt also die christliche Bearbeitung eines rein naturkundlich orientierten Werkes eines >Naturkundigen< dar. Die stoffgeschichtlich orientierte Forschung2 hat versucht, diesen anonymen Φυσιολόγος zu identifizieren, um so zu sicheren Aussagen über die Quelle zu gelangen. Die Handschriften geben auch durch Überschriften verschiedene Persönlichkeiten als den >Physiologos< an: in einigen Hss. der pseudo-basilianischen Redaktion 3 des griechischen Physiologus und in der (aus lateinischer Quelle stammenden) isländischen Übersetzung4 wird Salomo genannt. Doch stammt die ps.-basilianische Redaktion aus dem 1 1 . / 1 2 . Jh.; die beiden früheren Redaktionen, die näher am ursprünglichen Text stehen, erwähnen Salomo nicht. Die isländische Fassung bezieht den Namen nicht aus ihrer lateinischen Vorlage; wahrscheinlich ist diese Namensnennung hier ein bloßes Mißverständnis.5 Auch Aristoteles wird als Autor an1

D a r a u f hat zuletzt O . Seel, Physiologus. S. $5 ff. aufmerksam gemacht.

2

Laudiert, Geschidite des Physiologus. S . 4 3 Í . ; K a r l Ahrens, Z u r Geschichte des sog. Physiologus. Programm Ploen 1 8 8 5 ; M a x Goldstaub, D e r Physiologus und seine Weiterbildung.

3

V g l . Sbordone, Physiologus. S. 2 5 9 und unsere Ausführungen weiter unten. V g l . F . Hommel, Die äthiopische Ubersetzung des Physiologus. Leipzig 1 8 7 7 . S. iooff.; auch in einer nur fragmentarisch überlieferten koptischen Übersetzung w i r d Salomo als der >Physiologus< genannt; vgl. A . E r m a n . I n : Zs. f. ägypt. S p r a die 3 3 ( 1 8 9 5 ) S. 5 i f f . , Perry Sp. i i i ö f .

4

5

Die N e n n u n g Salomos setzt ein mit dem Kapitel über die Turteltaube, das am

12

gegeben,® aber auch nur in späten Redaktionen. Die frühesten Redaktionen, sowohl die griechischen wie auch die lateinischen und orientalisdien, nennen diese beiden Namen nicht.7 Abgesehen davon, daß die Frage nach dem Verfasser der naturkundlichen Schrift eigentlich sekundär ist,8 scheint mir auch die Trennung zwischen einem Verfasser der naturkundlichen Schrift und dem christlich allegorisierenden Bearbeiter überflüssig zu sein. Es ist gut möglich, daß die Kompilation der naturkundlichen Erzählungen und die christlichen Auslegungen von demselben Verfasser stammen, der zur wissenschaftlichen Legitimation jedem Abschnitt ein »o Φυσιολόγος ελεξεν« voranstellt und das ähnlich am Schluß des Abschnittes wiederholt.® Aber die meisten Fassungen trennen nicht zwischen naturkundlichem Schriftsteller und christlich-allegorisierendem Bearbeiter, wie es z . B . im Titel des Physiologus des Cod. Ambros. graec. C 255 des i6.Jhs. angedeutet wird: »Ερμηνεία τοΰ άγιου Βασιλείου. Ό δέ μέγας Βασίλειος άλληγορικώς ήρμήνευσε, πνευματικώς ύπαλλάξας τοΰ σοφωτάτου Σολομώνος τάς των άλογων ζφων φύσεις.« (nach PITRA, Spicilegium Solesmense III. S. LXIV): 1 0 Salomo soll also die Naturgeschichte geliefert haben, die Basileios der Große (um 330-379) christlich ausdeutete. Die Hs. entstammt der obengenannten ps.-basilianischen Redaktion, und nur einige Hss. dieser Redaktion trennen die Person des Naturkundigen von der des Auslegers. Die sonstigen Autorennennungen beschränken sich auf eine einzige Persönlichkeit: die äthiopische Fassung bezeichnet sich als »Schrift des seligen Physiologus«, 11 sehr oft wird Epiphanios aus Judäa (4. Jh.) als Verfasser der gesamten Schrift genannt 18 oder Hieronymus. 13 Allgemein ist aber festzustellen, daß Autorennamen in den ältesten Texten fehlen und erst in späteren oder auch nur vereinzelten Handschriften auftauchen. Daraus ist dann der Schluß gezogen worden, der A n f a n g ein Zitat aus dem Hohen Lied Salomos enthält (vgl. Carmody, Versio b. S. 49 cap. 28), danach wird regelmäßig Salomo statt des Physiologus genannt. β Laudiert, Geschichte. S. 44 und 229; u . a . im syrischen >Buch der Naturgegenstände< vgl. K . Ahrens, Das Buch der Naturgegenstände. (Kiel 1892) S. 4 und 83. 7 Perry, Physiologus. Sp. 1077. 8 So audi Laudiert, Geschichte. S. 6$, Perry, Physiologus. Sp. 1077. 9 Anders aber z. B. Wellmann, Physiologus, der eine eigene naturkundliche Quellschrift ansetzt. 1 0 Pitra zitiert die Signatur fälschlich mit C 2, was Laudiert, Geschichte. S. 43 unbesehen übernimmt. 1 1 Hommel, Die äthiopische Übersetzung. S. 45. 12 Vgl. die Nachweise bei Sbordone, Physiologus. S. X X X I - X L I I ; L X X I ; L X X X I X f.; dazu Perry,Physiologus. Sp. 1077, dort auch weitere Zusdireibungen. 18 Pitra, Spicilegium Solesmense III. S. X . L X I X .

13

Physiologus sei ursprünglich anonym erschienen als Werk, »dessen Inhalt man als Gemeingut betrachtete«.14 Es zeigen sich aber so einheitliche Bearbeitungstendenzen, besonders bei den Tiergeschichten, daß man eine Bearbeiterpersönlichkeit unbedingt wird annehmen müssen. Eine romantisch gedachte Entstehung >aus dem Volk heraus< hat es gewiß nicht gegeben.15

2.2 Die Entstehung des Physiologus Die Fragen der Datierung und Lokalisierung sind eng verbunden mit der Frage, ob man im Physiologus die naturkundliche Vorlage vom christlichen Bearbeiter absetzt. Für die Tiererzählungen wird man auf jeden Fall Alexandria oder, weiter gefaßt, Ägypten anzunehmen haben.16 Alexandria war seit dem Hellenismus das Zentrum der antiken Wissenschaft, aber audi zahlreicher mystischer Strömungen.17 Hier entstehen zahlreiche Kollektaneen von Wundergeschichten, deren Wirkung etwa bei Plinius und Aelian deutlich zu sehen ist.18 Zudem wurde es bereits in der Mitte des 2. Jhs. Zentrum des Christentums in Ägypten, und in dieser Zeit bestand hier mit großer Sicherheit schon die später so berühmte Katechetenschule.19 Neben jüdischen, christlichen und heidnisch-mystischen Strömungen war hier auch ein Mittelpunkt antiker Naturwissenschaft und ägyptischer Götterverehrung.20 Eine andere Lokalisierung des Physiologus hat M A X W E L L M A N N 2 1 vorgeschlagen. Er verlegt die Entstehung nach Syrien, weil er annimmt, das geistliche Auslegungssystem des Physiologus sei durch die in der 14

Perry, Physiologus. Sp. 1078.

15

Diese Ansidit vertritt audi Seel nicht, wenn er sagt: (Physiologus S. 58) »Es [sc. das Physiologusbudi] ist also ein echtes >VolksbuchGemeinde< - . « Die Ansiedlung des Physiologus außerhalb des Bereichs der >hohen< Literatur läßt sich auch sonst beobachten.

16

Vgl. dazu die im Literaturverzeichnis angeführten Schriften von E . BrunnerTraut. Die Lokalisierung im Umkreis Alexandriens hat zum ersten Mal im Jahre 1 8 7 7 Fr. Hommel, Die Äthiopische Übersetzung. S. X V f., vertreten. Ihm ist die Forschung weitgehend gefolgt. (Laudiert, Geschichte. S. 4 1 ; Goldstaub, Physiologus. S. 344Í.; Perry, Physiologus. Sp. 1 1 0 4 ; Seel, Physiologus. S. 58).

17

Vgl. S. Morenz, Ägyptische Religion. Stuttgart i960. S. 320. Vgl. Goldstaub, Physiologus und seine Weiterbildung. S. 344Í. Zur alexandrinisdien Katechetenschule vgl. Geschichte der Kirche. Bd. ι (Von der Gründung der Kirche bis zu Gregor d. Großen) : J . Danielou, Von den Anfängen bis zum Konzil von N i c ä a . Zürich 1 9 6 3 . S. 1 4 4 - 1 5 3 .

18 19

20

Vgl. dazu Emma Brunner-Traut, Altägyptisdie Mythen im Physiologus und Eric Hornung, Der Eine und die Vielen, ägyptische Gottesvorstellungen. Darmstadt 21 1 9 7 1 . S. iof. Der Physiologus, passim.

M

Folgezeit äußerst einflußreiche Lehre des Orígenes (f ca. i jo) vom dreifachen Schriftsinn angeregt worden. Orígenes war zunächst Lehrer an der Katechetenschule in Alexandria. Nach einem Zerwürfnis mit dem dortigen Bischof zog er nach Caesarea in Palästina, wo er eine eigene Schule eröffnete. Hier im Umkreis von Caesarea sei, so WELLMANN, der Physiologus mit seinen z . T . »psychischen« ( = moralischen), z . T . »pneumatischen« ( = allegorisch-mystischen) Auslegungen entstanden, und zwar aus einer schon vorhandenen naturkundlichen Quellschrift. Diese Lokalisierung ist von LAUCHERT 22 zurückgewiesen worden, dem sich PERRY23 anschloß, weil keine Notwendigkeit besteht, das Auslegungssystem des Physiologus von der Lehre des Orígenes abhängig zu machen und damit auch die Lokalisierung in Syrien hinfällig ist. Die Tatsache, daß die älteste syrische Version sowie das gleichfalls syrische sog. »Buch der Naturgegenstände« mehr naturkundlich als geistlich orientiert sind, war für WELLMANN mit ein Anlaß für die Annahme einer rein naturkundlichen Quellschrift gewesen. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß die erwähnten naturkundlichen Schriften eher Reduktionsstufen des Physiologus sind als seine Vorstufen. 24 Einen ersten Sammelpunkt für die Naturlehre, wie sie dann im Physiologus auftritt, sieht man in den Schriften des Bolos von Mendes (um 200). Dieser lebte im Nildelta, war Demokritanhänger und verfaßte unter dessen Namen auch einige Schriften naturkundlichen Inhalts. Für uns sind hier seine Schriften Φυσικά δυναμερά mit dem Untertitel Περί συμπαθειών και αντιπαθειών und die Χειρόκμητα von Bedeutung; sie sind uns allerdings nur noch in Zitaten bei anderen Schriftstellern greifbar. Antike Naturwissenschaft und Volksglaube werden hier verbunden. Von Bolos sind aber neben dem Physiologus auch zahlreiche andere Schriften mehr oder weniger direkt beeinflußt. Der Physiologus steht mit seiner Tierauslegung um diese Zeit keineswegs allein. Ich gehe hier nicht auf Einzelheiten ein,25 will nur noch Horapollo und 22 23 24

25

Zur Eingliederung des Physiologus in die altchristliche Literatur. S. 417. Physiologus. Sp. n o j . So auch zuletzt Perry, Physiologus. Sp. 1105; bei dieser Reduktion auf die N a turgeschichten handelt es sich durchaus nicht um eine singulare Erscheinung in der Geschichte des Physiologus. Zu verweisen ist im Bereich der lateinischen Literatur etwa auf den Liber glossarum, der nur die Tiergeschichten des Physiologus ausschreibt, wie es audi bei manchen Abschnitten von Isidors Etymologien anzunehmen ist, weiterhin auf die Dicta-Hs. C l m 14693 (12. Jh.) und auf die unten edierte Abbreviano Phisologi. Ich verweise dazu auf Perry, Physiologus. Sp. io^éff., bes. 1103ÎÎ., w o auch die verschiedenen naturkundlichen Schriften neben dem Physiologus in ihrem Verhältnis untereinander in einer Skizze übersichtlich dargestellt sind. Dort wird

15

seine Hieroglyphica

erwähnen. 26 Horapollo verfaßte etwa im 4. Jh.

in koptisdier Sprache seine Schrift, die nur in einer bald folgenden griechischen Ubersetzung durch einen sonst unbekannten Philippos erhalten ist. In ihr gibt er Anweisungen, wie Hieroglyphen zu schreiben und zu benutzen sind, und zwar in einer Zeit, in der diese Zeichen allgemein fast unbekannt sind 27 (die letzten Tempelhieroglyphen stammen aus dem Jahre 249). Man hat diese Schrift angesehen als Äußerung der verdrängten heidnischen Minderheit gegenüber dem Christentum. 28 Sie enthält Geheimzeichen, etwa einen Löwen mit offenen Augen, der die Wachsamkeit symbolisiert, und stellt so deutlich vom Stoff her eine Parallele zum Physiologus dar. Diese Schrift hat aber nur kurze Zeit neben dem Physiologus bestanden und wurde bald vergessen. Im Mittelalter ist sie unbekannt. Erst von den italienischen Humanisten wird sie 1 4 1 9 wiederentdeckt:29 der Dominikaner-Humanist Francesco Colonna ( 1 4 3 3 - 1 5 2 7 ) bringt dann in seinem Roman Poliphili

Hypnerotomachia

(gedruckt Venedig 1499) zum ersten Male eine Bilderschrift

auf, die aus den Hieroglyphica

des Horapollo stammt und die später,

besonders durch die Emblembücher, weite Verbreitung bis in die Barockzeit findet. Auf Wunsch Kaiser Maximilians I. übersetzt Willibald Pirckheimer 1 5 1 4 die Hieroglyphica, Italien

30

die durch ihn und Dürer von

nach Deutschland gebracht worden waren, ins Lateinische 31

und Dürer stattete sie mit Federzeichnungen aus.32

26

27

28

29

30

31

32

auch gesondert auf Tatian und seine vieldiskutierte Schrift Περί ζφων Ιδιότητος eingegangen. Der Artikel >Horapollon< von G. Roeder in der R E , Bd. VIII,2, Stuttgart 1 9 1 3 . Sp. 2 3 1 3 - 1 9 ist veraltet. Eine umfassendere Darstellung jüngeren Datums bringt die Einleitung zu der neuen Textausgabe von Francesco Sbordone, Hori Apollinis Hieroglyphica. Saggio introduttivo. Edizione critica del testo e commento. Neapel. 1940. Vgl. Ernst Otto, Gott und Mensdi nach den ägyptischen Tempelinschriften der griediisdi-römisdien Zeit. Heidelberg 1964 ( = Abh. d. Heidelberger Akad. d. Wiss. phil.-hist. Kl. 1964,1), und Lieselotte Dieckmann, Hieroglyphics. The History of a Literary Symbol. St. Louis-Washington 1970, besonders S. 3-20. Vgl. Sbordone, a.a.O. S. X X V I I f. und Α. Ermann, Die Hiergoglyphen. 3. Aufl. 1968. S. I97Í. Vgl. K . Gielow, Hieroglyphenkunde des Humanismus in der Allegorie der Renaissance. Jb. d. kunsthist. Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses Bd. 32, Wien 1 9 1 5 , S. 1-229, sowie L. Dieckmann, a.a.O. S. 3 1 - 4 4 . Und zwar von der Academia Platonica in Florenz, der Willibald Pirckheimer wie auch sein Bruder Johannes eng verbunden waren: vgl. Gielow, ebd. S. 18. In Italien wurden sie erst 1 5 1 7 durch Filippo Fasani ins Lateinische übersetzt, wohl, weil man dort besser das Griechische beherrschte als in Deutschland. Vgl. G. Leidinger, Albrecht Dürer und die Hypnerotomachia Poliphili. In: Sitzungsber. d. Bay. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl. 1929 Heft 3. München 1929. S. 3-35 und F. Winkler, Albrecht Dürer, Leben und Werk. Berlin 1957. S. 27$.

16

So sind es im ié. Jh. auch die neuentdeckte Hieroglyphik und die Emblembücher,83 die den Physiologus überflüssig machen und verdrängen.

2.3 Die Tierberichte des Physiologus 34 Im Physiologus werden Tierberichte verwandt, die zum größten Teil in der Antike, zuweilen in abgewandelter Form, vorhanden waren oder sich aus dem ägyptischen Götterglauben herleiten lassen. S B O R D O N E hat unter den Physiologuskapiteln unter den Stichworten fontes und ex Physiologo eine Fülle von Belegen aus der Antike einerseits und aus den frühen, meist griechischen Kirchenschriftstellern andererseits zusammengetragen. Daß eine exakte Trennung in Quelle und Wirkung bei der unzulänglich und erst sehr viel später einsetzenden Uberlieferung der Texte nicht möglich ist, hat P E R R Y gegenüber SBORDONES Verfahren nachdrücklich festgestellt.35 Neben Aristoteles, dessen Historia animalium in 10 und De partibus animalium in 4 Büchern schon einen Teil der Berichte enthalten, die im Physiologus später verwandt werden, ist vor allem auch der ältere Plinius zu nennen, dessen Naturalis Historia zwar vom naturwissenschaftlichen Standpunkt einen Rückschritt gegenüber Aristoteles bedeutet, jedoch eine weitaus größere Verbreitung erfahren hat.36 Bei Plutarch (ca. 46-120n.Chr.) zeigt sich die Verbindung des römischen mit dem ägyptischen Kulturkreis deutlich; neben seinen Quaestiones convivales und De sollertia animalium ist für den Physiologus besonders die Schrift De Iside et Osiride37 wichtig. 35

Zum Verständnis von Hieroglyphik und Emblematik vgl. L . Dieckmann, a.a.O. S. 4 4 - 6 1 und Erik Iversen, The M y t h of E g y p t and its Hieroglyphs in European Tradition. Kopenhagen 1 9 6 1 .

34

Über die Quellen der Tierberichte ist von der älteren Forschung viel gearbeitet worden. Idi nenne nur einige Standardwerke: O. Keller, Antike Tierwelt; V . Carus, Geschichte der Zoologie. S. 1 0 8 - 1 4 4 ; Goldstaub-Wendriner, Ein Toscovenezianisdier Bestiarius. S. 2 6 6 - 4 4 1 ; Laudiert, Geschichte. S. 4 - 4 8 ; Wellmann, Der Physiologus, passim; Sbordone, Physiologus, in den Anmerkungen unter jedem Kapitel; Perry, Physiologus. Sp. 1 0 7 8 - 1 0 9 6 bringt zwar kein neues Material aber doch einige überraschende neue Deutungen.

35

Perry, Physiologus. Sp. 1 1 0 2 und besonders U . Treu, Zur Datierung des Physiologus. Auch im Mittelalter wird Plinius, neben Isidor, schon früh als naturwissenschaftliche Autorität genannt und zitiert; vgl. Manitius, Gesch. d. lat. Lit. des Mittelalters. Bd. i , S. 17.

38

37

Hierzu der hervorragend erschlossene Kommentar von Theodor Hopfner, Prag 1940/41 mit reichen Hinweisen zum Physiologusbereidi.

17

A u ß e r dem griechisch schreibenden C l a u d i u s Aelianus (ca. 1 7 5 - 2 3 4 ) aus Praeneste (dem heutigen Palästrina) in Süditalien 3 8 und dem schon erwähnten H o r a p o l l o nenne ich nur noch den A l e x a n d e r r o m a n des Ps.Kallisthenes, 3 9 der eine ganze Reihe v o n Berührungen, bis hinein in die volkssprachigen Fassungen, mit dem Physiologus zeigt. 4 0 D i e

Tier-

berichte des Physiologus lassen aber gegenüber den antiken Quellen und Parallelbelegen eine eindeutige Bearbeitungstendenz erkennen, die dahin zielt, die Geschichten f ü r die Auslegung brauchbarer zu machen. D i e Pelikanerzählung k o m m t ζ. B . auch in den Koiraniden des H e r m e s Trismegistos 4 1 v o r , jedoch ohne die D r e i - T a g e - F r i s t ; 4 2 diese ist erst v o n der Auslegung bedingt, und man w i r d die Überarbeitung der T i e r geschichten deswegen sicherlich dem christlichen Bearbeiter zuschreiben müssen. 43

2.4 D i e griechischen Fassungen des Physiologus D e r Physiologus ist in griechischer Sprache in vier Redaktionen des 2 . - 1 2 . J h s . verbreitet, die in Hss. des 10.—17. Jhs. überliefert sind. 44 F ü r die erste R e d a k t i o n setzt SBORDONE die Entstehung um 2 0 0 nach C h r . an. Sie ist in 2 3 Hss. des 1 0 . - 1 7 . J h s . überliefert, v o n denen die älteste H s . der C o d . 3 9 7 der Pierpont M o r g a n L i b r a r y , N e w 38

39

40

41 42 43

44

York,

Seine Schrift Περί ζφων zeigt oft Berührungen mit dem Physiologus, so daß die Quellen beider Werke sich vermutlich sehr nahe gestanden haben. Der Text ist herausgegeben von W. Kroll, Historia Alexandri Magni. 2. Aufl. Berlin 1958. Vgl. Reinhold Merkelbach, Die Quellen des griechischen Alexanderromans. München 1954. Register. Hrsg. von L. Festugière, 3 Bde. 1949-53, 11,96. Vgl. Max Wellmann, Der Physiologus. S. 49Í. Von ihm stammt auch z. B. die gesamte Adlererzählung (nach Ps. 102,j), die Bearbeitung des Elefantenkapitels (in der griechischen Redaktion, in der Version y und im Physiologus Theobaldi nodi deutlicher sichtbar als in den Dicta) und sicher audi der sonst unbekannte Bericht, daß der Löwe sein Junges tot zur Welt bringe und es am dritten Tage erwecke. Einen kritischen Text von vier Redaktionen gibt: Francesco Sbordone, Physiologus, Mediolani - Genuae - Romae - Neapoli 1936. Die Ausgabe verwertet insgesamt 77 Hss., das ist fast der gesamte bekannte Bestand. Die Kritik hat gewichtige Einwände zu Sbordones Ausgabe gebracht wegen der an vielen Stellen willkürlichen Auswahl der Lesarten und, weil er den textkritisdien Wert der frühen Physiologus-Übersetzungen aus dem Griechischen nicht berücksichtigt habe. Vgl. B . E . P e r r y , In: American Journal of Philology 58 (1938) S. 492ÍÍ., Paul Maas, In: Byzantin. Zs. 37 (1937) S. 379ÎÎ. sowie, besonders zum textkritischen Wert der frühen Ubersetzungen : Francis Carmody, Versio y. S. $6ff. 18

vom Ende des 10. Jhs.45 erst nach SBORDONES Ausgabe bekannt wurde. Dieser Redaktion entstammen die Vorlagen für alle lateinischen Übersetzungen, sowie für den äthiopischen, armenischen, syrischen und arabischen Physiologus. 46 Sie gliedert sich in fünf Familien; die lateinischen Physiologi greifen auf Vorlagen zurück, die den Hss. A und Π der vierten Familie am nächsten stehen. Die zweite sog. byzantinische Redaktion, 47 deren Entstehungszeit umstritten ist,48 bringt weitgehende Veränderungen: nach dem bekannten Aufbauschema werden neue Kapitel gebildet, die Zahl der moralisierenden Auslegungen nimmt zu, etymologische Ergänzungen sowie neue Φύσεις werden in die Kapitel eingebaut.49 - Veränderungen dieser Art sind dem Werktyp >Physiologus< in all seinen Verbreitungsvarianten eigen und lassen sich, unabhängig voneinander, an vielen Punkten der Tradition beobachten.50 Die dritte griechische Redaktion 51 ist die sog. >pseudo-basilianischevolkstümlicher< Literatur seit der Spätantike. Die Symbiose des Physiologus mit Fabeln läßt sich auch in der westlichen Tradition von den frühesten Handschriften an beinahe mit Regelmäßigkeit beobachten. Die Angaben sowie die Forschungsliteratur zu diesen Übersetzungen sind bei Perry, Physiologus. Sp. 1 1 1 6 - 1 1 1 9 aufgeführt. Goldstaub, Physiologus. S. 371 bezeichnet die Fassung als >mittelgriechische Redaktion des Ps.-EpiphaniusPhysiologus< in: New Catholic Encyclopedia Bd. i i , Toronto-London 1967. 5.343a vertreten.

22

Text) müsse es schon vor 386, 13 dem Jahr, in dem Ambrosius seine Predigten über das Schöpfungswerk begonnen hat, gegeben haben. Das ist wohl überzeugend, doch möchte ich die Möglichkeit nicht ausschließen, daß der Weg auch unter Umständen umgekehrt verlaufen sein kann. Denkbar wäre immerhin, daß solch ein verbreitetes und bekanntes Werk 14 wie das Exameron des Ambrosius audi Einfluß auf die lateinische Ubersetzung gehabt hat, zumal es trotz Übereinstimmung in manchen Tiergeschichten auch große Differenzen gegenüber dem Physiologus zeigt. Der Einfluß des Examerons auf den lateinischen Physiologus zeigt sich ganz deutlich in einer der ältesten Hss., Bern 318 (C), wo zusätzlich zu den traditionellen Kapiteln ein Abschnitt Galli cantus überliefert ist, der wörtlich dem Abschnitt 5,24,88 des Examerons des Ambrosius entnommen ist. Das aber ist Beweis, daß auch eine Übernahme des Abschnittes über das Rebhuhn aus dem sechsten Buch des Schöpfungswerkes in den lateinischen Physiologus zumindest im Bereich des Möglichen liegt. Für die Datierung der ersten lateinischen Ubersetzung ist die Ubereinstimmung beider Passagen von C A R M O D Y überschätzt worden, wie idi glaube.15 Wann die erste lateinische Ubersetzung des Physiologus anzusetzen ist, läßt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Kenner des Griechischen, die solch eine Ubersetzung hätten anfertigen können, hat es jedenfalls auch im 8-/9. Jh. gegeben.16 Vielleicht ist der lateinische Physiologus nicht lange vor den ersten überlieferten Hss. entstanden, doch fehlen mir die Anhaltspunkte für eine sichere Entscheidung. C A R M O D Y S Datierung jedenfalls steht nicht auf so fester Grundlage, daß sie alleinige Geltung beanspruchen dürfte. 13

Gehalten wurden die neun Predigten über die Schöpfung in der Fastenzeit des Jahres 389. Die Tierberichte befinden sich in Buch V und am Anfang von Buch V I . 14 Zur Überlieferung vgl. Schenkl, ebd., S. X X X I I I - L I I . Wegen der zahlreichen Uberlieferungszeugen verzichtet der Herausgeber jedoch auf eine vollständige Verzeichnung der Hss.; vgl. auch Otto Bardenhewer, Gesch. d. altkirchl. Literatur, Bd. 3, 2. Aufl. 1925. S. 510. 15 Laudierts These (Geschichte, S. 89), der lateinische Physiologus sei vor 431 entstanden, weil in dem Häretiker-Katalog des Ameisen-Kapitels Nestor fehle, dessen Schriften erst auf dem 3. ökumenischen Konzil zu Ephesus (431) als häretisch verdammt wurden, ist nicht zu halten. te Zu den Griediisch-Kenntnissen im M A audi Β. Bischoff, Das griechische Element in der abendländischen Bildung des Mittelalters. In: Β. B., Mittelalterliche Studien, 2 Bde. Stuttgart 1966/67, Bd. 2. S. 2 4 6 - 2 7 5 , und die umfassende Darstellung von Walter Bersdiin, Art. »Abendland und Byzanz III. Literatur und Sprache, A : Griechisches im lateinischen MA.< In: Reallex. der Byzantinistik. Bd. 1, Heft 3,4, Amsterdam 1969/70. Sp. 227-304.

23

Nicht eindeutig klar ist, wie viele unabhängige lateinische Übersetzungen aus dem Griechischen erfolgt sind. Es sind mindestens zwei anzunehmen, die Fassung c (SBORDONE: Χ) und y. CARMODY setzt auch seine Versio b als ursprüngliche Übersetzung aus dem Griechischen an, 17 während SBORDONE sie aus der Fassung y herleitet.18 Ob dem Kompilator des Liber glossarum eine eigenständige Übersetzung des Physiologus vorgelegen hat oder eine aus ybc kontaminierte Fassung, müßte überprüft werden. Die Abgrenzung des Physiologus vom Bestiarium ist theoretisdi recht genau vorzunehmen, und sie hat auszugehen von der ersten griechischen Redaktion, in der westlichen Tradition repräsentiert durch die lateinischen Fassungen yc. Der Übergang zum Bestiarium erfolgt da, wo dieses Traditionsgut in irgendeiner Weise verändert wird; sei es durch zusätzliche Kapitel, Änderung der Auslegung usw. So sind etwa der Bestiaire d'amour des Richard de Fournival oder die Kompilation De bestiis et aliis rebus eindeutig Bestiarien. Die terminologischen Schwierigkeiten setzen da ein, wo nicht so weitgehende Veränderungen des traditionellen Bestandes vorliegen. Hier jedoch eine quantifizierende Grenze festzulegen, bis zu der Texte als Physiologus, jenseits davon als Bestiar anzusprechen seien, ist kaum ratsam. Die einzige exakte Scheidung wäre da anzusetzen, wo der Bestand der ersten griechischen Redaktion bzw. der lateinischen Fassungen yc verändert wird. Das würde bedeuten, daß sowohl die 2. und 3. griechische Redaktion wie auch alle sonstigen lateinischen Fassungen und die aus ihnen hergeleiteten Übersetzungen nicht mehr als Physiologus bezeichnet werden könnten. Dem würden aber sowohl die in den Hss. selbst enthaltenen Werktitel widersprechen wie auch die meistens aus ihnen hergeleiteten philologischen Bezeichnungen. Die vorliegende Arbeit wird deswegen keine terminologische Neuorientierung bringen, doch wird man die unbedachte Übertragung des Begriffs >Physiologus< auf irgendwelche Texte mit Tierauslegung zurückweisen müssen.19 Dieser bewußte Verzicht auf eine terminologisch eindeutige Fixierung des Physiologus bzw. Bestiars liegt letztlich begründet in der inkonstanten Erscheinung dieses seit seiner Entstehung in Veränderung begriffenen Textes.20 17

«

19

Carmody, Sbordone, Fassungen ( = x) mit

Versio b. S. 7 . Physiologus. S. L X V I I I f . S . L X X I V f f . gibt er einen Paralleldruck der y und b für einige Kapitel. Eine Gegenüberstellung der Fassung c b gibt er in: L a Tradizione. S. z $ z .

S o etwa im Falle von Stammlers »Moralischem Physiologus« (vgl. den E x k u r s 2 4.3.2). V g l . dazu unten Abschnitt 6.

24

3-I.I Die Fassung y In drei Hss. ist die 49 Kapitel enthaltende Fassung y überliefert: 21 Clm 19417, fol 29 ν -γο ν , 9. Jh. Clm 14388, fol i 7 2 v - i 8 3 v , Mitte 9. Jh. 22 Bern Burgerbibliothek l a t . 6 n , f o l i i 6 v - i 3 8 v , 1. Hälfte 8. Jh. 23 Sie ist außerdem in 13 Kapiteln der Hs. A 2 4 (Brüssel, Bibl. Roy. 10074, 10. Jh.) sowie in einigen Kapiteln der Fassung c, einigen Lemmata des Liber glossarum und wenigen Kapiteln der unter den Werken Hugos von St. Viktor abgedruckten Kompilation De bestiis et aliis rebus25 erhalten. In der Bewertung dieser Fassung gehen die Ansichten von C A R M O D Y und S B O R D O N E auseinander. S B O R D O N E sieht in den Hss. Y Y 2 Y 3 ( = M N E ) nicht die Grundform dieser Fassung, sondern eine Kontamination aus 37 ursprünglichen y-Kapiteln und 1 1 Kapiteln, die aus der Fassung c ( = x) übernommen seien. Grund dafür ist, daß die griechische Hs. Π des n . J h s . , die der Versio y am nächsten steht, nicht den vollen Kapitelbestand, sondern nur 35 Kapitel enthält. S B O R D O N E sieht die Abhängigkeit der lateinischen Übersetzungen von einer griechischen Hs. als gegeben an, die wesentlich später als die betreffenden lateinischen Hss. geschrieben wurde. Er berücksichtigt in diesem Falle nicht, daß die Hs. Π nur eine sonst nicht weiter erhaltene Hss.-Gruppe repräsentiert, die durchaus einen vollständigeren Text als Π gehabt haben kann, der für die Uberlieferung herangezogen wurde. Wohl aus diesem Grund sieht C A R M O D Y in y eine originale Übersetzung aus dem Griechischen, die von der Fassung c ( = x) unabhängig ist. Die erhaltene Fassung gibt auch den vollen Bestand von 49 Kapiteln der ersten griechischen Redaktion wieder. Diese komplette Physiologus-Fassung ist nur in Hss. des 8.-10. Jhs. 21

22

23

24 25

Herausgegeben von Carmody, Versio y ; drei weitere Hss., die Kapitel der Versio y enthalten, jedodi nicht den vollen Bestand, teilt Sbordone, La Tradizione. S. 2 5 i f . mit und fordert eine revidierte Ausgabe unter Einbeziehung dieser Hss. Vgl. Bernhard Bisdioff, Die südostdeutsdien Schreibsdiulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit. Teil I: Die bayrischen Diözesen. 2.Aufl. Wiesbaden i960. S. 24of.; zu dem 2. Teil der Hs., der auch den Physiologus enthält, vgl. ebd. S. 241. Vgl. Codici latini antiquiores, ed. by E . A . L o w e , Part.VII: Switzerland, Oxford 1956. S. iof. Nr. 604 d (m. Abb.). Der Physiologus und die ihm folgenden Excerpta canonum sind auf palimpsestiertes Pergament geschrieben. Die Hs. ist vermutlich im östlichen Frankreich geschrieben worden (vgl. die Angaben ebd.). Von Carmody, ebd. S. 98 aufgezählt und bei der Edition berücksichtigt. Vgl. dazu Carmody, De bestiis et aliis rebus and the Latin Physiologus.

