Der zweite Korintherbrief: Literarische Gestalt - historische Situation - theologische Argumentation. Festschrift zum 70. Geburtstag von Dietrich-Alex Koch 9783666535338, 9783525535332, 9783647535333

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Der zweite Korintherbrief: Literarische Gestalt - historische Situation - theologische Argumentation. Festschrift zum 70. Geburtstag von Dietrich-Alex Koch
 9783666535338, 9783525535332, 9783647535333

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Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Jan Christian Gertz, Dietrich-Alex Koch, Matthias Köckert, Hermut Löhr, Joachim Schaper, David Andrew Teeter und Christopher Tuckett

Band 250

Vandenhoeck & Ruprecht

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Der zweite Korintherbrief Literarische Gestalt – historische Situation – theologische Argumentation Festschrift zum 70. Geburtstag von Dietrich-Alex Koch Herausgegeben von Dieter Sänger

Vandenhoeck & Ruprecht

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Mit zwei Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-53533-2 ISBN 978-3-647-53533-3 (E-Book) © 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: f Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Vorwort

Am 22. Oktober 2012 vollendet Dietrich-Alex Koch, von 1986 bis 2008 Professor für Neues Testament an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, sein 70. Lebensjahr. Dieses Datum, das den Eintritt in ein neues Dezennium markiert, ist für Kolleginnen und Kollegen, Weggefährten, Freunde und Schüler ein willkommener Anlass, den verehrten Jubilar mit dieser Festschrift zu grüßen und ihm herzlich zu gratulieren. In die Grüße eingeschlossen ist vielfacher Dank, den wir Dietrich-Alex Koch schulden: für sein auf ganz unterschiedliche Forschungsgebiete ausgreifendes wissenschaftliches Œuvre, das sich durch stupende historische Gelehrsamkeit, exegetischen Scharfsinn, philologische Akribie, methodische Stringenz und ein hermeneutisch reflektiertes theologisches Problembewusstsein auszeichnet; für sein Engagement als Herausgeber des traditionsreichen Meyerschen Kommentarwerks (KEK) und als Co-Editor der renommierten Reihe „Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments“; für sein stetes und effektives Bemühen um die Förderung des akademischen Nachwuchses; für die keineswegs selbstverständliche Bereitschaft, über seine universitären Verpflichtungen hinaus die ihm angetragenen ehrenvollen Ämter in der Studiorum Novi Testamenti Societas und anderen Wissenschaftsorganisationen in der ihm eigenen Gründlichkeit auszufüllen. Nur eine verhältnismäßig kleine Anzahl von Kolleginnen und Kollegen, die sich Dietrich-Alex Koch persönlich und wissenschaftlich eng verbunden fühlen, konnte zur Teilnahme an der Festschrift eingeladen werden. Angesichts der ihm entgegengebrachten hohen Wertschätzung innerhalb wie außerhalb der neutestamentlichen Scientific Community wäre es ein Leichtes gewesen, die Beiträge um weitere zu vermehren. Doch zwang der vereinbarte Umfang des Bandes zur Beschränkung. Angefragt wurden vor allem Autorinnen und Autoren, die zum Kreis der Mitarbeiter am „Kritisch-exegetischen Kommentar über das Neue Testament“ gehören. Aus verschiedenen Gründen war es einigen von ihnen leider nicht möglich, sich ebenfalls zu beteiligen. Die thematische Konzentration der Festschrift auf den kanonischen 2. Korintherbrief ist kein Zufall. Er und sein uns überlieferter Vorgänger bil-

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Vorwort

den einen der Schwerpunkte im wissenschaftlichen Schaffen des Jubilars. Dies deutet sich bereits in seiner heute als Standardwerk geltenden Mainzer Habilitationsschrift „Die Schrift als Zeuge des Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus“ (Tübingen 1986) an. Sie dokumentiert eindrucksvoll das Innovationspotential einer detaillierten und konsequent verfahrenden form-, traditions- und religionsgeschichtlichen Analyse der in Frage stehenden biblischen Texte. Eine Reihe gewichtiger Studien zur paulinischen Theologie und insbesondere zur korinthischen Korrespondenz sind seitdem hinzugekommen. Allen gemeinsam ist, dass sie den diskursiven Prozess in der neutestamentlichen Forschung vorangetrieben und ihr so entscheidende Impulse vermittelt haben. Zur Zeit bereitet Dietrich-Alex Koch im Rahmen des KEK die Kommentierung des 2. Korintherbriefs vor, der nicht nur in funktionaler und literarkritischer Hinsicht eine Herausforderung für den Exegeten darstellt. Aus dem vorliegenden Band wird ersichtlich, welch breite Resonanz die Arbeiten des Jubilars gefunden und wie stimulierend sie gewirkt haben. Möge ihm diese auf den Gabentisch gelegte Festschrift mit Beiträgen zur literarischen Gestalt, historischen Situation und theologischen Argumentation des 2. Korintherbriefs Freude bereiten. Damit verbinden sich der Wunsch und die Hoffnung, dass er uns und seiner Familie noch lange erhalten bleibt und trotz anderweitiger Beanspruchung Zeit und Kraft hat, Begonnenes fertigzustellen und Geplantes zu verwirklichen. Deo volente ad multos annos! Dem Verlag und insbesondere Herrn Jörg Persch, der als Leiter der Abteilung Theologie und Religion das Projekt unterstützt und mit großem Interesse begleitet hat, sowie den (übrigen) Herausgebern der FRLANT danke ich für die gewohnt gute Zusammenarbeit. Dass der Band in diese Reihe aufgenommen wurde, ist natürlich ohne Wissen und Zutun von DietrichAlex Koch geschehen. Der Evangelischen Kirche von Westfalen danke ich für einen Zuschuss zu den Druckkosten. Mein herzlicher Dank gilt schließlich meinem Assistenten, Herrn Felix John, und Daniel Sebastian Syska, studentischer Mitarbeiter am Lehrstuhl. Beide haben die zum Teil schwierigen Manuskripte für den Druck aufbereitet, Korrekturen mitgelesen und die Register erstellt. Ihre tatkräftige Hilfe war für mich unverzichtbar. Kiel, den 3. Juli 2012

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Dieter Sänger

Inhalt

Eve-Marie Becker Paulus als weinender Briefeschreiber (2Kor 2,4) Epistolare parousia im Zeichen visualisierter Emotionalität .......................

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David Hellholm A Textlinguistic Analysis of the Gnostic Apocalypse of Peter (NHC VII,3) Christology – Anthropology – Soteriology – Ecclesiology .........................

27

Christina Hoegen-Rohls Ist der Paulusbrief Literatur? Literaturtheoretische Anmerkungen zu einer forschungsgeschichtlich umstrittenen Frage .................................

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Friedrich Wilhelm Horn Die Kommentierung des 2. Korintherbriefes in ‚Meyers Kommentar‘......................................................................

84

Hans Klein Die Begründung für den Spendenaufruf für die Heiligen Jerusalems in 2Kor 8 und 9 .....................................

104

Andreas Lindemann „... an die Kirche in Korinth samt allen Heiligen in ganz Achaja“ Zu Entstehung und Redaktion des „2. Korintherbriefs“ ..............................

131

Hermann von Lips Ohne den 2. Korintherbrief kein Titusbrief! Ein Stück inner-neutestamentlicher Wirkungsgeschichte ............................

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Inhalt

Hermut Löhr Steintafeln Tora-Traditionen in 2Kor 3 ....................................................................

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Eduard Lohse „Crux sola est nostra theologia“ Apostolische Existenz nach 2Kor 10–13 ..................................................

188

Ulrich Mell Paulus: scheiternder Gescheiter Ein historischer und literarischer Einwurf ................................................

199

Peter Müller Wer ist geeignet und würdig? 2Kor 2,14–17 und der römische Triumph .................................................

224

Tobias Nicklas Die verborgene Herrlichkeit des Paulusdienstes Überlegungen zu 2Kor 3,1–4,6 ...............................................................

240

Dieter Sänger „Jetzt aber führt auch das Tun zu Ende“ (2Kor 8,11) Die korinthische Gemeinde und die Kollekte für Jerusalem ........................

257

Akira Satake Schritt für Schritt Die Argumentation des Paulus in 2Kor 10–13 ..........................................

283

Udo Schnelle Der 2. Korintherbrief und die Mission gegen Paulus ........................

300

Oda Wischmeyer „Die Liebe Christi dringet uns ...“ 2Kor 5,14f und die Liebe Christi bei Paulus ...............................................

323

Thomas Witulski Der alte und der neue Bund Die Funktion von 2Kor 3,7–18 im Kontext der Argumentation des Paulus in 2Kor 2,14–4,6 .......................................

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Inhalt

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Michael Wolter „Das Geschriebene tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2Kor 3,6) Ein Versuch zur paulinischen Antithese von gra,mma und pneu/ma .................

355

Dieter Zeller Versuch über 2Kor 5,1–5 ...................................................................

380

Autorenregister ..................................................................................

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Stellenregister (in Auswahl) ..............................................................

403

Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ............................

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Eve-Marie Becker

Paulus als weinender Briefeschreiber (2Kor 2,4) Epistolare parousia im Zeichen visualisierter Emotionalität*

1. Dakryologie und Emotionen-Forschung Im Jahre 1661 ereignete sich eine wichtige Zäsur in der modernen Dakryologie, der Tränenkunde.1 Denn zu eben diesem Zeitpunkt veröffentlichten der Franzose P. Petit (Petrus Petitus, 1617–1687) und der Däne N. Stensen (Nicolaus Stenonius, 1638–1686) weitgehend unabhängig voneinander an ihren Wirkungsstätten in Paris und Leiden zwei Werke, die die Herkunft und die Funktion der Tränen als Ausdruck menschlicher Emotionalität erklären und deuten sollten: Während sich Petit in seiner Abhandlung De Lacrymis Libri Tres an die aristotelische Philosophie anschloss, wenn er das Wesen der Tränen im Sinne der Fragen nach der causa materialis, den causae efficientes und der causa finalis zu umschreiben suchte, erwies Stensen sich als weitaus moderner: In seiner Disputatio anatomica2 leistete er erste wichtige empirische Untersuchungen zur Erforschung der Gesichtsdrüsen. ————— * Der vorliegende Beitrag greift einerseits auf einen Vortrag zurück, den ich bei der interdisziplinären Arbeitstagung der ISDCL zum Thema: „Gefühle, Emotionen und Affekte in der deuterokanonischen und verwandten Literatur“ vom 13.–15.6.2010 an der Universität Salzburg gehalten habe, vgl. dazu auch E.-M. BECKER, Die Tränen des Paulus (2 Kor 2,4; Phil 3,18) – Emotion oder Topos?, in: R. Egger-Wenzel/J. Corley (Hg.), Yearbook 2011. Emotions from Ben Sira to Paul, DCLY, Berlin/New York 2012, 361–378. Andererseits habe ich vorläufige Überlegungen speziell zur literarischen, rhetorischen und emotionalen Deutung des Tränen-Motivs in 2Kor 2,4 in der Seminargruppe: „Reconsidering ‚Literarkritik‘ of the Pauline Letters and its Impact on their Interpretation“ bei der Jahrestagung der SNTS vom 2.–6.8.2011 in Annandale-On-Hudson/New York vorgestellt. – Die nun folgenden Überlegungen zur Bedeutung des Tränen-Motivs speziell in 2Kor 2,4 können vielleicht dem Jubilar als kleine Anregung für seine Arbeit bei der Kommentierung des 2Kor für KEK dienen: Ad multos annos! 1 Bei den folgenden Ausführungen greife ich auf Materialien zurück, die Prof. Dr. Manfred Horstmanshoff (Universität Leiden/Internationales Kolleg Morphomata, Universität zu Köln) am 21.7.2011 bei seinem Gastvortrag zum Thema: „‚Woher kommen die Tränen‘? Die Physiologie des Weinens in Antike und früher Neuzeit“ am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg vorgestellt hat. 2 Der vollständige Titel lautet: Disputatio anatomica de glandulis oris & nuper observatis inde prodeuntibus vasis prima.

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Eve-Marie Becker

Seine Observationes anatomicae3, die im darauffolgenden Jahr erschienen, sind besonders deswegen ein früher Beitrag zur modernen Anatomie des Auges und der Nase, als Stensen hier den Tränenfluss – aus heutiger Sicht: zutreffend – auf die Aktivität der Tränendrüsen zurückführte.4 Medizingeschichtlich interessant ist es, wie M. Horstmanshoff gezeigt hat,5 dass sich Stensen dem Phänomen des Weinens dezidiert empirisch näherte, indem er Drüsen sezierte und die Tränendrüse anatomisch untersuchte. Er hoffte dabei, mit Hilfe biologischer und physiologischer Erklärung dem Phänomen der Tränen als materialisiertem Ausdruck von Emotionalität – z.B. Freude oder Trauer – näher auf die Spur zu kommen. Kulturgeschichtlich bedeutsam ist es zu sehen, wie sich Stensen und Petit bei ihrem Zugang zum Thema forschungsmethodisch und philosophiegeschichtlich, d.h. in Hinsicht darauf unterschieden, welchem Menschenbild sie bei ihrer jeweiligen Untersuchung und Darstellung verpflichtet waren. Petit ging so vor, dass er die in der abendländischen Kultur verbreiteten Ansichten zur Phänomenologie des Weinens sammelte und auswertete. Im dritten Buch seiner Schrift etwa behandelt er die Frage: Cur viri boni ad flendum natura aptiores („Why good men are by nature more apt to cry“) und kommt dabei zu folgenden Überlegungen, die – für uns äußerst interessant – von Homer bis zu Paulus reichen: „That good men cry more easily than other men is such a common belief that it has even become a proverb; avgaqoi. d’a;ra da,kruej a;ndrej. This opinion seems to have originated in Homer, who presents his heroes crying: To this passage says Eustathius: There are soft-hearted heroes in the poet and they have their tears on the ready and this is a good indication of a good character. And also Maro, after the example of Homerus, makes Aeneas be easily moved and makes him cry, as can be seen in many places in the Aeneid. And also in the scriptures Joseph the Patriarch was so moved by the sight of his brother Benjamin, that he could not speak through tears. He hastened because his insides/entrails were moved about his brother and the tears came out: and entering the room he cried. In the same books how often did not cry David the best and most famous of those kings? Many people similar to those are reviewed by the scriptures. For in the letter to the Ephesians St. Paul testifies that that he had shed tears day and night for three years for each of the Ephesians“6.

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3 Der vollständige Titel lautet: Observationes anatomicae, quibus varia oris, oculorum, & narium vasa describuntur novique salivae, lacrymarum & muci fontes deteguntur, et novum nobilissimi Bilsii De lymphae motu et usu commentum examinatur et rejicitur, Leiden 1662. 4 Vgl. dazu auch: M. Horstmanshoff u.a. (Hg.), Blood, Sweat and Tears. The Changing Concepts of Physiology from Antiquity into Early Modern Europe, Intersections 25, Leiden 2012. 5 Ich verweise hier noch einmal auf den o.g. Gastvortrag. 6 Übersetzung aus dem Lateinischen durch Dr. I. Loots, per e-mail durch Prof. Dr. M. Horstmanshoff übermittelt am 30.6.2011. – Ich danke den Kollegen nachdrücklich für ihre freundliche Kooperation. – Der Hinweis Petits auf den Eph ist hier nicht korrekt – diese Wendung findet sich vielmehr in der Abschiedsrede des Paulus an die Ältesten aus Ephesus in Act 20, s.u.

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Paulus als weinender Briefeschreiber

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Stensen hingegen war erkennbar von der neuzeitlichen Faszination der Entdeckung menschlicher Körperlichkeit und Rationalität getrieben, so dass die empirisch zu beobachtenden physiologischen Prozesse und nicht die kulturellen Implikationen des Weinens im Vordergrund seines Forschungsinteresses standen. Petit und Stensen verdeutlichen in vielfältiger Weise, dass die Erforschung von ‚Tränen‘ und ‚Weinen‘ – auch über das Jahr 1661 hinaus – weder nur in den Bereich der Medizin noch der Psychologie fällt, sondern kultur- und mentalitätsgeschichtlich relevant ist und den Bereich der Paulus-Briefe mit einschließt. Die antike Tränen-Kultur ist also eine eigene Welt. So wie sich Petit und Stensen in ihrem dakryologischen Ansatz im Blick auf Methoden und wissenschaftsgeschichtliche Prägungen unterscheiden, ist auch „die Bewertung des Weinens ... nach Zeit und Ort sehr verschieden und wechselnd“7. Neueste Beiträge teils zur psychologischen,8 teils zur literarischen (s.u.) Erforschung des Weinens in Antike und Gegenwart bestätigen diese Einsicht in die jeweils mentalitätsgeschichtliche Prägung der Erforschung des Weinens. Die Frage nach den kulturellen und literarischen Formen des Weinens in der Antike und ihren psychologischen oder anthropologischen Voraussetzungen gewinnt vor diesem Hintergrund eine ganz neue Bedeutung. Mein Beitrag wird speziell die epistolographische Verwendung des Tränen-Motivs in 2Kor 2,4 in den Blick nehmen.

2. Tränen-Forschung und Paulus-Exegese Die Erforschung der Tränen liegt in der Schnittmenge unterschiedlicher Themen- und Forschungsgebiete, und dies spielt hier eine durchaus nicht zu vernachlässigende Rolle. Mit moderner Terminologie gesprochen, treffen neben der eingangs ausführlich genannten Medizin bzw. Medizingeschichte und deren Wechselwirkungen mit der Philosophie- und Kulturgeschichte auch die Emotionen-Forschung9 sowie die Philologie und die Literaturwissenschaft zusammen. Der Sammelband „Tears in the Graeco-Roman World“ (2009) zeigt zuletzt, wie verbreitet das Phänomen des Weinens in der antiken Literatur ist und dass es eine umfassende Bearbeitung ver—————

7 K. MEULI, Gesammelte Schriften I: Das Weinen als Sitte, hg.v. Th. Gelzer, Stuttgart/Basel 1975, 353–385: 357. 8 Vgl. A. VINGERHOETS, The World of Tears, Oxford 2012 (in Vorbereitung). 9 M. Harbsmeier/S. Möckel (Hg.), Pathos, Affekt, Emotion. Transformationen der Antike, stw 1908, Frankfurt a.M. 2009; DIES., Antike Gefühle im Wandel. Eine Einleitung: a.a.O. 9–24. Vgl. auch: Egger-Wenzel/Corley (Hg.), Yearbook. Vgl. zuletzt auch P. Goldie (Hg.), The Oxford Handbook of Philosophy of Emotion, Oxford 2010.

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Eve-Marie Becker

dient.10 Die Beschäftigung mit ‚Tränen‘ und ‚Weinen‘ steht also auf einer breiten materialen Textbasis und ist heuristisch wie methodisch vielseitig. Im komparativen Textvergleich wird zudem deutlich, dass die Inszenierung des Tränen-Motivs sogar innerhalb eines literarischen Genres – wie etwa der Geschichtsschreibung11 oder auch der Epistolographie12 – variiert. So muss die antike Tränen-Kultur nicht nur kultur-, sondern auch literatur- und gattungsgeschichtlich differenziert erschlossen werden. Vor diesem Hintergrund und auf dieser Grundlage ist das Motiv des weinenden Paulus näher zu untersuchen. Welche Texte kommen hierbei überhaupt in Betracht, und in welchen literarischen Kontexten befinden sich diese? Die Semantik des Weinens bei Paulus und im Zusammenhang mit Paulus (Act) ist äußerst vielseitig. Sie lässt sich im Wesentlichen vier Wortfeldern zuordnen:13 x „weinen“ (klai,ein), so in Röm 12,15; 1Kor 7,30; Phil 3,18; Act 21,13; x „Tränen“ (da,kru, da,kruon), so in 2Kor 2,4 (vgl. auch 2Tim 1,4); Act 20, 19.31;14 x „Wehklagen“, „Weinen“ (ovdurmo,j), so in 2Kor 7,7; x „Weinen“ (klauqmo,j), so in Act 20,37. Im Blick auf die jeweiligen Kommunikationssituationen lassen sich die Belege wie folgt systematisieren: x Weinen im Zuge des Briefeschreibens: 2Kor 2,4; Phil 3,18; 2Tim 1,4; x Weinen und briefliche Paränese: Röm 12,15; 1Kor 7,30; x Weinen im Redenzusammenhang (Rückblick): Act 20,19.31; x Weinen als narrativ gefasste Reaktion der Adressaten: 2Kor 7,7; Act 20,37; 21,13. Was erfahren wir in diesen Texten über den weinenden Paulus und die paulinische Sicht auf die Tränen? Im paränetischen Zusammenhang fordert —————

10 Vgl. Th. Fögen (Hg.), Tears in the Graeco-Roman World, Berlin/New York 2009; DERS., Tränen und Weinen in der griechisch-römischen Antike, Zeitschrift für Semiotik 28/2–4, Tübingen 2006. 11 D. Lateiner und L. de Libero (2009) etwa decken auf, wie die literarische Inszenierung des Weinens sogar an den jeweiligen Typus der Geschichtsschreibung gebunden ist: Vgl. D. LATEINER, Tears and Crying in Hellenic Historiography. Dacryology from Herodotus to Polybius, in: Fögen (Hg.), Tears in the Graeco-Roman World, 105–134; L. DE LIBERO, Precibus ac lacrimis. Tears in Roman Historiographers, a.a.O. 209–234. 12 Vgl. BECKER, Tränen, die Hinweise zu Cicero, Plinius und Seneca. 13 Das Lexem penqei/n hingegen steht für Traurigkeit und Trauern (so auch 1Kor 5,2; 2Kor 12,21), was nicht notwendig mit ‚Weinen‘ oder ‚Tränen‘ verbunden ist. Penqei/n ist also von lupei/sqai „kaum zu unterscheiden“, so R. BULTMANN, Art. pe,nqoj ktl., ThWNT 6 (1959) 40–43: 41. 14 Weinen im Zusammenhang mit Demut wie in Jak 4,9f begegnet nicht bei Paulus selbst (so angedeutet bei B. MÜLLER, Der Weg des Weinens. Die Tradition des „Penthos“ in den Apophthegmata Patrum, FKDG 77, Göttingen 2000, 100f), sondern höchstens in der lukanischen Darstellung des Paulus in Act 20,19.

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Paulus als weinender Briefeschreiber

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Paulus dazu auf, Trauer zu teilen (Röm 12,15), aber auch die eschatologischen Rahmenbedingungen dafür zu kennen (1Kor 7,30). Bei seiner Abschiedsrede in Milet (Act 20,17–38) resümiert Paulus seinen apostolischen Dienst: Die Tränen stehen hier für Eifer, Leidenschaft und Entsagung. Paulus sind bereits die ihm in Jerusalem drohenden „Fesseln und Bedrängnisse“ bekannt (Act 20,22). In einem Rückblick auf sein Leben und Wirken berichtet Paulus über seinen früheren Einsatz in der Provinz Asien (Act 20,1915). Im Schlussteil der Rede (V.3116) gibt er diesen Erinnerungen eine paränetische Wendung (... meta. dakru,wn nouqetw/n e[na e[kaston). Sie dienen der Ermahnung der Zuhörer. Lukas verwendet das Tränen-Motiv insgesamt also nicht narrativ, sondern er legt es Paulus selbst in den Mund17 (vgl. auch Act 21,13). Das Tränen-Motiv begegnet aber auch dann, wenn entweder Paulus selbst oder wiederum Lukas in narrativer Form die Wirkung paulinischer Emotionalität auf die brieflichen Adressaten (2Kor 7,7) oder die Zuhörer bei der Rede (Act 20,37) darzustellen suchen. Und schließlich finden sich Belege für einen epistolographischen Kontext des Weinens (2Kor 2,4; Phil 3,18), in dem Paulus selbst als weinender Briefeschreiber begegnet: Er spricht über sich und gibt hier womöglich einen authentischen Schlüssel zur Deutung seines Weinens. In 2Kor 2,4 deutet er an, dass er einen Brief an die Korinther aus Trauer und Angst und „unter Tränen“ schreibt. In Phil 3,18 „spricht“ Paulus weinend (klai,wn le,gw), um der Gemeinde sein Vorbild vorzustellen und sie vor den „Feinden des Kreuzes Christi“ zu warnen. Das Motiv des weinenden Paulus steht also offenbar für verschiedene Emotionen und verdient eine eigene Beachtung, die ihm die Forschung bislang jenseits von literarkritischen Fragen, wo mangelnde emotionale Stabilität gerne als Hinweis auf literarische Inkohäsion gilt, verwehrt hat.18 Zwar

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15 „Ich habe dem Herrn gedient mit aller Demut und mit Tränen und Versuchungen, die über mich gekommen sind durch die Anschläge der Juden ...“. 16 „Darum wacht und erinnert euch (daran), dass ich drei Jahre Tag und Nacht nicht aufgehört habe, einen jeden Einzelnen mit Tränen zu ermahnen.“ 17 Die Frage, ob Lukas die Paulus-Briefe gekannt und seiner Paulus-Darstellung zugrunde gelegt hat, ist bekanntlich umstritten (s. zuletzt z.B. R.I. PERVO, Acts. A Commentary, Hermeneia, Minneapolis 2009, 12–14; J. JERVELL, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen 1[17]1998, 83f). Und doch deutet die Inszenierung des Tränen-Motivs im Zusammenhang des Reden-Konzepts darauf hin, dass Lukas einzelne biographische Aspekte, die aus den Paulusbriefen bekannt sind, literarisch aufgegriffen und selbständig verarbeitet hat. Dazu zählen sowohl die Selbstinszenierung des Paulus (s. 2Kor 2,4) als auch die paränetische Verwendung des Tränen-Motivs (Röm 12,15). Ähnlich meint PERVO, Acts, 520.526, hier ein ‚Echo‘ oder ‚intertextelle Allusionen‘ zu den Paulus-Briefen zu erkennen, etwa auch im Blick auf nouqete,w (vgl. Röm 15,14; 1Kor 4,14 u.ö.). 18 So schon K.H. RENGSTORF, Art. klai,w ktl., ThWNT 3 (1938) 721–726: 721. S. auch ausführlicher unten die Überlegungen zur Literarkritik im 2Kor.

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Eve-Marie Becker

sind die oben genannten Wortfelder überwiegend lexikographisch erfasst.19 Sie sind aber kaum näher untersucht – weder als Emotionen oder Affekte20 noch als rhetorische Mittel oder literarische Motive, obwohl sich gerade das Tränen-Motiv im Zusammenhang des Briefeschreibens (2Kor 2,4) traditionsgeschichtlich nur schwer herleiten ist.21 Ebenso wenig sind die Wortfelder im Blick auf ihre unterschiedlichen Kommunikationssituationen oder ihre literarische Funktion im paulinischen Briefeschreiben oder in der prosopographischen Darstellung des Paulus in der Apostelgeschichte erschlossen. Schließlich ist mit dem Tränen-Motiv ein wichtiger Aspekt, der die Personalität des Paulus ausmacht, nämlich die Emotionalität, noch nicht erkannt oder ausgeleuchtet.22 Wir bearbeiten hier also ein durchaus augenfälliges desideratum der Paulus-Exegese. Wie groß dieses Desiderat faktisch ist, zeigt sich bei der Auslegung von Phil 3,18. In Phil 3,18 schreibt Paulus wohl aus seiner Gefangenschaft in Caesarea oder Rom an die Gemeinde in Philippi: „Viele nämlich haben einen (solchen) Lebenswandel, (dass) ich diese bei euch (schon) vielfach – nun aber rede ich sogar weinend – als Feinde des Kreuzes Christi bezeichnet habe“.

Zwar hat schon H. Windisch (1924) bei seiner Kommentierung des 2Kor die Parenthese nu/n de. kai. klai,wn le,gw in Phil 3,18 wörtlich verstanden:23 Paulus spricht also jetzt (nu/n) weinend zu den Philippern. Hier liegt eine Präsensform vor, die die Zeitebene klar definiert. Weitergehende Überle—————

19 Vgl. RENGSTORF, klai,w; H. BALZ, Art. klai,w, EWNT 2 (32011) 725–727; H. BALZ/G. SCHNEIDER, Art. da,kruon ktl., EWNT 1 (32011) 657–658. Im ThWNT fehlt ein Artikel zu da,kruon; die EWNT-Artikel zu da,kruon und dakru,w sind nur knapp. 20 K. BERGER, Historische Psychologie des Neuen Testaments, SBS 146/147, Stuttgart 21991, stellt die Affekte des Paulus zwar dar (vgl. a.a.O. 158ff), kommt aber nicht eigens auf die ‚Tränen‘ zu sprechen. Vgl. aber zuletzt einzelne Ansätze zu einer exegetisch basierten Emotionen-Forschung: L.L. WELLBORN, Paul’s Appeal to the Emotions in 2 Corinthians 1.1–2.13; 7.5–16, JSNT 82 (2001) 31–60; O. WISCHMEYER, 1Korinther 13. Das Hohelied der Liebe zwischen Emotion und Ethos, in: Egger-Wenzel/Corley (Hg.), Yearbook 2011, 343–359; S.C. BARTON, Eschatology and the Emotions in Early Christianity, JBL 130 (2011) 571–591. Dort jeweils einzelne Hinweise zu neuester Literatur. Zum Forschungsstand vgl. auch: D.E. AUNE, Passions in the Pauline Epistles. The Current State of Research, in: J.T. Fitzgerald (Hg.), Passions and Moral Progress in GrecoRoman Thought, New York 2008, 221–237. 21 Bill. III 496, weisen nur auf semantische Verwandtschaften in der Hebraica zum Motiv der „Bedrängnis des Herzens“ hin (vor allem: Ps 25,17). 22 Zum Verhältnis von Emotionen und Personalität insgesamt: z.B. T.J. REISS, Mirages of the Self. Patterns of Personhood in Ancient and Early Modern Europe, Stanford 2003, sowie die Hinweise bei D. KONSTAN, Haben Gefühle eine Geschichte?, in: Harbsmeier/Möckel (Hg.), Pathos, 27–46: 45f. Im Blick auf Paulus vgl. E.-M. BECKER, Die Person des Paulus, in: O. Wischmeyer (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, UTB 2767, Tübingen/Basel 22012, 129–141: 132f. 23 Paulus ist der „Mann, der Phil 3 18 unter Tränen schrieb“ (H. WINDISCH, Der zweite Korintherbrief, hg.v. G. Strecker, KEK 6, Göttingen 101970 [= 1924], 82).

