Zählen: Semantische und praxeologische Studien zum numerischen Wissen im Mittelalter 9783666367168, 9783525367162, 9783647367163

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Zählen: Semantische und praxeologische Studien zum numerischen Wissen im Mittelalter
 9783666367168, 9783525367162, 9783647367163

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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Historische Semantik Herausgegeben von Bernhard Jussen, Christian Kiening, Klaus Krüger und Willibald Steinmetz

Band 14

Vandenhoeck & Ruprecht © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Moritz Wedell

Zählen Semantische und praxeologische Studien zum numerischen Wissen im Mittelalter

Vandenhoeck & Ruprecht © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.

Mit 53 Abbildungen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-36716-2 ISBN 978-3-647-36716-3 (E-Book) Umschlagabbildung: Astronom mit Astrolab / Buchmalerei um 1250, Paris, Bibliothèque Nationale. Bildnachweis: akg-images. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: textformart, Göttingen Druck und Bindung: w Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Inhalt

Vorwort / Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Fragen und Forschungen zur Geschichte des numerischen Wissens im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Forschungslage I: Fallstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1.1 Blinde Flecken: Geschichtserzählungen und Zahlgeschichten . . 18 1.1.1 Geschichtserzählungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.1.2 Zahlgeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.2 Exemplarische Studien zur Historisierung des Zahlgebrauchs . 22 1.2.1 Philosophische Reflexionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.2.2 Literarische Einbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.2.3 Ökonomische Formatierungen . . . . . . . . . . . . . . . 41 1.2.4 Sprachliche Instanziierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1.3 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1.3.1 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1.3.2 Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Forschungslage II: Methodische Voraussetzungen . . . . . . . . . . 70 2.1 Kulturtechnische Öffnung der Philologie . . . . . . . . . . . . . 70 2.1.1 Oralität und Literalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2.1.2 Von der philologischen Mediengeschichte zur Kulturtechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2.1.3 Oralität – Literalität – Numeralität . . . . . . . . . . . . . 72 2.2 Mathematikgeschichtliche Öffnung der Informationsgeschichte 73 2.2.1 ›Gemeine Sprache‹ – ›gemeine Zahl‹ in der frühen Neuzeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2.2.2 Grenzen der Übertragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2.2.3 Vor der Normierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2.3 Sachgeschichtliche Öffnung der historischen Semantik . . . . . 79 2.3.1 Linguistische Transparenz und Entsprachlichungsvorwurf 80 2.3.2 Zur Rephilologisierung der historischen Semantik . . . . 81 2.3.3 Ein historisch-philologischer Neueinsatz in drei Thesen . 83 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Inhalt

3. Begriffliche Integration des Arbeitsfeldes und Konzeption des Darstellungsteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.1 Kulturtechniken: operational – operativ – operal . . . . . . . . 87 3.2 Maximen für eine Geschichte des numerischen Wissens im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.3 Vorhaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.3.1 Fokussierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 3.3.2 Gliederung des Darstellungsteils . . . . . . . . . . . . . . . 93 II. zeigen – zählen – erzählen. Wortgeschichte im kulturtechnischen Horizont . . . . . . . . . . . . . 97 1. Was bedeutet Zahl ursprünglich? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1.1 Kluge/Seebold: Die ›Kerbholz-Theorie‹ . . . . . . . . . . . . . . 98 1.2 Paul/Henne: Die ›Verzweigungs-Theorie‹ . . . . . . . . . . . . . 102 1.3 Grimm/Heyne: Die ›Parallelentwicklungs-Theorie‹ . . . . . . . 103 2. Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3. Ein alternatives Modell für die Bedeutungsentwicklung . . . . . . . 109 3.1 Vulgärlateinisch taliare: »die einfachste form, zählungen für das auge festzuhalten« . . . . . . . . . . . . . . . 109 3.2 Althochdeutsch zala: Operationale Verfahren schieben sich zwischen zählen und erzählen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3.3 Frühneuzeitliche Zyffer tzale: Eine mathematische Metasprache besetzt den Zahlbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 III. erzählen – zählen – zusprechen. Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln . . . . . . . . . . . . . 123 1. Was heißt zal im Mittelhochdeutschen? Polarität vs. Kontinuität der Bedeutungsvariation . . . . . . . . . . 126 1.1 Das »Mittelhochdeutsche Wörterbuch« von G. F. Benecke, W. Müller und F. Zarncke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1.1.1 Zur Architektur des »Mittelhochdeutschen Wörterbuchs« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1.1.2 Das Lemma zal im »Benecke/Müller/Zarncke« . . . . . . 127 1.1.3 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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1.2 Das »Mittelhochdeutsche Handwörterbuch« von Matthias Lexer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1.2.1 Zur Architektur des »Mittelhochdeutschen Handwörterbuchs« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1.2.2 Das Lemma zal im »Lexer« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1.2.3 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1.3 Zwischenresümee und offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . 138 2. Die Einbeziehung von Kontrollkorpora . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2.1 Zum Stand der mittelhochdeutschen Lexikographie . . . . . . . 140 2.2 Die Leistung der Kontrollkorpora . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2.2.1 Das »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« . . . . . . . 142 2.2.2 Das Korpus des »Wörterbuchs der mittelhochdeutschen Urkundensprache« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2.2.3 Perspektivierung der Thesen von Wilhelm Müller und Matthias Lexer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2.3 Was bedeutet zal im Mittelhochdeutschen? Ergebnisse . . . . . 149 2.3.1 Textsortenspezifische Verwendung . . . . . . . . . . . . . 149 2.3.2 Pragmatische Situation und semantische Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 2.3.3 Zusammenfassung und Schlussfolgerung . . . . . . . . . 153 3. Was heißt zeln im Mittelhochdeutschen? . . . . . . . . . . . . . . . 154 3.1 Die Artikelstrukturen im »Benecke/Müller/Zarncke« und im »Lexer« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 3.2 Auswertung der Belege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3.2.1 Quantifizieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3.2.2 Mitteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 3.2.3 Zuschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3.3 Zusammenfassung und Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3.3.1 Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3.3.2 Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3.3.3 Pragmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3.3.4 zeln im Sinnbezirk des kommunikativen Handelns . . . . 169 3.3.5 Zur Medialität der Zahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 IV. Zuteilen – zählen – zahlen. Legitimation und Operationalisierung von Kerbholznotationen . . . . 183 1. Philologischer und archäologischer Befund . . . . . . . . . . . . . . 184 1.1 Wie spricht man über das Zählen auf Kerbhölzern? . . . . . . . 184 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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1.1.1 Bezeichnungen und Funktionsspektrum von Kerbhölzern im Spätmittelalter . . . . . . . . . . . . . 185 1.1.2 Bezeichnung und Zeichentypus von Kerbreihen . . . . . 189 1.2 Die Gestalt der überlieferten Objekte . . . . . . . . . . . . . . . 193 1.2.1 Früheste Kerbhölzer aus der Bronzezeit . . . . . . . . . . 194 1.2.2 Mittelalterliche Kerbhölzer 800 bis 1400 . . . . . . . . . . 197 1.2.3 Englische exchequer tallies und spätere kontinentaleuropäische Kerbholztypen . . . . . . . . . . . 212 1.3 Zeichen jenseits der Differenz von Bild, Schrift und Ziffer . . . 215 1.3.1 Die formalen Verwandten im Manuskript . . . . . . . . . 215 1.3.2 Die funktional und formal verwandten Zeichen auf Objekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1.4 Zusammenfassung und Einordnung in die Forschung . . . . . . 235 1.4.1 exchequer tallies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1.4.2 Holzurkunden der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1.4.3 »Une enquête sur la taille« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 1.4.4 Neuere Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 2. How to do things with notches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2.1 Modalitäten der Güterübertragung zwischen Kult und Kode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 2.1.1 Eigentum übertragen: die festuca notata . . . . . . . . . . 245 2.1.2 Das Verblassen des Sakraments: Andreas Heuslers Theorie zur Genese des Kerbholzes . . 248 2.1.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 2.2 Zählungen operativieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 2.2.1 Vom Zuteilen zum Zählen: das Tennenbacher Güterbuch . 265 2.2.2 Vom Zählen zum Zahlen: Kerbhölzer im Nord- und Ostseehandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 2.2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 2.3 Zählungen autorisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2.3.1 Die Kodierung der exchequer tallies . . . . . . . . . . . . . 279 2.3.2 Die Geltung kultisch erneuern . . . . . . . . . . . . . . . 283 2.3.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 3. Kerbhölzer als protoschriftliche Medien und die Anfänge der Operationalisierung im Bereich der Mündlichkeit . . . . . . . . 288 3.1 Schriftzeichen vs. Kerbzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 3.2 Kerben schreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 3.3 Integration von Wort- und Sachgeschichte . . . . . . . . . . . . 301

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Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 Textausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Personen-, Sach- und Wortindex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

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Vorwort / Dank

Die vorliegende Studie ist im Kontext der interdisziplinären DFG-Forschergruppe »Bild  – Schrift  – Zahl« am Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt-Universität zu Berlin (2001–2007) entstanden. Für die Integration kulturtechnischer, im weiteren Sinne formalisierungsgeschichtlicher Ansätze mit philologischen Fragestellungen und Methoden hat die Forschergruppe ein legitimierendes und inspirierendes Umfeld bereitgestellt. Das gilt insbesondere für die mediävistische Projektarbeit von Horst Wenzel, aus der die Fragestellung der vorliegenden Arbeit hervorgegangen ist. Ihm gebührt der erste Dank dafür, die Studie ermöglicht und gefördert zu haben, auch da, wo bisweilen die Grenzen des philologischen Terrains außer Sicht gerieten. Neben den Diskussionen in der Forschergruppe, an der auch Jochen Brüning, Horst Bredekamp, Eva Cancik-Kirschbaum, Wolfgang Coy, Friedrich Kittler, Sybille Krämer, Thomas Macho und Bernd Mahr prägend beteiligt waren, hat die Arbeit immer auch vom Gesprächsumfeld am Lehrstuhl Horst Wenzel profitiert: allem voran von den Diskussionen mit meinem Bild-Schrift-Zahl Mitstreiter Jörn Münkner. Ludolf Kuchenbuch hat sich nicht nur bereit erklärt, das Koreferat im Promotionsverfahren zu übernehmen, sondern stand immer wieder für intensive, kritische und orientierende Diskussionen zur Verfügung, die zum Gelingen der Arbeit grundsätzlich beigetragen haben. Ohne die Hilfsbereitschaft und das Gesprächsinteresse der MitarbeiterInnen des Bergen University Museums (bes. Gitte Hansen), in dem ich hunderte von Kerbhölzern sichten und besprechen konnte, ohne die Gastfreundschaft von Harald Witthöft, in dessen Archiv zur Historischen Metrologie ich arbeiten durfte, ohne Klaus-Peter Wegera und Sandra Waldenberger, die die Sichtung der einschlägigen Wortbelege aus dem Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus ermöglicht haben, hätten Lücken der Materialbasis den Fortgang der Untersuchung und sachliche Missverständnisse die Ergebnisse der Arbeit gravierend belastet. Im Zusammenhang der Wort- und Sachmaterialbeschaffung habe ich außerdem den MitarbeiterInnen der Arbeitstellen Mittelhochdeutsches Wörterbuch an der Akademie der Wissenschaften in Göttingen zu danken, schließlich auch Gerhard Eiselmeier (Linz), der mir in seine Privatsammlung alter Maßobjekte Einblick gewährte und deren kryptische Beschriftungen aufzuschlüsseln wusste. Die Arbeit wurde im Jahr 2007 von der Philosophischen Fakultät II der Humboldt-Universität zu Berlin als Dissertation angenommen. Sie liegt hier in überarbeiteter Form vor. Literatur, die nach 2009 erschienen ist, konnte nur noch kursorisch berücksichtigt werden. Der Horizont, von dem her die Studie entwickelt © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Vorwort / Dank

worden ist, wird in einem eigenständig publizierten, mit der vorliegenden Arbeit eng verzahnten Themenband formuliert: »Was zählt. Ordnungsangebote, Gebrauchsformen und Erfahrungsmodalitäten des numerus im Mittelalter« (ersch. im Böhlau Verlag, Köln). Für die gründliche und kritische Durchsicht des Manuskripts im Ganzen oder in Teilen danke ich Jana de Blank, Christine Dubois de Dunilac und Christoph Lienhardt. Bernhard Jussen, Christian Kiening, Klaus Krüger und Willibald Steinmetz danke ich herzlich dafür, der Dissertation durch die Aufnahme in die Reihe »Historische Semantik« den bestmöglichen Publikationsort zu gewähren. Dem Schweizerischen Nationalfonds danke ich für die Gewährung eines Druckkostenbeitrags.

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Einleitung

»Alles Weltvertrauen fängt an mit den Namen, zu denen sich Geschichten erzählen lassen.«1 Der Mythos setzt nach Hans Blumenberg ein mit der Evokation von Bildern der Aneignung des Unbekannten durch den Akt der Benennung.2 Das Erzählen ist anfangs katalogisch, eine parataktische Reihung der Namen der Götter. Dann wird die Aufzählung, auf der anderen Seite der Angst, zur ersten Form der poetischen Ausgestaltung der Welt. Denn in dem Moment, wo der Sänger in seinem Bemühen scheitert, die volle Zahl der Götter im Gesang aufzuführen, schlägt die mythische Nennung in eine poetische Form um.3 Mit der Notwendigkeit zur Auswahl verbindet sich das Erfordernis, die Namen und Geschichten nach ihrer Bedeutsamkeit zu ordnen und die Beziehung zwischen ihnen auszugestalten. Dieser Prozess konstituiert den Übergang vom mythischen Nennen und Aufzählen zum poe­tischen Erzählen.4 Auch die vermeintlich nüchterne Variante, das Zählen, ist allem voran ein sprachlicher und poetischer Akt der Aneignung. Im Akt des Zählens wird zergliedert, angeordnet, zusammen­gefasst, aber ebenso auch selektiert und Bedeutsamkeit zugemessen. »Was zählt«, ist nur sekundär eine Frage des ›wie viel?‹. »Was zählt«, ist eine Frage des ›wodurch?‹, ›für wen?‹, ›wozu?‹.5 In einer Kultur, in der dem Wort eine orale Kraft zukommt, wie sie Walter Ong beschrieben hat,6 die nicht durch die Regeln der schriftlichen Kommunikation, im Fall der Zahl: des schriftlichen, mathematischen Kalküls diszipliniert ist, sind die Akte des Zählens frei für die Vernetzung im komplexen Feld des mündlichen kommunikativen Handelns. Es geht in der vorliegenden Arbeit darum, die kommunikative Rolle von Zahl und Zählen herauszuarbeiten, die in der Moderne durch die rechnerische Funktion der Zahl irreführend überblendet ist. Wie kann das Numerische als kommunikative Größe bestimmt werden? Eine erste Antwort geben das Wort und seine Geschichte. In der etymologischen Rekonstruktion ist das Wort Zahl durch die Kerbe im Kerbholz motiviert: durch ein Erinnerungs­zeichen, in dem sich eine diskursive und eine numerische Bestimmung widerspruchslos miteinander verbinden. 1 Blumenberg 1979, S. 41. 2 Ebd., S. 40–67. 3 So Blumenberg in der Lektüre von Regazzoni 2001. 4 Zur antiken und mittelalterlichen Tradition einer Poetik des Katalogs s. die Studie Regazzoni 2008. 5 Vgl. zu dieser Frage zuletzt Eco 2009 und die Beiträge in Wedell (im Dr.). 6 Ong 1982. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Einleitung

Ob, und wenn ja, in welcher Form das noch für die mittelalterliche Überlieferung gilt, ist die weiterführende Frage der vorliegenden Studie. Sie wird von zwei Seiten her bearbeitet. Ein historisch-semantischer Teil untersucht die Verwendung der mittelhoch­deutschen Wörter zal und zeln. Ein sachgeschichtlicher Teil  widmet sich dem mittelalterlichen Kerbholzgebrauch. Zu beiden Themen gibt es bisher keine umfassenden Darstellungen. Im historisch-semantischen Teil wird die im sprechakttheoretischen Sinn performative Rolle des Wortes zeln erstmals benannt und herausgearbeitet. Sie zeigt sich in der Überlieferung besonders dort, wo es darum geht, höfischen Rang zuzusprechen. Denn zwar ist der hierarchische Status seinem Träger immer schon eigen. Trotzdem kann der Rang durch statusgerechtes Verhalten immer nur beansprucht werden.7 Ob die Durchsetzung des Anspruchs gelingt, ist eine Sache des namens, von schal und rede, die sich, im Munde der anderen, an die Person knüpfen.8 Der Akt, mit dem soziale Zugehörigkeit (oder sozialer Ausschluss) bekräftigt und Rang konstituiert wird, heißt im Mittelhoch­deutschen zeln: wan ich zer schœnsten bin gezelt, betont Helena in diesem Sinne, und für die besten ûz erkorn.9 Der Rang ist nicht nur eine Sache der Repräsentation, sondern schlicht auch der Versorgung.10 Entsprechend werden von dem Grundherrn die Abgaben beansprucht, die – wie der gesellschaftliche Status – immer schon sein eigen sind.11 Um seinen Anspruch zu befriedigen, müssen ihm die Erträge seiner Güter anteilig zugemessen werden. Das Instrument dafür ist das Kerbholz. Der Kerbholz­ gebrauch ist neben der seigneurialen und staatlichen Abgabenpraxis an die Organisation des Transportwesens gekoppelt, an privaten Borgkauf und kaufmännische Kreditgeschäfte12 sowie an eine Reihe von Rechtsvorgängen.13 Ich möchte zusammenfassend die Legitimationsstrukturen heraus­arbeiten, die sich mit dieser Praxis verbinden. Denn bei den Ankerbungen auf dem Kerbholz geht es in unterschiedlichen Modalitäten immer um Güter, insofern diese jemandem zustehen. In der etymologischen Rekonstruktion des Wortes Zahl wird die Anschaulichkeit, das Zeigen der Zählung in den Vordergrund gestellt, das zählen und er­ zählen miteinander verbindet. Diese Konstellation präzisieren und entfalten die Studien zur historischen Semantik und zur Sachgeschichte. Die Erforschung des mittelhochdeutschen Wortes zeln auf der einen und der mittelalterlichen Kerbpraxis auf der anderen Seite gibt der Frage nach dem Verhältnis von zeigen, 7 Wenzel 1995. 8 Wenzel 1995, S. 142–158; Wandhoff 1999. 9 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg (Keller), V. 220 f. 10 Seggern/Fouquet 2000. 11 Emmerich 2004. 12 Kuchenbuch 2002. 13 Kostanecki 1900. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Einleitung

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z­ ählen und erzählen eine kommunika­tionspragmatische Sättigung. Sie erscheint neu als die Frage nach den semantischen und praxeologischen Bezügen zwischen den Akten des Mitteil­ens, Zusprechens, Zuteilens und Zahlens. Kurz: Es geht um die kommunikativen, institutionellen, kultischen und kulturtechnischen Bedingungen, unter denen etwas zählt. Die Frage hat sich forschungsgeschichtlich lange angebahnt, ist aber bislang nicht programmatisch gestellt worden. Deswegen wird in einem ausführlichen Forschungsüberblick die Fragestellung sachlich begründet und methodisch eingeordnet (I). Anschließend wird das Thema in je einem Teil zur Etymologie und Wortgeschichte (II), zur historischen Semantik der Wörter zal und zeln im Mittelalter (III) und zum mittelalterlichen Kerbholzgebrauch (IV) entfaltet. Abschließend werden die Ergebnisse knapp resümiert und weiterführende Forschungsperspektiven benannt.

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Sachforschung und Wortforschung sind nicht immer Hand in Hand gegangen, sie sind aber auch nie wirklich miteinander zerfallen gewesen, sie haben sich stets unter dem Mantel der Philologie zusammengefunden. Hugo Schuchardt1

I. Fragen und Forschungen zur Geschichte des numerischen Wissens im Mittelalter

1. Forschungslage I: Fallstudien So naheliegend die Frage nach einer Historisierung des Zahlbegriffs ist, so disparat ist die einschlägige Forschung. In der Regel wird die Zahl je nach Forschungsfeld als ahistorische Größe deklariert, marginalisiert oder auch ganz aus der Kompetenz mittelalterlicher Autoren gestrichen. Dennoch liegt eine Reihe von Spezialstudien vor, die aus unterschiedlichen Perspektiven explizit oder implizit die Frage nach der Historisierung des numerischen Wissens stellen. Der folgende Forschungsüberblick bietet eine Auswahl der Annähe­rungen, die zur Geschichte des europäischen Zahlgebrauchs im Mittelalter vorliegen. Angesichts der Breite des Forschungsgebiets kann die Darstellung nicht auf Vollständigkeit abzielen. Vielmehr geht es darum, die Forschungslage in ihrer Diskontinuität zu charakterisieren und paradigmatisch eine Reihe wiederkehrender Figuren des mittelalterlichen Zahlgebrauchs herauszuarbeiten. Sie verweisen auf Phänomene innerer Kohärenz des Untersuchungsfeldes und rechtfertigen den Versuch einer programmatisch angelegten Fallstudie. Der erste Unterabschnitt (1.1) widmet sich der Rolle der Zahl in traditionellen Geschichts­erzählungen und der Ausprägung der Zahlkonzeption in den beiden großen Geschichten der Zahl von Karl Menninger und George Ifrah. Der folgende Unterabschnitt (1.2) referiert Forschungsbeiträge, die sich mittelalterlichen Verwendungen der Zahl widmen. Sie diskutieren die Zahl, wie sie philosophisch reflektiert, literarisch eingebunden, ökonomisch formatiert und sprachlich instanziiert erscheint. Im dritten Unterabschnitt (1.3), der zur forschungsgeschichtlich-methodischen Diskussion



1 Schuchardt 1912, S. 828. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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überleitet, werden die resul­tierenden Fragen formuliert, unterschieden nach fächerorientierten und sachorientierten Fragen.

1.1 Blinde Flecken: Geschichtserzählungen und Zahlgeschichten 1.1.1 Geschichtserzählungen Die Geschichtsschreibung folgt narrativen Mustern und disziplinären Zwängen. Spätestens seit Hayden Whites Kritik der Historiographie des 19. Jahrhunderts ist klar, dass die Geschichtsschreibung den Traditionen des literarischen Erzählens folgt und in diesem Gewand die Schwerpunktsetzungen aktueller Forschungsinteressen in die natürliche Entwicklung der Dinge verwandelt.2 Zu den dieserart transportierten präsuppositionalen Voreinstellungen gehört, dass Zahlen generell ›platonisch‹ seien, also eine jenseits der Dinge liegende ahistorische Substanz repräsentierten. In der Folge werden sie in aller Regel vollständig aus der Geschichtsschreibung ausgeblendet. Wenn überhaupt, dann erscheinen sie in traditionellen universalgeschichtlichen Darstellungen eingeflochten in die Entwicklung des wirtschaftlichen Handels als Marginalie orientalischer Einflüsse. Als Beispiel sei die einschlägige Passage aus der betont universalgeschichtlichen Geschichtserzählung Karl Hampes zitiert: »Indem italienische, provenzalische und katalanische Kaufleute […] auch den Personenverkehr mit den syrischen Kolonien regelten, schwoll der direkte Verkehr mit der Levante immer mehr an und übernahm seine Formen von der hoch entwickelten Schiffahrts- und Handelstechnik der Araber, die, um nur einiges zu nennen, seit langem Wasserbussole und den Wechsel verwandten, durch das indische Ziffern­ system des Algorismus (das erst 1202 von Leonardo Fibonacci, dem Sohne eines pisanischen Zollbeamten in Nordafrika, in das Geschäftsleben seiner Landleute eingeführt wurde)  das Rechnen ungeheuer erleichterten, den billigeren Schreibstoff des Papiers zunächst den romanischen Ländern des Südens vermittelten und wie auf allen anderen Gebieten ihres Kultureinflusses so vornehmlich auf diesem in zahlreichen Lehnworten der europäischen Sprachen ihre Spuren hinterlassen haben.«3

Wie im Fall von Hampe richtet sich auch sonst der Blick meist nur auf das, was wir heute mit Zahlen verbinden, nicht auf die Zahlen vor und neben Leonardos Liber abaci. Besonders konsequent wird die Historizität der Zahl in Darstellungen derjenigen Fächer ausgeblendet, deren Hauptwerkzeug sie ist. Sowohl in den Standardwerken zur Geschichte der Mathematik als auch in denen zur Geschichte

2 White 1987. 3 Hampe 1953, S. 223. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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des ökonomischen Denkens finden sich keine Reflexionen zur Frage, was eine Zahl historisch sei. Während in den traditionellen mathematikgeschichtlichen Abhandlungen die Stufen der Operationalisierung der Zahl erklärt werden und die Frage nach dem Wesen der Zahl der Philosophie überlassen wird,4 fehlt in den Überblicksdarstellungen der Wirtschafts­geschichte jede Historisierung ihres Arbeitsinstruments.5 Das ist erstaunlich, da erst im hohen Mittelalter die Schriftpraktiken eingeführt wurden, auf deren Grundlage später von Francesco Balducci Pegolotti (1290–1345) so komplexe Berechnungen wie Zins- und Wechselkursbestimmungen durchgeführt6 und Innovationen wie die doppelte Buchführung nach Luca Pacioli (1445-ca. 1510) etabliert werden konnten.7 So sind bei den wirtschaftsgeschichtlichen Überblickswerken aus kulturwissenschaft­ licher Sicht gewisse Marginalisierungen und Ahistorizitätsprämissen zu beklagen. Diese sind jedoch noch moderat gegenüber den Präsuppositionen anderer Autoren. Jüngst qualifizierte der Wissenschafts­historiker Detlef D. Spalt in »Sudhoffs Archiv« die Vielfalt der im Mittelalter entwickelten numerischen Notationstypen als ein »Bestiarium der skurrilen Ideen, der Unverständigkeit, der Erfolglosigkeit – der Irrtümer auf Irrwegen«;8 und der Militärhistoriker Jans F. Verbruggen ist ganz sicher, dass den mittelalterlichen Menschen schlicht jedes Verständnis vom Umgang mit Zahlen abzusprechen sei: »It is generally accepted«, resümiert er angesichts der Leistung mittelalterlicher Chronisten, »that medieval man had no head for figures.«9 Auch wenn man diese radikalen Positonen nicht berücksichtigt, lässt sich resümieren, dass es in den gängigen Geschichtserzählungen für die Geschichte der Zahl keinen etablierten Raum gibt. Sie erscheint als etwas Ausgegliedertes, das auf den ersten Blick keine nennenswerten Auswirkungen auf die umfassenden Strömungen der Geschichte hat. Methodologisch fällt die mittelalterliche Geschichte der Zahlen in das Niemandsland zwischen hermeneutischer Aneignung des Vergangenen und teleologischer Historiographie des mathematisch-naturwissenschaftlichen Fortschritts. Die materiale und funktionale Breite des Zahlge-

4 So bei Cantor 1880–98; Tropfke 1902/03; Cajori 1928/29. 5 So z. B. Samuels/Biddle/Davis 2003; Langholm 1992. 6 Pegolotti, Francesco Balducci, Libro di divisamenti di pesi e di misuri de mercanzie e daltre cose bisognevoli di sapere  a mercatanti. Der Traktat wurde zwischen 1335 und 1343, wahrscheinlich zwischen 1339 und 1340 verfasst und 1766 unter dem Titel Pratica della mer­ catura erstmals gedruckt als Band III in Pagnini 1765–66 (Pegolotti, Pratica della mercatura (­Pagnini)). Ein Autograph ist nicht überliefert. Das Manuskript, das der modernen Ausgabe zugrunde liegt, wurde am 19. März 1472 von Filippo di Niccolaio Frescobaldi abgeschlossen. Die letzte Ausgabe ist Pegolotti, Pratica della mercatura (Evans). 7 Pacioli, Summa de arithmetica (de’ Paganini); teilweise ins Deutsche übertragen in ­Pacioli, Abhandlung über die Buchhaltung (Penndorf). 8 Spalt 2004, S. 208. 9 Verbruggen 1977, S. 6. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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brauchs entgeht sowohl dem textorientierten Blick der Geisteswissenschaften als auch dem operationalisierungsgeschichtlichen Interesse der Geschichte der exakten Wissenschaften. 1.1.2 Zahlgeschichten Als eigenständiges Genre steht daneben eine Geschichtsschreibung, die sich isoliert auf die Geschichte der Zahlen bezieht. Jenseits der universal- und mathematikgeschichtlichen Darstellungen sind es vor allem zwei umfangreiche und spezialisierte Studien. Keine Publikation zur Geschichte der Zahlen kommt bis auf Weiteres an den Arbeiten von Karl Menninger und George Ifrah vorbei.10 Beide zielen auf eine Universalgeschichte der Zahl und folgen in ihrem Aufbau einem Modell, das die Kriterien historischer Entwicklung und zunehmender Komplexität miteinander in Einklang zu bringen sucht. Das jüngere Werk, Ifrahs »Histoire universelle des chiffres«, hält sich strikt an die Geschichte der Notationen.11 Ausnahmen sind das Einleitungskapitel, in dem sich Ifrah der Ethnologie und der Psychologie der Zahlen im Allgemeinen widmet, und ein zweites Kapitel, das das Problem der Basis in Zählsystemen behandelt und dabei auch die gesprochenen Zahlen einbezieht. Sonst geht es auf den gut 800 Seiten des ersten Bandes um die Hand als Zählmaschine, um die Technik der Kerbstöcke, um die Zählweisen und Zahlnotationen zu Beginn der abendländischen Überlieferung, im vorderen Orient und in China und den frühen Hochkulturen Südamerikas. Überleitend zum zweiten Band wird ein geschichtlicher Aufriss der arabischen Ziffern vorgenommen, in dem der Weg der Ziffern aus Indien über die arabischen Länder bis nach Europa und bis in die heutige Gegenwart abgeschritten wird. Der zweite Teilband befasst sich dann mit den mathematischen und technischen Entwicklungen, die auf dem Gebrauch der arabischen Ziffern basieren: von der Arithmetik zur Algebra, von der Geschichte des Kalküls zur Entstehung der Rechenmaschinen und Computer. Bei Ifrah kommen hin und wieder auch Zahlwörter zur Sprache; dabei handelt es sich aber um seltene Ausblicke. Menninger räumt in seinem Entwurf dem, was er ›Zahlsprache‹ nennt, einen sehr viel größeren Raum ein. Dies geschieht wohl einerseits in einem enzyklopädischen Interesse, zugleich aber offenkundig auch in systematischer Absicht. Denn die Geschichte der Zahlwörter legt in nuce den Prozess der Abstraktionsbildung frei, der für die moderne Geschichte der Zahlen charakteristisch ist. Was nämlich in der Geschichte der Notationen in den Hintergrund rückt, ist die 10 Menninger 1979; Ifrah 1981. 11 Die deutsche Ausgabe Ifrah 1986 ist durch die starken und völlig unsystematischen Kürzungen für die wissenschaftliche Diskussion unbrauchbar. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Rückbindung der Zahlen an die Lebenswelt ihrer Benutzer: Das zeigt die etymologische Bindung der frühen Zahlwörter an Körperglieder,12 die enge Verbindung von Zahlangabe und Objektklasse, wie sie im Deutschen in Zahlmaßen wie Schock für ›60 Eier‹ sichtbar wird, die Bindung von Maßangaben und Zahlmaßen an Arbeitsvorgänge, wie bei dem Morgen als die ›Fläche, die ein Mann an einem Tag bearbeiten kann‹.13 Erst der zweite Band widmet sich der ›Zahlschrift‹ und dem Rechnen, wobei, ähnlich wie bei Ifrah, von den Fingerzahlen ausgegangen wird, um dann, wachsender Komplexität folgend, die ›Zahlzeichen des Volkes‹ (die Kerbhölzer, Bauernzahlen und Knoten), dann die Systeme von Buchstabenziffern und die römischen Zahlzeichen vorzustellen. Ein besonderes Gewicht erhält die Darstellung der Geschichte des Rechenbretts vor allem im europäischen Mittelalter. Daran schließt sich eine Geschichte der arabischen Ziffern und der mit ihnen verbundenen Rechentechniken an, die bis zu Johan Napiers (1550–1617) Rechenstäben vom Anfang des 17. Jahrhunderts verfolgt wird.14 Für die mediävistische Diskussion ist schließlich eine jüngere Studie von D ­ avid A. King anzuführen. In »The Ciphers of the Monks. A Forgotten Number Notation of the Middle Ages«15 interpretiert er nicht nur die Quellen des zisterziensischen, eigens für die Indizierung von Büchern entwickelten Ziffernsystems, sondern gibt zudem im umfangreichen Appendix auf der Basis der neuesten Forschung einen detaillierten Einblick in den Bestand und die Funktionen alphanumerischer Notationen in Mittelalter und Früher Neuzeit. In vier Einzelkapiteln (Appendizes B bis E) werden das Überleben der römischen Ziffern im Mittelalter, die mittelalterliche Überlieferung altgriechischer alphanumerischer Notationen, die Einführung der hindu-arabischen Notationen in Europa und schließlich das große Spektrum an zunftspezifischen numerischen Notationen (Kalenderzahlen, Steinmetz- und Freimaurer-Zeichen, Mengenzeichen für Weinfässer, Mehl, Holz usw.) entfaltet. Obwohl Ifrah die Angaben zur europäischen Geschichte der Zahlen zu beachtlichen Teilen bei Menninger abgeschrieben hat, wird in seiner protokol­ larisch-fortschrittsorientierten Anordnung eine wichtige Entscheidung deutlich, die in Menningers kulturgeschichtlichem Gestus weniger klar hervortritt. Beide Autoren richten zwar ihre Wahrnehmung auf die unterschiedlichsten Medien für die Repräsentation von Zahlen. Reflektiert werden in beiden Darstellungen aber nur solche Anwendungsfelder, in denen man auch heute den Gebrauch von Zahlen erwartet. Angesichts der komplexen Darstellung der Zahlnotationen und Kalküle nimmt sich in Ifrahs Buch das einzige, wenige Dutzend Seiten umfassende Kapitel, das sich mit magischen und religiösen Praktiken des Zäh 12 Menninger 1979, Bd. I, S. 43–49. 13 Menninger 1979, Bd. I, S. 127; zum Schock s. Nehring 1929, S. 272; ältere Arbeiten resümierend zum Begriff der ›Zahlmaße‹ Schuppener 2002a, S. 135–193. 14 Napier, Rabdologiæ, sev nvmerationis per virgulas (Hart); zeitnahe deutsche Übersetzung Napier, Künstliche Rechenstäblein (Wyriot). 15 King 2001. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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lens befasst, sehr nebensächlich aus. Entsprechend beiläufig werden die im weiteren Sinne esoterischen und magischen Praktiken auch bei Menninger behandelt. Beide Grund­lagenwerke sind unter der Hand teleologisch angelegt. Diejenigen Traditionen, in denen Zahlen nicht in abstrahierender Absicht, sondern als sinnlich wahrnehmbare Vergegenwärtigung von Strukturen und Bedeutungen fungieren, sind nicht um ihrer selbst willen entfaltet, sondern werden als Vorstufen und Übergangs­stadien zu einem modernen Zahlbegriff aufgefasst. Radikal zugespitzt findet sich diese epistemologische Haltung in den ein­ schlägigen Studien von Peter Damerow.16 Explizit wird sie vor allem in seinen »Vorüberlegungen zu einer historischen Epistemologie der Zahlbegriffsentwick­ lung«,17 wenn diese auch überwiegend auf die frühgeschichtliche Zeit in Griechenland und im vorderen Orient bezogen sind. Damerow geht hier streng von der Vorstellung des modernen, gleichsam ›voll entwickelten‹, arithmetischen Denkens aus. Anhand der frühen archäologischen Zeugnisse entfaltet er dann die Zahlbegriffsentwicklung als schrittweisen Abbau der arithmetologischen Defizite. Die Studie stellt den Weg von der »Präarithmetischen Quantifizierung (Entwicklungsstufe 0)« über die »Proarithmetik (Entwicklungsstufe 1)« und die »Symbolische Arithmetik (Entwick­lungsstufe 2)« bis zur »Theoretischen Arithmetik (Entwicklungssufe 3)« voran, um dann (unter Auslassung des Mittelalters) zu Gottfried Wilhelm Leibniz und zur Vollendung der Entwicklung in der formalen Arithmetik bei David Hilbert zu springen. Damit wird eine historische Epis­ temologie der Zahlbegriffsentwicklung entworfen, die einerseits sehr nützlich ist, weil sie unterschiedliche Komplexitätsstufen des Umgangs mit Zahlen formal transparent unterscheidet, die zugleich aber eine Historisierung der Epistemologie des Zahlbegriffs meidet wie der Teufel das Weihwasser.

1.2 Exemplarische Studien zur Historisierung des Zahlgebrauchs Während die universal angelegten Geschichtserzählungen die Zahl eher als Marginalie darstellen, sind die Zahlgeschichten tendentiell teleologisch angelegt. Die jeweiligen Ausblendungen zeigen deutlich, dass es bei der Historisierung der Zahl um mehr gehen muss, als um die Evolution von Notationen und Rechenpraktiken. Ein historisierender Ansatz muss herausarbeiten, welche Eigenschaften den Zahlen über die Quantifikation und Rechnung hinaus zugeschrieben worden sind und in welchem Verhältnis die formalen Eigenschaften zu den nichtformalen Eigenschaften der Zahlen gestanden haben. Ansätze dazu finden sich in Ifrahs kurzen Ausflügen zu den magischen und religiösen Dimensionen des

16 Damerow 1981; Damerow 1993. 17 Damerow 1994. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Zahlgebrauchs und vor allem in der kommunikations­geschichtlichen Perspektivierung, die in Menningers Behandlung der ›Zahlsprache‹ entfaltet wird. Bei King ist es die Individuation der Anwendungsbezüge der diversen Notations­ formen, die einen konkreten historisierenden Zugang eröffnet. Explizite oder implizite Ansätze, die Alterität des mittelalterlichen Zahl­ gebrauchs herauszuarbeiten, sind vor allem in nicht-mathematischen Fächern formuliert worden. So haben sich die philologischen Disziplinen intensiv mit der Geschichte von Zahlen­symbolik und Zahlenallegorie befasst. Unabhängig davon ist in den Sprachwissen­schaften die semantische Konstitution der Zahlwörter und Maßbegriffe erforscht und beschrieben worden. Wiederum ohne Bezug zu diesen Arbeiten haben wirtschafts­geschichtliche Materialanalysen die Frage nach der Notation und Operationalisierung von Zahlen berührt. Die Theologie schließlich hat nicht nur die Grundlagen für das Verständnis zur Zahlenexegese geliefert. Anhand ihrer Quellen wurden auch die unterschiedlichsten Formen ›gezählter Frömmigkeit‹ herausgearbeitet. Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, ein umfassendes Panorama des numerischen Wissens im Mittelalter zu entwickeln. Vorgestellt wird das Spektrum von philosophischer Reflexion, literarischer und theologischer Sinnbildung, frömmigkeitsgeschichtlicher Applikation, schriftpraktischer Operationalisierung, ökonomischer Instrumentalisierung und sprachlicher Konzeptualisierung. Zu ergänzen wären neben den Forschungen zum Quadrivium,18 insbesondere zur Musik,19 zur Astronomie20 und den im engeren Sinne mathematischen Fächern21 vor allem die Untersuchungen zur scholastischen Naturphilosophie22 und zur komputistischen Überlieferung23 – hier wären neben dem frömmigkeitsgeschichtlichen 18 Allgemein Lindgren 1992 und Bergmann 1985. 19 Zum Zusammenhang von boethianischer Musiktheorie und Arithmetik zuletzt Heilmann 2007, speziell zur schriftnotationalen Fassung rhythmischer Phänomene Lütteken 1997, zum Konflikt zwischen musikalischer Praxis (cantus) und theoretischer Modellierung der Musik (musica) Wald 2011. 20 Überblick im Wolfenbütteler Katalog Heitzmann 2008; zu den Darstellungsproblemen der Astronomie in der volkssprachlichen Überlieferung Chlench 2007; in diagrammgeschichtlicher Perspektive Müller 2008. 21 Vgl. die diversen Schriften von Menso Folkerts, etwa die gesammelten Beiträge in Folkerts 2006 und den einschlägigen Sammelband Folkerts 1996, der insbesondere den Stellenwert der Geometrie und der Aufgabenliteratur berücksichtigt; ferner die milieugeschichtlichen Studie zur Etablierung der Algebra Benoît 1994. 22 Grundlegend die Arbeiten von Anneliese Maier, gesammelt in Maier 1949–1958. Zur Genese des spätscholastischen wissenschaftlichen Denkens und ihrem Zusammenhang mit der ökonomischen Theorie und Praxis Kaye 1998, zur Modellfunktion der musica für die Entwicklung des naturphilosophischen theoretischen Denkens Taschow 2003. 23 Grundlegend neben den umfangreichen Einführungen in Beda, De temporum ratione (Jones) und Beda, De temporum ratione (Wallis) vor allem die Studie Borst 1990. Eine knappe Einführung in die Kalenderproblematik im Kontext der Frage nach der Geschichte des numerischen Wissen bietet Contreni 2002, bes. S. 58–67. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Aspekt der Zeitrechnung24 etwa die diagrammatischen Vergegenwärtigungen der Zeit25 und die Modalitäten des computus digitalis26 zu berücksichtigen. Schließlich gehören in das Blickfeld die Forschungen zur Problematik von Tausch27 und Waage28 sowie zur historischen Metrologie.29 Zu all diesen Bereichen liegen Forschungen vor, an denen nichtarithmetische Überschüsse des Zahlgebrauchs mehr oder weniger deutlich herausgearbeitet werden können.30 In methodischer Absicht kann die nachfolgende Auswahl indes genügen, weil sie die Überlieferung hinreichend abdeckt, um die Fragen, die den Darstellungsteil der vorliegenden Arbeit leiten, zu legitimieren. Die vorzustellenden Beiträge machen erstens das Desiderat einer umfassenden Historisierung der Zahl deutlich und bereiten zweitens eine methodische Orientierung für die philologische und kulturwissenschaftliche Sachforschung vor. 1.2.1 Philosophische Reflexionen Anlass für eine grundsätzliche Historisierung des Zahlbegriffs ist schon die weite Streuung der zahlentheoretischen Äußerungen in der mittelalterlichen Philosophie. Einigkeit besteht zunächst in der von Euklid übernommenen Definition: Die Zahl ist eine aus Einheiten zusammengesetzte Vielheit (to ek mona­ don synkeinomenon)31. Die vielseitig anwendbare Konzeption wird vor allem den Schriften zu den quadrivialen Fächern einleitend vorangestellt, spielt aber auch in Abhandlungen über die aristotelischen Kategorien und die Seele eine Rolle. Eine Reihe von Belegen, die die Zahl als »Spezies der diskreten Quantität« variieren, nennt das »Historische Wörterbuch der Philophie« im Mittelalterteil des Artikels »Zahl«:32 Nicht zu übersehen ist, neben ihren unterschiedlichen Kontexten, 24 Zur Rolle des kalendarischen Denkens im Kontext der Ermittlung des Weltendes s. Fried 2001, bes. S. 58–68, zu den Praktiken der Vergegenwärtigung des Zeiten- und Geschichtslauf Joyner (im Dr.). 25 Kühnel 2003, s. a. Joyner (im Dr.). 26 Grundlegend für die numerisch-ikonische Überlieferung des computus digitalis AlföldiRosenbaum 1971; Williams/Williams 1995 bietet zahlreiche Textbelege, Wedell (im Dr. b) eine umfassende Aufarbeitung der Forschung. 27 Für einen Forschungsüberblick unter Einbeziehung moderner theoretischer Ansätze, scholastischer Diskussionen und der literarischen Modellierung Reichlin 2009, S. 39–113; zur theologischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Dimension grundlegend Herz 1958 und Angenendt et al. 1995, S. 1–8. 28 Steuer 1997. 29 Einen Forschungsbericht zur mediävistischen Metrologie bietet Wedell 2010a. 30 Vgl. auch folgende Sammelbände: zum Mittelalter Zimmermann 1983/84 und Contreni/ Casciani 2002; zur Frühen Neuzeit Knobloch/Folkerts/Reich 2001 und Glimp/Warren 2004; Zeit und Kulturräume übergreifend Koetsier/Bergmans 2005. 31 HWPh, Bd. 12, Artikel ›Zahl‹, hier Sp. 1128. 32 Meier-Öser 2004, Sp. 1128. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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die große zeitliche Streuung der Zitate, die für eine universale Geltung der euklidischen Position spricht. Cassiodor (490-ca. 583) hält sich in der Institutione divinarum mit der Definition ­ eliciano ex monadibus multitudo composita eng an Euklid, ebenso wie Francesco F (1470–1542) (multitudine de unita composta)  in seinem Libro di arith­metica et geometria speculativa et practicale. Hieronymus de Moravia (13. Jh.) und ­Pietro Borghi (15. Jh.) bezeichnen in ihren Traktaten über die Musik bzw. die Arith­metik die Zahl als eine Versammlung oder Verbindung von Einheiten, eine unitatum col­ lectio, vel […] multitudo ex unitatibus aggregata oder una congregazion de piu unita. Ähnlich sieht Jordanus Nemorarius (13. Jh.), ebenfalls im Kontext der Arithmetik, die kollektive Quantität der diskreten Einheiten (quantitas discretorum collectiva).33 Isidor von Sevilla (560–636) dagegen betont im Liber numerorum die Rolle des Einen, von dem die Vielheit ihren Ausgang nimmt: ab uno progrediens multitudo. Boethius (475/480–524) akzentuiert in dieser Konzeption die Wiederholung des Einen, das zur Vielheit führt (in numero quo numeramus repetitio unitatum facit pluritatem), während bei Thomas von Aquin (1225–1274) in der Summa theolo­ giae diese Wiederholung ihrerseits instrumentalisiert erscheint, indem die Zahl durch die Einheit vermessen werde (numerus est multitudo mensurata per unum); eine Konzeption, die auch im Speculum musicae von Jacobus Leodiensis (14. Jh.) vertreten wird: Est […] unitas numeri pars simplex quae aliquotiens repetita ipsum totum reddit et mensurat numerum.34 Vor dem Hintergrund der übereinstimmenden Referenz auf Euklid heben sich die Akzent­verschiebungen besonders deutlich voneinander ab. Sie hinsichtlich der jeweiligen thematischen Einbettungen und Motivationen zu untersuchen, ist ein Unternehmen, das, soweit ich sehe, noch nicht angegangen worden ist. Jenseits der funktionalen Bestimmung der Zahl ist jedoch auch ihre ontologische Bestimmung diskutiert worden. Ontologische Bestimmung Die Durcharbeitung der Quellen zur ontologischen Bestimmung der Zahl ist bislang erst in einer kurzen Fallstudie vorgenommen worden, und zwar in Bezug auf die Bestimmung der Zahl in den Kommentaren der Physik und der Katego­ rien des Aristoteles.35 Diese Texte bilden eine Begriffstradition ab, die auch vor der umfassenden Aristoteles­rezeption im 13.  Jahrhundert36 schon präsent war. Die Kategorien-Kommentare bieten den Rahmen für eine meta-mathematische Reflexion: »a discussion not of the properties and functions of numbers, but an 33 Meier-Öser 2004, Sp. 1128. 34 Meier-Öser 2004, Sp. 1128. 35 Andrews 1990; vgl. auch die von Riggert 1986 vorgestellten vier Fragen über die Zahl, die Wilhelm von Clifford zu Aristoteles, Physik, IV.14 gestellt und diskutiert hat. 36 Vgl. Schulthess/Imbach 1996, Kapitel IV, S. 145 ff. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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inquiry into the fundamental nature of number«.37 Nach Robert Andrews ist die gesamte frühmittelalterliche Diskussion der Zahl die Geschichte der Wiederaneignung der Zahlentheorie des Aristoteles. Ich zeichne seinen Gedankengang kurz nach, weil er einige Fragestellungen eröffnet, die unmittelbar die Historisierung der Zahl betreffen. Die grundlegende Unterscheidung findet sich in der Physik des Aristoteles: Quoniam autem numerus est dupliciter (et namque quod numeratur et nume­rabile numerum dicimus, et quo numeramus.38 Den Zahlen, die gezählt werden (quod numeratur), stehen die gegenüber, mittels welcher gezählt wird (quo nume­ramus). Diese Unterscheidung war dem frühen Mittelalter einerseits durch die anfänglich Augustinus zugeschriebenen Categoriae decem und andererseits durch B ­ oethius’ De trinitate bekannt. Die Categoriae decem paraphrasieren zunächst etwas schwächer, dass die Zahlen von den Dingen, die körperlich gezählt werden, unterschieden seien (ipsum numerum solum dicentes, non aliquid corporaliter numerantes39), eine Definition, die von Alkuin, Johannes Scotus und einigen anonymen Glossatoren übernommen wird. Boethius dagegen vertritt die stärkere Position, nach der auch die gezählten Dinge Zahlen seien: Numerus enim duplex est, unus qui­ dem quo numerus, aliter vero qui in rebus numerabilibus constat.40 Im Hintergrund steht bei Boethius das theoretische Problem, dass die Personen der Trinität zugleich drei und eins sind. Ihm geht es deswegen um die Begründung einer Konzeption des Zählens, bei der die Zählung nicht auch eine Vielheit von Dingen voraussetzt. Durch die breite Überlieferung von Boethius’ De Trinitate ist diese Definition im frühen Mittelalter weit verbreitet gewesen.41 Bildet die boe­thianische Definition durch ihre theologische Motivation eine deutliche Weiterentwicklung, bricht ­Robert Kilwardby in seinem Kommentar zu Aristoteles’ Kategorien das ursprünglich duale Konzept durch eine entscheidende Differenzierung vollends auf: Während er die gezählten Dinge weiterhin als Zahlen anerkennt, sieht er einen weiterführenden Differenzierungsbedarf bei den Zahlen, mit denen gezählt wird. Weil der numerus quo numeramus der Kategorie der Quantität angehöre, sei es nötig, von der zählenden Zahl, die das Maß der gezählten Dinge ist (mensurans res numeratas), die zählenden Zahl in der Seele (qui est in anima) abzuheben: Ideo notandum quod non intendit de numero numerato, qui est res numerata, quod sit quantitas, sed de numero numerante. Non autem de numerante qui est in anima, sed de numero numerante qui est mensurans res numeratas; sic enim est discreta q ­ uantitas.42 37 Andrews 1990, S. 13. 38 Aristoteles, Physik (Zekl), 4.11.219 b 5–8. 39 Categoriae decem (Minio-Paluello), 82. 40 Boethius, De trinitate (Stewart/Rand/Tester), 3.13–14. 41 Vgl. etwa Clarembald von Arras, Tractatus super librum Boetii De trinitate, 3.4–13. 42 Robert Kilwardby, Commentarium in Aristotelis Categorias, fol. 50rb. Zit. Nach Andrews 1990, S. 15, Anm. 6. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Johannes Pagus hat Mitte des 13.  Jahrhunderts dieser Differenzierung eine Quaestio gewidmet.43 Im Ergebnis bestätigt er die drei Aspekte, geht aber wiederum einen Schritt weiter. Die Zahlen erscheinen bei Pagus als: numerus numeratus: et talis numerus dicitur res numeratae, quae substantiae sunt (»und diese Zahlen nennt man gezählte Dinge, die Substanzen sind«) numerus numerans: et hoc est ipsa anima, et sic adhuc substantia (»und das ist die Seele selbst, und daher insoweit Substanz«) numerus quo numeramus: et iste nihil aliud est quam nutus corporeus transiens supra res numeratas, et sic quantitas est (»und dieses andere ist nichts als der über die gezählten Dinge durchzuführende körperlicher Vollzug, und ist daher Quantität«)44

Hervorheben möchte ich erstens die ausdrückliche Unterstreichung der Körperlichkeit des Zählens, der operatio numerantis, als nutus corporeus, als Zähl- oder Zeigegeste. Von hier aus kann ein – freilich durch nähere Forschungen noch zu stützender  – Bogen zu Gottfried Wilhelm Leibniz geschlagen werden, der den Akt des Zählens als ein »wiederholtes Dies« charakterisiert hat: »cum numeramus […] dicimus hoc (numerare enim est repititum hoc).«45 Indem das Zählen als repetitiver Akt aufgefasst wird und nicht etwa als verbalsprachliche Reihenbildung, verbindet sich mit ihm allein die Quantifikation, keine Ordination. species numerorum Einen in der Forschung ebenfalls kaum berücksichtigten Aspekt stellen die ­species numerorum dar. Offensichtlich steht neben der funktionalen Bestimmung im Anschluss an Euklid und der ontologischen Konzeption im Anschluss an Aristoteles mindestens ein dritter begrifflicher Zugang. Er findet sich etwa in Hrabanus’ Maurus Traktat De compvto.46 Hrabanus unterscheidet hier, aus­ gehend von den Kardinalzahlen, sieben species numerorum:47 numeri cardinales: numeri ordinales:

unus, duo, tres, quattuor […] primus, secundus, tertius, quartus […]

43 Johannes Pagus, Rationes super Praedicamenta, fol. 45rb., Zit. nach Andrews 1990, S. 15, Anm. 9. 44 Hierzu Pagus ebd., Anm. 8, ausführlicher in Erwiderung auf das zweite präliminarische Argument: […] numerus quo numeramus, duo tanguntur, scilicet, operatio numerantis, et tangi­ tur queadeam natura, qua mediante nutus corporeus transit supra res numeratas, et haec natura dicitur binarius, ternarius, et huiusmodi; et haed natura bene est quantitas. 45 Leibniz, Confessio philosophi (Saame), S. 125. Leibniz’ Fragehorizont ist freilich etwas anders. Er erörtert das Problem des Zählens im Kontext der Frage nach dem Grund der Unterschiedlichkeit der Seelen. Diese berühre ihrerseits die »dornigste« (spinosissima) Frage nach dem Prinzip der Individuation. Ebd. 125 f. 46 Hrabanus, De compvto (Stevens). 47 Hrabanus, De compvto (Stevens), 3: De speciebus numerorum diuersis. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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numeri adverbialis: numeri dispertiui: numeri ponderales: numeri denuntiativi: numeri multiplicatiui:

semel, bis, ter, quater […] singuli, bini, terni, quaterni […] simplum, duplum, triplum, quadruplum […] solum, alter ver alius simplex, duplex, triplex, quadruplex […]

Von diesen werden im Anschluss an Priscians Liber de figuris numerorum VII die abgeleiteten Typen aufgeführt.48 Den Anfang macht die Bestimmung eines Anteils am Ganzen in Zwölfteln durch die numeri unciarum, die auch bei Beda privilegiert vorgestellt werden49 (deunx, dextans, dodrans, bessis, septunx […]), ferner geht es dann um den Grad vervielfachter Präsenz von Zeiteinheiten, Körpergliedern u. ä.50 anniculus uel annuus, biennis, triennis, quadriennis bimus, trimus, quadrimus bipes, tripes, quadrupes, decempes biceps, triceps, quadriceps, centiceps bifariam, trifariam, quadrifariam biduum, quadriuum bicorpor, tricorpor bipatens, tripatens bilinguis, trilinguis biuium, triuium bifidus, trifidus, quadrifidus

Die starke Betonung des Daseinsmodus von Dingen als ein Vielfaches relativiert drastisch den modernen Primat der Kardinalzahlen. Philosophische und theologische Überkodierungen An diese Reflexionen schließen sich weitere Diskussionen zur philosophischen Überkodierung der Zahl an: so die begriffliche Verschiebung, nach der die zählende Zahl (numerus numerans) nicht nur eine Bewegung der Seele (motus ipsius animae), sondern die Seele selbst sei (hoc est ipsa anima). Andrews findet diese Interpretation auch bei Peter von Saint-Amour, der sich auf die platonische Lehre bezieht, nach der die Seele eine Zahl ist, die sich selbst bewegt.51 Ob die Lehre, wie 48 Hrabanus, De compvto (Stevens), 3, Zu Priscian vgl. Hrabanus, De compvto (Stevens), S. 208, Anm. zu Abschnitt 3,17–42. 49 Beda, De temporum ratione (Jones), 4: De ratione unciarum. 50 Hrabanus, De compvto (Stevens), 3. 51 Peter von Saint-Amour, Sententia super librum Praedicamentorum, Ms. Paris BN 1374 fol. 19vb: Item notandum est quod numerus dicitur tribus modis. Uno modo idem est quod res nu­ merata. Et hoc modo est in illo praedicamento insunt res / tres a.c. / numerata, ut si numerentur decen boves, erit in praedicamento substantiae; et si numerentur decem albedines, erit in praedi­ © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Andrews argumentiert, auf die aristotelische Platon-Rezeption oder auf eigenständige Überlegungen des Aristoteles zurückgeht, ist nicht eindeutig geklärt.52 Unabhängig davon hat die Forschung soweit ich sehe nicht transparent darlegen können, wie die Auffassung der ›Seele als sich selbst bewegende Zahl‹ im Kontext der hochmittelalterlichen Philosophie zu interpretieren ist. Das gilt auch für die gelegentlich genannte, aber kaum näher nachgewiesene mittelalterliche Tradition der aristotelischen Auffassung von der Zeit als ›Zahl der Bewegung‹.53 Ausgehend von der platonischen Lehre, dass die Zahlen den Status von Ideen haben,54 wird schließlich auch im Mittelalter die epistemologische Rolle der Zahl betont. Nach Boethius, der die Zahl als das »erste Urbild der Dinge im Geist des Schöpfers« interpretiert (principale in animo conditoris exemplar),55 wird diese Rolle vor allem von Bonaventura hervorgehoben, nach dem »die in den Dingen angetroffene Zahl die wichtigste zur Weisheit führende Spur ist«: numerus est praecipuum in animo Conditoris exemplar et in rebus praecipuum ­vestigium ducens in Sapientiam.56 In diesem Sinne sei auch die Rezeption des Diktums Salomons zu verstehen, nach dem Gott alle Dinge »nach Zahl, Gewicht und Maß« geschaffen hat.57 Die hieraus entwickelte erkenntnistheoretische Rolle der Zahl diente seit der Patristik als Legitimation, um die mathematische Ordnung des Kosmos insgesamt zu untersuchen.58 Im Anschluss an Augustinus ist dann noch auf eine Differenz hinzuweisen, die für die Abgrenzung der Zahlenexegese von der Philosophie der Zahl zentral ist.59 In der Philosophie werden die Zahlen als res, als Dinge in der Schöpfung, aufgefasst, die definierbare strukturelle und ontologische Eigen­schaften haben. In der Exegese dagegen sind sie eine Untergruppe der signa translata. Dadurch können die Zahlen zum übergeordneten Betrachtungsgegenstand schlechthin avancieren. Beide Kategorisierungen der Zahl überlagern sich im Prozess der Exe­gese,60 müssen aber systematisch unterschieden werden. camento qualitatis, et sic de aliis. Alio modo idem est quod ratio numerandi, et hoc modo de ipso determinatur in isto praedicamento. Tertio modo idem est quod anima numerans, ut dicit Plato, et est improprie. Unde dicit Plato anima est numerus se ipsum movens. Zit. nach Andrews 1990, S. 17, Anm. 13. 52 Andrews 1990, S. 17 f., vgl. Meier-Öser 2004, S. 1128. 53 Aristoteles, De anima (Seidl), I,2,404 b 27–29. 54 Die Probleme dieser Konzeption innerhalb der platonischen Philosophie diskutiert Martin 1956, S. 17–29. 55 Vgl. nach Meier-Öser 1990, S.  1128, vgl. auch Clarembaldus von Arras, Tractatus super librum Boetii De Trinitate (Häring), 4.25; Alanus ab Insulis, Sermo de trinitate (d’Alverny), S. 255 f.; Walter Oddington, Summa de speculatione musicae (Hammond), 1.6. 56 Bonaventura, Itinerarium mentis in deum (Quaracchi), 2.10 (S. 42–44, hier 44). 57 Meier-Öser 2004, S. 1128. 58 Petri 1983; vgl. zur Frühen Neuzeit Knobloch/Folkerts/Reich 2001. 59 Hellgardt 1973, S. 175–178. 60 Vgl. Meyer 1975, 42–46. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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1.2.2 Literarische Einbindungen Die literaturwissenschaftlich-mediävistische Diskussion zur Geschichte der Zahlen hat sich vor allem auf die kompositorische Ästhetik und die Symbolik des Zahlgebrauchs bezogen.61 Eine verlässliche Grundlage der Diskussion wurde dabei erst vergleichsweise spät erarbeitet. Es sind vor allem die Arbeiten von Heinz Meyer zur Zahlenexegese62 und von Ernst Hellgardt zum »Problem symbolbestimmter und formalästhetischer Zahlenkomposition in mittelalterlicher Literatur«,63 die den Diskurs auf eine wissenschaftlich vertretbare Basis gestellt haben. Im Zentrum steht einerseits die Konzeption von numerisch kodierter Bedeutung, wie sie im Nachdruck der »Numerorum mysteria« des Petrus Bungus und im »Lexikon der mittelalterlichen Zahlenbedeutung« systematisch erschlossen worden ist.64 Auf der anderen Seite steht die Entwicklung der Rechenpraxis, in der sich der Stand der jeweiligen strukturellen Eigenschaften der Zahlen abbildet. Vor allem Hellgardt hat mit großem Respekt im Detail nachgewiesen, dass der größte Teil der germanistischen Überlegungen zur mathematisch begründeten Zahlenkomposition seiner Zeit schlicht kontingent ist. Der einschlägige For 61 Ein einschlägiger Forschungsdiskurs begann in der Forschung zu einzelnen Werken. Folgenreich ist Lachmanns Bewertung der 30er-Zählung Wolframs von Eschenbach Parzival und Willehalm (greifbar vor allem im Briefwechsel mit Jacob Grimm, Angaben bei Hellgardt 1973, S. 336, und in der Ausgabe Wolfram von Eschenbach, Parzival (Lachmann), S. IXf.) sowie zur heptadischen Struktur des Nibelungenliedes und der Klage (Lachmann 1926; ders. 1936), aber auch später die Studien Max Ittenbachs zu einer Reihe von »Dichtungen aus der salischen Kaiserzeit« (Ittenbach 1937). Eine breitere Diskussion setzte in den späten 50er Jahren mit einer Arbeit Johannes Rathofers zur Zahlenkomposition des Heliand (Rathofer 1962) sowie einer Reihe von Untersuchungen Fritz Tschirchs zu anderen religiösen Texten ein (Tschirch 1966) und entfaltete vor allem in der Germanistik der 60er- und 70er-Jahre eine außerordentliche Intensität. Zahlenkompositorisch interpretiert wurden die Vers- oder Strophenanzahl eines Gesamtwerkes oder seine Teile, so bei Tschirch 1966, aber auch in Hans Fromms Untersuchungen zum Marienleben des Priesters Wernher (Fromm 1955) und Volker Schupps Analysen zur Auslegung des Vaterunsers, zu De VII Sigillis und zu Walthers von der Vogelweide Palästinalied (Schupp 1964). Max Ittenbach hat in verschiedenen Arbeiten typologische Aspekte der Zahlenkomposition vorgeführt (Ittenbach 1937). Besonders die Dissertation von Wolfgang Haubrichs (Haubrichs 1969) über den »Ordo als Form« in der Evangeliendichtung Otfrids von Weissenburg machte ein Interesse auch für die Aufdeckung komplizierter zahlentektonischer Verfahren deutlich. Haubrichs entwickelt eine umfangreiche Kategorisierung und Terminologie zur Zahlentektonik, die für die weitere Diskussion prägend gewesen ist. Er unterscheidet verschiedene architektonisch bestimmte Bauformen (Flügelbau ohne Zentrum, Zentralbau, Kettenbau mit symmetrischer bzw. paralleler Bildung auf der einen Seite und asymmetrischer Schalenbildung auf der anderen Seite) sowie lineare und figurale Strukturen. Gebildet werden sie durch ästhe­ tische Bindungsmittel wie Proportionen von Werkteilen, Chiasmen, Parallelismen, symbolische Verfahren; schließlich exegetische und gematrische Techniken und kosmologische Bezüge unterschiedlicher Art u. V. m. 62 Meyer 1975. 63 Hellgardt 1973. 64 Bungus, Numerorum mysteria (Ernst); Meyer/Suntrup 1987. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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schungsdiskurs im deutschsprachigen Raum ist in der Folge zunächst weitgehend kollabiert.65 Eine entsprechend zurückhaltende Einführung zum Stand der Forschung Mitte der 80er-Jahre bietet Max Wehrli.66 Erst in jüngerer Zeit wird auf neuer Grundlage die Forschung zur Zahlentektonik und -symbolik weitergeführt. Einerseits hat sie auf der Basis der Analyse von Selbstaussagen der Autoren ein programmatisches Gewicht erhalten,67 andererseits werden im intermedialen Kontext der Historisierung des Verhältnisses von Gedächtnis, Bild, Schrift und Zahl neue Perspektiven auch auf die Bewertung von Zahlenstrukturen und auf ihre Bedeutungen sichtbar.68 Exegetische Kodierung Die Rolle der Mathematik für die Exegese hat Augustinus deutlich hervor­ gehoben. Das Zahlenwissen gehört ebenso wie das naturkundliche Sachwissen zu den Voraussetzungen für ein Verständnis der locutio figurata in der Heiligen Schrift: Numerorum etiam imperitia multa facit non intellegi translate ac my­ stice posita in scripturis.69 Die enge Verknüpfung von Zahlen- und Sachwissen ist sichtbar in der am häufigsten verwendeten Auslegungsmethode, der Analogie zwischen der Zahl und dem Gezählten. Sie firmiert bei den mittelalterlichen Autoren als Deutung secundum officium sollemne, secundum paritatem oder se­ cundum multitudinem partium70 und eröffnet das zwölfteilige Schema der Auslegungsmethoden, das Heinz Meyer 1975 entwickelt und 1987 in das gemeinsam mit Rudolf Suntrup erarbeitete »Lexikon der mittelalterlichen Zahlenbedeutungen« eingebracht hat.71 Abgesehen von seinem Ausgangspunkt, der in der Analogie von Zahl und Gezähltem liegt, umfasst das Schema vor allem arithmetisch begründete Methoden.72 Neben der Deutung von Zahlen als Summen und Produkte (secundum partes / compositionem / multiplicationem) und den daraus resultierenden Verwandtschaften zwischen Zahlen (secundum affinita­ tem [compositionis]) werden von den bei Boethius ausdifferen­zierten Gattungen 65 So charakterisiert Hellgardt 1990, S. 7 den Nachruck der »Numerorum mysteria« und das »Lexikon der Mittelalterlichen Zahlenbedeutungen« als »monumentale[n] Nachhall zu einer verstummten Diskussion.« Die benachbarten Nationalphilologien sind von diesem Einschnitt indes unbeeindruckt geblieben. Den italianistischen Diskurs erschließen vor allem Arbeiten zu Dante, resümierend etwa Hardt 1973 und Kiefer 2002, den französischen etwa die Beiträge im einschlägigen Themenheft der Zeitschrift Pris-MA (Les nombres I–III). 66 Wehrli 1984, S. 214–235 (Kap. XI: Zahlenallegorese). 67 Ernst (im Dr.). 68 Meier (im Dr.). 69 Augustinus, De doctrina christiana (Daur), 2.16.24 f. 70 Meyer/Suntrup 1987, S. XVf. 71 Übersicht in Meyer/Suntrup 1987, S.  XV.  Vgl. Meyer 1975. Das Schema ist von Hellgardt 1976 dahingehend kritisiert worden, dass es eine universelle Geltung nahelege, die keinesfalls angenommen werden könne. 72 Meyer/Suntrup 1987, S. XIII–XXIII. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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insbesondere die geraden und ungeraden sowie die teilbaren und unteilbaren Zahlen als Bedeutungsträger hervorgehoben (secundum qualitatem compositio­ nis / appella­tionem). Ferner kann der Ort der Zahl in der Zahlenreihe Ausgangspunkt für eine Deutung sein (secundum ordinem / positionem / ordinem positio­ nis / numeri computationem / modum porrectionis), ebenso wie die Summe der Divisoren (secundum partitionem), eine wiederkehrende Proportion (secundum proportionem) oder die Dreieckszahl zu einer gegebenen Zahl (secundum aggre­ gationem). Zahlen können nach der geometrischen Figur, die sie repräsentieren, gedeutet werden (secundum formam dispositionis) und nach den Ziffern oder Fingerzeichen, durch die sie abgebildet werden (a figuris, secundum signa). Charakteristisch für das Verfahren ist das unfeste Verhältnis zwischen referentiellen Bezügen und arithmetischen Proportionen. Während in der Theorie hohe mathematische Ansprüche an die exegetische Praxis formuliert werden, sind die in der Zahlenauslegung tatsächlich angewandten Praktiken sehr bescheiden. Das gilt besonders für die häufige Verwendung der Zahlenallegorese in der homiletischen Praxis. Unter den arithmetisch begründeten Methoden schließlich macht die erste, die »Deutung nach der Zusammensetzung durch Summanden und Faktoren«, über 90 % aller Anwendungen aus.73 Schwerpunktmäßig beruht die Zahlenexegese auf einem im messtheoretischen Sinn ikonischen Verhältnis von Zahl und Gezähltem: der ikonischen Abbildung der in einem Gegenstand gegebenen Vielheit durch die Zahl, die ihrerseits die entsprechende Vielheit repräsentiert.74 So ist nach Hugo de St. Victor jede Zahl ein Zeichen dessen, was so viele Teile wie sie selbst Einheiten hat. Hugo illustriert das wie folgt: Secundum multitudinem partium numeri significant, ut binarius propter duas unitates charitatem Dei et proximi. Ternarius propter tres, trinitatem. Quaternarius propter quatuor tempora, temporalia, quoniam annus et mundus quatuor partibus distinguuntur. Quinarius, quinque sensus. Septenarius præsens sæculum, quod septem diebus volvitur.75

Das ikonische Repräsentationsverhältnis wird interpretiert als »Analogie zwischen einer bezeichnenden Zahl und einem zahlhaft geordneten Sachverhalt«76. Bei Augustinus wird dieses Verhältnis als ratio numerorum similitudinumque formuliert.77 Ich möchte darin mit Meyer/Suntrup eine Opposition von ratio ­numerorum und ratio similitudinem lesen.78 Damit wird die semantische Breite 73 Meyer/Suntrup 1987, S. XVII. 74 Zum Typus der im semiotischen Sinn ikonischen Mengenrepräsentation Wiese 1997, S. 83 f. 75 Hugo de St. Victor, De scripturis et scriptoribus sacris (Migne), Sp. 23A. 76 Meyer/Suntrup 1987, S. XVI. 77 Augustinus, De trinitate (Migne), 4.6. 78 Hellgardt 1973, S. 166–68 interpretiert die Formel als Verknüpfung von ratio (im Sinne von ›Berechnung‹) auf der einen und similitudo auf der anderen Seite. Um den manifesten Wi© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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des lateinischen Ausdrucks ratio ausgeschöpft, der eben nicht nur im Sinne ›Berechnung‹, sondern auch mit ›Ordnung‹ übersetzt werden kann. Die Ordnung der Zahlen wird enggeführt mit der Ordnung der Ähnlichkeiten. Es ist die analogisch abbildende Präsenz der Zahl, ihre ikonische Instrumentalisierung, die die Zahlenexegese prägt. Das wird im Sinne Hellgardts auch dadurch gestützt, dass die zahlenexegetische Praxis, zumindest bei Augustinus, zu großem Teil  eine Sache der Predigt ist. Hier geht es um ein numerisches Wissen, das in der Alltagspraxis verwurzelt, und als Erfahrung des Aufzählens, Summierens und Teilens präsent ist.79 Bei der zahlenexegetischen Praxis in der Predigt geht es nicht um Komplexitätssteigerung, sondern darum Komplexität zu reduzieren und Begreifbarkeit herzustellen. In der hoch- und spätmittelalterlichen Predigt wird dann ein breites Spektrum an zahlenbesetzten Dispositionsallegorien ausgearbeitet, die neben dem zu vermittelnden Inhalt auch gleich den Text der Predigt strukturieren.80 Der Eindruck, dass hinsichtlich des Deutungspotentials die arithmetischen Eigenschaften der Zahlen weit hinter den durch die (An-)zahlen vermittelten Sachbezügen zurückbleiben, darf indes seinerseits nicht generalisiert werden. So ist anhand einer Reihe von Texten aus dem Gebrauchsschrifttum gezeigt worden, dass die arithmetischen Eigenschaften sehr regelmäßig genutzt worden sind, um die Zusammenhänge zwischen Glaubensdingen formal verknappt auf den Punkt zu bringen und zugleich zu illustrieren.81 Angesetzt werden kann wiederum bei Augustinus.82 Zur Illustration referiert Karl Brunner den folgenden, bei Augustinus dargelegten, Zusammenhang: Als Beispiel nennt er die 40 Tage, die Moses, Elias und Christus fasten. Er verweist auf 4 x 10, wobei die erstere Zahl auf das Zeitliche (Tag, Jahr, Elemente), zweitere aus 7 + 3 das Zusammenwirken von Schöpfer und Geschöpf – 7 ist wieder zusammengesetzt aus 4 (Elemente) und 3 (göttliches Prinzip) – bezeugen. Das aber wird dargestellt durch Moses (Gesetz), Elias (Propheten) und Christus, ausgerechnet jene drei, die am Berg der Verklärung standen (Mt 17, 1–8). […] Von dort aus geht es leicht durch Zugabe einer weiteren 10 zu Pfingsten, die 50 dann 3 x und noch drei dazu ergibt 153, der Zahl der Fische, die nach Jesu Gebot (Joh 21, 11; vgl. Lc 5, 4) gefangen wurden, das aber ist wiederum die Summe aller Zahlen von 1 bis 17. Diese königliche Primzahl 17 ist die Summe von 23 und 32; das deutet auf eine mehrfache Verknüpfung der menschlichen Dualität (Gen. 1, 27) mit der göttlichen Trinität.83 derspruch zwischen Operativität und Ähnlichkeit zu überbrücken, muss er eine legitimierende ›Arithmologie‹ einführen, die als Element des Forschungsdiskurses ausgewiesen wird, begrifflich und methodisch aber ein unscharfes Instrument bleibt. 79 Vgl. Kuchenbuch 1993 und 1994. 80 Zum Begriff der Dispositionsallegorie s. Ruh 1993, S. 437 f. und 489, zur zahlenbesetzten Dispositionsallegorie in der Predigt zuletzt Wedell 2010b. 81 Brunner (im Dr.). 82 S. etwa Augustinus, De doctrina christiana (Daur), 2.16. 83 Brunner (im Dr.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Dabei gilt es hervorzuheben, dass die Zahlen nicht isoliert als Bedeutungsträger eingesetzt werden. Vielmehr ist das numerische Vokabular analog zum verbalen Vokabular zu verstehen. Die Zahlen »stehen – genauso wenig wie die anderen Wörter – nicht isoliert. Sie haben, könnte man sagen, ihre eigene ›Grammatik‹ und stehen in einem größeren Textzusammenhang, der über jeden einzelnen Satz hinausweist.«84 Die Rechenoperationen stellen analog zur verbalsprachlichen Grammatik die Ordnungsmuster bereit, mit denen bedeutungstragende Zusammenhänge formal knapp und prozesshaft, gleichsam narrativ, abgebildet werden können. Insofern geht der schriftpraktische Gebrauch von Zahlensymbolik und -tektonik bei aller Etabliertheit zahlensymbolischer Bezüge in einem Vokabelwissen nicht auf, sondern bindet auch das arithmetische Wissen in die verbalsprachlichen Darstellungsformen mit ein. Die Forschung zu Zahlenexegese und -allegorese sowie zur Zahlentektonik und -komposition hat in diesem Sinn Schritt für Schritt Fehldeutungen abgebaut, die durch Projektionen eines modernen Zahlgebrauchs auf mittelalterliche Quellen zustande gekommen waren. Sowohl die Vorstellung eines stabilen zahlensymbolischen Verweisrepertoires als auch die Vorstellung des ›Ordo als Form‹85 haben, wenn sie auch als generalisiertes Prinzip für die literaturwissenschaftliche Interpretationsarbeit irreführend sind, nach wie vor ihre Berechtigung. Sie sind jedoch, auch im Licht der jüngeren Arbeiten zur mittelalterlichen Diagrammatik,86 hinsichtlich der jeweils gegebenen Darstellungspraxis stets neu auf ihre Anwendbarkeit zu durchdenken. Mnemopraktische Kodierung Den Aspekt der mnemopraktischen Kodierung von Zahlen in mittelalterlichen Texte erörtern mit verschiedenen Akzenten etwa Charles Alan Robson, Rosamund Allen und Horst Wenzel. Gemeinsam ist ihnen das Interesse an einer Verbindung von produktions- und rezeptionsästhetischen Kategorien. Einen differenzierten Zugang zur Bewertung zählbarer Strukturen in Texten hatte Robson bereits 1961 in seiner Studie »The Technique of Symmetrical Composition in Medieval Narrative Poetry« entwickelt.87 Ihm geht es darum, einfache zahlenkompositorische Schemata als mnemotechnische Strukturen zu interpretieren. Gegenstand sind eine Reihe von Texten aus der Heldenepik und der höfischen Literatur, unter anderen Gottfrieds von Straßburg Tristan und das Nibelungen­ lied. Für sein Argument muss er heuristisch hinter die verschrifteten Fassungen zurückgehen. Er bezieht sich im Anschluss an Bodo Mergell88 auf entsprechende 84 Brunner (im Dr.). 85 Haubrichs 1969. 86 Meier 1990; Meier 2003; Meier (im Dr.); Obrist 2004; aus kunsthistorischer Sicht Bogen/ Thürlemann 2003; Bogen 2005; Bogen 2006. 87 Robson 1961. 88 Mergell 1949; Mergell 1950; Mergell 1953; Mergell 1955. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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(freilich hypothetische)  vorliterarische mündliche Fassungen der Dichtungen. Deren Vortragsweise habe auf lockeren zahlenkompositorischen Strukturen beruht. Sie boten den Vortragenden Orientierung, während sie die Teile der Dichtung abschritten. Im Prozess der Verschriftung sei dann die Notwendigkeit der mnemopraktischen Organisation der Dichtung weggefallen. In der Folge wurden die markanten Strukturen abgeschwächt oder durch die gestalterischen Traditionen der Mise en page überformt.89 Entsprechende narrative Periodisierungen hat Rosamund Allen hinsichtlich der Rezeption vorgetragener Dichtungen untersucht. In ihrer Studie »Counting Time and Time for Recounting«90 geht es jedoch weniger um die Rekonstruktion numerisch exakter Werte, als vielmehr um die Frage, wie schriftlich verfasste Literatur für die Ohren eines hörenden Publikums zugänglich und fassbar gemacht werden konnte. Die Diskussion gliedert sich in die Frage nach der Eignung der Oral Poetry-Forschung als Paradigma für das Verständnis mittelalterlicher Literatur ein und teilt mit dieser die einschlägigen methodischen Probleme.91 Während die Studien von Robson und Allen von der Zurichtung der Manuskripte ausgehen, um dadurch die Schriften auf mehr oder weniger hypothetische Vortragssituationen zu beziehen, hat Horst Wenzel eine zeitgenössische Reflexion über den Zusammenhang von Zählung und mündlichem Vortrag erörtert.92 Seine Zeugen sind Berthold von Regensburg und mehr noch dessen Chronist Salimbene von Parma. Dieser unterrichtet über Bertholds außerordentliche Predigtbegabung, die bis zu 60.000, ja mitunter sogar 100.000 Zuhörer angezogen hätte.93 Ausweis der Begabung sei aber nicht nur die Zuhörerzahl, die Kraft und gewaltige Macht der Stimme, die Gott ihm verliehen habe, sondern insbesondere die Fähigkeit, so zu predigen, dass die Hörer seine Predigten auch im Gedächtnis behalten konnten. Den Beweis für die mnemopraktische Wucht der Predigten Bertholds führt Salimbene anhand einer Mirakelgeschichte. Einem Ochsen­treiber war wegen des Arbeitsaufkommens am Hof untersagt worden, 300 Meilen zu dem Ort zu reisen, an dem Berthold eine Predigt halten würde. Diesem Ochsentreiber widerfährt ein dreifaches Wunder: Erstens kann er die Predigt auf die Entfernung hören. Zweitens behält er sie im Gedächtnis und ist in der Lage, sie vollständig widerzugeben. Drittens kann er in der verbleibenden Zeit des Tages so viel Feldarbeit verrichten, wie er ohne die Unterbrechung bewältigt hätte.

89 Eine ähnliche These vertritt Fourquet 1965 zu den Textstrukturen bei Wolfram von Eschenbach bzw. Heinrich von Veldeke und Hartmann von Aue. 90 Allen 1996. 91 Stellvertretend nenne ich nur die theoretische Rückschau auf den Diskurs in Zumthor 1990. 92 Wenzel 1992. 93 Salimbene da Parma, Chronik (Doren), S. 238–245. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die mit diesem Wunder verknüpfte Predigt ermöglicht nicht nur dem Bauern aus Salimbenes Chronik die Möglichkeit, künftig »so oft er wolle zum Anhören der Predigten Bruder Bertholds zu gehen, so viel Knechtesarbeit auch momentan zu tun wäre.«94 Sie eröffnet auch uns, aus moderner Perspektive einen zeitgenössischen Einblick in den mnemopraktischen Gebrauch der Zahl in der Predigt zu gewinnen. Wenzel hat diese Praxis an einer Reihe volkssprachlicher Predigten differenziert nachgewiesen. Die Technik ist in unterschiedlichen Komplexitätsgraden greifbar: Grundsätzlich verknüpft Berthold im Bildinventar seiner Predigten Bilder aus der Heiligen Schrift mit Gegenständen aus dem Alltagsleben seiner Zuhörer. So sollen die Gläubigen, wie der Prophet Helyas, auf einem Wagen der Tugenden in den Himmel fahren.95 Der Wagen müsse, wie jeder Reisewagen, vier Räder haben, um vom Fleck zu kommen. Die vier Tugenden, die den Kern des Predigtinhalts bilden, werden von Berthold an die vier Räder geknüpft und können so über das Bild vom Wagen wieder abgerufen werden.96 In der Predigt vom Wagen, so wie auch bei einer Predigt zu den sieben Planeten, spielt die Zahl lediglich als gut merkbare Anzahl wohlbekannter Objekte eine Rolle.97 Eine weiterführende Funktion erhält die Zahl in den Predigten Von der ê, der Predigt Wie man widerreiten sol und der Predigt Von den 5 Pfunden.98 Bei diesen werden die zu merkenden Sachverhalte Körpergliedern zugeordnet, die nicht nur die Sachverhalte ihrer Anzahl nach gruppieren, sondern eine »Topographie« liefern, mit deren Hilfe sich der Zuhörer »orientieren und die Entfaltung des Themas verfolgen kann«.99 Die Predigt Von den fünf Pfunden (sie ermahnt den Gläubigen, vor Gott stets Rechenschaft ablegen zu können »über sich selbst, über die Ausführung seines Berufs, die Ausnützung seiner Zeit, die Verwaltung seines Besitzes und die Auswirkung der Liebe zu seinem Nächsten«100) ist insgesamt von einer gewissen Formelhaftigkeit geprägt, durch die die Gliederung für den Hörer klar signalisiert wird. Vor diesem iterativen Muster liefern dann die »bildlichen ›Aufhänger‹«,101 die Nennung der jeweiligen Finger oder Zehen, eine Sequentialisierung der mitgeteilten Inhalte: […] Daz ander pfunt inst daz ander gelit […] Daz dritte pfunt des sult ir gedenken bî dem driten lide an der hant oder an dem fuoze […]« usw.102 Die Zahl in der Predigt liefert nicht nur als Anzahl den Rahmen für ein mikro-poetisch gefasstes Bild-Kluster, das sich dem Zuhörer einprä 94 Salimbene da Parma, Chronik (Doren), S. 240. 95 Predigt XI: Von dem wagen, in: Berthold von Regensburg, Predigten (Pfeiffer/Strobel), Bd. 1, S. 157–169. 96 Wenzel 1992, S. 245 f. 97 Wenzel 1992, S. 242–245. 98 Predigt II. Von den 5 Pfunden, in: Berthold von Regensburg, Predigten (Röcke), S. 5–55. 99 Wenzel 1992, S. 241. 100 Wenzel 1992, S. 240. 101 Wenzel 1992, S. 241. 102 Zit. nach Wenzel 1992, S. 241. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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gen soll. Die Zahl bietet auch als körpergebundene Sequenz das Instrument, die Bildfolge in der Entfaltung wieder zu vergegenwärtigen. So wird die Funktion des körpergestützten Abzählens für den mündlichen Vortrag und dessen Memorierung entwickelt. Bertholds Predigt stellt einen Typus von numerischer Kompetenz dar, mit dem auch in anderen Zusammenhängen unbedingt gerechnet werden muss. Der performative Gebrauch des Zählens ist als textpragmatisches Element in die Rede eingelassen und verstetigt den mündlichen Vortrag in der Memoria der Zuhörer. Dass die Zahl zugleich Teil, Strukturbild und Memorialschema der Rede darstellt, haben andere mittelalterliche Autoren auch theoretisch dargelegt. Während die Forschung der 30er-Jahre die Ursachen dafür in der aufkommenden Handelsmentalität des Spätmittelalters gesehen hat,103 hat Mary Carruthers in ihrer Studie über die Gedächtniskunst »The Book of Memory« gezeigt, dass die Tradition des theoretischen Reflektierens über die mnemopraktische Funktionalisierung der Zahl mindestens bis in die Spätantike zurückgeht. Ihr Überblick reicht von Aussagen Augustinus’, Hieronymus’ und Beda Venerabilis’ über Hugo de St. Victor, Alkuin, Thomas Waleys, William von Ockham bis hin zu Petrus von Ravenna.104 Im Einzelnen beschreiben die Autoren unterschiedliche Verfahren. Einen roten Faden bildet jedoch die Vorstellung von einer Art Zahlengitter, das Orte bereitstellt, an denen – gleich den loci etwa in Architekturmodellen – Wissensbestände deponiert werden konnten. Diese Gitter können allein auf Zahlen basieren oder auf anderen Schemata wie dem Alphabet, der Solmisation oder allgemein bekannten Namen.105 Die zunächst rein imaginär entwickelten lokutio­ nalen Systeme seien, so Carruthers, dann zunehmend in die Mise en page der Manuskripte eingewandert und hätten schließlich im Buchdruck die standardisierte Form durchnummerierter Kapitel-, Abschnitts- und Seitenzählungen angenommen, die durch die exkorporierten Techniken der Indizierung erschließbar geworden sind.106 Während die Ursprünge dieser Verfahren in der monastischen Memorial­ praxis zu suchen sind, gibt es zahlreiche abgeleitete Formen, etwa in der katechetischen Literatur, der sogenannten ›gezählten Frömmigkeit‹ und in der Predigt. In der Frömmigkeitspraxis wird die Memorialleistung, so nach den Lehren 103 Hajdu 1936, S. 100–106 (Kap. III: Mnemotechnische Abhandlungen bürgerlich-praktischer Prägung) 104   Carruthers 2008, S. 99–152 (Kap. III: Elementary Memory Design). 105  Mit dem Verweis auf weitere verwandte Verfahren Carruthers 2008, S. 135–152 (Abschnitt: The Alphabet and Key-Word System). 106  Carruthers 2008, S. 99–135 (Abschnitt: The numerical grid). Vgl. dazu auch die Studien zur Textgliederung und Interpunktion Rouse/Rouse 1983 und Parkes 1992. Offen ist indes die Frage, inwieweit die Genese entsprechender Gliederungs- und Indizierungspraktiken auch von volkssprachigen Texten, den Einkünfteverzeichnissen (zuletzt Kuchenbuch im Dr.) oder der Rechtsliteratur (im Anschluss an Seidel 2008) her gedacht werden könnte und welche Rolle dabei gegebenenfalls auch die Bewältigung praktischer Notwendigkeiten gespielt hat. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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von Johannes Mauburnus, Ludolf von Sachsen und Abt Garcia Cisernos, weniger über die strukturelle Verortung im Gedächtnis erwirkt. Vielmehr geht es hier darum, in der denkbar detaillierten Aufgliederung der zu erinnernden Sachverhalte einen wirkungsästhetischen Effekt zu erzeugen, etwa durch die minutiöse Vergegenwärtigung aller Leidensmomente der Passion Christi  – wobei die Reihe der durch die heilige Schrift vorgeschriebenen Details durchaus in erbaulicher Absicht und um der Lebendigkeit und Einprägsamkeit willen noch weiter ausphantasiert werden konnte.107 In der Predigt hingegen geht es neben der rezipientenorientierten Detailvergegenwärtigung auch um produktionsästhetische Aspekte und um die Frage, wie eine Predigt auch für den Prediger fasslich strukturiert und vortragsbezogen angelegt werden könne.108 Kommunikative Kodierung Die Zahl als Teil  der Rede aufzufassen, eröffnet auch den Zugang zu anderen Textsorten. Das möchte ich anhand zweier Studien von Regine Sonntag und Jean Flori zur Chronik-Literatur darlegen. Angelpunkt der Auseinandersetzungen ist die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit von Zahlangaben. Ziel der Arbeit von Sonntag ist eine Aufarbeitung und Kontextualisierung der Zahlenangaben in den Chroniken Gregors von Tours und Reginos von Prüm.109 In der Legitimation ihres Unterfangens setzt sie sich zunächst noch mit älteren Urteilen auseinander, die den mittelalterlichen Autoren überhaupt jeden vernünftigen Zahlgebrauch absprechen.110 Auf inhaltlicher Ebene ist ihre Arbeit vor allem eine Auseinandersetzung mit dem Versuch Irmela Weilands, die Verwendung von Zahlen in erzählenden Quellen als »formelhafte Verwendung« zu qualifizieren.111 In ihrer Arbeit zu den »Zahlenangaben in den erzählenden Geschichtsquellen des frühen und hohen Mittelalters« von 1955 kontrastiert sie einen bei den Autoren zu vermissenden »nüchternen« Zahlgebrauch mit einer Anwendung der Zahlen nach 107 Angenendt et al. 1995, S. 62–69 (Abschnitt: Zahl und Zählen als Methoden zur Ausarbeitung des inneren Menschen), bes. S. 64–66. 108 Vgl. mit weiterführender Forschung Wedell 2010b. 109 Sonntag 1987. 110 Das Mittelalter habe »keine Vorstellung von geschichtlichem Urtheil, keinen Sinn für geschichtliche Realität, keine Spur von kritischer Reflexion besessen«, bemängele der prominente Heinrich von Sybel, es sei »menschlichen Schwächen« erlegen, urteile Hans Delbrück, wie der »allgemeinen Lust an hyperbolischen Übertreibungen, der Prahlsucht oder Furcht«, womit nicht zuletzt auch ein allgemeiner »Mangel an Zahlensinn« einhergegangen sei (Sonntag 1987, S. 3 über Sybel 1864, S. 114 und Delbrück 1900, S. 9.). Dabei dreht sie freilich Delbrück das Wort im Munde herum, da er an dieser Stelle schreibt: »Es ist nicht etwa bloß die allgemeine Lust an hyperbolischen Vorstellungen, Mangel an Zahlensinn, Prahlsucht, Furcht, Entschuldigung oder dergleichen menschliche Schwächen, aus denen die ungeheuerlichen Übertreibungen entspringen, sondern es ist auch wohl zu beachten, dass es selbst für ein geübtes Auge sehr schwer ist, größere Massen richtig abzuschätzen, auch die eigenen, die man ganz frei ins Auge fassen kann; so gut wie unmöglich beim Gegner.« 111 Weiland 1955, S. 4. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Art von »geheiligten Formeln«, so wie es etwa aus »mittelalterlicher Dichtung« bekannt sei.112 Eine hier anknüpfende Reflexion über die Vermischung von heidnischen und christlichen Symboltraditionen im Zusammenhang mit einer mnemopraktischen Formelhaftigkeit wäre sicher erhellend. Diese Diskussion wird aber von Weiland nicht geführt und von Sonntag nicht angemahnt. Letzterer geht es allein um eine ›realhistorische‹ Kontextualisierung und den Nachweis der Glaubwürdigkeit und Exaktheit der Angaben. Beide Haltungen sind problematisch, wie zwei Studien von Jean Flori zur zeitgenössischen Berichterstattung über den ersten Kreuzzug zeigen.113 Anhand einer Reihe historiographisch-literarischer Zeugnisse arbeitet er das metholo­ gische Problem des Zahlgebrauchs mittelalterlicher Chronisten heraus. Der Wert der Zahlen muss nach seinen Ergebnissen jenseits von theologisch begründetem Allegorie-Verdacht und moderner Präzisions-Erwartung gesucht werden.114 Seine Fragen sind: »Les nombres employés par les chroniqueurs de la première croisade à propos des belligérants peuvent-ils être qualifiés de ›fantaisistes‹, comme on le croit si souvent ? Ontils une valeur arithmétique, ou plutôt symbolique, voire allégorique ? Traduisent-ils une intention de précision, d’information, ou de simple évocation ?«115

Floris grundsätzliche Leistung besteht darin, mit Hilfe statistischer Verfahren nicht etwa die Defizite des mittelalterlichen Zahlgebrauchs zu konstatieren, sondern vielmehr ihre besondere Leistung herauszustellen. Ohne näher auf die einleitend tabellenförmig dargebotenen statistischen Daten einzugehen,116 fasse ich die Ergebnisse, die die Historisierung der Zahl betreffen, thesenhaft zusammen. 1. Der Zahlgebrauch ist weder mathematisch-exakt noch symbolisch. Dass die Zahlenangaben keine arithmetisierbaren Quantifikationen darstellen, beweisen die Widersprüche zwischen den verschiedenen Chroniken117 und auch die Kritik, die die Chronisten selbst an exorbitanten Zahlenangaben üben.118 Eine Ausnahme bilden die Zahlenangaben zu überschaubaren Gruppen von Kriegern, die für gezielte Aufgaben eingesetzt wurden.119 Dass der Zahlgebrauch nicht allegorisch-symbolisch angelegt ist, zeigt Flori daran, dass symbolisch besonders aufgeladene Zahlen, wie die 3 und die 7, nicht häufiger auftreten als alle anderen Zahlen.120 112 Weiland, zit. nach Sonntag 1987, S. 4. 113 Flori 1993. 114 Flori 1993, S. 399. 115 Flori 1993, S. 399 f. 116 Flori 1993, S. 400–404. 117 Flori 1993, S. 408 f. 118 Flori 1993, S. 409 f. 119 Flori 1993, S. 412 f. 120 Flori 1993, S. 404 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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2. Die Zahlenangaben in den Chroniken sind nicht grundsätzlich defizitäre An­ gaben. Zwei grundlegende Fehler sieht er in der abschätzigen Haltung seiner Kollegen gegenüber dem Quellentypus: Der erste liegt in der Präsupposition, dass größere Menschenmengen heute genauer geschätzt werden könnten als im Mittelalter. Eine Reihe von Beispielen macht aber deutlich, dass das keineswegs der Fall ist. Schätzungen etwa über die Teilnehmerzahlen an Demonstrationen durch Polizei und Veranstalter können auch heute noch um mehrere hundert Prozent voneinander abweichen. Der zweite Fehler besteht in der Ausblendung der narrativen Kontexte, die die Bewertung von Zahlenangaben leiten müssen. 3. Es ist notwendig, die methodischen Möglichkeiten der Chronisten zu rekon­ struieren und zu würdigen. Erst vor diesem Hintergrund kann die spezifische Rationalität herausgearbeitet werden, die sich mit den Schätzwerten verbindet.121 Diese Würdigung der spezifischen methodischen Möglichkeiten und Grenzen mittelalterlicher Chronisten, auf der die weitere Argumentation von Flori beruht, ist von seinen Vorgängern nicht vorgenommen worden. 4. Das Ziel ist, den informativen Wert (»valeur informative«) der Zahlen lesbar zu machen. Grundsätzlich geht es Flori darum, dass die Zahlen nicht eingesetzt werden, um die Realität quantitativ abzubilden, sondern um sie zugänglich zu machen: »[…] les nombres ne sont pas employés pour transcrire la réalité, mais pour la traduire, voire pour l’évoquer.«122 Diese Übersetzung und Evokation folgt nachvollziehbaren Regeln:123 Zunächst wird die passende Größenordnung gewählt (nach Zehnern, Hunderten, Tausenden, Zehntausenden usf.), in der über eine Menschenmenge gesprochen wird. Dann wird durch die Wahl eines passenden Koeffizienten der Präzisionseindruck konstruiert. Dabei spielt wiederum erstens die Glaubwürdigkeit eine Rolle. So konnte bei hohen Größenordnungen die Wahl eines kleineren Vielfachen die Glaubwürdigkeit erhöhen. Zweitens geht es aber auch um die kognitive Verarbeitung. Innerhalb einer Größenordnung kann man stets leichter zwischen 10, 20 und 30 oder 100, 200 und 300 differenzieren als zwischen 60, 70 und 80 und 600, 700 und 800.124 Schließlich konnte ein Anlass zur Übertreibung (etwa die Parteinahme in militärischen Konflikten) dazu führen, dass eher das kleinere Vielfache der höheren Größenordnung als das große Vielfache der kleineren Größenordnung gewählt wurde. Diese Erklärung stimmt mit dem statistischen Befund zu seinen Quellen überein. Auch hier sind in jeder Größen­ ordnung die kleineren Vielfachen stets in der Mehrzahl. 121 »Les chroniqueurs n’avaient bien entendu aucun moyen de ‹  comptabiliser  › de telles ­foules […].« Flori 1993, S. 410. 122 Flori 1993, S. 406 (Hervorhebung i. O.). 123 Flori 1993, S. 406 f. 124 Diese Prämisse ist von der neueren kognitionswissenschaftlichen Forschung bestätigt worden, vgl. Dehaene 1997, S. 70–72. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die so vergegenwärtigten Bilder von Mengen können nach Flori als »images mentales« bezeichnet werden.125 In der Regel beziehen sie sich auf gängige Truppenstärken. Denn neben der Bevorzugung kleinerer Vielfacher innerhalb jeder Größenordnung zeigt die statistische Erhebung, dass die angegebenen Anzahlen vorwiegend zwischen 100 und 1.000 Mann variieren. Sehr kleine Angaben (im einstelligen Bereich) gehen mit der Nennung von Einzelpersonen einher, sehr großen Angaben (im 100.000er-Bereich) wird in den Quellen selbst Skepsis entgegengebracht. »Il n’en reste pas moins,« resümiert Flori, »que l’image mentale type de ces sous-groupes s’établit de manière très cohérente dans une courbe tout a fait conforme à celle que présentent tous les phénomènes de la réalité.«126 In diesem Sinne muss die Nennung unzählbarer Mengen als bewußte Entscheidung des Chronisten gelesen werden, auf eine Quantifizierung zu verzichten, weil er sie nicht leisten kann. Eine ähnliche Funktion spricht Flori den ausnahmsweise angegebenen sechsstelligen Zahlen zu. Diese können zwar, so Flori, nicht als absolute Werte, wohl aber hinsichtlich ihrer Proportionen zueinander ernst genommen werden. Denn eine Menge kann im Vergleich mit einer anderen auch dann als doppelt so groß erkannt werden, wenn man sie beide nicht zählen kann. Im Ergebnis konstatiert Flori eine Engführung von langage des nombres und langage des mots, die insgesamt auf die jeweils hinter dem Zahlgebrauch stehende Intention befragt werden muss: »Les nombres véhiculent, à leur manière, des ›images‹  qui traduisent des réalités comme feraient aussi des phrases descriptives. Plutôt qu’une valeur symbolique ou mathématique, il faut y chercher une valeur informative ou évocatrice qu’il convient de précier.«127

Die Bedeutung mittelalterlicher Zahlenangaben muss, so kann über die Studien von Weiland und Sonntag hinaus resümiert werden, jeweils neu ermittelt werden,128 wobei die kommunikationspragmatische Funktion der Zahlen nicht unterschätzt werden darf. 1.2.3 Ökonomische Formatierungen Jenseits der philosophischen Reflexion von Zahlen und ihrer Einbindung in diskursive Formationen wie literarische Texte, Predigten und Chroniken möchte ich zu einem dritten Punkt kommen, zu der Frage nach der Rolle von Zahlen in operativen Formaten des Schriftgebrauchs. Exemplarisch skizziere ich For 125 Flori 1993, S. 407. 126 Flori 1993, S. 407. 127 Flori 1993, S. 406. 128 Flori 1993, S. 422. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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schungsfragen aus den Bereichen der Wirtschafts-, Mathematik- und Frömmigkeitsgeschichte. Eigentum haben Getragen von der Diskussion um Mündlichkeit und Schriftlichkeit im ökonomischen Schriftgut des frühen und hohen Mittelalters hat Ludolf Kuchenbuch sich in einer Reihe von Studien mit der Frage nach einer denkbaren Typologie von Verschriftungsstufen befasst,129 unter denen ich nur eine herausgreifen möchte. Gegenstand der Studie sind ausgewählte Güter- und Einkünfteverzeichnisse des 9. Jahrhunderts.130 Vor dem Hintergrund der vielfältigen Formen des ein- und zweidimensionalen Tabulierens, die der schriftlateinischen Tradition zu der Zeit bekannt sind,131 fragt er nach der Präsenz und Funktion dieser Techniken im Bereich grundherrlicher Aufstellungen von Besitztümern und Einkünften. Vier Typen werden diskutiert: (1) Eine protokollarische Verschriftung von formal kaum vorstrukturierten Befragungen (breve inquisitiones); (2) eine deduktive Darstellung des Vorgefundenen, geordnet und sukzessive gegliedert entsprechend der Rangordnung vom Wichtigen zum Unwichtigen und vom Großen zum Kleinen; (3) eine standardisierte Erhebung, bei der ein Befragungsformular vorformuliert gewesen sein muss, das dann vor Ort abgearbeitet wurde; schließlich (4) eine differenziertere Form des dritten Typs, bei dem jeweils eine Summenbildung die einzelnen Teile abschließt. Die transparente Analyse des Schriftgebrauchs in den verschiedenen Verschriftungstypen zeigt zugleich eine variierende Rolle der Zahl. (1) Die aufgeführten Protokolle der individuellen mündlichen Aussagen132 scheinen zunächst nicht auswertbar zu sein, weil sie überhaupt keine Quantifizierungen enthalten. Hier geht es nicht um Immobilien oder bewegliche Güter, sondern um die königlichen Ansprüche an einer Dienstleistung durch Leute aus der Umgebung, nämlich die Ernte und Pressung der königlichen Oliven und den Transport des Olivenöls nach Pavia. Andersherum ist es aber gerade interessant, dass die tradierte Pflichtigkeit der Bauern so angelegt ist, dass überhaupt nicht quantifiziert werden muss. Sie ist als ein Ganzes definiert, unabhängig davon, ob etwa die Olivenbäume wachsen, ihre Anzahl durch Brände verringert wird, oder 129 Grundlegend Kuchenbuch 1994, zuletzt mit der Angabe der vorausgehenden Literatur Kuchenbuch (im Dr.). 130 Kuchenbuch 1993. 131 Im Anschluss an John E. Murdoch und N. F. Palmer formuliert Kuchenbuch: »Das (senkrecht) geordnete Untereinanderschreiben von Namen (insbesondere in Verbrüderungs-, Memorial- oder Zeugenlisten), von Sachbezeichnungen und Begriffen (besonders im quadrivialen Schrifttum) und von Verweisziffern (wie in den Kanontafeln der Evangelien) oder Kombinationen von derlei (Kalendar) gehört zum graphischen Arsenal der schriftlateinischen Chiropraxis seit der Spätantike […].« Kuchenbuch 1993, S. 181. Zur operativen Funktionsweise der Tabelle Hilgers/Khaled 2004. 132 Kuchenbuch 1993, S. 183–186. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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ob durch witterungsbedingte Ernteschwankungen der Dienst umfangreicher oder geringer ausfällt. Eine denkbare quantifizierende Aussage wird hier vertreten durch die Nennung des Ganzen. Die Rede, die den Sachverhalt benennt, vertritt die Zahl. (2) Den zweiten Typus bezeichnet Kuchenbuch im Anschluss an den von Johannes Fried herausgearbeiteten intellektuellen Habitus des ›dividierenden Denkens‹ im Sinne der mittelalterlichen Dialektik133 als »divisionsgeleitete Be­ schreibung«134. Diese spielt in den unterschiedlichsten Bereichen der Verschriftung grundherrschaftlicher Vorgänge eine Rolle, hier soll aber die veränderte Rolle des Numerischen herausgestellt werden. Die Texte sind das Ergebnis einer mit Befragungen verbundenen Begehung des Eigentums vor Ort.135 Die Darstellung erfolgt nach dem Schema einer hierarchischen Zergliederung des Ganzen. Kuchenbuch illustriert den Vorgang wie folgt: »Im Falle der Aufnahme der Kreuze, der Glocken, der Unfreien, des Rindviehs, der Kessel wird zuerst die Gesamtzahl angegeben, danach erfolgt eine Aufteilung nach je verschiedenen ›Gesichtspunkten‹, die zugleich den Rang bzw. Wert des Benannten vermitteln. Die liturgischen Kreuze, Abendmahlskelche, Oblatenteller und Glocken sind nach ihrer materia (Gold oder Zinn, Bronze oder Eisen) unterschieden und gestuft, die mancipia nach ihrem Geschlecht, das Rindvieh nach seinem Alter, die Kessel nach ihrer Größe.«136

Ob und inwieweit diese Darstellungsform einen Denkstil repräsentiert, der auf Kenntnissen des Triviums beruht, kann nicht restlos bewiesen werden. Die Analogie zum dialektischen Wissen von Porphyrius, Boethius und den pseudo-­ augustinischen categoriae decem (das durch Alkuin in die karolingische Erziehung eingebracht wurde), macht aber eines umso deutlicher: Die Zahl erhält in Bezug auf die Sache den Status einer differenzierbaren und differenzierenden Eigenschaft: »Thema der dialectica selbst ist ja die Einführung in die Bestimmbarkeit jeder res durch genus, species, differentia, accidens und proprium sowie die Entfaltung der accidentia jeder Sache (substantia), die zum Gegenstand wird, durch quantitas, ad aliquid, qualitas, facere, pati, situs, ubi, quando, habitus.«137

Innerhalb der Aufgliederung des Ganzen wird die Zahl von den Gegenständen getrennt. Sie ist nicht dem Ganzen inhärent, wie im Fall der norditalie­ nischen Bauern, sondern wird als accidens auf die Sachen bezogen. Die Division 133 Fried 1987, S. 396 f. 134 Kuchenbuch 1993, S. 186–192. 135 Als Beispiel zieht Kuchenbuch das Verzeichnis über eine Kirche in Bergkirchen (bei Dachau) im Eigentum des Bistums Freising aus dem Jahr 842 heran. 136 Kuchenbuch 1993, S. 190. 137 Kuchenbuch 1993, S. 192. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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erzeugt Stufen, auf denen die Sachen quantitativ geordnet und verglichen werden können. (3) Kann im letzten Fall die Zahl noch als eine Modalität des Vorkommens der Sache gedeutet werden, geht das folgende Verschriftungsverfahren noch einen Schritt weiter.138 Offenkundig wurde vor der Befragung ein Formular angefertigt, das die zu erfragenden Sachen enthielt, und das dann vor Ort abgearbeitet wurde. Kuchenbuch hebt besonders hervor, dass die Quantifizierung über die Zählung hinaus sowohl die Angabe nihil umfasst als auch die Angabe sufficiens: Das nicht Vorhandensein von etwas bildet das eine Ende des Spektrums, das genügende Vorhandensein das andere. Quantifiziert wird nur im Mittelfeld.139 Entscheidend für die Historisierung der Zahl ist, dass sie hier nicht nur als ­accidens von der res getrennt aufgeführt wird. Vielmehr wird sie zur leitenden Vergleichskategorie, d. h. zum Ordnungskriterium für die Erhebung. Mit einer modernen Quantifizierung darf man das Verfahren dennoch nicht verwechseln. Denn die Zahl ordnet zwar das Formular, aber die Quantifizierung ist nicht das Ziel der Erhebung. Ihre Funktion besteht darin, das Vorhandene auf das Notwendige abzubilden – immer bezogen auf den Versorgungsbedarf. (4) Das zeigt sich auch im letzten besprochenen Typus, der in sich etwas stärker variiert.140 Gemeinsam ist den vorgeführten Beispielen, dass aus Teilbeständen Summen gebildet werden. Mit den Begriffen, unter die subsummiert wird, werden Abstraktionsstufen geschaffen, innerhalb derer unterschiedliche Gegenstände verglichen werden können. Das zeigen Beispiele wie das Güterverzeichnis der Abtei Montierender in der südlichen Champagne (kurz vor 845), das Polyp­ tychum der Abtei Saint-Remi/Reims (nach 848) oder das Breviarum Sanctii Lulli Episcopi (802–815, überarbeitet Ende 9. Jh.). Das Summieren leiste, so Kuchenbuch, »Reduktionen verschiedener Art, die jedoch alle auf die numerische Schürzung zum intern Wichtigsten abzielen«.141 Das können jedoch sehr unterschiedliche Dinge sein. Das Polyptychum erzeugt für den modernen Leser wenig Irritation, wenn allein die anfallenden Zinssätze summiert und als Ergebnis formuliert werden: »SUMMA argenti: librae. VI., solidi VI., dinarii. II.«142 Das intern Wichtigste kann aber ebensogut, wie in Montierender, die Anzahl der mansus sein, auch wenn diese der Größe nach um ein Vielfaches variieren. Die Quantifizierung wird hier gerade nicht hinsichtlich des Ertrags vorgenommen. »Sunt in summa heißt hier also«, so Kuchenbuch, »das macht in der ›Hauptsache‹, nicht: das macht ›im Ganzen‹.«143 138 Kuchenbuch 1993, S. 193–195. 139 Kuchenbuch 1993, S. 194 f. 140 Kuchenbuch 1993, S. 195–200. 141 Kuchenbuch 1993, S. 198. 142 Devroy 1984, S. 15 zit. nach Kuchenbuch 1993, S. 197. 143 Kuchenbuch 1993, S. 196. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die vier Beispiele, so ist zu resümmieren, stammen aus einer Reflexion über die Verschriftlichung von Verzeichnissen im ökonomischen Schrifttum des frühen Mittelalters. Sie sind durch eine zunehmende Formalisierung gekennzeichnet. Die mit der Formalisierung einhergehende Operationalisierung betrifft auch den Gebrauch der Zahl, der deswegen aber nicht zugleich auch rationalisiert wird. Mit der Zahl wird gezählt, summiert und geordnet. Aber sie ist nur bedingt eine arithmetische Größe. Vergleichbare Einsichten haben die Arbeiten von Franz-Josef Arlinghaus zu oberitalienischen und hansischen Handelsbüchern des späten Mittelalters zutage gefördert.144 Diese zeigen die Genese eines spezifischen Darstellungsformats. In diesem wird durch ein besonderes Verfahren des Zeilenumbruchs einerseits die Übersichtlichkeit einer Tabelle angestrebt, gleichzeitg aber der vollständige Satz als das »Basisformular schriftlicher Äußerungen« erhalten.145 So heißt es in dem libro grande, dem Hauptgeschäftsbuch Francesco Datinis aus dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts:146 F

E

ranciesco die Marcho proprio de’ dare a dì x dicienbre, levamo dal memoriale E a carta 146 dove dovea dare per una ragione scirtta in xii partite in somma lb. cientodecinove s. dicienove d. sei pr. de’ dare a dì x di dicienbre levamo dal memoriale F a carta 5 dove dovea dare per una ragione scritta in xiii partite che monta lb. ventiquatro s. tre d. quatro

lb. cxviii s. xviiii d. vi pr. lb. xxiiii s. iii d. iiiipr. pr.