2-5

überliefert. Bereits die von S b o r d o n e ergänzten Hss. weisen nicht mehr den vollen Kapitelbestand auf. Die weitere Tradition zeigt, daß der gekürzte Physiologus wohl eher den Bedürfnissen der Zeit entsprach. Die Funktion eines Kompendiums, die die Fassung von 49 Kapiteln wohl gehabt hat, wurde dann von den stark erweiterten Fassungen, etwa der b-Is.-Version, oder umfangreicheren Werken wie etwa der Kompilation De bestiis et aliis rebus übernommen, die wir schon als Bestiarien bezeichnen.

3.1.2 Die Fassung c Eine Übersetzung eines griechischen Physiologus der Klasse 2as 2 e der ersten Redaktion ist die nur in zwei Hss. des 8./9.JI1S. überlieferte lateinische Fassung c.27 Sie enthält 24 Kapitel, und zwar, abgesehen von den Auslassungen, in der Reihenfolge der griechischen Vorlage. 28 Bemerkenswert ist diese Fassung, weil sich hier schon der Einfluß von Schriften des Quellbereiches zeigt: beide Hss. enthalten ein 25. Kapitel: Galli cantus, das aus dem Exameron des Ambrosius (5,24,88) stammt, ohne daß diese Quelle genannt wird. Es folgt der Schlußspruch: Respice nobis quoque, domine Jesu Christe etc. Die Bern er Hs. bringt danach noch das Kapitel Caballus, in dem das Pferd nach Isidor, Etym. I2,i,42f., beschrieben wird. Bemerkenswert ist, daß diese beiden K a pitel in der Berner Hs. in den Illustrationszyklus mit einbezogen wurden und von der Anlage der Hs. her jedenfalls nicht als Anhängsel zu 28 27

28

Vgl. Sbordone, La Tradizione. S. 248, der diese Fassung als χ bezeichnet. Bern, Burgerbibliothek Cod. lat. 318, 9. Jh. und, lange unbeachtet, Wolfenbüttel Cod. Gud. lat. 148, Ende 9. Jh. Text: Physiologus Bernensis. Voll-Faksimile-Ausgabe des Codex Bongarsianus 318 der Burgerbibliothek Bern. Wissenschaftlicher Kommentar von Christoph von Steiger und Otto Homburger. Basel 1964. S. 501 1 5 . Der Cod. Gud. lat. 148, der hier zum ersten Male berücksichtigt ist, nachdem E. Voigt schon in der Z f d P h 22 (1890) S. 238 auf ihn aufmerksam gemacht hatte, überliefert den Physiologus zusammen mit Fabeln, und zwar dem sog. Weißenburger Aesop und dem Liber monstrorum de diversis generibus (hrsg. von Moriz Haupt, Opuscula Bd. 2, Leipzig 1876, S. 218-258. Eine neue Ausgabe bereitet Fr. Brunhölzl vor). Der Liber monstrorum enthält auch einige zum Physiologusbereich gehörende Tierberichte. Auf Quellenfragen geht u . a . ein: L. G. Whitbread, The >Liber Monstrorum< and >BeowulfBeatusEpiphanius< tritt sowohl in einer Reihe von Hss. der mittelgriechischen Redaktion auf, wie auch in davon unabhängigen Hss. (vgl. Sbordone, Physiologus. S. X L I I I ) . Der Hs.-Bestand ist nirgends vollständig erfaßt. Größere Bestände erfassen: Wilhelm, Denkmäler Bd. 2. S. 15, Sbordone, La Tradizione. S. 2 j 3 Í f . ; McCullodi, Bestiaries. S. 42. Eine Uberprüfung der Bibliotheksbestände würde mit Sicherheit noch eine Reihe weiterer Hss. der Dicta zutage fördern. Ich gebe ein Verzeichnis der bekannten Dicta-Hss., das um eine Reihe von Texten der Bayerischen Staatsbibliothek München erweitert werden konnte. Hss. die, soweit mir bekannt, Illustrationen enthalten, sind mit * gekennzeichnet. Clm 536 (1143/7)» Clm 14693 ( 1 2 . J h . ) ; Clm 14348 ( 1 3 . J h . ) ; Clm 2655* (13./14.Jh.); Clm 9600 (14. Jh.); Clm 6908* ( 1 4 . J h . ) ; Clm 3221 ( 1 4 . J h . ) ; Clm 19648 ( 1 5 . J h . ) ; Clm 23787 ( i j . J h . ) ;

29

der Entstehung dieser Fassung ist nicht mit Sicherheit zu ermitteln, man w i r d das 1 1 . J h . annehmen dürfen. M . MANITIUS 44 und, ihm folgend, FR. SBORDONE 45 haben geglaubt, in dem E i n t r a g Crisostomus animalium

de naturis Isker 4 6

in dem Bücherverzeichnis des Murbacher A b t e s

( 2 . H . 9. J h . ) den ersten N a c h w e i s der Existenz der D i c t a - V e r s i o n gefunden zu haben. SBORDONE gründet hierauf sein S t e m m a : » E facile dunque [sc. a u f g r u n d des Murbacher Beleges] ricostuire in talmodo la cronologia dei D i c t a C h r y s o s t o m i . « 4 7 Dieser Schluß ist nicht zulässig: Chrysostomus ist als Verfasser des Physiologus audi in Hss. der Versio y angegeben, 4 8 außerdem zitiert Verecundus schon im 6. J h . Iohannem scripsit,49

Constantinopolitanum

in libro quem de Natura

einen

bestiarum

ohne daß dadurch ein Schluß auf die Dicta- Version gerecht-

fertigt w ä r e . 5 0 - D i e Dicta-Version

leitet sich im wesentlichen her aus

Clm 14216 (15.Jh.); Clm 5613 ( i j . J h . ) ; Clm 5921 (15.Jh.); Cod. Vind 1010* (12.Jh.); Cod. Vind. 30} (13./14.Jh.); Cod. Vind. 2 5 1 1 (14.Jh.); Cod. Vind. 13378 (14. Jh.); Cod. Vind. 4609 (15.Jh.); Linz, Cod. ms. C c . I I . i j . (12./13.Jh.); Pierpont Morgan Library Ms. 83z* (ehemals Göttweig, Cod. ms. 1 0 1 ; 12. Jh.); Göttweig, Codd. mss. 1 J 4 (14. Jh.); 200 (15. Jh.); Cod. Lipsiensis Paul, fol 351 (13. Jh.); Cod. Lips. Paul. 4 0 1305 ( i j . Jh.); Uppsala, Univ. bibl. C 145 (aus dem ehemaligen Kartäuserkloster Erfurt 14.Jh.); Paris, Arsenal lat. 394 (13.Jh.); Paris, Bibl. Nat. lat. 10448* (13. Jh.); Épinal 58 (209)* (12. Jh.); Hofer Bestiary* (13. Jh. vgl. dazu McCulloch, Bestiaries. S. 31 A 33 und S. 42); Brit. Mus. Sloane 278s" (14. Jh.). Auf Cod. 28 (14. Jh.) der Ratsbibliothek Bad Windsheim wies midi Herr Dr. Schmidtke, Berlin, hin. 44 45 46

47 48 49 50

Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters. Bd. 3, S. 731. La Tradizione. S. 272. Veröffentlicht von Hermann Bloch. Ein karolingischer Bibliotheks-Katalog aus Kloster Murbach. In: Straßburger Festschrift zur X L VI. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner, hg. von der Philosophischen Fakultät der KaiserWilhelms-Universität. Straßburg 1901. S. 257-283, hier S. 272f. - Sowohl der Murbacher Katalog wie audi das ihm folgende Verzeichnis der Sammlung Iskers sind nur in einer Abschrift des Humanisten Sigismund Meisterlin aus dem Jahr 1464 erhalten. Zum Murbacher Katalog vgl. jetzt die neue Ausgabe von Wolfgang Milde, Der Bibliothekskatalog des Klosters Murbadi. Ausgabe und Untersuchung von Beziehungen zu Cassiodors >InstitutionesLügenhaftigkeit< der Versdichtung schon vor dem Lucidarius-Prolog geführt wurde und daß in manchen Fällen die Diskussion zum Thema >Prosa-Vers< im Spätmittelalter die Argumente der Spätantike und des frühen Mittelalters wieder aufnimmt und ihre Grundlage eben nicht im Bereich der Volkssprache hat. Eine Übersicht über das opus geminatum gibt Peter Vossen, Der Libellus Scholasticus des Walther von Speyer. Ein Schulbericht aus dem Jahr 984. Berlin 1962. S. 208-212. Kurz gefaßt äußert sich auch E. R . Curtius dazu: Europ. Lit. S. iS7f. Vgl. etwa: Aldhelm De virginitate, Beda Vita sancti Cuthbercti, Alcuin, Vita sancii Willibrordi. 34

W e r k De naturis

rerum

als Versbearbeitung die Laus divinae

sapien-

tiae folgen ließ. D e r Einfluß im Frankenreich zeigt sich e t w a in H r a bans Liber

de laudibus

de rectoribus

christianis.

sanctae

crucis und des Sedulius Scottus

Liber

I m Bereich der Legende steht die Versfassung

oft neben der Prosaversion oder bezieht daraus ihren Stoff. 7 0 Erinnert sei hier auch an W i l l i r a m s v o n Ebersberg Bearbeitung des H o h e n Liedes, die, in drei Spalten angeordnet, die deutsche Paraphrase, die lateinische Versdichtung in leoninischen H e x a m e t e r n und in der M i t t e den V u l gatatext enthält. 7 1 D i e T e n d e n z , Prosatexte in V e r s f o r m zu gießen und den Stoff d a durch zu veredeln, ist seit den Bibelübersetzungen durchaus vorhanden,

72

der

Spätantike

w e n n sich auch zunächst gewichtige Stimmen

dagegen hören ließen. 73 Schließlich ist die U m w a n d l u n g eines Prosatextes in Verse ein Beweis f ü r die Beherrschung der lateinischen Sprache gewesen und an den Schulen - zumindest des Mittelalters -

vielfach

geübt worden. 7 4

70

71

72 73

74

In der Heiligenvita ist das schon früh zu beobachten: Paulinus von Périgueux versifiziert gegen Ende des 5. Jhs. die Martinsvita des Sulpicius Severus. Der Doppelbearbeitung der Vita des heiligen Willibrord durch Alcuin ( i . B u d i Prosa, 2. Budi Vers) folgt etwa Thiofrid von Echternach, der zu Beginn des 12. Jhs. die gleiche Vita bearbeitet. Mit den Rhetorici colores des Onulf von Speyer (um 1050) setzen Curtius wie auch Klopsch das Ende dieser Doppelfassung in der Literatur des Mittelalters an. Als späten Ausläufer möchte ich nodi das Speculum grammatice (um 1350) des Hugo Speditshart von Reutlingen nachtragen, der zusätzlich zu der Prosafassung noch eine erweiterte Versfassung dieses Werkes hergestellt hat. (Textauszug veröffentlidit von A. Diehl, In: Mitteilg. der Ges. f. dt. Erziehungs- und Schulgesch. Bd. 20, 1910. Ergänzungen dazu bringt: Gabriel Silagi, Aus der >Forma discenda des Hugo Spechtshart von Reutlingen. In: Festschrift Bernhard Bischoff zum 65. Geburtstag, hg. von Johanne Autenrieth und Franz Brunhölzl. Stuttgart 1971. S. 417-434. Vgl. zu Hugo auch den Artikel von F. Brunhölzl im V L Bd. 5. Sp. 8j2ff.) Vgl. dazu besonders Klopsch, a.a.O. S. lyff. und passim. So kritisiert etwa Hieronymus die Bibelversifikation des Juvencus: [. . .] neque pertimuit, evangelii maiestatem sub metri leges mittere (Epist. ad Magnum 70, j), zitiert nach Klopsch S. 12. Die umgekehrte Umsetzung von Versen in Prosa ist eine geläufige Übung der antiken Rhetorensdiule (vgl. Quintilian, Inst. orat. 10,5,4) und auch im Mittelalter durchaus üblich gewesen, zumal bei Sdiultexten, wie die Eintragungen in den Hss. zeigen. Die Umsetzung der Verse in Prosa ist auch mit dem Physiologus Theobaldi durchgeführt worden. Zahlreiche Hss. enthalten über die Verse geschriebene Zahlen, die diese Übung erleichtern sollten, z.T. werden allerdings auch Zeichen verwandt, die dem syntaktischen Verständnis dienen (vgl. dazu: Maartje Draak, Construe Marks in Hiberno-Latin-Manuscripts. Mededelingen die Koninklijke Nederlandse Academie van Wetenschapen. A f d . Letterkunde. Nieuwe Reeks, Deel 20 No. 10, Amsterdam 1957). 35

3-2.1

D e r P h y siologus T h e o b a l d i

I n den Bereich der Schule g e h ö r t w o h l auch der P h y s i o l o g u s T h e o b a l d i . D i e s e B e a r b e i t u n g 7 5 b r i n g t z w ö l f b z w . d r e i z e h n K a p i t e l 7 6 in verschiedenen metrischen F o r m e n 7 7

und behandelt L ö w e ,

Adler,

Schlange,

A m e i s e , Fuchs, H i r s c h , S p i n n e , W a l , S i r e n e n , O n o c e n t a u r e n , E l e f a n t , Turteltaube und Panther. A l s V o r l a g e f ü r den P h y s i o l o g u s T h e o b a l d i k a n n keine d e r b e k a n n ten

Versionen

gelten. B e z i e h u n g e n

Redaktionen sowie -

bestehen

zu

w a s E D E N e n t g a n g e n ist -

allen

Physiologus-

z u den italienischen

B e s t i a r i e n . 7 8 I m f o l g e n d e n seien einige E r g ä n z u n g e n z u EDENS A u s f ü h r u n g e n ü b e r die Q u e l l e n des P h y s i o l o g u s T h e o b a l d i ( S . 4 f ) gegeben. Die vierte N a t u r der Schlange (sie sdiützt ihr H a u p t mit dem ganzen Körper, I I I , 1 7 - 2 0 ) ist nicht nur in der lateinischen Version c enthalten, sondern auch in der 1. griechischen Redaktion (SBORDONE, Physiologus cap. I i S . 4 3 Í . ) ; von dort her scheint diese Eigenschaft auch der lateinische 75 76

Kritische Ausgabe von P. T. Eden (vgl. Literaturverz. I,b), dazu auch oben S. 6. J e nachdem, ob Sirene und Onocentaurus in einem Kapitel gemeinsam oder getrennt überliefert werden. Die Hss. bringen als Titel jedoch nur: Physiologus Theobaldi de naturis XII animalium (oder ähnlich). Nie werden dreizehn Tiere im Titel genannt. Eden führt außerdem Accessus aus drei Hss. des Physiologus Theobaldi an, die gleichfalls nur zwölf Tiere nennen (Physiologus S. 10), richtet seine Ausgabe aber in dreizehn Kapiteln ein.

77

Die einzelnen Metra verzeichnet Eden, Physiologus. S. 2 j A 4 . Die Verschiedenheit der Metren ist ein seit der Antike gebräuchliches Kunstmittel, charakteristisch für die Menippeische Satire. Dem Mittelalter ist diese Kunstform hauptsächlich durch des Martianus Capeila De nuptiis Mercurii et Philologiae sowie durch De consolatione philosophiae des Boethius vermittelt worden. Aus dem Mittelalter nenne ich etwa die Vita S. Galli des Notker Balbulus, in der Verse der verschiedenen Metra mit Prosa wechseln, oder das große Gedicht De octo viciis des Hermannus Contractus ( 1 0 1 3 - 1 0 5 4 ) , w o jeder der zwanzig Abschnitte in einem anderen Versmaß gehalten ist. Hier ist aber auch der Einfluß des ersten Horazisdien Odenbuches zu sehen, an dessen A n f a n g die verschiedenen charakteristischen Strophenformen des Gesamtwerkes vorgestellt werden. Dieser Einfluß wird sichtbar etwa auch in 13 Gedichten in verschiedenen Strophenformen, die Rupert von Deutz über seine Vertreibung aus dem St.-Laurentius-Kloster Lüttich verfaßt (nach 1095) oder in den Ode Quirinalium des Metellus von Tegernsee (nach 1160), w o in den verschiedenen Versmaßen des Horaz, Boethius und Prudentius Leben und Wunder des Klosterheiligen verherrlicht werden. Die Polymetrie des Physiologus Theobaldi ist keine Einzelerscheinung im Mittelalter.

78

Vgl. dazu Goldstaub-Wendriner, Tosco-venez. Bestiarius. S. 2 7 9 - 2 8 1 . Die italienischen Bestiarien sind z w a r nicht als Quelle für den Physiologus anzusehen, zeigen aber, daß diese Schlangeneigenschaft in Italien bekannt war. Darauf deutet auch die Verwendung durch Petrus Damiani (ca. 1 0 0 7 - 1 0 7 2 ) , De bono religiosi status 22, P L 145, Sp. 782, in dessen Lebenszeit auch ungefähr die Entstehung des Physiologus Theobaldi fällt.

36

Physiologus zu haben, der dem Liber glossarum79 für die Tierkapitel zugrunde gelegen hat; daraus ist diese Eigenschaft auch von Papias 8 0 in sein Glossar aufgenommen worden und bei Isidor (Etym. 12,4,43) belegt. 81 Aus dem Bereich der exegetischen Unterweisung sei nodi auf Augustins De doctrina Christiana hingewiesen, 82 der an dieser Stelle die Bedeutung der Naturkenntnis für die Exegese betont. 83 Die Frage nach der Quelle für diese Schlangeneigenschaft im Physiologus Theobaldi ist doch wohl nicht so einfadi zu beantworten, wie es nach EDENS Ausführungen (Physiologus S. 4) aussieht, denn es ist zu berücksichtigen, daß der Physiologus in seiner gesamten lateinischen Tradition immer wieder auch Material aufgenommen hat, das eben nicht aus anderen Physiologus-Fassungen stammt. 84 Die Natur des Elefanten, der seine Knie nidit beugen kann und der deswegen dem Jäger leicht zum Opfer fällt oder von einem kleinen Elefanten wieder aufgerichtet wird, findet sich nicht nur in der Versio y, sondern auch in den Hss. A und C sowie, aus dem Bereich der Exegese, im Exameron des Ambrosius. 85 Das Kapitel von der Spinne bringt EDEN (S. 5) mit Isidor (Etym. 12,5,2) in Verbindung. GOLDSTAUB 86 hat dieses Kapitel aber auch in einer Prosafassung im I i . Jh. gefunden. Außerdem sei noch auf Gregor, Moralia in J o b 8,44,72 hingewiesen. Diese wenigen Einzelheiten mögen zeigen, daß Quellenfragen nur sehr schwierig zu beantworten sind, weil die materia der Tiergeschichten nicht nur im Physiologus tradiert wird. Die Entstehung des Physiologus Theobaldi ist weder genau zu datieren noch zu lokalisieren. Die älteste Hs., der Cod. Harleianus 3 0 9 3 , stammt wohl nodi aus dem späten 1 1 . Jh.; 8 7 die Forschung setzt die Entstehung dieser Physiologus-Fassung allgemein in Italien oder Frankreich an. 88 Zuletzt hat, wohl aufgrund der Tatsache, daß ein großer 7» Bei Pitra, Spicilegium Solesmense. Bd. 3, S. 419. 80 Neudruck ohne Titel, ohne Jahr der Ausgabe Venedig 1496, S. 316A. 8 1 Isidor schreibt hier den Servius-Kommentar zu Vergils Geórgica 3,422f. aus, der sich wiederum fälsdilidi auf Plinius beruft, denn dieser bringt die Eigenschaft nicht. 82 11,16,24 E£L. JOS· Martin, CCSL 32, Turnholti 1962. S. 49. Aus Augustin füge idi noch hinzu: Quaestio XVII in Matthaeum, VIII. PL 35, Sp. 1366; Sermo Z.XV cap. II,}. PL } 8 , Sp. 426. 8 3 Vgl. zu der Stelle aus De doctrina Christiana audi Schmidtke, Tierinterpretation. S. i28f. 84 Ich verweise dazu auf die Ausführungen zum »Quellbereidi« weiter unten, Abschnitt 7,1. 8 5 Ed. Sdienkl (CSEL }2,i) 6,$,31. S. 225. 8 6 Die Entwicklung des lateinischen Physiologus. S. 216/218. 8 7 Von Manitius, Geschichte der lat. Literatur des Mittelalters. Bd. }, S. 734 ins 12. Jh. datiert. Diese Hs. gibt dem Physiologus den Titel: Incipit liber fisiologus a thetbaldo italico compositus (nach Eden, Physiologus. S. 6). 8 8 Vgl. Eden, Physiologus. S. jff., wo die Forsdiungslage referiert wird. 37

T e i l der Hss. aus dem bairisch-österreichischen R a u m stammt, K A R L LANGOSCH die (EDEN unbekannte) V e r m u t u n g geäußert, daß dieser T h e o b a l d »wahrscheinlich nach Deutschland ins 1 2 . J h . gehört«. 8 9 E s fehlt jedoch noch eine Begründung d a f ü r . D i e Überlieferung dieser Fassung nimmt, in regional verschiedene G r u p p e n geteilt, 90 z u m E n d e des Mittelalters immer mehr zu. V o m 1 4 . J h . an übertrifft der Physiologus Theobaldi die Prosa-Versionen weit in der Z a h l der Textzeugen. A l s einzige Physiologus-Fassung gelangt er auch in den Druck. Z w ö l f verschiedene A u s g a b e n sind bekannt. 9 1 D i e Benutzung als Schulbuch hat dazu geführt, daß der P h y siologus Theobaldi schon f r ü h mit Einleitung (accessus), Kommentaren

92

Glossen und

versehen überliefert ist. Selbst die Drucke erscheinen

z. T . noch kommentiert und glossiert. 93 Seine eigentliche Bedeutung

hat der Physiologus Theobaldi

als

Schulbuch gehabt. 9 4 S o taucht er neben C a t o , A v i a n , M a x i m i a n und Theodul audi u. a. in den erhaltenen Sammlungen der accessus

auf : 9 5

Iste libellus intitulatur Phisiologus. phisis grece, latine natura, logos grece, latine sermo; inde Phisiologus, id est naturalis sermo, materia eius sunt animalia, que introducuntur in eo. intentio eius est delectare in animalibus et prodesse in figuris. utilitas est ut naturas et figuras animalium cognoscamus. phisice supponitur quia de naturis animalium tractat. Zur Wirkung 88

90

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94

95

des Physiologus Theobaldi

im Spätmittelalter

in

Die mittellateinische Literatur. In: Geschichte der Textüberlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur. Bd. 2, Zürich 1964. S. 97Ì. Hinzuzufügen ist, daß der Physiologus Theobaldi schon seit dem 12. Jh. in Deutschland überliefert ist. Älteste Hs. ist der Clm 16073 a u s dem Chorherrnstift St. Nikola, Passau. Eden, der insgesamt etwa 70 Hss. verzeichnet, unterscheidet in der Uberlieferung des 13./14. Jhs. eine deutsche und eine italienische Klasse (Physiologus. S. 14t.)• Zu Edens Hss.-Verzeichnis ergänze ich nodi den Cgm 3974, fol } i / ' h - } 2 i v b . Die Drucke sind aufgeführt bei Arnold C. Klebs, Incunabula scientifica et medica. Hildesheim 1963 (Neudruck aus: Osiris 4, Brügge 1938, S. 1-359) Nr. 956. Eden, Physiologus. S. 10 gibt einen von dem o. a. verschiedenen Accessus aus drei Hss. des 12. Jhs.; eine Aufstellung der kommentierten Hss. findet sich ebd. S. 81. Vgl. etwa das Faksimile des Kölner Druckes (bei Quentell 1492) in: Physiologus. A Metrical Bestiary of Twelve Chapters by Bishop Theobald . . . ed. and transi, by Alan Wood Rendell. London 1928. Dazu unten S. 5 3ÍT. die Ausführungen über die Wirkungsbereiche des lateinischen Physiologus. Accessus ad auctores. Édition critique par R. Β. C. Huygens, Berchem-Bruxelles 1954 ( = Collection Latomus Vol. 15) S. 21. Bemerkenswert mag hier sein, daß die horazisdie Zweiheit delectare-prodesse auch bei dem Accessus zu den Fabeln Avians verwandt wird (ebd. S. 17). Zwei weitere Accessus aus Einleitungen zum Physiologus Theobaldi bringt Menhardt, Der Millstätter Physiologus. S. 22.

38

Deutschland weise idi auf die unten S. 1 1 2 - 1 3 3 behandelten deutschen Ubersetzungen hin, die im Bereich der Schule zu lokalisieren sind, sowie auf die in drei Hss. bekannte, aus dem Umkreis des Stiftes Melk stammende Abbreviatio Phisologi, die hier erstmals herausgegeben wird.

3.2.1.1 Zur Frage nach dem Verfasser des Physiologus Theobaldi Immer wieder ist versucht worden, den oft von den Hss. namentlich bezeugten Verfasser Theobaldus zu identifizieren, entweder als Abt von Montecassino 1022-1035, 9 6 oder als Erzbischof von Paris 97 oder als Theobaldus de Vernone, Kanoniker von Rouen.98 Es ist dazu folgendes festzustellen: Für den Physiologus in allen Fassungen seit der Antike ließ sich von der Forschung in keinem Fall mit Sicherheit ein Verfasser benennen, obwohl sehr viele Handschriften einen Verfasser nennen.99 Die ursprüngliche Anonymität des Werkes ist also von den Rezipienten nicht ohne weiteres akzeptiert worden, sondern man hat meist berühmte Personen, die irgendwie mit Naturkunde oder Tierauslegung in Verbindung zu bringen waren, als Verfasser dieses Werkes ausgegeben, so etwa Aristoteles, Salomo, Ambrosius, oder man hat sonstigen Autoren die Verfasserschaft zugeschrieben, so etwa Johannes Chrysostomus,100 ja, die äthiopische Ubersetzung nennt sogar einen »seligen Physiologus«101 als Verfasser. Das Unbehagen an der Anonymität ist so durch jeweils verschiedene Autornennungen beseitigt worden. Es stellt sich nun die Frage, ob audi der Physiologus Theobaldi dieser offensichtlich werkspezifischen Anonymität unterlegen hat und ob die Verfassernennung nachträglich hinzugefügt wurde. Auch im Rahmen der Schultexte des Triviums ist der nicht identifizierbare Ver96

So J. G. Thierfelder, Eine Handschrift des Physiologus Theobaldi. In: Serapeum 15/16 (1862) S. 2 2 5 - 2 3 2 und 2 4 1 - 2 4 3 ; hier S. 229. 97 G. Heider, Physiologus. S. 546. 98 Léon Herrmann, Thiébaut de Vernon. In: Le Moyen Age 50/51 (1940/41) S. 3 0 43, weitere Versuche referiert Eden, Physiologus. S. 5ff. 99 Vgl. dazu die bei B . E . P e r r y , Physiologus Sp. 1076-1078 genannten; demnach werden als Verfasser in den Hss. angegeben: Salomo, Aristoteles, Epiphanios, Basilios, Ambrosius, Gregor von Nazianz, Chrysostomos; eine umfangreiche Liste mit 23 Namen von auctores, denen der Physiologus zugeschrieben wurde, teilt Pitra, Spicilegium Solesmense. Bd. 3, S. 101 mit. 100 Und Z war nicht auf die Dicta-Version beschränkt, vgl. o. S. 22, 30. 101 So in der äthiopischen Physiologus-Fassung, vgl. F. Hommel. Die Äthiopische Übersetzung des Physiologus. S. 45.

39

fasser keine Ausnahme.102 Der Name Theobald, der im n . J h . nicht selten belegt ist, wird als Verfasser audi bei zwei anderen oft gemeinsam überlieferten Texten genannt: bei dem in leoninischen Hexametern abgefaßten Traktat De longis et brevibus syllabis und beim Novus Cato. L É O N H E R R M A N N 1 0 3 hat nun versucht, die Autoren dieser drei Texte, dazu Tebaldus de Vernone und Tebaldus Dervensis (aus Montiér-enDer) als eine und dieselbe Person zu erweisen. E D E N weist das unter dem Hinweis auf Datierungsschwierigkeiten zurück.104 G. O R L A N D I versucht daraufhin auf dem von H E R R M A N N beschrittenen Weg eine andere Lösung.105 Verschiedene Hss. des vor 1086 entstandenen Prosodie-Traktates nennen als Verfasser einen Theobaldus Clericus Placentinus.10e Die älteste Hs. des Physiologus nennt einen thetbaldus italicus als Verfasser; spätere Hss. auch einen Theobaldus Placentinus.m Diese beiden Verfasser möchte O R L A N D I als eine Person erweisen, wozu, wie im einzelnen nachgewiesen wird, die Ähnlichkeiten in der Reimtechnik durchaus passen würden. Skeptisch macht bei diesem jüngsten Lösungsversuch jedoch die Tatsache, daß nur jüngere Hss. des Physiologus den Verfasser in Piacenza lokalisieren. Die Möglichkeit, daß es sich hier um eine spätere Übernahme, vielleicht sogar gerade aus der Verfasserangabe des Prosodie-Traktates, handeln könnte, erwägt O R L A N D I leider nicht. Das Mittelalter hat auf seine Weise schon zu der Unbestimmbarkeit des Autors Stellung genommen. In der ersten der beiden Einleitungen zum Physiologus des Cod. Vind. 303 heißt es: Theoboldus quidam episcopus fecit hunc librum et noluit eum intitulare nomine suo v t arroganciam euitaret, sed intitulauit sub nomine materie dicens: incipit liber loquens de naturis [sc. animalium] . . . (fol 124')

Die Verschweigung des Autornamens aus Bescheidenheit ist im Mittelalter eine oft zu beobachtende Erscheinung.108 Sie könnte auch ursprünglich beim Physiologus Theobaldi vorgelegen haben. Sie würde 102

»o» 104 105 ιοβ 107 ιοβ

Ähnlich liegt der Fall bei der wohl nicht sehr lange vor dem Physiologus Theobaldi entstandenen Ecloga Theoduli. Vgl. o. Anm. 24. Physiologus S. 6f. Giovanni Orlandi, Ree. Eden, Physiologus. In: Studi medievali. Serie terza 14,2 (1973) S. 902-922, hier S. 906t. Vgl. S. A . Hurlbut, A Forerunner of Alexander de Villa Dei. In: Speculum 8 (1933), S. 258-263. Vgl. die Angaben bei Eden, Physiologus. S. jfí. Vgl. dazu Meissburger, Grundlagen. S. 192fr. und z6}ff. sowie Curtius, Europäische Literatur. S. 4 1 0 - 4 1 5 .

40

sich durchaus treffen mit der werkspezifischen Anonymität des Physiologus von seinen Anfängen bis zu den spätmittelalterlichen Bearbeitungen.109

3.2.2 Bisher unbeachtete Physiologusfassungen Neben diesen Physiologusfassungen hat das Mittelalter noch eine Reihe von Physiologusversbearbeitungen hervorgebracht. Sie sind bezeichnend für die immer wieder neue Beschäftigung und formende Auseinandersetzung des Mittelalters mit einem Werk. Die folgenden Fassungen sind bisher noch nicht beachtet worden, wohl, weil sie keine besonders weite Verbreitung gefunden haben. ι. Begleitverse zu mehr als 20 Physiologuskapiteln, deren Überlieferung in acht Hss. der Dicta-Version, teils am Rand, teils am Kapitelanfang oder -ende festgestellt wurde. 110 2. Lediglich in einer Hs. (Paris, Bibl. Nat. lat. 3718) des 12./13.JI1S. überliefert ist ein Gedicht von 48 Hexametern, das Löwe, Tiger, Pardus, Panther, Autula, Luchs, Einhorn, Greif und Elefant in Abschnitten von 3-9 Versen beschreibt.111 3. Eine hexametrische Bearbeitung (49 Vs.) der Kapitel Löwe, Panther, Einhorn, Syren(!), Autula der Dicta-Version im Cod. Vind. lat. 982, 12. Jh., gedruckt bei P.T.EDEN, Physiologus Theobaldi. S.75f. 4. Einen Novus Phisiologus enthält die Hs. Darmstadt 278Ο.112 Diese in zwei Bände geteilte Hs. des 14.JI1S. enthält ausschließlich lateinische Versdichtungen aus dem Bereich der Schullektüre des Triviums (Fabeln, Facetus, Physiologus Theobaldi usw.). Der Novus Phisiologus ist auch dementsprechend eingerichtet: großer Zwischenraum zwischen den abgesetzten Versen, interlineare und (seltener) Rand109 ich kenne außer den Dicta und dem Physiologus Theobaldi keine lateinische Physiologus-Fassung oder -Bearbeitung, die einen Autornamen nennt. Anders liegt der Fall bei den Bestiaires der Romania, deren Autoren bekannt sind. 110 111

142

Vgl. dazu unten S. 42 ff. Einige Verse daraus veröffentlichte Edmond Farai, Notice sur le Manuscrit Latin de la Bibliothèque Nationale No. 3718. In: Romania 46 (1920) S. 2 3 1 - 2 7 0 , hier S. 239/240. Vgl. Walther, Initia carminum . . . Nr. 15037. Der Zusatz novus zu einem Werktitel ist im Bereich der Schullektüre häufig (Fabel, Cornutus, Poetria nova des Gottfried von Vinsauf u. a. m.). Eine Anspielung auf die beiden Testamente der Bibel ist dabei durchaus denkbar, vgl. Isidor, Etym. 6,1,1: Ve tus testamentum ideo dicitur, quia veniente novo cessavit und dazu E. R. Curtius, Europ. Lit. S. 163.