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gungen zur Deutung des Motivs aber werden nicht angestellt. Teilt Paulus uns hier – so wäre im Anschluss an Windisch zu fragen – etwas über seine individuelle psychische Verfasstheit und über seine Emotionen mit? Oder dient das Motiv des Weinens allein rhetorischen Zwecken? Sind 2Kor 2,4 und Phil 3,18 gleichermaßen auf den Akt des Briefeschreibens bezogen? Oder knüpft Paulus – im Unterschied zu 2Kor 2 (s.u.) – in Phil 3 eher an das Motiv des weinenden Propheten an, das aus der LXX bekannt ist (z.B. Jes 16,9; Jer 9,1; 13,17), von Lukas auf Jesus übertragen wird (Lk 19,41) und auch in der apokalyptischen Prophetie wieder begegnet (Apk 5,4)?24 Was bedeutet eine solche traditionsgeschichtliche Herleitung für die Beschreibung der Sprechersituation und -intention in 2Kor 2 und Phil 3: Möchte Paulus in Phil 3 speziell ‚prophetische Autorität‘ zum Einsatz bringen und im Unterschied zu 2Kor 2, wo er offenbar auf eine gestörte Beziehung zu den Korinthern zurückblickt, sich als prophetisch Sprechender legitimieren? In Phil 3,17f jedenfalls findet sich ein semantisches Inventar, das durch Paränese (... skopei/te( peripatou/ntaj) und Polemik bestimmt ist (... tou.j evcqrou.j tou/ staurou/ tou/ Cristou/) und weniger die Beziehung zur Gemeinde selbst thematisiert. Paulus weint hier offenbar aus Zorn und Sorge.25 Doch wie sind Paränese und Polemik autorisiert? Was bedeutet dieser reale oder rhetorische Verweis auf Emotionalität für die literarische Inszenierung und Wahrnehmung eines antiken Briefeschreibers in der Mitte des 1. Jh.? Die Mehrzahl der Kommentatoren des Phil hat diese und ähnliche Fragen bislang nicht als solche erkannt oder bearbeitet,26 sondern ist eher noch hin—————

24 In diese Richtung scheinen G.F. HAWTHORNE/R.P. MARTIN, Philippians, WBC 43, Nashville u.a. 2004, 222, zu weisen, wenn sie die Geste des Weinens mit „lamentation“ in Zusammenhang bringen. 25 Vgl. E.-M. BECKER, Polemik und Autobiographie. Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2– 4a: O. Wischmeyer/L. Scornaienchi (Hg.), Polemik in der frühchristlichen Literatur. Texte und Kontexte, BZNW 170, Berlin/New York 2011, 233–254. 26 Dies wird deutlich, wenn wir speziell die Kommentarliteratur im weiteren Sinne zum Phil der letzten etwa 150 Jahre betrachten: Denn nahezu alle Kommentatoren des Phil – beginnend mit H.A.W. MEYER, Kritisch exegetisches Handbuch über die Briefe Pauli an die Philipper, Kolosser und an Philemon, KEK 6, Göttingen 31865; E. LOHMEYER, Die Briefe an die Philipper, an die Kolosser und an Philemon, KEK 9, Göttingen 81930; G. HEINZELMANN, Der Brief an die Philipper, NTD 8, Göttingen 1933; J. GNILKA, Der Philipperbrief, HThK 10, Freiburg 41987; N. WALTER, Die Biefe an die Philipper, Thessalonicher und an Philemon, NTD 2, Göttingen 1998; C. OSIEK, Philippians, Philemon, ANTC 11, Nashville 2000; U.B. MÜLLER, Der Brief des Paulus an die Philipper, ThHK 11, Leipzig 22002, und J.P. HEIL, Philippians. Let us Rejoice in Being Conformed to Christ, Early Christianity and Its Literature 3, Leiden u.a. 2010 – blenden das Tränen-Motiv (vollständig) aus. In der zumeist jüngsten Forschung werden mit dem Tränen-Motiv hingegen immerhin zwei verschiedene Typen von Fragestellungen verknüpft, ohne dass hierbei aber das Motiv des Weinens im Blick auf seine emotionale oder kommunikative Komponente bedacht worden wäre: Ein Teil der Kommentatoren – schon beginnend mit M.R. VINCENT, A Critical and Exegetical Commentary on the Epistles to the Philippians and to Philemon, ICC 6, Edinburgh 1902; M. DIBELIUS, An die Thessalonicher I, II.

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ter den wenig vertieften Überlegungen, die B. Weiß (1859) angestellt hatte, zurückgeblieben.27

3. Paulinische Emotionalität und Rhetorik in 2Kor 2,4 im Kontext antiker Epistolographie Wie aber ist die Forschungssituation im Blick auf 2Kor 2,4 – einen Vers, in dem das Tränen-Motiv in signifikanter Weise für die Emotionalität des briefeschreibenden Paulus zu stehen scheint? Anders als in Phil 3 äußert Paulus hier Gefühle von „Anfechtung und Herzensangst“ (... evk ga.r pollh/j qli,yewj kai. sunoch/j kardi,aj ...), die weniger seine Sprechhaltung als vielmehr seine Tätigkeit als Briefeschreiber betreffen: Sein Briefeschreiben geschieht „unter Tränen“ (... dia. pollw/n dakru,wn). Diese Aussage des Paulus wiederum gilt offenbar als so ungewöhnlich, dass die Analyse des Verses, der selbst nicht zu den sog. Bruchstellen im 2Kor zählt,28 in der Forschung immer wieder in einem untrennbaren Zusammenhang mit der literarkritischen Suche nach dem sog. Tränenbrief des Paulus gesehen wird:29 Da allgemein vorausgesetzt ist, dass Paulus sich nicht auf die gegenwärtige Kommunikationssituation beziehen könne, wird diskutiert, auf welchen ————— An die Philipper, HNT 11, Tübingen 21925; W. SCHENK, Die Philipperbriefe des Paulus. Kommentar, Stuttgart u.a. 1984; C.B. COUSAR, Philippians and Philemon. A Commentary, NTL, Louisville 2009, und G.W. HANSEN, The Letter to the Philippians, The Pillar New Testament Commentary, Grand Rapids/Nottingham 2009 – versuchen, vom Ausdruck der paulinischen Emotionalität auf die hier an-

visierte Gruppe von Gegnern zu schließen. Ein Teil der anglo-amerikanischen Kommentatoren – HAWTHORNE/ MARTIN, Philippians; J. REUMANN, Philippians. A New Translation with Introduction and Commentary, New Haven u.a. 2008, oder B. WITHERINGTON, Paul’s Letter to the Philippians. A Socio-Rhetorical Commentary, Grand Rapids/Cambridge 2011 – konstatiert hier wenigstens überhaupt die emotional-emphatische Ausdrucksweise des Paulus, so auch in Ansätzen B. WEISS, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt, Berlin 1859, s.u. 27 „Nun aber kann er nur noch mit Weinen davon zu ihnen reden. Und warum das? Ja einst ... da mochte er wohl dem Fluge seiner Hoffnung kein Ziel setzen ... Nun aber lenkte das göttliche Werk der Ausbreitung des Evangeliums immer mehr in die langsamen Bahnen menschlicher Entwicklung ein ... Darum kann der Apostel, der in mitfühlender Liebe das Heil aller Menschen auf seinem Herzen trug, ihrer jetzt nur noch mit Weinen gedenken ...“ (a.a.O. 276). 28 In der Forschung werden gemeinhin folgende Verse als solche Bruchstellen diskutiert – sie geben zugleich Hinweis auf die Tätigkeit eines Briefkompilators: 2Kor 2,13f und 2,14; 6,13 und 6,14; 7,4 und 7,5; die Übergänge zwischen Kap. 7 und 8, 8 und 9 sowie 9 und 10. Inkohäsionsmerkmale werden zumeist auf syntaktischer, semantischer oder auch textpragmatischer Textebene festgestellt. 29 Literarkritische Fragen können hier nicht weiter vertieft werden: Sie sind Gegenstand der Arbeit in der o.g. SNTS-Seminargruppe. – Die einschlägigen literarkritischen Optionen und Kompilationstheorien sind schon vielfach umfassend dargestellt worden, daher sollen hier bibliographische Verweise genügen. Vgl. z.B. ausführlich: E.-M. BECKER, 2. Korintherbrief, in: Wischmeyer (Hg.), Paulus, 204–231: 220–221; R. BIERINGER/J. LAMBRECHT, Studies on 2 Corinthians, BEThL 62, Leuven 1994.

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Brief Paulus in 2Kor 2,4 genau verweist. Man rechnet also mit einem eigens als Tränenbrief abgefassten (früheren) Text und sucht diesen in der korinthischen Korrespondenz zu finden.30 So muss der „Tränenbrief“ rekonstruiert und innerhalb31 oder außerhalb32 der vorliegenden korinthischen Korrespondenz als solcher identifiziert werden. Wenn man sich dagegen dem Tränen-Motiv literarisch nähert, gelangt man zu anderen Einsichten: „Unter Tränen“ zu schreiben ist in der antiken Briefkultur keineswegs so außergewöhnlich, wie es den Auslegern des 2Kor oft erscheint. Vielmehr begegnet das Tränen-Motiv vielfach in der brieflichen Alltagskultur (z.B. BGU IV 1141).33 Im Folgenden werde ich daher die genannten literarkritischen Hypothesen nicht weiter diskutieren oder bewerten, wohl wissend, dass sie letztlich nicht ganz ausgeblendet werden können. Dennoch werde ich versuchen, das Tränen-Motiv epistolographisch, also im Blick auf seine inhaltliche Bedeutung und seine literarische Funktion im Rahmen antiker Briefkultur zu beleuchten. Es geht bei der Auslegung von 2Kor 2,4 um die bisher in der Forschung weitgehend vernachlässigte Frage, was der Hinweis auf die Tränen über den Prozess —————

30 Die Frage nach der Rekonstruktion oder Identifikation des „Tränenbriefs“ ist ein weiterhin wichtiges Movens der Literarkritik. Sie ist übrigens zugleich ein gutes Beispiel dafür, dass literarkritische Fragen letztlich auch für diejenigen unvermeidbar sind, die an der literarischen Einheitlichkeit des 2Kor festhalten. Denn immer dann, wenn 2Kor 2,4 nicht meta-argumentativ, sondern meta-textuell verstanden und kein epistolographischer Aorist, sondern ein Aorist der Vergangenheit gelesen wird (s.u.), muss man nach einem Bezugstext suchen – und zwar unabhängig davon, ob man den 2Kor für literarisch einheitlich hält oder aber Teilungshypothesen favorisiert: Denn in beiden Fällen versteht man 2Kor 2,4 als bloßen Verweis auf einen solchen „Tränenbrief“. 31 Demnach wurde der sog. Tränenbrief in der jüngeren Kommentar-Literatur (a) als paulinischer Teilbrief in die Briefsammlung des 2Kor aufgenommen und bleibt dort auch – gleichwohl an anderer Stelle – als ein solcher Brief identifizierbar, nämlich in 2Kor 10–13, so die klassischen Hypothesen, wiederkehrend bei z.B. H.-J. KLAUCK, 2. Korintherbrief, NEB 8, Würzburg 31994; E. GRÄSSER, Der zweite Briefe an die Korinther I–II, ÖTBK 8, Gütersloh/Würzburg 2002–2005. (b) Für z.B. R. BULTMANN, Der zweite Brief an die Korinther, hg.v. E. Dinkler, KEK Sonderband, Göttingen 21987, umfasst der Tränenbrief neben Kap. 10–13 auch 2Kor 2,14–7,4 (ohne 6,14–7,1) sowie Kap. 9. In beiden Fällen wird mit einem Kompilationsmodell operiert, das von teils komplexen literarischen Verschachtelungen ausgeht: Denn als vermeintlicher „Tränenbrief“ muss 2Kor 10–13 (evtl. in Ergänzung der Kap. 2–7* und 9) ja in jedem Fall zeitlich vor 2Kor 2,4 verfasst worden sein. (c) Bei einem Teil der Forscher gilt der 1Kor als Tränenbrief, so schon C.F.G. HEINRICI, Der zweite Brief an die Korinther. Mit einem Anhang: Zum Hellenismus des Paulus, KEK 6, Göttingen 81900. 32 H. LIETZMANN, An die Korinther I, II, erg.v. W.G. Kümmel, HNT 9, Tübingen 51969; CH. WOLFF, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, ThHK 8, Berlin 1989; M.E. THRALL, A Critical an Exegetical Commentary on the Second Epistle to the Corinthians I: Introduction and Commentary on II Corinthians I–VII, ICC, London/New York 2004 (= 1994); TH. SCHMELLER, Der zweite Brief an die Korinther I: 2Kor 1,1–7,4, EKK 8/1, Neukirchen-Vluyn/Ostfildern, 2010, vermuten, dass der „Tränenbrief“ verloren ging. 33 Vgl. dazu B. OLSSON, Papyrusbriefe aus der frühesten Römerzeit, Uppsala 1925, 44ff Nr. 9. – Vgl. zu weiteren Belegen: P. ARZT-GRABNER/R. E. KRITZER, 2. Korinther, PKNT 4, Göttingen (in Vorbereitung).

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des Briefeschreibens, die Person und Situation des Briefeschreibers und seine Schreibstrategie bzw. seinen Redegestus aussagt. Das auch aus den Cicero-Briefen bekannte Tränen-Motiv gewährt zudem einen wichtigen Einblick in die literarisch gestaltete Synergie von paulinischer Emotionalität und Rhetorik im Medium des Briefeschreibens. Und von hier aus erschließt sich dann ein wichtiges Wesensmerkmal paulinischer Epistolographie: nämlich die Gestaltung brieflicher parousia im Dienste der mit Pathos vermittelten Repräsentation der Person.34 Die Auslegung von 2Kor 2,4 beginnt mit der Übersetzung des Verses, die bereits weitreichende exegetische Implikationen hat und uns noch einmal für einen Moment die literarkritische Problematik vor Augen führen wird: „Aus viel Anfechtung und Herzensangst nämlich schreibe ich euch unter vielen Tränen, nicht damit ihr betrübt sein sollt, sondern damit ihr die Liebe erkennt, die ich besonders zu euch habe.“

Übersetzen wir den Satz so, dann erklärt der Apostel in 2Kor 2,4, dass er, nachdem er in Korinth Beleidigungen erfahren hat, den Korinthern nun „unter Tränen“ schreibt, damit sie seine Liebe zu ihnen erkennen mögen. Kommunikationstheoretisch gesprochen, haben wir es demnach mit einer metasprachlichen oder meta-argumentativen Aussage zu tun, mit Hilfe derer Paulus seine gegenwärtige Situation des Briefeschreibens erklärt. Wenn Paulus hingegen – wie die Mehrzahl der Forscher meint – die Schreibsituation beim Abfassen eines früheren Briefes reflektierte, läge hier eine metatextuelle Aussage vor,35 mit der Paulus auf einen bereits vorliegenden Brief, also den sog. „Tränenbrief“ (engl.: zumeist „tearful“ oder „painful letter“) rückverwiese. In grammatischer Hinsicht ist die Analyse von 2Kor 2,4 wesentlich von der Interpretation des Aorists (e;graya) abhängig: Hat Paulus den gerade in Abfassung befindlichen Brief, also 2Kor 2 (2Kor 2,4 = epistolographischer Aorist) vor Augen, oder denkt er an einen früheren Brief an die Gemeinde in Korinth? Wie in der Übersetzung angedeutet, meine ich, dass Paulus sein gegenwärtiges Briefeschreiben an die Korinther reflektiert und den Adressaten damit Einblick in den aktuellen Prozess seines Briefeschreibens gewährt. Der Aorist bei e;graya ist also epistolographisch gedeutet, was dem ————— 34 Eine ähnliche Überlegung ist angedeutet bei D.E. AUNE, Art. Pathos, The Westminster Dictionary of New Testament & Early Christian Literature & Rhetoric (2003) 339–342: 341: „Paul frequently made use of emotional appeals in his letters“, mit Hinweis auf 2Kor 2,4 und den Beitrag von D.E. FREDERICKSON, „Through Many Tears“ (2 Cor 2:4). Paul’s Grieving Letter and the Occasion of 2 Corinthians 1–7, in: Th.H. Olbricht/J. L. Sumney (Hg.), Paul and Pathos, SBLSymS 16, Atlanta 2001, 161–179. 35 Zu dieser Unterscheidung: E.-M. BECKER, Schreiben und Verstehen. Paulinische Briefhermeneutik im Zweiten Korintherbrief, NET 4, Tübingen/Basel 2002, 139.

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Mikrokontext in Kap. 2 in mehrfacher Hinsicht entspricht: Zum einen bietet es sich an, e;graya in V.4 zusammen mit V.3 und V.9 epistolographisch zu deuten36 und damit von 2Kor 7,12 zu unterscheiden. Zum anderen weist tou/to auvto, in V.3 deutlich auf die gegenwärtige Kommunikationssituation hin.37 Demnach geht es Paulus sowohl in Phil 3,18 als auch in 2Kor 2,4 darum, mit dem Verweis auf seine Tränen bzw. sein Weinen seine gegenwärtige Situation entweder als sprechender Apostel oder als Briefeschreiber zu dokumentieren.38 Wie aber ist von hier aus der Mikrokontext in 2Kor 2,1–5 zu verstehen? Paulus berichtet, dass er Trauer und Traurigkeit empfindet, die offensichtlich eine nicht näher genannte Person (ti,j) bei einem früheren Besuch in Korinth verursacht hatte (2Kor 2,5). Diese Betrübnis wirkt nach (zweimaliges resultatives Perfekt in V.5: lelu,phken) und bestimmt das gegenwärtige Verhältnis des Paulus zu den Korinthern. In dieser Situation beschließt Paulus, nicht in Traurigkeit nach Korinth zu reisen. Denn er fürchtet, dass die Traurigkeit wächst und die spannungsgeladene Beziehung weiter eskaliert, weil weder er die Korinther noch die Korinther ihn fröhlich machen kann/können (2Kor 2,2). Er lässt die Korinther an diesem Entscheidungsprozess, nicht zu ihnen zu kommen, rückblickend oder sogar aktuell39 teilhaben. So schreibt er – anstelle eines Besuchs (2Kor 2,3a) – einen Brief. Dieser Brief, unter Tränen verfasst (2Kor 2,4a), soll seine Liebe zu den Korinthern offenbar machen (2Kor 2,4b), so dass wieder Freude entstehen und bei seinem nächsten Besuch in Korinth auf beiden Seiten erfahren werden kann (2Kor 2,3b). Es ergibt sich folgende Argumentationsstruktur: V.1: die Entscheidung, nicht nach Korinth zu reisen, V.2: Begründung der Entscheidung: keine Möglichkeit der Freude, —————

36 Als epistolographische Aoristformen in den paulinischen Briefen gelten gemeinhin (außerdem): Gal 6,11; 1Kor 9,15; Röm 15,15; Phlm 19.21, vgl. WINDISCH, Der zweite Korintherbrief, 80, der selbst jedoch 2Kor 2,4 temporal deutet. 37 Die Mehrzahl der Ausleger – so auch Thrall in ihrem glänzenden Kommentar – versteht die Aoristformen in 2Kor 2,3f jedoch als temporale und sieht hierin einen Verweis auf einen früheren Brief. Demnach schreibt Paulus nicht aktuell „unter Tränen“, sondern reflektiert eine frühere Kommunikationssituation: THRALL, Critical an Exegetical Commentary on the Second Epistle to the Corinthians I, 168 u.ö. – Vgl. zuletzt auch T.D. STEGMAN, Reading e;graya in 2 Corinthians 2:9 as an Epistolary Aorist, NT 54 (2012) 50–67, bes. 52f. 38 Gleichwohl ist zu fragen, ob die Präsensform in Phil 3,18 eindeutiger als der Aorist in 2Kor 2,4 auf die Gegenwart zu beziehen ist – zumal Paulus ja auch Präsensformen von gra,fein verwendet (z.B. 2Kor 13,10; 1Kor 4,14; 14,37; Gal 1,20). Liegt hier also eine qualitative Differenz zwischen Präsens und Aorist vor? Oder haben wir es beim epistolographischen Aorist eher mit einem abweichenden Tempus-Aspekt zu tun? 1Joh 2,12–14 ist jedenfalls ein Beispiel dafür, wie im Koine-Griechisch Präsensformen und Aoristformen durchaus variabel benutzt werden können, wenn sie auf das gegenwärtige Briefeschreiben verweisen. – Auf die Unterschiede zwischen beiden Texten (Phil 3,18 und 2Kor 2,4) wurde oben bereits hingewiesen. 39 e;krina in 2Kor 2,1 ließe sich ggf. als epistolographischer Aorist verstehen. Die Entscheidung kann aber auch in der Vergangenheit getroffen sein (temporaler Aorist).

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V.3a: V.3b: V.4a:

das aktuelle Briefeschreiben I: der Brief anstelle des Besuchs, die erwartete Wirkung des Briefes beim nächsten Besuch, das aktuelle Briefeschreiben II: die Verfassung des Schreibers (Tränen), V.4b: die erhoffte Wirkung der Emotionen bei den Lesern: Liebe, V.5: Rückblick: die Ereignisse beim früheren Besuch; anhaltende Betrübnis. Paulus begründet seine Entscheidung, anstelle eines Besuchs einen Brief zu schreiben, sorgfältig und reflektiert sowohl die funktionale Wirkung des Briefes auf die Gemeinde bei seinem nächsten Besuch (V.3b) als auch die emotionale Wirkung seines Schreibens auf die Adressaten und deren Haltung zu Paulus (V.4b). Die Tränen im Medium des Briefes haben also eine strategische Funktion, die Paulus sogar expliziert. Das aber bedeutet auch: Emotionalität wird im Medium des Briefes gleichermaßen intensiviert wie kanalisiert, um produktiv genutzt werden zu können. Ein – unter Umständen – tränenreicher Besuch in Korinth hingegen hätte offenbar fatale Folgen, die das angespannte Verhältnis der Korinther zu Paulus eskalieren ließen (V.2). So teilt Paulus seine Emotion lieber in brieflicher Form mit. In 2Kor 7,7 deutet er an, dass die gewünschte Wirkung des Briefes bei den Korinthern eingetreten ist: Titus berichtet von „Wehklagen“ (ovdurmo,j) und „Verlangen“ (evpipo,qhsij) nach Paulus, die mit der Lektüre des Briefes in Zusammenhang stehen (2Kor 7,8). So hat das Schreiben unter Tränen bei den Adressaten offenbar „Betrübnis“ (lup-) und „Reue“ (meta,noia) verursacht (2Kor 7,8f). Wir können also in 2Kor 2 und 2Kor 7 sehen, wie das Tränen-Motiv als Ausdrucksform brieflicher Parousie erfolgreich gewirkt hat: So wie Paulus unter Tränen schreibt, um seiner Liebe zu den Korinthern Ausdruck zu verleihen (2Kor 2,1–4), so reagieren diese mit weinendem Wehklagen und Reue (2Kor 7,7f). Paulus verwendet damit ein in der antiken Epistolographie bekanntes Mittel zur Herstellung von Parousie. Wie ich an anderer Stelle gezeigt habe,40 begegnet das Tränen-Motiv in vielfältiger Weise auch in den Cicero-Briefen. Ein Vergleich beider Briefeschreiber41 ist also loh—————

40 Vgl. BECKER, Tränen, im Vergleich mit: Cic. fam. XIV; ad Q. fr. I; Att. IX–XV. – Bei H.-J. KLAUCK, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, UTB 2022, Paderborn u.a. 1998, 132, findet sich lediglich ein kurzer Hinweis auf die Vergleichbarkeit von 2Kor 2,4 und dem Tränen-Motiv bei Cic. fam. XIV 4,1. 41 Schmeller und Klauck hingegen haben die Cicero-Briefe vor allem im Blick auf die Frage nach möglichen vergleichbaren Sammlungs- und Kompilationsprozessen untersucht, vgl. TH. SCHMELLER, Die Cicero-Briefe und die Frage nach der Einheitlichkeit des 2. Korintherbriefs, ZNW 95 (2004) 181–208; H.-J. KLAUCK, Compilation of Letters in Cicero’s Correspondence, in: DERS., Religion und Gesellschaft im frühen Christentum. Neutestamentliche Studien, WUNT 152, Tübingen 2003, 317–337. – Kritischer in Hinsicht auf die Vergleichbarkeit von Editionsprozessen war BECKER, Schreiben, 73–75, von SCHMELLER, Cicero-Briefe, Anm. 5, zu Recht bemerkt.

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nend. Er bietet sich auch deswegen an, weil Cicero – anders als etwa Seneca, aber ähnlich wie Paulus – reale, keine fiktiven Briefe schreibt, die – im Unterschied zu den Plinius-Briefen – als solche immer noch erkennbar sind. Auch darin, dass seine epistolographische Aktivität zwischen offizieller und privater Korrespondenz oszilliert und dass er dabei – anders als die Briefeschreiber in der sog. Alltagskultur – seine Briefe literarisch formt und rhetorisch gestaltet, ähnelt Cicero dem Paulus. In welcher Weise und in welcher Funktion verwendet Cicero das TränenMotiv? Und welches Licht wirft das Motiv auf die Deutung von 2Kor 2,4? Das ciceronische Tränen-Motiv (z.B. ... lacrimis scribere ...: Cic. fam. XIV 2,1) gleicht der paulinischen Formulierung in 2Kor 2,4 (… dia. pollw/n dakru,wn) erkennbar und bezieht sich zumeist auf den Akt des aktuellen Briefeschreibens (z.B. Cic. fam. XIV 1,5; XIV 4,1; Cic. ad Q. fr. I 3,10). Es tritt interessanterweise gehäuft in den Briefen auf, die Cicero an seine Familie und an seinen Bruder Quintus aus dem Exil (58/57 v.Chr.) geschrieben hat (Cic. fam. XIV; ad Q. fr. I). Das Tränen-Motiv ist ein Ausdruck für unterschiedliche Formen von Emotionalität (z.B. Zorn, Einsamkeit, Trauer), die vorrangig in Privatbriefen (litterae privatae), und d.h. eher im Rahmen freundschaftlicher Korrespondenz artikuliert werden. Die große innere Nähe, die Paulus zu seinen Gemeinden, besonders auch zu den Korinthern, empfindet (z.B. 2Kor 7,2) und die sich etwa in der paulinischen FamilienMetaphorik äußert (z.B. 1Kor 3,1),42 schafft und definiert also den brieflichen Rahmen, in dem die Artikulation von Emotionalität möglich und sogar nötig wird. Zugleich geht es im Briefeschreiben um die Substitution bzw. Herstellung persönlicher Präsenz: So wie ein Autograph eine visualisierende Funktion hat (vgl. auch Gal 6,11), so visualisieren auch die Tränen gleichsam den Briefeschreiber und machen ihn damit bei den Adressaten umso präsenter. Bekanntlich ist Cicero einer der antiken Personen, die uns „am genauesten bekannt“ sind und die sich im Zuge des Briefeschreibens am deutlichsten als Person zu erkennen geben.43 Zugleich liegt in den Cicero-Briefen die literaturgeschichtliche Wurzel für das sog. parousi,a-Motiv (quasi adesse).44 Die Verwendung des Tränen-Motivs ist Teil dieses epistolographischen Konzepts. Auch wenn es um die Äußerung unterschiedlicher Formen von Emotionalität geht, so spielt dabei immer die Absicht, die schmerzhaft empfundene Trennung überwinden zu wollen, eine erhebliche —————

42 Vgl. CH. GERBER, Paulus und seine ‚Kinder‘. Studien zur Beziehungsmetaphorik der paulinischen Briefe, BZNW 136, Berlin/New York 2005. 43 Vgl. bereits E. NORDEN, Die römische Literatur. Anhang Die lateinische Literatur im Übergang vom Altertum zum Mittelalter, hg.v. B. Kytzler, Stuttgart/Leipzig 71998 (= 1927), 39. 44 Vgl. K. THRAEDE, Einheit – Gegenwart – Gespräch. Zur Christianisierung antiker Brieftopoi, Diss. Bonn 1968, 16f.

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Rolle. Ähnliches ist in 2Kor 2 zu beobachten, wo der Brief sogar an die Stelle des Besuchs tritt. Tränen sind eine besonders eindrucksvolle, vielleicht die eindrucksvollste Form, die parousia des Senders bei den Adressaten zu visualisieren. Cicero geht davon aus, dass die Tränen des Briefeschreibers wiederum beim Leser Tränen verursachen werden (Cic. fam. XIV 1,5; ad Q. fr. I 3,3). Auch dessen ist sich Paulus bewusst. Und umgekehrt hat Cicero seinerseits beim Empfang und der Lektüre von Briefen geweint (Cic. fam. XVI 3,1; Att. XII 13; vgl. ähnlich: 2Kor 7,7 und 1Tim 2,4). Ja, sogar die große fiktive Nähe, die zwischen Absender und Adressat im Zuge des Briefeschreibens entsteht, genügt, um Tränen zu weinen (Cic. fam. XIV 3,5). Denn der Brief und das Briefeschreiben führen Absender und Adressaten so eng zusammen, dass sie die Personen präsent machen (Cic. fam. II 4,1). Das gilt in beiden Richtungen: So wird einerseits die Person des Absenders beim Lesen eines Briefes sichtbar (te totum in litteris vidi, Cic. fam. XVI 16,2). Andererseits wird auch der Adressat beim Briefeschreiben in der Vorstellung des Autors präsent. Demnach ist es offenbar für Paulus bereits ausreichend, sich nur die in Korinth herrschende Traurigkeit zu vergegenwärtigen (2Kor 2,1f), um selbst bei seinem Briefeschreiben Tränen zu weinen. Die Tränen des briefeschreibenden Paulus sind also faktisch ein Reflex bzw. eine Anteilnahme des Abwesenden auf die bzw. an der Betrübnis in Korinth. Denn es ist „eine natürliche Forderung der Korrespondenz, nicht nur die eigene Persönlichkeit in ihr zum Ausdruck zu bringen, sondern sich auch in die Gedanken und Empfindungen des Empfängers zu versetzen“45. Der Brief ermöglicht wie sonst kein anderes literarisches Medium der Antike die Artikulation von Emotionalität, und d.h. die Repräsentation der Personen (Cic. fam. XVI 16,2; Sen. epist. 40,2).46 Die Tränen dienen dabei der Visualisierung. Daneben reflektiert die rhetorische Theorie im Einzelnen, wie das Ethos der Person beim Briefadressaten am besten repräsentiert wird (z.B. Dem. eloc. 227),47 so dass ein wirkliches Bild vom Charakter des Sprechenden entsteht (Cic. de orat. 2,184). Gerade der Ausdruck von Emotionalität wirkt dabei unterstützend, denn er schafft zudem Pathos und löst damit bei den Adressaten entsprechende Affekte aus (vgl. schon Arist. rhet. 2,1378aff; 2,1385b). Tränen sind dabei auf beiden Seiten der Kommunikation ein probates Mittel. Der Ausdruck von Emotionalität im Brief dient also teils im Sinne des conciliare einem ‚milden Affektziel‘, teils einem ‚leidenschaftlichen Affektziel‘ (movere, concitare), das im Tränen-Motiv ————— 45

H. PETER, Der Brief in der römischen Litteratur. Litterargeschichtliche Untersuchungen und Zusammenfassungen, Leipzig 1901, 6. 46 Hinweise dazu bei A. J. MALHERBE, Ancient Epistolary Theorists, SBLRBS 19, Atlanta 1988, 12. 47 Vgl. dazu noch einmal a.a.O. 18.