Bei den Einträgen dieser Art werden in der linken Spalte die Anfangsbuchstaben der Namen der beteiligten Geschäftspartner gesetzt, um die unterschiedlichen Vorgänge voneinander abzusetzen. Ferner werden die Einträge, die durch den 144 Arlinghaus’ Arbeiten stossen sich von den Thesen Werner Sombarts zum Verhältnis von Buchführung und Kapitalismus ab, nehmen sie aber zugleich in einer originellen Wendung auf. So proklamiert Sombart abschätzig, dass die Handelsbücher des hansischen Raumes nur Notizbücher seien, die »die Stelle der Knoten in den Taschentüchern von Bauern vertreten«. Der italienische Fernhandel der Frührenaissance dagegen habe mit der doppelten Buchhaltung bereits den modernen Kapitalismus erschaffen, der mit dieser wie ›Form und Inhalt‹ zusammengehöre. Demgegenüber hatte Basil Selig Yamey bereits seit den 40er-Jahren nachgewiesen, dass das operative Potential der italienischen Schriftlichkeit überhaupt nicht ausgeschöpft worden sei und insofern von moderner doppelter Buchführung, geschweige denn von modernem Kapitalismus keine Rede sein könne. Im Anschluss daran nimmt Arlinghaus implizit die Rede vom Knoten im Taschentuch auf und entwickelt die Darstellungslogik der frühen Handelsbücher aus der Memorialleistung, die sie allem voran erbringen mussten. Arlinghaus 2000; Arlinghaus 2002; Yamey 1949; Yamey 1964; Yamey 1975a. 145 Arlinghaus 2000, S. 58. 146 Beispiel zit. nach Arlinghaus 2002, S. 264, Anm. 104. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Initialbuchstaben als zusammengehörig bezeichnet sind, auch syntaktisch in einem zusammenhängenden Satz zusammengebunden. In der mittleren Spalte werden die Beträge verbalsprachlich niedergelegt, in der rechten in römischen Ziffern gerafft.147 Die Zahl wird auch hier schrittweise isoliert, summiert und quantifiziert. Allerdings ist, wie Arlinghaus zeigt, die buch­schriftliche Abrechnung nicht die treibende Kraft der Buchführung. Es geht vielmehr darum, die Erinnerung an die Geschäftsvorgänge sicherzustellen. Die Erträge werden nicht schriftlich ermittelt, sondern aus der Kasse gezählt.148 Eine besondere methodische Herausforderung sieht auch Gerhard Fouquet, Mitherausgeber des Bandes »Adel und Zahl«,149 in den Rechnungen frühneuzeitlicher Fürstenhöfe.150 Einerseits böten sie große Vorzüge bei der Rekonstruktion der Lebenswelt, die sie hervorgebracht hat. Andererseits müsse man sich bewusst sein, »dass sie im Hinblick auf die Rationalität der Zahlen und auf ihre entwickelte Schriftlichkeit eine Realität vortäuschen können, die so nie existiert hat […]. […] die Objektivität der Zahlen erweist sich vielfach nur als scheinbare Größe«. Dies liege nicht »an den zahlreichen zeitgenössischen Rechenfehlern oder an der häufig wenig flächendeckenden Quellensituation.« Begünstigt werde dieser Mangel vielmehr »durch die Eigenheiten der Vewaltungssysteme, in denen die Rechnungen quasi als Endprodukte des Verwaltungsablaufs entstanden sind.«151 Diese Eigenheiten werden in den Einzelbeiträgen des Bandes rekonstruiert. Es fehlt jedoch eine integrierende Deutung dieser Phänomene. Hier könnte neben der Defizitbeobachtung weiterführend die Frage gestellt werden, nach welchen Gesichtspunkten, mit Brunner gesprochen, die »Narration der Zahlen […] bei Wirtschaftsquellen« entworfen wird;152 welche Darstellungsziele verfolgt, welche Muster der schriftlichen Niederlegung aktualisiert und welche Funktionen dem summierend-arithmetischen Erscheinungsbild eingeräumt werden. Rechnen Zu den prominentesten Ereignissen in der Geschichte des numerischen Wissens gehören im wirtschaftlichen Zusammenhang weniger die disparat überlieferten, komplexen und partikularen Praktiken des Zählbarmachens,153 als vielmehr die Einführung der indisch-arabischen Ziffern und das Rechnen mit der Null. Während die frühmittelalterlichen Begriffe und Verfahren zur Bestimmung

147 Arlinghaus 2002, S. 264. 148 Arlinghaus 2002, S. 263–266, Arlinghaus 2000, S. 47 ff. 149 Seggern/Fouquet 2000. 150 Fouquet 2000. 151 Fouquet 2000, S. 20. 152 Brunner (im Dr.), S. 342. 153 Zuletzt Kuchenbuch (im Dr.). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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der seigneurialen Güter und Leistungsansprüche in zählbaren Einheiten vielfach problematisch und methodisch prekär bleiben, hat es in Bezug auf das Geld­ gewichtswesen seit karolingischer Zeit überregionale Systeme von hoher Stabilität gegeben, die schriftlich und archäologisch bezeugt sind.154 Schon sie zeigen, dass für die Belange des Handels, insbesondere des Groß- und Fernhandels auch Kulturtechniken entwickelt worden sind, die früh einen höheren Grad an Standardisierung erreicht haben.155 Die avancierteren Entwicklungen des schriftpraktischen Umgangs mit der Zahl sind denn auch in den Lehrwerken zur Handelsund Abrechnungspraxis dokumentiert, von Leonardo Pisanos Liber abachi bis zu Luca Paciolis Summa de Arithmetica.156 Sie basieren auf dem algorismus, der Verwendung zeichenpraktischer Routinen zur Durchführung und Dokumentation von Rechenvorgängen,157 und erschließen, zunächst experimentell, dessen operatives Potential.158 Die unvergleichliche Leistungsfähigkeit des Rechnens mit der Null und den arabischen Ziffern159 hat die wirtschaftlichen Entwicklungen nicht nur des späten Mittelalters ermöglicht, dauerhaft geprägt und seit der Buchdruckzeit zu einer vollständigen Überblendung des Konzepts der Zahl durch das Konzept der Ziffer geführt.160 Die Vorstellung indes, dass die neuen Techniken einen schlagartig-flächendeckenden Umsturz bewirkt hätten, wird  – selbst im unmittelbaren sozialgeschichtlichen Umfeld der Innovationen im spätmittelalterlichen Florenz – durch jeden präziseren Blick auf die historischen Umstände gebrochen. Nicht einmal ein unanfechtbarer Anfangspunkt lässt sich definieren. Die Entwicklung einer algorithmisch-praktischen Arithmetik ist vielmehr in einem spezifischen ökonomisch-intellektuellen Milieu zu verorten, wie es die hoch- und spätmittelalterlichen Handelsstädte Italiens hervorgebracht haben. Ausgehend von den konkreten Dokumenten der Rechenpraxis kann der Versuch gemacht werden, die Bedingungen zu rekonstruieren, unter denen Rechenvorgänge entwickelt, standardisiert und elaboriert werden. So entwirft Paul Benoît in einem Beitrag zu Michel Serres »Elementen einer Geschichte der Wissenschaften«161 ein Bild der florentinischen Gesellschaft des 13.–15. Jahrhunderts, in dem durch die Do 154 Grundlegend Witthöft 1984, zuletzt Witthöft 2006; zu den Grenzen der Systematik s. Portet 1991 und Witthöft 1998; zur Archäologie die resümierende Monographie Steuer 1997. 155 S. etwa Witthöft 1984. 156 Ausgabe Leonardo Pisano, Liber abaci (Boncompagni); Übersetzung Leonardo Pisano, Liber abaci (Sigler); Pacioli, Summa de arithmetica (de’ Paganini); Teilübersetzung bei Pacioli, Abhandlung über die Buchhaltung (Penndorf). Zur Tragweite des Prozesses s. Hadden 1994. 157 Für einen Überblick über deren Verbreitung und Wirkung s. Ambrosetti 2008, S. ­197–290. 158 Vgl. Benoît 1994. 159 Vgl. Kaplan 1999; Seife 2000. 160 S. Kap. II in diesem Buch. 161 Benoît 1994. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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minanz des Handels eine allgegenwärtige Notwendigkeit des schnellen und sicheren Rechnens gegeben ist. So wie Michael Baxandall die Fortsetzung und Einarbeitung dieses Wissens in die Kunst des Quattrocento analysisert,162 zeigt Benoît die alltags- und bildungsgeschichtlichen Folgen des täglichen Bedarfs an Rechenunterweisung, der nicht nur einer Vielzahl von Rechenschulen (botteghe dell’abaco) und ihren Rechenmeistern (maestri d’abacco) ein gutes Auskommen verschafft hat. Mit der gesellschaftlichen Aufwertung des Zahlgebrauchs und seiner Professionalisierung163 verbinden sich mehrere Prozesse: die Einspeisung des arabischen mathematischen Wissens in die europäische Rechenpraxis;164 die Etablierung eines Rezipientenkreises für mathematische Literatur, der unter ›Wissen‹ mehr ein Know how als ein traditionelles Gelehrtenwissen versteht;165 die Institutionalisierung einer algorithmischen Arithmetik, die auf die Prozessierung von Zahlenwerten ausgelegt ist166 (anders als die boethianische ›spekulative‹ Arithmetik, die sich der Ontologie, den Eigenschaften und Proportionen der Zahlen widmet);167 die Entwicklung neuer Textsorten zur Verbreitung des aktuellen Zahlenwissens: den (i. d. R. lateinischen) algorismi, die geraffte Er­klärungen zur Gestalt und zum Gebrauch der arabischen Ziffern enthielten,168 sowie den practiche della mercatura, i. d. R. volkssprachige Texte mit konreten Rechenanweisungen, häufig zum Selbststudium oder zum Nachschlagen verfasst;169 die Verdichtung eines laikalen Expertenmilieus, in dem dann über die konkreten Bedürfnisse des Handels hinaus mathematische Innovationen gefunden und weiterentwickelt werden.170 Entscheidend für die Veränderung des Zahlbegriffs ist neben seiner Deontologisierung und Säkularisierung die Veränderung des Erscheinungsbildes der 162 Baxandall 1977. 163 Vgl. zu diesem Komplex auch die im Hinblick auf die Triebkraft des sozialen Ehrgeizes einschlägige Studie Murray 1978, S. 141–210. 164 Grundlegend ist der Text Dixit Algorismi (al-Ḫwārizmī, Dixit algorismi (Folkerts)), dazu Vogel 1963. Zu weiteren frühen Texten s. Folkerts 2001. Knappe Überblicke über die Transmissionsvorgänge enthalten Benoît/Michau 1994, insb. S. 297–313 und Berggren 2002. Fallstudien finden sich in Folkerts 1996, für eine ausführliche Überblicksdarstellung s. die monographische Abhandlung Ambrosetti 2008. 165 Benoît 1994. 166 Daruf hebt ab Swetz 2002. 167 Die Arithmetik des Boethius (Boethius, De arithmetica (Oosthout/Schilling), übersetzt Boethius, De arithmetica (Masi)) geht ihrerseits auf Nikomachos von Gerasa, Introductio arithmetica (D’Ooge) zurück. Vgl. zur Rezeption Heilmann 2007. 168 Die frühesten Algorismi sind das Carmen de algorismo von Alexandre de Villedieu (1225), der Algorismus vulgaris von Johannes Sacrobosco (ca. 1250) und die anonyme Schrift Crafte of Nombrynge (ca. 1300), s. zu diesen Texten Swetz 2002, S. 399 f. und Ambrosetti 2008. 169 Grundlegende Stationen der Textsorte zeigen Leonardos von Pisa Liber Abaci (1202), Francesco Balducci Pegolottis Pratica della Mercatura (um 1340) sowie Luca Paciolis Summa de Arithmetica (1494). 170 Benoît 1994; Swetz 2002. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Zahlen. Waren die römischen Ziffern als Buchstaben von dem sie jeweils umgebenden Text nur bedingt zu unterscheiden,171 stechen die neuen, ungewohnten, formal nicht vorgeprägten indisch-arabischen Ziffern allein schon ästhetisch hervor. Neu ist vor allem die Operationalisierung ihres Gebrauchs. Der Gebrauch der römischen Ziffern setzte zum Vollzug einer Rechnung die Hinzuziehung des Kopfrechnens, des Abakus oder aufgeschriebener Tabellen voraus. Das Stellenwertsystem der indisch-arabischen Ziffern hingegen ermöglicht den Vollzug der Rechnung im Medium der Notation selbst. So wenig jedoch die Schreibweise der indisch-arabischen Ziffern vor dem Buchdruck auch nur annähernd standardisiert war,172 so wenig waren die schriftpraktischen, graphisch entworfenen Verfahren einheitlich, mit denen die Rechnungen durchgeführt wurden. Im Gegensatz zu solchen wissenschaftlichen Darstellungen, die in verdeckt teleologischer Geste die mathematischen Verfahren des Mittelalters im modernen Satz abbilden, rekapituliert und reflektiert Frank J. Swetz gerade die zeitgenössische graphische Umsetzung im Hinblick auf ihre epistemische Funktion.173 Schon die Möglichkeit, Größenordnungen anhand der Stellenlänge von Notaten abzulesen, erleichtert die näherungsweise Beurteilung von Zahlenwerten. Swetz weist darauf hin, dass das graphische Resultat der Rechnungen häufig mit Umrisszeichnungen versehen, von diesen her ikonisch ausgedeutet und teilweise weiterführend bildhaft ›ausgemalt‹ worden ist. Diese Graphiken erleichtern nicht nur in der modernen Rückschau das Verständnis der Namen, die für die Rechenverfahren gefunden worden sind – castellucio, per campana, gelosia (ein Gitterschema) oder galea bzw. battello. Die ikonische Lesart der visuellen Präsenz der Rechnungen erfüllt auch eine wichtige didaktische und mnemopraktische Funktion, indem sie Rechenverfahren an optische Eindrücke bindet und über die Namen mit weiterführendem Weltwissen verknüpft.174 Der Darstellungsmodus, der in den Lehrwerken entwickelt wurde, ist in der Regel nicht die theoretische Entfaltung. Vielmehr ging es um die knappe Präsentation einer Regel und ihre modellhafte Erläuterung anhand von Aufgaben aus dem kaufmännischen Handlungszusammenhang. Diese Aufgabensammlungen bilden in der Tat den größten Teil der mathematikgeschichtlichen Quellen des Mittelalters. Obwohl sie in der Regel wiederkehrende Problemkonstellationen entwerfen, ist mit der Masse dieser Textelemente eine Überlieferungsbreite gegeben, die erst ansatzweise typologisch geordnet und in ihrer historischen Variation beschrieben wurde, und die in ihrem alltags-, maß- und rechengeschicht 171 Markiert wurden sie häufig entweder durch horizontale Stricke über und unter der Ziffer oder durch ein abschließendes j, sodass etwa die Jahreszahl mcccxxxviij als 1337 zu lesen war. 172 Hill 1915; zuletzt und mit weiterführender Literatur King 2001, Appendix D, S. 309–317. 173 Swetz 2002, S. 402–409. 174 So skizzenhaft Swetz 2002, S. 408. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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lichen Potential noch bei weitem nicht ausgeschöpft worden ist.175 Schon dieser knappe und höchst selektive Blick auf die abendländischen Anfänge des Kalküls macht deutlich, dass auch die Einführung und Etablierung der arabischen Ziffern, die erst mit dem Buchdruck universell wird, nicht anders als jeweils von ihren konkreten sozial-, wissens- und praxisgeschichtlichen Umständen her verstanden und beschrieben werden kann.176 Buße leisten Gerade diese Frage nach der Kodierung von Zahlen über das Arithmetische hinaus verbindet sich auch mit dem Schriftgut aus der Frömmigkeits­geschichte. Eine Rationalisierung, sogar ein »schon fast zweckrational erscheinendes Nutzen­ kalkül«177, ist im Bereich der sogenannten ›gezählten Frömmigkeit‹ beobachtet worden. Besonders im späteren Mittelalter durchdringe, wie eine Arbeitsgruppe um Arnold Angenendt gezeigt hat, ein massiver Quantifizierungstrend das gesamte religiöse Verhalten der Institutionen und Einzelpersonen.178 Die Arbeitsgruppe hat die disparate Forschung aufgearbeitet, gebündelt und durch die Erschließung bis dahin unbeachteter Quellenbereiche wesentlich vorangetrieben. Ihre Arbeiten haben gezeigt, dass in den einschlägigen Texten einerseits in einem hohen Maße numerisch agiert wird, dass aber auf der anderen Seite dieses numerische Handeln – bei aller ›Rationalisierung‹ – mit einer modernen Auffassung der Zahl schwer in Einklang zu bringen ist. Andere Arbeiten, etwa zum Gebet oder zur mystischen Lyrik, haben denn auch darauf abgehoben, dass die numerische Fassung der Devotion im Gegenteil gerade eine Verdichtung der imaginativen und sinnlichen Erfahrung organisieren kann.179 Aus der vielfältigen Materialsammlung, die der Beitrag von Angenendt et al. erschließt, möchte ich die Problematik exemplarisch illustrieren. Bezeichnend ist, dass die Untersuchung der ›gezählten Frömmigkeit‹ bei deren Gegenteil ansetzt: bei der theologisch grundlegenden Innovation der neutes-

175 Zur Masse der florentinischen Überlieferung bis 1600 s. den Katalog Van Egmond 1980. Zur frühen Aufgabenüberlieferung s. Folkerts 1978, zur späteren Überlieferung Swetz 1992 und zuletzt Van Egmond 1996. 176 Das zeigt nicht zuletzt auch das zeitweilige lokale Verbot des Gebrauchs arabischer Ziffern. Diese Episode aus der Erfolgsgeschichte des neuen Rechnens ist ausgehend von einer Fußnote der Mathematikgeschichte (wohl Hankel 1874, S.  341, Anm.  1 oder Nagl 1889, S.  166, Anm. 2) durch fortgesetztes ungeprüftes Zitieren in eine gewisse legendarische Verklärung abgedriftet und wurde immer wieder für allgemeingültig angenommen. Zuletzt ist Heinz Lüneburg dem Sachverhalt klärend und einordnend nachgegangen. Lüneburg 2008, S. 106–109. 177 Schindler 1992, S. 76. 178 Die Ergebnisse sind formuliert im Grundlagentext Angenendt et al. 1995. 179 Berns 2003 und Fulton 2007 zum (Rosenkranz-)Gebet, Largier (im Dr.) zur Lyrik Mechthilds von Magdeburg sowie Berns (im Dr.) zu erbaulichen Zählpraktiken des späten Mittelalters und der Reformationszeit. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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tamentlichen Lehre, den Grundsatz des do ut des zu verabschieden.180 Das Prinzip der Verrechenbarkeit von Gabe und Gegengabe, wie es der Religions­soziologe Marcel Mauss beschrieben hat,181 wird in den Anfängen der alten Kirche von einem revolutionären Modell abgelöst: An seine Stelle tritt das sacrum commer­ cium, eine Ökonomie, in der allein eine rückhaltlose Umkehr zählt und diese im Gegenzug eine unbegrenzte Verzeihung erwarten lasse.182 In diesem Sinne werden die Zahlen im Neuen Testament eingesetzt, um zu zeigen, dass sie auf die Dinge des Glaubens gerade nicht angewendet werden können; »sie werden«, so Angenendt et al., »nur deswegen genannt, um alles Zählen als unangemessen hinzustellen«.183 Der Dienst an Gott, der in den frommen Handlungen vollzogen wird, kann nur als Ganzes geleistet werden, weil ihm nur als Ganzes die Geltung zukommt, die eine Erlösung möglich macht. Nach diesem Muster, das an das Verhältnis von Pflicht und Dienst der oberitalienischen Bauern aus dem 9. Jahrhundert erinnert, wurde anfänglich auch der Umgang mit Schuld und Sühne aufgefasst. Im 4. und 5. Jahrhundert beginnt dann, ausgehend von der Frage nach dem richtigen Umgang mit Kapitalverbrechen, die Konzeption ausgleichender frommer Partikularleistungen in die theologische Arbeit der Konzilien einzuwandern. Das galt anfangs nur für Fälle, in denen sich Einzelpersonen »auf besonders einschneidende Weise von ihrer in der Taufe übernommenen Verpflichtung zur Gottes- und Nächstenliebe abgekehrt und weit von der christlichen Glaubens­ gemeinschaft entfernt hatten«.184 Der Bruch mit der altkirchlichen Lehre von maßloser Umkehr und grenzenloser Vergebung wird dann bereits im 7.  Jahrhundert durch die von den irischen Mönchen eingeführte Tarifbuße manifest.185 Das Lehrwerk des Bischofs Halitgar von Cambrai über die richtige Anwendung der Buße (9. Jh.)186 bildet einen Höhepunkt dieser Entwicklung. Mit ihm kam Halitgar der von offizieller Seite vielfach formulierten Aufforderung nach, »die divergierenden Bußtarife der in Umlauf befindlichen Bußbücher zumindest durch ein vereinheitlichtes ›Norm-Bußbuch‹ zu unifizieren«.187 Für die Frage nach der Histori­sierung der Zahl ist besonders das fünfte Buch De dispensationi­ bus sacrificii von Inte­resse.188 Erstens liefert es einen Katalog, der jedem denkbaren Vergehen eine tarifierte Fastenbuße zuordnet. Zweitens liefert es für diejeni-

180 Angenendt et al. 1995, S. 4. 181 Mauss 1984. 182 Herz 1958. 183 Angenendt et al. 1995, S. 4. 184 Angenendt et al. 1995, S. 9. 185 Angenendt et al. 1995, S. 12–20. 186 Paenitentiale Halitgarii (Migne), Sp. 706B-C. 187 Angenendt et al. 1995, S. 21. 188 Paenitentiale Halitgarii (Migne), Sp. 706B-C. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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gen, die nicht fasten können, Kommutationstabellen, d. h. Festschreibungen der Leistungen, die anstelle einer Fastenbuße erbracht werden können. Zur Illustration zitiere ich Angenendt et al.: »Denjenigen, die nicht fasten können, gibt Halitgar fünf Weisen vor, die Auflage eines Fastentages bei Wasser und Brot umzuwandeln: – 50 Psalmen bei gebeugten Knien und Speisung eines Armen; – 70 Psalmen in aufrechter Haltung sowie Speisung eines Armen für den, der sich nicht mit gebeugten Knien halten kann; – 100 Kniebeugen und 10mal Bitte um Verzeihung; – 3 Denare Almosen; – Speisung von 3 Armen. Eine Woche Fasten bei Wasser und Brot kann umgewandelt werden in: – 300 Psalmen bei gebeugten Knie; – 3 Psalter ohne gebeugte Knie. Ein Monat Fasten bei Wasser und Brot kann umgewandelt werden in: – 1.200 Psalmen bei gebeugten Knien; – 1.680 Psalmen ohne gebeugte Kniee. Wer die Psalmen nicht kennt und das Fasten nicht einzuhalten vermag, kann 1 Jahr bei Wasser und Brot umwandeln in: 22 Solidi Almosen an die Armen und 6 Tage Fasten bei Wasser und Brot; überdies schätzt der Büßer während der drei Quadragesen den Preis für seine Nahrung und gibt die Hälfte davon als Almosen an die Armen.«189

Die Auflistung ist auf mehreren Ebenen aussagekräftig. Zunächst zeigt sie: Die Ökonomie von rückhaltloser Hingabe und grenzenloser Vergebung ist gestört. Der Text führt gottgefällige Partialleistungen auf, die ausgleichend eingesetzt werden, wenn die Hinwendung zu Gott in ihrer Maßlosigkeit beeinträchtigt ist. Dabei repräsentiert sie zwei Entwicklungen. Erstens wird die Buße, die in der alten Kirche von dem Bischof oder Klostervorsteher allein bemessen (und wohl auch ausgesprochen werden) durfte,190 als verbindlicher und nicht mehr situations- und personengebundener Tarif festgeschrieben. Zweitens wird dieser Bußtarif im Sinne der Konzilien auch über die lokale Geltung im Einzugsgebiet eines Klosters oder den Machtbereich eines Bischofs hinaus festgelegt.191 Die tarif­ gerechten Bußleistungen werden dann in unterschiedlichen Varianten reformuliert, in denen der eigentliche Bußtarif die Summe aus mehreren Teilleistungen darstellt. Obwohl keine deutliche hierarchische Abstufung zwischen den Varianten erkennbar ist (die auch schwierig zu vertreten wäre, weil die Sühne natürlich gleich stark sein muss), erinnert die Darstellung an die Konzeption des ›dividie 189 Angenendt et al. 1995, S. 21. In der Ausgabe von Migne ist die Aufzählung nicht auch graphisch abgebildet, sondern nur syntaktisch gegliedert. 190 Angenendt et al. 1995, S. 10 f. 191 Angenendt et al. 1995, S. 21. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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renden Denkens‹ von Fried, die Kuchenbuch auf die Einkommensverzeichnisse angewandt hat.192 Für die Rolle der Zahl ist die Ausformulierung der Varianten ausschlaggebend. Denn die unterschiedlichen Teilleistungen werden numerisch ins Verhältnis gesetzt. Dieses Verhältnis ist jedoch, wie Angenendt et al. formulieren, »kompliziert und unübersichtlich«.193 In der Tat vereinigt die Liste verschiedene Operationen. Einerseits werden Teilleistungen summiert (70 Psalmen), andererseits werden die Leistungen stets in unterschiedlichen Modalitäten verlangt (Psalmen bei »gebeugten Knien« vs. »in aufrechter Haltung«). Drittens werden Leistungen ganz unterschiedlichen Typs kumuliert (Körperübungen, Gebete, Geldzahlungen). Dass, wie die Autoren feststellen, die Äquivalenzen ein »durchgehendes Umrechnungssystem«194 nicht erkennen lassen, kann nur so interpretiert werden, dass hier in der Tat gar nicht gerechnet werden soll. Die Zahlen quantifizieren, aber die Quantifikation ist nur bedingt arithmetisch kodiert. An die Stelle der Arithmetik tritt erstens die Analogie. Zahlen in den Bußtarifen beziehen sich zum einen Teil auf Zahlenangaben in der Heiligen Schrift und können deswegen im Sinne der Zahlensymbolik gedeutet werden. Die Autoren heben dabei allerdings mehr den Funktionswandel der Zahlen als die Strukturanalogie zur Zahlenexegese hervor.195 In diesem Sinne wird die 7 vom neutestamentlichen »Zahlensymbol als Sinnbild für die grenzenlose Liebe Gottes« zur »gezählten Ausgleichs- und Bußleistung für den angerichteten Schaden« und die 40 wird zur Buß- oder Fastenzeit, obwohl sie ursprünglich »eine Zeit der Aussöhnung mit Gott und den Mitmenschen« repräsentierte.196 An die Stelle der Arithmetik rückt zweitens die kosmologische Analogie, die auch in der theologischen Medizin eine Rolle spielt.197 Das wird insbesondere anhand der Zahl 365 erörtert, die sowohl auf die Zahl der Tage im Jahr als auch auf die Zahl der Glieder des menschlichen Körpers bezogen wird.198 Beide Fälle machen klar, dass die Zahlen zwar eingesetzt werden, um zu quantifizieren, und dass die arithmetischen Regeln zu ihrer Verrechnung bekannt sind. Wie bei der Konfrontation von philosophischer und exegetischer Betrachtung der Zahl wird hier aber deutlich, dass, wenn die Zahl als signum translatum verwendet wird, ihre arithmetischen proprietates zurücktreten. Die Zahl erhält ihre Legitimation nicht aus ihren formalen Eigenschaften und die zweifellos vorhandenen formalen Eigenschaften der Zahl legitimieren an sich nichts. Geltung erhalten die Aussagen, in die die Zahlen eingebunden sind, aus ihrer Verweis 192 Auch hier müsste ein eventueller Zusammenhang freilich noch nachgewiesen werden. Vgl. Kuchenbuch 1993, S. 190–192. 193 Angenendt et al. 1995, S. 22. 194 Angenendt et al. 1995, S. 22 195 Angenendt et al. 1995, S. 14–17. 196 Angenendt et al. 1995, S. 15. 197 Wallis 1995 und Wallis (im Dr.). 198 Angenendt et al. 1995, S. 15 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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funktion in Bezug auf die Heilige Schrift und die Ordnung des Kosmos, nicht zuletzt als autorisierte Rede wohl durch ihre Einbettung in den konziliatorisch-autoritativ gesicherten Buß-Diskurs. Zu den formalen Eigenschaften der Zahl kommt noch eine funktionale: Beide Typen, die exegetische und die kosmologische Analogie, folgen einem deiktischen Potential der Zahl, das auch bei späteren Anwendungen eine gesteigerte Rolle spielt. Denn im ausgehenden Mittelalter hat einerseits eine elaborierte (und nur bedingt arithmetische) Heilsarithmetik Konjunktur, etwa bei der Kumulation und Verwaltung von Reihengebeten.199 Auf der anderen Seite etabliert sich vor allem in der Passionsliteratur eine immer stärkere Quantifizierung aller Ereignisse, die die Heilsgeschichte konstituieren. Die Zahl leistet eine geordnete, aber auch ins Überwältigende kippende Bilderzeugung, wie es Jörg Jochen Berns für das Rosenkranzgebet gezeigt hat,200 wie es aber auch durch die Theorie und Praxis der Predigt belegt ist.201 Von Theoretikern der Passionsbetrachtung, wie Ludolph von Sachsen, wurde das einlässlich begründet. Die Zahl quantifiziert und organisiert wirkungsästhetisch eine sequentielle Entfaltung. Angenendt et al. resümieren wie folgt: »Kein Detail sollte dem Betrachter verlorengehen, denn je kleinschrittiger er sich das biblische Geschehen vor Augen führte, um so lebendiger versprach es vor seinem inneren Auge zu werden. Um die Andacht der Betrachter zu beflügeln, so Ludolph, erzähle er auch das, was die Evangelien verschweigen, und schmücke es mit bestimmten bildhaften Vorstellungen (imaginativas repraesentationes) aus.«202

Schon diese kurze Skizze zeigt, dass die pauschale Bezeichnung des Phänomenbereiches als ›gezählte Frömmigkeit‹ so nützlich wie irreführend ist. Ihre Leis­tung ist es, eine breite Strömung frömmigkeitsgeschichtlicher Praktiken zusammenzufassen und ihr mit dem Namen eine starke Präsenz und hohen Wiedererkennungswert zu verschaffen. Problematisch ist die Nivellierung der Unterschiede, die zwischen den Praktiken im Einzelnen bestehen. Insbesondere überspielt sie die Frage, auf welche Konzeptionen der Zahl jeweils zurückgegriffen wurde, um die unterschiedlichen Praktiken zu formatieren. Als Operationstypus, der selbst vermeintlich ahistorisch ist, bietet sich das »Zählen« als roter Faden einer Geschichtserzählung an, der die Vielfalt der beobachteten Frömmigkeitspraktiken in chronologischer Ordnung angelagert werden kann. In der sogenannten ›gezählten Frömmigkeit‹ wird aber nicht nur mit ganz unterschiedlichen Zielen sondern auch mit ganz unterschiedlichen Verfahren ›ge 199 Angenendt et al. 1995, S. 41–45, 52–57. S. dazu den aspektreichen Band Frei/Bühler 2003 und Fulton 2007. 200 Berns 2003. 201 Wedell 2010b. 202 Angenendt et al. 1995, S. 66. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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zählt‹. Es wird analogisiert, sequenzialisiert, ordiniert, dividiert, summiert, multipliziert, ontologisch verankert und exegetisch ausgelegt. Entscheidend ist die Frage, woher die ›Zahl‹ ihre Geltung und Legitimation bezieht. In diesem Sinne wäre näher zu prüfen, inwieweit einige der Unschärfen und offen gebliebenen Fragen geklärt werden könnten, wenn die Begriffe des ›Zählens‹ und der ›Zahl‹ selbst historisiert würden. Dass hieran noch gearbeitet werden muss, zeigt die begriffliche Unschärfe von Angenendt et al. im operativen Bereich. So werden die numerischen Techniken des Zählens, Quantifizierens, Rechnens, Verrechnens usf. häufig nicht scharf differenziert. Und weder die semantischen Gegebenheiten in den lateinischen Quellen noch die volkssprachlichen Übertragungen und Abgrenzungen werden zum Thema gemacht. Ebenso steht den Autoren keine Terminologie zur Verfügung, mit der solche strukturell-operativen Notationsformen präzise angesprochen werden können, die in der philologischen Textanalyse keinen traditionellen Ort haben, wie die Aufzählungen, Listen und Tabellen. Hier muss das außerordentlich reichhaltig zusammengetragene Material noch einmal durchgearbeitet werden: mit Blick auf die Mise en page in den Handschriften; mit Blick auf die graphische Umsetzung in den frühen Druckwerken; mit Blick auf die zeitgenössischen Techniken des Zahlgebrauchs und der Zahlenschreibung in anderen Wissensdomänen. Erst von hier aus kann die funktionale Stelle der Zahl in den frömmigkeitsgeschichtlichen Dokumenten überhaupt zuverlässig rekonstruiert werden. Und erst in dieser Gesamtperspektive können die Geschichte der Kulturtechniken und der Frömmigkeit produktiv aufeinander bezogen und in Bezug auf einander weiterführend interpretiert werden. 1.2.4 Sprachliche Instanziierung Zu den elementaren Formen des Zahlgebrauchs gehört die sprachliche Realisierung von Zahlen in Zählakten. Neben der katalogartigen, reihenden Nennung liegt diese im Gebrauch der Zahlwörter, mit denen Anzahlen benannt werden. Noch heute haben die Zahlwörter in der Sprachwissenschaft einen unsicheren Status. Teils werden sie neben Adjektiven und Pronomina als eigene Klasse von Ausdrücken geführt, teils wegen ihrer Struktureigenschaften auf unterschied­ liche Wortarten verteilt. Die Grammatiken der früheren deutschen Sprachstufen widmen den Zahlwörtern bzw. Numeralia jeweils ein Kapitel. Intern jedoch variiert die Form der Bearbeitung des Materials erheblich.203 Ich möchte im Folgenden auf die Strukturbesonderheiten der Numeralia hinweisen und die Frage

203 Zum Althochdeutschen Braune/Eggers 1987, bes. § 270–281, S.  230–237, zum Mittelhochdeutschen Paul 2007, § M60-M62, S. 231–233 und § S109, S. 362 f.; zum Frühneuhochdeutschen Reichmann/Wegera 1993, S. 206–208. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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formulieren, inwieweit diese mit einer historischen Konzeption der Zahl selbst zusammenhängen. Zahlwörter Zahlwörter oder Numeralia sind verbale Ausdrücke, die, so das Lexikon der Sprachwissenschaft von Hadumod Bussmann, »Zahlen, Quantitäten und in Zahlen quantifizierbare Größen- und Mengenangaben bezeichnen«.204 Sie bilden folgende Untergruppen:205 Kardinalia: Ordinalia: Distributiva: Iterativa: Multiplikativa: Kollektivzahlen: Bruchzahlen: unbestimmte Numeralia:

eins, zwei, drei erstens, zweitens je sechs siebenmal achtfach ein Dutzend ein Zehntel einige

Überwiegend handelt es sich im linguistischen Common Sense um Adjektive (sechs Monate, zweierlei Maß, der dreifache Betrug). Numeralia können jedoch auch als Substantive (ein Dutzend, Einer und Zehner), als Indefinitpronomen (alle, beide, mehrere, wenige) und Adverbiale auftreten (dreimal). Diese Zuordnungen sind jedoch einzelsprachlich außerordentlich umstritten.206 Ein Beitrag von Klaus Peter Schmid über die »Wortart der Kardinalia«207 breitet das Problem paradigmatisch aus. Nachdem er die Möglichkeit eines etymologischen Zugriffs verworfen hat,208 entwickelt er eine streng synchrone Diskussion. Deren Ergebnis ist der positiv geführte209 und ex negativo bestä 204 Bussmann 2002, Artikel ›Numerale‹. 205 Bussmann 2002, Artikel ›Numerale‹. 206 In typologischer Perspektive s. dazu Greenberg 1978 und zuletzt Gvozdanovic 1999. 207 Schmid 1987. 208 »[…] denn während eins wegen seiner Flexion im Lateinischen und Altindischen gern als Pronomen, zwei, drei morphologisch als Adjektiva angesehen werden können, erweckt unsere vier (got. fidwor, lat. quattuor) eher den Eindruck eines substantivischen r-Stammes, fünf und sechs bleiben völlig dunkel, sieben ist von der Wortbildung her ebenfalls unklar, acht ist eine Dualbildung zu einem im Avestischen belegten asti- »Handspanne«, neun wird man nicht vom Adjektiv neu trennen wollen, und zehn ist jedenfalls der Wortart nach ein Substantiv, bei aller Unklarheit in der Wortbildung. Die Etymologie führt also ebenso wie die unterschiedliche Behandlung der Grundzahlwörter in den Einzelsprachen zu keinem Ergebnis.« Schmid 1987, S. 459 f. 209 Kardinalia haben (1) »eine im Lexikon angebbare Bedeutung«, üben (2) als regierende Zeichen »einen syntaktischen Einfluss auf andere Zeichen […] aus«; sie haben (3) »keinen ihnen eigenen Bezug zur Sprechsituation, können aber einen solchen aus bestimmten Situationen übernehmen«, und können schließlich (4) nur »in Kombination mit anderen Zeichen eine Satzkonstituente bilden. Nur in unvollständigen Sätzen, in Antworten auf Fragen etc. können Zeichen, die so charakterisiert sind, scheinbar selbstständig auftreten.« Schmid 1987, S. 461 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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tigte210 Beweis, dass die Kardinalia als eigene Wortart klassifiziert werden müssen. Dabei macht seine Skizze zugleich deutlich, dass der Widerspruch von semantisch-lexikalischer Zusammengehörigkeit und morphosyntaktischer Heterogenität der Zahlwörter nicht gelöst werden kann, wenn man den Blick auf die verbalsprachlichen Eigenschaften der Zahlwörter allein richtet. Zahlwörter und Zahlen Heike Wiese hat in zwei Monographien und einer Reihe von Aufsätzen die Einordnung der Numeralia einer Revision unterzogen.211 Ihre Antwort auf die Frage »Was unterscheidet Zahlwörter von anderen Ausdrücken?«212 führt zu einer Bestimmung der Wortklasse, die nicht nur formal kohärent, sondern auch genealogisch überzeugend ist.213 Zunächst entwickelt Wiese die Sonderstellung der Zahlwörter in natürlichen Sprachen. Diese wird sichtbar anhand der Stellung der Numeralia im Lexikon, in ihrer morphologischen Struktur, der phonetischen/phonologischen Realisierung und syntaktischen Kodierung, anhand des semantischen Profils, des Erstspracherwerbs und in Bezug auf ihre Verschriftung.214 Die Neuerung ihres Ansatzes besteht in der Verknüpfung der sprach­ lichen Struktur der Numeralia mit der ontologischen Bestimmung der Zahl.215 Hierfür greift sie auf den von Richard Dedekind entwickelten relationalen An­ satz zurück.216 Zahlen sind demnach »wesentlich Elemente eines einfach unend­ lichen, geordneten Systems; eine Zahl ist lediglich durch ihre Relation zu anderen Elementen dieses Systems bestimmt und benötigt darüber hinaus keine weiteren Attribuierungen«.217 Deswegen können alle diejenigen Mengen von Objekten als Menge der natürlichen Zahlen N fungieren, die folgende Bedingungen erfüllen:218 210 »Die Kardinalzahlen unterscheiden sich also von den Personalpronomina durch die Möglichkeit der Substantivierbarkeit, von den Demonstrativa durch das Fehlen der pragmatischen Komponente, von den Indefinitpronomina durch ihren definitiven Charakter, von den Adjektiva u. a. durch ihren fehlenden Bezug auf das Lexem des Gezählten, von den Substantiva durch ihre fehlende Autonomie.« Schmid 1987, S. 463. 211 Wiese 1997; Wiese 2003; Wiese 1995. 212 So der Titel eines nicht veröffentlichten, aber online verfügbaren Manuskripts Wiese 1998. 213 Auch Wiese 1998 macht dabei eine wesentliche Einschränkung, insofern sie nicht alle Typen von Numeralia in ihre Analyse einbezieht. Grundlegend sind die Elemente bloßer Zähl­ sequenzen, die Numeraliac (›counting words‹): eins, zwei, drei usw. Näherhin ist sie an den syntaktisch unterschiedlich kodierten Konstruktionen der Kardinalia (sieben Zwerge), der Ordinalia (der dritte Mann) und der Numeralia in Nummer-Konstruktionen, kurz #-Numeralia (Bus Nummer vier) interessiert. 214 Wiese 1998, S. 3–9. 215 Wiese 1998, S. 9–11. 216 Dedekind 1887. 217 Wiese 1998, S. 10. 218 Wiese 1998, S. 10. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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(i) Alle n ∈ N müssen wohlunterschieden sein; (ii) N muss eine Sequenz, d. h. geordnet sein; (iii) N muss einfach unendlich sein. Zahlen sind in diesem Modell keine bestimmten abstrakten Entitäten, sondern Mengen von Objekten. Deswegen können auch die Elemente der Zahlwortreihe selbst als Zahlen aufgefasst werden. Die Numeraliac erfüllen alle Bedingungen dafür:219 (i) Numeraliac sind Elemente mit wohlunterschiedener phonologischer Struktur. (ii) Numeraliac unterliegen einer festen sequentiellen Ordnung. (iii) Zählsequenzen sind aufgrund der rekursiven Generierungregeln für Numeraliac potentiell unendlich. Vor diesem Hintergrund kann Wiese die Sonderstellung der Numeralia völlig neu bewerten. Die Elemente der Zahlwortreihe, die Numeraliac, »weisen nach dieser Auffassung nicht über sich hinaus auf andere, außersprachliche Entitäten, sondern sind Elemente einer bestimmten Sequenz, die aufgrund ihrer internen Struktur die Voraussetzungen dafür erfüllt, selbst als Menge der natürlichen Zahlen zu fungieren«.220 Was die verbalsprachliche Struktur der Zahlwörter disparat erscheinen lässt, stiftet im Blick auf die ontologische Bestimmung der Zahlwörter als Zahlen Kohärenz. »Die Merkmale«, so Wiese, »die Zählsequenzen befähigen, als mögliches System N der natürlichen Zahlen zu fungieren, sind nämlich interessanterweise genau die, durch die sie sich von anderen sprachlichen Ausdrücken unterscheiden«.221 Für die drei Hauptmodalitäten der Zahlwörter konkretisiert sich das so: Kardinalia: Die Kardinalkonstruktionen dienen zum Ausdruck numerischer Quantifizierung, der Zuweisung einer Anzahl. Sie rücken deswegen semantischkonzeptuell in die Nähe der natürlichsprachlichen Quantoren wie viel und ­wenig, die ebenfalls Entitäten quantifizieren. Anders als bei viel und wenig ist diese Quantifizierung jedoch numerisch definit. Ordinalia: Die Ordinalkonstruktionen dienen dazu, einen Rang zu messen, d. h. den Stellenwert, den das betreffende Objekt in einer bestimmten Sequenz einnimmt. Darin ähneln sie strukturell den adjektivischen Superlativ-Konstruk­ tionen. Anders als die Superlative, die jeweils das Element herausgreifen, das hinsichtlich der Ausprägung einer bestimmten Eigenschaft die Spitzenposition einnimmt, weisen die Ordinalia dabei dem jeweiligen Element einen definiten numerischen Rang zu. 219 Wiese 1998, S. 10 f. 220 Wiese 1998, S. 11. 221 Wiese 1998, S. 11. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Nummer-Konstruktionen: Bei Nummer-Konstruktionen schließlich wird eine Art der Namensnennung vorgenommen. Damit stehen sie in der Nähe der Eigen­namen. Während jedoch im Fall von Eigennamen-Konstruktionen diese ­labels einer Menge konventioneller Namen entstammen, sind es in NummerKonstruktionen die Numeralia selbst, die als label fungieren. Es ist offensichtlich, dass die Annäherung der drei verschiedenen Typen von Zahlwörtern an spezifische andere Wortklassen nicht arbiträr ist. Tatsächlich geht in allen Fällen die konzeptuell-semantische Annäherung mit einer Strukturähnlichkeit einher. Die Kardinalia korrespondieren auch morpho-syntaktisch den natürlichsprachlichen Quantoren, die Ordinalia den superlativischen Adjektiven, die Nummer-Konstruktionen den Eigennamen. In diesem Sinne kann die Ausbildung der drei Numeralklassen »als Folge der Integration einer (als System N fungierenden) Sequenz sprachlicher Entitäten in syntaktisch komplexe Strukturen« aufgefasst werden.222 Wiese entwickelt ihr Modell vor allem anhand der deutschen Gegenwartssprache. Es hat aber eine diachrone Dimension. Kann die Integration der als Zahlen fungierenden Kardinalia in die syntaktischen Strukturen der Verbalsprache auch als historischer Prozess greifbar gemacht werden? Eigenschaften und Ränge Im Mittelhochdeutschen ist die von Wiese beschriebene Struktur erst im Ansatz erkennbar. Die Grammatik von Hermann Paul in ihrer jüngsten Bearbeitung223 verzeichnet starke morphosemantische Differenzen zwischen den Kardinalia und den natürlichsprachigen Quantifikatoren. Bei den Ordinalia und den superlativischen Adjektiven gibt es hingegen Übereinstimmungen. Eine Nummer-Konstruktion ist in keiner der Grammatiken zum älteren Deutsch erwähnt. Kardinalia: Die Kardinalzahlwörter sind morphosyntaktisch inkohärent und von natürlichsprachigen Quantoren deutlich unterschieden: ein wird sowohl substantivisch (einer, -iu, -ez) als auch adjektivisch (ein) flektiert. zwei und drei sind irregulär, während vier, finf, sehs, siben, ahte, niun, zehen, einlif (eilf), zwelf teils endungslos gebraucht, teils adjektivisch dekliniert werden. hundert und tûsent folgen den Regeln für neutrale Substantive.224 Dabei können die gleichen Kardinalzahlen »einerseits als Adj. behandelt und mit dem gezählten Gegenstand attributiv verwendet werden, andererseits als Substantive, die den gezählten Gegenstand im Gen. partitivus bei sich haben«.225 Die natürlichsprachigen Quantoren vil, lützel, wênec sind hingegen als Adjektivadverbien aus erstarrtem Kasus entstanden (Akk. Sg. Neutr.) und werden grundsätzlich nicht flektiert.226 Bei 222 Wiese 1998, S. 17. 223 Paul 2007. 224 Paul 2007, S. 231. 225 Paul 2007, S. 362. 226 Paul 2007, S. 207, 359. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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vil lässt sich nicht entscheiden, »ob es sich dabei um die Substantivierung eines längst untergegangenen Adj. handelt oder ob der substantivische Gebrauch der älteste des Wortes im Germ. ist«.227 Entscheidend ist für das Mittelhochdeutsche, dass vil, obwohl es grundsätzlich als substantivisches Indeclinabile eingstuft wird, in Einzelfällen doch flektiert wird.228 Ordinalia: Die Ordnungszahlen zu ein, drei und vier sind der Form nach wie im Neuhochdeutschen superlativische Adjektive (erste, dritte, vierte usw.). Die Form zweite tritt dagegen erst seit dem 16. Jahrhundert auf. Bis dahin wird ander verwendet, teils mit der aus dem Althochdeutschen ererbten starken, teils (und zunehmend) mit schwacher Flexion.229 Während die strukturellen Eigenschaften der mittelhochdeutschen Numeralia insgesamt wenig durchsichtig erscheinen, wirken sie im Althochdeutschen zwar auch heterogen, aber klarer strukturiert.230 Die ersten drei Kardinalia sind nach Braune/Eggers »in allen Kasus deklinierbar und unterscheiden die drei Geschlechter«.231 Die Zahlen 4 bis 12 sind »unflektiert, wenn sie adjektivisch vor einem Substantiv stehen«, aber »flektiert, wenn sie als Adjektiva nach ihrem Substantiv stehen oder wenn sie substantivisch gebraucht werden.«232 Die ersten beiden Ordinalia sind nicht zu den Stämmen der entsprechenden Kardinalzahlen gebildet und werden stark flektiert (eristo, ander),233 im Gegensatz zu den übrigen Ordinalia, die von den Stämmen der Kardinalzahlen abgeleitet sind und als superlativische Adjektiva schwach flektiert werden (dritto, feordo, fimfto usw.).234 Das Modell, das Wiese für die Gegenwartssprache entwickelt hat, bildet die früheren Sprachstufen des Deutschen nur bedingt ab. Die Integration der als Zahlen fungierenden Numeralia in die syntaktischen Strukturen der Sprache wäre dementsprechend erst teilweise vollzogen. Anders gesagt: Das Verhältnis von Zahlwort und Zahlkonzeption ist in den altdeutschen Dialekten anders organisiert als im Neuhochdeutschen. Warum? Georg Schuppeners Arbeit zu den »Germanischen Zahlwörtern« legt nahe, den Grund in der Entstehungsgeschichte der Zählsequenz (Numeraliac) zu suchen.235 Anhand der formalen Schwellen und Brüche in der Zahlwortreihe stellt er die Forschungen zu den Vigesimal- und Hexagesimalsystemen zusammen, die noch im Althochdeutschen analytisch greifbar sind. Auffällig ist in diesem Zu 227 Paul 2007, S. 359. 228 Paul 2007, S. 359. 229 Paul 2007, S. 232. 230 Braune/Eggers 1987, S. 230–237. 231 Braune/Eggers 1987, S. 230. 232 Braune/Eggers 1987, S. 231 f. 233 Hammerich 1955, S. 166. 234 Braune/Eggers 1987, S. 235. 235 Die Arbeit Schuppener 1996 bezieht sich zwar teilweise auf das Althochdeutsche, ist aber im Wesentlichen eine Zeitstufe früher angesiedelt. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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sammenhang auch die formale Sonderstellung der Zahlwörter für die Werte  1 bis 4. Sie sind in den rekonstruierten Sprachstufen und noch in den frühesten Zeugnissen der germanischen Dialekte in keiner Weise reihenbildend gewesen. Erst allmählich sind sie durch die Ausbildung rekursiver Strukturen an die übrigen Zählwörter angepasst worden.236 Weil zudem auch die natürlichsprachigen Quantoren formal nicht einheitlich sind, entsteht der Eindruck, dass die Quantifikation auch im Mittelhochdeutschen grundsätzlich noch keine kohärenzstiftende Funktion in den Sprachstrukturen übernimmt. In der Grammatik von Paul wird eine zugrundeliegende Dynamik dahingehend angedeutet, dass Zahlwörter ursprünglich teilweise substantivisch, teilweise adjektivisch wie substantivisch waren, sich im Mittelhochdeutschen aber ein »Ausgleich in Richtung auf den adjektivischen Gebrauch« abzeichnet, der wiederum erst im Ansatz vollzogen wird, weil die ehemals substantivischen Zahlwörter, wenn sie mit Substantiven gebraucht werden, zumeist flexionslos auftreten.237 Das formale Argument wird durch ein historisch-semantisches ergänzt. Alfons Nehring hat in seinem Beitrag über »Zahlwort und Zahlbegriff« die Entstehungsgeschichte der Zahlwörter dahin gehend interpretiert, dass auch die Zählwörter anfänglich nicht abstrakt gewesen sind, sondern immer den jeweiligen gezählten Gegenstand mitbenannt hätten. Das von Schmid formulierte Kriterium der semantischen Autonomie wäre dann bei den rekonstruierten Formen der Zahlwörter durchaus erfüllt gewesen. Über die Kategorie der im »Lexikon der Sprachwissenschaft« so genannten Kollektivzahlen, die Schupppener an anderer Stelle passend als ›Zahlmaße‹ zusammengefasst hat, sind sie den Maß­ begriffen verwandt.238 Erst die neueren Zahlwörter hätten sich im Zuge der Ausbildung einer gegenstandsklassen-abstrakten Semantik davon gelöst. Ich kenne keine zusammenfassende Arbeit zum Verhältnis von semantischkonzeptueller und morphologischer Struktur der alt- und mittelhochdeutschen Numeralia, die im Sinne von Wiese auch die syntaktischen Kontexte mitberücksichtigen würde. Diese Studien wären die Voraussetzung für eine Überprüfung der vorläufig zu formulierenden Hypothesen: 1. Die Zahlwortreihe im Alt- und Mittelhochdeutschen ist in ein strukturelles Erbe eingebunden, das auf der semantischen Autonomie der Zahlwörter basiert. Durch die Ausbildung der rekursiven Strukturen wird dieses Strukturerbe formal analogisiert, durch den gegenstandsklassen-abstrakten Gebrauch der Zahlwörter semantisch abgeschliffen. 2. Gleichzeitig hat sich längst eine Zählsequenz ausgebildet, die theoretisch den Bedingungen genügt, das System N der natürlichen Zahlen abzubilden. Dieser

236 Nehring 1929. 237 Paul 2007, S. 363. 238 Schuppener 2002a, S. 74–79. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Systemzusammenhang der Zahlen ist aber noch nicht zum Strukturmuster für die syntaktischen Strukturen geworden, in die die Numeralia eingebettet sind. 3. Die Kardinalia teilen mit den natürlichsprachlichen Quantoren wie vil, michel oder wênec ihre formale Heterogenität. Formal werden jedoch beide Gruppen überwiegend adjektivisch gebraucht. 4. Die stärkste strukturelle und semantisch-konzeptuelle Kohärenz zeigen die Ordinalia und die superlativisch gebrauchten Adjektive, mit denen auch sonst verbalsprachlich Rang ausgedrückt wird. 5. Die Bestimmung von numerisch definiter Quantität durch Zahlen ist in struktureller Hinsicht sekundär. Mittelhochdeutsche Zahlwörter artikulieren vor allem Eigenschaft und Rang.

1.3 Resümee Die Frage nach der Historisierung der Zahl stellt sich bei der Durchsicht und Gegenüberstellung zweier historiographischer Darstellungsformen: einer genera­ lisierenden ›Universalgeschichtsschreibung‹ auf der einen Seite – die der Zahl als historischer Größe wenig Raum gibt – und der speziellen ›Universalgeschichte der Zahlen‹ auf der anderen Seite – in der eine außerordentlich dynamische und detailreiche Entwicklung dargelegt wird. Das Terrain dazwischen ist noch nicht systematisch erfasst. Es gibt allerdings eine Reihe von Fallstudien, die, sachlich und methodisch partikular, einzelne Felder des Geländes vermessen. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Sichtung zusammengefasst und die offenen Fragen artikuliert. 1.3.1 Zusammenfassung In der Philosophiegeschichte ist die Frage nach mittelalterlichen Konzeptionen der Zahl gestellt und in Ansätzen auch bearbeitet worden: Die Orientierung der mittelalterlichen Autoren am Euklidischen Modell ist dominant. Daneben besteht eine auf Aristoteles zurückgehende und vor allem über die pseudo-augustinischen categoriae decem überlieferte Konzeption. Nach dieser habe die Zahl eine dreifache Natur, wie Johannes Pagus es formuliert hat. Die Zahl besteht aus (1) dem numerus numeratus (die gezählten Zahlen; die Dinge), (2) dem numerus numerans (den zählenden Zahlen in der Seele bzw. die Seele selbst) und (3) dem numerus quo numeramus (dem Vollzug des Zählens, seine körperliche Realisierung). Allein der letzte Aspekt ist eine Sache der reinen Quantität. Interessanterweise bezieht er sich nicht auf eine schriftliche Operation, sondern auf eine ope­ ratio, die mit nutus corporeus umschrieben wird. Gleichzeitig und unabhängig davon ist bei Hrabanus Maurus eine auf Priscian zurück­gehende Tradition der © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Beschreibung der species numerorum greifbar. Hier geht es nicht um die Frage, was eine Zahl sei, sondern darum, in welchen Modalitäten die Zahl auftreten kann; eine Klassifikation, die in modernen Begriffen nicht eine Sache der Zahlen, sondern der Zahlwörter ist (numeri cardinales / Kardinalzahlen; numeri ordi­ nales / Ordinalzahlen; numeri adverbialis / Iterativa; numeri multiplicatiui / Multiplikativa; numeri dispertiui / Distributiva). Dass die Zahlen durch ihre formale Struktur nicht nur als ein symbolisches Modell ontologischer Verhältnisse angesehen werden, sondern ihnen zudem der Status von Ideen zugeschrieben wird, machte sie für die christliche Theologie interessant. Paradigmatisch ist Boethius’ Vorstellung der Zahlen als Urbild der Dinge im Geist des Schöpfers. In diesem Sinne verläuft jenseits der praktischen Mathematik ein philosophischer Diskurs, der die Zahlen als res nach ihren Eigenschaften beschreibt und ein theologischer Diskurs, der sie als signa trans­ lata in ihren exegetisch-allegorischen Bezügen begreift. In der Verbindung der drei Wissensbereiche wird das Verfahren der Zahlenexegese entwickelt und seinerseits in die Literaturproduktion, aber auch in die Homiletik und die Frömmigkeitspraxis übernommen. Gerade in den Predigten zeigt sich jedoch, dass mit den operativen Zahlkonzeptionen allein nicht alles gewonnen ist. Während die Exegese nach Augustinus programmatisch die Kenntnis aller mathematischen Eigenschaften der Zahl voraussetzt, wird in in der Predigt auf komplizierte Verfahren gerade verzichtet und vielmehr, wie bei Geiler von Kaisersberg, mit Hilfe von zahlbesetzten Dispositionsallegorien der inhaltliche und strukturelle Aufbau der Predigten entworfen, legitimiert und gesichert; oder, wie bei Berthold von Regensburg, eine Zahlkonzeption aktualisiert, die vollkommen körper­gebunden ist und über den motorischen Akt des Zählens an Körpergliedern die zu memorierenden Inhalte bündelt. Anders als bei der philosophischen Konzeption bei Johannes Pagus geht es hier auch um die Sequenzialisierung. Dadurch kann die Zahl auf die Erzählung abgebildet und die Erzählung durch die Zahl gesichert werden. – Die Hand als frühestes ›zip.-Datei-Format‹ übersetzt das schriftlichexegetische Wissen von der Zahl in den komplementären Modus körpergebundener Memoria. Die Anschaulichkeit prägt auch den Zahlgebrauch der mittelalterlichen Chroniken. Deren Zahlenangaben sind weder symbolisch-phantasiegeleitet, wie ihnen gelegentlich vorgeworfen wird, noch arithmetisch präzise, wie es die moderne Forschung fortwährend vermisst. Beides wäre in Bezug auf die kommunikative Zielsetzung dieser Texte auch verfehlt. Zahlen repräsentieren vielmer ima­ ges mentales der zu übermittelnden Ereignisse. Sie evozieren bildhaft Größenordnungen, die der Erfahrung der Leser/Hörer entsprechen. Die Zahlenangaben haben einen valoire informative, eine Aussage, die darauf ausgerichtet ist, kommunikativ zu gelingen und das Wichtigste schriftlich zu fixieren. Eine verwandte Funktion übernehmen die Zahlen auch im frühen ökonomischen Schriftgut. Wo es um die befragende Erhebung von seigneurialem Eigen© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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tum und um die Verschriftung der Ergebnisse geht, kommt es auf numerisch definite Notation nicht an, sondern auf die Erfüllung dessen, was jeweils im Kontext die Hauptsache ist. Dafür muss mitunter überhaupt nicht quantifiziert werden. Wenn die Bestände und Leistungen als ›ein Ganzes‹ definiert sind, vertritt dieses Ganze die Quantifikation; und die Rede, die das bestätigt, steht für die Zahl, die es beweist. Erst mit zunehmend schriftgeleiteten Erhebungen werden analytische Techniken angewendet. Als Verschriftungs- und Verschriftlichungs­instrumente sind sie vielleicht als Derivate des akademischen quadrivialen Wissens aufzufassen. In einem divisionistischen Stil entfalten die Zahlen eine graphische Ordnungsfunktion in der Mise en page und dann auch zunehmend arithmetische Konsequenz. Entscheidend sind die Übergangsformen, für die auch in der kaufmännischen Buchhaltung des Spätmittelalters verschiedene Formate entwickelt werden. Hier wird mitunter das tradierte Formular der Volltextdarstellung mit ausgewählten Funktionen der Tabelle kombiniert. Die Abrechnungen an spätmittelalterlichen Fürstenhöfen zeigen die Zahl in quantifizierender Funktion. Beklagt wird aber von der Forschung, dass ihre Anwendung nicht protokollarisch zuverlässig ist und das Resultat an Objektivität zu wünschen übrig lässt. Eine grundsätzliche Partikularität ist auch für die Überlieferung zum Rechnen mit der Null und mit den arabischen Ziffern anzunehmen – dem Feld in der Geschichte der Formalisierung, das die weittragendsten Folgen gezeitigt hat. Obwohl im Bereich des Fern- und Großhandels, und hier vor allem im Bereich des Messens von Gütern und Geldwerten, Kulturtechniken entwickelt worden sind, denen überregionale Geltung und diachrone Stabilität eignete, ist die Geschichte des Rechnens eine Sache von spezifischen Milieus. Wo, wie in den großen italienischen Handelsstädten des 13.  bis 15.  Jahrhunderts, ein anhaltender kaufmännischer Ausbildungsbedarf dominierte, wo stets schnell, zuverlässig und gut dokumentiert gerechnet werden musste, wo sich zudem internationale Kommunikationswege schnitten, konnten die Bedingungen gegeben sein, unter denen sich ein neues, nicht akademisch-gelehrtes, sondern an den Bedürfnissen der Praxis wachsendes mathematisches Milieu entwickelte. Die in ihrer Vielfalt noch bei Weitem nicht erschöpfend gehobene praktisch-mathematische Über­lieferung dieser Zeit muss immer von ihren konkreten sozial-, wissens- und praxisgeschichtlichen Umständen her untersucht und interpretiert werden. Gerechnet wird auch da, wo zu den arithmetischen Verfahren algebraische Verdichtungen gebildet werden, immer zuerst in Bezug auf die Erfordernisse des kaufmännischen Alltags. Erst sekundär haben sich diese Entwicklungen wieder mit den universitären, in der artes-Tradition-stehenden Spekulationen zu einem theoretischen mathematischen Diskurs verbunden. Dass arithmetisch angelegte Rechnungen zugleich andere Regeln repräsentieren können als die wirtschaftlich nützlichen, zeigt vor allem der Bereich der sogenannten ›gezählten Frömmigkeit‹. Die frühchristliche Lehre hatte als eine ihrer größten Innovationen das quantifizierende do ut des durch die Lehre ab© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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gelöst, dass der Gläubige, der sich uneingeschränkt Gott zuwandte, auf uneingeschränkte Vergebung hoffen durfte. Diese Konzeption, Umfassendes durch Umfassendes zu vergelten, wurde jedoch auch in der Frömmigkeitspraxis bald zugunsten einer Partikularisierung aufgegeben, die dann doch Verhandlungsspielräume eröffnete. Seit dem frühen Mittelalter wurde ein Ausgleichsdenken ausgearbeitet, das frommes Handeln mit dem verfügbaren Gnadenschatz der Kirche in ein verrechenbares Verhältnis setzte. Die schriftgraphische Anlage dieser Dokumente muss erst noch anhand der Manuskripte aufgearbeitet werden. Sicher ist, dass gerade die in den Kommutationen und Redemptionen durchgeführten Umrechnungen zwischen Frömmigkeitsleistungen unterschiedlicher Typen nur teilweise mathematisch nachvollziehbar sind. Die Zahlen sind zwar auch arithmetisch kodiert. Mit gleichem oder stärkerem Recht konnte jedoch das Ergebnis nach der Ordnung der Welt (z. B. 365 Tage im Jahr) oder nach exegetisch bedeutsamen Zahlen der Heiligen Schrift formuliert werden. Im Gebrauch repräsentieren die Zahlen auf diese Weise häufig Dinge, Leistungen und religiöse Ordnung ebenso sehr wie die Regeln der Mathematik. Auf einer strukturellen Ebene zeigt das auch die Geschichte der Zahlwörter. Die modernen Numeralia sind nicht nur semantisch-konzeptuell sondern auch formal als Zählfolge erkennbar und nehmen dadurch eine Sonderstellung im Lexikon des Deutschen ein. Die alt- und mittelhochdeutschen Zahlwörter haben dagegen ein außerordentlich heterogenes grammatisches Profil. Strukturell ist bei ihnen übergreifend nur ablesbar, dass sie Eigenschaften ausdrücken und Ränge etablieren. Semantisch-konzeptuell zeigen sie noch im Mittelhochdeutschen ein Erbe, dass die enge Bindung von Zahlen an gezählte Objekte ausdrückt. In diesen Kontext gehören insbesondere die Zahlmaße, die je nur eine bestimmte Kardinalität von einer bestimmten Objektklasse bezeichnen und die ihrerseits auf eine von Priscian, Beda und Rabanus entwickelte Reflexion über die species numerorum bezogen werden können. 1.3.2 Offene Fragen Die oben vorgetragene Übersicht über die Forschung darf, wie eingangs unterstrichen, nicht als vollständiges Panorama des mittelalterlichen Zahlgebrauchs missverstanden werden. Es handelt sich um eine Zusammenstellung einzelner Fallstudien, die im Blick auf eine zu schreibende Geschichte des numerischen Wissens den Status von Stichproben haben, und in ihrer Auswahl die Breite des Forschungsfeldes markieren. Das Feld offener Fragen möchte ich in zwei Schritten skizzieren. Zunächst werden systematisch vier Ebenen unterschieden, die in etwa der Aufgabenteilung der akademi­schen Fächer entsprechen. Hier ist eine Reihe disziplinär zuorden­ barer Forschungs­defizite zu benennen. Im zweiten Schritt möchte ich in näherem © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Bezug auf das behandelte Material sechs Figuren des mittelalterlichen Zahlgebrauchs herausstellen. Dabei wird deutlich, dass die Geschichte des numerischen Wissens als ein eigenständiges Forschungsfeld nicht disziplinär beschränkt erarbeitet werden kann – obwohl es nur ausgehend von den Einzeldisziplinen erschlossen werden kann und zu erwarten ist, dass es seinerseits grundlegende Einsichten für die etablierten Fächer bereitstellen kann. Die offenen Fragen bilden in diesem Sinne die Überleitung zur Methoden­reflexion und zur Konzeption der Arbeit. Fächerorientierte Fragen Zu folgenden Fragen stehen innerhalb der akademischen Disziplinen Grund­ lagenforschungen aus: (1.) Auf der ersten Ebene ist die ereignisreiche mathematische Fortschritts­ geschichte angesiedelt, die ihren Ort in der Wissenschaftsgeschichte und der ›Universalgeschichte der Zahl‹ hat. Sie stellt eine Art ›Höhenkammliteratur‹ in der Geschichte der Formali­sierung dar und ist für die mittelalterliche Überlieferung nur zum Teil  erforscht. So ist der größte Teil  der von Menso Folkerts schon in den 70er-Jahren zusammen­getragenen und verfilmten mathematischen Manuskripte des Mittelalters noch nicht bearbeitet.239 Welche Verfahren werden hier tatsächlich entfaltet? Wie lassen sie sich in den Koordinaten der arabisch-algebraischen und der quadrivial-arithmetischen Tradition, der praktischen Mathematik und den Überlieferungsfragmenten früher volksmathematischer Rechenpraktiken verorten? In welchen Anwendungsfeldern und in welchen Legitimationsrahmen ist dieses Wissen jeweils überliefert? (2.) Auf der zweiten Ebene liegen die vielfachen Formatierungen der Zahl im skript-oralen Gebrauch, ein Forschungsfeld, das in den Bereich einer theoretisch versierten, materiell orientierten Philologie gehört. Welche Funktionen die Zahl in Fließtexten, Listen, Tabellen und deren Mischformen einnimmt, ist erst punktuell untersucht worden. Zudem stand dabei in der Regel die Frage der Schriftlichkeit im Vordergrund. Die Konzeptionen der Zahl, die diesen Dokumenten jeweils eingeschrieben sind – ob sie evoziert, ordnet, gliedert, quantifiziert oder summiert, und wenn ja, welche Aspekte und welche nicht – kann erst durch weiterführende Studien erarbeitet werden, die sich neben den Inhalten detailliert mit den graphischen oder diagrammatischen Eigenschaften der Mise en page beschäftigen müssen. Diese Ebene bietet am ehesten einen Zugang zu den techniques intellectuelles, für die sich die französische Geschichtsschreibung der »Annales« interessierte, und auf die sich, aus anderen Gründen, auch das Interesse der jüngeren kulturwissenschaftlichen Schrift­forschung und der Kultur­ technikforschung insgesamt richtet. In welchem Verhältnis stehen hier techniques 239 Folkerts/Kühne 1990, vgl. die Zusammenstellungen in Van Egmond 1980 und Van ­Egmond 1996. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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culturelles und Kulturtechniken? Welche Tradierungswege für die Techniken lassen sich geographisch, textsortenspezifisch und sozialgeschichtlich nachweisen? Kann man auch für die schriftliche Organisation des Zahlgebrauchs eine Typologie erstellen, die sich geographisch, textsortenspezifisch oder sozialgeschichtlich abbilden ließe? Inwieweit lassen sich die Eigentümlichkeiten der Manuskripte durch Mündlichkeit und Schriftlichkeit erklären? Und was sagt das andersherum über die Entwicklungsbedingungen und -potentiale des numerischen Wissens in den Bereichen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit? (3.) Die dritte Ebene bezieht sich auf die grammatischen Strukturen, die der Alltagswahrnehmung verborgen bleiben. Das betrifft nicht allein die Numeralia, sondern die Frage der sprachstrukturellen Präsenz von Singularität und Plura­ lität generell. Die wenigen Arbeiten, die sich mit den Zahlwörtern in den altdeutschen Dialekten befassen, müssen ausgebaut werden. Kann durch die grammatische und bildstrukturelle Analyse der Zahlwörter und Maßbegriffe eine Art longue durée des numerischen Wissens greifbar gemacht werden? Welche Ergebnisse bringt der Versuch, die grammatischen und bildstrukturellen Eigenschaften der Zahlwörter und Maßbegriffe auf die Geschichte der Formalisierung zu beziehen? (4.) Auf der vierten Ebene schließlich liegt die philosophische Diskussion im Mittelalter, die hinsichtlich der Zahlen erst in Ansätzen aufgearbeitet worden ist. Hier gilt es, die Überlieferung überhaupt erst zu sichten. Im Rahmen des Interesses an Rezeption und Transformation der antiken Konzeptionen stellen sich besonders die folgenden Fragen: Inwieweit haben zeitgenössische Praktiken des Schriftgebrauchs in die philosophische Reflexion Eingang gefunden? Inwieweit ist andersherum das akademische Wissen in die Gebrauchsliteratur eingewandert? Welche Rolle spielt die Körperlichkeit und Manufakturalität der Zahl? In welchem Verhältnis steht diese zu den mathematisch-formalen Eigenschaften der Zahl und zu ihrer erkenntnistheoretischen Modellfunktion? In welchem Verhältnis stehen die Reflexionen zu den species numerorum zu den Kategorien der Zahl; und in welchen Ausprägungen und theologischen Rahmungen sind hier die Überlieferungswege zu fassen? Materialorientierte Fragen Jenseits dieser fächerorientierten Fragen, die einen Bedarf an disziplinärer Grundlagenforschung andeuten, lässt der knappe Forschungsüberblick eine Reihe von Figuren des mittelalterlichen Zahlgebrauchs hervortreten, die seine Alterität besonders sichtbar machen. Die Figuren gewinnen vor allem in fächerübergreifender Perspektive ihr Profil. In heuristischer Absicht seien folgende Figuren des Zahlgebrauchs unterschieden: (1.) Die Figur des ›Ganzen, Umfassenden‹: Sie tritt in den Güterverzeichnissen, aber auch im Feld der ›gezählten Frömmigkeit‹ auf. Sie betrifft die Frage, wie der Denkstil und die Ordnung der Welt beschaffen sind, die Konzeptionen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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des erschöpfenden Dienstes vorzeichnen; wie die Motive der schlichtweg restlosen Hingabe auf der einen und der vollkommenen Verpflichtung auf der anderen Seite zu verstehen sind. Auf welche Muster und Dispositive der Legitimation und Durchsetzung wird zurückgegriffen, um diese Ordnung zu stabilisieren? Durch welche Kräfte wird diese Ordnung letztlich gesprengt? (2.) Die Figur des ›dividierenden Denkens‹. Sie ist in Auseinandersetzung mit der gelehrten Tradition formuliert worden (Johannes Fried), programmatisch auch in einem von der Forschung bisher wenig berücksichtigten Traktat von Boethius.240 Sie muss jedoch intensiver und breiter auf ihre Rezeptionswege untersucht werden. Handelt es sich um einen Trend, der mit der Schriftkompetenz der Kanzleien aus der klerikalen Schriftlichkeit in das Gebrauchsschrifttum übertragen wird, oder sind hier ähnliche Formen aus praktischen Gründen bereits vorgeprägt oder entwickelt gewesen? Handelt es sich um eine Denk- und Darstellungsfigur, die exklusiv über die trivialen Fächer habitualisiert wurde? Welcher Anteil kommt gegebenenfalls auch der quadrivialen Prägung der mittelalterlichen Autoren zu? (3.) Die Figur der ›Zahl als Ordnungskriterium‹: Sie ist einerseits in der Schriftkultur verwurzelt und mit der graphischen Organisation der Textseite und der symbolischen Organisation umfangreicher Handschriften verbunden. Andererseits zeigt schon die Wortklasse der Ordinalia, dass die Ordination zu den grundlegenden Strukturen der Weltaneignung gehört. In welchem Verhältnis stehen die Sprachstrukturen, die Text­organisation und der gesellschaftliche Ordo zueinander? (4.) Die Figur der ›nebengeordneten Arithmetik‹. Sie ist immer wieder irritierend und tritt dennoch sowohl in der ›gezählten Frömmigkeit‹ (Angenendt et al.) als auch in den Rechungen des Spätmittelalters auf (Arlinghaus, Fouquet). Welche wissensgeschichtlichen, institutionellen und medialen Bedingungen erlauben eine Parallelordnung von arithmetischen, exegetischen und symbolischen Kodierungen der Zahl, in der ohne Glaubwürdigkeits­verlust eine formal-arithmetische und eine semantisch-allegorische Verwendung konkurrieren kann? Welche Rezeptionswege sorgen für die Übertragung einzelner Kodierungstypen von einem Wissensbereich in den anderen? Wie ist das Auftreten von nur einer Deutungsart zu bewerten, wenn man immer damit rechnen muss, dass auch die anderen Deutungsmuster zur Verfügung gestanden haben könnten? (5.) Die Figur der ›anschaulichen Zahl und der körpergebundenen Zahl‹. Sie ist tatsächlich nicht weit vom modernen Zahlgebrauch entfernt. Sowohl sprach­ wissenschaftliche Studien, etwa von Manfred Krifka, als auch kognitionswissen­ schaftliche Studien, wie von Stanislav Dehaene, Brian Butterworth und zuletzt

240 Immerhin liegt seit 1998 neben der Ausgabe in der Patrologia latina eine kommentierte Neuedition vor: Boethius, De Divisione (Magee). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Fallstudien

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Wiebke Iversen heben hervor, dass Zahlen in der Kommunikation normalerweise nicht numerisch definit verarbeitet werden.241 Der pragmatische Gebrauch von Zahlen ist immer auf die perzeptiven Möglichkeiten des kognitiven Apparats der Menschen bezogen. Auch wenn eine sekundäre Verarbeitung arithmetisch sein kann, basiert die Perzeption von Zahlen auf Größenordnungen und Schwellenwerten. Die frühesten Erfahrungen mit Zahlen sind auch heute noch das Lernen des Zählens mit den Fingern. Was macht dann die Differenz zur anschau­ lichen und körpergebundenen Zahlen in den mittelalterlichen Texten aus? Welche Rolle spielt das Fehlen eines arithmetisch kodierten Zahlensystems bei dem pragmatischen Gebrauch von Zahlen am Rande der skript-oralen Kultur des Mittelalters? Welche Bezüge treten an die Stelle der arithmetischen Kodierung? Welche Rolle spielt die Einführung und Durchsetzung der Schrift? (6.) Die Figur der ›Zahl als Teil der locutio‹. Sie eröffnet schließlich die Frage, welche Bezugsfelder an die Stelle der arithmetischen Kodierung treten, wenn die Zahl vor allem als Teil  der Rede gebraucht wird. In welchem Zusammenhang steht die Figur des ›Ganzen, Umfassenden‹ mit der Figur der ›Zahl als Teil der lo­ cutio‹? Was bedeutet die Kodierung von Zahlen als Instrumente des Ordinierens und Rangierens, wenn die Zahl gesprochen wird? Wie lassen sich die Transformationen beschreiben, die sich ereignen, wenn die auf mehreren Ebenen schriftgebundene, exegetisch kodierte Zahl in der Predigt an ein mündliches Publikum adressiert wird? Um diese und die mit ihnen verwandten Fragen zu beantworten, müssen zunächst in den Fächern die oben skizzierten Grundlagenforschungen vorangetrieben werden. Darüber hinaus fehlt es aber bislang auch an einem kohärenten methodischen Zugriff. Die zentralen Fragen, das legt der Forschungsüberblick nahe, sind: 1. Woher beziehen die Zahlen jeweils ihre Geltung und was legitimieren ihrerseits die Zahlen? 2. Welche Rolle spielt die locutio für die kommunikative Rolle der Zahl, ins­ besondere auch der schriftlich vermittelten Zahl? 3. Welche Rolle spielt die Schrift (die notationale und die operative Schriftlichkeit) bei der Kodierung von Zahlen in Bezug auf unterschiedliche Deutungssysteme? Der Schlüssel für das Verständnis des mittelalterlichen Zahlgebrauchs liegt demnach in der spezifischen Überlagerung des Quantifizierenden mit dem Diskur­ siven, der Ordnungsangebote mit den Gebrauchsformen und den Erfahrungsmodalitäten der Zahl. Der ersten Frage nach dem Verhältnis von Diskursivität und Quantifizierung widmet sich die vorliegende Monographie; dem zweiten

241 Zuletzt Krifka 2009; Dehane 1997; Butterworth 1999; Iversen 2008. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Fragenkomplex ist der unmittelbar an diese Arbeit anschließende Themenband »Was zählt. Ordnungsangebote, Gebrauchsformen und Erfahrungsmodalitäten des numerus im Mittelalter« gewidmet.242

2. Forschungslage II: Methodische Voraussetzungen Im Folgenden soll entfaltet werden, inwieweit die Frage nach einer Geschichte des numerischen Wissens forschungsgeschichtlich bereits vorgezeichnet ist. Dazu möchte ich drei methodische Entwicklungen skizzieren, die die Konzeption der vorliegenden Arbeit prägen: Mir geht es erstens um die Öffnung der Philologien, die über den Weg der Mündlichkeit/Schriftlichkeit-Forschung ein medienhistorisches Interesse ausgebildet haben, das wiederum an eine kulturtechnische Perspektive, die Bild, Schrift und Zahl umfasst, anschlussfähig ist. Zweitens wird in Forschungen zur Geschichte der Buchdruck-Technologie die latente Öffnung der Informationsgeschichte für die Geschichte des Zahlgebrauchs greifbar. Die historische Semantik drittens hat sich nach der Überwindung der Auseinander­ setzung zwischen linguistischer Transparenz und philologischer Tiefe programmatisch (wieder) für die Sach­geschichte geöffnet.

2.1 Kulturtechnische Öffnung der Philologie 2.1.1 Oralität und Literalität Dass die Forschung zur Geschichte von Oralität und Literalität sich auf die Frage nach der Mündlichkeit von Zahlen kaum eingelassen hat, ist sachlich schwer begreifbar, forschungsgeschichtlich jedoch leicht zu erklären. Begründet in altphilolo­gischen Studien zu Homer und aufgenommen von der Ethnologie ist sie vor allem an zwei Fragekomplexen entwickelt worden: einerseits an der Frage, inwieweit die Ilias und die Odyssee ›mündliche‹ oder ›schriftliche‹ Werke seien und wie dement­sprechend die Modalitäten ihrer Darstellung bewertet werden müssen (Eric Havelock); andererseits an der Frage nach den Charakteristika der Kommunikation in schriftlosen so genannten ›kleinen Gemeinschaften‹ (Jack Goody).243 Die Oralität/Literalität-Forschung hat dann auch differenzierte Studien zur mittelalterlichen Kultur, insbesondere zur höfischen Gesellschaft, inspiriert. In diesen konnte gezeigt werden, in welchem Ausmaß die Entwicklung 242 Wedell (im Dr.). 243 Havelock 1963 und Goody 1977 haben die Diskussion eröffnet und ihre Anfänge maßgeblich geprägt. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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der Werte, der Kommunikations- und Kunstformen des Hofes durch das Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit geprägt und dynamisiert worden sind (Horst Wenzel).244 Bei aller Interdisziplinarität ist die Oralität/Litera­litätForschung jedoch lange auf die Erklärung narrativer und bildlicher Formen der Weltaneignung bezogen gewesen. Dass die Mündlichkeitsforschung sich der Frage nach der Zahl verschlossen hat, ist dennoch erstaunlich. Denn die Bindung des Zahlbegriffs an das, was die heutige Forschung Medialität nennt,245 war in anderen Disziplinen bereits intensiv reflektiert worden. Als prominentesten Vertreter dieser Arbeiten nenne ich nur Ernst Cassirer, der in seiner Studie zur Theorie und Geschichte der symbo­lischen Formen einen entsprechenden Zugang längst entfaltet hatte.246 Die Sprachwissenschaften hatten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vielfältiges Material zum Verständnis einer ›Zahl ohne Schrift‹ zusammengetragen, die Cassirer aufnehmen und in sein entwicklungsgeschichtliches Modell einbringen konnte. Eine daran anschließende umfassende Rekonstruktion der Kommunikation und Denkweise in schriftlosen Gemeinschaften ist bei Cassirer und bei den von ihm rezipierten Sprachwissenschaftlern offen geblieben, wurde aber auch von der Oralität/Literalität-Forschung nicht aufgenommen.247 2.1.2 Von der philologischen Mediengeschichte zur Kulturtechnik Es ist allerdings just die Zahl, die seit dem Ende des 20. Jahrhunderts den Übergang der philologisch orientierten Mündlichkeit/Schriftlichkeit-Forschung in eine allgemeinere kulturwissenschaftlich-mediengeschichtliche Mündlichkeits/ Schriftlichkeit-Forschung markiert. Seit den 80er-Jahren des 20.  Jahrhunderts ist ein verstärktes Interesse an der Geschichte der Technik und an den Verfahren symbolischer Kommunikation entwickelt worden. Das zeigen neben den Studien etwa von Friedrich Kittler über die »Aufschreibesysteme«248 im 19. Jahr-

244 Wenzel 1995. 245 Vgl. die Positionen in Krämer 2004 und den umfassenden Forschungsbericht Kiening 2007. 246 Cassirer 1953, S. 184–212. 247 Interessanterweise hat sich diese Immunität der Disziplinen gegen die jeweiligen Erkenntnisse gehalten. Erst jüngst haben die Arbeiten des Linguisten Daniel L. Everett über die Piraha-Indianer auch weit über die linguistische Fachwelt hinaus Aufmerksamkeit erregt. Die Beschreibung einer Gemeinschaft, deren Sprache weder über grammatische Markierungen von Vergangenheit und Zukunft verfügt, noch über eine numerische Differenzierung, die über ›ein‹, ›wenige‹ und ›viele‹ hinausgeht, ist der Inbegriff einer alteritären Wahrnehmung der Welt. In der kulturwissenschaftlichen Diskussion haben die Beiträge, soweit ich sehe, dennoch keinen Widerhall gefunden. Everett 1992. 248 Kittler 1985. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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hundert und von Sybille Krämer über die Geschichte der Operationalisierung249 auch internationale Publikationen. Dazu zählen Positionsbestimmungen wie der von Rajan Tilottama herausgegebene Band »After Poststructuralism. Writing the Intellectual History of Theory«250 oder die kulturwissenschaftlich angelegte Festschrift für den russischen Mathematiker A. P. Youschkevitch,251 in denen aus theorie­geschichtlicher Perspektive die Frage nach der Technizität von Kultur bzw. aus mathematikhistorischer Perspektive die Frage nach der Mathematik als kulturbildender Kraft (mathematics as cultural strength) gestellt wird.252 Kennzeichnend für den Paradigmenwechsel ist die Etablierung des Forschungsparadigmas der Kulturtechnik, wie es etwa in den Sammelbänden von Horst Bredekamp und Sybille Krämer253 sowie Pablo Schneider und Moritz Wedell254 sichtbar wird. Kultur wird nicht mehr als das Symbolische schlechthin begriffen; nicht als das, »was semiotisch gegeben und interpretierbar ist«,255 wie es die folgenreiche Metapher von der »Welt als Text« impliziert,256 sondern von den Techniken und Routinen her, die der Geschichte der Kunst wie auch der Wissenschaft zugrunde liegen.257 In diesem Impuls verbindet sich die Öffnung der philologischen ›Text und Bild‹-Forschung mit der medientheoretischen Diskussion, die ihre Anfangsimpulse wesentlich aus der Reflexion des Meta-Mediums Computer bezog, und führt zu den Fragen nach einer Vorgeschichte der digitalen Kommunikation.258 2.1.3 Oralität – Literalität – Numeralität Der Ausbau der ›Bild und Text‹-Forschung zu einer ›Bild, Text und Zahl‹Forschung war jedoch auch innerphilologisch schon durch die Erweiterung des Paradigmas von Oralität und Literalität vorangetrieben worden. In der mediävistischen Diskussion stehen dafür die von Horst Wenzel, Gotthard Wunberg und Wilfried Seipel sowie Ulrich Schmitz und Horst Wenzel herausgegebenen Themenbände: »Bild, Text und Zahl in der Kultur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit«259, »Audiovisualität vor und nach Gutenberg«260 und »­Wissen 249 Krämer 1988. 250 Tilottama 2002. 251 Knobloch/Mahwin/Demidov 2002. 252 Aus demselben Impuls hervorgegangen ist der Band Brüning/Knobloch 2005. 253 Bredekamp/Krämer 2003. 254 Schneider/Wedell 2004. 255 Bredekamp/Krämer 2003a. 256 Vgl. exemplarisch Eco 1987. 257 Vgl. die Publikationen aus der im Fink-Verlag erscheinenden Reihe »Kulturtechnik«. 258 Matussek 2002; Wenzel 2003. 259 Wenzel/Seipel/Wunberg 2000. 260 Wenzel/Seipel/Wunberg 2001. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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und neue Medien. Bilder und Zeichen 800–2000«261. Im Feld der Altphilologie ist aus medienhistorischer Perspektive, namentlich von Friedrich Kittler und Wolfgang Ernst im Anschluss an Berry Powel die Frage nach den Funktionen des Alphabets neu gestellt und diskutiert worden.262 Unabhängig davon ist eine vergleichbare Perpektive bereits in dem bildungsgeschichtlich orientierten Themenband »Word Image Number« von John J. Contreni und Santa ­Casciani verfolgt worden,263 ebenso in dem praxeologisch ausgerichteten Band von Natacha Coquery, François Menant und Florence Weber »Écrire, compter, mesurer«.264 Die Beiträge in den Sammelbänden sind in der Regel stark disziplinär geprägt und weit davon entfernt, jeweils einem kohärenten theoretischen Ansatz zu folgen. Sie teilen jedoch ein Interesse für die Erweiterung des hergebrachten Disziplinenspektrums und für einen Dialog zwischen den Disziplinen. Gerade für die philologischen Fächer heißt das, dass die Analyse des literarischen Zahlgebrauchs sich nicht mehr auf die Beschreibung von Zahlenallegorie und symbolbestimmter Zahlenkomposition beschränken kann. Diese Phänomene, an denen sich die germanistische Forschung bis in die siebziger Jahre mit zunehmender Intensität abgearbeitet hatte,265 sind vielmehr in dem großen Spektrum an indexikalischen, gliedernden, sequenzialisierenden, hierarchi­sierenden, diagrammatischen und rechnerischen Verfahren zu verorten, die den Zahlgebrauch auch in der Literatur organisieren und wesentliche poetologische Funktionen übernehmen. Es geht – auch in den Philologien – nicht mehr um das Verhältnis von Oralität und Literalität, sondern um das Verhältnis von Oralität, Literalität und Numeralität.

2.2 Mathematikgeschichtliche Öffnung der Informationsgeschichte Aus dem Kontext der philologisch-medienhistorischen Forschung möchte ich einen Beitrag von Michael Giesecke herausheben, der beiläufig eine weit­ reichende These zur Historizität der Zahl formuliert. Giesecke interessiert sich in seinem Artikel »›Volkssprache‹ und ›Verschriftlichung des Lebens‹ in der frühen Neuzeit«266 zunächst generell für die Evolution der neuen symbolischen Darstellungs­formen. In diesem Kontext sieht er eine Parallele zwischen der Ent 261 Schmitz/Wenzel 2003. 262 Ernst/Kittler 2006. 263 Contreni/Casciani 2002. 264 Coquery/Menant/Weber 2006. 265 Hellgardt 1973. 266 Giesecke 1992. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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wicklung der gemeinen Druckschrift und der algebraischen Symbolik. In Gieseckes Sicht ist diese Parallele so stark, dass die Erörterung der mathematischen Notationen gar nicht erst nötig sei: Aufgrund der »ähnlichen Kodierungsprozesse«, die die »buchstaben- und die zahlenmäßige Art der Kodierung von Informationen« erforderten, könne eine »Erörterung der zahlenmäßigen Darstellungsart« zurückgestellt werden.267 An den Entwurf dieser Parallele möchte ich anknüpfen, nicht ohne zugleich eine gewisse Distanz zu formulieren. 2.2.1 ›Gemeine Sprache‹ – ›gemeine Zahl‹ in der frühen Neuzeit? Es ist Giesecke zweifelsfrei in der Annahme zuzustimmen, dass der Buchdruck die Vereinheitlichung und Entwicklung des mathematischen Wissens ganz entscheidend gefördert hat. Den Beweis dafür hat einige Jahre nach Erscheinen seines Beitrags Barbara Gärtner geführt. In ihrer Monographie »Johannes Widmanns Behende vnd hvbsche Rechenung. Die Textsorte ›Rechenbuch‹ in der frühen Neuzeit« liefert sie nicht nur eine kommentierte und lexikographisch aufbereitete Edition des ersten gedruckten Rechenbuchs in deutscher Sprache, sondern zeigt zugleich dessen traditions­bildende Stellung im Kontext der arithmetischen und algebraischen Druckschriften zwischen dem Ende des 15. und der Mitte des 16.  Jahrhunderts.268 Gärtners Arbeit ist auf der einen Seite mathematikgeschichtlich, auf der anderen Seite textlinguistisch angelegt. Sie bietet die Grundlage dafür, die Hauptthesen, die aus Gieseckes Darstellung abzuleiten sind, zu bestätigen: dass erstens infolge der Drucktechnologie und analog zur Entstehung einer gemeinen Volkssprache auch ein gemeines Wissens von der Zahl entwickelt worden ist; dass zweitens der Typus des Wissens von der Zahl von allen vorhergehenden Ausprägungen des mathematischen Wissens kategorial unterschieden ist, weil es sich um eine  – erst im neuen Medium mögliche – grundsätzlich neue Konstruktion dieses Wissens handelt. Das zeigen die vielen Detailanalysen, in denen Gärtner die mathematikgeschichtliche Entwicklung und die textsortengeschichtliche Entwicklung aufeinander bezieht und in die Bildungssituation der frühen Neuzeit einordnet.269

267 Giesecke 1992, S. 84. 268 Gärtner, B. 2000. 269 Vgl. die Rezension Wedell 2003. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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2.2.2 Grenzen der Übertragung Zweifel sind jedoch erlaubt, was Gieseckes Argumentation betrifft: Durch den isolierten Fluchtpunkt der Drucktechnologie wird die Mehrdimensionalität der Dynamik der mathematischen Wissensproduktion verschleiert. Die Problematik einer pauschalen Übertragung wird an drei Aspekten sichtbar: erstens in Bezug auf die epistemologische Grundeinstellung, zweitens in Bezug auf das latent teleologische Entwicklungsmodell, das seine Überlegungen prägt, drittens in Bezug auf eine allgemeine begriffliche Unschärfe. Mit Wolfgang Kaunzner wählt Giesecke einen Zeugen für die mathema­tische Entwicklung, der im Gegensatz zu Giesecke selbst in seinem Fach traditionell denkt. Im Gegensatz zu Gieseckes medienhistorischer Aufklärungsarbeit vertritt Kauzner die Leitvorstellung, dass prinzipiell die formalen Schreibweisen, insbesondere das algebraische Kalkül epistemologisch höherwertig seien als andere Darstellungsformen.270 Von daher muss mit einer gewissen Idealisierung der mathema­tischen Formalisierungsgeschichte gerechnet werden. Diese ist für Gieseckes informationstechnik-geschichtliches Modell zwar auf den ersten Blick nützlich, weil sie im Ergebnis seiner These entgegenkommt. Auf den zweiten Blick ist die Herangehensweise jedoch unpassend, weil sie die Rolle der Medialität bei der Wissensproduktion gerade nicht um ihrer selbst willen reflektiert. Wo Giesecke über die mathematische Entwicklung zwischen 1460 und 1550 spricht, formuliert er dementsprechend ein implizit teleologisches Modell, das mit der Privilegierung des neuen ›Eigentlichen‹ das alte ›Vorläufige‹ abwertet: »In dieser Zeit werden zahlreiche algebraische Kenntnisse, die vorher nur in ›rhetorischer‹ oder geometrischer Form vorlagen, in die algebraische Symbolsprache übersetzt  […].«271 Worum geht es da? Die »geometrische Form« algebraischen Wissens gleichsam als Reduktionsstufe des algebraischen Wissens anzusprechen, ist nicht nur vor dem Hintergrund neuerer medienhistorischer Forschung problematisch. Zwar fällt die Ausbreitung der algebraischen Schreibweise in die Zeit zwischen 1460 und 1550. Ausgeschöpft wurde ihr Potential jedoch erst wesentlich später. Noch im 17.  Jahrhundert entwickelt sich der Zahlbegriff vor allem in Auseinandersetzung mit den zahlentheoretischen Büchern der euklidischen Geometrie.272 Vor allem seit der Aufwertung der Materialität der mathematischen Kommunikation, etwa durch Brian Rotman,273 aber auch im Licht der Überlieferungs­geschichte der euklidischen Geometrie im Mittelalter wird deutlich, dass die algebraische und die geometrische Darstellungsform jeweils eigenständig auf ihre spezifische Leistungsfähigkeit hin diskutiert und ent­wickelt 270 Vgl. etwa Kauzner 1970. 271 Giesecke 1992, S. 84. 272 HWPh, Artikel ›Zahl‹, Sp. 1132. 273 Rotman 2000. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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werden.274 Was die »rhetorische Form« algebraischer Kenntnisse genau ist, die dann »in die algebraische Symbolsprache übersetzt wird«,275 verrät Giesecke ebenfalls nicht. Die Wendung dürfte sich darauf beziehen, dass die älteren mathematischen Traktate überwiegend ohne formalisierte Schreibweisen und ohne Operatoren auskommen. Das Urteil würde sich dann aber z. B. auch auf einen Text wie Jordanus Nemorarius’ De numeris datis (1220) erstrecken, in dem die avanciertesten algebraischen Darstellungsformen seit Diophantus entwickelt werden.276 Auch ­Nemorarius schreibt ganze Sätze ohne symbolsprachliche Verknappung, ohne dass ihn dies daran hindern würde, genau das algebraische Wissen zu vermitteln und weiterzuentwickeln, das Giesecke gerade in Oppo­ sition zur »rhetorischen Form« sieht. Ob man in diesem Zusammenhang eine Art rhetorischer ›Reduk­tionsstufe‹ des algebraischen Wissens denken muss, ist fraglich.277 In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden, dass die Manuskripte der mathematischen Traktate des Mittelalters dicht mit verschiedenen Typen von diagrammatischen Formen versetzt sind. Diese formalisieren operative Funktionen, die der Text in vollen Sätzen darlegt.278 Für den deutschsprachigen Raum hat Menso Folkerts in den 70er-Jahren in einem groß angelegten Forschungsprojekt überhaupt erst eine Katalogisierung und Mikroverfilmung der mathematischen Handschriften des Mittelalters durchgeführt.279 Dennoch ist die Forschung derzeit weit davon entfernt, die Texte im Einzelnen auch adäquat gewürdigt zu haben. Wenn der freilich etwas hinkende Vergleich erlaubt ist, be­ findet sich mathematikhistorische Forschung in diesem Punkt in einer ähnlichen Lage, wie die deutsche Mittelalterphilologie im 19.  Jahrhundert. Trotz der intensiven Beschäftigung mit den Traditionen, Umbrüchen und Innovationen der Überlieferung (hier der Agrimensorik und Visierkunst, der Arithmetik, Algebra und Geometrie) ist sie zugleich wesentlich damit befasst, die Überlieferung zu dokumentieren, für weiterführende Forschungen zu erschließen und zu edieren.280 Weil die Aufmerksamkeit der Forschung erst allmählich auch die graphischen und diagrammatischen Darstellungsformen einbezieht,281 ist de facto nicht umfassend geklärt, wie mathematisches Wissen in Deutschland im Mittelalter forma­lisiert worden ist. 274 Zur Geometrie vgl. etwa die einschlägigen Beiträge von Ahmed Djebbar, Sonja Brentjes, H. L. L. Busard, Richard Lorch und Jan P. Hogendijk in Folkerts 2006, zur Rolle der Algebra Benoît 1994. 275 Giesecke 1992, S. 84. 276 Jordanus de Nemore, De numeris datis (Hughes). 277 Zur Einordnung Høyrup 1988. 278 Vgl. Müller (im Dr.). 279 Folkerts/Kühne 1990; vgl. Van Egmond 1996 zur italienischen Überlieferung. 280 Das illustrieren deutlich die »Schriften des Adam-Ries-Bundes« 1992 ff. 281 Vgl. etwa Swetz 2002. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die »Über­setzung« algebraischen Wissens »in die algebraische Symbolsprache« wird bei Giesecke wieder aufgenommen mit der Formulierung »Übersetzung in das Medium der Zahl«.282 Weiter unten ist im Zusammenhang mit der Ablösung des Abakus durch den Gebrauch der arabischen Ziffern davon die Rede, dass eine Tendenz zu beobachten sei, »die Zahlen ›schreiben‹ und ›schriftlich‹ rechnen zu lassen.«283 In diesem Zusammenhang fragt sich, was die ›Zahl‹ in diesem Zusammenhang sei: Meint ›Zahl‹ die schriftlich-algorithmische Prozessierung?, die Ersetzung von Zahlen durch Buchstaben?, die Identifikation und Typisierung von Gleichungssystemen? Und was heißt in diesem Zusammenhang dann ›Medium‹? Und warum ist in dem Zusammenhang das ›Schreiben‹ von Zahlen und das ›schriftliche‹ Rechnen in Anführungszeichen gesetzt? Der Pulk an Implikationen, die sich aus dem Versuch ergeben würden, der Terminologie eine Kohärenz abzugewinnen, ist unübersichtlich.284 Kurz: In summa hat Giesecke im wesentlichen das Bekannte festgestellt, auf dem sein Interesse an dem informationstechnischen Umbruch aufbaut:285 dass es, einhergehend mit der Ausbreitung der Drucktechnologie, zu einer erheb­lichen Umorganisation und Ausweitung des Bildungswesens sowie des Wissenswettbewerbs gekommen ist, die nicht zuletzt auch das mathematische Wissen betrifft.286 2.2.3 Vor der Normierung Trotzdem ist Gieseckes Darstellung wegweisend. Vor allem die programmatische Ausdifferenzierung der kommunikativen Bedingungen, die der Herausbildung der gemein sprach vorausgingen, sind für die Vorgeschichte der modernen Zahl aufschlussreich. Sie untermauert in breiterer Perspektive, was anhand der Fallstudien im vorigen Teilkapitel exemplarisch entfaltet wurde: dass im Mittelalter mit einer außerordentlichen Partikularität und Heterogenität des Zahlgebrauchs zu rechnen ist, die in keinem kontinuierlichen Verhältnis zum modernen Zahlbegriff steht. Ich kommentiere thesenhaft drei Aspekte seiner Argumentation: (1.) Die bedürfnisorientierte Konstruktion des Zahlgebrauchs: »Es hat im Mittelalter nicht eine ›allgemeine Sprache des Alltags‹ (Eggers) oder eine ›Volkssprache‹ gegeben. Eine solche allgemeine Sprache des Alltags wäre der gegen 282 Giesecke 1992, S. 84. 283 Giesecke 1992, S. 85. 284 Zur Klärung vgl. Krämer 1988 und Krämer 2005. 285 Giesecke 1991. 286 Vgl. zu den wissensgeschichtlichen Umwälzungen Eisenstein 1980, Burke 2001 und Schneider 1993. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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wärtigen Umgangssprache vergleichbar. Diese Umgangssprache ist aber erst das Resultat der Durchsetzung der neuhochdeutschen Standardsprache.«287

Entsprechend gilt, dass es auch eine allgemeine Konvention für den Umgang mit Zahlen nicht gegeben hat. So wie die gemein sprach des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts ist auch der moderne, standardmäßig mit den arabischen Ziffern assoziierte Zahlbegriff »ein völlig neues Konstrukt«288, das die Bedürfnisse geänderter kommunikativer Verhältnisse besonders im wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bereich befriedigt und auch von diesen her ana­ lysiert werden muss. (2.) Die Zersplitterung der Ausbildungsinstitutionen: Im Vorfeld dieser Vereinheitlichung gibt es keine übergreifenden Ausbildungsstätten. Die Bildungssituation spiegelt vielmehr die Zersplitterung der Gesellschaft in soziale, politische und kulturelle Einheiten, die nur lose miteinander verkoppelt sind: »›Stadt‹, ›Landschaft‹, ›politische Verwaltungseinheiten‹, ›Kirchenverwaltung‹, ›häre­ tische Konvertikel‹, die ›überregionalen Wirtschaftsvereinigungen‹ wie z. B. die Hanse, die ›universitäre Wissenschaft‹, die ›höfische Kultur‹ usw., alle diese kulturellen Systeme haben eigene kommunikative Gepflogenheiten entwickelt. Und sie bilden auch eigentümliche Formen der Wissenstradierung von einer Generation auf die folgende heraus. Man kann dies besonders deutlich an den Bildungseinrichtungen ablesen, deren Funktion in erster Linie die Institutionalisierung dieser Wissenstradierung ist: Die Kirche besitzt ihre Domschulen; das städtische Handelsbürgertum versucht, daneben städtische Lateinschulen einzurichten; die handwerkenden städtischen Schichten setzen das Recht auf private deutsche Schreibschulen durch; für Adelige gibt es eine gesonderte Unterweisung in den ritterlichen Tugenden und je nach dem Rang eine private Hofmeistererziehung. Die Bevölkerung auf dem Lande lernt ebenso wie die Handwerker bei der Arbeit von den Eltern bzw. Handwerksmeistern. Die in der lateinischen Sprache betriebene Wissenschaft sorgt auf den Universitäten und teilweise an vorgelagerten Lateinschulen für ihre Reproduktion.«289

Ein entsprechend breites Spektrum ist auch für die Gebrauchsweisen der Zahlen anzunehmen und ebenso für die Institutionen ihrer Vermittlung. (3.) Ein unfestes Ensemble spezialisierter Werkzeuge: In dieser differenzierten Bildungskultur existierte nach Giesecke kein gemein­ sames kommunikatives Medium, »das eine ausreichende Allgemeinheit und Flexibilität besaß, um die Erfahrung nach einem einheitlichen Muster symbolisch 287 Giesecke 1992, S. 74 mit Bezug auf Eggers 1973. 288 Giesecke 1992, S. 75. 289 Giesecke 1992, S. 75. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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darstellen zu können«.290 Es fehlt ein Kode, »welcher als ›gemeinsames Drittes‹ die Verbindung zwischen den verschiedenen Mundarten, Funktionalstilen, Ausgleichssprachen sowie den lateinischen und deutschen Schreibsprachen sichern kann«.291 Anstelle dessen habe es eine Reihe »spezieller, funktional begrenzter, aber damit auch für die jeweiligen Träger (Sprecher-Schreiber) überschaubarer und einfach handhabbarer Werkzeuge«292 gegeben, mit denen die Vielzahl der kommunikativen Aufgaben bewältigt werden konnte. Tatsächlich geht auch den arabischen Ziffern als verbindendes und verbind­ liches Medium der Zahlendarstellung ein größeres und unfestes Ensemble an spezialisierten Werkzeugen voraus (und bleibt auch in den folgenden Jahrhunderten neben den arabischen Ziffern erhalten): Es reicht von den verbalen indefiniten Quantoren, über die Numeralia und Zahlmaße, über die verschiedenen protoschriftlichen und schriftlichen Notationsformen bis zur Exploration der operativen Möglichkeit des Zahlgebrauchs mit Rechentisch und Abakus und schließlich mit den arabischen figuren – die ihrerseits in mehreren hundert Varianten im Gebrauch gewesen sind.293 Wenn die Geschichte der Mathematik einerseits in die kommunikations- und informationstechnologischen Umbrüche der frühen Neuzeit dicht eingewoben ist, so haben die Zahlen doch andererseits eine andere Geschichte als die Sprache. Um diese aufzudecken, muss das Komplement zur Geschichte der Forma­ lisierung einbezogen werden, nämlich die historische Semantik der Rede über die Zahlen.