41

Glossierung, Z i f f e r n über den einzelnen W ö r t e r n der Verse als Ü b e r setzungshilfen. D e r Novus

Phisiologus113

ist nicht in die bekannten

Physiologus-Fassungen einzureihen, w o h l aber ist er in A n l e h n u n g an sie entstanden, w i e die Bezeichnung Antiquus

Phisiologus

für

den ihm folgenden Physiologus Theobaldi zeigt. 1 1 4 5. Eine Abbreviano

phisologi

ist mir aus drei Hss. der zweiten H ä l f t e

des 1 5 . Jhs. bekannt. V g l . dazu unten S. 4 7 f r . 6. Eine mir nicht näher bekannte kürzende Physiologus-Bearbeitung liegt v o r im Brit. M u s . R o y a l M s . 6 A X I des 1 2 . J h s . fol 1 4 1 - 1 4 6 . 1 1 5

2 . 3 Begleitverse zu den K a p i t e l n der D i c t a - V e r s i o n Schon in den frühesten bekannten Hss. der D i c t a - V e r s i o n erscheinen leoninisch-hexametrische Physiologuskapiteln.

117

Distichen 1 1 6

als Begleitverse

zu fast

allen

D e r erste V e r s behandelt jeweils eine T i e r -

113

Inhalt: Homo, bestiae (beginnend mit dem Löwen; unter den Tieren audi ursus, canis, equus, die nicht zum Physiologus-Bestand gehören), aves (darunter auch ciconia, grus, gallus) reptilia, minuta ammalia (apes, formica). Zu den einzelnen Tieren sind (meist) moralische Auslegungen gegeben, die fast stets am Rande mit Allegoria gekennzeichnet werden. 114 Der Hessischen Landes- und Hochsdiulbibliothek Darmstadt danke idi für die Übersendung der maschinenschriftlichen Beschreibung der Hs. durch Herrn Dr. H. Knaus. 115 Vgl. Lynn Thorndike, Pearl Kibre Catalogue of Incipits of Medieval Scientific Writings 2 , 1963. Sp. 738. Nicht zu den Physiologus-Bearbeitungen gehört der oft Konrad von Mure (ca. 1 2 1 0 - 1 2 8 1 ) zugeschriebene Libellus de naturis animalium (Zur Uberlieferung vgl. Walther, Initia carminum Nr. 1 1 6 1 9 (3 Hss.), wozu noch eine Leipziger Hs. zu redinen ist; vgl. Ernst Voigt, ree. Laudiert, Gesdiidite . . . In: ZfdPh 22 (1890) S. 238). Dieses gut 2000 Verse umfassende Werk ist eine versifizierte Auswahl aus den Büchern X I und X I I von Isidors Etymologiae, wobei meistens den einzelnen Abschnitten geistliche Auslegungen angehängt werden; (so etwa zum Löwen: Voce patris surgit leo, sic surgit caro cristi [zit. nach Cod. Bernensis 462 (13. Jh.) fol i s r ] ) . Mehrfach konnte ich auch Anklänge an den Physiologus feststellen, z.B.: qui leo de inda dicitur esse tribu (ebd., vgl. Wilhelm, Denkmäler Bd. 2. S. 17). 116

117

Nur einmal treten jeweils für Zäsuren und Versenden unterschiedliche Reime auf (versus caudati ventrini. Nr. 14). Mehrfach haben beide Verse den gleichen Reim (versus unisoni. Nr. 8,11,12a). Der Reim ist zweisilbig und meistens rein (konsonantische Ungenauigkeiten treten jedodi einige Male auf: 6,2; 8,2; 1 2 , 1 ; 14: odio - lolio; 15,1 ; 20,1; 2 1 ; 22,1). Aufgrund der Reime können die Begleitverse durchaus an die Wende vom 1 1 . zum 12. Jh. gesetzt werden. Walther, Initia carminum 5361 nennt 2 Hss. (Clm26j5 und Clm 16189). Etwa die Hälfte dieser Verse hat Heider bei seinem Abdruck der ehem. Göttweiger Hs. 101 veröffentlicht, jedoch nur nadi dieser Hs., die für die Begleitverse teilweise eine Sonderüberlieferung darstellt.

42

eigenschaft, der zweite gibt eine geistliche oder moralische Auslegung dazu. Der prägnante Merkspruch, wie er hier erscheint, ist zur Zeit der Entstehung der Dicta, also zu Anfang des n . J h s . , durchaus nicht singular. 118 Erinnert sei etwa an die Fecunda ratis des Egbert von Lüttich (ca. 1023) oder die Delicie cleri des Mönchs Arnulf (ca. 1055). Das allen gemeinsame Vorbild sind sicher die Disticha Catonis gewesen.119 Möglicherweise haben diese Physiologus-Verse ursprünglich als Tituli für die Illustrationen gedient. Diese Funktion haben sie im Cod. Guelf. 3 j a Heimst., wo sich jeweils über dem Bild das Distichon, unter dem Bild der Prosatext befindet. Auf Tituli deutet vielleicht auch das mehrfach vorkommende hic. In den mir sonst bekannten Hss., von denen ein Teil illustriert ist, sind jedoch nur noch z. T. die Nummern ι , 20 und 22 Bildern zugeordnet. Die Begleitverse sind in folgenden Handschriften überliefert: 120 ι . Pierpont Morgan Library, New York, Ms. 832 (früher Göttweig 101), 12. Jh., benutzt nach dem Abdruck H E I D E R S , Dicta. S. $52— 582; illustriert, Verse am oberen oder unteren Blattrand eingetragen. 2. Clm 6908 (aus Fürstenfeld) Perg., 2 0 , 1 3 . Jh. fol 78 r -86 v (illustriert). Abgesetzte Verse nach jedem Kapitel, durch Rubrum versus am Rande jeweils angemerkt. 3. Clm 2655 (aus Aldersbach) Perg., 2°, Ende 13. Jh. fol 95 r -i04 r (illustriert). Abgesetzte Verse jeweils am unteren Blattrand von Händen des 14. Jhs. nachgetragen. 4. Cod. Guelf. 35a Heimst., Pergament, Mitte 14. Jh. 1 2 1 fol ι Γ und i v . Abgesetzte Verse jeweils über dem dazugehörigen Bild. 118

D a ß Freidank das »unerreichte Vorbild« für den Typus des knappen Lehrspruchs geschaffen hat (so de Boor, Literaturgeschichte. Bd. 3 , 1 . 8 i 9 6 7 . S. 386, vgl. auch ebd. Bd. 2, 81969. S. 41 if.) dürfte nicht ganz den Tatsachen entsprechen. M a n wird wohl sagen dürfen, daß er eine seit Jahrhunderten in der Schultradition bewährte Form aufgegriffen und in die Volkssprache übertragen hat.

119

Einen kurzen Forschungsüberblick gibt: Ernstpeter Ruhe, Untersuchungen zu den afrz. Übersetzungen der Disticha Catonis. München 1968 ( = Beitr. z. Roman. Philologie des Mittelalters). S. 9 - 1 5 .

120

U m die Buchstaben-Siglen der einzelnen Physiologus-Fassungen nicht nodi mehr zu verwirren, benutze ich Ziffern als Siglen für die einzelnen Uberlieferungszeugen. Der A p p a r a t zum T e x t gibt in der ersten Zeile die Überlieferungszeugen an. Dann folgen die Abweichungen. Als Grundlage für den Text wurde die Hs. 3 (Clm 6908) gewählt. Die Schreibung u/v wurde vereinheitlidit. Die Hss. enthalten keine Zeichensetzung. Die Datierung der Hs. ins 1 j . Jh. durdi Otto von Heinemann (Die Handschriften der herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel beschrieben von O. v . H . Wolfen-

121

43

j . Clm 5 6 1 3 , (aus Dießen) Papier, 2°, 15. Jh. fol Ι8Ο Γ -Ι83 γ (nicht illustriert). Abgesetzte Verse nach jedem Kapitel. 6. Clm 1 6 1 8 9 ( a u s St. Nikola, Passau) Papier, 2 0 , 1 4 7 1 , fol ι ο ο Γ - ι ο 8 ν (illustriert). Abgesetzte Verse jeweils am unteren Blattrand eingetragen. 7. Clm 19648 (aus Tegernsee) Papier, 4 0 , 15. Jh., fol i 8 o r - i 9 4 r (nicht illustriert). Verse, nicht abgesetzt, nach jedem Kapitel. 8. Cod. Vind. 4609, Papier, 15. Jh., fol I 9 i r a - i 9 2 r b , nicht illustriert. Abgesetzte Verse über dem jeweiligen Kapitel angeordnet und rot ausgezeichnet. Die Uberlieferung der Begleitverse teilt sich deutlich in zwei Gruppen: einerseits die ehem. Göttweiger Hs. (1) mit einer Sonderüberlieferung von 3 Distichen (10a, 12a, 15a), andererseits die übrigen Hss., die auf eine in den Nummern 8, 10 und vielleicht auch 1 3 bereits nicht mehr ganz verständliche gemeinsame Vorlage zurückführen. 122 ι. Emittit flatum, quo vivificat leo natum. Luce deus terna surgit virtute paterna. 1235678 paterna] superna ι, divina 7.

2. Formam panthere libet hic comitando videre. Sic Christi vita virtute placet redimita. hic] hec 67. - redimita] polímita 1 3 6 7 , polita 8.

122

biittel 1884. S. 27) ist unhaltbar. Die Schrift weist in die Mitte des 14. Jhs. A u f grund der Illustrationen nimmt Gerhard Schmidt die Entstehung zwischen 1340/ 1350 an. (Die Armenbibeln des X I V . Jahrhunderts. Graz-Köln 1959. S. τγ{. und 65; sowie ders., Die Malerschule von St. Florian. Beiträge zur süddeutschen Malerei zu Ende des 13. und im 14. Jahrhundert. Graz-Köln 1962 ( = Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs Bd. 7). S. 148.) Zu 8: Der erste Vers ist klar verständlich, wenn auch vom Aufwühlen des Feldes im Physiologus nicht die Rede ist. Der zweite Vers bereitet Schwierigkeiten. »Wen der Teufel kennt als einen, der errettet werden soll, den haßt er.« Blandías, vom Schreiber von 2 gegen das ungrammatische blandibus der übrigen Hss. gesetzt, paßt nicht in den Sinn des Verses. Zu 10: der Sinn ist nicht klar. Der Schreiber von 8 hat offenbar versucht, zu iunetus den korrektiven Dativ zu setzen, obwohl der Reim dadurch zerstört wird. Zu 1 3 : durch Glossierung haben die Hss. 3 und 6 versucht, den Sinn aufzuhellen: >Die Steingeiß merkt mit ihren Blicken, welche Leute Wahnsinn oder Mühsal (nach der Glosse: Lähmung) gefangen hält. So liegt für Christus der verborgene Unterschied der Natur der Menschen offen zutage.
Registrum Multorum Auctorum< des Hugo von Trimberg. Untersuchungen und kommentierte Textausgabe. Berlin 1942 ( = Germanische Studien 235). Hier: V. 577ÍÍ. ise Ebd. Ys. 621 f.; Quamvis...: >obwohl er Theologe ist, was seine (geistliche) Deutung betrifft.< 54

Sequitur Phisiologus hunc in stacione, Quamvis sit theologus in adequacione. Bemerkenswert ist an dieser Stelle, daß Hugo sich gewissermaßen entschuldigt, in der Reihe der Schullektüre ein theologisches Werk 137 anzuführen, das eigentlich in den Abschnitt der ductores theologye (Vers 334-513) gehört hätte. Dort wird übrigens auch die Ekloge des Theodul erwähnt (Vs. 46if.), während sie gewöhnlich unter den Schultexten des Triviums zu finden ist. - Aus dem 14. Jh. sei Hugo Spechtshart von Reutlingen (1285 bis nach 1359) zitiert, der in seiner Forma discendi, einem kompletten Schulprogramm, auch den Physiologus erwähnt, zugleich aber noch einen Physologus Novus:136 Prodest discatur Physologus atque legatur Est novus utilior Physologus, hoc tibi testor. Der Zusatz novus zu einem bekannten Werk ist im Bereich der mittelalterlichen Schullektüre häufig anzutreffen, 139 beim Physiologus ist er mir aber nur aus der Darmstädter Hs. 2780 bekannt, wo eine verifizierte Bestiarienkompilation, die mit dem Physiologus fast nichts mehr gemein hat, als Novus Physiologus bezeichnet wird (vgl. ob. S. 4if.). Möglich wäre immerhin, daß Hugo diese Fassung gemeint hat. Als Schulbuch tritt der Physiologus auch hervor in denjenigen alten Bibliothekskatalogen, die in dem verzeichneten Bestand die Gruppe Es ist bezeichnend, daß der Physiologus hier als geistliches und nicht als naturkundliches Buch hingestellt wird; vgl. dazu audi unten den Abschnitt >Der Physiologus - das Zoologiebuch des Mittelalters?Ad sdiolares« gibt: Licet autem utilis sit grammatica ad recte loquendum et recte pronuntiandum, expedit tarnen, ut inter libros illos tales ad eruditionem nostram eligamus, in quibus [...] mentes legentium ad virtutem vel ad theologicam disciplinam praeparentur, sicut sunt libri Catonis, Theodosi et Aviani. Prudentii, Sedulii, Prosperi, Pbysiologi et multi alii, praecipue Biblia versificata. ( J . B . P i t r a , Analecta novissima Spicilegii Solesmensis. Bd. 2, Paris 1885. 8 . 3 6 6 . Theodosi wohl verlesen aus Theodoli). Bemerkenswert ist, daß hier der Physiologus ausdrücklich zusammen mit den Schriften der großen christlichen Dichter erscheint, die der geistlichen Bildung dienen. 138 Die wichtigsten Ausschnitte sind herausgegeben von A. Diehl, Speculum grammaticae und Forma discendi des Hugo Speditshart von Reutlingen. In: Mitteilungen der Gesellsdi. f. dt. Erziehungs- und Schulgesdiidite 20, Berlin 1910, S. 11-26; das Zitat Vs. j i 6 f . S. 21. Ergänzungen dazu hrsg. von Gabriel Silagi, Aus der >Forma discendi« des H u g o Speditshart von Reutlingen. In: Festschrift Bernhard Bischoff zum 65. Geburtstag. H g . von Johanne Autenrieth und Franz Brunhölzl. Stuttgart 1971. S. 417-434. 139 Etwa Cato novus, Avianus novus, Cornutus novus, der Novus Graecismus des Eberhard von Béthune, die Poetria nova des Galfredus de Vinosalvo usw. 137

55

der Schulautoren geschlossen präsentieren. D a s älteste mir bekannte Z e u g n i s s t a m m t aus der Kathedralschule L e P u y , der heutigen H a u p t stadt des D e p a r t e m e n t H a u t e - L o i r e , u n d z w a r noch aus dem

n.Jh.

D o r t w i r d nach der lateinischen H o m e r - B e a r b e i t u n g u n d dem V e r g i l K o m m e n t a r des S e r v i u s verzeichnet: Tunc

sequitur

phisalogus

7. 1 4 0

H i e r läßt sich jedoch, w i e ich glaube, nicht mit letzter G e w i ß h e i t sagen, d a ß es sich schon u m den P h y s i o l o g u s T h e o b a l d i gehandelt hat. I n n e r h a l b einer G r u p p e v o n Schultexten des T r i v i u m s erscheint der P h y s i o l o g u s auch in einem unter A b t F r o w i n ( 1 1 3 1 - 1 1 7 8 ) im B e n e d i k tiner-Stift E n g e l b e r g

(Kanton Obwalden)

angefertigten

Bücherver-

zeichnis. 1 4 1 E r w i r d genannt im K a t a l o g des Klosters P r ü f e n i n g aus

dem Jahr 11 j 8 : pbisologus. Cato in uno

volumine."2

D i e Gebrauchssituation, in welcher der P h y s i o l o g u s T h e o b a l d i als Schulbuch im M i t t e l a l t e r stand, w i r d sichtbar in der Z u s a m m e n s e t z u n g u n d Einrichtung der Schulbücher des T r i v i u m s . E r w i r d häufig gemeinsam m i t den oben genannten Schultexten in einer H s . überliefert; oft sind diese T e x t e kommentiert u n d (z. T . sogar deutsch) glossiert s o w i e m i t einer E i n l e i t u n g versehen. 1 4 3 D i e w e i t e V e r b r e i t u n g , die der P h y siologus T h e o b a l d i besonders v o m 1 4 . J h . an e r f u h r - er übertrifft v o n dieser Z e i t an alle sonstigen Fassungen in der Z a h l der erhaltenen H s s . 140

Leopold Delisle, Le cabinet des Manuscrits de la Bibliothèque Impériale. 2 Bde. Paris 1874. Bd. 1, S. 443f. Vgl. zu diesem Katalog auch Glauche, Schullektüre. S. 7of., dessen Ansicht, es handele sich hier nodi nicht um den Physiologus Theobaldi, ich nicht teilen kann. Man wird um diese Zeit durchaus schon mit dieser Fassung rechnen müssen, wenn auch der Beleg aus Le Puy eine sichere Entscheidung nicht zuläßt. 141 Veröffentlicht von E. G. Vogel, Zur Geschichte der Stiftsbibliothek Engelberg im 12. und 13. Jahrhundert. In: Serapeum 10 (1849) S. 1 2 0 - 1 2 7 , hier S. 1 2 1 . Und: Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Bd. 1 hrsg. von Paul Lehmann. München 1918. S. 32,1 j f . Regula grammatica, Liber scintillarum, Liber de natura bestiarum, Regule mayores de declinationibus, Auianus (bis) [ . . . ] . Vgl. zu diesem Katalog audi: Paul Lehmann, Beiträge zur mittelalterlichen Bibliotheksgesdiidite. 1. Das wiedergefundene älteste Bücherverzeichnis des Benediktinerstiftes Engelberg. SB München 1964/IV S. 5-7. Abt Frowin legte großen Wert auf das Absdireiben von Büchern. Die in dem Verzeichnis sichtbare Schulbibliothek, in der sich audi viele Klassikerhss. befanden, ist fast völlig verbrannt. 142

Angelegt wurde dieser Katalog in der Amtszeit des um die Bibliothek und das Buchwesen verdienten zweiten Abtes von Prüfening, Erbo I. (i 1 2 1 - 1 1 6 2 ) ; abgedruckt ist dieses Verzeichnis bei Gustav Becker, Catalogi bibliothecarum antiqui. Bd. ι , Bonn 188$. N r . 95, 180. 143 D a s späte Mittelalter hat auch eine ganze Reihe von deutschen Übersetzungen der Sdiultexte gebracht, die oft mit den lateinischen Fassungen in einer >zweispradiigen< Ausgabe gemeinsam überliefert werden; vgl. dazu unten die Ausführungen zur deutschen Reimpaarübersetzung des Physiologus Theobaldi.

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wird hauptsächlich durch seine Verwendung als Schulbuch begründet sein. Weniger klar läßt sich der Wirkungsbereich der Prosafassungen beschreiben. Zwar bestehen auch hier Verbindungen zum Bereich der Schule: der Text der Dicta-Version wird als Kommentar zum Physiologus Theobaldi 144 benutzt im Cod. Vind. 303, der fast ausschließlich Schulschrifttum in sich vereinigt - doch ist das eine Ausnahme. Früh wird der Physiologus in mittelalterlichen Bibliothekskatalogen, eingeordnet in die Gruppe des theologischen Schrifttums, genannt: ein aus dem 9. Jh. stammendes Bücherverzeichnis des früheren Würzburger Salvatorstiftes 145 führt unter den ausschließlich theologischen Werken auch einen Liber phisiologi146 an. Ein Verzeichnis des 10. Jhs. einer unbekannten Bibliothek bringt unter den ersten 17 Positionen ausschließlich Schulschriften, dann nur geistliche Literatur, worunter sich auch der Physiologus befindet.147 Man wird hier getrennte Bestände für den Gebrauch in der Schule und für den rein geistlichen, evtl. seelsorgerlichen Bereich annehmen dürfen. - Ein Verzeichnis des reichen und für seine Handschriften berühmten Benediktinerklosters St. Ulrich in Rastede/Oldenburg nennt an 12. Stelle item ordines de divinis officiis et poenitentia et physiologus in uno volumine.148 Die Uberlieferung zeigt den Physiologus ungefähr vom 14. Jh. an öfters mit Prosatexten der Erbauungsliteratur 149 in einer Hs. vereinigt, etwa mit Bonaventuras Speculum Mariae und anderen Traktaten, dem Speculum animae des Henricus de Hassia, Johannes Gersons De arte moriendi, dem Defensorium Beatae Mariae Virginis usw.; möglicherweise hat der Physiologus hier auch als Erbauungsbuch gedient. 144

Fr. Laudiert, Geschichte (S. 92Í. Α ι), hat darauf hingewiesen; das ist kein einmaliger Fall, wie man bisher immer geglaubt hat. Auch der Physiologus Theobaldi des Cgm 3974 (fol 3 i 7 r ~ 3 2 i v ) ist mit Kapiteln eines Prosa-Physiologus kommentiert, der der Dicta-Fassung sehr nahe steht. 145 Das Stift gehörte zum Dom, der seinen Namen St. Kilian erst Ende des 9. Jhs. erhielt, zuvor Salvatorkirche. 148 Gustav Becker, Catalogi a.a.O. Nr. 18,42. 1 4 ' Ebd. Nr. 29,47. 148 Ebd. Nr. 8 7 , 1 3 ; vgl. außerdem etwa noch Nr. 1 1 5 , 2 3 6 aus St. Peter, Salzburg, und den Katalog des 12. Jhs. aus dem Kloster Muri: item Augustinus de verbis Domini et de verbis apostolorum et physologus (ebd. Nr. 122,31). 149 Dieser Gebrauchsumkreis zeigt sich auch bei zwei deutschen Übersetzungen des Spätmittelalters: der Melker Physiologus wird zusammen mit Bonaventuras Stimulus amoris, Buch 3, überliefert, audi der Physiologus Theobaldi des Augsburger Druckes. [Incipit: hie hebt an ein guter nüczlicher tractat von der natur zwelferley thier... (Sdimidtke, Physiologus Theobaldi deutsch. S. 290)] stellt sich in den Kreis der spätmittelalterlidien Erbauungsliteratur in Prosa.

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Schließlich tritt der Prosa-Physiologus im späten Mittelalter auch in >Überlieferungssymbiose< zusammen mit typologischen Werken auf wie der Biblia Pauperum oder dem Speculum humanae salvationis, und man wird durchaus audi seine Verwendung in der seelsorgerlidien Unterweisung annehmen dürfen, besonders wenn er illustriert erscheint. Bemerkenswert ist weiterhin, daß sich der Physiologus mehrfach mit anderen Texten zusammen überliefert findet, die auch die materia >Natur< behandeln: so etwa mit dem Liber de natura rerum des Thomas von Chantimpré, mit dem Liber monstrorum de diversis generibus, mit Herbarien und Lapidarien oder gar den Problemata des Aristoteles. Man wird in diesem Fall von einer bewußten Kompendienbildung sprechen dürfen, bei denen Texte unter dem Thema >Natur< gesammelt wurden.

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4· D I E D E U T S C H E N

PHYSIOLOGUS-FASSUNGEN

Gegenüber der Kontinuität der Überlieferung des lateinischen Physiologus und der Vielfalt der im Laufe des Mittelalters entwickelten Formen dieses Werkes sind deutsche Physiologus-Übersetzungen nur aus dem I i . / 1 2 . Jh. sowie, unabhängig davon, im 15. J h . überliefert. Dabei ist die Uberlieferung des 1 1 ./i 2. Jhs. auf die Dicta-Version beschränkt, die des 15. Jhs. auf die zu der Zeit am weitesten verbreitete Form, den Physiologus Theobaldi, sowie auf eine sonst unbekannte Prosafassung, zu der der Melker Physiologus sowie die Fragmente in Celje gehören.

4. ι

Die Fassungen des 1 1 . und 1 2 . Jahrhunderts

4 . ι . ι Das Physiologus-Fragment des Cod. Vind. 223 Kurz vor dem Ende des 12. Kapitels bricht eine uns im Cod. Vind. 223 erhaltene Physiologus-Übersetzung der Dicta-Version ab. Die Hs. ist am Ende des 1 1 . Jhs. geschrieben und hat folgenden Inhalt: 1 ι. fol i r - i 7 v : ζ. fol ι8 Γ -30 ν : 3. fol 30 v :

1

2

3

Lateinischer Kommentar zu Horaz, Epis tuia ad Pisones (Ars poetica)2 Alkuin, Disputano de dialéctica (PL ι ο ί , 9 j 1 D-976 A) Primus in orbe dies lue is primor dia sumsit Altum [ !] splendifluis celum firmauit in oris Tercius undiuagum mare dat cum germine terre?

Beschreibungen des Hs. geben: A . H. Hoffmann von Fallersleben, Verzeichnis der altdeutschen Handschriften der k.u.k. Hofbibliothek zu Wien. Leipzig 1841. S. 363; Stephan Endlicher, Catalogue codicum philologicorum latinorum bibliothecae palatinae Vindobonensis. Wien 1836. S. 7 1 ; Elias Steinmeyer, Eduard Sievers, Die althochdeutschen Glossen. Bd. 4, Berlin 1898. S. 6}of. - Der deutsche Teil der Hs. ist beschrieben von Hermann Menhardt, Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der österreichischen Nationalbibliothek. Bd. 1, Berlin i960. S. 3 éf. Nach dieser Hs. veröffentlicht von Jos. Zechmeister, Scholia Vindobonensia ad Horatii artem poeticam. Vindobonae 1877, S. 1 - 5 2 , der als Verfasser Alkuin oder einen seiner Schüler vermutet. Der Anfang des Heptameron de Primordio Mundi des Eugenius von Toledo, M G H Auetores Bd. 14. Berlin 190J. S. 256, Nr. 37, wo diese Hs. nicht genannt ist. - Vers 2 altum fälschlich für alter.

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4· f o l 31τ—3 3Γ : j . fol 33 v :

Ältester deutscher Physiologus. 4 ein weitgehend abgeriebener Prosatext über Minos, Nisus und dessen Tochter Scylla nach dem Kommentar des Servius zu Vergil, Aeneis 6,14 und Bukolika 6,74.® 6. fol 3 4 r - 6 j v : verschiedene theologische Texte (lat.), u. a.: Ps.-Hieronymus, Expositio quattuor evangeliorum (unvollständig), Bibelglossar. 6 Die Blätter 27-32 sind am unteren R a n d mit lateinischen Einträgen beschrieben. Die gesamte Hs. enthält mehrere deutsche Glossen. 7 Die Hs. ist v o n vier Schreibern hergestellt worden, die oft mitten im Satz wechseln und sich den T e x t folgendermaßen teilen: 8 fol ι Γ - ΐ 7 ν : ι . H a n d (fol ι Γ —17 V : H o r a z - K o m m e n t a r ) fol 18Γ—20v, Z . 14: 2. H a n d (fol ι 8 Γ - 3 0 ν : Alkuin, Disputado) fol 20 v , Ζ . 14 bis Ende d. Seite: 3. H a n d fol 2 i r , Ζ . 1 - 1 0 : 2. H a n d f o l 2ΐ Γ , Z . 10, bis 2 i v , Z . 4: 3. H a n d fol 2 i v , Z . 5, bis 26 v , Z . 8: 2. H a n d fol 26 v , Z . 8, bis 33 r , Z . 33: 3. H a n d (fol 3 i r - 3 3 r : Physiologus) r fol 33 , unterer Blattrand, bis 35 r , Z. 4: 4. H a n d (fol 33 r : Windnamen; fol 33 v : fol 35 r , Z. 4 - 1 0 : 3. H a n d Servius-Exzerpte; fol 3 j r , Z . 10, bis 6 5 v : 4. H a n d fol 3 4 r - 6 j v : theol. Texte) D i e e i n z e l n e n L a g e n b e g i n n e n j e w e i l s m i t f o l ι , 9, χ8, z6, 34, 42, 50, 58. D i e L a g e n z ä h l u n g des 1 5 . Jhs. a m u n t e r e n R a n d d e r R ü c k s e i t e des jeweils letzten Lagenblattes zählt z w e i m a l 3' und endet fol 6 j v mit 7'. A u s d e m 1 5 . J h . s t a m m t auch ein ä l t e r e s S i g n a t u r s c h i l d c h e n ,

dessen

H e r k u n f t aus S t . P a u l in K ä r n t e n MENHARDT n a c h w e i s e n konnte,® es r ü h r t v o n d e r 1 4 7 0 in S t . P a u l v o r g e n o m m e n e n K a t a l o g i s i e r u n g des B ü c h e r b e s t a n d e s h e r u n d ist j e t z t a u f f o l I P a u f g e k l e b t . A u f

fol Γ

o b e n b e f i n d e t sich eine S i g n a t u r v o n d e r H a n d des W i e n e r H u m a n i s t e n , M e d i z i n e r s u n d B ü c h e r l i e b h a b e r s W o l f g a n g L a z i u s ( 1 5 1 4 - 1 5 6 5 ) , 1 0 in 4

5

6 7

8

9 10

Zu den Ausgaben vgl. Literaturverzeichnis Ic. Der Physiologus endet mit der letzten Zeile des Schriftspiegels; darunter: Windnamen lateinisch und deutsdi nach Einhard, Vita Caroli, cap. 29,5. Georg Thilo - Hermann Hagen, Servii Grammatici [ . . . ] in Vergilii carmina commentarii. Bd. 2, Leipzig 1884. S. 5-8 und Bd. 3, Leipzig 1887. S. I23Í. Vgl. dazu im einzelnen die Beschreibung bei Steinmeyer-Sievers, a.a.O. S. 3of. Zur neueren Literatur vgl. Rolf Bergmann, Verzeichnis der althochdeutschen und altsächsischen Glossenhandsdiriften. Berlin 1973. N r . 898. Nach Menhardts o. a. Beschreibung S. 37. Innerhalb des Physiologus ist jedoch mehrfacher Sdireiberwedisel anzunehmen; vgl. u. S. 62 Anm. 16. H . Menhardt, Wanderungen des ältesten Physiologus S. 37. Lazius hatte in seinem 1 5 55 fertiggestellten Werk De gentium aliquot migrationibus. Basel 1557. S. 81 den A n f a n g dieses Physiologus als exemplum prosae in lingua Francica antiqua abgedruckt, wie er audi sonst eine Fülle von Zitaten aus der deutschen Literatur des Mittelalters als Belege für seine historischen und

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dessen Besitz sich die Hs. zeitweise befunden hat. Auf fol 65 v unten steht die älteste Signatur der Wiener Hofbibliothek von der Hand des Hugo Blotius aus der Zeit um i j 76. Damals befand sidi die Hs. also schon in dieser Sammlung. Der heutige weiße Pergamenteinband stammt aus dem Jahr 1753. Bis zur Katalogisierung in St. Paul um 1470 läßt sich das Schicksal des Cod. Vind. 223 also zurück verfolgen. H . MENHARDT hat nun versucht, der Herkunft der Hs. auf die Spur zu kommen und stellte die Behauptung auf : »Die Mönche von St. Paul hatten die schon im 11. Jh. so wie heute zusammengesetzte Hs. 223 höchst wahrscheinlich seit der Gründung des Stiftes im Jahre 1091 besessen und eben aus Anlaß der Gründung aus dem Mutterkloster mitbekommen.« 11

Als Stützen für diese Behauptung führt er an: einen Eintrag auf fol i r oben, den er folgendermaßen liest:12 Istum librum lego fratribus in mutam. »Es könnte darin die Widmung eines Bruders beim Abschied von Hirsau erblickt werden.« 13 Außerdem weist MENHARDT auf den Cod. Vind. 862 hin, der gleichfalls durch Lazius in die Hofbibliothek kam und aus dem 11. Jh. stammt. Er enthält als einzigen Text den Traktat De sacramentis excommunicatorum des Bernold von St. Blasien, und nur daraus schließt MENHARDT, daß dieser Text über Hirsau 14 nach St. Paul in Kärnten gekommen sei. Das alles reicht aber, wie ich meine, nicht aus, um die o. a. Behauptung zu rechtfertigen. Bisher nicht beachtet wurde ein stark verblaßter Eintrag auf dem oberen Blattrand von fol 41 v : Absit hoc a fide mea ut aliquam dicam [. .]aga esse que non habe[..] cum so f ] de quibus nunc singula non est temporis loqui' Benedicto in diristo fratri omni mihi fide et dilectione venerabili Wolframmo erchanbaldus o p [ . . ] salut. stammeskundlichen Ausführungen heranzieht. Menhardt hat g e w i ß zu Recht vermutet, d a ß Lazius die Hs. auf einer seiner Bibliotheksreisen in St. Paul gefunden und nach Wien mitgebracht habe (Wanderungen. S. 37). 11

Wanderungen. S. 37. - Menhardt hat später seine Behauptung ein wenig abgemildert: » [ . . . ] k a m die Hs. w o h l bei der G r ü n d u n g von St. Paul 1091 aus Hirsau im S c h w a r z w a l d « (in der o. S. 59 angegebenen Hs.-Beschreibung S. 37); die Forschung hat diese Behauptung jedoch meist ohne Einschränkung übernommen.