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Paulus als weinender Briefeschreiber

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eine Steigerung erfährt.48 Im Ergebnis wird die emotional wie rhetorisch gestaltete Briefform, auch wenn sie aus der Alltagskommunikation hervorgeht, in wachsendem Maße zu einem literarischen Medium der physischen Repräsentation der Person. A. Deissmanns folgenreiche Unterscheidung zwischen ‚Brief‘ und ‚Epistel‘, d.h. zwischen ‚wirklichen‘ und ‚literarischen‘ brieflichen Texten, scheint gerade vor diesem Hintergrund wenig hilfreich, sondern eher irreführend zu sein.49 Denn gerade darin, dass der Brief als ‚halbes Gespräch‘ (Dem. eloc. 223; Cic. fam. XII 30,1) gilt, liegt weniger ein Defizit als vielmehr die vom Brief ausgehende literarische und rhetorische Dynamik und Spezifik im Blick darauf, wie es zu einer gelungenen, nicht nur sprachlich, sondern auch emotional, ja sogar physisch vermittelten Repräsentation der Person kommt.50 So gewinnt die durch Cicero geprägte Briefform (vgl. auch Sen. epist. 97; 118) als literarische Form der Selbststilisierung eine zunehmend größere Bedeutung.51 Die Paulus-Briefe stehen dieser epistolographischen und rhetorisch ausgestalteten Tradition durchaus nahe, gerade weil sich hier ein Autor in der Spannung von öffentlicher und freundschaftlicher brieflicher Korrespondenz als Person zu erkennen gibt. Paulus rückt damit – wie Cicero – den Brief aus der Sphäre der situativen Kommunikation in den Bereich des Semi-Literarischen. Und wenn es in der zeitgenössischen römischen Literatur von Cicero über Ovid zu Seneca und Plinius tendenziell zu epistolographischen Formalisierungen und Stilisierungen kommt und die authentische Stimme des einst situativ agierenden Briefeschreibers wieder leiser wird, so hat dies in erster Linie wohl sozial-politische Ursachen, die mit einer stärkeren Unterscheidung von öffentlicher und privater Kommunikation sowie von politischem Handeln und literarischer Tätigkeit im Rom der frühen Kaiserzeit in Zusammenhang stehen dürften.52 Paulus indes setzt in 2Kor 2,4 ähnlich wie Cicero das Tränen-Motiv als rhetorisches Mittel ein und macht es epistolographisch wirksam. Emotionalität und Rhetorik greifen hier im Dienste der Epistolographie ineinander: Die Tränen sollen bei den Korinthern Emotionen evozieren, damit diese die apostolische Parousie des Paulus gleichsam emotional bzw. affektiv spüren —————

Vgl. H.F. PLETT, Einführung in die rhetorische Textanalyse, Hamburg 92001, 3f. Vgl. A. DEISSMAN, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen 31909, 163ff: „Die Paulusbriefe sind nicht literarisch; sie sind wirkliche Briefe, keine Episteln“ (a.a.O. 168). 50 Deissmann hingegen meinte: „Der Brief ist unliterarisch ... Er geht niemanden etwas an“ (a.a.O. 164). Unzutreffend ist daher auch Deissmanns Kritik an Peters wichtiger Untersuchung (s.o.) zur literaturgeschichtlichen Stellung des Briefes: a.a.O. 167 Anm. 1. 51 So auch M. VON ALBRECHT, Geschichte der römischen Literatur von Andronicus bis Boëthius. Mit Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Neuzeit I, München 21997, 409. 52 Vgl. E. FANTHAM, Literarisches Leben im antiken Rom. Sozialgeschichte der römischen Literatur von Cicero bis Apuleius, Stuttgart/Weimar 1998, 126ff.189ff. 48 49

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und darauf reagieren können – mit Tränen und mit dem Versiegen der Tränen. Zugleich wird der Brief zu mehr als einem bloß geeigneten Medium der Substitution persönlicher Präsenz. In 2Kor 2 und 2Kor 7 wird vielmehr deutlich, dass der Brief sogar in höherem Maße als die persönliche Anwesenheit des Paulus in Korinth avga,ph transportieren und meta,noia bewirken kann (vgl. auch 2Kor 10,10). Nicht zufällig schafft Paulus mit der Briefform ein literarisches Medium, das in der Geschichte des Christentums frühzeitig imitiert und vielfältig erfolgreich fortgeführt wird.

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A Textlinguistic Analysis of the Gnostic Apocalypse of Peter (NHC VII,3) Christology – Anthropology – Soteriology – Ecclesiology1

1. The Multitudes of Living Οnes versus the Multitudes Representing a Counterfeit The Gnostic Christian text from Nag-Hammadi (NHC VII.3. 70,13–84,14), which is found as number three in Codex VII is the so called Apocalypse of Peter.2 Its origin is uncertain, its original language presumably Greek, it was originally composed most likely in the middle of the third century and translated into Coptic in the middle of the fourth century.3 —————

1 The History of Early Christianity has been in focus in a series of studies by D.-A. Koch (see, e.g., D.-A. KOCH, Hellenistisches Christentum. Schriftverständnis – Ekklesiologie – Geschichte, ed. by F.W. Horn, NTOA/StUNT 65, Göttingen 2008). In this contribution to my friend and colleague Koch I would like to investigate the controversy between two majorities within Early Christianity. For redactional editing I am obliged to F. John and D.S. Syska, University of Kiel. 2 Text and translation: M. KRAUSE/V. GIRGIS, Die Petrusapokalypse, in: F. Altheim/R. Stiehl (Ed.), Christentum am Roten Meer II: Berlin/New York 1973, 152–179 [German]; J. BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter. A Genre Analysis and Interpretation, PhD Diss., Claremont 1977 [English]; IDEM, NHC VII,3: Apocalypse of Peter, in: B.A. Pearson (Ed.), Nag Hammadi Codex VII, CGL (NHMS 30), Leiden 1996, 218–247 [English]; H.W. HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter (Nag-Hammadi-Codex VII,3), TU 144, Berlin 1999, 30–53 [English]. Translations: A. WERNER, Die Apokalypse des Petrus. Die dritte Schrift aus Nag-Hammadi-Codex VII, ThLZ 99 (1974) 576–584 [German]; J. BRASHLER/A. BULLARD, Apocalypse of Peter, in: J. M. Robinson et al. (Ed.), The Nag Hammadi Library in English, Leiden/San Francisco 31988, 372–378 [English]; A. WERNER, Koptisch-gnostische Apokalypse des Petrus, NTApo 2, Tübingen 51989, 633– 643 [German]; IDEM, The Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, in: W. Schneemelcher/R.McL. Wilson (Ed.), New Testament Apocrypha. Revised edition II: Writings Relating to the Apostles Apocalypses and Related Subjects, Cambridge/Louisville 1992, 700–712 [English]; U. SCHOENBORN, Diverbium Salutis. Studien zur Interdependenz von literarischer Struktur und theologischer Intention des gnostischen Dialogs, ausgeführt an der koptischen „Apokalypse des Petrus“ (NHC VII, 3), StUNT 19, Göttingen 1995, 44–61 [German]; M. MEYER, The Revelation of Peter, in: Idem (Ed.), The Nag Hammadi Scriptures. The International Edition, New York 2007, 487–497 [English]. When not indicated otherwise the text and translation in NHMS 30 has been used. 3 See, e.g., H.W. HAVELAAR, Apokalypse des Petrus (NHC VII,3), in: H.-G. Bethge et al. (Ed.), Nag Hammadi Deutsch I: NHC XXXX. Eingeleitet und übersetzt von Mitgliedern des Ber-

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The designation „the little ones“ or „the few“ ( ) is found in 78,22; 79,19, and 80,1.11–(12). These passages are not by accident found in the middle section of the Apoc.Pet. (73,14–80,23), which in the textanalysis presented below I have named „The revelation of the Savior ... about the heretical opposition.“ Who precisely these „little ones“ are will have to be discussed in detail in the section below that deals with the ecclesiological understanding of the Gnostics behind the Apoc.Pet. With regard to the designation of opponents in the Apoc.Pet. there are similarities with the Gos.Thom.4 Even though the specific term „many“ ; Gos.Thom., log. 74 and 75)) is not to be found, they are nevertheless ( said to be an „abundance“ ( ]), to be „„numerous“ ( [71,14]), [77,22]) or identified as „multitude(s)“ ( [73,23] or [80,3f]). The summary of the revelation about the antagonistic opponents by Peter in the concluding dialogue with the Savior (79,32–80,22), after the Savior’s revelation of the heresy has come to an end, is significant: ...there are multitudes ( of living ones... (80,3f).

that will mislead other multitudes (

Here two „multitudes“ are set up against each other: the „multitudes“ reprey senting a counterfeit will mislead the „multitudes of living ones“. Already in the introduction (1ST1) those whose nature is consubstantial ( [-ouvsi,a]) with the Revealer are referred to as a multitude or an ).5 The question of who the numerous opponents abundance (71,14: are and how they relate to the „multitude of living ones“, and if there is one unanimous opposition or several groups of opponents will have to be addressed below. These characterizations of the opponents of the Gnostic Christians are – as was the case with the (self-)designations we saw earlier – primarily found in the middle section of the Apoc.Pet. (73,14–80,23).

————— liner Arbeitskreises für Koptisch-Gnostische Schriften, GCS NF 8 (Koptisch-Gnostische Schriften 2), Berlin/New York 2003, 593–602: 592f. 4 On the Gos.Thom. see D. HELLHOLM, The Mighty Minority of Gnostic Christians, in: Idem et al. (Ed.), Mighty Minorities? Minorities in Early Christianity – Positions and Strategies (FS J. Jervell), Oslo et al. 1995, 41–66: 41–44. 5 See BRASHLER, Apocalypse of Peter, 220 note: „Ms. (‚fear‘) appears to be a mistake. The emendation proposed here assumes that the original Greek had plei/stoj or in Coptic“. So also peri,s[s]euma [or peri,sseusij –DH], which would be rendered by HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 33 (trans.) and 57 (grammatical annotations).

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A Textlinguistic Analysis

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2. Structural Analysis of the Apocalypse of Peter 2.1. State of Scholarship In present scholarship two interpretations of Apoc.Pet. that contradict each other have seen the light of day as far as the identification of the antignostic opponents to the Gnostic Christians is concerned. K. Koschorke in his profound Heidelberg dissertation from 1976 advocated the view that there is only one conflict reflected in this document, namely the controversy between the Gnostic Christians and the so called Great (also labeled Catholic or Early-Orthodox) Church, which constitutes the sole opposition as described in Apoc.Petr.6 J. Brashler and A. Werner on the other hand have argued primarily on the basis of the arrangement of the characterizations by means of „some ... others ... others ...“ etc. that one should assume several points of conflict and thus several oppositional groups, Early-Orthodox as well as Gnostic.7 In order to be able to present further and hopefully more strict arguments in that discussion I shall provide a structural or, if preferable, compositional analysis of this apocalypse utilizing the text-linguistic method I have used elsewhere when analyzing other Jewish, Christian and Hellenistic texts of the same literary genre.8 The recent text-linguisically inspired study by U. Schoenborn is forschungsgeschichtlich disappointing and clearly insufficient as far as the methodological approach to narrative texts is concerned, since it neglects most of the studies that have utilized text-linguistic approaches to Old and New Testament and Patristic texts. If he had only consulted works by, e.g., W. Schenk, Ch. Hardmeier, L. Hartman, D. Hellholm, B. Wiklander, B.C. Johanson,9 he would have discovered that these methods have been applied ————— 6

K. KOSCHORKE, Die Polemik der Gnostiker gegen das kirchliche Christentum. Unter besonderer Berücksichtigung der Nag-Hammadi-Traktate „Apokalypse des Petrus“ (NHC VII,3) und „Testimonium Veritatis“ (NHC IX,3), NHS 12, Leiden 1978, passim, esp. 14. 7 BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 222f; IDEM/BULLARD, Apocalypse of Peter, 372. WERNER, The Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, 703; cf. also F. WISSE, Peter, Apocalypse of, ABD 5 (1992) 268f: 269. 8 See D. HELLHOLM, Das Visionenbuch des Hermas als Apokalypse. Formgeschichtliche und texttheoretische Studien zu einer literarischen Gattung, CB.NT 13/1, Lund 1980; IDEM, The Problem of Apocalyptic Genre and the Apocalypse of John, in: A.Y. Collins (Ed.), Early Christian Apocalypticism. Genre and Social Setting, Semeia 36, Atlanta 1986, 13–64. 9 W. SCHENK, Textlinguistische Aspekte der Strukturanalyse, dargestellt am Beispiel von 1 Kor XV.1–11, NTS 23 (1976f) 469–477; IDEM, Die Philipperbriefe des Paulus. Kommentar, Stuttgart 1984; CH. HARDMEIER, Texttheorie und biblische Exegese. Zur rhetorischen Funktion der Trauermetaphorik in der Prophetie, BEvTh 79, München 1978; IDEM, Prophetie im Streit vor dem Untergang Judas. Erzählkommunikative Studien zur Entstehungssituationen in II Reg 18–20 und Jer 37–40, BZAW 187, Berlin 1990; L. HARTMAN, Text-Centered New Testament Studies. Text-

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to canonical and extra-canonical writings for almost 30 years he wrote his Habilitationsschrift; some of these even dealt with dialogical materials; he would also have discovered that methodologically it is eminently important to be aware of the fact that when conducting a text-linguistic analysis, a hierarchical arrangement of delimitation markers present in the entire text is necessary in order to avoid arbitrariness.10 2.2 Structural Textdelimitation Notations for the syntagmatic textdelimitation11

1–n

ST ST1–n AA DP FM MS1–n

= = = = = =

RM SA1–n SemM SM1–n SMsurr

= = = = =

1–n

subtexts of different grades several subtexts of different grades address appeal dramatis personae form media (e.g. narrative, discourse, monologue, dialogue etc.) meta-communicative sentences of various intensional and extensional ranges relational marker substitutions on abstraction-levels of different grades semantic marker substitutions on meta-levels of different grades substitutions on meta-level surrogate (verb instead of noun)

Textanalysis 0

ST1

yp of Peter (70,13) ( , ) Apocalypse [SM1:

————— Theoretical Essays on Early Jewish and Early Christian Literature, ed. by D. Hellholm, WUNT 102, Tübingen 1997; HELLHOLM, Visionenbuch; IDEM, Problem; IDEM, The Visions He Saw or: To Encode the Future in Writing. An Analysis of the Prologue of John’s Apocalyptic Letter, in: T. Jennings (Ed.), Text and Logos. The Humanistic Interpretation of the New Testament (FS H. Boers), Scholars Press Homage Series, Atlanta 1990, 109–146; B. WIKLANDER, Prophecy as Literature. A Text-Linguistic and Rhetorical Approach to Isaiah 2–4, CB.OT 22, Lund 1984; B.C. JOHANSON, To All the Brethren. A Text-Linguistic and Rhetorical Approach to I Thessalonians, CB.NT 16, Stockholm 1987. 10 See HELLHOLM, Visionenbuch, 78–80. In his analysis of Apc.Pet. SCHOENBORN, Diverbium, primarily relies on the marker „Change of speaker“ (Sprecherwechsel) which is of importance for the dialogical structure and certainly a necessary but by no means a sufficient marker for the analysis of the entire narrative text of Apc.Pet. Unfortunately Schoenborn does not operate with a hierarchical set of delimitation makers either. 11 See my publications listed in note 8, and in addition D. HELLHOLM, Substitutionelle Gliederungsmerkmale und die Komposition des Matthäusevangeliums, in: T. Fornberg/Idem (Ed.), Texts and Contexts. Biblical Texts in Their Textual and Situational Contexts (FS L. Hartman), Oslo et al. 1995, 11–76: esp. 22–33. 12 Cf. HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 72: „... Greek original ... The Greek genitive of the proper name Pe,troj“.

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A Textlinguistic Analysis 1

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ST1 INTRODUCTION TO VISIONS AND REVELATIONS AS ORIENTATION AND COMPLICATION13 (70,14–72,4b)14 2 ST11 Setting of vision as Orientation: Savior as narrator/angelus interpres sitting in the Heavenly Temple with the living incorruptible Majesty and with Peter (70,14–19) 3 ST111 Location: The Savior in the Heavenly Temple (70,14)15 3 ST112 Time or specification of location: The three-hundredth year of the foundation16 or in the inner part of the building17 (70,15–17) 3 113 ST Activity: The resting above the Heavenly Council (70,18f) 2 ST12 Peter’s narration of Savior’s monologue in his capacity as angelus interpres18 actuating the Complication (70,20–72,4) [FM: monologue by macarism; DP: Savior → Peter; AA: g inaugurated g – he said to me]19 Peter; MS: 3 ST121 First part of monologue in form of revelatory discourse with roleidentification of Originator, Revealer and second Recipient of revelation (70,20–71,15a)

————— 13

Regarding the functional narrative categories „orientation, complication, evaluation, resolution and coda“, see D. HELLHOLM, Lucian’s Icaromenippos as a Parody of an Apocalypse and 2 Corinthians 12,1–4 as a Report about a Heavenly Journey, in: D.C. Bienert et al. (Ed.), Paulus und die antike Welt. Beiträge zur zeit- und religionsgeschichtlichen Erforschung des paulinischen g 2008, 56–82: 61–63. Christentums (FS D.-A. Koch), FRLANT 222, Göttingen 14 g) and in 70:18 The circumstantial verb forms in 70:14 – as he was sitting) – as he was at rest) followed by the main verb in the citation-formula – he said to me) indicate that the section 70:14–20 should not be separated from the following reporting quotation of the Savior’s monologue in 70:20–72:4a as proposed by SCHOENBORN, Diverbium, 65.76–82. HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 71.126.137, in her analysis divides the text here as I do. 15 For the interpretation of the prepositional phrase as the Heavenly Temple, see BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 132ff; SCHOENBORN, Diverbium, 79f; HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 73–75. 16 So the trans. by BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 15, with comments ibid. 131– 135; WERNER, The Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, 705; SCHOENBORN, Diverbium, 44 with p Apocalypse yp of Peter, 31, with comments ibid. 54: „The problem note 12; HAVELAAR, The Coptic with : ‚The threehundredth of the construction‘ which is is the combination of and the noun do not have the same grammatically improbable because the numeral > between and .“ gender. The phrase needs an addition, for example < 17 So the trans. by BRASHLER, Apocalypse of Peter,, 218 with note: „Since the context appears y g Greek is proposed here. The underlying to be locative ... a more likely emendation p phrase evn koili,a| th/hj sunqe,sewj was presumably rendered by the Coptic literally refers to the coming together or convergence one would notice when looking up at the top of column, ‚the tenth pillar‘ in this imaginary temple where the Savior is at rest.“ Cf. the comment by B. A. PEARSON, The CGL Edition of Nag Hammadi Codex VII, in: J. D. Turner/A. Mc Guire (Ed.), The Nag Hammadi Library After Fifty Years. Proceedings of the 1995 Society of Biblical Literature Commemoration, NHMS 44, Leiden et al. 1996, 44–61: 55–57: „Whatever one might think of the ‚corrections‘ Brashler makes to the text, it has to be agreed that the passage as now rendered by him makes more sense“ (ibid. 57). 18 See below in note 59. 19 See also SCHOENBORN, Diverbium, 65.82: 82: „Über die Anrede ist Petrus als Empfänger des Diskurses definiert. Er übernimmt eine Rolle im Prozeß des kommunikativen Handelns“.

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ST1211 Address: Peter (70,20b) ST1212 Macarism of the enlightened Gnostic Christians (70,21–24) [FM: macarism] 5 ST12121 Protasis of macarism of those belonging to the Father (70,21f) 6 ST121211 Statement of blessedness as qualitative predicate ) (70,21) ( 6 ST121212 Preconditioned situation of the blessed: those belonging to the Father (70,21) 6 ST121213 Identification of the Father as the One above the Heavens (70,22) 5 ST12122 Apodosis of macarism in form of an asyndetic causal clause rendering the reason for the affirmation of felicity (70,23–24) 6 ST121221 Identification of the Father as the Originator of revelation of life (70,23) 6 ST121222 Restatement and specification of the situation of the blessed as those from life (70,24) 6 ST121223 Identification of the Savior as the Revealer (70,24) 4 ST1213 Savior’s action as the Gnostics’ Revealer and Reminder (70,25– 71,3a) [DP: 1st person sing.] 5 ST12131 Self-presentation as Reminder of recipients (70,25) 5 ST12132 Characterization of recipients as those built on the one who is strong (Jesus the Revealer or Peter the Transmitter?20) or on what is strong (the Pleroma21) (70,26f) 5 ST12133 Instruction to heed Revealer’s words (70,28) 5 ST12134 Content of instruction (70,29–71,3a) 6 ST121341 Distinction between words of unrighteousness (avdiki,a) and transgression of law (-para,nomoj), and words of righteousness (dikaiosu,nh) (70,29–32)22 4

————— 20

SCHOENBORN, Diverbium, 45, translates in a personal sense: „... auf dem der überlegen ist: sie sollen auf meine Worte hören ...“. Who, however, is meant? Jesus as suggested ibid. 83: „In der ersten Diskurs-Phase spricht der Soter noch in der ersten Person. Er macht Aussagen, mit denen er sich selbst und seine Sendung progammatisch vorstellt.“ Or as a possibility: Peter by means of a reference to the Greek meaning of Peter as suggested by HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 56? 21 Most interpreters translate in an impersonal sense, see the listing by HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 56, who even claims that „[a]ll former edititions also have the impersonal most likely is a interpretation“, which is not true, see the previous note. Ibid. 76: „ designation of the Pleroma“. 22 p yp of Peter,, 19 with note; IDEM, Apocalypse of Following BRASHLER, The Coptic Apocalypse ... means „distinguish between ... and Peter, 219 with note, who maintains that ).“ He refers to a parallel construction cited by W. E. CRUM, A Coptic Dictionary, ( ) ... and ( Oxford 41979 (11939), 370a; so also WERNER, The Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, 705, and HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 31.56. Otherwise KOSCHORKE, Polemik, 15, followed by SCHOENBORN, Diverbium, 45, who interpret the antithetical construction as a chiasm: the main difference is that according to the latter interpretation the nomos will be positively evaluated, see ibid. 85 with note 52.

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A Textlinguistic Analysis

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ST121342 Grounds for distinction: the last are words from the fullness of truth (71,1–3a) 4 ST1214 Savior’s soteriological mission as the result of His epiphany (71,3b–15a) [DP: Savior speaks of himself in 3rd person]23 5 ST12141 The enlightenment of the recipients (71,3b–4) 5 ST12142 Aretalogy of the Savior in form of an adaptation of the „revelation schema“ (71,5–15a)24 6 121421 ST Once hidden from the archons and the prophets (71,5–9a) 6 ST121422 Now revealed – as the Son of Man – to a multitude of consubstantial persons (71,9b–15a) [Time change: – now] 3 ST122 Second part of monologue in form of an appeal to Peter as First Recipient and Transmitter of revelation (71,15b–72,4a)25 [AA: y yourself, y f Peter; FM: – But you – become Injunction; Modus: imperative: perfect!] 4 ST1221 First injunction to Peter (71,15b–21) 5 ST12211 Address: „But you yourself, Peter“ (71,15b) 5 ST12212 Injunction to remain with the Revealer, who has chosen him (71,16–18)

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23 Schoenborn (ibid. 83) divides the section 70,25–71,15a into three subsections: 70,25–71,5a, 71,5b–9a and 71,9b–15a. This textdelimitation is incorrect for the following reasons: the first section ends with 71:3a, where the new sentence begins. The fact that the Savior speaks of himself in the third person cannot justify the violation of the syntax, since the new sentence clearly begins in 71:3b. Cf. analogously the remarks on Gal 2,14f in L. HARTMAN, Gal 3:15–4:11 as Part of a Theological Argument on a Practical Issue, in: IDEM, Text-Centered New Testament Studies, 253– 282: 257 note 13. Furthermore, Schoenborn’s claim that a new section on the same level of delimitation begins in 71,9b oversees two factors: (1) The delimitation marker from 71,5a, viz. the 3rd person speech does not change here and (2) the FM-marker „revelation schema“ is overlooked, see the following note. 24 Underlying this sub-text is the so called „revelation schema“ (see, e.g., N.A. DAHL, Formgeschichtliche Beobachtungen zur Christusverkündigung in der Gemeindepredigt, in: W. Eltester [Ed.], Neutestamentliche Studien für R. Bultmann, BZNW 21, Berlin 21957, 3–9; IDEM, FormCritical Observations On Early Christian Preaching, in: IDEM, Jesus in the Memory of the Early Church, Minneapolis 1976, 30–36; D. LÜHRMANN, Das Offenbarungsverständnis bei Paulus und in paulinischen Gemeinden, WMANT 16, Neukirchen-Vluyn 1965, esp. 124–133) with the kh,rugma of the revealed musth,rion as found, e.g., in 1Cor 2,6ff, Col 1,26–27, Eph 3,4f.9f, 2Tim 1,9f and esp. Rom 16,25f: „... kata. avpoka,luyin musthri,ou cro,noij aivwni,oij sesighme,nou( fanerwqe,ntoj de. nu/n dia, te grafw/n profhtikw/n katV evpitagh.n tou/ aivwni,ou qeou/ eivj u`pakoh.n pi,stewj eivj pa,nta ta. e;qnh gnwrisqe,ntoj ...“. Note that the role of the prophets is different in the two variants of the schema: the OT prophets are negatively viewed among the Gnostics (cf. e.g., Irenaeus, haer. I 19,1–3; Hippolytos, haer. VI 35,1–3; Pistis Sophia, 135), who evidently reinterpreted the „revelation schema“ so as to fit their own conception. Cf. further the commentary by HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 77–79. For a more detailed analysis, see D. HELLHOLM, The ‚Revelation-Schema‘ and Its Adaptation in the Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, SEÅ 63 (1998) 233– 248. 25 Cf. SCHOENBORN, Diverbium, 86: „Petrus kommt innerhalb der göttlichen Sendung eine paradigmatische Rolle zu“.

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34

David Hellholm 5

ST12213 Motivation for the injunction: Peter’s role vis à vis the elect (71,19–21) 4 ST1222 Second injunction to Peter encompassing the complication26 (71,22–72,4a)27 [DP: Savior speaks of himself in 3rd peson;28 – be strong!] Modus: imperative: 5 ST12221 Injunction to be strong in view of the complication resulting from the coming of the imitation (avnti,minon) of righteousness (dikaiosu,nh) (71,22–24) 5 ST12222 Call to proper knowledge of the Savior in view of the conflict about the correct interpretation of the passion-tradition (71,25–72,4a) 1 ST2 TWO INTERCALATED REVELATIONS AND A CONCLUDING COMMISSION AS EVALUATION, RESOLUTION AND CODA: (a) surrounding sections: visions of Jesus’ crucifixion (72,4b–73,14a + 80,23–83,15), (b) middle section: revela( , , tion of the heresy of the opposition (73,14b–80,22) with a culminating commission (83,15–84,11) , ) [SA [ 1: – and as he was saying – I saw (= vision29)]30 these things; SMsurr.: 2 ST21 First part of visions/auditions with interpretations of Jesus’ crucifixion as preliminary Evaluation (72,5–73,14a) 3 ST211 Vision of attack on Jesus and Peter by priests and people (72,5–9) 3 ST212 Interpretation of vision by Savior as angelus interpres in form of a ( , , ) [[FM: dialogue; DP: Savdialogue with Peter (72,9–73,14a) – and he said to me]31 ior/Peter; MS: 4 2121 g p ST First antithetical dialogue-phase concerning the visions (72,9– – and he said to me] 72,28a)32 [MS:

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As complication it is kataphorically pointing to the evalutation in the following sub-texts. Cf. ibid. 88: „Gerade die Diskursteile, die auf den Subjektswechsel folgen, scheinen von besonderer Relevanz zu sein.“ 28 Ibid. 87: „... der Soter übernimmt die Rolle eines Kommentators ...“. 29 WERNER, The Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, 705 ad loc.: „... I saw (in a vision) ...“. Cf. also BRASHLER, Apocalypse of Peter, 223 note: „For a similar literary device involving a vision of events in Jerusalem and a simultaneous revelatory discourse explaining their significance, see Act. John 97–101“. 30 SCHOENBORN, Diverbium, 66, also draws a demarcation line between 72,4a and 72,4b. Contrary to ibid. 65–73, however, the sub-text between the „Introduction 70,14–72,4a (1ST1)“ and the „Conclusion 84,12–13 (1ST3)“, i.e. the „Revelation and Concluding Commission 72,4b–80,22 (1ST2)“, should be taken as one unit with intercalated revelations. Also HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 126, lets a new section begin at 72,4 but lets it end already at 73,14 naming it „Account of Vision and Audition“; at 73,14 she reckons with a new section encompassing 73,14– 81,3 naming it „Monologue of the Saviour and Peter’s reaction“; this section is according to her followed by a section beginning at 81,3 and ending at 83,15 which she terms „Account of Vision“. 31 Cf. SCHOENBORN, Diverbium, 96, and the diagram ibid. 98. 32 It is in fact two dialogue phases: the first concerning „seeing“, the second concerning „hearing“. Within each of them there is first a negative outcome, and only after a renewed appeal from the Savior follows the positive result. Otherwise Schoenborn (ibid. 101f), who divides this sub-text into four dialogue phases. Schoenborn, however, also realizes the bipartition of the dialogue when he talks about „Visions- und Auditionsphasen“ (ibid. 112, and cf. 111), and his analysis of the dia27

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A Textlinguistic Analysis

35

5

ST21211 Savior’s reference to former instructions about their blindness in form of scriptural allusion, and first instruction on technique for inducing visionary insight (72,9–17) [Modus: imperative] 5 ST21212 Peter’s description of his failure to see (72,17–20) 5 ST21213 Savior’s renewed instruction to Peter to make another at– again (pa,lin) tempt (72,20f) [MS: he told me; Modus: imperative] 5 ST21214 Peter’s description of his second attempt and successful vision of the descending light upon the Savior (72,21–28a) [SMsurr: – I saw (= subsequent vision); Conj.: ga,r – for] 4 g p ST2122 Second progressive dialogue-phase concerning the auditions (72,28b–14) [MS: – and he said to me again] 5 ST21221 Savior’s instruction to Peter to receive an interpreting audition (72,29–73,1) [Modus: imperative] 5 ST21222 Peter’s negative description of his audition of the conversation between the priests and the scribes (73,1–5) [MS: – and I listened] 5 ST21223 Savior’s renewed instruction to Peter to listen again (73,6–8) [Modus: imperative] 5 ST21224 Peter’s positive description of his audition of the heavenlyy voices praising the Soter (73,9–11) [MS: – and I listened again (subsequent audition)] 5 ST21225 Savior’s reference to the attackers’ blindness and deafness p with recapitulation of initial scriptural allusion (73,11–14a) – and when I said these things] [SA: 2 ST22 Middle section as primary Evaluation: Revelation of the Savior in form of a long monologue and a short concluding dialogue about the heretical [ j – listen;; Conj.: – then; opposition (73,14b–80,23)) [AA: SA2/SM/MS ((anaphoric): – to those things which will be told to you (= I tell you) in a mystery (musth,rion)]33

————— logue phases’ antithetical and progressive characters respectively is to the point and has been adopted here (ibid. 102f). 33 SCHOENBORN’s delimitation is problematic in more than one way: he (Diverbium, 68) lets the new sub-text begin with 73,23b („IV. Offenbarungsdiskurs 73,23b–79,31a“) as ibid. 130, („4.6 Die Offenbarungsrede des Soter [73,23b–79,31a]“). Ibid. 132, however, the headline 4.6.2 reads: „Die Komposition der Offenbarungsrede (73,14b–80,23a)“; furthermore, ibid. 101, he states quite rightly: „Es ist aber der Soter, der den Schlußpunkt setzt, indem er in einem anderen Rede-Horizont überleitet (vgl. 73,14b–23a)“ and ibid. 130, he writes equally correctly: „Mit der Lehreröffnungsformel ‚Höre also jetzt‘ (73,14b.15) signalisiert der Soter in mehrfacher Hinsicht, daß die Begegnung in eine neue Phase tritt“. Thus, Schoenborn not only superimposes his generic schema on the text, he also contradicts himself, since he is aware of the delimitation markers in 73,14b–15 and yet does not utilize them for his textdelimitation. This is a clear example of how a precon-

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David Hellholm 3

ST221

Peter’s call to esoteric knowledge (musth,rion) with motivation (73,14–23) [FM/DP: Peter addressed by Savior] 4 ST2211 Admonition to listen to message (73,14–17a) 4 ST2212 Admonition to withhold message from the children of this age (73,17b–21) 4 ST2213 Promise of praise to Peter (73,22) 3 ST222 First series of prophecies of apostasy from Gnosis (73,23–75,7) [FM/DP: Savior informs Peter of the multitudes’ action] 4 ST2221 Prediction of defection from Gnosis and persecution of Gnostic Christians (73,23–74,22) 5 ST22211 Description of defection of multitude (73,23–74,3) 5 ST22212 Resulting persecution of Gnostic Christians (74,4–12) 5 ST22213 Content of false teaching (74,13–16) 5 ST22214 Polemic against Paul as originator of false teaching (74,16– 22) 4 ST2222 Description of multifarious appearances of orthodox heresy: first two characterizations (74,22–75,7) 5 ST22221 First characterization: general defilement and internal – for some] contentions (74,22–27) [RM: 5 ST22222 Second characterization: heretics named after a man and a – others] naked woman (74,27–75,7) [RM: 3 ST223 Polemical Digression: contrary anthropologies and ecclesiological categorization – „dead“ vs. „immortal souls“ in two parallel sections (75,7–76,23)34 [FM: simile; SemM: universally fundamental principles] 4 ST2231 First parallel section dealing with the consequences of the principle: „like produces like“ (75,7–76,4) 5 ST22311 Statement of principle: simile as scripture allusion (75,7–11) 5 ST22312 Description of mortal soul (75,12–26) 5 ST22313 Description of immortal soul (75,26–76,4) 4 2232 ST Second parallel section dealing with the consequences of the principle: „like produces like“ (76,4–28) 5 ST22321 Statement of principle: simile as scripture allusion (76,4–8) 5 ST22322 Description of mortal soul (76,9–13) 5 ST22323 Description of immortal soul (76,14–17) 5 ST22324 Concluding negative statement of principle: „like returns to like“, „for deaf and blind ones join with their own kind“ (76,18–23)

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ceived structural system – in this case that of the dialogue structure – is allowed to govern the analysis. 34 HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 92, has pointed to the major differences between this part of Apoc.Pet. and the surrounding text: (1) „according to us“, which „better fits a religious teacher than a Pleromatic revealer“ (see further ibid. 71f); (2) there are three times as many untranslated Greek words as in the rest of the text; (3) many nominal sentences, statives and almost all the aorist-forms in Apoc.Pet.; (4) Luke 6,43f is incorporated; (5) The subject matter is more abstract. See further below note 62.