2.3 Sachgeschichtliche Öffnung der historischen Semantik Die Forschungen zur historischen Semantik teilen mit denen zur Geschichte des (nicht-mathematischen) Zahlgebrauchs im Mittelalter das Schicksal, dass sie trotz großer Anzahl so disparat auftreten, dass sie keinen kohärenten Diskurs bilden.294 Wie kann die historische Semantik zur Sache ›Zahl‹ aufgedeckt werden? Mit welchen Ausdrücken hat man die Zahl bezeichnet und was bezeichnete man mit zal oder numerus usf.? Mit welchen Verschiebungen und Entwicklungen ist zu rechnen? Wie sind diese adäquat zu fassen und zu beschreiben? Karlheinz Stierle hat in der Diskussion um das »Lexikon der geschichtlichen Grundbegriffe« von Reinhard Kosellek et al. programmatisch und nach wie vor wegweisend zur Geschichtlichkeit von Bedeutung Stellung bezogen.295 Stierle di 290 Giesecke 1992, S. 76. 291 Giesecke 1992, S. 77. 292 Giesecke 1992, S. 77. 293 Hill 1910 und Hill 1915. 294 Vgl. zusammenfassend Konersmann 2006, S. 53 ff. 295 Stierle 1978. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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agnostiziert, dass die historische Semantik, die im 19. Jahrhundert zu einem der Hauptfelder der philologischen Forschung gehörte, in der Folge der de SaussureRezeption aus ihrer zentralen Stellung katapultiert worden ist. Mit der Unterscheidung von langue und parole erstens und von Synchronie und Diachronie zweitens habe der »Cours de linguistique générale«296 die Abspaltung der philologischen von der linguistischen Wortbedeutung begründet und zweitens die historische Linguistik insgesamt marginalisiert.297 2.3.1 Linguistische Transparenz und Entsprachlichungsvorwurf Der Gewinn der theoretischen Weichenstellung liegt auf der einen Seite in einer hohen Spezialisierung der Beschreibung sprachlicher Strukturen auf synchroner Ebene. Auf der anderen Seite ist die Unterscheidung von langue und pa­ role als Differenz von semantischer Norm und okkasioneller Wortverwendung auch für die historische Semantik unverzichtbar.298 Vor allem aber hat sie der Beschreibung von Wörtern in Feldern eine neue Organisationsform er­öffnet. Die Vorstellung, dass die Bedeutung eines Worts von seiner Nähe oder Distanz zu den bedeutungsmäßigen Nachbarn her zu bestimmen sei, ist am frühesten greifbar in der Tradition der Onomasiologie, die bis zum Vocabularius optimus um 1400 zurück geht.299 Durch die Organisation der Felder in Oppositionen, wie sie dann Jost Trier programmatisch einführte300 und die RolfPeter Lutzeier seit den 80er-Jahren in einem völlig neuen Ansatz aktualisierte,301 wurde auch eine differenzierte merkmalsbasierte semantische Analyse des Lexikons möglich. Sie erreichte eine Differenziertheit, an die vor de Saussure nicht zu denken war.302 Der Preis für diese strukturelle Transparenz war nicht nur auf der Ebene der Disziplinen die Abkoppelung der linguistischen Strukturanalyse von der Philologie, sondern auf der Sachebene die Abkoppelung des Worts von der Aussage, in der es verwendet wird. Stierle erhebt an dieser Stelle gegen die de Saussure-Rezeption einen Entsprachlichungs-Vorwurf. Der Vorwurf lautet, dass gerade die zugespitzte Form der Komponentenanalyse das Wort aus dem Kontinuum von Sprache und Rede heraus­lösen müsse. »Sie gibt dem Wort damit«, so Stierle,

296 De Saussure 1916. 297 Stierle 1978. 298 Fritz 2005. 299 Bremer 1990; vgl. Wackernagel 1847. 300 Trier 1931. 301 Lutzeier 1981. 302 Lutzeier 1993. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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»eine Eindeutigkeit und Konturiertheit, die das Wesen der sprachlichen Bedeutung verfehlt. Das Wort wird versetzt in einen von der Methode selbst erst geschaffenen Raum, in dem es gleichsam entsprachlicht wird und eine Irrealität gewinnt, die jener Irrealität vergleichbar ist, die entsteht, wenn man ein Wort mehrfach wiederholt, bis es plötzlich den Anschein der gänzlichen Unvertrautheit annimmt.«303

Diesen Entsprachlichungs-Vorwurf entwickelt Stierle anhand einer Auseinandersetzung mit einem Aphorismus Friedrich Nietzsches. »Alle Begriffe«, so dieser beiläufig in der »Geneaologie der Moral«, »in denen sich ein ganzer Prozess semiotisch zusammenfasst, entziehen sich der Definition; definierbar ist nur das, was keine Geschichte hat.«304 Von hier aus relativiert Stierle erstens die grund­ legenden strukturalistischen Oppositionen und entwickelt zweitens die Prämissen, die aus seiner Sicht für eine adäquate Beschreibung der historischen Semantik unverzichtbar sind. 2.3.2 Zur Rephilologisierung der historischen Semantik Als Kernbegriff entlehnt Stierle von Nietzsche den semiotischen Prozess, die grundsätzliche Beweglichkeit der Bedeutung. Erstens stellt der semiotische Prozess die methodische Differenz zwischen Synchronie und Diachronie grundsätzlich in Frage. Denn er formuliere »den Zusammenhang der sich entwickelnden Wortbedeutungen, die mit einem signifiant verbunden sind«.305 Der semiotische Prozess erzeuge eine »immer reicher sich entfaltende Bedeutungsvielfalt im Hinblick auf einen Ausgangspunkt des semiotischen Prozesses, der freilich immer nur als ein relativer gesetzt werden kann, der seinerseits schon der Endpunkt eines vorausliegenden semiotischen Prozesses ist.«306

Die Konzeption eines synchronen Schnittes hat in dieser Deutung keinen Sinn. Zweitens stellt der semiotische Prozess auch die Trennung von langue und parole in Frage. Denn das Wort hat immer auch »an einem semiotischen Prozess teil, der sich in ihm nicht zusammenfasst, sondern der es übergreift, dem semiotischen Prozess der Rede, der das Wort erst in seiner Bedeutung zur Geltung bringt«.307 Dieser übergreifende semiotische Prozess sei der Diskurs, in dem das Wort jeweils seine Bedeutungseinheit gewinnt. Jedes Wort stelle in diesem Sinne »ein dynamisches Bedeutungskontinuum«308 dar, das nicht definiert werden 303 Stierle 1978, S. 168. 304 Nietzsche 1977, S. 820. 305 Stierle 1978, S. 166. 306 Stierle 1978, S. 166. 307 Stierle 1978, S. 167. 308 Stierle 1978, S. 168. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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kann, ebenso wenig, wie es einen eindeutigen Ort in einem semantischen Feld habe oder sich in seine semantischen Komponenten zerlegen ließe.309 Kurz, es geht Stierle darum, das Wort nicht als Element der Sprache, sondern als M ­ oment der Rede zu begreifen, womit allein der Schritt vom Bedeutungskontinuum zur tatsächlichen Bedeutung vollzogen werden könne.310 Die Ebenen, die Stierle als Prämissen einer angemessenen Erfassung der Bedeutung entfaltet, sind auch von anderen differenziert ausgearbeitet worden. Neben der »Wortfeldtheorie«311, der »Wortgeschichte«312 und dem »Bedeutungswandel«313 ist eine eigenständige »Satzsemantik«314 und von der jüngeren Textlinguistik die Kategorie der »Textsemantik«315 etabliert worden. Schließlich hat die Sprachwissenschaft explizit die Frage diskutiert, inwieweit der Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt sei316 und sich intensiv mit Stabilität und Instabilität von Bedeutung aus­ einandergesetzt317. Auch von der literaturwissenschaftlichen Seite sind Annäherungen zu verzeichnen. Neben linguistisch-autorenbezogenen Studien zur historischen Semantik318 haben sich philologische Studien, beginnend mit den Arbeiten etwa von Joachim Bumke und Otfrid Ehrismann, mit Fragen der historischen Semantik befasst, sich dabei der linguistischen Methodik jedoch nicht oder nur bedingt angeschlossen.319 Der Grund dafür muss nicht in einer methodischen Reserve gegen die Sprachwissenschaft gesehen werden. Er dürfte vielmehr in der dynamischen Weiterentwicklung und Spezialisierung aller beteiligten Disziplinen liegen. Denn wer die Leerstelle einer ›philologischen Semantik‹ theoretisch besetzen will, hat eine vielfache Abgrenzungsnot. Weil die Ziele der Wortgeschichte, der Bedeutungs­geschichte, der Begriffsgeschichte, der Ideengeschichte und der Diskursarchäologie untereinander nicht scharf abgegrenzt werden können, ist es auch schwer, sich von den jeweiligen ideologischen und theoretischen Implikationen zu distanzieren, die ein Bekenntnis zu jeweils einer Ausrichtung mit sich bringen würden. So hat es Ralf Konersmann und, aus der Perspektive der Begriffsgeschichte, jüngst wieder Hans-Ulrich Gumbrecht formuliert.320 Nicht zuletzt 309 Stierle 1978, S. 154–189. 310 Stierle 1978, S. 170–179. 311 Nach den grundlegenden Studien Trier 1931 und Trier 1973 vor allem Schmidt 1973 und Geckeler 1982. Ferner Lutzeier 1981, mit Betonung der Empirie dann auch Lutzeier 2000 und Lutzeier 2001. 312 Schwarz 1993. 313 Keller/Kirschbaum 2003; Fritz 2005. 314 Polenz 1985. 315 Scherner 1998. 316 Busse/Teubert 1994. 317 Traugott/Dasher 2002; Pohl/Konerding 2004. 318 Seiffert 1968. 319 Bumke 1976; Ehrismann 1993; vgl. auch Kainz 1969 und Jäger 1988 u. v. a. 320 Konersmann 2006; Gumbrecht 2006; vgl. auch Reichardt 1998. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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deshalb ist ›Historische Semantik‹ in den Philologien eher gemacht als diskutiert worden und die methodische Leerstelle zwischen sprachwissenschaftlicher Forschung zur Bedeutungsentwicklung und den im weiteren Sinne philologisch-historischen Interessen ist lange offen geblieben. Zeitgleich mit den kritischen Stimmen sind jedoch eine Reihe von Ansätzen zu einer theoretisch verbindenden und analytisch umsetzbaren ›Historischen Semantik‹ vorgestellt worden. Dazu gehört ein Themenheft der Zeitschrift »Scientia Poetica«, in dem vor allem die grundsätzlichen Beiträge von Christian Kiening und Manuel Braun die Integration der beteiligten Ebenen modellieren.321 Der Historisierung mittelhochdeutscher poetologischer Begriffe widmet sich die Festschrift für Klaus Grubmüller »Im Wortfeld des Textes«, die von Gerd Dicke, Manfred Eikelmann und Burkhard Hasebrink veranstaltet worden ist.322 Neben einer das Forschungsfeld auf theoretischer Ebene sondierenden Einleitung enthält die Sammlung eine Reihe von paradigmatischen Einzelstudien zu Methode und Gegenstand einer ›Historischen Semantik der deutschen Schriftkultur‹ anhand verschiedener Begriffe.323 Den gegenläufigen Weg, der Fokussierung einer methodisch breit gefächerten und auf zahlreichen Textsorten basierenden Annäherung auf einen Zentralbegriff, den des textus, geht das Buch »›Textus‹ im Mittelalter«, das von Ludolf Kuchenbuch und Uta Kleine herausgegeben worden ist. So rückt die historische Semantik trotz methodischer Herausforderungen als Feld historischen Fragens kontinuierlich in den Vordergrund der interdiziplinären mediävistischen Forschung.324 2.3.3 Ein historisch-philologischer Neueinsatz in drei Thesen In seinem programmatischen Buch »L’avenir d’un passé incertain« räumt Alain Guerreau der historischen Semantik einen denkbar hohen Stellenwert ein.325 Für ihn ist sie in Verbindung mit der Archäologie und der Statistik die leitende Disziplin, die den Weg der zukünftigen geschichtswissenschaftlichen Mediävistik bestimmen werde. Ohne seine Argumentation en détail zu rekapitulieren, möchte ich drei Thesen formulieren, die wesentliche Punkte seiner Diskussion der Problematik aufnehmen und für die Konzeption der historischen Semantik in der vorliegenden Studie grundlegend sind: 321 Scientia Poetica 2006; darin Kiening 2006 und Braun 2006; aus linguistischer Perspektive Brückner 2006 und Lebsanft 2006. 322 Dicke/Eikelmann/Hasebrink 2006; Dicke/Eikelmann/Hasebrink 2006a. 323 Zwischenzeitlich ist in Zusammenhang mit diesem Impuls eine philologisch sorgfältige Monographie zum ›Programmwort‹ höfisch hervorgegangen; Erlei 2010. 324 Institutionalisiert wird der Forschungsbereich etwa auch in Gestalt der Schriftenreihe »Historische Semantik«, in die die vorliegende Arbeit freundlicherweise aufgenommen worden ist. 325 Guerreau 2001, S. 191–237. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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(1.) Die mittelalterlichen Wörter sind nicht übersetzbar. Jede 1:1-Übersetzung, wie sie die Wörterbücher vorschlagen, bringt ein so großes Maß an Verzerrungen auf der Sachebene und auf der Ebene der Sinnrelationen mit sich, dass sie von vornherein mehr falsch als richtig ist. Das gilt im Besonderen für die elementaren Wörter, die am wenigsten Schwierigkeiten zu bereiten scheinen. Die Forderung, die sich daraus ergibt, ist ein sachgeschichtlich erläutertes Beleglexikon für die 500 am häufigsten gebrauchten Wörter zu erarbeiten;326 ein Wörterbuch, das gerade nicht den semantisch komplexesten Ausdrücken die größte Aufmerksamkeit widmet, sondern den scheinbar unverfänglichsten. »Les médiévistes seraient bien avisés de s’apercevoir enfin que c’est exactement le contraire, et qu’une priorité absolue devrait consister à réexaminer avec un minimum d’attention les 500 ›mots de base‹ […]. Un tel réexamen ne peut en aucune manière conduire à des ›traductions‹, mais à des présentations structurées de l’ensemble (démesuré) des écarts qui séparent des vocables ces mots contemporains que l’on considère en toute irréflexion comme en étant la soi-disant ›traduction‹.«327

(2.) Die Opposition von realia und verba ist ein Hindernis. Die Semantik kann nur über die Einbeziehung der Sachen und der mit ihnen verbundenen Praktiken erarbeitet werden: »La lexicographie médiévale, qui ne peut pas ne pas être un des fondements majeurs de la médiévistique, est à reconstruire de fond en comble sur la base d’une prise en compte méthodique, minutieuse et structurée de l’ensemble des procédures et liens sociaux […] traduits par chaque lexème considéré.«328

(3.) In der Praxis wird kein Wort isoliert verwendet. Bei der Einbeziehung seines Kontextes muss über eine intuitive und vage Bestimmung dessen, was der Kontext jeweils ist, hinausgegangen werden. »Chercher le sens d’un mot d’après son contexte ou d’après ses contextes est une formule qui manifeste un retard dramatique par rapport aux possibilités techniques qui existent à présent. […] Une prise en compte fine et méthodique des relations syntaxiques ­ouvrira des perspectives d’analyse encore difficiles à imaginer. Mais cela suppose que l’on mène de front un travail d’élaboration technique et de mise au point de procédures statistiques beaucoup plus proches des réalités textuelles qu’elles ne le sont pour l’heure, et une réflexion systématique sur les « énoncés médiévaux », les « procédures médiévales d’énoncation », et des notions pour nous centrales, mais jusqu’ici fondamentalement obscures (car non historicisées), comme celles de mot, de phrase, de texte.«329

326 Vgl. Guerreau 1989. 327 Guerreau 2001, S. 200. 328 Geurreau 2001, S. 201. 329 Guerreau 2001, S. 202. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Ausgangslage für eine derart verstandene historische Semantik ist für die germanistische Mediävistik vergleichsweise gut. Vor allem die großen Wörterbücher des Mittelhochdeutschen aus dem 19. Jahrhundert fokussieren gerade nicht die Übersetzung, sondern die geordnete Angabe von Belegstellen. Nach dem »Mittelhochdeutschen Wörterbuch« (1854–1866)330 wird im »Mittelhochdeutschen Handwörterbuch« (1872–1878)331 besonders auf die Ausweitung der zugrundeliegenden Textkorpora großen Wert gelegt. Die Einbeziehung der Sach­forschung in die historische Semantik ist bereits Anfang des 20.  Jahrhunderts formuliert worden. Programmatisch vorangetrieben wurde sie u. a. von Hugo Schuchardt.332 Institutionalisiert wurde sie 1909 mit der Gründung des Organs »Wörter und Sachen. Kulturhistorische Zeitschrift für Sprach- und Sachforschung« durch ­Rudolf Meringer et al.333 »Mit vielen anderen«, so die Heraus­geber in Vorwort zum ersten Band, »sind wir überzeugt, dass die Sprachwissenschaft nur ein Teil der Kultur­wissenschaft ist, dass die Sprachgeschichte zur Worterklärung der Sachgeschichte bedarf, sowie die Sachgeschichte, wenigstens für die ältesten Zeiten, der Sprachgeschichte nicht entraten kann. Wir glauben, dass in der Vereinigung von Sprachwissenschaft und Sachwissenschaft die Zukunft der Kulturgeschichte liegt«.334

Gerade weil die Sachwissenschaften und die linguistische Semantik sich in den zwischenzeitlich vergangenen knapp 100 Jahren entscheidend weiterentwickelt haben, kann die moderne Kulturwissenschaft wieder an die »Wörter und Sachen«-Forschung anknüpfen. Die Möglichkeit einer statistischen Bearbeitung der älteren deutschen Sprachstufen würde die Umsetzung eines korpuslinguistischen Großprojekts voraussetzen, bei dem alle vorhandenen Korpora nach einheitlichen Kriterien durchgearbeitet und digital verknüpft würden, wie es im Projekt Deutsch Diachron Digital vorbereitet wird.335 Die vorliegende Arbeit ist noch auf weniger repräsentative Detailkorpora und einen intuitiven Begriff des Kontextes angewiesen. Sie bleibt im Rahmen einer wiederhergestellten, aber nunmehr linguistisch und begriffs­ geschichtlich geschulten philologischen Semantik. Um den Historisierungs-Ehrgeiz zu unterstreichen, der die Erarbeitung der historischen Semantik leiten muss, möchte ich in Anlehnung an Walter Ong noch 330 Benecke/Müller/Zarncke 1990. 331 Lexer 1992. 332 Schuchardt 1912, S. 827–839. 333 Wörter und Sachen 1909. Zur Programmatik Meringer 1912. Vorbereitet hatte Meringer das Programm seit 1906 in einer Reihe von Beiträgen in der Zeitschrift »Indogermanische Forschungen«. 334 Meringer/Meyer-Lübke/Mikkola/Much/Murko 1909, S. 1. 335 Zum Programm Lüdeling/Poschenrieder/Faulstich 2004, aktuelle Informationen unter http://www.deutschdiachrondigital.de/. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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einmal auf die Anfänge der Mündlichkeit/Schriftlichkeit-Forschung zurückkommen.336 Wie der »orale Charakter von Sprache«, das möchte ich beweisen, muss auch die semi-literale Konstitution der Zahl »überhaupt erst wiederentdeckt« werden.337 Und es ist fraglich, ob sie überhaupt vollständig rekonstruiert werden kann.338 Um sich die Schwierigkeit zu vergegen­wärtigen, möchte ich eine Ima­ ginationsübung zitieren, die Ong seinen Lesern empfohlen hat. Man stelle sich vor, modernen automobilisierten Zeitgenossen, die noch nie ein Pferd gesehen haben, die Vorstellung eines ›Pferdes‹ zu vermitteln, indem man von der Vorstellung eines ›Autos ohne Räder‹ ausgeht. Wie für die Sprache vor der Schrift gilt dieser Selbstversuch auch für die vormoderne Geschichte der Zahl: »Man kann natürlich versuchen, sich dies vorzustellen. Denken wir uns eine Abhandlung über Pferde (für Leute geschrieben, die noch nie ein Pferd gesehen haben), die mit der Beschreibung nicht des Pferdes, sondern des Autos beginnt und somit auf der unmittelbaren Erfahrung des Lesers mit Autos aufbaut. Sie geht darauf zur Beschreibung der Pferde, die sie immer als ›radlose Autos‹ bezeichnet, über, indem sie den automobilisierten Lesern, die nie ein Pferd sahen, alle Unterschiede in dem Bemühen erklärt, aus der Vorstellung ›radloses Auto‹ diejenige des ›Autos‹ herauszuschneiden. So scheint es, als ob der Terminus mit einer rein pferdemäßigen Bedeutung ausgerüstet sei. Anstelle der Räder besitzt das Auto vergrößerte Zehennägel, die man Hufe nennt; anstelle der Scheinwerfer oder vielleicht der Rückspiegel besitzt es Augen; statt einer Lackschicht etwas, das Haar genannt wird; statt Benzin als Kraftstoff frisst es Heu usw. Am Ende sind Pferde nur noch das, was sie nicht sind. Wie genau und gründlich eine solche apophatische Beschreibung auch immer sein mag, Autofahrer und die Leser, die nie ein Pferd gesehen und nur von radlosen Autos gehört haben, haben sicherlich eine falsche und seltsame Vorstellung von einem Pferd. […] Man kann nicht ohne schwere und lähmende Verzerrung ein primäres Phänomen beschreiben, indem man mit einem späteren sekundären Phänomen beginnt und die Unterschiede unter den Tisch fallen lässt.«339

Wer etwa behaupten würde, ein Schreiber des Althochdeutschen habe mit den Worten rîm, ruoba oder zala einfach eine moderne Zahl, bloß ohne schriftlichen Kalkül, gemeint,340 müsste sich die Rückfrage gefallen lassen, ob es sich dabei um eine »schwere und lähmende Verzerrung« handele, ob nicht hier das Auto vor das Pferd gesetzt und die Arbeit an der Historisierung von vornherein zerstört werde.

336 Ong 1982 (Ong 1987). 337 Ong 1987, S. 14. 338 Ong 1987, S. 19. 339 Ong 1987, S. 20. 340 Vgl. die Defizitbestimmung historischer Zahlverwendungen bei Damerow 1994. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Begriffliche Integration und Konzeption

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3. Begriffliche Integration des Arbeitsfeldes und Konzeption des Darstellungsteils

Begriffliche Integration und Konzeption Vor dem Hintergrund dieser theoretischen Bewegungen möchte ich in weiteren drei Schritten die Konzeption der Arbeit darlegen. Ich beginne mit einer terminologischen Differenzierung der Konzeption der ›Kulturtechnik‹. Im Anschluss daran werden die Maximen für eine breit angelegte Geschichte des numerischen Wissens formuliert. Abschließend umreiße ich den speziellen Ausschnitt des Forschungsfeldes, der in der vorliegenden Arbeit entwickelt werden soll.

3.1 Kulturtechniken: operational – operativ – operal Das im Begriff der Kulturtechnik formulierte Programm bezieht seine Leistungsfähigkeit aus der Integration von manufakturalen Verfahren und symbolisch-operativen Verfahren.341 Sybille Krämer und Horst Bredekamp haben das in Absetzung von der gängigen Interpretation der ›Welt als Text‹ auf die Formel »Wider die Diskursivierung der Kultur« gebracht.342 Auf die Frage, was das Andere der Diskursivierung ist, sind jedoch unterschiedliche Antworten gefunden worden. Charakteristisch ist Thomas Machos Interpretation, nach der Kulturtechniken 2nd-order-Techniken sind.343 Sie zeichnen sich durch Selbstreflexivität aus. Man kann über das Schreiben schreiben, rechnerische Verfahren mit rechnerischen Verfahren simulieren und Bilder über das Herstellen von Bildern herstellen. Mit dieser Haltung verbindet sich jedoch eine nicht zu unterschätzende Teleologisierungsgefahr. Erstens wird die symbolische Arbeit übergewichtet. Zweitens wird dadurch das Historisierungspotential der Kulturtechnik zurückgestuft. Der Stellenwert der für das Programm der Kulturtechnik ebenfalls konstitutiven primären oder 1st-order-Techniken verblasst in dieser Perspektive. Um dem Programm der Kulturtechnik gerecht zu werden, muss das Schlagwort »Wider die Diskursivierung« nicht nur die symbolischen Techniken (­Lesen, Schreiben, Rechnen), sondern auch die »Entwilderung« der Natur344 durch primäre, manufakturale Techniken stark machen (Kultivierung der Felder, Pfropfen der Nutzpflanzen345 usf.). Ohne diese zweite Dimension verliert das wegweisende theoretische Programm der Kulturtechnik die Orientierung. Kurz: Es geht nicht 341 Vgl. die Thesen zur Begriffsverwendung von ›Kulturtechnik‹ in Wedell 2004b, S. 9 f. 342 So der Titel der Einleitung des von ihnen herausgegebenen Bandes Krämer/Bredekamp 2003a. 343 Macho 2005. 344 Böhme 1996, S. 52. 345 Zur Reflexion des Pfropfens als Kultivierung in der Literatur s. Wirth 2006. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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nur darum, den logozentrischen ›Geist‹ der Geisteswissenschaften durch die Materialität der Kultur und ihre Operationen abzulösen.346 Der theoretische Anspruch muss darin bestehen, erstens das Spektrum zwischen den manufakturalen Orthopraktiken auf der einen Seite und den symbolischen Orthopraktiken auf der anderen Seite zu erfassen und zweitens  im Rahmen dieser Bezugsordnung die Felder der kulturstiftenden Operationen zu beschreiben. Wie kann dieser theoretische Anspruch terminologisch abgebildet und methodisch umgesetzt werden? Ausgangspunkt ist es, die operatio als begrifflichen Kern der Kulturtechnik ernst zu nehmen und auszudifferenzieren. Dazu möchte ich zunächst an den gängigen Sprachgebrauch anknüpfen, dabei eine morphologisch gegebene Differenzierung unterstreichen und durch eine konzeptuelle Ergänzung theoretisch fruchtbar machen. Abschließend formuliere ich den Stellenwert dieser Differenzierung für die Frage nach der Geschichte des numerischen Wissens. Sprachgebrauch: Wenn von Kulturtechniken gesprochen wird, steht in der Regel zweierlei in Rede: Erstens die Operationalität, die Akte der Operationalisie­ rung bzw. der Prozess des Operationalisierens, wie er in der Geschichte der Formalisierung greifbar ist;347 zweitens das Operative, wie es einem in der Rede vom operativen Aspekt Schrift entgegentritt.348 Morphologisch gegebene Differenzierung: Die Bildungen operational, Opera­ tionalität sind Abstrakt­bildungen zu operativ und Operation. Dabei ist das Substantiv Operationalität ebenso wie das Verb operationalisieren von dem Adjektiv operational abgeleitet, das seinerseits zu Operation gebildet wird, wie auch opera­ tiv. Die Ableitungen auf -iv und die auf -ional bewirken im Sprachgebrauch unterschiedliche semantische Effekte. Mit -iv werden semantisch neutrale Adjektivbildungen konstruiert, mit -ional solche Adjektiva gebildet, die zugleich eine Abstraktion markieren. In Bezug auf eine Geschichte der Formalisierung wirkt sich die semantische Differenz nicht graduell aus. Sie markiert vielmehr unterschiedliche, diskrete Ebenen des Symbolgebrauchs. Die begriffliche Systematik verlangt deswegen, die sprachlich gegebene Differen­zierung auch theoretisch stark zu machen: d. h. die Abstraktionsebenen, die sich hier mit der Gruppe operativ  – operativieren  – Operativität und dort der Gruppe operational  – ope­ rationalisieren  – Operationalität verbinden, konsequent auseinanderzuhalten. Diese sprachlich gegebene und theoretisch wünschenswerte Differenzierung muss wahrgenommen und terminologisch etabliert werden, wenn man das Kapital des Programms der Kulturtechnik nicht verspielen will. Denn zum Kernbegriff der operatio bildet sie zwei Stufen der Abstraktion, mit denen unterschiedliche Ebenen des Zeichen­gebrauchs angesprochen werden. 346 Gumbrecht/Pfeiffer 1988. 347 Krämer 1988. 348 Grube/Kogge/Krämer 2005. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Konzeptuelle Ergänzung: Beide Begriffe, das Operative und das Operationale privilegieren jedoch die symbolischen Techniken. Die 1st-order-Techniken werden durch sie nicht oder nur bedingt adressiert. Dennoch bietet sich auch für diese dritte Ebene eine morphologisch angelegte Konkretionsstufe an, die ich als terminologische Ergänzung vorschlagen möchte: Bereits die Operation und das Operative sind über lat. operatio zu lat. opus gebildet, mit dem sich die nicht medial vermittelte Arbeit verbindet. Zu lat. opus lassen sich zwanglos deutsche Ausdrücke operal, operalisieren und Operalität bilden, sodass sich folgende drei Reihen ergeben: – operal – operalisieren – Operalität

operativ operativieren Operativierung

operational operationalisieren Operationalisierung

Die Begriffe der Operation und des Operierens bleiben als übergreifende Bezeichnungen für den allen Kulturtechniken zugrundeliegenden Prozess- bzw. Handlungscharakter unangetastet. Für den mittelalterlichen Zahlgebrauch möchte ich die begriffliche Differenzierung der Konkretions- bzw. Abstraktionsstufen wie folgt inhaltlich füllen: 1. Operal ist ein im messtheoretischen Sinn ikonischer Zahlgebrauch, wie ihn auch Heike Wiese beschrieben hat.349 Im Sinne der nur diffus möglichen Wahrnehmung größerer Anzahlen und Mengen geht es bei der Operalisierung von Zahlen darum, sie handhabbar zu machen, ohne zu quantifizieren, d. h. ohne sie numerisch definit zu bestimmen. Die Stufe der Operalität entspricht in Peter Damerows Staffelung die Stufe der Proto-Arithmetik: »Als protoarithmetische Stufe der historischen Entwicklung des Zahlbegriffs wird hier eine Entwicklungsstufe bezeichnet, auf der mit Hilfe von eineindeutigen Korrespondenzen zu Standardmengen von konkreten Objekten oder sonstigen Symbolen Repräsentationen erster Ordnung von Quantitäten konstruiert werden.«350

Einen operalen Zahlgebrauch archäologisch zu identifizieren ist nur bedingt möglich. Im mittelalterlichen Zahlgebrauch kann es sich etwa um Kerbungen auf Kerbhölzern handeln, die zur Kontrolle im Transportwesen eingesetzt wurden. Dieser Gebrauch wäre in einem Kontext operal, wo etwa die Entladung eines Schiffes oder Fuhrwerks und der Empfang einer Ware (im Lager des Händles) jeweils angekerbt und später durch den Vergleich der Kerbungen die Kontrolle über den Vorgang durchgeführt wurde.351 349 Wiese 1997, S. 83 f. 350 Damerow 1994, S. 285. 351 S. u. Kapitel IV.2.2. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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2. Operativ ist ein Zahlgebrauch, der Anzahlen und Mengen numerisch definit quantifiziert, d. h. ihnen Zahlenwerte zuordnet. Im Mittelalter ist diese Stufe etwa durch die Verschriftung von Zahlen gegeben, d. h. in ihrer Repräsentation durch eine Menge diskreter und geordneter Zeichen, wie sie durch die Definition der natürlichen Zahlen bei Richard Dedekind und in der jüngst vorgetragenen Definition des Schriftbegriffs durch Gernot Grube, Werner Kogge und Sybille ­Krämer vorgegeben wird.352 Der Zahlgebrauch wird in diesem Sinne ope­ rativiert, wenn in Güterverzeichnissen, Geschäftsbüchern oder Gebetskatalogen Leistungen quantifiziert und als Quantitäten angeschrieben werden.353 Die Ope­ rativierung ist mithin ein Vorgang, der als Zahlgebrauch vor allem in den Umgang mit den Sachen entscheidend eingreift. Als historischer Prozess ist die Operativierung als vielschrittige und keinesfalls lineare Entwicklung zu beobachten. 3. Operational ist ein Zahlgebrauch, wenn die Zuordnung von Zahlen und Sachen auf symbolischer Ebene weiterverarbeitet wird. Der Zahlgebrauch wird ope­ rationalisiert, wenn die operative Zahl selbst Gegenstand von Operationen wird. Damerow nennt das die Stufe der symbolischen Arithmetik, näherhin »das Entstehen komplexer Systeme numerischer Symbole und formaler Regeln für deren Verwendung. Diese Symbolsysteme treten vornehmlich in zwei verschiedenen Formen mit unterschiedlicher Zwecksetzung in Erscheinung, nämlich als Zahlzeichensysteme und als Rechenhilfsmittel. Erstere dienen überwiegend dem Registrieren quantitativer Informationen, letztere ihrer Verarbeitung«.354

Erst wenn die Zahlzeichensysteme mit Rechenhilfsmitteln korrelliert werden, kann von Operationalisierung des Zahlgebrauchs gesprochen werden. Im Mittelalter ist dieser Schritt zunächst vor allem durch den Einsatz von Rechentafel, Abakus und Rechentuch gegeben und wird dann schrittweise auf die arabischen Ziffern übertragen. Der Kampf zwischen Abakisten und Algebraikern dokumentiert die Mühe, die mit der Etablierung und Veränderung dieser Techniken verbunden ist.355 Im Sinne einer zunehmenden Rationalisierung ist die nächste Stufe als For­ malisierung des Zahlgebrauchs zu benennen. Sie zeigt sich in der Entwicklung des algebraischen Zahlgebrauchs, der sich von der Instanziierung formaler Zusammenhänge durch konkrete Zahlen löst und sie durch stellvertretende Buchstaben ausdrückt. Das ist ansatzweise in der schon erwähnten Schrift De nume­ ris datis bei Jordanus Nemorarius aus dem 13. Jahrhundert der Fall,356 wird dann 352 Dedekind 1887; Grube/Kogge 2005; Krämer 2005. 353 S. o. Kapitel I.1.2.3. 354 Damerow 1994, S. 294. 355 Dazu Menninger 1979, S. 239, u. 248–250. 356 S. o. Kapitel I. 2; Høyrup 1988. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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aber erst nach Ausgang des Mittelalters im Sinne des modernen Kalkül­begriffs formal durchgearbeitet, wie Krämers Studie zur Geschichte der Formalisierung zeigt.357 In diesem Zusammenhang kommt die von Damerow so genannte Stufe der theoretischen Arithmetik ins Spiel, von der aus eine moderne Reflexion des Zahlbegriffs einsetzt.358 Im Sinne der Historisierung unterstützt dasselbe Schema (im Zusammenhang mit der lexikalischen und archäologischen Überlieferung) eine theoretische Rehabilitierung dessen, was gerade nicht formalisiert ist. Ein operativer, und mehr noch ein operaler, proto-arithmetischer Zahlgebrauch, so die These, ist nicht einfach ›weniger Zahl‹. Es geht vielmehr darum aufzudecken, durch welche relationalen Zusammenhänge dieser Zahlgebrauch statt­ dessen oder zusätzlich bestimmt ist. Das zu erörtern ist Ziel einer Geschichte des numerischen Wissens.

3.2 Maximen für eine Geschichte des numerischen Wissens im Mittelalter Eine Geschichte des numerischen Wissens muss neben der Ausdifferenzierung der operatio vor allem die Gleichwertigkeit des sprachlich-diskursiven und des operational-notationalen Zahlgebrauchs berücksichtigen. In diesem Sinne möchte ich in heuristischer Absicht folgende Arbeitsdefinition für das numerische Wissen vorschlagen: Numerisches Wissen ist das orthopraktische und theoretische Wissen über die semantische und formale Kodierung von Reihenfolgen (Sequenzen, Rängen) und Mengen (Kardinalitäten, Gruppen) im sprachlich-diskursiven und (operativ-) notatio­nalen Handeln. Als methodisches Rahmenprogramm für die vorliegende Arbeit möchte ich die folgenden Maximen zur Historisierung der Zahl formulieren. Sie spannen den Horizont eines breiteren Forschungsfeldes aus. Innerhalb dessen wird die vorliegende Arbeit die begrenzte Frage nach dem Verhältnis des diskursiven und quantifizierenden Aspekts des Zählens diskutieren, insoweit es sich mit den Mitteln der historischen Semantik im oben beschriebenen Sinne erschließen lässt. Das Gebiet einer zu schreibenden Geschichte des numerischen Wissens im Mit­ telalter hat folgende Konturen: (1.) Materialität und Gebrauch: Keine Zahl ist ohne ihre spezifische Präsenz (ihre visuelle, akustische, haptische und imaginative Erfahrung) und die dazuge­ hörige Technik ihres Gebrauchs historisch denkbar. Bevor die arabischen Ziffern als Leitmedium für die Notation von Zahlen etabliert sind, sind die Zahlen der 357 Krämer 1988. 358 Damerow 1994, S. 302–312. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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­ auern und Händler, der Bauleute, der Schreiber, Exegeten, Musiker und MaB thematiker jeweils eigenständig organisiert: Zahlwörter und sinnfällige Mengen­ begriffe stehen neben Kerbhölzern und Rechensteinen, die Iterationen von Modulmaßen neben Gebetsketten und Gedächtnisbildern für das Memorieren von Zahlen; variierende Schriftzeichen-Systeme in operativen Anordnungen wie Listen und Tabellen ergänzen das Spektrum, das sich weiter ausbuchstabieren ließe. Die Differenz der Medien sowie der mit ihnen verbundenen Kompetenzen und Zielsetzungen bedingt eine Auffächerung des Zahlbegriffs im Gebrauch. In welchem Verhältnis stehen die verschiedenen Gebrauchsweisen der Zahl zueinander? (2.) Kontexte und Übertragungen: Über ihre Anwendungsfelder und Zwecke sind die Praktiken des Zahlgebrauchs mit Sinnstrukturen verbunden. Zahlen markieren stabile Verhältnisse in der Natur (die Zahl der Körperglieder, Jahreszeiten, Himmelsrichtungen), sie stehen für die Ordnungsmacht Gottes (die Zahl als Bauprinzip der Welt, als typologisches Prinzip in der Heiligen Schrift usw.) und sind Signum der neuen Kraft der ökonomischen Strategien (Buchhaltung als Herrschaftsmittel, die mathematische Bewältigung von Schuld, Gewinn und Wertausgleich). Die Sinnstrukturen haben die Materialität der Zahlen überwölbt und die Ausarbeitungen des Zahlgebrauchs geleitet. Dabei springt das unfeste Verhältnis zwischen den Sinnordnungen einerseits und den Darstellungspraktiken andererseits ins Auge. Das breite Feld der Überlagerungen von literarischen, mathematisch-operativen, vermessungstechnischen, magischen und zahlensymbolischen Verfahren ist noch nicht annähernd kartiert. Neben den Praktiken steht hier die Rolle der Texte und der Semantik im Zentrum der Aufmerksamkeit. Welche Übertragungen und Verschiebungen von Sinn lassen sich zeigen? Welche Häufungen und wiederkehrenden Muster treten auf? Lässt sich eine systematische Beschreibung denken? Welche Perspektiven ergeben sich für eine diachrone Diskussion des Materials? (3.) Disziplinäre Situation: Erst die Verbindung ihrer Präsenz mit ihren Ordnungsangeboten, ihren Gebrauchsformen und Erfahrungsmodalitäten erschließt ein historisch adäquates Verständnis der Zahl. Die Zahl im europäischen Mittelalter ist eine treibende Kraft in der Ausdifferenzierung der Diskurse und leistet zugleich noch die Übertragung zwischen Sinnfeldern, die das moderne Weltwissen nicht mehr vereinen kann. Dementsprechend kann die Geschichte des numerischen Wissens nur im Austausch zwischen den Fakultäten als ein genuiner Zweig mediävistischer Forschung wiederentdeckt werden. Erst im Zusammenspiel von Mathematik- und Wirtschaftsgeschichte, den theologischen und kunstwissenschaftlichen Disziplinen, den philologischen und linguistischen Fächern sowie der Kulturwissenschaft lässt sie sich systematisch beschreiben und zur Schärfung des Blicks in den akademischen Fächerkanon zurückführen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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3.3 Vorhaben 3.3.1 Fokussierung Die vorliegende Arbeit widmet sich der Geschichte des numerischen Wissens, indem sie exemplarische Fragen und Probleme diskutiert, die sich aus der Geschichte des Zählens im Mittelalter ergeben. In systematischer Perspektive strebt sie eine Relativierung der operatio­nalistischen Tendenz der Kulturtechnikforschung an, indem sie die semantisch-operalen und die pragmatischen Aspekte des sprachlichen und notationalen Handelns fokussiert. Inhaltlich geht es um die Kommunikationsgeschichte des Zählens im Grenz­bereich von Mündlichkeit und Schriftlichkeit: um den Sprachgebrauch der mittelhochdeutschen Wörter zeln und zal und um die manuelle Praxis der kerbholzbasierten Zählung, näherhin um das Zusammenspiel von Etymologie, historischer Semantik und Archäologie, von Sprach- und Notationspraxis. Im Sinne einer Fallstudie erörtert die Arbeit das Verhältnis von diskursivem und quantifizierendem Handeln. Inwieweit lässt sich anhand der mittelalterlichen Überlieferung die Herauslösung eines diskreten Begriffs des Quantitativen aus dem kommunikativen Handeln beschreiben? 3.3.2 Gliederung des Darstellungsteils Kapitel  II.  Wortgeschichte im kulturtechnischen Horizont. Die Studie setzt bei dem problematischen wechselseitigen Verhältnis der neuhochdeutschen Wörter zählen und erzählen an. Es ist zugleich von morphologischer Nähe und semantischer Distanz geprägt. Die Frage, ob diese Inkohärenz historisch loka­ lisierbar und motivierbar ist, führt in die etymologische und wortgeschichtliche Forschung. Alle verfügbaren Studien arbeiten sich an dem Verhältnis der quantitativen und diskursiven Bedeutungsaspekte zueinander ab, ohne in der Regel zu überzeugenden Deutungen zu kommen. Vereinzelt ist bereits ein Bezug zwischen Semantik und Praxis hergestellt worden, um die Bedeutungsentwicklung zu erklären. Der Gedanke ist jedoch nie konsequent ausgearbeitet worden. Dabei ist ein kulturtechnischer Ansatz bereits in der Etymologie der Worte zal und zeln angelegt. Das Wort Zahl geht zurück auf ein Wort mit der Bedeutung ›Kerbe‹. Damit verweist das Kerben als namengebender Akt des Zählens in nuce auf die technische Latenz des Wortes Zahl, die je nach technologischer Entwicklung unterschiedlich realisiert worden ist. Kapitel  III.  Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln. Im Kapitel zur historischen Semantik geht es um das Bedeutungsspektrum von mhd. zal und zeln. Anhand des Substantivs zal wird zunächst die Forschungslage entwickelt. Insbesondere geht es dabei um die Deutungsansätze, die in den großen Wörter© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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büchern von Benecke/Müller/Zarncke auf der einen und Matthias Lexer auf der anderen Seite nahegelegt werden. Die impliziten Argumentationen werden herausgearbeitet und zueinander ins Verhältnis gesetzt. Während Benecke/Müller/ Zarncke eine deutliche Polarität der Bedeutungen ›Zahl‹ und ›Erzählung‹ konstruiert, entwirft Lexer ein Bedeutungspektrum, das zwischen den Polen auch Übergangsstufen der Bedeutung vorsieht. Durch Hinzuziehen der Belege aus dem »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« und aus dem Korpus des »Mittelhochdeutschen Wörterbuchs der Urkundensprache« wird der Ansatz von Lexer aufgenommen und weiterentwickelt. Anhand des Wortes zeln wird dann eine Typologie der Handlungen entfaltet, die sich mit dem Akt des zeln verbinden. Die Ermittlung und Angabe von Kardinalitäten bildet dabei nur einen sehr überschaubaren Anteil der Verwendungen. Die größte Gruppe bilden die diskursiv-assertiven Verwendungen, mit denen etwa Erzählungen und Mitteilungen angekündigt werden. Sie sind in apellative Äußerungen eingebunden, unterstreichen die mediale Markierung, die Autorisierung, die Emphase oder Öffentlichkeit einer Äußerung. Schließlich wird über die Markierung von sozialem Status und der Bewertung von sozialer Performanz die ›Zuordnung‹ als kernsemantischer Aspekt von zeln freigelegt. zeln ist im Mittelhochdeutschen ein Ausdruck mit einer starken illokutiven Kraft. Kapitel IV. Legitimation und Operativierung von Kerbholznotationen. Die Darstellung des mittelalterlichen Kerbholzgebrauchs komplementiert und perspektiviert die Untersuchung zur historischen Semantik. Nach einem Überblick über die Bezeichnungen, die den Kerbhölzern in der schriftlichen Überlieferung beigelegt werden, werden die erhaltenen Objekte vorgestellt, beschrieben und in das Spektrum mittelalterlicher Signifikationspraktiken eingeordnet. Das Kerbholz stellt im europäischen Mittelalter das maßgebliche Notationsmedium für Kredite bzw. Schulden, Steuerzahlungen oder -ansprüche sowie für allgemeine Zählungen etwa beim Cargo-Checking dar. Als quantifizierende Zeichen stehen die Kerbhölzer neben einer Reihe von Personen- und Legitimationszeichen, die in variierender Form von Haus- und Handelsmarken, Meisterzeichen usf. überliefert sind. Die archäologische Überlieferung wird im zweiten Schritt kommunikationspragmatisch gedeutet. Dabei kann auf ältere germanistische Studien aus dem 19. Jahrhundert zurückgegriffen werden, die sich mit dem Kerbholzgebrauch in den germanischen Rechtsaltertümern befasst haben und etwa seit der Wende zum 20. Jahrhundert aus dem Blick der Forschung geraten waren. In diesem Zusammenhang wird Andreas Heuslers Theorie zur Genese des Kerbholzes rekonstruiert, ein Ansatz, der von einer ursprünglich kultischen Verwendung ausgeht, um dann die schrittweise Profanisierung des Gebrauchs zu zeigen. Vor diesem Hintergrund wird die Ökonomie des Kerbholzgebrauchs zwischen profaner Rationalisierung und kultischer Rückbindung entwickelt. Dabei kommt der Rolle der Kerbhölzer als protoschriftliche und schriftliche Medien eine besondere Bedeutung zu. Teilweise sind sie, wie die archäologischen Funde zeigen, eng © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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an die Schriftkultur gebunden, stehen zu ihr aber in einem ambivalenten Verhältnis. Abschließend wird die Kerbholzüberlieferung auf die historische Semantik der Wörter zal und zeln sowie die etymologische Projektion zurückbezogen. Dabei zeigt sich, dass die in der etymologischen Projektion rekonstruierten semiotischen Eigenschaften des Kerbholzes, Kardinalitäten und Sequenzen anzugeben sowie als Merkzeichen zu fungieren, auch in der mittelalterlichen Praxis gegeben sind. Die zeitgenössischen Beschreibungen und Darstellungen des Kerbholzgebrauchs bezeugen aber zusätzlich eine Pragmatik, die mit der Pragmatik der Sprechakte verglichen werden kann, die mit dem Wort zeln ausgeführt werden. Zeitgleich wird die Kerbtechnik so weiterentewickelt, dass sie mit dem Übergang vom Erinnerungszeichen zum Schriftzeichen eine maßgebliche Veränderung des Zahlbegriffs repräsentiert.

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Ein urgerm. *talô konnte also regelrecht bedeuten: ›das einschneiden in holz‹, ›der einschnitt‹, ›die kerbe‹. dann war *taljan ›kerben einschneiden‹ und entsprechend das neutr. an. tal, as. tal […] ›das eingeschnittene, die kerbe‹ […]. zahl war also zunächst die einfachste form, zählungen für das auge festzuhalten. Gustav Rosenhagen1

II. zeigen – zählen – erzählen. Wortgeschichte im kulturtechnischen Horizont

Das folgende Kapitel begründet die Fragestellung, die im Einleitungsteil interdisziplinär entwickelt worden ist, aus philologischer Perspektive.2 Das Kapitel widmet sich der Etymologie und Wortgeschichte und Zahl und zählen. Dabei wird deutlich, dass die Semantik immer an die Gebrauchformen der Zahl gebunden ist. Zudem zeigen sich Verschiebungen und Verzweigungen, die für die Gesamtdarstellung der Studie signifikant sind. Die Darstellung setzt bei der etymologischen Rekonstruktion der Wortschöpfung an und reicht bis zur Prägung der Semantik der Wortes Zahl durch das Konzept der Ziffer in der Frühen Neuzeit.

1. Was bedeutet Zahl ursprünglich? Die Forschung zur Wortgeschichte von Zahl ist ausgesprochen dürftig. Ab­ gesehen von einzelnen Erwähnungen in etymologischen Abhandlungen und in Wortschatz­beschreibungen zu alt- und mittelhochdeutschen Texten ist sie vor allem Sache der Wörterbücher. Anstelle einer Forschungsdiskussion findet sich eine Reihe von Einzeldarstellungen, die zumeist unverbunden nebenein­ ander stehen. Da es zur Zeit keine umfassende und moderne Darstellung des Zusammenhangs gibt, sollen einleitend die drei etablierten Ansätze vorgestellt werden.3 Vertreten sind sie in den einschlägigen Artikeln der Wörterbücher von Friedrich Kluge, Hermann Paul sowie von Jacob und Wilhelm Grimm. Nach einer ein­leitenden Kurzcharakterisierung sollen sie breiter entfaltet werden, um einen Eindruck der Sachlage zu vermitteln und die methodischen Probleme, die

1 Rosenhagen 1920, S. 190. 2 Das Kapitel ist die überarbeitete Vorstudie zur vorliegenden Arbeit, Wedell 2004a. 3 Vgl. zu anderen Sprachen die Skizze Schuppener 2002b. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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die Geschichte von Zahl, zählen und erzählen aufgibt, ans Licht zu bringen. In diesem Zusammenhang kommen auch die übrigen greifbaren Positionen zur Sprache. In Kluges »Etymologischem Wörterbuch«4 wird das Wort Zahl auf das rekonstruierte germanische Wort *tala/-ō zurückgeführt, welches seinerseits zu dem Verb gebildet worden ist, das in lat. dolāre ›behauen‹ vorliegt. Zentral ist näherhin die Vorstellung vom Bekerben des Kerbholzes. Es bietet die Motivation5 für die Bedeutung ›zählen‹. Ich nenne den Ansatz deswegen kurz ›Kerbholz-­Theorie‹. Der Ansatz im »Deutschen Wörterbuch« von Herrmann Paul6 verzichtet auf jede etymologische Angabe. Auch hier bedeutet Zahl im Großen und Ganzen jedoch immer schon ›Zahl‹. Von zel(le)n ›zählen‹ ausgehend habe es jedoch im Mittelhochdeutschen eine semantische Ausdifferenzierung hin zu ›berichten, erzählen‹ gegeben, die zunächst auch das Nomen zal betroffen, sich dann aber zurückgebildet habe. Dieser semantischen Abzweigung wegen nenne ich den Ansatz kurz ›Verzweigungs-Theorie‹. Jacob und Wilhelm Grimms »Deutsches Wörterbuch«7 argumentiert für eine extrem breite und uneinheitliche Verwendung des Wortes Zahl und seiner Ableitungen von Anfang an. Historisch primär sei die diskursive Bedeutungsausprägung von Zahl als ›Mitteilung, Bericht‹ u. ä. Im Einzelnen seien die semantischen Bezüge zwischen dem Wort Zahl und seinen Ableitungen jedoch vielfältig und letztlich nicht durchschaubar. Die Parallelexistenz dieser unterschiedlichen Wort- und Bedeutungs­bezüge habe sich in der historischen Entwicklung dann gehalten. Der Einfachheit halber nenne ich den Ansatz im Folgenden ›Parallelentwicklungs-Theorie‹.

1.1 Kluge/Seebold: Die ›Kerbholz-Theorie‹ Die Darstellung des »Etymologischen Wörterbuchs« von Friedrich Kluge in der Bearbeitung von Elmar Seebold ist schlank und elegant.8 Nichts lässt auf Ambivalenzen in der semantischen Entwicklung von Zahl schließen: Die Wortgeschichte wurzelt bei Kluge/Seebold in der rekonstruierten germanischen Form *tala/-ō, die zu dem Verb geordnet wird, das in lat. dolāre ›behauen‹ mit der speziellen Bedeutung ›einkerben‹ vorliegt.9

4 Kluge/Seebold 2002. 5 ›Motivation‹ wird hier in der Bedeutung ›Benennungsmotiv‹ gebraucht. Ein knappe und übersichtliche Bestimmung der Terminologie zur Etymologie bietet Kluge/Seebold 2002, S. XII–XXXI, eine ausführliche Einführung bietet Seebold 1981. 6 Paul/Henne 2002. 7 DW, Bd. 15, Lemma ›Zahl‹. 8 Kluge/Seebold 2002, Lemma ›Zahl‹. 9 Die Wortgleichung wurde zuerst publiziert von Bugge 1870, hier S. 423, vgl. auch S. 434 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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»Zahl […] Die Ausgangsbedeutung wäre dann ›Kerbe‹ gewesen und von dort aus (da mit Kerbhölzern gezählt und berechnet wurde) ›Zahl‹ (und weiter über ›Reihe‹).«10

Als zugehörige Verben werden zahlen und zählen angegeben, die jeweils als eigenes Lemma erfasst sind. Im Artikel ›zählen‹ wird das seit dem 8.  Jahrhundert nachweisbare Verb über mhd. zel(e)n, zellen und ahd. zellen auf die rekonstruierte Form germ. *talija- zurückgeführt. Als Bedeutung wird allein die gegenwärtige angegeben: ›zählen‹. In morphologischer Hinsicht ist zählen Derivat von Zahl und selbst Basis der präfigierten Ableitung erzählen. Das Wort ›erzählen‹ wird ebenfalls bis ins 8.  Jahrhundert nachgewiesen und mit folgender Bedeutungsentwicklung verbunden: »mhd. erzeln, erzellen, ahd. irzellen. Bedeutet ursprünglich ›aufzählen‹, dann ›in geordneter Folge hersagen, berichten‹, woraus durch Verallgemeinerung die heutige Bedeutung entstand.«11

Damit wird suggeriert, dass die präfigierten Wortformen (er-zel(le)n bzw. ir-­ zellen) ihre Bedeutung systematisch, durch Präfigierung, erhalten. Der Übergang von der Bedeutung ›aufzählen‹ zur Bedeutung ›erzählen‹ wird damit implizit als sekundärer Vorgang angesetzt, der nur die mit einem Präfix versehene Form betrifft. Die zitierten Artikel aus Kluge/Seebold geben damit eine nachvollziehbare Motivation der Wortprägung Zahl und entwerfen ein Modell zur Motivation der Ableitungen zählen und erzählen, das in sich schlüssig und über­zeugend ist. Problematisch ist allerdings die bedeutungsgeschichtliche Verkürzung. Die Einträge ignorieren, dass ahd. und mhd. zeln bzw. zellen immer auch ›erzählen‹, ›mitteilen‹ usw. bedeuten. Auf der anderen Seite ist für die früheren Formen von erzählen immer auch die Bedeutung ›aufzählen‹, ›abzählen‹ belegt, wie die Wörterbücher von Benecke/Müller/Zarncke und Lexer zeigen.12 Zwar entspricht die Verkürzung der Vorgabe, dass etymologische Wörterbücher die Herkunft der Wörter erläutern sollen, nicht aber deren Bedeutungsentwicklungen nachzeichnen.13 Hinsichtlich des semantischen Verhältnisses von zählen und erzählen bleibt gleichwohl ein Erklärungsbedarf. Der wird auch durch die beiden zitierten Forschungsbeiträge nicht behoben: In nur zwölf Zeilen erörtert Gerald Cohen in den von ihm herausgegebenen »Comments on Etymology« ein entsprechendes Problem im Englischen, den Bedeutungswandel von engl. tell von ›count‹ zu ›tell‹.14 Der Autor findet den ge 10 Kluge/Seebold 2002, Lemma ›Zahl‹. 11 Kluge/Seebold 2002, Lemma ›erzählen‹. 12 BMZ, Lemma ›zal‹; Lexer 1992, Lemma ›zal‹. 13 Zur Überschneidung der Arbeitsbereiche und der Trennung der Publikationsformen Seebold 1999. 14 Cohen 1971, S. 1 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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wünschten konzeptuellen Zusammenhang in einer altrussischen Erzählung, deren Ende ein Akt der Kriegsberichterstattung bildet. In diesem Zusammenhang beobachtet er: »[…] to ›recount‹ the battle meant quite literally counting up the dead, wounded, and prisoners on both sides. It is probable that the shift of meaning in ›tell‹ (and recount, account) from ›count‹ to ›relate‹ occured in this sort of military context.«15

Der Beitrag stützt die These einer Bedeutungserweiterung von ›zählen‹ hin zu ›erzählen‹, ist aber aufgrund der nicht weiter spezifizierten Materialgrundlage und der geringen Argumentationsstärke nur bedingt geeignet, verallgemeinert zu werden. Ausführlicher ist die Darstellung von Viggo Brøndal, die von Kluge/Seebold – »mit dem gleichen sachlichen Hintergrund«16 – als alternative Interpretation angegeben wird.17 Nach Brøndal lassen Wortgleichungen, die jedoch von ihm an der entsprechenden Stelle nicht zitiert werden, darauf schließen, dass germ. *taljan zunächst ›Rechenschaft geben‹ bedeutet haben müsse (›rendre ses comptes‹). Da für das Wort keine Etymologie bestimmt werden kann, legt er eine Entlehnung aus dem Vulgärlateinischen, vlat. taliare, nahe. Dies habe ähnlich wie frz. tailler und rumänisch tăiá ›einkerben‹ bedeutet (›faire des (en)coches‹). Der Ausdruck sei schon vor der Entlehnung mit dem Kerbholzgebrauch assoziiert gewesen und auf diesem Weg in den Bereich kaufmännisch-rechnerischer Terminologie gerückt: »[…] la comptabilité primitive se fait souvent par des (en)coches dans un petit morceau de bois (›taille‹; allemand Kerbholz, dan. Karvestok), que l’on fend symétriquement de façon que chacun des deux intéressés garde son morceau. […] Un tel morceau de bois s’appelle en français justement taille (cf. plus haut, d’où l’anglais tally). Tailler, ›compter‹, est aussi à l’origine de l’italien taglia et du français taille ›distribution de l’impôt‹.«18

Gestützt wird diese Auffassung über die frühe Bedeutungsentwicklung von vlat. taliare durch semantische Verschiebungen von Ausdrücken für Kerbungsakte in die Domäne des Zählens und Rechnens, wie sie analog in anderen Sprachen belegt sind: »[…] on peut légitimement rapprocher un mot slave pour ›nombre‹ (bulgare broj) du verbe briti ›couper, tailler‹. De même le verbe bantou valo signifie d’abord ›faire des (en) coches‹, ensuite ›calculer‹, ›compter‹.«19

15 Cohen 1971, S. 2. 16 Kluge/Seebold 2002, Lemma ›Zahl‹. 17 Brøndal 1948, S. 164 f.: Germanique *talian ›compter‹. 18 Brøndal 1948, S. 164 f. 19 Brøndal 1948, S. 165. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Ferner wäre nach Brøndal eine Entlehnung von vlat. taliare als Ausdruck des kaufmännischen Rechnens bzw. früher Formen der Buchführung (›calcul commercial‹, ›comptabilité‹) besonders wahrscheinlich. Eine grundsätzliche Durchlässigkeit von Sprachgrenzen für Ausdrücke des kaufmännischen Rechnens illustriert der Verweis auf die Ausdrücke budget, Konto, chiffre und capital, die in unterschiedlichen europäischen Sprachen präsent sind. Als Ort der Entlehnung von mlat. taliare ins Germanische nennt Brøndal, ohne weiter zu spezifizieren, die römische Provinz. Brøndal setzt dann wie Kluge/Seebold eine sekundäre Bedeutungsentwicklung von der quantitativen zur diskursiven Bedeutungsausprägung an: »›Parler‹ et ›raconter‹ (anglais tell, allemand erzählen, cf. allemand reden, français conter) sont des significations qui dérivent de celles de ›énumérer‹, ›compter‹.«

In welchem Stadium der Sprachentwicklung die Bedeutungsverschiebung stattfindet und ob sie an morphologische Veränderungen gekoppelt ist, wird jedoch nicht erörtert. Germ. *taljan ist bei Brøndal ein Lehnwort aus dem Vulgärlateinischen. Als Ausdruck des frühen kaufmännischen Rechnens wurde es zu vlat. taliare ›einschneiden‹, ›einkerben‹ mit den Zusatzbedeutungen ›zählen‹, ›rechnen‹ gebildet. Dementsprechend bedeutete es zunächst ›compter‹ (›zählen‹). Die Bedeutungen ›conter‹/›raconter‹ (›erzählen‹ etc.) sind Ergebnis einer sekundären semantischen Entwicklung, die nach Brøndal über ›énumérer‹ (›aufzählen‹) vermittelt, von ihm aber nicht weiter reflektiert wird. Eine Gegenthese zu der etymologischen Entscheidung, Zahl auf ›Kerbe‹ zurückzuführen, formuliert nur Julius Pokorny im »Indogermanischen Etymologischen Wörterbuch«.20 Der Verfasser stellt die Verben zählen und erzählen gleichgeordnet zur idg. Wurzel *del- ›zielen, berechnen, nachstellen‹, auch ›listig schädigen‹, ›zählen, erzählen‹ und gerade nicht zur ähnlich lautenden Wurzel *del- (*dol-), *dele- ›spalten, schnitzen, kunstvoll behauen‹.21 Zu einer Deutung ›Zahlzeichen als Einschnitt‹ kommt Pokorny auch, allerdings nur über die in seinen Augen unsichere ursprüngliche Gleichheit der beiden Wurzeln. Motiviert wäre die Verbindung dann »etwa vom Abzielen des Beils auf das zu spaltende Holz oder aus der Runentechnik«.22 20 Pokorny 1959. 21 Pokorny 1959, Lemmata ›*del-‹ und ›*del- (*dol-), *dele-‹. 22 Pokorny1959, Lemma ›*del-‹. Nun ist das Material aus Pokornys Etymologischem Wörterbuch seit 1991 in zwei Freiburger Forschungsprojekten aufgearbeitet und auf den gegenwärtigen Stand der Forschung gebracht worden. Im bereits in zweiter Auflage erschienenen »Lexikon der indogermanischen Verben« (LIV) ist allein die Wurzel ›*delh1-‹ verzeichnet, allerdings ohne Erwähnung einer Verbindung zu zählen/Zahl. Auch die von Pokorny angenommene Wurzel ist nicht aufgenommen worden. Das entsprechende Grundlagenwerk »Nomina im Indogermanischen Lexikon« von Dagmar S. Wodtko et al. nennt keinen einschlägigen Eintrag (Wodtko/Irslinger/Schneider 2008), sodass Pokornys Etymologie wohl als hinfällig gelten kann. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Einzig das »Etymologische Wörterbuch« von Wolfgang Pfeifer23 referiert nach einer ausführlichen Darstellung verwandter Formen in den germanischen Sprachen beide Etymologien. Pfeifer nennt die von Pokorny vorgeschlagene Herkunft an erster Stelle, bleibt aber (über die Wortgleichung hinaus) eine verständliche Erklärung der Herkunft schuldig.24

1.2 Paul/Henne: Die ›Verzweigungs-Theorie‹ Im »Deutschen Wörterbuch« von Hermann Paul wird traditionell mehr auf die Wortgeschichte, die historischen Wortverwendungen und Bedeutungsentwicklungen eingegangen.25 Die etymologischen Zusammenhänge treten dagegen in den Hintergrund. Dementsprechend gibt das Wörterbuch von Hermann Paul in der Bearbeitung von Helmut Henne zum Lemma ›Zahl‹ eine Reihe unterschiedlicher Erläuterungen, die durch ihre chronologische Anordnung eine Vorstellung der Bedeutungsentwicklung vermitteln sollen. Neben der vorausgesetzten modernen Bedeutung ›Zahl‹ nennt er für das Mhd. ergänzend »auch ›Aufzählung, Bericht‹« und die seit dem Mittelhochdeutschen gebräuchliche feste Verbindung ohne Zahl mit der Bedeutung ›zahlreich, sehr viel‹; ferner ›Summe‹, mit Beleg aus der Lutherbibel, und zwei weitere Zitate im Sinn von lateinisch numerus zur Charakterisierung des fachsprachlichen Gebrauchs von Zahl, ferner ›Zahlzeichen‹ und ›Ziffer‹. Schließlich nennt der Artikel spezielle Bedeutungen, die sich als ›Maß für Zählbares im Alltag‹ charakte­ risieren lassen, etwa regional seine Zahl stricken.26 Der Eindruck, dass die moderne Bedeutung von Zahl im Großen und Ganzen unbeirrt auch in die Vergangenheit übertragen werden kann, wird vor allem durch den Unterabschnitt ›zählen‹ bekräftigt. Das Wort wird auf ahd. zellen zurückgeführt und mit mhd. zel(le)n sowie den (auf das Altgermanische verweisenden) Formen anord. telja und engl. tell in eine Reihe gestellt. Es folgen Ausführungen überwiegend zum modernen Wortgebrauch, von denen erst die abschließenden Erläuterungen wieder etwas zur Bewertung des Verhältnisses von zählen und erzählen beitragen:

23 Pfeifer 1995, Lemma ›Zahl‹. 24 Das von Günther Drodowski ohne eigenen Forschungsanspruch erarbeitete »Herkunftswörterbuch« aus dem Duden-Verlag schließlich entscheidet sich ebenfalls für die KerbholzTheorie und beschränkt sich darauf, ohne nennenswerte Argumentation, einige indogerma­ nische Vergleichsformen anzugeben. Duden, Herkunftswörterbuch, Lemma ›Zahl‹. 25 Seebold 1999. 26 Paul/Henne 2002, Lemma ›Zahl‹. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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»Mhd. zeln auch ›aufzählen, der Reihe nach nennen‹, erhalten in den Zusammensetzungen aufzählen, herzählen, vorzählen, weiter zu ›berichten, erzählen‹ (vgl. die mhd. Verwendung von Zahl [s. o.]), Nhd. erhalten in erzählen, abzählen, auszählen.«27

Anders als bei Kluge/Seebold trägt hier auch zeln selbst schon die erweiterte Bedeutung ›aufzählen, der Reihe nach nennen‹. Sie konnte sogar  – entsprechend der eingangs erwähnten mhd. Verwendung von Zahl – die Bedeutungen ›berichten, erzählen‹ umfassen. Der Artikel zum Lemma ›erzählen‹ relativiert diesen Ansatz gleich wieder. Allein von ›(der Reihe nach) aufzählen‹ her hätte sich die Bedeutung von erzählen über ›öffentlich hersagen und verkünden‹, dann ›(ausführlich) mündlich mitteilen, berichten‹ bis hin zu ›schriftliches Wiedergeben einer wahren oder erfundenen Geschichte‹ weiterentwickelt.28 Die Artikel in Pauls Wörterbuch liefern Indizien dafür, dass die vormodernen Bedeutungen von Zahl den modernen Verwendungsweisen immer schon entsprochen habe.29 Gleichwohl vertritt der Artikel explizit die Auffassung, dass in (nicht weiter bestimmter) mittelalterlicher Zeit von der quantitativen Bedeutung von Zahl und zählen eine diskursive Bedeutungskomponente abgespalten war, die erst später in der diskursiven Semantik von erzählen aufgegangen ist.

1.3 Grimm/Heyne: Die ›Parallelentwicklungs-Theorie‹ Der dritte zu refererierende Ansatz findet sich in Jacob und Wilhelm Grimms »Deutschem Wörterbuch«. Die Darstellung ist der Zielsetzung des Wörterbuchs entsprechend am materialreichsten und eröffnet die größte Bedeutungsvielfalt.30

27 Paul/Henne 2002, Lemma ›zählen‹ (Auflösung der Abkürzungen von mir, MW). 28 Paul/Henne 2002, Lemma ›erzählen‹. 29 Leider ergibt sich ein gewisser Mangel an innerer Kohärenz der Darstellungen: 1. Die zum Lemma ›Zahl‹ gestellten Belege sind so ausgewählt, dass sie nur die moderne Bedeutung stützen; 2.  Die Belege zu, Lemma ›erzählen‹ suggerieren eine chronologische Linie der Bedeutungsentwicklung, die durch die Datierung der zitierten Belege aber nur bedingt gestützt wird; 3. Von der Ausgangsbedeutung von erzählen wird gesagt, sie sei identisch mit derjenigen von zählen. Tatsächlich lässt Paul/Henne die Bedeutungsentwicklung bei einer Teilbedeutung – ›(der Reihe nach) aufzählen‹ – einsetzen und verschweigt an dieser Stelle die Bedeutung ›berichten‹, ›erzählen‹; 4. Die Bedeutungen von den genannten althochdeutschen Wortformen werden in den betrachteten Artikeln grundätzlich nicht aufgeführt, sodass der Eindruck ent­ stehen kann, dass die behauptete Entwicklung erst mit der mittelhochdeutschen Sprachstufe einsetzen würde. 30 Vgl. die programmatische Vorrede von Jacob Grimm zum ersten Band des Wörterbuchs (Grimm 1854). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Der etymologische Kopf des Artikels, der bereits 1906 von Moritz Heyne bearbeitet worden ist,31 beginnt mit dem Hinweis, dass sich für das Wort Zahl keine indogermanische Wurzel verlässlich rekonstruieren lässt. Insofern entfällt auch eine etymologische Bestimmung. Stattdessen wird versucht, aus dem Vergleich früherer germanischer Sprachstufen heraus einen grundlegenden Bedeutungszusammenhang zu erörtern. Zu diesem Zweck bringt das Wörterbuch eine Auflistung aller Wortformen von Zahl in den germanischen Sprachen, die dem Neuhochdeutschen vorangehen. Die vorab resümierende semantische Charakterisierung lautet wie folgt: »… begreift sich […] der übergang der wortreihe einerseits in die bedeutung der anweisung und lehre, andererseits in die der rechnenden und darlegenden berichterstattung und deren ergebnisses (sic!) ebenso wie die ausweichung des ursprünglichen begriffes zu dem des berichts im allgemeinen, der bloszen erzählung, sowie des redens und sprechens überhaupt.«32

Bei der Besprechung der Einzelbedeutungen im Deutschen geht der Artikel zunächst auf die »bedeutung des berichts« ein, bevor er sich dem »begriff der rechnerischen darlegung und durchzählung«33 und den übrigen neun Hauptverwendungen widmet. Der Artikel ›zählen‹ erläutert entsprechend: »zählen […] zunächst mit dem allgemeinen sinne einen bericht machen, berichten, von der bedeutung des darlegens, aufzählens in die des bloßen erzählens umschlagend.«34

Die Bedeutung im quantitativen Sinn gehe auf die Formverwandtschaft mit zah­ len zurück. Dazu erläutert Grimm/Heyne: »das verbum […] ist der bedeutung nach ursprünglich von der schwesterbildung zäh­ len […] streng geschieden: dieses das ältere gebilde, an den allgemeinen sinn des substantivs ahd. zala anknüpfend, daher zunächst einen bericht, eine darlegung machen, berichten, klar legen ausdrückend […]; jenes von anfang an ein jüngeres wort, das von der rechnerischen bedeutung von zala ausgeht und die beschäftigung mit der zahlenund rechenkunst bezeichnet. im laufe der begriffsentfaltung beider worte sind übergänge entstanden […]«.35

Im Zusammenhang ergibt sich also ein Modell, in dem die ältesten Formen von Zahl eine klar diskursive Bedeutung tragen. Dazu hätten sich in jüngerer Zeit 31 Obwohl der 15. Band des Grimmschen Wörterbuchs erst 1956 vollständig erscheint, sind die Lemmata ›Zahl‹, ›zählen‹ usw. noch von Moritz Heyne (kurz vor dessen Tod 1906) bearbeitet und in der ersten Lieferung vom 15. Band bereits 1913 herausgegeben worden. 32 DW, Bd. 15, Lemma ›Zahl‹. 33 DW, Bd. 15, Lemma ›Zahl‹. 34 DW, Bd. 15, Lemma ›zählen‹. 35 DW, Bd. 15, Lemma ›zählen‹. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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(aber immer noch außerhalb des dokumentierten Bereiches) Bedeutungsvarianten gestellt, die eine im weiteren Sinn quantitativ-rechnerische Bedeutung transportieren. Zu den Ausprä­gungen von Zahl hätten sich jeweils Ableitungen gebildet, wovon zählen den diskur­siven und später zahlen den quantitativ-rechnerischen Aspekt aufgenommen hätte.36 Um auch ohne Etymologie aus dieser Konstellation stark differierender Bedeutungen einen Grundbegriff zu gewinnen, entwirft der Artikel ein im weiteren Sinn (haus-)wirt­schaftliches Szenario, anhand dessen er die Stellung des Wortes Zahl in seinem ältesten nachvollziehbaren Verwendungs­zusammenhang erörtert: »gegenüber diesem gewirr so weit voneinander abstehender und doch im kerne verwandter bedeutungen darf wohl als hohe wahrscheinlichkeit hervorgehoben werden, dasz das altgermanische mutterwort ein vielgebrauchter ausdruck des häus­lichen lebens gewesen sei, im zusamenhange mit der wirthschaft in haus und feld, mit bericht und rechnungslegung über deren führung und erträgnis, verbunden mit bezüglicher anweisung zur bewirtschaftung, wie das alles auf ausgedehnten höfen dem major domus obgelegen hat. auf beziehung zur bodenwirthschaft deutet das ahd. zala, wie es in der bedeutung des landloses, des einem zugeteilthen erbgutes, bezeugt ist: […]«37

Hinsichtlich der Datierung, der vorausgesetzten Praktiken der Organisation und der Rechnungslegung »auf ausgedehnten höfen« sowie hinsichtlich der Gewichtung bestimmter Belege wie zala ›landlos, das einem zugeteilte erbgut‹ bleibt der Entwurf unpräzise. Entsprechend der methodischen Prämisse, dass die Bedeutung von Wörtern allein in ihrem unmittelbaren Bezug auf eine außersprachliche Realität gegeben sei, wird gleichwohl das Ziel des Wörterbuchs eingelöst, die Vielfalt der Bedeutungs­ausprägungen in ein anschauliches Modell zu bringen.38 Die Darstellung im Grimmschen Wörterbuch wird in schneller Folge von zwei Abhandlungen wieder aufgenommen. Die erste (Braune 1916) ergänzt die Ausführungen zur Wortgeschichte von Zahl im Übergang zum Altdeutschen, während die andere (Rosenhagen 1920) die offengebliebene etymolo­gische Frage behandelt. Braune stützt in einer wortgeschichtlichen Untersuchung »Reim und Vers«39 die These, es habe bei Zahl und zählen eine Bedeutungsentwicklung von 36 Die Angaben zum Lemma ›erzählen‹ fügen sich bruchlos ein: »ERZÄHLEN […] man unterscheide leichte, freie mittheilung im gespräch von dem bedachten, feierlichen vortrag, wiewohl beide ineinander laufen« DW, Bd. 3, Lemma ›erzählen‹. 37 DW, Bd. 15, Lemma ›Zahl‹. 38 Bei einer weit über hundert Jahre andauernden Bearbeitungszeit ist es klar, dass das Wörterbuch keinen einheitlichen sprachwissenschaftlichen Standard repräsentiert. Die wichtigsten Stufen der Entstehung und ihre jeweiligen Darstellungsmaximen erläurtert Bahr 1984. 39 Braune 1916. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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›Aussage‹/›sagen‹ zu ›Zahl‹/›zählen‹ gegeben. Die Abhandlung geht am Rande der älteren Wortgeschichte von Reim bzw. rîm auf die Abgrenzung gegenüber zala ein: »Ursprünglich scheint das Verhältnis zwischen rîm und zala so gewesen zu sein, daß rîm die Zahl an sich war, während zala die Zahl als fortlaufende Reihe bedeutete. Denn die Grundbedeutung von zellen, ags. tellan, war ›etwas der Reihe nach sagen, im Zusammenhang sagen, aufzählen‹. Daraus konnte sich einerseits dann die Bedeutung ›sagen‹ schlechthin entwickeln, wie im altn. telja und im englischen bis zum neuenglischen to tell, andererseits konnte der Begriff des geordneten, der Reihe nach sagens, des Aufzählens zum Begriff des Zählens sich ver­­en­gen, wie es auf deutschem Boden gegangen ist. Im ahd. bei O. [Otfrid, M. W.] freilich liegt noch der weite Bedeutungsumfang des Verbums vor, mit der Richtung auf ›sagen‹ hin, während das Subst. zala auch bei O. schon sich zum Zahlbegriff gewandt hat, allerdings noch mehr die ›bestimmte Zahl, Anzahl‹ gegenüber dem absoluten Zahlbegriff, der früher durch rîm vertreten wurde.«40

Unabhängig davon hatte Rosenhagen bereits ein Jahr nach Erscheinen der Ausführungen im Grimmschen Wörterbuch die dort ausgebreitete sozio-historische Annäherung mit der von dem Indogermanisten Bugge gefundenen Wortgleichung41 verklammert und den bis heute einzigen eigenständig erschienenen Artikel zur Etymologie von Zahl verfasst, der allerdings erst nach dem ersten Weltkrieg veröffentlicht wurde.42 Wie Grimm/Heyne hat er dabei die Einbindung des Wortes in den Handlungsraum der Sprecher im Auge, präzisiert aber besonders hinsichtlich der Wortprägung: »Ein urgerm. *talô konnte also regelrecht bedeuten: ›das einschneiden in holz‹, ›der einschnitt‹, ›die kerbe‹. dann war *taljan ›kerben einschneiden‹ und entsprechend das neutr. an. tal, as. tal, as. tal (sic!) ›das eingeschnittene, die kerbe‹ […]. zahl war also zunächst die einfachste form, zählungen für das auge festzuhalten.«43

Die wortgeschichtlichen Konsequenzen, die in semantischer Hinsicht durch die Verklammerung von Bugges Wortgleichung mit Grimm/Heynes Bedeutungs­ geschichte entstehen, werden leider nicht weiterverfolgt. Der Vollständigkeit halber muss an dieser Stelle auch der etymologische Ansatz von Jost Trier genannt werden, der sich als prominenter Vertreter der etymologischen Forschungsrichtung »Wörter und Sachen« in mehreren Beiträgen zur Ursprungs­bedeutung von Zahl geäußert hat.44 In seinen ideologisch wohl nicht 40 Braune 1916, S. 37, Anm. 1; vgl. jedoch die Belege aus Schützeichel 2004, Lemma ›rîm‹, die vor dem Hintergrund der Glossen-Überlieferung Braunes Lesart relativieren. 41 Bugge 1870, S. 423. 42 Rosenhagen 1920. 43 Rosenhage 1920, S. 190. 44 Zum Beitrag Triers zur etymologischen Forschung s. Herbermann 1998. Zur Etymologie von Zahl zuletzt und mit Hinweis auf seine vorausgehenden einschlägigen Veröffentlichungen Trier 1947/48, S. 10. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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unbelasteten Ausführungen zu den »Mannring-Wörtern« aus den 40er-Jahren nimmt das Wort Zahl im Rahmen einer Gruppe verwandter Wörter eine zentrale Stellung ein. Indogermanische Referenz ist auch bei Trier eine Wurzel idg. *del-. Die Motivation der hierzu geordneten Wörter und Wortformen ist aber, so weit ich sehe, nicht wieder aufgenommen worden.45

2. Zwischenbilanz Für die Wortgeschichte von Zahl ergibt der Forschungsüberblick folgende Eckdaten: (1.) Zahl ist gemeingermanisch, aber ohne indogermanische Etymologie. Allerdings lässt sich die Wortprägung von Zahl wohlmotiviert an den lateinischen Wortschatz anschließen. (2.) Zahl hat sowohl narrativ-diskursive als auch quantitativ-rechnerische Bedeutungs­ausprägungen, wobei offensichtlich die Meinungen darüber auseinandergehen, wie man die diskursiven Bedeutungsausprägungen bewerten soll. In der ›Kerbholz-Theorie‹ von Kluge/Seebold findet sie gar keine Erwähnung, bei der ›Verzweigungs-Theorie‹ von Paul spielt sie eine Rolle, wird aber unsystematisch behandelt. Bei Grimm/Heynes ›Parallelentwicklungs-Theorie‹ bietet die diskursive Semantik die ursprüngliche Bedeutung, die erst sekundär durch die numerisch-rechnerische Verwendung erweitert worden ist. (3.) Zwischen den Verben zählen und erzählen gibt es offensichtlich Zusammenhänge, die aber sehr unterschiedlich behandelt werden. Das Verhältnis zwischen den Verben wird in der ›Kerbholz-Theorie‹ sehr transparent so bestimmt, dass zählen etymologisch und morphologisch primär ist und dementsprechend erzählen zu zählen gebildet wurde. Durch die morphologische Zuordnung ist zugleich die Motivation für erzählen bestimmt. Eine zeitliche Einordnung erübrigt sich durch die Datierung der Erstbelege (beide sind seit dem 8.  Jahrhundert belegt).46 In der ›Verzweigungs-Theorie‹ bleiben die morpho­logischen 45 Zu idg. *del- und ahd. zala heißt es etwa: »In der kurzen Mitteilung über das Sprechen in ringförmiger Versammlung ist gesagt, dass ndl. taal ›Sprache‹, nhd. Zahl auf einen Mannring und über diesen auf einen Zaun weisen. Indogermanisch *del- ist die Wurzel, die dieser Zaun in sich trägt. Schon *del-, nicht erst *del-gh-/dl-egh- enthält den Zaun mit wichtigen Abkömmlichen. Da man in *delgh-/dlegh- über den Zaun bis zum Gabelholz zurückzukommen vermochte, nicht suffigiertes *del- den Zaun schon zeigt, so muss *del- ›Gabelholz‹ gewesen sein. […] Der Mannring enthüllt sich in ahd. zala ›Schar‹ > ›Zahl‹, ags. tael u. a. ›Volksstamm‹. Diese beiden und was zu ihnen gehört scharen sich zu [theudo], numerus, rîm. Die Rede im Ring liefert ndl. taal, erst ›Rede‹, dann ›Sprache‹ als Muttersprache. Die Arbeit fehlt nicht. Sie zeigt sich in abulg. delo […], serbokroat. djèlo ›Tat‹, ›Werk‹, ›Frohn‹, so kommt es zu Wörtern des Leidens, lateinisch doleo, dolor.« Abschnitt »Pflicht« in: Trier 1945, S. 137. 46 Für die Datierung der jeweiligen Erstbelege s. ChWdW8, Lemma ›zala‹. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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und semantischen Bezüge opak, weil die altdeutschen Bedeutungsentwick­lungen nicht explizit aufeinander bezogen werden und die Darstellungen auch implizit kein kohärentes Modell erkennen lassen. Grimm/Heynes ›ParallelentwicklungsTheorie‹ stellt ohnehin jedes Lemma vor allem hinsichtlich der eigenen Wort­ geschichte vor, ohne dass die Beschreibung von morphologischen oder die Motivation betreffenden Bezügen für die Darstellung konstitutiv wären. (4.) Als vermittelndes semantisches Glied zwischen zählen und erzählen wird immer wieder aufzählen bemüht. Paradigmatisch dafür ist die Darstellung in Gerhard Augsts »Wortfamilienwörterbuch der deutschen Gegenwartssprache«:47 Zählen und erzählen werden zwei getrennten Wortfamilien zugeordnet und für erzählen heißt es: »›erzählen‹ […] Das Wort ist morpholog. durchsichtig, kann aber nur ganz entfernt durch (auf)zählen motiviert werden.«48 Die Motivation könnte demnach so zu verstehen sein, dass aufzählen im Gegensatz zu zählen notwendig auf einer Benennung von konkreten Einheiten beruht. Das können Gegenstände und Gedanken sein, aber auch Ereignisse. Die sprachlich vorgegebene sequenzielle Ordnung der Nennungen würde dement­sprechend eine narrativ-chronologische Ordnung repräsentieren. Diese Motivation beruht jedoch auf der modernen Semantik von aufzählen und ist deswegen nicht unbesehen auf frühere Sprachstufen zu übertragen.49 (5.) Die Motivation ist das Bindeglied zwischen der Wortgeschichte (die von den modernen Sprachen ausgeht) und dem indogerma­nistischen Spezialwissen (das sich schwerpunktmäßig auf die Rekonstruktion der indogermanischen Ursprache bezieht). Hinsichtlich der Wortgeschichte zeigt sich, dass das Wort Zahl nicht nur selbst Objekt einer komplexen Bedeutungsentwicklung ist, sondern dass auch die Motivation der Ableitungen und deren Entwicklungen jeweils eigenständig untersucht werden müssen. Insgesamt wird deutlich, dass die Wortgeschichte von Zahl je nach Darstellungs- und Erkenntnisinteresse sehr unterschiedlich formuliert wird. Für eine Darstellung, die sowohl die Heterogenität des Materials berücksichtigt als auch ein integrierendes Entwicklungsmodell liefert, fehlt es an einem methodischen Programm. Aus dem Forschungsüberblick lassen sich jedoch grundsätzliche Forderungen ableiten, die in eine Neubewertung der Bedeutungsentwicklung von Zahl einfließen müssten. (1.) Es ist unabdingbar, die Verwendungen des Wortes Zahl grundlegend zu historisieren und in dem Zusammenhang auch die erste Motivation des Wortes neu zu bewerten. (2.) Methodisch sollte das Paradigma von semantischer Kontinuität und Differenz hinter die Frage nach der Motivation der jeweils neuen Bedeutung zurück­ 47 Augst 1998, Sp. 286 und 1640–42. 48 Augst 1998, Sp. 286. 49 Duden Herkunftswörterbuch, Lemma ›aufzählen‹. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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treten. Bei der Bedeutungsentwicklung sollten unterschiedliche Stadien voneinander abgegrenzt werden. Deren Einschätzung sollte aber nicht so weit gehen, eine vollständige Unabhängigkeit der Bedeutungsfelder voneinander anzunehmen.50 (3.) Im Fall der Wortgeschichte von Zahl sollten die Handlungszusammenhänge, in die der Gebrauch des Wortes Zahl eingebettet ist, besondere Berücksichtigung finden. Die Praktiken, die die Bedeutung von Zahl motivieren, sollten besonders hinsichtlich der medialen Repräsentation und der kulturtechnischen Instrumentalisierung dessen, was Zahl genannt wird, beobachtet werden. (4.) Aus der methodischen Akzentverschiebung ergibt sich für das vorgestellte Material ein Entwicklungsmodell, das auf dem Versuch einer grundsätzlichen Historisierung der Bedeutungsaus­prägungen beruht und die jeweiligen medialen Kontexte nach Möglichkeit einbezieht. Die medialen Kontexte und die mit ihnen verbundenen Kulturtechniken bedingen die Möglichkeiten der technischen Funktion dessen, was Zahl genannt wird, und andersherum sind von den Veränderungen der medialen Praxis und den technischen Aufgaben aus Rückkopplungen auf die Bedeutungsentwicklung zu erwarten. Es ergibt sich folgendes Bild: Das Material, das die Wörterbücher ausbreiten, lässt sich grob drei Zeitstufen zuordnen, denen im Folgenden jeweils ein Teil­ abschnitt gewidmet ist: (1.) die Etymologie und die frühen germanischen Belege für die Wortfamilie Zahl; (2.) die Bedeutungsausprägungen im Alt- und Mittelhochdeutschen (3.) die Belege im Übergang zum Neuhochdeutschen.

3. Ein alternatives Modell für die Bedeutungsentwicklung 3.1 Vulgärlateinisch taliare: »die einfachste form, zählungen für das auge festzuhalten«51 Zunächst zur Etymologie: Nach derzeitigem Stand der Forschung gibt es zu der Herkunftsbestimmung durch Kluge/Seebold in der Präzisierung durch Brøndal keine überzeugende Alternative. Dass Zahl jedoch immer schon ›Zahl‹ im modernen Sinne bedeutet habe, darf man aus kultur- bzw. medienhistorischer Perspektive allerdings in Frage stellen. Ich möchte von der Formulierung Rosenhagens ausgehen, dass das »eingeschnittene, die kerbe« die Grundlage der etymologischen Interpretation bildet, dass »zahl […] also zunächst die einfachste form« war, »zählungen für das auge festzuhalten«.52 Wenn die frühen Zahl-Kerben nicht nur die einfachste Form wa 50 Das würde etwa der Ansatz von Augst 1975 implizieren. 51 Rosenhagen 1920, S. 190. 52 Rosenhagen 1920, S. 190. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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ren, Zählungen für das Auge festzuhalten, sondern auch die erste,53 ergeben sich einige Implikationen: Erstens können diese Kerben nicht mit anderen vorausgehenden Zahl­zeichen assoziiert worden sein, insbesondere nicht mit Zahlzeichen, die Rechenoperationen ermöglichen. Denn für die früheste Zeit muss man wohl annehmen, dass es sich bei den Kerben um ikonische Mengenabbildungen handelte, die durch schrittweises Zuordnen von Kerben und Objekten erzeugt und gelesen wurden und sich noch mit keinem Begriff des Quantitativen verbunden haben. Sie tun nichts, als Objekte bzw. Mengen von Objekten ikonisch, in der einleitend entwickelten Terminologie: operal, abzubilden. Damit geben sie Anlass, das Wort für ›Kerbe‹ als ein Wort für die Repräsentation von Mengen zu benutzen. Mit dieser ersten semantischen Verschiebung verbindet sich jedoch zunächst in keiner Weise ein abstraktes Konzept von ›Anzahl‹ und ebensowenig die Vorstellung, dass die Mengenzeichen numerisch definit (operativ) seien oder komplexeren (operationalen) Berechnungen zugrunde gelegt werden könnten.54 Die zweite Implikation ist, dass es in diesem Stadium auch keine vorausgehende, die Lautsprache abbildende, Schrift gegeben haben dürfte.55 Anders als etwa die lateinische Alphabetschrift, in der verbale Ausdrücke phonetisch abgebildet werden können, verlangen die Kerben in der Rezeption eine Wiederver­ gegenwärtigung der Umstände, in denen sie gesetzt worden waren, und der Bestimmung dessen, worauf sie sich beziehen. In diesem Sinne waren die KerbZeichen die ersten Zeichen, mit denen Aussagen über die Welt verstetigt wurden: Ihre Leistung ist es, nicht nur Zählungen, sondern überhaupt verbale Ausdrücke »für das Auge festzuhalten«. Wenn es darum ging, im Zugriff der Visualisierung Aussagen aus der gesprochenen Sprache in ein anderes Medium zu übertragen, waren die Kerben die erste mediale Repräsentation von Sprache überhaupt. Damit geben die Kerben auch Anlass, ein Wort für medial abgebildete bzw. manifest gemachte sprachliche Äußerungen zu prägen. Das bedeutet, dass das Wort germ. *tala/ô möglicherweise nicht nur ›Zahl‹ bzw. ›Anzahl‹ gemeint hat, sondern auch etwa ›manifeste Rede‹ oder ›Mitteilung‹/›Mitzu­teilendes‹ in einem allgemeineren Sinn. Diese Hypothese wird durch zwei Beobachtungen gestützt. Erstens durch die Verwendung der Wortformen von Zahl in den frühen germanischen Dialekten,56 zweitens durch einen Blick auf die Geschichte der Zahlwörter. Hinsichtlich, erstens, der Wortformen von Zahl in den frühen germanischen Dialekten überwiegt eine diskursive, mit ›Rede‹ assoziierte Bedeutung, z. B. alt 53 Vgl. Schmandt-Besserat 1994. 54 Die ältesten überlieferten Kerbungen legen nahe, dass mit ihrer Hilfe die Mondzyklen notiert wurden. Vgl. Marshack 1991. 55 Vgl. Schmandt-Besserat 1994. 56 Die folgenden Angaben nach DW, Bd. 15, Lemma ›Zahl‹. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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nordisch tala ›reden‹, ›sprechen‹, ›etwas besprechen‹ oder angelsächsisch talu ›Herzählung, Erzählung, Rede‹ und talian ›herzählen, als Meinung äußern, sagen, reden‹.57 Zwar kann ein großer Teil der belegten Wortformen auch für beide Bedeutungs­ausprägungen stehen, d. h. sowohl im diskursiven wie im numerischen Sinne verwendet werden. Meistens gibt es jedoch eine Tendenz zur diskursiven Bedeutung: so im Angel­sächsischen tellan ›erklären‹, ›äußern‹, ›meinen‹, ›rechnen‹, ›zählen‹, im Altsächsischen tellian ›achten‹, ›schätzen‹, ›herzählen‹, ›aufzählen‹ oder im Altnordischen tal n.: ›Bericht‹, ›Herzählung‹, ›Aufrechnung‹, ›Register‹, ›in den Sinn der Unterhaltung verlaufend‹ und telja: ›sprechen‹, ›erklären‹, ›zählen‹, ›aufzählen‹.58 Eindeutige Verwendungen im quantitativen Sinne kommen nur selten vor. Eine ausgeprägte einschlägige Tendenz zeigt altsächsisch tala f.: ›Aufgezähltes‹, ›Summe‹ und talôn ›zählen‹, ›berechnen‹, ›überlegen‹, ebenso angelsächsisch tæl n.: ›Aufzählung‹, ›Zahlenreihe‹, ferner mittelniederdeutsch tal m./f. ›Zahl‹, ›Anzahl‹, ›Aufzählung‹ und tellen ›rechnen‹, ›zählen‹, ›hinzählen‹. Erst in den neuen Sprachen gibt es eindeutige Zuordnungen auch in der quantifizierenden Bedeutungsvariante: nhd. Zahl und niederländisch getal: ›Zahl‹.59 Die These, dass das ursprüngliche Wort für Zahl auch ›Rede‹ bedeutet haben kann, wird zweitens durch einen Blick auf die frühen indoeuropäischen Zahlwörter gestützt. Der Forschung entnehme ich zwei Beobachtungen, eine zum Abstraktions- bzw. Konkretionsgrad der Zahlwörter (a), eine andere zur Genese der Zahlwortreihe (b). (a)  Die erste Beobachtung ist, dass Zahlwörter nicht schon immer gegenstandsklassen-abstrakte Ausdrücke sind. Es gibt Hinweise darauf, dass die frühen Zahlbegriffe visuelle Gestalteindrücke formuliert haben.60 In diesem Sinne sind Zahlworte ursprünglich Ausdrücke, die Kardinalität als Eigenschaft des Auftretens von bestimmten Gegenständen benennen.61 Sie bestimmen in erster Linie den zu benennenden Gegenstand und erst in zweiter Linie die Anzahl, in der er auftritt. Reste einer solchen Mengenauffassung finden sich heute 57 Vgl. auch im Altfriesischen tale/tele: ›Bericht‹, ›Rede‹, namentlich ›gerichtliche Klage‹ und ›Verteidigung‹, und talia/tella ›berichten‹, ›sprechen‹, ››erzählen‹‹; im Mittelniederdeutschen tale f.: ›Darlegung‹, ›Sprache‹, ›Rede‹, und im Mittelniederländischen tale ›Erzählung‹, ›Rede‹, ›Sprache‹ und talen ›reden‹. 58 Vgl. auch mittelniederdeutsch tellen ›zählen‹, ›erzählen‹. In diese Gruppe gehören auch die althochdeutschen Belege, die im Detail später besprochen werden: ahd. zala f.: »mit den divergierenden Bedeutungen der Ordnung, geordneten Darstellung«, ›Bericht‹, ›Aufzählung‹, ›Reihe‹, ›Summe‹, ahd. zalôn ›berichten‹, ›rechnen‹, ›zählen‹ und ahd. zellen ›herzählen‹, ›verkünden‹, ›berichten‹, ›rechnen‹, ›zählen‹, (›durchforschen‹). 59 Vgl. aber neuenglisch tale und tell mit den Bedeutungen ›Erzählung‹ und ›erzählen‹, ›­sagen‹ und niederländisch taal ›Sprache‹, ›Rede‹. 60 Vgl. Cassirer 1953 auf der Basis der sprachwissenschaftlichen Forschung seiner Zeit. 61 Die Beobachtungen, die Cassirer 1953 benutzt, sind überwiegend aus außereuropäischen Sprachen zusammengetragen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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in den Kollektivbegriffen wie Zwilling (das Auftreten einer bestimmten Zweiheit von Menschen) oder Drell/Drillich (eine bestimmte zu einem Tuch gewebte Dreiheit von Fäden) und, wenn auch etwas aus der Mode gekommen, in gegenstandsklassen-gebundenen Mengeneinheiten, die vorgeben, dass Eier in Man­ deln (15 Stück), Stiegen (20 Stück) oder Schock (60 Stück) gehandelt werden, aber nicht im Zug (100 Stück) wie Fische oder nach Lagen wie Wolle.62 Weitere Belege aus dem indogermanischen Sprachraum behandelt Nehring in seinem Beitrag über »Zahlwort und Zahlbegriff im Indogermanischen«.63 Unabdingbar ist jedoch die Berücksichtung der expliziten Reflexion auf die species numerorum seit der Spätantike (von Priscian bis Rabanus Maurus), in denen eigene Zahlen etwa für den Grad der Mehrjährigkeit (anniculus uel annuus, biennis, triennis, quadri­ ennis bzw. bimus, trimus, quadrimus), den Grad der Mehrfüßigkeit (bipes, tripes, quadrupes, decempes), der Köpfigkeit (biceps, triceps, quadriceps, centiceps), der Örtlichkeit bzw. des Erscheinens (bifariam, trifariam, quadrifariam), der Mehrleibigkeit (bicorpor, tricorpor) und Mehrsprachigkeit (bilinguis, trilinguis) oder dem Grad der Spaltung unterschieden werden.64 Kurz, die vormodernen Zahlworte sind nicht nur allgemein Ausdrücke wie andere gewesen, sondern sind insbesondere mit der Vorstellung von Referentialität verbunden gewesen. (b) Der zweite Hinweis betrifft die Ausbildung der Zahlwortreihe, die Voraussetzung ist, um gegenstandsabstrakt und ohne gestisch-indexikalische Unterstützung zählen zu können. Aus der grammatischen Konstitution der vormodernen Zahlwörter kann man ableiten, dass die Zahlwortreihe nicht immer schon in stetiger Sequenz die Zahlenwerte von [1] bis unendlich umfasst hat. In sehr früher Zeit reichte die indogermanische Zahlwortreihe gerade von [1] bis [4]. Später erst wurde ein Ausdruck für [5] gebildet, dann für [10], [20], die weiteren Dekaden, für [100] und [1000]. Erst nachdem diese Wörter gebildet und etabliert waren, hat man begonnen, die Zahlenreihe von den jeweiligen Schwellenwerten her rückwärtig und aufsteigend ›aufzufüllen‹.65 Die modernen Zahlwortreihen sind das Ergebnis eines komplexen Prozesses von formalen wie lexikalischen Entlehnungen und Analogiebildungen, der sich in der Schwierigkeit der grammatischen Klassifikation der Zahlwörter widerspiegelt.66 Für die Bedeutung von Zahl spielt gerade die frühe Entwicklung eine Rolle. Die ältesten sequentiell geordneten Zahl­wörter sind auf Namen für die einzelnen Finger zurückführbar. Auch die 62 Beispiele zit. nach Nehring 1929, S. 272, 276. 63 Nehring 1929. Für eine weiterführende systematische Aufarbeitung von Belegen aus der deutschen Sprachgeschichte seit der Frühen Neuzeit s. Schuppener 2002, bes. S. 135–193 (Kap. V: Die Zahlmaßbegriffe). 64 Zit. nach Hrabanus, De Compvto, 3. Vgl. darüberhinaus die einschlägigen Erörterung im Forschungsüberblick (Kap. I.2.4). 65 Beispiele bei Nehring 1929, S. 273–276. 66 Vgl. Schmid 1987 und Wiese 1997 sowie die einschlägigen Passagen im Forschungsüberblick dieser Arbeit (Kap. I.2.4). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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hinzukommenden Zahlwörter für Schwellenwerte usw. waren zunächst Namen für jeweils eine bestimmte Kardinalität. Wenn Zahl eine Bezeichnung für diese Benennungen ist, zeigt sich auch in dieser Perspektive, dass die Semantik von Zahl elementar mit der Vorstellung von Referentialität verknüpft ist.67 In der Auswertung ergibt sich Folgendes: Wenn es sich bei den Kerben um die erste Notation von Kardinalität handelte, so war die quantitative Wahrnehmung noch nicht an einen operativen, geschweige denn an einen operationalen Zahlbegriff gebunden. Entsprechend sind Zahlworte deswegen wahrscheinlich als gewöhnliche verbale Ausdrücke wahrgenommen worden. Zwischen Zahl-Wörter und Zahl-Kerben war noch keine Operationalisierung gerückt (anders als heute die Numeralia und die arabischen Ziffern unterschiedlichen Systemzusammenhängen – der verbalsprachlichen Grammatik einer­seits, dem numerischen Stellenwertsysten andererseits  – zuzuordnen sind).68 Daraus ergibt sich, dass die Vorgänge des ›Zählens‹ und des ›Erzählens‹ strukturell unmittelbar aufeinander bezogen werden konnten. Dass die Zahl-Kerben schließlich als Erinnerungszeichen eine erste mediale Repräsentation von sprachlichen Äußerungen darstellten, ermöglicht eine Identifikation des Wortes für Zahl-Wörter mit einem Wort für ›manifeste Rede‹/›Mitteilung‹ überhaupt. Aus der Konstitution der frühen Zahlwörter erfahren wir nicht zuletzt, dass auch die einzelnen Zahlen, sei es in mengenanzeigender Funktion, sei es als Glieder der Zahlwortreihe, an das Konzept von Referentialität gekoppelt waren. Mit Bezug auf die mediale Basis und die technische Funktion heißt das: Die Zahl-Kerben sind zu Anfang sequentiell angebrachte ikonische Abbildungen von Objekten, denen sie 1 : 1 zugeordnet sind. Die operale ikonische Repräsenta­ tion eröffnet dann das folgende Rezeptionsangebot. Sie macht zwei Eigenschaften manifest, die immer an den Zahl-Begriff gebunden sind, nämlich Sequenti­ alität und Kardinalität. Beide können auf die lautsprachliche Praxis des Zählens und der Zahl bezogen werden. Die Sequentialität der ikonischen Zeichen entspricht der Sequentialität der Zahlwortreihe; die Anzahl der Kerben kann durch ein Zahlwort angegeben werden, dessen Rang in der Zahlwortfolge aussagt, wie viele Elemente die angesprochene Kardinalität enthält. Wo dass der Fall ist, wird die operale Konzeption der Zählung bereits durch eine operative Konzeption der Zählung abgelöst. Die ikonische (operale) Mengenabbildung wird ersetzt durch eine numerische definite (operative) Kardinalität. Wenn die Kerben Zählungen abbilden, die auch durch sprachliche Ausdrücke repräsentiert werden, unterstützt das zugleich die These, nach der dem Wort (das 67 Zum jüngsten Forschungsstand vgl. die umfassende Studie Wiese 2003, die in phylo­ genetischer und ontogenetischer Perspektive ausführlich die bekannten frühgeschichtlichen kardinalen, ordinalen und nominalen Konzepte vorstellt und ihren Übergang in ein systematisches Zahlkonzept entwickelt. 68 Wiese o. J. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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zunächst ikonische Zeichen für pränumerische Kardinalitäten benennt), auch eine reflexive Bedeutung im Sinne von ›manifester Rede‹ zukommt. Für eine Erklärung der Bedeutungsgeschichte von Zahl ist das Verständnis dieser Konstellation grundlegend. Die Ikonizität der Zahl-Notation begründet einen semiotischen Spielraum, in dem alle nachfolgenden Bedeutungsaus­ prägungen von Zahl, zählen und erzählen situiert sind. Insbesondere muss man annehmen, dass sich semantische Überlagerungen ergeben, z. B. nach dem Muster ›manifeste Rede + Sequentialität‹, womit eine Bedeutung ›sequentiell gegliederte Rede‹ zustande kommen könnte usw. Das nachstehende Strukturschema illustriert die mit der Etymologie verknüpften Bedeutungsausprägungen von Zahl: Kerben

ikonische Repräsentation von Kardinalität

lesbar als ikonische Notation für

lesbar als ikonische Notation für

lesbar als Kodierung lautsprachlicher Ausdrücke in einem visuellen Medium

steht für: lautsprachlicher Ausdruck für ›Menge, Anzahl‹

steht für: lautsprachliche Ausdrücke der Zahlwortfolge

steht für: ›manifester lautsprachlicher Ausdruck, Rede‹

Kardinalität

Verbindung von

Sequenzialität

Verbindung von

Reflexion sprachlicher Akte

Verbindung von

Kardinalität und Sequentialität

Kardinalität und Reflexivität

Sequentialität und Reflexivität

Prägung eines Audrucks für ›Anzahl, Zahlenfolge‹ usw.

Prägung eines Audrucks für ›Zahlwort‹ / ›Ausdruck, Äußerung‹ usw.

Prägung eines Ausdrucks für ›gegliederte Rede, Reihe von Nennungen‹ usw.

Abb. 1: Strukturschema zur Etymologie von Zahl und zur Genese des semantischen Spektrums.

Aus der Analyse ergeben sich die folgenden Abgrenzungen gegenüber den im Forschungsüberblick aufgeführten Interpretationen: Das Verhältnis von Zahl-Kerben und Zahl-Wörtern kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden. Einerseits ist der Gebrauch der Kerbholz-Notationen auch ohne den Einsatz von Zahlwörtern denkbar. Andererseits gehören die Zahlwörter zum ältesten indogermanischen Wortbestand, während die Notation von abstrakten Mengenangaben bereits Verwendungszusammenhänge einer gewissen Komplexität voraussetzt (sei es in kultischen Zusammenhängen, sei es in Tausch© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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oder Handelsbeziehungen).69 Es spricht einiges dafür, die Entscheidung über eine mögliche Reihenfolge oder den Primat von Kerben oder Wörtern offenzulassen. Die Aufmerksamkeit sollte vielmehr auf die Frage gerichtet sein, welche Rezeptionsangebote die Kerbholz-Notationen bieten und welches semantische Spek­ trum sich daraus ergibt. Hinsichtlich des semantischen Primats von ›aufzählen‹ läuft meine Analyse darauf hinaus, dass in den frühen germanischen Sprachstufen (die dadurch charakterisiert sind, dass die operativen Möglichkeiten der Schrift und des schriftlichen Rechnens noch nicht ausgeprägt waren) zählen, erzählen, aufzählen und sogar rechnen konzeptuell gar nicht unterschieden werden konnten – und auch nicht unterschieden zu werden brauchten. Deswegen ergibt sich noch für die Ursprungsbedeutung von germ. *tala/ô weder ein klarer Vorrang der numerischen noch der narrativen Bedeutung. Die Differenz hat sich, so die aus der etymologischen Diskussion abzuleitende These, dann erst als Effekt der Ausdifferenzierung symbolischer Repräsentation entwickelt.

3.2 Althochdeutsch zala: Operationale Verfahren schieben sich zwischen zählen und erzählen Die althochdeutsche Überlieferung ist, was Zahl und zählen betrifft, sehr heterogen. Eine erste Sichtung der Wörterbücher und der in ihnen zitierten Texte zeigt, dass grundsätzlich der gesamte Bedeutungsspielraum von Zahl und seinen Ab­ leitungen repräsentiert wird. Was es zu beobachten gibt, ist einerseits eine semantische Konkretisierung gegenüber den etymologischen Projektionen und zweitens eine forschungsgeschichtlich interessante Variation in der Darstellung dieser Konkretisierung durch die Wörterbücher. Trotzdem gibt es strukturelle Veränderungen. Der »Althochdeutsche Sprachschatz« von Eberhard Gottlieb Graff70 führt zur allgemeinen Bedeutung numerus aus: ›multitudo, summa, calculus, calculatio, series, supputatio, suggestio, ratio, oratio, sententia, assertio, textus‹

Diese Breite wird grundsätzlich in den Wörterbüchern von Rudolf Schützeichel, Jochen Splett und John C. Wells aufgenommen. Sie nennen für zala:71 69 Vgl. für die Frühgeschichte das einschlägige Kapitel in Butterworth 1999; für die spätere sozial- und handelsgeschichtliche Einbindung der Kerbhölzer gibt eine Übersicht Kuchenbuch 1999. Vgl. Teil IV der vorliegenden Studie. 70 Graff 1834–46, Fünfter Teil, Lemma ›zala‹. 71 Die Bedeutungsangaben im »Althochdeutschen Wörterbuch« von Oskar Schade gleichen bei unterschiedlichen Belegangaben denen im »Althochdeutschen Sprachschatz« von Graff (Graff 1834–46). Das »Wörterbuch des althochdeutschen Sprachschatzes« von Gerhard Köbler (Köbler 1993) soll, wie das Wörterbuch von Jochen Splett (Splett 1993), den althoch© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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– Schützeichel:72 ›Zahl, Anzahl, Reihe; Menge; Erzählung, Rede, Aussage, Satz‹ – Splett:73 ›(An)zahl, Aufzählung, Reihe(nfolge), Berechnung; Anteil, Menge, Gesamtheit; Erzählung, Rede, Aussage, Behauptung, Satz, Definition; Grund; Meinung, Überzeugung‹ – Wells:74 ›summa, supputatio (chiliada); Menge, Berechnung, Zahl‹ Der zuerst angegebene Bedeutungskomplex entspricht stets dem quantitativen bzw. rechnerischen Assoziationsbereich, der der modernen Intuition entgegen­ kommt. Die darüber hinausgehenden Bedeutungen im diskursiven oder assertiven Sinn werden mindestens nachgeordnet. Dabei entsteht der Eindruck, dass sich hier eine am modernen semantischen Konzept von »Zahl« gebildete Vorstellung lexikographisch niederschlägt. Besonders deutlich wird das bei dem Glossenwörterbuch von Wells. Wenn er die Bedeutungsangabe wie oben angegeben beschränkt, handelt es sich schlicht um eine Unterschlagung. Denn ein Blick in die von ihm zugrundegelegte Edition der Glossen zeigt auf Anhieb diverse Belege mit zala für textus, suggestio oder assertio.75 Im übrigen sind die Aussagen der kleinen Wörterbücher schwer zu verifizieren, weil sie keine Frequenzangaben bieten, die zuverlässig auf eine Textsorte oder etwa den ganzen überlieferten Wortschatz hochgerechnet werden könnten. Schon die Vielfalt der nicht auf numerus bezogenen Bedeutungsangaben bei Splett lässt jedoch darauf schließen, dass es sich bei der diskursiven Bedeutung von zala durchaus nicht um eine Randerscheinung handelt. Das wird nun mit dem von Schützeichel herausgegebenen großen Wörterbuch zum althochdeutschen und altsächsischen Glossenwortschatz in aller Deutlichkeit bestätigt.76 Hier ist kein Überwiegen einer quantitativen gegenüber einer diskursiven Bedeutung festzustellen. Im Gegenteil: Für ahd. zala und seine Ableitungen ist ein breites und semantisch kontinuierliches Bedeutungsspektrum vom ›Rechnen‹ bis zum ›Mitteilen‹ belegt.77 Auch die beiden bisher erschienenen Bände des »Chronologischen Wörterbuchs des Deutschen Wortschatzes« zum 8. und zum 9. Jahrhundert deuten nicht auf eine ein eindeutiges Primat der quantitativen Bedeutung von zala und zel(l)en hin.78 Für deutschen Wortschatz umfassend darstellen, begnügt sich aber mit neuhochdeutschen Übersetzungsangaben und lateinischen Übersetzungsgleichungen, während bei Splett die Wortschatzsstruktur detailliert herausgearbeitet wird. Schade 1872–82, Zweiter Teil, Lemma ›zala‹; Köbler 1993, Lemma ›zala‹; Splett 1993, Lemma ›zala‹. 72 Schützeichel 1989, Lemma ›zala‹. 73 Splett 1993, Lemma ›zala‹. 74 Wells 1990, Lemma ›zala‹. 75 Vgl. bspw. die althochdeutschen Glossen (Steinmeyer/Sievers), 2. Bd.: Glossen zu nicht­ biblischen Schriften: suggestionem ›zala‹, S. 119, Z. 27; textus ›zala‹, S. 212, Z. 13, assertio ›zala‹, S. 233, Z. 66. 76 Schützeichel 2004. 77 Schützeichel 2004, Bd. 11, S. 321–323, 351–355. 78 ChWdW8, Lemma ›zala‹; ChWdW9, Lemma ›zala‹. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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eine umfassende Aufklärung wird man auf die in Arbeit befindlichen großen Wörterbücher des Althochdeutschen warten müssen.79 Dennoch ist festzuhalten, dass sich in den jüngeren Wörterbüchern eine zunehmende Lösung von den modernistischen Projektionen abzeichnet, die die früheren lexikographischen Darstellungen zu ›Zahl‹ großenteils geprägt haben. Nichtsdestoweniger ist es auffällig, dass das Spektrum der Wortverwendung bis in die äußerste Polarisierung ausgebaut ist. So übersetzt einerseits Notker in den Kategorien des Aristoteles dort zala für ratio, wo die moderne Ausgabe ›Ausdruck‹ übersetzt:80 Ratio uero substantie diuersa. secundum nomen heißt bei N ­ otker: Unde aber ungelih zala ist . uuaz sîe sîn . demo namen uolgendo . an demo sîe genammen sint. Andererseits wird offensichtlich zwanglos calculus mit zala glossiert.81 Warum? In den meisten Fällen, in denen zala verwendet wird, handelt es sich um Übersetzungstexte.82 Das Lateinische konfrontiert die Übersetzer mit begrifflichen Strukturen, die im Althochdeutschen nicht ohne weiteres sprachlich vorgeprägt waren.83 Man kann sich vorstellen, dass zala als Übersetzung von lateinisch ra­ tio ›Ausdruck‹ durchaus infrage kam, obwohl ratio sicherlich auf ein komplexeres begriffliches Gerüst bezogen war als zala. Mit der rechnerischen Bedeutung verhält es sich ähnlich. Das Lateinische transportiert mit Ausdrücken wie numerus, supputatio, calculus, computatio usw. einen technisch geprägten (operativ-operationalen) Zahlbegriff, der an das herge­brachte Konzept von Zahl wohl anschließbar gewesen ist, obwohl er die damit verbundene operal-operative Praxis überboten haben dürfte.84 In diesem Zusammenhang wird deutlich, was es heißt, dass Zahl auf seman­ tischer Ebene nicht nur für die Angabe von Kardinalitäten zuständig ist (sei es im Sinne von pränumerischen Kardinalitäten, sei es im Sinne von numerisch definiten Anzahlen), sondern auch für die Prozesse, die zu einer bestimmten Zahl führen. Die operal-opera­tive Sequentialität der Reihenbildung wird um die Ope­ rationalität des Rechnens erwei­tert. Die Bedeutung von Zahl wird auf den Rechenprozess und auf das Ergebnis einer Rechnung ausgedehnt. Entsprechend ist bei Splett für die Lemmata ›zellen‹ und ›irzellen‹ vermerkt: ›zellen […]‹: ›(auf)zählen, nach-, (be-)rechnen; zu-, zuzählen, zuschreiben; zuteilen, bestimmen; erzählen, berichten, verkünden; bekennen; halten für, meinen; durchfor 79 Insbesondere geht es um das große Althochdeutsche Wörterbuch (AWB), zum Programm desselben Große 1980, und um das Etymologische Wörterbuch des Althochdeutschen (Lloyd/Lühr 1988 ff.). 80 Notker Labeo (Piper), Bd. 1, S. 367, Liber Primus 1, Abschnitt: Quid sint aequivoca. 81 Vgl. die Angaben in Sehrt 1962, Lemma ›zala‹. 82 Vgl. ChWdW8, Lemma ›zala‹. 83 Grundlegend Betz 1949. S. zuletzt den Überblick Riehl 2009. 84 Vgl. die entsprechenden Abschnitt im Forschungsüberblick dieser Arbeit (I.3) und die Belege bei Schützeichel 2004. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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schen; rechnen (mit); (aus)sagen, zur Kenntnis bringen, vorbringen; reden, sprechen (von)‹85

irzellen dagegen ist für die semantische Einbeziehung der Operationalität offensichtlich nicht in Dienst genommen worden, sodass die Semantik auf den referentiellen und operal-operativen Bereich beschränkt blieb: ›irzellen […]‹: ›(auf)zählen; er-, beschreiben, berichten; überdenken, erwägen, er­ messen; mustern‹86

Die Veränderung ist zunächst nicht dominant und wird in den Bedeutungsspielraum von zala und zellen integriert. Wenn aber die numerische Bedeutung von zellen nicht mehr an die Sequentialität gebunden ist, heißt das trotzdem, dass das konzeptuelle Verhältnis von zellen und irzellen inkohärent wird. Medial und rechentechnisch kommt es zu folgender Veränderung: Durch den lateinisch-germanischen Kulturkontakt wird das Althochdeutsche mit vergleichsweise komplexen Rechnungen, nicht zuletzt mit dem Rechnen auf Linien kon­ frontiert. Die Prozessierung von Zahlen geht dabei von der ›Kerbholztechnik‹ zu den Techniken des Rechenbretts bzw. Abakus’ über, die mit den römischen Zahlzeichen assoziiert sind und ggf. zum Fingerrechnen (calculus ­digitalis) über.87 Für den Wortschatz bedeutet das: Die Semantik von Zahl wird entsprechend um den operationalen Aspekt der Prozessierung von Zahlen erweitert. Die ikonisch verbürgte Strukturähnlichkeit von zählen und erzählen wird durch die Operationalisierung der Zahlen gesprengt. Damit wird zugleich die semantische Integrität und Kohärenz des ahd. Ausdrucks zala erheblich strapaziert.88 Warum ist es dennoch nicht zu einer lexikalischen Ausdifferenzierung gekommen? Darf man vermuten, dass es sich nur um jeweils punktuelle, an Schriftlichkeit gebundene Wortverwendungen handelt, deren Konflikt mit der generellen Verwendung nicht einen Ausgleich im Wortschatz verlangte? Gibt es womöglich andere Argumente dafür, dass die semiotisch nachweisbare konzeptuelle Differenz lexikalisch nicht abgebildet wurde? Auf diese Fragen antworten die beiden

85 Splett 1993, Lemma ›zala‹. 86 Splett 1993, Lemma ›zala‹. 87 Vgl. die umfangreichen Materialsammlungen bei Menninger 1979 und Ifrah 1981. 88 Warum es ausgerechnet das zala war, das in den Übersetzungskontexten herangezogen wurde, und nicht rîm oder ruoba, die auch zur Verfügung standen (vgl. Splett 1993), lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Nach Braune 1916, S. 37 liegt aber die Annahme nahe, dass der sequentielle Bedeutungsaspekt von zala im Gegensatz zu den anderen Worten für ›Zahl‹ explizit eine Verbindung zur Prozessierung von Zahlen zugelassen hat. Die Belege bei Schützeichel 2004, Lemma ›rîm‹ scheinen Braunes Einschätzung zu relativieren. Auch in diesem Fall müsste eine auf den Ergebnissen der großen Wörterbücher des Althochdeutschen (AWB; Lloyd/Lühr 1988 ff.) unter Einbeziehung der chronologischen Entwicklung des Wortschatzes aufbauende Folgeuntersuchung eine Klärung erzielen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Hauptkapitel des Darstellungsteils, die sich dem Problem anhand der breiteren hoch- und spätmittelalterlichen Überlieferung sowohl von der semantischen als auch von der notationalen Seite nähern.

3.3 Frühneuzeitliche Zyffer tzale:89 Eine mathematische Metasprache besetzt den Zahlbegriff Für das Verständnis des Gesamtzusammenhangs ist dann besonders die Entwicklung im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit wichtig. Die lexikographische Situation des Frühneuhochdeutschen ist noch bei weitem nicht so komfortabel wie die des Althochdeutschen mit seiner sehr viel spärlicheren Überlieferung. Deswegen nenne ich im Folgenden nur einige Hinweise: Zunächst sind einige neue Wortbildungen zu konstatieren, vor allem im mathematischen und im kaufmännischen Bereich: Dazu gehören Ausdrücke wie z. B. czeler90 als ›oberer Teil einer Bruchzahl‹ und gantze zal91 als das Gegenstück einer Bruchzahl, ferner anzal,92 anfangs zur Bezeichnung eines Teils einer Menge, wo zal »den gesamten inbegrif einer geringen oder groszen menge«93 bezeichnet. Daneben entstehen Bildungen wie zallung94 mit diversen Ableitungen (Zahlungs­ frist, Zahlungstermin, Zahltag usw.95). Die kaufmännischen Ausdrücke mit Zahlung werden offensichtlich dadurch möglich, dass das ältere Verb zahlen die Bedeutung ›mit Geld eine Schuld tilgen‹ annimmt96 und in dieser Bedeutung Basis für eine Reihe von Ableitungen wird. In diesem Zusammenhang wird auch bezahlen, das noch im Mittelhochdeutschen in der Form mhd. bezaln neben dem üblicheren Ausdruck mhd. gel­ ten steht, seit frühneuhochdeutscher Zeit dominant für monetarisierte Akte des Entgeltens verwendet.97 Ziffernzahl (Zyffer tzale) und die auf Bruchzahlrechnung bezogenen Bildungen beruhen offensichtlich darauf, dass das Wort Zahl immer stärker mit Symbolzeichen in Verbindung gebracht wird, mit denen man rechnet. 89 Terminus aus Koebel, Ain New geordnet Rechen biechlin (glin), zit. nach Schirmer 1912, Lemma ›Ziffer‹. 90 Geometria Culmensis (Mendthal), um 1400, zit. nach Schirmer 1912, Lemma ›Zähler‹. 91 Wagner, Das Bamberger Rechenbuch (Schröder), zit. nach Schirmer 1912, Lemma ›­Ganzes, ganze Zahl‹. 92 Scherz/Oberlin 1781–84, Lemma ›anzal‹, mit zwei Belegen von 1427 und 1439. 93 DW, Bd. 1, Lemma ›Anzahl‹. 94 Beleg von 1483 nachgewiesen bei Schirmer 1912b, Lemma ›zahlen‹. 95 Schirmer 1912b, Lemma ›zahlen‹. 96 Schirmer 1912b, Lemma ›zahlen‹. 97 So der Eindruck nach dem Lemma ›bezahlen‹ in der Erstauflage des DW, Bd.  1, mit BMZ, Lemma ›bezal‹ und FWB, Lemma ›bezahlen‹, Bd.  3, Sp.  2299–2303. Das neue Mittelhochdeutsche Wörterbuch (MWB), Bd. 1, Lemma ›bezaln‹ verweist auf eine dominant monetäre Verwendung von bezaln schon mit Mittelhochdeutschen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Anzahl ist in diesem Zusammenhang als ein Ausdruck sinnvoll, der ›Zahl‹ meint, aber insbesondere den Aspekt der Kardinalität hervorhebt. Dabei entsteht der Eindruck, dass die kaufmännischen Ausdrücke an die mathematische Semantik anschließen und sie zugleich popularisieren. Der Handel, und mehr noch der beginnende bargeldlose Finanzverkehr, basierten darauf, dass operationale Verfahren zur Verfügung standen, mit denen man komplexe Kalküle effizient durchführen und zugleich nachvollziehbar dokumentieren konnte.98 Im Kontext der politischen, sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Neuordnung in der Frühen Neuzeit gab es daran einen erheblichen Bedarf.99 Für den Einzelnen geht es um einiges. In dem ersten gedruckten Rechenbuch in deutscher Sprache, Johannes Widmanns »Behende vnd hubsche Rechenung« von 1489, heißt es: […] Ich dir sagen wil von der zal geordiniret auff kaufmanschafft · vnd dich grundtlich vnd in rechter art vnderweysen wie du kaufschlagk vnbetrogen handeln solt vnd in aller­ ley war sicherlich verfuren nymant durch dein vnwyssenheyt zubetrigen sunder. dich fur falscher boeßer menschen listikeyt behender vbersaczung zu bewaren · vnd gemeinen nucz da durch alß weyt du kanst recht vorsten vnd vorfechten.100

Bei der Durchsetzung von arithmetischem und wirtschaftlichem Denken und Handeln werden Vermittlungsleistungen nötig.101 Die neuen und an Komplexität ständig wachsenden operationalen Techniken des schriftlichen Rechnens verlangen eine anschlussfähige, einheitliche und tragfähige Metasprache. Ein einvernehmlicher Sprachgebrauch war nicht nur für den mathematischen Diskurs der Fachleute erforderlich, sondern auch besonders für die vulgärsprachliche Vermittlung des mathematischen Wissens. Dabei konnte man die im Althochdeutschen eingeleitete semantische Prägung von zala im Sinne von numerus aufgreifen. Die gemeinsam mit der Rechenkunst verbreitete metasprachliche Kodierung hat Folgen: Zahl und zählen erfahren semantische Verengungen, die darauf hin 98 Den Prozess der Durchsetzung solcher Techniken beschreibt in einer Fallstudie Arlinghaus 2000, eine theoretische Perspektive formuliert Krämer 2003. 99 So Benoît 1994. 100 Widmann, Behende vnd hubsche Rechenung (Gärtner), S. 404. 101 Dass es offiziell natürlich vor allem – noch immer – um die Erhaltung des göttlichen ­Planes von der Welt ging, wird in dem unausweichlichen Rückbezug auf Salomo 11, 23 omnia in mensura et numero et pondere disposuisti deutlich. Klassisch, wie in Ulrich Wagners Rechenbuch von 1483: in dem puch der weyßheit .11. schreibt Salomon. Got hat alle ding geschaffen. In gewicht. In zal. vnd in maße. Seindtmal das in allen dingen die zal ist not zewissen. […] (Wagner, Das Bamberger Rechenbuch (Schröder), Kap. 1) oder weltlicher bei Widmann: Und zum ersten wil ich dich lernen kaufmanschafft vorfuhren in der zal Darnach in gewicht zum driten in moß vnd der itlicheß wil ich dir weyßen durch Regel Stick vnd geselschaftt Und zu dem ersten soltu wissen daz kauffmanschaft in der zal nicht anderß ist dann kauff und vorkauff nach der zal der ding ader der guter die in gewicht vnnd mosz nicht gehandelt werdenn. (Widmann, Behende vnd ­hubsche Rechenung (Gärtner), S. 404). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Zusammenfassung

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auslaufen, dass sowohl die diskursiv-assertive Semantik als auch die operative Bedeutung schwinden. Dem Wort Zahl kommt darüber hinaus die sequentielle Bedeutung abhanden. Es bleibt die Verwendung von Zahl für die Adressierung von Kardinalität, die durch die Bedeutung ›Ziffer‹ ausgleichend erweitert wird. Das Wort zählen behält seine sequentielle Semantik, aber diese wird zunehmend auf die Zuordnung von Zahlenwerten bezogen. Die Schwierigkeiten der Popularisierung des arabischen Ziffernsystems bleiben noch bis ins 16. Jahrhundert greifbar. Der Stadtschreiber, Mathematiker und Wirt Jakob Köbel etwa lehrt in seinem Rechenbuch von 1514 doch noch das Rechnen auf Linien,102 und zwar mit der Begründung: Die weil diß Rechenbüchlein dem Gemainen Layen z gt und nütz (dem die Zyffer tzale / am Erstenn z lernen schwere)  durch die gemain Teütsch zale / z Trucken für­ genōmen […]103

während er die tzale / die mit sunderlichen figurenn (die der gemein man Zyfer nendt)104 geschrieben werden, erst seinem zweiten Rechenbuch zugrunde legt.105 Als ein Beleg der vollzogenen Verschiebung kann, cum grano salis, die Notwendigkeit einer Diskussion gelten, die im Zusammenhang mit der Begründung einer deutschen Grammatik überliefert ist. Hier geht es darum, wenn auch zunächst im fachsprachlichen Kontext, einen Ausdruck zu finden, der Zahl sagt, aber ausdrücklich den sprachlichen Ausdruck meint.106 Nach den Vorschlägen von Queintz (Zahlnennwort, Numerale, 1641), Schottel (Die Zahlen, oder Zahl­ wörter, 1641), Titz (Das Zehlwort, 1642), Wolffstirn (Die zahl Wörter, 1649) und Buno (numeralia oder Zahlnomina, 1651) bleibt es schließlich bei Zahlwort: ein Wort für Zahl, das ausdrücklich deren verbalen Charakter denotiert.