12

Diesen Eintrag habe ich trotz Benutzung eines U V - S t a b e s nicht mehr lesen können. Wanderungen. S. 38. D i e Hirsauer Provenienz des Physiologus hatte schon Joh. Kelle, Geschichte der deutsdien Literatur v o n den ältesten Zeiten bis zum 13. Jahrhundert. Bd. 2, Berlin 1896. S. 72 vermutet, dem sich Wilhelm, D e n k m ä l e r Bd. 2. S. 44 anschloß.

13 14

61

E s handelt sich hier offenbar um eine Mitteilung, doch ist deren Sinn f ü r midi nicht mehr k l a r erkennbar; jedenfalls grüßt der Absender, ein gewisser Erchanbald, einen v o n ihm verehrten Bruder W o l f r a m m u s . Diese Mitteilung könnte einen H i n w e i s auf die H e r k u n f t der H s . geben, doch sind beide N a m e n zu dieser Z e i t so häufig belegt, daß eine Identifizierung

ohne weitere A n g a b e n nicht möglich erscheint.

F ü r den ältesten deutschen Physiologus ist es lediglich möglich, a u f grund der M u n d a r t eine Aussage über die P r o v e n i e n z zu machen. E s zeigt sich, daß die K a p i t e l 1 - 8 mehr alemannisch gefärbt sind, die K a pitel 9 - 1 2 mehr rheinfränkisch. 1 5 D a mit diesem Mundartwechsel kein Schreiberwechsel im C o d . V i n d . 2 2 3 verbunden ist, 16 w i r d mit großer Wahrscheinlichkeit die V o r l a g e v o n z w e i Schreibern mit verschiedener M u n d a r t geschrieben w o r d e n sein, und es ist gut möglich, daß »die H e i m a t der Übersetzung auf alemannischem Sprachgebiet, möglichst nah der südrheinfränkischen Sprachgrenze zu suchen« 1 7 ist. D a s bezieht sich jedoch nur auf den T e x t . F ü r die H e r k u n f t der H s . ist aber H i r s a u nur eine unter anderen Möglichkeiten. E s ist nämlich völlig 15 Die Belege dafür verzeichnen Karl Müllenhoff, Wilhelm Sdierer, Denkmäler deutscher Poesie und Prosa aus dem V I I I . - X I I . Jahrhundert. Bd. 2, 3. Ausgabe Berlin 1892. S. 4 1 1 . Der Schluß, den Physiologus »zweien dem alemannischen sprachkreise angehörigen Verfassern zuzuschreiben« (ebd., so audi P. Piper, Die älteste deutsche Literatur. Stuttgart 1885. S. 460) ist jedoch sdion früh zurückgewiesen worden (vgl. Elias Steinmeyer, Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler. Berlin 1906. S. I33Í.). 16

Menhardts Angabe, daß der Physiologus von e i n e m Schreiber geschrieben sei (vgl. dazu o. S. 60 und Anm. 8) trifft nicht zu. Schon Elias Steinmeyer (a.a.O. S. 132) setzte in Kap. 4, Zeile 46 seiner Ausgabe ( = Wilhelm, Denkmäler Bd. 1. S. 10 Z. 7) einen Schreiberwedisel an, den ich nach Autopsie der Hs. bestätigen kann. Auffällig ist, daß erst nach dieser Stelle die Akzentuierung einsetzt. Ob diese aber auf dem Schreiberwechsel beruht, ist fraglich; sie könnte möglicherweise schon in der Vorlage vorhanden gewesen sein, da die Hände im folgenden Text noch mehrfach wechseln, ohne daß das Konsequenzen in bezug auf Mundarteinfluß oder Akzentuierung hätte. Ich verdanke diese Einsicht einer brieflichen Mitteilung Professor B. Bischoffs vom 8. 10. 1975, die ich hier zitieren möchte: »Idi glaube nicht, daß man die Ausführung [sc. des Physiologus] durch einen einzigen Schreiber aufrecht erhalten kann. Aber wenn die Hand hinter lihhamin wechselt, so kehrt m. E. auf f. 321" mit Z. 14 (E)tn [Wilhelm, Denkmäler Bd. 1, Kap. 6,1] die erste Hand zurück. - Vielleicht ist das noch nicht alles. Ich halte es für möglich, daß auch auf f. 32 r Z. 6 v. u. Ende mit nehei \ na [ebd. Kap. 8,2] und auch f. 33 r Z. 1 1 v. u. mit DE LACERTA [ebd. Kap. 12] Hände wechseln, ohne über deren Identität etwas aussagen zu wollen. Zumal nicht unwahrscheinlich Schulgemeinschaft besteht.«

17

Wilhelm, Denkmäler Bd. 2. S. 44. Das muß aber nicht so sein. Es ist durchaus möglich, daß ein Schreiber auch in einem anderen Mundartgebiet an seiner Heimatmundart festhält. Die Herkunftsfrage eines Textes ist allein durch die Mundart nicht mit letzter Sicherheit zu beantworten.

62

unklar, ob die Hs. sich in St. Paul seit der Gründung dieses Klosters befunden hat, denn die einzigen Fixpunkte sind: die Mundarten der Schreiber der Vorlage und die Signatur von St. Paul um 1470; dazwischen liegt ein breites Feld von Möglichkeiten. J a , es ist sogar fraglich, ob die Hs. schon ursprünglich die heutige Zusammensetzung gehabt hat. H . MENHARDT hat mehrere Dinge bei seiner Hs.-Beschreibung übersehen oder in ihrer Bedeutung nicht erkannt: der Kommentar zur Ars poetica ist auf einem an die zweite Lage angeklebten Blatt zu Ende geschrieben. Er hätte auf dem ersten Blatt der dritten Lage fertiggestellt werden können, wenn die Hs. als Ganzes geplant gewesen wäre; auch ist der Schreiber 1 sonst nicht mehr in den weiteren Texten tätig geworden. Zudem sind die Blätter des Horaz-Kommentars deutlich größer als die der übrigen Hs. 1 8 Das alles weist darauf hin, daß der Kommentar zunächst nicht zum Codex dazugehört hat. Möglicherweise sind audi noch die dritte und vierte Lage (Alkuins Disputatio und Physiologus) sowie die fünfte bis achte Lage selbständig gewesen. 19 Die Tatsache schließlich, daß die Lagenzählung der Hs. erst aus dem 15. J h . stammt, deutet darauf hin, daß die Texte in dieser Zeit zusammengebunden wurden, vielleicht sogar zum ersten Male. Das mag durchaus im Zusammenhang mit der Katalogisierung des Bücherbestandes von St. Paul um 1470 geschehen sein. - Wir wissen also über die Herkunft des Physiologus des Cod. Vind. 223 nur, daß er sich um 1470 in St. Paul befunden hat und seine Vorlage möglicherweise aus dem rheinfränkisch-alemannischen Grenzgebiet stammt. Alles was darüber hinausgeht, ist Spekulation. Für den Entstehungsort des zweiten Teils der Hs. (fol 18—65) muß auf jeden Fall ein Scriptorium mit mindestens drei Schreibern angenommen werden. Von Hirsau ist bekannt, daß es zur Zeit des Abtes Wilhelm, in dessen Amtszeit auch St. Paul gegründet wurde, 1 2 Schreiber besessen hat. 20 Die von Abt Wilhelm nach dem Vorbild von Cluny verfaßten Constitutione s Hirsaugienses nennen bei der Verteilung der Aufgaben im Kloster audi mehrere Schreiber: Sunt alii scriptores, qui18

U n d z w a r in der Breite 1,5 cm, in der Höhe 0 , 5 - 1 cm größer. In diesem Teil der Hs. enthält der Schriftspiegel audi 3 6 Zeilen, sonst höchstens 34. Z u d e m erfolgt die seitliche Begrenzung des Schriftspiegels bis fol 1 7 durch eine geritzte Linie, danach durch zwei. Auch das Pergament ist in den ersten beiden Lagen sowie dem angeklebten Blatt 1 7 rauh, danach ganz glatt und fest.

19

Die Vorderseiten dieser Faszikel sind stark abgedunkelt, die Rüdeseiten jeweils stark abgerieben. Mitten im C o d e x hätte das wohl kaum geschehen können.

20

V g l . Wilhelm Wattenbach, D a s Schriftwesen im Mittelalter. Leipzig 8 1 8 9 6 . S. 1 9 4 , der sich hier auf die Annalen von Hirsau des Trithemius stützt.

63

bus iniungitur in capellis ad scribendum iugiter sedere.21 Nun wird gewiß ein so gut besetztes Scriptorium wie in Hirsau zur Zeit Wilhelms nicht überall die Regel gewesen sein, doch ein Kloster, das mehrere Schreiber hatte, dürfte in der damaligen Zeit keine Seltenheit gewesen sein. Die Bearbeitungstendenz gegenüber der Quelle des ältesten deutschen Physiologus, einer Hs. der Dictaversion (s.u. S.90), ist kurz zu beschreiben.22 DieZahl der Bibelzitate wird stark verringert, diejenigen, die beibehalten werden, bleiben z. T. lateinisch. Sowohl der Tierbericht wie audi die Auslegung werden stark gekürzt: das Pantherkapitel des Cod. Vind. 223 ist nur etwa halb so umfangreich wie das der Prosafassung im Cod. Vind. 2721, der Abschnitt >Unreine Fúlicas der ein Anhängsel des Kapitels >Hyäne< darstellt,23 fällt weg, desgleichen der Abschnitt >Äffinauffangenden< Schriftzitaten dahin vereinfacht und reduziert, daß er ganz systematisch und programmhaft . . . darlegt, was die Tiere bezeichnen. Damit werden die Aussagen dem lat. Text gegenüber auf die bezeichnenden Tiergestalten hin vereinfacht und verdichtet« (S. 1 1 6 ) . Vgl. oben S . 3 1 . Daß die vierte Eigenschaft der Schlange nicht vertreten ist, ist ganz normal für die Dicta Chrysostomi. Die beiden mittelhochdeutschen Ubersetzungen, die diese Eigenschaft aufnehmen, stellen die Ausnahme dar, vgl. unten S. Syf. 25 A u d i in der Bearbeitungstendenz gegenüber dem lateinischen Dicta-Text setzt nach Kapitel 8 eine Wende ein: die bis hierher zu beobachtende strenge Reduzierung im Tierbericht und in den Auslegungen, besonders in den Bibelzitaten, weidit ab Kapitel 9 einer merklich breiteren, enger am Lateinischen orientierten Übertragung. 24

64

Als Verfasser dieser Übersetzung bzw. Bearbeitung hat F R . W I L H E L M einen Priester vermutet, weil im Schlangen-Kapitel dieser Stand ausdrücklich erwähnt wird: D e n u u r m sculen uuir biledon, so uuír uellên d r i n k á n d a z geistliche u u á z z á r . d a z uns giscenkét uuirt f o n e d e m o m u n d e unsérro é u u a r t ô n . 2 6 .

Das kann durchaus zutreffen, dodi würde der damit verbundenen Zuwendung des Weltpriesters zum Laien die lateinische Fassung mancher Bibelzitate nicht unbedingt entsprechen. Der Physiologus nimmt im Cod. Vind. 223 eine ganz untergeordnete Stellung ein: er ist nur als Fülltext für die letzte Lage des wohl zunächst selbständigen Faszikel der Blätter 18-33 abgeschrieben worden. Der Text bricht genau am Seiten- und Zeilenende mitten im Satz ab. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat die Vorlage also einen größeren Textumfang gehabt. Hätte ein starkes Interesse an der Benutzung des Physiologus-Textes bestanden, dann hätte der Schreiber gewiß wenigstens noch die zunächst noch freie Rückseite von fol 3 3 für den Physiologus benutzt oder gar die Ränder, wie das sonst für andere lateinische Texte sowie für die Windnamen (fol 3 3 r ) in dieser Hs. durchaus der Fall ist. Der Physiologus als >Lückenbüßer< am Ende einer Lage oder einer ganzen Hs. ist als Überlieferungstyp zwar nicht die Regel, entbehrt jedoch der Parallelen nicht.27 Die Art der Überlieferung des ältesten deutschen Physiologus zeigt deutlich, daß er nicht für eine intensive und systematische Benutzung abgeschrieben wurde. Man wird daher für ihn, wenn überhaupt, dann nur eine sehr beschränkte Wirkung anzunehmen haben. Aus M E N H A R D T S keineswegs als gesichert anzusehender Lokalisierung der Hs. in Hirsau hat dann H. D E B O O R weitreichende Schlüsse gezogen: »Die Ubersetzung des Physiologus erwächst . . . aus der Hirsauer Reform, deren Streben, die Einordnung der Welt unter Gott zur Grundlage allen Denkens zu machen, hier exempelhafte Bestätigung fand«; 28 und kurz danach: »der Physiologus gehört somit in das Gebiet der reformerischen Popularisierung« (ebd.). Abgesehen davon, daß zu D E B O O R S Verbindung zwischen den Reformen von Cluny (und 2

« Fr. Wilhelm, Denkmäler Bd. 2. S. 1 7 , das Textzitat Bd. 1. S. i8, cap. 1 1 , 1 7 - 1 9 .

27

28

S o etwa bei den lateinischen Physiologi des C o d . Guelf. Gud. lat. 4 4 3 5 ( 1 1 . Jh.), C l m 5 3 6 ( 1 2 . Jh.), C l m 14693 ( 1 2 . Jh.), C o d . Vind. 3 2 0 ( 1 3 . Jh.), C l m 1 4 3 4 8 ( 1 3 . Jh.), C o d . Vind. 4609 ( 1 5 . Jh.). Die Zahl wäre beiDurchsidit weiterer Hss. mit Sicherheit noch weiter vermehrbar. Geschichte der deutschen Literatur Bd. 1. München 7 i 966. S. 129.

65

d a n n auch H i r s a u ) u n d d e r deutschen L i t e r a t u r des n.hz.

J h s . gewich-

tige S t i m m e n laut g e w o r d e n sind, 2 9 ist z u f r a g e n , ob m a n angesichts eines T e x t e s , der schon v o n den Schreibern nicht der v o l l k o m m e n e n u n d s o r g f ä l t i g e n Ü b e r l i e f e r u n g f ü r w e r t b e f u n d e n w u r d e , solche A u s sagen a u f r e c h t e r h a l t e n soll. Selbst, w e n n der C o d e x den F r a t r e s v o n H i r s a u aus nach St. P a u l mitgegeben w o r d e n sein sollte, w a s durchaus nicht sicher ist, d a n n g a n z g e w i ß nicht w e g e n des P h y s i o l o g u s . 3 0

4 . 1 . 2 D e r Physiologus der Wiener Sammelhandschrift 2 7 2 1 E i n größerer T e i l d e r frühmittelhochdeutschen geistlichen

Literatur

ist in S a m m e l h a n d s c h r i f t e n ü b e r l i e f e r t , 3 1 die in k o n s e r v i e r e n d e r

Ab-

sicht meist ältere, o f t w o h l sogar schon >altmodische< E i n z e l t e x t e o r d n e n u n d b e w a h r e n . U n t e r diesen S a m m l u n g e n bieten das V o r a u e r , W i e n e r u n d M i l l s t ä t t e r C o r p u s eine v o n I n h a l t u n d A n l a g e her enger z u s a m m e n g e h ö r e n d e G r u p p e . D e n P h y s i o l o g u s ü b e r l i e f e r n die W i e n e r H s . ( W ; C o d . V i n d . 2 7 2 1 ) u n d die M i l l s t ä t t e r H s . ( M ; H s . 6/19

des G e -

schichtsvereins, K ä r n t n e r L a n d e s a r c h i v K l a g e n f u r t ) . 29

30

31

Als erster hat sich wohl Werner Schröder zu Wort gemeldet: Der Geist von Cluny und die Anfänge des frühmittelhochdeutschen Schrifttums. In: PBB 72 (1950) S. 321-386 und ders., Mönchische Reformbewegungen und frühmittelhochdeutsdie Literaturgeschichte. In: Wiss. Zeitschrift der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg 4 (1955) S. 237-248. Zur weiteren Diskussion verweise idi auf G. Meissburger, Grundlagen zum Verständnis der deutschen Mönchsdichtung. Immerhin gibt es einen von der germanistischen Forschung bisher nicht beachteten Hinweis, daß der Physiologus durchaus zum Grundbestand einer Klosterbibliothek gehört haben kann. Dom André Wilmart (Un exemplaire des Coutumes d'Hirsauge accompagné d'un catalogue des livres. In: Revue bénédictine 49 (1937) S. 90-96) fand im Cod. Vat. palat. 564 vom Anfang des 12. Jhs. ein Bücherverzeichnis von 35 Titeln, von denen Nr. 34 Phisiologi IIo nennt (S.94), nachdem 12 liturgisdie Bücher und 11 Schriften der Kirchenväter den Hauptbestandteil der Liste bilden. Wilmart kann nachweisen, daß das Verzeichnis den anfänglichen Bücherbestand der 1122 begründeten Hirsauer Filiale Odenheim bei Bruchsal angibt (S. 95f.). Wenn audi die Nennung des Physiologus in dieser Liste keinerlei Bedeutung für die Herkunftsbestimmung des ältesten deutschen Physiologus hat und mit dem hier genannten sicher eine lateinische Fassung gemeint ist, so mag doch für die Wertschätzung dieses Werkes bemerkenswert sein, daß es im Grundbestand der Bibliothek offenbar gleich in zwei Exemplaren vorhanden war; das ist sonst nur noch für Gregors Moralia bezeugt. Zur Bedeutung der Sammelhss. für die Literatur des 11./12. Jhs. vgl. Hugo Kuhn, Frühmittelhochdeutsdie Literatur, zit. nach H. K., Text und Theorie, hier: S. 143146, wobei seine Äußerungen über die Bedeutung byzantinischer Oktateuch-Hss. für die Illustration der Hss. W und M nadi der Arbeit von H. Voss, Studien, zu modifizieren sind. 66

Der Cod. Vind. 2721 enthält folgende Texte: 32 ι . fol

ιΓ-ΐ29ν:

ältere deutsche Genesis

2. fol i 2 9 v - i j 8 r :

jüngerer deutscher Physiologus (Prosa)

3. fol 1 5 9 Γ — ι 8 3 γ :

Exodus (fol ι 8 ΐ ν leer, zwischen fol 1 8 2 und 1 8 3 fehlen 54 Verse =

ι Blatt).

Im Aufbau der Hs. zeigt sich, daß Genesis und Physiologus eng zusammengehören, während sich die Exodus deutlich davon absetzt. Nur für die ersten beiden Texte waren Illustrationen vorgesehen, die allerdings nicht ausgeführt wurden. Der Physiologus schließt sich unmittelbar auf der selben Seite (fol i29 v ) noch an die Genesis an.33 Nach dem Physiologus bleibt die letzte Seite der 20. Lage (fol 15 8V) frei, und die Exodus beginnt mit neuer Lagenzählung (P bis I I P ) auf fol 159 r . Dieser Text bricht auf der Recto-Seite des an die dritte Lage angeklebten Blattes 183 in der letzten Zeile des Schriftspiegels mitten im Vers ab. Die Rückseite des Blattes bleibt frei. Das zeigt, daß dieser Text in der Vorlage sicherlich vollständiger gewesen ist. M E N H A R D T hat vermutet, daß das angeklebte Blatt 183 der Rest einer verlorenen Lage sei, ohne jedoch eine Begründung dafür zu geben.34 Es mag durchaus sein, daß Blätter verlorengegangen sind, sie haben aber ganz gewiß nicht die Fortsetzung der Exodus enthalten. - Wie auch der Cod. Vind. 223, der den ältesten deutschen Physiologus enthält, so trägt audi der Cod. Vind. 2721 auf dem Verso des letzten Blattes die Signatur von der Hand des ersten Bibliothekars der Wiener Hofbibliothek, Hugo Blotius, etwa aus dem Jahr 1576. Spätestens also damals hat die Hs. ihren heutigen Umfang gehabt. Die Hs. ist von nur einem Schreiber geschrieben,35 die Verse in Genesis und Exodus sind nicht abgesetzt. Die erste Lage (fol 1 , 1 1 , 1 - 6 ) enthält sieben Illustrationen,36 von denen jedoch nur die letzte (fol j v ) 32

33

34 35

36

Die Handschrift beschreibt Hermann Menhardt, Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der österreichischen Nationalbibliothek. Bd. i, Berlin 1960, S. ziyf. Eine schwarz-weiße Reproduktion der gesamten Handschrift hat der Verlag A . Kümmerle, Göppingen, in seiner Reihe >Litterae< angekündigt. Zur engen Zusammengehörigkeit von Genesis und Physiologus vgl. H. Menhardt, Die Zweiheit Genesis-Physiologus, bes. S. 260 sowie ders., der Millstätter Physiologus. S. 34. Verzeichnis der altdeutschen Hss. a.a.O. S. 218. Die Millstätter Hs. ist gleichfalls von einem Schreiber hergestellt. Dadurch ist der Hs. im Aussehen eine größere Einheitlichkeit gesichert. Vielleicht deutet das darauf hin, daß die Hs. Auftragswerk eines Adligen war, wie ja auch weltliche Texte öfter in Hss., die von einem Schreiber geschrieben sind, überliefert sind. Vgl. Georg Swarzenski, Die Salzburger Malerei von den ersten Anfängen bis zur

67

eine Entsprechung in Bild ι der Millstätter Hs. hat. Im übrigen sind an den Stellen, in denen M Illustrationen und (bzw. oder) Tituli aufweist, Bildräume oder Platz für einen Titulus in W ausgespart.37 Die ersten sechs Bilder gehören sicher nicht zu dem beiden Sammelhss. gemeinsamen Illustrationsprogramm, sie sind audi keine ausgesprochenen Textillustrationen wie die Bilder in M. 38 In seiner Ausstattung ist der Cod. Vind. 2721 kein überdurchschnittliches Werk, er ist zwar eine der frühesten deutschen illustrierten Hss., doch mit der Ausstattung und dem Schmuck lateinischer Hss. dieser Zeit kann er sich nicht messen.39 Die Herkunft der Hs. ist ungeklärt. Die frühe Zugehörigkeit zur Wiener Hofbibliothek ist durch die Blotius-Signatur von etwa 1 y 76 gesichert. Auf fol I r befindet sich am oberen Blattrand folgender Eintrag: Ex bibliotheca D Vuolfgangi lazi} Inclyto Regi Bohemie Maximiliano obsequii ergo donatus. Die Hs. hat also, wie der Cod. Vind. 223, zunächst L A Z I U S gehört, der sie Maximilian II., seit 1564 Nachfolger seines Vaters Ferdinand I. auf dem römisch-deutsclien Kaiserthron, geschenkt hat. M E N H A R D T bemerkt dazu: »Von Lazius ( 1 5 1 4 - 1 5 6 5 ) vermutlich 1548 in Regensburg erworben und 1 5 5 1 Maximilian II. geschenkt.«40 Das Datum 1551 stimmt auf keinen Fall! In der Widmung ist Maximilian als König von Böhmen tituliert, wozu er aber erst 1562 gewählt wurde. Auf der anderen Seite hätte Lazius die Kaiserwürde in die Widmung aufgenommen, wenn Maximilian sie damals schon besessen hätte. Die Widmung der Hs. ist mit Sicherheit zwischen 1562 und 1564 verfaßt worden. Die Wendung obsequii ergo donatus, >als Huldigung dargebrachtHimmel und Hölle< bezeichneten Werk,5® das in seiner rhythmischen Form dem >Bamberger Glauben< an die Seite zu stellen ist, in der Verwendung des Homoioteleuton aber wesentlich sparsamer ist als der Physiologus (W). Die Hs. trennt einzelne Kola durch Punkte voneinander. 57 Fast regelmäßig erscheint der Gleichklang vor solch einem Kolon-Punkt. Bei den Belegen handelt es sich naturgemäß nur in wenigen Fällen um reine Reime; häufig sind Assonanzen und Endsilbenreime. Der Bearbeiter der Millstätter Fassung verwendet darüber hinaus für die Versbindung häufig Anklänge, die weder als Reim noch als Assonanz oder 54

55

56

57

Zum Gebrauch des Schema homoioteleuton in der antiken Rhetorik vgl. Rhetorica ad Herennium 4 , 2 0 , 2 8 sowie Quintilian, Institutio oratoria 9 , 3 , 7 7 und weiterhin, für das Mittelalter: Isidor, Etymologiae 1 , 3 6 , 1 6 . Zur späteren Wirkung der rhetorischen Theorie der Antike vgl. K a r l Polheim, Die lateinische Reimprosa. Berlin 1925. S. 4630. und allgemein dazu: Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Bd. 1 §§ 3 6 1 - 6 3 . Veröffentlicht v o n Friedrich Wilhelm, Denkmäler deutscher Prosa des 11. und 1 2 . Jahrhunderts. Bd. 1, 1 9 1 4 . S. 3 3 - 3 7 . Vgl. Ingeborg Schröbler, Zu >Himmel und HölleVom Rechte< und >Die HodizeitRecht< und >Hochzeit< gesagt werden. Vgl. C a r l Kraus, a.a.O. S. 5 - 7 . Frühgeschichte des deutschen Reims. Bd. 1 Leipzig 1 9 4 1 ( = Palaestra Bd. 220).

70

Frühmittelhochdeutsche Reimstudien, 1 9 2 $ ( = Jenaer Germ. Forschungen Bd. 9). Nach Pretzel, Frühgeschichte. S. 198 und 226. ™ Ebd. S. 2 4 8 - 2 5 6 . 73 74 75 Reimstudien. S. 144. Ebd. S. 1 4 4 - 1 5 0 . Ebd. S. 146. 71

76

Etwas negativer sieht PRETZEL den Bearbeiter (wobei allerdings nicht klar ist, ob er WELSLES Trennung zwischen A und Β nachvollzieht: »nur das Drittel der technisch reinen Reime hält sich von vokalischen Ungenauigkeiten einigermaßen frei«. 76 WESLES und PRETZELS A u f stellungen sind nun noch zu ergänzen durch die Aufstellung derjenigen Reime in M, die durch Übernahme des Homoioteleuton der Prosafassung 77 gebildet sind; von den oben zusammengestellten 71 Belegen sind immerhin 26 vom Bearbeiter des Physiologus zur Reimbindung verwandt worden: Bei den folgenden Belegen werden der Kapitel- und Zeilenzahl des jüngeren Physiologus W nach der Ausgabe von WILHELM, Denkmäler, Bd. Ι, die Strophen- und Verszahlen von M in MAURERS Ausgabe gegenübergestellt : 2,14-14,1; 2,22f.-i6,i; 2,28^-19,2; 2,30f.-20,i; 2,36-21,2; 3,10-30,1; 4,8-40,2; 70,3;

ii,22f.-83,if.

5,13-44,2; (Dreireim);

7,15-54,5; 11,24-84,2;

17,24Í.-I22,3; 19,6-130,5; 19,19f.-i34,i; 152,3; 22,11-152,4;

7a,1-55,1;

2,4of.-23,i;

9,2-66,2;

14,20-105,3;

9,13f-

17,19-121,1;

22,5-151,1:22,9Í.-152,2;22,10-

27,3-177,3.

Aufgrund des o. a. Unterschiedes in der Beherrschung der Reimtechnik zwischen Genesis und Physiologus in der Millstätter Hs. ist schon von EDWARD SCHRÖDER 78 die Frage gestellt worden, ob überhaupt der Bearbeiter der Genesis mit dem des Physiologus identisch sein könne; WESLE ist darauf eingegangen und hat an einer Reihe von Beispielen die Unterschiede zwischen der Bearbeitung der Genesis und der des Physiologus gezeigt und sich für zwei verschiedene Bearbeiter ausgesprochen.79 Damit ist impliziert, daß der Schreiber von M nicht auch der Bearbeiter gewesen sein kann, wie es BULTHAUPT80 angenommen hatte. H. MENHARDT, der BULTHAUPTS These gegen WESLE ZU stützen versuchte, beruft sich auf PRETZEL,81 der zwischen der Wiener Genesis und dem Millstätter Physiologus äußerlich kein sehr verschiedenes Bild der Reimtechnik hatte feststellen können. MENHARDT fährt dann fort: 82 » D i e s e äußerliche Ä h n l i c h k e i t entsteht dadurch, d a ß die Schreiber v o n und Κ

altertümliche F o r m e n

und Reime bewahren,

der Schreiber

W des

P h y s i o l o g u s Κ aber, ohne i r g e n d a u f Fortschritt in der R e i m k u n s t bedacht z u sein, das, w a s ihm v o m Abschreiben der Genesis im O h r e klingt, beibehält.« 76 78 80

81

77 Frühgeschichte. S. 2 5 5 . Vgl. oben S . 7 2 Í . 79 >LückenbüßerveraltetePhysiologusHydrusHyenaHyenaAutula< : ita ut nullus uenatorum ei potest appropinquare (Denkmäler 2. S. 27,25f.); Prosa: ime nemach nihein man geuahen noch iagire geuahen (Kap. 9,2f.) - Reimfassung: im mage nieman genahen / noch dehein jegir gevahen (MAURER 66,2). K a p . 1 1 >ViperaLacertaVulpisCastorNocticoraxAsidaCaladrius< : Cuius interior fimus oculorum caliginem curat (Denkmäler 2. S. 42,17^) Prosa: Ein mist der uon ime uert [ . . . ] (Kap. 26,4) Reimfassung: sinen mist, den er von im tuot [ . . . ] (MAURER 169,2) D a m i t dürfte die Existenz einer gemeinsamen Vorlage für die P h y siologi W und M erwiesen sein. In einer Reihe von Fällen bewahrt aber audi W das Richtige der Vorlage, w o M die schlechtere Lesart gibt. 97 Eine kleine Beobachtung sei hier noch mitgeteilt, die den Korrektor von M betrifft. Die Begattung der Viper erfolgt von Mund zu Mund. Das Weibchen beißt dabei den K o p f 9 8 des Männchens ab, so d a ß dieses stirbt. Während der althochdeutsche Physiologus nur eine geistliche Auslegung dieser Eigenschaft auf die Juden bringt, 99 sagt die lateinische Dicta-Version:

Intellege ergo quid faciat concubitus meretricus (Denk-

m a l e n . S. 29,i4f.). D e m folgt W : Da mag man ane uernemen.

waz

hurren minne machet (Denkmäler 1. S. 17, K a p . 1 i,7f.). Die Millstätter Reimfassung bringt aber: dabi muget ir iuch wol versten, / waz ubil man mage erziugen

(MAURER

78,5). Bei der sonst engen Abhängigkeit

v o n der Vorlage, deren Wortlaut w i r in W recht gut überliefert haben, ist diese Abweichung von ganz besonderem Interesse. H i n z u kommt, d a ß in M ein Korrektor die Rollen zwischen Männchen und Weibchen durch Rasur und Verbesserung direkt vertauscht hat: man im o. a. Zitat steht an der Stelle eines radierten wip; ein er ir ersetzt radiertes si im usw. 100 Das Männchen beißt also dem Weibchen den K o p f ab. Die Auslegung muß demnach etwa so übersetzt werden: »Daran könnt ihr gut erkennen, was ein böser Mann alles fertigbringen kann.« D a ß diese Veränderung nicht aus der Vorlage stammen kann, dürfte klar sein. Die Tendenz, die hinter dieser Änderung steht, könnte folgende sein: Vermeidung der hurren minne, Rehabilitierung des Vipern-Weibchens, an dem jetzt das Männchen den M o r d begeht und, in der Auslegung, V g l . e t w a die Fehler der Reimfassung in: 31,3; 37,2; 56,2; 60,1; 159,3 (Maurer). O f t werden statt dessen die virilia genannt. 9 8 Er f a ß t die Auslegung z u dieser N a t u r und zur Geburt der V i p e r noch zusammen. Die ältere Physiologus-Tradition ( Y , C , A ) gibt nur eine Auslegung zur Geburt der Jungen. 100 V g l . Maurers A p p a r a t zur Stelle und das Faksimile f o l Bayernösterreich< hinaus aufgrund der Mundart des Schreibers nichts Genaueres sagen. Eine eingehende paläographische Untersuchung der Hss. W und M fehlt. Die Datierung und Lokalisierung einer Hs. nach ihrer Schriftform ist nur dann sicher vorzunehmen, wenn die Einordnung in die Produktion eines sonst durch datierte Zeugen bekannten Scriptoriums möglich ist. Bei W und M ist das nicht der Fall. Hinzu kommt, daß sich modische Schreibgebräuche in Kulturzentren wie etwa der damaligen Weltstadt Regensburg oder Salzburg eher durchsetzen konnten als etwa in einem entlegenen Alpenkloster. Man wird audi innerhalb des bayerisch-österreichischen Sprachbereiches, dem die Hss. W und M angehören, mit ganz verschiedenen Stufen der Schriftkultur und -entwicklung zu rechnen haben. Erschwerend für die paläographische Einordnung der beiden Hss. ist außerdem, daß deutsche Texte die am Lateinischen entwickelte und geschulte Schrift auch in dieser Zeit noch merklich verändern, so daß hier eine Bestimmung noch schwieriger ist als die lateinischer Hss. Als Orientierungszeitraum wird man für W und M die 2. Hälfte des 12. Jhs. annehmen können, wobei M vielleicht auch erst an der Wende zum 13. Jh. entstanden sein kann. Über den zeitlichen Abstand von W und M ist keine annähernd genaue Aussage möglich. Man möchte M, audi aufgrund des sprachlichen Befundes, gerne für älter halten. Doch wird man audi mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß beide vielleicht sogar gleich alt sind. Die Einordnung mit Hilfe der Illustrationen darf durch die Arbeit von H E L L A V O S S als gesichert gelten. M E N H A R D T S Ansatz der Hs. W um 1 1 7 5 und Μ um 1180 in Regensburg basierte auf der Annahme, Heinrich der Löwe habe nach seiner Rückkehr aus Konstantinopel eine alte deutsche Genesisdichtung abschreiben und mit Bildern aus einer mitgebrachten Oktateuchhs. ausstatten lassen;102 diese illustrierte Genesishs. sei die gemeinsame Vorlage von W und M gewesen (entstanden 102

H . Menhardt, Genesisbilder. S. 343-346 und passim. 84

1174)· 1 0 8 Voss hat nun nachgewiesen, daß der Kreis der GenesisIllustrationen, die denen von M nahestehen, nicht auf Regensburg beschränkt werden darf. 1 0 4 Damit ist die Hauptstütze f ü r MENHARDTS Zeitansatz und seine Lokalisierung hinfällig. Auf eine Reihe weiterer von ihm gezogener Schlüsse, die nicht haltbar sind, wurde schon hingewiesen. Voss hat im Vergleich der Regensburger Buchmalerei mit der Salzburgischen festgestellt, daß der Eindruck des Regensburger Stils »aus den Millstätter Zeichnungen ganz unmöglich zu gewinnen sei« (Studien S. 90). Die Entstehung im Bereich Salzburgs sei eher anzunehmen. Der byzantinische Einfluß, wie er sich auch in den Bildern der Millstätter Genesis zeigt, sei in der Salzburger Malerei größer als sonst in Deutschland. »Ein ausgeprägter Lokalstil läßt sich [ . . . ] nicht greifen. [ . . . ] Solange ein direkter Anschluß nidit möglich ist, gibt es keine exakte Handhabe, um M näher zu lokalisieren : die flüchtigen Illustrationen können praktisch überall im >Hintergrund< der Metropole und in der Provinz entstanden sein« (Studien S. 103).