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A Textlinguistic Analysis 3

37

ST224

Second series of prophesies of apostasies from Gnosis (76,24– 79,31) [RM: resumption of series of characterizations; SemM: deceptive mysteries; Conj.: de,] 4 ST2241 Prediction of defection from Gnosis (to deceptive mysteries) – but others] (76,24–26) [RM: 5 ST22411 Description of defection (76,24) 5 ST22412 Content of false teaching: evil words and deceptive mysteries (76,25–26) 4 ST2242 Description of multifarious appearances of heresy: last four characterizations (76,24–79,31) 5 ST22421 Third characterization: claim of exclusive possession of truth (76,27–77,21) [RM: – some] 6 ST224211 The claim to exclusiveness (76,27–77,3) 6 ST224212 Justification for claim: the archontic powers (77,4–21) 5 22422 ST Fourth characterization: the counterfeit of the true forgiveness (77,22–78,31) [RM: – and others who are numerous] 6 ST224221 Messengers of error, who are numerous (77,22–33) 6 ST224222 Haimarmene exerted by the counterfeit (78,1–78,22) 6 ST224223 Punishment of those who lead „the little ones astray“ (78,23–31) 5 ST22423 Fifth characterization: extra ecclesiam nulla salus (78,31– – and others] 79,21) [RM: 6 ST224231 Description of „the true brotherhood“ (78,31–79,7) 6 ST224232 Description of oppression of „the little ones“ on the part of „the sisterhood“ as a counterfeit (79,8–21) 5 ST22424 Sixth characterization: hierarchical structure of the heretic church: bishopp and presbyters (79,22–31) [RM: p – and there shall be others] 3 ST225 Concluding assurance of the final triumph of „the little ones“ (minority) over „the multitude“(majority) as Resolution in a short concluding dialogue within the middle section between Peter and the Savior35 (79,32–80,23) ( , g ; DP: Peter/Savior;; MS: [FM: dialogue; – and I said; SA3: – I am afraid because of what you have told me] 4 ST2251 Peter’s concern (79,32–80,7) 4 ST2252 Savior’s assurance of victory (80,8–23) [MS: – The Savior (swth,r) said] 2 ST23 Second part and completion of visions and interpretations of Jesus’ crucifixion as concluding Evaluation and Resolution (80,23–83,15) – O, Peter! Come therefore [AA with interjection and conj.:

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35 SCHOENBORN, Diverbium, 70, also delimits the text at this juncture naming the following section a „Dialogisches Zwischenspiel“.

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David Hellholm (ou=n); FM/SemM: let us return to the completion of the will of the undefiled Father; Modus: optative: – let us go!]36 3 231 ST First vision with interpretation of two figures on/above the cross (80,23–82,3) 4 ST2311 Preparation for visionary experience (80,23–81,3) 5 ST23111 Call to experiencing „the completion of the will of the undefiled Father“ (80,23–26) 5 ST23112 Description of approach of the priests and people (80,26–30) 5 ST23113 Appeal and assurance to Peter (80,31–81,3) 4 2312 p of the two figures g ST Vision report on the cross and above it (81,4– 14) [SA4: – when he had said these things; SMsurr: – I saw] 5 ST23121 Peter’s vision of the captured Savior (81,4–6) 5 ST23122 Peter’s question about the two figures (81,7–14a) 4 2313 g form (81,14b–82,3) ( , , ) ST Interpretation in dialogue [FM: dialogue; MS: – the Savior said to me] 5 ST23131 Savior’s interpretation of himself as the „living Jesus“ and his „fleshly part“ (sarkiko,n) (81,14b–24) 5 gg ST23132 Peter’s suggestion to escape (81,24–28) 5 ST23133 Savior’s r buke of Peter and repeated declaration of the mistake by „the blind“ (81,28–82,3) 3 ST232 Second vision with interpretation of Savior’s filling with Pleroma (82,4–83,15) 4 p of the Savior being filled with Pleroma (82,4–14) ST2321 Vision report [SM: – and (de,) I saw] 5 ST23211 Approach of the Pleroma [cf. 83,10–13] (82,4–6) 5 ST23212 Filling of the Soter with the pure spirit (82,7–9) 5 ST23213 A great light surrounding the two figures of the Savior and the praising of the invisible angels (82,9–14) 4 ST2322 Peter’s own testimonial assurance of his vision of the approach of figures representing p g different ranks of the Savior (82,15–16) [SemM: and it is I who saw him (or and when I looked at him)] 4 ST2323 Savior’s interpretation of vision and confirmation of Peter’s vision (82,17–83,15)37 5 23231 ST Savior’s testimonial confirmation of the revelation of mysteries given to Peter (82,17–20) 5 ST23232 Interpretation of the sarkiko.n sw/ma of the crucified as dinstinguished from the „living Soter“, who is the noero.n

————— 36

Schoenborn (ibid. 70f) does not take into consideration the delimitation markers in the narrative due to his tendency to superimpose the dialogical schema on the text. Thus, he incorrectly divides the text on the highest level at 81,6a and lets a new section „Dialogische Interaktion“ begin at 81,6b. 37 Schoenborn (ibid. 72) delimits the text on the highest level at 82,18.

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A Textlinguistic Analysis

39

pneu/ma, which „the blind ones“, however, do not understand (82,21–83,15) 2 ST24 Culmination in form of a commission to transmit revelation to „the strangers (avllogenh,j) who are not off this age g (aivw,n)“ as Coda38 (83,15– these things that you saw [= in 84,11) [SA2/SMsurr: the vision]; DP: Soter → Peter → avllogenh,j; Conj.: ou=n] 3 ST241 Commission itself (83,15–18) 3 ST242 Basis for commission in form of a substantiation partly by means of a self-quotation by Savior (= quotation from scripture) (83,19– 84,6) [Conj.: ga,r] 4 ST2421 Reason for the commissioning Peter to transmit the revelations only to those of immortal essence (ouvsi,a) (83,19–26) 4 ST2422 Justification for commission byy means of self-quotation by Savior (83,26–84,6) ( , , [Conj.: – therefore; Citation formula: – I have said] 3 ST243 Exhortation and promise (84,7–11) [Conj.: ou=n] 4 ST2431 Exhortation to be strong (84,7–8) 4 ST2432 Reason in form of promise of Savior’s presence (84,8–11) [Conj.: ga,r] 1 ST3 EPILOGUE: CONCLUSION OF VISIONS AND REVELATIONS:39 ) (84,12–13) [SA1: Peter comes to his senses ( – when he had said these things; SMSurr: End of vision] 0 p yp of Peter (84,14) ( , ST2 Apocalypse [SM1: ]

Synopsis of Various Textdelimitations On the following pages a synopsis of recent representative text-delimitations is provided in order to facilitate a comparison between various suggested macro-structures of the entire text. The contributions that reckon with the Apoc. Pet. as an overarching narrating apocalypse delimit the text in a quite similar although not identical fashion and in an altogether different way from the delimitation provided by Schoenborn, who presupposes an overarching dialogical macro-structure. —————

38 The reason for the Coda to be delivered already within the visionary part in many Apocalypses is to strengthen the message by the Transmitter through direct order from the super-natural world (cf. 1Enoch 13,7–16,4; 4Ezra 14; Hermas, Vis. II 2,2–8; 4,2–3; III 8,11; IV 3,6; Sim. X 1,3; Plat. rep. 614d; Par. Sem. 41–49; Lucian. Icar. 34fin; Rev 22,6–21), see D. HELLHOLM, Apokalyptiken som religionshistoriskt och litterärt fenomen, NTT 98 (1997) 131–142: 141; IDEM, The Shepherd of Hermas, in: W. Pratscher (Ed.), The Apostolic Fathers. An Introduction, Waco 2010, 215–242: 237 (= IDEM, Der Hirt des Hermas, in W. Pratscher (Ed.), Die Apostolischen Väter. Eine Einleitung [UTB 3272], Göttingen 2008, 226–253: 248). 39 So also the text-delimitation in SCHOENBORN, Diverbium, 73. The Coda in the Apc.Pet. – contrary to Lucian’s Icar. 34fin (see HELLHOLM, Lucian’s Icaromenippos, 56–82: 65f) – is not given in the „epilogue“ but in the „commission to transmit the revelation to the strangers“. The Epilogue in the Apc.Pet. is hence extremely short.

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40

David Hellholm

Regarding the micro-structures I refer to the publications listed in the bibliography as well as to my own analysis with comments given in section 2.3 in this essay. Synopsis of Macro-Structural Textdelimitations BRASHLER, Apocalypse, 144–147.

HELLHOLM, Textlinguistic Analysis, 30– 39; supra.

I. Introduction (70,14–72,4a)

I. Introduction (70,14–72,4a)

II. First vision: Report and Interpretation (72,4b–80,23)

A. Report of first vision (72,4–9a) B. Interpretation of vision (72,9b–80,23)

II. Two intercalated revelations and concluding commission (72,4b–84,11)

A. First part of visions (72,4b–73,14a) B. Middle section: Savior’s revelation about heretical opposition (73,14b–80,23a)

III. Second vision: Report and Interpretation (80,23–82,3a)

C. Second part of visions (80,23b–83,15a)

IV. Third vision: Report and Interpretation (82,3b–83,15)

D. Concluding commission (83,15b–84,11)

V. Conclusion (83,15–84,13)

III. Conclusion of vision (84,12–13)

Synopsis of Macro-Structural Textdelimitations (cont.) SCHOENBORN, Diverbium, 65–73.

HAVELAAR, Apocalypse, 126f.

I. Präskript (70,13–70,20)

I. Introduction (70,14–72,4a)

II. Offenbarungsdiskurs (70,20–72,4a) III. Dialogische Interaktion (72,4b–73,23a)

II. Account of vision and audition (72,4b–73,14a)

IV. Offenbarungsdiskurs

III. Monologue of Saviour and Peter’s

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A Textlinguistic Analysis (73,23b–79,31a)

Reaction (73,14b–81,3a)

V. Dialogisches Zwischenspiel (79,31b–81,6a)

IV. Account of vision (81,3b–83,15)

41

VI. Dialogische Interaktion (81,6b–82,17a) VI. Beauftragungsdiskurs (82,18–84,11b) VIII. Epilog (84,11c–14)

V. Conclusion (83,15–84,13)

2.3 Comments on the Textanalysis The revised text-delimitation provided above for this volume is in many ways indebted to the structural analysis of Apoc.Pet. given by Schoenborn40, whose monographic study appeared simultaneously as and independently of my essay on „The Mighty Minority of Gnostic Christians“ from 1995. I have also profited from consulting the recent edition and commentary by H.W. Havelaar.41 As in the original essay I have taken into account the analysis first provided by Brashler42 as well as relevant sections in the work by Koschorke,43 who, however, does not bring a complete analysis of the entire text. By paying special attention to demarcation markers in the text, I have tried to arrive at a more precise delimitation than my precursors, especially of the macro-structure of the text as a whole. From a methodological point of view it is with satisfaction I now realize the utilization of a similar although not identical text-linguistic approach by Schoenborn in his analysis of this in many ways difficult text. In what follows I shall comment in particular on the compositional macro-structure, which means that I shall limit myself to the delimitation of text-sequences down to level two. The semantic and pragmatic-functional consequences of the textanalysis will be explicated in a subsequent paragraph dealing with the interpretation of this document.

————— 40

SCHOENBORN, Diverbium, 65–73. HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, esp. 72–109. 42 BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 144–147. 43 KOSCHORKE, Polemik, passim, esp. 11–17. 41

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Delimitation of the text as a whole In addition to the „superscript“ at the beginning (70,13) and the „subscript“ at the end (84,14) ( , ) of the document,44 both formulated in Greek ), this text as a whole is clearly divided into three larger sections: (1ST1) „Introduction to visions and revelations as Orientation and Complication“ (70,14–72,4), (1ST2) „Two intercalated revelations with a concluding commission as Evaluation, Resolution and Coda“ (72,4–84,11), and (1ST3) „Epilogue: conclusion of visionary revelations“ (84,12–13). These three sections or textsequences are delimited by means of one and the same delimitation marker, the so called ( 1): „... and as he (sc. the Savior) was substitution on abstraction level (SA saying these things ( ); „„... and when )“ (72,4a; narrator = Peter); he (sc. the Savior) had said these things ( )“ (84,12a; narrator = not Peter45). In addition the second section is set apart from the first by means of a substitution on metalevel (SM)) or rather its surrogate (SMsurr): „I (sc. Peter) saw [in a vision] ( )“ (72,4b).46 And conversely the third section is set apart from the second byy the opposite SMsurr: „he (sc. Peter) came to his senses “47 [end of vision] (84,12b–13; narrator = not Peter). Hereby the text-sequence 72,4 to 84,13 is shown to constitute one single unit (1ST2), which in turn is made up of a series of text-sequences on lower ranks. Delimitation of textsequences on level one The first section on level one (1ST1), the „introduction“ (70,14–72,4), is made up of two subsections, the first (2ST11) describing the Savior sitting in the temple instructing Peter (70,14–19); the second (2ST12) narrating Peter’s report of the Savior’s monological instruction about the Father as Originator of the revelation, himself as the Revealer and Peter as the first Recipient and Transmitter (70,20–72,4) of the revelation.48 The Savior’s monologue ————— 44

Possibly not original, see HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 72. Differently A. BÖHLIG, Zur Apokalypse des Petrus, in: IDEM, Gnosis und Synkretismus: GAufs. zur spätantiken Religionsgeschichte II, WUNT 48, Tübingen 1989, 395–398 (= Göttinger Miszellen 8 [1973] 11–13): 398: „Man kann ... wohl auch hier Petrus als Subjekt annehmen ...“. 46 See above note 29. 47 On „coming to his senses“, see HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 68f contra SCHOENBORN, Diverbium, 228f. See further HELLHOLM, Lucian’s Icaromenippos, 67: 3rd Baruch 17:1–4: „Baruch tells about his coming to himself (kai. eivj e`auto.n evlqw,n), which may indicate that his journey to Heaven took place outside of the body ...“ 48 The introduction encompasses the textsequence 70,14–72,4 also in the analyses by BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 144f, and HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 73.83.126. Otherwise SCHOENBORN, Diverbium, 65.77–80, who reckons with a „Prescript“ which ends already at 70,20a. Thus he states that „Nichts deutet vorgreifend auf eine Offenbarungssituation hin“ (ibid. 77). This is not conclusive, since we have the same phenomenon in Herm. Vis. I, where the sub-text „1TT1 Romanhafte Vorgeschichte“ (1:1f) is followed by the sub-text „1TT2 Vi45

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is clearly the dominating part in the introduction. The markers delimiting these two subsections are four: change in form media (FM) from narrative to monological discourse inaugurated by means of a macarism; change in the activity of dramatis personae (DP); address by the Savior to Peter; finally a meta-communicative sentence (MS): „he (sc. Savior) said to me“. Functionally it constitutes the Orientation and Complication of the composition. The second section on level one (1ST2), the „intercalated revelations with a concluding commission“ (72,4–84,11), constitutes the main part of the document. Functionally it makes up the Evaluation, Resolution as well as the Coda. It falls into four subsections: the first (2ST21) contains the „first part of visions and interpretations of Jesus’ crucifixion as preliminary Evaluation“ (72,5–73,14); the second (2ST22), sometimes called „middle section“, encompasses the „revelation of the Savior about the heretical opponents as primary Evaluation with Resolution“ (73,14b–80,23a); the third (2ST23) is made up of the „second and completing part of visions and interpretations of Jesus’ crucifixion as concluding Evaluation and Resolution“ (80,23b–83,15); the fourth and last subsection (2ST24) brings a „concluding commission to transmit the revelation to the ‚strangers who are not of this age‘ as Coda“ (83,15–84,11). Noticeable here is the fact that the revelations regarding the heretical opposition in the „middle section“ is enclosed by the two visionary sections about Jesus’ crucifixion with concomitant interpretations. The importance of this structural intercalation will have to be addressed more closely below.49 The markers delimiting these subsections are of a somewhat diverse nature due to the construction of the text itself. The second subsection is set apart from the first by means of an address appeal (AA) with conjunction; a substitution on abstraction level of second grade (SA2) in combination with a metacommunicative sentence (MS), and a substitution on meta-level (SM): „Now then, listen to the things that are being told to you in a mystery (musth,rion), and guard them“. The third subsection is set apart from the second by means of an address appeal (AA) with interjection and conjunction followed by a change in form media (FM): „adhortatio“ combined with a semantic marker (SemM) referring to a resumption and completion of the visions and interpretations of Jesus’ crucifixion: „O (w=) Peter. Come therefore (ou=n)! Let us proceed to the completion of the will of the undefiled Father“ (80,23b). The fourth subsection is set apart from the third by means of four markers: a substitution on abstraction level of second grade (SA2) in combination with a surrogate of the ————— sionen“ (1,3–24,7), see HELLHOLM, Visionenbuch, 140f (TT = Teiltext corresponding to ST = Subtext). Regarding the hierarchical arrangements of revealers, see esp. IDEM, Visions, 119f. 49 See below section 3.1.

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substitution on meta-level (SMsurr) referring to the just completed visions with interpretations: „these things that you saw [= in a vision] p “ (83,15); a change in form media (FM): „commission“; a change in receptive dramatis personae (DP) (avllogenh,j); the conjunction ou=n. The last section on level one (2ST3) is extremely short and consists merely of a SA1: „when he had said these things“ and a SMSurr/DP: End of vision by means of the remark that „„he (sc. Peter [sic! not I; cf. 70,20]) came to his senses ( )“ (84,12–13).50 Delimitation of textsequences on level two Further observations and comments with regard to the text-delimitation will be limited to level two with the second subsections 2ST11 and 2ST12 on the first subtext on level one (1ST1), as well as the second subsections 2ST21, 2 ST22, 2ST23, and 2ST24 on the second subtext on level one (1ST2). (a) The first subsection on level two (2ST11) within the subtext (1ST1), namely the brief „setting of vision as Orientation“ (70,14–19) is divided into three parts on level three, firstly (3ST111) the „location of the Savior in the Heavenly Temple“ (70,14), secondly (3ST112) the „time statement of the three-hundredth year of the foundation or specification of location“ (70,15– 17), and thirdly (3ST113) the „resting activity of the Savior together with the living Majesty, and with Peter implied“ (70,18–19). The second subsection on level two (2ST12) within the same subtext 1 ( ST1), i.e. „Peter’s narration of the Savior’s monologue containing the Complication“ (70,20–72,4) is made up of two parts on level three: firstly (3ST121) the „first part of the monologue in form of a revelatory discourse about role-identification of dramatis personae“ (70,20–71,15a), and secondly (3ST122) the second part of the monologue in form of an appeal to Peter as transmitter of revelation“ (71,15b–72,4a). The two monologue parts are set apart from each other by means of an Address appeal (AA): „but you yourself Peter“; a change in form media (FM): injunction; change in modus: imperative: „become perfect!“ (b) The first subsection on level two (2ST21) within the subtext (1ST2), namely the „first part of visions and interpretations of Jesus’ crucifixion as ————— 50 See above note 47 with reference to other Apocalypses as well as to the recent deliberations in HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 68f, who refers to the parallel expression in Zostr. 46:14 (NHC VIII,1), which J.H. SIEBER, Zostrianus (NHC VIII,1), in: Idem (Ed.), Nag Hammadi Codex VIII (NHS 31), Leiden 1991, 111 translates: „... and begins again to come to its senses.“ HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 68: „It probably translates literally the Greek evge,neto evn auvtw/|; cf. Acts 12,11: Kai. o` Pe,troj evn e`autw/| geno,menoj and Lk 15,17: eivj e`auto.n d’ evlqw,n (BÖHLIG, Zur Apokalypse des Petrus, 395–398).“ Böhlig who first drew attention to these parallels concludes by stating: „Der Parallelismus von Act 12,11 und dem Schlußsatz der Petrusapokalypse dürfte eindeutig sein. Nach einem Erlebnis, das apokalyptischen Charakter hat, ‚kommt‘ in der Apostelgeschichte Petrus wieder ‚zu sich‘“ (BÖHLIG, Zur Apokalypse des Petrus, 397).

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preliminary Evaluation“ (72,5–73,14) is divided into two parts on level three: firstly (3ST211) the „vision of the attack on Jesus and Peter by the priests and the people“ (72,5–9) and secondly (3ST212) the „interpretation of the vision by the Savior in form of a dialogue with Peter“ (72,9–73–14). These two subtexts are divided by means of three markers in combination: a change in form media (FM): „dialogue“; a change in active and passive dramatis personae (DP): Savior/Peter; a meta-communicative sentence (MS): „and he said to me“. The second subsection on level two (2ST22) within the same subtext 1 ( ST2), namely the „middle section with revelation of the Savior about the heretical opposition and the digression on anthropology and ecclesiology as primary Evaluation with Resolution“ (73,14–80,23) is delimited into five further parts on level three: the first (3ST221) contains „Peter’s call to esoteric knowledge by the Savior“ (73,14–23); the second part (3ST222) is made up of a „first series of two prophecies of apostasy from Gnosis“ (73,23– 75,7); the third part (3ST223) encompasses a „digression on contrary anthropological and ecclesiological convictions“ (75,7–76,23); the fourth part (3ST224) contains a „second series of four prophecies of apostasies from Gnosis“ (76,24–79,31), and the fifth part (3ST225) brings the „concluding assurance of the final triumph of the „minority“ over the „majority“ (79,32– 80,23). These five subtexts are divided by way of a diversity of markers due to the nature of the text. The second subtext is set apart from the first through a change in form media (FM) in combination with a change in the status of the dramatis personae (DP): from Savior’s direct address of Peter to Savior’s information to Peter of the actions of the multitudes. The third subtext is set apart from the second through a change in form media (FM): simile and a semantic marker (SemM) emphasizing a universally valid and fundamental principle. The fourth subtext is set apart from the third by way of a change in form media (FM) in conjunction with a change in dramatis personae (DP): a resumption of characterizations; a semantic marker (SemM) introducing deceptive mysteries; conjunction de,. The fifth subtext is marked off from the fourth by means of a change in form media (FM) from monologue to dialogue; a change in active and passive dramatis personae (DP); a meta-communicative sentence (MS): „and I said;“ finally through a substitution on abstraction level of the third grade (SA3): „... what you have told me“. The third subsection on level two (2ST23) within the same subtext (1ST2), namely the „second part and completion of visions and interpretations of Jesus crucifixion as concluding Evaluation and Resolution“ (80,23–83,15) is delimited into two visions with concomitant interpretations by the Savior: firstly the „vision of the two figures on and beside the cross with the Savior’s interpretation“ constitutes the first part (2ST231; 80,23–82,3), and sec-

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ondly the „vision of the Savior being filled with the Pleroma and its interpretation by the Savior“ constitutes the second part (2ST232; 82,4–83,15). The markers setting these two Visions apart are a renewed surrogate of a substitution on metalevel (SMsurr): „and I saw“, the change in DP: from figures above/beside the cross to the Pleroma, and finally the conjunction de,. The fourth subsection on level two (2ST24) within the same subtext 1 ( ST2), namely the „conclusion in form of a commission as Coda“ (83,15– 84,4) is divided into three parts: firstly (3ST241) „the commission itself“ (83,15–18); secondly (3ST242) the „basis for the commission“ (83,19–84,6); finally (3ST243) the „exhortation and promise of Savior’s presence“ (84,7– 11). The second subtext is set off from the first by means of a change in form media (FM) from commission to substantiation and the conjunction ga,r. The third subtext is separated from the second through the change in form media (FM) from substantiation to exhortation, and through the conjunction ou=n.

3. Interpretation of the Apocalypse of Peter The question whether the Gnostic Christians behind the Apoc.Pet. are fighting one unanimous opposition in form of the Great Church or several oppositional groups from both the Great Church and competing Gnostic circles should be answered on two levels: on the micro-structural level of exegesis of smaller units (which can be done here to a limited degree only) and on the macro-structural level of this document’s composition and genre.51 If, as is often asserted, text-sequences of different extent obtain their meaning and function only from a superior totality such as the macrostructure of the text as a whole or even the text-genre,52 then we must address the question of composition and genre before we turn to the interpretation of individual passages.

—————

51 For these distinctions, see D. HELLHOLM, Enthymemic Argumentation in Paul: The Case of Romans 6, in: T. Engberg-Pedersen (Ed.), Paul in His Hellenistic Context, London/New York 2004 (= 1994), 119–179: 122. 52 See IDEM, Amplificatio in the Macro-Structure of Romans, in: S.E. Porter/Th.H. Olbricht (Ed.), Rhetoric and the New Testament. Essays from the 1992 Heidelberg Conference (FS W. Wuellner), JSNT.S 90, Sheffield 1993, 123–151: 124f (with references).

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3.1 Macro-Structural Composition This document is – as we have seen – divided into three sections: the „epilogue“ which is extremely short, and the „introduction“ which in itself is a revelation; both will be dealt with in connection with the question of genre as will the superscript and the subscript. The second section (1ST2) is as far as the macro-structural composition is concerned of great significance. In particular we should pay attention to the intercalation of „visions/auditions and interpretations of Jesus’ crucifixion“ (2ST21 and 2ST23) with the surrounded „revelation of the oppositional heresy“ (2ST22). On the literary level this very structure reveals that the author wants to intimate that there is a direct relationship between these three subsections, and that the surrounding parts concerning the crucifixion episode from the past is determinative for the „middle section“ with regard to the present heresy. The surrounding „crucifixion sections“ are given the form of visions/auditions and interpretations, since they are disclosed in retrospective, while the „heretical section“ in the middle is given in form of direct revelations, since it is concerned with the present situation. Christology is in need of „flashback“,53 while anthropology and soteriology are not so to the same extent! Therefore it seems adequate to begin by interpreting the surrounding crucifixion scenes and only thereafter turn to the revelation of the heretic opposition.54 3.1.1 Visions and Interpretations of Jesus’ Crucifixion The first part of Peter’s vision of the crucifixion scene (2ST21) reveals that the priests and the people attacking him and the Savior are without knowledge. This scene is reflecting the past and consequently the attackers are thought of as Jewish priests and Jewish people. Both at the beginning and at the end of the interpretation of the vision the Savior calls them „blind and deaf“ (72,10–15 and 73,12–14).55 In addition to his „earthly“ vision of the attackers (72,5–9) Peter has another, „heavenly“ vision of a „new light greater than the light of day“, which „came down upon the Savior“ (72,23– 26). The development of these contrary visions/auditions takes place only in ————— 53

BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 129f.132. HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter – apparently without knowledge of my study HELLHOLM, Minority – also begins her interpretation by addressing the „Christology“ in ch. 6 and only then turns to the „The Adversaries“ in ch. 7. 55 SCHOENBORN, Diverbium, 112: „Mit deklarativer Intention wird bekräftigt, was jetzt gilt: sie sind blind, weil sie das Licht nicht wahrgenommen haben; sie sind taub, weil sie den Lobpreis der Himmlischen nicht hören.“ Cf. the similar characterization of those crucifying Jesus in Treat.Seth 55,36–56,2 (NHC VII,2): „For (ga,r) their minds (e;nnoia) did not see me, for (ga,r) they were deaf and blind.“ 54

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the second part of the visionary scene (2ST21) that follows upon the Savior’s revelation about the opposition. In this introductory vision (2ST21) it was sufficient to point to the misunderstanding with regard to the priests, scribes and the people on the one hand, and the descending light upon the Savior on the other. In the second part of Peter’s revelation (2ST23), „the will of the undefiled Father“ (80,25) is unfolded in two visions which then are interpreted by the Savior. In the first vision (3ST231; 80,23–82,3) Peter sees two figures, one on the cross, the other above it (81,4–14). In the subsequent interpretation (4ST2313; 81,14–82,3) the Savior reveals the true nature of the two figures: He whom you see above the cross, glad and laughing, is the living Jesus. But (de,) he into whose hands and feet they are driving the nails is the physical part (sarkino,n), which is the substitute (81,15–21).