4. Zusammenfassung Es ergibt sich folgendes Erklärungsmodell: Die etymologische Rekonstruktion des Wortes Zahl führt zu den Vorstellung der Kerbe im Kerbholz. Im ikonischoperalen Kerbholzgebrauch sind die Vorgänge des Zählens und Erzählens strukturanalog und müssen, ja können semantisch nicht differenziert werden. Die Semantik wurde zu einem nicht bestimmbaren Zeitpunkt dann so ver­ ändert, dass mit der entsprechenden vorgeschichtlichen Stufe des Wortes Zahl

102 Koebel, Ain New geordnet Rechen biechlin (glin). 103 Koebel, Ain New geordnet Rechen biechlin (glin), A 3b, Z. 8–11. 104 Koebel, Ain New geordnet Rechen biechlin (glin), A 4b, Z. 11 f. 105 Koebel, Mit der Krydē od Schreibfedern (ohne Drucker). 106 Die folgenden Angaben nach Leser 1914, S. 45 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Wortgeschichte im kulturtechnischen Horizont

auch numerische definite (operative)  Anzahlen bzw. Kardinalitäten bezeichnet wurden. Im Kontakt mit der schriftlateinischen Tradition, möglicherweise erst im Althoch­deutschen, wurde das semantische Schema wiederum verändert. Denn zu den operal-operativen Zählakten, die die Vorstufe des Wortes Zahl repräsentierte, traten auch operationale Verfahren hinzu. Das bedeutete ein Aufbrechen der strukturellen und semantischen Kohärenz des Ausdrucks. In diesem Sinne erfährt der Wortgebrauch von ahd. zala und zellen eine partielle semantische Ausdifferenzierung. Anstelle von einer stabilen Polysemie würde ich jedoch  – mit Blick auf die lexikographische Situation und auf die praxeologische Sachlage – von einem semantischen Kontinuum sprechen. Erst im kulturtechnischen Umfeld der Frühen Neuzeit wurde die notationale und praxeologische Differenz dominant und lexikalisch relevant. Die wirtschaftlichen Bedingungen förderten und verlangten eine allgemeinere Kenntnis und Praxis des operationalen Rechnens. Die Ausdifferenzierung der arithmetischen Techniken spiegelt sich in der metasprachlichen Kodierung des mathematischen Wortschatzes und im Besonderen in der Bedeutungsverengung von Zahl im Sinn der Ziffer. Die diskursive Bedeutungsausprägung schwindet. Durch die Verbreitung der operationalen Kulturtechniken wird die zunächst fachsprachliche Veränderung prägend für die Verwendung des Wortes Zahl überhaupt. Dass zählen sich jetzt exklusiv auf Zahlen bezieht, hat den Effekt, dass der diskursive Bedeutungsaspekt mit einer gewissen Verzögerung durch erzählen ab­ gedeckt wurde. Die Hauptbedeutung von erzählen ist bis ins 17. Jahrhundert ›der reihe nach, punkt für punkt aufführen, nennen‹.107 Zugleich aber entfaltet er­ zählen einen von zählen unabhängigen Bedeutungsspielraum. Die Sequentialität, zunächst Eigenschaft der durch germ. *tala/ô denotierten Kerbenreihe, wird zunehmend auf die Linearität der (tatsächlichen oder literarisch inszenierten) lautsprachlichen Performanz bezogen, welche die ›erzählten‹ Inhalte gestaltet.

107 DW (NB), Bd. 8, Lemma ›erzählen‹. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Semantisches Kontinuum bedeutet nicht einfach Mehrdeutigkeit des Worts, sondern einen prinzipiell rekonstruierbaren, motivierbaren Zusammenhang zwischen seinen einzelnen Bedeutungen. Wortgeschichte nicht als Darstellung einander ablösender oder summativ anwachsender Einzelbedeutungen, sondern eines aus einem ›semiotischen Prozess‹ hervorgehenden seman­ tischen Kontinuums ist bisher wohl kaum einmal versucht worden. Karlheinz Stierle1

III. erzählen – zählen – zusprechen. Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

Die Bedeutungsvariation des althochdeutschen Wortes zala, die seit den Anfängen der Überlieferung sowohl ›Zahl‹ auf der einen Seite als auch ›Mitteilung, Bericht‹ auf der anderen Seite umfasst, ist auch im 12.  und 13.  Jahrhundert voll ausgeprägt. So bevorzugt, wie stellvertretend in den beiden folgenden Belegen, Wolfram von Eschenbach die quantitative Verwendung, Gottfried von Straßburg die diskursive: 2   3  4  5 (B1)

juncfrouwen nu niht langer sint: ordenlîch si kômen über al, fünf unt zweinzig an der zal. (Wolfram von Eschenbach, Parzival 808, 28–30)2

(B2)

sich huop von sînen dingen und von sîner vuoge rede und zal genuoge. si jâhen al gelîche, sine vernaemen in dem rîche an einem man die vuoge nie. (Gottfried von Strasburg, Tristan, 3634–3639)4



Junge Damen lassen nun nicht länger auf sich warten: In allem so, wie es die Regel verlangte, kamen sie, fünfundzwanzig an der Zahl.3 Es entspannen sich darüber und über seine Kunst viele Gespräche und Unterhaltungen. Sie alle sagten, sie hätten im ganzen Reiche noch nie gehört solche Kunstfertigkeit von einem Manne.5

1 Stierle 1978, S. 167. 2 Wolfram von Eschenbach, Parzival (Lachmann/Knecht). 3 Übersetzung von Peter Knecht Wolfram von Eschenbach, Parzival (Lachmann/Knecht). 4 Gottfried von Straßburg, Tristan (Ranke/Krohn). 5 Übersetzung von Rüdiger Krohn in Gottfried von Straßburg, Tristan (Ranke/Krohn). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

Im Zusammenhang des wortgeschichtlichen Überblicks im vorigen ­Kapitel war die Frage offen geblieben, in welchem Verhältnis die divergierenden Bedeutungs­ausprägungen im Mittelhochdeutschen zueinander stehen. Die mittelhochdeutsche Überlieferung ist im Vergleich zur althochdeutschen wesentlich dichter und auch in Bezug auf die Textsorten breiter gefächert. Vor allem gibt es eine breite Überlieferung volkssprachlicher Texte, die nicht Übersetzungstexte sind. Dabei handelt es sich um Schriften, die die Lebenswelt der illiteraten Bevölkerung adressieren (Gebrauchsschrifttum)6 oder die semiorale Kultur der höfischen Selbstinszenierung reflektieren (höfische Dichtung)7. Vor diesem Hintergrund kann die Frage nach der semantischen Ausprägung der Worte zal und zeln differenzierter gestellt werden. 1. In welchem Verhältnis stehen die semantischen Ausprägungen zueinander? Inwieweit kann von einer semantischen Kohärenz zwischen den Bedeutungsausprägungen ausgegangen werden, und inwieweit zeichnet sich in der Wortverwendung eine semantische Polyvalenz der Wörter mhd. zal und zeln ab? 2. Wenn die Wörter mhd. zal und zeln grundsätzlich polysem sind: Gibt es text­ sortenspezifische bzw. funktiolektale Verwendungen, die nur eine bestimmte Bedeutung repräsentieren? 3. Inwieweit kann und muss die strukturell diagnostizierte Polysemie im Sinn eines semiotischen Kontinuums aufgefasst werden? Es gibt in der linguistischen und philologischen Forschung bislang keine Antwort auf diese Fragen. Wenn man von einer Forschungsdiskussion sprechen kann, ist sie in den lexikographischen Hilfsmitteln dokumentiert. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bieten dementsprechend die einschlägigen Lemmata im »Mittelhochdeutschen Wörterbuch« von Georg Friedrich Benecke, Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke (im Folgenden auch »Benecke/Müller/Zarncke« oder kurz BMZ)8 und im »Mittelhochdeutschen Handwörterbuch« von Matthias Lexer (im Folgenden auch »Lexer«).9 Als Kontrollkorpora greife ich auf das »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« und das Korpus, das der Bearbeitung des »Wörterbuchs der Mittelhochdeutschen Urkundensprache« zugrunde­liegt, zurück.10 Methodisch gehe ich wie folgt vor: In einem ersten Schritt werden die expliziten und impliziten Interpretationsentscheidungen der Lexikographen heraus 6 Zur Kategorie der »pragmatischen Literatur« vgl. die konstituierenden Sammelpublikationen Keller/Grubmüller/Staubach 1992; Keller/Meier/Scharff 1999; Keller/Meier/Honemann/ Suntrup 2002 und resümierend in systematischem Zugriff Moos 1997. 7 Vgl. den Forschungsdiskurs, der durch die Publikationen Wenzel 1995, Althoff 1997 und Witthöft 2004 charakterisiert ist. 8 Benecke/Müller/Zarncke 1990, Erstausgabe 1854–1866. 9 Lexer 1992, Erstausgabe 1872–1878. 10 Zu den Korpora S. u. Kap. III.2. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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gearbeitet. Im zweiten Schritt werden unter Einbeziehung der Kontrollkorpora die Belege einer grund­sätzlichen Relektüre unterzogen. Dabei werden die inhaltlichen Kontexte und syn­taktischen Verbindungen der Wortverwendung geordnet und analysiert. Abschließend schlage ich eine Neubewertung der semantischen und pragmatischen Disposition der mittelhochdeutschen Wörter zal und zeln vor. Die mittelhochdeutschen Textstellen haben den Status von Belegen für die Verwendung des jeweiligen Wortes in ihrem Verwendungskontext. Sie sind jedoch (im Sinne der theoretischen Vorüberlegungen) keine Belege für semantisch definierte Verwendungen. Die Belegstellen in den großen Wörterbüchern (BMZ und »Lexer«) sind älteren, z. T. überholten Ausgaben entnommen und zudem häufig, besonders im »Lexer« frei zitiert. Die Belegstellen werden grundsätzlich nach den Wörterbüchern zitiert und ggf. mit den Übersetzungsgleichungen der jeweiligen Bearbeiter versehen. Liegen Abweichungen zum Text der jeweiligen Ausgabe vor, wird in den Anmerkungen sowohl der Referenztext der Wörterbuchmacher als auch, sofern vorhanden, eine aktuelle Ausgabe zitiert. Bei den Belegen aus den Kontrollkorpora werden zunächst die Archivbelege aufgeführt und nicht die jeweiligen Ausgaben. Beide, sowohl das »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« als auch das Korpus zum »Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache«, setzen sich im Sinne der sprachgeschichtlichen Authentizität betont von den normalisierten Textausgaben ab. Um ein besseres Verständnis der Zitate und ihre literarische Einordnung zu gewährleisten, werden die entsprechenden Stellen in den Anmerkungen mit dem näheren Kontext auch nach einer aktuellen Ausgabe zitiert. Der Übersichtlichkeit halber werden mhd. zal und zeln etc. fett gedruckt; wo die Ausdrücke in Verbindungen mit Präpositionen oder Verben auftreten, werden diese in den Fettdruck einbezogen.11 Vorausgeschickt werden muss ferner, dass eine quantitative Auswertung der Häufigkeiten, in denen die Bedeutungsausprägungen auftreten, bei dem derzeitigen Stand der korpuslinguistischen Aufbereitung des mittelhochdeutschen Wortschatzes nicht möglich ist.12 Entsprechend der Fragen, die sich aus dem etymologisch-wortgeschicht­lichen Teil ergeben, kann es im Sinne von Karlheinz Stierle zunächst nur darum gehen, die Übergänge zwischen den Bedeutungen herauszuarbeiten, zu erklären und mit einer gewissen Vorsicht Akzente der Wortverwendung zu konstatieren.13 Dementsprechend haben die hier aufgeführten Belege (B1 bis B97) stellvertretenden Charakter. Die Übersetzungen, die zu den mittelalterlichen Textstellen angegeben werden, sind im Sinne Alain Guerreaus 11 Zum Status der Präpositionen und Präpositionalphrasen im Mittelhochdeutschen s. Waldenberger 2009. 12 Zur Leistungsfähigkeit der Korpora S. u. Kap. III.2. 13 S. den entsprechenden Abschnitt in Kapitel I.2.3.1; vgl. Stierle 1978. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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grundsätzlich als Annäherungen zu verstehen.14 Das gilt auch für die syntak­tische Einbettung des Wortgebrauchs. Die Übersetzungen können nur dazu dienen, die Differenzen zum heutigen Sprachgebrauch aufzuzeigen, nicht aber den mittelhochdeutschen Wortgebrauch im Neuhochdeutschen adäquat zu reproduzieren. Selbst wenn eine Übersetzungsgleichung einmal genau zu passen scheint, bezieht sie sich dennoch auf ein anderes semantisches und ggf. auf ein abweichendes syntaktisches Schema. Das gilt auch für die Übersetzungsgleichungen, die den Klassiker-Übersetzungen oder den Lexika entnommen sind (und die entsprechend ausgewiesen werden). Bei den Übersetzungen wird deswegen im Folgenden weitgehend auf syntaktische Markierungen verzichtet (durchgehende Kleinschreibung bis auf Eigennamen, reduzierte Interpunktion). Die neuhochdeutschen Wörter, die zal und zeln gegenübergestellt werden, sind in eckige Klammern gesetzt, um zu markieren, dass es sich gerade nicht um eineindeutige Übersetzungen handelt.

1. Was heißt zal im Mittelhochdeutschen? Polarität vs. Kontinuität der Bedeutungsvariation 1.1 Das »Mittelhochdeutsche Wörterbuch« von G. F. Benecke, W. Müller und F. Zarncke 1.1.1 Zur Architektur des »Mittelhochdeutschen Wörterbuchs« Das Wörterbuch wurde von Wilhelm Müller und Friedrich Zarncke auf der Grundlage des Nachlasses von Georg Friedrich Benecke in den Jahren 1854 bis 1866 ausgearbeitet. Es basiert beinahe ausschließlich auf Texten aus der höfischen Klassik: »die ganze anlage des werkes trug«, so Zarncke im Vorwort des von ihm bearbeiteten zweiten Bandes, »[…] noch den stempel jener zeit, wo man ein halb dutzend mhd. schriftsteller für die allein berechtigten und ausreichenden repräsentanten der mittel­hochdeutschen sprache und litteratur ansah.«15 Trotz des hohen Alters und der programmatisch beschränkten Textbasis ist das Wörterbuch noch nicht ersetzt. Seine Qualität verdankt sich wesentlich dem Vorzug, dass die Lemmata mit umfangreichen Quellenbelegen versehen sind. Zusätzlich sieht die Architektur des Wörterbuchs vor, dass alle Wortansätze um ihre jeweiligen Stammwörter gruppiert sind, wie es Benecke in einem programmatischen Aufsatz von 1841 eingefordert hatte.16 Diese Ordnung ermöglicht es, den 14 S. den entsprechenden Abschnitt in Kapitel I.2.3.2; vgl. Guerreau 2001, S. 191–237. 15 Zarncke 1990, S. iv. 16 Es handelt sich um die Programmschrift »Über ein mittelhochdeutsches Wörterbuch«, die 1841 im Eröffnungsband der von Moritz Haupt herausgegebenen »Zeitschrift für deutsches Alterthum« publiziert wurde. Darin formuliert Benecke: »bestimmt gestaltete stämme allein lassen sich in einem mittelhochdeutschen wörterbuche alphabetisch ordnen, und so ordnen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zal im Mittelhochdeutschen?

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Bedeutungs­spielraum von Ausdrücken in ihren unterschiedlichen morphologischen Verbindungen abzubilden. In Kauf genommen wird dafür, dass der Benutzer die zugrundeliegende Stammform zu einem beliebigen Wort bereits kennen oder rekonstruieren können muss, was Jacob Grimm schon nach Erscheinen der ersten Lieferung unmissverständlich kritisiert hat.17 Unwidersprochen bleibt jedoch, dass diese Struktur eine wichtige Hilfe bei der Erörterung von Bedeutungsentwicklungen und bei der semantischen Einordnung von Einzelbelegen ist. Zudem wird die morphologisch-grammatische Struktur der Lemmafolge im einzelnen Artikel selbst jeweils fortgesetzt: Die Anordnung der Belege erfolgt nach Kasus, syntaktischen Konstruktionen, Phraseologismen usw. Erst auf der jeweils untersten Stufe der Systematik sind die Belege dann chronologisch sortiert.18 Wo die Artikelstruktur nicht in dieser Tiefe durchgearbeitet ist, hängt das in der Regel damit zusammen, dass nur eine geringe Anzahl von Belegstellen aufgeführt ist oder dass die semantische Differenzierung mit der syntaktisch-morpholo­ gischen Gliederung nicht einhergeht. 1.1.2 Das Lemma zal im »Benecke/Müller/Zarncke« Auch bei dem Lemma zal wird auf eine Binnengliederung verzichtet. Der Eintrag, verfasst von Wilhelm Müller, ist lediglich in zwei Abschnitte unterteilt, die die Verwendung von zal ein eine numerische und eine diskursive Bedeutung differenzieren. Die Artikelteile 1. »Zahl« und 2. »Rede« suggerieren, dass die beiden Bedeutungsausprägungen als Polysemie parallel und unabhängig voneinander bestehen. Die einfache Untergliederung ist ungewöhnlich, weil besonders die 18 Belege des ersten Teils semantisch untereinander so stark variieren, dass Müller ansatzweise doch eine innere Struktur anlegt. Auf einen einleitenden Beleg aus dem Parzival folgen zunächst sechs Belege zur Verbindung âne zal (vgl. hier B3-B6); dass für unterrichtende beantwortung der anfragen, die an das buch gethan werden so wie für aufnahme von besserungen und nachträgen auf gleich bequeme weise gesorgt werden kann und nur selten die nothwendigkeit einer verweisung eintritt. […] Jedem stamme müssen die ableitungen u. S. w. so wie zusammensetzungen untergeordnet werden.« Benecke 1841, hier S. 40. 17 »Verderblicher den zwecken und absichten des wörterbuchs entgegen wirkt aber keine unter allen ordnungen, als die nach wurzeln, denen unmittelbar das abgeleitete und zusammengesetzte wort angeschlossen zu werden pflegt; […] ein solch willkommnes, verdienstvolles werk wie Beneckes mittelhochdeutsches Wörterbuch kann in dieser hinsicht verfehlt heiszen: sein urheber hielt es mit der würde unserer sprache für unvereinbar anders zu verfahren, durch vorschieben sei es der wahren oder vermeintlichen wurzel rückt er den ausdruck, welchem nachgefragt wird, aus des aufschlagenden auge.« Grimm 1854, Sp. XIf. 18 Den Artikelaufbau erörtert Wilhelm Müller im Anschluss an die Ausführungen in Beneckes Programmschrift von 1841 in der Einleitung zum ersten Band des Wörterbuchs (BMZ, S. III–XIV, hier X–XII). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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schließlich folgen weitere neun Belege, in denen mit zal auf Kardinalitäten referiert wird,19 teilweise in Verbverbindungen, die gesondert erläutert werden (vgl. B7, B8). In den letzten beiden Belegen wird mit zal nicht die Kardinalität angesprochen, sondern in metonymischer Verschiebung die ›Zahl‹ im Sinne von ›Gruppe‹ oder ›Schar‹ (vgl. B9). Ich nenne zur Anschauung die Beispiele, für die Müller selbst eine Übersetzung angibt. 20   21  22  23  24 21 B3)

die rotte wâren âne zal (Wolfram v. Eschenbach, Parzival 340, 16)20

(B4)

daʒ ich bin âne zal (Herbort von Fritzlar, Liet von Troye 5414)22

(B5)

wol bî hundert pfunden gab er âne zal (Nibelungenlied 485, 1)23

(B6)

sî ist mir iemer lieber dan mîn selbes lîp, sî ist lieb âne zal (Reinmar von Brennenberg 185,1)24

nicht zu [zählen]*

die [zahl] nicht zu bestimmen weiß*

[ungezählt]* [unermesslich]*

Die von Müller angegebenen Verwendungen von zal in Verbverbindungen heben auf den Vorgang des Zählens ab. 25

(B7)

an der zal ahten (Wirnt von Grafenberg, Wigalois 10441)25

[zählen]*

19 Zum Begriff der Kardinalität s. o. den Unterabschnitt zu den species numerorum in Kap. I.1.2.1 und die Kap. I.1.2.4 zur sprachlichen Instanziierung der Zahlen. 20 Müller zitiert Wolfram von Eschenbach, Parzival (Lachmann); gleichlautend die aktuelle Ausgabe Wolfram von Eschenbach, Parzival (Lachmann/Knecht). 21 Mit * markierte Übersetzungen sind von Wilhelm Müller. 22 Müller zitiert orthographisch leicht variierend Herbort von Fritzlar, Liet von Troye (Fromman), V. 5414: daʒ ich bin ane zal. 23 Müller zitiert orthographisch leicht variierend Nibelungenlied (Lachmann), Str. 485,1: wol bî hundert phunden  gab er âne zal. Vgl. die aktuelle Ausgabe Das Nibelungenlied (Bartsch/de Boor), Str. 516,1: wol bî hundert pfunden  gab er âne zal. 24 Müller zitiert leicht variierend die Sammlung von Minnesingern (Bodmer/Breitinger), hier Bd. 1, S. 185a, Z. 23 f.: Si iſt mir iemer lieber danne min ſelbes lip / Si ist lieb ane zal das ſpriche ich offenbar. In der Ausgabe Reinmar von Brennenberg (Kraus), Lied IV, Str. 4, V. 10 f. sind die Verse gleichlautend mit dem Beleg in BMZ. 25 Müller zitiert Wirnt von Gravenberch, Wigalois (Benecke), hier V. 10441: an der zal ge­ ahtet wart. Der Text der aktuellen Ausgabe Wirnt von Gravenberg, Wigalois (Kapteyn/Seelbach), lautet im Zusammenhang V. 10438–10441: Dô diu hervart was bereit, / als uns diu âven­ tiure seit, und iegelîch rîter zuo der vart / an der zal geahtet wart. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zal im Mittelhochdeutschen?

(B8)

wer möht nu haben in der zal iuwer veichheit überal (Buch der Rügen 1119)26

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könnte [zählen]*

26

Neben weiteren Belegen zu den Formulierung an der zal (3 von 18) und bî der zal (1 von 18), die in der Tat Kardinalitäten angeben, folgen noch ein einzelner Beleg der Präposition in (in des jâres zal) und dann die beiden Belege in der Bedeutung ›Gruppe‹, ›Schar‹. So die Formulierung im Iwein Hartmanns von Aue: 27

(B9)

einer der ist ûz der zal (Hartmann von Aue, Iwein 120)27

[ausgenommen]*

Die Homogenität der Bedeutung, die durch die einfache Artikelgliederung suggeriert wird, ist demnach zumindest für den ersten Artikelteil nicht zu bestätigen. Für die Argumentation des Artikels ist ferner interessant, dass die Anordnung der Teile nahelegt, dass ›Zahl‹ die Hauptbedeutung ist, während der Verwendung im Sinne von ›Rede‹ eine Nebenrolle zufällt. Eine einzige Irritation lässt Müller zu, wo er angibt, dass der letzte Beleg zu 2. ›Rede‹ auch in den Artikelteil 1. ›Zahl‹ eingeordnet werden könnte: 28

(B10)

funfzec was ir über al die drîzec lâze ich âne zal (Wirnt von Grafenberg, Wigalois 4107)28

übergehe ich mit [stillschweigen] (hierher oder zu 1)*

Die auf den ersten Blick saubere Trennung der Bedeutungen ist offenkundig doch unscharf. Im Folgenden soll die Unschärfe analysiert und erklärt werden.

26 Müller zitiert leicht variierend Buch der Rügen (Karajan), V. 1119 f.: wer möht nû ­haben in der zal / iuwer veicheit über al?. 27 Müller zitiert leicht variierend Hartmann von Aue, Iwein (Benecke/Lachmann) nach Seiten­zahlen der Erstauflage von 1827, S. 120, V. 3116: Wan einen: der ist ûz der zal. In der aktuellen Ausgabe Hartmann von Aue, Iwein (Krohn/Schnyder) lautet die Stelle im Zusammenhang V. 3111–3118: Künech Artûs, mich hât gesant / mîn frouwe her in iuwer lant: / und daz ge­ bôt si mir, / daz ich iuch gruozte von ir, / und iuwer gesellen über al; / wan einen: der ist ûz der zal: / der sol iu sîn unmære / als ein verrâtære. 28 Müller zitiert Wirnt von Gravenberch, Wigalois (Benecke), V. 4107: Drizech laze ich ane zal. Der Text der aktuellen Ausgabe Wirnt von Gravenberg, Wigalois (Kapteyn/Seelbach) lautet im Zusammenhang V. 4101–4112: ôwî, herre got, waz / er dâ schœner vrouwen vant! / die hêten sich in rîch gewant / gekleit manger slahte, / iegelîche nâch ir ahte. / vünfzic was ir über al; / die drîzic lâze ich âne zal / sô daz ich si niht prîse, / wan si niht in der wîse / gelîch den zweinzig wâ­ ren / an geburt noch an gebâren, / an schœne noch an rîcheit. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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1.1.3 Kritik Die eingängige Differenzierung der Artikelstruktur wird von den angeführten Belegen nur bedingt gestützt. Sie ist durch eine Inkohärenz erkauft, die nur durch den Verzicht auf eine weiterführende grammatische Binnengliederung des Artikels verborgen wird. Gliedert man das Material (wie sonst im »Benecke/Müller/ Zarncke« üblich) nach syntaktischen Kriterien und Wortverbindungen, ergibt sich die folgende Gliederung: Typ I: zal in Subjektposition 29   30  31  32 (B11)

diu zale von im ist manecfalt (Gottfried von Straßburg, Tristan 6514)29

(B12)

als uns der âventiure zal urkünde dâ von gît (Hartmann von Aue, Erec 7835 f.)31

viele [erzählungen] berichten über ihn30

wie uns die [quelle] bezeugt32

Typ II: zal in Objektposition 33

(B13) ir verbarend aliuwer hôchvartige zal (Konrad von Würzburg, Der Trojaner-Krieg S. 167)33 (B14)

lânt von im iur snœde zal, vrô Pallas unt vrô June, kein rede noch kein rûne, diu man im ze leide tuot,

(wenn) ihr euch eurer hochmütigen [rede] nicht enthaltet lasst von ihm eure üble [nachrede], Frau Pallas und Frau Juno, keine [erzählung] und kein [gerücht], die man ihm antut,

29 Müller zitiert leicht variierend Gottfried von Strassburg, Tristan (von der Hagen), V.  1512–1514: so dikke als er ʒem beſten / an rehter manheit ist geʒalt, / diu ʒale von im ist manikvalt. Vgl. die aktuelle Ausgabe Gottfried von Straßburg Tristan (Ranke/Krohn), V. 6508– 6510: sô dicke als er zem besten / an rehter manheit ist gezalt. / diu zal von ime ist ­manicvalt. 30 Übersetzung von Rüdiger Krohn in der Ausgabe Gottfried von Straßburg, Tristan (Ranke/Krohn), V. 6508–6510. 31 Müller zitiert Hartmann von Aue, Erec (Haupt). In der aktuellen Ausgabe Hartmann von Aue, Erec (Scholz/Held) lautet die Stelle V. 7834–7837: vil guot was daz burcstal: / als uns der âventiure zal / urkünde dâ von gît, / sô was ez zwelf huoben wît. 32 Übersetzung von Susanne Held in der modernen Ausgabe Hartmann von Aue, Erec (Scholz/Held), V. 7834–7837. 33 Müller zitiert Konrad von Würzburg, Der Trojanische Krieg (Myller) nach Seitenzahlen. In der neueren Ausgabe Konrad von Würzburg, Der Trojanische Krieg (Keller) lautet die Stelle im Kontext V. 26696–26703: ›ir reden übel sunder nôt,‹ / sprach er zuo Dîomêde. / ›ob ir niht boten bêde / und zwêne künege wærent, / ir mitent und verbærent / al iuwer hôchvertige zal. / man solte in werder künige sal / niht als ungezogen sîn / […]. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zal im Mittelhochdeutschen?

mac gescheiden mînen muot von im […] (Konrad von Würzburg, Der Trojaner-Krieg S. 22)34

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kann meine gesinnung von ihm abwenden

34

Typ III: zal in der Prädikatsgruppe 35   36  37  38 (B15)

Hie sol der zal ein ende sîn Von den götinnen über all: Wer möchte ir namen bî der zal ze rechenunge bringen? (Konrad von Würzburg, Der Trojaner-Krieg S. 8)35

(B16)

die rotte wâren ane zal (Wolfram von Eschenbach, Parzival 340, 16)36

(B17)

an der zal ahten (Wirnt von Grafenberg, Wigalois 10441)37

(B18)

einer ist ûz der zal (Hartmann von Aue, Iwein 120)38

hier soll der [aufzählung] ein ende sein von all den göttinnen. Wer möchte ihre namen der [zahl] nach begreifen?

[nicht zu zählen]*

[zählen]

einer ist [ausgenommen]

Der Ausdruck zal ist in Subjekt- und in Objektposition klar diskursiv zu verstehen, unabhängig davon, ob er die Position alleine ausfüllt oder attribuiert wird. Eine auf Kardinalität bezogene Semantik zeigen die Belege nur, wenn zal im prädikativen Zusammenhang gebraucht wird. In manchen Fällen gibt es eine metonymische Erweiterung in der Bedeutung ›Gruppe/Gemeinschaft‹. Wichtig ist, 34 Müller zitiert Konrad von Würzburg, Der Trojanische Krieg (Myller) nach Seitenzahlen. Der Text der neueren Ausgabe Konrad von Würzburg, Der Trojanische Krieg (Keller), V. 3166– 3171 lautet: lânt von im iuwer snoede zal, / vrô Pallas und vrô Jûne! / kein rede, noch kein rûne, / die man im ze leide tuot, / mac gescheiden mînen muot / von ime, die wîle daz ich lebe. 35 Müller zitiert die Seite in Konrad von Würzburg, Der Trojanische Krieg (Myller). Der Text der neueren Ausgabe Konrad von Würzburg, Der Trojanische Krieg (Keller) lautet V. 1084–1089: hie sol der zal ein ende sîn / von den götinnen über al. / wer möhte ir namen bî der zal / ze rechenunge bringen, / die zuo dem hove dringen / begunden unde kêren!. 36 Müller zitiert Wolfram von Eschenbach, Parzival (Lachmann). Der Text der aktuellen Ausgabe Wolfram von Eschenbach, Parzival (Lachmann/Knecht) lautet im Kontext: 340, ­14–17: do erbeizter zer erden, / reht als er habete einen stal. / die rotte wâren âne zal, / die dâ mit compânîe riten. 37 Müller zitiert Wirnt von Gravenberch, Wigalois (Benecke), V. 10441: an der zal geahtet wart. Der Text der aktuellen Ausgabe Wirnt von Gravenberg, Wigalois (Kapteyn/Seelbach) lautet im Zusammenhang V. 10438–10441: Dô diu hervart was bereit, / als uns diu âventiure seit, und iegelîch rîter zuo der vart / an der zal geahtet wart. 38 Angaben zu Beleg und Kontext wie (B9). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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dass die prädikative Verwendung von zal strikt daran gebunden ist, zal an Prä­ positionen bzw. Abverbialpräpositionen zu koppeln: Der Ausdruck zal hat – nach den Belegen des »Benecke/Müller/Zarncke«  – eine numerische Bedeutung genau dann, wenn er in Verbindungen auftritt wie: âne zal, an der zal, bî der zal, ûz der zal usw. Dieser Befund legt im Gegensatz zur Anordnung der Artikelteile die Hypothese nahe, dass für das Mittelhochdeutsche die diskursive Bedeutung von zal die primäre ist. Die kardinale Bedeutung wäre die abgeleitete, weil sie nur im Zusammenhang mit (Adverbial-)Präpositionen belegt ist. Davon unberührt bleibt jedoch die weiterführende Frage nach dem Verhältnis der semantischen Ausprägungen zueinander: Der Artikelaufbau vertritt implizit die Hypothese, dass die Bedeutungen von zal, nämlich ›Zahl‹ und ›Rede‹, in einem polarisierten Verhältnis zueinander stehen, das kaum Zwischenstufen zulässt. Inwieweit ist dieser Hypothese zuzustimmen?

1.2 Das »Mittelhochdeutsche Handwörterbuch« von Matthias Lexer Die Frage nach dem Verhältnis der kardinalen zur diskursiven Wortverwendung kann auf der Grundlage des »Benecke/Müller/Zarncke« allein nicht entschieden werden. Damit ist man zunächst auf das zweite autorisierte Hilfsmittel in Fragen mittelhoch­deutscher Lexikographie verwiesen, auf das »Mittelhochdeutsche Handwörterbuch« von Matthias Lexer.39 1.2.1 Zur Architektur des »Mittelhochdeutschen Handwörterbuchs« Das Wörterbuch von Lexer ist von Beginn an in dichtem Bezug auf das Wörterbuch von Benecke, Müller und Zarncke erarbeitet worden. Lexer legt im Vorwort selbst dar, dass 1867 »von dem herrn verleger« die Idee einer »ausarbeitung eines mittelhochdeutschen handwörterbuchs« ausging, »das zugleich ein alphabetischer index und ein supplement zum grossen mittelhochdeutschen wörterbuche von Benecke-Müller-Zarncke sein sollte.«40 Die Aufgabe war nicht ohne Widersprüche zu bewältigen: Die Forderung, das Wörterbuch solle einerseits an Umfang und Komplexität hinter dem »Benecke/Müller/Zarncke« zurückbleiben (»Handwörterbuch«), ihn andererseits aber laufend ergänzen (»Supplement«), hat trotz streng alphabetischer Ordnung (»Index«) zu Unregelmäßigkeiten geführt. Obwohl es, wie Lexer im Vorwort zum ersten Band konstatiert, »in erster linie als ein handwörterbuch und erst in zweiter als ein index und supplement 39 Lexer 1992. 40 Vorwort, in: Lexer 1992, S. V–XII, hier S. V. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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zum mittelhochdeutschen wörterbuch zu betrachten ist«,41 hat vor allem die Supplementfunktion zu einer nennenswerten Schieflage geführt. »Vor allem habe ich die im mittelhochdeutschen wörterbuche gesteckten gränzen erweitert, indem ich auch die sprache des 15. jahrhunderts noch in den bereich meiner forschung zog, wozu ich schon durch meine längjährige beschäftigung mit den »deutschen städtechroniken« hingeleitet wurde, und mein augenmerk auch auf die ungenügend durchforschte sprache der deutschen rechtsdenkmäler und urkunden richtete, sowie auf die vocabularien und glossen, wie sie namentlich in Diefenbach’s musterhafter fast unerschöpflicher sammlung vorliegen.«42

Einerseits wurde also eine Ergänzung um alt- und frühmittelhochdeutsche Texte sowie um spätmittelalterliche Chronik- und Rechtsliteratur vorgenommen, andererseits blieb dennoch die Auswahl schon aufgrund der Editionslage in diesem Bereich stärker selektiv als bei den höfischen Texten. Der »Benecke/Müller/ Zarncke« ist überspitzt ein Wörterbuch zu Wolframs von Eschenbach Parzival genannt worden, um damit die innere Kohärenz, aber auch die Beschränkung des Lexikons auf den Punkt zu bringen.43 Dem »Lexer« sieht man dagegen trotz aller Bemühungen um Kohärenz an, dass seine Ausarbeitung in den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts von einer rasanten Publikationstätigkeit begleitet wurde. Man werde, in den Worten Lexers, »von der dritten lieferung ab eine zunahme solcher ergänzungen bemerkt haben: sie hat ihren grund in dem fortwährend neu zuströmenden stoffe«.44 So ist der »Lexer« der Zielsetzung seines Autors entsprechend, »die mittelhochdeutsche sprache in ihrer ganzen entfaltung zur anschauung zu bringen und eine, soweit dies überhaupt möglich ist, absolute vollständigkeit des sprachschatzes zu erstreben«45, nach wie vor das beste alphabetische Wörterbuch zum Mittelhochdeutschen. Für die vorliegende Untersuchung ist es vor allem entscheidend, dass der strenge alphabetische Aufbau des Wörterbuchs keine Implikation für die Anlage der Artikel hat. Im Unterschied zu Müller, der sich trotz Bedenken an Beneckes Programm gehalten hat, hatte Lexer eine größere Freiheit in der Anlage der Artikel. 1.2.2 Das Lemma zal im »Lexer« Die Bedeutungsangaben zum Lemma zal werden im »Lexer« in folgender Reihenfolge entfaltet (im Artikel ohne Numerierung): 41 Vorwort, in: Lexer 1992, S. IX. 42 Vorwort, in: Lexer 1992, S. VI. 43 Zugespitzt Gärtner 1989; in stärker vergleichender Perspektive Nellmann 1990. 44 Vorwort, in: Lexer 1992, S. IX. 45 Vorwort, in: Lexer 1992, S. Vf. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

[1.] zal, bestimmte od. unbestimmte anzal, menge, schar [2.] zälung, berechnung, aufzälung [3.] bericht, erzälung, rede [4.] sprache

Damit integriert er die Bedeutungsvarianten, ›zal‹ auf der einen Seite und ›sprache‹ auf der anderen, in eine differenziertere Konstellation. Die Artikelstruktur konstruiert ein Spektrum, das kontinuierliche Übergänge zwischen den Verwendungen nahelegt. Damit setzt sich die Interpretation des »Lexer« deutlich von derjenigen im »Benecke/Müller/Zarncke« ab. Die Belege zu [1.] »zal, bestimmte od. unbestimmte anzal, menge, schar« (21 Belege) beziehen sich auf die Angabe von Kardinalitäten, wie die nachfolgenden Belege aus der Altdeutschen Exodus, der Livländischen Reimchronik und dem Buch der Natur von Konrad von Megenberg zeigen. 46   47  48 (B19)

der ziegil zale (Altdeutsche Exodus 132,37)46

(B20)

vumfzehn was der brûdere zal /  in deme kovente uber al (Livländische Reimchronik 8677)47

(B21)

nâch der zal der rippen (Konrad v. Megenberg, Das Buch der Natur 24, 13)48

die [zahl] der ziegel

fünfzehn war die [zahl] der brüder in dem konvent nach der [zahl] der rippen

46 Lexer zitiert in Anlehnung an die Altdeutsche Exodus (Diemer), Bd.  1: Text, S.  123, Z. ­34–37: lat ſi ſe[l]be ſamenen ſtumphe unde halme / ze der ziegil eitte, ſelbe ſi die leiten, / unde idoch aller tægelich ſo gebe mænnechlich / ſine zale uil gare: […]. In der neueren Ausgabe Altdeutsche Exodus (Papp), lautet die Stelle V. 1007–1013: lât si selbe samenen / stunphe unde halme / ze der ziegel eitte. / selbe si si leitten, / unde iedoch aller tagelich / sô gebe manneglich / sîne zale gare. 47 Lexer zitiert die noch gültige Ausgabe Livländische Reimchronik (Meyer). Im näheren Kontext lautet die Stelle V. 8673–8681: Dô die Semegallen komen / wâren, als ich hân ver­ nomen, / sie nâmen schilde und sper, / ûf die burc was ir ger. / vumfzehn was der brûdere zal / in deme kovente uber al. / der hatten sie geslagen ein teil. / ir mût was ûf die anderen geil, / die ûf der burge wâren. 48 Lexer zitiert leicht variierend die noch gültige Ausgabe Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur (Pfeiffer). In der Ausgabe lautet die Stelle in Kapitel I, S.  24, Z.  8–15: Von dem Menschen in seiner gemainen Natur, Abschnitt 30: Von dem rucken. Der ruck hât seinen ­anvanch an dem hals und strecket sein leng unz an die mistporten, und der dorn, der den rucken zesamen helt, ist auz vil painen, diu sint alliu ze mitelst durchlöchert, und den selben painen, diu sind diu ripp zu paiden seiten zuo gesellt. diu selben pain in dem rucken sint gezalt nâch der zal der ripp, und gêt ain langez mark durch diu pain oben in dem ruck von dem hals unz an daz end geleich ainem strick. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zal im Mittelhochdeutschen?

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Zwei Belege zeigen die metonymische Erweiterung von zal im Sinne von ›Menge‹ oder ›Schar‹. In Hartmanns von Aue Klagebüchlein wird, wie in der Darstellung im »Benecke/Müller/Zarncke«, zal präfigiert in der Prädikatsgruppe gebraucht:

49

(B22)

sô antwurt er uns in die zal / der hellischen kinde (Hartmann von Aue, Das Klage-Büchlein 1, 1050)49

so überantwortete er uns in die [reihe] der höllenkinder

In der Livländischen Reimchronik hingegen übernimmt das Wort zal die Subjektposition: 50

(B23)

von dem lande quam ein michel zal (Livländische Reimchronik 9534)50

Von dem land kam eine große [schar]

Die Belege zu [2.] »zälung, berechnung, aufzälung« (zehn Belege) beziehen sich auf die Akte der Ermittlung von Kardinalitäten sowie auf gereihte Nennungen. Einige referieren auf Quantitäten, die nicht im engeren Sinne zählbar sind. Lexer gibt in diesem Abschnitt, mehr als andernorts, im Belegteil selbst Bedeutungsangaben. 51   52  53 (B24)

nâch rehter zal (Konrad Fleck, Flore und Blanscheflur 5170)51

richtig [berechnet]**52

(B25)

des wunders zal (Livländische Reimchronik 16)53

[größe] des wunders**

49 Lexer zitiert orthographisch leicht variierend Hartmann von Aue, Das Klage-Büchlein (Bech), V. 1050 f.: sô antwurt er uns in die zal / der héllíschen kinde. In der aktuellen Ausgabe Hartmann von Aue, Das Klagebüchlein (Wolff) lautet die Stelle im Zusammenhang V. 1045– 1052: ist daz wir ir alsô walten / daz wir sîn gebot behalten, / sô gît er uns ze lône / die lieh­ ten himelkrône. / verspreche wir daz mit frîer wal, / sô antwort er uns in die zal / der helleschen kinde, / dem tiuvel zingesinde. 50 Lexer zitiert raffend die Livländische Reimchronik (Meyer). Der Text der Ausgabe lautet V. 9533 f.: von deme lande uber al / quam ir zû Rîge ein michel zal. 51 Lexer zitert Konrad Fleck, Flore und Blanscheflur (Myller). In der noch aktuellen Ausgabe Konrad Fleck, Flore und Blanscheflur (Sommer) lautet die Stelle im Zusammenhang V. 5166–5173: doch gap er im durch êre / nâch des wirtes râte / sîn guot allez daz er hâte / an im gewunnen über al. / des was nâch rehter zal / tûsent unze oder baz. / unde gap im âne haz / tû­ sent unze dar zuo. 52 Übersetzungen, die durch ** markiert sind, stammen von Matthias Lexer. 53 Im Satzzusammenhang lautet der Beleg in der Livländischen Reimchronik (Meyer), V. 15–17: allen zungen ist zû smal / zû sprechen von des wunders zal, / daʒ got die menscheit an sich nam. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

(B26)

der weste kleine von der zal (Der Wiener Mervart 537)54

(B27)

diu merer zal (Schmeller, Bayerisches Wörterbuch 2, 1110)55

die [zählung] oder [zeitrechnung] nach jahrhunderten**

(B28)

diu minner, minder zal (Grimm, Weisthümer 3, 533)56 (Endres Tucher, Baumeisterbuch 114,11)57

die [zeitrechnung] innerhalb eines jahrhunderts**

[rechnung]**

  55  56  57 In diese Gruppe ordnet Lexer auch die schon zitierte Stelle aus dem Trojanerkrieg: 54

58

(B29)

hie sol der zal ein ende sîn von den götînen über al: wer möhte ir namen bî der zal ze rechenunge bringen (Konrad von Würzburg, Der Trojanische Krieg 1084 ff.)58

hier soll die [aufzählung] all der göttinnen eine ende haben: wer könnte ihre namen der [zahl] nach vorbringen?

Lexers Bedeutungskategorie [2.] »zälung, berechnung, aufzälung« ist aufgrund der semantisch stark divergierenden Belege problematisch. Der offensichtliche Mangel an innerer Kohärenz kann jedoch auf der anderen Seite als Manifestation des Übergangs­status der Bedeutungen zwischen den Polen interpretiert werden. Im Vergleich zum »Benecke/Müller/Zarncke« ist interessant, dass Lexers Belege für die Bedeutung ›Menge‹, ›Schar‹ teilweise aus denselben Texten exzerpiert sind, die auch Müller benutzt hat – ohne dabei diese Bedeutungskomponente zu berück­sichtigten.

54 Lexer zitiert Der Wiener Mervart (Lambel). In der aktuellen Ausgabe Der Wiener Meerfahrt (de Boor) lautet die Stelle im Kontext V. 533–539: der wirt lac bî dem gaste / und ­wâren sêre trunken. / der schrîber was gesunken / bî die banc hin ze tal, / der weste kleine von der zal, / wer daz meiste teil galt: / noch was der wîn umbezalt. 55 Lexer zitiert Schmeller/Fromman 1872–1877, Bd. 2 Lemma ›Zahl‹. 56 Lexer zitiert leicht variierend die noch gültige Ausgabe Weisthümer (Grimm), Bd.  3, S.  530–533 (Weisthum zu Lohr), hier S.  533, Z.  14. Die Stelle lautet im Satzzusammenhang S. 533, Z. 13–18: Item es haben auch die schopffen vff montag vor Michaelis im sieben vnd funfft­ zigsten jare der mynner zal zu recht geweist, als von des meyn gemerks wegen, das der stat zu Laer vnd den von Barttensteyn in einer gemeinde zu steht, vnd ist das ide parthey eine als wol als die ander recht dar inne sal haben zu hawen baweholz […]. 57 Lexer zitiert variierend die Ausgabe Endres Tuchers Baumeisterbuch der Stadt Nürnberg (Lexer), S. 114, Z. 11: der minderen zall. 58 Lexer zitiert leicht variierend die Stelle aus der noch gültigen Ausgabe Konrad von Würzburg, Der Trojanische Krieg (Keller), V. 1084–1087: hie sol der zal ein ende sîn / von den götin­ nen über al. / wer möhte ir namen bî der zal / ze rechenunge bringen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zal im Mittelhochdeutschen?

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Die Gruppe [3.] »bericht, erzälung, rede« (sieben Belege)  markiert, im Bedeutungskontinuum fortschreitend, die Ersetzung des numerischen Ordnungs­ schemas (wie in ›aufzählen‹) durch ein inhaltliches bzw. sachbezogenes Linea­ risierungsschema: 59   60  61 (B30)

der dîne zale vernemen mochte (Rheinisches Marienlob 93,9)59

der deine rede vernehmen möchte

(B31)

gerne hôren wâre zale (Karlmeinet 71, 47)60

Gerne wahre [erzählungen] hören

(B32)

der zal buoch (Hugo von Trimberg, Der Renner 11804)61

[geschichtsbuch], [chronik]**

Die vierte Bedeutung [4.] »sprache« (1 Beleg) abstrahiert sogar noch von der Sequentia­lität und bezeichnet das Medium der Mitteilung selbst als zal: 62

(B33)

solich rede het das fraulîn in bêmischer zalhe geredt (Urkundliche Beiträg zur Geschichte Böhmens 317)62

[sprache]**

1.2.3 Kritik Die in der Artikelstruktur angelegte Kontinuumsthese von Matthias Lexer bedeutet eine deutliche Korrektur der impliziten Polaritätsthese von Wilhelm Müller im »Benecke/Müller/Zarncke«. Sie bietet eine größere Ausdifferenzierung des Beleg­materials, aber sie ist ihrerseits lexikographisch teuer erkauft. Vor allem gehen die Veränderungen des »Lexer« gegenüber dem »Mittelhochdeutschen 59 Lexer zitiert gerafft Marienlieder (Grimm), S.  93, Z.  9 f.: Were einich menſche de dine zale. / uernemen mochte alſo wale. In der noch aktuellen Ausgabe Das Rheinische Marienlob (Bach), Lied 9: Mariens Erhabenheit über die Seraphim lautet die Stelle im Zusammenhang V. 3549–3554: Wer einich mensche, de din zale / vernemen möchte also wale, / wer man so ges­ unt, dem enbinnen / din wort in siner selen sinnen / recht also smachden alse dir, / der möcht […]. 60 Lexer zitiert leicht variierend Karl Meinet (Keller), S.  1, V.  3: Gerne horen ware zale; gleichlautend an derselben Stelle in der aktuellen Ausgabe Karl und Galie (Helm). 61 Lexer zitiert leicht variierend Hugo von Trimberg, Der Renner (Historischer Verein Bamberg), V. 11804 f.: In d’ zal puche ich gelesen han. In der aktuellen Ausgabe Hugo von Trimberg, Der Renner (Ehrismann), Bd. 2, lautet die Stelle V. 11845 f.: In der zal buoche ich gelesen hân / Daz […]. 62 Lexer zitiert Urkundliche Beiträge (Palacky), Urkunde Nr. 317 (Zeitung aus Böhmen an den Herzog Wilhelm von Sachsen: über den Aufenthalt der alten Herzogin von Sachsen in Prag u. dgl. m. aus dem Jahr 1464), S. 329–332, hier S. 332, wo es im Satzzusammenhang heißt: Solich rede hat das frawlin uwer gn. tochter in bemischer czalhe geredt vnd in dewtzsch wider graf Ludwigen durch einen andern verdolmetzschen laszen, wann sie dewtzsch sprach gar nahe vergessen hat. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Wörterbuch« mit einer deutlichen Unschärfe einher. Diese betreffen zunächst die nicht klar abgegrenzten Kluster von Bedeutungsfeldern, nach denen der Artikel gegliedert ist. Ferner können Lexers Übersetzungen und Zuordnungen nicht in allen Fällen überzeugen. Im Roman Flore und Blanscheflur Konrad Flecks (B24) etwa ist die Formulierung nâch rehter zal unmittelbar auf ein Hinzählen von Geldstücken bezogen (vgl.: nu … zellent drîzic unze ûf das bret, V. 5073 f.), sodass eine Übersetzungsgleichung zal = ›Rechnung‹ nicht befriedigt. Auch die angegebene Stelle aus Hartmanns von Aue Roman Iwein ist nicht darauf festzulegen, dass es sich um einen Zählvorgang im engeren Sinne handelt (ûz der zal = ›nicht mitgezählt‹). Genausogut könnte hier der soziale Ausschluss im Vordergrund stehen (zal = ›Menge‹, ›Schar‹), so wie es Müller andeutet (B9). Lexer deutet die Möglichkeit zwar an, stellt sie aber zurück. Schließlich nimmt Lexer auch den Ausdruck des wunders zal mit in die Gruppe hinein (B25). Dabei weist schon seine Übersetzung selbst darauf hin, dass zal hier im Sinne eines Abschätzens verstanden wird, das nicht auf der Quantifizierung diskreter Einheiten beruht, wie es die Bedeutung ›Zählung, Berechnung, Aufzählung‹ jedoch implizieren würde. Zudem ist das zugrunde gelegte Textkorpus in sich heterogen und seine Grenzen sind kaum systematisch zu bestimmen. So ist es beispielsweise schlicht nicht zu beurteilen, ob der einzige Beleg für eine Bedeutung zal = ›Sprache‹, der ohnehin in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts datiert, weitere Belege vertritt oder ein Einzelfall ist.63 Auch die Gewichtung der übrigen abgedruckten Belege kann nur vermuten lassen, dass sie die Frequenz repräsentieren, mit der Lexer sie in seinen Quellen gefunden hat. Selbst wenn wir dies wüssten, bliebe noch das Problem, dass der editorische Ehrgeiz lange Zeit die höfischen Texte gegenüber der Gebrauchsliteratur priviligiert hat. Lexers Eintrag zal bestätigt die Darstellung von Müller, formuliert jedoch verdeckt eine weiterführende These zum Zusammenhang der Bedeutungstypen im Sinne eines Spektrums, das kontinuierlich beide Pole der Bedeutung verbindet. Dabei ist seine Darstellung sowohl in Fragen der Zuordnung der Belege als auch hinsichtlich ihrer Repräsentativität nicht vollständig überzeugend. Ob die Kontinuumsthese die Struktur des überlieferten Wortschatzes abbildet, kann aufgrund der von Lexer und Müller vorgestellten Belege nicht entschieden werden.

1.3 Zwischenresümee und offene Fragen Ausgehend von der Studie zur Etymologie und Wortgeschichte von Zahl und zählen stellt sich zunächst die bedeutungsgeschichtliche Frage nach der semantischen Variation des Wortgebrauchs. In der kulturtechnischen Perspektive tritt 63 Im Belegkorpus zum MWB drängt sich die Annahme einer Wortverwendung zal ›Sprache‹ bei keinem Beleg auf. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zal im Mittelhochdeutschen?

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die Frage nach der Konzeption der Zahl hinzu, die in der Sprache repräsentiert wird. Dabei liegt der Fokus auf der Frage: Inwieweit lassen sich einerseits im Mittelhochdeutschen Spuren einer mündlichen Konzeption der Zahl nachweisen und inwieweit ist andererseits das Lexikon durch schriftlateinisch kodierte Semantiken geprägt? »Benecke/Müller/Zarncke« und »Lexer« geben darauf eine erste Antwort: Wir können annehmen, dass der Gebrauch des Wortes zal noch nicht vollständig standardisiert ist, weder in der numerischen noch in der diskursiven Bedeutung. Daran lässt sich die Hypothese anschließen, dass auch die im Hintergrund des Wortgebrauchs stehenden Praktiken heterogen sind, wie es auch im Anschluss an Giesecke anzunehmen ist.64 Die Frage nach der Mündlichkeit der Zahlkonzeption, die mit den Worten zal und zeln verbunden ist, verlangt vor allem die Einbeziehung der Dinge und der Praktiken.65 Die semantische Bestimmung erfordert in diesem Sinne einen onomasiologischen Akzent. Es geht darum, den Bezeichnungs-Charakter der Wörter genauer zu fassen. In diesem Sinn sollen zunächst die Ergebnisse zur Wortverwendung textsortenspezifisch geprüft werden, so weit dies möglich ist. Dabei ist es das Ziel, durch eine differenziertere Verortung der Belege die sachlichen Gebrauchszusammenhänge der Wörter zal und zeln stärker in den Blick zu rücken. Die bisherigen Ergebnisse geben wie folgt die Richtung für die weitere Untersuchung vor: 1. Es kann kein repräsentatives Bild des mittelhochdeutschen Wortschatzes insgesamt rekonstruiert werden, weil die Verschriftung dazu weitaus zu selektiv ist.66 2. Derzeit gibt es auch kein lexikographisches Hilfsmittel, das die Überlieferung repräsentativ abbildet.67 Neben den vorhandenen Wörterbüchern kann bedingt auf Korpora zugegriffen werden, die zur Erstellung neuer Wörterbücher oder für grammatische Studien angelegt wurden. 3. Obwohl natürlich keine schriftlichen Belege angenommen werden können, die einen schriftlosen Zahlgebrauch unverändert repräsentieren würden, ist es nichtsdestoweniger möglich, nach dem (semi-)oralen Hintergrund bestimmter Wortverwendungen zu fragen. In der Interpretation des Spannungsfelds von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, wie es Horst Wenzel in Abgrenzung zu der früheren, von Walter Ong geprägten Haltung68 vertreten hat,69 ist immer mit Mischformen zu rechnen, in denen sich Merkmale der münd­lichen 64 Vgl. oben Kapitel II.2 und Giesecke 1992. 65 Zur methodischen Funktion der Dinge und Praktiken vgl. den Methodenteil der Arbeit, insbesondere im Teilkapitel zur historischen Semantik Kap. I.2.3.2 und I.2.2.3. 66 S. etwa Keller 1990. 67 Nellmann 1990. 68 Ong 1982. 69 Wenzel 1995. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Überlieferung mit solchen der schriftlichen Tradition in unter­schiedlichen Gewich­tungen verbinden. In diesem Sinne ist es theoretisch legitim und methodisch vielversprechend, die schriftliche Überlieferung auf semantische und pragmatische Merkmale zu untersuchen, die als Spuren der Mündlichkeit rekon­struiert werden können.70

2. Die Einbeziehung von Kontrollkorpora 2.1 Zum Stand der mittelhochdeutschen Lexikographie Die mittelhochdeutsche Lexikographie im beginnenden 21.  Jahrhundert kann auf eine sehr viel vollständigere Dokumentation der überlieferten Textzeugnisse des Mittel­alters aufbauen als die des 19. Jahrhunderts. Zwar kann auch die breiteste editorische Erschließung natürlich die tatsächliche Schriftproduktion des Mittelalters nicht einholen, geschweige denn die mittelhochdeutsche Sprache insgesamt repräsentieren.71 Aber bei der Erarbeitung neuer Wörterbücher können die verschiedenen Zeitperioden, Dialekte und Textsorten heute angemessener berücksichtigt werden.72 Nichtsdestoweniger lässt das Inventar philologischer Hilfsmittel zur Wortgeschichtsforschung zu wünschen übrig.73 Weil sich mit der Masse der historischen Referenztexte zugleich die methodischen Ansprüche der Lexikographie stark gestiegen sind,74 zählen die laufenden Wörterbuchprojekte inzwischen zu den längsten Forschungsvorhaben, die die Wissenschaftsgemeinschaft überhaupt finanziert.75 So wird das in den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts begonnene neue »Mittelhoch­deutsche Wörterbuch«, das unter der Leitung von Klaus Gärtner (Trier) und Klaus Grubmüller (Göttingen) erarbeitet wird, erst in den 20er Jahren des 21. Jahrhunderts fertiggestellt werden.76 70 Zum Spurbegriff und seiner historischen Anwendung s. die Beiträge in Grube/Kogge/ Krämer 2007. 71 Überblick über die systematische Problematik in Reichmann 1990. 72 Die Möglichkeiten und Grenzen der Textsortendifferenzierung diskutiert Pfefferkorn 1998. 73 Stackmann 1990, S. 209. Die verfügbaren historischen und digitalen Textkorpora tragen Kroymann/Thiebes/Lüdeling/Leser 2004 zusammen. Im übrigen ist man auf Spezialwörter­ bücher zu Themen, Werkkomplexen und Autoren (vgl. die Übersicht im Quellenverzeichnis des MWB S. XXXI–XXXIII) sowie auf Indices und Konkordanzen zu historischen Texten des Mittelalters angewiesen (Übersicht ebd. und Gärtner/Kühn 1998). 74 Vgl. die Beiträge zur Lexikographie in Schützeichel/Seidensticker 1990 und Goebel/ Reichmann 1990. 75 Das Paradebeispiel der Wechselwirkung von methodischer Erneuerung und Bearbeitungszeit bietet das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Zu dessen ›innerer‹ Geschichte Bahr 1984. 76 Gärtner/Grubmüller 2000. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Für den Abschluss des 1976 von Robert R. Anderson gegründeten und jetzt maßgeblich von Ulrich Goebel (Lubbock/Texas) und Oskar Reichmann (Heidelberg) sowie Hans-Joachim Solms (Halle) betreuten »Frühneu­hochdeutschen Wörterbuchs«77 und erst recht für das von Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theo Frings 1935 begonnene und von Rudolf Große (Leipzig) fortgeführte »Althochdeutsche Wörterbuch« ist mit noch längeren Fristen zu rechnen.78 Die für meine Fragestellung einschlägigen Bände können nicht abgewartet werden. Die verfügbaren neueren Wörterbücher sind, wie die letzten Ausgaben von Lexers »Mittelhochdeutschem Taschenwörterbuch«79 und das seit 2001 erhältliche »Kleine mittelhochdeutsche Wörterbuch« von Beate Hennig,80 für den akademischen Unterricht gemacht. Im so genannten »Kleinen Lexer« sind die systematischen Probleme des großen »Lexer« noch einmal zugespitzt: Die Anforderung an die Bearbeiter, erstens die alphabetische Anordnung beizubehalten, zweitens das Handwörterbuch äußerst knapp zu halten und drittens trotzdem die weiterführende editorische Erschließung des mittelhoch­deutschen Wortschatzes durch Neueinträge zu berücksichtigen, hat ein lexiko­graphisches Gestrüpp hervorgebracht, das vor allem lexikographiegeschichtlich inter­essant ist. Die Benutzerfreundlichkeit hat unter der Kombination der widersprüchlichen Anforderungen stark gelitten. Hennigs »Kleines Mittelhochdeutsches Wörterbuch« basiert auf einem Korpus von 110 Texten, die die Lesepraxis im akademischen Unterricht widerspiegeln, und hat von vornherein nicht den Anspruch, den Wortschatz insgesamt zu repräsentieren. Fragen der Gewichtung von Wortverwendungen im Vergleich verschiedener Textsorten können auf Grundlage der kleinen Wörterbücher aber schon deswegen nicht beantwortet werden, weil sie keine Belege anführen. Wörterbücher wie das »Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache«, das ein chronologisch klar abgegrenztes und textsortenspezifisches Korpus auswerten, sind die Ausnahme. Selbst das neue »Mittelhochdeutsche Wörterbuch« von Kurt Gärtner und Klaus Grubmüller wird, trotz dichter Belegnachweise, auf Fragen nach textsortenspezifischen Verwendungen nur bedingt Antwort geben können. Denn seine Grundlage ist allem voran ein Korpus von nur 75 als kanonisch qualifizierten Texten. Diese Basis wird dann allerdings um die Angaben der vorhandenen großen Wörterbücher, der Spezialwörterbücher zu Sachthemen und Autoren, um Werkindizes und Konkordanzen erweitert, um auch entlegene Ausdrücke und Verwendungen zu berücksichtigen.81 So ist zwar zu erwarten, dass alle wesentlichen Bedeutungsausprägungen dokumentiert sein 77 Andersen/Goebel/Reichmann 1977. 78 Große 1980. 79 Lexer 1989. 80 Hennig 1993. 81 Gärtner 2000. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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werden. Aber der systematische Rückbezug auf chronologische Perioden, geo­ graphische Verortung und die Besonderheiten einzelner Textsorten wird selbst von diesem Wörterbuch nicht geleistet werden können. Weil eine auf Vollständigkeit zielende eigene Erhebung der einschlägigen Belegstellen im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht machbar ist, bleibt als gangbarer Mittelweg der Zugriff auf die Textkorpora, auf denen die Erarbeitung der sprachgeschichtlichen Grundlagenwerke basiert.

2.2 Die Leistung der Kontrollkorpora Zur Überprüfung und Perspektivierung der impliziten Thesen Wilhelm Müllers und Matthias Lexers zur Semantik des mittelhoch­deutschen Wortes zal werden im Folgenden das »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« und das Korpus, das der Arbeit am »Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache« zugrundegelegen hat, als Kontrollkopora hinzugezogen. Das erste wurde gewählt, weil es den Vorzug einer möglichst getreuen chrono-topographischen Abbildung der mittelhoch­deutschen Sprache hat, das zweite, weil es auf einen sehr klar definierten Ausschnitt der Überlieferung bezogen ist, den es mit dem Ziel der Vollständigkeit abbildet.82 2.2.1 Das »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« Das »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« hat die Aufgabe, die mittelhochdeutsche Überlieferung zwischen 1050 und 1350 sowohl chronologisch als auch dialektal möglichst repräsentativ abzubilden.83 Angelegt wurde es als Basis für die Überarbeitung der »Mittelhochdeutschen Grammatik« Hermann Pauls, die 2007 unter Leitung von Klaus Wegera (Bochum), Thomas Klein (Bonn) und Hans-Joachim Solms (Halle) in einer ersten Fassung vorgelegt worden ist.84 Während es

82 Die beiden Korpora werden zur Kontrolle und Perspektivierung der Ergebnisse herangezogen. Ein darüber hinausgehender Generalisierungsanspruch kann sich mit ihrer Einbeziehung nicht verbinden. In Zweifelsfällen (z. B. bei der von Lexer angegebenen, nur mit einem Beleg gestützten, Bedeutungsvariante zal ›Sprache‹) ist auch das Belegkorpus des MWB hinzugezogen worden, das mir teilweise vorgelegen hat. Inzwischen ist die Belegsammlung online einsehbar unter: http://www.woerterbuchnetz.de. 83 Materialiter liegt das »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« als digital erfasstes (aber nicht hypertextuell aufbereitetes) Textdokument vor, das in der Arbeitsstelle Mittelhochdeutsche Grammatik am Lehrstuhl von Prof. Klaus-Peter Wegera an der Ruhr-Universität Bochum eingesehen werden kann. Zur Anlage des Korpus’ s. Wegera 2000. 84 Zum Programm der Grammatik s. Wegera 1991. Zum Stand der Überarbeitung bei der ersten Auflage der Neuausgabe Paul 2007, S. V–VII. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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in erster Linie zur repräsentativen Erhebung der grammatischen Strukturen des Mittelhochdeutschen konzipiert wurde, lässt das Korpus cum grano salis auch Schlüsse über Akzente der semantischen Wortverwendung zu. Das erste wesentliche Merkmal des Korpus ist seine zeiträumliche Gliederung. Es basiert auf einer Auswahl von 101 Texten. Der Zeitraum von 1050 bis 1350 ist in Fünfzigjahresperioden gegliedert. Für jede Periode werden Zeugnisse aus den überlieferungsrelevanten Sprachräumen bereitgestellt (Bairisch, Bairisch-­alemannischer Übergangs­raum, Alemannisch, Westmitteldeutsch [teilweise noch differenziert in Mittelfränkisch und Rheinfränkisch], Ostmitteldeutsch und Ostfränkisch). Zudem versucht die Auswahl, die Überlieferung von Prosa, Versdichtung und Urkundenstrecken möglichst repräsentativ wiederzugeben. Insbesondere durch die ausgewogene Gewichtung der Textsorten und -regionen hebt es sich von anderen Korpora und digitalen Textsammlungen ab, die in aller Regel nach wie vor der höfischen Literatur eine Vorrangstellung einräumen und das Gesamtbild der überlieferten Sprache verzerren. Letzteres gilt in besonderem Maße etwa für die sonst außerordentlich nützliche »Mittelhochdeutsche Begriffsdatenbank«, die von Klaus M. Schmidt (Bowling Green, Ohio, USA) und Horst P. Pütz (Kiel) betreut wird.85 Erst das korpuslinguistische Großprojekt »Deutsch Diachron Digital« unter der organisatorischen Leitung von Anke Lüde­ ling (Berlin) und Karin Donhauser (Berlin), in das alle digital erfassten Korpora eingebunden werden sollen, wird eine größere Breite an Daten bereitstellen können, wenn es umgesetzt werden wird.86 Das zweite wesentliche Merkmal des »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« ist seine Gründung auf der handschriftlichen Überlieferung. Verfälschungen, die durch Eingriffe der Herausgeber, insbesondere früherer Editoren, entstanden sind, sollen so weit als möglich ausgeschlossen werden. Nur in Fällen, in denen die Handschriften zwischenzeitlich nicht mehr lesbar oder seit der Edierung verlorengegangen sind, wird auf die gängigen Ausgaben zurückgegriffen.87 Schließlich ist das »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« (wie im übrigen auch die »Mittelhoch­deutsche Begriffsdatenbank«) voll lemmatisiert, d. h. dass die Suche nach einzelnen Ausdrücken nicht durch lexikographische Vorentscheidungen beeinträchtigt wird, wie das etwa in Glossaren zu einzelnen Texten geschehen kann.88 Einschränkend muss wiederum betont werden, dass gerade die längeren epischen Texte im Bochumer Korpus nur ausschnittweise erfasst sind. Eine quantitative Auswertung der Belege ist vor diesem Hintergrund nicht oder nur sehr bedingt sinnvoll. 85 Zur Mittelhochdeutschen Begriffdatenbank programmatisch Schmidt/Pütz 2001. 86 Lüdeling/Poschenrieder/Faulstich 2004 sowie weiterführend die Internetseite http:// www.deutschdiachrondigital.de. 87 Wegera 2000. 88 S. o. Kapitel II.3.2 zur manipulierten Abbildung des Glossenwortschatzes im Glossar der Althochdeutschen Glossen durch Wells (Wells 1990). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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2.2.2 Das Korpus des »Wörterbuchs der mittelhochdeutschen Urkundensprache« Zwei wesentliche Charakteristika teilt das Korpus des »Wörterbuchs der mittel­ hochdeutschen Urkundensprache«89 mit dem »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus«, nämlich die Handschriftenbasiertheit und die vollständige Lemmatisierung. Schon das »Corpus der altdeutschen Originalurkunden« basiert auf der diplomatischen Abschrift der sog. altdeutschen Urkunden und verzichtet auf jede weiterführende philologische Bearbeitung.90 Diese bereits in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts getroffene editorische Entscheidung geht auf den ersten Herausgeber Friedrich Wilhelm zurück. Auch bei ihm verband sie sich mit dem Fernziel einer neuen grammatischen Darstellung. Sie sollte ein Korrektiv zur »Mittelhochdeutschen Grammatik« von Hermann Paul darstellen, die auf philologisch bearbeiteten Textaufgaben beruhte und für Wilhelm ein fiktives sprachliches Idealsystem darstellte, ein »Esperanto« der mittelhochdeutschen Schreibsprachen.91 Die Entscheidung, das Korpus von 4141 Urkunden voll zu lemmatisieren, verbindet sich mit dem Ziel, den klar abgegrenzten Ausschnitt aus dem mittelhochdeutschen Wortschatz möglichst dicht zu erfassen und auch einen Überblick über die Schreibformen der Wörter zu geben.92 Dies erschien umso attraktiver, weil der Wortschatz der Urkunden einerseits eng in den sonst überlieferten mittelhochdeutschen Wortschatz eingebunden ist, es andererseits aber keine nennenswerten Überschnei­dungen mit anderen Wörterbuchprojekten gab. Die mittelhochdeutschen Urkunden stellen eine eigene Textsorte dar, weil sie einem klar umrissenen Set von Gebrauchszusammenhängen entstammen. Die Dynamik der generell zunehmenden Verschriftung und Verschriftlichung von Rechtsvorgängen spiegelt sich im 13.  Jahrhundert auch in der Entstehung deutschsprachiger Urkunden. Sie stellen jedoch kein Idiom in dem Sinne dar, dass sie eine eigenständige Terminologie und Syntax hervorgebracht hätten.93 Fast alle Wörter aus dem »Lexikon der mittelhochdeutschen Urkundensprache« sind auch im »Lexer« erfasst. Dennoch ergibt sich eine klare chrono-funktiolektale Abgrenzung zur bisherigen lexikographischen Erfassung des Urkundenwortschatzes. Die großen Wörterbücher, »Benecke/Müller/Zarncke« und »Lexer«, bilden zwar den Zeitraum des 13. Jahrhunderts ab, repräsentieren aber trotz allem schwerpunktmäßig den literatursprachlichen Bereich. Der Bereich der Rechtssprache im weiteren Sinne wird sowohl vom »Deutschen Rechtswörterbuch« (DRW) als auch vom »Frühneuhochdeutschen Wörterbuch« (FWB) dargestellt. Diese reichen aber nicht 89 Materialiter liegt das Korpus alphabetisch nach Stichworten verzettelt in der Arbeitsstelle »Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache« vor, die der Freien Universität Berlin angegliedert ist. Allgemein zur Konzeption Schulze 1990. 90 Vgl. De Boor 1971. 91 Wilhelm 1932, S. VIIIf. 92 Schulze 1990. 93 Schulze 1990. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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hinter das 14.  Jahrhundert zurück. Geographisch repräsentativ ist das »Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache« – überlieferungsbedingt – ebenfalls nicht. Regional ist es in der früheren Zeit auf die Städte des Niederrheins, die Schweiz und zunehmend den bairisch-österreichischen Sprachraum begrenzt. Im mittel- und niederdeutschen Sprachraum wird dagegen erst seit dem 14. Jahrhundert in der Volkssprache geurkundet. 2.2.3 Perspektivierung der Thesen von Wilhelm Müller und Matthias Lexer Im Großen und Ganzen bestätigt das Bochumer Korpus die Aussagen von Lexers Wörterbuch. Einer größeren Anzahl von Belegen von zal in numerischer Bedeutung steht eine kleinere, aber in sich kohärente Gruppe von Belegen in diskursiver Bedeutung gegenüber. Unter den Belegen mit numerischer Verwendung sind im »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« nur wenige Belege mit kardinaler Bedeutung zu verzeichnen, so z. B.: 94   95 (B34)

wie vil hant zal die sternen (Ulrich von Türheim, Rennerwart 62rc, 65)94

(B35)

ir sint fvnfzehe an der zal (Die Erlösung 14ra, 05)95

wie groß ist die [zahl] der sterne?

es sind fünfzehn an der [zahl]

Im »Korpus des Wörterbuchs der Mittelhochdeutschen Urkundensprache« stellen sie dagegen den einzigen Typus dar. Innerhalb dessen stellt die Angabe von Datierungen die größere Gruppe. 96

(B36)

diz geschach zu zuoeingen in der iare zal /  do ez waren tusent / vnt zweîhundert / vnt ahzig jâr / in dem ahzigosten iare / nach vnsers herren gebort / an der nêhisten mittewochen vor dem balmetage (Zofingen, 17. März 1288)96

das geschah in zofingen im jahre [[1280]], im 80sten Jahr nach unsers Herren geburt am darauffolgenden mittwoch vor dem Palmsonntag

94 Ulrich von Türheim: Rennewart. Hs.  B. Staatsbibliothek Berlin, mgf 1063. Der Satzzusammenhang lautet in der modernen Ausgabe Ulrich von Türheim, Rennewart (Hübner), V. 254–257: dine gote des nit kunnen / noch muegen es nit gelernen. / wie vil hant zal die ster­ nen, / die ist dinen goten unbekant. 95 Die Erlösung. Hs. B1. Staatsbibliothek zu Berlin, mgq 412. In der Ausgabe Die Erlösung (Maurer), V. 6597, lautet die Stelle: Ir sint funfzehene an der zal. 96 Corpus Originalurkunden (Wilhelm/Newald), Nr. 991, Bd. II, S. 325, Z. 24. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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(B37)

Der brief wart gegebn / da uon Christes geburt waren / an der zal tausent iar. vnd zwai hundert iar / vnd aht vnd ahzich iar /  in dem aht vnd ahzigistem iar / des naeh­ sten / samztages. nach Sant Vrbâns tage (o. O. 29. Mai 1288)97

Der brief wurde diktiert, als nach Christi geburt [[1288]]

97

Die übrigen Belege verteilen sich auf die Angabe unterschiedlicher Quantitäten, seien es Personen oder Güter:  

98

99

Wir haben och stete / als an den brieven vnsers vorgenannten vorvaren / vnde dez Capiteles jnsigelen von meintze / ist geschriben / die wandlunge dez Mvnshuses /  vnde der zale / der Husgenozen. (Erfurt, 4. März 1287)98

wir haben auch, wie in den urkunden unserer vorher genannten vorfahren, und den bestätigungen des capitels von mainz geschrieben steht, die regeln des münzhauses und die [zahl] der hausgenossen, beibehalten

(B39) vnd han ich vorgenant fridreich vnd meine erben vmbe diu lehenschaft vnd vogtay enphangen von meinem vettern Remprecht von Schonneke vnd von sein erben Dreizich march der obern zal meraner muntzze (Rodeneck 24. august 1290)99

und habe ich, vorgenanter Friedrich und meine erben für das lehen und die vogtey empfangen von meinen vettern Remprecht von Schonneke und von seinem erben dreißig der oben genennten [menge] Meraner münzen.

(B38)

Von dieser Gruppe ist im Bochumer Korpus eine größere Anzahl von Belegen in der Bedeutung ›Menge‹, ›Gruppe‹, ›Schar‹ usw. abzuheben: 100   101 (B40)

wie die ubeln wurdin verstozzen. uon ir ordinon, uon ir amten. uon ir Namon, uon ir zala. (Züricher Predigten, 183ra, 34 ff.)100

wie die bösen verstoßen worden sind von ihrem orden, von ihrem amt, von ihrem namen, von ihrer [gemeinschaft/gemeinde]

(B41)

dz ha er an vch vollenbrenge der sich gewirdiget hat zu dune in die zale siner duhtere dz er an keinen ziten von vren vbeln werken geunfrauwet werde. (Oxforder Benediktinerregel, 1r, 9 ff.)101

das hat er an euch vollbracht, der sich erhoben hat, in die [zahl/reihe/ gruppe] seiner töchter zu wirken, dass er zu keiner zeit von euren üblen werken unglücklich gemacht werde.

97 Corpus Originalurkunden (Wilhelm/Newald), Nr. 1024, Bd. II, S. 348, Z. 45. 98 Corpus Originalurkunden (Wilhelm/Newald), Nr. 878, Bd. II, S. 216, Z. 2. 99 Corpus Originalurkunden (Wilhelm/Newald), Nr. 1294, Bd. II, S. 535, 26. 100 Zürcher Predigten. Zürich, Zentralbibliothek, Cod. C 58; gleichlautend in der Edition Altdeutsche Predigten und Gebete (Wackernagel), Predigt XIII, S. 31, Z. 20–22. 101 Oxforder Benediktinerregel. Oxford, Bodleian Library, Cod. Laud. Misc. 237. In der Ausgabe Regula Sancti Benedicti (Selmer), S. 245, Z. 9–11: daz er an vch vollenbrenge der ſich ge­wirdeget hat zu dune in die zale ſiner duchtere daz er an keinen ziten von vren vbeln werken gevnfrauwet werde. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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So ergibt sich auch im Bochumer Korpus eine Beleggruppe mit der Bedeutung ›Zahl, bestimmte oder unbestimmte Anzahl, Menge, Schar‹ (vgl. die Beleggruppe [1.] im »Lexer«), die in sich klar gegliedert ist. Beide Bedeutungsausprägungen sind jedoch, noch offensichtlicher als in den Belegen von Lexer, nicht grammatisch kodiert. Unter den Belegen mit kardinaler Bedeutung finden sich einerseits Beispiele mit präfigierter Form in der Prädikatsgruppe, wie sie auch Müller zusammengestellt hat. 102   103 (B42)

So allerwise dc werde bidaht dc alle wochen al salter von ganzer zal hundert und wunfzig salmo were gisungn (Zwiefaltener Benediktinerregel, 24r, 10 ff.)102

so werde zu allen zeiten darauf geachtet, dass jede woche der gesamte Psalter, an ganzer [zahl] hundertfünfzig Psalmen gesungen werden.

(B43)

Do hiez der ellenthafte man die riter gar besenden dar er laz vz aller siner schar der mit der zal da mere was als er fivnfhvndert vz gelas er nam si cvnders er sprach zu in ir herren […] (Rudolf von Ems, Wilhelm von Orlens, 8ra, 21 ff.)103

da befahl der heldenhaft mann die ritter dorthin zu senden. er wählte aus seiner gesamten schar, von denen dort an der [zahl] mehr waren, als die 500, die er ausgewählte. er nahm sie beiseite und sprach zu ihnen: ihr herren […]

Andererseits ist die kardinale Verwendung auch in Subjekt- oder Objekt-Position vertreten. 104

(B44)

aller tugidone zala (Bamberger Glaube und Beichte, 112v, 6)104

die [zahl/summe] aller Tugenden

102 Zwiefaltener Benediktinerregel. Stuttgart, Landesbibliothek, Cod. theol. 4° 230. In der Edition Regula Sancti Benedicti (Selmer), S. 26, Z. 15–17: ſo allerwiſe daz werde bidaht daz alle wocchen an ſalter vō ganze zal hundert v wunfzig ſalmo werde giſung. 103 Rudolf von Ems, Wilhelm von Orlens. Hs. M. München, Staatsbibliothek, Cgm 63. In der Ausgabe, Rudolf von Ems, Willehalm von Orlens (Junk), lautet die Passage, V. 886–892: Do hies der ellenthafter man / Die ritter gar besenden dar, / Er las us aller siner schar, / Der mit der zal da mere was; / Als er fúnfundert us gelas, / Er nam sie sunder und sprach zin / ›Ir herren, […].‹ 104 Bamberger Glaube und Beichte. München, Staatbibliothek, Cgm 4460. In der Ausgabe Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler (Steinmeyer), S.  153, Z.  17–19, sowie in der Ausgabe Frühe deutsche Literatur (Haug/Vollmann), S. 672, Z. 20–22, fällt der Beleg nach einem Hinweis in der Datenbank zum »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« (auch) in den Text Himmel und Hölle (Himmel und Hölle [Haug/Vollmann]), der in der Münchner Handschrift dem Text Bamberger Glaube und Beichte nachfolgt und Teile von ihm übernimmt (so der Kommentar in Frühe deutsche Literatur [Haug/Vollmann], S. 1460 f.); der engere Zusammenhang lautet: Da richisot diu minna mit aller miltfrouwida und aller tugidone zala mit staten vras­ munde. da verselet diu warheit daz alte gedinge. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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(B45)

swie kleine ich hab der iare zal (Winsbeke, 66rb, 27)105

(B46)

der zal so hohe was gezilt dc ir zal vnbetrahtet beleip. und gar ungahtet. (Rudolf von Ems, Weltchronik 237rb, 30 ff.)106

wie gering ich bin an der [zahl] der Jahre ihre [zahl] war so groß, dass ihre [anzahl] unermittelt blieb und vollkommen unzählbar

  106 Die aus dem »Benecke/Müller/Zarncke« abgeleitete Hypothese, dass zal nur dann ›Zahl‹ heiße, wenn es einen präpositionalen Kontext gibt, wird auch durch diese Belege widerlegt. Dennoch ist die Anzahl der Gegenbeispiele gering, sodass man zunächst von einer Relativierung sprechen sollte. Eine geschlossene Beleggruppe [2.] »zählung, berechnung, aufzählung« fordert das »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« nicht. Dennoch gibt es Einzelbelege, die eine Bedeutung im Sinne von ›Zählung‹ oder weiterführend ›Ermittlung einer Anzahl‹ nahelegen. Den oben genannten Beispielen aus Konrad Flecks Flore und Blanscheflur (B24) und der Wiener Meervart (B26) wäre z. B. in diesem Sinne hinzuzufügen: 105

107

(B47)

swer sie zelt der giht also der ritter si nach rehter zal drithalb tvsent vberal (Rudolf von Ems, Wilhelm von Orlens 6rb, 5 ff.)107

wer sie [zählt], der sagt wie folgt, dass es nach rechter [zählung] insgesamt dreieinhalb tausend ritter seien.

Im »Korpus des Wörterbuchs der mittelhochdeutschen Urkundensprache« ist weder diese semantische Ausprägung belegt, noch Lexers dritte Kategorie. Diese dritte Gruppe, [3.] »bericht, erzälung, rede«, die Lexer annimmt und die mit Müllers Abschnitt »rede« korrespondiert, ist hingegen auch im »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« voll repräsentiert. Dabei sind aber keine semantischen oder syntaktischen Besonderheiten festzustellen, die die semantische Disposition der Bochumer Belege von denen der großen Wörterbücher unterscheiden würden. 105 Winsbeke/Winsbekin. Hs. I [J]. Berlin, Staatsbibliothek, mgf. 474. In der Ausgabe Winsbekische Gedichte (Leitzmann/Reiffenstein) findet sich der Beleg in der 8. Strophe der Winsbeckin, V. 3: swie kleinẹ ich habe der jâre zal. 106 Rudolf von Ems, Weltchronik. Hs. Z. In der Ausgabe Rudolf von Ems, Weltchronik (Ehrismann), V. 32358–32360 lauten die Verse: der zal so hohe was gezilt / das ir zal umbetrah­ tet / beleip und gar ungahtet. 107 Rudolf von Ems, Wilhelm von Orlens. Hs. M. München, Staatsbibliothek, Cgm 63. In der Ausgabe Rudolf von Ems, Willehalm von Orlens (Junk), V. 680–682 lautet der Text: Swer sú zelt, der giht also / Das der ritter si nach rehter zal / Drithalb tusent úber al. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Eindeutige weitere Belege zu Lexers Gruppe [4.] »sprache« enthält weder das »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« noch das Berliner »Korpus der mittelhoch­deutschen Urkundensprache«.

2.3 Was bedeutet zal im Mittelhochdeutschen? Ergebnisse 2.3.1 Textsortenspezifische Verwendung Die Hoffnung, mittels des »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus« Aussagen über die Verteilung der semantischen Ausprägungen auf verschiedene Zeitabschnitte, Textsorten oder Regionen ermitteln zu können, wird enttäuscht. Letztlich ist die Zahl der Belege pro Korpus-Segment (d. h. je nach Zeitintervall, Region und Textsorte) zu gering, um in diesem Bereich Fest­stellungen treffen zu können. Festhalten lässt sich jedoch: – In der höfischen Literatur nimmt die Verwendung von zal in diskursiver Funktion einen besonders großen Stellenwert ein. – Die numerische Verwendung von zal ist in der höfischen Literatur in der Regel auf Personengruppen verschiedener Art bezogen, eine kardinale Verwendung ist die Ausnahme. – In der Urkundenliteratur dominiert die kardinale Verwendung von zal, wobei der größte Teil der Belege zu den standardisierten Formeln von Datierungen gehört. Eine diskursive Verwendung des Wortes zal verzeichnet das Korpus des »Wörterbuchs der Mittelhochdeutschen Urkundensprache« nicht. 2.3.2 Pragmatische Situation und semantische Differenzierung Über diesen groben Ertrag hinaus tritt bei der Durchsicht der Bochumer Belege eine Reihe von Tendenzen deutlich hervor, die sich bei der Lektüre des »Benecke/ Müller/Zarncke« und »Lexer« nicht aufgedrängt haben, die zu den Wörterbuchartikeln aber auch nicht im Widerspruch stehen. Es handelt sich um die pragmatischen Kontexte, in denen das semantische Profil von zal entfaltet wird. Skizzenhaft möchte ich die drei prägnantesten Aspekte hervorheben: Autorisierung Erstens wird deutlich, dass die Verwendung von zal, besonders in der diskursiven Bedeutung, immer wieder im Kontext der Nennung von Autoritäten auftritt. Eine zal ist nicht irgendeine Erzählung, berichtende Mitteilung oder Rede. Sie ist im Gegenteil durch besondere Geltung ausgezeichnet. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

Das zeigen die adjektivischen Attribuierungen, die dem Substantiv zal beigegeben werden, so z. B. wislich und wise in: 108   109 (B48)

ein wislich zale von dem iungistem tage (St. Pauler Predigten 300, 20 f.)108

(B49)

Wan Orie in wiser zale Gesprochin hadde (Karl und Galie, 6 f.)109

eine weise [predigt] über den jüngsten tag

denn Orie hatt in weiser [rede] gesprochen

Auch der pragmatische Kontext der Anwendung von zal spricht für die Bindung der Rede an Autorität: 110   111 (B50) (B51)

schire bewiset dat mine zale vollständig beweist das meine [rede]. (Rheinisches Marienlob 34rv, 15 f.)110 viuns kvndet ovh dui rechte zal uns verkündet auch die [nachricht] (Rudolf von Ems, Weltchronik 18ra, 15)111

Das gilt umso mehr in den Fällen, in denen auch der Urheber der Rede genannt wird, insbesondere, wenn es sich um prophetische Rede handelt, wie in der Er­ lösung: 112

(B52)

Erfullit wart des herren zal (Die Erlösung 9ra, 21)112

Des Herrn [Wort] wurde erfüllt.

Predigt, Lehre und Verheißung sind die Kontexte, in denen von zal gesprochen wird. Weisheit, Beweis und Erfüllung sind ihre Eigenschaften und Wirkungen. Die Semantik verweist wiederkehrend auf pragmatische Situationen, die durch Entfaltung von Autorität oder durch Gesten der Autorisierung charakterisiert sind. 108 St. Pauler Predigten. St. Paul, Benediktinerstift, Cod. 109/3. In der Edition St. Pauler Predigten (Jeitteles), Predigt De apostolis, S. 131–133, hier S. 131, Z. 8–10 (die aktuelle Ausgabe St. Pauler Predigten (Whisnant) war nicht zur Hand) lautet die Stelle im engeren Zusammenhang: Wir suln ein hôhe rede bestên, ein wîsliche zale von dem jungistem tage, sô got chumt in sîner magenchrefte zerteiln alle dise werlt nâh ir werchen. 109 Karl und Galie. Fragment W. Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. 404.9(5) Novi. Die Stelle ist gleichlautend ediert in Karl und Galie (Helm), Fragment W, S.  444–447, V. 116–118: Wan Orie in wiser zale / Gesprochin hadde also wale / Intgen iren bruder du. 110 Rheinisches Marienlob. Hannover, Landesbibliothek, Cod. I 81. Der nähere Zusammenhang lautet nach der Ausgabe Das Rheinische Marienlob (Bach), V. 1960–1965: Wil wir uns an dinen dnest keren, / wir mügen dat licht beweren; / schr bewiset dat min zale, / dat n en­ gel ’n gednd so wale / als du, můder ind maget reine. / si entwichent dir algemeine. 111 Rudolf von Ems, Weltchronik. Hs. Z. München, Staatsbibliothek, Cgm 63. In der Ausgabe Rudolf von Ems, Weltchronik (Ehrismann), V. 2320–2323 lautet die Stelle: úns kúndit ouh dú rehte zal / das bi dem Rine hin zetal / lit Spire wol gevestent, / da manege kúnege restent […]. 112 Die Erlösung. Hs. B1. Berlin, Staatsbibliothek mgq 412. In der Ausgabe Die Erlösung (Maurer), V. 5917 f., lautet die Stelle: Erfullet wart der herren zal, / die noch Paulus mêren sal. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Soziale Ordnung Zweitens wird bei den Belegen in der Bedeutung ›Zahl, bestimmte oder unbestimmte Anzahl, Menge, Schar‹ besonders auf die Zugehörigkeit zu bzw. den Anschluss von sozialen Gruppen abgehoben. Das zeigen paradigmatisch die folgenden Beispiele: 113   114  115  116 (B53)

die ubeln wurdin uerstozzen […] von ir zala (Züricher Predigten 183ra, 34 ff.)113

(B54)

div wip sint in der zal niht (Buch der Könige 5rb, 18)114

(B55)

ich bin gehaizen belial der wirst in der vebeln zal (Hartwig von dem Hage, Margaretenlegende 26v, 12)115

(B56)

daz ich […] in ir zal bin husgenoss (Hartwig von dem Hage, Margaretenlegende 31v, 19)116

die schlechten wurden aus ihrer [gemeinde/gemeinschaft] verstoßen

die frauen sind aus dieser [gruppe/zählung] ausgeschlossen; ich werde Belial genannt, der schlimmste in der [reihe] der bösen

dass ich ihrer [gemeinschaft] zugehöre

zal wird weniger zur Kennzeichnung einer Anzahl verwendet, sondern zur Bezeichnung einer Gruppe oder Gemeinschaft. Wenn zal in diesem Kontext verwendet wird, sind die Gruppen, um die es geht, stets konstituierend für das Gemeinwesen oder für eine moralische Beurteilung: Es geht um die Gemeinde (B53), die sozial Privilegierten (B54), um die Christenheit (B56); Kriterien für die Zugehörigkeit und Verstoßung sind häufig Bosheit (B53, B55), Güte (B56). Zu einer zal zu gehören, das ist eine Frage des sozialen, moralischen oder religiösen Status. 113 Vgl. B40: Zürcher Predigten. Zürich, Zentralbibliothek, Cod. C 58. In der Ausgabe Altdeutsche Predigten und Gebete (Wackernagel), Predigt XIII, mit identischer Schreibung S. 31, Z. 20–22. 114 Buch der Könige. Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. Donaueschingen 739. In der Ausgabe Rechtsdenkmäler (Daniels/Maßmann), die die Karlsruher Handschrift nicht berücksichtigt, heißt es umgedeutet im Kontext Sp. XLVII f.: Do hieʒ got erslahen alle, die sich mit den hei­ deninnnen heten bewollen: der was vier und zweinzic tusent; die heten alle verlorn lip unde sele. Diu wip sint in der zal. 115 Hartwig von dem Hage, Margaretenlegende [und] Tagzeiten vom Leiden Christi. München, Staatsbibliothek, Cgm 717. In der Ausgabe Hartwig von dem Hage, Dichtungen (Schmitz), V. 1074–1080 lautet die Stelle im Kontext: dô sprach der laid sathân: / »Ich bin gehai­ zen belial, / der wirst in der uebeln zal. / Wan nâch belzabub sô hât / dehain mîn genôz sô argen rât / Erzaiget rehter diet als ich, / irr arbait schlind ich vil in mich. / […]«. 116 Hartwig von dem Hage, Margaretenlegende [und] Tagzeiten vom Leiden Christi. München, Staatsbibliothek, Cgm 717. In der Ausgabe Hartwig von dem Hage, Dichtungen (Schmitz) lautet die Stelle, V. 1595–1604 lautet die Rede der Margarethe: »Vil milter vater, guoter got, / des vaters sun und ouch sîn bot / und du ir baider geist vil rain, / gebieter hymels und erd du ain, / Ain got in immer trînitât / durch dîn erbaermd rîch getât, / Die du mir hâst erzaiget, / dîn goetlîch ôr genaiget, / daz ich in dîner liben lôs / und in ir zal bin hûzgenôz. / […]«. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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âne zal. Grenzen von Wahrnehmung und Sagbarkeit Die Verwendung von zal in der quantitativen Bedeutung geht von der Bezeichnung von Kardinalitäten in die Bezeichnung von Objekt- und Menschengrupppen über. Mit zal werden darüber hinaus überhaupt Quantitäten im weiteren Sinne bezeichnet. Diese müssen nicht unbedingt zählbar sein. Häufig wird zal auf Massenterme bezogen wie chraft und wîstuom, dienest, vreude, wunne oder schonheit. Es geht in der Verwendung von zal hier weniger um das Quantifizieren als um ein Ermessen. In diesen Kontext gehört die Verwendung der Formel âne zal. Sie ist nicht nur auf Zählbares bezogen. Die Anzahl der Belege für die Wendung âne zal ist außerordentlich groß. Dennoch ist sie nie als eigenständige Gruppe hervorgehoben worden. Ich nenne paradigmatisch nur die vier folgenden Beispiele: 117   118  119  120 (B57)

div ubeln der da nith ist dicheine zale (Trierer Psalmen 03, 13 f.)117

(B58)

vnde wie manic inneclich gebet. von disen gesprohen werde. werliche daz ist ane maze. vnde ane zal. (Salomonis hûs 23, 12 ff.)118

und wie viele innigliche gebete von diesen gesprochen werden, wahrlich, das ist ohne maß und ohne [zahl].

(B59)

cleinodes von gestain ward im gegeben ane zal (Johann von Würzburg, Wilhelm von Österreich 79vb, 28 f.)119

[zahllose] schmuckstücke aus gestein wurden ihm gegeben

(B60)

Natren und slangen. hatten si umbeuamgen. leit von dirren manige qualle. der sie inwiste decheine zale, (Mittelfränkischer Tundalus 4r, 13 ff.)120

nattern und schlangen hatten sie umfangen. von diesen litt sie vielfältige qualen für die sie keine [zahl]/[worte] wusste

die schlechten, die [zahllos] sind

117 Trierer Psalmen (interlinear). Trier, Stadtbibliothek, Cod. 806/4 8°. Es handelt sich um die althochdeutsche Interlinearübersetzung von Psalm 39, V. 21. In der Ausgabe Deutsche Interlinearversionen der Psalmen (Graff) S. 177 lautet die Stelle: Wande umbehabeden mich div ubele, der da nith iſt dicheine zale. 118 Salomonis hûs. Gießen, Universitätsbibliothek, Cod. 876. Vgl. den gleichlautenden Abdruck der Gießener Handschrift, Salomonis hûs (Adrian), S. 423, Z. 16 f. 119 Johann von Würzburg: Wilhelm von Österreich. Hs. G. Gotha, Forschungs- und Landesbibliothek, Membr. II 39. In der Ausgabe Johann von Würzburg, Wilhelm von Österreich (Regel), V.  461–465 lautet der Beleg im näheren Zusammenhang: Wie nu des fuersten schaiden / waer  von  dem  haiden, / des  sag  ich  iu  ein  clain: / clainodes  von  gestain / ward  im gegeben ane zal. 120 Mittelfränkischer Tundalus. Krakau. Bibl. Jagl. mgq 642. In der Ausgabe Tundalus (Kraus), V.  286–290: Natren u ſlangen / Hatten ſi umbeuangen. / Si leit von diren manege quale / Der ſi inwiſte decheine zale / Noch d ͛ ſi decheiniz inkande. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Die Einbeziehung von Kontrollkorpora

153

Gerade in Bezug auf die Massenterme erhält die Wendung âne zal den Charakter einer Unsagbarkeitsformel. Das zeigen etwa die folgenden Beispiele, in denen âne zal auch mit ›unermesslich‹ übersetzt werden könnte: 121   122  123 (B61)

chraft sin und wihstuomes sines nihne ist zale (Windberger Psalter 203r, 04)121

(B62)

dine urowede encellet engeine zale (Rheinisches Marienlob 34r, 17 f.)122

(B63)

Gaweins schonheit was svnder zal (Rappoltsteiner Parzifal 116b, 18 f.)123

seine kraft und seine weisheit sind [unermesslich] deine freude ist [unermesslich]

Gaweins schönheit war [unbeschreibbar]

In der Konfrontation mit unermesslicher Fülle nähert sich die quantitative Semantik des Wortes zal an die diskursive Semantik an. Die Formel âne zal steht für die Über­forderung von (quantifizierender) Perzeption und (diskursiver) Kommunikation. 2.3.3 Zusammenfassung und Schlussfolgerung Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Belege (jenseits der Bestimmung im engeren Sinnbezirk von ›Zahl‹ und ›Rechnung‹) durch folgende semantische Kerneigenschaften charakterisiert sind: – Sie adressieren Beglaubigung und Autorität. – Sie verhandeln soziale, moralische und religiöse Zugehörigkeit und Ausgren­ zung. – Sie beziehen sich auf Fasslichkeit bzw. unermessliche Fülle. Vor allem in den ersten beiden Punkten ist die Semantik des Wortes zal an die pragmatische Situation seines Gebrauchs gebunden. Das legt es nahe, im Folgenden auch in der Analyse von zeln besonderes Augenmerk auf die Pragmatik zu richten.

121 Windberger Psalter. München, Staatsbibliothek, Cgm 17.  In der Ausgabe Windberger Psalter (Kirchert), Bd. 2, S. 272 lautet die Stelle Psalm 146, V. 5: Michil s. ist herro unser unde michil tugent. chraft sin unde wihstuomes sines nihne ist zale. 122 Rheinisches Marienlob. Hannover, Landesbibliothek, Cod. I 81. Vgl. den Text der Ausgabe Das Rheinische Marienlob (Bach), Lied 5: Mariens Freude über ihre Aufnahme in den Him­ mel, hier V. 1934 f.: de vrölich wilkum he ded dir so wale, / din vröud enzelt engeine zale. 123 Rappoltsteiner Parzifal. Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. 97. Vgl. in der Ausgabe Rappoltsteiner Parzival (Schorbach), S. 3, Z. 7 f. (in der Gesamtzählung ohne Prolog V. 68 f.): Gawans schonheit was sunder zal, / sin kleit was wert, er riche an eren. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

3. Was heißt zeln im Mittelhochdeutschen? Bei der Beschreibung der Belege zu zeln wird die Positionierung der Wörterbücher nicht mehr en détail herausgearbeitet. Stattdessen wird deren Darstellungsweise nur knapp beschrieben, um dann zu einer Auswertung der beigebrachten Belege unter Einbeziehung der Kontrollkorpora zu kommen. Im darauf folgenden Kapitelteil werden die allgemeineren Schlussfolgerungen formuliert.

3.1 Die Artikelstrukturen im »Benecke/Müller/Zarncke« und im »Lexer« Die semantische Polyvalenz, die das mittelhochdeutsche Wort zal auszeichnet, prägt auch die Verwendung von zeln. Noch klarer als bei den Einträgen zum Lemma zal werden die unterschiedlichen Herangehensweisen von Wilhelm Müller im »Benecke/Müller/Zarncke« auf der einen und von Matthias Lexer im »Mittelhochdeutschen Handwörterbuch« auf der anderen Seite deutlich: die syntaktische Durchstrukturierung der Artikel im älteren, die Umschreibung von Bedeutungsfeldern im jüngeren der Wörterbücher. Beide Verfahren stoßen bei dem Lemma zeln jedoch sichtlich auf Widerstände. Im »Benecke/Müller/Zarncke« ist der Artikel wie folgt strukturiert: I. zähle, rechne 1. in engerer Bedeutung a) [Beispiel] b) [Beispiel] c) [Beispiel] d) mit präposition e) mit dativ und akkusativ f) mit adverbialpräposition 2. in weiterer Bedeutung a) ohne präpositionen oder adverbialpräpositionen mit dativ b) mit präpositionen c) mit adverbialpräpositionen II. zähle er, auf; erzähle, sage, überhaupt theile mündlich oder schriftlich mit 1. ohne dativ a) [Beispiele] b) mit akkusativ c) [Beispiele] 2. mit dativ a) [Beispiele] b) mit akkusativ c) mit untergeordnetem satze 3. mit adverbialposition © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zeln im Mittelhochdeutschen?

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Was ein Blick auf Müllers Artikelstruktur bereits andeutet, wird umso klarer bei der Durchsicht der Belege: Es gibt keine Entsprechung zwischen syntaktischer und semantischer Differenzierung. Teilweise sind für die Belege überhaupt keine Zuordnungen zu syntaktischen Umgebungen angegeben, wie bei den Belegen unter I.1.a)-c). Und teilweise verkörpern die Belege trotz gleicher syntaktischer Umgebung unterschiedliche Verwendungsweisen, wie die Beleggruppen I.1.e) ›mit dativ und akkusativ‹ auf der einen und II.2.b) ›mit dativ, mit akkusativ‹ auf der anderen Seite. An der grundsätzlichen Opposition einer numerischen, an der Kardinalität orientierten Bedeutungsausprägung und einer diskursiven Verwendung wird jedoch festgehalten. Lexer gibt diese Opposition wiederum auf, kommt jedoch selbst nicht zu einer stringenteren Bündelung. Er stellt die Belege nach folgenden Gruppen zu­ sammen: [1.] zälen, rechnen, berechnen, vergleichen, halten od. betrachten als, erklären für, ernennen zu [2.] zuzälen, als anteil geben, beilegen, bestimmen [3.] aufzälen, erzälen, überh. mündl. mitteilen, sagen, sprechen, nennen Die semantischen Kluster, mit denen Lexer die Verwendungsfelder charakterisiert, sind außerordentlich breit. Möglicherweise wirken sie deswegen so inkohärent, weil sie die Akzente des mittelhochdeutschen Wortgebrauchs im Neuhochdeutschen nachzubilden versuchen. Andererseits wirken die Bedeutungsangaben auf den ersten Blick auch deswegen befremdlich, weil sie gerade nicht eine Referenz-Semantik ›zählen, rechnen‹ installieren, von der dann die diskursive Bedeutung als sekundär abgehoben würde. Erstens also verzichtet Lexer darauf, eine numerische Verwendung des mittelhoch­deutschen Verbs zeln zu isolieren und als die primäre darzustellen. Zweitens arbeitet er programmatisch mit den Polyvalenzen, die die Wörter zäh­ len und rechnen noch heute transportieren. Im Gegenwartsdeutschen sind sie an Wendungen wie auf jemanden zählen, jemanden zu den Besten zählen, mit jeman­ dem rechnen am deutlichsten sichtbar. Auch diese Ausdrücke sind nur bedingt mit dem modernen arithmetisch geprägten Konzept von Zahl vereinbar.

3.2 Auswertung der Belege Eine erschöpfende Beschreibung der Wortverwendung im Mittelhochdeutschen, insbesondere was die chronologische Entwicklung, die Dialekt- und Textsortenspezifik angeht, ist mit den heute greifbaren Hilfsmitteln auch für zeln nicht machbar. Die Verwendung von zeln wird deswegen entsprechend der Ergebnisse aus Kapitel III.2 besonders hinsichtlich ihrer pragmatischen Kontextualisierung analysiert. Dabei werden ausgehend vom »Bochumer Mittelhochdeutsch Kor© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

pus« auch Belege aus dem »Benecke/Müller/Zarncke«, dem »Lexer« sowie dem Korpus des »Wörterbuchs der mittelhochdeutschen Urkundensprache« herangezogen. Systematisch unbefriedigend, aber sachlich naheliegend ist, dass mhd. zeln von mhd. zaln in den Präteritum- und Partizipformen mhd. zalte und mhd. gezalt nicht formal unterschieden werden kann.124 Auch semantisch wird die Differenz zwischen zeln und zaln erst im Frühneuhochdeutschen im Kontext veränderter Gebrauchszusammenhänge signifikant.125 Es kann also im Einzelfall bei einer Reihe von Belegen nicht unterschieden werden, ob vom jeweiligen Autor eine Vergangenheitsform zu zeln oder zu zaln intendiert gewesen ist. Heuristisch werden deswegen im Folgenden alle diese Formen als zu zeln gehörig behandelt. Eine Relektüre der Belege wie im Fall zal macht deutlich, dass drei semantische Hauptakzente unterschieden werden müssen: 1. Bestimmung von Kardinalität 2. Referentielle Sprechakte (Setzungen, Nennungen, Mitteilungen, Aufzählungen usf.) 3. Akte der Zuordnung, wobei einer kleinen Gruppe von Belegen, in denen materielle Objekte einander zugeordnet werden (z. B. in Vergleichen), eine größere Gruppe gegenübersteht, in der die Zuordnung von Eigenschaften zu Personen oder Objekten dominiert. Ich gehe die Punkte im Folgenden anhand von Beispielen durch. 3.2.1 Quantifizieren Die erste Gruppe von Belegen repräsentiert die Verwendung von zeln in Bezug auf quantitative Aussagen. Sie ist in den verschiedensten Kontexten vertreten. Ob es um eine Umschreibung für Gott geht: 126

(B64)

der die sterne hât gezalt (Wolfram von Eschenbach, Parzival 659, 20)126

der die sterne [gezählt] hat.

… oder um die Heeresstärke eines Burggrafen: (B65)

hundert ritter brahte do swer si zelt der giht also

[…] hundert ritter darbrachte. wer sie [zählt], der sagt darauf,

124 Vgl. Benecke/Müller/Zarncke, Lemma ›zal (swv.)‹ und Lexer, Lemma ›zaln‹. 125 S. o. die Ausführungen in Kapitel II.3. 126 Müller zitiert die Erstausgabe Wolfram von Eschenbach, Parzival (Lachmann); gleichlautend die aktuelle Ausgabe Wolfram von Eschenbach, Parzival (Lachmann/Knecht). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zeln im Mittelhochdeutschen?

127

der ritter si nach rehter zal drithalb tvsent vberal (Rudolf von Ems, Wilhelm von Orlens 6rb, 5–7)127

157

dass der ritter nach rechter [zählung] insgesamt dreieinhalbtausend waren

… oder schließlich um die Technik des Zählens selbst: 128

(B66)

man zalte in der alten ê an den vingern man [zählte] der alten Zeit an den Fingern (Berthold von Regensburg, Predigten 2. 193, 24 ff.)128

zeln heißt hier ›zählen‹, ›eine Anzahl bestimmen‹. Das Wort wird jedoch zur Bezeichnung des konkreten operativen Zählvorgangs nur vergleichsweise selten verwendet. Häufiger bezieht es sich im übertragenen Sinne auf ein quantitatives Ermessen, wie es von Jean Flori anhand der mittelalterlichen Chroniken herausgearbeitet worden ist und wie es dem Gebrauch der runden Zahlen entspricht, den Manfred Krifka anhand des modernen Sprachgebrauchs beschrieben hat.129 3.2.2 Mitteilen Die zweite Gruppe repräsentiert die Verwendung von zeln in Bezug auf diskursive Aussagen. Markiert wird sie durch Belege wie die folgende stereotype Wendung aus dem Physiologus: 130

(B67) sus zellit physiologus des aran geslahte (Physiologus 150v, 09)130

so [beschreibt] Physiologus das geschlecht der adler

Innerhalb dieses Typus sind unterschiedliche Akzente zu beschreiben. Je nach der pragmatischen Einbettung des Wortgebrauchs lassen sich folgende Modalitäten voneinander abheben: Appellieren Eine ausgesprochene Appell- und Ankündigungsfunktion ist mit dem Wort zeln in den zwei Belegen aus Priester Wernhers Marienleben und der Hochzeit verbunden: 127 Rudolf von Ems, Wilhelm von Orlens. Hs. M. München, Staatsbibliothek, Cgm 63. Für den Wortlaut in der aktuellen Edition Rudolfs von Ems, Willehalm von Orlens (Junk), V. 679– 682 vgl. die Anm. zu B47. 128 Lexer zitiert die Predigt Von den drîen Fürstenamten, in: Berthold von Regensburg, Predigten (Pfeiffer/Strobel), Bd. 2, S. 193, Z. 24 f. 129 Vgl. oben Kapitel I,1,2; näher Flori 1993 und Krifka 2009. 130 Physiologus. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2721. Vgl. die Edition der Wiener Handschrift in Der altdeutsche Physiologus (Maurer), hier Kap. XIX 1: Sus zellit Phisio­ logus des Aran geslahte. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

(B68)

nu horet waz sie zalte. wie der gotes atem. sie hete beraten (Priester Wernhers Maria 2742–44)131

(B69)

nv mugent ir horen zellen von einem heren spelle. (Die Hochzeit 142r 4 f.)132



131

nun hört, was sie [sagte], wie der der Heilige Odem sie beraten hatte. Nun sollt ihr [erzählen] hören von einem reichen könig

132

Autorisieren Besonders häufig wird zeln, wie den obigen Belegen, mit der Aufforderung zum Hören verwendet. Mit dem Appell verbindet sich jedoch in vielen Fällen eine Nennung der Medien der Aussage, in der Regel das Buch oder die Schrift. 133   134  135 (B70)

also ich diu buoch hôre zellen (Wiener Genesis. Fundgrube 10, 4)133

wie ich die bücher [reden] höre

(B71)

ditze buch redenot unde zellet michel wistuom (Physiologus 129v. 3 ff.)134

dieses buch [redet] und teilt große weisheit mit

(B72)

sîn scrift zelit uns sus (Lob Salomons, Diemer 108,18f)135

seine schrift [berichtet] wie folgt

Die hier implizite Autorisierung der Mitteilung wird in anderen Fällen explizit gemacht, etwa durch die Kopplung an eine autoritative Quelle oder Person:

131 Müller zitiert Wernher, Maria (Hoffmann) oder Wernher, Maria (Oetter); gleichlautend in der aktuellen Ausgabe: Wernher, Maria (Wesle), Abdruck der Hs. D, V. 2742–44. 132 Die Hochzeit. Klagenfurt, Kärntner Landesarchiv, Hs. GV 6/19; gleichlautend in der aktuellen Ausgabe Die Hochzeit (Haug/Vollmann), V. 1 f. 133 Müller zitiert: Die altdeutsche Genesis (Hoffmann); vgl. den Prolog in der aktuellen Ausgabe Die Wiener Genesis (Smits), V.  1–4: Nû fernemet, mîne lieben, ich wil iu eine rede fore tuon. / ube mir got der guote  geruochet senten zu muote / daz ich chunne reden alsô ich diu buoch hôre zelen, / sô wurde diu zala minnechlîch: dem gotes wuntere ist niweht glîch. 134 Physiologus. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2721. Vgl. den Prolog­ beginn der Wiener Prosa in der Ausgabe Der altdeutsche Physiologus (Maurer), S.  2: Dizze ­buoch redenot unde zellet michilen wistuom von tieren unde von fogilen, aller erist von dem ­Lewen, wie siniu dinch gelegen sint. 135 Müller zitiert Deutsche Gedichte (Diemer), S.  108, Z.  18 f. (statt wie angegeben S.  108, Z.  15): […] ſin ſcrift zelit unſ / ſuſ […]. In der neuen Ausgabe Lob Salomons (Haug/ Vollmann), Str.  6, V.  1–4 (in der Gesamtzählung V.  51–54) lautet der Kontext: Ein herro hiz Hero­nimus  – / sin scripft zelit uns sus  –, / der heti ein michil wundir / uzzir einim buchi vundin. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zeln im Mittelhochdeutschen?