Aufgrund einiger erhaltener Genesiszyklen erwägt Voss die Entstehung von M in Kärnten als der »eigentliStraußHydrus< (Denkmäler 1. S. 10, Kap. 4,2), das Fehlen des Zusatzes >Unreine Fulica< zum Kapitel >Hyäne< sowie des zweiten Teiles >Äffin< des Kapitels >Onager< braucht nicht auf die Vorlage zurückgeführt zu werden. Einzig der oben angeführte Punkt 3 kann hier als Charakteristikum dienen, dodi ist die Lesart uolatile animal so häufig belegt, daß ihre Beweiskraft gering ist. Zur Frage nach der Vorlage von W und M gehe idi nodi auf den Physiologus des Clm 19648 des 1 y. Jhs. (fol ι8ο Γ -ΐ94 Γ ) ein. Er gehört zur Dicta-Version und weist die charakteristische Kapitelfolge auf, die jedoch an einer Stelle gestört ist, und zwar beim Kapitel 1 1 Viperai Serpens·, Ubereinstimmung herrscht bis zur zweiten Natur der Schlange (Denkmäler 2. S. 30,3: fouea); darauf folgt die (eigentlich 4.) Eigenschaft: die Schlange schützt ihr Haupt mit dem Körper; danach die (eigentlich 3.) Eigenschaft: die Schlange flieht vor einem nackten Menschen (S. 3o,9Íf.), und zwar unter der Überschrift De Dracone,nt es folgt die nicht zur Dicta-Fassung, sondern zur Versio b 1 2 0 gehörige Eigenschaft der Schlange Aspis, die ihr Ohr verstopft. 121 Ich gebe den 117

Vgl. Menhardt, Millstätter Physiologus. S. 12. 118 Vielleicht liegt hier auch ein Einfluß der Begleitverse vor, die auch Hinweise auf die Illustration enthalten. Die Genesis der Millstätter Hs. besitzt gereimte Überschriften, von denen eine Reihe audi als Bild-Tituli bezeichnet werden können. (Vgl. Hella Voss, Studien. S. i 3 o f . ; ein Abdruck dieser Überschriften ebd. S. 2 0 0 210.) 119

120 121

Auch die Dicta-Hss. Wilhelms leiten die 2. und 3. Eigenschaft der Schlange (serpens) ein mit den Worten: Secunda (bzw. tertia) natura draconis est.. . (Denkmäler 2. S. 30,1 und 9). Carmody, Versio b. cap. 26,6t. S. 47. Nach Ps. 5 7 , j . Im griechischen Physiologus sowie in der lateinisdien Versio y ist nur diese Stelle zitiert. Erst die Versio b erweitert sie zur Eigenschaft mit Auslegung, wobei ähnlidi wie im Adlerkapitel der Einfluß von Augustins Enarrationes zu erwägen ist ( P L 36,679/80). Eine Reihe weiterer Stellen bringen Schmidtke, Tierinterpretation. S. 576 A 7 7 0 sowie Goldstaub-Wendriner, Bestiarius. S. 2 9 8 300. Z u r Illustration vgl. Heinz Köhn, >AspisLangzeilenalso< bis 6 >gotleicher< lautet dort: Also wirt der vnttertan des sawmigen prelaten vergezzen, es sey dan das sy die hitz gotleicher sunn prútet [ . . . ] (STAMMLER, Ζ. I 19L); des in Z . 5 des Fragments muß richtig 149

Eine Abbildung der Kapelle enthält der Bericht über die von 1 9 6 3 - 1 9 6 9 durchgeführte Restauration: Ivan Stopar, Opatijska cerkev ν Celju. Nacela Restauracije [etc.]. Celje 1 9 7 1 . S. 64. »50 Diese Tafel ist aus zwei Teilen zusammengefügt, doch sind die Zeilen an der Nahtstelle nicht unterbrochen.

105

der heißen; svn in Z. 6 ist vom Steinmetz wohl erst mit hit ζ verwechselt. Die Tafeln selbst können also nicht Vorlagen für den Melker Physiologus gewesen sein. - Die Texte der Tafeln sind in gotischer Minuskel geschrieben. Ober- und Unterlängen sind nicht ausgebildet, alle Buchstaben haben etwa dieselbe Größe. Die Anfertigung der Tafeln darf an den Anfang des 15. Jhs. gesetzt werden. 151 Ihre besondere Bedeutung haben diese Fragmente dadurch, daß sie den Physiologus als Inschrift überliefern - das ist, soweit mir bekannt ist, einmalig in der Geschichte dieses Werkes - und, daß diese Inschriften in Zusammenhang mit einem Skulpturen-Zyklus stehen, der Themen des Physiologus darstellt.152 Die in drei Joche mit 5/8-Abschluß gegliederte Kapelle enthielt an den Wänden insgesamt 19, evtl. auch 20 Konsolen (vgl. S. 109). Auf den nodi erhaltenen 16 stehen farbig gefaßte Heiligenfiguren. 153 Die steinernen Konsolen selbst sind bis auf zwei (in der Skizze Nr. 1 und 20) mit figürlichen Darstellungen versehen, deren Reihenfolge die nebenstehende Skizze verdeutlichen soll. Konsole Nr. 4 befindet sich über der Schrifttafel I, Nr. 5 über Tafel II, Nr. 6 über Tafel III. Die Zusammengehörigkeit der Steinskulpturen der Konsolen mit dem Text der Schrifttafeln ist eindeutig. Darüber hinaus ist noch zu fragen, ob nicht auch die übrigen figürlichen Darstellungen an den Konsolen ehemals durch Schrifttafeln erläutert waren. Unter den Konsolen 1, 2, 3 und den gegenüberliegenden Nrn. 20, 19, 18 ist kein Platz für Steintafeln. Ob sich an Platz 16 früher eine Konsole befunden hat, ist nicht zu entscheiden. Unter den übrigen 151

152

153

Herrn Archivdirektor D r . Kloos (Geheimes Staatsarchiv München) danke ich für seine freundliche Hilfe bei der Datierung der Tafeln. Skulpturenzyklen, die vielleicht nach dem Physiologus gearbeitet sind, jedoch ohne Text, finden sich am Nordportal der Schottenkirche St. Jakob in Regensburg (vgl. auch Jos. A . Endres, Das St. Jakobsportal in Regensburg und Honorius Augustodunensis. Kempten 1903) sowie in der Kirche und im Kreuzgang des Benediktinerstiftes Millstatt (vgl. dazu H . Menhardt, Der Millstätter Physiologus S. 5f.). Einen weiteren Zyklus untersuchte Menhardt, Der Physiologus im Schloß Tirol. In: Der Schiern 31 ( 1 9 5 7 ) S. 4 0 1 - 4 0 J (m. Abb.), doch scheinen mir Menhardts Zuordnungen von Steinen, auf denen wirklich nichts mehr zu sehen ist, zu bestimmten Kapiteln des Physiologus manchmal ein wenig zu weit zu gehen (vgl. S. 403, I, rechts 5,6). Skulpturen, die mit einer Bezeichnung des betreffenden Tieres oder audi mit kurzen Beischriften versehen sind, sind hin und wieder belegt (vgl. Debidour, Le bestiaire sculpté. Tafel 2 6 4 ^ ; 345,348), dodi findet sich nirgends ein ausführliches Physiologus-Kapitel beigegeben. M a n wird allerdings den Bereich der auf die Wände gemalten Bilder und Texte nicht außer acht lassen dürfen; hier sind die eingetretenen Verluste nicht zu gering anzusehen. Ein Zusammenhang zwischen den Konsolskulpturen und diesen [späteren] Figuren besteht nicht.

106

Kapelle

Darstellungen: ι. 2. 3. 4. j.

Konsole komplett, jedoch ohne figürlichen Schmuck. Blattmaske. Engel mit Spruchband. Strauß sieht Eier an, aus denen Junge schlüpfen. Mädchen mit Krone und Flügeln; Unterleib wie ein Vogel, Entenfüße, auf Unterleib Gesicht abgebildet. 6. Mensch mit einer Scheibe, auf der ein Adler abgebildet ist, hält Spruchband mit Aufschrift Johannes. 7. Mönch mit Stab, an dem eine Fahne befestigt ist. 8. Geflügelte Frau mit Krone, ein Hund springt zu ihr auf. Zweizeiliger Inschriftrest am rechten unteren Rand der Konsole: er I d weit. 9. und 10. ehemals vorhanden, aber abgeschlagen. Ii. und 12. ehemals vorhanden, aber abgeschlagen. 13. Mädchen mit Flügeln, Unterleib Fischsdiwanz(?). 14. Mädchen mit Flügeln, Unterleib Pferd. 15. Löwe, schaut nach unten, unterer Teil der Konsole abgeschlagen. 16. Keine Trägerkonsole für Heiligenfigur, statt dessen Bild des hl. Florian über der spitzbogigen Nische. 17. Pelikan mit drei Jungen. 18. Engel mit Spruchband (hier kein Platz für Schriftband, da unmittelbar darunter Ciborium). 19. Vgl. 2. 20. Vgl. ι.

107

Konsolen wäre Platz für Steintafeln. Bei der letzten Restauration sind durch Zufall mehrere Steinplatten, darunter auch Grabsteine entdeckt worden, die in den Wänden vermauert und überdeckt waren. Es enthielt zwar keine einen Physiologus-Text, dodi ist schon vor längerer Zeit vermutet worden, daß die Wände des später als die Marienkapelle entstandenen Sakristeianbaues noch Steinplatten enthalten.154 Möglicherweise sind darunter auch solche, die zu den übrigen Figurenkonsolen gehören. In der Tat findet sich ein Anzeichen dafür, daß die drei erhaltenen Schriftplatten nicht die einzigen gewesen sind: die Konsole Nr. 8 weist an ihrem rechten unteren Rand nodi den Rest einer Schrifttafel auf, das Ende zweier Zeilen, die glücklicherweise genau das Thema der figürlichen Darstellung angeben: Frau Welt. Sie ist wiedergegeben als geflügelte Frau mit einer Pfauenfederkrone, die redite Hand streckt sie halb geöffnet zur Seite; an ihrer Brust springt ein hundeähnliches Tier hoch. Es handelt sich hier nicht um die aus der Kathedralplastik seit dem 13. Jh. bekannte Figur der >Frau Welt< mit der grauenerregenden Rückseite, sondern um einen erst seit dem 14. Jh. auftretenden Typus, das sog. Siebenlasterweib,155 deren einzelne Teile jeweils ein Laster bedeuten.158 In einer anderen mir bekannten Darstellung trägt die weibliche Figur, als figura mundi bezeichnet, in ihrer rechten Hand einen Weinkelch, den sie einem als religio bezeichneten Mönch entgegenstreckt; dieser kämpft offenbar gegen sie: er hat einen Kreuzstab mit Fahne turniermäßig unter dem rechten Arm eingelegt und geht gegen das Siebenlasterweib vor. 157 Möglicherweise hat die >Frau Welt< der Konsole in Celje audi in ihrer ausgestreckten rechten Hand ehemals einen Kelch gehalten, denn die Konsole 7 zeigt ganz deutlich einen Mönch, der sich mit eingelegter Fahne in die Richtung 154

Vgl. J . Wist, Über die Stadtpfarrkirche in Cilli (Restaurierungsarbeiten). In: Mitt. d. k.u.k. Centraikommission f. Erforschg. u. Erhaltg. der Kunst- u. histor. Denkmale. N . F . 27, Wien 1901. S. 1 2 - 1 4 , hier S. 14. 155 Vgl. d a z u Wolfgang Stammler, Frau Welt. Eine mittelalterliche Allegorie. Freiburg (Schweiz 1959) ( = Freiburger Universitätsreden N . F . 23) S. 6 1 - 6 4 mit weiteren Belegen sowie Lexikon der diristl. Ikonographie. Bd. 4, Rom, Basel, Wien (1972) Sp. 469-98. 158

157

So sind etwa die einzelnen Körperteile in der Darstellung im Clm 8201 (fol 95 r ) folgendermaßen bezeichnet: Pfauenfederkrone - superbia; Halsausschnitt - luxuria; zwei Hunde vor der Brust - ira und invidia usw. (Abb. im Lex. d. christl. Ikonographie Bd. 3 ( 1 9 7 1 ) Sp. 26. Weitere Abbildungen bei Stammler, a.a.O. Tf. 17 und 18 (hier sind die Bezeichnungen der einzelnen Teile deutsch). Cod. Guelf. 35a Heimst, fol ι Γ , Mitte 14. Jh. (vgl. o. S . 4 3 ) . Der Kampf zwischen religio und figura mundi steht hier in der Mitte einer mit lat. Text und Begleitversen versehenen Folge von Physiologusbildern (je vier auf fol i r und i T ), die jedoch keine weitere Verbindung mit den Physiologi von Melk oder Celje hat.

108

der Konsole 8 gewandt hat. Diese beiden Konsolfiguren stellen also den Kampf zwischen religio und figura mundi dar, und diese Darstellung ist zumindest durch eine Steinplatte mit deutschem Text erklärt worden. Es liegt deshalb nahe, nun auch für die übrigen Konsolen beigegebene Steintafeln anzunehmen. Es ist nämlich auffällig, daß gerade die Konsolen, unter denen kein Platz für Tafeln war (Nrn. 2 0 , 1 9 , 1 8 , ι, 2, 3), in doppelter Ausführung, symmetrisch, im Vg-Schluß der Kapelle verteilt erscheinen und sie audi neben ihrer Schmuckfunktion keine weitergehende Aussage beinhalten. Alle anderen Konsolen (soweit sie erhalten sind) sind Einzelstücke und stehen für einen größeren erzählbaren Zusammenhang. Nun sind ganz gewiß Symbolfiguren wie Pelikan oder Löwe auch ohne beigegebene Erklärung den mittelalterlichen Menschen in ihrer significatio geläufig gewesen. Wenn man aber schon den Aufwand nicht scheute, den Konsolfiguren erklärende Texte beizugeben, dann doch wohl einheitlich für den ganzen Raum mit Ausnahme des dafür ungeeigneten ®/8-Schlusses, dessen Konsolen wohl deswegen auch nicht so aussagekräftig gestaltet wurden. Die Ubereinstimmung der beiden Physiologus-Tafeln mit der Melker Fassung könnte ein einheitliches Programm erwarten lassen; zudem würden die 20 Textkapitel den wohl ehemals 20 Konsolen der Kapelle entsprechen. Aber sowohl die Uneinheitlichkeit der noch erhaltenen Texte - Prosa für die Tierkonsolen 4, 5 ; Verse für den Evangelisten Johannes - , wie auch die Folge der Figuren machen es schwierig, ein >Programm< zu erkennen. Am ehesten lassen sich die gegenüberliegenden Konsolen 4 und 17 einander zuordnen: aufopfernde Liebe beim Pelikan - neglegentia gegenüber dem Nachwuchs beim Strauß; dazu vielleicht noch die Sirene, welche die Verführung durch irdische Genüsse bezeichnet, und Onocentaurus; er bezeichnet diejenigen, die sich nicht ganz zum Glauben bekennen. Diese beiden Figuren (13/14) könnten in Beziehung stehen zum Kampf von religio und figura mundi auf den gegenüberliegenden Konsolen (7/8). In seinem Bericht über die Restaurationsarbeiten in der Kirche äußert sich I V A N S T O P A R auch zur Entstehung der Marienkapelle und setzt ihren Bau vor 1 4 1 3 an; die Steintafeln gehören also wie die Konsolen zur ursprünglichen Einrichtung der Kapelle. Um diese Zeit etwa ist auch der Melker Physiologus abgeschrieben worden. Ob die Texte in Cilli der Melker Hs. direkt entnommen sind, ist nicht entscheidbar. Bei dem großen Verlust mittelalterlicher Texte auch des 15. Jhs. ist die Verbindung beider Physiologi nicht allzu eng zu sehen. Bei den weit 109

nach Bayern hineinreichenden Besitzungen der Grafen von Cilli einerseits und der Fluktuation der Bauhütten andererseits spielt die Entfernung zwischen der wahrscheinlich im westlichen Bayern entstandenen Melker Hs. und den Steintafeln in Celje kaum eine Rolle. Über die Vorlage der Texte von Celje sind nur Vermutungen möglich. Eine einheitliche und selbständige Textvorlage zu allen Konsolen hat es (abgesehen vom Konzept des Steinmetzen) sicherlich nicht gegeben: der Wechsel von Versfassung (Text zum Evangelisten Johannes) und Prosa spricht dagegen wie auch die Tatsache, daß hier kein reiner PhysiologusZyklus vorliegt. Am ehesten wäre noch zu vermuten, daß zu einer Reihe von fertigen oder wenigstens projektierten Skulpturen ad hoc ein Text gesucht wurde, der dann mehreren verschiedenen Vorlagen entnommen wurde. Es zeigt sich aber anhand der Bild-Text-Kombination des Physiologus von Celje, daß die oben geäußerte Ansicht, der Melker Physiologus gehe auf ein Bildprogramm zurück, durchaus zu halten ist und so die Abweichungen des Melker Physiologus von der sonstigen Tradition mit einiger Wahrscheinlichkeit erklärt werden können.

4.2.3 Die gedruckte Prosaübersetzung des Physiologus Theobaldi Eine Übersetzung des Physiologus Theobaldi in deutsche Prosa liegt in einem nur fragmentarisch erhaltenen, mit Holzschnitten illustrierten Druck aus der Offizin Anton Sorgs in Augsburg vor. 158 Er stammt aus den 80er Jahren des 15 Jhs. 159 und ist in zwei einander stellenweise er158 Veröffentlicht von Dietrich Schmidtke, Physiologus Theobaldi deutsch. In: P B B ( W ) 89 ( 1 9 6 7 ) S. 2 7 0 - 3 0 1 . Z u den illustrierten Drucken Sorgs vgl. Albert Schramm, D e r Bilderschmuck der Frühdrucke, Bd. 4, Leipzig 1 9 2 1 , S. j o f f . 159 D ¡ e Datierung Schmidtkes »zwischen 1 4 8 2 - 1 4 8 4 « (S. 2 7 3 ) erscheint mir zu gewagt. E r zitiert dazu die briefliche Äußerung zweier >Inkunabulisten< der Berliner Staatsbibliothek, die aber lediglich besagt, daß die Druckmaterialien des Physiologusdruckes in anderen Drucken der gleichen O f f i z i n »in den Jahren 1 4 8 2 - 1 4 8 4 verwendet« wurden. Dieses Ergebnis kann nur einen ungefähren A n haltspunkt geben, keineswegs aber eine sichere Datierung innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren stützen. Die Datierung zwischen 1 4 8 2 und 1 4 8 4 ist zudem unwahrscheinlich, wenn man das als Einblattdruck aus dieser Zeit erhaltene umfangreiche Buchangebot Sorgs berücksichtigt ( A d o l f Schmidt, Bücheranzeige von A n t o n Sorg in Augsburg 1 4 8 3 - 1 4 8 4 . I n : Gutenberg Jahrbuch 5 ( 1 9 3 0 ) S . 1 1 9 1 2 5 ) . Schmidt kann dieses Verzeichnis als zwischen Dezember 1 4 8 3 und A n f a n g 1 4 8 4 entstanden datieren. D e r Physiologus w i r d hier jedoch nicht genannt. H ä t t e er sidi um diese Zeit im Verlagssortiment Sorgs befunden, so wäre er gewiß hier auch aufgeführt worden.

IIO

gänzenden fragmentarischen Exemplaren erhalten.160 Ob seine Vorlage schon deutsch war oder noch ein lateinischer Text, ist nicht entscheidbar.1®1 Gegenüber der >Normalform< des Physiologus Theobaldi zeigt der Drude einige Abweichungen: die übliche Zahl von zwölf Kapiteln wird zwar beibehalten, dodi fehlt der Abschnitt >TurteltaubeSo soll der Mensch auch vorher, in seinem irdischen Leben ( = hy), seine Pflichten erfüllen, damit ihm Gott später seine Gnade zuwende.'

121

D z er dort v i n g e w i g lebenn. Sol w i r auch v o n der amaisßen leren, D z w i r uns zu got dem almechtigen keren M i t vasten, a l m u ß geben v n d ander w o l t a t t , D z er vns a m iungstenn geridit genyesßen lat.

15

20 22 ( V Fuchs) fol 32ov

A l s d y a m a i ß alle k o r n n gemain A u f f lißt ein kornn allein, Soll w i r uns nach dem neuen gesecz halten V n n d nicht nach dem altenn. D y natur d y a m a i ß an ir helt D z si d y kornichen v o n e i n a n d e r speit, V f f d z sy nicht in der feuchtenn erden K ü n n e n wachsßen oder f a u l w e r d e n n . D z geteilt k o r n n v n n ß weißt, D z ein gesacz z w e n w e g beschleußt Z u gott v n n d der w e r l t e art M i t welchen leib u n d sei w i r t b e w a r t .

D e r fuchs hat an y m dißenn list: S o er ser hungrig ist, D a s er mug sein speiß erkeregen, T h ü t t er sich an eyn rant smiegenn, L i g t ob er todt w e r . D e n n fleugt d z gefugel her M e i n t a i d a sein speiß zu findenn. D y facht er b a l d t v n d thütt verschlindenn. D a r y n n w e r d e n n vns z w e n synn berürt

7 - 1 0 nach lat. IV,8. 1 1 - 1 4 nach lat. I V , 10. 12 Auff lißt muß άπό κοι/νοϋ stehen zu alle kornn gemain und ein kornn allein, etwa mit dem Sinn: >Wie die Ameise alle Körner aufliest, eines aber besonders (nämlich den Weizen), so . . .SorgeLehrerexemplar< wohl nur für den versierten Lateinkenner bestimmt waren und bei denen die beigegebene deutsche Übersetzung möglicherweise nur die Vermittlung zum illitteratus erleichtern sollte. - Die zweisprachige Hs. für den, der das Lateinische nicht voll beherrschte, zeigt sich audi im Bereich der Überlieferung der Disticha Catonis (dazu das Folgende). 187 Darauf deuten die Druckorte sowie die Wasserzeichen. Der Besuch der Universität Leipzig von Bayern aus ist, wie die Immatrikulationslisten zeigen, im i j . j h .

129

dazu, zudem entfällt die >Zeigesituation< einer Bilderhandschrift, da Illustrationen fehlen. Es wird sich beim Clm 5594 eher um ein Lehrerhandbuch handeln; darauf deutet auch die intensive lateinische Glossierung und Kommentierung und das Fehlen sonstiger deutscher Texte oder Glossen. Bei anderen Texten des Triviums ist die zweisprachige Präsentation in ähnlicher Weise zu beobachten, etwa bei den Disticha Catonis und dem oft mit diesen zusammen überlieferten Facetus. Diese Texte treten mehrfach in lateinischer Fassung mit deutscher Übersetzung auf, so etwa im Cod. Vind. 204 der 2. Hälfte des 15. Jhs.: er enthält Cato und Facetus (lateinisch und deutsdi) sowie eine lateinische Grammatik. 1 8 8 Auch der C g m 7 2 , entstanden 1477/78, enthält beide Texte, und zwar in einer Anordnung, die derjenigen der Reimpaarübersetzung des Physiologus Theobaldi ähnlich ist: auf je ein lateinisches Distichon folgt die deutsche Ubersetzung, in der Regel in zwei Reimpaare gefaßt. 189 Audi im Druck erscheinen Cato und Facetus mehrfach in lateinisch/ deutschen Ausgaben. 190 Die Verbindung des lateinischen mit dem volkssprachlichen Text scheint typisch zu sein für die Uberlieferung der Disticha Catonis.1*1 Fast sämtliche altfranzösischen Fassungen zeigen diese Symbiose. Schon die früheste Ubersetzung des 12. Jhs., die des Everard, zeigt in allen Hss. die Kombination von lateinischer Vorlage und altfranzösischer Versübersetzung. 192 Das ist auch bei einer weiteren anonymen Übersehr oft bezeugt (vgl. G e o r g E r l e r ( H r s g . ) , Die Matrikel der U n i v e r s i t ä t Leipzig. Bd. I, 1 4 0 9 - 1 5 5 9 . Leipzig 1895 [ C o d e x Diplomaticus S a x o n i a e I I , 1 6 ] ) . Z u d e m sind mir mehrere aus bayerischen Klöstern stammende Hss. bekannt, die N o t i z e n oder Mitschriften enthalten, die auf die Leipziger U n i v e r s i t ä t hinweisen. 188 V g l . : D e r deutsche Facetus. H r s g . von C a r l Schroeder. Berlin 1911 ( =

Palaestra

86). S. 34. Diese H s . t r ä g t in Schroeders N o m e n k l a t u r die Sigle W . 189 W e n n der C l m 5 5 9 4 oben mit der Bezeichnung >Lehrerhandbuch< ungefähr charakterisiert werden konnte, so ist der C g m 7 2 wohl zutreffend als L i e b h a b e r a u s gabe

zu bezeichnen:

die V e r w e n d u n g

des Pergaments,

eine schöne,

saubere

Schrift, der mit Metallknöpfen verzierte E i n b a n d im äußeren Erscheinungsbild, dazu das Fehlen sämtlichen kommentierenden

Ballastes zeigen durchaus

eine

bibliophile Tendenz. 190 Belege bei Schroeder, a . a . O . S. 3 5 f. 191 F ü r den Bereich der Fabel konnte Klaus Grubmüller feststellen, d a ß auch in einer Reihe v o n altfranzösisdien Isopet-Hss. eine Symbiose v o n lateinischer und volkssprachlicher Fassung vorliegt (Elemente einer literarischen

Gebrauchssituation.

S. 154). 192 Vgl. audi zu den folgenden Fassungen: E . Stengel ( H r s g . ) , Elie's de Wincestre, eines A n o n y m u s und E v e r a r d s Ü b e r t r a g u n g e n der Disticha Catonis. I n : Ausgaben und Abhandlungen aus dem Gebiet der romanischen Philologie 47 ( 1 8 8 6 ) S. 1 0 6 156. Z u r D a t i e r u n g und U b e r l i e f e r u n g : Ernstpeter Ruhe, Untersuchungen zu den

130

Setzung der gleichen Zeit der Fall, 193 lediglich die Übersetzung des Elie de Winchester verzichtet auf den lateinischen Text. Von den 20 Hss. der in der Mitte des 13. Jhs. entstandenen Übersetzung des Adam de Suel 194 enthalten zwar nur fünf das lateinische Original, doch die Tatsache, daß eine größere Anzahl weiterer Hss. die nachträgliche (wenn auch oft falsche) Zuordnung des lateinischen Textes zu den betreifenden altfranzösischen Strophen enthalten, zeigt, wie stark die Zweisprachigkeit als Überlieferungstyp bei diesem Werk ausgeprägt war. 1 9 5 Audi in der Ubersetzung des Jehan le Fèvre (der übrigens audi die Ekloge des Theodul übersetzt hat) aus der 2. Hälfte des 14. Jhs. enthalten die meisten Hss. und alle Drucke den vollständigen lateinischen Text. 196 Ähnlich wie bei den Disticha Catonis ist auch in der Uberlieferung des Cornutus die zweisprachige Ausgabe durchaus üblich. Dieses Werk des Pariser Universitätslehrers Johannes von Garlandia (ca. 1 1 9 5 bis ca. 1 2 7 2 ) ist in zahlreichen Hss. und mehreren Drucken verbreitet, 197 wobei sich der Schwerpunkt der Uberlieferung im deutschen Sprachgebiet befindet. Hier entstehen mehrere, von einander unabhängige Reimpaarübersetzungen. D e r Herausgeber, EDWIN HABEL, kennt 20

Hss., 198 in denen den lateinischen Hexameter-Paaren eine deutsche Übersetzung folgt, 199 oft begleitet von lateinischer Einleitung, Komaltfranzösisdien Obersetzungen der Disticha Catonis. München 1968 ( = Beiträge z. roman. Philologie des Mittelalters Bd. 2). S. 34 und 99. 193 Zur Abhängigkeit des Anonymus von Everard vgl. Ruhe, a.a.O. S. 36-38. 194

Hrsg. von J . Ulrich, Der Cato des Adam de Suel. In: Roman. Forschungen i j (1904) S. 1 0 7 - 1 4 0 ; dazu: Ruhe, a.a.O. S. i j i . 195 Das zeigt sich etwa audi in einer niederländischen Übertragung der Ubersetzung Adams, die in der Hs. O x f o r d , Bodleian Library Canon. Mise. 278 überliefert ist: der in Prosa aufgelöste Text Adams erscheint in einer zweiten Kolumne neben der niederländischen Prosa; vgl. dazu: M . B o a s , De Cato van Adam de Suel, Leiden 1935, S. 1 2 - 1 8 . Die Zweisprachigkeit scheint also so sehr mit dem T y p der Disticha Catonis verbunden zu sein, daß sie auch ohne das Latein, nur in zwei Volkssprachen, vertreten ist. Ruhe (a.a.O. S. 108) weist auch auf zwei Hss. hin, die den lateinischen Text, Everards Übersetzung und eine davon abhängige mittelenglische Übersetzung enthalten. 196 Hrsg. von J . Ulrich, Der Cato Jean Lefevre's. In: Roman. Forschungen 15 (1904) S. 7 0 - 1 0 6 . 197 Ein Hss.-Verzeichnis bringt: Edwin Habel (Hrsg.), Der deutsche Cornutus I. Der Cornutus des Johannes de Garlandia. Ein Schulbuch des 13. Jahrhunderts in den deutschen Ubersetzungen des Mittelalters. Berlin 1908. S. 8ff. 198 Ebd. S. 8 - 1 0 , wo 19 Hss. mitgeteilt werden. Eine weitere Ubersetzung ist nachgetragen von Edwin Habel, Der deutsche Cornutus II. Der Novus Cornutus des Otto von Lüneburg. Berlin 1909. S. 4 9 - 5 1 . 199 Auf den Cgm 676 (bei Habel Sigle H), der interlineare Glossierung, z. T. in deutscher Sprache, und eine deutsche Ubersetzung enthält, machte mich freundlicherweise Herr Dr. Klaus Grubmüller aufmerksam.