The executioners of the crucifixion, who are Jews and not Romans,56 are again characterized by the Savior as „blind ones“ without knowledge (81,30–32). Following immediately upon this first interpretation Peter had another vision (3ST232; 82,4–14) in which he saw someone about to approach him and the interpreting Savior. This figure was like the one who was laughing above the cross; he was wowen57 in a Holy Spirit and recognized as the Savior (swth,r). As in the first part of Peter’s vision of the crucifixion scene (72,23–27), Peter also here sees a great indescribable light surrounding the two forms of the Savior.58 Before the Savior communicates his interpretation of the vision (4ST2323; 82,17–83,15), Peter gives his own testimony assuring that it is really he ————— 56

Cf. KOSCHORKE, Polemik, 20: „Die Römer spielen überhaupt keine Rolle“. y So H.-M. SCHENKE, Bemerkungen zur Apokalypse des Petrus, in: M. Krause (Ed.), Essays is on the Nag Hammadi Texts. In Honour of Pahor Labib, NHS 6, Leiden 1975, 277–285: ; WERNER, The Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, 709 with note qualitative from Bohairic 35: „but it was in Holy Spirit“, representing „the idea of the garment, such as is found in other Gnostic texts“; thus also HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 49.66; see in addition N.A. DAHL/D. HELLHOLM, Garment-Metaphors: the Old and New Human Being, in: A.Y. Collins/M.M. Mitchell (Ed.), Antiquity and Humanity. Essays on Ancient Religion and Philosophy (FS H.D. Betz), Tübingen 2001, 139–158 (with further references and literature). Otherwise to BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 61 note: „The best solution is to emend from , ‚to be filled‘“; IDEM/A. BULLARD, Apocalypse of Peter, in: J.M. Robinson et al. (Ed.), The Nag Hammadi Library in English, Leiden/San Francisco 31988, 372–378: 377; IDEM, NHC VII,3: Apocalypse of Peter, in: B. A. Pearson (Ed.), Nag Hammadi Codex V II, Leiden 1996, 218–247: 242 note. 58 SCHOENBORN, Diverbium, 111: „Mit der Sprachfigur des neuen und helleren Lichts wird das Wesen des Soter identifiziert ...“. It is tempting to identify the „new light greater than the light of day“ that „came down on the Savior (swth,r)“ in this „first part of visions“ (5ST21214) with the „intellectual pleroma“ (82,4–6) in the „second part of visions“ (5ST23211). 57

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who experienced this vision of how the Savior was revealed (4ST2322; 82,15f). The revelations given in these visions are characterized as „mysteries“ (musth,rion) by the Savior in his interpretation of the last vision. In greater detail than in the previous interpretations the Christology of these Gnostic Christians is revealed to Peter by the Savior functioning as angelus interpres (5ST23232; 82,21–83,15).59 Before the interpretation proper, however, the Savior confirms in a testimony of his own the truth and reliability of the revelations given to Peter (82,17–20)60. As we will see later the compositional structure of the crucifixion scenes is determinative for the semantic and pragmatic function of the Apoc.Pet. as a whole. Already now, however, we can begin to understand the importance of the arrangement of the crucifixion scenes around the “middle section” regarding the „heretical opposition“. The three visions with their concomitant interpretations are arranged in such a way as to reach a climax at the very end of the third vision. The first (2ST21) is of an introductory art, the second (2ST231) deals with the corporeal vs. the incorporeal nature of the Savior, while the third (2ST232) is concerned with the trichotomic nature of the nonsuffering part and the Savior’s relation to the Pleroma. Even if the central theme in these visions clearly is Christology, there are indications that also in these parts of the Apoc.Pet. the teaching of the opposition is on the agenda. In all three visionary accounts we encounter the characterization of the priests, the scribes, the people, and the executioners as being „blind and deaf“, they are even called „born blind“in the last interpretation (83,3). Of course, the opponents of the Savior mentioned here belong to the past (2ST21). The oppositional heretics of the present are not directly mentioned but they are certainly intended as can be seen from the use of these characterizations also at the very end of the „digression“ in the „middle section“ (76,21–23).61 3.1.2. Savior’s Revelation to Peter Regarding the Heretical Opposition Contrary to the „crucifixion sections“ the „middle section“ (2ST22) does not consist of visions/auditions and subsequent interpretations but is altogether made up of the Savior’s revelation to Peter about the heretical opposition. However, it is equally well organized as the surrounding crucifixion sec—————

59 For the Savior’s function as angelus interpres, see BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 137.156; KOSCHORKE, Polemik, 25; HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 171. 60 Cf. the authorization not only of the full text (in Herm., Sim. X 2,2) but also of the Shepherd as Revealer by the heavenly messenger (nuntius ille), who evidently is the Son of God, ibid., Sim. X 1,3. See HELLHOLM, The Shepherd of Hermas, 237 (= IDEM, Der Hirt des Hermas, 248). 61 See below ad note 100.

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tions. Also within this „middle section“ (73,14–80,23) we find another intercalation between the two surrounding series of characterizations of apostasy from Gnosis (3ST222; 73,14b–75,5 and 3ST224; 76,24–80,23) and the „digression“62 (3ST223; 75,5–76,23) programmatically addressing the anthropological concepts that lead to ecclesiological positioning. In two parallel sections dealing with the universally fundamental principle of „like produces like“ the contrast between mortal and immortal souls is addressed, this time though not on the Christological but on the anthropological level.63 Each section begins with a general simile in form of a reminding scriptural reference (75,7–11; cf. Matt 7,18 par; 12,35; Jas 3,11–12, and 76,4–8; cf. Matt 7,16–18 par.). Each simile is followed by an explication of the principle in regard to the souls, the mortal and the immortal: the mortal souls „love the creatures of the matter (u[lh) which came forth with them“ (75,24– 26); the immortal souls remain „in the Eternal One, the One of life and immortality of the life which they resemble“ (76,15–17). The preceding and succeeding sub-sections are structured in such a way that before the „digression“ we encounter a call by the Savior to esoteric knowledge (3ST221; 73,14–23), which is followed by a first series of prophecies of apostasy from Gnosis (3ST222; 73,23–75,5). After a prediction of defection from Gnosis and persecution of Gnostic Christians (4ST2221) the first two characterizations of the opponents are given (4ST2222). After the „digression“ the series of characterizations is resumed (3ST224; 76,24– 79,31), and after a new prediction of defection has been given (4ST2241) another four characterizations of the opponents are launched (4ST2242). In conclusion an assurance of the final triumph of the Gnostic Christians is conveyed to Peter by the Savior (3ST225; 79,32–80,23). This is the compositional organization of the Savior’s revelation about the heretical opposition to Peter. ————— 62

Cf. KOSCHORKE, Polemik, 50; BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 222f; WERNER, The Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, 702. With digression I here understand: „eine selbständige Texteinheit, deren Thema komplementär ... zum Hauptthema (ist)“ (H.F. PLETT, Einführung in die rhetorische Textanalyse, Hamburg 92001, 70; IDEM, Systematische Rhetorik. Konzepte und Analysen, UTB 2127, München 2000, 236; cf. further S. MATUSCHEK, Art. Exkurs, HWdR 3 (1996) 126–136: „Man kann den E[xkurs/die Digression] also als Erweiterung (amplificatio) entweder der Redeteile selbst oder über die Redeteile hinaus ...“ [127]). Cf. D. HELLHOLM, Universalität und Partikularität. Die amplifikatorische Struktur von Römer 5,12–21, in: D. Sänger/U. Mell (Ed.), Paulus und Johannes. Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur, WUNT 198, Tübingen 2006, 217–269: 233 with note 95, and IDEM, Moses as dia,konoj of the palaia. diaqh,kh – Paul as dia,konoj of the kainh. diaqh,kh. Argumenta amplificationis in 2 Cor 2,14–4,6, ZNW 99 (2008) 247–289: 255 with note 26 and 258 with note 47. See also the digression in 1Cor 7,17–24 and hereto S. VOLLENWEIDER, Freiheit als neue Schöpfung. Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt, FRLANT 147, Göttingen 1989, 233; A. LINDEMANN, Der Erste Korintherbrief, HNT 9/1, Tübingen 2000, 168. 63 See below ad and in note 90.

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A Textlinguistic Analysis

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3.1.3 Result of the Compositional Structure of the Apocalypse of Peter What does this analysis of the composition of our text mean in regard to our initial question concerning the identification of the heretical opponents in this document? If our attempt has any validity it ought to be obvious that this text – in the words of Koschorke – „in seinem Grundgerüst von prägnanter Klarheit und darüber hinaus ... von hoher Aussagekraft (ist)“.64 If this is true, then we should also expect the problem of identity of the opposition to be solved on the basis firstly of the Christological concepts developed in the surrounding „visions of the Savior’s crucifixion“ and secondly on the basis of anthropological concepts revealed in the „digression“ placed in the center of the „revelation of the heresy“ (2ST22). In order to gain a net-result from my structural analysis and thus to arrive at a proper understanding of this text, I shall now within limits address the semantics of content and the pragmatics of function. 3.2 Elements of Theology under Dispute and Their Distribution in the Apocalypse of Peter When turning to the theological perspectives two aspects will be considered: (1) The most important elements of the theology under dispute between the adversaries; (2) The location of these various elements in the compositional structure of the document as presented above. The most essential theological elements deliberated upon in the Apocalypse of Peter are: Christology, Anthropology, Soteriology and Ecclesiology.65 3.2.1 The Concept of Christology The concept of Christology requires a twofold treatment: Firstly with regard to the Savior’s relation to the undefiled Father and secondly with regard to the true nature of the Savior himself.66 (A) The concept of a dualistic cosmology, which plays such an important role in Gnostic systems,67 is nowhere really developed in this text but rather ————— 64

KOSCHORKE, Polemik, 14. In his „The Mighty Minority“ Jervell has also paid special attention to the following theological elements: „Christology,“ „Salvation,“ „Ecclesiology,“ and „Paul“ (J. JERVELL, The Mighty Minority, in: IDEM, The Unknown Paul. Essays on Luke-Acts and Early Christian History, Minneapolis, 1984, 26–51: 40f [= StTh 34 (1980) 13–38]). 66 Cf. K. RUDOLPH, ‚Christlich‘ und ‚Christentum‘ in der Auseinandersetzung zwischen ‚Kirche‘ und ‚Gnosis‘. Gedanken zur Terminologie und zum Verhältnis von ‚Selbstverständnis‘ und ‚Fremdverständnis‘“, in: IDEM, Gnosis und spätantike Religionsgeschichte. GAufs., NHMS 42, Leiden 1996, 256–277: 266: The most important theme and central meaning of Christian Theology was „die Gestalt des Erlösers“. 67 See, e.g., G. WIDENGREN, Religionsphänomenologie, Berlin 1969, 490ff. 65

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presupposed or only indirectly attested.68 In fact it serves merely as the background for the Christological and anthropological dualism. The superior deity is named the „Eternal One“ (76,14–17) or the „Invisible One“ (81,2), the „Undefiled Father“ (80,25), or the „Father who is above the heavens“ (70,22). His counterpart is the „Father of their (sc. the multitude’s [sic!]) error (pla,hn) “ (73,27) with his archons (77,4–8). The inner relation between the Father, the Savior, and the elect, i.e. the true Christians, is disclosed programmatically and unmistakably in Gnostic categories in the introductory macarism of the elect (4ST1212) presented to Peter by the Savior in his role as angelus interpres: Peter, blessed are those belonging to the Father, for they are heavenly. For it is he who revealed life to those who are from life through me, since I have reminded (them of it) (70,21–25).69

From this text it is obvious that there exists a unity of substance between the Father, the Savior, and the Gnostics, even though the latter are in need of being reminded of their eternal origin. The Savior’s role is that of the Revealer of the „will of the undefiled Father“ (80,25f). The Revealer is identified with the „heavenly Son of Man“,70 and he and the receiving Gnostics are consubstantial (71,9–15).71 ————— 68

See HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 106–109. She „tend(s) to agree with KO[Polemik, 16] who says that there is no Gnostic myth in the background of Apoc.Pet.“ (ibid. 107). In ibid. 106 note 230, however, Havelaar brings an alternative, and in my view much more plausible, explanation for the lack of certain elements of the Gnostic myth: „It should be realized that the absence of specific Gnostic features can also be interpreted as a sign of their importance. In this last case it could be argued that the Gnostic myth was so familiar to the audience of Apoc.Pet. that the writer did not have to narrate this myth in detail but could confine himself to a few implicit references by which a complete Gnostic world-view was evoked.“ Further ibid. 187; see quotation below in note 73. Cf. the analogous relation in Testm.Truth and hereto B.A. PEARSON, The Testimony of Truth, in: Idem (Ed.), Nag Hammadi Codices IX and X, NHS 15, Leiden 1981, 101–203: 114: Although „no full-blown cosmogonic myth is found in Testm.Truth ... it can hardly be doubted that Testm.Truth is a ‚gnostic‘ (in the full technical sense of the term) work.“ A Gnostic myth is presupposed by BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 174–196, by H.M. Schenke, Die neutestamentliche Christologie und der gnostische Erlöser, in: K.-W. Tröger (Ed.), Gnosis und Neues Testament. Studien aus Religionswissenschaft und Theologie, Berlin 1973, 205–229: 207, and by SCHOENBORN, Diverbium, 192 note 390. See further RUDOLPH, Gnosis. The Nature and History of an Ancient Religion, Edinburgh 1983, 119ff. 69 Trans. WERNER, The Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, in loc. with note 17; see also BRASHLER, Apocalypse of Peter, in loc., and HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, in loc. with the „Grammatical Annotations“ 55. Differently SCHOENBORN, Diverbium, 45 in loc. with note 13, who states: „Näher liegt, daß eine Aussage über den Vater gemacht wird“. 70 See BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 163f; HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 79f. 71 Cf. B.A. PEARSON, The Apocalypse of Peter and Canonical 2 Peter, in: H.D. Betz et. al. (Ed.), Gnosticism & the Early Christian World (FS J.M. Robinson), Sonoma 1990, 67–74: 72 [= IDEM, The Emergence of the Christian Religion. Essays on Early Christianity, Harrisburg 1997, 88–98: 95]: „For the author of the Apocalypse of Peter – and this is typical of Gnosticism in SCHORKE

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A Textlinguistic Analysis

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(B) Regarding the true nature of the Savior himself there are two partly similar, partly divergent interpretations. Koschorke demonstrated that in the interpretation given by the Savior, Peter learns first to distinguish between that part of the Savior, which is capable of suffering,72 his sarkiko.n sw/ma and that part, p , which is not touched by suffering, his incorporeal body ( 83,6–8).73 Furthermore, Peter also learns about the complicated trichotomic nature (sw/ma/yuch,/pneu/ma) of the non-suffering part: (1) the non-corporeal sw/ma (83,6f); (2) „the living Savior (swth,r), the primal part of him whom they seized“ and who stood laughing at the executioners (82,28f; cf. 81,18), since he knew „that they were born blind“ (83,3); (3) the „I“ of the Savior is his pneu/ma noero,n 3,8–10). These distinguishable forms of the Savior „entsprechen jeweils unterschiedliche Wesensformen des Erlösers“.74 What Peter in his vision saw coming towards the Savior was his noero.n plh,rwma, i.e. the Pleroma from the undefiled Father and it is this noero.n plh,rwma, „which unites the perfect (te,leioj) light with the pure Spirit“ (83,13–15);75 Thus, Koschorke comes to the conclusion that „die Gestalt des ‚Pleroma‘ den Soter in seiner Vollendung, in seiner eigentlichen Bestimmung (zeigt)“.76 This revelation about the Sa————— general – the elect, i.e.,, those who have received gnosis, share the divine nature of the Savior, = o`moou,sioj, 71:14–15) with him“; so also HAVELAAR, The being ‚consubstantial‘ ( Coptic Apocalypse of Peter, 80.181. 72 Cf. hereto especially Treat.Seth 60:15–22, where the concepts „imitation“ (avnti,mimon) as well as „dead man“ are used of the crucified Jesus. Other texts criticizing the orthodox belief that the corporeal Jesus suffered and died are, e.g., Ep.Pet.Phil. 136:20–22: „But they did not recognize me; they were thinking of me that I was a mortal man.“ See further SCHOENBORN, Diverbium, 187–194: „Exkurs: Zur Interpretation des Kreuzestodes Jesu im gnostischen Denken“. 73 See KOSCHORKE, Polemik, 24f with note 9: „Das ist ein Grundmuster gnostischer Christologie“; BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 172f; HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 187: „The main difference between the Christology of Apoc.Pet. and non-Gnostic docetic Christology originates from the pessimistic anthropology of Apoc.Pet. as expressed in the digressions about the fate of the soul, and from the metaphysical subdivisions in the personality of the Saviour. It is in these respects that our text can be considered thoroughly Gnostic.“ 74 KOSCHORKE, Polemik, 25; BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 173. 75 Cf. the idea of a twin, i.e. daena, see WIDENGREN, Religionsphänomenologie, 494–502; IDEM, The Gnostic Attitude. Trans., and ed. by B.A. Pearson, Santa Barbara 1973, 24–28; IDEM, La rencontre avec la daena, qui représente les actions de l’homme, in: G. Gnoli (Ed.), Orientalia Romana. Essays and Lectures 5: Iranian Studies (Serie Orientale Roma 52), Rome 1983, 41–79. See Hadoxt Nask II.11: „Darauf erwiderte ihm (sc. dem gerechten Mann) seine daena: ‚Ich bin ja, o Jüngling, von Gutem Sinne, von Gutem Wort, von Guter Tat, die daena deines eigenen Wesens‘“; Bundahishn XXX.6: „Ich bin, o Gerechter, die daena, die in deinem Handeln besteht, das du gewirkt hast.“ Hymn of the Pearl 76–78: „Suddenly as I faced it, the robe was like a mirror of myself, I saw it all in my whole self and I faced my whole self in it, so that we were two in distinction and yet again one in one likeness.“ The affinities of the ideas of the Hymn of the Pearl with Iranian ideas is emphasized also by RUDOLPH, Gnosis, 283. WIDENGREN, Religionsphänomenologie, 499; IDEM, The Gnostic Attitude, 26: „Thus we can say that daena, like manah, is a designation for the higher principle of life, which, in contrast to the soul, we can call ‚spirit‘.“ 76 KOSCHORKE, Polemik; cf. hereto esp. Pist. Soph. 61.

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vior’s true nature is the very conclusion of the revelation by the interpreting Savior of Peter’s last vision in this document. In a similar way Havelaar distinguishes between the „material figure“ of the „suffering one upon the cross“ (81,18–22), , ), which „is his physical part (sarkiko,n), which is the substitute ( )“ ([= avnta,llagma; cf. Mark 8,37; Matt 16,2677]; 81,19–21; , ; 83,4–6; , ; cf. 82,21–26)78 on the one hand and the „immaterial figure ; 83,6–8“ on the other. With regard to the immaterial figure Havelaar differs in her interpretation from Koschorke although she too reckons with a trichotomic nature of the non-suffering part. While Koschorke does not include the intellectual pleroma (noero.n plh,rwma) as an aspect of the incorporeal body,79 Havelaar does so explicitly and she identifies the „intellectual pleroma“ (83,12–13) with the one who was „about to approach us“ (82,4; 83,10), with the figure who „was woven in a Holy Spirit ... who is the Savior“ (82,7–8), as well as with the one „who glorifies“ (82,16) [A]. This is one aspect of the non-material figure.80 The two other aspects are, according to Havelaar, first „the Holy Spirit“ (82,7), „the intellectual spirit“ (noero.n plh,rwma) who „is filled with radiant light“ (83,8b–10); this is the narrating Savior as the angelus interpres revealing to Peter [B],81 and secondly an „incorporeal g the mysteries y ; 83,6–8), „the primal part“ who „has been rebody“ ( leased“ (82,28, 30), who is the „living Savior“ (82,28); he is also identical with „the one above the cross who is glad and laughing“ (81,11, 16–17), who „is the living Jesus“ (81,18), „my servant“ (dia,kwn; 82,2) [C].82 ————— 77

So BRASHLER, Apocalypse of Peter, 241 note; HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter,

66.

78 EADEM, ibid. 180: „The physical body is an imitation of and a substitute for the light body“ [ibid., note 442: see also 71,22–33]. 79 Cf. also K.-W. TRÖGER, Die Passion Jesu Christi in der Gnosis nach den Schriften von Nag Hammadi, Unpublished diss. Humboldt Univ. Berlin 1978, 229–231: The „intellectual Pleroma“ is excluded from the Christology of the Apoc.Pet. 80 See above in notes 57 and 75. Further, see WIDENGREN, Religionsphänomenologie, 497; IDEM, The Gnostic Attitude, 24: „Instead of meeting with the garment [cf. Hymn of the Pearl, 76– 78], one can find described how the soul goes to meet its image. The heavenly ‚body‘ can thus be regarded as a double, or twin-ego. In the Mandaean hymns for the dead, which constitute the cultic texts for the soul’s ‚ascent‘, massiqta, the same formula recurs over and over again: ‚I go to meet my image, And my image goes to meet me. It caresses and embraces me, As though I have returned again from captivity‘. — Ginza L. 31.“ 81 HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 181. 82 Ibid. 177–180; EADEM, Apokalypse des Petrus, 595: „Es gibt drei spirituelle Aspekte: 1) ein geistiges Pleroma, 2) einen heiligen Geist und 3) einen lebendigen Erlöser, der identisch ist mit einem leiblosen Leib.“

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The most elaborate interpretation of the crucifixion scenes is found in the Savior’s interpretation of Peter’s last vision (82,21–83,15). It is only the fleshly part of the Savior that is capable of suffering.83 The suffering Jesus is called „the first-born“ (82,22a) and thus unequivocally said to be a part of the demiurgical creation; he is further named the „Home of demons (dai,mwn) and the clay vessel in which they dwell“ (82,22b–24a),84 which by all likelihood refers to the fleshly body as the territory occupied by the demons. Also such designations as „ of Elohim“ (cf. Mark 15,34 parr.) and „ of the cross (stauro,j)“85 (cf. 1Cor 1,23; 2,2; Gal 3,1) indicate the fleshly character of the suffering Jesus: „Sie weis[en] den Gekreuzigten als Geschöpf jener demiurgischen Macht aus, die dieses ihr eignes Gebilde am ‚Holz‘ vernichtet hat... “.86 In their „blindness“ they have destroyed their own creation, „for the son of their own glory instead of my servant (dia,kwn) they have put to shame“ (82,1–3), confirms the interpreting Savior. In contrast to the sarkiko.n sw/ma which is put to death, the „living Jesus“ cannot be touched by the archons and executioners, since his body is incorporeal. This is the essential distinction to be made concerning the Christological predications in Apoc.Pet. Formulated in the words of Schoenborn: „Das christologische Modell, das die zweite Dialogphase von ApcPt enfaltet und das viele Übereinstimmungen mit dem Denken von 2LogSeth zeigt, gehört in den radikal-dualistischen Horizont. Mit pointierter Entschiedenheit nimmt der Sprecher einen Schnitt zwischen dem lebendigen Soter und dem vor, der dem sarkischen Kosmos verhaftet ist“87. Similarly the formulation by Havelaar: „Im Wesen handelt es sich um eine dualistische Christologie, die gestaltet ist in einem Doketismus, der das Leiden des himmlichen Erlösers verneint und es ausschließlich seinem ‚Sarkikon‘ zuweist.“88 A table of textual distribution of the accounts both of the material and of the immaterial figure looks as follows:89 ————— 83

For the following, see KOSCHORKE, Polemik, 21. Cf. WERNER, The Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, 712 note 37: „Here evidently use is made of the legend according to which Solomon imprisoned demons in pitchers. Cf. Testim.Truth (NHC IX 3, p. 70.10–14) and on this B. A. Pearson, NHS XV [1981], 193 and note“. 85 Trans. WERNER, The Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, ibid.; see below note 104. 86 KOSCHORKE, Polemik, 21. 87 SCHOENBORN, Diverbium, 192f; BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 185–196; see already R. BULTMANN, Die Bedeutung der unerschlossenen mandäischen und manichäischen Quellen für das Verständnis des Johannesevangeliums, in: IDEM, Exegetica. Aufs. zur Erforschung des Neuen Testaments, ed. by E. Dinkler, Tübingen 1967 (= 1925), 55–104. 88 HAVELAAR, Apokalypse des Petrus, 595. Cf. EADEM, The Coptic Apocalypse of Peter, 185– 187. On docetism, see G. STRECKER, Die Johannesbriefe, KEK 14, Göttingen 1989, 131–139 (Engl. trans. IDEM, The Johannine Letters, Hermeneia, Minneapolis 1996, 69–76). 89 In the following „table of textual distribution“ I have indicated the three aspects of the noncorporeal Savior in the text by means of [A] signifying the „intellectual pleroma“, [B] signifying 84

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THE MATERIAL BODY OF THE SAVIOR

THE IMMATERIAL ASPECT OF THE SAVIOR

4

ST2312 Peter’s first vision report (81,12–14) „Is it another person whose feet and hands they are hammering?“

4

ST2312 Peter’s first vision report (81,10–11) „Who is the one above the cross who is glad and laughing [C]?“

4

ST2313 Savior’s interpretation of Peter’s vision (81,18–21 + 82,1–2) „He into whose hands and feet they are driving the nails is his physical part (sarkiko,n) which is the substitute ( ).“ (81,19–21) „The son of their glory ... they have put to shame.“ (82,1–2)

4

ST2313 Savior’s interpretation of Peter’s vision (81,17–18 + 82,2) „He whom you see above the cross, glad and laughing, is the living Jesus [C].“ (81,17–18) „My servant (dia,kwn) [C].“ (82,2)

4

ST2321 Peter’s second vision report (82,4–14) „Someone about to approach us [A], who looked like him (sc. the narrating Savior as angelus interpres) [B], even like the one who was laughing above the cross [C].“ (82,4–6) „And he [A] was in a pure spirit (pneu/ma) [B] and he (is) the Savior [A].“ (82,7f)

4

ST2322 Peter’s testimony (82,15–16) „I saw that the one who glorifies is revealed [A].“ (82,15–16)

4

ST2323 Savior’s interpretation of Peter’s vision (82,17–83,15) „The living Savior (swth,r) [C], the primal part [of him whom they seized]. And he has been released [C].“ (82,27–30) „But that which was released was my incorporeal body ( ) [C].“ (83,6b–8a) „I [sc. the narrating Savior as angelus interpres] am the intellectual (neoro,n) spirit (pneu/ma) [B] filled with radiant light [B].“

4

ST2323 Savior’s Interpretation of Peter’s vision (82,17–83,15) „The crucified is the first born and the home of demons (dai,mwn), and the clay vessel in which they dwell, belonging to Elohim, and belonging to the cross (stauro,j) that is under the law.“ (82,21–26) „The suffering one must remain, since the body (sw/ma) is the substitute ( ).“ (83,4–6a)

————— the „Ιntellectual or Ηoly Spirit“, and [C] signifying the „Living Savior, who is identical with the incorporeal body“.

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(83,8b–10) „He whom you saw coming to me was our intellectual (neoro,n) pleroma (plh,rwma) [A] which unites the perfect (te,leioj) light with my pure spirit [B].“ (83,10b– 15a)

The distribution of the non-corporeal aspects of the Savior in the text is significant in two ways: (a) In Peter’s first vision (4ST2312) as well as in the Savior’s interpretation of that vision (4ST2313) only the [C] aspect, i.e. „the living Savior with the incorporeal body“ is seen and interpreted; in Peter’s second vision (4ST2321) all three aspects are represented: one [C], two [B], i.e. the „intellectual spirit“, and three [A], i.e. the „intellectual pleroma“; in Peter’s own testimony (4ST2322) only aspect [A] is mentioned; in the Savior’s second interpretation of Peter’s second vision (4ST2323) all three aspects are commented upon: three [C], three [B], and one [A]. According to the distribution of the Savior’s aspects given above it is evident that there is a clear heightening (amplificatio) from the first vision and its interpretation to the second, which primarily is caused by the approaching figure, i.e. the „intellectual pleroma“ in 82,4–6. (b) The second vision with Peter’s testimony and the following interpretation with their complex description of the non-corporeal aspect and the interconnectedness of the three aspects clearly indicate, how important it was for Apc.Petr. to show the interrelationship of the aspects, not least the relationship between the „intellectual pleroma“ and the other two incorporeal aspects. The distribution of the Christological delineation is almost exclusively concentrated to the crucifixion sections with their visions and interpretations (2ST21; 72,5–73,14a and 2ST23; 80,23–83,15) that enclose the heresy section (2ST22; 73,14b–80,23). This confirms my assumption from the macro-structural delimitation that the circumscribing crucifixion sections are determinative for understanding the „middle section“ also from the point of view of their semantic content. 3.2.2 The Concept of Anthropology The fundamental principle governing all anthropological statements in Apoc.Pet. is the hellenistic principle further developed and utilized in Gnosticism: to. ga.r o[moion tw/| o`moi,w| nohto,n – For like is known by like (Corp. Herm. XI.20).90 —————

90 Text: A.D. NOCK/A.-J. FESTUGIÈRE, Corpus Hermeticum I, Paris 1972, 155 l. 12f. For further examples and literature, see J. JERVELL, Imago Dei. Gen 1,26f. im Spätjudentum, in der

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This principle is depicted in two parallel sections (75,7–76,4 and 76,4– 23). The structural composition with two similes followed by explications is demonstrated above on page 36 and in section 3.1.2 on the Savior’s Revelation to Peter Regarding the Heretical Opposition. The explications bring the correlation of the pictures with the issue itself without, however, carrying out an explicit tertium comparationis interpretation.91 The principle „like is known by like“ is per definitionem a relational principle and is described as such in both similes in positive as well as in negative terms by means of the verbs „produce“ and „gather from“ respectively. This is further developed in the explications. The digression (3ST223; 75,7–76,23) „reflects in detail a dualistic anthropology“,92 since there are clearly two kinds of souls:93 (a) The souls of „these ages“ (75,16; 83,18), which love matter (u[lh) and which will encounter eternal destruction and death (75,19–26,31; 76,13). Like u[lh they have their origin in what is not good (75,11f) and since they are from „this place“ (83,30f) they have nothing to remember, they are „mortal souls“ (75,31f). (b) The souls who are not from this world, where they are „strangers (avllogenh,j)“ (83,17), are „from life“ (70,24) and are „immortal“ (75,14.26f), of „immortal essence (ouvsi,a)“ (83,23). Their origin is „from the truth“ (75,13) and they „remain in the Eternal One, the One of life and immortality“ (76,15f). They are capable of remembering their origin, if through a Revealer they are reminded thereof (70,23–25). As in regard to Christology also in regard to anthropology Apoc.Pet. is clearly dualistic.94 ————— Gnosis und in den paulinischen Briefen, FRLANT 76, Göttingen 1960, 130; H. CONZELMANN, Der erste Brief an die Korinther, KEK 5, Göttingen 21981, 91. This concept was not invented by the Gnostics but used by them: already the main student of Aristotle and his successor Theophrast discussed the two options of „like is known by like“ or „like is known by opposites“ in his De sensu. 1ff: „Peri. d’ aivsqh,sewj ... oi` me.n ga.r tw/| o`moi,w| poiou/sin oi` de. tw/| evnanti,w|“. Theophrast attributes the two different opinions to predecessors: „Parmenides, Empedocles and Plato attribute it to similarity; Anaxagoras and Heraclitus attribute it to contrast.“ (Text and trans.: G.M. STRATTON, Theophrastus and the Greek Physiological Psychology before Aristotle, London/New York 1917, 66f; see his commentary, ibid. 155f). 91 In the correlation of the second simile WERNER, The Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, in loc., and in note 26 restores the text so that the tertium actually is given: „But that (other soul) comes from the eternal (tree), the (tree) of life and immortality“. This is unlikely. In my opinion BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, in loc., IDEM/BULLARD, Apocalypse of Peter, in loc., BRASHLER, Apocalypse of Peter, in loc., translate correctly: „... the Eternal One, the One of life ...“; so also KOSCHORKE, Polemik, 73; SCHOENBORN, Diverbium, in loc., and HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, in loc. 92 EADEM, ibid. 92. 93 Cf. KOSCHORKE, Polemik, 72–74. 94 Cf. HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 92: „It is possible to understand the dualistic features of this part of the text as expressions of a Gnostic world-view ... in which the material reality is repudiated, a position which, in its extreme form, is characteristic of Gnostic thinking.“ Cf. on Gnostic (bi- or tripartite) anthropology H. JONAS, Gnosis und Spätantiker Geist I: Die My-