(B73)

in dem buoche deutronomio da ist geschribe. daz … dannach zellet physiologus (Physiologus 156r, 10 f.)136

(B74)

sus zellit beatus ieronimus (Physiologus 151v, 7 f.)137

159

In dem buch Deuteronomium ist geschrieben, dass […] davon [berichtet] Physiologus So/auf diese weise [berichtet] Beatus Hieronymus

  137 Die Autorisierung durch die Person des Sprechers kann schließlich alternativ durch die verbale Unterstreichung der Tatsache ersetzt werden, dass es sich um eine glaubwürdige Aussage handelt:

136

138

(B75)

ob ir iz gelouben wellent, daz iu will rechte zellen. (Kaiserchronik 2rb, 20 f.)138

wenn Ihr es glauben wollt, dass Euch die Wahrheit [übermitteln] will

Emphatisch sprechen zeln wird in entsprechender Funktion auch in Formeln der emphatischen Hinwendung des Menschen zu Gott verwandt. So zeigen es etwa die beiden Belege aus dem Windberger Psalter: 139   140 (B76)

ich fergihe dir herro in allem hercen minem. ich zele. ich sage elliu wunter diniu (Windberger Psalter 17r, 08)139

(B77)

in abent und fruo in morgen unde ze mitteme tage sage ich. zele ich und chunde ich unde er herhoret stimme mine (Windberger Psalter 82av, 12)140

Ich bekenne mich zu dir Herr, in meinem ganzen Herzen. Ich [erzähle], ich sage alle deine Wunder (auf) am abend und früh am morgen und mitten am tag [sage] ich, erzähle ich und preise ich (ihn), und er erhört meine stimme.

136 Physiologus. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2721; vgl. in der aktuellen Ausgabe der Wiener Prosa in der Ausgabe Der altdeutsche Physiologus (Maurer) S. 64–66 den Beginn von Abschnitt XXVI: (1) Ein vogil heizit Caradrius in dem buoche Deutronomio, da ist gescriben daz man in ezzen nescule. (2) annan zellet Phisiologus unt chut daz er aller wiz si. […]. 137 Physiologus. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2721. In der Ausgabe Der altdeutsche Physiologus (Maurer), S. 65 in Abschnitt XIX: (6) Sus zellit beatus Jeronimus: […]. 138 Kaiserchronik. Vorau, Stiftsbibliothek, Cod. 276; in der Ausgabe Die Kaiserchronik (Diemer), S. 11, Z. 31 f.: Ob ir iʒ gelben wellent. / daz ih iv wil rehte zellen. 139 Windberger Psalter. München, Staatsbibliothek, Cgm 17. Vgl. die aktuelle Ausgabe Der Windberger Psalter (Kirchert), Psalm 9, V. 2: Ih fergihe dir herro in allem hercen minem. ih zele. ih sage elliu wunter diniu […]. 140 Windberger Psalter. München, Staatsbibliothek, Cgm 17. Vgl. die aktuelle Ausgabe Der Windberger Psalter (Kirchert), Psalm 54, V. 17: Ih aue ze gote rief unde der herro neret. heilit mih Spate. in abent unde fruo in morgen unde zemitteme tage sage ih, zele ih unde chunde ih unde er erhoret stimme mine. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

Bei diesen beiden Belegen wird zudem deutlich, dass zeln, selbst wenn es im Sinne von ›aufzählen‹ verwendet wird, dennoch eine deutlich diskursive Funktion hat. Diese funktionale Überblendung zeigen noch deutlicher die folgenden Belege aus Konrads von Würzburg Trojanischem Krieg und dem Tristan Gott­ frieds von Straßburg: 141   142  143 (B78)

ich zelle iuch dirre künige namen (Konrad von Würzburg, Der Trojaner-Krieg 165.c.)141

(B79)

solt ich alle sine tat. ie man von im geschrieben hat. zelen all besunder des maer wurde ein wunder (Gottfried von Straßburg, Tristan 96ra 30–33)142

ich [nenne] euch dieser könige namen

… wenn ich alle seine taten, die man ihm zugeschrieben hat, im einzelnen [wiedergeben] sollte, dann würde dies eine erstaunliche geschichte …143

Die Bedeutung ›aufzählen‹ im modernen Sinn tritt jedoch im Bochumer Referenzkorpus nur selten auf. Stattdessen spielt in den entsprechenden Belegen, stärker als es die Wörterbücher nahelegen, der performative Charakter von zeln eine Rolle. Mit zeln werden Redehandlungen bezeichnet, die emphatisch und/oder öf­ fentlich sind (B78, B79). Die Frage, ob die entsprechenden Äußerungen auf der Inhaltsebene Aufzählungen, Nennungen oder eine Mitteilung darstellen, tritt dahinter klar zurück. So auch im Windberger Psalter: 144

(80)

furechundent si michillicheit ere heilicheit diener redent sie unde wunterlih diniu zelent (Windberger Psalter 200v, 12)144

verkünden sie die größe der ehre, von deiner heiligkeit reden sie und [erzählen] von deinen wundern

In diesem emphatischen Sinne ist wohl auch die Verwendung von zeln in der Negation zu verstehen. Häufig, wenn auch nicht mit der hohen Frequenz der Wendung âne zal, wird die Unmöglichkeit betont, eines Sachverhalts durch zeln habhaft zu 141 Müller zitiert Konrad von Würzburg, Der Trojaner-Krieg (Myller); der Kontext lautet in der noch geltenden Ausgabe Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg (Keller), V.  26359–26365: Prîande, dem vil lobesamen. / ich  zele  iu  dirre  künige  namen: / ir  einer  hiez  Ulixes, / der ander Dîomêdes / was geheizen und genant. 142 Gottfried von Straßburg, Tristan. Hs. M. München, Staatsbibliothek, Cgm 51. In der aktuellen Ausgabe Gottfried von Straßburg Tristan (Ranke/Krohn), lautet die Stelle V. 18459–18462: wan solte ich alle sîne tât, / die man von ime geschriben hât, / rechen al besunder, / des maeres würde ein wunder. Die zitierte Ausgabe hat abweichend vom Manuskript in V. 18461 rechen statt zelen! 143 Übersetzung von Krohn in Gottfried von Straßburg, Tristan (Ranke/Krohn), V. 18459– 18462. 144 Windberger Psalter. München, Staatsbibliothek, Cgm 17. In der Ausgabe Der Windberger Psalter (Kirchert), Psalm 144, V. 4 f.: Chunnescaft unde chunnescaft lobet werh diniu unde gualt­ heit dine furechundent si Michillicheit ere heilicheit diner redent si unde wunterlih diniu zelent. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zeln im Mittelhochdeutschen?

161

werden. Dabei ist wiederum in vielen Fällen nicht entscheidbar, ob es um ein Überbieten der Zählbarkeit im engeren Sinne oder um ein Übersteigen des Sagbaren geht: Die Belege zeigen, dass sich die Überforderung des kognitiven Erfassungsvermögens (›zählen‹) mit der des sprachlichen Ausdrucks (›mitteilen‹, ›sagen‹) verbindet und sich sogar auf die motorischen Möglichkeiten niederschlagen könnte. 145

(B81) Dar na mirke dusentwerf dusent ungemach. die ingeine zunge gecellen mach (Die Lilie 29r, 11 f.)145

danach leide tausendfach tausend ungemach, die keine zunge [aussprechen/zählen] kann

3.2.3 Zuschreiben Das wichtigste Ergebnis einer Relektüre der Belege ist die Isolierung einer Bedeutungskategorie ›Zuschreibungen‹. Zeln wird dominant in Bezug auf Zuordnungsverhältnisse, Bewertungen und Rangzuschreibungen verwendet. Sowohl Wilhelm Müller (»Benecke/Müller/Zarncke«) als auch Matthias Lexer (»Lexer«) scheuen sich, das Spektrum der Pole zwischen ›zählen‹ auf der einen Seite und ›aufzählen‹, ›mitteilen‹ auf der anderen Seite aufzubrechen. Dabei fallen die Belege dieser Kategorie schon im »Benecke/Müller/Zarncke« mit 50 von 116 Belegen stark ins Gewicht. Wenn auch etwas schwächer, ist sie auch im »Lexer« stark belegt, ebenso wie im »Bochumer Mittelhochdeutsch Korpus«. Im Einzelnen lassen sich drei Varianten voneinander abheben: Vergleichen Die erste Teilgruppe bilden Textstellen, in denen einfache Zuordnungverhältnisse benannt oder Vergleiche gezogen werden. 146   147 (B82)

er ne gesâhe neheine burc, diu zuo ir mohte werden gezalt (Lamprechts Alexander 202,3)146

(B83)

ich bekenne ouch mîner buoze kleinheit gegen mîner sunden grôzheit zu zellende (Nikolaus von Straßburg 284, 19)147

er sah niemals irgendeine burg, die mit dieser [verglichen] werden konnte

ich bekenne auch, dass die kleinheit meiner buße gegen die größe meiner sünden [abzuwägen] ist

145 Die Lilie. Wiesbaden, Landesbibliothek, Cod. 68. In der Ausgabe Die Lilie (Wüst), S. 11, Z. 29 f.: Dar na mirke dusentwerf dusent ungemach, / die ingeine zunge ge cellen en mach. 146 Müller zitiert raffend Alexander (Diemer), S.  201,28–202,3: eine burch div wart nah im / genant. der erfvre al div lant. er / ne geſahe niemer neheine. div ʒů / ir mohte werden geʒalt. In den Langzeilen der aktuellen Ausgabe Lamprechts Alexander (Maurer), V. 662–670 heißt es: […] er nam er ein tusint in sine gewalt / unde fuorti sie in Egyto allesamt unde stifte da zeren si­ nes namen / eine burch, diu wart nach im genant, der erfuore al diu lant, / er negesahe niemer neheine , diu zuo ir mohte werden gezalt. 147 Müller zitiert leicht variierend Nikolaus von Straßburg (Pfeiffer), S. 284, Z. 18 f.: ich be­ kenne ouch mîner buoze kleinheit gegen mîner sünden grôzheit zu zellende. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

Entsprechend wird mit zeln formuliert, dass etwas nicht zu etwas anderem passt: 148   149 149 (B84)

daz enist der minne niht gezalt (Gottfried von Straßburg, Tristan 17007)148

[passt] nicht zur minne*

Bewerten Darüber hinaus wird mit dem Verb zeln eine Reihe wertender Zuschreibungen vorgenommen; hinsichtlich der Körpergröße in der Deutschordenschronik des Nicolaus von Jeroschin. 150

(B85)

des libes lutzil gezelt (Nicolaus von Jeroschin, Deutschordenschronik 152. a)150

für klein [gehalten]*

Vor allem in der höfischen Literatur wird mit dem Ausdruck zeln die Performanz von Personen hinsichtlich höfisch prämierter Kategorien bewertet. 151   152  153 (B86)

zelent si Gâwânen und ander diese rîterschaft gein werdecklîcher prîses kraft (Wolfram von Eschenbach, Parzival 284, 16)151

(B87)

wan ich zer schoensten bin gezelt und für die besten ûz erkorn (Konrad von Würzburg, Der Trojaner-Krieg 16, a.)152

(B88)

swer nu ze vreuden ist gezalt (Otto zum Turm 1, 192. a.)153

soll man denn Gâwân und alle übrige ritterschaft hier noch zu den heerscharen von adel und ehre [zählen]

denn ich werde als die schönste [angesehen] und vor den besten auserkoren

wer nun zur freude [bestimmt] ist

148 Müller zitiert Gottfried von Strassburg, Tristan und Isolt (Hagen). In der Ausgabe Gottfried von Straßburg, Tristan (Ranke/Krohn) findet sich die Stelle V. 17003. 149 Rüdiger Krohn übersetzt »dann gilt das nicht als Liebe«, s. Gottfried von Straßburg, Tristan (Ranke/Krohn), V. 17003. 150 Müller zitiert nach Folio-Zahlen der Stuttgarter Handschrift S in der Ausgabe Niko­ laus von Jeroschin, Deutschordenschronik (Strehlke). Die Stelle lautet ebd. im Zusammenhang, V. 22264–22268: In der zît, als ich vornam, / hîz ein brûdir Gunderam, / des lîbis lutzil ge­ zelt / und des mûtis gar ein helt / als sîne werk bewîsten vil. 151 Müller zitiert Wolfram von Eschenbach, Parzival (Lachmann); die aktuelle Ausgabe Wolfram von Eschenbach, Parzival (Lachmann/Knecht), bietet an gleicher Stelle denselben Text. 152 Müller zitiert Konrad von Würzburg, Der Trojaner-Krieg (Myller). In der neueren Ausgabe Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg (Keller) lautet die Stelle im Satzzusammenhang V. 218–222: man sol mir lâʒen den prîs / und den apfel ûʒ erwelt, / wan ich zer schœnsten bin gezelt / und für die besten ûʒ erkorn, / diu zuo der welt ie wart geborn. 153 Müller zitiert die Sammlung von Minnesingern (Bodmer/Breitinger), Bd. 1, S. 192, Sp. a: Wer nu ze vrœden iſt gezalt. Der Satzzusammenhang der Eröffnungsstrophe von Ottos Lied VI lautet in der aktuellen Ausgabe Die kleineren Liederdichter (Cramer), Bd. 2, S. 413, V. 1–4 : Wer nu ze vrden ist gezalt, / der wirt gewert / wes er begert / von des liechten meien zit. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zeln im Mittelhochdeutschen?

163

Bewertet werden Aspekte der äußeren Erscheinung, etwa der Körpergröße (B85), und die Tugendhaftigkeit (B86) oder Schönheit (B87) des Auftretens. In der Bewertung einer sozialen Verfasstheit verweist das Zitat aus Reinmar dem Alten (B88) bereits auf einen weiterführenden Typ. Die mit dem Verb vollzogene Bewertung kann auch die soziale Bestimmung von Personen formulieren. So im Annolied und im Ezzolied, wo in Bezug auf Sündenfall und Erlösung Freiheits­zustände benannt werden: 154   155 (B90)

duo wurde wir gezalt in den tiefeles gewalt (Ezzolied 321, 25)154

(B89)

wir wurden in vrîe gezalt (Annolied 68)155

da wurde wir der gewalt des teufels [bestimmt] als freie [angesehen]*

Schließlich wird mit zeln die Verheißung der Seligkeit oder des Todes ausgesprochen: 156   157 (B91)

ze sælden sît ir gezelt (Die Warnung 2596)156

(B92)

wan er zem tôde was gezalt, swer âne vride in sîn hûs reit (Ulrich von Zatzikhoven, Lanzelet 1596 f.)157

zur seligkeit seid ihr [bestimmt]

denn der war zum tode [bestimmt], der ohne friedfertigkeit in sein haus ritt

Bei den letzten Beispielen geht die Semantik der Zuschreibung bereits über die reine Bewertung hinaus. Das Wortmaterial legt es nahe, deswegen einen weiteren Typus der Verwendung von zeln zu unterscheiden. In diesem wird das Auftreten oder die soziale Verfasstheit nicht nur bewertet, sondern explizit institutionalisiert:

154 Müller zitiert Ezzos Cantilena de miraculis Christi (Diemer), S. 321, V. 24 f.: d. wrde / wir alle gezalt. in des tiefelles gewalt. In der neueren Ausgabe Ezzos Cantilena de miraculis Christi (Maurer), Str. 9, V. 3 f. (in der Gesamtzählung V. 100 f.): vil harte gie diu sin scult uber alle sine afterchunft; / duo wurde wir alle gezalt in des tiefelles gewalt. 155 Es kann nicht mehr ermittelt werden, nach welcher Ausgabe Müller und Lexer zitieren. So Nellmann 1997, S. 18. In der aktuellen Ausgabe Das Annolied (Nellmann), Stanza 4, V. 11 f. (in der Gesamtzählung V.  71 f.) lautet der Satzzusammenhang: der tiuvel virlôs den sînin ge­ walt, / wir wurdin al in vrîe gezalt. 156 Müller zitiert Die Warnung (Haupt); in der aktuellen Ausgabe Die Warnung (Weber), lautet die Stelle im Zusammenhang, V. 2591–2598: Vleget got dar vnder alle ceit; / div werlt iv vollen lon geit / Aller tugentlichen sinne, / so chvmt iv zegewinne / Ir ere, swa ir sei welt: / zesæl­ den seit ir gecelt / Vnt gelvke ce ingesinde, / dem hæile zeliebem chinde. 157 Müller zitiert Ulrich von Zatzikhoven, Lanzelet (Hahn), V. 1596 f.; so auch die aktuelle Ausgabe Ulrich von Zatzikhoven, Lanzelet (Kragl), V. 1596 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

Rang zusprechen Dieser Typus umfasst schließlich Verwendungen, bei denen explizit sozialer Status markiert oder hergestellt wird. Das Verb zeln benennt nicht nur den Akt der Bewertung von sozialem Status, wie es dieser Beleg aus Wolframs von Eschenbach Parzival zeigt: 158

(B93)

zelt mich doch für die armen (Wolfram von Eschenbach, Parzival 95,5)158

[zählt] mich doch [zu] den armen

Die folgenden Belege zeigen vielmehr eine Verwendung, bei der die Institutiona­ lisierung von Rang selbst mit dem Verb zeln ausgedrückt wird. So im Barlaam und Josaphat: 159

(B94)

der iu ze herscher ist gezalt (Rudolf von Ems, Barlaam und Josaphat, 69, 24)159

der euch [zum] herrscher [bestimmt] ist

Es gilt aber auch für die Institutionalisierung von Status und Macht im irdischen Bereich: 160   161 (B95)

die ze briester sint gezalt (Heinrich von Melk, Des Todes Gehugde, 95)160

(B96)

war umbe man den gewalt an den rât habe gezalt (Das Anegenge, 5,82)161

die zu priestern [bestimmt] sind

warum man die gewalt an den rat [übergeben] habe

158 Lexer zitiert leicht variierend Wolfram von Eschenbach, Parzival (Lachmann), Str. 95,5: zelt mich noch für die armen; gleichlautend an selber Stelle die aktuelle Ausgabe Wolfram von Eschenbach, Parzival (Lachmann/Knecht). 159 Müller zitiert leicht variierend die zwei Zeilen früher stehenden Stelle Der ù ʒe hercherſer iſt geʒelt (Sp.  69, Z.  22) nach Rudolf von Ems, Barlaam und Josaphat (Köpke). In der noch ­aktuellen Ausgabe Rudolf von Ems, Barlaam und Josaphat (Pfeiffer) lauten die von Rudolf adaptierten Worte Davids im Zusammenhang, Sp. 69, V. 19–28 (in der Gesamtzählung des Nachdrucks von 1965 V. 2719–2728): got ſprach ûʒ dem munde ſîn: / ›ich ſende dir den engel mîn, / der machet dînen wec vor dir. / zehant ſô kumet iu, den ir / gerne ſuochet unde welt, / der iu ze herſcher iſt gezelt / und ein engel der urkünde, / in ſîn tempel.‹ âne ſünde / wart dort in dem templô /  diz ſüeʒe wort ervüllet dô. 160 Müller zitiert Heinrich von Melk, Von des todes gehugde (Maßmann), V.  95: Die ze brieſter ſint gezalt. In der neuen Ausgabe Heinrich von Melk, Von des todes gehugde (Bein) lautet der Satzzusammenhang V.  99–102: Die zebriester sint gezalt, / die hant der zwelf poten giwalt, / daz si mit dem gotes worte, daz si bredigent, / die svndaer bindent vnt erledigent. 161 Müller zitiert Das Anegenge (Hahn), S. 5, V. 81 f. Der Kontext nach der neuen Ausgabe Das Anegenge (Neuschäfer) lautet V.  390–395: nû wil ich iu entechen, / war umbe man den gewalt / an den rât habe gezalt, / und umbe waz der wîztuom / sî gezalt an den suon / und diu guote an den heiligen geist. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zeln im Mittelhochdeutschen?

165

Dementsprechend wird mit dem Wort zeln auch der Verlust eines sozialen Status benannt: 162

(B97)

einen babest abe zeln (Schmeller 4, 250)162

[absetzen]*

In diesen Belegen tritt zu der (zu)ordnenden Semantik eine im sprechakttheo­ retischen Sinn pragmatische Funktion hinzu. Sie vertreten die Bedeutung ›erklären für‹, ›ernennen zu‹, ›übertragen auf‹, die Lexer etwas verlegen in die Gruppe [1.] »zälen […]« eingegliedert hat. Ob der Geltungsanspruch, der sich mit der Semantik verbindet, auch über die Inszenierung in der höfischen Literatur hinausgeht, aus der die Belege entnommen sind, muss weiterführend untersucht werden. In Bezug auf das semantische Kontinuum, in das zeln eingebunden ist, muss diese markante pragmatische Funktion des Verbs jenseits der semantischen Bestimmung zwischen ›zählen‹ und ›erzählen‹ betont werden.

3.3 Zusammenfassung und Einordnung Die Verwendung von zeln ist breit gefächert. Die von ihm bezeichneten Moda­ litäten des Mitteilens bewegen sich in dem Feld, das durch die Akte des Erzählens, Zählens und Zusprechens als Eckpunkte aufgespannt ist; ein Feld, dessen semantische Teilareale im modernen Deutschen lexika­lisch und konzeptuell vollkommen unterschiedlich organisiert sind, während sie sich im Mittelhochdeutschen in der Verwendung des einen Wortes zeln verdichten. Dass der moderne Sprachgebrauch diese Kohärenz nur noch latent transportiert, führt zu der befremd­lichen Anmutung der Bedeutungskategorien in Lexers »Mittelhochdeutschem Hand­wörterbuch« und den offenkundigen Inkohärenzen bei der späteren lexikographischen Erfassung. 3.3.1 Semantik In regionaler bzw. dialektaler Hinsicht ergibt die Datenbasis keine Differenzen. Sehr deutlich ist aber der Unterschied zwischen der Wortverwendung in der höfischen Epik und der Urkundensprache des beginnenden Spätmittelalters. In der höfischen Literatur ist die diskursive Bedeutungskomponente von zal und zeln stärker ausgesprägt, vor allem aber ganz deutlich die Markierung sozialer 162 Müller zitiert die erste Auflage des Bayerischen Wörterbuchs (Schmeller 1827–1837). Vgl. unverändert in dessen Neuauflage (Schmeller/Fromman 1872–1877). Das Bayerische Wörterbuch führt zu dem Beleg einen babest abe zeln leider keine Quelle an, sodass keine Informationen zum Kontext der sonst nicht dokumentierten Verbindung greifbar sind. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

Performanz. In den Urkundentexten wird zal und zeln dagegen durchgängig in numerischer Bedeutung verwendet. Eine diachrone Veränderung der Bedeutung innerhalb der mittelhochdeutschen Überlieferung legen die Belege nicht nahe. Was hält die unterschiedlichen Verwendungen im Mittelhochdeutschen zusammen? Ich möchte die These formulieren, dass im Zentrum der semantischen Konzepte, die sich mit dem Verb zeln verbinden, ein integrierendes Modell steht. Es wird z. B. in der bei Konrad Fleck (B24) überlieferten Formulierung sichtbar: nu […] zellent drîzic unze ûf das bret. ›nun zählt 30 Unzen auf das Brett‹. zeln ist seiner Kernsemantik163 nach ein ›iterativ-sequentielles, performatives Zuordnen, verbalsprachlich und/oder gestisch‹. Das Spektrum der Verwendungen lässt sich durch verschiedene Übertragungen und Akzentuierungen dieses grundlegenden Modells rekonstruieren. Entsprechend den obigen Ergebnissen sind das folgende Aspekte: 1. Die Bestimmung von Anzahlen ist beschreibbar als (sprachliche) Zuordnung von Objekten zu Anzahlbegriffen. 2. zeln im Sinne von ›mitteilen‹, ›sprechen‹, ›berichten‹ akzentuiert den verbalsprachlichen Akt und hebt dabei auf die Sequentialität der Handlung ab. Besonders stark ist dieser Aspekt in der Bedeutung ›aufzählen‹. 3. zeln im Sinne von ›zuschreiben‹ basiert ebenfalls auf dem verbalsprachlichen Aspekt der Handlung. Dabei geht es jedoch vor allem um die Zuordnung von Personen zu Statusgruppen und in metonymischer Erweiterung zu Begriffen so­ zialer Performanz. Der Akt des Urteilens überlagert dabei den Aspekt der Sequentialität. Diese Interpretation des semantischen Spektrums von mhd. zeln kann gut an die Ergebnisse des etymologischen Teils der Studie angeschlossen werden. Mit Gustav Rosenhagen164 wurde auch in der vorliegenden Arbeit die Motivation des Wortes Zahl in der Einkerbung in ein Zählmedium, z. B. einen Kerbstock, gesehen. Diese frühesten Kerbungen stellten wahrscheinlich ikonische Repräsentationen von gegebenen Kardinalitäten dar.165 Nichts spricht indessen dafür, dass diese Kerben schon mit einem operativen oder operationalen Begriff der Zahl verbundenen gewesen sind. Dennoch sind die Kerben in der Forschung bereits als Zahlzeichen interpretiert worden, wie etwa in der maßgeblichen Bearbeitung von Kluges »Etymologischem Wörterbuch« durch Elmar Seebold.166 Damit wird das Kerbzeichen stillschweigend von seinem kommunikationspragmatischen Gebrauchszusammenhang abgetrennt und interpretativ wie ein modernes Zähl 163 Den Begrif der ›Kernsemantik‹ entnehme ich Wegera 2002, S. 233 f. 164 Rosenhagen 1920. 165 Zum Begriff der ikonischen Repräsentation in diesem Zusammenhang. s. Wiese 1997, S. 83 f. 166 Kluge/Seebold 2002. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zeln im Mittelhochdeutschen?

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zeichen behandelt. Mit dieser Entkoppelung geht das Verständnis für die diskursive Qualität des vormodernen Zahlgebrauchs verloren. In diesem Sinne, so meine Überlegung im Anschluss an Rosenhagen und Seebold, muss betont werden, dass die pränumerischen, operal notierten Kerben, insofern sie als Erinnerungszeichen eingesetzt worden sind, immer sowohl numerisch als auch diskursiv kodiert gewesen sein müssen. Die Kerbenreihe selbst ist das Zeichen einer manifest gemachten Mitteilung, die gegebenenfalls in sich gegliedert sein kann. Das durch diese Situation motivierte Wort benennt sowohl das Zeichen in seiner Materialität als auch das, was das Zeichen repräsentiert. Diese Interpretation stützt meine Ergebnisse zur mittelhochdeutschen Semantik der Wörter zal und zeln. Im manifesten, Sprache und Geste verbindenden ›Hinzählen‹ der Geldstücke bei Konrad Fleck ist die originäre Verbindung von Kardinalität, Sequentialität und manifest gemachter Mitteilung voll präsent, die im Bild des Kerbholzes als das Grundmodell für die frühe Wortgeschichte von Zahl herausgearbeitet wurde.167 Die weiterführende Ausdifferenzierung der Wortverwendungen folgt den jeweiligen Bedürfnissen der mittelalterlichen Gesellschaft, wie sie sich in den Belegen aus Urkundenwesen auf der einen und aus der höfischen Literatur auf der anderen Seite spiegelt. Die spezifische Alterität des mittelhochdeutschen Wortgebrauchs ist jedoch nach wie vor aus der Verbindung von Kardinalität, Sequentialität und manifest gemachter Mitteilung zu entwickeln. 3.3.2 Syntax Die Analyse hat gezeigt, dass das Verb zeln in unterschiedlichen Verwendungsweisen auftreten kann. Das gilt auch für die syntaktische Struktur. Das Wort zeln vertritt, wie die Gliederung des Lemmas im »Benecke/Müller/Zarncke« zeigt, das Prädikat eines Satzes entweder allein, mit Präposition bzw. Adverbialprä­position, mit oder ohne Ergänzung als intransitives (B76), transitives (B64) oder ditransitives (B86) Verb. Grundsätzlich ist zeln hinsichtlich seiner Rektion im Mittelhochdeutschen beweglich. Einige Präpositionalkonstruktionen treten gehäuft auf. Der morphologische Status dieser Präpositionalverbindungen ist für zeln jedoch nicht geklärt und verlangt eine eigenständige Studie. Wenn auf der Grundlage des Quellenmaterials auch nicht die These erhärtet werden konnte, dass es sich um feste Verbindungen handelt, zeichnet sich dennoch eine gewisse Stabilität im Gebrauch dieser Konstruktionen ab. Das zeigt sich insbesondere daran, dass sie stets in Aussagen mit derselben oder einer ähnlichen Bedeutung verknüpft sind (vgl. zellen in in B87, B88 und zellen ze in B89, B90). Der Kasus der Objektphrase richtet sich nach der (Adverbial)Präposition. Aber auch ohne 167 s. o. Abschnitt, II.3.1. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

(Adverbial)Präposition regiert zeln unterschiedliche Kasus (mit Akkusativ B64, B65, mit Genetiv B84, B85). Insgesamt ist deutlich, dass die syntaktische Struktur die semantischen Differen­zierungen nicht oder nur sehr bedingt abbildet. Inwieweit die syntaktische Beweg­lichkeit des Wortes zeln auch damit zu tun hat, dass die mit dem Wortgebrauch assoziierten Handlungen außerordentlich heterogen sind, kann nicht ohne weiteres entschieden werden. Voraussetzung für diese präzisere Analyse des Verhältnisses von semantischer und syntaktischer Struktur wäre (1.) eine detaillierte Beschreibung der mit dem Verb zeln verbundenen Argumentstrukturen,168 (2.) die Durchführung einer Reihe von Vergleichsstudien zum syntaktischen Verhalten der anderen Verben im Sinnbezirk des numerischen und kommunikativen Wissens169 und (3.) in diesem Zusammenhang insbesondere eine tragfähige Abgrenzung von mhd. zeln und mhd. zaln. 3.3.3 Pragmatik Im Vergleich mit dem Neuhochdeutschen ist die mittelhochdeutsche Semantik von zeln besonders in Ausdrücken wie wir sind in vrîe gezalt (B89) oder einen ba­ best abe zeln (B97) bemerkenswert. Graduell unterschiedlich wird hier die diskursiv-assertive Semantik von einer performativen Semantik überprägt. In den mittelhochdeutschen Texten wird mit dem Ausdruck zeln nicht nur eine Aussage über die Welt getroffen, sondern zugleich auch auf solche Zustände in der Welt referiert, die davon abhängen, dass sie sprachlich vergegenwärtigt werden. Wenn in Rudolfs von Ems Barlaam und Josaphat von Gott als von dem gesprochen wird, der iu ze herscher ist gezalt (B94), wird damit nicht (nur) ein Urteil über seinen Status abgegeben, sondern (zugleich) sein Status in der Welt bekräftigt. Diese Wirkung verdankt sich nicht dem Inhalt der Äußerung, sondern der Anerkennung der sprachlichen Äußerung als soziale Handlung. Das Verb zeln ist nicht allein deshalb performativ, weil es die manifeste, öffentliche Mitteilung eines Sachverhalts bezeichnet, sondern weil es in Äußerungen verwendet wird, die als autorisierte und autorisierende soziale Handlungen in die Welt eingreifen. In dieser Hinsicht handelt es sich um ›performative Äußerungen‹ im Sinne John L. Austins170 bzw. um ›archetypische‹ oder ›ursprüngliche Performativa‹, wie sie Sybille Krämer171 in Anknüpfung an Mats Furberg präzisierend heraus­ gearbeitet hat.172 168 Zur Methode s. Grimshaw 1990 und Butt/Geuder 1998. 169 Als Modell könnte etwa das Syntaktische Wörterbuch Greule 1999 dienen, das aber leider keinen Eintrag zu zel(e)n enthält. 170 Austin 1962; Austin 1968; Austin 1986. 171 Krämer 2001, hier S. 140. 172 Furberg 1963, S. 452. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zeln im Mittelhochdeutschen?

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Nun ist bereits von Austin selbst die Unterscheidung von performativen und konstatierenden Äußerungen fallen gelassen worden.173 Sie wurde in der Sprechakt­theorie durch ein Modell ersetzt, in dem eine Äußerung nicht mehr entweder ›performativ‹ oder ›konstatierend‹ ist. Vielmehr werden zwei unterschiedliche Aspekte von Sprechhandlungen bzw. Teilhandlungen des Sprechens angenommen. In der Weiterentwicklung des Modells durch John Searle ist es die ›illokutive‹ Kraft einer Äußerung, die konzeptuell die ›performative‹ Äußerung beerbt.174 Der ausschlaggebende Unterschied ist, dass im Sinne Searles jede Äußerung zu einem gewissen Teil illokutiv bzw. illokutionär ist. Dass eine Äußerung die Form einer explizit performativen Äußerung hat, ist für Searle nur ein Kriterium in einer Reihe ›illokutionärer Indikatoren‹175. Entscheidend ist, dass auf diese Weise eine Abstufung der illokutionären Kraft von Äußerungen konzep­ tionell möglich wird. Ich möchte die Hypothese formulieren, dass in diesem Sinne das mittelhochdeutsche Verb zeln auch hinsichtlich seiner pragmatischen Dimension beweglich ist; eine Beweglichkeit, die, wie die Beweglichkeit der Rektion, mit der semantischen Spezialisierung auf dem Weg zum Neuhochdeutschen schwindet. Auch in diesem Bereich können spezialisiertere diachrone Untersuchungen zur Argumentstruktur des Verbs mehr Klärung schaffen. 3.3.4 zeln im Sinnbezirk des kommunikativen Handelns Die semantische Beweglichkeit des Wortes mhd. zeln ist nicht nur in der Pragmatik seiner Verwendung zu verorten, sondern auch im Feld der semantisch assoziierten Wörter. Eine Wortfeldanalyse, die den Namen verdiente,176 überschreitet den Rahmen dieser Arbeit. Um das Desiderat zu unterstreichen, seien dennoch die Einordnungen von zal und zeln in den vorliegenden Wortfelduntersuchungen kurz benannt. Zur Perspektivierung der Beobachtungen möchte ich dann – im Sinne eines Ausblicks auf eine wünschenswerte Wortfeldstudie zu zaln und zeln – ein kleines lexikographisches Experiment vorstellen. Das Wort zala spielt in Jost Triers wegweisender Studie über den »Deutschen Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes« nur eine winzige Nebenrolle. In der Behandlung der »Terminologie des Intellekts, über die Notker verfügt« und die »einen Reichtum« zeige, »wie er vor Notker nirgends erreicht worden ist, wie er 173 Austin 1962, S. 120. 174 Searle 1969. 175 Diese sind: Intonation, Interrogativpronomina und -adverbien, Modalverben, Modus, Wort- und Satzgliedstellung, Partikeln, spezielle syntaktische Konstruktionen usf.; vgl. die Zusammenfassung im Lexikon der Sprachwissenschaft, Bussmann 2002, Artikel: Illokution. 176 Zur Wortfeldforschung vgl. den Forschungsüberblick in Kap. I, insb. die Arbeiten Trier 1931; Schmidt 1973; Geckeler 1982; Lutzeier 1981; Lutzeier 1993. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

sich aber auch nach Notker in der mhd. Literatur kaum mehr findet«,177 ist die Rede von sin, reda, redehafti, wizze, gewizze, bechenneda, fernumest, ferstant­ nissida, sinnigi, chleini, speha und spâchi, fruoti, fruotheit, wîstuom, wizenheit, chunst, chunna, list und chleinlist, bochlist, lêra und lirnunga – von zala nicht.178 Die einzige Ausnahme ist eine Erwähnung, die beiläufig in der Beschreibung von uuîstuom gegeben wird.179 uuîstuom habe eine Fülle lateinischer Ausdrücke wiederzugeben. Unter diesen Ausdrücken stehe auch ratio, zu dem er eine Parenthese anfügt: »(sonst bei Notker meist reda, zala, auch bechenneda)«. Sowohl reda als auch bechenneda erhalten eigene Abschnitte und werden auch sonst vielfach erwähnt. zala dagegen tritt, obwohl von Notker häufiger verwendet als be­ chenneda, nie wieder auf. Kurios ist auch die Rolle von zal und zeln in Andreas Lötschers Studie über die semantischen Strukturen der Schallwörter im Alt- und Mittelhochdeutschen.180 Zentraler Gegenstand müssen die Wörter zal und zeln nicht sein, weil ihre Semantik nicht umfassend auf der Lautsprachlichkeit beruht. Dennoch ist bemerkenswert, dass zal und zeln, im Gegensatz zu mhd. spre­ chen, sagen, reden, jehen usw. auch unter denjenigen verba dicendi nicht genannt wird, von denen Lötscher das Material seiner Studie ausdrücklich abgrenzt. Schließlich gehören zal und zeln zu den seltenen Ausdrücken des Deutschen, die kein Antonym haben. Sie können deswegen nicht durch Oppositionen definiert181 sondern nur im komplexen Feld ihrer semantischen Beziehungen ver­ ortet werden. Vor diesem Hintergrund möchte ich die Ergebnisse meiner Arbeit mit der Hypothese verknüpfen, dass die Stellung des numerischen Wissens im deutschen Wortschatz insgesamt neu zu bestimmen ist. Das numerische Wissen muss im ›Sinnbezirk des kommunikativen Handelns‹ gesucht, verortet und erklärt werden. Mit Alain Guerrau muss das Vorgehen, das in der vorliegenden Arbeit für das eine Wortpaar zal und zeln angewendet worden ist, für alle Wörter aus dem Wortfeld des kommunikativen Handelns durchgeführt werden,182 einschließlich des lateinischen Wortschatzes und aller assoziierten sachgeschichtlichen Bezüge. Für den philosophischen Wortschatz des Mittellateinischen liegt immerhin eine Reihe von Untersuchungen von Pierre Michaud-Quantin vor, von denen sich eine, ausgehend vom Sprachgebrauch in Gratians Décret, der semantischen Einordnung von mlat. ratio widmet.183 Für die germanischen Dialekte gibt es eine

177 Trier 1931, S. 48 f. 178 Trier 1931, S. 48–65. 179 Trier 1931, S. 53. 180 Lötscher 1973. 181 Agricola 1992. 182 Guerreau 2001, S. 191–237. 183 Michaud-Quantin 1959. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zeln im Mittelhochdeutschen?

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kritische Darstellung zur Etymologie und Wortgeschichte der nur im 8.  Jahr­ hundert belegten Wörter ahd. rîm, rîmen und irrîmen von Wilhelm Braune, in der auch das Verhältnis zu ahd. zala diskutiert wird.184 Das Mittelhochdeutsche ist in dieser Hinsicht völlig unbearbeitet. Um das Desiderat zu unterstreichen, möchte ich als Anregung zu einer feldsemantischen Untersuchung ein kleines lexikographisches Experiment durchführen. In der ersten Stufe werden die Einträge, die die neuhochdeutschen Indizes zum althochdeutschen und mittelhochdeutschen Wortschatz als Bedeutungsäquivalente zu nhd. Zahl, zählen und erzählen angeben, zusammengestellt.185 In der zweiten Stufe, die ich hier nur für das Mittelhochdeutsche skizzieren möchte, werden diese mittelhochdeutschen Bedeutungsäquivalente zunächst als Lemmata in den Wörterbüchern aufgesucht und dann jeweils die nhd. Bedeutungsangaben zu ihnen gruppiert, die die einschlägigen Wörterbücher angeben, um ihr semantisches Spektrum zu markieren. Ich stelle die Ergebnisse in zwei Tabellen zusammen. (1.) Die erste Übersicht gibt die alt- und mittelhochdeutschen Ausdrücke, die als Bedeutungsäquivalente zu Zahl, zählen und erzählen angegeben werden, in alphabetischer Reihenfolge wieder. Wenn mehrere Wörter zu einer Wortfamilie gehören, werden sie zusammengestellt. Solche Wörter, die sowohl im Althochdeutschen als auch im Mittelhochdeutschen ein Äquivalent zu den neuhochdeutschen Wörtern zählen resp. zu erzählen sind, werden fett gedruckt; solche, die sowohl zu zählen als auch zu erzählen als Äquivalent dargestellt sind, werden kursiv gesetzt. Schon in dieser einfachen Stufe lassen sich eine Reihe von Verschiebungen beobachten.186 Die Übersicht S. 172 zeigt auf den ersten Blick, dass ungleich mehr Äquivalente zu nhd. erzählen genannt werden als zu nhd. zählen oder nhd. Zahl. Das erweckt den Eindruck, dass der Wortschatz im Bereich der diskursiven Mitteilung breiter sei als im Bereich der Ermittlung und Mitteilung von Quantitäten. Zweitens springt ins Auge, dass im Althochdeutschen vier Äquivalente zu nhd. Zahl angegeben werden (rîm, ruoba, zalla, zusätzlich ein rekonstruiertes wiomihhil), im Gegensatz zum Mittelhochdeutschen, für das nur zal genannt wird. Leider ist die Ausdifferenzierung der Semantik der wenigen althochdeutschen Wörter aufgrund der schütteren Beleglage nur bedingt rekonstruierbar. Ferner wird deutlich, dass die Wörter, die im Alt- und Mittelhochdeutschen die Bedeutung von nhd. zählen und nhd. erzählen widergeben, unterschiedliche Muster ausprägen.

184 Braune 1916, S. 34–39, zur Abgrenzung von zala und rîm, S. 37, Anm. 1. 185 Koller/Wegstein/Wolf 1990; Köbler 1995. 186 Ich halte mich an die Schreibung im »Benecke/Müller/Zarncke« und im »Lexer«. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

ahd.

Zahl

mhd.

ahd.

zählen

mhd.

ahd.

erzählen

beahten frambringan giblabazzen giwahan, giwahanen irrahhon irredinon kosen koson kwedan kwitilon

ginuzzen

mari gituon, mari tuon mezzan

rîman / rîmen girîman ruobon giruobon

rîm ruoba

nemmen, nennen prüeven rechen, rechenen reiten gereiten

schrîben

*wiomihhil

zaln

zellen bizellen irzellen

zeln erzeln gezeln

halten

lesen maere sagen /  machen ermaeren mezzen recken, rechen

sagen gisagen irsagen

sagen

zal zalon

bescheiden diuten

rahhon reda tuon redon

situfangon

zala

mhd.

gizalon zellen irzellen gizellen untarzellen

© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

setzen spellen tolken verjehen zal sprechen /  tuon zaln zeln bezeln erzeln gezeln verzeln

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Was heißt zeln im Mittelhochdeutschen?

(a) Für die beiden neuhochdeutschen Wörter zugleich gelten folgende Wörter als Äquivalent: zählen und erzählen ahd.

mhd. rechen zaln zeln gezeln erzeln

zeln irzeln

Im Althochdeutschen sind es nach dem Index von Köbler nur zeln und irzeln. Im Mittelhochdeutschen treten nach dem Index von Koller, Wegstein und Wolf noch zwei weitere Ableitungen von mhd. zal (mhd. zaln und erzeln) sowie das Wort mhd. rechen hinzu. Das unterstreicht die Hypothese, dass der mittelhochdeutsche Wortschatz noch nicht von einer Ausdifferenzierung diskursiver und numerischer Bedeutungen geprägt ist. (b) Die in der Übersicht fett gesetzten Wörter, die über beide Sprachstufen jeweils als Äquivalent zu einer der beiden Bedeutungen (entweder zu nhd. zählen oder zu nhd. erzählen) angegeben werden, sind: ahd.

erzählen

mari gituon rahhon sagen zellen gizellen irzeln

mhd. maere machen recken, rechen sagen zellen gizellen erzeln

ahd.

zählen

mhd.

zellen

zeln

irzeln zalon

erzeln zaln

Wieder ist die diskursive Semantik wesentlich stärker vertreten und wird auch durch Verben repräsentiert, die nicht von ahd. zala bzw. mhd. zal abgeleitet sind. (c) Kurioserweise verzeichnen die Wörterbücher zwei Wörter, die sowohl im Althochdeutschen als auch im Mittelhochdeutschen auftreten, aber mit inversen Bedeutungen. So wird ahd. mezzen als Äquivalent für nhd. zählen und mhd. mezzen als Äquivalent für nhd. erzählen angegeben. Eine entsprechende Verschränkung gilt den Hilfmitteln nach für ahd. bizellen und mhd. bezeln. Für den zweiten Fall zeigen die neuen Wörterbücher bereits, dass es sich um einen korpusbedingten und/oder methodischen Darstellungseffekt handelt.187 Dass inversive Bedeutungsentwicklungen anzunehmen sind, scheint mir in diesem Kontext 187 Vgl. AWB, Bd. 1, Lemma bizellen und MWB, Bd. 1, Lemma bezellen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

zählen Äquivalent

Übersetzung

beahten

Lexer: zählen; rechnen; zurechnen; zuteilen; zudenken; vermachen; (Geld) verschreiben

durchzeln

Lexer: zu Ende zählen

gereiten

Lexer: zählen; rechnen; (sich) zurechtmachen, rüsten

gezeln, gezellen

nemmen/ nennen (swv)

Lexer: einen namen geben, beim namen rufen; festsetzen; bestimmen; vür, zuo ~: zu etwas ernennen, erklären; in, zuo ~: rechnen, zählen zu; ausrufen; bekanntmachen; rühmen; preisen; genant: berühmt, bekannt

prüeven

Lexer: nachdenkend erwägen; prüfen; erkennen; beweisen; erweisen; dartun; schildern; bemerken; wahrnehmen; erwägen; schätzen; berechnen, nachzählen zählen; erproben; erwägend veranlassen; hervorbringen; anstiften; zurecht machen; bewirken; rüsten; schmücken

rechen/rechenen (swv)

Lexer: zählen; rechnen; rechenschaft ablegen; ze kunde ~: dartun (vgl.: auch BMZ: rechnen, aufzählen; rechenschaft ablegen; überrechnen, bedenken, berechnend ins Auge fassen; einzeln aufzählen; deutlich auseinandersetzen; sprechen; ausrechnen; bemerken) © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

erzählen Äquivalent

Übersetzung

ane sprechen

Lexer: ansagen; erzählen; berichten mir ist angesprochen: mir ist bestimmt

bescheiden

Lexer: scheiden; trennen; entscheiden, bes. als Richter; schlichten, bes. als Richter; einen Schiedsspruch tun; einrichten; bestimmen; sich einrichten; entscheiden; sich auseinandersetzend einigen; an seinen platz stellen; zu- oder anweisen, bes. als eigentum (durch Testament) zuweisen; jmd. v. etwas deutlich berichten, erzählen, benachrichtigen

bezeln

Lexer: erzählen; zu eigen geben; anheimstellen; erwerben

diuten, tiuten

Lexer: zeigen; deuten; der ausdruck für etwas sein; bedeuten; kund tun; anzeigen; erzählen; ausdeuten; übersetzen; bedeuten; verständlich machen; in der Volkssprache auslegen

ermaeren

Lexer: bekannt machen mit etwas; erzählen

erzeln, erzellen

Lexer: in Zahl bringen; aufzählen; auseinander setzen; erzählen; (das Recht) öffentlich hersagen Lexer: zählen; erzählen

lesen

Lexer: auswählend sammeln; aufheben; an sich nehmen; aufheben; etwas von einem ~: trennen; ze berge ~: den Berg hinauf schieben; sîn herze an einen ~: sein Herz auf jmd. richten; etwas an sich ~: etwas an sich nehmen, sich auswählen; ze herzen ~: sich erinnern; die rede in sîn ôren ~: sich die Rede merken; sich zû houf ~: sich zahlreich versammeln; sich zû dem besten ~: sich dem Besten anschließen; sich entzwei ~: sich trennen; in Ordnung bringen; in Falten legen; wahrnehmen; erblicken; lesen; an dem buoche ~: im Buch, aus dem Buch lesen; vorlesen; als Lehrer vortragen; als Schüler studieren; die Messe lesen; sagen; erzählen; berichten.

maere sagen, ze maere machen

Lexer: behaupten, erzählen

mezzen

Lexer: messen, abmessen, ausmessen; zielen; vallende den acker ~: vom Pferd gestochen werden; (Kleider) anmessen; mit den schritten messen; gehen; messen bei zauberischen heilverfahren; zumessen; zuteilen; geben; mitteilen; erzählen; abmessend gestalten; bilden; dichten; bestimmen; verkündigen; ein gemessener tag: Termin; vergleichen mit; gleichstellen mit; vergleichend betrachten, erwägen, überdenken, prüfen; messend, prüfend richten

recken/rechen

Lexer: sagen; erzählen; darlegen; erklären (vgl.: BMZ: sagen, besprechen) Lexer: zählen; rechnen; rechenschaft ablegen; ze kunde ~: dartun (vgl.: auch BMZ: rechnen, aufzählen; rechenschaft ablegen; überrechnen, bedenken, berechnend ins Auge fassen; einzeln aufzählen; deutlich auseinandersetzen; sprechen; ausrechnen; bemerken) © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

zählen Äquivalent

Übersetzung

reiten

Lexer: reite machen; zurüsten; bereiten; sich fertig und aufmachen; zählen; berechnen; auf einander ~: zusammenrechnen; ~ von: abrechnen von; anrechnen; berechnen; gereit, -rait: verrechnet; bezahlen (vgl. auch BMZ: zählen; rechnen; aufzählen; erschöpfend aufzählen; erörtern; bezahlen; zurüsten; bereiten)

schrîben

Lexer: schreiben; aufschreiben; verzeichnen; voll schreiben, beschreiben; durch schriftliche Urkunde etc. einem etwas als Eigentum verschreiben; den Namen von jmd. auf-, einzeichnen; jmd. als verplichtet oder berechtigt aufnehmen; anordnen; verordnen; nennen; heißen; beschreiben; schildern; zeichnen; malen; (refl.) sich verschreiben; sich schriftlich verflichten; aufgezeichnet sein; zählen; sich schreiben, nennen

volreiten

Lexer: zu Ende rechnen; zu Ende zählen; ganz schätzen

zaln, zalen

Lexer: zählen; rechnen; berechnen; aufzählen; berichten, erzählen von

zeln, zelen, zellen

Lexer: zählen; rechnen; berechnen, vergleichen; halten oder betrachten als; erklären für; ernennen zu (vür, ze); berechnen; als Fehler anrechnen; zur Last legen; gelten als; zuzählen; als anteil geben; beilegen; etwas zuschreiben; aufzählen; erzählen; mündlich mitteilen; sagen; sprechen; nennen (vgl. auch BMZ: zähle; rechne; erzähle; zuzählen; anrechnen; beilegen; übergeben; angesehen werden; (die Gewalt über jmd.) festsetzen; beimessen; Schuld geben; sich etwas wert machen; © dazu gehören; für etwas gelten;GmbH betrachtet werden als; herzählen; aufzählen; erzäh2011, Vandenhoeck & Ruprecht & Co. KG, Göttingen len; sagen; mündlich oder schriftlich mitteilen) ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

erzählen Äquivalent

Übersetzung

sagen

Lexer: mit worten ausdrücken; sagen; erzählen; nennen; rühmen; zu rechte ~: rechtmäßig zuerkennen; anschuldigen; (gedichte) vorlesen oder zum vorlesen verfassen das seit: das bedeutet; abe ~: versagen; an ~: anklagen;

setzen

Lexer: sitzen machen; setzen; stellen; legen; einen zuber ~: zusammenfügen; […] ûf jmd. ewas ~: jmd. eine Sache übertragen, bevollmächtigen; […] jmd. etwas anheim stellen; […]; jmd. ûz der richtung und freundschaft ~: jmd. als Feind erklären; jmd. zu dem Eid ~: jmd. verteidigen; etwas zum rechten ~: vor gericht bringen; sich ~: sich niederlassen; seinen Aufenthalt nehmen; von etwas absehen; aufhören zu handeln; […] sich einem ~: widersetzen; […] sich ~ ûf etwas: sich etwas fest vornehmen; […]; ein hûs, eine burc ~: erbauen; etwas schriftlich oder mündlich ausdrücken; einsetzen (als Einsatz bei Spiel oder Streit); als Bürge oder Pfand setzen; als Pfand hingeben, versetzen; etwas verpfänden; bestellen; anstellen; einsetzen; festsetzen; einrichten, anordnen; […] jmd. etwas ~: auferlegen; jmd. etwas als Eigentum, Recht oder Pflicht zuweisen; […] sich ûz ~: sich etwas vornehmen, einen Entschluss fassen;

spellen

Lexer: erzählen; reden; schwatzen; märchenhaft werden

tolken

Lexer: dolmetschen; erzählen; erklären; lallen

ûz ziehen

Lexer: ausziehen; sich entfernen; educere; elicere; extrahere; extricare; die ûz gezogenen: die Ausgehobenen, Rekrutierten; hervorholen; zeigen; entkleiden; ausnehmen; befreien; jmd. (wegen einer Schuld) ausziehen und ledig machen; hervorholen; auskramen, erzählen

verjehen

Lexer: sagen; erzählen; aussagen; zu erkennen geben; eingestehen; bekennen; die schuld ~: beichten; ûf jmd. etwas ~: von jmd. etwas aussagen, ihm beilegen; versprechen; geloben; jmd. etwas zugestehen, in etwas beipflichten; […] nennen; bekennen; erklären; sich ~: sich erklären als

verzeln, verzellen

Lexer: erzählen; berichten; narrare jmd. etwas ~: vorzählen, tadelnd vorhalten; jmd. etwas ~: vorenthalten; ausscheiden von; verurteilen; verdammen;

zaln, zalen

Lexer: zählen; rechnen; berechnen; aufzählen; berichten, erzählen von

zeln, zelen, zellen

Lexer: zählen; rechnen; berechnen, vergleichen; halten oder betrachten als; erklären für; ernennen zu (vür, ze); berechnen; als Fehler anrechnen; zur Last legen; gelten als; zuzählen; als anteil geben; beilegen; etwas zuschreiben; aufzählen; erzählen; mündlich mitteilen; sagen; sprechen; nennen (vgl. auch BMZ: zähle; rechne; erzähle; zuzählen; anrechnen; beilegen; übergeben; angesehen werden; (die Gewalt über jmd.) festsetzen; beimessen; Schuld geben; sich etwas wert machen; für etwas gelten; betrachtet als; herzählen; aufzählen; erzäh© dazu 2011, gehören; Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,werden Göttingen len; sagen; oder schriftlich mitteilen) ISBN mündlich Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

unwahrscheinlich. Die Darstellungseffekte sprechen vor dem Hintergrund der Ergebnisse dieser Arbeit eher für einen breiten Verwendungsraum, von dem okkasionell bestimmte Aspekte aktualisiert werden können. Beurteilt werden kann die Frage erst nach Abschluss der aktuellen Wörterbuchprojekte. (d) Die größte Konstanz weisen zwei unmittelbare Ableitungen von ahd. zala und mhd. zal auf: zeln bzw. zellen und irzellen bzw. erzeln sind für beide Sprachstufen als Äquivalent der beiden neuhochdeutschen Wörter angegeben. Die Verschiebungen zwischen diesen indexbasierten Projektionen unterstützen die Ergebnisse, die in der vorliegenden Arbeit zur Semantik von mhd. zal gewonnen wurden. Aus der Vielfalt der Verschiebungen und Doppelbedeutungen kann nur als Hypothese abgeleitet werden, dass nicht die lexikalische Semantik streng ausdifferenziert ist, sondern aus dem semantischen Spektrum jeweils die eine oder andere Bedeutung fokussiert und realisiert wird. Zudem unterstützen die Belege die Hypothese, dass der Bereich der diskursiven Äußerung deutlich stärker repräsentiert ist, dass er aber nicht prinzipiell vom semantischen Feld quantitativer Äußerungen abgesondert ist. (2.) Die zweite, umfangreichere, Übersicht S. 174–177 stützt diese Hypothese. Sie ist jeweils über die Doppelseite zu lesen und bildet das entsprechende Vokabular alphabetisch ab. Die Tabelle gibt einen ersten Eindruck von der tatsäch­ lichen semantischen Breite und Beweglichkeit des lexikalischen Umfelds. Die mittelhochdeutschen Äquivalente nach dem Index von Koller, Wegstein und Wolf zu zählen und erzählen sind hier um die Angaben ergänzt, die die Wörterbücher als Übersetzungsglei­chungen oder als Kategorien zur Gliederung der beigegebenen Textbelege aufführen.188 Die Angaben in der jeweils rechten Spalte sind in der Reihenfolge wider­gegeben, die sie in den Wörterbüchern einnehmen. Diese zweite Übersicht unterstreicht noch deutlicher die Hypothesen zur Struktur des Wortschatzes. Sie bestätigt, dass die Annahme einer Opposition von rein diskursiv und rein numerisch verwendeten Ausdrücken auf den mittelhochdeutschen Wortschatz nicht prinzipiell übertragen werden kann. Sie zeigt darüber hinaus, dass auch das semantische Potential der benachbarten Ausdrücke eine Fülle von Bedeutungsakzenten abdeckt. Das macht insbesondere die Abgrenzung von zeln und zaln problematisch. Die Handlungen des Zählens und Erzählens stehen in den unterschiedlichsten Konstellationen neben dem Behaupten, Urteilen, Nennen, Ausrufen, Rühmen, Schwatzen, Erklären, Rechenschaftlegen, Rechnen, Zuteilen, Vergleichen, Wahrnehmen, Überlegen usf. Zu den Ergebnissen des vorliegenden Kapitels gehört die Einschätzung, dass die Wörter zal und zeln wesentlich von ihrer Pragmatik im sprechakttheoretischen Sinne her verstanden werden müssen. Die zweite Übersicht legt die Hypothese 188 Bei den Übersetzungsgleichungen halte ich mich an die Orthographie von »Benecke/ Müller/Zarncke« und »Lexer«. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zeln im Mittelhochdeutschen?

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nahe, dass das auch für eine Reihe weiterer Ausdrücke des Kommunizierens gilt, etwa für beahten, bescheiden, gereiten, nemmen/nennen, setzen, verjehen. Damit verbindet sich die Annahme einer starken Situationsgebundenheit des Wortgebrauchs auch bei anderen Ausdrücken im Wortfeld der Mitteilung. In diesem Sinn gibt die Übersicht auch einen Hinweis auf die metaphorischen Übertragungen, die die Wörter im Sinnbezirk des Mitteilens an andere außersprachliche Handlungen knüpfen. Das gilt etwa für reiten/gereiten, halten, lesen, mezzen, re­ cken/rechen, schrîben, setzen, ûz ziehen. Die Betonung von (1.) einem breiten semantischem Potential, (2.) einem hohen Stellenwert von Situationsbindung und illokutiver Kraft sowie (3.) einer dichten Verknüpfung mit nichtsprachlichen Konzepten bestätigt: Die Kommunikations­geschichte des Mittelalters muss zentral von ihren medialen Situationen, von ihrer Materialität, Situationalität und Prozessualität her verstanden werden. Für eine Weiterentwicklung der kommunikationsgeschichtlichen Perspektive in den philologischen, kulturwissenschaftlichen und geschichtswissenschaft­ lichen Mediävistiken ist eine umfassende Studie zum semantisch-lexikalischen Feld des kommunikativen Handelns im Mittelalter unverzichtbar. An diese Arbeit sind zwei Bedingungen geknüpft, um zu einem validen Ergebnis zu führen. Die Studie muss (1.) den Wortschatz des Mittelhochdeutschen insgesamt so repräsentativ wie möglich abbilden (insbesondere auch die Gebrauchsliteratur adäquat berücksichtigen), (2.) die materialen Praktiken aufarbeiten und einbeziehen, die den Wortgebrauch an die Lebenswelt angliedern. Und sie muss (3.) die semantische Struktur des Lateinischen aufarbeiten und einbeziehen, die den Wortgebrauch an die schriftliche Überlieferung anschließt. 3.3.5 Zur Medialität der Zahl Festzuhalten ist, um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen, dass das mittelhochdeutsche Wort zal eine große semantische, syntaktische und pragmatische mouvance aufweist. Als Wort entzieht es sich vollständig einer semantisch, syntaktisch und pragmatisch eindeutigen Definition. Insofern das Wort inhaltlich (Kardinalität, Sequenz, Sprachhandlung) das unfeste Verhältnis von Statik und Dynamik ausdrückt, beweist es auf theoretischer Ebene die Notwendigkeit einer historischen Semantik, die den pragmatisch dominierten ›semiotischen Prozess‹ gegen das ›semantische Strukturbild‹ stark macht. In diesem Sinne muss auch das im Einleitungskapitel formulierte Spektrum ›operational‹ – ›operativ‹ – ›operal‹ ergänzt werden. Die spezifischen mittelalterlichen Kommunikations­bedingungen machen es notwendig, ihm eine Kategorie an die Seite zu stellen, die ich in lockerer Anlehnung an die Terminologie der Sprechakttheorie als ›lokutorisch‹ bezeichnen möchte. Sie benennt die Einbindung der Zahl in das strukturelle und semantische Relationengefüge der Rede – © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

in Abgrenzung von der Einbindung der Zahl in das formale Relationengefüge des Operativen. Ich möchte die Kategorie wie folgt einordnen: Die neuere mediävistische Forschung hat sich intensiv mit den medialen Bedingungen mittelalterlicher Kommunikation befasst und ihre Charakteristika differenziert herausgearbei­ tet. Wesentliche Ergebnisse haben die Fragen nach der Materialität der Kommu­ nikation,189 insbesondere nach der Rolle der Schrift,190 zutage gefördert, aber auch die Erforschung der zeremoniellen und rituellen Traditionen191 sowie der Modalitäten der Wahrnehmung in verschiedenen Wissensbereichen.192 Die Diskurse überschneiden sich in der Dimension der Körpergebundenheit mittelalterlicher Kommunikation. Nicht nur dort, wo es um sozialen Rang und die Durch­setzung von Führungs- und Rechtsansprüchen geht, ist die Verständigung auf die Einheit von verbaler und nonverbaler Kommunikation angelegt. Die verbale Äußerung wird im komplexen Zusammenspiel der sensorischen Ein­drücke dekodiert, die im Raum wechselseitiger Wahrnehmung jede Äußerung begleiten.193 Zu den Ergebnissen dieser Forschungen gehört die Einsicht, dass die grundlegend multimediale Auffassung von Kommunikation auch den Umgang mit Texten und Bildern bestimmt. Es ist deutlich geworden, warum ein Buch in mittelalterlichen Quellen mit der menschlichen Stimme assoziiert wird, als spreche es mit der Stimme des Autors,194 und warum die Bilder nach Art lebendiger Vorbilder wahrgenommen werden.195 Auch die Medien zweiter Ordnung (selbstreflektive Medien wie Schrift und Bild) sind immer in der umfassenden Wahrnehmung des menschlichen Agierens und Perzipierens aufgehoben.196 In diesem Zusammenhang ist einsichtig, dass mhd. schrîben und malen sich semantisch so nahe stehen, dass sie synonym verwendet werden können,197 und dass Gedächtnisinhalte, so zumindest in der literarischen Imagination, von einem Medium in das andere übertragen werden können, ohne dass dabei ein Informationsverlust 189 Gumbrecht/Pfeiffer 1988, darin insb. Wenzel 1988. 190 Aus der unüberschaubaren Fülle an Literatur sei paradigmatisch die Freiburger Publikationsreihe »ScripOralia« genannt. Vgl. zudem in traditioneller resp. avancierter Perspektive die resümierenden Beiträge von Keller 2002 und Kuchenbuch 2002b. 191 Althoff 1997 u. ö. 192 Für die im kulturwissenschaftlichen Diskurs häufig marginalisierte Musikwissenschaft nenne ich stellvertretend Kaden 1999 und Wald (im Dr.). 193 S. Wenzel 1995, S. 95–192 (Kapitel III. Einschulung des Adels im Kirchenraum. Partizipation und Repräsentation und IV. Höfische Erziehung) 194 S. bereits Isidor, Etymologiae (Lindsay), I,3: Litterae autem sunt indices rerum, signa ver­ borum, quibus tanta vis est, ut nobis dicta absentium sine voce loquantur. 195 Programmatisch Wenzel 1995 und die von diesem Impuls angeregten Arbeiten, etwa Brinker-von der Heide 2002; Wedell 2008. 196 Zuletzt Wenzel 2008. 197 Vgl. Wenzel 1995, S. 292–337 (Kap: VI. schrift und gemeld: Zur Bildhaftigkeit der Literatur und zur Narrativik der Bilder). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Was heißt zeln im Mittelhochdeutschen?

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auftritt.198 Die inzwischen längst institutionalisierte Kooperation von Literaturund Kunstwissenschaft arbeitet dieses Verhältnis umfassend, historisch und systematisch auf. Die Rolle des numerischen Wissens ist von der Horizonterweiterung, die mit diesem Paradigmenwechsel einherging, lange unberührt geblieben. Erst die radikal technik­zentrierte Kulturgeschichtsschreibung hat unter dem Eindruck der digitalen Medien für die Zahl eine tragende Rolle in der kulturellen Entwicklung beansprucht.199 Nach der Erschöpfung dieses harten technizistischen Kulturbegriffs200 wird gegenwärtig etwa unter dem Label der ›Kulturtechnik‹ an einem Kulturverständnis gearbeitet, das die Überlieferung von Bild, Schrift und Zahl in einem integrierenden Blick analysiert.201 Eine Polyvalenz der Zahl, wie sie die mittelalterlichen Quellen präsentieren, wird jedoch auch in diesem Modell schwerpunktmäßig als eine sekundäre Repräsentation von Diskurs durch das Kalkül denkbar, wie es die digitale Datenverarbeitung ermöglicht.202 Die originäre Verbindung von Quantifizierung und Diskurs hat auch die neueste kulturtechnische Forschung bislang nicht programmatisch dargestellt. Denn die Privilegierung der formal-symbolischen Kommunikation hat ihr zwar nicht den Weg in die Geschichte, aber die Möglichkeit einer grundlegenden Historisierung versperrt. Erst selten, und für die Gesamtgesellschaft kaum spürbar, beginnt im Mittelalter an einzelnen Handelsorten und Universitäten die Auseinandersetzung mit den arabischen Ziffern und mit ihr der »Take-Off der Operatoren«,203 die »Auswanderung der Zahl aus dem alphanumerischen Code«.204 Hier setzt die formalistische Konzeption der Kulturtechnik an. Das mittelhochdeutsche Wort zal bezieht sich hingegen auf eine Situation, in der die Ziffern-, Noten- und Alphabetschriften noch kaum ausdifferenziert und ungebrochen im umfassenden Medienverbund aufgehoben sind. Hier ist, entsprechend der Verwandt­schaft von schrift und bilde, auch der zal die orale Qualität der Worte eingeschrieben, die die wahrnehmungsgesättigte Kommunikation (nicht nur) im Raum wechselseitiger Wahrnehmung bestimmt. Deswegen verbindet sich die zal immer mit dem Sprecher, der sie verlautbart, oder, in der Schrift, mit der Autorität, die sie beglaubigt. Wenn zudem die Kernsemantik von mhd. zeln nach dem Modell des Kerbholzgebrauchs verstanden werden kann, dann vertritt zeln paradigmatisch die Konvergenz von Sagen und Zeigen.205 zeln meint die iterativ-sequentielle (ope 198 Wedell 2008. 199 Resümierend Winthrop-Young 2005. 200 Krämer 2003a. 201 S. die Ausführungen zum methodischen Rahmen der Arbeit, Kapitel I.2. 202 Grube 2005. 203 Kittler 2001. 204 Flusser 1996; vgl. auch Krämer 1988. 205 Krämer 2003c. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Bedeutungsvariation von mhd. zal und zeln

rale) Durchführung von Zeigakten, seien diese auf Gedächtnisinhalte oder auf greifbare Gegenstände bezogen. Der dem zeln implizite deiktische Impuls verbindet die zal mit der rede und dem bilde. Noch für Leibniz ist die Zahl als ein wiederholtes »Dies« konstituiert.206 Für die mittel­alterliche Kommunikation, in der die Medien noch nicht durch die Entfesselung ihrer formalen Operationalisierung auseinander gesprengt sind, gilt umso mehr: zeln, schriben und bilde geben sind Modalitäten der Kommunikation, in der sich »Deixis und Repräsentation, Imagination, Animation, Sagen und Zeigen« miteinander verbinden.207 So ist im Medium der Sprache208 die Opposition von zählen und erzählen für die mittelalterliche Kommunikation als platter Anachronismus zu entlarven. In diesem Sinne muss weiterführend die Reihe ›operational‹ – ›operativ‹ – ›operal‹ ergänzt werden. Aus der Perspektive des Sprachhandelns ist dieser Reihe der ›loku­torische Zahlgebrauch‹, der an den pragmatischen Erfordernissen der sprach­ lichen Äußerung orientiert ist, an die Seite zu stellen.

206 Leibniz, Confessio philosophi (Saame), S. 125. 207 So die Leitbegriffe der neuen wahrnehmungstheoretischen Diskussion nach Wenzel 2008. 208 Zum Konzept der Sprache als Medium s. Jäger 2001. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

… soviel ist klar, dass es gerade das (in seinen verschiedenen Eigenheiten erkannte) Kerbholz sei, das die ohnedem fehlende Brücke zwischen dem idealen Werthbegriffe und den materiellen Buchführungsverhältnissen schlage; soviel ist klar, dass das Kerbholz, insofern, den Werth materialisire …« Anton v. Kostanecki1

IV. Zuteilen – zählen – zahlen. Legitimation und Operationalisierung von Kerbholznotationen

Ziel des folgenden Kapitels ist es, den philologischen Befund mit dem sachlich korrespondierenden archäologischen Befund zu verbinden. Es geht um die materielle Geschichte des Zählinstruments, das nicht nur für den wirtschaftlichen Verkehr dominierend gewesen ist, sondern zugleich über die Geschichte der Literalisierung im vormodernen Europa Aufschluss gibt. Was erfahren wir aus der Analyse der Kerbhölzer über das numerische Wissen? Was teilen sie mit in Bezug auf die Konzeptualisierung des Verhältnisses von ›erzählen‹, ›zählen‹ und ›zusprechen‹ in der Praxis? Der springende Punkt bei der Verknüpfung von historischer Semantik und historischer Notationspraxis ist, dass auch der Kerbholzgebrauch an die Etymologie angeschlossen werden kann. Es ist nämlich die Praxis, die Rosenhagen als die Urszene der Zahl beschrieben hat: »zählungen für das auge festzuhalten.«2 Diese hat  – weitgehend unbeachtet von der Forschung  – den mittelalterlichen Umgang mit Zahlen maßgeblich geprägt. Die Kerbholzüberlieferung bildet so das Faustfpfand für die etymologisch-frühgeschichtliche Rekonstruktion. In diesem Sinne erlaubt der Vergleich von etymologischer Projektion und materieller Überlieferung zweierlei: (1.) ermöglicht der archäologische Befund die An­ schauung eines tatsächlichen Umgangs mit gekerbten Zählungen. (2.) zeigt die archäolo­gische Überlieferung den Unterschied zwischen dekontextualisierender etymologischer Rekonstruktion und historisch verbürgter Zeichenpraxis. Der

1 Kostanecki 1900, S. 208. 2 Rosenhagen 1920, S. 190. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kerbholznotationen

Schnitt ins Kerbholz, die originäre Verbindung von zeigen, zählen und erzählen, hat die signifikative Unschuld der ›Erstkerbung‹ längst verloren. Während die etymologische Projektion auf der Vorstellung basiert, dass die Kerben die frühesten und einzigen Zeichen gewesen sind, übernehmen die überlieferten Kerbhölzer eine klar definierbare Rolle in der komplexen Landschaft des mittelalterlichen Zeichengebrauchs. Diese Rolle gilt es im Folgenden zu rekonstruieren und von der etymologischen Projektion abzuheben. Damit wird auch die Funktion des Numerischen besser greifbar: Hinsichtlich der Etymologie wurde argumentiert, dass die ursprüngliche (operale) Kerb­ zählung nicht an einen Zahlbegriff im operativen oder operationalen Sinne gekoppelt gewesen sein kann, weil die Kerben als Merkzeichen nicht auf eine formale Standardisierung und Differenzierung hin angelegt gewesen sein, sondern vielmehr die Erinnerung insgesamt adressiert haben dürften. Für die semiorale Kommunikation des Mittelalters muss diese Sicht differenziert werden: Ob­ wohl die Koppelung von Quantität und situationsgesättigter Erinnerung erhalten bleibt, lässt sich die numerische Semantik der Kerbholz-Kerben dennoch stärker isolieren und profilieren. Wie die angekerbte Zahl im Feld von Operalität, Operativität und Operatio­nalität3 jeweils zu bewerten ist, hängt von dem Notationstyp und dem Gebrauch ab, den das Kerbholz repräsentiert. Um den Gebrauch zu rekonstruieren, müssen drei Fragen beantwortet werden: 1. In welchen Textgattungen und in Bezug auf welche Situationen wird überhaupt von Kerbhölzern gesprochen? 2. In welchem Verhältnis stehen die überlieferten Kerbholznotationen zu den übrigen, formal verwandten Zeichenpraktiken? 3. In welchem Verhältnis stehen die überlieferten Kerbhölzer zur schriftlichen Überlieferung? Entsprechend entwickelt das Kapitel die folgenden drei Schwerpunkte: (1.) das Verhältnis von philologischem und archäologischem Befund, (2.) die spezifischen Gebrauchsbedingungen für Kerbhölzer, (3.) die Kerbhölzer als protoschriftliche Medien.

1. Philologischer und archäologischer Befund 1.1 Wie spricht man über das Zählen auf Kerbhölzern? Einführend kommen, ausgehend von den im vorigen Kapitel eingeführten Wörter­büchern des Deutschen, Schrift­quellen zur Sprache, die einen ersten Einblick in die Erscheinungsformen und Funktio­nen der Kerbhölzer bieten. Es geht

3 Zur Begrifflichkeit s. Kap. I.3.1. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Philologischer und archäologischer Befund

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um die Bezeichnungen für Kerbhölzer, ihre Kontex­tualisierung in unterschiedlichen Gebrauchszusammenhängen und den spezi­fischen Zeichencharakter der Kerbe. 1.1.1 Bezeichnungen und Funktionsspektrum von Kerbhölzern im Spätmittelalter Am häufigsten werden Kerbhölzer in der pragmatischen Literatur des späten Mittel­alters und der frühen Neuzeit erwähnt.4 Während für die höfische Dichtung keine Belege verzeichnet sind,5 treten sie in der Sphäre des Rechts regelmäßig auf. Bezeichnungen Charakteristisch ist die Vielfalt der Bezeichnungen. Das »Deutsche Rechtswörter­ buch«6 hat neben den Einträgen kerbholz und kerbstock auch kerb, aber auch kerbstecken. Das »Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte«7 ergänzt nd. karfstock, alem. und sbair. span und spanholz sowie bair.-österr. rabisch, robisch. Unter Kerbe werden im »Deutschen Rechtswörterbuch« zudem eine Reihe von Synonymen und Verwandten angeführt. Neben den schon genannten sind das »Dehem-, Gegenkerb, Amtsfronstock, Beile […], Beitholz, Bengel […], Bierstock, Dorfspan, Einsatz […], Einlegetessle, Fahrfronstock, Fronstock, Fuhrstock, Gegenholz […], Gegenkerbholz, Gegenrabisch, Gegenreitholz, Gegenspan, Handfronstock, Holz […], Kerbbrief […], Krapfen […], Reitholz, Steuerstock, Stock, Strafstock, Tessel.«8

Die Vielfalt der Namen macht deutlich, dass es sich bei dem Gebrauch der Kerbhölzer nicht um eine einheitliche Verwendungssituation handelt. In den Bezeichnungen deutet sich eine vielfältige Einbindung der Kerbhölzer in die Lebenswelt an. So verweisen die Namen auf unterschiedliche Einsatzbereiche, wie der Vergleich von Bierstock, Fuhrstock, Fronstock zeigt. Zudem spiegeln die Bezeichnungen unterschiedliche formale Eigenschaften. Vor allem werden einfache und mehrteilige Objekte voneinander unterschieden. Im Gegensatz zum einfachen Fuhrstock benötigen die Einlegetessle und die Kerbholztypen, deren Namen mit gegen- gebildetet werden (wie Gegenholz und Gegenspan), jeweils zwei Teile um zu funktionieren. Damit rückt schon auf der Ebene der Bezeichnung eine Kon 4 Zur Kategorie der »pragmatischen Literatur« vgl. die konstituierenden Sammelpublika­ tionen Keller/Grubmüller/Staubach 1992; Keller/Meier/Scharff 1999; Keller/Meier/Honemann/ Suntrup 2002 und resümierend in systematischem Zugriff von Moos 1997. 5 So Lexer 1992 und BMZ. 6 DRW, Bd. 7, Lemmata ›Kerb‹, ›Kerbholz‹, ›Kerbstecken‹ und ›Kerbstock/Kerbestock‹. 7 HRG, Bd. 2 Lemma ›Kerbholz‹. 8 DRW, Bd. 7, Lemma ›Kerbholz‹. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kerbholznotationen

trollfunktion der doppelten Kerbhölzer in den Blick. Schließlich wird auch die Einbindung in unterschiedliche Kommunikations- und Herrschaftsebenen deutlich, wie der Vergleich von Dorfspan, mit Amtsfronstock und Kerbbrief zeigt. Die Verwendungen signalisieren schon lexikalisch eine unterschiedlich enge Bindung an die amtliche bzw. schriftliche Kommunikation. Funktionsspektrum Deutet sich schon in den Bezeichnungen eine vielfältige Einbindung der Kerbhölzer in die Lebenswelt an, so wird das noch deutlicher, wenn man einen Blick auf die Kontexte wirft, die die Quellenbelege spiegeln. Exemplarisch zitiere ich die Belege bis um 1500 aus dem »Deutschen Rechtswörterbuch«. Die von ihm erfasste Überlieferung setzt freilich erst gegen 1400 ein. Die Funktion der Kerbhölzer, die sich in den Belegen abzeichnet, ist deswegen nur bedingt repräsentativ. Zum Eintrag Kerbholz sind es folgende Belege:9 10   11  12  13 (B’1)

… win koufen in geselleschaft vff kerueholze zu trinkene … (spätes 14. Jh.)10

(B’2)

… eyn schultheisz sal dry kiesen […] die sullen uff ir eide die bede setzen und kerben, sollen dem schultheisz daz kerbholz geben, der sal umgehen und die bede uffheben … (um 1430)12

… ein schultheiß soll drei auswählen […] die sollen auf ihren eid die bede (fest)setzen und kerben, sollen dem schultheiß das kerbholz geben, der soll herumgehen und die bede erheben …

(B’3)

schuldig […] czweinczig czentner czyn vnd was das kerbholcz awszweysen wirdt (1478)13

… schuldig zwanzig zentner zinn und was das kerbholz ausweisen wird …

(B’4)

… kain kerffzedel oder kerffholtz, wann der andertaile den gegenzedel oder das gegenholtz dagegen nit leit vnd des lögnet, ist nit gnuogsam zuorecht den andern tail zuo besagen oun verer vrkünd oder vmbs taende, die dem selben zedel oder holtz billich ain glouben gebaeren.

… kein kerbzettel oder kerbholz ist, solange der andere den gegenzettel oder das gegenholz nicht anlegt und es anzweifelt, dessen (aussage) leugnet, ausreichend rechtmäßig, dem anderen zu bezeugen, ohne weitere urkunde oder zeugen (umstehende), die demselben zettel oder holz rechtmäßig glaubwürdigkeit geben.

wein kaufen (um ihn) in gesellschaft auf kerbholz zu trinken11

9 DRW, Bd. 7, Lemma ›Kerbholz‹. 10 Ruth Schmidt-Wiegand zitiert hier (HRG, Bd. 2, Lemma ›Kerbholz‹) Bech 1875, S. 46, der sich seinerseits auf Lambert 1870, S. 53 beruft, der aus nich näher bestimmten Akten des Stadtarchivs Mühlhausen zitiert. 11 Zu Form und Funktion der Übersetzungen s. die einleitdenden Absätze zu Kapitel III. 12 Hanau. GrW I, 511, zit. nach DRW, Bd. 7, Lemma ›Kerbholz‹.. 13 Teplitz UB, 258, zit. nach DRW, Bd. 7, Lemma ›Kerbholz‹.. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Philologischer und archäologischer Befund

(B’5)

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doch sol der, so dess kerffholz oder zedelss ab red ist, ain ayd swoern, das er dess gegenholtz oder zedelss nit hab oder wiss, uorhannden gewesen sin… (1493)14

doch soll der, von dessen kerbholz oder zettel die rede ist, einen eid schwören, das er das gegenholz oder zettel nicht hat oder nicht weiß, wo es vorher gewesen ist …

… ist im in sinen eidt ingebunden, das er alle messen, so durch den capplan gelesen, an ein kerbholtz schnieden und die eins jeden jars eim statmeister ubergegen solle … (1501)15

… ist er an einen Eid gebunden, dass er alle Messen, die durch den Kaplan gelesen (wurden), an ein Kerbholz schneiden und die jedes Jahr einem Stadtmeister übergeben solle …

  15 Für Kerbstock nennt das »Deutsche Rechtswörterbuch«:16 17   18  19  20 14

(B’6)

… dat hoye te winnen ende tesamen te brenghen bi R. ende J. E., gherekent met enen kerfstoc, enen in den 16 daghe, elken dach 2 pl. maect: 2 sch. 8 pl. … (14. Jh.)17

(B’7) … des bewijst G. […] bij den kerfstoc, die der becker daeraf hadde ghekerft … (14. Jh.)18 (B’8)

… schal he zinen keruestok hebben myt deme smede, dat he wete, wo vele ysern […] men behoued to deme stalle … (1400)19

(B’9)

… hebbe ick mynen heren bynnen dissen jare op eynen kerfstock an wyn opgedra­ gen, dat sick verlopet op vyve und vyff­ tich mr. 2s. )d., als dey kerfstock dat uyt­ wyset … (1439)20

… gerechnet mit einem Kerbstock …

das beweist G. […] mit den kerbstöcken, die der bäcker darauf gekerbt hatte … … soll er seinen kerbstock bei dem schmied haben, dass er wisse, wie viel eisen […] man in diesem stall schlägt … … habe ich meinen herren binnen dieses jahresauf einen kerbstock an wein aufgetragen, dass sich beläuft auf fünfundfünfzig mark …

Schon auf den ersten Blick zeichnet sich hier ein Anwendungsspektrum der Kerbhölzer ab, das von der Schuldanschreibung im Handel (B’1, B’3, B’6, B’7, B’9) über die Aufzeich­nung erbrachter kreditiver Leistungen (Zitate B’5, B’8) bis zur Beweisführung in gericht­lichen Auseinandersetzungen (B’4) und zu den zeremoniellen Verfahren der Bede-Quit­tierung reicht (B’2). Die wirtschaftliche und 14 Tüb StR 27, zit. nach DRW, Bd. 7, Lemma ›Kerbholz‹. 15 Schlettst. StR 734, zit. nach DRW, Bd. 7, Lemma ›Kerbholz‹.. 16 DRW, Bd. 7, Lemma ›Kerbstock/Kerbestock‹. 17 Utrecht B Rek. I 145, zit. nach DRW, Bd. 7, Lemma ›Kerbstock/Kerbestock‹. 18 Utrecht B Rek. I 215, zit. nach DRW, Bd. 7, Lemma ›Kerbstock/Kerbestock‹. 19 Lübecker Urkundenbuch IV 801, zit. nach DRW, Bd. 7, Lemma ›Kerbstock/Kerbestock‹. 20 Werden Urb. II, 246, zit. nach DRW, Bd. 7, Lemma ›Kerbstock/Kerbestock‹. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kerbholznotationen

rechtliche Semantik wird noch im 14.  Jahrhundert auch auf die Sündenschuld übertragen und bald als Inbegriff der Schuldhaftigkeit metaphorisch in Dienst genommen. Das zeigen die Belege in Lexers »Mittelhochdeutschem Handwörterbuch«, die aus den Fastnachtsspielen des 15. Jahrhunderts entnommen sind.21 Im ersten Beleg (B’10) werden die Sündenschulden angekerbt, im zweiten (B’11) wird diese Verwendung offensichtlich durch eine zweite Bedeutung, die Sichtbarkeit der Schläge am Körper überblendet. 22   23  24 (B’10)

… die uns sunden hât gekurben upf einen kerph … (Bruder Hans 4373)22

(B’11) … die zal die steet noch an meiner kerben (Di Vasnacht von der Müllnerin 734, 13)23

… die unsere sünden auf ein kerb(holz) gekerbt hat …

… die zahl, die steht noch an meiner kerbe …24

Wenn man die Belege aus dem 16.  und 17.  Jahrhundert hinzuzieht, die das »Deutsche Wörterbuch« und das »Frühneuhochdeutsche Wörterbuch« anführen, wird das Spektrum vor allem in den Bereichen der Hauswirtschaft und des Kleinhandels erweitert. Die überwältigende Präsenz der Kerbholz-Praxis noch in der Neuzeit zeigt eine Übersicht der Artikel im Grimmschen »Deutschen Wörterbuch«, in denen von Kerbhölzern die Rede ist: abschneiden, anschneiden, Anschnitt, Beile, Degen, Einzelt, Fiedern, Galgenwehre, Gegenkerbholz, Gegenraitholz, Gegenwart, Gegenwechsel, Gegenwechselbrief, Geist, Geld, Geldkerbe, gemessen, genau (3), Gespan, Hammelschnitt, Holz, Kerb, Kerbbrief, Kerbe, kerben, Kerbholz, Kerbhölzlein, Kerbreder, Kerbschnitt, Kerbstock, Kerbzettel, Kerf, Klaffe, Knebel, kommen, Kreuz, Krinne, krinnen, kritzen, Los, lotteln, man, Maulmeister, Mutterthräne, passieren, paternosterlich, Rabisch, Rapuse, Rätze, Rechenschule, Reitholz, richten, Rocken, Rute, Schalm, schneiden, Schnitt, Span, Stecken, Stock, Stöckel, stöckeln, Telle, trinken, unartig, ungefüge, Vaterschweiß, verkerben, vormerken, Wahl, Weinrechnung, Werg, zusagen.

Dass es sich bei dem Kerbholzgebrauch um keine Marginalie handelt, wird auch in der Grundsätzlichkeit deutlich, mit der die Kerbhölzer im juristischen Diskurs erörert werden. Zu nennen sind hier für den deutschen Sprachraum die Disputationes juridicae von Johann Jacob Fuchs25, Joachim Christoph 21 Lexer 1990, Lemma ›Kerb‹. 22 Lexer zitiert leicht variierend Bruder Hans, Marienlieder (Minzloff), V.  4373; gleich­ lautend die aktuelle Ausgabe Bruder Hans, Marienlieder (Batts), V. 4373: Die uns sunden hat ge­ kurben / Uph eynen kerph durch haz und niit. 23 Lexer zitiert die gleichlautende Ausgabe Fastnachtspiele (Keller), S. 431–434, hier 434. 24 Vgl. dazu »einen durchkerben ›durchprügeln‹. von kerbe ›podex‹?« in: DW, Bd. 5, Lemma ›Kerbholz‹. 25 Fuchs 1668. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Philologischer und archäologischer Befund

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Stisser26 und Christoph Carl Reichel27, aber auch die Regelungen des Kerbstockgebrauchs im russischen Recht aus der Zeit um 150028 und in Napoleons Code Civile (Art. 1333)29. Eine besondere Bedeutung hat das Wort Krinnholz, dessen Verwendung vor allem in Andreas  J. Schmellers »Bayerischem Wörterbuch« ausführlich erörtert wird.30 Die noch im Frühneuhochdeutschen gebrauchten Wörter crena oder krinne bieten nicht nur einen Anknüpfungspunkt an die mittellateinische und altfranzösische Überlieferung.31 Sie führen vor allem in den althochdeutschen Wortschatz. Ich diskutiere das im Folgenden im näheren Zusammenhang der Bezeichnung von Kerbakten. 1.1.2 Bezeichnung und Zeichentypus von Kerbreihen Die Kerbhölzer basieren auf der semiotischen und kommunikativen Funktion der Ker­ben. Mit dem Gebrauchswandel der Kerbhölzer wandelt sich auch das lexikalische Inventar für ihre Bezeichnung. Es bietet einen noch differenzierteren Einblick in den Gebrauch der Kerbhölzer. Ahd. krinnen kerbe und kerben sind im Frühneuhochdeutschen sehr gut belegt und im Mittelhoch­ deutschen schriftsprachlich jedenfalls geläufig. Die Überlieferung dünnt sich zum Frühmittelhochdeutschen aus und ist im Althochdeutschen nur noch im Adjektiv einkirpi bzw. einkhirpi belegt.32 Das legt den Verdacht nahe, dass durch kerbe / kerben möglicherweise ein älteres althochdeutsches Wort allmählich verdrängt worden ist. Tatsächlich gibt es ein semantisch entsprechendes althochdeutsches Wort krinna bzw. krinnôn.33 Seine Überlieferung ist im Mittelhochdeutschen vergleichsweise schwach erfasst.34 Nur das »Wörterbuch der Mittelhochdeutschen Urkundensprache« nennt einen Beleg aus einer Salzburger Ur-

26 Stisser 1676; s. dazu Wacke 1993. 27 Reichel 1748. 28 The Pskov Juridical Charter (Kaiser), S. 89 f., 92–94, 97 und S. 101 f. 29 Code Napoléon (Wolff), Art. 1333. 30 Schmeller 1872–77, Bd. 1, Lemma ›Die Krinnen‹. 31 Zum Problem der etymologischen Erschließung, aber auch der wortgeschichtlichen Verwandtschaft von Krinne s. DW, Bd. 5, Lemma ›Kerba‹. 32 Graff 1834–46, Bd. 4, Lemma ›einkirpi/einkhirpi‹; vgl. Splett 1993, Lemma ›krinna‹. 33 Schade 1969, Lemma ›krinne‹; Splett 1993, Lemma ›krinna‹. 34 Vgl. BMZ und Lexer 1992, Lemmata ›krinne‹, ›krinnen‹. Die angeführten Textbelege stammen aus der Frühen Neuzeit. Ansonsten verweisen sie auf die Einträge in Schmellers »Bayrischem Wörterbuch« (Schmeller 1827–1837) und Diefenbachs »Glossarium latino-germanicum« (Diefenfach Glossarium). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kerbholznotationen

kunde aus dem späten 13. Jahrundert.35 Im »Deutschen Rechtswörterbuch« und im »Handwörterbuch der Rechtsgeschichte« hat die mittelalter­liche Überlieferung aus chrono­logischen, in die großen mittelhochdeutschen Wörter­bücher »Benecke/Müller/Zarncke« und »Lexer« aus funktiolektalen Gründen keinen Eingang gefunden. Nähere Untersuchungen aufgrund breiterer Korpora stehen hier aus.36 Im Frühneuhochdeutschen tritt krinne noch vereinzelt auf und zwar (1.) in der Bedeutung ›Messkerbe‹ (beim Eichen), (2.) als Gewichtsbezeichnung (die von den Kerben in der Schnellwaage abgeleitet sein könnte)37 und (3.) als Kompositionsglied der Bezeich­nung Krinnholz in der Bedeutung ›Messlatte, in die zur Bestimmung der Getreidemenge Kerben eingeschnitten werden‹.38 Das bestätigt auch der Eintrag Krinn ›Crena, beilen‹, im deutsch-lateinischen Wörterbuch »Die Teütsch spraach« von Josua Maaler (1561)39. Im »Bayerischen Wörterbuch« von Andreas J. Schmeller40 wird durch eine Reihe von Belegen aus dem frühen 16. Jahrhundert der Bedeutungsaspekt ›Kerbholz, als Zählholz‹ unterstrichen.41 Ob es gegebenenfalls eine regionale Ausdifferenzierung zwischen Krinn­ holz ›Zählholz‹ und Krinnholz ›Messholz/Eichholz‹ gibt, kann erst durch ein­ gehendere Studien mit regionalen Korpora entschieden werden. Für die vorliegende Arbeit ist vor allem wichtig, dass ahd. krinna / krinnôn ein lexikalisches Feld der Kerbholz-Überlieferung erschließt, das die eigentliche Kerbholzforschung bislang übersehen hat. Die Belege finden sich in den von Elias Steinmeyer und Eduard Sievers herausgegebenen »Althochdeutschen Glossen«42 und werden neben dem Register der Textausgabe vor allem durch den »Althochdeutschen und Altsächsischen Glossenwortschatz«43 Rudolf Schützeichels auch lexikographisch erschlossen. Neben einer Reihe Glossierungen von mlat. tessera durch ahd. chrinna44 findet sich in einer Handschrift der Glossae Salomonis ahd. chrinnin als Glossierung zu tesserae in der Wendung: Tesserae sunt quibus frumentorum numerus designatur.45 In adjekti­vischer Form kommt zusätzlich dreimal eine Glossierung von serrata

35 WMU, Lemma ›Krinne‹. 36 S. o. die Erläuterungen zum Stand der Lexikographie und der verfügbaren Korpora im Kapitel III.2.2. 37 DRW, Bd. 7, Lemma ›Krinne‹. 38 DRW, Bd. 7, Lemma ›Krinnholz‹. 39 Die Teütsch spraach. Dictionarium Germanicolatinum (Maaler), Lemma ›Krinn‹. 40 Schmeller 1973, Lemma ›Die Krinnen‹. 41 Schmeller 1973, Lemma ›Die Krinnen‹. 42 Steinmeyer/Sievers 1879–1922. 43 Vgl. die Einträge in den Lemmata ›krinna‹ und ›krinnōn‹ im »Althochdutschen und altsächsischen Glossenwortschatz« (Schützeichel 2004), Bd. 5 und im AhdWB, Bd. 5. 44 Steinmeyer/Sievers 1879–1922, Bd. 4, S. 101,28; S. 162,48; S. 247,29. 45 Die althochdeutschen Glossen (Steinmeyer/Sievers), Bd. 4, S. 173,3. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Philologischer und archäologischer Befund

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regula durch gicrinnoter stap vor.46 Schließlich enthalten die von Hartwig Mayer heraus­gegebenen Nachträge zu Steinmeyer/Sievers eine Glosse aus dem Ende des 12. Jahrhunderts, die nicht eindeutig zu lesen ist, die aber nach Erika TiemensmaLangbroek eine Lesart im Sinne der Kerbholz-Technik nicht ausschließt. Es handelt sich um eine Glossierung der Wortgruppe serrata lectum regula durch Serra.i.erninehoz. Das könne mit einiger Vorsicht (und bei Berücksichtigung der Schriftführung und Verschreibung) als serrata crinnehoz gelesen werden.47 Über diese Belege wäre auch der von den übrigen Wörterbüchern ausge­ blendete Zeitraum vor 1400 zu erschließen. Allerdings steht eine genaue Überprüfung des Textumfeldes der Glossen noch aus. Die zuletzt genannte Beleg etwa gehört zur fünften Hymne aus dem Liber Peristephanon von Prudentius (V, 217). Wenn bei den Zacken des Marterbetts tatsächlich an ein Kerbholz gedacht worden sein sollte, wäre das der früheste Beleg für einen entsprechenden Beleg im christlich religiösen Kontext.48 Jedenfalls eröffnen sich über die Glossierung mit ›krinna‹ Verbindungen zur mittellateinischen und romanischen Überlieferung.49 Mhd./frnhd. kerbe / kerben Im späten Mittelhochdeutschen, soweit »Benecke/Müller/Zarncke« und »Lexer« den mittelhochdeutschen Wortschatz erfassen, treten vermehrt die Wörter kerbe und kerben auf. Nach dem »Deutschen Rechtswörterbuch« kann das frühneuhochdeutsche Wort für Kerbe neben ›Merkzeichen und gleichzeitige Verrechnungseinheit‹50 metonymisch übertragen auch das Kerbholz als Ganzes (12) bezeichnen. Das Verb für kerben ist darüber hinaus zugleich auf die Aussage bezogen, die durch den Kerbakt manifest gemacht wird, z. B. auf den Akt der Eichung (13): 51

(B’12)

… K. D. hat beclat H. S., vor daz sie sine kerbe hetten, da sie an kerbeden, daz sie ime gab, da sie rechnen soldein. da breche er sine kerbe und wurffe sie entweg. daz schade ir 20 gilden … (1375)51

K. D. hat H. S. beklagt dafür, dass sie seine kerbhölzer hätten, an die sie kerbten, dass sie ihm gab, als sie (ab)rechnen sollten. da brach er seine kerbhölzer und warf sie weg. das brachte ihr einen schaden von 20 gulden …

46 Die althochdeutschen Glossen (Steinmeyer/Sievers), Bd. 2, S. 428,40; 476,56; 480,14. 47 So Tiemensma-Langbroek 1976, S. 34. 48 Nach Kuchenbuch 2002a sind solche Belege bislang nicht bekannt. Der einzige mir sonst bekannte Fall liegt in einem Erbauungsblatt aus dem frühen 19. Jahrhundert vor, das beschrieben wird in Schempf 1989, S. 21. 49 Im Eintrag ›Krinne‹ im »Deutschen Wörterbuch« (DW, Bd. 5) wird trotz der vielfältigen Vergleichsmöglichkeiten konstatiert: »die verwandtschaft macht schwierigkeiten.« Eine ak­ tuelle Darstellung wird der Eintrag im »Etymologischen Althochdeutschen Wörterbuch« von Albert Lloyd und Otto Springer liefern, das seit 1988 in Göttingen und Zürich erscheint. 50 DRW, Bd. 7, Lemma ›Kerbe‹. 51 Ingelheim/v. Künßberg, Rechtl. Vk. 142, zit. nach DRW, Bd. 7, Lemma ›Kerbe‹. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kerbholznotationen

(B’13) … wer win vfftuot der sol in lassen ganz vntz er vßwirt sin wollte […] so sol er die geschwornen ycher dar zuo füren vnd daz faß lassen karffen … (2. Hälfte 14. Jh.)52

52

… wer wein ausgeschenkt, der soll ihn verschlossen lassen, bis er ausgeschenkt sein wollte, […] so soll er die vereidigten eicher da hin führen und das Fass kerben (eichen) lassen …

Die technische Grundbedeutung der Wörter, die das »Deutsche Rechtswörterbuch« angibt, wird durch die Einträge in den anderen Wörterbüchern bestätigt. Nach dem »Frühneuhochdeutschen Wörterbuch« ist kerben ›einen Einschnitt in etwas machen‹, speziell ›einen Einschnitt in ein Kerbholz machen als Schuldbuchung‹.53 Auch nach Grimms »Deutschem Wörterbuch« werden Kerbe und kerben ganz überwiegend in Zusammenhängen des Ankerbens benutzt, die den gesamten Bereich der Hauswirtschaft umfassen.54 Daneben steht das Kerben als handwerklicher Akt bei Zimmerleuten und gelegentlich in der Waffentechnik (so z. B. für die Kerbe in der Nuss der Armbrust). Vergleichsweise häufig sind Übertragungen auf ›After‹ und ›Vulva‹ in obszönen Kontexten (Fastnachtspiele), daneben stehen wenige Belege für in der Natur vorkommende Kerbformen an Blättern usf. Mhd./frnhd. raiten/reiten Für den Anschluss an die Diskussion zur historischen Semantik von Zahl ist besonders das frühneuhochdeutsche Verb reiten bzw. raiten interessant, das in der Bezeichnung reitholz vorliegt. reiten ist im Gegensatz zu krinnen und kerben kein Verb der Materialbearbeitung, sondern des Ordnens. Seine Ursprungsbedeutung könne nach »Bennecke/Müller/Zarncke« in series, ordo liegen.55 In diesem Sinne umfasst es die beiden hauptsächlichen Bedeutungsausprägungen, des ›Zu­ rüstens‹ und ›Bereitmachens‹ auf der einen und des ›Zählens‹, ›Aufzählens‹, ›Erzählens‹ und ›Rechnens‹ auf der anderen. Um das semantische Profil von mhd. reiten und bereiten im Unterschied zu zeln zu entwickeln, müsste eine vergleichbar intensive Revision der Belege vorgenommen werden wie im Fall von zeln. Entscheidend ist jedoch, dass die Bezeichnung Reitholz beweist: der Zeichentypus der Kerbholz-Kerbe kann ebenso wie vom Kerbakt auch von der Kerbfolge her verstanden werden. In jedem Fall jedoch wird das Kerben der Kerbhölzer im Mittelalter nicht als eine Form der Schriftlichkeit aufgefasst. Das zeigt die Abgrenzung gegenüber anderen Notations­formen für Holzurkunden, nämlich den Runen. Materialiter und funktional gibt es eine Reihe von Übereinstimmungen. So nennt Eduard Sievers 52 Schmid, Tüb. Pfalzgr. UB, 264, zit. nach DRW, Bd. 7, Lemma ›kerben‹. 53 FWB, Bd. 8, Lemmata ›Kerbe‹, ›kerben‹. 54 DW, Bd. 5, Lemma ›Kerbe‹. 55 BMZ, Lemma ›reiten‹. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Philologischer und archäologischer Befund

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in dem von Hermann Paul herausgegebenen »Grundriss der germanischen Philologie« selbst den Holzstab als Schreibmedium (nord. kefli, vgl. entlehnt: schott. keevil für ›Loosholz‹) und bezeichnet die mittelalterlichen Kalenderstäbe als »Übergangsformen zwischen Tafel und Stab«.56 Seine terminologische Untersuchung der ›Arten des Schreibens‹ jedoch spricht für die Annahme, dass in der Wahrnehmung der (früh-)mittelalterlichen Autoren die Grenze zwischen Schrift und Nichtschrift zumindest anfänglich wie folgt gezogen war: Sie verlief zwischen ae. und as. wrîtan, ahd. krinnen, rîzzan und garîzzan zur Bezeichnung der Herstellung vorschriftlicher notae und got. mêljan bzw. ahd. scrîban57 zur Bezeichnung der Notationen von Schriftzeichen mit einem bestimmten Lautwert. Ob sie auch zwischen mhd. krinnen, kerben und reiten auf der einen und mhd. scrîben auf der anderen Seite verläuft, müsste weiterführend geprüft werden.58

1.2 Die Gestalt der überlieferten Objekte Hubert Hall hat das Kerbholz definiert als »a primitiv form of chirograph, or intended writing, recommended for its superior durability.«59 Die Kerbhölzer dienen demnach einer möglichst langfristigen ›Bewahrung‹ von Notationen, die annähernd Schriftcharakter haben. Dabei rückt die Bezeichung ›chirograph‹ (trotz Referenz auf die geteilte Urkunde) den Akt der Notation mehr in das Assozia­tionsfeld der tätigen Hand als in die operativen Gesetze des Schreibens.60 Halls Charakterisierung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die formale Vielfalt der überlieferten Kerbhölzer außerordentlich hoch ist. Primitiv sind sie allenfalls hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen und des technischen Niveaus ihres Gebrauchs. Mittelalterliche Kerbhölzer sind in der historischen Forschung, gemessen an ihrem niedrigen allgemeinen Bekanntheitsgrad, breit dokumentiert. Allerdings gibt es bislang keinen kohärenten Diskurs, der die verschiedenen Ergebnisse zusammenführen würde. Die Text- und Bild-Zeugnisse, die durch die lexikographische Arbeit erschlossen worden sind und die der Jurist Max Gmür und die Historiker Axel Grandell und Ludolf Kuchenbuch zusammengetragen haben,61 möchte ich vor allem um eine Reihe von Funden erweitern, die in der Archäologie publiziert worden sind. Die Kerbhölzer sind bei Grabungsberichten üblicherweise in die Kategorie ›Holzfunde‹ eingeordnet, dann in die Unterkategorie ›Kleinfunde‹ 56 Sievers 1901, S. 251 f. 57 Zur Bedeutungsgeschichte der frühen Verwendung von ahd. scrîban im Zusammenhang der Beichtschriftlichkeit s. auch Zimmer 1892. 58 Sievers 1901, § 3 Name, S. 249; § 4 Arten des Schreibens, S. 250 f. 59 Hall 1891. 60 Vgl. die Einschätzung, dass die geteilte Urkunde dem doppelten Kerbholz nachgebildet sei, in DW, Lemma ›Kerbzettel‹ sowie Schröder/v. Künßberg 1932, S. 764. 61 Gmür 1917; Grandell 1982; Kuchenbuch 2002a. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kerbholznotationen

sortiert und schließlich in der Rubrik ›Sonstige Holzfunde‹ aufgeführt. Häufig sind sie auch überhaupt nicht klassifiziert und daher auch über die Datenbanken und Dokumentationen, die zu Grabungen angefertigt werden, nicht erschließbar. Um das Profil dieser Hölzer in seiner Eigenständigkeit erkennbar zu machen, kommen einleitend einige Kerbhölzer aus der Bronzezeit und abschließend jüngere Varianten sowie mittelalterliche englische Funde zur Sprache. 1.2.1 Früheste Kerbhölzer aus der Bronzezeit Die frühesten Kerbhölzer aus Holz sind im Bergbaugebiet Kelchalm bei Kitz­ bühel in Tirol gefunden worden.62 Obwohl sie nicht zur mittelalterlichen Überlieferung gehören, sollen sie aus folgenden Gründen vorgestellt werden. Erstens erweitern sie das formale Spektrum der Kerbholzüberlieferung, zweitens sind sie sonst in keiner übergreifenden Darstellung aufgeführt und schließlich sind sie die ältesten materiellen Belege für die Kerbholzpraxis.63 Die 83 Kerbhölzer, von denen in Abb. 2 eine kleine Auswahl gezeigt wird, sind aus »meist kleinfingerstarken Zweigen«64 aus Haselnussholz oder Tannenzweigen geschnitten und sind nach ihrer Länge und dem Zeicheninventar sehr homogen.