131

mentaren und interlinearer, zum Teil deutscher Glossierung. Z w e i dieser Hss. stammen v o m E n d e des 1 4 . Jhs., die übrigen sämtlich aus dem 1 5 . J h . N i c h t ganz so häufig ist der um 1 3 0 0 entstandene Novus nutus

des O t t o v o n L ü n e b u r g

200

Cor-

verbreitet. Immerhin w a r e n schon H A -

BEL 4 2 Hss. und mehrere Drucke bekannt. 2 0 1 D a v o n enthalten 1 0 Hss. des 1 5 . J h s . eine deutsche Ubersetzung. 2 0 2 Bei den zweisprachig überlieferten T e x t e n d e s T r i v i u m s muß schließlich auch nodi die oben schon erwähnte Reimpaarübersetzung der E k loge des T h e o d u l angeführt werden, die ich außer im C l m 5 5 9 4 bisher in vier weiteren Hss. ermitteln konnte. H i e r folgen die deutschen V e r s e den aus je 4 leoninischen H e x a m e t e r n bestehenden >Strophen< des Streitgesangs zwischen Pseustis und A l i t h i a . D i e A n o r d n u n g entspricht also derjenigen des Physiologus Theobaldi im C l m 5 5 9 4 . D i e Reimpaarübersetzung des Physiologus Theobaldi ist also im größeren Z u s a m m e n h a n g des mittelalterlichen lateinischen Schulschrifttums zu sehen, das auch in die Volkssprachen übersetzt w i r d . 2 0 3 I m deutschen

Sprachgebiet

sind zweisprachige

Ausgaben

dieser

Texte

200

Zu Otto von Lüneburg vgl. den Artikel von Hans Walther, V L Bd. 5 (1955) Sp. 832-834. 201 Der deutsche Cornutus II. A.a.O. S. 10. 202 Diese ist jedoch nur in 4 Hss. vollständig überliefert; die übrigen bringen nur einzelne Abschnitte. 203 DER umgekehrte Weg, daß ein deutscher Text ins Lateinische übersetzt wird und Aufnahme in das Schulschrifttum findet, ist mir sonst nur noch aus den Proverbia Fridanci bekannt, in denen neben anderem Material audi eine Reihe von übersetzten Freidanksprüchen enthalten sind, und es ist für die Wirkung Freidanks bezeichnend, daß diese Sammlung unter seinem Namen läuft. Die Verwendung dieser Proverbia im lateinischen Schulunterricht bezeugt Hugo Spechtshart von Reutlingen (1285 - n a d i 1359) in seiner Forma discendi: Fridangi scripta tibi non sunt pretereunda, Inventes in eis documenta placencia cunctis. (A. Diehl, Speculum grammaticae und Forma discendi des Hugo Spechtshart von Reutlingen. In: Mitteilungen der Gesellschaft f. deutsche Erziehungs- und Sdiulgeschidite 20, Berlin 1910. S. 22 Vs. 6oTres leo naturas< / Freidancus poeta metrice et in vulgari >Incepto nomine< / Maximian. (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Bd. 3,1 : Bistum Augsburg, bearb. von Paul Ruf. München 1932. S. 499,30). Die Hss. der Proverbia Fridanci verzeichnet Hans Walther, Initia carminum ac versuum medii aevi posterioris latinorum. Göttingen 1959, Nr. 3759, 9168 und 15496. Hierbei sind auch j Hss. des 15. Jhs. sowie ein Druck verzeichnet, die zu den lateinischen Versen eine deutsche Übersetzung bringen. Die auch sonst bei den Schultexten zu beobachtende zweisprachige Ausgabe, wie sie hauptsächlich im 15. Jh. erscheint, liegt hier vor. 132

hauptsächlich erst aus dem ι j . Jh. überliefert. Diese Ubersetzungen von Schulschrifttum des Triviums in die Volkssprache wird man ζ. T. in den lateinischen Sdiulbetrieb des Triviums eingliedern müssen und als Übersetzungshilfen bzw. -Übungen zu bezeichnen haben; das trifft etwa auf deutsche Glossierung von lateinischen Texten zu oder auf die o. a. Wort-für-Wort-Übersetzung des Physiologus Theobaldi der Indersdorfer Hs. (Clm 7678). Die Reimpaar-Bearbeitungen dagegen werden wohl kaum als Stilübungen in der Muttersprache aufzufassen sein; das hieße, das Deutsche mit dem Lateinischen auf die gleiche Stufe zu stellen. Eher wird man diesen Fassungen eine Vermittlerrolle zwischen dem litteratus, für den auch die lateinischen Teile der Hs. bestimmt sind, und dem Kreis der illiterati zuweisen können, etwa im Bereich der religiösen Unterweisung. Die Verbindung zur lateinischen Tradition des Physiologus besteht nicht mehr in dem nur ganz entfernt an den Physiologus erinnernden Bestiar des Pfarrers Johannes Hauser (dazu unten S. 134f.), der nur zusammen mit deutschen Verswerken ähnlicher Art im Cod. Vind. 4120 überliefert ist und der religiös-moralischen Unterweisung dient.

4.3

Exkurse

4.3.1 Eine mittelniederfränkische Übertragung des Bestiaire d'amour Vor 1218 ist der mehrfach illustrierte Prosa-Bestiaire des Pierrede Beauvais entstanden, der in einer Kurzfassung von 38 Kapiteln und einer erweiterten Fassung von 71 Kapiteln überliefert ist und der ein Exemplar der b-Is-Version zur Vorlage hatte.204 Weitgehend auf diesen Bestiaire stützt sich eine weltliche Bearbeitung, der in der Mitte des 205 13.JI1S. entstandene Bestiaire d'amour des Richard de Fournival. Hrsg. von Cahier-Martin, Mélanges d'archéologie. Bd. 2 S. 1 0 6 - 2 3 2 ; Bd. 3, S. 203288; Bd. 4, S. 5 5 - 8 7 im Paralleldruck zu verschiedenen Physiologus-Fassungen. Eine Aufstellung der bekannten Hss. gibt F. McCullodi, Bestiaries. S. 6i{.; ebd. S. 63-65 ein Verzeichnis der Kapitel der beiden Fassungen; vgl. außerdem Max L. Berkey jr., Pierre de Beauvais: An Introduction to his works. In: Romance Philology 18 (1964/65) S. 387-398 und Guy Mermier, De Pierre de Beauvais, et particulièrement de son bestiaire: vers une solution des problèmes. In: Roman. Forschungen 78 (1966) S. 3 3 8 - 3 7 1 . 205 Richard ist 1240 als Kanonikus und 1246 als Kanzler in Reims belegt. Der Text ist herausgegeben von Cesare Segre, Li Bestiaires d'Amours di Maistre Ridiart de Fornival e li Response du Bestiaire. Mailand 1957. Wohl ein wenig zu puritanisch ist die Charakterisierung des Textes durch Fr. Laudiert, Gesdiidite. S. 187: » . . . eine der abgeschmacktesten Ausgeburten einer innerlich verlogenen rein conventioneilen Liebespoesie.«

204

133

Hier will ein Ritter durch entsprechende Auslegung der Tiergeschichten der Dame beweisen, daß sie ihn erhören müsse, worauf diese ihn abweist, indem sie die Auslegung in die entgegengesetzte Richtung lenkt.20" Dieses Werk, in zahlreichen, oft kostbar illustrierten Hss.207 und einem Druck in mehreren Fassungen verbreitet, hat audi eine mittelniederfränkische Ubersetzung erfahren.208 Sie ist in einer einzigen Hs. vom Ende des 13. Jhs. erhalten, die außerdem noch das Moralium dogma philosophorum, das gewöhnlich Wilhelm von Conches zugeschrieben wurde, sowie eine Sentenzensammlung enthält, und zwar gleichfalls in mittelniederfränkischer Übersetzung.209 »Der gesamte inhalt der hs. ist somit in seiner art bezeichnend für ein nach dem herrschenden französischen geschmack orientiertes literarisches interesse.«210 Zu einer selbständigen >Minnekontrafaktur< des Physiologus ist es im Bereich der deutschen Sprache im Gegensatz zu Frankreich und Italien nicht gekommen, obwohl Liebeslyrik wie audi die Minnereden immer wieder Tiergeschichten in der Art des Physiologus, mit säkularisierten Auslegungen versehen, enthalten.211 So ist auch die Ubersetzung des Bestiaire d'amour eine isolierte Erscheinung, und es ist bezeichnend, daß sie im Einflußbereich der französischen Kultur entstanden ist, jedoch darüber hinaus keine weitere Wirkung in Deutschland gehabt hat.

4.3.2 Ein »Moralischer Physiologus«? hat 1964 ein kleines Gedicht von fast 30 Reimpaaren unter dem Titel: >Ein »Moralischer Physiologus« in Reimen< herausgegeben.212 Es handelt sich um 13 Abschnitte von 4, einmal 6 Versen, in denen teils Tiere aus dem Physiologus, teils Haustiere 213 mit

WOLFGANG STAMMLER

Dieser zweite Teil ist in nur wenigen Hss. überliefert, so daß unsicher ist, ob er von Richard selbst stammt. 207 Nachbildungen eines Illustrationszyklus gibt C. Hippeau in seiner Ausgabe des Bestiaire d'amour, Paris i860. 2 0 8 Eine mittelniederfränkische Übertragung des Bestiaire d'amour. Sprachlich untersucht und mit altfranzösischem Paralleltext herausgegeben von John Holmberg, Uppsala 1925 ( = Uppsala Universitets Ârsskrift. 192$ Bd. ι). 209 D i e fjs. beschreibt Holmberg, a.a.O., S. 3 - 1 1 . " 0 Ebd. S. 2. 2 1 1 Vgl. dazu Ingeborg Glier, Artes amandi. Untersuchungen zu Geschichte, Uberlieferung und Typologie der deutschen Minnereden. München 1971 (MTU Bd. 34). S. 5 4 f . 2 1 2 In: Festschrift für Josef Quint. Bonn 1964. S. 2 3 1 - 2 3 5 . 2 1 3 Ich gebe die in der Hs. enthaltenen Uberschriften: Leo, Aynhorn, Hyersch, Pan208

ther, Elich, Helfant,

134

Roß, Maul, Esel, Ochß, Puffel, Cameltyer,

Wol0,

Saw.

ihrer natura und einer derben moralischen Auslegung vorgestellt werden. Als Beispiel gebe idi den Abschnitt vom Maultier wieder (S. 232): D a z maul ist grob, hart z w wenden, W a n n man es p r a u d n an allen enden, A l s aygner syn an f r a w n v n d man, D y man hart da von wenden kan.

Dieses kleine Werk sollte nicht mehr als Physiologus, sondern besser als Bestiar bezeichnet werden. Die Tatsache, daß Tiergeschichten ausgelegt werden, rechtfertigt nodi nicht die Bezeichnung >PhysiologusPhysiologus< beachtet werden. 214 Wo die Kapitel durch Aufnahme von größeren Zusätzen (etwa in der b-Is-Fassung) verändert werden oder w o die Zahl der Kapitel durch weitere Tiere, die nicht zum ursprünglichen Bestand gehören, vermehrt werden (wie etwa in der Kompilation De bestiis et aliis rebus), ist die Bezeichnung >Bestiarium< angebracht. Beziehungen zum Physiologus bestehen in diesem Bestiar nicht, wenn man von der Auslegungstechnik absieht. Die Anspielung auf die castitas im Einhorn-Abschnitt (S. 2 3 1 ) D a z aingehurn d y natur hat, A l l e r r a y n i k a y t es nach gat.

entstammt nicht der Physiologus-Tradition, sondern der Exegese. STAMMLER sieht einen »leisen Nachhall« des Physiologus auch im Abschnitt vom Löwen, »dessen drei Naturen hier, ob gleich in gänzlich anderem Bezug, auftreten« (S. 233). Der Text lautet: Des leben natur f u r pridit In zoren, sterk v n d gesidit.

(S. 2 3 1 )

Ich kann STAMMLER in diesem Punkte nicht zustimmen. Die Anfangsstellung des Löwenkapitels ist auch sonst üblich, und zwar außerhalb des Physiologus. 215 Auch sind die o. a. Eigenschaften aus der 214

215

Das trifft für die lateinischen Fassungen y, c, b, Dicta und mit geringer Einschränkung audi für den Physiologus Theobaldi und den Melker Physiologus durchaus zu. So etwa bei Isidor, Etym. 12,2,3; außerdem in den Bestiarien, vgl. die Inhaltsverzeichnisse bei McCulloch, Bestiaries. S. 37, 53, 56, 61, 63.

135

Enzyklopädik, nicht aber aus dem Physiologus bekannt. Ein Anklang an dieses Werk könnte bestenfalls im Titel zu sehen sein: De naturis animalium mit dem auf die rein moralische Ausrichtung dieses Bestiars hindeutenden Zusatz: quoad abdicandum propriam voluntatem (S.231). Überliefert ist der Text im Cod. Vind. 4120 aus der 2. Hälfte des ij.Jhs. 2 1 6 Die Hs. wurde geschrieben von dem zum Benediktinerkloster Mondsee/Oberösterreich gehörenden Pfarrer Johannes Hauser;217 sie enthält ausschließlich moraldidaktische oder erbauliche Versdichtungen, die Hauser möglicherweise zum großen Teil selbst verfaßt hat. Zusammen mit den anderen Reimstücken wird auch das Bestiar seinem Verfasser bei der Unterweisung seiner Pfarrgemeinde gedient haben; darauf deutet auch die große Zahl der Haustiere, die hier ausgelegt werden. Daß diese Unterweisung durchaus derb gestaltet sein konnte, zeigen die Auslegungen mehrfach.218

4.4 Ergebnisse Der Physiologus ist im Mittelalter in lateinischer Sprache in einer Vielzahl von Formen ausgebildet und kontinuierlich überliefert worden. Dazu gehören sowohl mehrere Prosafassungen, von denen die einflußreiche Versio b und die Dicta Chrysostomi bald die nur vom 8. bis zum 10. Jh. überlieferten Fassungen y und c überflügeln. Es gehören weiter dazu eine Reihe von Versbearbeitungen. Die am weitesten verbreitete Fassung, der Physiologus Theobaldi, schon in der ältesten Hs. zusammen mit Schulschrifttum des Mittelalters überliefert und auch wohl im Bereich der Schule entstanden, steht neben einer Reihe von weniger weit verbreiteten und bisher unbeachtet gebliebenen Versfassungen, die seit dem 12. Jh. überliefert sind. 216

Beschrieben ist die Hs. v o n Hermann Menhardt, Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der österreichischen Nationalbibliothek. B d . 2. S. 1005.

217

Z u Hauser vgl. den Artikel Hermann Menhardts in: V L . Bd. 2 ( 1 9 3 6 ) Sp. Ζ 2 γ ί . und (Hinweis durch D r . D . Schmidtke, Berlin) H . Herzmann, Johannes Hauser. E i n Mondseer Klosterschreiber an der Wende vom i j . zum 16. J h . Diss, (masch.) Salzburg 1 9 7 2 .

218 V g l . etwa das letzte Kapitel, das der Sau gewidmet ist (S. 2 3 3 ) :

Der Saw uerlichkayt: In daz kot sy sich legt vor faulkayt. Also thut der mensch alle zeyt, Der da stark pey der fülle leydt. 136

Deutsche Physiologus-Texte sind aus dem i i . / i 2 . J h . erhalten, und zwar zweimal vollständig und zweimal fragmentarisch überliefert. Sie gehören zwei verschiedenen Übersetzungen der Dicta Chrysostomi an. Erschlossen werden können als verlorene Vorlagen noch vier weitere Physiologus-Hss., so daß die Verbreitung der deutschen Übersetzungen dieser Zeit nicht so dürftig gewesen ist, wie es zunächst den Anschein hat. 219 Mit dem Ende des i2.Jhs. bricht die deutsche PhysiologusTradition ab. Sie wird erst wieder im 15. Jh. aufgenommen, wobei zu bemerken ist, daß die jetzt entstehenden Übersetzungen keinerlei Verbindungen zu denen des n . / i 2 . J h s . haben. Am Anfang des i j . J h s . wird die Prosafassung des Melker Physiologus abgeschrieben, die wohl nach einer Bildvorlage entstanden ist. Bruchstücke dieser Fassung finden sich zur gleichen Zeit in Celje/Nordjugoslawien, wo sie zur Erläuterung figürlich gestalteter Konsolen gedient haben. Die beliebteste Physiologus-Version des späten Mittelalters, der Physiologus Theobaldi, ist am Ende des 15. Jhs. mehrfach übersetzt worden. Eine Augsburger Druckfassung setzt ihn in Prosa um und schmückt ihn mit Holzschnitten aus: ein Erbauungsbuch im Bereich der religiösen Laienkultur. Wie andere lateinische Verstexte der Schullektüre wird auch der Physiologus Theobaldi am Ende des 15. Jhs. übersetzt und ist uns in einer stümperhaft nachbuchstabierenden Fassung in einer ehemals Indersdorfer Hs. sowie in einer mitteldeutschen Reimpaar-Übersetzung erhalten. Anders als in der Romania, wo zum volkssprachlichen Physiologus die weltliche Kontrafaktur tritt, der Bestiaire d'amour, weist die deutsche Literatur des Mittelalters seit dem 13. Jh. zwar eine keineswegs seltene profane Verwendung von Tiergeschichten, wie sie der Physiologus enthält, auf; sie entwickelt dafür aber keine eigenständige Form. Die mittelniederfränkische Übersetzung des altfranzösischen Bestiaire d'amour steht zu deutlich im direkten Abhängigkeitsbereich der französischen Kultur, als daß sie Ansatz für eine weitere Wirkung in Deutschland geworden wäre. Auffallend ist, daß die deutschen Physiologus-Fassungen nicht weniger 219

Sicher nachweisbar sind: a) die Vorlage für das Fragment im Cod. Vind. 223, die mit Sicherheit vollständiger gewesen ist als der noch erhaltene Text; b) die schon gereimte Vorlage für das im CIm 1 7 1 9 J überlieferte Fragment; c) die gemeinsame Vorlage der Physiologi W und M ; d) ein vierter, nicht erhaltener Textzeuge ist anzusetzen, wenn man den Schreiber des Physiologus M vom Bearbeiter dieser Fassung trennt. Zwisdien ! i WM und M steht dann nodi eine unmittelbare, schon gereimte Vorlage *M.

137

als sechsmal unabhängig voneinander entstanden sind, und weiter, daß sie mehrfach nur als Füllsel für leere Seiten oder Zeilen abgeschrieben wurden. Zur Wirkungsgeschichte des Physiologus im Mittelalter haben die deutschen Ubersetzungen gewiß kaum beigetragen. Mit dem 15. Jahrhundert endet die deutsche Physiologus-Uberlieferung, bald danach audi die lateinische, die sich im Physiologus Theobaldi am längsten behaupten konnte. Die Tradierung der PhysiologusGeschichten jedoch reicht bis weit ins 18. J h . hinein; allegorische Wörterbücher 220 und Werke enzyklopädischen Charakters 2 2 1 geben, lange nachdem der Physiologus untergegangen ist, diese Geschichten nodi weiter.

220 A l s Beispiel sei nur genannt: Hieronymus Lauretus, S i l v a Allegoriarum. N a c h drudk der 10. Ausgabe K ö l n 1 6 8 1 , Einleitung von Friedridi O h l y . München 1 9 7 1 . 221 V g l . unten S. 1 6 0 A . 4 1 .

138

5· D E R P H Y S I O L O G U S - D A S DES

ZOOLOGIEBUCH

MITTELALTERS?

In der Bibliothek des Nürnberger Arztes und Humanisten Hartmann Schedel (1440-1J14) befand sich auch ein Physiologus Theobaldi. Der Katalog dieser Bibliothek ist uns erhalten 1 und vermittelt einen Einblick in die Systematik des Bestandes: den Sachgruppen für die Fächer des Triviums (Libri grammaticales, de loica, de rhetorica) folgen solche des Quadriviums (de astronomia, astrologia, mathematica in einer Gruppe, dann philosophische Schriften). Unter der Überschrift: In naturali befinden sich dann ausschließlich naturwissenschaftliche Schriften: Physic a und De generat ione animalium des Aristoteles mit den Kommentaren des Averroes und kurz darauf: Libri excerpti parvorum naturalium cum commento. Physiologus Theobaldi de naturis X I I animalium. Propleumata etc. Libri phisicorum A r i stotelis [ . . . ] D e proprietatibus rerum [ 2 . . . ] Theophrasti libri decern de historiis plantarum et libri sex de causis plantarum. Egidius Romanus [ 3 ] de formacione corporis humani [ . . . ] . 4

Der Physiologus steht hier also unter rein naturwissenschaftlichen Fachschriften, während er in den Abteilungen des Triviums nicht erscheint. F. A. SPECHT hat vermutet, daß der Physiologus innerhalb des naturgeschichtlichen Unterrichts verwendet wurde, der im Bereich der Geometrie des Quadriviums, die zum größten Teil aus Geographie bestand, erteilt wurde. 5 Audi in der späteren Forschung ist oft der Physiologus als »mittelalterliche[s] Lehrbuch der Zoologie«, 6 »zooloMittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz. Bd. 3,1: Bistum Augsburg, bearb. von Paul Ruf. München 1932. S. 807ÍÍ. 2 Wohl die Enzyklopädie des Bartholomäus Anglicus. 3 Sollte damit nicht vielmehr Aegidius von Corbeil (f ca. 1224), der Leibarzt des französischen Königs Philipp-August II. gemeint sein? 4 Mittelalterliche Bibliothekskataloge. A.a.O. Bd. 3,1 S. 810, 5ff. 6 F . A . S p e c h t , Geschichte des Unterrichtswesens in Deutschland. Stuttgart 188$. S. 148, von Gustav Ehrismann, Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters. Bd. 2,1, München 1922. S. 226 wieder aufgenommen. • Ehrismann, ebd. S. 224. 1

139

gisches Lehrbuch«, 7 »christliches Zoologiebuch«, 8

»mittelalterliche[s]

Handbuch der Zoologie«,® »naturwissenschaftliche^] Buch« 1 0 bezeichnet worden. H a t der Physiologus mit seinen Wundergeschichten aber tatsächlich die Glaubwürdigkeit eines zoologischen Lehrbuchs besessen? Wurde er als ein solches betrachtet, oder welche anderen Erwartungen stellte man an dieses Buch? Augustin stellt in De doctrina

Christiana die audi für das Mittelalter

verbindliche Forderung auf, der Exeget biblischer Schriften müsse gewisse Naturkenntnisse besitzen, um die heiligen T e x t e angemessen auslegen zu können: 1 1 Rerum autem ignorantia facit obscuras figuratas locutiones, cum ignoramus vel animantium vel lapidum vel herbarum naturas aliarumve rerum, quae plerumque in scripturis similitudinis alicuius gratia ponuntur [als Beispiel führt Augustin hier die Schlange an, die ihren Kopf beschütze oder ihre alte Haut abstreife]. Vt ergo notitia naturae serpentis inlustrat multas similitudines, quas de hoc animante scriptura dare consuevit, sie ignorantia nonnullorum animalium, quae non minus per similitudines commémorât, impedit plurimum intellectorem. H i e r steht die N a t u r k u n d e ausschließlich im Dienste der Theologie. Augustin gesteht der Naturwissenschaft wohl ein eigenes, rein naturwissenschaftliches Erkenntnisinteresse zu, dodi sieht er das nicht als relevant an für die Deutung der Schrift, bei der es auf die

similitudo

ankommt. In seinen exegetischen Schriften hat er mehrfadi zu diesem Problem Stellung genommen. In der Auslegung zu Ps. ι ο ί (Similis tus sum pellicano

solitudinis)

fac-

schreibt er zum Beispiel:

Quod enim dicitur vel etiam legitur de hac ave, id est pelicano, non taceamus; non aliquid affirmantes temere, sed tarnen non tacentes quod, qui scripserunt, et legi et dici voluerunt. Vos sic audite, ut si verum est congruat; si falsum est non teneat. Dicuntur hae aves tamquam colaphis rostrorum occidere párvulos suos, eosdem in nido occisos a se lugere per triduum; postremo dicunt matrem se ipsam graviter vulnerare et sanguinerà suum super filios fundere, quo illi superfusi reviviscunt. Fortasse 7

A . K r a c h e r , E i n f ü h r u n g z u r Faksimileausgabe der Millstätter Sammelhandsdirift. G r a z 1 9 6 7 . S. 16.

8

H . de B o o r ,

Die

cluniazensisch-frühmittelhodideutsche

Literatur.

der deutschen L i t e r a t u r . H r s g . v o n H . O . B u r g e r . S t u t t g a r t 9

s

In:

Annalen

I$JJ.S.JI.

H e i n z R u p p , D i e L i t e r a t u r bis z u m B e g i n n der höfischen D i c h t u n g

(500-1170).

I n : Deutsche Literaturgeschichte in G r u n d z ü g e n . H r s g . v o n B r u n o Boesch. Bern/ München 8 ( 1 9 6 7 ) . S . j i . 10

W o l f g a n g S t a m m l e r , E i n »Moralischer P h y s i o l o g u s « , in R e i m e n . I n : Festschrift

11

Hrsg. von Josef Martin. C C S L 32, Turnholti 1962. 2, 16, 24.

f ü r J o s e f Quint. B o n n 1 9 6 4 . S . 2 3 1 - 2 3 5 , hier S . 2 3 3 .

140

hoc verum, fortasse hoc falsum sit; tamen si verum est, quemadmodum illi congruat, qui nos vivificat sanguine suo, videte. Congruit illi quod matris caro vivificat sanguine suo filios suos: satis congruit. 1 2

Ausschlaggebend ist hier für Augustin nidit so sehr die naturwissenschaftliche Wahrheit - sie mag gegeben sein in der Pelikangeschichte oder auch nicht - wichtig ist, ob sie eine Entsprechung zum Heilsgeschehen besitzt: [videte,] quaemadmodum illi congruat, qui nos vivificat sanguine suo. Diese Entsprechung sieht Augustin als gegeben an: satis congruit. Damit ist die Frage nach der naturwissenschaftlichen Wahrheit für ihn bedeutungslos geworden, denn die similitudo zum Heilsgeschehen ist gegeben. - In der Auslegung von Ps. 102,5 (Renovabitur ut aquilae iuventus tua) verdeutlicht Augustin, welchen Zweck die Geschichte von der Verjüngung des Adlers, wie sie auch im Physiologus berichtet wird, erfüllen soll: [ . . . ] quod tamen dici de aquila solet, non tacemus, quia non est ab re hoc intellegere. Illud tantummodo insinuatum sit cordibus nostris, non sine causa dictum esse a spiritu sancto: Renovabitur sicut aquilae iuventus tua. Resurrectionem enim quamdam significavit nobis. E t quidem renov a t u r et iuventus aquilae, sed non ad immortalitatem. D a t a est enim similitudo, quantum de re mortali potuit trahi ad rem utcumque significandam immortalem, non ad demonstrandam [ . . . ] non ad immortalitatem aquila reparatur, nos autem ad vitam aeternam. 1 3

Das Geschehen in der Natur soll nicht das geistliche Geschehen beweisen, denn dann müßte es absolut wahr sein,14 sondern es »bezeichnen«. Gegenübergestellt wird hier demonstrare und significare, significare ist die Funktion der Naturgeschichte innerhalb der similitudo, in deren Bereich audi das Auslegungssystem des Physiologus gehört, während demonstrare mehr in den Bereich der Beweisführung, des argumentum, gehört; demonstrandam und significandam sind deutlich als Gegensätze formuliert. Dadurch wird aber der naturgeschichtliche Eigenwert der Fabula bedeutungslos, sie ist einzig danach zu beurteilen, ob sie ein signifikantes Geschehen besitzt. Die abschließende Bemerkung Augustins zeigt auch, wie er über den Wahrheitsgehalt der Adlergeschichte denkt: non ad immortalitatem aquila reparatur, nos 12

13 14

Enarrationes in Psalmos. Bd. III, C C S L 40, Turnholti 1956. In Ps. CI, 7 - 8 , sermo 1,8. Ebd., in Ps. C H , 5. cap. 9. Wäre die Adlergesdiidite wahr, dann wäre ein Beweis aufgrund der Analogie gegeben. Vgl. dazu Isidor, Etym. 1, 28,1: Cuius [sc. analogiae] vis est ut, quod dubium est, ad aliquid simile, quod non est dubium, referatur, et incerta certis probentur.

141

autem ad vitam aeternam [sc. reparamur] : die Geschichte ist zwar nicht wahr, der Adler wird nicht tatsächlich zur Unsterblichkeit wiederhergestellt, wir aber erlangen das ewige Leben, und das wird durch die Adlergeschichte »bezeichnet«. Zur Frage der Wahrheit der Geschichten in der Art des Physiologus nimmt auch Ambrosius Stellung: er kommt bei seiner Auslegung des Lukasevangeliums auch auf die Geschichte von den Sirenen zu sprechen und sagt zu Beginn: [ . . . ] figmentis enim poeticis fabula coloratur, ut quaedam puellae scopuloso in litore maris habitasse prodantur [ . . . ] . conpositum hoc specie et ambitiosa conparatione fucatum est.15

Nach diesem Hinweis auf die Lügenhaftigkeit der Geschichte legt Ambrosius die Sirenen aus auf die Reize der weltlichen Gelüste, die Klippen, an denen sie hausen, sind die Gefahren der Welt für das Schiff des Lebens, für das Seelenheil: die Kraft des Geistes zerschellt an den Klippen des Fleisches. Daß Wundergeschichten dieser Art nur eine Vehikel-Funktion innerhalb ihrer Anwendung als Teil der similitudo haben, wird vom Physiologus selbst bestätigt. Das Charadrius-Kapitel enthält einen Zusatz über die Auslegung in bonam et malam partem: Sed forsitan dicis quia caladrius immundus est secundum legem: certum est; sed et serpens immundus est, et Iohannes testatur de eo dicens quoniam: Sicut Moyses exaltauit serpentem in deserto, sic exaltari oportet filium hominis; et alibi prüdentior dictus est omnium bestiarum. Similiter et leo et aquila immunda sunt, sed ille ferarum rex est et ille uolatilium; secundum ergo regnum Christo assimilata sunt, secundum rapacitatem uero diabolo. Et alia multa sunt in creaturis habentia duplicem intellectum; alia quidem sunt laudabilia, alia uero uituperabilia; et differentia, siue morum, siue naturae distantia. 16

Auch hier zeigt es sich, daß bei der Verwendung der Tiergeschichten innerhalb einer similitudo es einzig auf die Übereinstimmung einer Eigenschaft (hier: regnum bei Löwe und Adler) oder eines Vorgangs mit dem »eigentlichen Gedanken« ankommt: secundum ergo regnum Christo assimilata sunt. Nur so ist es möglich, daß selbst von der 15

Expositio in Lucam I V , 3 . C S E L 3 2 , 4 , S. i 4 o f .

16

Seit der ersten griechischen Redaktion gehört dieser E x k u r s zum Physiologusbestand. A m ausführlichsten ist er in der Versio b enthalten, danach das Z i t a t ( C a r m o d y , Versio b. cap. J , i 8 f f . , S. 16). A u d i Augustin beschäftigt sich mit dieser Frage (De doctrina Christiana. I I I , 2 5 , 3 6 ^ Hrsg. von Josef Martin. C C S L 3 2 , Turnholti 1 9 6 2 ) .