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The distribution of anthropological statements in our text is not as concentrated to one section as are the Christological predications. However, they are most developed in the „digression“ (3ST223; 75,7–76,23) of the „middle section“ (2ST22). In addition anthropological statements are found in particular in the „introductory macarism“ (4ST1211; 70,20–24), where the Gnostic recipients are called „blessed“, and in the „concluding g commission“ (2ST24; 83,15–84,11), where it says that „grace will only ( eiv mh,ti) be in those who were chosen from an immortal essence (ouvsi,a) ...“ (83,22f.). 3.2.3 The Concept of Soteriology As in practically all Early Christian Writings also in Apoc.Pet. Christology and soteriology are closely interconnected. When dealing with the notion of soteriology three questions will have to be discussed: How is salvation brought?, What is salvation?, and Who will receive salvation? How is salvation brought? The most succinct text in Apoc.Pet. as far as the question of „how“ is concerned is the Savior’s macarism (70,21–25) in the introductory monologue, already quoted and discussed above in connection with the treatment of Christology. Here it is stated that the heavenly, undefiled Father has revealed life through the Savior. Thus, the Father is the Originator, the Savior the Revealer of the message of redemption and Peter the Transmitter of the awakening call. What is salvation? The mission of the Revealer is to „illuminate“ (71,4) the consubstantial souls, to call them to „knowledge“ (71,21), and to „remind“ them of their heavenly origin and reveal life to them (70,23–25), i.e. to free them from „matter (u[lh)“ (cf. 75,24). This is the musth,rion which has been revealed to the elect and of which they are reminded again in this text.95 Thus, also in this apocalypse salvation is accomplished through gnw/sij, i.e. through knowledge of ————— thologische Gnosis. Mit einer Einleitung zur Geschichte und Methodologie der Forschung, FRLANT 51, Göttingen 31964 (11934), 180, 212-214; WIDENGREN, Religionsphänomenologie, 494ff; IDEM, The Gnostic Attitude, 20; RUDOLPH, Gnosis, 88ff. 95 Cf. RUDOLPH, Erkenntnis und Heil: Gnosis, in: IDEM, Gnosis und spätantike Religionsgeschichte, 14–33: 21: „Diese Befreiung aus den Banden des demiurgischen Seins ... mit Hilfe der Einsicht (gnw/sij) ist der Zweck der gnostischen Soteriologie. Es geht ihr im Unterschied zur eigentlichen christlichen Konzeption nicht um Rettung von Sünde und Schuld, sondern um die ‚Befreiung‘ der ‚Seele‘ oder des ‚Geistes‘ aus dem Gefängnis von Körper und Materie (u[lh).“

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Ti,nej h=men( ti, gego,namen pou/ h=men( pou/ evneblh,qhmen pou/ speu,domen( po,qen lutpou,meqa) Who we were, What we have become, Where we were, Whither we have been cast, Whither we hasten, From what we have been set free.96

From the structure of Apoc.Pet., however, we can easily discern that the revelation given here is more specific than the general Gnostic awakening call, the reminder of the heavenly origin and promise of redemption from this world. The major purpose of the revelation given in Apoc.Pet. is directly stated in 71,25–27, where the interpreting Savior says, „He (sc. the Savior) called you so that you would know him in the proper way.“97 This programmatic statement is found at the end of the introductory monologue and is fully developed in the visions and interpretations of the crucifixion. What is at stake here is evidently the question of a true Christology, i.e. a correct understanding of the nature of the Savior. Who will receive salvation? The answer to this question is grounded in the principle of „likeness“ ( ) discussed above.98 Only those who have their origin in the Eternal One and resemble him (76,15–17), who are „consubstantial“ with the „heavenly Son of Man“ (71,14f) can be reminded of their „immortal essence“ (83,23). They are also the only ones, who are able to recognize the true nature of the Savior, the „living Jesus“, who cannot suffer death on the cross. The „mortal souls“, who have their origin in this world and are consubstantial with u[lh, have nothing to remember and falsely believe that the sarkic figure on the tree, who is the creation of the archons (75,25), is the real Savior. Therefore they are incapable of accepting the „Erlösungslehre“ of the Gnostic Christians; on the contrary they are in fact combatting it. „So haben die Gnostiker und ihre orthodoxen Opponenten nichts miteinander gemein,“99 for „deaf and blind ones join with their own kind“ (76,21–23).100 —————

96 Clem. Alex., Excerpta ex Theodoto, 78,2. See JONAS, Gnosis und Spätantiker Geist I, 108.206.261; IDEM, Gnosis und Spätantiker Geist II: Von der Mythologie zur mystischen Philosophie. Erste und zweite Hälfte, ed. by K. Rudolph, FRLANT 159, Göttingen 1993, 337: „Der gnostische Mythos ist stets und im Kern Begründung für die Wichtigkeit seiner eigenen Mitteilung und dazu Rechenschaft über seine übernatürliche Herkunft. Kraft beider, des offenbarten Inhalts und der offenbarenden Quelle, beansprucht er für sich selbst qua gekannt erlösende Kraft; kurz, er ist die Gnosis“. See further the texts referred to in WIDENGREN, Religionsphänomenologie, 480–516, especially 488–491 and the treatment by RUDOLPH, Gnosis, 122, and A.H.B. LOGAN, Gnostic Truth and Christian Heresy. A Study in the History of Gnosticism, Edinburgh 1996, 167–210. 97 Trans. BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, in loc. 98 See ad and in note 90 and section 3.2.2. 99 KOSCHORKE, Polemik, 73.

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Is this a doctrine of ontological–deterministic predestination as Brashler insists,101 or are there passages that soften a strict determinism as Koschorke maintains?102 The answer is particularly important in view of our attempt to identify the „multitude“ (majority) and the „little ones“ (minority), and can only be answered in connection with the detailed interpretation of passages entailing this terminology. In order to avoid duplication and to save space these passages will be dealt with in the following paragraph on ecclesiology. 3.2.4 The Concept of Ecclesiology The passages dealing with ecclesiology are for the most part localized in the „middle“ or „heresy section“ (2ST22; 73,14–80,23). The general and most essential critique of the heretical opponents is that they „hold fast to the name of a dead man“ (74,13f).103 This is evident from the structure of this section, since it makes up the „content of the false teaching“ as described in the „predictions of defection from Gnosis“ (4ST2221). Only in subsequent sections are the „multifarious appearances of the heresy“ reported. The worship of a „dead man“ in fact unveils the opposition to be the Great Church, which is called heretic (&ai[resij; 74,22). The „dead man“ (74,13f; 78,17) in the „revelation about the present heresy“ is, of course, identical with that form of the ‚Savior‘, who is capable of suffering in the „retrospective crucifixion scenes“ and a result of the Pauline influence, especially the designation of the ‚Savior‘ as „ of the Cross“ (cf. 74,16–22; 82,21– 26).104 Consequently, there is a direct connection between the Christology in the surrounding sections and that in the middle one. This connection cannot be underscored strongly enough! ————— 100

See above section 3.1.1 and ad note 61. BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 203 et passim. 102 KOSCHORKE, Polemik, 74. 103 Ibid. 42; cf. Treat.Seth 60. On this text see BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 185–196; SCHOENBORN, Diverbium, 192, note 390 with references. 104 See especially KOSCHORKE, Polemik, 21f.40–46; WERNER, The Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, 703 and n. 38. See further above ad note 85. Regarding Paul’s influence among the Gnostics, see on the one hand K. KOSCHORKE, Paulus in den Nag-Hammadi-Texten. Ein Beitrag zur Geschichte der Paulusrezeption im frühen Christentum, ZThK 78 (1981) 177–205: 178ff, and on the other A. LINDEMANN, Der Apostel Paulus im 2. Jahrhundert, in: IDEM, Paulus, Apostel und Lehrer der Kirche. Studien zu Paulus und zum frühen Paulusverständnis, Tübingen 1999, 294– 322. Further H.-F. WEISS, Frühes Christentum und Gnosis. Eine rezeptionsgeschchtliche Studie, WUNT 225, Tübingen 2008, 456–479 and M. FRANZMANN, Jesus in the Nag Hammadi Writings, Edinburgh 1996,, 190 with note 2: „If a connection can be made between this character (sc. evil ) and the false proclamation of the name of a dead man, this may well craftsman – be a reference to Paul, given his preaching (e.g. in Rom 4:24–25; 1 Cor 1:17–18; 2:2; Gal 3:1), and the description of him in Acts 18:3 as a craftsman/tentmaker having the same craft as Aquila and Priscilla dia. to. o`mo,tecnon ei/nai e;menen par’ auvtoi/j“. 101

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According to an important passage already in the „introduction“ (71,14)105 and another at the beginning of the „heresy section“ (73,23–28) the Gnostic Christians were once of a significant number,106 since at first a „multitude“ accepted the Gnostic teaching, but later turned away „according to the will of the Father of their error“. Thus, this defection is described as a defection from the „will of the undefiled Father“, i.e. from Gnostic Christianity. Also after the specified characterizations, in the „concluding assurance“ of the Savior in his dialogue with Peter (3ST225), Peter – in a summary of the foregoing visions and interpretations – repeats and specifies what was said in 73,23–28: Indeed (m (me,n) there are multitudes ( ) of living ones (80,2–4). (

) that will mislead other multitudes

In spite of the similarities between these two passages, which secures the identity of the „gnostic multitude(s)“, there are two divergences that are noticeable: (a) the existence of two multitudes, and (b) the multitude of living ones are actively being misled by the multitude of orthodox Christians. This reflects a different situation than the one in the beginning. Now those „who oppose the truth“ are „numerous“.107 The designation „little ones“ is more difficult to unravel as the opposite interpretations indicate. Koschorke asserts that they are the ordinary churchmembers, who are being deceived by their leaders.108 Brashler and Werner on the other hand maintain that the Gnostics called themselves the „little ones“, which thus constitutes a self-designation.109 Both interpretations are problematic, since the purpose of this Apocalypse seems to have a double function: (1) to strengthen the elect, especially emphasized in the paraenetic sections and (2) to bring hope to the deceived ones. Koschorke must work with two different groups of „multitudes“ in the Great Church: the „apostates“ (73,23f) and the „ordinary church members“ (80,4), and also explain how the „leaders of the Church“ (79,21–31), who „will rule over the little ones“ can be called a „multitude“ (80,3). Furthermore, it is hard to believe that the „little ones“ – if they were ordinary church members – can be said to have been taken prisoners (79,21) or that these „little ones“ alone will be victorious (80,15f). Brashler’s and Werner’s solution is equally problematic, since if the „little ones“ were Gnostics, why do they have to be „released“ (78,31) and how can they „be ruled over“ (80,31)? In ————— 105

See above note 5. See BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 137. 107 Cf. Ibid. 217. 108 KOSCHORKE, Polemik, 81 and esp. 84. 109 BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 154; WERNER, The Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, 704. 106

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spite of Koschorke’s objection110 the best solution seems to be that the „little ones“ designates two types of „immortal souls“: (1) deceived „immortal souls“, who were reminded but have forgotten who they really are (77,10; 76,27–77,22) and thus in need of being reminded again, and (2) Gnostic Christians who have been reminded of their origin but encounter the danger of being deceived by the majority in the Great Church and thus are in need of being strengthened in particular in their belief in the Gnostic Christology and anthropology. „Therefore“, the Savior commands Peter to present „these things that you saw to the strangers (avllagenh,j), who are not of this age“, those who „were chosen by virtue of their immortal essence (ouvsi,a)“ (83,15–22), i.e. all „the little ones“, whether deceived or not: those who are in need of being reminded anew as well as those who are in danger of being deceived by the Great Church and in need of being strengthened. The Gnostic Christians, once a majority,111 have been severely decimated, since a „multitude of living ones“ have been lead astray and gone over to the Great Church (79,32–80,7). They are now evidently an outnumbered minority,112 but sure of their superior knowledge of who they are and hoping for their mighty victory at the end of this age promised them by the Savior through Peter’s revelation: For a time determined for them [sc. the misleading multitude – DH] in proportion to their error they will rule over the little ones. And after the completion of the error, the never-aging one of the immortal understanding shall become young, and they (sc. the little ones) shall rule over those who are their rulers. (80,9–17)

These are the signs of the „‚Mighty‘ Minority of Gnostic Christians“ as portrayed in the Coptic Gnostic Apocalypse of Peter.

————— 110

KOSCHORKE, Polemik, 82–85. See also the confirmation thereof in the anti-heretic Church Fathers, e.g., Epist.Polyc. 2,1: „... putting aside empty vanity and vulgar error of the many (th.n tw/n pollw/n pla,nhn);“ 7,2: „Wherefore, leaving the foolishness of the crowd (th.n mataio,thta tw/n pollw/n) and their false teaching ...;“ hereto PH. VIELHAUER, Geschichte der urchristlichen Literatur. Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter, Berlin/New York 1975, 561, and W. BAUER, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum, ed. by G. Strecker, BHTh 10, Tübingen 21964 (11934), 76f; further Irenaeus, adv. haer. III 11,9; 15,2 and Tertullian, resurr. 2,19; praescr. 18. K. KOSCHORKE, Gnosis, Montanismus, Mönchtum. Zur Frage emanzipatorischer Bewegungen im Raum der Alten Kirche, EvTh 53 (1993) 216–231: 218, refers to the „Massencharakter“ of the Gnostic movement, which was made up not only of intellectuals but also of simple people (multi rudes and simplices plures): „Erstaunlich jedoch die Breitenbewegung dieser Propaganda: sie hatte Erfolg nicht nur bei den frustrierten Intellektuellen (so Kippenberg), sondern auch g bei der Masse des Kirchenvolkes ... In manchen Gemeinden,, in einzelnen Regionen bildeten die See Gnostiker ... die Mehrheit“. further the discussion in HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 193–204. 112 Cf. BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 225. 111

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3.3 The Apocalypse of Peter and Its Genre M. Krause is with some hesitation prepared to accept this document as an apocalypse.113 Koschorke almost completely overlooks the relevance of this question, while Brashler, Werner, Desjardins, and Schoenborn as well as Havelaar emphasize the significance of the generic form for the function of the text.114 Brashler, Werner, Desjardins, and Havelaar maintain that the genre of Apc.Petr. is that of an Apocalypse.115 Schoenborn challanges this understanding and suggests that this text belongs to the genre of the Gnostic Dialogue first analyzed by K. Rudolph in 1968.116 This genre, inspired by the socratic so called Erotapokriseis-Literature, is, according to Rudolph and Schoenborn the true generic designation of quite a few texts from the Nag Hammadi library. In this regard two questions become pertinent: Why an apocalypse? and Why to Peter? These questions deserve a more adequate treatment than can be given here, where I can only hint at a few answers. The Shepherd of Hermas is likewise an apocalypse with a claim of divine revelation although with a totally different message.117 Besides the visions, the angelus interpres, the pseudonymity and the title, the most striking feature of an apocalypse is found in the introduction, where the hierarchical revelation embedment with the highest God as the Originator, the Savior as the Revealer and Peter as the Transmitter shows great similarities with other apocalypses.118 The reason for choosing this form is evident: the Gnostic Community is in a deep crisis, threatened as it is by the Great Church. Their members need to be strengthened and comforted in order to prevent further defection. But also the „misled little ones“, who are now under the dominion of the leaders of the Great Church, are in —————

113 M. KRAUSE, Die literarischen Gattungen der Apokalypsen von Nag Hammadi, in: D. Hellholm (Ed.), Apocalypticism in the Mediterranean World and the Near East, Tübingen 21989 (11983), 621–637: 627f. 114 BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 121–57; WERNER, The Coptic Gnostic Apocalypse of Peter, 703; M. DESJARDINS, Introduction to VII,3 Apocalypse of Peter, in: Pearson (Ed.), Nag Hammadi Codex VII, 201–216: 208–210; SCHOENBORN, Diverbium, 27–42; HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 111–130. 115 See previous note except SCHOENBORN, Diverbium. 116 Ibid. 31–40, 80–82; cf. K. RUDOLPH, Der gnostische ‚Dialog‘ als literarisches Genus, in: P. Nagel (Ed.), Probleme der koptischen Literatur, Wissenschaftliche Beiträge der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg 1968/1, Halle (Saale) 1968, 85–107. 117 See HELLHOLM, The Shepherd of Hermas, 232–237 (= IDEM, Der Hirt des Hermas, 244– 249). 118 Cf. HELLHOLM, Visions, 109–146. So now also HAVELAAR, The Coptic Apocalypse of Peter, 182: „The first phrase [70:21–25], in which the Saviour addresses Peter, indicates that the content of the revelation, the true life, is communicated to Peter by the Saviour, yet stems from the Father“.

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need of being reminded anew of their true origin and essence in order to be saved. For this the authority of an apocalypse stemming from the „undefiled Father“ and revealed by the „Savior“ himself as angelus interpres is necessitated.119 As Peter is claimed by the Great Church as its leader, the Gnostic Community now claims him as its founder and leader, „to whom these mysteries have been given so that you (sc. Peter) could know through revelation“ the true and saving nature of the Savior (82,19f).120 Three of the apocalypses from Nag Hammadi – The Apocalypse of Peter, The Acts of Peter and the Twelve, and The First Apocryphon of James – recount, how Peter receives special revelation through visions, and as E.H. Pagels has shown, „they share three premises: first, that the apostles lack understanding and power, and therefore need further revelation to remedy their deficiencies; second, that such direct access to Christ is available through visions long after the resurrection; and third, that such revelations are granted only to certain persons and not to others“121. In our case to Peter and hence repudiating an orthodox doctrine based on a theologia crucis of Pauline impression.

—————

119 Cf. the analogy in Hermas, Sim. X and hereto HELLHOLM, The Shepherd of Hermas, 235– 237 (= IDEM, Der Hirt des Hermas, 246–249). 120 Cf. KOSCHORKE, Polemik, 32–35; BRASHLER, The Coptic Apocalypse of Peter, 206–216; M.W. MEYER, Making Mary Male: The Categories ‚Male‘ and ‚Female‘ in the Gospel of Thomas, in: IDEM, Secret Gospels. Essays on Thomas and the Secret Gospel of Mark, Harrisburg et al. 2003, 76–95: 86 (= NTS 31 [1985] 554–570); M. DESJARDINS, Introduction to VII,3 Apocalypse of Peter, in Pearson (Ed.), Nag Hammadi Codex VII, 201–216: 213 with note 41; T. BAUMEISER, Die Rolle des Petrus in gnostischen Texten, in: T. Orlandi/F. Wisse (Ed.), International Congress of Coptic Studies. Roma 22–26 September 1980, Rome 1985, 3–12: 8. See further regarding the functional aspect of texts K. BRINKER, Textfunktionen. Ansätze zu ihrer Beschreibung, ZGL 11 (1983) 127–148: 135: „Die bloße Häufigkeit sprachlicher Einheiten und Strukturen ist aber kein geeignetes Merkmal zur Bestimmung von Textfunktionen; eine solche Betrachtungsweise operiert zu sehr an der Textoberfläche. Der Begriff Dominanz muß vielmehr funktional charakterisiert werden, was nur vor dem Hintergrund des Vertextungsmusters möglich erscheint nach dem der Text als Sprechhandlungskomplex konstituiert ist“. 121 E.H. PAGELS, Visions Appearances, and Apostolic Authority: Gnostic and Orthodox Traditions, in: B. Aland (Ed.), Gnosis (FS H. Jonas), Göttingen 1978, 415–430: 424. Regarding the „Gospel of Peter“ and its docetic christology, cf. D. LÜHRMANN, Petrus als Evangelist – Ein bemerkenswertes Ostrakon, NT 43 (2001) 348–367.

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Christina Hoegen-Rohls

Ist der Paulusbrief Literatur? Literaturtheoretische Anmerkungen zu einer forschungsgeschichtlich umstrittenen Frage

„Der Brief ist etwas Unliterarisches: er dient dem Verkehr der Getrennten“1, urteilte A. Deissmann2 in seinem noch immer faszinierenden Buch Licht vom Osten in der maßgeblichen vierten Auflage von 1923,3 um unter den aus der Antike überlieferten Briefen „wirkliche“ oder „natürliche“ Briefe – die neuere Forschung nennt sie „dokumentarische“ Briefe4 – von literarisch stilisierten Briefen zu unterscheiden.5 Literarisch stilisierte Briefe nannte Deissmann „Episteln“, „eine literarische Kunstform“, die „mit dem Briefe nur die briefliche Form“, im übrigen aber so wenig gemeinsam habe, „daß man den paradoxen Satz wagen könnte, die Epistel sei das Gegenteil des wirklichen Briefes“6. Wirkliche Briefe aber seien die Paulusbriefe.7 —————

1 A. DEISSMANN, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen 41923 (11908), 194. 2 In allen eigenen Veröffentlichungen des Autors wurde sein Nachname „Deissmann“, nicht „Deißmann“ geschrieben, und zwar unabhängig davon, ob es sich bei der Schriftart um Kapitälchen oder normale Groß- und Kleinschreibung handelte. Daher behalte ich die Schreibweise „Deissmann“ bei, auch wenn sowohl E. PLÜMACHER, Art. Deißmann, TRE 8 (1981) 406–408, als auch H.-J. KLAUCK, Art. Deißmann, RGG4 2 (1999) 623, die Schreibweise „Deißmann“ bieten (anders freilich die angloamerikanische Schreibweise, vgl. etwa A. GERBER, Deissmann the Philologist, BZNW 171, Berlin, New York 2010). 3 Die erste Auflage des Buches erschien 1908, die zweite 1909. Eine englische Übersetzung folgte in London, New York und Toronto bereits 1910 und in zweiter Auflage 1911 unter dem Titel „Light from the Ancient East“. 4 Vgl. jüngst TH.J. BAUER, Paulus und die kaiserzeitliche Epistolographie. Kontextualisierung und Analyse der Briefe an Philemon und an die Galater, WUNT 276, Tübingen 2011, exemplarisch 2.8, Anm. 44; vgl. auch die Rede von „dokumentarischen Papyri“ bei P. ARZT-GRABNER, Philemon, PKNT 1, Göttingen 2003, exemplarisch 41.43f; DERS. u.a., 1. Korinther. Mit zwei Beiträgen von M. ERNST, u. Mitarbeit v. G. Schwab/A. Baumer, PKNT 2, Göttingen 2006, pass. 5 Vgl. DEISSMANN, Licht vom Osten, 193–208: exemplarisch 194–196; DERS., Bibelstudien. Beiträge, zumeist aus den Papyri und Inschriften, zur Geschichte der Sprache, des Schrifttums und der Religion des hellenistischen Judentums und des Urchristentums, Marburg 1895 (= Hildesheim/New York 1977), 187–252: exemplarisch 202–208; vgl. dazu auch BAUER, Epistolographie, 1–6. 6 DEISSMANN, Licht vom Osten, 195.

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Ist der Paulusbrief Literatur?

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Wirft man allein einen Blick in die neueren einleitungswissenschaftlichen Lehrbücher zum Neuen Testament, so wird deutlich, dass Deissmanns Differenzierung zwischen literarischer Epistel und nichtliterarischem Brief heute nicht mehr aufrechterhalten wird.8 Im Gegenzug zu Deissmanns Diktum, dass es sich bei den Paulusbriefen nicht um ein „litterarisches Ereignis“9 (sic) handle, lässt sich inzwischen explizit die Einschätzung finden, die Protopaulinen seien eine „literarische Form“10 und bildeten, verfasst von Paulus als „literarischem Autor“11, den „Beginn der christlichen Literatur“12. Einer aufmerksamen Wahrnehmung solcher gewandelten Beurteilung entgeht jedoch nicht, dass eine klare Verständigung über den Maßstab, mit dem Literarisches und Nichtliterarisches am Paulusbrief bemessen werden, fehlt. Was bewog Deissmann, die Paulusbriefe nicht als literarische Briefe gelten zu lassen? Welche Argumente wurden und werden in Auseinandersetzung mit ihm vorgebracht, um sie heute umgekehrt als literarisch bewerten zu können? Worin genau besteht das literarische Profil des Paulusbriefes? Der vorliegende Beitrag widmet sich diesen Fragen in einem Dreischritt.13

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7 A.a.O. 198–206; DERS., Bibelstudien, 234–242; DERS., Paulus. Eine kultur- und religionsgeschichtliche Skizze, Tübingen 21925 (11911), 8–11. 8 Vgl. dazu exemplarisch S. SCHREIBER, Briefliteratur im Neuen Testament, in: M. EBNER/DERS., Einleitung in das Neue Testament, KStTh 6, Stuttgart 2008, 250–264: 252: „Die ältere Forschung konnte unter Rückgriff auf A. DEISSMANN (...) scharf zwischen Brief und Epistel trennen (...). Wenn diese strikte Zweiteilung heute aufgegeben ist, so deswegen, weil sich gerade die Paulusbriefe einfachen Klassifizierungen widersetzen“; I. BROER, Die neutestamentlichen Briefe und das Briefwesen der Antike, in: DERS. in Verbindung mit H.-U. Weidemann, Einleitung in das Neue Testament, Würzburg 32010, 263–280: 266: Im Blick auf Deissmanns Unterscheidung gelte, dass die Paulusbriefe eine Stellung „zwischen den antiken Gelegenheitsbriefen und den literarischen Episteln“ einnehmen. 9 DEISSMANN, Bibelstudien, 190f. 10 So G. THEISSEN, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, SHAW.PH 40, Heidelberg 22011, 102–120. 11 So E.-M. BECKER, Schreiben und Verstehen. Paulinische Briefhermeneutik im Zweiten Korintherbrief, NET 4, Tübingen, Basel 2002, 123–127; O. WISCHMEYER, Paulus als Autor, in: DIES., Von Ben Sira zu Paulus. GAufs. zu Texten, Theologie und Hermeneutik des Frühjudentums und des Neuen Testaments, hg.v. E.-M. Becker, WUNT 173, Tübingen 2004, 289–307. Die Frage, in welchem Sinne Paulus als Autor aufgefasst werden kann, und die Fragen, ob Paulus sich selbst als Autor und seine Briefe als Literatur verstand, bleiben im vorliegenden Beitrag aus Raumgründen ausgeblendet. 12 So DIES., Einführung, in: Dies. (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, UTB 2767, Tübingen 2006,123–125: 123; DIES., Hermeneutik des Neuen Testaments. Ein Lehrbuch, NET 8, Tübingen, Basel 2004, 36. 13 Lieber Herr Kollege Koch, im Sinne des Ps.-Demetrius (vgl. Anm. 66, Nr. 19) grüße ich Sie hiermit in Form eines Kurz-Gratulationsbriefes sehr herzlich zu Ihrem Geburtstag und wünsche Ihnen Gottes Segen! Ihre Ch. Hoegen-Rohls.

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1. Literarisches und Nichtliterarisches am Paulusbrief. Eine forschungsgeschichtliche Skizze 1.1 Der Brief als „literarische Unform“ In seiner Studie Über die Anfänge der patristischen Literatur (1882)14 trennt F. Overbeck scharf zwischen „christlicher Urliteratur“ und „christlicher Literatur“: Zur „christlichen Urliteratur“ zählt er das Neue Testament,15 die Apostolischen Väter sowie zwei Schriften von Hegesipp und Papias von Hierapolis.16 Die „christliche Literatur“ identifiziert er hingegen mit der patristischen Literatur.17 Diese sei die erste Literatur, die es im Anschluss an die griechisch-römische Literatur der hellenistischen Welt „zu einer lebensfähigen Literatur“18 gebracht habe. „Lebensfähig“ meint dabei für Overbeck, dass die patristische Literatur sich erstmals ohne apologetische Interessen gegenüber Heidentum, Judentum und Häresie mit ihrem eigenen Gegenstand, dem Christentum, befasse.19 Pointiert postuliert Overbeck, dass es zwischen „beiden Literaturen“, der christlichen Urliteratur und der christlichen (= patristischen) Literatur, „literarhistorisch keinen Zusammenhang“20 gebe. Aus dieser Einschätzung erklärt sich der markante Satz, „daß mit dem Neuen Testament die christliche Literatur nicht anfängt“21. Overbeck begründet seine These mit dem Argument, dass die im Neuen Testament überlieferten literarischen Formen „nicht zu den bleibenden und in diesem Sinn der christlichen Literatur überhaupt eigentümlichen“22 zu rechnen seien. Vielmehr stürben sie ab, „noch bevor es zur gesicherten Existenz einer Literatur der Kirche kommt“23. Welchen Literaturbegriff setzt Overbeck voraus? Seinen Ausführungen ist zu entnehmen, dass er implizit einen engeren und einen weiteren Literaturbegriff verwendet. So spricht er zwar im Blick auf das Neue Testament ————— 14

Vgl. F. OVERBECK, Über die Anfänge der patristischen Literatur, Darmstadt 1984 (= 1882). Vgl. a.a.O. exemplarisch 16.37. Das Neue Testament bildet nach Overbeck genauer nur den „Rest einer christlichen Urliteratur“ (a.a.O. 29.32). Eine (vermutlich versehentliche) Ausnahme der konsequenten Bezeichnung des Neuen Testaments als „christlicher Urliteratur“ findet sich a.a.O. 68, in der Formulierung, „daß der Kanon des Neuen Testaments die christliche Literatur abschließt“; es müsste hier „die christliche Urliteratur“ heißen. 16 Vgl. a.a.O. 32–35. 17 Vgl. a.a.O. 37–71. 18 A.a.O. 38. 19 Vgl. a.a.O. 48f; vgl. a.a.O. 63. 20 A.a.O. 18f; vgl. a.a.O. 27.30. 21 A.a.O. 16. 22 A.a.O. 19. 23 Ebd. Zugespitzt spricht Overbeck daher davon, dass man mit dem neutestamentlichen Kanon den „Totenschein“ (a.a.O. 29) der christlichen Urliteratur in der Hand halte. 15

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Ist der Paulusbrief Literatur?