Abb. 2: Kerbhölzer, Kelchalpe/Tirol (Österreich), frühe Spätbronzezeit (13. Jh. v. Chr.).65 62 Pittioni 1947. 63 Ausgenommen bleiben hier die überlieferten vorgeschichtlichen Knochen mit eingeschnit­ tenen Zählungen, s. etwa Marshack 1991; vergleiche aber zur Überlieferung ähnlicher frühgeschichtlicher Kerbungen, die nicht in Holz geschnitten sind Schopper 1993 und Sommer 2004. 64 Pittioni 1947, S. 87. 65 Abb. nach Pittioni 1947, Tafel 15, Nr. 1–4 und Tafel 16, Nr. 1–4; ohne Maßstab; Datierung nach Pichler/Nicolussi/Goldenberg/Klaunzer 2009. Spätere Datierungen bei Pittioni, 1942, S. 376 und Altheim/Trautmann-Nehring 1942. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Philologischer und archäologischer Befund

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Neben sehr wenigen Hölzchen ohne Kerbzeichen tragen die meisten Kombinationen aus folgenden Kerbformen:66 1–4 Kerben: ,   ,     ,       1–3 diagonale Kerben bzw. Schnitte: ,   ,     , , , V-förmige Kerben: , , V-förmige mit 1 Kerbe: ,   V-förmige mit 1 oder 2 Kerben: ,  ,    V-förmige Kerben, umlaufend: X-förmige Kerben: X-förmige Kerben mit einfacher oder V-förmiger Kerbe:   ,   Den Gebrauch der 1937/38 gefundenen Hölzchen hatte C. Leyerer, vor allem unter dem Eindruck frühneuzeitlicher Hölzer aus dem mährischen und slowakischen Bereich, in Bezug zum Bergbaubetrieb gesetzt, der an dem Fundort vermutet wird.67 Die verschiedenen Kerbungen stellen in Leyerers Sicht unbedingt Zahlzeichen dar, denen wenn, dann erst im Nachhinein auch ein Lautwert zugekommen sei. Sie hatten in seiner Sicht den Zweck »die Menge des ausgebeuteten Erzes (Tages-? oder Wochenproduktion der Belegschaft) festzustellen.«68 Pittioni widersetzt sich der wirtschaftshistorischen Perspektive in seinem umfassenden Grabungsbericht von 1947 leidenschaftlich.69 Im Gegenzug setzt er darauf, die zeremonielle Dimension des Gebrauchs zu rekonstruieren. Der Gewährsmann seiner Interpretation ist Tacitus: »Aus der Tatsache, dass die Stücke bei den Grabungen 1937/38 im Boden fast durchwegs zu zweien und dreien, einmal auch zu vieren aufgedeckt wurden, ergibt sich noch deutlicher als bisher, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht einzeln, sondern stets nur zu mehreren verwendet wurden. Dieser quellenmäßig zweifelsfrei verankerte Aufschluss scheint mir ein nicht unwesentlicher Hinweis darauf zu sein, dass es sich bei den Kerbhölzern tatsächlich um Loshölzer handelte. Im Sinne des Taciteischen Berichtes ist daher anzunehmen, dass nur aus einer Mehrzahl von Loshölzern und ihrer Zeichenvergesellschaftung der erwartete Entscheid abgelesen werden konnte. Kann es dabei noch Zufall sein, wenn Tacitus davon spricht, dass der Priester oder Hausvater dreimal je ein Kerbholz aufhebt und diese dann nach ihren eingeschnittenen Zeichen deutet? Ich glaube nicht, dass man sich eine bessere Übereinstimmung von schriftlicher und archäologischer Quelle wünschen könnte.«70

Die Zeitstellung und Stammeszuordnung fasst Pittioni wie folgt. Es sei festzu­ halten, dass 66 Schema nach Pittioni 1944, S. 88 und Klaunzer 2008, S. 138 f. 67 Leyerer 1939/40. 68 Leyerer 1939/40, S. 100. 69 Pittioni 1942; Pittioni 1944. 70 Pittioni 1944, S. 88. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kerbholznotationen

»1. die Kerbhölzer auf Grund der Bodenaufschlüsse urzeitlich sind, 2. die Begleitfunde die Kerbhölzer unmissverständlich in die Zeit der Urnenfelderkultur verweisen und 3. als Erzeuger der Kerbhölzer auf Grund der gesamthistorischen Lage in Mitteleuropa zur Zeit der Urnenfelderkultur nur die frühen Illyrer in Betracht zu ziehen sind.«71

Gegenüber seinen Kritikern Helmut Arntz72 und Altheim/Trautmann73, die seine Funde »ohne jeden archäologisch unterbauten Grund«74 in das 3. bzw. 2. Jahrhundert vor Christus datierten, räumt Pittioni jedoch ein, dass die Kerbhölzer mit dem ältesten »ausgeprägten Schriftsystem, im Besonderen mit dem Runenalphabet« in Zusammenhang stehen könnten.75 Im Kontext dieser Arbeit kann dieses Teilkapitel schriftgeschichtlicher Forschung im Spannungsfeld zwischen Archäologie, Philologie und Wirtschaftsgeschichte, zwischen Sachargumenten und ideologischen Vorgaben76 nicht weiter verfolgt werden. Das Zeichninventar der Hölzchen scheint mir auch entschieden zu wenig umfangreich zu sein, um Abhängigkeitsverhältnisse zu frühgeschichtlichen Alphabeten und ihren jeweiligen Überlieferungsbedingungen feststellen zu können.77 Eine Verortung der Hölzer in einem arbeits-administrativen Kontext, wie es schon Leyerer vorgeschlagen hatte, legen auch neuere Untersuchungen zu den Kelchalm-Funden nahe.78 71 Pittioni 1944, S. 89. 72 Arntz 1942, S. 121–136. 73 Altheim/Trautmann-Nehring 1942. 74 Pittioni 1944, S. 87. 75 Pittioni 1944, S. 89. 76 Einen Überblick über die Geschichte der Runenforschung, besonders im Dritten Reich, bietet die Arbeit Hunger 1984, einen Überblick über die Runenforschung in ihren Ergebnissen Düwel 2001. 77 Zur Entstehung der Runenschrift s. Seebold 1991, mit Thesen zum Verhältnis zu einer nicht gesicherten keltischen Schrift sowie zum Ogham-Alphabet Seebold 2009. Die jüngste, von Theo Vennemann vorgetragene, Theorie zur Entstehung der Runenschrift (Vennemann 2006, zuletzt 2011) stellt die Vorstellung einer kontinentaleuropäischen Schriftausbreitung über die Alpenwege vollkommen in Frage. Sie basiert dagegen auf der Annahme einer Vermittlung der Runen auf dem Seeweg durch karthagische Kaufleute. Damit wären nicht nur eine mystifizierende Indienstnahme der Runologie, sondern auch Pittionis Überlegungen zu einer genetischen Beziehung der Kelchalphölzer mit der Entstehung der Runen vollkommen gegenstandslos. Formale und funktionale Aspekte der historischen Graphematik diskutieren im interdisziplinären Zusammenhang die Beiträge in Glaser/Seiler/Waldispühl 2011. Zum Problem der Rekonstruktion der Schriftverwendung bei den südgermanischen Runeninschriften vgl. darin, mit Blick auf eine kommende Monographie, Waldispühl 2011. Die Einordnung und Deutung paraschriftlicher Zeichen im Horizont der kontinentalgermanischen Runenüberlieferung diskutiert Graf 2010. 78 Pichler/Nicolussi/Goldenberg/Klaunzer 2009 sowie die im Grabungszusammenhang entstandene unveröffentlichte Diplomarbeit Klaunzer 2008. Weitere Untersuchungsergebnisse zu dem Gebiet, der Scheidenhalde 32 im Tiroler Raum (Kelchalm bei Kitzbühel) sind in dem Beitrag angekündigt. Klaunzer 2008 stellt die Hölzer als Zählhölzer in einen Zusammenhang mit den Sichelfunden, die Christoph Sommerfeld 2004 vorgestellt hat (hier geht es um die © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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­ ittionis zeitliche Einordnung ist dagegen in diesem Zusammenhang bestätigt, P sogar noch etwas weiter zurückversetzt worden. Dendrochronologische Untersuchungen zu den größeren Holzstücken aus dem entsprechenden Grabungsabschnitt der Kelchalm haben eine Datierung der Holzfunde in die frühe Spätbronzezeit (um die Mitte des 13. Jahrhunderts v. Chr.; der spätesteste Jahresring markiert das Jahr 1327) erbracht. Zwar sind die Kerbhölzer aufgrund ihrer geringen Größe nicht in die Untersuchung einbezogen worden; das kontextualisierende Fundmaterial (Keramik, Stein, Bronze) spricht aber dafür, auch sie in dieser Zeitschicht zu verorten.79 Unabhängig von den Diskussionen im Detail stellen die Hölzer formal (und möglicherweise auch funktional) eine sonst nicht belegte Sondergruppe dar und vertreten zusätzlich den Status der »ältesten abstrakten Zeichen«80, die im indogermanischen Raum überliefert sind. 1.2.2 Mittelalterliche Kerbhölzer 800 bis 1400 Im Zentrum des Kapitels steht die mittelalterliche Kerbholzüberlieferung aus Kontinentaleuropa. Die Hölzer treten zunächst als einfache, mehr oder weniger ebenmäßig zugerichtete Stäbe auf, auf denen über eine Fläche oder die Seitenkanten einfache Markierungen angebracht werden. So bei dem wikingischen Zählstab, der im Katalog zur Ausstellung »Wikinger, Waräger, Normannen« publiziert worden ist (Abb. 3). Das abgebildete Holz hat eine Länge von 16,1 cm und eine maximale Breite von 1,6 cm. Es wird als einer aus einer größeren Gruppe von Zählstäben in das 10. Jahrhundert datiert. Zur näheren Beschreibung zitiere ich die Erkläuterung aus dem Katalog: »Der fragmentarische Stab quadratischen Querschnitts hatte ein Loch zum Aufhängen und wurde wahrscheinlich aus einem Stück Treibholz geschnitzt. In allen vier Kanten sind Kerben eingehauen. Er ist einer von vielen Zählstäben, die bei der Farmgrabung geborgen wurden […]. Sie wurden vermutlich für alle Arten von Aufzählungen und Berechnungen im Alltag verwendet.«81

Eine ähnliche Form, wenn auch ohne Öse zum Einhängen zeigen die Exemplare, die zwischen 1973 und 1980 in Groß Raden, einem slawischen Tempelort in Mecklenburg, gefunden wurden (Abb. 4). ­ umerische Erfassung von Mondphasen) sowie mit den von Franz Schopper besprochenen n Schaukelringen aus der späten Urnenfelderzeit, die vergleichbare Kerbtypen und Kerbgruppierungen aufweisen. Sommerfeld 2004; Schopper 1993. Klaunzers Arbeit enthält Fotographien, Zeichnungen und Beschreibungen aller Hölzchen. Klaunzer 2008, S. 137–147, Tafeln 25–29. 79 Pichler/Nicolussi/Goldenberg/Klaunzer 2009. 80 Pittioni 1944, S. 89, s. aber auch Sommerfeld 2004 und Schopper 1993. 81 Hansen 1992. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 3: Wikingisches Kerbholz, Faröer Inseln (Dänemark), 10. Jh.82

Abb. 4: Kerbhölzer, Groß Raden/Mecklenburg (Deutschland), 9./10. Jh.83

Ähnlich wie bei dem nordischen Kerbholz von den Faröer Inseln geht auch bei diesen Exemplaren aus dem 9./10. Jahrhundert die Beschreibung über eine rudimentäre Spekulation kaum hinaus: »Als Zählstöcke könnte man die aus dem Graben vor der Palisade stammenden, mit zahlreichen Kerben versehenen merkantiken Stöcke 137 und 164 bezeichnen. Ein dritter zerfiel bei der Bergung.«84 82 Roesdahl 1992, Objekt 318, (L/B) 16,1/1,6 cm. Diskussion und weitere Objekte bei Hansen 1988 und Hansen 1990. 83 Abb. nach Schuldt 1985, Abb. 143, Nr.  137, (L/B/H) ca. 15,0/1,6/1,5 und Abb. 145, Nr. 164, (L/B/H) ca. 24,6/2,6/1,6. 84 Schuldt 1985, S. 157. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Noch knapper hält es Dirk Meyer in der Beschreibung eines Fundes aus der slawischen Burg Scharstorf in Ostholstein (Schleswig-Holstein), der in das 12. Jahrhundert datiert wird (Abb. 5). Das Holzstück hat einen etwa quadratischen Querschnitt und trägt verschiedene Typen von Einschnitten: schwächere und nicht über die ganze Seite gezogene Einschnitte auf der ersten Seite, kräftige schräge Einschnitte über die zweite; leichte, aber deutlich unterscheidbare Kerben auf der einen Kante der dritten, schließlich einen breiteren Einschnitt über die vierte Seite. Der Autor kommentiert: »Auf weitere Holzfunde aus Scharstorf, […], einen mit schrägen Einschnitten verzierten Stab, sei hier nur hingewiesen.«85

Abb. 5: Kerbholz, Scharstorf/Schleswig-Holstein (Deutschland), 12. Jh.86

Ein einseitig gekerbtes Holzstück haben die Ausgrabungen im Gebiet des ehemaligen Rittergutes in Schlettwein bei Pößneck in Ostthüringen zutage gefördert (Abb. 6). Wolfgang Timpel identifiziert das in den Zeitraum vom 13. und 15. Jahrhundert datierte Objekt als Holzstück »mit Maßeinteilungen«:87

Abb. 6: Holz mit Kerben (Maßeinteilungen?), Pößneck-Schlettwein/Thüringen (Deutschland), 13.–15. Jh.88 85 Meyer 1990, S. 130. 86 Abb. nach Meyer 1990, Kat.-Nr. 321, Tafel 39, (L/B/H) ca. 16,2/1,7/1,5. 87 Timpel 1982, hier S. 307 88 Abb. nach Timpel 1982, Tafel 41; ohne Maßstab. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Eine andere Deutung vertreten Mátyas Szabo, Gertrud Grenander-Nyberg und Janken Myrdal bei einem Holzstäbchen, das ebenfalls im heutigen Schleswig-Holstein, bei Elisenhof in Eiderstedt gefunden wurde (Abb. 7). Der Stab aus Eberesche hat eine Länge von 23,0 cm und einen Durchmesser von 1,2–1,7 cm. Im Querschnitt ist das an beiden Enden abgebrochene Holz oval bei unterschiedlichen Durchmessern. Hier »dienten die eingeritzten Zeichen des Stabes möglicherweise Informationszwecken. Vielleicht handelt es sich um ein ›Orakelstäbchen‹, ein mit Zeichen versehenes Loszweigstückchen, wie es z. B. bei Tacitus beschrieben wurde […] und auch im frühmittelalterlichen Rechtswesen Verwendung fand.«89

Abb. 7: Stab mit eingeritzten Zeichen, Elisenhof/Schleswig-Holstein (Deutschland), frühgeschichtlich, Seitenansicht (1) und Aufriss (2).90

Die Autoren bilden zusätzlich »ein sehr ähnliches Stück« aus Hemdrup in Dänemark ab, das als »Aufgebotsstock« bezeichnet werde (Abb. 8). Die Verwendung des Kerbholzes, das Gühne in seiner umfassenden Publikation über die Holzfunde der sächsischen Stadt Freiberg publiziert (Abb. 9), muss noch offen bleiben.91 Einerseits sei es naheliegend, eine Verwendung zur »Fixierung von Mengen […] in Landwirtschaft, Gewerbe und auch im Bergbau« anzunehmen, wie es A. Becke anhand ähnlicher Funde vorgeschlagen hatte.92 Andererseits lasse die Kerbanordnung überhaupt keine nähere Bestimmung zu. 89 Szabo/Grenander-Nyberg/Myrdal 1985, S. 141. Die Autoren verweisen auf einen ähnlichen Fund aus Oberdorla. 90 Abb. nach Szabo/Grenander-Nyberg/Myrdal 1985, Tafel 33, Nr. 263, (L/D) ca. 23,4/2,9 und S. 141, Abb. 135, Zeichnung: A. Djerf. 91 Gühne 1991, S. 56. 92 Becke 1986. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 8: Aufgebotsstab, Hemdrup/Nibe auf Jütland (Dänemark), ohne Datierung, Seitenansicht (1), Aufriss (2).93

Abb. 9: Kerbholz, Freiberg/Sachsen (Deutschland), ohne Datierung.94

Zur Anordnung der Kerben hält er fest: »Hier befinden sie sich in einer, dem Uneingeweihten unverständlichen asymmetrischen Ordnung, bei unterschiedlicher Breite, Tiefe und Abstand auf den beiden schräg abgefasten Längskanten des Holzstabes. Die drei übrigen Flächen sind gut geglättet und frei von jeglicher Einritzung.«95

Damit gehört das Kerbholz zu denjenigen Objekten, »über deren Funktion und Anwendungskreis in manchen Details z.  Z. mehr Fragen als Antworten vorliegen.«96 Auch für Gühne besteht hier »durchaus die Möglichkeit, die Nutzung eines solchen Gegenstandes in den Kultbereich zu verlagern.«97 Das einzige Argument dafür ist jedoch die von ihm konstatierte Unverständlichkeit der Kerben. 93 Abb. nach Szabo/Grenander-Nyberg/Myrdal 1984, S. 141, Abb. 136, Länge 50 cm., Zeichnung: B. von Knorring nach Andersen 1971, S. 20 f. Wieder dazu Back Danielsson 2001. 94 Abb. nach Gühne 1991, S. 55, Abb. 30, (L/H/B) ca. 45,2/1,9/1,5. 95 Gühne 1991, S. 56. 96 Gühne 1991, S. 7. 97 Gühne 1991, S. 56. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Ein Kerbholz ähnlicher Form aus Bremen ist von Manfred Rech im stadtgeschichtlichen Katalog über »Gefundene Vergangenheit – Archäologie des Mittelalters in Bremen« beschrieben worden (Abb. 10).98

Abb. 10: Kerbholz, Bremen (Deutschland),12./13. Jh.99

Die Erläuterungen zu dem Objekt, das auf das 12./13. Jahrhundert datiert wird, übernehme ich von Rech: »Das Kerbholz ist 20,7 cm lang, im Querschnitt ca. 1 × 0,7 cm groß und vermutlich aus dem Ast eines Hartholzes geschnitzt. Die Oberseiten sind sorgfältig geglättet. Das obere Ende ist einseitig schräg abgeschnitten, das untere v-förmig abgeschnitten. An der Vorderseite, deren Kanten etwas gerundeter erscheinen als jene der Rückseite, sind auf der einen Seite 13 Kerben eingeschnitten. Die drittletzte Kerbe hat einen langen Schenkel und ist wohl beim Einkerben etwas missglückt. Eine besondere Bedeutung möchte man in der unterschiedlichen Ausformung nicht sehen. An der anderen Kante sind nur 3 Kerben eingeschnitten.«100

Formal sieht Rech Ähnlichkeiten mit einem der Kerbhölzer aus dem AugustinerKloster in Freiburg, die Ulrich Müller publiziert hat (s. u. mit Abb. 13). Bei der Funktion legt auch Rech sich nicht fest, bezieht aber die Umgebung des Fundortes in seine Darstellung ein. Eine besondere Rolle spiele der nahegelegene Seeweg. »Bei dem Bremer Stück muss man bei der Deutung mit in Betracht ziehen, dass der Fundort auf der Balgeinsel liegt und aus einer Zeit stammt, als es noch nicht den offenen Weserkai an der Schlachte gab, sondern Fluss- und Seeschiffe in die Balge einfuhren.«101 Unterstützt sieht er diesen Gedanken durch eine Publikation von Detlev Ellmers. Dieser hat 1995 ein Kerbholz vorgestellt, dass er im Wrack einer mit voller Ladung untergegangenen Kogge gefunden hat (Abb. 11).102 Es handelt sich um einen »Vierkantstab, bei dem die Kerben in die vier abgerundeten Kanten geschniten sind.«

98 Rech 2004, S. 331, Kat.-Nr. 338. 99 Fundort Wachtstraße, in einer Kloake; (L/B) ca. 23/max. 1,4.; Focke Museum Bremen, Inv.-Nr. U 12082: 100 Rech 2004, S. 331. 101 Rech 2004, S. 331. 102 Ellmers 1995. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 11: Kerbholz, Kollerup (Dänemark), 13./14. Jahrhundert.103

Im Zentrum von Ellmers Interpretation steht die Lokalisierung des Kerbholzes im eng eingrenzbaren Anwendungsbereich der Fracht, ihrer Verpackungseinheiten und den Transportaufgaben, die sich für die Koggen des 13. und 14. Jahrhunderts mit ihr verknüpften.104 Insbesondere lässt sich unter diesen Bedingungen »der Zusammenhang mit den Stückzahlen der Schiffsladung noch deutlicher erkennen als bei den Hafenfunden.«105 In formaler Hinsicht stellt Ellmers gerade im Vergleich mit den in Bryggen/Bergen (Norwegen) gefundenen Kerbhölzern fest, dass es offensichtlich wenig Vorgaben für die Maße und Form der Hölzer insgesamt gegeben hat, auch hinsichtlich der gelegentlichen Ausstattung mit einem Loch zum Aufhängen an einer Schnur. Eine Auswahl der Bryggener Hölzer wird bei ihm deswegen zum Vergleich mit abgebildet (Abb. 12).106 Während Gühne lediglich ein weiteres »stark gekrümmte[s] Holz vom Domplatz Meißen, das beidseitig mit Schrägkerben versehen ist« nennt, um die Offenheit seiner Deutung zu unterstreichen, bezieht Rech die Umgebung des Fundes mit ein und bezieht seine Interpretation über den Vergleich mit Ellmers’ Fund ebenfalls auf die Überlieferung aus Bryggen/Bergen. Auffällig ist, dass die archäologischen Funde in der Regel vollkommen isoliert dargestellt oder nur durch einzelne, eher zufällig wirkende Vergleichsfunde kontextualisiert werden. Ein Diskurs zur Deutung der Objekte kommt noch nicht in Schwung. Hindernisse scheinen die disziplinären Grenzen zwischen Archäologie und Wirtschaftsgeschichtsschreibung zu sein, da – in Sachen Kerbhölzer – über die Disziplinengrenzen hinweg kaum Forschung rezipiert wird. Eine Ausnahme bietet die schon erwähnte Darstellung von mittelalterlichen Kerbhölzern aus Freiburg und Konstanz, die Ulrich Müller publiziert hat (Abb. 13). 103 Koggenfund, Abb. nach Ellmers 1995, S.  215, Abb. 9; ohne Maßstab, Zeichnung: P. K. ­Andersen. 104 Ellmers 1995, S. 214. 105 Ellmers 1995, S. 215. 106 Vgl. auch unten Abb. 15–21. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 12: Kerbhölzer, Bryggen/Bergen (Norwegen), ohne Datierung.107

Müller interpretiert die Kerbhölzer als »ein universal genutztes Gerät zur Quan­ tifizierung«.108 Er betont jedoch, dass nicht jedes gekerbte Holzsstück auch ein Kerbholz im Sinne eines Zählmediums ist. Vor allem betont er die formale Ähnlichkeit von regelmäßig bekerbten Hölzern mit Verzierungselementen (Profilleisten oder Applikationen von Möbeln) auf der einen und mit Messleisten auf der anderen Seite. Bei der Beschreibung der von ihm abgebildeten Hölzer lässt er sich nicht auf eine Bestimmung ein, legt aber einen gesteigerten Wert auf die genaue Beschreibung der Kerbformen und -abstände.109 Daneben erwähnt er eine Reihe 107 Abb. nach Ellmers 1979, S. 215, Abb. 10, Zeichnung: R. Breden. Ellmers gibt keine An­ gaben zu Fundnummern oder zur Größe der Hölzer. Die Identifizierung im Bestand der Bryggener Kerbhölzer schien mir in manchen Fällen unsicher. 108 Müller 1996, 173. 109 »Das Objekt (Taf. 32,3) ist ein abgebrochenes, im Querschnitt rundes Stöckchen mit einer beidseitig zugeschnittenen Spitze. Auf einer Seite befinden sich zehn Kerben, die zunächst von der Spitze ausgehend, sägezahnförmig ausgeschnitten wurden und zum abgebrochenen Ende hin nur noch schwach eingekerbt sind. Der Abstand der Kerben beträgt zwischen 0,6 und 0,8 cm. Der Freiburger Fund (Taf. 32,8) weist unregelmäßig eingeschnittene V-förmige Kerben auf, deren Abstand voneinander etwa 0,5–0,7 cm beträgt. Das Stöckchen quadratischen Querschnittes ist ebenfalls an einem Ende abgebrochen. Das an einem Ende abgebrochene und am anderen Ende mit einem herzförmigen Abschluss verehene Objekt (Taf. 32,4) wurde beidseitig eingekerbt. Die V-förmig, allerdings stark unregelmäßig eingeschnittenen Kerben befinden sich in einem Abstand von etwa 0,7–0,9 cm. Dabei wurde das Objekt (Taf. 32,4) mit U- und © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 13: Kerbhölzer, Augustiner-Kloster in Freiburg/Baden-Württemberg (Deutschland), 14./15. Jh.110 V-förmigen Kerben versehen, deren Abstand zwischen 0,7 und 1,0 cm beträgt. Das im Querschnitt flache Brettchen ist an einem Ende abgebrochen. Neben diesen brettchenartigen Objekten sind noch weitere Stücke mit Kerben zu nennen. Zwei Funde aus Konstanz (Taf. 32,16 u. 20) stellen Fragmente von Stöckchen dar, auf denen quer verlaufende Kerben eingeschnitten worden sind. Ein Fund aus Freiburg (Taf. 32,10), ein 9 cm langes und an einem Ende abgebrochenes Stöckchen, weist bei einem unregelmäßig rechteckigen Querschnitt auf zwei gegenüberliegenden Seitenkanten schwach V-förmige Kerben auf. Diese sind in einem Abstand von 0,3 bis 0,4 cm eingeschnitten worden. Demgegenüber stellt das Stöckchen (Taf. 32,2) ein etwa 10 cm langes Holz mit abgefastem und asymmetrisch abgesetzten Kopf dar, der an einer Seite mit zwei V-förmigen Kerben im Abstand von etwa 0,3 cm versehen wurde. Auch zwei weitere Objekte aus Freiburg (Taf. 32,9 und 32,11) könnten als Kerbhölzer interpretiert werden. Das Holz (Taf. 32,9) ist ein etwa 10 cm langes Stöckchen und hat in einem Abstand von etwa 2 cm zwei sägezahnartige Kerben; das andere Ende wurde abgekantet. Das 6,5 cm lange und an einem Ende abgebrochene Kerbholz (Taf. 32,11) wurde mit einer U-förmigen Kerben versehen. Ein weiteres Objekt (Taf. 32,1) mit flachrechteckigem Querschnitt ist an einem Ende zugeschnitten und hat dort eine Kerbe.« Müller 1996, S. 173. 110 Abb. nach Müller 1996, Tafel 32, Nr. 1–4 (hier 1–4) und 7–10 (hier 5–8); Angaben zum Maßstab ebd. (Länge zwischen ca. 9,2 cm und 12,2 cm). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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von Funden, die zum Vergleich herangezogen werden sollten; so die Hölzer aus der Wurt Elisenhof bei Tönning und die von Grandell, Timpel und Schuldt publizierten Kerbhölzer.111 Besonders die Funde aus Bryggen umfassten eine große Zahl von gekerbten Hölzern, bei denen es sich »sowohl um Tonnenmaße und Messlatten zur Füllmengenkontrolle als auch um Maßskalen zur Berechnung von Textillängen handelt.«112 Leider gibt Müller keine konkreten Objekte an, bei denen das der Fall sei. Kerhölzer aus dem hansischen Hafen in Bryggen/Bergen (Norwegen) werden schließ­lich von Gitte Hansen erwähnt, wenn auch nicht ausführlich beschrieben.113 Der Kontext ist der Ausbau der Führungsposition Bryggens im hansische Handel. Hansens Arbeit weist auf die Bedeutung der Ausgrabungen hin, die von 1955 bis 1978 in Bergen durchgeführt wurden. Die Grabungsberichte sind erst ausschnittweise publiziert und deswegen nur im Ansatz von der wissenschaft­ lichen Öffentlichkeit wahr­genommen worden. Bei den Vorarbeiten zur vorliegenden Arbeit wurde eine umfassende Sichtung der Bryggener Kerbholzbestände vorgenommen. Das Potential ist enorm, die Anzahl der Kerbhölzer beläuft sich auf gut 750 Stück. Für eine handelsgeschichtlich angemessene Interpretation ist eine intensive Zusammenarbeit von Archäologen und Historikern notwendig, die hier nicht geleistet werden kann. Für den Zusammenhang der vorliegenden Arbeit reicht zunächst eine formgeschicht­liche Bestandaufnahme. Es zeichnet sich eine formale Typologie gekerbter Hölzer ab, die im besseren Fall durch die Kontextfunde und eine wirtschaftsgeschichtliche Einordnung auch funktional differenziert werden könnte.114 So hat in meiner eigenen Sichtung, im Gegensatz zur Einschätzung Müllers nur ein einziges der als Kerbhölzer ausgewiesenen Objekte Eigenschaften, die stark nahelegen, es als ›Maßholz‹ zu bezeichnen (Abb. 14).

Abb. 14: Kerbholz/Mess-Stab, Bryggen/Bergen (Norwegen), ohne Datierung.115 111 Szabo/Grenander-Nyberg/Myrdal 1984; Grandell 1982; Grandell 1984; Grandell 1985; Grandell 1986, Grandell 1988; Timpel 1982; Schuldt 1985. 112 Müller 1996, S. 173. 113 Hansen 2006, S. 205–217. 114 So ist es etwa bei der Kerbholz-Überlieferung aus Novgorod der Fall, die weiter unten besprochen wird. Vgl. Kovalev 2000. 115 Archiv-Nr. BMR 076/8102, Foto: Svein Skare, University Museum of Bergen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Der Stab ist 22,5 cm lang und etwa 2,7 cm breit, 2,2 cm hoch. Der markant abgesetzte schmalere Teil hat einen etwa quadratischen Querschnitt und trägt eine ebenmässige Markierung durch regelmäßige Einschnitte. Im Übrigen sind vor allem fünf Typen von Hölzern zu unterscheiden, die ich knapp vorstellen möchte. Eine gründlichere Bearbeitung erfordert eine möglichst präzise Lokalisierung der Objekte in den Kontextfunden, die ihrerseits eine intensivere Durcharbeitung der Grabungsberichte und ihre Perspektivierung in alltags- und handelsgeschichtlicher Perspektive voraussetzt. Das gilt auch für eine nähere Datierung.116

Abb. 15: Kerbhölzer Typ I, Bryggen/Bergen (Norwegen), 1150–1350.117

(1.) Der erste Typ hat die Form eines Holzpflocks, wie sie vielerlei Anwendung finden konnten (zur Verbindung größerer Holzteile miteinander, zur Befestigung von Knoten in der Takelage, als Spindel usf.). Dennoch gibt es eine Reihe von Exemplaren, in der Größe zwischen (L/D)118 11,0/1,7 und 25,0/3,5 mit variierender 116 Die angegebene Datierung, ebenso wie die Annahme, dass es sich um Kerbhölzer handelt, beruht neben den einschlägigen Forschung zum Brüggener Material (insb. Grandell 1982, Grandell 1984, Grandell 1985, Grandell 1986) auf der Einschätzung der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen des Bergen Museums, das die Funde verwaltet. Beides muss noch durch die Fundkontexte spezifiziert und dendrochronologisch verifiziert werden. 117 Archiv-Nr. BRM 000/37387, (L/B/H) 25,2/3,1/3,4; BMR 493/50506, (L/B/H) 18,0/3,4/3,4; Fotos: Svein Skare, University Museum of Bergen. 118 Angaben nach Länge/Durchmesser in cm. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kerbung auftreten und daher heuristisch als Zählhölzer aufgefasst werden sollen (vgl. Abb. 15).119 (2.) Der zweite, ebenfalls sehr häufige Typ ist formal verwandt, wenn auch stark verschlankt. Die Objekte variieren in der Größe zwischen (L/D) 9/0,3 und 26,6/0,6. Die meisten der Objekte messen jedoch zwischen (L/D) rund 12/0,4 und 18/1,0. Die Form ist am Schaft eher quadratisch, im längeren Teil zur Spitze abgerundet. Einige dieser Hölzer haben durchweg einen dreieckigen Querschnitt. Die Kerbung wird entweder vom Schaft her vorgenommen (über die Kanten oder über Seiten in verschiedenen Einschnitt-Typen) oder von der Spitze her. Die Verarbeitung dieser Hölzer ist in der Regel sorgfältig (vgl. Abb. 16).120 Einen Zwischentyp zwischen Typ 1 und Typ 2 zeigt das Kerbholz in Abb. 17. (3.) Einen dritten, weniger häufig belegten Typ, stellen Kerbhölzer dar, die mit einem Sockel ausgestattet sind. Die Kerbung wird von der Spitze her vorgenommen. Die Hölzer mit einem kleinen Sockel haben Anlass zu der Vermutung gegeben, dass es sich um einen Typ handelt, der den englischen Kerbhölzern nachgebildet ist (Abb. 22: Exchequer Tallies, Abb. 28: Private Tallies).121 Deutlich nachvollziehbar ist der Vergleich am ehesten bei den besser erhaltenen Stücken in Abb. 18 (Nr. 1 und Nr. 2; vgl. auch die Kerbung des Bryggener Kerbholzes in Abb. 46). Zu den Hölzern mit ausgesprägterem Sockel s. u. Abschnitt IV.2.2.2 mit Abb. 45. (4.) Ein vierter, ebenfalls seltenerer, aber sehr charakteristischer Typus ist durch vergleichsweise platte Hölzer repräsentiert, auf den Oberfläche rektanguläre Einschnitte angebracht sind.122 Sie sind in der Regel nur in Fragmenten mit einer Größe (L/B/H) von 7,5/1,3/0,4 bis 12,3/1,7/0,5 erhalten.123 Das in Abb. 19 gezeigte Holz fällt durch seine Größe aus der Reihe. Es ist mehrfach gebrochen, die Teile wurden aber gemeinsam gefunden. Es hat eine Gesamtabmessung von (L/B/H) 45/1,2/0,6. 119 Vgl. die Objekte BMR 000/6806, BMR 000/8314, BMR 000/10392, BMR 000/17965, BMR 000/19353, BMR 000/19447, BMR 000/18158, BMR  000/20332, BMR 000/20530, BMR 000/ 22557, BMR 000/24951/01, BMR 000/22234, BMR 000/24718, BMR 000/24951/01, BMR 000/ 36084, BMR 000/37356, BMR 000/37387, BMR 000/42338, BMR 000/44064, BMR 000/51245, BMR 000/51348, BMR 000/51779, BMR 000/52666, BMR 000/53124, BMR 000/54432. 120 Vgl. die Objekte BMR  000/2081/02, BMR  000/7811, BMR  000/8661/01, BMR  000/ 9081/01, BMR 000/11054, BMR 000/16443, BMR 000/16461, BMR 000/17356, BMR 000/18894, BMR 000/19264, BMR 000/19842, BMR 000/20370, BRM 000/21489, BMR 000/23112, BMR 000/ 31590, BMR 000/32044, BMR 000/32335, BMR 000/35620, BMR 000/38221, BMR 000/40865, BMR 000/41192. 121 So Grandell 1988, S. 68; vgl. auch unten Kap. IV.2.3.1, 122 Vgl. bei diesem Typ jedoch den Vorbehalt von Müller 1996, S. 173, der auf die Möglichkeit einer Verwechslung mit Zierleisten u. ä. aufmerksam macht. 123 Vgl. die Objekte BMR 000/10603/01, BMR 000/17655, BMR 000/20244, BMR 000/20662, BMR 000/21029, BMR 000/23245, BMR 000/27266, BMR 000/30066, BMR 000/42014, BMR 000/44521, BMR 000/53039. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 16: Kerbhölzer Typ II, Bryggen/Bergen (Norwegen), 1150–1350.124

Abb. 17: Kerbholz, Bryggen/Bergen (Norwegen), 1150–1350.125

124 Archiv-Nr. BRM 000/21489; BRM 000/20370; BRM 000/32044; BRM 000/29761; BRM 000/16461; Fotos: Svein Skare, University Museum of Bergen. 125 Archiv-Nr. BMR 000/16568, (L/D) 25,8/2 cm, Foto: Svein Skare, University Museum of Bergen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 18: Kerbhölzer Typ III, Bryggen/Bergen (Norwegen), 1150–1350.126

Abb. 19: Kerbholz Typ IV, Bryggen/Bergen (Norwegen), 1150–1350.127

126 Archiv-Nr. BMR 000/11628; BMR 000/2081/02; BMR 000/30529; BMR 000/18003; Fotos: Svein Skare, University Museum of Bergen. 127 Archiv-Nr. BRM 000/107603/01, eigenes Foto. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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(5.) Der größte Teil der Hölzer ist eher grob zugeschnitten und teilweise etwas dicker, d. h. von einer Größe zwischen (L/B/H) 10,0/1,5/1,5 bis 24,0/2,0/2,0. Der Querschnitt hat in der Regel ein etwa viereckiges Profil, teils mit abgerundeten Kanten, ist aber formal sehr wenig festgelegt (vgl. Abb. 20). (6.) Ferner findet sich eine große Zahl von Hölzern, die in Zuschnitt und Kerbung ganz unregelmäßig, teilweise wild erscheinen und sich einer Kategorisierung, wenigstens auf den ersten Blick, entziehen. Ebenmäßigere Stücke zeigt Abb. 21.128 Einige formal auffällige Objekte sind bereits von Axel Grandell beschrieben worden. Sie werden weiter unten im Zusammenhang der funktionalen Differenzierung der Kerbhölzer diskutiert. Aber auch darüber hinaus gibt es eine Reihe von Hölzern mit besonderen Formaten oder Kerb-Merkmalen.129 Sie stückweise zu beschreiben und einzuordnen ist wünschenswert, geht aber über die Zielsetzung dieser Arbeit hinaus. In Bezug auf die Gesamtfragestellung der vorliegenden Studie ist wichtig: erstens die überwältigende Dichte der Überlieferung, die im Einzugsbereich des Handelszentrums Bryggen/Bergen zutage getreten ist, zweitens die Hypothese, dass eine formale Kategorisierung grundsätzlich vorgenommen werden kann. Um zu weiterführenden Ergebnissen zu kommen, müssen die Einzelfunde jeweils durch (a) formal ähnliche Funde sowie (b) die umliegend gefundenen Objekte und schließlich (c) hinsichtlich ihrer Zeitstellung kontextualisiert werden. Erst vor diesem Hintergrund kann die (d) formale Typologie geprüft werden, um schließlich abschließend (e) alltags-, handels- und schriftgeschichtlich interpretiert zu werden.

Abb. 20: Kerbholz Typ V, Bryggen/Bergen (Norwegen), 1150–1350.130 128 Bei der Zuordnung der Objekte zur Gattung Kerbholz muss auch berücksichtigt werden, dass während der Grabungen wenig spezifisches Wissen über die Form, Funktion und Einordnung der mittelalterlichen Kerbhölzer eingebracht worden ist. Deswegen wird die Kategorisierung bei einer Reihe von Hölzern auch revidiert werden müssen. 129 So z. B. zwei Kerbhölzer in der Form der Hölzer, die verwendet worden sind, um aufgeschnittene Fische zum Trocknen aufzusperren (BRM 000/38836; BRM 000/37921), Kerbhölzer mit gruppierten Kerben (BRM 000/6792; BRM 000/6806 (Kerben ornamental?); BRM 000/8085; BRM  000/11054; BRM  000/40824; BRM  000/52666) sowie Hölzer, die nach Grandell aufgrund ihres Profils als gesplisste Hölzer aufgefasst werden könnten (BRM 000/2081/02; BRM 000/1676/01; BRM 000/53424; BRM 000/53100; BRM 000/44212; BRM 000/44212; BRM 000/ 44645; BRM 000/40824; BRM 000/41192; BRM 000/39807; BRM 000/29244; BRM 000/24951/02; BRM 000/20964; 18987; BRM 000/15551; BRM 000/16578; BRM 000/11678; BRM 000/1151). 130 Archiv-Nr. BRM 000/9033, Größe (L/B/H) 20,4/2,1/2,2; Foto: Svein Skare, University Museum of Bergen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 21: Kerbhölzer ohne Typ, Bryggen/Bergen (Norwegen), 1150–1350.131

1.2.3 Englische exchequer tallies und spätere kontinentaleuropäische Kerbholztypen Von der Gruppe der einfachen Kerbhölzer, die den größten Teil  der oben beschriebenen Hölzer ausmacht, ist vor allem die Gruppe der doppelten Kerbhölzer zu unterscheiden, die Sir Hilary Jenkinson beschrieben hat.132 Sie sind charakte 131 Archiv-Nr. BRM 000/11511 (Typ 2?); BRM 000/19892; BRM 000/20846; BRM 000/30208; Fotos: Svein Skare, University Museum of Bergen. 132 Vor allem in Jenkinson 1911 und Jenkinson 1925. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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ristisch für die englische Überlieferung der exchequer tallies, der Kerbhölzer, die das Schatzamt der englischen Krone als Steuerquittungen ausgegeben hat, deren Form jedoch auch für den privaten Gebrauch nachgeahmt wurde.133 Die Objekte haben in der Regel die Länge einer Handspanne (zwischen 15 und 20 cm) und sind aus Haselnussholz gefertigt. Dabei wird stets in ein größeres Teil (tally) ein kleineres (countertally) eingepasst.134 Das Formenspektrum der amtlichen Kerbhölzer ist außerordentlich stabil (vgl. Abb. 22).135

Abb. 22: Exchequer-Tallies, London (England), 13. Jh.136

Später wird auch die Gestalt des doppelten Kerbholzes noch wesentlich erweitert. Zu den doppelten Kerbhölzern, die dann auch in Kontinentaleuropa verbreitet sind,137 treten etwa Gabelhölzer hinzu. Ein Beispiel zeigt die belegreiche Publikation zur Kerbholzüberlieferung Skandinaviens von Axel Grandell (Abb. 23):

133 Hall 1891; Robert 1956; Baxter 1994. 134 Leider sind aus mittelalterlicher Zeit kaum zwei zusammengehörigen Teile, tally mit countertally gefunden worden. Überhaupt sind überlieferte Gegenhölzer oder foils die Ausnahme; vgl. Jenkinson 1925, S. 294. 135 Vgl. die Tafeln zu den Beiträgen Jenkinson 1911 und Jenkinson 1925. 136 Exchequer Tallies mit der Angabe von Grafschaft und Datum. Public Record Office, London, Archiv-Nr. E. 402–2, Tray 1: Nr. 2; Nr. 8; Nr. 10; Nr. 11; Nr. 19; Nr. 20; Nr. 21. 137 Gmür 1917, § 14, S. 102–107. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 23: Gabelkerbholz, Turku (Finnland), ohne Datierung.138

Nicht zuletzt wird im 19.  Jahrhundert auch die Ausnutzung der unterschied­ lichen Seiten der Kerbhölzer als Notationsflächen vorangetrieben, wie die häufig abgebildeten graubündener Milchtesseln zeigen (Abb. 24):

Abb. 24: Milchabrechenhölzer, stia da latg, Tavetsch/Graubünden (Schweiz), Anf. 20. Jh.139

Kerbhölzer dieser Art sind für das Mittelalter nicht belegt. Sie geben jedoch einen Eindruck von dem formalen Spektrum, das funktionsabhängig entwickelt werden konnte. 138 Abb. nach Grandell 1982, S. 95, Bild 19; ohne Maßstab. 139 Foto: Museum der Kulturen Basel (Abt. Europa), Archiv-Nr. VI 316 – VI 323, VI 17101, VI 17102 (Berther-Gruppe und Büchli-Gruppe); ohne Maßstab. Die Größe variiert zwischen L/D 11/1,9 und 17,3/3,3. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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1.3 Zeichen jenseits der Differenz von Bild, Schrift und Ziffer Wichtig für die Rekonstruktion des Kerbholzgebrauchs ist insbesondere die Kerbung der Hölzer. Die Kerbzeichen variieren je nach Tradition und Verwendungszusammenhang. Ihrer rudimentären Formgebung nach ist zunächst zu erwarten, dass sie den Kategorien Bild, Schrift und Ziffer, insofern diese für die moderne symbolische Kommunikation als Basismedien konstitutiv sind,140 nicht eindeutig zugeordnet werden können. Das zeigt ein Blick auf die verwandten Zeichen im Manuskript und in der nichtschriftlichen materiellen Überlieferung. 1.3.1 Die formalen Verwandten im Manuskript Von den etablierten römischen Ziffern ausgehend, reicht das Spektrum der Notationstypen des Mittelalters von den (nicht zuletzt aufgrund ihrer uneinheitlichen Schreibung) anfangs wenig gebräuchlichen arabischen Ziffern141 über verschiedenen Register- und Indexzeichen bis hin zu zunftspezifischen Zeichen und singulär überlieferten Instrumenten zur Leseorientierung. Die Geschichte der römischen Ziffern bietet ein Sinnbild dieser Konstellation. Richard Lemay hat ihre Entwicklung resümierend herausgearbeitet.142 Ich raffe seine Ergebnisse: Die Zahlzeichen waren zunächst ikonische Zeichen. Die Ziffern I, V und X müssen in einer Zeitstufe entstanden sein, die vor der Einführung des Alphabets in Italien liegt. Im Gegensatz zu der Annahme, dass die Ziffern auf ikonische Mengenabbildungen (I für 1, II für 2 usf.) zurückgingen, hat die jüngere Forschung argumentiert, dass diese Ziffern anfänglich ikonische Abbildungen von zählenden Körpergliedern sind: die I für einen einzelnen Finger, die V für die geöffnete Hand mit dem Daumen auf der einen Seite und den anderen vier Fingern auf der anderen. Die X bildet die zwei (überkreuzten) Hände ab. In einer Kerbpraxis konnten diese Zeichen dann gut notiert und die Zahlenreihe systematisch erweitert werden. Ferner gehören zu den römischen Zahlzeichen einige Alphabet-Zeichen, die aus dem Griechischen entlehnt wurden. Wie die ikonischen Abbildungen der Hand und ihrer Finger wurden die griechischen Alphabet-Zeichen erst schrittweise an das westliche Alphabet angepasst. So wurde aus griechisch Chi in der Schreibung die Buchstaben-Ziffer L und aus griechisch F 140 Coy 2002. 141 Hill 1910; Hill 1915, ergänzt durch Jenkinson 1926; mit umfassenderer Perspektive Woep­cke 1863; Smith 1911. Zum zeitweiligen lokalen Verbot des Gebrauchs arabischer Ziffern zuletzt Lüneburg 2008, S. 106–109. 142 Lemay 1988. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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über einige Zwischenstufen die Buchstaben-Ziffer M. Mit der vollständigen Integration der Zeichen in das römische Alphabet wurde aus den ikonischen Zeichen und den Schriftzeichen zugleich die systematisch ausgebildete Ziffernreihe.143 Im Schriftbild bewahren die römischen Ziffern das ikonische Moment. Dabei sind sie zugleich formal auf das lateinische Alphabet bezogen und funktional als Zahlzeichen charakterisiert. Diese mehrfache Kodierung teilen die römischen Ziffern mit anderen Zeichen, die in großer Zahl zur Organisation mittelalterlicher Manuskripte eingesetzt werden. Im Unterschied zu den Kerbholz-Kerben ist die jeweilige Funktion der Zeichen jedoch in der Regel klar rekonstruierbar. Die meisten von ihnen teilen die Eigenschaft, dass mit ihnen (a)  Zahlenwerte angeschrieben (b)  Reihen dargestellt und (c)  entsprechend indexikalische Zuordnungen durchgeführt werden können. Besonders verbreitet, wenn auch wenig bekannt sind die mit dem Namen John of Basingstoke verbundenen ›Mönchsziffern‹, die aufbauend auf Beobachtungen von Bernhard Bischoff144 in einer umfassenden Publikation von David King zusammengetragen worden sind (exemplarisch Abb. 25).145

Abb. 25: Die sog. ›Mönchsziffern‹, glossiert durch arabische Ziffern, Brüssel (Belgien), spätes 13. Jh.146

Malcolm B. Parkes stellt in seiner Studie »Pause and Effect« die notae vor, die I­ sidor von Sevilla im ersten Buch seiner etymologiae bespricht und abbildet (vgl. Abb. 26):

143 Zur Varianz des Gebrauchs der römischen Ziffern in den mittelalterlichen Manuskripten Cappelli 1961. 144 Bischoff 1957; Bischoff 1944. 145 King 2001. 146 Brüssel, Bibliothèque Royale, MS Brussels BR II.1051, fol. 1r auf der sonst leer belassenen Seite. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 26: notae bei Isidor, Libri etymologiarum I, xxi (De notis sententiarum), Wolfenbüttel, 1386.147

Schließlich fallen in diese Reihe die Indexziffern Roberts Grosseteste, wie am Rand eines Hiob-Kommentars (Abb. 27).148 Ähnliche Zeichen haben Richard 147 Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Weissenburg MS 64, fol. 13v.; Kommentar s.  Parkes 1992, S.  173. Die gesamte Handschrift ist digitalisiert und einsehbar unter http:// diglib.hab.de/wdb.php?dir=mss/64-weiss (letzter Zugriff 01.04.2011). 148 Hunt, R. W. 1953. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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H. Rouse und Mary Rouse unter den Index- und Registerzeichen aus der theo­ logischen Literatur identifiziert.149

Abb. 27: Zeichen von Grosseteste, Moralia in Iob III, Oxford, MS Bodley 198, fol. 120v, ohne Datierung. 149 Rouse 1976; Rouse/Rouse 1983; Rouse/Rouse 1990. Vgl. insb. den Verweis auf ein VäterFlorilegium (in Paris, Bibliothèque Nationale, ms. NouV. acq. lat. 540.), das mit Indexzeichen ausgestattet ist, die denen von Grosseteste gleichen. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Die Reihe von Zeichentypen ließe sich ausweiten. Die Kerbholzzeichen reihen sich formal, wenn auch mit völlig anderem Entstehungshintergrund, in diese Reihe graphischer Zeichen jenseits der Differenz von Bild, Schrift und Ziffer grundsätzlich ein. Dabei können die Manuskriptzeichen funktional klar bestimmt werden: Entweder sind sie universell einsetzbare Zahlzeichen oder spezifische Indexziffern oder Zeichen mit besonderer Bestimmung, wie bei Isidor oder Grosseteste, die die Zeichenfunktion einzeln erklären. Die oben vorgestellten Kerbhölzer haben weder die formale Transparenz noch werden sie erklärt. Um eine Vorstellung des Funktionsspektrums zu geben, das sich mit ihnen verbinden kann, sollen im Folgenden ihre Verwandten unter den Holzurkunden vorgestellt werden, bei denen die Referenzialität der Kerben rekonstruiert werden kann. 1.3.2 Die funktional und formal verwandten Zeichen auf Objekten Die nächsten Verwandten der mittelalterlichen kontinentaleuropäischen Kerbhölzer sind auf den ersten Blick die englischen tally sticks und die (allerdings wesentlich jüngeren) schweizerischen Tesseln.150 Daneben gibt es jedoch noch eine Reihe lokal überlieferter Zeichentypen, die weniger bekannt sind. Das funktionale Spektrum dieser Zeichen reicht von der Bezeichnung von Quantitäten über die Repräsentation von Ordnungen bishin zur (namentlichen) Kennzeichnung von Eigentum. Die Übergänge sind fließend. Teilweise handelt es sich um ex­ plizite Mehrfachkodierungen. Zahl und Maß Die Nähe von Zählung und Messung ist zunächst bei den englischen tally sticks gegeben. Denn da die Hölzer als exchequer tallies die Zumessung von Steuereinkünften repräsentieren und im privaten Gebrauch unmittelbar als Kreditinstrument eingesetzt werden können, bezeichnen die Kerben in ihren unterschiedlichen Ausprägungen stets finanzielle Werte. Bei den privaten Kerbhölzern dominiert der Bezug auf Handelsgüter. Die gezählten Einheiten sind Warenbezogen (Getreide, Vieh usf.).151 Auch ein Personenbezug ist bei den englischen Kerbhölzern gegeben, wenn dieser auch  – anders als bei den eingeschnitzten Hausmarken auf schweizerischen Kerbhölzern – mit Tinte auf die nicht bekerbte Seite des Kerbholzes geschrieben wurde. Eine Sonderrolle spielen die tallies im 150 Die jüngere Kerbholzüberlieferung aus der Schweiz wird hier aus systematischen Gründen hinzugezogen, kann aber nicht voll ausgebreitet werden, weil die Forschung zwar im Vergleich zum mittelalterlichen Kerbholzgebrauch sehr elaboriert ist (und dementsprechend viel Raum einnehmen würde), die Ergebnisse aber dennoch nicht ohne weiteres übertragen werden könnten. 151 Jenkinson 1925, Appendix III: Transcript and Analysis of Private Tallies Preserved in the Public Record Office and elsewhere, S. 329–351, hier S. 314. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 28: Private Tallies, beschriftet, Public Record Office, London (England), 13. Jh.152 152 Public Record Office, London, Archiv-Nr. E. 101/505/34 (Abb. 28, Nr. 1 und Nr. 2) E. 101/482/22 (Abb. 28, Nr. 3 und Nr. 4). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Zusammenhang der hölzernen Urkunden deswegen, weil die Kombination von Beschriftung und differenzierter Kerbung mit festem Kode die Kerbhölzer in den Stand von schriftlichen Urkunden hebt (vgl. Abb. 22). Da den privaten Kerbhölzern die notationale Verbindlichkeit der exchequer tallies fehlt, sind sie in der Regel ausführlicher beschriftet und/oder mit schriftlichen Urkunden verbunden.153 Vgl. exemplarisch die privaten Kerbhölzer in Abb. 28. Jenkinson hat die Kerben und die Beschriftung wie folgt transkribiert:154 Nr. 1: Kerbung Oberseite:     Kerbung Unterseite: ^^^^^^^ Gesamtbetrag: 17 s. 4 d. Beschriftung:  ¶Contra Ricardum de Thereford’ de denariis sibi liberatis per manus .J. de Tarent’. Anno. regni regis E. xxvij. Nr. 2: Kerbung: Gesamtbetrag: 6 l. 10s. Beschriftung:  ¶Contra Ricardum de Haueringg’ de denariis sibi libera­ tis [de] exitu ecclesie de Wfford per manus .J. de Tarefentef ’ Anno regni. regis. xxvij

      

Nr. 3: Kerbung, Oberseite:                   Kerbung Unterseite: ^ ^ ^ Gesamtbetrag: 8 l. 3 s. 1,5 d. Beschriftung Oberseite: Contra Adam de Thorpp’ Constabularium Castri Kar­ lioli de expensis suis circa Beschriftung Unterseite: operam Castri a festo Pentecostis anno Regis Edwardi .xxx. vsque festum Sancti Michaelis proximo sequens Nr. 4: Kerbung Oberseite:   Kerbung Unterseite:  ^ ^ ^     Gesamtbetrag: 2 l. 3 s. 11 d. Beschriftung Oberseite: De denariis receptis de Ada de Thorpp’ ad operam Cas­ tri a festo Beschriftung Unterseite: Natiuitatis sancti Johannis Baptiste anno regis Edwardi xxxjo vsque festum Sancti Michaelis proximo sequens 153 Überblick mit Transkription aller ihm bekannten Private Tallies, ebd. S. 332 f. 154 Zur Entschlüsselung des Exchequer-Kerbkodes s. u. Abb. 51; Abkürzungen: l.  :  Pfund, s. : Schilling, d. : Pfennig. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kerbholznotationen

Auch die jüngeren helvetischen Kerbtypen verbinden regelmäßig die Angabe von Anzahlen mit Maßangaben. Als Beispiel zeige ich ein Abrechnungsscheit aus dem späten 19. Jahrhundert (Abb. 29), das Max Gmür in seiner grundlegenden Publikation über »Schweizerische Bauernmarken und Holzurkunden«155 gezeigt und erläutert hat.

Abb. 29: Abrechnungsholz, Vilney/Waadtland (Schweiz), um 1900.156

Dieser Kerbholz-Typ ist zur Zeit seiner wissenschaftlichen Erfassung am Anfang des 20. Jahrhunderts noch in Gebrauch gewesen und konnte deswegen in Form und Funktion von Gmür sehr genau beschrieben werden.157 Er wurde in der Weinlese eingesetzt, um den Lohn für die Weinarbeiter anzukerben. Interessant ist, dass die Hauptkerbung nicht die Tage der Arbeit oder die eingetragenen Kiepen der Ernte zählt. Eine Kerbe wird vielmehr gesetzt, wenn der gelesene Wein nach der Pressung jeweils eine Menge von 300 Litern erbracht hat. Zudem zeigt das Kerbholz weitere Informationen, die in der mangelhaften Reproduktion leider nicht erkennbar sind: Erstens ist neben der Hauptkerbung auf dem kleineren Stab noch der Name des Bauern verzeichnet. Das heißt, dass die dokumentierte Leistung immer auch an die Identität desjenigen gebunden ist, der die Leistung erbracht hat. Zweitens werden an der Seite des Kerbholzes zusätzlich mit Strichen (nicht Kerben) die Tage der Lese gezählt. Das Holz verbindet die Identifikation des Leistungserbringers mit einer Kontrolle seiner Arbeitszeit. Bei anderen schweizerischen Exemplaren, etwa den von Georg Gottlieb Stebler vorgestellten Milchmess-Scheiten aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ist die Maßangabe selbst differenzierter angelegt.158 Die Größe der Stäbe variiert. Als Beispiele seien zwei Milchmess-Tesslen von der Alp de Torrent aus dem Eifischtal (Val d’Anniviers) und das Notationsschema eines Stabes aus Ulrichen (alle Wallis) vorgestellt. Die erste Abbildung (Abb. 30) zeigt die Verbindung von Hausmarken und Maßangaben auf zwei Stäben von 163 cm und 150 cm Länge bei einem Durchmesser von 2–3 cm. »An einer Seite sind die Hauszeichen der Alpgenossen eingeschnitten und auf der gegenüberliegenden die Milchmengen, 155 Gmür 1917. 156 Abb. nach Gmür 1917, S.  106, Tafel 23.  Das Abrechnungsholz stammt aus den Wein­ gütern des Waadtlandes, wo es auch taille oder encoche genannt wird. Es ist 67 cm lang. 157 Gmür 1917, S. 106 f. 158 Stebler 1907b, S. 165–209. Ähnliche Beispiele jenseits des schweizerischen Raums bringt Brunner 1912, S. 337–352. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Philologischer und archäologischer Befund

Abb. 30: Milchmesstesslen, Tachères, Alp de Torrent/Wallis (Schweiz), 1860 und 1866.159

159 Abb. nach Stebler 1907b, S. 189, Fig. 22, ohne Maßstab. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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welche die Betreffenden geliefert hatten.«160 (Maßeinheit: 1 Emina). Die zweite Abbildung (Abb. 31) bildet allein das Notationsschema des 90  cm langen und 2,5  cm dicken Stabes aus dem Feldsennertum von Ulrichen ab. Auf dem Stab wird jeweils rechts von der Hausmarke die jeweils während eines Tages gemessene Milch notiert (Maßeinheit: 1 Immi).

Abb. 31: Notation auf einer Milchmesstessle des Feldersenntums von Ulrichen/Wallis (Schweiz), 1893.161

Das Inventar der Zeichen auf dem Stab in Abb. 31 erklärt Stebler wie folgt: »Eine tiefe Kerbe über die ganze Breite der Tessle = 1 Immi. Eine halbe Kerbe = ½ Immi. Ein blosser Einschnitt , ohne dass Holz herausgenommen wird = 1 Löffel. Eine = 5 Löffel. Eine = 10 Löffel. Ein Stupf = gleich 1 ›böser‹ Löffel, d. h. minus. 1 Immi hat 50 Löffel à 100 gramm; 1 Immi ist also 5 kg.«162

Charakteristisch ist das Kerbholz aber nicht nur wegen der in die Kerbtypen aufgenommenen Informationen über die zugrundeliegenden Maße, sondern vor allem wegen der jeweiligen Gruppierung von Mengenkerbung und Identifikation: links die Hausmarke und rechts die Menge. So konnte wiederum auf dem Kerbholz die Milchmenge von 16 Milchkuhbesitzern gemeinsam erfasst werden. In die Reihe der Zählzeichen gehören auch die Notationen auf Kalendern und Sonnenuhren, wie sie seit dem späten 14.  Jahrhundert überliefert sind (Abb. 32):163 160 Stebler 1907b., S. 191. 161 Abb. nach Stebler 1907b, S. 189, Fig. 22, ohne Maßstab. 162 Stebler 1907b, S. 189. 163 Materialsammlung und historische Einordnung bei Schaldach 1998. Zu Abb. 32 und Abb. 33 vgl. King 2001, S. 321–323 mit weiteren Abbildungen und weiterführender Forschungsliteratur. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 32: Notationen auf Sonnenuhren und Kalendern, 14.–16. Jh.164

Ähnliche Zeichen sind auch in den Holzkalendern des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit belegt. Abb. 33 zeigt (1.) das Kalenderblatt zum Monat August in einem Kalender aus dem letzten Drittel des 15.  Jahrhunderts und (2.) das Blatt zu den Monaten Oktober bis Dezember in einem Kalender aus dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts.165 164 Abb. nach Schaldach 1998, S. 46, ohne Maßstab. 165 Erläuterungen zur Lesart Riegl 1888. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kerbholznotationen

Abb. 33: Holzkalender, Wien (Österreich), 15. und 16. Jh.166

Ein Notationstyp, der wiederum an die Handelsmarken anschließt, sind die Zeichen zur Markierung des Volumens von Weinfässern. Die verstreute Literatur ist bei King zusammengetragen.167 Dazu gehören unter anderen die Untersuchungen 166 Abb. 33, Nr. 1: Holz-Kalender aus dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts. Sammlung Figdor, Nr. 800; Nr. 2: Holzkalender aus den Jahren 1526–1544. Sammlung Figdor, Nr. 799; Abb. nach Riegl 1888, hier Tafel V (Detail) und Tafel IV; ohne Maßstab. 167 King 2001, Appendix E, hier S. 335–340. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Philologischer und archäologischer Befund

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von Bruno Kuske zu den sog. Röderzeichen, den Markierungen für Wein­fässer (Abb. 34),168 und die von Dietrich Schäfer publizierten Abbildungen markierter Weinfässer von 1506 (Abb. 35).169

Abb. 34: Röderzeichen, Köln (Deutschland), 1300–1500.170

In den Zusammenhang von Zahl und Maß gehören weiter die Zeichen auf Steingewichten, wie sie vor allem im Österreichischen Raum aus der frühen Neuzeit überliefert sind. Die Kodierung von Gewichtseinheiten kann nicht in allen Fällen bestimmt werden. Es fehlt an einschlägiger Forschung; nicht zuletzt sind die Bestände vor allem in Privatsammlungen zusammengetragen. Niederländische Beispiele zeigt die Publikation von Wittop Koning.171 Objekte aus dem Österreichischen Raum versammelt die große Privatsammlung von Gerhard Eiselmeyer (exemplarisch Abb. 36):172 168 Kuske 1923. 169 Schäfer 1882. 170 Abb. nach Kuske 1923, Appendix. Abb. zu Bd.  II, Nr.  555, schematische Abbildungen ohne Maßstab. 171 Vgl. Koning 1970. 172 Eiselmeyer 1989 gibt zahlreiche Musterzeichnungen und Angaben zu Gewicht und Größe der Objekte seiner Sammlung. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kerbholznotationen

Abb. 35: Zeichnung von Weinfässern mit Markierung, Lübeck, 1506.173 173 Abb. nach Schäfer 1880/81, zwischen S. 100 und 101. Es handelt sich um drei Zeichnungen bemarkter Fässer auf einem Dokument, das 1506 von Lübeck nach Danzig geschickt wurde. Schäfer 1880/81, S. 100; ohne Maßstab. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 36: Steingewichte, Österreich, ohne Datierung.174

Vorsicht ist geboten bei der Eingliederung der Punkt- und Strichmuster auf den Kugelzonen-Gewichten der späten Wikingerzeit in diesen Zeichenkontext. Heiko Steuer hat die Überlieferung aus dem nordosteuropäischen Handelsraum zusammengetragen.175 Die für Feinwaagen ausgelegten Gewichte zeigen Kerbungen und Punktmuster, die denen der österreichischen Steingewichte sehr ähnlich sind (vgl. aus dem großen Spektrum an Formen exemplarisch die drei Stücke in Abb. 37).176 174 Sammlung Eiselmeyer, Linz, eigenes Foto; ohne Maßstab. 175 Steuer 1987. 176 Im Überlieferungskontext vorgestellt von Steuer 1997, S. 312–315, hier im Wesentlichen nach Steuer 1987. Zum Befund: »Kugelzonen-Gewichte mit Einkerbungen, die damit auch andere Punkt- und Kreismarkierungen zerstören, sind in größerer Anzahl nachweisbar. […] In der Regel sind die Kerben absichtlich und teilweise »sorgfältig« eingeschnitten worden. Eine bemerkenswerte Variationsbreite ist zu verzeichnen: eine oder mehrere senkrechte Kerben auf der Wandung der Kugelzonen-Gewichte, Kerben auf den Polflächen, weiter Kreuzkerben einzeln oder zu mehreren auf der Wandung oder auf einer bzw. beiden Polflächen. Am häufigsten […] sind die Kreuzkerben auf einer Polfläche. Die Kerben sind tief eingeschnitten, durchdringen den Messingmantel und reichen tief in den Eisenkern hinein […]. Einkerbungen finden sich auf den verschiedenen und auch unterschiedlich alten Kugelzonen-Gewichtstypen […]. Die so gezeichneten Gewichte werden einzeln, aber oftmals eingereiht in Gewichtssätze gefunden, die aus sehr verschiedenartigen Formen zusammengesetzt sind.« Steuer 1987, S. 66. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kerbholznotationen

Abb. 37: Kugelzonengewichte aus dem Ostseeraum mit Punkten und Kerbzeichen auf Pol oder Wandung, späte Wikingerzeit (10.–12. Jh.).177

Die Funktion der Zeichen auf den Kugelzonen-Gewichten ist indes nicht abschließend geklärt. Dass mit ihnen nicht das Gewicht angegeben wird, ist sicher. Da die Kerbung stets einen Gewichtsverlust bedeutet, sieht Steuer einen Zusammenhang zur zunehmenden Münzprägung und der abnehmenden Bedeutung der Gewichtsgeldwirtschaft. Wo keine Werkstätten zur Herstellung von Feingewichten unmittelbar zugänglich waren »wurde es einfacher, alte Gewichte durch massive Eingriffe umzuändern und Lücken in einem Gewichtssatz auf diese Weise zu ergänzen, als die komplizierte Technik der Herstellung von Gewichten, die mit Messing plattiert wurden, einzuführen.«178 Die Kombinationen von Punkten und Ringen wird ebenfalls nicht in der Angabe des Gewichts ge­sehen. Sie sind »wahrscheinlich die Kennzeichen unterschiedlicher Werkstätten, ohne dass eine Lokalisierung möglich ist oder auch abweichende Datie-

177 Abb. nach Steuer 1997, S. 312, Abb. 228, Nr. 7–9; Fundorte: Abb. 37, Nr. 1: Koirakallio, Karkku, Satakunta (Finnland), Grabfund: eine senkrechte und eine Kreuzkerbe auf der Wandung, Gewicht 37,32 g (Museum Helsinki 3995:5); Abb. 37, Nr.  2: Aatservainen, Kuolajärvi, Salla, Lappa (Finnland), Schatzfund, Niederlegung nach 1110, vielleicht erst im 13.  Jh., Gewicht 32,08g (Museum Helsinki 37);  Abb. 37, Nr. 3: Vifärna, Kulla, Uppland (Schweden), mit der Markierung 4 + 4, einer tiefen horizontalen Kerbe auf der Wandung sowie weiteren Schnitt­ spuren (Museum Uppsala UMF E. C. 977). 178 Steuer 1987, S. 70. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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rungen angenommen werden können.«179 Trotz der formalen Ähnlichkeit der Kerben zu Zahl- bzw. Maßangaben auf funktional vergleichbaren Objekten gehören die Markierungen auf den Kugelzonen-Gewichten nicht in die notationsgeschichtliche Überlieferung. Hinsichtlich der Punkt- und Linienmarkierungen gehören die Objekte bereits zum folgenden Abschnitt über Eigentumsmarken. Vor diesem Hintergrund wäre auch die Frage weiter zu verfolgen, inwieweit unter den Zeichen auf den (freilich späteren) Steingewichten auch Eigentumszeichen sind. Zuvor seien noch die Abbundzeichen der Zimmerleute erwähnt. Sie bilden gewissermaßen das handwerklich Pendant zu den Indexziffern der Manuskript­ kultur. Mit ihrer Hilfe werden zueinandergehörige Balken gekennzeichnet, etwa bei der Konstruktion von Dächern (vgl. Abb. 38).180

Abb. 38: Abbundzeichen, Lübeck/Schleswig-Holstein (Deutschland), noch 14. Jh.?181

Eigentumsmarken Daneben steht eine Reihe von Zeichentypen, die in unterschiedlicher Weise zu Identifikationszwecken dienen. In der Regel geht es um die Kennzeichnung von Eigentum. Die Hausmarken sind als eigener Quellentypus bereits 1870 von Homeyer behandelt worden (exemplarisch Abb. 39, vgl. Abb. 30, Abb. 31 und Abb. 37).182

179 Steuer 1997, S. 305. 180 Wrobel/Holst/Eckstein 1993, bes. S. 224–233. 181 Abb. nach Wrobel/Holst/Eckstein 1993, S. 228 Abb. 45c. Abbundzeichen vom Haus Königstraße 5, Seitenflügel, kein Maßstab. 182 Homeyer 1870. Vor ihm bereits von Michelsen 1853. Die dichte schweizerische Überlieferung wird dann in Arbeiten von Georg Gottlieb Stebler zusammengetragen, vor allem in seinen sog. »Monographien aus den Schweizeralpen« Stebler 1901; Stebler 1903; Stebler 1907 und Stebler 1913, vgl. auch Meyer 1905. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 39: Hauszeichen, Raum Mecklenburg/Mecklenburg-Vorpommern (Deutschland), 15.–19. Jh.183 183 Abb. nach Homeyer 1870, Tafel 18. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Mit der Kerbholzüberlieferung werden sie zusammenfassend in der Monographie von Gmür besprochen, der wie Stebler (s. o. Abb. 30) auch Hausmarken auf Holzstäben nachweist.184 Die Hausmarken sind in einer großen Vielfalt von funktionalen, aber nicht zugleich auch formal abgehobenen Abstufungen überliefert: als objektgebundene Hauszeichen, als vererbbare Familienzeichen oder als Erkennungszeichen einer Einzelperson; dann in entsprechenden Übertragungen auch als Besitzzeichen, mit dem bewegliches Gerät, aber auch Holzbestände und Vieh gekennzeichnet werden können. Als übergeordneter Begriff wurde von Louis Carlen seit den 50er-Jahren die von Gmür eingeführte Bezeichnung ›Holzurkunde‹ zunehmend etabliert.185 Formal unterscheiden sich die jüngeren von Homeyer186 und Gmür187 publizierten Hausmarken kaum von den von Bruno Kuske zusammengetragenen Handelsmarken und den in der jüngeren Forschung besprochenen Exemplaren.188 Formal vergleichbare Handelsmarken hat auch Otto Held zusammengetragen und beschrieben.189 Wiederum ähnliche Notationstypen sind jenseits der Immobilien und der mobilen Güter auch im Mittelalter für die Organisation des Gemeinschaftswesens belegt. So hat Herbert Schempf auf die markierten Hölzchen aufmerksam gemacht, die bei dem gemeinschaftlichen Backen in die Brote gesteckt wurden, um die jeweiligen Eigentümer zu identifizieren.190 Die Hauszeichen und Handelsmarken wiederum unterscheiden sich wenig von den Steinmetz-Zeichen, die schon 1883 von Franz Rziha gesammelt und publiziert wurden (vgl. Abb. 40).191

184 Gmür 1917. Ihm geht es vor allem um eine grundsätzliche Erörterung von »Begriff, Geschichte und Verbreitung« der Hausmarken und von ihrer »Stellung im Recht«, § 2 und § 3. Zusätzlich trägt er eine Reihe von Bauernzahlen zusammen, die wiederum von einer engen Verwandschaft von Zahl und Maß zeugen  (§ 6). Hausmarken auf Stäben z. B. Tafel XVI. 185 Carlen 1957, S. 50–55; Carlen 1972; Carlen 1975; Carlen 1978; Carlen 1991. 186 Homeyer 1870. 187 Gmür 1917. 188 Nach längerer Indifferenz der historischen Forschung sind die Hausmarken und Hausnamen zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Stabilität bzw. Instabilität des Bezeichnungsverhältnisses zwischen Haus und Besitzer wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Vor allem am Beispiel der spätmittelalterlichen Städte wird deutlich, dass keinesfalls davon ausgegangen werden kann, dass die Hausnamen und -marken eine auch genealogische Bindung der Besitzverhältnisse anzeigen. Die Verhältnisse müssen vielmehr im konkreten stadtgeschichtlichen Kontext jeweils ermittelt werden. Czaja/Signori 2009. Zur Institutionalisierung der Hausmarke als Rechtsbegriff vgl. darin Stutz 2009 mit Hinweis auf eine in Arbeit befindliche Monographie zum Thema. 189 Held 1911. 190 Schempf 2006. 191 Rziha 1883. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kerbholznotationen

Abb. 40: Steinmetz-Zeichen, Münster, Ulm/Baden-Württemberg (Deutschland), um 1377.192

Möglicherweise sind in diese Gruppe auch die oben erwähnten Markierungen von Gewichten zu zählen. In den Kontext der identifikatorischen Zeichen gehören schließlich die administrativen und strafrechtlichen Personenmarkierungen, die Valentin Gröbner beschrieben hat.193 192 Abb. nach Rziha 1883, S. 34, Nr. 649–668 in der Schematisierung von King 2001, S. 326, Abb. E.5 193 Gröbner 2004, vgl. in kulturtechnischer Perspektive auch Münkner 2004. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Philologischer und archäologischer Befund

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Zusammenfassung Die Zeichen haben ihr gemeinsames Merkmal darin, dass sie in der Regel aus geraden Strichen zusammengesetzt sind, wobei einige Zeichentypen komplexer, andere einfacher konstruiert sind. Die Notationen sind überwiegend lokal gebraucht worden. D. h. dass die Kompetenz zu ihrer Lektüre eng mit der jeweiligen Kommunikations­gemeinschaft verknüpft ist. Dennoch umfassen sie ihrerseits ein großes Spektrum von Funktionen, das die beiden Pole der Quantifizierung auf der einen Seite und der Zugehörigkeitsmarkierung auf der anderen Seite verbindet. Damit entsprechen sie sämtlich der Kerbholzdefinition von W. T. Baxter: »The word ›tally‹ suggests various things: (1) A simple record of numbers, such as notches on a stick or chalk marks on a slate (2) An object devided into two interlocking bits, thus giving proof of identity, e.g. a split seal or die. (3) A combination of (1) and (2), such as a stick that is first notched to show e.g. the number of Ls lent by A to B, and then is split to give both A and B a record.«194

1.4 Zusammenfassung und Einordnung in die Forschung Der philologische Befund zeigt: In Urkunden und in anderen Gebrauchstexten, nicht aber in der höfischen Dichtung wird von Kerbhölzern gesprochen. Ferner zeichnet sich in den Belegen ein Schwerpunkt der Bedeutungsfunktion ab: Kerbhölzer dienen im deutschsprachigen Mittelalter vor allem dazu, Stücklieferungen, Schuldsummen oder Kreditleistungen auszuweisen. Innerhalb dieser Ausrichtung kann der Akzent mehr auf der Quantifizierung liegen, wie in den Handelsvorgängen, oder mehr in der Identifikation, wie in der Anwendung der Kerbhölzer vor Gericht und bei der Quittierung der Steuer. Dazu kommt seit der frühen Neuzeit eine metaphorische Übertragung auf die Sündenschuld vor Gott oder ein allgemeines Schuldverhältnis. Noch später erst wird das Kerbholz auch mit der Akkumulation von Frömmigkeits­handlungen assoziiert. Der archäologische Befund lässt nach derzeitiger Forschungslage keine feste Zuordnung zu Überlieferungsbereichen zu. Hinsichtlich der Kerbungen zeichnet sich ein typisches Muster ab. Abweichungen gibt es, wo neben den Kerbenreihen Ornamente oder Identifikationszeichen hinzutreten, etwa bei den so genannten Aufgebotstäben (die einen zeremoniellen oder rituellen Gebrauch nahelegen)195 oder bei den von Gmür (1917) beschriebenen Kehrtesseln. Aufgrund der Kerbung allein kann in den meisten Fällen nicht entschieden werden, was ein Kerbholz ›sagt‹. Für die Rekonstruktion von Aussagen, die an die Kerbhölzer gebunden

194 Baxter 1994, S. 197. 195 Vgl. v. Amira 1909. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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sind, ist deswegen die Einbindung der Fundumgebungen besonders wichtig, wie sie Rech (2004) und Ellmers (1979) vorgenommen haben. Die Überschneidung von philologischem und archäologischem Befund führt nach derzeitiger Forschungslage auf ein kleines Feld von Anwendungen. Namentlich sind das der Ausweis von Kredit, Schuld und Zahlung im Bereich des Fern- und Kleinhandels und vor Gericht. Schon die manoriale Administration muss überwiegend aus Schriftdokumenten erschlossen werden. Damit bleibt das zuverlässig rekonstruierbare Nutzungsfeld weit hinter dem von Michael Clanchy angenommenen millionenfachen Kerbholzgebrauch zurück.196 Es stellt auch in systematischer Hinsicht nur einen kleinen Ausschnitt aus dem terminologisch-funktionalen Kategorienraster dar, dass Kuchenbuch zur Orientierung weiterer Forschungen entworfen hat.197 Weitere und gründlichere Arbeiten müssen folgen. Meine Interpretation des Kerbholzgebrauchs baut im Folgenden auf einer Reihe von Einzelbeiträgen auf, die sich zwar auf regional und chronologisch differierende Befunde beziehen, sich aber nichtsdestoweniger weitgehend drei übergreifenden Forschungsimpulsen zuordnen lassen. 1.4.1 exchequer tallies Der erste Impuls entfaltet sich um die Wende zum 20.  Jahrhundert in Groß­ britannien. Er entsteht im Zusammenhang mit einem sensationellen Fund, der um 1900 in der Chapel of Pyx in Westminster über 600 Kerbhölzer aus dem 12. bis 14. Jahrhundert ans Tageslicht brachte. Diese bis dahin wenig bekannte Quellengruppe wurde vor allem von Sir Hilary Jenkinson aufgearbeitet.198 Seine Publikationen liefern neben differen­zierten Analysen zu Form und Funktion der Kerbhölzer eine Auseinandersetzung mit dem Dialogus de scaccario, dem Dialog über das Schatzamt (1179), in dem der Schatzmeister Heinrichs II., Richard von Ely, über wesentliche Fragen der Technik des Kerbholzschneidens informiert:199 Die Kerbhölzer sind seit dem 12. Jahrhundert zum leitenden Medium geworden, in dem die Einkünfte des königlichen Schatzamtes quittiert (exchequer tallies)200 und im privaten Handel Borgkäufe dokumentiert sowie Schuldverschreibungen

196 Clanchy 1979, S. 96. 197 Kuchenbuch 1999, S. 316–322. 198 Jenkinson 1911, S. 367–380. 199 Das Original des Dialogus ist verloren. Er ist jedoch in mehreren Handschriften des 13. Jahrhunderts überliefert. Eine Edition mit deutscher Übersetzung bietet Ricardus de Ely, Dialogus de scaccario (Siegrist). Informationen zur Überlieferungslage ebd. S. XXVIII. Neueste Ausgabe: Ricardus de Ely, Dialogus de scaccario (Amt/Church). 200 Jenkinson 1911; Jenkinson 1925, S. 289–310. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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ausgestellt wurden (private tallies).201 In diesen Kontext gehören auch die von Kuchenbuch erwähnten Traktate Walters of Henley, die Dorothea Oschinsky bereits 1971 publiziert hat,202 ohne dass die Kerbholz-Passagen in der Forschung besondere Beachtung gefunden hätten.203 Es bleibt zu überprüfen, ob die hier detailliert geschilderten Formen des seigneurialen Kerbholzgebrauchs eigenständige Entwicklungen darstellen oder als Derivate der königlichen exchequer tallies anzusehen sind. In ihrer freieren Form jedenfalls wurde der englische Kerbholztyp über Handelsbeziehungen auch nach Kontinentaleuropa importiert, wie der belgische Historiker Carlos Wyffels204 festhält. Die ursprüngliche und bleibende Grund­ funktion der exchequer tallies und der privaten Kerbhölzer ist jedoch, wie Rudolph Robert in seinem Abriss zur Geschichte der englischen Kerbhölzer betont, die Quittierung von Zahlungen: »Despite subsequent developments in the use to which the tally was put, it was never any more, or less, than this – simply a receipt.«.205 Die Praxis der englischen Steuererhebung ist für die vorliegende Unter­ suchung in zweierlei Hinsicht interessant. Erstens hat der Kodierungstyp auch auf Kontinentaleuropa eingewirkt und steht er teilweise in unmittelbarer Konkurrenz zu anderen Kerbholztypen. Zweitens bietet sie den systematischen Vergleich. Denn sie liefert einen Beleg dafür, in welchem Grad  – unter ähnlichen gesellschaftlichen und medialen Voraussetzungen  – die Kodierung von Information auf Kerbhölzern zeremonialisiert, formalisiert und skriptural aufgeladen werden konnte. 1.4.2 Holzurkunden der Schweiz Ein zweiter, davon vollkommen unabhängiger rechts- und wirtschaftshistorischer Impuls erfolgt fast gleichzeitig in der Schweiz. Er steht im Bann einer Technik, deren Versinken in der Bedeutungslosigkeit mit Händen greifbar war, deren Leistung und Faszination aber dennoch dazu provozierte, ihre wirtschaftliche und rechtliche Funktion noch einmal, ein letztes Mal im Gebrauch zu beobach 201 Zum Funktionsspektrum der privaten Kerbhölzer s. Jenkson 1925, S. 310–324. S. auch die Geschäftsbiographie von Willelmus Cade, eines wahrscheinlich aus Flandern eingewanderten Geldverleihers, dessen Buchhaltung wesentlich auf der Basis von Kerbhölzern geführt wurde; Jenkinson 1913. 202 Oschinsky 1971. 203 Vgl. Oschinsky 1971, S. 93–112, 212–257, 261–305, 438–441, 460–469, 478–491. 204 Wyffels 1988. 205 Robert 1956; Baxter 1994. Davon zeugen die Sammlungen von Kerbhölzern und Schriften vor allem im Public Record Office, der Birmingham Free Library, der Bank of England und dem British Museum. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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ten und in ihrer Bedeutung für das gegenwärtige Wirtschafts- und Rechtssystem zu entfalten.206 Dieser Impuls verbindet sich vor allem mit den Namen von Georg Friedrich Stebler,207 Max Gmür208, Anton v. Kostanecki209 und C. Meyer.210 Stechen an den Kerbhölzern der englischen Krongutverwaltung die Zentralisierung des Gebrauchs, die offizielle Rechts­förmigkeit und die Schriftnähe hervor, sind die Bauernmarken und Kerbhölzer, denen sich die Forschung um die Schweizer Volkskundler und Juristen widmen, gerade durch eine nur lokale Geltung, eine nur implizite Rechtsförmigkeit und durch weitestgehend mündliche Standards ausgezeichnet. Für eine weiterführende Arbeit sind vor allem Gmürs Reflexionen zu den Möglichkeiten einer systematischen Erfassung des Kerbholzgebrauchs von Bedeutung. Seine umfassende Sammlung zeigt ein so großes Spektrum an formalen Eigenschaften, dass er die Idee einer formalen Typologie für die Kerbhölzer verwirft, weil schließlich unterschiedliche Formen dieselbe Funktion erfüllen und unterschiedliche Funktionen durch Hölzer ähnlicher Form repräsentiert werden konnten. Dieser Befund muss auf das Mittelalter nicht übertragbar sein, zeigt aber, dass grundsätzlich mit einem sehr großen Spektrum gerechnet werden muss und dass die formale Differenz nur unter bestimmten Bedingungen auch die funktionale Differenz abbildet.211 Deutlich wird bei Gmür aber vor allem die enge Bindung unterschiedlicher Funktionstypen aneinander: vor allem die Verwandtschaft der Quittungs-, Forderungs- bzw. Abrechnungshölzer, die funktional mit den Exchequer Tallies verwandt sind, mit solchen Kerbhölzern, die (a) den genossenschaftlichen Umgang mit der Verteilung von Pflichten regeln (wie die Kehrtesseln), (b)  genossenschaftliche Rechte an der Nutzung von Almende-Gütern beglaubigen (wie die Rechtsamehölzer), (c)  mehr den Charakter von einfachen Erinnerungsmarken haben, die nicht die Kommunikation zwischen zwei oder mehr Parteien be­ 206 Besonders der Monographie von Gmür 1917 ist eine gewisse Ungeduld bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung anzumerken, denn es sei doch »mit der Tatsache zu rechnen, dass die Verwendung der Hausmarken und Kerbhölzer im raschen Schwinden begriffen ist; in 10 oder 20 Jahren wird kaum mehr davon übrig sein als die Erinnerung; daher gilt es heute, die noch lebendige Funktion festzuhalten.« Gmür 1917, S. 6. 207 Stebler 1901; Stebler 1903; Stebler 1907; Stebler 1913. 208 Gmür 1917. 209 Kostanecki 1900. 210 Meyer 1905. 211 Für seine Belege wählt er schließlich eine neunteilige Haupttypologie, die nach dem Grundkriterium der Rechtsförmigkeit organisiert ist, während die Binnenklassifizierung zu den einzelnen Punkten sich nach formalen Kriterien richtet: »[…] [1] Loshölzer, deren Charakter als Kerbhölzer nicht ganz unbestreitbar erscheint; [2] Zählstücke und [3] hölzerne Notizen, die zwar keinen Rechtsinhalt haben, aber immerhin Urkundencharakter tragen; sodann [4] Abrechnungshölzer, [5] Kehr- oder [6] Registerhölzer, weiter [7] Quittungs- und [8] Forderungshölzer, und endlich [9] Rechtshölzer, welche eine genossenschaftliche Berechtigung verkünden.« Gmür 1917, S. 71. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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treffen. Diese Verknüpfung von Quantität, Ordnung, Eigentum und Erinnerung, die auch für die mittelalterlichen Zeichenpraktiken charakteristisch ist, hat sich offensichtlich bewahrt, wenn sie auch nur bedingt Rückschlüsse von der jüngeren auf die ältere Überlieferung erlaubt.212 1.4.3 »Une enquête sur la taille« Wichtig ist schließlich ein dritter, wiederum unabhängiger Impuls, der seine Wirkung vor allem in der Mitte des 20. Jahrhunderts infolge einer Enquête entfaltete, die von Abbé B. Berthet in der Zeitschrift »Annales. Économies, Sociétés, Civilisations« gestartet und von Lucien Lebvre betreut wurde. Ausgangspunkt war die von Abbé B. Berthet geäußerte Kritik an Marc Blochs etymologischer Erklärung der Steuer, frz. taille.213 In dem zusammenfassenden Referat der Einsendungen214 werden wesentliche systematische Aspekte des Kerbholzgebrauchs herausgearbeitet, vor allem die Alternative von Kerb- und Schriftnotationen in Fragen der Herrschaftsausübung. Insbesondere wird die These formuliert, dass die von Augenzeugen berichteten Praktiken des Abrechnens in Fleischereien und Bäckereien mit der historischen Semantik des Wortes für Steuer, taille, in eine Linie zu setzen seien. Die mittelalterliche Überlieferung spielt, abgesehen von einer Zuschrift von M. Gérard von Acker, der einen frühen niederländischen Beleg einbringt, in dem kerv ganz offensichtlich der taille de baston entspreche (um 1170), erst in den Beiträgen von Jean-Jaques Hémardinquer eine Rolle, der erstmals systematisch den europäischen Zusammenhang und die historische Entwicklung des Kerbholzgebrauches erörtert.215 Er artikuliert, ähnlich wie Lucien 212 Gmür 1917, der selbst vermerkt, dass »eine spezielle und eingehende Darstellung« der Kerbholzverwendung in der germanischen Zeit und im Mittelalter fehle«, (59) unternimmt jedoch nur an zwei Stellen den Versuch einer Historisierung. So scheint ihm ein Brauch des gemeinsamen Messens, Abrechnens und Verteilens von Milch und Milchprodukten, den er aus dem 19. Jahrhundert kennt, auf eine Stelle in den Acta Murensia (1264–1280) beziehbar zu sein, obwohl »dort nicht ausdrücklich von der Notierung auf Kerbhölzern die Rede« ist (88). Ferner gibt er Hinweise darauf, dass der Gebrauch des Kerbholzes in einer Sonderfunktion mit der festuca, die als Institut aus den germansichen Volksrechten bekannt ist, zusammenhängen könnte. § 17, S. 132–142. 213 Bloch 1939; Berthet 1949, hier S.  431: »[…] certaines contributions étaient appelées taille; ›expression imaginée, qui se tirait du verbe tailler, mot à mot, prendre à quelqu’un un morceau de sa subsistance et, par suite, le taxer‹ Explication qui va de soi, bien qu’en peu forcée. Néanmoins, faute de mieux …« 214 Febvre 1951. 215 Hémardinquer 1963a, Hémardinquer 1963b; vgl. Hémardinquer 1972. Hémardinquer führt in dieser Publikation erstmals die Kenntnis des Dialogus des scaccario mit den Monographien von Gmür und Kostanecki und einer Reihe von französischen Einzelbefunden zusammen. Insbesondere führt er Quellen an, die den Kerbholzgebrauch als Hilfsmittel bei der Steuereintreibung belegen, und weist eine Differenzierung der Kerbhölzer aus (für den ›crédit © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Gerschel216 den Vorschlag, die Kerbhölzer in die Perspektive einer Geschichte der langen Dauer zu rücken: »des techniques intellectuelles: héritière au auxiliaire du document écrit, la taille double – le conto di taglia concurrent du conto d’abaco – précède à son tour la comptabilité courante et souple en partie double.«217 Umgesetzt wurde diese Vision bislang jedoch nicht.218 Dass der in den »Annales« schon von Berthet formulierte Impuls, nach der Geschichte der intellektuellen Techniken zu fragen, damit dennoch nicht erschöpft hat, zeigt die Arbeit von Isabelle Vernus-Mouton, die 1991 die Diskussion programmatisch wieder aufnimmt219. Auf der Grundlage der Quellen zu den fiskalischen Erhebungen des 15. Jahrhunderts im Dauphiné entwickelt sie die Rolle der Kerbhölzer in der Steuererhebung zwischen 1428 und 1476. Hier wurden die tailles in der Tat als bessere Alternative zu schriftlichen Dokumenten verwendet. Anders jedoch als von Berthet vermutete, wird der Verzicht auf Schriftlichkeit in diesen Quellen nicht mit Analphabetismus begründet. Vernus-Mouton zeigt vielmehr Folgendes: Die im Regelfall administrativ eingeforderten rotuli (rôles) enthalten Listen aller steuerpflichtigen Einwohner einer Ortschaft mit den von ihnen zu entrichtenden Steuersummen. Die rôles müssen zudem aufbewahrt und bei der nächsten Steuerhebung erneut vorgezeigt werden. Vernus-Mouton stellt nun anhand einer Reihe von Quellen heraus, dass eben die personelle Aufschlüsselung von Eigentum und Steuerlast sowie die zeitliche Fixierung der Steuerbeiträge bzw. -quoten, die durch die schriftlichen Dokumente geleistet wurden, mithilfe der Kerbhölzer gerade unterlaufen werden konnten.220 Es waren in diesem Fall die Steuerbeamten, die die Kodierung der Kerbstöcke nicht entziffern konnten. Diese Konstellation erklärt sowohl Berichte, nach denen die Kerbhölzer nach ihrem Einsatz häufig wieder vernichtet wurden, als auch die Tatsache, dass der Gebrauch der Kerbhölzer bis zu ihrem Verbot wieder massiv anstieg. Der Beitrag von Vernus-Mouton ist deswegen entscheidend, weil er die Notation auf Kerbhölzern in ihrer originären Leistung unterstreicht und den Verdacht des Defizitären, der den Kerbhölzern in der Forschung häufig entgegenbracht wird, in unmittelbarer Abgrenzung vom Schriftgebrauch entkräftet. Kerbhölpublic‹ und ›crédit commercial‹). Schließlich erwähnt er erstmals die Verankerung der Rechtsförmigkeit von Kerbhölzern im Artikel 1333 des Code Napoleon und und stellt den Zusammenhang zum Verbot des Kerbholzgebrauchs durch ein Edikt Charles VII (1454) her. Dieses hatte bereits Voltaire in seinen kurzen Überlegungen zum Kerbholz aufgedeckt. Ricardus de Ely, ­Dialogus de scaccario (Siegrist); Gmür 1917, Kostanecki 1900; Code Napoléon (Wolff); Voltaire 1769, S. 176. 216 Gerschel 1962. 217 Hémardinquer 1963a, S. 148. 218 Vgl. dennoch auch die Beiträge Ponthir 1949 und Ponthir 1955 sowie Arnould 1966. 219 Vernus-Mouton 1991. 220 Vernus-Mouton 1991, S. 68 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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zer können der Schrift unterliegen, aber die Kerbhölzer können der Schrift auch überlegen sein. Deswegen ist die Kerbholzforschung auf die Analyse der Anwendungstechniken und ihre jeweiligen Bedingungen zurückverwiesen. 1.4.4 Neuere Beiträge Neben der lockeren, aber nicht diskursbildenden Rezeption dieser drei Ansätze vor allem in der regionalen Volkskunde und der europäischen Ethnologie ent­ wickeln einige jüngere Arbeiten das Thema systematisch. Am Beginn dieser neuen Auseinandersetzungen stehen eine kleine Monographie und einer Reihe kurzer Aufsätze des schwedischen Historikers Axel Grandell zum Kerbholzgebrauch im hansischen Raum.221 Grandells Monographie bietet im wesentlichen eine chronologische Zusammenschau, während die Aufsätze sich speziellen Verwendungen widmen, dem Kredithandel mit Kerbhölzern, der Abgrenzung von Runen und Kerbholz-Schriften usf. Seine Arbeit wurde dicht gefolgt von einem Aufsatz des belgischen Historikers Carlos Wyffels, der vor allem die englischkontinentaleuropäischen Handels­beziehungen des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit in den Vordergrund rückt.222 Beide Autoren widmen sich jedoch auch und vor allem dem späteren Kerbholzgebrauch, schwerpunktmäßig im 17. Jahrhundert. Mit Fokus auf den deutschsprachigen Raum erscheinen schließlich zwei Studien des Wirtschaftshistorikers Ludolf Kuchenbuch.223 In der ersten werden anhand von Objekten, Schrift- und Bildquellen, ausgehend von der Kerbholzbenutzung im 20. Jahrhundert zehn Schritte zurück in das Mittelalter unternommen und anschließend ausgewertet. Das Ergebnis ist die Ausbreitung eines Fragerasters, das eine umfassende Bearbeitung der Kerbholzüberlieferung leiten könnte. Die zweite Publikation widmet sich der mittelalterlichen Kerbholzüberlieferung in Schrift und Bild. Dabei geht es besonders um die Frage nach dem Profil der »pragmatischen Rechenhaftigkeit«, einer spezifischen semi-skripturalen numerischen Vernunft, die sich in den Hölzern artikuliert. Mit der Geschichte der Kerbhölzer in Europa, unter besonderer Einbeziehung der Gebiete der ehemaligen Sowjetunion, beschäftigt sich der russisch-nordamerikanische Historiker Roman K. Kovalev.224 Besonders in diesen jüngeren Studien werden die älteren partikularen, häufig regionalgeschichtlich angelegten Arbeiten mit einer mediengeschichtlichen Perspektive zusammengführt oder auf konkrete wirtschaftsgeschichtliche Fra-

221 Grandell 1982; Grandell 1984; Grandell 1985; Grandell 1986; Grandell 1988. 222 Wyffels 1988. 223 Kuchenbuch 1999; Kuchenbuch 2002a; vgl. Kuchenbuch 2006. 224 Kovalev 2000; Kovalev 2007. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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gen bezogen.225 Damit bereiten sie die Integration der Kerbhölzer in das Feld der Kultur­technikforschung vor. Nachdem hiermit der Bestand der materiellen und schriftlichen Überlieferung von Zählmedien und die einschlägige Forschung skizziert worden ist, geht es im folgenden Teilkapitel um die Funktionalisierung dieser Perspektive für die Frage nach dem Zusammenhang von der Kerbpraxis und der mit ihr verbundenen Konzeption von ›Zahl‹ und ›zählen‹.

2. How to do things with notches In den vorangehenden Abschnitten sind die überlieferten Kerbhölzer ihrer Gestalt nach eingeführt und zum Gebrauch der Wörter in Bezug gesetzt worden, mit denen Kerbhölzer und die konstituierenden Akte des Kerbens benannt wurden. Ferner wurden die mittelalterlichen Kerbtypen in Bezug zu der Kerbung der englischen tally sticks und der späteren Tesseln und Beilen aus Österreich und der Schweiz gesetzt. Schließlich wurden sie als graphische Zeichen den formal ähnlichen Zeichen in Manuskripten und auf Objekten zugeordnet. In summa bilden diese Notationen eine funktionale Varianz ab, die, ausgehend von der Eigentumsbestimmung, von der personellen Zuordnung und notationalen Anordnung über die Maßangabe bis zur Zählung reicht. Das folgende Kapitel widmet sich der Frage, inwieweit diese Charakterisierung auch für den Gebrauch der mittelalterlichen Kerbhölzer zutrifft.

2.1 Modalitäten der Güterübertragung zwischen Kult und Kode Die Frage, was man tut, indem man ein Kerbholz benutzt, ist nicht allein an den Objekten abzulesen, sondern muss vor allem mit Hilfe der Quellen rekonstruiert werden. Um den Gebrauch der oben beschriebenen Kerbhölzer zu rekonstruieren, muss ihr Interpretationshorizont über die volkssprachigen Texte hinaus erweitert werden. Die einschlägigen Dokumente, vor allem aus den germanischen Volksrechten und der lateinischen Urkundenüberlieferung, sind im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert intensiv diskutiert worden. Seither sind sie weitgehend in Vergessenheit geraten.226 Daher beruht meine Darstellung auf einer etwas unkonventionellen Mischung von älterer Forschungsliteratur und neueren 225 Eine systematische Materialerhebung, auch nur für bestimmte Quellengruppen oder Regionen, steht, von den genannten Ausnahmen abgesehen, noch aus. Auch eine Forschungsübersicht, die insbesondere die Arbeiten aus dem slavischen Sprachraum mit einbeziehen müsste, ist noch nicht geleistet worden. 226 Vgl. jedoch den Ansatz zur Rekorellierung von Rechtsgeschichte und Ritualgeschichte in Dilcher 2007. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Lexikonartikeln. Die Ergebnisse stehen deswegen unter einem gewissen Vorbehalt. Die Notwendigkeit neuer rechtsgeschichtlich-mediengeschichtlicher Forschungen, die eine systematische Sichtung der Archive mit aktuellen theoretisch geschärften Interpretationsverfahren verknüpfen, wird durch das Folgende unterstrichen. Beginnen möchte ich mit der Frage nach dem performativen Akt der Kerbholzbenutzung in den germanischen Volksrechten. Das vielfach aufgelegte »Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte« von Richard Schröder und Eberhard v. Künssberg führt die Kerbhölzer als Vorläufer der Urkunden ein. Dabei trägt die Urkunde, die carta partita, excisa oder indentata noch den Namen der Holzurkunden, der Spalt-, Span- oder Kerbzettel.227 »Bei den Angelsachsen war es schon im 9. Jh. üblich, den Urkundentext zweimal hintereinander, nur durch das Chirographum getrennt, auf dasselbe Blatt zu schreiben und dann mittels eines Querschnittes durch das Chirographum zu teilen, so dass die beiden aneinander gelegten Stücke (chirographa), von denen jede Partei eins erhielt, die Echtheit des Ganzen erwiesen. In Deutschland, wo man vorher wohl nur den Kerbstock gekannt hatte, fand diese Sitte des Chiro­graphierens, verbessert durch Einführung des gezackten oder wellenförmigen Schnittes, seit Ende des 10. Jh. (zuerst in Lothringen) ebenfalls Eingang und seit dem 12. Jh. weiteste Verbreitung.«228

Dass das Kerbholz der Urkunde als Rechtsinstrument vorausgehen kann, verdankt es nicht seiner Schriftförmigkeit sondern seiner zeremoniellen Einbindung. Nach dem »Lexikon des Mittelalters«229 sind vor allem zwei Funktionsbereiche voneinander zu unterscheiden, das Schuldrecht und die Übertragung von immobilen Gütern. Die Autoren des Lexikons reflektieren dabei nicht die Kerbung der Hölzer und schließen damit implizit an die grundlegende Materialsammlung an, die Karl von Amira in seiner Schrift »Der Stab in der germa­ nischen Rechtssymbolik« vorgelegt hat.230 Im Schuldrecht hat das Kerbholz als festuca seinen Ort im Treuegelöbnis (­fides facta). Karl Otto Scherner hebt im »Lexikon des Mittelalters« hervor, dass besonders in fränkischen Quellen »die Hingabe einer festuca, eines gemarkten Stabs als ›Persönlichkeitszeichen‹ (F. Beyerle) durch den Schuldner an den Gläubiger« vollzogen werde, die »im sächsischen Recht als Handritus oder Eidschwur« belegt sei.231 Als Persönlichkeits­zeichen werde die festuca auch »im Zusammenang der Bürgschaft im Sinne einer bedingten Selbstunterwerfung unter die Zugriffsmacht des Empfängers verwendet.«232 Der Gläubiger gebe die vom Schuldner erhaltene festuca bzw. das wadium an den von diesem gestellten Bürgen weiter, und 227 Schröder/v. Künßberg 1932, S. 764. 228 Schröder/v. Künßberg 1932, S. 764. 229 Ogris 1999. 230 v. Amira 1909. 231 Scherner 1999, Sp. 1575. 232 Scherner 1999, Sp. 1575. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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dieser Bürge habe dann das Recht, den Schuldner im Fall der Säumigkeit für den Gläubiger zu pfänden.233 Seit dem 12. Jahrhundert, so ergänzt der Artikel »Wette« von Werner Ogris, scheine die wadiatio dann »in anderen Formen vertraglicher Schuldbegründung, vor allem im Treuevertrag und/oder Arrhalvertrag (Arrha), aufgegangen zu sein.«234 Der zweite rechtliche Anwendungsbereich von gekerbten Hölzern ist die Übertragung von Immobilien. Nach Adriano Cavanna basiert die Wirkung des Kerbholzes als baculum auf der Symboltradition des Stabes als Zeichen der Macht: »Neben dem Handschuh und der festuca gehört der Stab (in der Form eines Zweiges oder Stäbchens) zu den häufigsten Rechtssymbolen in der abendländischen juristischen Praxis des Frühmittelalters bei den Formen der Übertragung von Immobilien-Besitz. Während der öffentlichen feierlichen Übertragungszeremonie (Investitura) bekundete der Verkäufer seine Absicht, den Käufer in den Besitz einzusetzen (investire) durch die Übergabe eines Stabes an diesen. Diese expressive Geste war das Symbol der Gewalt über die betreffende Sache […].«235

Cavanna führt zur Unterstreichung der Übertragungsfunktion des baculum zudem eine Urkunde an, in der »der Stab als Symbol der Gewalt über die Person der Frau, die von dem Vater auf den Bräutigam übergeht«, verwendet werde.236 Festuca und baculum erscheinen in der Erörterungen des »Lexikon des Mittelalters« zu den germanischen Volksrechten als Teil formal geregelter Zeremonialordnungen. Analog zur Öffnung der historischen Semantik in eine pragmatische Dimension, möchte ich hier anschließend die pragmatische Funktion der Ker­ bakte herausarbeiten. Dazu müssen die Verfahren detaillierter betrachtet werden. Meine Argumentation beruht in Ermangelung neuerer Arbeiten auf den Überlegungen von Andreas Ludwig Jacob Michelsen (1801–1881) zur festuca notata237 und auf der Darstellung der germanischen Rechtsinstitute durch Andreas Heusler (1865– 1940)238. Beide Autoren stellen den Kerbholzgebrauch in eine kultische Tradition, deren Legitimationskraft nach Heusler im Laufe der Zeit jedoch verblasst. Im Anschluss an diese Interpretation möchte ich die Frage formuliert, inwieweit diese kultische Genese auch für den späteren außergerichtlichen Kerbholz­ gebrauch eine Rolle spielen könnte. Kontrastiert werden die Ergebnisse mit einem Brief aus dem italienischen 14. Jahrhundert, der über eine vollständig pro 233 Scherner 1999, Sp. 1575. 234 Ogris 1999, Sp. 43. 235 Cavanna 1999, S. 523. 236 Cavanna 1999, S. 523. 237 Michelsen 1856. 238 Heusler 1885–86. Zur wissenschaftsgeschichtlichen Stellung Heuslers zuletzt Glauser/ Zernack 2006. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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fanisierte Form des Kerbholzgebrauchs berichtet. Damit ist das Spektrum von der kultischen Übertragung auf der einen bis zur profanen Personenkennung auf der anderen Seite angezeigt. Hinsichtlich der Performativität des Kerbholz­ gebrauches geben sie die Extreme ab, in deren Spannungsfeld die danach geschilderten Beispiele eingefügt werden. 2.1.1 Eigentum übertragen: die festuca notata Die festuca oder festuca notata gehört, wie von Cavanna erwähnt, zum Inventar der germanischen Traditionssymbolik.239 Michelsen nennt acht Elemente, die sie insgesamt konstituieren: »Urkunde, Schreibzeug, Rasen, Zweig, Stäbchen, Messer, Handschuh und Andelang«.240 Zwar werden in den Quellen selten alle acht »Symbole und Zeichen« genannt, die festuca gehöre jedoch zum notwendigen Kern der Traditionssymbolik. Das zeigt Michelsen mit einem guten Dutzend Urkundenzitaten des 8. bis 10. Jahr­hunderts.241 Mit Bezug auf das »Glossarium mediae et infinae Latinitatis« von Du Cange unterstreicht er die Üblichkeit des Vollzugs der traditio unter Einbindung symbolisch gebrauchter Hölzchen. Sie wird allein schon durch die lexikalische Breite der Formeln deutlich, die den Vorgang näher beschreiben: die Formulierungen per fustem, per baculum, per virgam bzw. virgulam, per lignum bzw. cum ligno, per frustum bzw. frustulum ligni, schließlich per fusillum (d. h. Spindel, rundes Stäbchen) und cum veru (Spießchen) seien in dem Zusammenhang »als wesentlich gleichbedeutend« anzusehen, ebenso wie die französische Tradition par baston und die lombardische Definition der festuca als »bastone, con cui prendeasi il possesso«.242 Dass es sich bei den festucae tatsächlich um gemarkte Holzstäbchen handelt,243 belegt Michelsen mit Hinweisen aus dem lexikographischen Werk von Du Canges244 und aus dem »Nouveau Traité de diplomatique« von Charles Francois Toustain und René Prosper Tassin.245 Mit letzteren argumentiert er, dass die festuca vom Zweig zu unterscheiden sei, weil dieser ein natürlicher Teil der zu tradierenden Immobilie ist, während die festuca als ein arbiträres Zeichen aufgefasst werden müsse (»Investir par un bâton est un symbole arbitraire«246). An ande 239 Allg. dazu Dilcher 2007, S. 304 f. 240 Michelsen 1856, S. 17. 241 Michelsen 1856, S. 5–8. 242 Michelsen 1856, S. 9. 243 Michelsen 1856, S.  10 f. tritt sowohl der Vorstellung dass es sich bei der festuca um einen Halm gehandelt habe entgegen, als auch insb. der Annahme, dieser sei geknotet (nodata) gewesen. 244 Du Cange 1883–87. 245 Toustain/Tassin 1750–65. 246 Toustain/Tassin 1750–65, Bd. IV, S. 646. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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rer Stelle ist noch allgemeiner von »écritures sur des bâtons«247 die Rede. Entsprechende Objekte befänden sich im Kirchenarchiv von Notre Dame in Paris, wobei neben Immobilien auch Leibeigene mittels festuca übertragen worden seien.248 Bei den Traditionsurkunden, die Du Cange erwähne, sei sogar die Holzart der Stäbchen beschrieben worden.249 Die Überlieferungssituation zeige, dass die Hölzchen häufig an die Urkunde angehängt worden seien. Damit ergebe sich als Funktion der festuca die Beglaubigung: »um dieses [das Diplom] auch dadurch augenscheinlich in seiner Echtheit und in seiner Originalisierung stärker zu beglaubigen«250. Für meine Argumentation ist die Tatsache von Bedeutung, dass die Beglaubigungsfunktion der festuca bei Michelsen im Schnittpunkt zweier Praktiken steht. In ihr berühren sich (1.) ein symbolischer Akt und (2.) ein performativer Vollzug. (1.) Michelsen hebt entschieden darauf ab, dass die festuca jeweils mit der Hausmarke versehen gewesen sein musste. Das ergibt sich aus seiner Gesamt­ interpretation der Traditionssymbolik: Pergament und Schreibzeug stünden für die Urkunde selbst, Scholle und Zweig für die Materie des überlieferten Gutes,251 Handschuh und Andelang (als Symbol für die ›bewehrte Faust‹)252 für die mit der Eigentumsübertragung einher­gegangene Verpflichtung zum Erhalt 247 Toustain/Tassin 1750–65, Bd. IV, S. 408. 248 Neben weiteren, nicht näher spezifizierten Belegen erwähnt Michelsen folgende Fälle: »Ein merkwürdiges Stäbchen solcher Art bewahrte, nach Angabe jener berühmten Diplomatiker, z. B. das Kirchenarchiv von Notre-Dame zu Paris, wonach zwei Leibeigene an die Kirche übergeben worden sind. Es ist diese Festuca aus dem neunten Jahrhunderts als einen halben Fuß lang, ungefähr einen Zoll dick und viereckig zugeschnitzt beschrieben. Ebenfalls im Archiv von Notre-Dame fand sich z. B. und findet sich vielleicht (?) noch ein spitzes Taschenmesser, dessen elfenbeinenem Stiele eine Schenkung von gewissen Hausstätten vor der Kirche aus dem Anfang des elften Säculums eingegraben ist.« Michelsen 1856, S. 14, mit Bezug auf Toustain/ Tassin 1750–65, Bd. IV, S. 468 ff. 249 So Michelsen 1856, S. 13 ohne nähere Angabe zu Du Cange und mit allgemeinem Verweis auf Johann Christoph Gatterers »Abriſs der Diplomatik« (Gatterer 1798). Insgesamt beruft sich Michelsen darauf, »dass die uralten, bei Traditionen einst überreichten Festuken im vorigen Jahrhundert in französischen und italienischen Kirchen- und Stiftsarchiven noch recht zahlreich aufbehalten waren, daher ohne Zweifel fortwährend wenigstens einige derselben dort existieren werden.« Michelsen selbst hat wohl kein einziges dieser Objekte gesehen. Die Ausführungen von Gatterer zur »Investiturzeichenlehre« (Gatterer, S. 84–108, hier S. 86–88, 93, 95, 97–100, 104, 106 sowie die Abb. auf S. 107 und ggf. die auf Tafel IV, Nr. 6 zur Formel Per stipu­ lam werpire) lassen jedoch den Versuch, entsprechende Urkunden zu finden und auf etwaige Bekerbungen und Beschriftungen zu prüfen, nicht restlos abwegig erscheinen. Als Ausgangspunkt weiterer Recherchen empfiehlt Gatterer nicht wie Michelsen Du Cange 1883–1887, sondern wegen der größeren Materialfülle und der größeren Zuverlässigkeit in diesem Überlieferungsbereich Muratori 1738–43. 250 Michelsen 1856, S. 12 f. 251 Michelsen 1856, S. 24–26. 252 Michelsen 1856, S. 26–28. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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des Gutes und schließlich eben Hölzchen und Messer für den Übertragungsvorgang selbst: »Das Eigenthum selbst als etwas Ideelles kann nicht übergeben werden, aber es muss die Willensbestimmung, die Sache zu Eigenthum übertragen zu wollen, handgreiflich sich kundgeben; sie muss gleichsam dem Empfänger leibhaft in die Hand gelegt werden. Dies kann offenbar nicht besser als durch die überreichte Hausmarke geschehen, denn sie ist, wie wir wissen, Eigenthums- und Handzeichen.«253

Diese Interpretation steht unter deutlichem Einfluss der älteren Hausmarkenforschung, in die Michelsen auch selbst eingebunden gewesen ist.254 Ferner wird die Interpretation durch die Funktion der Urkunde gestützt, wie sie Michelsen beschreibt: »Sie war nicht blos ein feierliches Zeugniss, sondern auch in ihrer körperhaften Existenz eine handgreifliche Verbürgung der Wahrheit dessen, was sie aussprach.«255 Dass die Wahrheit und Glaubwürdigkeit des Inhaltes eines Schriftstückes nicht allein durch ihren Inhalt erzeugt wird, sondern maßgeblich »auf dem Materiellen, der körperlichen, sichtbaren Form, wodurch die darin beglaubigten Wahrnehmungen oder Wissensbestimmungen für Andere perceptibel gemacht sind«, dass es deswegen »einerlei ist, ob wir die Aussage und das Verprechen mit eignen Ohren hören oder die darüber ausgestellte Charte vor Augen haben«, dass sie in diesem Sinn zu dem Zweck verfertigt wurde, um »durch ihre augenfällige Existenz […] die Wahrheit der bezeugten Thatsache in Zukunft zu verbürgen«,256 hätte so oder ählich auch durch die neuere mediengeschichtliche Forschung formuliert werden können.257 In diesem Zusammenhang kann die Vermutung überzeugen, dass mit einer Hausmarke auf dem Stab die eigentliche Übertragung des Eigentums vollzogen worden ist. (2.) Dass es sich hierbei jedoch nicht allein um einen symbolischen Vorgang handelt, sondern auch um einen performativen Akt, darauf führt die zweite Praxis, in die Michelsen die Übergabe der festuca einordnet. Diese erschließt sich ihm durch eine Reihe häufig belegter Schlussklauseln: stipulatione subnexa, sub­ nixa, connexa, nexa oder interposita.258 Die Formel, die »den Ausgang von den verschiedensten Diplomen bildet, welche eine Verpflichtung des Ausstellers darlegen«, diene der Beglaubigung und Bestärkung und Gewähr dessen, was in der Urkunde bezeugt wurde.259 Sie stünde ihrerseits in einer Reihe von Ausdrü 253 Michelsen 1856, S. 25. 254 Michelsen 1856, S. 25: »Die Hausmarke muss nothwendiger Weise, falls sie wirklich die grosse Bedeutsamkeit gehabt hat, wie jetzt so viele mit uns überzeugt sind, in jener Reihe von ursprünglichen Traditionszeichen ihre Stelle finden.« 255 Michelsen 1856, S. 20. 256 Michelsen 1856, S. 20. 257 Vgl. Wenzel 1995, S. 356–370 (Kap. VII.3: Die Verkörperung des Rechts). 258 Michelsen 1856, S. 15. 259 Michelsen 1856, S. 15. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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cken des Gelöbnisses wie stipulatione et sponsione, stipulationis sponsione, stipu­ latione et fide interposita, sacramento et sponsione subnexa, stipulatione subnexa ­spondere, per stipulationem promittere. Alle diese Wendungen, die den Vollzug eines feierlichen Gelöbnisses ausdrückten beziehen sich nach Michelsen auf das »feierliche[ ] Angelöbnis[ ] in der Form einer Stabung«260 »Das Verfahren dabei war aber im Mittelalter so, dass nachdem die verpflichtende Acte verlautbart war, eine gerichtliche Procedur stattfand, wie gewöhnlich mit Fragen und Antworten unter den Schöffen, und dann der Aussteller auf den obligatorischen Inhalt der Urkunde und dessen getreue Beobachtung ein Gelöbnis abzulegen hatte. Dieses Angelöbnis wurde gestabt, d. h. es wurde, unter Vorhalten des Gerichtsstabes, mit Vorund Nachsprechung der Formel abgeleistet, in derselben Weise wie man den Eid stabte, und hieraus erklärt sich speciell das Wort stipulatio.«261

Es sei diese Form des Stabgebrauchs, die auch in anderen, sehr unterschiedlichen Bereichen angewendet wurde, etwa bei der Aufkündigung des Gehorsams der Franken gegenüber Karl dem Einfältigen (922).262 Dieser Stabgebrauch habe sich mit der Tradition der Hausmarke überschnitten. Aus der Überkreuzung sei die konstituierende Wirkung der festuca notata im Prozess der traditio zu beurteilen. 2.1.2 Das Verblassen des Sakraments: Andreas Heuslers Theorie zur Genese des Kerbholzes Das Verhältnis der beiden Praktiken zueinander wird von Michelsen nicht transparent herausgearbeitet. Zudem sind, soweit ich sehe, derzeit auch keine Belege dafür bekannt, dass auf den festucae tatsächlich Hausmarken eingeschnitzt waren. Besonders Andreas Heusler hat indes in seiner Darstellung der »Institutionen des Deutschen Privatrechts« die Frage nach den Kerbhölzern im Kontext der Traditionssymbolik aufgegriffen und Michelsens Ausführungen präzisiert. Er entfaltet eine Interpretation, nach der eine ursprüngliche kultische Verwendung des Kerbholzes durch verschiedene Einflüsse im Laufe der Zeit verblasst und profanisiert worden sei. Vor allem um der von Grimm263 und Homeyer264 begründete Meinung, bei der festuca handele es sich um einen Halm, entgegenzutreten, beginnt auch Heusler seine Darstellung mit dem Rekurs auf die materielle Überlieferung und die Umgangsformen mit der festuca: 260 Michelsen 1856, S. 16. 261 Michelsen 1856, S. 16. 262 Michelsen 1856, S. 17. 263 Deutsche Rechtsaltertümer (Grimm), S. 121. 264 Homeyer 1870, S. 234. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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»Das notare der festuca geschieht mit dem Messer, das darum auch bei der Auflassung figuriert und zum Stäbchen auf die Urkunde hingelegt wird; die festuca wird ferner entzwei gebrochen und den beiden Parteien je eine Hälfte gegeben, wie Isidor Orig. 4,24 bezeugt, daher die Franzosen von rompre le festu reden […].«265

Zudem fügt er an, dass »in alten Traditionsurkunden sogar noch Holzstäbchen eingewickelt gefunden werden, die nichts anderes als festucae sein können«.266 Im Folgenden zielt sein Interesse jedoch weniger auf eine Analyse des Gebrauchs der festuca als vielmehr auf die Genese ihrer Funktion. Dabei geht er hinter die Vorstellung, »die festuca als Stab und somit als Surrogat des Speeres oder des Schwertes, überhaupt der Waffe, also als Symbol der Herrschaft zu betrachten«,267 programmatisch zurück. Dies würde zwar zum Akt der Auflassung von Grundstücken passen,268 aber nicht mit der Hauptfunktion ihres Gebrauchs, nämlich dem Eingehen von Zahlungs­verpflichtungen.269 Tacitus’ surculi notis discreti Heuslers Gegenentwurf ist kultisch begründet. Er denkt an die von Tacitus beschriebenen surculi notis discreti, an die auch Pittioni (1937/38) seine Überlegungen zu den Funden in der Tiroler Kelchalpe angeschlossen hatte. Wie die kurzen, mit einfachen Strichformen bekerbten Hölzchen270 wären auch die frühesten Kerbhölzer in der Sphäre des Rechts solche Instrumente, die vor allem dazu dienten, Informationen zu erzeugen und weniger dazu, Informationen zu bewahren. Ich zitiere Heusler: »Ein bestimmter Anknüpfungspunkt ergibt sich auch sprachlich aus Tacitus Germ. 10, wo von den surculi notis quibusdam discreti die Rede ist, welche auf ein weißes Linnen gestreut und dann wieder gesammelt secundum impressam ante notam interpretiert werden. Das sind die Runenstäbchen, welche den Priestern in öffentlichen, den Hausvätern in Privatsachen zur Wahrsagung dienten. Bedenkt man, dass das Recht ein Stück Religion, der Rechtformalismus Erzeugnis des Priesterstandes war, so wird man nicht abgeneigt sein, auch die festucae notatae als solche surculi notis discreti zu betrachten. Und was darauf eingeschnitten wurde, war vielleicht ursprünglich eine Verwünschungs- oder Fluchformel für den Fall des Wortbruches, oder auch bloß ein Zei 265 Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 76. 266 Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 76. 267 Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 77. 268 »Dann wäre ihre Funktion klar: Wegwerfen der festuca wäre Preisgeben einer Herrschaft, Zuwerfen der festuca an einen Andern Übertragung der Herrschaft.« Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 77. 269 Ferner spräche nach Heusler noch das Format der Hölzchen gegen diese These, »denn es ist nicht denkbar, dass das Symbol des Stabes sich in so nichtssagender Weise sollte verflüchtigt haben, da doch ein gehöriger Stock jederzeit ebenso leicht und rasch zur Hand war wie ein solches Stäbchen.« Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 77. 270 S. o. Kap. IV.1.2.1 mit Bezug auf Pittioni 1947, S. 88. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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chen hierfür, wo dann das Wegwerfen der festuca von dem Aussprechen der Formel begleitet war.«271