142

Bibel als unrein bezeichnete Tiere innerhalb der Auslegung zu Christus, zum Heilsgeschehen in bezug gesetzt werden können oder in einer ihrer Eigenschaften ein significans für Christus, in einer anderen für den Teufel darstellen. Es ist der spätantiken und mittelalterlichen Auslegung bei der Verwendung der Tiergeschichten nur auf das Bezugsverhältnis innerhalb der similitudo angekommen. Die Frage, ob ein Tier rein oder unrein war, zu welchen Auslegungen es sonst noch diente oder besonders, ob die Tiergeschichte überhaupt der Wahrheit entsprach, war demgegenüber bedeutungslos.17 Das gesamte Mittelalter hat tatsächlich eine Reihe von PhysiologusGeschichten nicht für wahr gehalten und nicht als naturwissenschaftlich gültige Aussage anerkannt. So sagt Isidor in seinen Etymologiae zu der Physiologus-Geschichte vom Wiesel: Falso opinantur,qui dicunt mustelatn ore concipere, aure e ff andere partum (12,3,3); bei der Geschichte von der Auferweckung der Pelikanjungen heißt es: Fertur, si verum sit, earn [sc. die Pelikanmutter] occidere natos suos, eosque per triduum lugere, deinde se ipsam vulnerare et aspersione sui sanguinis vivificare filios. (12,7,26). Isidor nimmt diese Geschichten auf, um die Universalität seines Werkes zu wahren und, weil sie ihm als christlichem 17

Dieser letzte Gesichtspunkt gilt aber keineswegs nur für die Tiergeschichten, wie ein Beispiel aus dem Bereich der höfischen deutschen Literatur zeigt: Thomasin von Zirclaria behandelt in seinem >Wälschen Gast< in einem Abschnitt über die Bildung der Jugend auch Gestalten, die als Vorbilder geeignet sind. Sie stammen aus dem Bereich der Epik. Zum Wahrheitsgehalt der epischen Stoffe äußert sich Thomas kritisch: A die aventiure sint gekleit dicke mit lüge harte schöne : diu lüge ist ir gezierde kröne, ich schilt die aventiure niht, swie uns ze liegen geschiht von der aventiure rät, wan sie bezeichenunge hat der zuht unde der wârheit: daz war man mit lüge kleit. [Der Wälsche Gast des Thomasin von Zirclaria, hrsg. von Heinr. Rückert, Quedlinburg-Leipzig i 8 j 2 ( = Neudruck Berlin 1965) Vs. 1 1 1 8 - 1 1 2 6 ; vgl. noch ebd. Vs. 1 1 3 1 - 1 1 3 7 . ] Wird man den literarischen Standpunkt, den Thomasin im größeren Zusammenhang dieser Stelle bezieht, auch nicht als allgemein verbindlich f ü r die Rezeption der höfischen Epik ansehen dürfen, so wird hier doch deutlich, daß für den Didaktiker der Wert eines solchen aventiure-Textes in erster Linie in der Signifikanz des Geschehens liegt, in der bezeichenunge; der Wahrheitsgehalt tritt demgegenüber an Bedeutung zurück. - Die oben zitierte Stelle ordnet sich ein in die im gesamten Mittelalter geführte Diskussion um die Lügenhaftigkeit weltlicher Literatur gegenüber der Wahrheit geistlicher Texte. Vgl. dazu: Xenja von Ertzdorff, Die Wahrheit der höfischen Romane des Mittelalters. In: Z f d P h 86 (1967) S. 375-389. 143

Schriftsteller bekannt sind und überlieferungswert erscheinen. Vom Anspruch der Enzyklopädie her, objektive Wahrheit zu vermitteln, ist er aber verpflichtet, unglaubliche Wundergeschichten als solche zu kennzeichnen.18 Das steht keineswegs im Widerspruch zu der Tatsache, daß Isidor in seinen exegetischen Schriften diese Tiergeschichten durchaus verwendet. Im Liber monstrorum de diversis generibus, einer stark mit antiken Elementen durchsetzten Kompilation aus der 2. Hälfte des 8.Jhs., die Abnormitäten aus der Welt der Lebewesen vorstellt und einige Elemente enthält, die auch im Physiologus vorkommen, wird im Anschluß an die Ausführungen über die Schlangen gesagt: In his namque serpentibus, quos superius descripsimus, quaedam vera, quaedam namque omni veritate carentia reperiuntur.19 Auch in diesem Werk, in dem das Ungewöhnliche, Merkwürdige sozusagen thematisch ist, wird darauf hingewiesen, daß manche Geschichten nicht als wahr zu gelten haben. Eine kritische Haltung zu den über 20 aus dem Physiologus entnommenen Abschnitten20 zeigt auch der Kompilator des Liber glossarum. Er nimmt die Tiergeschichten auf, jedoch ohne Auslegungen und oft ohne Bibelzitate. Hinter das obligate Physiologus (ita) dicit... setzt er in vielen Fällen den Zusatz: si tarnen credendum est oder si creditur,21 so etwa beim Abschnitt über den Strauß: Asida animal est, quod Graeci struthiocamelon. Latini struthionem dicunt. Physiologus dicit, si creditur, hoc animal quasi volturium esse, habet pennas, sed non volat, sicut ceterae aves [ . . . ] (MAI, a.a.O. S. $89) 18

Oft distanziert sich Isidor von unglaubwürdigen Berichten durdi dicunt, ferunt, fertur oder durch Bemerkungen wie: sicut asserunt, qui naturas animalium scripserunt (bei der Geschichte vom Einfangen des Einhorns durch eine reine Jungfrau, Etym. 12,2,13) oder: si creditur (12,4,43; v gl· auch die Geschichte von den Sirenen n,3,3of.). Für Isidor gehören diese Gesdiichten alle in den Bereich der fabula. Er trifft folgende Unterscheidung: Item inter historiam et argumentum et fabulam interesse. Nam historiae sunt res verae quae factae sunt; argumenta sunt quae etsi non facta sunt fieri tarnen possunt; fabulae vero sunt, quae nec factae sunt neque fieri possunt, quia contra naturam sunt. (Etym. 1,44,5). Aufgrund dieser Belege scheint mir die Ansicht Carmodys nicht zutreffend zu sein: »St. Isidor and later encyclopedists, treating the word as a scientific document, eliminated the moralizations, and it became known primarily as an animal book.« (De bestiis et aliis rebus and the Latin Physiologus. S. 153).

19

Hrsg. von Moriz Haupt, Opuscula. Bd. 2, Leipzig 1876. S. 2 1 8 - 2 5 2 , das Zitat S. 252. - Allgemein zu dieser Schrift: M. Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters. Bd. 1, München 1 9 1 1 . S. 114fr. Die Physiologus-Kapitel sind separat herausgegeben von Angelo Mai, Classici auctores. Bd. V I I , Rom 183 j. S. 588-596; Ergänzungen dazu bei J. B. Pitra, Spicilegium Solesmense. Bd. III, Paris 1855. S. 418f. Vgl. Mai, a.a.O. cap. 1, 3, 4, 5, 7, 10; Pitra, a.a.O. cap. X , X I I .

20

21

144

Auch hier zeigt sich, daß, ähnlich wie in Isidors Etymologiae,

im

Bereich der nicht primär geistlidi ausgerichteten Wissensvermittlung die Physiologus-Geschichten deutlich als nicht der natürlichen Wirklichkeit entsprechend gekennzeichnet werden und durchaus als fabula im Sinne des o. a. Isidor-Zitats a u f g e f a ß t werden können. Selbst ein Autor wie Jakob v o n V i t r y , der gerade auch wegen seiner Predigtexempel berühmt ist, ist sich der Z w e i f e l durchaus bewußt, die Wundergeschichten in der A r t des Physiologus hervorrufen können, wenn sie außerhalb ihres similitudo-Bezugsrahmens Orientalis et Occidentalis

auftreten. In seiner

Historia berichtet er anläßlich der Alexander-

Geschichte v o m Charadrius und bemerkt dazu: [ . . . ] utrum verum sit aut possibile,

prudenti

lectori iudicandum

reliquimus.12

Zur Darstel-

lung der monstra, unter denen auch Sirenen und Kentauren vorkommen, fügt er, leicht ironisch, hinzu: Si forte alicui [sc. illa incredibilia

videantur,

nos neminem

compellimus

ad

monstra]

credendumP

Wenn auch der Einsatz der reinen Erfahrungswissenschaft wohl erst mit Friedrich II. und seinem W e r k De arte venandi cum avibus anzusetzen ist, so zeigen doch unsere Ausführungen, daß die naive Leichtgläubigkeit des Mittelalters, was die Realität der Physiologus-Geschichten betrifft, doch nicht so groß ist, wie man oft geglaubt hat. Diese Geschichten haben ihren Platz und ihre Funktion im Bereich der

similitudo

gehabt, sei diese nun mehr geistlich-theologisch oder mehr moralischdidaktisch geprägt. In dieser Funktion als significans ist der dargestellte Vorgang als solcher bedeutungsvoll gewesen, sowie seine Kongruenz mit dem significandum;

die Frage nach seiner naturgeschichtlichen

Wahrheit w a r nicht notwendig. 2 4 Entscheidend ist aber, daß die Frage nach der naturgeschichtlichen Wahrheit der Geschichten gestellt und im Rahmen der mittelalterlichen Kenntnisse durchaus kritisch beantwortet wurde, wenn diese außerhalb des Bereichs der similitudo

erscheinen,

etwa in der enzyklopädischen Wissensvermittlung. Die rein naturkund-

22

Jacobi de V i t r i a c o Libri D u o Orientalis et O c c i d e n t a l i s Historiae. D u a c i 1597 (Nachdruck Meisenheim/Glan 1971). S. 192.



Ebd. S.215.

24

D a s t r i f f t aber nicht nur f ü r die Physiologus-Geschichten zu. Auch die christliche A u s l e g u n g antik-heidnischer M y t h e n ist nur dann verständlich, w e n n man berücksichtigt, d a ß e t w a die E r z ä h l u n g v o n dem an den M a s t b a u m gefesselten Odysseus (nach H o m e r , O d y s s e e I2,i78ff.) seit der Z e i t der Kirchenväter ihren W e r t nur darin hatte, als significans f ü r Christus am K r e u z z u dienen. V g l . z u diesem Bereich die Studien H u g o Rahners, Griechische M y t h e n in christlicher D e u t u n g . Zürich 3 i966; z u Odysseus besonders S. 281-328.

145

lidie Relevanz des Physiologus für das Mittelalter ist ganz gewiß oft überschätzt worden. Bezeichnungen wie »Zoologiebuch des Mittelalters« u. ä. verfehlen die tatsächliche Bedeutung des Physiologus und gehen von einem falschen Bild der Naturkenntnis des Mittelalters aus.

146

6. G R U N D F O R M E N D E R DES

VERÄNDERUNG

PHYSIOLOGUS

IM LAUFE S E I N E R

UBERLIEFERUNG

Der additive Aufbau des Physiologus aus untereinander nicht verknüpften, in sidi geschlossenen und selbständigen Abschnitten hat eine relativ inkonstante Überlieferung zur Folge. Die Veränderungen, die der Physiologus in seiner Uberlieferung an historisch ganz verschiedenen Stellen erfährt, lassen sich auf eine Reihe von Grundformen zurückführen. Jede zu beobachtende Veränderung, etwa das Fehlen der Auslegung oder die Bildung neuer naturae, hat somit auch eine werkspezifische Komponente, da sie an verschiedenen Orten der Physiologus-Tradierung beobachtet werden kann, ohne daß dabei eine Abhängigkeit bestehen würde. Veränderungen im Kapitelbestand sind eine immer wieder auftretende Erscheinung in der gesamten Physiologus-Tradition. Sie erstrecken sich zunächst auf die Reduzierung der Kapitelzahl, wie sie etwa die Hs. Π der ersten griechischen Redaktion sowie der mit ihr verwandte armenisch-georgische Physiologus aufweisen 1 und wie sie auch in der lateinischen Dicta- Version gegenüber der Fassung b, aus der sie sich herleitet, vorliegt. Die Fassung b ihrerseits trifft schon eine Auswahl aus der ihr zugrunde liegenden Redaktion, sei dies nun, wie SBORDONE annimmt, die lateinische Versio y oder, wie C A R M O D Y glaubt, ein Vertreter der i. griechischen Redaktion. 2 Bemerkenswert ist, daß die vollständige Fassung der Versio y nur bis zum io.Jh. überliefert wird. Danach tritt der lateinische Physiologus ausschließlich in reduzierter Form auf oder aber in der Form der stark erweiterten Bestiarien. - Eine systematische Aussonderung der Stein- und Pflanzenkapitel nimmt die Dicta-Version vor. Die am weitesten gehende Reduktion des Kapitelbestandes schließlich zeigt sich in der Fassung des Physiologus Theobaldi. Von den fast 1 2

Vgl. Sbordone, Physiologus. S. L X V f f . Vgl. dazu oben S. 19.

147

50 ursprünglichen Kapiteln des Physiologus werden nur noch elf 3 aufgenommen, die wegen ihrer dichterischen Form von sonstigen Veränderungen, abgesehen von der Abbreviatio, unberührt geblieben sind.Auf der anderen Seite wird der Kapitelbestand des Physiologus auch vermehrt; das Auslegungsschema des Physiologus ist nicht nur in diesem Werk vertreten, und mehrfach wird der Physiologus erweitert durch Tierauslegungen aus dem Bereich der Exegese. Der sogenannte Physiologus Leidensis,4 eine wohl nach dem 5. Jh. entstandene syrische Fassung, enthält 81 Kapitel, von denen jedoch nur 47 zum ursprünglichen Physiologus-Bestand gehören. Die übrigen sind dem HexaëmeronKommentar des Basileios entnommen.® Ähnlich wird später der lateinischen Fassung c ein Kapitel Galli cantus aus dem Exameron des Ambrosius angehängt.® Die lateinische Dicta-Version erweitert das AdlerKapitel durch zwei naturae aus Bibelkommentaren des Augustin bzw. Hieronymus.7 Auch die Eigenschaft der Hirsche beim Überqueren eines Flusses, wie sie der Physiologus Theobaldi einführt, stammt wohl aus den Psalmenerklärungen Augustins.8 Bei der Veränderung des Kapitelbestandes sind auch die kontaminierten Überlieferungszeugen zu erwähnen, die ihren Text aus verschiedenen Fassungen beziehen. Bei einer reduzierten Fassung wie der Dicta-Version läßt sich z. B. beobachten, wie am Schluß Kapitel aus anderen Fassungen ergänzt werden 9 oder wie etwa in zwei Dicta-Hss. die Aussonderung der Steinkapitel wieder rückgängig gemacht wird, indem einige von ihnen wieder angehängt werden,10 so daß auf diese Weise wieder ein gemischter Überlieferungstyp entsteht. In ähnlicher Weise beruht auf Kontamination die Entstehung der sog. >Transitional ManuscriptsSpinne< (Aranea) gehört nicht dem ursprünglichen Physiologus-Bestand an. Hrsg. von J . P. N . Land, in: Anecdota Syriaca. Bd. II ( 1 8 7 5 ) S. i i j f f . Auch das syrische >Buch der Naturgegenstände< benutzt u. a. den HexaëmeronKommentar des Basileios als Quelle, vgl. dazu audi Perry, Physiologus. Sp. 1 1 1 7 . Vgl. oben S. z6(. dazu. Vgl. oben S. 31 f. dazu. Vgl. Eden, Physiologus Theobaldi. S. 50 Apparat, sowie D. Schmidtke, Geistliche Tierinterpretation. S. 606, A 975. So etwa im Clm J 6 1 3 und Clm 6908; hier sind die Kapitel Salamandra und Cerastes angehängt, wobei der Salamander sonst nur in den Fassungen y, c, b sowie in den Bestiarien vorkommt, das Kapitel Cerastes nur in den Bestiarien. Vgl. die beiden Leipziger Codd. Paul. 351 und 1305, dazu das von M. Fr. Mann, Der Bestiaire Divin des Guillaume le Clerc. S. 32 gegebene Verzeichnis. Vgl. McCullodi, Bestiaries. S. 33f. zu diesen Fassungen. 148

nischen Bestiarien und z.T. damit indirekt aus dem Physiologus beziehen, den anderen Teil aus Isidors Etymologien. Das geistliche Auslegungsschema war zudem eine Grundform, nach der stets neue Kapitel gebildet werden konnten. Es entstehen so ζ. B. die Bestiarien mit weitaus mehr Tieren als ursprünglich im Physiologus vorhanden waren. 12 Eine zweite Grundform der Veränderung des Physiologus betrifft die Reihenfolge der Kapitel. Es ist ein wesentliches Ergebnis der Physiologus-Forschung, daß die Übereinstimmung in der Kapitelfolge ein Zeichen der Verwandtschaft zwischen einzelnen Textzeugen ist. So sind etwa die Kapitel der Versio c, obwohl im Bestand reduziert, doch in der Reihenfolge der i. griechischen Redaktion geblieben. Der Physiologus hat ursprünglich die Kapitel ohne jede Ordnung aneinandergereiht. Schon früh taucht deshalb der Versuch einer Systematik auf und ist auch sonst in der Geschichte des Physiologus mehrfach unternommen worden: die früheste syrische Physiologus-Übersetzung 13 aus dem 5.Jh. wie auch das syrische >Buch der NaturgegenständeBuch der Naturgegenstände< (vgl. Anm. 14 S. 149) das unter seinen 125 aus verschiedenen Quellen kompilierten Kapiteln auch 45 aus dem Physiologus aufweist, jedoch ohne die Auslegungen.21 Hier ist audi der Liber Glossarum zu nennen, der eine Reihe von Physiologus-Kapiteln ohne Auslegungen und meist auch ohne die einleitenden Bibelzitate aufnimmt, sowie die ihm folgenden Glossare wie etwa das Elementariae doctrinae erudimentum des Papias. Die Reduzierung des Physiologus ist auch Ziel der im Mittelalter gepflegten abbreviatio22 als Technik der literarischen Bearbeitung. Zum Bereich der abbreviatio gehören etwa die Begleitverse zur Dicta-Version, die meisten der oben S . 4 i f . angeführten sonst unbekannten Phy17

18 19

20

21 22

So in der 1. griechischen Redaktion, im armenisch-georgischen Physiologus, in den lateinischen Versionen y, b, c sowie in der kontaminierten Hs. A . Laudiert, Geschichte. S. 44Í. und zusammenfassend Perry, Physiologus. Sp. io^éf. Bei Sbordone, Physiologus, die Sigle o; vgl. dazu ebd. S. X V I I I , N r . 18 und S. X L V . Bei Sbordone, Physiologus, die Sigle Τ ; vgl. dazu ebd. S. X X N r . 31 und S. L X X X I . Vgl. K a r l Ahrens, Zur Geschichte des sogenannten Physiologus. S. 2S. Zur mittelalterlichen Abbreviatio vgl. etwa Galfrid von Vinsauf, Poetria nova

150

siologus-Bearbeitungen sowie in gewisser Hinsicht auch derPhysiologus Theobaldi. Dabei stehen Fassungen mit Auslegungen neben solchen ohne Auslegungen. Die Abbreviano Phisologi des 15. Jh. z.B. hat den Schluß: Strinxi naturas, tu lector carpe figuras (oben S. 51, Vs. 44). Das zweiteilige Auslegungsschema ist hier also intendiert, die Art und Weise der Auslegung aber nicht festgelegt, sondern wohl ad hoc vom Seelsorger zu formulieren, entsprechend dem jeweiligen Bedarf. Auch die Erweiterung der einzelnen Kapitel ist beim Physiologus oft zu beobachten. So dehnt die Versio b durch Bibelverse und paränetische Zusätze den ursprünglichen Kapitelumfang, wie er etwa in der Versio y vorliegt, stellenweise bis etwa auf das Doppelte aus. Die b-Is.Version gibt zu den meisten Kapiteln Zusätze aus Isidors Etymologien, die Dicta-Version vermehrt das Adlerkapitel um zwei aus der Patristik stammende Eigenschaften, die deutsche Ubersetzung der Wiener Hs. 2721 und die Millstätter Sammelhs. bringen eine vierte Natur der Schlange, die im Physiologus-Bereich sonst nur aus zwei späteren lateinischen Dicta-Hss., der Fassung c sowie aus dem Physiologus Theobaldi bekannt ist. An einigen ausgewählten Beispielen hat sich gezeigt, wie sehr das wechselnde Erscheinungsbild des Physiologus seiner Struktur innewohnt und deshalb, wenigstens zum Teil, werkspezifischer Natur ist. Es zeigen sich drei Grundformen der Veränderung, die sich auf den Kapitelbestand, die Reihenfolge und den Umfang der Kapitel erstrekken. Zum Wesen des Physiologus gehört aber auch, daß er in größeren Werken aufgesogen wird und als eigenständiges Werk nicht mehr in Erscheinung tritt. Das trifft auf einen Teil der mittelalterlichen Enzyklopädien zu, auf Kompendien wie De bestiis et aliis rebus und auf den Liber glossarum und die ihm folgende Glossar-Tradition. Man wird sich diese Fülle von wechselnden Erscheinungsformen des Physiologus vor Augen halten müssen, wenn es um die Frage der Wirkung dieses Werkes geht.

Vs. 690-736, hrsg. von Edmond Farai, Les Arts poétiques du X I I e et du X I I I e siècle, Paris 1 9 2 5 ; oder Eberhard von Bremen, Laborinthus, Vs. 299-342, ebd. S. 347Í. Allgemein dazu: E. R. Curtius, Europäische Literatur. Exkurs 1 3 . S. 4 7 9 -

48$· 151



ANMERKUNGEN ZUR DER

ÜBERLIEFERUNG

TIERGESCHICHTEN

AUSSERHALB DES

PHYSIOLOGUS

7.1 Der »Quellbereich« Die breite Wirkung des Physiologus im Mittelalter in der bildenden Kunst wie in der Literatur ist allgemein anerkannt und aufgrund der weiten Verbreitung dieses Werkes auch mit Sicherheit anzunehmen. In der Praxis zeigt sich aber, daß es nur in seltenen Fällen möglich ist, den Physiologus als Quelle einer in der Literatur verwandten Tiergeschichte exakt nachzuweisen. Eine Wirkungsgeschichte des Physiologus, wie sie noch LAUCHERT versucht hatte,1 ist eine Unmöglichkeit angesichts der vielen, ζ. T. sehr weit verbreiteten Werke, die neben dem Physiologus die gleichen Tiergeschichten überliefern. Der Physiologus ist, was seine Wirkung betrifft, nicht isoliert zu sehen, sondern innerhalb eines größeren Kreises von Texten, die den gleichen Stoff weitergeben. Zusammen mit dem Physiologus stellen diese Texte das Reservoir dar, aus dem das Mittelalter seine Kenntnis der Tiergeschichten schöpfen konnte. Für die Gesamtheit dieser Werke wähle ich die Bezeichnung »Quellbereich«. Im folgenden soll nun versucht werden, den Kreis dieser Texte kurz zu umreißen, wobei in der Regel solche Texte ausgewählt wurden, für die aufgrund ihrer weiten Verbreitung auch eine beträchtliche Wirkung angenommen werden darf. Exegetische und homiletische Texte 2 bringen fast regelmäßig in Verbindung mit Bibelzitaten, in denen Tiere erwähnt werden, die entsprechenden Tiergeschichten, wie sie audi der Physiologus enthält. Aus der Patristik sind hier besonders das Exameron3 des Ambrosius, die 1

Geschichte. S. 1 5 5 - 2 2 8 ; schwierig ist schon, die Frage der Physiologus-Wirkung in der Patristik zu klären, vgl. etwa Ursula Treu, Otterngezücht, sowie oben S. 4 u. i j f .

2

Z u diesem Bereich hat D . Schmidtke, Geistliche Tierinterpretation. S. 6 9 - 8 6 eine ausführliche Darstellung gegeben, auf die ich hier verweise. Hrsg. von Carolus Sdienkl, C S E L 3 2 , 1 , Wien (Neudruck N e w Y o r k - L o n d o n

3

IJ2

Psalmenerklärungen Augustine und Gregors des G r o ß e n Moralia 4

Job

in

zu nennen, die nachhaltig die Exegese des Mittelalters beeinflußt

haben. Stellenweise ist sogar ein Einfluß dieser W e r k e auf die späteren Physiologus-Fassungen zu beobachten. 5 S a m m e l w e r k e des Mittelalters, die u. a. an der Weitergabe der Tiergeschichten w i e auch der Auslegung maßgeblich beteiligt sind, sind v o r allem die Glossa

ordinariaβ

die Predigtsammlung des H o n o r i u s Augustodunensis, das ecclesiaeJ

Weiter sind zu nennen die typologischen W e r k e des späten

Mittelalters, v o r allem die Concordantiae Lilienfeld und das Speculum

humanae

caritatis

V o r l ä u f e r aus dem

intelligentiae

des Ulrich

von

Salvationist

Exegetische Hilfsmittel w i e die Distinctiones Tiergeschichten. spiritalis

sowie Speculum

5.Jh.

enthalten gleichfalls

sind hier die

Formulae

des Eucherius v o n L y o n sowie die früher fälsch-

lich Melito v o n Sardes zugeschriebene, wahrscheinlich im 8-/9. J h . entstandene Clavis.

Erste dieser seit dem 1 2 . J h . entstehenden

tiones ist w o h l die Summa

quae dicitur

Abel

Distinc-

des Petrus C a n t o r (ca.

1 1 2 0 - 1 1 9 7 ) . Weite Verbreitung haben auch die ps.-Hrabanischen goriae in universam

4

5

β

7

8

sanctam scripturam

Alle-

erfahren.

1961). Die Namensform ist so in den Hss. überliefert, vgl. Schenkl, Praefatio p. X I I f . ; wegen der zahlreichen Hss. verzichtet Schenkl auf ihre vollständige Verzeichnung. Vgl. zur Oberlieferung auch Otto Bardenhewer, Geschichte der altkirdil. Literatur. Bd. 2, 2. Aufl. 1925. S. $16. Eine Zusammenstellung der allegorischen Auslegungen aus den Werken Gregors d. Gr. gibt Garnerius von St. Victor (f 1170) in seinem Gregorianum (Text PL 193,9-462). In dieser nadi sachlichen Gesichtspunkten geordneten Schrift werden in Buch 2 aves und Budi 3 ammalia behandelt. Vgl. auch Jessie Poesdi, The Beasts from Job in the »liber floridus« Manuscripts. In: Journal of the Warburg and Courtauld Inst. 33 (1970) S. 4 1 - 5 1 . Vgl. etwa das in der Physiologus-Hs. C (Bern 318) enthaltene Kapitel Galli cantus aus dem ambrosianisdien Exameron (siehe o. S. 26), die beiden Naturen des Adlers, die aus den Schriften des Augustin und Hieronymus in die Dicta-Version eingegangen sind (siehe o. S. 31 f.), sowie die Geschichte, wie die Hirsche ein Gewässer überqueren, im Physiologus Theobaldi aus Augustin, Enarr, in Ps. 41,4. C C S L 38, S. 462: und Ps. 129,4. C C S L 40, S. 1892). Allerdings findet sich diese Geschichte auch schon bei Plinius, Naturalis Historia. 8,50,114 und später audi bei Gregor, Moralia in Job 30,10. P L 76,5430 f. Text: P L 1 1 3 und 114. Zur Verfasserschaft vgl. Friedr. Ohly, Hohelied-Studien. Wiesbaden 1958, S. io9Íf. Daß Walahfrid Strabo nicht der Verfasser ist, dürfte inzwischen anerkannt sein; vgl. P. Spicq, Esquisse d'une Histoire de l'exégèse latine. Paris 1944. S. 44, der Anselm von Laon für den Hauptverfasser hält. Zu den Distinctiones vgl. die Ausführungen von D. Sdimidtke, Geistliche Tierinterpretation. S. 83-86. Speculum humanae salvationis. Vollständige Faksimile-Ausgabe des Codex Cremifanensis 243 des Benediktinerstifts Kremsmünster [1.2.] Graz 1972 (Codices selecti 32).

153

A u f g e n o m m e n w u r d e n die Tiergeschichten auch in die in der z. H ä l f t e des 1 3 . J h s . entstehenden Naturexempelsammlungen w i e di e tes rerum moralízate,

die Summa

de exemplis

Proprieta-

et similitudinibus

des Johannes v o n S a n G e m i n i a n o sowie das Reductorium

rerum

morale

des

Petrus Berchorius. 9 Einen weiteren Bereich v o n W e r k e n , die Tiergeschichten in der A r t des Physiologus überliefern, bilden die E n z y k l o p ä d i e n . 1 0 Eines der Sammelbecken der antiken Naturgeschichte ist die Naturalis

Historia

des älteren Plinius. W ä h r e n d seine anderen Schriften verloren gegangen sind, hat dieses W e r k , v o n dem noch e t w a 2 0 0 Hss. b z w . Fragmente erhalten sind, 1 1 weite Verbreitung gefunden und ist im Mittelalter eines der S t a n d a r d w e r k e zur Naturgeschichte gewesen. 1 2 G r o ß e Teile der Naturalis

Historia

rerum memorabilium, De

memorabilibus

übernimmt Solinus (3. J h . ) in seine

Collectanea

im Mittelalter unter dem Titel Polyhistor [mirabilibus]

mundi

oder

bekannt und oft zitiert. 1 3

-

Augustins P r o g r a m m einer christlichen E n z y k l o p ä d i k , w i e es im z w e i ten Buch v o n De doctrina

Christiana aufgestellt w i r d , liegt den posthum

herausgegebenen Etymologiae grunde.

14

sive

origines

Isidors v o n S e v i l l a

zu-

A u f den Einfluß dieses W e r k e s auf den Physiologus w u r d e

schon oben (S. 2.j{.) hingewiesen. 9

Zu den Naturexempelsammlungen vgl. D. Schmidtke, ebd. S. 93-104. 10 Neuere Arbeiten zur Enzyklopädie enthalten die Cahiers d'histoire mondiale 9 H. 3 (1966); darunter befinden sich audi eine Reihe von Aufsätzen zu mittelalterlichen Enzyklopädien. Hinzuweisen ist außerdem auf Walter Goetz, Die Enzyklopädien des 13. Jhs. Ein Beitrag zur Entstehung der Laienbildung. In: Zs. f. dt. Geistesgesch. 2 (1936) S. 227-250 (hier werden vor allem die nationalspradilidien Enzyklopädien der Romania behandelt); außerdem Michel de Boiiard, Encyclopédies médiévales. Sur la connaissance de la nature et du monde< au moyen âge. In: Revue des Questions historiques 58 (1930) S. 258-304. 11 Zur Überlieferung vgl. Geschichte der Textüberlieferung. Bd. 1, Zürich 1964. S. 4o6f. Eine ununterbrochene Reihe von gedruckten Ausgaben vom 15. Jh. bis zur Gegenwart bezeugt audi das weitere Interesse an der Naturalis Historia. 12 Eine Übersicht über die von Plinius behandelten Tiere gibt: A. Steiger, Der Tierbestand in der Naturgeschichte des Plinius. Würzburg 1913. 13 Hrsg. von Th. Mommsen, C. Iulii Solini Collectanea rerum memorabilium. Berlin, 2. Aufl. 1895. Mommsen zählt 153 Hss. auf (S. X X I X - L I I ) , viele darunter aus dem deutschsprachigen Raum. Seit dem 16. Jh. wurde das Werk auch mehrfach gedruckt. 14 Eine umfassende Darstellung zu Isidor gibt: Jaques Fontaine, Isidore de Séville et la culture classique dans l'Espagne wisigothique. Paris, 2 Bde. 1959, und ders.: Isidore de Séville et la mutation de l'encyclopédisme antique. In: Cahiers d' histoire mondiale 9 H. 3 (1966) S. 519-538. Vgl. audi Bernh. Bischoff, Die europäische Verbreitung der Werke Isidors von Sevilla. In: Isidoriana. Léon 1961. S. 317-344. - Die Beliebtheit der Etymologiae zeigt sidi nidit nur in der großen Zahl von 1000 nodi erhaltenen Hss. oder Fragmenten, sondern auch darin, daß

154

E i n e Neubearbeitung der Etymologiae De rerum

naturisi

gibt H r a b a n u s M a u r u s in

Z u den einzelnen bei Isidor behandelten Tieren

w i r d hier eine Fülle v o n möglichen Auslegungen geboten, und z w a r in bonam

et in malam partem.

- ö f t e r s entstellt und u m g e f o r m t sind die

Tiergeschichten, die H i l d e g a r d v o n Bingen in ihren Physica16 und 8), möglicherweise aus dem Gedächtnis reproduziert,

(Buch 7 17

mitteilt.

Diese Naturbeschreibung v o m medizinischen S t a n d p u n k t aus enthält eine Reihe v o n K a p i t e l n , deren Stoff mit dem des Physiologus und der übrigen Schriften des »Quellbereiches« übereinstimmt.