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insgesamt von „Literatur“, ohne doch dabei die apostolischen und vor allem die paulinischen Briefe zur „Sphäre der Literatur“24 zu zählen. Der Brief nämlich sei „keine Form der Literatur“, sondern eine „literarische Unform“25. Wer einen Brief schreibe, beteilige sich „gar nicht an der Literatur“26. „Literatur“ im engeren Sinne definiert Overbeck dabei unter dem Kriterium, dass die jeweils gewählte schriftliche Form für den dargestellten Inhalt wesentlich sei.27 Dies gelte nicht für den Brief: Dessen schriftliche Form sei nicht wesentlich für seinen Inhalt, sondern lediglich wichtig für die Situation der räumlichen Trennung, die zum Briefeschreiben nötigt. „Um solcher Trennung willen sagt man sich schriftlich, was man ohne sie ebenso gut, in den meisten Fällen selbst besser, mündlich sich mitgeteilt hätte. Das geschriebene Wort ist hier, ohne als solches etwas bedeuten zu wollen, weiter nichts als das durchaus kunstlose und zufällige Surrogat des gesprochenen. So schrieb auch Paulus an seine Gemeinden nur um ihnen schriftlich zu sagen, was er ihnen mündlich gesagt hätte, wenn er jedes Mal an Ort und Stelle gewesen wäre“28. Nicht seiner genuinen Form und ursprünglichen Intention nach, sondern nur äußerlich und sekundär könne der Brief daher ein gewisses literarisches „Ansehen“ gewinnen – dann nämlich, wenn Briefe „zu Büchern“ werden, wie es im Neuen Testament der Fall sei.29 Von Literatur im engeren Sinne bleibe der urchristliche Brief jedoch durch seine ursprüngliche Adresse, seinen „ganz bestimmten, momentanen Anlaß“ und sein „ganz bestimmtes und beschränktes Publikum“30 unterschieden. So handle es sich bei den Paulusbriefen – und ebenso bei den Briefen der Alten Kirche – um „reine Gelegenheitsschriftstellerei“31. 1.2 Paulinische Brieflichkeit als „unliterarische Brieflichkeit“ Angeregt durch die skizzierten literarhistorischen Beobachtungen Overbecks von 1882 hebt Deissmann bereits in seinen 1885 erschienenen Bibelstudien den Aspekt der „Brieflichkeit“ als jenen entscheidenden Gesichtspunkt hervor, unter dem die Paulusbriefe auszulegen seien.32 „Brieflichkeit“ ————— 24

A.a.O. 20; vgl. a.a.O. 19. A.a.O. 21. 26 A.a.O. 19. 27 Vgl. ebd. 28 Ebd. 29 Vgl. a.a.O. 20. 30 A.a.O. 19f. 31 A.a.O. 21. 32 Vgl. DEISSMANN, Bibelstudien, 250. 25

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meint dabei prägnant „unliterarische Brieflichkeit“33 und impliziert, dass der Paulusbrief weder den Anspruch auf künstlerisch-literarische Gestaltung noch auf eine über den Augenblick der brieflichen Korrespondenz hinausgehende inhaltliche Relevanz erhebt.34 Dergestalt unliterarische, situationsbedingte, also „echte“ Brieflichkeit steht für Deissmann in profiliertem Gegensatz zu einem Verständnis der Paulusbriefe als literarischen Zeugnissen, aus denen sich ein geschlossenes theologischen System des Paulus, der sog. ‚Paulinismus‘, ablesen lasse.35 Deissmann plädiert im Zuge seiner Betonung unliterarisch-natürlicher Brieflichkeit vielmehr für eine dezidiert un-, anti- oder prädogmatische36 Pauluslektüre, die die Briefe nicht als „Thesen aus einer theologischen Debatte“37 liest, sondern als dem Alltag des Apostels entsprungene persönliche „Einzelbekenntnisse“38. Als Träger solcher individuellen Bekenntnisse ist der Paulusbrief für Deissmann etwas Privates, nicht öffentliche „Marktware“39, sondern „Geheimnis“40. Seinen Vergleichsmaßstab für die Beschreibung der Paulusbriefe als kunstlosen, gelegenheitsbedingten Privatbriefen gewinnt Deissmann aus der Beschäftigung mit den zu seiner Zeit zahlreich neu entdeckten antiken Alltagsbriefen auf Blei, Ton und Papyrus. „Der Brief ist so unliterarisch wie ein Mietsvertrag oder ein Testament“41, ist dabei eine jener zugespitzten Gleichungen, die Deissmanns an Textsorten orientierten Literaturbegriff transparent machen. Wie Overbeck lässt Deissmann zwar das Neue Testament insgesamt als „Literatur“ gelten. Die darin enthaltenen Paulusbriefe aber klassifiziert er als unliterarische Alltagsdokumente. Allein der Umstand, dass sie „literarisch überliefert und von uns allen zuerst in einem Buche gesehen worden sind“42, könne über diese Tatsache hinwegtäuschen. Für Deissmanns Literaturbegriff kennzeichnend ist, dass die sekundäre Funktionseinheit „Buch/Neues Testament“ im Sinne der Sammlung von Einzelschriften von den Einzelschriften selbst unterschieden wird. Was „literarisch“ genannt werden kann, wird hierbei nicht nur unter dem Kriterium der Textsorte, sondern auch unter dem Kriterium der Texthervorbringung und unter dem Kriterium der Textgeltung bestimmt. So unterscheidet Deissmann ausdrücklich zwischen dem „ursprünglichste(n) Charakter der ————— 33

A.a.O. 205; vgl. dazu auch BAUER, Epistolographie, 4f. Vgl. DEISSMANN, Licht vom Osten, 195–197.206–208; DERS., Bibelstudien, 242–247. 35 Vgl. dazu DERS., Licht vom Osten, 205; DERS., Paulus, 2, wo „das sogenannte ‚System der paulinischen Theologie‘“ als „Paulinismus“ bezeichnet wird. 36 Vgl. DERS., Licht vom Osten, 327. 37 A.a.O. 326. 38 A.a.O. 205; vgl. DERS., Bibelstudien, 251. 39 DERS., Licht vom Osten, 195. 40 DERS., Bibelstudien, 189. 41 DERS., Licht vom Osten, 194. 42 A.a.O. 198. 34

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Ist der Paulusbrief Literatur?

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Paulusbriefe“43 und dem, was Abschriften, Vervielfältigungen und die Aufnahme in das Neue Testament aus ihnen gemacht haben: „Der Apostel Paulus ist Briefschreiber, nicht Epistolograph. Er ist noch kein Mann der Literatur. Zur Literatur sind die Paulusbriefe erst später gemacht worden, als die Pietät der Gemeinden sie sammelte, durch Abschriften vervielfältigte und so der gesamten Christenheit zugänglich machte. Noch später wurden sie zur heiligen Literatur gemacht, als sie in die Reihe der Schriften des sich bildenden ‚Neuen‘ Testaments aufgenommen wurden.“44 Schließlich spielt für Deissmanns Literaturbegriff das Kriterium der Textwirkung eine entscheidende Rolle. Den Paulusbriefen als Bestandteil des Neuen Testaments attestiert er „eine unermeßliche literarische Wirkung“45. „Literarisch“ können diese Briefe somit nach Deissmann erst unter dem Aspekt ihrer sekundären, an den neutestamentlichen Kanon gebundenen Erscheinungsform und Wirkungsgeschichte genannt werden. 1.3 Die Paulusbriefe als „Literaturgattung“ Obwohl J. Weiß in seinem Artikel zur neutestamentlichen Literaturgeschichte aus dem Jahr 191246 den von Deissmann aufgestellten Beschreibungsmerkmalen für den „wirklichen Brief“ weitgehend zustimmt, bezeichnet er zugleich die Paulusbriefe als eine „Literaturgattung“47. Den Charakter des Literarischen macht er dabei an den Kriterien Ton, Stil, Form, Inhalt und Öffentlichkeitsbezug fest.48 Diese Kriterien weisen nach Weiß darauf hin, dass es sich bei den Paulinen nicht um rein persönliche, ungezwungen abgefasste Briefe handle, sondern um bewusst gestaltete, sachlich schwerwiegende apostolisch-prophetische „Abhandlungen (syngrammata) in Briefform“49. Im selben Jahr relativiert auch P. Wendland unter den Kriterien von Inhalt und Stil Deissmanns Urteil der „unliterarischen Brieflichkeit“. Deissmann gehe „zu weit, wenn er den paulinischen Briefen jeden literarischen Charakter abspricht, und er überschätzt den Wert der aus den Papyri bekannt gewordenen Alltagsbriefe für das Verständnis des Wesens der Paulusbriefe. Gewiß ist aus allen Urkunden hellenistischer Sprache hier und da etwas für den Sprachgebrauch des Paulus zu lernen, und

————— 43

A.a.O. 205. A.a.O. 203–205. 45 A.a.O. 205. 46 Vgl. J. WEISS, Art. Literaturgeschichte, RGG2 3 (1912) 2175–2215. 47 A.a.O. 2202; zur relativierenden Zustimmung zu Deissmann vgl. a.a.O. 2202. 48 Ebd. 49 Vgl. a.a.O. 2202f. 44

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gewiß erläutern wirkliche antike Briefe die Art, wie Paulus im Eingange und am Schlusse der Briefe die feste Formensprache (...) benutzt und christianisiert. Aber die Grenzlinie zwischen echtem Brief und literarischer Epistel darf nicht zu scharf gezogen werden. Die Frage, ob ein Brief zur Literatur gerechnet werden darf oder nicht, fällt nicht zusammen mit der Frage, ob er buchhändlerisch publiziert ist oder nicht; auch Gehalt und Stil kommt (sic) in Frage.“50

Wendland unterläuft mit seiner Pointe einen Literaturbegriff, der „Literatur“ an „Publikation“ knüpft. Er wendet sich damit gegen das von Overbeck und Deissmann vorgebrachte Argument, den Paulusbriefen aufgrund des sekundären literarischen Erscheinungsbildes, das ihnen im Rahmen des neutestamentlichen Kanons zuwächst, das Prädikat „literarisch“ zuzubilligen. Wie Weiß verwendet Wendland ferner einen auf der Ebene der Sprachverwendung und auf der Ebene des Stoffs verorteten Literaturbegriff. Wenn Weiß darüber hinaus als Merkmale des Literarischen die Form des Paulusbriefes und den Aspekt seines Öffentlichkeitsbezuges anbietet, so operiert er mit einem Literaturbegriff, der an der sozialen Funktion eines Textes ausgerichtet ist. 1.4 Der Paulusbrief als literarische Form im Kontext kaiserzeitlicher Epistolographie Deissmanns vor allem auf der Basis der Alltagspapyri gewonnene Unterscheidung zwischen literarischer Epistel und nichtliterarischem Brief wird schon früh aus der Perspektive der antiken Literaturgeschichte, unter Rücksicht auf die hellenistische bzw. kaiserzeitliche Epistolographie, kritisiert. Ioannes Sykutris betont, dass Deissmanns Differenzierung einen zu engen Literaturbegriff voraussetze. „Literatur“ werde bei Deissmann für Texte reserviert, die auf bewusste „Literatenarbeit“ zurückgeht.51 Eine solche spricht Deissmann, wie zu sehen war, Paulus ab. Für Sykutris ist jedoch das produktionsgeschichtliche Argument kein Gegenargument gegen die literarische Gestalt des Paulusbriefes. Paulus, der selbst verlangt habe, dass seine Briefe vorgelesen und weitergegeben werden, greife mit seinen Briefen vielmehr in publizistisch-didaktischer Absicht „zu einer halbliterarischen Form“, die charakteristischer Weise über den reinen Privatbrief hinausgehe und im zeitgenössischen Schrifttum des Juden- und Heidentums eine Blütezeit erlebe.52 Bereits bei seinen Nachfolgern sei der Paulusbrief dann als eine „fertige Literaturform“ verwendet worden, die von der ursprünglichen ————— 50

P. WENDLAND, Die urchristlichen Literaturformen, Tübingen 1912, 344 [278]. Vgl. I. SYKUTRIS, Art. Epistolographie, PRE.S 5 (1931 [= 1962]) 185–220: 187. 52 A.a.O. 218f. 51

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„Notwendigkeit des Augenblicks“, Briefe aufgrund räumlicher Entfernung zu schreiben, abstrahiere.53 Dass die Zuordnung des Paulusbriefes zur Literatur nicht mit dem Argument der fehlenden schriftstellerischen Tätigkeit des Paulus entkräftet werden könne, hatte bereits E. Norden in seinem zweibändigen, erstmals 1898 erschienenen, dann mehrfach aufgelegten Standardwerk zur antiken Kunstprosa bei der Auseinandersetzung mit Overbeck angedeutet, indem er darauf verwies, dass auch der „kunstlose“ Brief im antiken Verständnis „eine viel größere literarische Existenzberechtigung“ gehabt habe als Overbeck es voraussetze.54 Der Brief sei zur Zeit des Paulus längst „eine literarische Form geworden, in der man alle möglichen Stoffe (...) in zwangloser Art niederlegen konnte.“55 Gleichwohl hält Norden zunächst an einer grundlegenden Unterscheidung zwischen paganer griechischer Literatur und paulinischen Briefen fest. Erst im Kontext seiner Untersuchung zur Formengeschichte religiöser Rede ringt er sich ausdrücklich gegen Overbeck dazu durch, die Paulusbriefe als „zur Literatur im eigentlichen Wortsinne gehörig“ zu bestimmen.56 Die Deissmann’sche Gegenüberstellung von echt-natürlichem Brief und fingiert-künstlicher Epistel wird dann jedoch mit zunehmender Konsequenz unter Anwendung literaturgeschichtlicher sowie quellen- und gattungskritischer Argumente von F.X.J. Exler (1923),57 H. Koskenniemi (1956),58 K. Thraede (1970),59 D. Dormeyer (1993),60 G. Theißen (2007/22011)61 und zuletzt Th.J. Bauer (2011)62 in Frage gestellt. Bereits Exler weist darauf hin, dass die Gattung Brief keineswegs eine anspruchsvolle literarische Gestaltung in Sprache und Stil ausschließe, zumal dann, wenn es sich um Briefe von Gebildeten handle.63 Seit der Untersuchungen von Koskenniemi und Thraede ist darüber hinaus methodologisch geklärt, dass sich die antike Textsorte des Briefes nicht allein aus den von Deissmann ausgewerteten ————— 53

A.a.O. 218. Vgl. E. NORDEN, Die antike Kunstprosa. Vom VI. Jahrhundert v.Chr. bis in die Zeit der Renaissance I–II Stuttgart/Leipzig 101995 (= 31915), II 492. 55 Ebd. 56 Vgl. DERS., Agnostos Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, Berlin 1913, 306f. 57 Vgl. F.X.J. EXLER, The Form of the Ancient Greek Letter of the Epistolary Papyri (3rd C.B.C. – 3rd C.A.C.). A Study in Greek Epistolography, Washington 1923 (= Chicago 1976). 58 Vgl. H. KOSKENNIEMI, Studien zur Idee und Phraseologie des griechischen Briefes bis auf 400 n.Chr., AASF.B 102/2, Helsinki 1956, 18. 59 Vgl. K. THRAEDE, Grundzüge griechisch-römischer Brieftopik, Zet. 48, München 1970. 60 Vgl. D. DORMEYER, Das Neue Testament im Rahmen der antiken Literaturgeschichte. Eine Einführung, Darmstadt 1993. 61 Vgl. THEISSEN, Entstehung, 93–145. 62 Vgl. BAUER, Epistolographie. 63 EXLER, Ancient Greek Letter, 17. 54

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Ostraka und nichtliterarischen Papyri erheben lässt, sondern dass neben Zeugnissen der alltäglichen Briefpraxis auch überlieferte Quellen aus drei weiteren Bereichen auszuwerten sind: aus dem Bereich der literarischen Briefpraxis, dem Bereich der Brieftheorie sowie dem Bereich von Handbüchern, die Theorie und Praxis verbinden (sog. „Briefsteller“64). Vom Hellenismus bis hinein in die Spätantike lässt sich an Hand dieser Quellen verfolgen, wie die antike Praxis des Briefeschreibens aussah, wie sich aus der Praxis eine Theorie entwickelte, die über Wesen, Form und Funktion des Briefes reflektierte, und wie schließlich die Brieftheorie wieder auf die Briefpraxis zurückwirkte.65 Dabei kommt gerade den Briefstellern eine wichtige Funktion für die Frage nach dem literarischen Charakter von Briefen zu. Denn die in diesen Handbüchern zusammengestellten Musterbriefe für die unterschiedlichsten Brieftypen, die differenzierte Schreibanlässe bedienen,66 spiegeln das Bedürfnis, quasi-literarische Fertigkeiten des Briefeschreibens zu kultivieren, zu vermitteln und als Wissensschatz zu tradieren. Aus dem Blickwinkel der Briefsteller lässt sich daher ein Verständnis von „Brieflichkeit“ gewinnen, das über die Ebene des rein Natürlichen, Spontanen, Ungestalteten hinausgeht. Das heißt: Briefe sind in der hellenistisch-römischen Kultur zur Zeit des Paulus bewusst stilisierte Texte – auch dann, wenn sie sich im Rahmen alltäglicher Briefkorrespondenz auf bestimmte aktuelle Situationen beziehen. —————

64 Die Bezeichnung „Briefsteller“ für Handbücher, in denen zum Briefeschreiben angeleitet wird, stammt erst aus dem späten 17. Jh. Das Wort selbst kam Mitte des 17. Jh. auf, bedeutete aber zunächst „Briefverfasser“ (auctor epistulae). Vgl. dazu R.M.G. NICKISCH, Art. Briefsteller, HWRh 2 (1994) 76–86. 65 Vgl. dazu auch H.-J. KLAUCK, Die antike Briefliteratur und das Neue Testament, UTB 2022, Paderborn, München u.a. 1998; DERS., Ancient Letters and the New Testament. A Guide to Context and Exegesis (with the collaboration of Daniel P. Bailey), Waco 2006. 66 Der älteste antike Briefsteller des sog. „Ps.-Demetrius“ aus dem 2./3. Jh. n.Chr., dessen Grundbestand möglicherweise bis auf das 2./1. Jh. v.Chr. zurückgeht, reflektiert einleitend in seiner Widmung an einen gewissen Heraklides, dass eine Vielzahl sprachlicher Muster zur Verfügung stehe, um für unterschiedliche Anlässe – unter Berücksichtigung der jeweiligen gesellschaftlichen Stellung der Briefpartner – den passenden Brief zu schreiben. 21 Brieftypen seien dabei zu unterscheiden. Diese 21 Brieftypen nennt und behandelt Ps.-Demetrius in folgender Reihenfolge: (1) Freundschaftsbrief; (2) Empfehlungsbrief; (3) Brief, der Vorhaltungen macht; (4) vorwurfsvoller Brief; (5) Trostbrief; (6) Scheltbrief; (7) zurechtweisender Brief; (8) Drohbrief; (9) tadelnder Brief; (10) lobender Brief; (11) beratender Brief; (12) Bittbrief; (13) Fragebrief; (14) Antwortbrief; (15) chiffrierter Brief; (16) Begründungsbrief; (17) Anklagebrief; (18) Rechtfertigungsbrief; (19) Gratulationsbrief; (20) ironischer Brief; (21) Dankbrief. Die griechischen Bezeichnungen verzeichnen J.L. WHITE, Light from Ancient Letters, Philadelphia 1986, 203, und KLAUCK, Briefliteratur, 159. Vgl. dazu insgesamt BAUER, Epistolographie, 34–41, der zu Recht anmerkt, dass die von Ps.-Demetrius differenzierten Brieftypen „für den heutigen Leser in ihrer genauen Absicht und Funktion teilweise nur schwer zu identifizieren und gegeneinander abzugrenzen“ seien (a.a.O. 41). Vgl. außerdem A. BRINKMANN, Der älteste Briefsteller, RMP 64 (1905) 310–317.

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Aus der Perspektive der kaiserzeitlichen Epistolographie ergibt sich somit, dass „Brieflichkeit“ nicht gleichzusetzen ist mit literarischer Kunstlosigkeit. Diese Einsicht haben in Folge der Studien von Koskenniemi und Thraede vor allem Dormeyer und Bauer betont.67 Dormeyer postuliert, dass die Protopaulinen „zur neuen christlichen Gattung des literarischen Briefes“ gehören, deren Kennzeichen es sei, die von der antiken Brieftheorie differenzierten Brieftypen „miteinander zu vermischen und spezifische Schwerpunkte zu setzen.“68 Typisch christlicher Briefstil sei es, „die literarische Gestaltung eines Briefes nach den Gesetzen der literarischen Koine und z.T. der ästhetischen Kunstprosa auszurichten und mit den stereotyp gestalteten Partien eines Privatbriefes, der nach den Gesetzen der mündlichen Koine gestaltet wird, zu verbinden“69. In das schriftliche Medium des Briefes könnten verschiedene Formen mündlicher Rede wie Pistisformeln, Homologien, Gebete, aber auch Lieder, paränetische Muster, diatribenhafte Dialoge und Peristasenkataloge integriert werden.70 Der in dieser Weise gestaltete frühchristliche Brief sei keineswegs als „unliterarische Fortsetzung von Predigt und Seelsorge“ einzuschätzen, sondern vielmehr als „ein eigenständiger Typ eines christlichen, literarischen Briefes“71. Dormeyer bedient sich eines Literaturbegriffs, der sprachstilistische, inhaltliche und gattungstypische Erscheinungsweisen als literarästhetische Merkmale kombiniert. Leitendes Kriterium für die Bestimmung „literarisch“ ist dabei die bewusste Textgestaltung. Dieses Kriterium erweist sich als wesentlich auch für die literaturgeschichtliche Einordnung des Paulusbriefes bei Theißen und dessen kaiserzeitliche Kontextualisierung bei Bauer. Theißen beobachtet am Paulusbrief eine „zweifache Gestaltungstendenz“, die ihn zum „Gemeindebrief“ erhebt: Durch liturgische Stilisierung werde der Textsorte Brief eine „gottesdienstliche Aura“ verliehen, durch rhetorische Stilisierung ihre öffentliche Geltung erhöht.72 Bauer hebt hervor, dass in der römischen Kaiserzeit der literarische Kunstbrief allmählich zum Maßstab der Gestaltung privater Briefe geworden sei.73 Dabei handle es sich um eine Entwicklung, die sich nicht auf die gebildete Oberschicht beschränken lasse. Seit späthellenistischer und frührömischer Zeit sei der Brief vielmehr zum Gegenstand des schulischen Elementarunterrichts geworden. Auch weniger Gebildete hätten daher die „publizierten Meisterleis————— 67

Vgl. DORMEYER, Literaturgeschichte, 35; BAUER, Epistolographie, 7f. DORMEYER, Literaturgeschichte, 193. 69 Ebd.; vgl. auch a.a.O. 62. 70 A.a.O. 193. 71 Ebd. 72 Vgl. THEISSEN, Entstehung, 102.110–120. 73 Vgl. BAUER, Epistolographie, 33. 68

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tungen der Briefkunst“74 nachgeahmt. Somit ließen sich rhetorisch-literarische Ambitionen als kennzeichnend für den allgemeinen kaiserzeitlichen Briefstil ausmachen. Auch wenn die Paulusbriefe gegenüber den „literarischen Spitzenleistungen“ zeitgenössischer Briefe abfielen, könne man sie keinesfalls auf das Niveau privater Papyrusbriefe aus der Hand Ungebildeter stellen.75 Bauer demonstriert implizit, dass für die kaiserzeitliche Epistolographie ein Literaturbegriff Anwendung finden kann, der die Beherrschung gesellschaftlicher Schreibkonventionen als literarästhetisches Kriterium gelten lässt.76 Unter der Perspektive schulmäßiger Stilisierung sind auch die Paulusbriefe als „literarische“ Briefe ernst zu nehmen. Das bedeutet gleichwohl nicht, dass sie reine Kunstprodukte darstellen. Hinter den Paulusbriefen stehen reale Beziehungen zwischen den Briefpartnern und konkrete Situationen aus deren Leben.77 Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass im Sinne kaiserzeitlicher Epistolographie die Paulusbriefe Anteil haben an der bildungsgeschichtlichen Entwicklung vom gelegenheitsbezogenen Brieftyp zur literarisierten Form des kunstvollen Briefes.

2. Methodologische Reflexion: Verständigung über die Begriffe „Literatur“ und „Literarizität“ Die forschungsgeschichtliche Skizze hat gezeigt, dass bei der Beantwortung der Frage, ob der Paulusbrief Literatur sei, unausgesprochen ganz unterschiedliche Literaturbegriffe leitend sind, und zwar unabhängig davon, ob die Antwort negativ oder positiv ausfällt. Diese „Leerstelle“ eines klar umrissenen Literaturbegriffs spiegelt eine Aporie, die nicht nur die theologische Exegese und die klassische Philologie betrifft. Auch die Literaturwissenschaft selbst kämpft mit den unverwechselbaren Konturen dessen, was „Literatur“ ausmacht.78 Dabei ist bemerkenswert, dass die begriffsgeschichtliche Erforschung des Begriffs „Literatur“ erst spät begonnen hat: in der internationalen Literaturwissenschaft Anfang der 1960er Jahre, in der deutschen Literaturwissenschaft in den 1980er Jahren.79 ————— 74

Ebd. A.a.O. 101. 76 Vgl. dazu a.a.O. 4f. 77 Vgl. a.a.O. 400. 78 Vgl. dazu exemplarisch R. Ahrens/L. Volkman (Hg.), Why Literature Matters. Theories and Functions of Literature, Heidelberg 1996; J. Gottschalk/T. Köppe (Hg.), Was ist Literatur? Basistexte Literaturtheorie, KunstPhilosophie 7, Paderborn 2006. 79 Vgl. dazu K. WEIMAR, Art. Literatur, RLW 2 (2007) 443–448: 447. 75

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Wie die Termini „Autor“ und „Leser“, „Text“ und „Kontext“, „Interpretation/Lektüre“ und „Bedeutung“ gehören die Begriffe „Literatur/ literarischer Text“ zu den Grundbegriffen der Literaturtheorie.80 Je nach literaturtheoretischem Ansatz divergieren sie jedoch hinsichtlich ihrer Definition erheblich. In der jüngeren Literaturwissenschaft lässt sich daher eine gewisse Skepsis beobachten, die Begriffe „Literatur/literarischer Text“ überhaupt definieren zu können. Wo es versucht wurde und wird, arbeiten die Begriffsbestimmungen vor allem mit vier verschiedenen, teils in Kombination, teils ausschließlich verwendeten Leitkriterien: dem Kriterium, unter welchen Bedingungen ein literarischer Text entsteht und hervorgebracht wird (genetischer Literaturbegriff); dem Kriterium, welche besonderen sprachstilistischen und semantischen Strukturen einen literarischen Text prägen (struktureller Literaturbegriff); dem Kriterium der sozialen Funktion, die ein literarischer Text übernimmt (funktionaler Literaturbegriff); dem Kriterium, in welchem institutionellen Rahmen ein literarischer Text funktioniert (institutioneller Literaturbegriff).81 Eine dominante literaturtheoretische Rolle spielt dabei der strukturelle Literaturbegriff. Aus der am Einzeltext gewonnenen Einsicht, dass es spezifische Formen literarischer bzw. dichterischer Sprachverwendung gibt, wird die generelle Annahme abgeleitet, dass sich literarische Kunstwerke durch eine besondere Form des Umgangs mit Sprache auszeichnen. Diese Annahme wiederum begründet und legitimiert eine Form der Literaturwissenschaft, die sich nicht in erster Linie auf den Autor eines Werkes, auf seine Biographie, seine soziologische Einbettung und seine lebensphilosophische Anschauung konzentriert, sondern die Sprache des Werkes selbst in den Blick nimmt als das, was dessen „Literarischsein“, dessen „Literarizität“ ausmacht. Zentral wird dieser Ansatz in der Literaturtheorie des Strukturalismus.82 Der im Anschluss an den Russischen Formalismus geprägte Ausdruck der „Literarizität“, ursprünglich für die besondere Sprachverwendung literarischer Texte gebraucht, wird nun in der neueren Literaturwissenschaft seinerseits mit verschiedenen semantischen Füllungen versehen.83 Wird literarische Sprache aufgrund lexematischer, syntaktischer und stilistischer Merkmale von einer Gebrauchs- oder Alltagssprache unterschieden, so kann das Maß bzw. der Grad bestimmt werden, der diese Unterscheidung bestimmt: Ein literarischer Text kann ein hohes oder weniger hohes Maß an —————

80 Vgl. dazu M. Sexl (Hg.), Einführung in die Literaturtheorie, UTB 2527, Wien 2004; T. KÖPPE/S. WINKO, Neuere Literaturtheorien. Eine Einführung, Stuttgart 2008; D. Kimmich u.a. (Hg.), Texte zur Literaturtheorie der Gegenwart, Stuttgart 2008; J. URBICH, Literarische Ästhetik, UTB 3543, Köln u.a. 2011. 81 Vgl. dazu Gottschalk/Köppe, Literatur, 17f; KÖPPE/WINKO, Literaturtheorien, 12f. 82 Vgl. dazu exemplarisch a.a.O. 47–63. 83 Vgl. a.a.O. 30–33.

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literarischen Sprachmerkmalen aufweisen (gradueller Literarizitätsbegriff). Außer über seine Sprachverwendung kann ein Text jedoch auch über die Textsorte bzw. Textklasse, der er angehört, in seiner Literaturhaftigkeit definiert werden (klassifikatorischer Literarizitätsbegriff). In wieder anderen Bestimmungsversuchen dessen, was das proprium literarischer Texte ausmacht, wird „Literarizität“ nicht als Merkmal des Textes selbst verstanden, sondern als Merkmal seiner Verarbeitung durch den Leser: Dieser nimmt den Text aufgrund bestimmter Einstellungen und Erwartungen als literarischen wahr (rezeptioneller Literarizitätsbegriff). Für die Probleme einer Definition der Begriffe „Literatur“ und „Literarizität“ können sodann sog. „Leitdifferenzen“ sensibilisieren, die in der Literaturtheorie im Interesse klarer Bestimmungskriterien diskutiert werden: die Leitdifferenz zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, zwischen Form und Inhalt, Produktion und Rezeption, Zweckgebundenheit und Zweckfreiheit, Minderwertigkeit und Höherwertigkeit.84 Zwar können diese Leitdifferenzen weder je für sich genommen noch als Bündel einen Text eindeutig als literarischen oder nichtliterarischen ausweisen. Doch ermöglicht ihre Überprüfung am Einzeltext zumindest annäherungsweise eine kontrollierte Reflexion darüber, welche Elemente an einem Text als literarisch oder unliterarisch gelten und warum ein Text als Ganzer „literarisch“ oder „aliterarisch“ genannt wird. Ein problembewusster Umgang mit den Leitdifferenzen kann zu dem Ergebnis führen, dass ein Einzeltext oder auch eine ganze Textklasse – wie etwa der Brief – in einem Zwischenbereich zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, zwischen unliterarischer Form und literarisch gestaltetem Inhalt oder zwischen nichtliterarischer Zweckgebundenheit und literarischer Zweckfreiheit anzusiedeln ist.

3. Ertrag: Welche literaturtheoretischen Kategorien lassen sich auf den Umgang mit den Paulusbriefen anwenden? Auf der Basis der literaturtheoretischen Annäherungen an die Begriffe „Literatur“ und „Literarizität“ kann nun gefragt werden, welche der dargestellten Kategorien sich auf den Umgang mit den Paulusbriefen anwenden lassen. Dabei können auch manche der in der Forschungsskizze entdeckten Literaturbegriffe nochmals präziser bestimmt werden. Es wird sich zeigen, dass die Perspektive der antiken Epistolographie die Literaturhaftigkeit der Paulusbriefe am umfassendsten zu begründen vermag. Über bisherige Bestimmungen paulinischer Literarizität lässt sich aber auch noch ein Stück weit hinausgehen: Der Paulusbrief gewinnt sein besonderes literarästhe————— 84

Vgl. dazu Sexl, Literaturtheorie, 12–17.