Die festucae notatae des Rechts stehen in Heuslers Vorstellung der Sphäre religiöser Kommunikation nahe. In Dienst genommen wurde die Möglichkeit, mithilfe der Hölzer spirituelle Kräfte zu evozieren und zur Stabilisierung in die menschlichen Rechtsgeschäfte einzubringen. Heuslers Annahme, die mit den Zeichen verbundenen Aussagen seien zudem anathematisch gewesen, ist bereits von ihren Gebrauchskontexten her gedacht. Für die mediale Qualität der Hölzer ist die Überlegung sekundär. Interessant dagegen ist seine Vorstellung, das Eingeschnittene sei »eine Verwünschungs- oder Fluchformel […] oder […] ein Zeichen hierfür«272. Auch für die in eine unbekannte Vergangenheit projizierten Anfänge der Notation im Recht zeichnet sich die spezifische Erscheinungsform der Kerbzeichen zwischen Schrift und Bild ab. Wären es Runen, könnte es sich tatsächlich um Schriftzüge handeln. Wäre der Brauch älter als die Runenschrift, könnte das Zeichen direktes Signum, gleichsam ein graphischer Abdruck der zu sprechenden Formel, ein wortzeichen, sein. In beiden Fällen geht es um die mediale Manifestation der kultischen Rede. Für die Deutung der in den Urkunden belegten Rechtsvorgänge ist zunächst die kultisch vererbte Wirkungsmacht der gekerbten Hölzchen entscheidend. In der Perspektive des sakramentalen Aktes rücken die schon von Michelsen angegebenen Wirkungs­bereiche der festuca notata mit den von Heusler ergänzten anderen Funktionen in eine Reihe. Die Verwerfung König Karls des Einfältigen festucas manibus projicientes (wäre damit) im selben Sinne zu verstehen, wie die traditio, die Auflassung von Grundstücken.273 »Ebenso ist da, wo die festuca nicht geworfen, sondern zu gewissen Betheuerungen vor Gericht und sonst angefasst und gehalten wird, feierliche Rede auf das sacramentale Stäbchen zu denken. Endlich in ihrem Hauptanwendung­sfalle, bei der Ablegung jedes verbindlichen Zahlungsgelöbnisses, der fides facta, wird die festuca zur Betheuerung des Versprechens, im Wort zu bleiben, gegeben. Mit einem Wort: Beharren bei dem gegebenen und gesprochenen Worte unverbrüchlich und ewig, das wird auf die festuca, das Runenstäbchen feierlich übernommen.«274

Deutlich wird hier die kultisch tradierte, sakramentale Wirkungsmacht, die die Einbindung der festuca in unterschiedliche Zusammenhänge ermöglicht. In diesem Sinne ist die festuca als ein Medium im ursprünglichen Sinn zu verstehen, wie es Peter Matussek formuliert hat: 271 Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 77 f. 272 Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 78. 273 Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 78. 274 Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 78 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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»›Medien‹ sind im herkömmlichen Sinn nicht einfach Übermittler von Botschaften, sondern Vermittler von spirituellen Kräften. Sie dienten nicht nur der Distribution von kulturellem Wissen zwischen Sendern und Empfängern, sondern führten zum Erlebnis einer Transformation der Beteiligten im Vollzug kultureller Praktiken – mit allen Vorzügen und Risiken der Selbstpreisgabe.«275

Was die Anfänge des Kerbholzgebrauches in der Sphäre des Rechts demnach ausmacht, ist, wenn man Heusler beim Wort nimmt und Michelsens Funktionsbestimmung zuspitzt, eine Transformation der in die Handlung involvierten Menschen. Es geht nicht um die durch verbale und durch semiotische Zeichen unterstützte Beteuerung eines Versprechens, sondern um einen medial, das heißt unter Einbindung spiritueller Kräfte erwirkten Statuswandel dessen, der in der Schuld steht. Diese Vorstellung passt zum Treuegelöbnis, der fides facta, bei der anstelle einer gesetzlichen Buße ein Urteilserfüllungsgelöbnis tritt, das gerichtlich wie außergerichtlich möglich war und sich auf verschiedene Leistungen beziehen konnte. Die Vorstellung passt auch für die wadiatio, wenn sie »im Zusammenhang der Bürgschaft im Sinne einer bedingten Selbstunterwerfung unter die Zugriffsmacht des Empfängers verwendet« wird.276 Deren vergleichsweise komplizierte Konstruktion dient dazu, die im Akt der wadiatio angelegte Statusverminderung aufzufangen und ein neues Sozialgefüge zwischen den beteiligten Personen auszutarieren. Inwieweit die rituelle Wirkung der festucae bei der Durchführung dieser Rechtsakt im 8. bis 10. Jahrhundert noch präsent gewesen sein könnte, kann kaum beurteilt werden. Heusler ist zurückhaltend. Von der festuca notata zum wadium Trotz seiner programmatischen Rückführung der festuca notata auf die germanischen surculi notis discreti stellt sich Heusler den Vorgang der wadiatio bereits außerordentlich profan vor. Er skizziert den Zusammenhang so: »Wie im Obligationenrechte näher auszuführen sein wird, musste für fällige Schulden sofort Pfand gegeben werden, und, da auch das oft nicht möglich war, wenigstens ein Scheinpfand mit Bürgschaft. Dieses Scheinpfand ist das wadium oder die wadia, und dazu wurde die festuca genommen. Sie eignete sich ja auch vortrefflich hierzu: die Zahlung wurde auf das sacramentale Stäbchen versprochen, dieses selbst als Pfand gesetzt.«277

Diese schuldrechtliche Funktion der festuca als »Behaftung für künftige Erfüllung einer Zahlungspflicht« konstruiert Heusler in Auseinandersetzung mit dem komplementären Institut der arrha, was hier nicht weiter verfolgt werden 275 Matussek 22002, S. 179–202, hier S. 179. 276 Scherner 1999, S. 1575. 277 Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 79. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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soll.278 Im Ganzen schildert er die wadiatio bereits als einen formalisierten Ablauf, dessen Geltung nicht mehr ›sakramtental‹ sondern ›formal‹ bestimmt ist. Die Darstellungsweise nimmt die Interpretation vorweg. Denn mit dem Verblassen des kultischen Hintergrundes werde nach Heusler die formale Anwendung der festuca zwar beibehalten. Sie ging jedoch, wo sie »ihr innerstes (heidnisch-religiöses) Wesen« eingebüßt habe, zu einer »in Spielerei ausartenden Äußerlichkeit« über.279 Das erkläre zweierlei: Erstens die Tatsache, dass sie in jüngeren Rechtsgeschäften »bei Bestellung einer Leibzucht, bei Satzung«280 nicht mehr vorkomme. Bei deren Etablierung hätte die festuca bereits ihre kultische Wirksamkeit eingebüßt, sodass es keinen Anlass gab, sie in das Zeremoniell einzubinden.281 Zweitens erkläre das Verblassen der kultischen Präsenz eine entscheidende Funktionsverschiebung. Der Verlust – die festuca wird in ihrer Funktion als wadia vom sakramentalen Instrument zum formalen Requisit – wird zum Gewinn: »durch ihre Verwendung als wadia wurde sie [die festuca] fähig, eine neue Funktion zu erfüllen, sie konnte zum Beweismittel für die Schuldverpflichtung erhoben werden. Das war sie ursprünglich nicht, so lange sie nur festuca war, aber sie konnte diese Eigenschaft erlangen, sobald sie als wadia verwendet wurde. Denn die wadia diente dem Gläubiger doch auch zur Legitimation gegenüber dem Schuldner behufs der Exekution, und zum gleichen Zwecke übergab sie der Gläubiger dem Bürgen, weil diese als Mediator die Execution gegen den Hauptschuldner durchführen musste.«282

Dieser Wandel konnte nicht ohne eine semiotische Ausdifferenzierung der festuca vollzogen werden. Das Holz musste individualisiert und die Schuld quantifiziert werden.283 Das macht die festuca notata zur wadia. Zudem verlangte der

278 Heusler resümiert: »Das ist der Gegensatz: arrha empfängt man für Aufgeben eines Rechts ohne weitere Verpflichtung und Garantie, festuca giebt man für Erfüllung einer übernommenen Pflicht und Garantie; arrha bedeutet Behaftung bei der einfachen Preisgabe eines Rechtes, festuca Behaftung bei der Erfüllung einer Verpflichtung. Darum gibt, wer einen Klageanspruch auf ein Gut fallen lässt, keine festuca, weil er damit keineswegs die Garantie des Besitzstandes des Gegners auf sich nehmen will, während der Auflassende für diese Währschaft, zu der er verpflichtet ist, die festuca gibt.« Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 81. 279 Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 79. 280 Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 79. 281 Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 79: Wenn auch möglicherweise der Grund darin liege, dass die mit der Leibzuchtbestellung und der Satzung »kein so völliges Aufgeben des Rechts an der Sache stattfindet, um die starke Form der exfestucatio anzuwenden«. 282 Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 85 f. 283 »Zu diesem Behufe musste aber das Stäbchen doch wohl individualisiert, als das wirklich vom Schuldner gegebene erkennbar gemacht werden, und zu diesem Zwecke wurden die Einschnitte auf dem Stäbchen dienstbar. Nicht mehr in runenhaft-heidnischer Weise wurden Zeichen, die jetzt unverständlich gelieben wären, eingeschnitten, sondern Zahlen und sonst als Beleg der geschuldeten Summe dienliche Zeichen […].« Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 86. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Verlust der sakramentaler Geltung eine Kompensation durch die technische Verbesserung der Beweismittel: »[…] und das Hölzchen wurde zumal bei zweiseitigen Verträgen mitten durch die Einschnitte entzwei gebrochen und jede Partei erhielt ihren Theil […]. So entwickelt sich aus der festuca mit Abstreifung alles dessen, was ursprünglich ihre Bedeutung ausgemacht hatte, ein reines Beweismittel, das Kerbholz.«284

Legitimationszeichen Während nach Heusler das germanische Recht den Kerbholzgebrauch aus einer kultischen Praxis in eine Praxis der Kodierung überführte, sieht das römische Recht überhaupt keinen Kerbholzgebrauch vor. Die wadiatio als ›Urteilserfüllungswette‹ wird im römisch beeinflussten Prozessrecht des hohen Mittelalters verdrängt, und mit ihr – wenn man Michelsen und Heusler Glauben schenken darf – die festuca notata. Dabei brachte das römische Recht selbst, weil es zu starr war, um die kommerzielle Revolution des 12. und 13. Jahrhunderts beweglich zu begleiten, einen neuen Typ des Kerbholzgebrauches hervor. Denn die Rechtsordnung, die die Praxis verbot, hatte einen blinden Fleck. Das Prinzip »von der Unzulässigkeit der unmittelbaren Drittberechtigung und Drittverpflichtung«285 verbot etwa die Einsetzung von Dritten zum Empfang von Zahlungsverpflichtungen. Es ist in der Formel alteri stipulari nemo potest verdichtet und wurde immer da relevant, wo im Geld- und Warenverkehr Leistungen und Ansprüche an andere Personen übertragen werden. So regelt seit dem späten Mittelalter der Rechtsakt des Indossaments »den Verzicht des Nutznießers einer Zahlungsanweisung (Scheck oder Wechselbrief) auf eine Auszahlung an die eigene Person und die Einsetzung eines Dritten als Zahlungsempfänger.«286 Während die Wechsel als notariell beglaubigte Zahlungsverpflichtungen oder -versprechen seit dem 12.  Jahrhundert auf den Messen der Champagne in Gebrauch kamen,287 bleibt die Einsetzung eines Dritten als Zahlungsempfänger nicht vorgesehen. Carl Freundt hat an der Wende zum 20.  Jahrhundert in einer Arbeit über die Geschichte des Wechselrechts288 den Versuch gemacht, die Rechtsstellung entsprechender Einsetzungen dennoch greifbar zu machen. Er ging dafür von der Frage aus, wie die Vorläufer des Indossaments zu greifen seien, und nähert sich der mittelalterlichen Praxis über die aus dem anti 284 Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 86. 285 Dazu Müller 1969, zweiter Abschnitt: Die Entwicklung der unmittelbaren Drittberechtigung und Drittverpflichtung bei den Glossatoren und Kommentatoren, hier S. 29–43, Zitat S. 42. 286 Heers 1999, Sp. 411. 287 Denzel 1999. 288 Freundt 1909. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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ken Recht überkommenen Inhaberpapiere und Inhaberklauseln.289 Unter diesen identifiziert er die »Inhaberklausel mit Anweisung«, die zugleich als Sonderform des Legitimationszeichens interpretiert werden könnte.290 Ulrich Müller konstatiert 1969 in seiner Arbeit über die Geschichte von Drittberechtigung und Drittverpflichtung schlicht eine »Unklarheit« der rechtlichen Verhältnisse. Eine unklare Rechtslage konnte für die Praktiker verhängnisvoll sein, weil sie die Legalität des Handels infrage stellen konnte. Deswegen wurde just zur Vermeidung der Rechtsförmigkeit wiederum das Kerbholz eingesetzt. Eine zeitgenössische Begründung dafür, es unter bestimmten Bedingungen zu bevorzugen, findet sich in einem Brief aus dem 13. Jahrhundert, den Freundt und Müller zitieren. Andrea Tolomei, Vertreter des sienesischen Handelshauses der Tolomei, schreibt am 4. September 1262 an Domino Talomeo e domino Orlando e d ­ omino Petro e gli altri conpagni.291 Noch bevor Tolomei zur detaillierten Abrechnung gelangt,292 kommt er auf ein von ihm gewähltes Hinterlegungsverfahren zu sprechen, das bei seiner Geschäftsleitung offensichtlich strittig ist. Er begründet jedoch, warum es nicht nur für eine Geschäftspraxis, bei der mehrere Repräsentanten denselben Händler vertreten, dienlich sei. Insbesondere sei es eine Möglichkeit, den Konsequenzen religiöser Auseinandersetzungen zu entgehen. Das war für Tolemei deswegen zentral, weil die Sienesen seinerzeit exkommuniziert waren und verschiedene Hindernisse in Kauf nehmen mussten. Er erläutert den Sachverhalt und das fragliche Verfahren wie folgt (die entscheidenden Stellen sind von mir kursiv gesetzt): »Ich sehe, dass Euch der Hinterlegungsvertrag, den ich, wie ich Euch mitteilte, mit (den Mönchen) von St. Jacques in Provins geschlossen habe, nicht gefällt, weil Ihr sagt, daß sie keine zuverlässigen Leute sind und daß der Hof (gemeint ist m. E. das Lageroder Schatzhaus der Krone Frankreich) und die Florentiner dort viel vornehmer (anständiger) sind. Nun mögt Ihr wissen, daß deshalb mir kein Grund zur Besorgnis (…) scheint, und es mir ein ganz sicheres Depositum zu sein scheint, und zwar deshalb, weil sie zu jeder Zeit die Aufbewahrung der Habe der Kaufleute übernehmen und dabei viel Gewinn machen, so daß sie gern die ihnen anvertrauten Sachen aufbewahren und unversehrt erhalten, um ihr (….) aufrecht zu erhalten, und wenn sie dies nicht täten, so könnten sie sie einbüßen. Und die Sache ist auch nicht in unserem Namen abgemacht, sondern im Namen unserer Geschäftsfreunde aus Parma, und es ist ein

289 Freundt 1909, S. 13–25. 290 Freundt 1909, S. 18. 291 Publiziert in Lettere volgari del secolo XIII (Paoli/Piccolomini), Brief 6, S. 25–48, Beschreibung des Dokuments S. XVf., Anmerkungen S. 134–142. 292 Der Brief handelt kurz von der bei ihm eingegangenen Korrespondenz, gibt einen gerafften Tätigkeitsbericht, kommt dann auf die von der Geschäftsleitung angemahnte Form der Buchhaltung und berichtet dann ausführlicher über eine Hinterlegung bei französischen Geistlichen. Der längste Teil des Briefes gibt erst die Einnahmen, dann die Ausgaben und schließlich einen breiten Überblick über Geschäftskontakte und -vorschläge. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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passend gelegener Ort, an den man leicht kommen kann, wenn es nötig sein sollte. Und andererseits haben sie eine Gewohnheit, die, wie mir scheint, uns sehr (….) ist in den jetzigen Zeiten, nämlich die, daß sie gewohnt sind, die ihnen anvertrauten Sachen, die sie empfangen, zurückzugeben an den, der sie hingegeben hat, o d e r a n d e n j e n i g e n , d e r d i e S c h l ü s s e l m i t b r i n g t o d e r d i e K e r b h ö l z e r, die über die Hinterle­ gung angefertigt sind, ein Verfahren, das in keinem Schatzhause, welches die Lagerung der Habe von Kaufleuten übernimmt, so sicher beobachtet werden würde wie in Provins! Und wenn kein integimento (»Schiebung«) gemacht werden sollte, würde sich in der Urkunde der Name derjenigen, welche das Depositum machen, finden, und wenn sich hier der Name eines Sienesen fände, so glaube ich nicht, daß trotz alles Vorschiebens, das gemacht würde wegen des Eigentums von Sienesen, daß sie dasjenige behalten würden, was sie unter anderem Namen in Verwahrung hätten. Und wenn ihr sagen wollt, ich hätte bei irgendeiner Abtei in Ciestele (Citeaux) hinterlegen sollen, so scheint mir auch dies nicht angebracht in den jetzigen Zeiten, weil sie sich so vor der Kirche fürchten, dass sie auf keine Weise der Welt gegen das christliche Gewissen handeln möchten, und sie machen es jetzt schon so mit dem Gelde, das sie uns und anderen schuldig sind; sie wollen nichts mehr bezahlen aus Angst exkommuniziert zu werden, was ich Euch schon in einem anderen Briefe mitteilte. Und andererseits würden sie an die bei ihnen hinterlegten Sachen nur denjenigen heranlassen, der sie hinterlegt hätte und jedes andere Schatzhaus in Troyes oder in Paris hat denselben Gebrauch, aber die Mönche von St. Jaques liefern aus an den, der die Schlüssel bringt und die Kerbhölzer, die über die Hinterlegung ausgefertigt sind und übereinstimmen mit denjenigen, die man in ihrem Besitze belässt, und das tun sie mit den zur Aufbewahrung enthaltenen Sachen immer (…), wie ich Euch oben mitteilte. Und daher könnt ihr ersehen, dass jeder, der für Euch kommt, Eure Sachen ausgeliefert erhält, was mir sicherer zu sein scheint, als wenn Ihr sie nicht ohne denjenigen zurückerhalten könntet, der sie hinterlegt hätte.«293

Wie Freundt entwickelt und Müller bestätigt, sind die Kerbhölzer in diesem Zusammenhang reine Legitimationszeichen. »[I]hre Vorlegung ist lediglich ein Akt des rein tatsächlichen Nachweises, dass der Vorzeigende zur Empfangnahme der Leistung befugt ist.«294 In rechtlicher Hinsicht müsse dieser Sachverhalt entschieden von einer Situation abgegrenzt werden, in der etwa »der Überbringer einen Anspruch auf Auslieferung der eingelagerten Sachen durchzuführen berechtigt sei«295. Ferner gebe es auch keine Möglichkeit, »die Kerbhölzer als Vertragssymbole aufzufassen, durch deren Hingabe der Vertrag zwischen dem Hinterleger

293 Zit. nach Freundt 1909, S. 20–22, im italienischen Original publiziert in Lettere volgari del secolo XIII (Paoli/Piccolomini), S. 27–29. Auslassungen in der Quelle, Sperrung und ein­ geklammerte Einträge von Feundt, Kursivierung von mir. Die kursivierten Stellen lauten im Italienischen: […] chostumano di rendare l’achomande que ricievono, a cholui que le fa, vel a chi aporta le chiavi, o la taglia que ne fuse […] ma quelino di Saiachomo i rendono a ch[i] porta le chiavi e le taglie que ne fusero sopra ciò fate, conchordanti a quele que l’uomo lo’ lasa: e questo fano per l’achomande qui ricievono ogn […]. 294 Freundt 1909, S. 22. 295 Freundt 1909, S. 22. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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und dem Lagerhalter zustande gekommen wäre«.296 Tolomei schildert hingegen eine Situation, in der mit dem Ziel der Umgehung eines rechtsförmigen Vorgehens eine pragmatische, handelstechnisch sinnvolle und politisch wie religiös neutrale Lösung gewählt wird. Obwohl und weil das Kerbholz nicht vertrags­fähig ist,297 leistet es etwas, das auch in der Weiterentwicklung der wadiatio schwer vorstellbar gewesen wäre. Es sichert (1.) eine beliebige Übertragbarkeit zwischen Personen und bürgt (2.) für Anonymität derjenigen, die das Depot nutzen. 2.1.3 Zusammenfassung Ergebnisse Das Aufkommen der festuca in Rechtsbräuchen ist nicht scharf zu rekonstruieren. Es liegt ferner im Dunkeln, ob die Kerben im Holz anfänglich Schriftzeichen waren oder Zeichen ohne Bezug auf eine gegebene Schrift. Heuslers Annahme von Runenzeichen scheint einen Mittelweg formulieren zu wollen, indem die Runen Schriftlichkeit und kultische Präsenz unmittelbar verbinden. Der Gebrauch wird so rekonstruiert, dass die Kerbungen oder Einschnitte Zeichen für Ausgesprochenes bzw. Auszusprechendes sind, die nicht abgesondert vom Zeremoniell verstanden werden dürfen, an dessen Konstitution sie mitwirken. Sie sind demnach offensichtlich keine im engeren Sinne semiotischen Zeichen. Ich möchte deswegen entsprechend der sprechakttheoretisch inspirierten Kategorie des ›Lokutorischen‹298 auch von ›lokutorischen‹ Kerben bzw. einem ›lokutorischen Kerbgebrauch‹ sprechen. Hinsichtlich ihrer semiotischen Funktion übernehmen die Kerben auf der festuca die Rolle der Kerbzeichen in der etymologischen Rekonstruktion der ›Urszene‹ der Zahl. Die Äußerung, die die loku 296 Freundt 1909, S. 22. 297 Die rechtsförmigen Alternativen diskutiert Müller 1969 wie folgt: »Die Kerbhölzer sind in diesem Falle nicht Vertragssymbole, die das Zustandekommen eines Hinterlegungsvertrages vermitteln, sondern als reine Legitimationszeichen aufzufasssen, die keinen Anspruch auf Aushändigung der hinterlegten Sache geben. Die Mönche von St. Jacques zogen es aus den angeführten Gründen vor, Erkennungszeichen auszugeben, anstatt Orderpapieren vergleichbare Dokumunte auszustellen, die auf den Namen einer bestimmten Person lauten, wie z. B. kaufmännische Verpflichtungsscheine bzw. Order-Lagerscheine, und durch Indossament übertragen werden können. Andererseits ist es auch interessant, dass das sienesische Handelshaus der Tolomei nicht von der Möglichkeit Gebrauch machte, die Mönche von St. Jacques zu verständigen, wenn es die hinterlegten Sachen abholen lassen wollte, oder den von ihm geschickten Vertreter mit einer Urkunde auszustatten, aus der sich seine Berechtigung ergeben hätte für das sienesische Handelshaus aufzutreten, sondern auf die Benutzung von Legitimationszeichen zurückgriff – ein Weg, der aus der heutigen Perspektive etwas umständlich erscheint, der aber für die damalige Zeit sicherlich am günstigsten war, nicht zuletzt auch wegen der komplizierten Konstruktion, mit der das Prinzip des alteri stipulari nemo potest umgangen wird. Müller 1969, S. 43. 298 S. o. Kapitel III.3.5. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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torische Kerbe vertritt oder abbildet, ist weder narrativ noch numerisch. Sie ist durch ihre illokutive Funktion im sprechakttheoretischen Sinne bestimmt. Die illokutive Kraft, die das Zeichen sinnfällig macht, ist insbesondere eine Äußerung im Sinne von mhd. zal als Urteilsausspruch mit einer Wirkung in der Welt. Als primäre performative Äußerung ist sie ein Inbegriff der von Walter Ong vor­ gestellten Kraft des Wortes in der oralen Kultur.299 Bei der Profanisierung des Festukengebrauchs werden die Kerbzeichen operativiert: Die Differenzierung zwischen Eigentumszeichen und Zählzeichen macht die Schuld, die die festuca repräsentiert, numerisch definit. Das lokutorische Kerbzeichen wird damit zusätzlich operativ kodiert. Abgelöst wird es jedoch nicht. Entsprechend referiert das Wort mhd. zal, auch wenn es sich auf eine Anzahl bezieht, immer zugleich auf die mediale Situation der Äußerung, sei es als autorisierter mündlicher Ausspruch, sei es als schriftliche Setzung. Die Zählung, die auf der festuca notata angegeben ist, betrifft immer Eigentum. Das gilt zunächst auch dann noch, wenn die festuca »mit Abstreifung alles dessen, was ursprünglich ihre Bedeutung ausgemacht hatte, ein reines Beweismittel, das Kerbholz«300 geworden ist. In diesem Punkt knüpft Gmür an Heusler an, indem der feststellt, es ergebe sich aus »all dem vorhandenen Material mit großer Wahrschein­lichkeit, dass von der festuca aus eine selbstständig laufende Entwicklungsreihe verschiedener Kerbholzarten ging«.301 Die juristisch fortgeschrittenste Form findet er in der Inhabertessel, die als Parallele zur Inhaber-Aktie anzusehen sei.302 Das überdauernde Merkmal dieser Linie ist, dass Zählung und Eigentums­bestimmung zwar formal ausdifferenziert werden, aber pragmatisch auf einander bezogen bleiben.303 Dennoch ändert sich der Bezug zwischen Person und Sache fundamental. Die kultische Manifestation einer Schuld­beziehung bezieht sich auf eine Person. Die Person als ganze unterliegt der ›sakramentalen‹ Bindung des Zeremoniells. Deswegen spielt eine Quantifizierung der Schuld keine Rolle. Die säkulare Form der wadiatio unternimmt eine Trennung zwischen Person und ihrem Eigentum, was die Notwendigkeit der Quantifizierung und Identifizierung nach sich zieht.304 Andersherum zeigt der Brief des sienesischen Kaufmanns einen Fall, in dem die Person und die Sache vollends getrennt sind, weil das in Rede stehende Eigentum als Handelsgut beweglich geworden ist. Damit verändert sich 299 Vgl. Ong 1982. 300 Heusler 1885–86, Bd. 1, S. 86. 301 Gmür 1917, S. 157 f. 302 Gmür 1917, S. 158, vgl. Kostanecki 1900, S. 184. 303 Dabei möchte er keinesfalls die »allgemeinanerkannte Reihenfolge der Entwicklungsstufen festuca – carta – Ordrepapier – Inhaberpapier« gestört erscheinen lassen. Es geht ihm vielmehr um die Annahme einer parallel erfolgenden Entwicklung. Gmür 1917, S. 158. 304 Nach Gmür ist hier bereits der Anfang des Instituts des Wechsels gegeben: »Damit war für den Gläubiger ungefähr eine Stellung geschaffen, wie sie einem heutigen Gläubiger durch eine Wechselunterschrift gegeben wäre[…].« Gmür 1917, S. 140. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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auch die Funktion des Eigentumszeichens. Im Fall der festuca und des wadiums wird davon ausgegangen, dass es sich um ein Personenzeichen, eine Hausmarke oder dergleichen handelt, das der Person eigen ist, geht es im Fall der Mönche von St. Jacques um arbiträre Legitima­tionszeichen. Die Legitimationshölzer aus St. Jacques bilden eine gewisse Analogie zu den Kerbhölzern im Dauphiné. In beiden Fällen werden Kerbhölzer gerade in Abgrenzung von der lateinischen Schrift verwendet, und zwar mit dem Ziel, dem Zugriff der Macht und des Gesetzes zu entgehen. Das ist im Brief Tolomeis besonders deutlich. Denn hier werden die Kerbhölzer ausdrücklich von Geistlichen ausgestellt, für die, anders als für die Bauern, kaum ein Illiteralitätsverdacht gelten kann. In kommunikationsgeschichtlicher Hinsicht sind die säkularisierten Kerbhölzer nicht als ein Medium vor der Schrift anzusehen, wie häufig angenommen wird, sondern als ein Medium neben der Schrift. Die Kerbzeichen haben semio­tische Eigenschaften, die sie von der Schrift abgrenzen und für bestimmte Zwecke attraktiv machen. Das kann ihre situative begründete Lesbarkeit für die Il­litterati sein oder auch die Verschlüsselung von Informationen, die sie gegenüber den situationsfremden Litterati darstellen. Es muss trotz allem damit gerechnet werden, dass auch die profanisierten Kerbhölzer nicht rein nachrichtentechnisch (d. h. semiotisch) funktionieren, sondern rituelle (d. h. performative) Eigen­schaften ererben. Die letzteren können insbesondere dort virulent werden, wo Zeremonialhandlungen helfen, den Interpretationsspielraum einzudämmen, der durch die Überführung der lokutorischen Zeichen in Eigentums­aussagen und Mengenangaben entsteht. Die überlieferten Kerbhölzer müssen in diesem Sinne jeweils in einem Spektrum von (kultisch-)ritueller Begründung auf der einen Seite und pragmatischer Weiterentwicklung auf der anderen Seite situiert werden. Weiterführende Fragen Heuslers Modell bezieht sich nur auf den Kerbholzgebrauch im Bereich des Schuldrechts. Die Kerbhölzer werden nach seiner Interpretation in ihren Anfängen kultisch, in ihrer späteren Form säkular gebraucht. Entsprechend verändern sich die Kerbhölzer von ›sakramentalen‹ Objekten zu beweisförmigen Objekten. Diese als ein genetisches Verhältnis formulierte Grundopposition müsste vor dem Hintergrund der aktuellen Überlieferungslage und der jüngeren, auch mediengeschichtlichen Forschung zur Rechtsgeschichte grundsätzlich auf ihre Tragfähigkeit geprüft werden; eine Arbeit, die im Rahmen der vorliegenden Studie nicht zu leisten ist.305 Nichtsdestoweniger hat das Modell nützliche Implika-

305 S. weiterführend die Arbeiten von Simon Teuscher zum Recht zwischen mündlicher Narration, schriftlicher Tradierung und schriftpraktischer Innovation, zuletzt Teuscher 2006, Teuscher 2007. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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tionen für die Frage nach der Rolle der Zahl im Kerbholzgebrauch. Von Heusler ausgehend lassen sich drei Kategorien unterscheiden, in denen der mittelalterliche Kerbholzgebrauch weiterführend diskutiert werden kann. Zeichentypen: Der Kerbengebrauch ist in der kultisch-rituellen Verwendung pränumerisch. In seiner profanen Verwendung ist er operativ. Entsprechend werden die lokutorischen Zeichen protoschriftlich oder schriftlich kodiert. Wie hat man sich die verschiedenen Modalitäten des operativen Zeichengebrauchs vorzustellen? Geltung: Im Zuge des Verblassens des ›Sakraments‹ muss die Geltung des Kerbholzgebrauchs durch profane Techniken ausgleichend hergestellt werden. Dabei kann es sich um aufwendige Zeremonialanordnungen wie im ExchequerAmt handeln306 oder um abgeschwächte, mikro-zeremoniellen Anordnungen wie Vereinbarungen zwischen zwei Partnern unter Einbindung von Beweismitteln und Zeugen. Inwieweit können diese Anordnungen rekonstruiert werden? Worin bestehen sie? Raumzeitliche Stellung: Der kultisch charakterisierte Vollzug des Kerbholzgebrauchs ist nur als jeweils insuläres Ereignis vorzustellen. Inwieweit kann durch die Profanisierung des Kerbgebrauchs eine räumliche und zeitliche Erweiterung des Geltungsbereiches der Kerbhölzer hergestellt werden?

2.2 Zählungen operativieren Im Folgenden möchte ich einige mittelalterliche Kerbhölzer in der vorgeschlagenen Perspektive näher diskutieren. Vorangestellt sei, gewissermaßen als bildgestützter Neueinsatz der Argumentation neben der schriftquellenbasierten schuldrechtlichen Rekonstruktion, eine Illustration des Kerbholzgebrauchs. In Marco Polos Reisebericht wird darauf verwiesen, dass die Händler in der Provinz Zardandan Kerbhölzer verwenden würden, um Geschäftsprozesse zu dokumentieren.307 Diese Stelle ist, so weit ich sehe, in den Illustrationen der Marco Polo-Überlieferung nicht ikonographisch Typ-bildend geworden.308 Umso interessanter ist es, dass in einem Codex, der die Fassung B der altfranzösischen Übertragung überliefert, der Illustrator an einer anderen Stelle den Gebrauch des 306 S. u. Kap. IV.2.3.2. 307 In der Edition der altfranzösischen Fassung, Marco Polo, Devisement du monde, Bd. IV, Kap. 119, S. 83: Et quant ces gens ont a faire l’un avec l’autre, si prennent un poy de fust (reont ou quarré) et le fendent par mi, e l’un tient l’une moitié et l’autre tient l’autre, et a chascune de ces moitiées si font .II. ou .III. taches. Et quant il se paient, si prennent la moitié du fust que celui avra. Unabhängig von der Marco Polo-Stelle erörtert Friedmann 1928 historische chinesische Quellen zum Kerbholzgebrauch. 308 Eine systematische Sichtung der Marco-Polo-Illuminationen unter diesem Gesichtspunkt steht allerdings noch aus. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 41: Marco Polo, Li Livres du Graunt Caam, Oxford, Ms. Bodley 264, fol. 244r. (Detail).

Kerbholzes projiziert, obwohl im Text gar nicht davon gesprochen wird. Es handelt sich um die Miniatur im Codex Ms. Bodley 264, fol. 244r. (Abb. 41).309 Was gibt das Bild zu sehen? Der Bildraum ist zweigeteilt. Das wird durch die szenische Aufgliederung in Vorder- und Hingergrund, aber auch durch den inneren Rahmen der Illumination deutlich gemacht, der linkerhand blau, rechterhand rot eingefärbt ist. Auf der linken Bildhälfte ist der Khan vor dem Portal eines Herrschaftsgebäudes abgebildet. Der Herrscher selbst teilt aus einem vor ihm stehenden Korb Brote an Bedürftige aus. Die rechte Bildhälfte bietet 309 Der Reisebericht Marco Polos, in der altfranzösischen Fassung üblicherweise Le divise­ ment du monde benannt, trägt hier den Titel Li Livres du Graunt Caam (fols. 218r-271v). Der Codex Ms. Bodley 264 enthält außerdem eine Fassung des altfranzösischen Alexanderromans (Li Romans du Boin Roy Alexandre, fols. 3r-208r) und ein kurzes englischsprachiges Alexander-Exzerpt (Alexander and Dindimus, fols. 209r-215v). Der Reisebericht, entstanden zwischen 1400 und 1410, ist begleitet von 37 Kolumnen-Miniaturen und einer ganzseitigen EingangsMiniatur aus der Londoner Werkstatt des Meisters Johannes. Zum Codex vgl. Pächt/Alexander 1973, S. 70 und Scott 1996, Bd. 2, S. 68–73; zur Werkstatt zusätzlich Christianson 1990, S. 124; zum Text Dutschke 1998; zu den Miniaturen grundlegend Ménard 1986, zuletzt Strickland 2005. Die Miniatur fol. 244r ist meines Wissens noch nicht besprochen worden. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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s­ zenisch den Hintergrund für das karitative Handeln. Zu sehen ist ein Haus, das offenkundig als Lagerraum dient. Vor der Türöffnung ist ein Träger gezeigt, der einen schlauchförmigen Sack geschultert hat. Rechts von diesem sitzt eine Figur mit rotem Gewand, die durch seine Position im Raum der Szene als Kontrolleur des Transports erkennbar ist. In der linken Hand hält die Figur einen Stock, in den sie mit einem Messer in der rechten Hand Kerben schneidet. Im rechten Vordergrund des Bildes ist eine größere Gruppe solcher Säcke sichtbar, die ordentlich aufgestellt sind. Offensichtlich wird das Transportgut in Säcke abgepackt, die gleiches oder ähnliches Volumen haben. Dann werden mit den Transportgängen die Säcke gezählt. Die Anzahl wird auf dem Kerbholz fixiert. Wie passt die Illumination zum narrativen Kontext? Den zwei Bildhälften entsprechend verbindet die Illumination die Kapitel 102 und 103 der Livres du Graunt Caam. Sie tragen die sprechenden Tituli: »Ce devise le .C. et .II. chapitre de cest livre comment le Grant Caan fait repondre ses blez pour secourre ses genz ou temps de karesme, c’est assavoir a ceulz qui en ont mestier.«310 »Ci dit le .C. et .III. chapitre comment le Grant Seigneur fait charité aus povres.«311

Im kurzen Kapitel 102 wird berichtet, wie Khan Khubilai die verschiedenen Sorten Getreide in großen Häusern lagern und einschließen lässt, so dass die Vorräte 3 bis 4 Jahre vorhalten können.312 Im ebenfalls knapp gehaltenen Kapitel 103 wird ausgeführt, wie der Grant Seigneur in der Stadt Cambaluc um die Untersützung der Armen besorgt ist. Wer auch immer vor seinen Palast käme, würde ein großes warmes Brot erhalten. 30 000 Bedürftige seien es jeden Tag. Darin zeige sich die Güte des Herrschers.313 Beide Kapitel sind durch die Geste eines Herrscherlobs verbunden, das christliche Werte aufruft und mit seigneurial-ökonomischem Weitblick kombiniert. Daher werden beide narrative Sequenzen in den Rahmen eines Bildes gebracht, und die rechte Bildhälfte bietet nicht nur den szenischen sondern auch den herrschaftslogischen Hintergrund der karitativen Szene in der linken Bildhälfte. An dieser Stelle möchte ich eine methodische Bemerkung einfügen. Die nachfolgenden Analysen sind punktuell. Sie beziehen sich in den meisten Fällen auf einzelne Kerbholzfunde und diskutieren Thesen zu ihrem Verwendungskontext. Trotzdem ist die Darstellung von einer gewissen Generalisierungstendenz getragen. Diese bleibt für die mittelalterliche Überlieferung methodisch so lange 310 Marco Polo, Devisement du monde, Bd. III, Kap. 102, S. 106. 311 Marco Polo, Devisement du monde, Bd. III, Kap. 103, S. 107. 312 Die überregional organisierte Vorratshaltung des Khans ist auch historisch belegt. Vgl. zur Forschungsdiskussion Jung-Pang 1954. 313 Vgl. mit weiterführender Literatur den Kommentar zur Ausgabe Marco Polo, Devisement du monde, Bd. III, S. 143. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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problematisch, bis in der Kerbholzforschung die verfügbaren archäologischen Befunde zusammengeführt und mit den verfügbaren alltags-, rechts- und wirtschaftsgeschichtlichen Diskursen aufgearbeitet sind. Ein Urteil über die tatsäch­ liche Tragweite des Ansatzes wird erst dann möglich sein. Das Ziel, eine breite und funktional differenzierte Verwendung der Kerbhölzer plausibel zu machen, ist indes schon jetzt gedeckt. Sie wird nicht nur durch die bereits bekannte einschlägige Überlieferung,314 sondern auch gerade durch bildliche Darstellungen wie hier aus den Livres du Graunt Caam gestützt. Vergleichend sei auf die prägnante Diskussion von weiterem Bildmaterial durch Kuchenbuch hingewiesen, die ich im folgenden knapp referiere.315 Bei den Bildern handelt es sich erstens um ein Kalenderblatt (Dezember) aus einem Kalendarium aus Christchurch in Canterbury.316 Den szenischen Rahmen bildet das Dreschen und Sieben des Getreides auf der Tenne. Die Funktion des Kerbholzgebrauchs sieht Kuchenbuch darin, »dass der Aufseher den Mengenverlust bzw. Gewichtsgewinn, der mit Drusch und Reinigung des Getreides einhergeht, kontrolliert. Es findet eine Mengenveränderung statt, die sich in einer Maßveränderung niederschlägt. […] Das Kerbholz ist hier […] als Kontrollgerät beim weiterverarbeitenden Frondienst im Einsatz, als Begleitgerät beim Maßwechsel. Es gehört  – im Selbsverständnis der Zeit  – zum instrumenta-Bestand agrikolarer Appropriation und ist – in der Hand ihrer Agenten – ein prägnantes ländliches Herrschaftszeichen.«317 Die zweite bildliche Darstellung ist eine figurierte Initiale aus der Zwiefaltener Abschrift der Etymologiae Isidors von Sevilla.318 Die Initiale leitet mit der Hervorhebung des Buchstabens A das Kapitel über die Arithmetik ein. In der Initiale sitzt eine Figur auf einer Bank so, dass sie mit dem rechten Arm über den Querbalken des Buchstabens A hinweg auf das Kerbholz zeigt, das sie unterhalb des Balkens, parallel zu diesem, in der linken Hand hält. Obwohl im Text Isidors kein Kerbholz erwähnt wird, wählt es der Illustrator – anstelle der auch zur Verfügung stehenden römischen Ziffern oder des Rechentuchs – als »quadriviales Emblem«, das »analog zum Monochord in der musica […] den ›artistischen‹ Umgang mit den Zahlen« symbolisiert.319 Die dritte Abbildung entstammt der Dresdner Handschrift des Sachsenspiegels.320 Das Kerbholz wird hier eingesetzt, um die im Text besprochene juristische Konstellation 314 S. dazu Clanchy 1979, S. 123 f. und die programmatischen, bereits resümierenden und systematisierenden Beiträge Kuchenbuch 1999 und Kuchenbuch 2002. 315 Kuchenbuch 2002, S. 472–475 mit Abb. 22–26. 316 Abgedruckt und eingeordnet ist der Zyklus in Brüggemann/Schenkluhn 2000, S. 34 f. 317 Kuchenbuch 2002, S. 723. 318 Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. poet. et philol. fol. 33. Dazu Meier 1999, S. 256 mit Tafel XII, Abb. 34. 319 Kuchenbuch 2002, S. 473 f. 320 Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Mscr. Dresd. M. 32, fol. 11r. Online einsehbar unter http://digital.slub-dresden.de/id272362328 (letzter Zugriff 01.04.2011). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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zu illustrieren, nämlich die Verpflichtung des Vormunds seinem Mündel gegenüber, diesem jährlich über die Bewirtschaftung seiner Güter Rechenschaft abzulegen. Während wiederum der Text kein Kerbholz erwähnt, wird es illustrativ als »Merkzeichen für die Rechenschaftspflicht« eingesetzt. »Rechenschaft heißt hier: Rechnungslegung über die Nutzung des Guts nach Ablauf des Jahres vor dem Erbberechtigten. Als Zeichen für diesen Vorgang steht das Kerbholz. Seine Kerben verweisen auf die Rechtmäßigkeit und die Nachprüfbarkeit seines zwischenzeitlichen Handelns – das Kerbholzbild als Mahnzeichen zur Verlässlichkeit in komplexen privaten Eigentums- und Nutzungsverhältnissen.«321 Der vierte Bildbeleg – eine Szene, die in die untere Eingangsinitiale des Tennenbacher Güterbuchs eingesetzt ist  – wird im nachfolgenden Abschnitt näher diskutiert (s. u. Abschnitt IV.2.2.1). Die fünfte Abbildung schließlich, vom Ende des 15. Jahrhunderts, entstammt einem Glasfenster im Kreuzbogen der Kathedrale von Doornik (Belgien).322 Den thematischen Rahmen der Szene bietet die Vergabe des lokalen Bierverteilungs- oder -ausschankrechts. Der soziale Rahmen der Kerbholzgebrauchs ist hier die städtische Öffentlichkeit. Der Lizenznehmer hat die Bierschubkarre vor sich und trägt am Gürtel ein Bündel von Kerbhölzern. Damit wird auf die Praxis des Borgkaufs verwiesen, bei der der Gläuber und der Schuldner jeweils ein Kerbholz führen. »Erst nach einer Sequenz von Lieferungen, die auf die zusammengelegten Kerbhölzer von Verkäufer und Kunde sukzessive ›angekerbt‹ wurden, wurde vom Kunden bezahlt, wobei die Kerben beider Hölzer in Gegenwart beider Parteien und eines Dritten verglichen und dann nach erfolgter Zahlung getilgt (›abgekerbt‹) wurden.« Das Kerbholzbündel sei hier neben der Bierkarre hier als charakterisierendes Merkmal, »Berufszeichen«323 des Händlers eingeführt. Das Kerbholz wird, das machen die Beispiele deutlich, mit symbolisierender Funktion in den Bereichen der seigneurialen Frondienst- und Einkünftekon­ trolle, der quadrivialen Wissenskommunikation, des Rechts und des städtischen Handels eingesetzt. »Die Stärke«, so Kuchenbuch, »dieses differenzierten Bildguts liegt darin, daß es über die Einzelsituation hinausweist. Das Bildgut erweist, dass das Kerbholz zum Bestand der Memorial- und Pflichtsymbole des Zeit­alters gehört. Es steht als Zeichen numerischer Memoria, Pflichtigkeit und Gerechtigkeit neben anderen instrumenta des Austauschs und der Verteilung wie der Waage, den Längen-, Gewichts- und Hohlmaßen und der Münze.«324 Als Legitimation dieser Generalisierungsgeste kann im Fall der Marco-PoloIllustration wiederum ins Feld geführt werden, dass der narrative Kontext zwar die Umstände der Lagerhaltung charakterisiert, aber mit keinem Wort auf die 321 Kuchenbuch 2002, S. 474. 322 Zur Einordnung Wyffels 1988. 323 Kuchenbuch 2002, S. 475. 324 Kuchenbuch 2002, S. 475. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Verwendung eines Zählmediums eingeht. Offensichtlich hat dennoch der Illus­ trator just die Kerbholzverwendung als den Handlungstypus befunden, der die im Text geschilderten Prozesse bündig und sinnfällig ins Bild bringt. Im Erzählzusammenhang der Kapitel 102 und 103, die dicht mit Zahlenangaben durchsetzt sind, imaginiert der Illustrator eine Güterausgangskontrolle, die die Konfektionierung der Transporteinheiten mit dem Augenschein des Transports und der kerbholzbasierten Notation verbindet. Der Kerbholz-Schneider wird auch dadurch als Zentralfigur der rechten Bildhälfte ausgezeichnet, dass er, wenn auch als jüngerer Mann, über Kleidung, Haarfarbe und -schnitt dem Herrscher korrespondiert, der die Brote ausgibt. Nicht deutlich erkennbar ist, ob die Person ganz rechts im Bild Güter durch die fensterartige Öffnung in den Lagerraum hineinwuchtet und ob hier auch an eine entsprechende Quantifizierung zu denken ist. Gezeigt wird sie nicht. Es könnte deswegen heißen: Die Güter werden im Lagerraum (ungezählt) kumuliert und erst beim Ausgang konfektioniert und quantifiert. Das würde der im Text angedeuteten zentralistischen Kontrolle des Getreidemarktes durch den Khan entsprechen. Während die Ernteüberschüsse in ihrer Ganzheit eingelagert werden, wird das Getreide mit dem Ziel einer zentral kontrollierten Preisstabilisierung nur in genau bestimmten Mengen ausgegeben. Signifikant ist auch die Darstellung des Trägers. Nach der Haltung seines rechten Arms, der Position des geschulterten Sacks und seines Gesichts tritt er aus dem Lagerraum hinaus und ist (zunächst) dem Kerbholz-Schneider zugewandt. Man darf annehmen, dass er nach erfolgter Markierung des Güterausgangs auf dem Kerbholz den Sack zu den übrigen stellen werde. Gleichzeitig weist der Unterleib des Trägers in die entgegengesetzte Richtung. Die Beine gehen, wie an der Beugung der Knie und der Fußstellung zu sehen ist, ganz deutlich in das Lagerhaus hinein. Möglicherweise wird damit die Iterativität des Vorgangs visualisiert, dessen Rhythmus sich mit dem Schnitt ins Kerbholz wiederholt. Wichtig für die praxeologische Bestimmung des Bildes ist die deutliche Besetzung der Positionen und Handlungselemente: erstens die vorangegangene Konfektionierung des Schüttguts in Säcke gleicher Grösse, zweitens der sackweise Transport des Getreides durch den Träger, drittens die beobachtende Kontrolle des Transport durch eine administrativ höher gestellte Person und schließlich die Dokumentation des Augenscheins auf dem Kerbholz durch die beamtete Person. Die Bildszene, mit der ein Illustrator aus der Werkstatt des Johannes325 Marco Polos Bericht über die Versorgungspolitik des Khans ins Bild gebracht hat, stellt eine elementare, gewissermaßen prototypische Verwendung des Kerb­holzes dar. In den folgenden Analysen wird dieser Typus durch seine Betrachtung im Licht der wirtschafts,- rechts- und schriftgeschichtlichen Ko-Überlieferung einer Reihe bildlich und materiell überlieferter Hölzer schrittweise ausdifferenziert.

325 Christianson 1990, S. 124; Scott 1996, Bd. 2, S. 70–73. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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2.2.1 Vom Zuteilen zum Zählen: das Tennenbacher Güterbuch Neben der schuldrechtlichen Funktion des Kerbholzes ist seine Verwendung in Zusammenhängen der Erfassung und Quittierung von Abgaben dominant. Noch im 9. Jahrhundert, als Überschüsse kaum zielgerichtet erwirtschaftet wurden und die Mobilität auch der Händler wenig ausgeprägt war, konnten die Eigentumsverhältnisse weitgehend durch das Erinnerungswissen der Beteiligten bezeugt und stabilisiert werden.326 Mit dem Eintreten der Landesherren in einen dynamisierten und sich globalisierenden Handel ging eine Ausdifferenzierung des Abgabenwesens einher.327 Bei der Ankerbung von Abgaben überkreuzen sich die Entwicklungen des Schriftgebrauchs und der Machtausübung. Ein Bild der Verschriftung In diesem Kontext ist die Entstehung des Tennenbacher Güterbuchs zu sehen, in dem für die Zeit von 1317 bis 1341 die Einkünfte der Grundherrschaft Tennenbach verzeichnet wurden.328 Die Handschrift wird auf der ersten Seite durch eine ganzseitige Initiale eröffnet (Detail in Abb. 42).

Abb. 42: Eingangsinitiale Tennenbacher Güterbuch, f. 1v, Anf. 14. Jh. (Detail).329 326 Kuchenbuch 1993. 327 Zur Dynamisierung des Handels Murray 1978. 328 Das Tennenbacher Güterbuch (Weber/Haselier). 329 Tennenbacher Güterbuch, Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karls­ ruhe. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Im unteren Schwung der S-Initiale ist eine Gruppe von drei Personen dargestellt. Links sitzt ein Mönch auf seinem Stuhl am Pult, der Träger des über ihm in den Bildraum eingeschriebenen Namens Frater Johannes. Auf dem Pult liegt ein Buch, in das die Figur mit der linken Hand zu weisen scheint, während sie mit der rechten den Stift hält. Ob die Hand tatsächlich schreibt, ist nicht zu erkennen, deutlich ist aber, dass der Akt des Schreibens repräsentiert wird. In der rechten Bildhälfte findet sich mittig ein weiterer Mönch, der ein Kerbholz am Gürtel trägt und dem schreibenden Mönch zugewandt ist. Hinter ihm, am rechten Bildrand, steht eine als Bauer ausgezeichnete Figur, die mit der linken Hand auf einen Stecken gestützt ist und mit der rechten den mittigen Bruder vorzuschieben scheint. reden – kerben – schreiben »In der Forschung« so resümiert Ludolf Kuchenbuch im Anschluss die Studie von Reinhard Schneider, »wird die Szene so verstanden, dass der Mönch in der Mitte ein Zisterzienserkonverse ist, der seinem mithilfe des Urbarbuchs abrechnenden Mönchsbruder die Korrektheit der Zinszahlung des Bauern bezeugt, »wobei das Kerbholz an seinem Gürtel ›bildlich den Abrechnungsvorgang dokumentiert‹.«330 Dieser Deutung stimmt Kuchenbuch grundsätzlich zu: Das Kerbholz vermittelt zwischen der schriftlichen Erfassung in der Schreibstube und der Erfassung auf dem Kerbholz ›vor Ort‹, wo der Bauer seine Abgaben den Ordensleuten überantwortet hätte. Die Szene verweist damit auf den Bereich der Güter- bzw. Abgabenverwaltung im hierarchisch niederen Bereich. Weil dem Ordensbruder Schriftkundigkeit unterstellt werden darf, stellt das Kerbholz hier kein illiterates Komplement zur Schrift dar. Der Akzent liegt vielmehr auf seiner pragmatischen Nützlichkeit am Ort der Eingangskontrolle. Hingegen repräsentiert das Urbarbuch das schriftliche Verzeichnis über die auf diesem und anderen Kerbhölzern gemachten Angaben. Die Bindung des Kerbholzes an die Schrift sichert und verstetigt zugleich die Aussage der Kerben. Welche Mengen von welchem Gut sie repräsentieren, kann aus den Kerben allein freilich nicht abgelesen werden.331 Mündliche Zeugenschaft, quantifizierende protoschriftliche Notation und schriftliche Niederlegung spielen in dieser Szene zusammen, um den Prozess der Abgabenerhebung darzustellen und zu legitimieren. Denn wenn dabei die Einträge in das Buch auf den angekerbten Informationen beruhen und mit der mündlichen Auskunft abgeglichen werden müssen, ist die Szene zugleich eine Manifestation der Rechtsförmigkeit des Vorgangs und der gegenseitigen Kontrolle. Genau dieses aber, so Kuchenbuchs Lesart, ist eine Fiktion. Denn die Dreistufigkeit der Kommunikation in Rede, Kerbholz und Schrift kann nicht über das Kompetenzgefälle hinwegtäuschen, das sich mit dem Mediengebrauch verbindet. Bezogen auf die soziale Konstellation ist die Medien­kompetenz das Signum der 330 Kuchenbuch 2002a, S. 474 mit Schneider 1994, S. 129. 331 Vgl. zuletzt Krimm 2007, der die historischen Referenzen der Initialen rekonstruiert. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Macht. Es ist diese Tatsache, die als Selbstbildnis der klerikalen Grundherrschaft in die Initiale eingeschrieben ist. Das ist schlecht für den abgabepflich­tigen Bauern. Denn dem »stehen die beiden mit dem Schriftwissen und dem Zahlstock ausgestatteten Mönche gegenüber, ihm bleibt allein sein Gedächtnis und seine Rede.«332 Anteil vs. Betrag Der Zahlgebrauch, wie er in der Initiale des Tennenbacher Güterbuchs impliziert wird, steht im Schnittpunkt von Medienkompetenz und Herrschaftskompetenz. Wie bei den oben beschriebenen Typen des Kerbholzgebrauchs besteht ein enger Zusammenhang zwischen Zählung und Eigentum. Auf dem Holz wird das angekerbt, was aus der Produktion des unfreien Bauern das Eigentum der Fronherren ist. Dabei vollzieht sich hinsichtlich des Zahlgebrauchs eine entscheidende Transformation: Während die Zahl als Fronzins-Satz zunächst den Anteil des Ertrages regelt, der an die Herren abgeführt werden muss, wird durch den Vorgang der Ankerbung auf dem Kerbholz dieser Anteil als Abgabenbetrag quantifiziert. Im Urbarbuch wird diese Quantifikation dann dokumentiert und zugleich als Anspruch auf künftig zu leistende Zahlungen festgestellt. Die entscheidende Umwandlung von Anteiligkeit zu absolutem Betrag jedoch geschieht durch den Einsatz des Kerbholzes. Wie im Fall der Bauern im Dauphiné wird das Kerbholz hier nicht kultisch, sondern profan-strategisch angewendet. Der Unterschied ist jedoch folgender: Die französischen Bauern kerben ihre zu leistenden Abgaben auf Kerbhölzern selbst an und können dadurch bei der Vorbereitung der Abgabenerhebung interne Manipulationen vornehmen. Der Tennenbacher Bauer hingegen musste, so impliziert das Bild, dabei zusehen, wie die Herren die von ihm bereits geleis­ teten Abgaben auf dem Holz feststellen. Entscheidend ist, wer wessen Eigentum ankerbt. 2.2.2 Vom Zählen zum Zahlen: Kerbhölzer im Nord- und Ostseehandel Bei der Steuererhebung haben demnach die Kerbhölzer einen transitorischen Status: entweder weil sie nach Gebrauch vernichtet werden sollen, um die auf ihnen angekerbten Beträge der Erinnerung zu entziehen333 oder weil die auf ihnen angekerbten Beträge in die schriftliche Buchhaltung überführt wurden.334 Den transitorischen Charakter teilen sie mit den Kerbhölzern, die als (operal/operative) Zählinstrumente im Handel eingesetzt wurden. Bei der Beschreibung des 332 Kuchenbuch 2002a, S. 274. 333 Vernus-Mouton 1991, S. 71. 334 Kuchenbuch 2002a, S. 274. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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oben eingeführten dänischen Koggenfundes schließt Detlev Ellmers auch auf die Gebrauchsform der Stöcke: »Solche Kerbhölzer waren die ersten Wegwerfartikel, die nach ordnungsgemäß ab­ gelieferter Ladung ihren Zweck erfüllt hatten und nicht weiter gebraucht wurden. Wahrscheinlich endeten die meisten als Feuerholz. Ihre nicht besonders festgelegte Formgebung beruht auf ihrer einmaligen Funktion für jeweils nur eine Frachtfahrt. In der Praxis wurde offensichtlich jedes stabförmige Holzstück zum Festhalten der Mengenangaben benutzt. Die jeweiligen Warengattungen, deren Mengen auf diese Weise registriert wurden, sind jedoch auf dem Holz nicht angegeben. Die hatte der Schiffer im Kopf, mit der für uns nachteiligen Folge, dass wir aus den Kerbhölzern keinerlei Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Ladung ziehen können.«335

Die Detailuntersuchungen von Axel Grandell, die sich teilweise auf die Funde von Bryggen beziehen, bestätigen nur bedingt Ellmers Vermutung, die Hölzer seien aufgrund ihrer Informationsarmut nicht näher interpretierbar. Zum einen bestätigt Grandell grundsätzlich die Formenvielfalt, die wahrscheinlich nicht restlos in ein übersichtliches Schema auflösbar ist.336 Zum andern zeigt er an einzelnen Objekten, dass durch die Kerbung auf eine funktionale Differenzierung der Hölzer geschlossen werden kann, und dass durch die in einigen Fällen ge­ gebene präzise Lokalisierung der Hölzer auch Schlussfolgerungen über die transportierten Waren gezogen werden können. Diese Tatsache ist relevant für die Rekonstruktion der Zahlkonzeption im Kerbholzgebrauch. Drei Beobachtungen sollen vorgestellt werden: (1.) die Rekonstruktion von Maß­einheiten, die Kerbhölzern zugrundeliegen und entlang von Handelsrouten konventio­nalisiert sind. Dann sollen (2.) die technische Umsetzung einer zeit­ lichen Streckung von Zählungen und (3.) Ansätze des kerbholzbasierten Kreditwesens gezeigt werden. Überregionale Konventionalisierung Von der Insel Helgeandsholmen vor Stockholm wurde bei Ausgrabungen zwischen 1978 und 1980 ein Kerbholz geborgen, das auf die Zeit zwischen 1300 und 1350 datiert wird (Abb. 43).337 Es hat eine Länge von 48 cm und einen etwa quadratischen Querschnitt mit einer Kantenlänge von etwa 1,5 cm.338 Die Kerben sind sorgfältig geschnitten. Der Stock gibt Aufschluss über das Verhältnis von Zählung und Messung im Kerbholzgebrauch.

335 Ellmers 1995. 336 Grandell 1982, passim.; Grandell 1988, S. 66. Vgl. aber oben S. 207–212. 337 Dahlbröck 1982. 338 Grandell 1984, S. 242. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 43: Kerbholz mit Zeichenbündeln, Helgeandsholmen/Stockholm (Schweden), 1300–1350.339

Wie ist dieser mutmaßlich handelsübliche Kerbstock zu lesen? Er trägt wenige auffällige Merkmale, keine besitzanzeigenden eingebrannten Marken, Ritz- oder Schriftzeichen. Auch die krumme Form lässt auf einen transitorischen Status im Sinne von Ellmers schließen. Entscheidend ist die Kerbung: Der Stock trägt 48 Kerben über die eine Seite, wobei jede achte Kerbe von der Hauptkerbseite bis auf die seitlich angrenzende Fläche hinübergezogen worden ist. Nach Grandell ist es bekannt, dass um 1300 auf der Insel Helgeandsholmen eine Gerberei angesiedelt war und dass der zeitgenössische Lederhandel von der Provinz Norrland dominiert wurde. Daher wird angenommen, dass die Tierhäute in Booten nach Helgeandsholmen gebracht wurden, um dort bearbeitet zu werden. Reste dieser Boote sind auf der Insel gefunden worden. Der Transport vom Boot zur Gerberei wurde nach Grandell von Tagelöhnern geleistet, die nach der Zahl der transportierten Stücke bezahlt wurden. Er schließt daraus, dass auch die Kerben auf dem Kerbholz von Helgeandsholmen die vom Träger geleistete Arbeit dokumentieren. Aus den Quellen zum hochmittelalterlichen Lederhandel in Schweden ist zudem bekannt, dass Tierhäute üblicherweise in Bündeln zu fünf Stück transportiert wurden, und dass die Maßeinheit im Großhandel 1 timmer, d. i. 40 Stück betrug.340 Daraus kann nach Grandell geschlossen werden, dass die Hervorhebung jeder achten Kerbe die Vollendung je eines timmer betrug, dass also auf 8 Wegen je ein Fünferbündel getragen wurde. Offen bleibt jedoch die konkrete Nutzung des hölzernen Transportprotokolls. Grundsätzlich bot es die Möglichkeit, die Trägerleistung des Tagelöhners mit der Warenleistung des Schiffers auf der einen Seite und der Bestandserweiterung des Empfängers auf der anderen Seite abzugleichen und 339 Abb. nach Grandell 1984, S. 242. 340 Grandell 1984, S. 243 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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so den Gesamttransportweg zu kontrollieren. Nicht geklärt ist durch dieses Modell allerdings, welcher der Beteiligten den Kerbstock geführt hat, und ob möglicherweise jeder der Beteiligten seine eigene kerbhölzerne Abrechnung getätigt hat. Bis zum Hinzutreten weiterer Quellen endet hier die Interpretierbarkeit des Stocks. Ein funktional vergleichbares Kerbholz, das jedoch nicht mit der gleichen Präzision in die Kenntnisse der Forschung zur Handelsgeschichte eingebettet werden kann, ist ein Objekt aus dem Fund von Bryggen, dass um 1200 datiert wird (Abb. 44).341 Es ist nur etwa 12 cm lang, jedoch an einem Ende abgebrochen. Es trägt insgesamt 27 Kerben über die eine Kante, wobei jede vierte Kerbe über die seitlich-angrenzende Fläche gezogen ist.

Abb. 44: Kerbholz mit Zeichenbündeln, Bryggen/Bergen (Norwegen), um 1200.342

Grandell bezieht die Kerbung auf eine Untereinheit des timmer, nämlich die altnorwegische Einheit dekur bzw. dikur (pl. dekrar) für je 10 Felle. Je vier dekrar ergaben wiederum einen timmer (40 Felle). Diese Maße sind in der Bergischen Gemeindeverordnung für 1282 belegt und vor allem auch für den norwegischen Export nach England im ersten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts.343 Anders als die Zählkerben auf dem seigneurialen Kerbstock aus Tennenbach, dessen Maßeinheit im Besitz des jeweiligen Landesherren und zunächst nur zum lokalen Gebrauch nötig war, manifestieren die Kerben auf den Hölzern zum Fellhandel Einheiten, die entlang der Handelsroute Geltung beanspruchen konnten. Die Zählung bezieht sich deswegen nicht auf eine nur insuläre Bemessung, sondern repräsentiert eine partikular-überregionale Konvention über die Bezeichnung von Handelsgrößen.344 Das stärkt die Rolle der Zahl als operative Zahl. Denn im Handel schafft sie eine Vergleichbarkeit, die bei der Steuererhebung nicht gegeben, möglicherweise auch nicht gewünscht war. 341 Grandell 1988, S. 67. 342 Archiv-Nr. BMR 000/17428; Foto: Svein Skare, Bergen University Museum; Bei Grandell 1988, S. 67, Abb. 2. 343 Grandell 1988, S. 67. 344 Zur überregionalen Geltung von Maßeinheiten im nordwesteuropäischen Handelsraum s. grundsätzlich Witthöft 1979. Witthöft argumentiert sowohl synchron als auch diachron für eine große Stabilität des Maßwesens. Zur Einordnung seiner Thesen vgl. den Forschungsbericht Wedell 2010a. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 45: Kerbhölzer mit Sockel, Bryggen/Bergen (Norwegen), 2. Hälfte 13. Jh. bis 1. Hälfte 14. Jh.345 345 Abb. 45, Nr. 1: 2. Hälfte 13. Jh., Archiv-Nr. BMR 000/24951/02; Nr. 2: um 1300, ArchivNr. BMR000/53394; Nr.  3: 1.  Hälfte 14.  Jh., Archiv-Nr. BMR 000/15551. Fotos: Svein Skare, ­Bergen University Museum (bei Grandell 1988, S. 71, Abb. 7, S. 72, Abb. 8, S. 68, Abb. 4). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Zählungen in der Zeit strecken Eine elaboriertere Kerbholzform bilden auch im Bryggener Fund die doppelten Kerbhölzer. Drei von Grandell diskutierte Exemplare346 zeigen (insb. gegenüber den englischen Kerbhölzern, wie Abb. 22 und Abb. 28) eine Besonderheit: Sie tragen besonders ausgeprägte Sockel zum Einlegen des Gegenkerbholzes (Abb. 45 vgl. die Bryggener Kerbhölzer des Typs III mit schmalerem Sockel, Abb. 18 ). Nach Grandell ist die markante Arretierung ein Hinweis darauf, dass die Kerbhölzer nicht erst bekerbt und dann gesplisst bzw. zersägt wurden, sondern dass die Kerbungen sukzessive vorgenommen wurden. Die Sockel dienten dazu, dass die beiden Teile des Kerbholzes dabei stets in dieselbe Position zueinander gebracht werden konnten, denn darauf beruhte die dokumentarische Leistung des doppelten Kerbholzes. Entscheidend ist bei dem Verfahren, dass die Ankerbung von Leistungen zeitlich gestreckt werden konnte. Die Zählung auf dem Kerbholz sprengt damit die insuläre Grundsituation des Gebrauchs nicht nur in räum­licher Hinsicht, sondern auch in zeitlicher Hinsicht. Die Zahl bezieht sich auf stabile numerische bzw. metrologische Bedingungen und ist deswegen weniger ein Ausdruck individueller Gedächtnisleistung oder Absprache. Kredite verwalten Ein Kerbholz von nochmals erhöhter Komplexität hat Grandell wiederholt zusammen mit den Transportkerbhölzern abgebildet (Abb. 46).347

Abb. 46: Kerbholz, Bryggen/Bergen (Norwegen), um 1300.348

Ich zitiere Grandell: »The notches have been cut into the two narrow sides, but there are no marks on ­either of the broad faces. This would suggest that it was half of a split tally, i. e. a tally stick which had been split lengthwise after the transaction untel the account was settled. The notches are of different depth which brings to mind the English Exchequer tallies.«349 346 Grandell 1988, S. 68, 71, 72. 347 Grandell 1982, S. 51 f.: Grandell 1988, S. 68; Grandell 1986, S. 124. 348 Archiv-Nr. BMR 000/53424, Foto: Svein Skare, Bergen University Museum (bei Grandell 1988, S. 68, Abb. 3). 349 Grandell 1988, S. 68. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Der Fund würde demnach die eine Hälfte eines Kerbholzes darstellen, wie es im Dialogus de scaccario als das offizielle Medium der staatlichen Steuerquittierung vorgestellt wird. Grandells Interpretation ist nur bedingt überzeugend. Dennoch birgt sie ein größeres Potential, als er ausschöpft. Dass es sich um eine Zahlungsquittung des königlichen Exchequer handelt, ist eher unwahrscheinlich, obwohl grundsätzlich auch internationale Quittierungen des Exchequer bekannt sind. Ein Vergleich mit den von Jenkinson abgebildeten Kerbhölzern zeigt, dass die exchequer tallies in keinem Fall mit der Form des Bryggener Kerbholzes übereinstimmen, weder als stock (Kerbholz) noch als foil (Gegenkerbholz). Insbesondere entspricht die Anordnung der Kerben nicht dem englischen Modell, da die Kerben in dem strengen System des Exchequer nach ihrer Wertigkeit (und mithin nach ihrer Größe) gestaffelt angekerbt wurden (vgl. auch die Kerbhölzer in Abb. 18).350 Das Kerbholz könnte prinzipiell dennoch zur Dokumentation von finanziellen Transaktionen benutzt worden sein. In diesem Fall wäre es wahrscheinlicher, dass es sich um ein privates Kerbholz handelt, wie sie von eng­ lischen Kaufleuten in Anlehnung an Form und Funktion der königlichen Tallies vom 12. bis ins 14. Jahrhundert gebraucht wurden (vgl. Abb. 28).351 Neben dem formalen Argument sprechen auch Urkundenbelege dafür, dass dieser Typ Kerbhölzer am ehesten private Handelsbeziehungen repräsentieren. In seiner Studie über die flämischen Kerbhölzer des Mittelalters hat Wyffels eine Reihe von Dokumenten aus dem 13. Jahrhunderts zusammengetragen, die zeigen, dass auch international Kredithandel mit Kerbhölzern betrieben worden ist. Dazu zählt ein Vermerk in einer flämischen Handelsverordnung, die englische Kaufleute erwähnt, die »op kerfstock« Stoffe erwerben, und ein Güterverzeichnis von 1270 aus dem Public Record Office in London, das eine umfangreiche Liste von in Flandern ›auf Kerbstock‹ erworbenen Waren enthält.352 Die Beispiele lassen es denkbar erscheinen, dass der englische Modus des Kerbholzes über die Handelsverbindungen auch nach Kontinentaleuropa exportiert wurde. Wyffels nimmt an, dass nicht nur die Flamen, sondern auch deutsche, französische und andere Kaufleute im internationalen Waren- und Geldverkehr mit England das englische Kerbholz benutzten.353 Aufgrund der zentralen Stellung, die Bryggen im internationalen Handelsverkehr eingenommen hat, wäre es unwahrscheinlich, wenn Norwegen nicht dazu gehört hätte. Dennoch bleibt unklar, ob in Bryggen überhaupt Kerbhölzer benutzt worden sind, um finanzielle Transaktionen zu dokumentieren. Das zeigt ein Kerbholz, 350 Zur Kerbanordnung s. die Schemazeichnung in Abb. 50. Vgl. Ricardus de Ely, Dialogus de scaccario (Siegrist), Buch I, Kap. V, S. 50, weiterführend Jenkinson 1911, S. 373–375 und unten den Abschnitt zur Kodierung der exchequer tallies, Kap. IV.2.3.1 und IV.2.3.2. 351 Jenkinson 1925, S. 310–324. 352 London, Public Record Office, E. 101/127/3, s. Wyffels 1988, S. 29. 353 Wyffels 1988, S. 28–32. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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das sowohl Kerben als auch eine Runeninschrift trägt, die ein Schuldverhältnis formuliert (Abb. 47).

Abb. 47: Kerbholz, mit Runeninschrift, Bryggen/Bergen (Norwegen), ohne Datierung.354

Die Inschrift lautet:355 Peter ga fra seg to merker. Olav tretten pund. Sve »Peter hat zwei Mark von sich gegeben. Olaf dreizehn Pfund. Sve«

Dabei stimmen die inschriftlich genannten Anzahlen (zwei, dreizehn) mit der Anzahl der Kerben (elf) nicht überein. Auch weil es sonst in Bryggen keine eindeutigen Hinweise auf die Notation von Schuldverhältnissen auf Kerbhölzern gibt, legt diese Konstellation nahe, dass die Kerben-Reihe nicht die Kredite abbildet. Es wäre jedoch auf der anderen Seite noch zu klären, ob es in Bryggen eine eigenständige schriftliche Tradition zur Abwicklung von finanziellen Krediten gegebenen hat. Bewiesen ist die Verwendung von Kerbhölzern im hansischen Kreditwesen hingegen für das Handelszentrum Novgorod, in dem wie in Bryggen ein zenrales hansisches Kontor angesiedelt war. Roman K. Kovalev zeigt in einer Studie, dass die hansische Zurückhaltung gegen Kreditgeschäfte356 nicht auch für die Handelspraxis innerhalb der Städte gelten musste. Anhand archäologischer Funde aus Novgorod (insb. Birkenholz-Inschriften und Kerb­hölzer) 354 Archiv-Nr. BRM 000/88800, Foto: Svein Skare: Bergen University Museum. 355 Eintragung in der Datenbank zum Grabungsbericht; zugänglich im Bergen University Museum, Bergen (Norwegen). 356 Vgl. Jenks 1982. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 48: Kerbhölzer, Novgorod, Datierung: (1) 1. Hälfte 11. Jh., (2) 1. Drittel 13. Jh., (3)  1196–1207, (4) 1340er–1350er-Jahre.357

rekonstruiert er vielmehr ein umfassen­des System der Kreditverwaltung.358 Die Hauptverfahren zur Sicherung von Kredit­geschäften waren nach Kovalev folgende: (1.) Bei dem Verleih sehr großer Summen muss ein Dokument über den Vorgang beim Bischof in der Kathedrale hinterlegt werden. (2.) Grundsätzlich gilt bei der Aufnahme von Krediten durch Privatpersonen, dass jeweils zwölf Personen anwesend sein und den Vorgang bezeugen müssen. Diese Regel hätte nun 357 Abb. nach Kovalev 2000, Abb. 5, Fundnachweise ebd.: Nr. 1: Troits Dig, 1993, Layer 14, quad. 1193; Nr. 2: Trois Dig, 1979, Layer 9, quad. 356; Nr. 3: Troits Dig, 1973, Layer 14, quad. 23; Nr. 4: Suvorov/Mikhilovsk Dig, 1970, Layer 17, quad 86. 358 Kovalev 2000. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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den Handel zu kompliziert gemacht, sodass sie für die Aufnahme kommerzieller Kredite nicht in Anschlag gebracht wurde. Das Ausgleichsverfahren ist in den offiziellen Dokumenten nicht bezeugt, kann aber aus den in großer Zahl überlieferten Birkenrinden-Texten rekonstruiert werden. Sie zeigen zweierlei: Auf der einen Seite konnten (3.) anstelle von Zeugen Garanten benannt werden, die für den Schuldner einstehen mussten, sollte dieser nicht zahlungsfähig sein. Andererseits wurden (4.) die Vorgänge in Schuldverzeichnissen niederlegt, die in formalisiertem Layout Schuldner, Schuldsumme, ggf. Zinsbeträge und Fristen angeben. Da diese Birken­rinden-Dokumente schließlich transitorischen Status gehabt zu haben scheinen, wurden sie (5.) durch die Ausfertigung von Kerbhölzern, die robuster waren als die Birkenrinden-Texte und eine längere Lebensdauer hatten, verstetigt. Hinsichtlich der formalen Interpretation der Hölzer359 knüpft Kovalev (ohne den Diskurs explizit aufzunehmen) an Grandell an, indem er auch solche Hölzer als gespaltene Kerbhölzer identifiziert, bei denen allein der Kerb­modus dafür spricht. So in den fünf Hölzern, die in Abb. 48 gezeigt werden. Abb. 59 zeigt zwei gesplisste, aber noch ungeteilte Kerbhölzer.

Abb. 49: Gesplisste ungeteilte Kerbhölzer, Novgorod, Datierung: (1) 1. Hälfte 11. Jh., (2) 1. Hälfte 12. Jh.360

359 Kovalev 2000, S. 131–135. 360 Abb. nach Kovalev 2000, S. 151 f., Fundnachweise ebd.: Nr. 1: Troits Dig, 1993, Layer 13, quad. 1204; Nr. 2: Troits Dig, Layer 9, quad. 1209. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kovalev interpretiert die Hölzer wie folgt: »Many of the split tallies contain different-sized notches, with each size representing a specific monetary denomination, i. e., the larger the notch, the larger the amount (figs. 4.2–4.3, 5.4). Eight of the split tallies, dating from the second quarter of the eleventh to the first half of the fifteenth century, also have inscriptions with the names of the debtors and the amounts of their debt written on them (fig. 5.3). Three of them, all of later dates (1281–1409), also contain references to the actual type of capital borrowed, e.g., rye, wheat, and seed.«361

Die Hölzer sehen den Bryggener Exemplaren sehr ähnlich. Zum Beweis, dass es sich bei diesen mutmaßlich gespaltenen Kerbhölzern um Instrumente zur Dokumentation von finanziellen Schulden handelt, nennt Kovalev eine Reihe von Birkenrinden-Inschriften zwischen 1220 bis 1360362 und die rechtliche Regelung ihrer Verwendung an der Wende zum 16. Jahrhundert. Namentlich Artikel 30 des Pskov-Codex erwähnt die Bedingungen, unter denen auf Kerbhölzern notierte finanzielle Kredite vor Gericht gültig sind.363 2.2.3 Zusammenfassung Die Forschung hat – neben der großen Zahl unzureichend kontextualisierter Objekte auf der einen und den nur aus der schriftlichen Überlieferung erschlossenen Verfahren auf der anderen – eine Reihe von Präzisierungen hinsichtlich des Kerbholzgebrauchs im abgabenbezogenen und kaufmännischen Rechnungswesen vornehmen können. Referiert wurden Zeugnisse des Kerbholzgebrauchs (1.) im seigneurialen Bereich anhand des Tennenbacher Güterbuchs, (2.) im skandinavischen Handel anhand der Kerbhölzer aus Helgeandsholmen und Bryggen/ Bergen, schließlich (3.) im Kreditwesen anhand der archäologischen Überlieferung aus Novgorod sowie einiger Urkunden aus Belgien und London. Alle diese Verwendungsweisen gehören formal in den Bereich des operativen Zahlgebrauchs. Die Zusammenstellung macht aber deutlich, wie unterschiedlich die operativen Kerbungen instrumentalisiert werden konnten. Während die Kerben auf den seigneurialen Abgabenstöcken auf insuläre Kommunikationssituationen bezogen sind, wird anhand der verschiedenen skandinavischen Typen deutlich, inwieweit (1.)  Zählun­gen zeitlich gestreckt werden konnten, (2.)  sich die Einheiten, auf die die Kerbungen referieren, entlang von Handelswegen aus­ 361 Kovalev 2000, S. 134. 362 Nr. 82 (viertes Viertel 12.  Jahrhundert), Nr.  295 (1220–1240), Nr.  257 (1380–1400), Nr. 99 (1340–1370) in Zalizniak, DD, 332–333, 388–389, 457–458, 528. 363 Vgl. auch Artikel 14, 19, 28, 29, 30, 31, 36, 61, 6, 75, 92, 103 in: The Pskov Judicial Charter (Kaiser), S. 89–90, 92–94, 97, 101 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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breiten konnten und schließlich (3.)  Ankerbun­gen sowohl von Arbeitsleistungen und Gütervolumina sowie von Geldwerten vorgenom­men wurden. Bei dem letzten Punkt ist mit Grandell und Wyffels sogar anzunehmen, dass der Kode der englischen exchequer tallies, in der privaten freieren Form, möglicherweise bis nach Kontinentaleuropa und in den Ostseeraum verbreitet wurde und so eine gewisse Globalisierung eines bestimmten Kerbholz-Kodes denkbar ist. In diesem Sinne scheinen die Kerbhölzer als Objekte einer Geschichte der Abstraktion und Rationalisierung anzugehören. Denn durch die Einbindung der angekerbten Zahl in Angaben über Maß- und Währungseinheiten, die zunehmend raumübergreifend sind, wird die Rolle der Zahl als Vergleichsmittel gestärkt.364 Die schrittweise Ausweitung des Geltungsbereiches von Maßen und Währungen überträgt sich auf die operative Zahl als Medium der Quantifizierung und des Vergleichs. Inwieweit tatsächlich von einer Rationalisierung gesprochen werden kann, soll im Folgenden anhand der Fragen nach der Autorisierung der Kerbholz-Kerbung und nach ihrer Schriftlichkeit untersucht werden.

2.3 Zählungen autorisieren Im Folgenden möchte ich die These entwickeln, dass die Rationalität des Kerbholzgebrauchs im Mittelalter nur durch Rückgriff auf zeremonielle Abläufe gesichert werden kann, die ggf. kultisch legitimiert sind. Die Zeremonialität ist schon, gewissermaßen in mikro-zeremonieller Anordnung,365 für die insuläre Kommunikationssituation gegeben, die die Initiale des Tennenbacher Güterbuchs zeichnet. In der Tennenbacher Initiale wird der Eintrag in das Urbarbuch unter der Zeugenschaft dreier Beteiligter vorgenommen. Dabei sind zwei von ihnen Vertreter des Zahlungsvorgangs, der Bauer und der in der Mitte stehende Mönch, und das von ihnen verbürgte Wissen ist auf dem Kerbholz notiert. Der Dritte muss sich auf die Wahrheit der Aussagen der beiden anderen verlassen. Die beiden Mönche hingegen sind zusammen die Vertreter der Schriftlegung. Ihr Wissen ist durch den Eintrag ins Urbarbuch kodiert. Der dritte, der Bauer, muss sich wiederum auf die Aussagen der beiden anderen, deren Handeln sich ihm trotz seiner Gegenwart entzieht, verlassen. Entsprechendes gilt auch für die 364 Darüber informieren grundsätzlich die Arbeiten zur Geschichte der metrologischen Systeme. Deren karolingische Grundlegung behandeln Witthöft 1984 und Portet 1991. Für den nordwesteuropäischen mediterranen Raum vgl. Witthöft 1979 und Hocquet 1992. Die theoretische Diskussion der wirtschaftlichen Maße von Aristoteles bis ins 14. Jahrhundert und die Modellfunktion der Monetarisierung für die Genese des modernen wissenschaftlichen Denkens entwickelt Kaye 1998. 365 Die Ritualisierung mittelalterlicher Kommunikation in unterschiedlichen Handlungszusammenhängen diskutieren programmatisch etwa die Beiträge in Ragotzky/Wenzel 1990 und Althoff/Witthöft 2004 sowie Althoff 1997 und Althoff 2003. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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elaboriertere Praxis der kaufmännischen Kreditvergabe in Novgorod. Über die Organisation von Zeremoniell, Zeugenschaft und ihren funktio­nalen Nachbarn sind wir, wie gezeigt, durch die russischen Quellen gut informiert: Der Abschluss einer Kreditaufnahme erforderte je nach Volumen und Status des Leihnehmers eine bestimmte Anzahl von Zeugen, Bürgen und gegebenenfalls eine schrift­liche Dokumentation, die beim Bischof formell ausgefertigt und hinterlegt werden musste. Schließlich ist davon auszugehen, dass auch in den nur schemenhaft rekonstruierbaren Formen des Kerbholzgebrauchs (bei der Kontrolle von Warentransfers, Schuldanschreibungen im hauswirtschaftlichen Bereich usf.) entsprechende mikro-zeremonielle Handhabungen gegeben waren, mit denen Geltung und Wirksamkeit der im Kerbholz dokumentierten Vereinbarungen gewährleistet wurden. Eingehender möchte ich die These für die scheinbar am stärksten rationa­ lisierte Form des Kerbholzgebrauchs, die englischen exchequer tallies, entfalten. Gegenstand der Analyse sind die Beschreibungen, die Richard von Ely von der Funktionsweise des Exchequer-Amtes gegeben hat.366 2.3.1 Die Kodierung der exchequer tallies Die Kerbhölzer waren im mittelalterlichen England des 13.  Jahrhunderts, wahrschein­lich aber schon früher, das Stardard-Medium zur Quit­tierung der Einkünfte des königlichen Schatzamtes (exchequer tallies), bei der Verwal­tung von Grundherrschaf­ten, aber auch im privaten Handel gängig, um Borgkäufe zu dokumentieren und Schuldverschreibungen auszustellen (private tallies).367 Von der Alltäglichkeit zeugen die umfangreichen Sammlungen und Schriften im Public Record Office, der Birmingham Free Library, der Bank of England und dem British Museum.368 Ich möchte zunächst die Rationalität der Kerbholz-Kodierung vergegenwärtigen und dann auf die Bedingungen zu sprechen kommen, die diese Rationalität ermöglichen. Funktion: Quittung – Wechsel – Scheck Die Kernfunktion des exchequer tallies ist es, von königlicher Seite den Steuereingang zu quittieren. Bei der Entrichtung der Abgaben erhalten beide Parteien mit je einem Teil des Kerbholzes ein Zeugnis für das Verfahren. Die Doppelung bürgt für eine Fälschungssicherheit, die nach Michael Clanchy so weitreichend ist, dass sie erst durch die Erfindung des Kohlepapier-Durchschlags wieder erreicht 366 Ricardus de Ely, Dialogus de scaccario (Siegrist). 367 S. o. Kapitel IV.1.4.1. Vgl. Abb. 22 und Abb.  28. 368 Maßgeblich für die Forschung sind, nach Jenkinson 1911, Jenkinson 1913 und Jenkinson 1925 die Bestände des Public Record Office in London. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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wurde.369 Auf der Basis dieser Grundbestimmung wurden mehrere Übertra­ gungen vorgenommen, die Hilary Jenkinson und W. T. Baxter herausgearbeitet haben: Schuldschein: Ausgaben, die auf Reisen des Königs entstanden, wurden nicht durch Zahlungen getätigt, sondern durch die Ausgabe von Kerbhölzern. »A surviving account of the bishop of Carlisle tells how he bought nails on credit for work on the king’s behalf at Carlisle Castle; he gave stocks to the suppliers, and rendered his account (rolls) to the exchequer with foils attached by thread as vouchers.«370 Der Gläubiger konnte sich dann an das Exchequer-Amt wenden, um seine Auslagen erstatten zu lassen.371 Wechsel und Zahlungsaufschub: Bei finanziellen Engpässen nutzte der König das bestehende System, um sich gegen die Ausgabe von Kerbhölzern Geld zu leihen. Die ausgegebenen Kerbhölzer berechtigten die Gläubiger dazu, sich die entsprechenden Beträge bei den steuereintreibenden Sheriffs erstatten zu lassen. Bis 1320 wurde diese Praxis nur auf solche Steuern angewendet, die bereits erhoben, aber noch nicht nach London gebracht worden waren, etwa wegen gefährlicher Transportbedingungen. Seit 1320 jedoch wurden auch auf solche Steuereinnahmen Kerbhölzer ausgegeben, die erst bei der nächsten Erhebung eingenommen werden sollten.372 Schecks: Aus dieser Form des Zahlungsaufschubs ergab sich eine weiterführende Entwicklung hin zu einem Instrument für den bargeldlosen Finanzverkehr, das Jenkinson wie folgt beschreibt: »In the conception it is generally purely a receipt, an original receipt, which, so fas as Exchequer business was concerned, contained from the Receipt Rolls of which it was registered. But obviously, if A owes X money and X owes B money, X can pay the creditor with a cheque on the debtor: let him make out a receipt to A and give it to B, and let B not part with it until he has obtained the money. If X is the Government it can easily compel B thus to take upon him the trouble of collecting its debts, and much is no doubt gained by this simplification of public business. Three things result from this: (1) the tally, still in form of a receipt, may frequently does become in reality a cheque payable to bearer; (2) the registration of receipt an issue may be simplified into a single process; and (3) practically the whole business of the Exchequer may be transacted without money passing at all.«373

Die Zirkulation der Kerbhölzer kann mit Baxter als eine Art von hölzerner Währung bezeichnet werden, die das spärliche Münzgeld ergänzen konnte.374 369 Clanchy 1979, S. 27; Baxter 1994, S. 204. 370 Baxter 1994, S. 207. 371 Baxter 1994, S.  207. 372 Baxter 1994, S. 207 f. 373 Jenkinson 1911, S. 369 f. 374 Baxter 1994, S. 208. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Gestalt Die ursprüngliche Funktion der exchequer tallies und der private tallies ist die Quittierung von Zahlungen. Ihrer Funktion entspricht die Form. Die öffent­ lichen und privaten Kerbhölzer waren geteilte Kerbstöcke. Sie wurden zunächst aus einem Stück hergestellt, in der Regel aus Haselnussholz, und hatten die Länge einer Handspanne. Die Kerben wurden über eine der Seiten gesetzt, entsprechend auf den anderen Seiten gegebenenfalls Beschriftungen angebracht. Anschließend wurde das Holz der Länge nach geteilt, in der Art, dass ein längeres und ein kürzeres Stück entstand, wobei das längere einen Sockel behielt, an den das kürzere Stück zur Kontrolle wieder angesetzt werden konnte, um die genaue Position der über beide Teile reichenden Kerbung zu überprüfen. Marianne ­Siegrist bietet dazu das Schema in Abb. 50.

Abb. 50: Schema des Zuschnitts und der Kodierung von Exchequer Tallies.375

375 Abb. nach dem Kommentar zur Ausgabe Ricardus de Ely, Dialogus de scaccario (­Siegrist), S. 379. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Kodierung Diese differenzierten Aufgaben hätte das Kerbholz nicht erfüllen können, wenn nicht strenge Regeln für die Kerbung gegolten hätten. Diese sind im Lehrdialog Dialogus des Scaccario von 1179 dokumentiert.376 In den Worten von dessen Verfasser, Richards von Ely oder Richard fitzNigel, des Schatzmeisters von Henry II, ging es um folgendes: »[Meister:] […] Die Kerben werden folgendermaßen geschnitten: Für tausend Pfund macht man die Kerbe oben, breit genug für die Dicke einer Hand, für hundert Pfund einen Daumen dick, für zwanzig Pfund kleinfingerdick, für ein Pfund groß genug für ein gequelltes Gerstenkorn. Für die Schillinge nimmt man weniger, aber doch so viel, dass die Kerben eine kleine Furche aushöhlen. Der Pfennig wird durch einen Schnitt, bei dem kein Holz wegfällt, dargestellt. Auf der Seite, die für die Tausender reserviert ist, sollte nichts anderes mehr markiert werden, mit Ausnahme vielleicht des Halb­ tausender, und zwar so, dass man nur die Hälfte des entsprechenden Schnitts auskerbt und das ganze tiefer ansetzt. Dasselbe gilt für Hunderter, wenn es keine Tausender hat, für Zwanziger und für zwanzig Schillinge, das heißt für ein Pfund. Sind aber viele Tausender, Hunderter und Zwanziger einzukerben, so geht man immer nach der Regel vor, dass auf der offeneren, das heißt für dich nach der Beschriftung gerade sichtbaren Seite die höhere Zahl, auf der anderen Seite die niedrigere zuoberst angegeben wird. Dabei steht auf der offeneren Seite immer die höchste, auf der abgewandten Seite immer die kleinste Zahl, also die Pfennige zuoberst. Für die Silbermark gibt es keine besondere Kerbe; sie wird in Schilling angegeben. Die Goldmark wird gleich wie ein Pfund eingekerbt, aber in der Mitte des Kerbholzes. Der Goldpfennig wird nicht wie der silberne gekerbt; sondern er kommt in die Mitte, wobei das Messer senkrecht geführt wird statt schräg wie beim Silberpfennig. Man unterscheidet also Gold und Silber durch den Platz auf dem Kerbholz und durch die verschiedene Schnittführung. Im übrigen verstehst du das alles leichter aus eigener Anschauung. Schüler: Was bis jetzt noch unklar ist, wird der Augenschein zeigen. […]«377

376 Ich verwende im Folgenden die Ausgabe Ricardus de Ely, Dialogus de scaccario (Siegrist); vgl. jedoch jetzt die neue Edition Ricardus de Ely, Dialogus de scaccario (Amt/Church). Die Kerbung erklärt Richard in Buch I, Kap. V, in der Ausgabe von Siegrist S. 48–50. 377 Ricardus de Ely, Dialogus de scaccario (Siegrist), Buch I, Kap.  V, S.  50–52 (dt. Über­ setzung S. 51–53): [Magister.] […] Hac autem ratione fit incisio. Im summo ponunt m. li. sic, ut incisio eius spissitu­ dinis palme capax sit, c. li. ut pollicis, xx. li. ut auricularis, libre unius incisio quasi grani ordei tu­ mentis, solidi uero minus, sic tamen, ut ex conscissionibus loco uacuato modicus ibi sulcus fiat. De­ narius facta incisione nullo dempto signatur. Ex qua uero parte millenarius incidentur, alium non pones numerum, nisi forte mediam eius partem sic, ut mediam similiter incisionis eius partem de­ mas et infra constituas. Sic fit, si c. li. incisurus es et non sit ibi millenarius; facies sic et de xx. li., sic et de xx. solidis, quos libram dicimus. Quod si multi millenarii uel centenarii uel uigene libra­ rum incidende sunt, lex eadem seruetur, ut ex patentiore parte eiusdem talee, hoc est que directe tibi proponitur facta annotatione, maior numerus, ex altera uero minor incidatur. Ex patentiore uero parte semper est maior numerus in summo, ex minus patente semper minor, hoc est denarii. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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In der Praxis gibt es diverse Abweichungen von diesem Schema, wie die Untersuchungen von Jenkinson gezeigt haben. Andererseits hat er eine Reihe weitergehender Regeln festgestellt, die im Traktat des Schatzmeisters nicht erwähnt sind. Die Kodierung der exchequer tallies umfasst demnach: (1.) die Größe des Kerbstocks, (2.) den Gebrauch von Stock und Gegenstock und die entsprechenden Größenverhältnisse, (3.) den Zuschnitt, (4.) die Richtung, in der das Kerbholz aus dem Ast geschnitten wird, (5.) die Größe und (6.) die Position der Kerben, (7.) die Art, in der das Kerbholz auf der Front beschrieben wurde, (8.) die Art, in der das Kerbholz auf der Seite beschrieben wurde, (9.) die Identifikation der Beteiligten sowohl auf der Front als auch auf der Seite und (10.) die Art, wie das Holz gespalten wurde. Der private Kerbholzgebrauch ist im Wesentlichen den Regeln des Exchequers gefolgt, ließ aber mehr Spielraum.378 Die Strenge und Differenziertheit des Kodes macht deutlich, wie sehr die ­exchequer tallies in die schriftliche Administration eingebunden gewesen sind. Es wird deutlich, dass sie als amtliche Technik ein Herrschaftsinstrument darstellen, wie die Kerbholzforschung von Hérmadinquer bis zu Vernus-Mouton betont. Um die Steuererhebung möglichst nicht in die Händen von Fürsten mit gegebenenfalls zu starken Eigeninteressen zu geben, entsandte das Exchequer-Amt nach Möglichkeit eigene, loyale Beamte und bekleidete sie mit dem Amt des Steuereinziehers.379 Nicht zuletzt, weil diese häufig illiterat gewesen seien, wurde die Verwaltung auf die hölzernen Dokumente übertragen. 2.3.2 Die Geltung kultisch erneuern Das Bild, das sich bietet, hat hinsichtlich der eingangs beschriebenen Situation folgendes Profil: 1. Die Kerbhölzer, exchequer tallies und private tallies, sind säkulare administrative Hilfsmittel zur Abwicklung finanzieller Transaktionen. 2. Der Kode auf den exchequer tallies und den private tallies ist eng in die schriftliche Kommunikation eingebunden. 3. Die Geltung des Kodes basiert im Alltagsgebrauch nicht auf der persönlichen Erinnerung der Geschäftspartner und ihrer Zeugen, sondern auf seiner überregionalen Normierung. Marce argenti ad scaccarium incisio sola significatiua non est, set per solidos designatur. Marcam autem auri in medio talee sicut libram unam incidas. Aureum uero unum non prorsus ut argen­ teum, set ducto directe incidentis cultello per medium talee, non obliquando sicut fit in argenteo. Sic igitur ipsa locorum dispositio et incisionis differentia quid aureum uel quid sit argenteum ut­ rumque determinat. Ceterum oportunius hec uisu quam uerbo cognosces. Discipulus. Quod de hiis restat, oculata fide constabit. 378 Jenkinson 1911, S. 373–375. 379 Baxter 1994, S. 223. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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4. Die Uneingeschränktheit der räumlichen und zeitlichen Geltung der e­ xchequer tallies wird, besonders im heiklen Finanzgebaren des englischen Königshauses im 14. Jahrhundert, gezielt eingesetzt, um Steuern ausgeben zu können, die noch nicht eingenommen wurden. Der Zahl wächst in diesem streng geregelten Zusammenhang die Rolle eines universalen Vergleichsmittels zu. Als operationale Zahl liegt sie der Errechnung des Steuersatzes zugrunde und macht in der Anwendung jedes Kerbholz mit jedem beliebigen anderen Kerbholz nach seinem Wert vergleichbar. Das Bild der ex­ klusiven Säkularität, das die strukturelle Beschreibung von Kodierung und Verwendung der Kerbhölzer nahelegt, ist indes ein Trugbild. Geltungsgefälle Die Kodierung war so streng nur für die königlichen Kerbhölzer. Die private ­tallies lehnten sich zwar in Form und Funktion an die exchequer tallies an, sie boten aber nicht die Sicherheit, die jene versprachen. Das lag nicht zuletzt daran, dass auf den privaten Hölzern neben Geldbeträgen auch Mengenangaben für Waren angekerbt werden konnten. »Notches«, so Baxter, »might perhaps stand for money or pigs or corn. The user relied on memory and witnesses for the full story.«380 Jenkinson formuliert: »Private tallies, as we have them here, were very much things to be read in the light of a person’s own knowlegde or of accounts to which they might be attached or of a label attached to them.«381 Ein Zeichen für diese Unsicherheit ist, dass die privaten Kerbhölzer häufig Beschriftungen aufweisen. Baxter hat gezeigt, dass die Nähe desjenigen, der ein königliches Kerbholz erhielt, zur Königsfamilie darüber entschied, wie stark die mit einem Kerbholz verbundene Geltungskraft war: Denn die Berechtigung, von einem Landvogt entlegener Provinzen Steuermittel einzuziehen, bedeutete keinesfalls, die Gelder auch zu erhalten und sicher damit nach Hause zu gelangen. Der Gläubiger musste gegebenfalls weite und gefährliche Reisen auf sich nehmen, um zu dem entsprechenden Beamten zu gelangen. Und auch dann war nicht garantiert, dass der lokale Beamte die Gelder nicht schon an das Exchequer gesandt oder anderweitig ausgegeben hatte.382 Baxter resümmiert: »If the holder’s importuning finally came to naught, as was often the case, he had to take his dishonoured tally back to the exchequer. There the clerks cancelled his original entry in their accounts; and he wearily joined the queue for  a fresh tally, probably

380 Baxter 1994, S. 214. 381 Jenkinson 1925, S. 319, mit Verweis auf die Abbildungen 73 bis 83 im Anhang zu seinem Artikel. 382 Baxter 1994, S. 209 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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on a different revenue. Another journey followed. Years might pass before he got his money.«383

Zeremonielle Stabilisierung Die Irritationen, die hinsichtlich der Verlässlichkeit des Kerhbolz-Gebrauchs auftreten, entstehen in der Peripherie. Der Kerbholzkode und seine Verbindlichkeit sind bei aller Rationalität der Notation und ihres Gebrauchs nicht ubiquitär, sondern auf ein Zentrum bezogen. Im Schatzamt des englischen Königs werden die Quittungshölzer hergestellt und ausgegeben. Wie sieht es da aus? Nach den ersten Rekonstruktionen um die Wende zum 20. Jahrhundert384 ist das wirtschaftsgeschichtliche Interesse an den Prozessen des Exchequer-Amts stark zurückgegangen. Michael J. Jones, der sich in einer Reihe von Beiträgen um die Rekonstruktion der Verfahren bemüht,385 führt dies auf das Vorurteil zurück, dass die Geschichte der Buchführung mit der »Doppelten Buchführung« Paciolis beginne.386 Mit der buchhaltungsgeschichtlichen Blickverengung ist nun der Dialo­ gus de scaccario nicht nur inhaltlich aus dem Blick der Forschung geraten. Seine Reintegration in den Forschungsdiskurs verlangt, ähnlich wie die Diskussion der germanischen Rechtbräuche zur Eigentumsübertragung usw., die Einbeziehung performativer Kategorien. Richard de Ely berichtet ausführlich über das Personal, das an der Quittierung des Steuereingangs beteiligt war, über den jeweiligen Status der Repräsentanten, die entsprechende Sitzordnung und die Aufgaben, die jedem einzelnen zukommen.387 Die Quittierung des Steuereingangs wurde doppelt vollzogen. Es wurde ein Eintrag in die amtlichen Quittungsbücher (receipt rolls) vorgenommen und für die Entlastung des Steuerschuldners ein Kerbholz ausgefertigt. Im Vollzug der Einzahlung wurden von einem Beamten die Namen aller Beteiligten verlesen, dann von einem anderen der gelieferte Betrag mit den schriftlich notierten Erwartungen abgeglichen und mögliche Differenzen vom Schatzmeister am Rechentuch errechnet. Schließlich erging durch einen vierten Beamten der Ruf an den Schreiber, den Steuereingang im Rodel zu notieren, und einer an den Kerbholzschneider, die entsprechende Empfangsquittung auszustellen.388 Danach war der Landvogt entlastet und konnte von rechtswegen nicht wieder wegen der Steuer­erhebung belangt werden.

383 Baxter 1994, S. 210. 384 Pipe Roll Society 1884; Pollock/Maitland 1895; Poole 1912; White 1925. 385 Jones 2008a; Jones 2008b; Jones 2009. 386 Pacioli, Summa de arithmetica (de’ Paganini); so Yamey 1975b, S. xvii. 387 S. die sehr übersichtliche Rekonstruktion in Jones 2008a, S.  454–459, Listen der Teil­ nehmer und ihrer Kompetenzen sowie eine Grafik zur räumlichen Disposition ebd. S. 455 f. und S. 457. 388 Eine detaillierte Beschreibung des ›Accounting Ritual‹ gibt Jones 2008a, S. 469–471. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Für die Zeremonialität des Vorgangs ist neben der Präsenz des zahlreichen Personals entscheidend (a)  das Verlesen aller Namen zur Kontrolle durch die Anwesenden, (b) die schriftliche Kontrolle und Fortschreibung der Bücher für die amtliche Dokumentation, (c)  die sichtbar vollzogene Rechnung, durch die die Übereinstimmung von Einzahlung und Steuererwartung bestätigt wird und so den Eintrag in die Bücher legitimiert, und schließlich (d)  die Ausfertigung des Kerbholzes, das als Ergebnis des Vorgangs dem gegebenenfalls nicht schriftkundigen Landvogt seine Zahlung dokumentiert und ihn rechtskräftig entlastet. Der Vorgang ist durch eine durchgehende mediale Doppelung aller Abläufe (Rede und Schrift, Sicht und Rechnung, Schrift und Kerbung usf.) und durch eine mehrfache Kontrolle gekennzeichnet (drei [!] Schreiber, Beaufsichtigung der Vorgänge durch Vertreter verschiedener Statusgruppen). Dabei spricht für den Zeremonialcharakter, dass im Lehrdialog De scaccario der Lehrer dem Schüler versichert, dass er die genaue Kenntnis, die er benötigen würde, um an dem Verfahren teilzunehmen, besser durch die Anschauung als durch das Wort erlangen könne: Ceterum opurtunius hec omnia uiso quam cognosces.389 Kultische Transzendierung Ihre Legitimation erhält die Zeremonie erstens, und dies geht über die von Jones erarbeiteten Kategorien hinaus, durch die religiöse Gesamtordnung der Welt. Schon Richards in der praefatio formulierte Rechtfertigung dafür, dass er sich als Geistlicher mit dem Mammon beschäftige, zielt darauf ab, dass es eben dieser Dienst für den durch Gott eingesetzten König ist, der wesentlich dazu beiträgt, die rechte Ordnung im Reich zu erhalten. Zweitens werden in großer Zahl Wendungen aus der Heiligen Schrift in den Dialog eingeflochten, trotz des Versprechens Richards, nur die einfachste Sprache verwenden zu wollen. Entscheidend ist drittens die terminologische Verflechtung des amtlichen Rechnens mit dem kultischen Rechnen: Denn auch die amtlichen Rechnungen heißen compotus.390 Die Verwandtschaft wird auch materiell bestätigt, indem das Tuch, das über den Exchequer-Tisch gelegt und durch die Linierung als Rechenbrett zugerichtet wird, am Ostertag gekauft worden sein muss. Auffällig ist ferner der außerordentlich esoterische Ton, mit dem über den Rechenvorgang selbst gesprochen wird, und nicht zuletzt ist es stets der Ostertermin, an dem die Leistungen zu erbringen sind. 389 Ricardus de Ely, Dialogus de scaccario (Siegrist), S. 50. Dem entspricht das Ensemble zusätzlicher Regeln, das Jenkinson herausgearbeitet hat. S. Jenkinson 1925, S. 373–375. 390 Zur Terminologie und Ausdifferenzierung der Rechenarten s. Ricardus de Ely, Dia­ logus de scaccario (Siegrist), Glossar, S. 306. Zur historischen Entwicklung des Begriffs com­ putus vgl. Beda, De temporum ratione (Wallis), Appendix 4: A note on the term computus, S. 425 f. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Ganz explizit wird die Verbindung von Kode und Kult schließlich in einer Reflexion über die symbolische Deutung der Verfahren überhaupt. Sie wird eingeleitet durch die Beobachtung des Schülers, dass ja jeder Rechenstein je nach Position verschiedene Werte einnehmen könne, so wie auch ein Mensch je nach Gottes Gefallen unterschiedliche Ränge bekleiden könne.391 Der Lehrer formuliert daraufhin die Legitimation des Exchequer-Verfahrens mit einer anagogischen, auf das Jüngste Gericht vorausweisenden Wendung: »Auch liegen nicht nur in dem von dir erwähnten Punkt, sondern in der ganzen Darstellung des Schatzamtes heilige Geheimnisse verborgen. Die Mannig­faltigkeit der Aufgaben, das hohe Ansehen der richterlichen Gewalt, das dem Siegel aufgeprägte Bild des Königs, die Aussendung der Vorladungen, die Abfassung der Rodel, die Rechenschaft über die Verwaltung, die Eintreibung der Schulden, die Verurteilung oder der Freispruch der Angeklagten – das alles sind lauter Sinnbilder für jenes strenge Gericht, das sich offenbaren wird, wenn das Buch eines jeden aufgetan und die Tür verschlossen ist.«392

Die necessarie observancie, die Orthopraktiken des Schatzamts, sind mit dem Kirchenjahr synchronisiert, materiell verbunden und mit der kultischen Rechnung prozessual verwandt. Schließlich bieten sie eine Figuration (figura)  des höchsten Gerichts, auf das die rechtsförmigen Abläufe legitimatorisch durchsichtig gemacht werden.393 2.3.3 Zusammenfassung Für das Verständnis der Kodierung der exchequer tallies ist es entscheidend, dass ihre Geltung auf einer Ökonomie beruht, die sich auf der einen Seite einen hohen Grad an säkularer, technischer Rationalität, auf der anderen Seite einen großen Aufwand an ›sakramentaler‹ Legitimation auszeichnet. Die Rationalität der Kerbpraxis allein bürgt nicht auch für ihre überregionale Anerkennung. 391 »In gleicher Weise geschieht es, dass ein Mann aus dem niederen Volk, sofern er seinem Wesen nach Mensch ist und nichts anderes sein kann, aus der tiefsten Tiefe zur höchsten Höhe aufsteigen kann, wenn nach dem Willen des Höchsten die zeitlichen Mittel dazukommen, und dass er dann, nach dem ehernen Gesetz der Fortuna, wieder in den Abgrund geschleudert wird, wobei er bleibt, was er war, mag er sich auch, was Rang und Stand angeht, volkommen verändert haben.« Ricardus de Ely, Dialogus de scaccario (Siegrist), S. 55–57, lat. Text S. 54–56. 392 Ricardus de Ely, Dialogus de scaccario (Siegrist), S. 57, lat. Text S. 56. 393 Ein analoges Argument entwickelt Robert Berkhofer in seiner Studie über die Entwicklung schriftpraktischer Verwaltungsmodalitäten in einer Reihe mittelalterlicher französischer Abteien. Insbesondere zeigt er die ideelle Verknüpfung des Buchs des Lebens in der Offenbarung des Johannes (Joh. 20,12) mit den grundherrlichen Abrechnungspraktiken der Klöster. Siehe zusammenfassend das Unterkapitel »The Day of Reckoning« in Berkhofer 2004, S. 162–168. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Das macht deutlich, inwieweit die Kerbholz-Kerben im sprechakttheoretischen Sinn pragmatische Zeichen sind, bei denen es nicht nur um die Lesbarkeit geht, sondern vor allem um ihr ›Gelingen‹, d. h. ihre Geltung. Diese ist nicht in der Struktur angelegt, sondern muss stets zeremoniell erneuert und kultisch legitimiert werden. Das geschieht im königlichen Schatzamt. Es ist der Motor für die kontinuierliche, rituell gesicherte Erneuerung der Geltung des Kerb-Kodes. Die Rationalisierung der königlichen Quittungshölzer kann einerseits als Aus­ druck der religiösen Ordnung der Welt aufgefasst werden. Die Unterscheidung der exchequer tallies von den anderen Kerbholz-Typen scheint mir andererseits besser durch die Vorstellung einer Ökonomie getroffen, die zwischen profaner Rationalisierung und kultischer Rückbindung einen ständigen Ausgleich verlangt.

3. Kerbhölzer als protoschriftliche Medien und die Anfänge der Operationalisierung im Bereich der Mündlichkeit Die für die Kerbholzforschung zentrale Frage nach der Schriftförmigkeit der Kerbholz-Kerben ist selten gezielt bearbeitet worden. Mehr als Verdacht denn als Theorie kommt das Verhältnis von Kerbe und Schrift in zahlreichen Titeln und Überschriften zum Ausdruck, wie in Karl Weules Monographie »Vom Kerbstock zu Alphabet«394. Für das Mittelalter mit seiner disparaten Überlieferung wird leicht auf das Modell zurückgegriffen, dass Denise Schmandt-Besserat zu den absoluten Anfängen der Schrift im vorderen Orient formuliert hat.395 Unter dem Titel »Forerunners of Writing« werden die Kerbzeichen unter die Vorläufer von Schrift subsumiert. Mehr als das: In der apodiktischen Geste des kurzen Beitrags wird suggeriert, dass die ihr vorliegende nahöstliche Überlieferung als paradigmatischer Fall der Schriftgeschichte schlechthin generalisierbar sei. Systematisch und historisch ist die Frage nach der Schriftförmigkeit der KerbholzKerben indes völlig ungelöst. Schrift und Kerbhölzer sind häufig in unmittel­barer Nähe überliefert, sodass früher oder später eine genauere Bestimmung ihres Verhältnisses geleistet werden muss. Ich möchte dafür im Folgenden einen Rahmen entwerfen.