Auslegungen

werden zu den K a p i t e l n nicht geboten, doch w i r d ein allgemeiner moralisdi-geistlicher Bezug des dargestellten Stoffes in den

praefationes

angedeutet. 1 8 D e r besonders durch seine Fabelbearbeitungen bekannte A l e x a n d e r N e c k a m ( 1 x 5 7 - 1 2 1 7 ) v e r f a ß t e gegen E n d e des i 2 . J h s . sein kosmolo-

15

16

17

18

mehrfadi Teile des Werkes herausgelöst und versifiziert wurden. (Dazu gehört audi der Libellus de naturis animalium, der in Hss. des 14.JI1S. überliefert ist und zuweilen Konrad von Mure zugeschrieben wird, vgl. Hans Walther, Initia carminum ac versuum medii aevi posterions latinorum. Göttingen 1959. Nr. 1 1 6 1 9 . Weitere selbständig überlieferte Teile von Isidors Etymologien nennen L.Thornd i k e - P . Kibre, A Catalogue of Incipits of Medieval Scientific Writings. 2. Aufl. 1963. Sp. 856, 9OJ, IO59, IO79, I37Í, IJ22. Text: PL 1 1 1 , 9 - 6 1 2 . Der Titel De universo wird nicht in beiden praefationes genannt und ist gewiß erst später entstanden. Bisweilen trägt das Werk in den Hss. audi den Titel: Rabani libri ethimologiarum (Manitius, Gesdi. d. lat. Literatur des Mittelalters. Bd. 1, S. 299), was die enge Verbundenheit mit Isidors Werk im Bewußtsein der Zeit erkennen läßt; vgl. dazu auch Elisabeth Heyse, Hrabanus Maurus' Enzyklopädie >De rerum naturisi Untersuchungen zu den Quellen und zur Methode der Kompilation. München 1969 ( = Münchner Beitr. z. Mediaevistik und Renaissanceforschung Bd. 4). Obwohl sich Hrabans Enzyklopädie deutlich als verbesserte Bearbeitung von Isidors Werk darstellte, konnte sie dieses dodi nicht ersetzen oder auch nur verdrängen. Man hat das auf den Konservatismus der mittelalterlichen Schulen zurückgeführt (vgl. Jaques Fontaine, Isidore de Seville et la mutation de l'encyclopédisme antique. In: Cahiers d'histoire mondiale 9 H. 3 (1966) S. 537)· Text: PL 197, 117—1353. Der Titel lautet in den Hss.: Subtilitatum diversarum naturarum creaturarum libri novem. Ein Verzeichnis der Hss. gibt Manitius, Gesch. der lat. Literatur des Mittelalters. Bd. 3, S. 235, dazu L. Thorndike, A History of Magic and Experimental Science, 4 Bde. New York 1929e., Bd. 2 S. 130ÍT.; hinzuweisen ist weiterhin auf Joseph Kodi, Der heutige Stand der Hildegardforschung. In: Histor. Zs. 186 (1958) S. $68ff. Diesen Zug in Hildegards schriftstellerisdier Tätigkeit hat audi Hans Liebesdiütz hervorgehoben: Das allegorische Weltbild der hl. Hildegard von Bingen. LeipzigBerlin 1930 (Nachdrudt mit einem Nachwort des Verf.: Darmstadt 1964) S. 1 S7ffund Nachwort S. 187. Vgl. etwa Buch 6, PL 197,1287^: Vögel sind ein Bild der Seele quae cogitationibus suis elevatur oder Buch 8, 131 i B : Volatilia [...] désignant virtutem [...] Ammalia autem [...] cogitationes et praemedita désignant.

155

gisches W e r k De naturis rerum, zu dem er bald eine poetische Bearbeitung De laudibus

divinae

sapientiae

herstellte. 19 D i e Tiergeschichten 2 0

dienen hier in erster Linie als Vehikel f ü r moralische Unterweisung. Diese E n z y k l o p ä d i e ist besonders bemerkenswert w e g e n des hier zum ersten M a l e sichtbar werdenden Einflusses der W e r k e des Aristoteles. E b e n f a l l s als frühes Zeugnis der Aristotelesrezeption sei hier die nur in einer H s . vollständig überlieferte Z i t a t e n - K o m p i l a t i o n De rerum, naturalium

finibus

(ca. 1 2 2 0 / 3 0 ) des A r n o l d u s S a x o 2 1 angeführt. A l s

A u t o r i t ä t f ü r die Tiergeschichten des zweiten Teils w i r d eine mir unbekannte Quelle, Jorach, De naturis animalium,

genannt.

E i n besonders enges Verhältnis zu mehreren verschiedenen Versionen des P h y s i o l o g u s 2 2 zeigt die Bestiarienkompilation De bestiis rebus.23

et

aliis

Buch 1 , das oft illustrierte Vogelbuch des H u g o v o n Folieto

( f 1 1 7 2 / 7 3), 2 4 w i r d ergänzt durch Buch 2 , das die übrigen Tiere bringt, 19

Text: Thomas Wright, Alexander Netkam, De naturis rerum. London 1863 ( = Rerum Britannicarum medii aevi scriptores Vol. 34), wo auch die Versbearbeitung herausgegeben ist. 20 Zu den Quellen vgl. L. Thorndike, A History of Magic and Experimental Science. Bd. 2, S. I94Í.; Thorndike vermutet indirekten Einfluß des Aristoteles, da die lateinische Ubersetzung von dessen Werken durch Michael Scottus erst um 1225/30 erfolgt sei. 21 Text: Die Enzyklopädie des Arnoldus Saxo. Hrsg. von Emil Stange. Erfurt 1905-1907 ( = Kgl. Gymnasium zu Erfurt, Beilage z. Jahresber. 1904/05 und 1906/07). Zur Uberlieferung vgl. Stange, Einleitung, sowie Paul Lehmann, Mitteilungen aus Handschriften IV. SB der Bayer. Akad. d. Wiss., phil.-hist. Abt. 1933, Heft 9. München 1933. S. 6iff. Trotz der schmalen Überlieferung hat diese Enzyklopädie, besonders der Abschnitt über die Steine, Bartholomäus Anglicus, Albertus Magnus und Vinzenz von Beauvais als Quelle gedient. Zur AristotelesRezeption vgl. M. Grabmann, Methoden und Hilfsmittel des Aristoteles-Studiums im Mittelalter, München 1939, S. I09ÍÍ. 22 Die Untersuchung des Verhältnisses zum Physiologus ist das Verdienst Francis J . Carmodys, De bestiis et aliis rebus. In: Speculum 13 (1938) S. 1 5 3 - 1 5 9 . 23 Text: P L 177,9-164. 24 Zu den illustrierten Hss. vgl. McCulloch, Bestiaries. S. 30-33, sowie Friedrich Ohly, Probleme der mittelalterlichen Bedeutungsforschung und das Taubenbild des Hugo von Folieto. In: Frühmittelalterliche Studien. Bd. 2, Berlin 1968, S. 1 6 2 201. Allgemein zum Vogelbuch ist zu verweisen auf Charles de Clercq, La nature et le sens du >De avibus< d'Hugues de Fouilloy. In: Methoden in Wissenschaft und Kunst, hrsg. von Albert Zimmermann, Berlin 1970 ( = Miscellanea Mediaevalia Bd. 7) S. 279-302, wo 28 Abb. aus Hss. gegeben werden. Der Verf. scheint Ohlys Aufsatz nicht zu kennen. De Clercq weist besonders auf die große Konstanz der ikonographisdien Überlieferung in ganz Europa hin, die nach seiner Ansicht zurückgeht auf eine bald nadi Hugos Tod in Portugal entstandene Abschrift des Originals, die die vollständige Bilderserie mit subscriptiones enthalten habe. Neu dürfte auch die Beobachtung sein, daß Hugo das Vogelbuch in rhythmischer, mit Homoioteleuton versehener Prosa verfaßt hat. Der Verf. druckt die Zitate in abgesetzten rhythmischen Zeilen. 156

jedoch aus einer anderen P h y s i o l o g u s - V o r l a g e schöpft. 2 5 Buch 3 enthält ein eigenständiges K a p i t e l p r o g r a m m , das stark, gegen E n d e zu f a s t ausschließlich, v o n Isidors Etymologiae

bestimmt w i r d . 2 6 Buch 4 schließ-

lich ist ein reines G l o s s a r , das in alphabetischer F o l g e die K a p i t e l der v o r a n g e h e n d e n Bücher nennt u n d k u r z charakterisiert. D r e i große u n d f ü r den »Quellbereich« wichtige N a t u r e n z y k l o p ä dien entstehen im 1 3 . J h . D e r D o m i n i k a n e r T h o m a s v o n C h a n t i m p r é ( t nach 1 2 6 3 ) v e r f a ß t ein populärwissenschaftliches W e r k De rerum,2''

das, w i e der V e r f a s s e r in der praefatio

naturis

sagt, durch die V e r -

mittlung v o n N a t u r k e n n t n i s s e n z u r F ö r d e r u n g des Schriftverständnisses beitragen w i l l ; dabei beruft sich der V e r f a s s e r ausdrücklich

auf

A u g u s t i n (De

der

doctrina

Christiana

2 , 3 9 , 5 9 ) · ~~ E i n e Ü b e r t r a g u n g

3. R e d a k t i o n v o n De naturis rerum gibt K o n r a d v o n M e g e n b e r g in seinem 1 3 4 9 / 5 0 entstandenen >Buch der N a t u r < , 2 8 das in seiner V e r b r e i -

25

26 27

28

Über die Verfasser von Buch 2-4 ist nichts Genaueres bekannt, vgl. Carmody, De bestiis et aliis rebus and the Latin Physiologus. A.a.O. S. 155, Anm. 1. De Clercq, La nature usw. A.a.O. S. zyil. hält es für möglich, daß Hugo von Folieto audi das zweite Buch von De bestiis verfaßt habe. Vgl. Carmody, De Bestiis usw. A.a.O. S. 158. Der Text liegt jetzt erstmals vollständig gedruckt vor: Thomas Cantimpratensis, Liber de natura rerum. Editio princeps secundum codices manuscriptos. [Hrsg. von H . Boese.] Teil I: Text. Berlin-New York 1973. Zu wünschen ist nur, daß der zweite Band (Einleitungen, Lesarten, Überlieferung, Quellen) bald erscheint. Eine Ubersicht über das Werk gibt Pierre Midiaud-Quantin, Les petites encyclopédies du X I I I e siècle. In: Cahiers d'histoire mondiale 9 H . 3 (1966) S. 580-595, hier S. 589-591. Das Werk ist in drei Redaktionen überliefert. In der ersten folgt auf 15 Bücher Naturdarstellung eine Kosmologie in 4 Büchern. Die zweite fügt ein 20. Buch De ornatu coeli et eccliptibus solis et lunae an, die dritte rückt die Kosmologie an den Anfang des Werkes und kürzt den Gesamtumfang um etwa ein Drittel (vgl. dazu Annemarie Brückner, Quellenstudien zu Konrad von Megenberg. Thomas Cantimpratanus >De animalibus quadrupedibus< als Vorlage im >Buch der NaturLiber de natura rerumBuch der Naturnaturkundlichen< Schrift. N e u bei A l b e r t ist, daß er, w o es möglich ist, seine eigene experientia 35

36

37

38

39

40

mitteilt 4 0 und so, w e n n audi nicht

Zum Gesamtwerk vgl. Michel Lemoine, L'œuvre encyclopédique de Vincent de Beauvais. In: Cahiers d'histoire mondiale 9 H. 3 (1966) S. 571-579; dort auch weitere Literaturangaben. Das Speculum maius ist in rund 80 Hss. erhalten. Dazu kommen 6 Drucke, der letzte in Douai 1624. Das Speculum morale stammt nicht von Vinzenz sondern von einem Anonymus des 14. Jhs. und stellt einen Auszug aus den Werken des Thomas von Aquin dar. Vgl. den Prolog zum Speculum naturale cap. 4, Sp. 5 C f . (zit. nach: Vincentius Bellovacensis, Speculum quadruplex sive maius. Duaci 1624 (Nachdrudc Graz 1964/65) Bd. 1). Albertus Magnus, >De animalibus« libri X X V I . Hrsg. von Hermann Stadler. 2 Bde. Münster 1916/20. Eine neuere Zusammenfassung zu De animalibus bringt Kurt Lindner in der Einleitung zu: Von Falken, Hunden und Pferden. Deutsdie Albertus-Magnus-Ubersetzungen aus der 1. Hälfte des 15. Jhs. Teil I, München 1962. S. 9-54. Von dieser Schrift sind ca. 40 Hss. bekannt, die meisten davon aus dem 15. Jh., sowie sechs Drucke. Albertus Magnus, Quaestiones super de animalibus. Ed. E. Filthaupt O.P., Münster 195$ ( = Albertus Magnus, Opera omnia Bd. 12). Eine größere Anzahl von Belegen findet sich bei F. Ehrle, Der selige Albert der Große. In: Stimmen aus Maria Laadi 19 (1880) S. 398fr. sowie bei Herrn. Stadler, Albertus Magnus als selbständiger Naturforscher. In: Forschungen zur Geschichte Bayerns 14 (1906) 9 5 - 1 1 4 . Einige Beispiele von Alberts kritischer experientia bespricht auch Herbert Kolb, Der Hirsch, der Schlangen frißt. Bemerkungen zum Verhältnis von Naturkunde und Theologie in der mittelalterlichen Literatur. In: Festschrift für Helmut de Boor zum 80. Geburtstag. München 1971. S. 583-610, bes. 6o3ff.

159

durchgängig, die unwahrscheinlichen A n g a b e n der Quellen relativiert oder g a r a n z w e i f e l t . 4 1 In den »Quellbereich« sind schließlich auch der Liber

glossarum42

u n d die auf ihm basierenden G l o s s a r e einzubeziehen, die eine größere A n z a h l v o n ausgesprochenen P h y s i o l o g u s - K a p i t e l n enthalten, jedoch ohne A u s l e g u n g . 4 3

7.2

B e l e g s a m m l u n g z u r Stoffgeschichte u n d V e r b r e i t u n g der Tiergeschichten

7.2.1

Vorbemerkungen

I m vorhergehenden A b s c h n i t t w u r d e versucht, in einem kurzen A b r i ß den K r e i s der T e x t e darzustellen, die neben dem P h y s i o l o g u s die entsprechenden Tiergeschichten

dem M i t t e l a l t e r v e r m i t t e l t haben.

Die

V i e l z a h l dieser T e x t e u n d ihre zumeist außerordentlich w e i t e V e r b r e i tung sollte A n l a ß sein, ihre W i r k u n g nicht z u gering, jedenfalls, ins41

Tierenzyklopädik von durchaus mittelalterlicher Prägung hat sich aber trotz der Konkurrenz der Emblembücher noch lange gehalten. Als Beispiele seien genannt: Wolfgang! Franzii Historia animalium sacra in quo [sie!] pleromque animalium praeeipuae proprietates in gratiam studiosorum theologiae et ministrorum verbi ad usum είκονολογικόν breviter accomodantur (zit. nach der 2. Aufl. Witebergae 1621). Dieses Werk wurde nach seinem ersten Erscheinen 1 6 1 2 in insgesamt 14 weiteren Auflagen bis zum Anfang des i8.Jhs. gedruckt. - Conrad Gessner, Historia animalium. Liber I: de quadrupedibus viviparis. Opus philosophis, medicis, grammaticis, philologis, poetis et omnibus rerum linguarumque studiosis utilissimum simul iueundissimumque futurum. Tiguri i j j i . Insgesamt erscheinen von diesem Werk fünf Bücher bis 1587. Die letzte Auflage erscheint 1 6 1 7 - 2 1 , und 1669/70 gibt G. Horst einen Gesnerius redivivus heraus. Schließlich sei nodi genannt: H . H . F r e y , Θηροβίβλιον. Biblisch Thierbuch, darinne alle vierfüssige, zahme, wilde, gifftige und kriechende Thier, Vogel und Fisch (deren in der Bibel Meldung gesdiieht) sampt iren Eigenschaften und anhangenden Historien beschrieben sind etc., Leipzig 1595.

42

In der älteren Forschung fälschlich als Glossarium Ansileubi bezeichnet (so noch McCullodi, Bestiaries. S. 34), was seit Manitius (Geschichte der lat. Literatur des Mittelalters. Bd. i, S. i J 3 f . ) richtiggestellt sein dürfte. Die Texte werden nach den Separatausgaben von A. Mai und J . B. Pitra zitiert (vgl. unten, Verzeichnis der abgekürzt zit. Texte S. 205). Zum Liber Glossarum vgl. Georg Goetz, Abh. d. Akad. d. Wiss. Leipzig, phil.-hist. K l . 1893 N r . 3. Leipzig 1893. S. 213-288 und ders., Corpus Glossariorum Latinorum. Bd. 1, Leipzig-Berlin 1923. S. 105-207. Zu den Hss. ebd. Bd. 5, 1944. S. X X f f . Eine Gesamtausgabe durch W.M.Lindsay u. a. liegt vor in den Glossarla Latina. Bd. ι , Paris 1926. Zur weiteren Wirkung des Liber glossarum vgl. u. a.: J . A.McGeachy jr., The Glossarium Salomonis and its Relationship to the Liber Glossarum. In: Speculum 13 (1938) S. 309-318. Vgl. dazu oben S. 28f.

43

160

gesamt gesehen, nicht geringer als die des Physiologus einzuschätzen. Im

folgenden Abschnitt

soll nun

eine Dokumentation

zur

Stoff-

geschichte der Tiergeschichten, w i e sie auch der Physiologus enthält, gegeben werden, die deren Verbreitung in den verschiedenen

und

unterschiedlichsten literarischen Bereichen zeigen soll. 44 D a s trifft f ü r die lateinischen Belege zu, die entweder aus mittelalterlichen T e x t e n stammen oder aus T e x t e n der A n t i k e und Patristik, die im Mittelalter bekannt w a r e n . I m Bereich der deutschen Literatur liegt der S c h w e r punkt auf Belegen, die eine nicht-geistliche V e r w e n d u n g der T i e r geschichten zeigen. E i n e repräsentative S a m m l u n g ausschließlich geistlicher Tierauslegungen hat D . SCHMIDTKE vorgelegt, 4 5 so daß die B e schränkung hier vertretbar ist. E i n e weitere Beschränkung betrifft die T i e r t y p e n : es w u r d e n nur diejenigen Tiere und Eigenschaften berücksichtigt, die in der Dicta-Version

vorkommen. 4 6

Ü b e r die geistliche V e r w e n d u n g der Tiergeschichten in der deutschen Literatur

von

noo-ijoo

hat

SCHMIDTKE

ausführlich

gehandelt. 4 7

Schwerpunkte der Tierauslegung stellt er fest in den Bereichen der Predigt, biblischen Allegorese, der Mariendichtung (und z w a r hier erst nach K o n r a d s v o n W ü r z b u r g >Goldener SchmiedeEcbasis cuiusdam captiviBösen FrauDie gute Predigt< (hrsg. von Adelbert von Keller, Erzählungen aus altdeutschen Handschriften. Stuttgart 1855 [StLV Bd. 35]. S. 26-31) sowie die Minnekontrafakturen zu Paternoster und Ave Maria (hrsg. von Ignaz von Zingerle, Zwei Travestiien. In: Germania

162

wohl nicht immer eindeutig f ü r die Verwendung geistlicher Elemente in profanem Zusammenhang angebracht, wenn man die engen Bezüge zwischen Marien Verehrung und Minne berücksichtigt: geistliche Elemente dienen hier auch zur Intensivierung in der Darstellung der Minnebeziehung, und die Grenze zur Parodie w i r d wohl nicht immer mit Sicherheit zu ziehen sein. D i e Übernahme geistlich-theologischer Denkkategorien und Auslegungsschemata in weltliche Texte ist seit langem erkannt, 57 wenn auch gegen eine uneingeschränkte interpretado Christiana und damit die >Theologisierung< der weltlichen Dichtung schon mehrfach Stimmen laut geworden sind. 58 A u d i die physiologusartigen Tiergeschichten sind solche ursprünglich geistlichen Elemente, die bald nach Beginn des 1 3 . Jhs. in der >weltlichen< Literatur verwandt werden. Sie sind zu beobachten in den lehrhaften Genera: im strophischen Spruch wie im Reimpaarspruch und in den Werken epischen Formats (>Wälscher GastRennerParodieLöweZyma vetus< A H 54, 1 4 9 , 1 3 ^ S. 227; Ostersequenz >Sexta passus feria< A H 54, 1 4 7 , 1 1 S. 224. Glossa ordinaria zu Gen. 49,9 P L 1 1 3 , 1 7 8 c ; zu Apoc. 4,7 P L 1 1 4 , 7 1 9 A. Hildegard von Bingen, Physica V I I , 3 . P L i 9 7 , i 3 i 7 C f . Alanus ab Insulis, Distinctiones. P L 2 1 0 , 7 3 4 0 und 835 A . Petrus Riga, Aurora. Genesis 1 4 3 3 - 3 6 . Nibelungenlied Β 2 2 3 4 , i f f . (Die Beziehung zur Erweckung der Jungen durch den alten Löwen ist nicht eindeutig gegeben. Vgl. zu einer ähnlich knappen Anspielung 953,1 [Panther]). De bestiis et aliis rebus Ι Ι , ι . P L 1 7 7 , 5 7 C . Alexander Neckam, De naturis rerum. 1 1 , 1 4 8 . Arnoldus Saxo S. 55. Wolfram, Parzival 7 3 8 , 1 9 ^ ; Willehalm 40,4-7. W. Gast 1 3 0 0 9 - 1 2 . Freid. ΐ}6,ιγί. (unecht). J a k o b von Vitry, Hist, orient, cap. 88, S. 176. Bartholomäus Anglicus fol 208 v b f . Thomas von Chantimpré 4,54,19^ Konrad von Würzburg, G S 502-5. 63

Daneben gibt es die Variante, daß der V a t e r das Junge (oder die Jungen) durch seinen S c h r e i erweckt. Sie stammt nicht ursprünglidi aus dem Physiologus und ist nur in der späten Fassung des Physiologus Theobaldi enthalten, hat aber weit mehr Wirkung gehabt als die ursprünglich im Physiologus beriditete Erweckung durdi den Hauch. Die abweichende Variante kommt nicht in der Antike v o r ; der früheste mir bekannte Beleg stammt vom Ende des 5 - J h s . von Rufinus. Besonders weite Verbreitung wird sie durch Isidors Etymologien bekommen haben.

166

Rudolf von Ems, Willehalm 549; Weltchronik 2963f. mit Beziehung auf das Evangelistensymbol. Vinzenz von Beauvais, Spec. nat. 19,73 u n d 74· Renner 19331. Reinmar von Zweter 9,7F. Wartburgkrieg 132. Frauenlob, Frauenleich I2,i4f.; Minneleich 17,1 f.; Lied IV,5,3-5. Marner X V , 15,281-85. Heinzelin von Konstanz, Von den zwei Johannsen HMS 3, S. 409a. Stolle 12,if. HMS 3, S. jb. Boppe VII,3,7f., HMS 2, S. 385b. Egen von Bamberg S. 6, Vs. 98. mndfrk. Bestiar S. 20i,26fi. Jg. Titurel 4091,1-5 und 5152. Jakob von Mühldorf, Mariensequenz A H 54,243,1 if. S. 380. Minneburg 3483-89. Minnereden Bd. 2,7,360-363 und Bd. 2,13,435-441. Bruder Hans, Marienlieder 2126 und 3913F. Schüler von Paris A 530-34, S. 430. Müg. 18,6 + 16; 26,i6f.; 127,11; 186,9-11; 212,3-5; 214.1-4; 278. Kolm. S.41 N r . C X C L ; VI, Vs. 261-268; X X X I V , Vs. 37-42; C X C I , Vs. 39-57. Folz, Meisterlieder 1,179-182; 14,33^; 75,291-293; Reimpaarsprüche S. 263,34f.

Panther (panthera) Zur StofFgeschichte in der Antike vgl. K E L L E R , Antike Tierwelt. I, S. 62-64; F. W O T K E - H . JEREB, Art. >PantherAntiEinhornEinhornEinhornKatalog i 3 i 7 D f f . Garnerius v o n St. Victor, G r e g o r i a n u m I I , cap. 24. P L I 9 3 , i 2 i f . Gerhoh von Reichersberg, Comment, in Ps. 91 P L 194,565 BC. Alexander Neckam, Laus divinae sapientiae Vs. 1 6 j f . D e bestiis et aliis rebus 11,6. PL 177,59 C f . Straßburger Alexander Vs. 5 578ÎÏ. Petrus Riga, A u r o r a , in I. Reg. Vs. 47F. Arnoldus Saxo S. 58. (Gesta R o m a n o r u m cap. 1 1 5 S. 457: D e r Elefant l ä ß t sich durch zwei reine J u n g f r a u e n fangen, die ihn töten u n d sein Blut a u f f a n g e n ) . B u r k a r t v o n Hohenvels 11,5 68 (hrsg. von CARL VON KRAUS, Liederdichter S. 3 3 f . ) . W o l f r a m , P a r z i v a l 482,24-26; 613,22. K o n r a d v o n W ü r z b u r g , G S 2 5 6 - 2 7 3 ; Ι Ι Ι , ι (Erlösungsleich) 1 7 2 - 7 6 ; I I I , 3 2 >343· J a k o b v o n Vitry, Historia orient, cap. 88 S. 179. Bartholomäus Anglicus fol 2 1 3 vb. Thomas von C h a n t i m p r é 4,104. Vinzenz von Beauvais, Speculum n a t u r a l e 19,104. Rudolf von Ems, Weltchronik Vs. 1767-99. C a r m i n a b u r a n a 88,2 u n d 93a,3. Albertus Magnus, D e animalibus 22,144. Renner 19441-46. Frauenlob, Kreuzleich 10,1-5; Minneleich 17,3. 68

Vgl. dazu Christoph Gerhardt, Burkharts von Hohenfels Nach des aren site ir ère ( K L D 6 II). In: Beiträge zur weltlichen und geistlichen L y r i k des 1 3 . - x 5 . J h s . Würzburger Kolloquium 1970. H g . von K u r t Ruh und Werner Sdiröder. Berlin 1 9 7 3 . S. 5 4 - 6 7 .

170

Rumslant 11,2 + 3. H M S 2 S. 368a. Geistliche Einhornjagd hrsg. von W. STAMMLER, Spätlese des Mittelalters. Bd. II, Berlin 1965. S. 47. Jg. Titurel 3979. Wartburgkrieg 143. Bruder Hans, Marienlieder 3771-76. mndfrk. Bestiar 195,15 ff. Jakob von Mühldorf (Mariensequenz) A H 54 Nr. 243, Str. 12, S. 380. Engelbert von Volkersdorf (Marienpsalter) A H 35, I X , Str. 21, S. 124; A H 35, VI, Str. 16, S. 80. Sieben Freuden, S. 90,i6of. und S. 96,137. Walther, Sprichwörter 26871. BdN i6i,i8ff. Kolm. S. 17, N r . 142 Vs. 4f. Heinrich von Neustadt, Gottes Zukunft 1520-24. Heinrich von Mügeln 82,1-8; 131,1-4; 75,262-70. Folz, Meisterlieder 14,39^ und 59,57-64; Reimpaarsprüche S. 262,19-22. Hans Sachs, Werke Bd. 16, 495,5-16 und 496,26-497,19.

Hydrus 69 (enhydrus, (h)ydris,

ichneumon)

Zur Herkunft der Geschichte aus dem altägyptischen Kulturraum vgl. Altägyptische Mythen im Physiologus; bes.

E. BRUNNER-TRAUT,

S. 184ÍÍ. und PHOTINA RECH, Inbild des Kosmos. B d . 1 S. 164; d a z u

oben S. 100 und 149. Stoffgeschichte in der Antike: KELLER, A n t i k e Tierwelt. Bd. 1, S. 158 bis 160 (Hydrus) und Bd. 2, S. 260-70 (Krokodil). H.GOSSEN A . STEIER, R E I ( 1 9 2 2 ) Sp. 1 9 4 7 - 5 7 ( K r o k o d i l ) und H . GOSSEN, R E

Suppl. Bd. 8 (1956) Sp. 233; PERRY, Physiologus. Sp. io88f.

Der am N i l lebende Hydrus ist Feind des Krokodils. Wenn er dieses am Flußufer mit offenem Maul schlafen sieht, w ä l z t er sich im Schlamm und schlüpft in das offene Maul. Er zerbeißt die Eingeweide des Krokodils und tritt lebendig aus dem Bauch des Untiers hervor. Lat. Fassungen: y, b, Dicta. D t . Übersetzungen: Wien 223, Wien 2721, Millstätter Hs.; Melker Physiologus. Plinius Naturalis Historia 8,37,90. Solinus I43,i7f. 69

Es handelt sich hier eigentlich um ein kleines Säugetier; so auch im Physiologus y: figurarti habens canis (Carmody, Versio y. cap. 38, S. 129). Das Mittelalter hat aber weitgehend dieses Tier als Schlange aufgefaßt, möglicherweise unter dem großen Einfluß von Isidors Etymologien (vgl. dazu audi oben S. 100 sowie Goldstaub-Wendriner, Tosco-venezianisdier Bestiarius. S. 3 J4Í.).

171

Isidor, Etym. 12,2,36 (Enhydros); Isidor berichtet 12,6,20 eine ganz ähnliche Geschichte von Fischen, die mit ihrem gezackten Rücken das Krokodil töten (vgl. audi 1 2 , 6 , 1 1 ) . Die mustela (Wiesel) kämpft mit der Schlange und nimmt dabei das Kraut ruta agrestis ins Maul, wodurch sie geschützt wird ( 1 7 , 1 1 , 8 ) (so auch bei Thomas von Chantimpré, s. u.). Hrabanus, De rerum naturis V I I I , 3 . P L 1 1 1 , 2 2 8 D f. Liber glossarum Clm 14429 fol 2 1 2 rb (nicht bei MAI und PITRA). Papias S. i j o b . Odo von Cherington I V , S. 192. De bestiis et aliis rebus 11,7. P L 1 7 7 , 6 0 Ε f. Arnoldus Saxo S. 64 (beriditet den Kampf von einem genus delphini, das mit seinem stadieligen Rücken das Krokodal tötet (offensichtlich im Gefolge von Isidor, Etym. 1 2 , 6 , 1 1 ) und danach audi vom ydris, der als animal aquaticum et volatile bezeichnet wird). S. 67 wird der Kampf von mustela und basiliscus beriditet. Bartholomäus Anglicus fol 203 ra. Thomas von Chantimpré 8,21 (ydros); 4,77 (mustela). Vinzenz von Beauvais, Speculum naturale 16,154 (nennt den Hydrus hier unter den Vögeln als animal volatile in Nilo); 19,54 (enydrus); 19,124 (Kampf des Ichneumon mit dem Hippopotamus). Albertus Magnus, Quaestiones super De animalibus. V I I I , 1 0 . S. 1 9 1 , 6 8 fF. (mustela frißt ruta agrestis oder wälzt sich darin vor dem Kampf mit der Schlange; ähnlich: De animalibus 22,122); De animalibus 25,30 (hier wird der Hydrus als pulcberrimus omnium serpentium bezeichnet, ebenso bei Thomas von Chantimpré 8,21 mit Berufung auf Plinius.) Konrad von Würzburg, G S 160-63 (das Hermelin tötet die Schlange). 1 1 1 , 3 2 (moral. Spruch), 2 3 1 (wê daz ein iderslange mac dur herten cokodrillen). Meissner X I I , 3 + 4, H M S 3, S. 1 0 1 a erzählt, daß die Jungen des Pelikans von der Schlange getötet werden; der Pelikan wälzt sich im Schlamm, den er trocknen läßt, um sich so zu schützen, wenn er die Schlange angreift. Die Orientierung an der Hydrus- bzw. Mustela-Geschidite ist deutlich. Der Meissner bietet hier eine Gegen-Gesdiidite zu einer Strophe des Marners ( X V , 16), die näher an der Fassung des Pelikan-Abschnittes bleibt, wie er u.a. aus dem Physiologus bekannt ist. Vgl. dazu BURKHART WACHINGER, Sängerkrieg. Untersuchungen zur Sprudididitung des 1 3 . J I 1 S . München 1 9 7 3 ( = M T U B d . 4 2 ) . S . 1 5 3 - 1 5 8

CHRISTOPH GERHARDT, Die Kriegslist des Pelikans. In: Z f d A

sowie

103

(1974) S. 1 1 5 - 1 1 8 ) . Marner X V , 16,305.

Frauenlob, Marienieich 9,14. Renner 2 0 1 0 3 - 2 0 1 0 8 (Kampf zw. Wiesel und Basilisk; das Wiesel nimmt rûten ins Maul.) mndfrk. Bestiar S. 209,2 5 ff. B d N S. 2 7 2 , 3 1 - 2 7 3 , 1 3 (der Hydrus wird hier als wazzerslang bezeichnet).

172

S i r e n e n u n d O n o c e n t a u r e n (sirena,

onocent(h)aurus)

Z u r Stoffgesdiichte in der A n t i k e v g l . R E , S u p p l . B d . 3, S p . 2 8 8 f . und PERRY, Physiologus. S p . i o 8 3 f . -

D i e V e r b i n d u n g v o n Sirenen und

Onocentauren liegt außer im Physiologus audi im A l e x a n d e r r o m a n des Ps.-Kallistenes v o r (ed. KROLL, 1 1 , 4 2 ) . - Z u r D e u t u n g der Sirenenbeschreibung bei H o m e r , Odyssee i 2 , 3 9 Í f . in christlicher Sicht v g l . HUGO RAHNER, Griechische M y t h e n in christlicher Deutung. S . 2 9 8 - 3 2 8 . a) D i e Sirenen, 7 0 halb Mädchen, halb V o g e l , 7 1 singen die Seeleute in Schlaf und zerfleischen sie dann. L a t . Fassungen: y , c, b, D i c t a , Physiologus Theobaldi. D t . Übersetzungen: W i e n 2 2 3 , W i e n 2 7 2 1 , Millstätter H s . ; M e l k e r Physiologus

(sira, unten Fisch), Übersetzungen

des

Physiologus

Theobaldi. Ambrosius, Expositio in Lucam. IV,2,3. C S E L 32,4 S. 140; Explanado Psalmorum 4 5 , 7 5 . C S E L 64, S. 3 1 5 . Isidor, Etym. 1 1 , 3 , 3 0 - 3 1 . 70

Die Geschichte von den Sirenen ist im Mittelalter nicht nur durch die Texte des Quellbereidies bekannt geworden. Auch die verschiedenen Seefahrermärchen und -berichte erzählen von ihnen. Zur Darstellung innerhalb der Kunst ist zu verweisen auf: H. Schräder, Die Sirenen nach ihrer Bedeutung und künstlerischen Darstellung. Berlin 1889; E. Psenner, Art. >SirenenAdoro (te) devoteRabe