394 Weule 1915. 395 Schmandt-Besserat 1994. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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3.1 Schriftzeichen vs. Kerbzeichen Die Frage betrifft zunächst das Anbringen von alphabetschriftlichen Informa­ tionen auf Kerbhölzern. Nur für die exchequer tallies aus der Chapel of Pyx ist das Phänomen systematisch beschrieben worden. Die Ergebnisse bieten einen differenzierten Einblick in Personal, Techniken und Probleme von Finanzpolitik und Handel im London des 13. und 14. Jahrhunderts.396 Im Übrigen ist die Forschungslage, wie die Kerbholzforschung überhaupt, durchgängig disparat. Nebeneinander von Schrift und Kerbe Im deutschsprachigen Raum ist vor allem für die Frühe Neuzeit das Zusammenspiel von Kerben und Schriftzeichen vielfach belegt. So in Heidelberg, wo die Kerbung auf einem Kerbholz gemeinsam mit dem dazugeschriebenen Namen »Johan. Grude.« urkundlichen Charakter erhält und unter dem Titel: »Das Kerbholz, eine archäologische Schriftquelle« publiziert wird (Abb. 51):397

Abb. 51: Kerbholz mit Inschrift, Heidelberg, 16. Jh.398

396 Jenkinson 1925; Jenkinson 1913. 397 Lutz/Prohaska-Gross/Schwerdel-Schmidt 1992, S. 17. 398 Fundort Kornmarktlatrine; Abb. nach Lutz/Prohaska-Gross/Schwerdel-Schmidt 1992, S. 17; ohne Maßstab. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 52: Einbindung von Kerbhölzern in Papierakten, Landshut, 1577.399

399 Beschreibung nach Katalog: »Jörgen Fuchssen Metzgges (!) Raitholz«: grob geschnitzter Holzstab mit senkrechten und schrägen Einkerbungen an beiden Seiten, ein Ende steil abgeschrägt, 19,5  cm lang, ca. 1  cm hoch und breit, und »Der Lamplpeckhin Raitholz«: Grob geschnitzter Holzstab mit schrägen Einkerbungen an einer Seite, ein Ende flach abschrägt, 23,3 cm lang, ca. 1 cm hoch und 2 cm breit, beide Hölzer eingelegt in Aktenband. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kurbayern, Äußeres Archiv 54, nach Bl. 314; ohne Maßstab. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Andererseits betrifft die Frage die Einbindung von Kerbhölzern in Papier­ akten, wie im Fall eines hölzernen Schuldscheins Graf Ladislaus’ von Fraunberg (Abb. 52). Den Zusammenhang beschreibt der Katalog »Schrift-Stücke«, der zur gleichnamigen Ausstellung der Münchner Staatsbibliothek aufgelegt wurde, so: »Ein Bote quittierte am 28. Dezember 1577 in Haag dem Grafen die Bezahlung aller in Zusammenhang mit dem Landshuter Aufenthalt aufgelaufenen Schulden. Zwei der zahlreichen Gläubiger hatten an Stelle einer ordentlichen Rechnung die bei ihnen verbliebenen Kerbhölzer mitgeschickt, die der Bote auf der Oberseite mit den Namen der Gläubiger beschriftet hatte. Aus seiner Abrechnung geht hervor, dass die Schulden bei der Bäckerin 1 Gulden 3 Schillinge 15 Pfennige und beim Metzger 5 Gulden 4 Schillinge und 11 Pfennige betrugen. Das Kerbholz wird auf dem Stab selbst und in der Gesamtabrechnung als ›Reitholtz‹, Rechnungsholz bereichnet.«400

Zur Illustration des Gebrauchs sei das Inventarisat einer Prozessakte aus dem Reichskammergericht angeführt, das den Umgang mit Holz- und Papierurkunden im 16. Jahrhundert illustriert. Es handelt sich um den Prozess zu einer Nichtigkeitsklage, der 1578–1586 geführt wurde:401 »Gegenstand in 1.  und 2.  Instanz: Die Parteien hatten gemeinsam von Graf Ludwig XV. von Oettingen eine größere Menge Holz gekauft und weiterveräußert, doch war ein Teil  des Kaufpreises nicht gezahlt worden. Wegen des Zahlungsrückstandes wurde Kl. vom oettingischen Amtmann inhaftiert, sein Besitz eingezogen und vergantet. Vorinstanzlich war Kl. wegen Schadenersatzes für den Verlust seines Besitzes und für erlittene Injurien eingekommen, nachdem ein gütlicher Vergleich gescheitert war. Kl. brachte vor, er habe dem Bekl. nach vollzogenem Kauf und Verkauf die Kerbhölzer sowie die Rechnung vorgelegt, die dieser gebilligt habe. Anschließend seien die Unterlagen vernichtet worden. Bekl. habe seinen Anteil an der letzten Frist nicht bezahlt und deswegen den Verlust des Kl. verursacht. Bekl. wandte ein, daß Kl. als Oberkäufer aufgetreten sei und die finanzielle Abwicklung des Geschäftes, also auch die Einhaltung der Zahlungsfristen, übernommen habe; Bekl. sei von Kl. übervorteilt worden, wes­ wegen er eine Rechnungslegung gefordert habe. 1580 wurde Kl. zur Vorlage der Rechnung verurteilt, bei deren Verweigerung der Bekl. von der Klage absolviert und eine Appellation dagegen abgeschlagen. Kl. appelliert gegen das Urteil unter Hinweis auf erfolgte Rechnungslegung.«402

In Bezug auf das 17. Jahrhundert erwähnt entsprechend Gebhard Mehring die »Verwendung [von Kerbhölzern] bei Einzug und Verrechnung der Gefälle und Güter«:403 400 Schrift-Stücke 2000, S. 133 f. 401 Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Reichskammergericht Band 11, Nr.  4492–5084 [Buchstabe H], bearbeitet von Wilhelm Füssl und Manfred Hörner [Bayerische Archivinventare 50/11], München 2004, S. 14 f. 402 Ebd. 403 Mehring 1931, S. 33. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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»Dafür hat man außer den Kerbhölzern und Rechnungsbüchern besondere Listen und Verzeichnisse, die Haisch-, auch Zinsbücher genannt werden und dauernd auf dem laufenden gehalten, erneuert, ergänzt und verbessert werden müssen, weil die Namen der Zinspflichtigen häufig wechseln. Die Lagerbücher dagegen werden nur in größeren Zwischenräumen erneuert, oft erst nach 80 oder 100 Jahren.«404

Und für die frühe Moderne hält die Universal-Enzyklopädie von Zedler im Eintrag ›Kerb-Holz, oder Kerb-Stock‹ fest: »Eine Herrschaft thut wohl, wenn sie ihre Beamten oder Verwalter befiehlet, mit denen Treschern auf jeder Tenne, ordentliche Kerb-Hölzer zu halten, und bey allen Aufheben auf der einen Kannte die Anzahl der Schocke, auf der andern aber die Scheffel oder das Maas in Körnern richtig an zu schneiden, damit sie hernach, mit des Beamten Berechnung collationiert und alle Unterschleisse, so etwa mit unrichtiger Aufschreibung der Aufheben passiren möchte; verhtet werden knnen. Es sollen aber hier zu die ­Drescher eidlich verpflichtet werden.«405

Konkurrenz und Verflechtung Die Lage im Mittelalter ist wegen der dünneren Überlieferung grundsätzlich schwerer zu fassen. Dennoch wird die Frage nach dem Zusammenhang von Kerbholz-Kerben und Schrift programmatisch von Vernus-Mouton für den frankophonen, von Kuchenbuch für den germanophonen, von Grandell für den skandinavischen und von Kovalev für den slavischen Raum (Novgorod)  angesprochen.406 Der einschlägige Beitrag von Vernus-Mouton ist bereits vorgestellt worden. Er lässt sich zu der These zuspitzen, dass Kerbung und Alphabet-Schrift als alternative Möglichkeiten zu Gebot standen und in dieser Funktion auch verwendet wurden, unabhängig von dem Grad der Literalität der Benutzer. Das hat auch das Beispiel der Sienesischen Praxis bestätigt.407 Die These gilt in leicht veränderter Form auch für den Beitrag von Kovalev über die Kerbholzüberlieferung aus Novgorod. Der von ihm rekonstruierte Gebrauch der Kredit-Hölzer hat einen festen Ort, der durch Materialität der Kerbhölzer und die Rechtshöhe der auf ihnen erfassten Vorgänge bestimmt wird. Aufgrund ihrer materiellen Eigenschaften werden sie verwendet, um die auf Birkenrinden erfassten Schuldverhältnisse notational zu verstetigen und zugleich beide Vertragspartner einzubinden. In Bezug auf die Rechtshöhe sind sie den urkundlichen Verschriftungen des Bischofs 404 Mehring 1931, S. 33. 405 Zedler 1732–51, Bd. 15, Sp. 476. 406 Vernus-Mouton 1991; Kuchenbuch 1999; Kuchenbuch 2002a; Kuchenbuch 2006; Grandell 1982; Grandell 1984; Grandell 1985; Grandell 1986; Grandell 1988; Kovalev 2000; Kovalev 2007. 407 Brief des Andrea Tolomei (Lettere volgari del secolo XIII [Paoli/Piccolomini], S. 27–29). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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unter­geordnet und deswegen bis um die Wende zum 16. Jahrhundert auch nicht Teil des verschrifteten Rechts.408 Eine entsprechende Interpretation formuliert auch Kuchenbuch in seinem Beitrag über die »Pragmatische Rechenhaftigkeit«, der sich im Titel an das Forschungsprogramm der »Pragmatischen Schriftlichkeit« anlehnt und damit eine erste Einordnung formuliert. Der Aufsatz soll »eine Vorstellung davon vermitteln, inwiefern Kerbhölzer ins Forschungsfeld der pragmatischen Schriftlichkeit gehören.«409 Anhand eines systematischen Durchgangs durch die Vielzahl der zusammengetragenen Bild-, Objekt- und Textzeugnisse wird gezeigt, »wie eng Kerbhölzer in die verschiedenen Felder pragmatischer Schrift­lichkeit verfilzt waren«410. Für die systematische Einschätzung sind zwei Momente aus der Bilanz entscheidend. Die erste Formulierung betrifft die Kerbholz-Kerben als Schrift: Das Kerbholz sei »nicht wegzudenken aus der alphanumerischen Grundausstattung Alteuropas«. Kulturtechnisch wird diese These näher spezifiziert durch seine Funktion im Bereich des Operativen: »Der Umgang mit Mengen, den sie dokumentieren, gehört noch ins graphische Vorfeld von Zahl und Ziffer. […] Es wird auf ihnen gereiht und gruppiert, vielleicht noch addiert, mehr nicht. Sie sind Bewahr-Geräte, keine Operationswerkzeuge.«411 Die zweite Formulierung betrifft die Kerhölzer als Medium neben der Schrift: »Zur Schrift haben sie kein und jedes Verhältnis  – es kommt auf den Zusammenhang an: Wo die Erinnerung und der Augenschein der Eingeweihten alles entscheidet, braucht man die Buchstaben nicht und denkt nicht an sie. Wo aber der Wirkungsbereich des Kerbholzes den Benanntenkreis oder die gemeinsame Erinnerungskraft sprengt oder riskiert, wo er ins Unbekannte führt, Zeiten überbrücken muss und damit dem Missbrauch Spielraum bietet, fügt man sie hinzu – vom kunstlos geritzten Namensanfang bis zu urkundengleichem Wortlaut voller Namen, Gattungen, Daten und Umstände in gestochener Geschäftskursive.«412

So sehr man beiden Formulierungen nur zustimmen kann, ist es doch möglich, sie zu differenzieren. Wie steht es genau mit dem »graphischen Vorfeld von Zahl und Ziffer«? Und: Ist nicht gerade dieses »Vorfeld« als ›Vorhof‹ der Schriftlichkeit schon selbst zuzurechnen? Grandell beantwortet in seinem Beitrag »Om Skårskrifter«413 die Frage nach dem Verhältnis von Kerbholz und Schrift nicht nur funktional, sondern auch formal. Das Schreiben habe seine Anfänge in den Kerben der Kerbhölzern. Das Parade­beispiel eines schriftförmigen Kerbgebrauchs sieht er in den exchequer 408 Kovalev 2000, S. 121 f. 409 Kuchenbuch 2002a, S. 470. 410 Kuchenbuch 2002a, S. 488. 411 Kuchenbuch 2002a, S. 490. 412 Kuchenbuch 2002a, S. 490. 413 Grandell 1985. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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­tallies und den Anfängen der römischen Ziffern. Vor allem aber stellt er die Kerbholz-Kerben dann in Verbindung mit anderen nordischen Schriften, besonders mit den Runen, die nach dem Modell der Kerbholz-Kerben gebildet seien und entsprechend auf Holzstücken angebracht sind. Der Fund von Bryggen umfasste in der Tat auch eine große Anzahl von Runenhölzchen, darunter sechs längere Briefe, und eine große Anzahl kleiner Notizen.414 Ferner nennt er in diesem Zusammenhang die trodskrift, die den Haus- und Handelsmarken in der deutschen Tradition entspricht. Schließlich verweist er auf die enge formale Verwandtschaft mit der Ogham-Schrift, die wohl etwa zeitgleich mit den Runen erfunden wurde und im gesamten keltischen Sprachraum überliefert ist. Sie ist vor allem in Stein geschlagen worden und dient zur Ankerbung von Memorial­ inschriften aus Eigennamen mit Angaben zu Abstammungs- und Klientelverhältnissen.415 Das Ogham: Eine genetische Beziehung Das Verhältnis der Kerbholz-Kerben zum Ogham stellt einen Sonderfall dar. Es ist aber für die Einordnung der anderen Fälle nützlich, weil hier ein genetisches Verhältnis, die Entstehung einer Alphabetschrift aus einer Kerbpraxis, wahrscheinlich gemacht werden kann. Die Annahme eines genetischen Zusammenhangs von Kerbholz-Kerben und Ogham-Schrift formuliert Rudolph Thurneysen in seiner von ihm selbst so genannten »Kerbholz-Hypothese«416: »Als ihre ›idee‹, wenn ich so sagen darf, scheint mir nach den alten denkmälern deutlich das kerbholz zugrunde zu liegen, ein stab oder holz, auf dessen kanten kerben eingeschnitten oder von dessen kanten aus querstriche nach rechts oder links geritzt werden. Solche stäbe sind ja zum festhalten von gezählten dingen wohl seit paläolithischer zeit weit verbreitet und können auch – etwa als botenstäbe – einen gewissen ersatz oder vorläufer der lautschrift bilden. Auch die beschränkung auf höchstens fünf kann durch das pentatein, das zählen nach den fingern, bedingt gewesen sein, wie schon öfters hervorgehoben worden ist.«417

Lucien Gerschel hat den Gedanken wieder aufgenommen und expliziert.418 Dabei stellt er das Kerbholz neben den römischen Ziffern und den Kalenderziffern in Zusammenhang mit dem Ogham. Ausgehend vom vollständigen alphabetischen Zeichensatz rekonstruiert er dessen formale Gestalt (Abb. 53).

414 Zu diesen Funden s. Sannes Johnsen 1987. 415 Ní Chatáin 1999. 416 Thurneysen 1937, S. 198. 417 Thurneysen 1937, S. 196 f. 418 Gerschel 1962/63. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 53: Ogham-Alphabet und Ogham-Ziffernfolge nach Gerschel.419

Die vier konstitutiven Fünfergruppen bezieht er dann auf das Zählen mit den Fingern bzw. Händen420 und die systematische Ausweitung des Zählbereichs über die Möglichkeiten der Hand hinaus.421 Als Ergebnis erhält er ein »ogam ­numérique, nécessairement antérieur à l’autre«, das formal vereinfacht dem o ­ ghamischen »Buchstaben-Alphabet« zu­grundeliegt:422 Damit wird von Gerschel in einer schriftgeschichtlichen Projektion, die der etymologischen Projektion zum Wort Zahl sehr nahe kommt, eine genetische Verbindung zwischen zählenden Kerbholz-Kerben und einer Alphabet-Schrift hergestellt. Was bedeutet die Tatsache, dass Kerbholz-Zeichen und Schrift einerseits miteinander konkurrieren, andererseits miteinander verwoben und schließlich in einem Sonderfall doch genetisch aufeinander bezogen sind? Lässt sich das verfilzte Verhältnis systematisch auflösen? Den Schlüssel bietet Gerschels emphati 419 Abb. nach Gerschel 1962/63, S. 134–136. 420 Zum Fingerzählen in Spätantike und Mittelalter vgl. allgemein Menninger 1979, Teil II, S. 3–25. 421 Gerschel 1962/63, S. 134–138. 422 Gerschel 1962/63, S. 138. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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sche Unterstreichung, dass es sich bei dem Ogham-Zeichen »à proprement parler« gerade nicht um ein Alphabet handele, sondern um »chiffres de taille«:423 »l’ogam perd l’originalité, l’étrangeté qui lui étaient particulièrs, tant qu’on le rangeait parmi les alphabets, tant qu’on imaginait qu’il avait été inventé pour servir à l’écriture.«424 Gerschels Abwehr gilt (bereits Anfang der 60er-Jahre) einer Haltung, die Alphabet-Schriften substantiell als lautsprachliche Schriften auffasst. Nun hat die kulturwissenschaftliche Diskussion der letzten Jahre diese kritische Haltung aus ganz anderen Gründen aufgenommen und im Licht des Paradigmas der ›Schriftbildlichkeit‹ theoretisch begründet.425

3.2 Kerben schreiben Die Schwierigkeit, die Schriftlichkeit von Kerbholz-Kerben zu beschreiben, beruht auf dem Mangel an einem übergreifenden und anerkannten Schriftkonzept, das als Referenz dienen kann. Diesem begrifflichen Desiderat begegnet ein von Sybille Krämer, Gernot Grube und Werner Kogge herausgegebener Band zur »Schrift«, einer »Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine«.426 Er erprobt die Leistungsfähigkeit eines kriteriologischen Modells zur Bestimmung, was eigentlich, jenseits theoretischer Strapazierungen, besonders in der Philo­ sophie, ›Schrift‹ ist. Es bietet ein transparentes Instrument, das auch auf die überlieferten Kerbholz-Kerben angewandt werden kann. Kulturtechnik Schrift Das von Krämer, Grube und Kogge ausgearbeitete Schriftkonzept zielt darauf, die mächtige Vorstellung abzulösen, dass Schrift aufgeschriebene Sprache sei.427 Um die Lautsprachenunabhängigkeit zu begründen, wird die Schrift als Kulturtechnik von ihrer Prozessualität und Funktionalität her bestimmt.428 Im Zentrum steht eine Reflexion einerseits auf die Rahmensituation, in der die Produktion von Schrift überhaupt erst möglich wird,429 und andererseits auf die Bedingungen, die das Resultat erfüllen muss, um ›Schrift‹ genannt werden zu können: 423 Gerschel 1962/63, S. 137. 424 Gerschel 1962/63, S. 137. 425 Zum Paradigma der Schriftbildlichkeit s. die Publikationen, die aus dem gleichnamigen DFG-Graduiertenkolleg 1458 hervorgehen; grundlegend der in der Berliner DFG-Forschergruppe »Bild  – Schrift  – Zahl« entstandene Themenband »Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine« (Grube/Kogge/Krämer 2005). 426 Grube/Kogge/Krämer 2005. 427 Das Programm wird im einleitenden Beitrag Grube/Kogge 2005 ausgearbeitet. 428 Kogge 2004. 429 »Ein Versuch, die Voraussetzungen dieser Situation zu vergegenwärtigen, müsste eine ganze Reihe struktureller Momente beschreiben: etwa das Isolieren eines fixen Areals im Kontinuum des beweglichen Gesichtsfelds; ein Areal, das aber nicht selbst als Ding, sondern als © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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»Der spezifische Schrift-Raum öffnet sich also dann, wenn zwei Bewegungen konvergieren: wenn Zeichen-Gestalten zu notationalen Systemen ausgearbeitet werden, so dass eindeutige Operationen möglich sind, und wenn systematische Operationen Gestalt gewinnen, so dass sie ›vor Augen stehen‹ und in immer wieder neuartiger Weise gesehen werden können.«430

Das Modell zur Prüfung, ob so ein Schriftraum vorliegt, ist triadisch. Es beruht auf der Verbindung der Eckpunkte Referenzialität, aisthetische Präsenz und Ope­ rationalität.431 Das Struktur-Modell beruht auf der These, dass alle drei Kriterien gleichzeitig erfüllt sein müssen, damit von ›Schrift‹ gesprochen werden kann. Dabei ist es denkbar, dass einer der Aspekte eine geringere Rolle spielt oder sogar fast gänzlich verblasst. Wenn in einem Zeichengebrauch einer dieser Aspekte ganz zurücktritt, so die Autoren, »dann stehen gewichtige Gründe dagegen, hier noch von Schrift zu sprechen: der Begriff gravitiert dann – um es mit Wittgenstein auszudrücken – zu einem anderen Vorbild hin.«432 Das Modell ermöglicht einerseits eine klare Abgrenzung und erlaubt andererseits die präzise Formulierung von Übergangsphänomenen. Referenzaspekt: Im Sinne der klassischen Zeichendefinition aliquod stat pro aliquo stehen Schriftzeichen für etwas. Dabei gilt nach den Autoren zusätzlich: »Der grundlegende Referenzaspekt von Schrift wird auch dann nicht beschädigt, wenn die Projektionsbeziehung zwischen Schriftzeichen und ihrer Bezugsordnung uneindeutig ist.«433 Präsenzaspekt: Der Aspekt fordert erstens, dass sich »Schriftzeichen von ihrer Produktionssituation ablösen und in neuen und vervielfältigten kommunikativen Arrangements einsetzen« lassen.434 Zweitens muss die Möglichkeit gegeben sein, »schriftliche Zeichenkonfigurationen im Grund beliebig vielen (Nach-)bearbeitungsschritten zu unterziehen«. Drittens ist Schrift dadurch charakterisiert, dass sie ihrem Benutzer »als Gestaltformation« gegenübersteht.435

Träger verwendet wird und zudem materialiter geeignet sein muss, in oder auf seiner Ober­ fläche sicht- oder tastbare Gestalten zu figurieren; eine in einem bestimmten Bereich variable Distanz, die es möglich macht, das Auge in dieser gestalteten Textur wandern zu lassen, und zwar so, dass es einzelne Zeichen fokussieren, aber auch ganze Komplexe von Zeichen auf einmal erfassen kann; eine Distanz und eine Oberflächenbeschaffenheit, die es der sich in diesem Ausschnitt des Gesichtsfelds bewegenden Hand erlauben, spezifische Modifikationen an und in der Textur vorzunehmen; ein Körper, der in seinem Bewegungsspielraum auf minimale Bewegungen der Augen, des Kopfes und meist nur einer Hand reduziert ist.« Kogge 2004, S. 19. 430 Kogge 2004, S. 19. 431 Grube/Kogge 2005, S. 13–15. 432 Grube/Kogge 2005, S. 13. 433 Grube/Kogge 2005, S. 13. 434 Grube/Kogge 2005, S. 14. 435 Grube/Kogge 2005, S. 14. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Operationalitätsaspekt: Der Aspekt fordert, dass Schriftzeichen notational sind, »also aus prinzipiell unterscheidbaren und definiten Elementen aufgebaut« bzw. »endlich differenziert« und »disjunktiv«.436 Definitheit und Disjunktivität des Schriftzeichens drücken sich »dadurch aus, dass die einzelne Realisierung immer als token eines bestimmten types kenntlich ist.« Diese Bestimmung impliziere, dass »mit den Schriftelementen grundsätzlich nach eindeutigen Regeln operiert werden kann.«437 Sind Kerbholz-Kerben Schriftzeichen? Auf den ersten Blick wird vor diesem Hintergrund klar, dass die Grenze zwischen Schrift und Nichtschrift mitten durch die mittelalterliche Kerbholzüberlieferung hindurch verläuft. Ausschließen kann man die Hausmarken, die zwar eine eindeutige Referenz und aisthetische Präsenz, aber keine operativen Eigenschaften haben. Innerhalb der Hausmarkenüberlieferung könnten die Reihen von Hausmarken eine Ausnahme bilden, die auf den schweizerischen Kehrtesseln des 19. Jahrhunderts zu sehen sind und mit denen die Aufgabenverteilung innerhalb der dörflichen Gemeinschaft organisiert wurde.438 Allein, solche Objekte sind aus dem Mittel­ alter weder überliefert noch beschrieben. Dieses Schicksal teilen auch die in der Rechtsliteratur beschriebenen wadia. So lange kein wadium materialiter gesehen und nach modernen Maßstäben dokumentiert wurde, muss offen bleiben, ob es sie tatsächlich in dieser Form gegeben hat, und wenn ja, ob die Kerbung schriftförmig war.439 Nicht schriftförmig sind auch die Kerben auf denjenigen Kerbhölzern, die eine einfache Kerbenreihe tragen (Abb. 3–5; 9–13, 15–21; 17–21). Die Kerbreihe erfüllt als die ikonische (operale) Abbildung einer gegebenen Anzahl (von Objekten oder Einheiten) nicht das Kriterium der Notationa­ lität, denn es können »keine unterscheidbaren und definiten«440 Elemente identifiziert werden. Grenzfälle stellen die Kerbhölzer aus dem Handel und dem Abgabenwesen dar. Wo unterschiedliche Kerbtypen nebeneinander treten, erfüllt die Kerbung formal das Kriterium, notational-operativ zu sein. So bei den schweizerischen Milchabrechnungstesseln aus dem 19. Jh. (Abb. 24; 30, 31). Bei den mittelalterlichen Hölzern wissen wir leider in den wenigsten Fällen genug über den tatsächlichen Gebrauch der Notationen. Im Fall von Novgorod wird durch die Birkenrinden-Dokumente eine entsprechende Verwendung immerhin nahegelegt 436 Grube/Kogge 2005, S. 15. 437 Grube/Kogge 2005, S. 15. 438 Gmür 1917, S. 80–85 und Tafel XVI. 439 Zur Überlieferungssituation der wadia s. o. die Diskussion im Anschluss an Michelchen 1856 in Kap. IV.2.1. 440 Grube/Kogge 2005, S. 15. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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(Abb. 48, 49). Im Fall des Kerbholzes aus Helgeandsholmen oder der von Grandell beschriebenen Hölzer aus Bryggen/Bergen, bei denen Kerbtypen zuverlässig auf unterschiedliche Maßein­heiten bezogen werden können, kann mit großer Wahrscheinlichkeit auch von einem schriftförmigen Gebrauch der Kerben ausgegangen werden (Abb. 43; 44). Ob den Kerbstöcken mit Arretierung Schriftförmigkeit zugesprochen werden kann, muss noch diskutiert werden (Abb. 45). Wenn der Sockel beweist, dass die Funktion des Kerbholzes darin liegt, zeitlich auseinanderliegende Vorgänge (die zudem in unterschiedlichen Situationen stattfinden) synchron darzustellen, könnte die Rangfolge der Einzelkerben möglicherweise selbst als ein Kriterium des notational-operativen Ankerben bewertet werden, obwohl die Kerben selbst formal nicht ausdifferenziert sind. Bei den Steuerstöcken hat es vermutlich sowohl schriftförmige als auch nichtschrift­förmige gegeben. Wenn die Ankerbung Mengen darstellt, wie es die Abbildung des Tennenbacher Güterbuchs und die Miniatur zu Marco Polos Reisebericht es nahelegen (Abb. 41; 42), oder eine schlichte Reihe abbildet, wie bei den einfachen Kerbstöcken, liegt keine Schrift vor, weil keine Notationalität ge­ geben ist. Anders die exchequer tallies: Weil sie unterschiedliche, endlich differenzierte und disjunktive Kerbtypen aufweisen, die regelhaft aufeinander und auf das Währungs­system als Referenzordnung bezogen sind, ist – neben der aisthetischen Präsenz – sowohl das Referenz- als auch das Operationalitätskriterium erfüllt (Abb. 22; 28). In etwas abgeschwächter Form gilt das auch für die formal verwandten private tallies, deren Kerbungen sich auch auf Waren verschiedener Art beziehen können; so ggf. auf im Fall des Bryggen/Bergener Kerholzes mit formal differenzierten Kerben (Abb. 46). Sie gehören funktional in die Gruppe der Handelskerbhölzer. In diesem Kontext erfüllen sie eine Sonderrolle, weil die Referenzordnung durch die teilweise ausführliche Beschriftung der Kerbhölzer jeweils konstituiert wird. Für den Fall jedoch, dass unterschiedliche Kerbtypen auf den private tallies auf unterschiedliche Waren referieren, ohne dass die Kerben in einem regelhaften Verhältnis zueinander stehen, ist das Notationalitätskriterium wiederum nicht erfüllt und es handelt sich nicht um schrift­ förmige Kerben. Kerbhölzer als Teil der pragmatischen Schriftlichkeit Die grobe Überprüfung der Haupttypen des Kerbholzgebrauchs zeigt, dass nicht die Kerbhölzer schriftförmig sind oder nicht, sondern dass die Schriftlichkeit der Kerbzeichen ein Differenzierungskriterium für unterschiedliche Typen von Kerbhölzern darstellt. Für den Zeitraum von 1100 bis 1500 ist auch keine genetische Beziehung zwischen nichtschriftlichen und schriftlichen Kerbzeichen festzustellen. Die Kerbhölzer werden jeweils so angefertigt, wie es die situative funktionale Bestimmung verlangt. Je nach Kerbtyp und Verwendungssituation können dann unterschiedliche Medienallianzen hergestellt werden, u. a. mit folgenden gleichberechtigten Varianten: © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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– Ist die Referenz von ikonischen, Anzahlen repräsentierenden Kerbzeichen im Wissen der Beteiligten hinreichend verankert, ist keine nähere Bestimmung nötig. – Ist die Referenz von ikonischen, Anzahlen repräsentierenden Kerbzeichen im Wissen der Beteiligten nicht hinreichend gesichert, kann der Referenzbereich – die Ware, die Maßeinheiten oder der Besitzer des Holzes – buchstabenschriftlich ergänzt werden. – Unter denselben Bedingungen kann die Präzisierung aber auch erreicht werden, indem man z. B. die ikonischen Kerbzeichen durch schriftförmige Kerbzeichen ersetzt, um die Maßeinheit zu charakterisieren, oder etwa eine Hausmarke hinzuschneidet, um den Eigentümer des Holzes zu identifizieren usf. Die Wahl der jeweiligen Mittel kann mit der Bildungswelt, der Literalität oder Illiteralität der jeweiligen Benutzer zusammenhängen. Zwar kann offensichtlich durch die semiotische Konstitution der Kerben nicht notwendig auf den Literalitätsgrad ihrer Benutzer geschlossen werden. Dennoch ist der weitreichende Schriftgebrauch im Zusammenhang mit den Kerbhölzern bildungsgeschichtlich aufschlussreich. Jenkinson hat darauf verwiesen, dass die private tallies die Aktivitäten einer sonst wenig greifbaren und kaum erforschten Bevölkerungsgruppe, der des laicus litteratus, dokumentieren.441 In den Hansestädten müsse dementsprechend eine weiterführende Forschung den Zusammenhang von Kerbholz- und Schrift-Praxis näher ausloten. Ähnlich wie die Kerbholz-Überlieferung kaum gehoben ist, haben, wie Heiko Steuer unterstreicht, auch die vielfältigen Griffelfunde, die die Archäologie in den Hansestädten zutage gefördert hat, in den Geschichtswissenschaften kein befriedigendes Echo gefunden. Dabei legen sie Schlüsse über den Grad der Literalität nahe, die dem Common sense der bildungsgeschichtlichen Forschung nicht entsprechen.442 Die Analyse der Schriftförmigkeit von Kerbholz-Kerben hat eine weiterführende Implikation: die Einwanderung der operativen Zahl in die Praxis des Kerbens. Zwei Typen sind zu unterscheiden: Auf der einen Seite Kerbhölzer, wie der Transport-Stock aus Helgeandsholmen/Stockholm (Abb. 43), auf der anderen Seite die englischen exchequer tallies (Abb. 22). Beide Typen zeigen paradigmatisch, wie der hergebrachte Erinnerungsstock mit der Kerbstruktur einer neuen, operativen Oberfläche überzogen wird.443 Die offiziellen englischen Kerbhölzer weisen dabei unter Einbeziehung des Kontextes eine wichtige Besonderheit auf: In den exchequer tallies konvergiert das profane, pragmatische Rechenwissen der mündlichen Tradition mit dem klerikalen, kultisch eingebundenen operationa 441 Jenkinson 1925, S. 314. 442 Steuer 1989, S. 238. 443 Vgl. Richards Differenzierung von Merk-Kerbhölzern und exchequer-Kerbhölzern. Ricardus de Ely, Dialogus de scaccario (Siegrist), S. 48–50. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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len Rechenwissen des computus. Denn erst die Ergebnisse der aufwendigen und esoterischen, komputistisch-theologisch kodierten Rechenvorgänge am scaccario werden auf dem Kerbholz angekerbt.444 Unter der neuen operativen Oberfläche bleibt jedoch auch der exchequer tally ein traditioneller Erinnerungs-Stock, der nur durch die Verständigung der unmittelbar Beteiligten seine Geltung entfaltet. In diesem Sinne fügen sich die Kerbhölzer bruchlos – und ganz unverfilzt – in das Korpus der sogenannten ›pragmatischen Schriftlichkeit‹ ein.

3.3 Integration von Wort- und Sachgeschichte Das vorangehende Teilkapitel hat nicht nur das Verhältnis von Kerbe und Schrift in einem systematischen Zugriff entworfen, sondern zugleich die Grundlage entwickelt, abschließend eine (Re-)Integration von Wort- und Sachgeschichte (Kap. III und Kap. IV dieser Arbeit) zu formulieren. In welchem Verhältnis stehen die überlieferten Kerbhölzer zur etymologischen Rekonstruktion der ›Urszene‹ der Zahl? Welche Differenzen bringt ein Vergleich hervor? Welche Rolle kommt den Kerbhölzern in der breiten Überlieferung mittelalterlicher Zeichenpraktiken zu? Etymologische Projektion und materielle Überlieferung Im Gegensatz zur etymologischen Projektion, zum ersten, namengebenden Schnitt in den Zählspan, sind die Kerbholz-Kerben der mittelalterlichen Überlieferung funktional vielfältig differenziert. Die ersten Kerbhölzer verbanden sich der Rekonstruktion nach mit der Abbildung von Kardinalität, von Sequentialität und der Reflexion sprachlicher Akte. Das verbindet sie auf den ersten Blick mit Grundfunktionen der mittelalterlichen Kerbhölzer. Angekerbt werden auch hier Mengen und Sequenzen. Dass Kerben verbale Äußerungen abbilden, kann für die überlieferten Exemplare dagegen nicht nachgewiesen werden. Nach Heusler ist das aber mit Tacitus für die frühesten, kultischen Kerbhölzer anzunehmen, zu denen Pittioni auch die Hölzchen aus der Tiroler Kelchalpe zählt. Im Unterschied zur abstrakten etymologischen Projektion sind die überlieferten Kerbhölzer, soweit man den Kontext erschließen kann, immer auf Warenmengen bzw. Geldbeträge und Personen bezogen. Die notational-operativen Kerben stellen gerade nicht abstrakte Kardinalitäten dar, sondern Mengenbegriffe. Im Fall der skandinavisch-hansischen Hölzer sind es Zahlmaße, im Fall der exchequer tallies und der Kerbhölzer aus Novgorod Währungseinheiten. Die Zahl referiert immer auf Stückzahlen und Maßeinheiten und ist dementsprechend eine ›Anzahl/Menge  von  X‹. Die Kerben der überlieferten Exemplare können Stück für Stück genau verortet werden zwischen Identifikationszei 444 S. o. Kap. IV.2.3. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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chen, ikonischen Mengen-Repräsentationen und schrift­förmigen Maßangaben. Im Gegensatz zur dekontextualisie­renden etymologischen Projektion sind die überlieferten Kerbhölzer als transitorische Medien unterschiedlicher Funktion etabliert – und eben ihrer transitorischen Daseins­logik wegen heute millionenfach verloren.445 zal, zeln und die Kerbe Aus der etymologischen Projektion konnten drei Hauptfelder der Bedeutung rekonstruiert werden, die sich mit dem Kerbholz verbinden: Aus der Verbindung von Kardinalität, Sequentialität und manifester Rede konnte eine Bedeutungsentwicklung rekonstruiert werden, die dem mittelalterlichen semantischen Profil des Wortes zal im Ansatz korrespondiert: zal konnte demnach heißen: (a) ›Anzahl‹ bzw. ›Zahlenfolge‹, (b) ›Ausdruck‹ bzw. ›Äußerung‹, (c) ›gegliederte Rede‹ bzw. ›Reihe von Nennungen‹. Die Untersuchung der historischen Semantik hat darüber hinaus gezeigt, dass neben der semantischen Bestimmung vor allem eine pragmatische Funktion von zal und zeln hervortritt. Die zal ist neben der ›Anzahl‹ bzw. ›Gruppe‹ und der ›Rede‹ das in der Welt wirksame ›Urteil‹. zeln bedeutet neben ›erzählen‹, ›aufzählen‹, ›darlegen‹, ›argumentieren‹, ›rechnen‹ und ›zählen‹ eben auch ein in der Welt wirksames ›Bewerten‹, ›Zusprechen‹ und ›Zuordnen‹. Die Funktion der Kerbhölzer als Zählmedien ist es gewesen Quantitäten festzuhalten. Als Merkzeichen ist den Kerben jedoch sowohl ein diskursiver als auch ein pragmatischer Aspekt zugekommen: ein diskursiver Aspekt, insofern die Referenz der Kerben Gedächtnishinhalte adressierte, über die nur in Form von Rede Einvernehmen erziehlt werden konnte; ein pragmatischer Aspekt, insofern als dass die Kerben ihre Geltung nur im Zusammenhang einer mindestens mikrozeremoniellen Rahmensituation erhalten konnten, in die die Beteiligten eingebunden waren. Das legt die nach Heusler referierte Genese des Schuldstocks aus dem wadium nahe, aber auch die Initiale aus dem Tennenbacher Güterbuch und die archäologische Überlieferung aus Novgorod. Bedingt kann auch die zeremonielle Ordnung des Exchequer-Amtes hier hinzugezählt werden, obwohl die Situation des Kerbens und der Anwendung der Kerbhölzer mitunter weit zerdehnt sein konnte.446 Ohne eine solche ritualisierte Rahmensituation und ohne Rede der Beteiligten zählte ein Kerbstock sicher nichts.447 Für die diskursiv-pragmati 445 Clanchy 1979, S. 96, Ellmers 1995, S. 215. 446 Die Zerdehnung gilt nicht für den Gebrauch der excheqeur tallies im Schatzamt, wohl aber, wenn Kerbhölzer als Schuldschein oder Wechsel ausgegeben wurden. Zur ›Zerdehnung‹ als Kriterium von Textualität Ehlich 1983. 447 Ein ausdrücklicher Beleg dafür ist nicht überliefert. Ellmers 1995 jedoch geht auf Grund seiner Koggenfunde davon aus, dass die Fracht-Verträge, die nach Vogel »mündlich[ ], meist wohl vor Zeugen und bei einem Krug Bier« (Vogel 1915, S. 391, 397) abgeschlossen wurden, bis zu ihrer Ablösung durch Listen und schriftliche Verträge auch auf der Basis von Kerbhölzern © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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sche Dimension des Kerbgebrauchs wurde in Abgrenzung von der operativen Dimension des Kerbgebrauchs die Bezeichnung des ›lokutorischen‹ Kerbzeichens vorgeschlagen. Sie bindet den Kerbgebrauch an die vielfältigen Formen des ›lokutorischen‹ Zahlgebrauchs in den schriftlichen Quellen an. Der früheste lexikographisch dokumentierte Beleg, der die Zahl in einem Satz mit der Kerbe nennt und die etymologische Projektion auch für die geschichtliche Zeit einlöst, gehört in ein Fastnachtspiel aus dem 15. Jahrhundert: die zal die steet noch an meiner kerben (B’11). Das Wort Kerbe überhaupt ist erst seit dem 14.  Jahrhundert belegt, früher jedoch in der Verbindung kerbholz. Eine erste Sichtung des Wortfeldes hat gezeigt, das es das Wort ahd./mhd. krinna / krinne sowohl in der formal-technischen als auch der obszönen übertragenen Bedeutung weitgehend ablöst. Später ist noch der Ausdruck reitholz hinzugekommen, der über das Verb mhd. reiten an der Kerbnotation den Aspekt der Anordnung und Sequenzialisierung besonders hervorhebt. Es ist wahrscheinlich, das eine umfassende Wortfelduntersuchungen, die die umliegenden europäischen Sprachen und insbesondere das Lateinische einbeziehen müsste, genauere Vorstellungen über die mit dem Kerbakt verbundenen Konzeptionen ermöglichen würde. Sie könnten auch zeigen, inwieweit möglicherweise die Bezeichnungen für Kerben und Zählhölzer im Sprachkontakt über Grenzen gewandert sind. Diese Ergebnisse wären wieder auf den rechts- und wirtschaftsgeschichten Gebrauch der Kerbhölzer zurückzubeziehen. Memorialität und Operationalität Die Kerbhölzer reihen sich zeichenpraktisch bruchlos in das Spektrum der vielfältigen mittelalterlichen Zeichenverwendungen ein. Kerbhölzer sind zunächst Zählhölzer. Sie sind jedoch nicht monotypisch, sondern gehen unterschiedliche mediale Allianzen ein. Auf ihnen verbinden sich Hausmarken mit ikonisch-operalen Zählkerben, aber auch mit notational-operativen Kerben und alphabetschrift­lichen Anmerkungen. In diesem stillen und auf den ersten Blick glanzlosen Auschnitt der materiellen Überlieferung finden sich Dokumente einer revolutionären Dynamik. Wenn mit der Profanisierung der festuca zum wadium im 9.–11. Jahrhundert aus der ›sakramentalen‹ Geste des Kultes die Vorstellung einer diskreten Quantität herausgelöst wird, wird mit den schriftförmigen Kerbhölzern des 13. und 14. Jahrhunderts die operative, aber personen-gebundene Quantität zur personen-abstrakten operativen Zahl weiterentwickelt, die dann ihrerseits an operationale realisiert werden konnten (Ellmers 1995, S. 214–216). Auf das Verblassen einer entsprechenden mikro-zeremoniellen Situation im Gedächtnis (oder auf ein mangelhaft markiertes Kerbholz) könnte das Ungeschick eines Schiffers zurückzuführen sein, der »in Reval 20 Tonnen H ­ ering in Depot gibt, die er in Schonen geladen hat, und von denen er nicht mehr weiß, wem sie ge­ hören.« (Vogel 1915, S. 397). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Rechenverfahren angeschlossen werden kann – eine Entwicklung, die mit der semantischen Verengung der Wörter mhd. zal und zeln auf quantitative Aussagen im urkundensprachlichen Bereich und schließlich mit der generellen semantischen Besetzung des Wortes Zahl durch das Konzept der ›Ziffer‹ zusammenfällt. An dem Kerbstock von Helgeandsholmen konnte gezeigt werden, wie die einfache ikonische Kerbung durch die zusätzliche Repräsentation von Achterbündeln die Qualität einer schriftlichen Notation erhielt. Dieser unscheinbare Befund ist Zeuge für das Eintreten der notationalen Operationalisierung in die Gedächtniskultur des Mittelalters.

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Mit den Instrumenten der Etymologie und Wortgeschichte, der historischen Semantik und der Sachgeschichte ist das Terrain der Geschichte des numerischen Wisssens im Mittelalter exemplarisch vermessen worden. Die Arbeit versucht eine Historisierung der Semantik und Praxeologie von Zahl und Zählen jenseits der gelehrten Tradition. In Absetzung von der modernen, dominant quantitativen Semantik des Wortes Zahl rekonstruiert sie einen mittelalterlichen Wortgebrauch, der diskursive und quantitative Mitteilungen nicht prinzipiell trennt; vor dem Hintergrund einer modernen Konzeption der operationalen Ziffern entwirft sie ein Szenario des konzeptuell fremden operalen Zeichengebrauch der Kerben. Die Studie setzt, heute, in einer gesellschaftlichen und kommunika­ tionspragmatischen Situation an, in der Zahlangaben im Regelfall eine rationalistische Weltauffassung repräsentieren und schon darum Geltung entfalten; und sie führt in eine gesellschaftliche und kommunikationspragmatische Situation, in der die zal Geltung hat, weil sie die Aussage eines besonders machtvollen Sprechers oder eines glaubwürden Zeugen ist.

Ergebnisse (1.) Aus einer Übersicht über Fallstudien zum mittelhochdeutschen Zahlgebrauch und über entsprechende Bewegungen im Disziplinenspektrum des akademischen Wissens ist ein zusammenhängendes Forschungsfeld herausgearbeitet worden, das ich die Geschichte des numerischen Wissens nennen möchte. Um die Alterität des mittelalterlichen Zahlgebrauchs begrifflich scharf fassen zu können, wurde der konzeptuelle Kern der Kulturtechnikforschung, die Operationalisierung, ausdifferenziert. Die Unterscheidung von Operalität (Gebrauch ikonischer Zahlabbildungen), Operativität (Gebrauch numerisch definiter Zahlabbildungen) Operationalität (Praxis der symbolischen Arithmetik) erlaubt es, Verfahren unterschiedlicher Abstraktionsstufen gleichwertig zu analysieren und damit das theoretische Potential der Kulturtechnik besser auszuschöpfen. (2.) Als Ergebnis der Fallstudienanalyse und im Sinne der begrifflichen Differenzierung wurde für den Darstellungszusammenhang dieser Studie folgende abstrahierende Arbeitsdefinition des numerischen Wissens formuliert: »Numerisches Wissen ist das orthopraktische und theoretische Wissen über die semantische und formale Kodierung von Reihenfolgen (Sequenzen und Rängen) und Mengen (Kardinalitäten und Gruppen) im sprachlich-diskursiven und (opera© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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tiv-)notationalen Handeln.« Als Wegleitung für die Konkretisierung in der Arbeit mit dem überlieferten Wort- und Sachmaterial wurden in Bezug auf die Definition drei Maximen zur Geschichte des numerischen Wissens vorgestellt, die (a) auf Materialität und Gebrauch der Zahlen, (b) auf die Verwendungszusammenhänge und Übertragungen zwischen Verwendungszusammenhängen, (c) auf die disziplinäre Verortung der Geschichte des numerischen Wissens abheben. (3.) Als Schlüssel zum Verständnis des mittelalterlichen Zahlgebrauchs wurde die Alterität des Verhältnisses von diskursiver und quantifizierender Mitteilung formuliert und als Ziel der Arbeit bestimmt, dieses Verhältnis exemplarisch auf­ zuklären. (4.) Im ersten Schritt wurde dazu die etymologische und wortgeschichtliche Forschung zum Wort Zahl aufgearbeitet. Hier konnte gezeigt werden, dass die gängige Ansicht, es habe wahlweise erst eine quantitative oder eine diskursive Wortbedeutung vor­geherrscht, aus der sich dann nachträglich Übertragungen ergeben hatten, irrt. Statt­dessen ist davon auszugehen, dass die etymologische Re­ konstruktion des Kerbaktes, auf den das Wort Zahl zurückzuführen ist, zunächst eine Semantik motiviert, in der diskursive und quantitative Mitteilung ungeschie­ den ist. Erst infolge der nachgeordneten Ausdifferenzierung der Verwendungszusammenhänge und Notationsverfahren ist eine Ausdifferenzierung der Semantik erfolgt. In der späteren Wortgeschichte, so konnte gezeigt werden, spielt zunächst der Sprachkonakt der germanischen Dialekte mit dem Lateinischen und später die Einführung der arabischen Ziffern eine besondere Rolle. Erst durch die Besetzung des Wortes Zahl mit dem Konzept der Ziffer wurde das bis dahin greifbare breite Bedeutungsspektrum von zeln auf die heute übliche Verwendung verengt. (5.) In einem Abschnitt zur historischen Semantik wurde gezeigt, dass auch im Mittelhochdeutschen nicht von einer glatt definierten Polysemie der Wörter zal bzw. zeln gesprochen werden kann. Die quantitative und die diskursive Bedeutungskomponente stehen im Verhältnis eines semantischen Kontinuums. (6.) Eine besondere Rolle spielt ferner die im sprechakttheoretischen Sinn pragmatische Funktion der Wörter zal und zeln. Zu den grundlegenden Verwendungszusammenhängen der Wörter gehört es, Bewertungen und Zuschreibungen von gesellschaftlichem Status zu formulieren bzw. im Sinne performa­tiver Äußerungen zu erzeugen. Die illokutive Kraft der Wörter zal und zeln macht deutlich, inwieweit die Ausdrücke in das strukturelle, semantische und pragmatische Relationsgefüge der Rede eingebunden sind. Um diesen Überschuss der Ausdrücke über die quantitative Referenz hinaus zu fassen, wurde der Begriff des lokutorischen Zahlgebrauchs vorgeschlagen. (7.) In einem Abschnitt über die Kerbholzüberlieferung wurde das mate­riellnotationale Komplement des sprachlichen Zählens analysiert. Zunächst wurden die greifbaren Schriftquellen und Sachfunde zusammengetragen und damit © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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eine umfassende Materialgrundlage für die Fragestellung belegt. Bei der Interpretation wurden neben den eigentlichen Zählhölzern besonders die englischen tally sticks und – im Rahmen der gegebenen Forschungslage – die germanischen Rechtsobjekte der festuca und des wadiums mit einbezogen. Im Gesamtüberblick konnte gezeigt werden, dass die kerbholzbasierte Kommunikation zwei Apekte aufweist, wie auf den ersten Blick widersprüchlich sind. Einerseits ist auf formaler Ebene eine profane Rationalisierung und Globalisierung bestimmter KerbKodes zu beobachten. Andererseits wird das Gelingen der kerbholzbasierten Kommunikiation stets durch rituelle, gegebenenfalls kultische Rückbindungen erst möglich. Durch ihre pragmatischen Gebrauchsbedingungen schließt die Kerbholzpraxis an die Sprachpraxis (bes. der Verwendung der Wörter zal und zeln) an. Auf formaler Ebene hingegen konnte die Eingliederung der Kerbhölzer in den Bereich der ›pragmatischen Schriftlichkeit‹ bestimmt werden. (7.) Während die historische Semantik von zal und zeln sich auf Sprachhandlungen bezieht, die sich im Feld von erzählen, zählen und zusprechen entfalten, decken die Kerbholz­notationen ein Handlungsfeld ab, dass durch zuteilen, zählen und zahlen markiert wird. In ihrer pragmatischen Dimension rücken damit der Sprach- und Objektgebrauch eng zusammen. In der Konvergenz bilden beide die mediale Behauptung von Werten ab. Auf sprachlicher Ebene wird auf repräsentationale Werte, auf notationaler Ebene auf materielle Werte verwiesen. S­ oziale und ökonomische Wertigkeit werden in der Perspektive des numerischen Wissens strukturell unmittelbar aufeinander beziehbar. (8.) Die Analysen unterstreichen die Bedeutung der im Eingangskapitel herausgearbeiteten Figuren des mittelalterlichen Zahlgebrauchs. Die Fragen nach der Figur des »Ganzen«, Umfassenden, nach der Figur des dividierenden Denkens und der Zahl als Ordnungsmittel, nach der Figur der nebengeordneten Arithmetik, der anschaulichen und körpergebundenen Zahl und nach der Rolle der Zahl in der locutio sind anhand der Forschungen zur schriftlichen Überlieferung formuliert worden. Die vorliegende Arbeit hat durch die kommunikationspragmatische Untersuchung der historischen Semantik und der Archäologie eine Voraussetzung geschaffen, die Figuren auch anhand der schriftlichen Überlieferung weiterführend zu erarbeiten.

Offene Fragen Folgende Arbeitsfelder und -fragen ergeben sich aus den Ergebnissen der Studie: (1.) Wortfeldstudien, gattungsspezifische und textsemantische Studien: Die Analysen haben gezeigt, dass das Verhältnis von diskursiver und quantitativer Semantik in den Wörtern zal und zeln keine semantische Anomalie darstellt, sondern kommunikations­pragmatisch begründet ist. Um die Ergebnisse zu verifizieren, zu präzisieren und auch für die benachbarten Fächer fruchtbar zu ma© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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chen, drängen sich feldsemantische Untersuchungen zur Frage auf, wie insgesamt das mittelhochdeutsche Vokabular der sachlich und sozial ordnenden und ausgleichenden Verständigung hinsichtlich seiner diskursiven und numerischen Aspekte geordnet ist. Die vorliegende, paradigmatisch durchgeführte Untersuchung ist auf der Basis von Wortbedeutungen vorgenommen worden, die korpusbedingt aus dem engen (Satz-)Kontext ermittelt wurden. Das Bild der semantischen Beweglichkeit der Wörter zal und zeln, aber auch reiten/gereiten, mezzen, recken/rechen usf. bietet deswegen nicht mehr als einen Verständnisrahmen, der künftige konkrete Textanalysen anregen und unterstützen kann. In diesen müsste der Ansatz auf textsemantischer Ebene fruchtbar gemacht werden, indem die Distribution der Ausdrücke gattungsweise oder in Bezug auf spezifische Texte untersucht würde. Dabei kann es sich um eher historiographische Quellen (Chronik, Tatenbericht, Urkunde), pragmatische Literatur (Regel, Liturgicum, Register, Traktat), höfische Dichtung (Höfische Epik und Heldenepik, Minnesang), oder die beginnende städtische Literatur (Novellistik, Meistersang) handeln usw.1 Methodisch können, sobald die korpuslinguistischen Grundlagen vorliegen, quantitative Verfahren die Sichtung und Rekonstruktion der Sinnräume und ihrer Entwicklung unterstützen.2 (2.) Geschichte des Messens: Die Frage nach dem Verhältnis von sozialem und ökonomischem Wert, die Engführung von Geltung, Prestige und Ver­sorgung zeichnet sich am Rand dieser Untersuchung ab. In keinem Überlieferungsfeld ist sie so stark verdichtet wie in der Geschichte des Messens. Zunächst unterliegt seine Bezeichnung, mezzen, semantisch einem vergleichbaren Spielraum zwischen diskursiven und quantativen Aspekten  – vom literarischen ›Dichten‹ über das kognitive ›Ermessen‹ zum ›Abmessen‹ am Objekt, im deutschen Wortschatz wie im lateinischen.3 Vor allem aber gibt die Forschungsliteratur zur historischen Metrologie4 vor dem Hintergrund der Ergebnisse der vorliegenden Studie Anlass zu einer methodischen Revision. Erstens kann die vorgeschlagene Differenzierung des Operativen auf die Überlieferung der Messpraxis übertragen werden. Die Unterscheidung von operalem, operativem und operationalem Handeln hilft, die Abstraktionsebenen der im Zusammenhang des Messens relevanten Handlungsebenen auseinanderzuhalten. Das ermöglicht es, insbesondere die manuellen Praktiken epistemologisch aufzuwerten und die Ebenen systematisch aufeinander zu beziehen. Zweitens weist die Diskussion um zal und zeln auf die Problematik der Geltung hin, die in Bezug auf die jeweilige Realisie 1 Hinzuweisen ist hier auf eine im Entstehen begriffene Monographie von Ulla Reiss über die Herausbildung einer Expertensprache in den englischen Abrechnungen des 12. Jahr­ hunderts. 2 Den Gebrauch der distributiven Korpuslinguistik in der Quellenauswertung entwirft Guerreau 1989. 3 Ansätze und Fallstudien bieten die Arbeiten in Zimmermann 1983/84. 4 Forschungsbericht zur mediävistischen Metrologie: Wedell 2010a. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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rung der Maße vor Ort stärker in die Diskussion einbezogen werden muss, gerade angesichts der explodierenden Maßvielfalt des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit und besonders im Bereich der Handelsmaße. Gemeinsam bilden die Ergebnisse eine Voraussetzung, um die unaufgelöste Paradoxie des Forschungsdiskurses, einerseits mit resignativer Geste ein zunehmendes Chaos der Maßeinheiten zu konstatieren, andererseits in generalisierender Attitüde eine grundsätzliche und stabile Systematik nachzuweisen, aufzulösen.5 Zu diesem Zweck wäre über die schriftliche Überlieferung hinaus die materielle Überlieferung einzubeziehen6 – nicht allein in normativem Interesse, sondern auch im Hinblick auf die Praktiken, mit denen die jeweilige Norm und das situations­ bedingte Ermessen in Einklang gebracht werden. Neben der Geschichte der Normen geht es, das lässt die Studie zu zal und zeln vermuten, auch beim Messen um den Ort des Quantitativen (hier: des normativ Richtigen) im Kräftefeld des Geltenden. Offen ist die Geschichte der Praktiken zur performativen Erzeugung von Maßgeltung (der technischen Umsetzung, der Ritualisierung, der gezielten Manipulation, der Stabilisierungsstrategien usw.) im Ausgleich zwischen Normwissen, praktischer Kompetenz und situativer Bedingtheit. (3.) Textgraphische Autonomisierung der Zahl. Die Herauslösung des Quantitativen aus dem Diskursiven ist auch in der textgraphischen Dimension zu be­ obachten. Die Arbeiten von Kuchenbuch zu den Registern des frühen Mittelalters und von Arlinghaus zu den Kaufmannsbüchern des späten Mittelalters setzen in der historischen Analyse, die Studien von Krämer et al. in der begrifflichen Arbeit Maßstäbe.7 Die Autonomisierung der Zahl als Ziffer auf der pa­ gina codicis ist das Komplement zur semantischen Verengung des Wortes Zahl auf die Quantität im Fluss der Rede. Gegenstand des Forschungsfeldes ist neben der breiten und weitenteils ungehobenen Überlieferung des Verwaltungsschriftguts (Einkünfteverzeichnisse, Rechnungs- und Abrechnungsbücher, einschließlich der Kerbholzüberlieferung aus der englischen Güterverwaltung8 des Mittelalters sowie aus dem deutschsprachigen Rechnungswesen der Frühen Neuzeit9) vor allem die mathematische Unterrichtsliteratur,10 aber auch der Bereich der ›gezählten Frömmigkeit‹ des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit.11 In diesen Feldern, die leicht um andere erweitert werden könnten, geht es um den 5 Die radikal optimistische Haltung gegenüber der Durchschaubarkeit und Systemkonstanz des vormodernen Maßwesens formuliert durchgängig Harald Witthöft (Witthöft 1979 bis Witthöft 2006 passim.); skeptisch Jean-Claude Hocquet in seiner Einführung Hocquet 1995. 6 S. die in Wedell 2010a angegeben Titel, für den deutschsprachigen Raum insb. Witthöft 1986. 7 Kuchenbuch (im Dr.), Arlinghaus 2000, Grube/Kogge/Krämer 2005. 8 Kuchenbuch 2002a, S.  481; Oschinsky 1971, S.  93–112, 212–257, 261–305, 438–441, 460–469, 478–491. 9 Vgl. das Objekt in Schrift-Stücke 2000, S. 133 f.. 10 S. hier unter vielen anderen die Arbeiten Swetz 1992 und Swetz 2002 sowie Gärtner 2000. 11 Angenendt et al. 1995. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Ort der Zahl im Seiten-Zeichen-Schrift-Bild-Ensemble der pagina.12 Die Veränderungen sind etwa zu fassen (a) in der stufenweisen Einbindung der Zahl in die Formate der Paginierung und Indizierung (die bislang vor allem anhand der gelehrten Überlieferung, nicht aber des frühen säkularen Verwaltungsschriftguts gehoben worden sind),13 (b) in den Linearisierungs- und Tabellarisierungsschüben der Mise en page mit den entsprechenden syntaktischen Schematisierungs- und Instrumentalisierungseffekten des Zahlgebrauchs, schließlich (c) in der schrittweisen Einbindung der Zahl in die operativen Prozesse der symbolischen Arith­metik.14 Über die Konzeptionen der Eigentumsverhältnisse, der Handelsbewegungen, des Rechenwissens und der Frömmigkeit ist, so die weiterführende These, auch durch die schier graphische Formatierung der Zahlangaben und -vorgaben Aufschluss zu erwarten. Es geht darum, hier sowohl innovative Einzelschritte zu identifizieren als auch die mentalen Habitualisierungsprozesse zu greifen, die in der bisherigen Forschung zu pauschal abgehandelt worden sind. (4.) Einwanderung der Zahl in das Geldstück: Ein für das Verständnis der Monetarisierung im Mittelalter zentrales Sinnversprechen der Etymologie, das Isidor von Sevilla im frühen 7. Jahrhundert formuliert hat, die Ableitung der Bezeichnung der Zahl, numerus, von der Bezeichnung der Münze, nummus,15 hat im späten Mittelalter eine Volte geschlagen. Mit der Einwanderung der Zahl in das Geldstück vollzieht sich die Übertragung erneut: Das Geldstück als Gegen­ stand operativer Handlungen (Pfennige stückweise summieren) wird zum Trä­ ger operativer Handlungen (Summen auf dem Geldstück schriftlich ausweisen) und gerät damit zum Index einer neuen Veränderung des Zahlbegriffs. Es geht um den Schritt vom Geldgewicht, das als tertium comparationis immer in die metrologischen Systeme der Handelsgütergewichte eingebunden ist (das diese zugleich steuert und von ihnen kontrolliert wird),16 hin zur Münze, deren Wert schriftlich ausgewiesen ist; von der Münze, die gehäuft und gezählt, deren Wert aber schließlich abgewogen wird,17 zur Münze, deren Wert grundsätzlich Gegenstand arithmetischer Prozesse ist und durch diese definiert wird. Wenn die Monetarisierung im Mittelalter neben der praktischen Erfahrung zugleich Gegenstand theoretischer Diskussion ist und über die Zuspitzung des wertanalytischen 12 Raible 1991. 13 Paradigmatisch Rouse/Rouse 1983; Rouse/Rouse 1990; Parkes 1992. 14 Die Geschichte der Zahlnotationen ist in diesem Sinne auch mit der Geschichte der Satzzeichen und der Operatoren zusammenzuführen. Historisierend anzuknüpfen wäre hier an Publikationen wie zuletzt Abbte/Kammasch 2009 zur Zeichensetzung und an die Habilita­ tionsschrift Wolfgang Schäffners zur frühneuzeitlichen Geschichte des Punkts als Operator, die derzeit zur Publikation vorbereitet wird (Schäffner 2011). 15 Isidor, Etymologiae 3.3.2 f.: Isidor Numero numus nomen dedit, et  a sui frequentatione ­vocabulum indidit. 16 Witthöft 1984 u.ö. 17 Steuer 1997. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Denkens die Entwicklung der scholastischen Naturphilosophie vorantreibt,18 so ist die Numerifizierung der Münze als Index und Objekt dieser Entwicklung zu beschreiben und zu erklären. Der nummus prägt erneut dem numerus sein Profil auf. Die Rolle, die der Zusammenhang von Münzgeldwirtschaft und kognitiver Habitualisierung für die Entwicklung des numerischen Alltagswissens spielt, ist gelegentlich gestreift worden.19 Die konkreten Schritte dieses Prozesses zwischen Mess-, Schrift- und Rechenpraxis und seine sozial-, schrift- und wirtschaftsgeschichtlichen Implikationen sind aber meines Wissens noch nicht in der wünschenswerten Detailliertheit wahrgenommen und aufgearbeitet worden. (5.) Die Zahl in der mittelalterlichen Literatur: Nicht zuletzt bilden die Ergebnisse der Arbeit eine neue Grundlage, um die Frage nach der Poïetik von Zahl und zählen wieder aufzunehmen. Grundlegend ist in diesem Zusammenhang die Einsicht, dass die vielfältigen Orte und Modalitäten des ordinativ sinnstiftenden Zahlgebrauchs im Mittelalter den sogenannten ›symbolischen‹ Zahlgebrauch erdrückend überwiegen. Das hat Folgen für die Einordnung und allfällige Weiterentwicklung der mediävistisch-literaturwissenschaftlichen Forschung zu Zahl und zählen. Die ältere Forschung im Feld der ›symbolbestimmten und formal­ ästhetischen Zahlenkomposition‹ in der mittelalterlichen Literatur ist der überhitzten Faszination einer doppelten Vision erlegen: Die Erwartung, dass einerseits den rekonstruierbaren Zahlenproportionen ein nahezu uneingeschränktes Bedeutungspotential abgelesen werden könne, überlagerte sich mit der Annahme immer komplizierterer rechnerischer Verfahren, mit denen diese Proportionen konstruiert worden seien.20 Die vermeintliche intepretatorische Universal-Lizenz des Salomonischen omnia in mensura, et numero et pondere dis­posuisti (Buch der Weisheit 11, 21)21 erweist sich als am kühlsten dort als ungedeckter Scheck, wo moderne Interpreten mittelalterlichen Autoren Kenntnisse unterschieben, die selbst in der mathematischen Avantgarde der Zeit noch nicht bekannt gewesen sind.22 Solcher Überhöhung die Spitze abzuschlagen war das Ziel der einschlägigen Arbeit von Hellgardt,23 und die sachlich nicht gedeckte Projektion mathematischer Begriffe auf literarische Erzeugnisse ist erst jüngst wieder als ›Charlataneria eroditorum‹ gegeißelt worden.24 Trotzdem ist die Frage nach der Zahl in der mittelalterlichen Literatur nicht erledigt. Es scheint allerdings, dass zuerst die vielfältigen Ordnungsangebote, Gebrauchsformen und Erfahrungsmodalitäten der Zahl im Mittelalter aufgearbei 18 Kaye 1998. 19 Murray 1978, S. 191–193; Hadden 1994, S. 85–93. 20 Kritisch rekonstruiert von Hellgardt 1973. 21 Zur patristischen Deutung Petri 1983. 22 So ist es etwa der Fall in Hans Eggers’ Überlegungen zum Goldenen Schnitt in der althochdeutschen Literatur; Eggers 1960. 23 Hellgardt 1973. 24 Hildebrandt/Purkert 2006. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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tet werden müssten, um dann, vor diesem Hintergrund die spezifische Praxis und Funktion des ›symbolischen‹ Zahlgebrauchs in Allegorese, Produktions- und Rezeptionsästhetik abheben, identifizieren und erklären zu können. Zum quadri­ vialen und philosophisch-theologischen Verständnis muss das diskursive und praxeologische Verständnis der Zahleninterpretation treten, die klärt, wo überall die ordinierende Zahl ins Beschreiben und Verstehen, Bedeuten und Erfahren der Welt eingreift. Im Anschluss an die oben formulierten Maximen zur Geschichte des numerischen Wissens im Mittelalter25 und vor dem Hintergrund der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit ginge es im nächsten Schritt um eine heuristische Vermessung des Arbeitsfeldes. In einer Themenpublikation zum Status und zur Poetik der Zahl im Mittelalter, die in engem Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit entwickelt wurde, sind in diesem Sinn fünf Achsen durch das Überlieferungsfeld vorgeschlagen worden:26 (1.) die Frage nach der Einbindung der Zahl in grammatische und diagrammatische Ordnungsentwürfe und die Perspektiven deren instrumenteller Nutzung; (2.) die problematischen Aneignungen kosmischer Ordnungen, die in der konkreten Überlieferung grundsätzliche Klischees ›mittelalterlicher‹ Formästhetik unterlaufen; (3.) die Zurichtung des Leibes und der Imagination, wie sie durch mikrokosmische Körperkonzepte und die frömmigkeitspraktischen Maßnahmen zur Disziplinierung und Entwicklung der geistig-seelischen und körperlichen Selbstwahrnehmung vorangetrieben werden; (4.) das Problem der Zergliederung der Welt, das immer am Anfang jeder operativen Weltbeherrschung steht, das in den mittelalterlichen Quellen aber gänzlich heterogen formuliert und gelöst wird; (5.) schließlich, vor dem Hintergrund der vorangehenden Fallstudien, erneut die Frage nach der Gestaltung von Bedeutungsgefügen: nach der Umsetzung narrativer Verknappungen, tektonischer Formatierungen und sinnstruktureller Übertragungen, die unter Einbeziehung der arithmetischen und geometrischen proprietates der Zahl konstruiert werden. (6.) Unzählbarkeit: Die vorliegende Studie entwirft am methodischen Paradigma der historischen Semantik (hier der Wörter Zahl und zählen) und ihres praxeologischen Komplements (hier dem Kerbholz) einen Auschnitt des Prozesses, in dem sich die Landnahme des operativen Quantifizierens im Feld des Ungezählten anbahnt. Als Negativ-Folie des Zählens und Zählbarmachens prägt noch im Mittelalter die Ubiquität des Unzähligen und Ungezählten das Bild, das die Überlieferung von der numerischen Orientierung in der Lebenswelt zeichnet. Die herkömmliche Forschung hat diesen Befund als Ausweis einer teleologischdefizitbestimmten »numberlessness« des Mittelalters abgebucht.27 Die Ergebnisse der vorliegenden Studie lassen diese Sicht als anachronistische Blickverengung 25 Kap. I.3.2 dieser Arbeit. 26 Wedell (im Dr. a). 27 Murray 1978, S. 174–180. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Schluss

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erscheinen und fordern dazu auf, nach alternativen Erfahrungs-, Ordnungsund Deutungsmustern zu fragen, in denen der Befund positiv bestimmt werden kann. Nicht die Absenz des Zählens als epistemisches Defizit ist zu konstatieren, sondern gerade die Abstinenz von der zal als generell verfügbares Medium zur Stiftung und Sicherung von Ordnung ist zu verstehen. In welchem Verhältnis steht die Hegemonialität des Unzähligen zur Bescheidenheit und Funktionalität des qualitativen Untergliederns vor der Zählung? Wo überall wird ein Verzicht auf die zal diagnostiziert oder programmatisch inszeniert? Wo wird er als Mangel und wo als ordnungsgemäß und wünschenswert erachtet? Welche Urteile über die Zählenden verbinden sich damit? Zu erörtern sind, allgemeiner gesprochen, die institutionellen, religiösen und politischen, die kommunikativen und wissensgeschichtlichen Bedingungen und Interessen, unter denen gerade nicht gezählt und vielmehr die Grenzen des Zählens benannt werden. Der Problemkomplex spiegelt sich in der Frage, die der sperrige syntagmatische Befund der Korpusarbeit aufwirft: Warum ist die häufigste Verbindung, in der die mittelhochdeutschen Wörterbücher das mittelhochdeutsche Wort zal belegen, die Wendung âne zal?

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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Strukturschema zur Etymologie von Zahl und zur Genese des semantischen Spektrums. Abb. 2: Kerbhölzer, Kelchalpe/Tirol (Österreich), frühe Spätbronzezeit (13. Jh. v. Chr.). Abb. nach Pittioni 1947, Tafel 15, Nr. 1–4 und Tafel 16, Nr. 1–4. Abb. 3: Wikingisches Kerbholz, Faröer Inseln (Dänemark), 10. Jh. Abb. nach Roesdahl 1992, Objekt 318. Abb. 4: Kerbhölzer, Groß Raden/Mecklenburg (Deutschland), 9./10. Jh. Abb. nach Schuldt 1985, Abb. 143, Nr. 137 und ebd. Abb. 145, Nr. 164. Abb. 5: Kerbholz, Scharstorf/Schleswig-Holstein (Deutschland), 12. Jh. Abb. nach Meyer 1990, Kat.-Nr. 321, Tafel 39. Abb. 6: Holz mit Kerben (Maßeinteilungen?), Pößneck-Schlettwein/Thüringen (Deutschland), 13.–15. Jh. Abb. nach Timpel 1982, Tafel 41. Abb. 7: Stab mit eingeritzten Zeichen, Elisenhof/Schleswig-Holstein (Deutschland), früh­ geschichtlich. (1) Seitenansicht. Abb. nach Szabo/Grenander-Nyberg/Myrdal 1985, Tafel  33, Nr. 263, (2) Aufriss. Abb. nach ebd. S. 141, Abb. 135, Zeichnung: A. Djerf. Abb. 8: Aufgebotsstab, Hemdrup/Nibe auf Jütland (Dänemark), ohne Datierung, Seitenansicht (1) und Aufriss (2). Abb. nach Szabo/Grenander-Nyberg/Myrdal 1984, S. 141, Abb. 136. Zeichnung: B. von Knorring nach Andersen 1971, S. 20 f. Abb. 9: Kerbholz, Freiberg/Sachsen (Deutschland), ohne Datierung. Abb. nach Gühne 1991, S. 55, Abb. 30. Abb. 10: Kerbholz, Bremen (Deutschland),12./13. Jh. Kloakenfund, Fundort Wachtstraße. ­Focke Museum Bremen, Inv.-Nr. U 12082. Abb. 11: Kerbholz, Kollerup (Dänemark), 13./14. Jh. Koggenfund. Abb. nach Ellmers 1995, S. 215, Abb. 9, Zeichnung: P. K. Andersen. Abb. 12: Kerbhölzer, Bryggen/Bergen (Norwegen), ohne Datierung. Abb. nach Ellmers 1979, S. 215, Abb. 10, Zeichnung: R. Breden. Abb. 13: Kerbhölzer, Augustiner-Kloster in Freiburg/Baden-Württemberg (Deutschland), 14./15. Jh. Abb. nach Müller 1996, Tafel 32, Nr. 1–4 (hier 1–4) und 7–10 (hier 5–8). Abb. 14: Kerbholz/Mess-Stab, Bryggen/Bergen (Norwegen), ohne Datierung. University Museum of Bergen, Archiv-Nr. BMR 076/8102, Foto: Svein Skare. Abb. 15: Kerbhölzer Typ I, Bryggen/Bergen (Norwegen), 1150–1350. University Museum of Bergen, Archiv-Nr. BRM 000/37387 und BMR 493/50506, Fotos: Svein Skare. Abb. 16: Kerbhölzer Typ II, Bryggen/Bergen (Norwegen), 1150–1350. University Museum of Bergen, Archiv-Nr. BRM 000/21489, BRM 000/20370, BRM 000/32044, BRM 000/29761 und BRM 000/16461, Fotos: Svein Skare. Abb. 17: Kerbholz, Bryggen/Bergen (Norwegen), 1150–1350. University Museum of Bergen, Archiv- Nr. BMR 000/16568, Foto: Svein Skare. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 18: Kerbhölzer Typ III, Bryggen/Bergen (Norwegen), 1150–1350. University Museum of Bergen, Archiv-Nr. BMR 000/11628, BMR 000/2081/02, BMR 000/30529 und BMR 000/18003, Fotos: Svein Skare. Abb. 19: Kerbholz Typ IV, Bryggen/Bergen (Norwegen), 1150–1350. University Museum of Bergen, Archiv-Nr. BRM 000/107603/01, Foto: Moritz Wedell. Abb. 20: Kerbholz Typ V, Bryggen/Bergen (Norwegen), 1150–1350. University Museum of ­Bergen, Archiv-Nr. BRM 000/9033, Foto: Svein Skare. Abb. 21: Kerbhölzer ohne Typ, Bryggen/Bergen (Norwegen), 1150–1350. University Museum of Bergen, Archiv-Nr. BRM 000/11511, BRM 000/19892, BRM 000/20846 und BRM 000/30208, Fotos: Svein Skare. Abb. 22: Exchequer-Tallies, London (England), 13. Jh. Public Record Office, Londen, ArchivNr. E. 402–2, Tray 1: Nr. 2, Nr. 8, Nr. 10, Nr. 11, Nr. 19, Nr. 20 und Nr. 21. Abb. 23: Gabelkerbholz, Turku (Finnland), ohne Datierung. Abb. nach Grandell 1982, S. 95, Bild 19. Abb. 24: Milchabrechenhölzer, stia da latg, Tavetsch/Graubünden (Schweiz), Anf. 20. Jh. Museum der Kulturen Basel (Abt. Europa), Archiv-Nr. VI 316 – VI 323, VI 17101 und VI 17102 (Berther-Gruppe und Büchli-Gruppe). Foto: Museum der Kulturen Basel. Abb. 25: Die sog. ›Mönchsziffern‹, glossiert durch arabische Ziffern, Brüssel (Belgien), spätes 13. Jh. Brüssel, Bibliothèque Royale, MS Brussels BR II.1051, fol. 1r. Abb. 26: notae be Isidor, Libri etymologiarum I, xxi (De notis sententiarum), 1386. Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Weissenburg MS 64, fol. 13v. Abb. 27: Zeichen von Grosseteste, Moralia in Iob III, ohne Datierung. Oxford, MS Bodley 198, fol. 120v. Abb. 28: Private Tallies, beschriftet, London (England), 13. Jh., Public Record Office, London, (1) und (2) Archiv-Nr. E. 101/505/34, (3) und 4) Archiv-Nr. E. 101/482/22. Abb. 29: Abrechnungsholz, Vilney/Waadtland (Schweiz), um 1900. Abb. nach Gmür 1917, S. 106, Tafel 23. Abb. 30: Milchmesstesslen, Tachères, Alp de Torrent/Wallis (Schweiz), 1860 und 1866. Abb. nach Stebler 1907b, S. 189, Fig. 22 Abb. 31: Notation auf einer Milchmesstessle des Feldersenntums von Ulrichen/Wallis (Schweiz), 1893. Abb. nach Stebler 1907b, S. 189, Fig. 22. Abb. 32: Notationen auf Sonnenuhren und Kalendern, 14.–16. Jh. Abb. nach Schaldach 1998, S. 46. Abb. 33: Holzkalender, Wien (Österreich), 15.  und 16.  Jh. (1) Holz-Kalender aus dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts. Sammlung Figdor, Nr. 800, (2) Holzkalender aus den Jahren ­1526–1544. Sammlung Figdor, Nr. 799. Abb. nach Riegl 1888, hier Tafel V (Detail) und Tafel IV. Abb. 34: Röderzeichen, Köln (Deutschland), 1300–1500. Abb. nach Kuske 1923, Appendix. Abb. zu Bd. II, Nr. 555. Abb. 35: Zeichnung von Weinfässern mit Markierung, Lübeck, 1506. Abb. nach Schäfer 1880/81, zwischen S. 100 und 101. Abb. 36: Steingewichte, Österreich, ohne Datierung. Sammlung Eiselmeyer, Linz, Foto: ­Moritz Wedell. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525367162 — ISBN E-Book: 9783647367163

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Abb. 37: Kugelzonengewichte aus dem Ostseeraum mit Punkten und Kerbzeichen auf Pol oder Wandung, späte Wikingerzeit (10.–12. Jh.). Abb. nach Steuer 1997, S.  312, Abb. 228, Nr. 7–9. Fundorte: (1) Koirakallio, Karkku, Satakunta (Finnland), Grabfund, Museum Helsinki 3995:5; (2) Aatservainen, Kuolajärvi, Salla, Lappa (Finnland), Schatzfund, Museum Helsinki 37; (3) Vifärna, Kulla, Uppland (Schweden), Museum Uppsala UMF E. C. 977. Abb. 38: Abbundzeichen, Lübeck/Schleswig-Holstein (Deutschland), Haus Königstraße 5, Seitenflügel, noch 14. Jh.? Abb. nach Wrobel/Holst/Eckstein 1993, S. 228 Abb. 45c. Abb. 39: Hauszeichen, Raum Mecklenburg/Mecklenburg-Vorpommern (Deutschland), 15.–19. Jh. Abb. nach Homeyer 1870, Tafel 18. Abb. 40: Steinmetz-Zeichen, Münster, Ulm/Baden-Württemberg (Deutschland), um 1377. Abb. nach Rziha 1883, S. 34, Nr. 649–668 in der Schematisierung von King 2001, S. 326, Abb. E.5. Abb. 41: Marco Polo, Li Livres du Graunt Caam, Oxford, Ms. Bodley 264, fol. 244r (Detail). Abb. 42: Eingangsinitiale Tennenbacher Güterbuch, f. 1v (Detail), Anf. 14.  Jh. Landesarchiv ­Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe. Abb. 43: Kerbholz mit Zeichenbündeln, Helgeandsholmen/Stockholm (Schweden), 1300–1350. Abb. nach Grandell 1984, S. 242. Abb. 44: Kerbholz mit Zeichenbündeln, Bryggen/Bergen (Norwegen), um 1200. Bergen University Museum, Archiv-Nr. BMR 000/17428, Foto: Svein Skare. Abb. 45: Kerbhölzer mit Sockel, Bryggen/Bergen (Norwegen). Bergen University Museum: (1) Archiv-Nr. BMR 000/24951/02, 2. Hälfte 13. Jh., (2) Archiv-Nr. BMR000/53394, um 1300, (3) Archiv-Nr. BMR 000/15551, 1. Hälfte 14. Jh. Fotos: Svein Skare. Abb. 46: Kerbholz, Bryggen/Bergen (Norwegen), um 1300. Bergen University Museum, ArchivNr. BMR 000/53424, Foto: Svein Skare. Abb. 47: Kerbholz, mit Runeninschrift, Bryggen/Bergen (Norwegen), ohne Datierung. Bergen University Museum, Archiv-Nr. BRM 000/88800, Foto: Svein Skare. Abb. 48: Kerbhölzer, Novgorod. Datierung: (1) 1. Hälfte 11. Jh., (2) 1. Drittel 13. Jh., (3) 1196– 1207, (4) 1340er-1350er-Jahre. Abb. nach Kovalev 2000, Abb. 5, Fundnachweise: (1) Troits Dig, 1993, Layer 14, quad. 1193, (2) Trois Dig, 1979, Layer 9, quad. 356; (3) Troits Dig, 1973, Layer 14, quad. 23, (4) Suvorov/Mikhilovsk Dig, 1970, Layer 17, quad 86. Abb. 49: Gesplisste ungeteilte Kerbhölzer, Novgorod, Datierung: (1) 1. Hälfte 11. Jh., (2) 1. Hälfte 12. Jh. Abb. nach Kovalev 2000, S. 151 f., Fundnachweise: (1) Troits Dig, 1993, Layer 13, quad. 1204, (2) Troits Dig, Layer 9, quad. 1209. Abb. 50: Schema des Zuschnitts und der Kodierung von Exchequer Tallies. Abb. nach dem Kommentar zur Ausgabe Ricardus de Ely, Dialogus de scaccario (Siegrist), S. 374. Abb. 51: Kerbholz mit Inschrift, Heidelberg, 16.  Jh. Latrinenfund (Kornmarktlatrine). Abb. nach Lutz/Prohaska- Gross/Schwerdel-Schmidt 1992, S. 17. Abb. 52: Einbindung von Kerbhölzern in Papierakten, Landshut, 1577. Beide Hölzer ein­gelegt in Aktenband. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kurbayern, Äußeres Archiv 54, nach Bl. 314. Abb. 53: Ogham-Alphabet und Ogham-Ziffernfolge. Abb. nach Gerschel 1962/63, S. 134–136.

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Register

Wörter ae. tæl n.  111 ae. talian swV  111 ae. talu n.  111 ae. tellan swV  111 ae. wrîtan stV  193 ahd. *wiomihhil st f. 171 f. ahd. bechenneda st. f.  170 ahd. bizellen swV  172, 173 ahd. einkirpi/einkhirpi adj.  189 ahd. frambringan anom. V. 172 ahd. garîzzan stV  193 ahd. giblabazzen swV 172 ahd. ginuzzen swV  172 ahd. girîman swV  172 ahd. giruobon swV  172 ahd. gisagen swV  172 ahd. giwahan stV  172 ahd. giwahanen swV  172 ahd. gizalon swV  172 ahd. irrahhon swV  172 ahd. irredinon swV  172 ahd. irrîmen swV  171 ahd. irsagen swV  172 ahd. irzellen swV  99, 117 f., 172, 178 ahd. kosen swV  172 ahd. koson swV  172 ahd. krinna sw f. 189–191, 303 ahd. krinnôn swV  189 f. ahd. kwedan stV  172 ahd. kwitilon stV  172 ahd. mari gituon anom. V.  172 f. ahd. mari tuon anom. V.  172 ahd. mezzan stV  172 ahd. rahhon swV  172 f. ahd. reda stsw f.  170, 172 ahd. reda tuon anom. V 172 ahd. redon swV  172 ahd. rîm st m.  118, 171 f. ahd. *rîman swV  172 ahd. rîmen swV  171 f. ahd. rîzan stV 193 ahd. ruoba st f. 86, 118, 171 f.

ahd. ruobon swV  172 ahd. sagen swV  172 f. ahd. scrîban stV  193 ahd. situfangon swV  172 ahd. untarzellen swV  172 ahd. uuîstuom st m.n.  170 ahd. zalon swV  111, 172 f. ahd. zellen swV  99, 102, 111, 117 f., 122, 167, 172 f., 177 f. anord. telja V  102, 106, 111 anord. tal n.  106, 111 anord. tala f.  111 as. tal n.  106 as. talôn stV  111 as. tala f.  111 as. wrîtan swV 193 engl. recount V  100 engl. tell V  99–103, 106, 111 frnhd. anzal f.  119 frnhd. czeler m.  119 frnhd. gantze zal f.  119 frnhd. zallung f.  119 frnhd. zyffer tzale f.  119 germ. *tala/-ō n.f.  98 germ. *talija- swV  99 germ. *taljan swV  97, 100 f., 106 got. mêljan swV  193 idg. *del-  101, 107 idg. *del- (*dol-), *dele- 101 lat. dolāre 98 mhd. ane sprechen stV  175 mhd. beahten swV  172, 174, 179 mhd. bescheiden swV  172, 175, 179 mhd. bezeln swV  172 f., 175 mhd. diuten/tiuten swV  172, 175 mhd. durchzeln swV  174

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Register

mhd. ermæren swV  172, 175 mhd. erzellen swV  99, 175 mhd. erzeln swV  99, 172 f., 175, 178 mhd. gereiten swV  172, 174, 179, 308 mhd. gezellen swV  174 mhd. gezeln swV  172–174 mhd. halten stV  172, 179 mhd. lesen stV  172, 175, 179 mhd. maere machen swV  172 f., 175 mhd. maere sagen swV  172, 175 mhd. malen swV  180 mhd. mezzen stV  172, 173, 175, 179, 308 mhd. nemmen stV  172, 174, 179 mhd. nennen stV  174 mhd. prüeven svW  172, 174 mhd. rechen swV  172–175, 179, 308 mhd. rechenen swV  172, 174 mhd. recken swV  172 f., 175, 179 mhd. reiten swV  172, 176, 179, 192 f., 303 mhd. sagen swV  170, 172f, 177, mhd. schrîben stV  172, 176, 179 f., 182 mhd. setzen swV  172, 177, 179, 186 mhd. spellen swV  172, 177 mhd. tolken swV  172, 177 mhd. ûz ziehen stV  177, 179 mhd. verjehen stV  172, 177, 179 mhd. verzellen swV  177 mhd. verzeln swV  172, 177 mhd. volreiten swV  176 mhd. zal f.  14 f., 79, 93, 95, 98 f., 119 f., ­123–157, 165, 167, 169–173, 178–182, 188, 257, 302–309, 313

mhd. zal sprechen stV  172 mhd. zal tuon anom. V 172 mhd. zalen swV  176 f. mhd. zaln swV 156, 168 f., 172 f., 176–178 mhd. ze maere machen swV 175 mhd. zelen swV  160, 176 f. mhd. zellen swV  99, 158 f., 167, 172 f., ­176–178 mhd. zeln swV  14 f., 93–95, 99, 103, ­123–126, 139, 153–182, 192, 302, 304, 306–309 mhd./frnhd. crena f. 189 f. mhd./frnhd. kerbe f. 188, 191 f. mhd./frnhd. kerben swV 189, 191, 193 mhd./frnhd. krinne f.  189 f., 303 mhd./frnhd. raiten/reiten swV  172, 176, 179, 192 f., 303 mlat. assertio f.  115 f. mlat. calculus m. 115 mlat. ratio f.  117, 170 mlat. suggestio f.  115, 116 mlat. summa f.  115 f. mlat. supputatio f.  115 f. mlat. tessera f.  190 mlat. textus m.  83, 115 f. mndd. tal f.  111 mndd. tellen V.  111 urgerm. *talô m.  97, 106 vlat. taliare V.  100 f., 109

Personen und Sachen 1st-order-Techniken  87, 89 2nd-order-Techniken 87 Abakus  49, 77, 79, 90, 118 Abbildung, ikonische  110, 113, 215, 305 Abbundzeichen 231 Abgaben  14, 265–267, 277, 279, 298 Abrechnung  46, 64,  254, 270, 291, 308 – buch 309 – holz  222, 238 – praxis  47, 239, 287 – scheit 222 – vorgang 266  Abstraktion  88, 278

Abstraktionsbildung 20 – ebenen  88, 308  – grad 111  – stufen  44, 89, 305 abzählen  37, 99, 103 Administration 196, 234, 236, 240, 264, 283 Akt  14, 100, 164, 166, 192, 249, 251, 255 – der Aneignung  13 – der Eichung  191 – der Notation  193 – des Schreibens  266 – des Zählens  13, 27, 63, 93 f. –, performativer  243, 247

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Register –, symbolischer 246 –, verbalsprachlicher 164 Algorismus  18, 47 f. Alkuin  26, 37, 43 Alphabet  37, 73, 196, 215 f.. 288 – schrift  110, 181, 292, 294–296 Amtsfronstock  185 f. Archäologie  83, 93, 193, 196, 202 f., 300, 307 Argumentstruktur 169 Aristoteles  25, 26–29, 62, 117, 278 Arithmetik  20, [23], 25, 47, 262 – Heils- 54 – Proto-  22, 89 –, algorithmische  47 f., 53, 76 –, formale 22 –, nebengeordnete  68, 307 –, spekulative 48 –, symbolische  22, 90, 305, 310 –, theoretische  22, 91 Arrha  244, 251 f. Aufgebotsstab 201 aufzählen  13, 33, 99, 101, 103 f., 106, 108, 111, 115, 137, 160 f., 166, 174–177, 192, 302 Aufzählung  13, 52, 55, 102, 111, 116, 138, 148, 156, 160, 197 Augustinus  26, 29, 31–33, 37, 63 Autorität/Autorisierung  94, 149 f., 153, 158 f., 178, 181 baculum  244 f. Beda Venerabilis  23, 28, 37, 65, 286 Bede-Quittierung 187 Bedeutung  30, 41, 56, 79–82, 86, 93 f., 98 f., 102–190, 253, 257, 302 f., 307 – geschichte  82, 106, 114, 193 – kontinuum/semantisches Kontinuum  81 f., 122–124, 137 f., 165, 306 – spielraum  115, 118, 122, 127 Beglaubigung/beglaubigen  153, 181, 238, 246 f., 253 Beile  185, 188, 242 Beitholz 185 Bengel 185 Berechnung  19, 32 f., 110, 116, 138, 197, 206, 292 Berthold von Regensburg  35–37, 63, 157 Berufszeichen 263 Besitzzeichen 233 Beweis  187, 252, 257, 259 Bierstock  185 (vgl. 263) Birkenrinden-Inschriften 276 f., 292, 298

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Boethius  25 f., 29, 31, 43, 48, 63, 68 Bonaventura 29 Borgkauf  14, 236, 263, 279  Botenstab 294 Buch  158, 180, 266, 286 f. ­– druck  37, 49 f., 70, 74, – druckzeit 47 Buchführung  45 f., 101, 183, 285 –, doppelte  19, 285 Buno, Johannes  121 Bürge, Bürgschaft  177, 243 f., 251 f., 279 Buße  50–52, 251 – Fasten-  51 f. – Tarif- 51 calculus digitalis (s. a. Fingerzahlen)  118 Cargo-Checking 94 carta partita, excisa, indentata 243 Cassiodor 25 Chirograph  193, 243 computatio 117 computus/compotus  286, 301 – computus digitalis (s. a. calculus digitalis)  24 countertally (s. a. foil, tally) 213 Dehemkerb 185 dekur/dikur/dekrar (Maßeinheit)  270 Dendrochronologie 197 Diagrammatik  24, 34, 66, 73, 76, 312 Diophantus 76 dividierendes Denken  43, 68, 307 Dorfspan  185 f. do ut des  51, 64 Drittberechtigung  253 f. Drittverpflichtung  253 f. Eigentum  42 f., 219, 231, 267, 239 f., 242, 245, 247, 255, 257, 265, 267, 310 Eigentumsbestimmung  242, 257 – marken 231 – übertragung  246, 285 – zeichen  231, 257 f. Eigentümer  233, 300 Einlegetessle 185 Einsatz 185 Erinnerung  46, 184, 238 f.123, 267, 283, 293 Erinnerungszeichen  13, 95, 113, 167  – marke 238 – stock  300 f. – wissen 265

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Register

Ertrag  14, 44, 46, 267 erzählen  13–15, 18, 93, 98–108, 113–115, 117 f., 121–123, 158, 160, 165, 171–173, 175–178, 182–184, 192, 302, 307 Etymologie  13–15, 21, 56, 93, 95, 97–107, 109, 114–117, 121, 125, 138, 166, 171, 183 f., 189, 239, 256, 195, 301–303, 305 f., 310 Etymologische Projektion  95, 115, 183 f., 295, 301–303, 306 – Rekonstruktion  13 f., 97, 121, 183, 256, 301, 306 Euklid  24 f., 27, 62, 75 exchequer tallies  208, 212 f., 219, 221, ­236–238, 272 f., 278–284, 287–289, ­299–301 Exchequer-Amt  279 f., 283, 286, 302 Fahrfronstock 185 Fälschungssicherheit 279 Familienzeichen 233 Fastnachtsspiel 188 Feliciano, Francesco  25 festuca  243–253, 256 f., 303, 307 – notata  244 f., 448, 250–253, 257 Fibonacci, Leonardo  18 Finger  36, 69, 112, 157, 215, 295 – zahlen (vgl. computus digitalis)  21, 32, 118 – zeichen 31 foil (s. a. stock) 273 Formalisierung  45, 64, 66 f., 90 – geschichte  75, 79, 88, 91 Fortschrittsgeschichte 66 Freimaurerzeichen 21 Frömmigkeit  55, 65, 310 –, gezählte  23, 37, 50, 54, 64, 67 f., 309 Frömmigkeitsgeschichte  42, 50 – praxis  50, 63, 65, 235 Fronstock 185 Fuchs, Johann Jacob  188 Fuhrstock 185 Gabelholz 213 Gebet  50, 53 Gebetskatalog 90 – kette 92 Gebrauchsliteratur  67, 138, 179 – schrifttum  33, 68, 124  Gedächtnis (s. a. Memoria)  31, 35, 37 f., 92, 180, 182, 267, 272, 302–304

Gegenholz 185–187 – kerb 185 – kerbholz  185, 188, 273 – rabisch 185 – reitholz 185 – span 185 Geiler von Kaisersberg, Johannes  63 Geisteswissenschaften  20, 88 Gelöbnis 248 Geltung  53, 55, 64, 69, 81, 149, 165, 238, 252 f., 259, 270, 278 f., 283 f., 287 f., 301 f., 305, 308 Geltungsgefälle 284 Geometrie  23, 75 f. Gericht  235 f., 248, 250, 277, 287 Gewichtseinheiten 227 Gezählte Frömmigkeit (s. Frömmigkeit) Glossen  116, 143, 190 f. – wortschatz 116 Grabung  194–197, 211 – berichte  193, 195, 206 f., 274 Gratian 170 Gregor von Tours  38 Güter  14, 42, 47, 64, 164, 219, 222, 233, 238, 242–247, 252, 257, 261, 263–266, 278, 291, 309  – übertragung (s. a. Traditionssymbolik)  242 – verzeichnis  42, 44, 67, 90, 273  Halitgar von Cambrai  51 f. Halm  245, 248 Handel  120, 187, 206, 236, 265, 267, 270, 276 f., 279, 289, 298 Handelsbücher 45 – gut  219, 257 – marken  94, 226, 233, 294 – route  268, 270 – wege 277 Handfronstock 185 Haus  233, 261 – marken  94, 219, 222, 224, 226, 231, 233, 238, 246–248, 258, 294, 298, 300, 303 – namen  233 – wirtschaft  188, 192 – zeichen  222, 232 f. Helyas (Prophet)  36 Henry II (König von England)  282 Hexagesimalsystem 60 Hieronymus de Moravia  25 Hieronymus, Sophronius Eusebius  37, 159

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Register Hilbert, David  22 Höfische Dichtung  34, 124, 126, 133, 138, 143, 149, 162, 165, 167, 185, 235, 238 Holz/Hölzer  21, 101, 185, 188, 194–197, 199 f., 203–208, 211 f., 215, 219, 222, 224, 226, 238, 241, 243 f., 250, 252, 263 f.,  267 f., 270, 276 f., 281–284, 290, 292, 298 f., 301 Holzfund  193 f., 197, 199 f. – kalender  225 f. – stab/stäbchen  193, 200 f., 233, 245, 249, 290 – urkunde  192, 219, 222, 233, 237, 243 Hrabanus Maurus  27, 62 Hugo von St. Victor  32, 37 Ideen, platonische  29, 63 Ideengeschichte 82 Identifikation/Identifizierung  77, 113, 204, 222, 224, 231, 235, 257, 283 illokutive Kraft  94, 169, 179, 306 Indexzeichen  215, 218 – ziffern  217, 219, 231 Indossament  253, 256 Isidor von Sevilla  25, 180, 216 f., 219, 249, 262, 310 Jacobus Leodiensis  25 Johannes Pagus  27, 62 f. Johannes Scotus  26 Jordanus Nemorarius  25, 76, 90 Jüngstes Gericht  287 Kalender 224–226 – blatt 262 – stab 193 – zahl/ziffer  21, 294 Kalkül  13, 20 f., 50, 75, 86, 91, 120, 181 Kardinalia  56–60, 62 Kardinalität  65, 91, 94 f., 111, 113 f., 117, 120–122, 128 f., 131, 134 f., 135, 152, 155 f., 166 f., 179, 301 f., 305 –, pränumerische  114, 117 Kardinalzahl  27 f., 57, 59 f., 63 karfstock 185 Kehrtesseln  235, 238, 298 Kerbe  13, 93, 99, 101, 110, 121, 185, 188, 191 f., 195, 202, 205, 222, 224, 230, 257, 269 f., 282, 288., 301–303 Kerb 185 – akt  189, 191 f., 244, 303, 306

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– anordnung  200, [273] – brief 185 Kerbholz  13–15, 21, 89, 92–95, 98–100, 114 f., 118, 121, 167, 181, 183–303, 306 f., 309, 312 Kerbholzdefinition  193, 235 – gebrauch  14 f., 94, 100, 121, 181, 183, 188, 215, 219, 236–241, 244 f., 253, 258 f., 262 f., 267, 277–279, 283, 299 – theorie  98, 102, 107 Kerbpraxis  14, 215, 242, 287, 294 – stecken 185 – stock 185 – zeichen  110, 166, 195, 215, 230, 250, 256–258, 288 f., 299 f., 303 – zettel  186, 188, 243 kerfstock  187, 273 Kernsemantik 166 Khan Kubilai  260 f., 264 Köbel, Jacob  121 Kodierung  8, 31, 34, 38, 60, 57, 69, 74, 91, 114, 120, 122, 216, 227, 237, 240, 253, 273, 279, 281–284, 287, 305 Kogge 202 Kollektivzahlen  56, 61 Kommunikation  13, 69–72, 75, 153, ­180–182, 184, 186, 215 –, schriftliche  13, 186, 283 –, symbolische  71, 181, 214 – bedingungen  179 f. – gemeinschaft 235 – geschichte  93, 179 – situation  277 f. Kommutation  52, 65 Konfektionierung 264 Konkretion  89, 111 konstatierende Äußerungen  169 Kontrolle  89, 142, 222, 264, 266, 279, 281, 286 Konvention  78, 270 Konventionalisierung 268 Kosmos  29, 54 Krapfen 185 Kredit  14, 94, 187, 219, 235 f., 241, 268, ­272–277, 279, 292  Krinnholz  189 f. Kugelzonengewichte 229–231 Kult/kultisch  15, 94, 115, 244 f., 248–250, 252 f., 256–259, 267, 278, 283, 286–288, 300 f., 307 Kulturtechnik  47, 55, 64, 66 f., 71 f., 87–89, 93, 109, 122, 181, 242, 296, 305

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Register

Lage (Maßeinheit) 112 Lebenswelt  21, 46, 124, 179, 185, 312 Legitimation  14, 29, 38, 53, 55, 66, 68, 94, 183, 244, 252–256, 258, 263, 286 f. – szeichen  94, 253–258 Leibniz, Gotfried, Wilhelm  22, 27, 182 Liste  53, 55, 66, 92, 240, 273, 285, 292, 302 Literalisierung 183 Literalität  70–73, 292, 300 locutio  69, 307 – figurata 31 Ludolph von Sachsen  54 Mandel (Maßeinheit)  112 Mannring-Wörter 107 Marco Polo  259 f., 261, 263 f., 299 Maß – angabe  21, 231, 242, 302 – begriff  23, 61, 67 – einheit  224, 268–270, 299–301, 309 – vielfalt 309 – wesen  270, 309 Massenterm  152 f. Materialität  75, 88, 91 f., 167, 179 f., 292, 306 Medialität  71, 75, 179 Medienallianz 299 Memoria (s. a. Gedächtnis) 37, 45, 63, 263, 294, 303 Mengen  41, 57, 89–91, 110, 200, 264, 266, 268, 293, 299, 301 f., 305 – angaben  56, 114, 258, 268, 284 – abbildung  110, 113, 215 – zeichen  21, 110 Milchtesseln 214 Mise en page  35, 37, 55, 64, 66, 310 mitteilen  15, 99, 103, 126, 155, 157, 161, 165 f., 175–177, 179  Mitteilung  94, 98, 107, 110, 113, 123, 137, 149, 156, 158, 160, 167 f., 171, 179, 305 f. Mnemopraxis (s. a. Memoria)  34–37, 39, 49 Modulmaß 92 Mönchsziffern 216 Morgen (Maßeinheit)  21 Mündlichkeit  42, 67, 70 f., 86, 93, 139 f., 288 Münzgeld  280, 311 Napier (Neper), Johan  21 Napoleon 189 nennen  13, 103, 122, 155, 172, 176–179 Nennung  13, 36, 41, 43, 55, 108, 114, 135, 149, 156, 158, 160, 302

notae  193, 216, 217 Notation  23, 49, 64, 91, 113 f., 193, 224, 240, 250, 264, 266, 274, 285, 298 f., 304 Notationsfläche 214 – form/–schema 23, 55, 79, 192, 222, 224 – praxis  93, 183 – typ  19, 184, 215, 226, 233 Numeralität  72 f. numerus  25, 27, 29, 62, 79, 102, 115–117, 120, 190, 310 – numerans  27 f., 62 – numeratus  27, 62 – quo numeramus  26 f., 62 Objektivität  46, 64 Objektklasse  21, 65 Obligationenrecht (s. a. Schuldrecht) 251 Ogham 294–296 Ökonomie  17, 19, 23, 41 f., 45, 47, 51 f., 63, 92, 94, 261, 287 f., 307 f. Ong, Walter  13, 85 f., 139, 257 operal  87, 89, 110, 117 f., 122, 167, 179, 182, 267 operalisieren 89 Operalität  89, 184, 305 operatio numerantis 27 Operation  62, 88, 89 operational  87–89, 91, 179, 182 operationalisieren  88 f. Operationalisierung  8, 19, 23, 45, 49, 88–90, 113, 118, 182 f., 288, 304 f. Operationalität  88, 117 f., 297, 303, 305 operativ  87–89, 91, 110, 117, 179, 182, 257, 259, 298 operativieren  88 f., 259 Operativierung  89 f., 94 Oral Poetry  35 Oralität 70–73 Ordination  27, 68 Ordnung  29, 33, 54, 58, 65, 67 f., 89, 108, 111, 126, 132, 151, 175, 180, 201, 239, 286, 288, 302, 313 Pacioli, Luca  19, 47, 285 Parallelentwicklungs-Theorie  98, 103, 106 f. Pegolotti, Francesco Balducci  19, 48 Performanz  94, 122, 162, 166 performative Äußerung  169, 257, 306 Performativität 14, 37, 160, 166, 168 f., 243, 245–247, 257 f., 285, 306, 309

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Register Personenzeichen 258 Persönlichkeitszeichen 243 Peter von Saint-Amour  28 Petrus Bungus  30 Petrus von Ravenna  37 Philosophie  19, 23 f., 29, 62, 296, 311 Pietro Borghi  25 Polysemie  122, 124, 127, 306 Polyvalenz  124, 154 f., 181 Porphyrius 43 Pragmatik  95, 153, 168 f., 178  pragmatisch  15, 37, 41, 57, 69, 93 f., 125, 140, 149 f., 153, 155, 157, 165 f., 169, 179, 182, 185, 241, 244, 256–258, 266, 288, 293, 299–302, 305–308 Pragmatische Rechenhaftigkeit  293 Pragmatische Schriftlichkeit  293, 299, 301, 307 Praxeologie 15, 73, 122, 264, 312 Präzision  39 f. Predigt  31, 33, 35–38, 41, 54, 63, 69, 146, 150 f., 157 Priscian  28, 62, 65, 112 private tallies (s. a. tally) 208, 219–221, 237, 279, 281, 283 f., 299 f. Profanisierung  94, 257, 259, 303 Proportion  30, 32, 41, 48, 311 Protoarithmetik 89 Protoschrift 79,  94, 184, 259, 266, 288–303 Prozess, semiotischer  81, 123, 179 Prozessualität  179, 296 Quantifikation  22, 27, 39, 53, 61, 64, 267 Quantifizierung  22, 41 f., 44, 50, 54, 58, 69, 138, 181, 204, 235, 257, 264, 278 Quantität  24–27, 62, 184, 239, 303, 309 Queintz (Gueintz), Christian  121 Quittung 279 Rabisch  185, 188 Rang  14, 43, 58 f., 62, 65, 78, 113, 164, 180, 287 ratio  29, 32 f., 115, 117, 170 Rationalisierung  50, 90, 94, 278, 288, 307 Rechen – brett  21, 118, 286 – buch  74, 120 f. – operation  34, 110 – praxis  30, 47 f., 311 – stein  92, 287 – tuch  74, 90, 119–121, 262, 285

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Rechnen  18, 21, 46, 64, 77, 87, 116, 118, 121, 178, 286 Rechnung  22, 46, 49, 64, 117 f., 138, 153, 263, 277, 286 f., 291, 309 Rechnungsbuch 292 – holz 291 – legung  105, 263, 291 – wesen  277, 309 Recht  14, 78, 144, 175, 177, 180, 185 f., 189, 200, 233 f., 237–240, 242–259, 262 f., 265 f., 277, 280, 284–287, 292 f., 298, 303, 307 –, römisches 253 Redemption 65 Referentialität  112 f. Regino von Prüm  38 Register  308 f. – zeichen  215, 218 Reichel, Christoph Carl  189 Reihenfolge  91, 115, 133, 171, 178, 257, 305 Reitholz  185, 188, 192, 303 Rektion  167, 169 Repräsentation  14, 21, 32, 89, 90, 109 f., 113–115, 166, 180–182, 219, 302, 304 res  26–29, 43 f., 63 Richard von Ely  236, 240, 273, 279, 281 f., 285–287, 300 Robert Kilwardby  26 Robisch 185 Rodel  285, 287 Röderzeichen 227 Runen  192, 196, 241, 250, 256, 294 sacrum commercium  51 Säkularisierung  (s. a. Profanisierung)  48 Salimbene von Parma  35 f. Schallwörter 170 Schatzamt  213, 236, 279, 285, 287 f., 302 Schätzung/schätzen  38, 40, 87, 111, 138, 174, 176 Scheck  253, 279 f., 311 Schock  21, 112, 292 Schottel (Schottelius), Justus Georg  121 Schrift  31, 36, 38, 48, 53 f., 65, 60–71, 86, 88, 90, 110, 115, 158, 180 f., 193, 196, 215, 219, 241, 243, 250, 256, 258, 266, 286, 288 f., 291–301, 309–311  – begriff 90 – charakter 193 – gebrauch  41 f., 67, 240, 265, 300

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Register

Schriftgut (s. a. Gebrauchsliteratur)  42, 50, 63, 309 f. – kompetenz 68 – konzept 296 – kultur  68, 83, 93  – legung 278 schriftlich  13, 35, 45–47, 62–64, 67, 69 f., 73, 77, 79, 86, 94, 103, 115, 120, 139 f., 143 f., 254, 176 f., 179, 184, 186, 193, 195 f., 215, 221, 240, 242, 257–259, 266 f., 274, 279, 283, 285 f., 288, 291, 293, 295, 297, 299, 302–305, 207, 309 f.  Schriftlichkeit  42, 45 f., 66–71, 86, 93, 118, 139, 192f, 240, 256, 278, 293, 296, 299, 301, 307 schriftlos  70 f., 139  Schriftpraxis  19, 23 f., 34, 47, 49, 258, 287 – tum  42, 45, 68  – zeichen  92, 95, 193, 216, 256, 269, 289, 297 f. Schuld  51, 92, 119, 176 f., 236, 251 f., 257 – anschreibung 187 – recht (s. a. Obligationenrecht)  243, 258 – schein  280, 302 – stock 302 Schwellenwert  69, 112 f. Seele  24, 26–29, 62 Semantik  14 f., 61, 70, 79–85, 91–95, 97, 103, 107 f., 113, 118, 120 f., 131, 139, 142, 150, 153, 155, 163, 165–168, 170 f., 173, 178 f., 181, 183 f., 188, 192, 239, 244, 302, 305–307, 312  Semantik, diskursive  103, 107, 121, 153, 168, 173 Semantik, historische  14, 70, 79–83, 85, 91, 93–95, 179, 192, 239, 244, 302, 305, 307, 312 Semantik, performative  168 Semantisches Kontinuum  123 Sequentialität  113 f., 117 f., 122, 137, 166 f., 301 f. Sequenz  37, 58 f., 63, 91, 95, 112, 114, 179, 261, 263, 301, 303, 305 signum translatum  29, 53, 63 Sinnbezirk  153, 169 f., 179 Situationalität 179 Sonnenuhr  224 f. Spaltzettel 243 Span  185, 188 Spanholz 185 Spanzettel 243

species numerorum  27, 63, 67, 112, 128 Sprechakt  95, 156 – theorie/sprachakttheoretisch  14, 165, 169, 178 f., 256., 288, 306 Sprech-/Sprachhandlung  169, 179, 307 Stab  193, 197, 199 f., 206 f., 222, 224, 243 f., 247, 249, 291 Status  14, 29, 43, 55, 63, 65, 94, 125, 136, 151, 164–168, 197, 251, 267, 269, 276, 279, 285 f., 306, 312  Steinmetz-Zeichen  21, 233 f. Steuer 235 – eingang  279, 285 – einkunft 219 – eintreibung 239 – erhebung  237, 240, 267, 270, 283, 285 – quittung 213 – stock  185, 299 – zahlung 94 Stiege (nhd. Maßeinheit)  112 Stisser, Joachim Christoph  189 stock (s. a. foil) 273 Strafstock 185 Sündenschuld  188, 235 Syntax  144, 167 Tabelle  42, 45, 49, 55, 64, 66, 92 Tabulieren 42 Tacitus  195, 200, 249, 301 Tafel 193 – Kanon- 42 – Rechen- 90 taille (frz.)  100, 222, 239 f. 296 tallia (it.)  100, 240, 255, tally (engl.) (vgl. countertally, exchequer tally)  213, 219, 235, 237, 242, 272, 280, 284, 307 Tessel 185 Tessle 224 Theologie  23, 63 Thomas von Aquin  25 Thomas Waleys  37 timmer (Maßeinheit)  269 Tolomei, Andrea  254 Traditionssymbolik  245 f., 248 Traditionsurkunde  246, 249 Transport  14, 42, 89, 203, 261, 264, 268–270, 272, 280, 300  Trinität  26, 29, 32 f. Universalgeschichte  20, 62, 66 Unsagbarkeitsformel 153

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Register Urbarbuch  266 f., 278 Urkunde  144, 146, 221, 235, 243, 246, 250, 277 Urkundenliteratur 149 – sprache  94, 144 f., 148 f., 165, 189 – texte 166 – überlieferung 242 – wesen 167 – wortschatz 144 valeur informative  40 f. Verpackungseinheiten (s. a. Konfektio­ nierung) 203 Verrechnen 55 Verschriftlichung  45, 64, 73, 144  Verschriftung  35, 42–44, 57, 64, 90, 139, 144, 265, 292 Vertragssymbol 255, 256 Verwendungssituation  185, 299 Verzweigungs-Theorie  98, 102, 107 Vigesimalsystem 60 Volksrechte  239, 242–244 wadia  298, 251 f. wadiatio  244, 251–253, 256 f. wadium  243, 251, 298, 302 f. Walter of Henley  237 Wechsel  18, 253, 279 f., 302 Wechselrecht 253 Wette  244, 253 Wilhelm, Friedrich  144 William von Ockham  37 Wirtschaftsgeschichte  19, 92, 196 Wissenschaftsgeschichte 66 Wolffstirn, Jacob  121 Wortfeld  80, 83, 170, 179 – analyse 169 – studie  169, 307 – theorie 82 – untersuchung  169, 303 – geschichte  15, 82, 93, 97 f., 102, ­105–109, 123, 138, 171, 305 f. Zahlbegriff  17, 22, 24, 48, 61, 71, 75, 77 f., 89, 91 f., 95, 106, 111–113, 117, 119, 166, 184, 310 Zahlenenallegorie  23, 73 – exegese  23, 29 f., 32–34, 53, 63 – komposition  30, 73, 311 – symbolik  23, 34, 53 – tektonik  30 f., 34 – wert  48 f., 90, 112, 121, 216

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Zahlgebrauch  17, 22–24, 30, 34, 38 f., 41, 48, 55, 63, 67–70, 73, 77, 79, 89–92, 139, 167, 182, 267, 277, 303, 305, 307, 310–312 –, lokutorischer  179 f., 182 – kerbe  109, 113 f. – maß  21, 61, 65, 79, 112, 301 – nennwort 121 – nomina 121 – schrift 21 – sprache  20, 23 – system 69 – wort  20 f., 23, 55–63, 65, 67, 92, 110–114, 121, 327, 343 f., 349, 355 – wortfolge 113 f. – wortreihe 112 zählen  13–15, 26 f., 37, 54 f., 62, 91, 93, ­97–123, 128–131, 138, 155, 157, 161 f., 165, 171–178, 182–184, 192, 215, 242, 265, 267, 294 f., 302, 305–307, 311–313 –, anschauliche 68 –, körpergebundene 68 Zählfolge 65 – instrument  183, 267 – kerben  270, 303 – system 20 Zahlung  119, 236, 251, 263 Zählung  14, 26, 30, 35, 44, 93, 113, 138, 148, 151, 167, 219, 242, 257, 267 f., 270, 272, 313 Zahlwortreihe  58, 60 f., 111–113 Zehlwort 121 Zeichen  32, 56, 90, 94, 110, 167, 184, ­195–197, 200, 215–219, 224–227, 230 f., 235, 242, 244 f., 250, 252, 256–258, 263, 288, 297, 310 –, ikonische 113–116 – inventar  194, 224 – praxis/gebrauch  184, 259, 297, 01, 303, 305 – typus  189, 192, 219, 231, 235, 259 Zeremoniell  252, 256 f., 279, 285 Zeugen  42, 259, 276, 283, 302, 305 – schaft  266, 278 f. Ziffern, arabische  18, 21, 46–50, 64, 77–79, 90 f., 113, 121, 181, 215, 306 –, römische  21, 46, 49, 215 f., 262, 294 – system  18, 21, 121 Zug (Maßeinheit)  112 Zuordnung  90, 94, 121, 156, 161, 166, 216, 242 zusprechen  14 f., 123, 164 f., 183, 302, 307

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Register

Fundorte Aatservainen, Kuolajärvi, Salla, Lappa (Finnland) 230 Bremen (Deutschland)  202 Bryggen/Bergen (Norwegen)  203 f., 206 f., 207, 209–212, 268, 270–274, 277, 294, 299 Faröer Inseln (Dänemark)  198 Freiberg/Sachsen (Deutschland)  200 f. Freiburg i. Br./Baden-Württemberg (Deutschland) 202–205 Groß Raden/Mecklenburg (Deutschland)  197 f. Heidelberg/Baden-Württemberg (Deutschland) 289 Helgeandsholmen/Stockholm (Schweden)  268 f., 277, 299 f., 304 Hemdrup/Nibe auf Jütland (Dänemark)  200 f. Kelchalpe/Tirol (Österreich)  194, 249, 301 Koirakallio, Karkku, Satakunta (Finnland)  230 Kollerup (Dänemark)  203

Landshut/Bayern (Deutschland)  290 f. London (England)  213, 220, 273, 277 Lübeck/Schlesweig-Holstein (Deutschland)  228, 231 Mecklenburg/Mecklenburg-Vorpommern (Deutschland) 232 Novgorod (Russland)  274–277, 279, 292, 298, 301 f. Pößneck-Schlettwein/Thüringen (Deutschland) 199 Scharstorf/Schleswig-Holstein (Deutschland) 199 Tavetsch/Graubünden (Schweiz)  214 Torrent/Wallis (Schweiz)  222 f. Turku (Finnland)  214 Ulrichen/Wallis (Schweiz)  222, 224 Vifärna, Kulla, Uppland (Schweden)  230 Vilney/Waadtland (Schweiz)  222 Wien (Österreich)  226

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