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tisches Profil durch den Anspruch, mehr zu sein als ein schriftliches Medium zwischenmenschlicher Kommunikation. 3.1 Genetischer Literaturbegriff und klassifikatorische Literarizität: Der Paulusbrief als Produkt bewusster Textsortengestaltung An der Leitdifferenz Produktion/Rezeption waren die Literaturbegriffe Overbecks und Deissmanns orientiert. Paulus schreibt diesem Ansatz zufolge seine Briefe ohne schriftstellerische Absicht, sondern benutzt aus rein kommunikativem Interesse die schriftliche Zweckform des Briefes. Der literaturfernen Briefproduktion steht jedoch die literaturnahe Briefrezeption gegenüber: Dem aliterarischen Text kann sekundär durch das Rezeptionsverhalten der Leser des Neuen Testaments Literaturhaftigkeit zugesprochen werden. Overbeck und Deissmann antworten somit auf die Frage, ob der Paulusbrief Literatur sei, mit einem rezeptionellen Literarizitätsbegriff. Das gilt ähnlich auch für die Position Theißens. Ausgehend von den als maßgeblich für den Literaturbegriff bewerteten Kriterien Schriftlichkeit, Allgemeingültigkeit und Öffentlichkeit, bestimmt Theißen den ursprünglichen Charakter der Paulusbriefe produktionsästhetisch als schriftliche, aber nichtallgemeine „Gebrauchstexte“.85 Zwar erhielten diese dank liturgischer und rhetorischer Stilisierung bereits einen gewissen Öffentlichkeitswert.86 Doch erst im Zuge ihrer Veröffentlichung und des darin bekundeten rezeptionsästhetischen Anspruchs, „an alle Christen gerichtet“ zu sein, erhielten sie den Status von „Literatur“. Zuvor seien sie als „Literatur im Entstehen“ zu beschreiben.87 Dieser Ansatz kann in der gegenwärtigen Forschungslage aus Sicht der kaiserzeitlichen Epistolographie modifiziert werden. Bezogen auf die Leitdifferenz Produktion/Rezeption gilt, dass der Textsorte Brief – und so auch dem Paulusbrief – im hellenistisch-römischen Bildungshorizont Literarizität nicht erst auf der Ebene der Textrezeption, sondern bereits auf der Ebene der Textproduktion eignet. Der Paulusbrief orientiert sich bei seiner Produktion an den von der zeitgenössischen Brieftheorie und Briefpraxis vorgegebenen Regeln und Normen: Er benutzt das dreiteilige Briefformular mit Briefeingang, Briefcorpus, Briefschluss und gestaltet diese Teile jeweils sorgfältig formal und inhaltlich aus.88 Die bewusste Gestaltungsabsicht, bei ————— 85

Vgl. THEISSEN, Entstehung, 17. Vgl. a.a.O. 110–120. 87 Vgl. a.a.O. 17. 88 Vgl. dazu F. SCHNIDER/W. STENGER, Studien zum neutestamentlichen Briefformular, NTTS 11, Leiden 1987; M. MÜLLER, Vom Schluß zum Ganzen. Zur Bedeutung des paulinischen Brief86

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der auch ästhetische Qualitäten der Textsorte Brief wirksam werden, lässt es im Sinne der hellenistisch-römischen Epistolographie zu, auf die Paulusbriefe einen genetischen Literaturbegriff anzuwenden und in ihnen das Merkmal klassifikatorischer Literarizität zu entdecken. 3.2 Rezeptionelle Literarizität, funktionaler und institutioneller Literaturbegriff: Der Paulusbrief als Kommunikation des Evangeliums im Rahmen frühchristlicher Mission Aus dem Blickwinkel der antiken Brieflehre können auf die Paulusbriefe außer dem genetischen Literaturbegriff und dem Begriff klassifikatorischer Literarizität auch der funktionale und institutionelle Literaturbegriff Anwendung finden. Verknüpft mit den Leitdifferenzen Form/Inhalt und Zweckgebundenheit/Zweckfreiheit ergibt sich aus epistolographischer Sicht, dass der Paulusbrief nicht primär als Privatbrief, sondern im quasiinstitutionellen Rahmen der frühchristlichen Mission funktioniert, in dem er eine breite Öffentlichkeitswirkung gewinnt. Die soziale Funktion des Paulusbriefes ist die Kommunikation des Evangeliums unter der im Aufblühen begriffenen Gemeindelandschaft des antiken Mittelmeerraumes. Auch wenn er hierbei die briefspezifischen Möglichkeiten situationsbedingter Kommunikation nutzt, erschöpft sich seine kommunikative Relevanz nicht im konkreten Situationsbezug. Allein die Tatsache, dass Paulus seine Briefe zur Verlesung und Weitergabe empfahl und zunächst die Gemeinden, dann eine sich bildende Paulusschule die Briefe sammelte und als Zirkularschreiben verbreitete, weist über eine okkasionelle Zweckgebundenheit des Paulusbriefes hinaus. So wie die Paulusbriefe neutestamentlich nach Form und Inhalt vorliegen, galten sie vielmehr schon den historischen Adressaten als situationsübergreifend aussagekräftig und daher als dauerhaft lesenswert. Diese rezeptionelle Literarizität teilt der Paulusbrief mit paganen philosophischen Lehrbriefen. Anders als diese aber wollen die Paulusbriefe ihre Adressaten nicht „zu moralischer Vollkommenheit, unerschütterlicher Seelenruhe und Glückseligkeit führen“89, sondern zum Glauben und dem in Christus begründeten Heil. Insofern gewinnt der Paulusbrief seine spezifische soziale Funktion in der Situation inner- und übergemeindlicher Werbung für den christlichen Glauben und dessen soteriologisch-eschatologischen Gehalt.90 ————— korpusabschlusses, FRLANT 172, Göttingen 1997; KLAUCK, Briefliteratur; DERS., Ancient Letters; BAUER, Epistolographie, 44–51.71–90. 89 A.a.O. 402. 90 DEISSMANN, Licht vom Osten, 205, sprach interessanterweise von den Paulusbriefen als „zwar spärlichen, aber wesentlichen Reste[n] des Aktenbestandes der Propaganda des Christuskul-

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Ist der Paulusbrief Literatur?

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3.3 Der strukturelle Literaturbegriff: Die briefspezifische Sprachverwendung des Paulusbriefes als kerygmatisches Potential Mit dem von Weiß und Wendland vorgebrachten Argument der sprachstilistischen Gestalt des Paulusbriefes wird ein struktureller Literaturbegriff in die Diskussion um dessen Literaturhaftigkeit eingebracht. Dieser bleibt wiederum bestimmend für die Einschätzung der Paulinen aus der Perspektive kaiserzeitlicher Epistolographie: Eine besondere Form der Sprachverwendung gehört zu jenen festen Formen und Gepflogenheiten, die sich in der hellenistisch-römischen Bildungstradition mit der Textsorte Brief verbinden.91 Brieftheoretisch wird dabei der briefliche Sprachgebrauch aus dem Wesen des Briefes abgeleitet, das darin besteht, Ausdruck der freundschaftlichen Gesinnung zwischen Briefabsender und Briefempfänger zu sein.92 Entsprechend dieser Gesinnung der „Philophronesis“ bedarf der Brief einer philophronetischen Phraseologie, die zur Geltung bringt, dass der Brief seiner Idee nach ein Geschenk der Freundschaft darstellt.93 Auch die Paulusbriefe bedienen sich solcher philophronetischen Sprache und pflegen somit eine der antiken Brieflehre entsprechende spezifisch briefliche Sprachverwendung.94 Verfolgt man den Aspekt der briefspezifischen Sprachverwendung allerdings genauer, so lässt sich entdecken, dass der Paulusbrief in markanter Weise über pagane kaiserzeitliche Briefkonvention hinausgeht. Wenige Hinweise auf dieses Faktum müssen im vorliegenden Kontext genügen. Sie basieren auf der von der neueren Paulusforschung ins Bewusstsein gerufenen Einsicht, dass sich im Brief kommunikatives Handeln vollzieht.95 So ————— tes.“ Vgl. dazu auch WISCHMEYER, Einführung, 124, die im Blick auf die Haltung des Briefschreibers Paulus betont, er verhalte sich mit seinen Briefen – neben anderen Funktionen – „werbend“. 91 Vgl. dazu THRAEDE, Brieftopik, 8; BAUER, Epistolographie, 29f.33–44.98–101. 92 Vgl. dazu grundlegend KOSKENNIEMI, Idee und Phraseologie. 93 Vgl. a.a.O. 172–180; THRAEDE, Brieftopik, 8; KLAUCK, Briefliteratur, 152f.159; BAUER, Epistolographie, 39. 94 Vgl. dazu T. VEGGE, Paulus und das antike Schulwesen. Schule und Bildung des Paulus, BZNW 134, Berlin, New York 2006, 225–230; DERS., Antike Bildungssysteme im Verhältnis zum frühen Christentum, ZNT 21 (2008) 17–26. 95 Vgl. dazu J. BICKMANN, Kommunikation gegen den Tod. Studien zur paulinischen Briefpragmatik am Beispiel des Ersten Thessalonicherbriefes, fzb 86, Würzburg 1998; BECKER, Schreiben und Verstehen; CH. GERBER, Paulus und seine „Kinder“. Studien zur Beziehungsmetaphorik der paulinischen Briefe, BZNW 136, Berlin/New York 2005. Zu nennen wäre auch die Arbeit von H.-M. WÜNSCH, Der paulinische Brief 2 Kor 1–9 als kommunikative Handlung. Eine rhetorisch-literaturwissenschaftliche Untersuchung, Theologie 4, Münster 1996. Doch wird der kommunikationspragmatische Aspekt hier nicht im Einzelnen erarbeitet, sondern grundlegend vorausgesetzt: „Mittels seiner Schreiben handelt der Apostel an seinen Gemeinden. Insofern kann man einen Brief eine kommunikative Handlung nennen“ (a.a.O. 5; vgl. a.a.O. 8.327). Der Schwerpunkt der Studie liegt darauf, in Auseinandersetzung mit literarkritischen Modellen zu 2Kor 1–9 die Berechtigung einer rhetorischen Analyse nachzuweisen. Die Untersuchung von M. PÖTTNER, Realität

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spiegelt die paulinische Briefphraseologie eine kommunikative Situation, die die bipolare Kommunikationsbeziehung der Briefpartner sprengt. Der Paulusbrief lässt erkennen, dass er seinem Selbstverständnis nach mehr ist als ein kommunikatives Handeln des Apostels an seinen Gemeinden. Das zeigt die Art und Weise, in der er bestimmte epistolare Sprachformen gegenüber dem paganen Brief abwandelt und damit die philophronetische Grundidee des antiken Briefes theologisch überhöht. Charakteristisch für diesen Eindruck sind Modulationen des brieflichen Rahmens. So wird bereits im Briefpräskript der pagane Brieferöffnungsgruß in einen christlich gefüllten Friedens- und Gnadengruß mit Segen spendender Funktion verwandelt. Im Rahmen des Briefeingangs bzw. zu Beginn des Briefcorpus verändert der Paulusbrief sodann den profanen Gesundheitswunsch zu einer anamnetischen Vergegenwärtigung von Gebet und Fürbitte des Apostels gegenüber Gott. Nicht auf die physische Gesundheit der Adressaten lenkt sich hier der briefliche Blick, sondern darauf, den angeschriebenen Gemeinden „ein von Gott geschenktes Wohlergehen“96 zuzusprechen. Im Briefschluss schließlich wird der konventionelle Schlussgruß umgestaltet in einen abschließenden Segenswunsch, der durch eine Amen-Akklamation quasi-liturgischen Charakter gewinnen kann. Diese wenigen Beispiele zeigen, dass die paulinische Briefphraseologie alltags- und routinesprachliche Formeln in sakralsprachliche Elemente überführt, mit deren Hilfe signalisiert wird, dass sich der Paulusbrief nicht auf der Ebene alltäglicher, zweidimensionaler Briefkommunikation bewegt, sondern in einem dreidimensionalen kommunikativen Raum: in der komplexen Kommunikationsbeziehung zwischen Gott/Christus, Apostel und Gemeinde. Wenn im paganen Brief, wie es die kaiserzeitliche Epistolographie beschreibt, „der Absender beim Adressaten gegenwärtig“97 ist (und umgekehrt), so gilt das in gleicher, zugleich aber besonderer Weise für den Paulusbrief. Nicht nur Paulus als Briefabsender und die Gemeinden als Briefempfänger stehen zueinander in der Beziehung brieflicher Parusie.98 ————— als Kommunikation. Ansätze zur Beschreibung des paulinischen Sprechens in 1 Kor 1,4–4,21 im Blick auf literarische Problematik und Situationsbezug des 1. Korintherbriefes, Theologie 2, Münster 1995, bindet nicht im engeren Sinne Epistolographie und Kommunikationstheorie zusammen, sondern verfolgt die Art und Weise der Kommunikation, die in der korinthischen Gemeinde durch das Wort vom Kreuz ausgelöst wird. Auch die Monographie von R. RECK, Kommunikation und Gemeindeaufbau. Eine Studie zu Entstehung, Leben und Wachstum paulinischer Gemeinden in den Kommunikationsstrukturen der Antike, SBB 22, Stuttgart 1991, bearbeitet nicht eigentlich den Zusammenhang von epistolarer Form und kommunikativer Funktion. Das Augenmerk liegt vielmehr auf der Beschreibung der paulinischen Gemeinden als Kommunikationsgemeinschaften. 96 BAUER, Epistolographie, 80. 97 A.a.O. 401. 98 Zum Topos der „brieflichen Parusie“ vgl. THRAEDE, Brieftopik, 52–55. GERBER, Paulus und seine „Kinder“, 67–69, diskutiert im Blick auf die Paulusbriefe den Ausdruck „apostolische Parusie“. Bei THEISSEN, Entstehung, 104, bleibt der Topos unterbestimmt. Zur Diskussion um die Be-

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Gegenwärtig ist vielmehr brieflich auch der, der Paulus zur Kommunikation des Evangeliums berufen hat und den Gemeinden im Glauben präsent ist: Gott, handelnd in Christus. Im Brief, so versteht es Paulus, kommuniziert Gott selbst mit den Menschen, vermittelt und vergegenwärtigt durch ihn als den berufenen Apostel. Umgekehrt aber wissen sich auch Paulus und die angeschriebenen Gemeinden durch das briefliche Kommunikationsgeschehen vor Gott und Christus vergegenwärtigt. Der Paulusbrief stellt auf diese Weise eine die zwischenmenschliche Kommunikation transzendierende Kommunikationsform dar, die auf der Basis der apostolischen Berufung und unter der Voraussetzung von Glaube und Bekenntnis funktioniert.99 Im Vergleich mit dem von der kaiserzeitlichen Brieflehre als Idealfall typisierten Freundschaftsbrief kann der Paulusbrief als „kerygmatischer Brief“ beschrieben werden, in dem die sakralsprachlich überhöhte philophronetische Briefphraseologie dem Gedanken dient, dass im Brief Gott/Christus, Apostel und Gemeinden einander zu Freunden werden. Das heißt: Das Potential paulinischer Literarizität zielt nicht nur anthropologisch auf die „quasi-familiäre Beziehung zwischen Freunden“100, sondern darüber hinaus theologisch auf die geistliche Freundschaft zwischen Gott und Mensch.

————— griffe „Topik“, „Brieftopik“ („primäre Brieftopik“, „sekundäre Brieftopik“), „Topos“/„Topoi“ vgl. insgesamt THRAEDE, Brieftopik, 9f mit Anm. 18.47.91.114.161; KLAUCK, Briefliteratur, 154f. 99 Vgl. dazu auch BAUER, Epistolographie, 404. 100 A.a.O. 401.

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Friedrich Wilhelm Horn

Die Kommentierung des 2. Korintherbriefes in ‚Meyers Kommentar‘

1. Die Kommentare zum 2Kor in ‚Meyers Kommentar‘ H.A.W. Meyer (* 10.01.1800 in Gotha, † 21.06.1873 in Hannover) hatte ursprünglich den Plan, alle neutestamentlichen Schriften für sein Kommentarwerk selbstständig zu bearbeiten.1 Wenige Kommentierungen übertrug er jedoch jüngeren Kollegen,2 weil er mit der beständigen Überarbeitung seiner eigenen, bereits publizierten Kommentare und der Anfertigung von Neuauflagen neben seiner eigentlichen Tätigkeit als Pfarrer bzw. Konsistorialrat, seit 1861 als Oberkonsistorialrat, ausgelastet war, überdies seit 1846 unter einer schweren Erkrankung litt. Zwischen 1832 und 1848 bearbeitete Meyer 13 Schriften des Neuen Testaments (Mt, Mk, Lk, Joh, Apg, Röm, 1Kor, 2Kor, Gal, Eph, Phil, Kol, Phlm). Die Kommentierung des 2Kor erschien in 1. Auflage 1840, sodann 1850, 1856, 1862 (eine zweite Ausgabe der 2. Auflage 1865) und in 5. Auflage 1870.3 Von dieser Auflage existiert mittlerweile auch ein Nachdruck aus dem Jahr 2010 bei Nabu ————— 1

Über Person und Werk informieren: F. DÜSTERDIECK, Art. Meyer, Heinrich August Wilhelm, RE 13 (1903) 39–42; R. RASCH, Heinrich August Wilhelm Meyer, der Begründer des Meyerschen Kommentars. Ein Lebensbild aus dem 19. Jahrhundert, JGNKG 64 (1966) 129–143; außerdem das Lebensbild des Sohns Meyers in: A.W. MEYER, Die Briefe Pauli an die Philipper, Kolosser und an Philemon, KEK 9, Göttingen 41874, V–XVIII; O. MICHEL, Art. Meyer, Heinrich August Wilhelm, RGG3 4 (1960) 928; G. STRECKER, Art. Meyer, Heinrich August Wilhelm, NDB 17 (1994) 295– 296 (mit weiteren Literaturhinweisen); F.W. HORN, Art. Heinrich August Wilhelm Meyer, DBI 2 (1999) 149f; M. WINTER, Art. Heinrich August Wilhelm Meyer, BBKL 5 (1993) 1419–1427; O. MERK, Art. Meyer, Heinrich August Wilhelm, RGG4 5 (2002) 1199. 2 Vgl. J.E. HUTHER, Kritisch-exegetisches Handbuch über die Briefe an Timotheus und Titus, KEK 11, Göttingen 11850; DERS., Kritisch-exegetisches Handbuch über den ersten und zweiten Brief des Petrus, Brief des Judas, KEK 12, Göttingen 11852; DERS., Kritisch-exegetisches Handbuch über die drei Briefe des Johannes, KEK 14, Göttingen 11855; G. LÜNEMANN, Kritisch-exegetisches Handbuch über die Briefe an die Thessalonicher, KEK 10, Göttingen 11850; DERS., Kritisch-exegetisches Handbuch über den Hebräerbrief, KEK 13, Göttingen 11855; F. DÜSTERDIECK, Kritisch-exegetisches Handbuch über die Offenbarung Johannis, KEK 16, Göttingen 11859. 3 Vgl. H.A.W. MEYER, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, KEK 6, Göttingen 11840/21850/ 31856/4(2/2)1862/51870. 3

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Die Kommentierung des 2. Korintherbriefes in ‚Meyers Kommentar‘

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Press.4 Spätere Bearbeitungen wurden von C.F.G. Heinrici5, von H. Windisch6 und in Form eines Sonderbands von R. Bultmann7 vorgelegt. Auch die Herausgeberschaft und der Name der Kommentarreihe haben gewechselt. Ursprünglich sollte der Titel lauten: ‚Das Neue Testament Griechisch nach den besten Hülfsmitteln kritisch revidiert mit einer neuen deutschen Uebersetzung und einem kritischen und exegetischen Kommentar‘. Nach Meyers Tod übernahmen zunächst B. Weiß, sodann aber auch immer stärker die Verleger G. Ruprecht und sein Sohn A. Ruprecht vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht/Göttingen die Verantwortung für das Kommentarwerk. Gegenwärtig liegt die Herausgeberschaft in der Nachfolge von F. Hahn bei D.-A. Koch. Dass der Name KEK (Kritisch-Exegetischer Kommentar) nur zäh die alte Bezeichnung Meyers Kommentar verdrängt, deutet die Größe des Begründers dieser Kommentarreihe und seines Kommentarwerks auch lange nach seinem Tod immer noch an. Der Verlag positioniert neuere Kommentare zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Während auf dem Schutzumschlag Meyers Kritisch-Exegetischer Kommentar über das Neue Testament zu lesen ist, führt die Titelei die Bearbeitungen unter Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament. Meyers Arbeit beschrieb G. Strecker folgendermaßen: „‚Gründliche philologische Untersuchung des Textes‘ (‚grammatisch-historischer Kommentar‘ nannte M. 1832 sein Unternehmen) und Berücksichtigung der Auslegungsgeschichte kennzeichnen die Auflage des gesamten exegetischen Werkes. Betonte Meyer in der Vorrede von 1832 noch den ‚biblischen Rationalismus‘, zu dem seine Kommentare die exegetische Grundlage bieten sollten, trat im Laufe der Zeit, insbesondere als er engagiert im Konsistorium arbeitete, eine vermittlungstheologische Ausrichtung in den Vordergrund; jedoch hat in den Jahren seines Ruhestandes die alte Position wieder Oberhand gewonnen.“8

Als Heinrici (* 14.03.1844 in Karkeln/Ostpreußen; † 29.09.1915 in Leipzig), von 1873–1892 Neutestamentler in Marburg, die Neubearbeitung des 2Kor vorlegte, hatte er bereits 1880 einen Kommentar zum 1Kor außerhalb einer Reihe veröffentlicht,9 sodann ein Jahr später 1881 diesen 1Kor im —————

4 Vgl. DERS., Kritisch-Exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, Charleston 2010 (= Göttingen 51870). 5 Vgl. C.F.G. HEINRICI, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, KEK 6, Göttingen 61883/71890; DERS., Der zweite Brief an die Korinther. Mit einem Anhang: Zum Hellenismus des Paulus, KEK 6, Göttingen 81900. 6 Vgl. H. WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, KEK 6, Göttingen 91924; DERS., Der zweite Korintherbrief, hg.v. G. Strecker, KEK 6, Göttingen 101970. 7 Vgl. R. BULTMANN, Der zweite Brief an die Korinther, hg.v. E. Dinkler, KEK Sonderband, Göttingen 11976/21987 (auch als Downloadprodukt). 8 STRECKER, Meyer, 295f. 9 Vgl. C.F.G. HEINRICI, Das erste Sendschreiben des Apostels Paulus an die Korinthier, Berlin 1880; DERS., Das zweite Sendschreiben des Apostels Paulus an die Korinthier, Berlin 1887.

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KEK kommentiert.10 Weil Meyers Kommentar zum 2Kor „seit Jahr und Tag vergriffen war“11, zog Heinrici die Kommentierung des 2Kor im KEK vor und publizierte erst 1887 einen weiteren Kommentar zum 2Kor als Pendant zur eigenen Kommentierung des 1Kor. Heinrici folgt dem Text des Vorgängers Meyer über weite Strecken wortwörtlich und ergänzt und verändert Meyers Kommentar nur äußerst behutsam.12 Nicht Windisch, sondern Weiß, der in der Nachfolge Heinricis bereits 1910 den Kommentar zum 1Kor geschrieben hatte,13 war für den Kommentar zum 2Kor eigentlich vorgesehen.14 Nach dessen frühem Tod im Lebensalter von nur 50 Jahren im Jahr 1914 wurde dieser Kommentar dann Windisch (* 25.04.1881 in Leipzig, † 08.11.1935 in Halle/S.) übertragen, der den Kommentar zwischen Herbst 1917 und Frühjahr 1923 in Leiden/NL verfasste.15 Bereits mit Heinrici war die religionsgeschichtlich orientierte Betrachtung in die Kommentierung des 2Kor eingezogen, denn Heinrici „begründete methodisch den rel. und sozialen Zusammenhang der griech.-hell. Welt mit dem nicht synkretistischer Verschmelzung erlegenen Urchristentum. Er erkannte hell. und jüd. Voraussetzungen in der pln. Theologie ... und bereitete eine Neubearb. des Wettstein (…) vor.“16 Weiß schrieb über Heinricis Kommentar: „Niemals wird man vergessen können, dass er zum ersten Mal die Exegese der Korintherbriefe in den großen literatur- und religionsgeschichtlichen Zusammenhang mit dem Hellenismus gerückt hat, und kein Nachfolger wird seine Methode ungestraft verlassen.“17 In dieser Spur —————

10 Vgl. DERS., Kritisch-exegetisches Handbuch über den ersten Brief an die Korinther, KEK 5, Göttingen 61881. 11 Vgl. DERS., Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther (61883) (Vorrede). 12 A.a.O. III: „Mein Augenmerk bei den Ausscheidungen war überhaupt darauf gerichtet, den Charakter der Meyer’schen Arbeit nicht zu verwischen.“ 13 Vgl. J. WEISS, Der erste Korintherbrief, KEK 5, Göttingen 91910 (= 1977). 14 So a.a.O. III (Vorwort); ebenfalls WINDISCH, Der zweite Korintherbrief, V. Strecker hat dem Neudruck ein Vorwort des Herausgebers (vgl. a.a.O. VIII–X) und ein Verzeichnis neuerer Literatur (vgl. a.a.O. XIII–XVI) beigefügt. 15 Vgl. dazu WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, insb. VII. Im Vorwort des Herausgebers Strecker fallen im ersten Absatz etliche biographische Fehler auf. Windisch wurde nicht 1924, sondern 1929 nach Kiel berufen. Windisch starb sodann nicht vierundsechzigjährig, sondern am 08.11.1935 vierundfünfzigjährig. In dem Neudruck ist leider die Widmung nicht abgedruckt worden, auf die das Vorwort verweist. Vgl. im Übrigen zur Person Hans Windischs und seinem Werk: B. KOLLMANN, Art. Windisch, Hans (1881–1935), DBI 2 (1999) 648f; E. BEIJER, Hans Windisch und seine Bedeutung für die neutestamentliche Wissenschaft, ZNW 48 (1957) 22–49. 16 So O. MERK, Art. Heinrici, Carl Friedrich Georg, RGG4 3 (2000) 1602. Zu Heinrici auch A. HAUCK, Worte zum Gedächtnis an Georg Heinrici, BVSGW.PH 67, Leipzig 1915, 121–131; W. G. KÜMMEL, Art. Heinrici, Carl Friedrich Georg, NDB 8 (1969) 434; F.W. BAUTZ, Art. Heinrici, Georg, BBKL 2 (1990) 687–688; N. WALTER, Art. Heinrici, Carl Georg Friedrich, DBI 1 (1999) 491. 17 WEISS, Der erste Korintherbrief, 3.

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Die Kommentierung des 2. Korintherbriefes in ‚Meyers Kommentar‘

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Heinricis bewegte sich dann sowohl der Kommentar zum 1Kor durch Weiß als auch derjenige von Windisch zum 2Kor. Dieser schreibt im Vorwort: „Weiter war ich bestrebt, die religionsgeschichtlichen Zusammenhänge der paulinischen Aussagen in unserem Brief aufzuhellen. Auf diesem Gebiet hat namentlich Georg Heinrici gute Vorarbeit geleistet. Doch verlangte der heutige, namentlich durch Reitzenstein bestimmte Stand der Probleme eine noch umfassendere Behandlung. Meine Aufgabe war zunächst, das schon von den Vorgängern (Wettstein, Heinrici vor allem) gesammelte Vergleichsmaterial zu sichten und zu vermehren“18.

Streckers Vorwort als Herausgeber des Kommentars Windischs thematisiert mit Blick auf die von Windisch geforderte, strenge Scheidung zwischen historischer und theologischer Exegese „die Grenzen der Arbeit des Verfassers“19. Er bemängelt den historisierenden Ansatz der liberalen Theologie und verweist seinerseits auf den eschatologischen Anspruch des Neuen Testaments, der „über den neutestamentlichen Text hinaus- und in das Heute hineinweist“20. Strecker schreibt überdies: „Ist doch die historischkritische Exegese, selbst wenn sie mit aller verfügbaren Sorgfalt vorgeht, nicht in der Lage, abstrahierend den Geist des Textes wiederzugeben, sie wird vielmehr stets den Geist des Interpreten mit zur Darstellung bringen ...“21. Was aber folgt daraus für die Aufgabe eines Kommentars? In seiner Kommentierung der Johannesbriefe schreibt Strecker im Vorwort, es sei für die Auslegungsarbeit im KEK bestimmend gewesen, „daß ihr eigentliches Ziel nicht die wissenschaftliche Diskussion, sondern die Verbindung von Theorie und Praxis ist, um der Verkündigung der Kirche zu dienen“22. Windisch hatte sich in seinem Vorwort sehr klar von der Dialektischen Theologie abgegrenzt, indem er mit Blick auf K. Barth schrieb: „So sehr ich die von Karl Barth gegebene ‚Re-Interpretation‘ des Röm. zu würdigen weiß, in einen wissenschaftlichen Kommentar gehört eine solche ‚Erklärung‘, die zugleich eine grandiose Um-Deutung, bisweilen gewaltsame Verrenkung und Miß-Deutung des Textes darstellt, sicher nicht hinein“23. Bultmanns (* 20.08.1884 in Wiefelstede, † 30.07.1976 in Marburg) Kommentar erschien als Sonderband.24 Über die Umstände, die zur Verzö————— 18 WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, V. (N.B.: Hier und im Folgenden kursiv Wiedergegebenes ist i.O. teils gesperrt gedruckt.) 19 WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, IX. 20 Ebd. 21 Ebd. 22 G. STRECKER, Die Johannesbriefe, KEK 14, Göttingen 1989, 5. 23 WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, VI. 24 Die Einführung eines Sonderbandes ist im KEK nicht unüblich und wird u.a. dann vorgenommen, wenn die Bearbeiter ihr Werk nicht selbstständig oder in gewünschtem Umfang abschließen konnten. E. LOHMEYER, Das Evangelium des Matthäus, KEK Sonderband, hg.v. W. Schmauch, Göttingen 11956/21958, trägt den Untertitel: Nachgelassene Ausarbeitungen und Entwürfe zur Übersetzung und Erklärung. Hingegen muss J. JEREMIAS, Die Sprache des Lukasevan-

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gerung in der Drucklegung führten, unterrichtet Dinkler im Vorwort. Bultmann hatte sein Vorlesungsmanuskript im Jahr 1954 zur Verfügung gestellt, damit Dinkler das Manuskript in eine Druckfassung überführen konnte. Bis zur Publikation im Jahr 1976, im Todesjahr Bultmanns, vergingen folglich 22 Jahre.25 Der Kommentar, der einen unfertigen Eindruck hinterlässt,26 gibt im Wesentlichen also den Text wieder, den Bultmann zwischen 1940 und 1952 als Kollegmanuskript in ständigen Bearbeitungen angefertigt hatte.27 Der Herausgeber hält fest, dass die „Linien der theologischen Auslegung ... durch die getroffenen exegetischen Entscheidungen und zuletzt auch durch die Abgrenzung von oder Zustimmung zu H. Windischs Kommentar einerseits und H. Lietzmanns und W.G. Kümmels Kommentar andererseits deutlich gemacht“28 werden. Gleichwohl sei „die Interpretation als hermeneutischer Vorgang nicht voll zu Ende gebracht, weil dies erst jeweils mündlich durch R. Bultmann in der Situation des Vortrags und der Anrede an seine Hörer geschah und so in actu docendi zur Entfaltung der gewonnenen Einsicht führte“29. Bultmann erwähnt im Vorwort, die Vorlesung über den 2Kor sei ihm „immer besonders lieb“30 gewesen. Der Herausgeber Dinkler geht sogar so weit zu sagen, dass Bultmanns Theologie „stärker von der dem 2. Korintherbrief des Paulus inhaerenten Theologie geprägt (sei) als von irgend einem anderen Briefe oder Evangelium des neutestamentlichen Kanons“31. ————— geliums, KEK Sonderband, Göttingen 1980, als Zusammenstellung aus Vorarbeiten zur Kommentierung angesehen werden (vgl. a.a.O. 5). CH.K. BARRETT, Das Evangelium nach Johannes, KEK Sonderband, Göttingen 1990, ist die deutsche Übersetzung einer älteren englischsprachigen Kommentierung aus dem Jahr 1978. 25 Im Vorwort verweist Dinkler (vgl. BULTMANN, Der zweite Brief an die Korinther, 10) auf die durch eine Sachbeihilfe der DFG ermöglichte Mitarbeit an der Herausgabe des Vorlesungstextes durch O. Wischmeyer (seinerzeit: Schüttpelz) im Jahr 1973/74. 26 2Kor 8 und 9 werden nur mit kurzen Erläuterungen bedacht, die nicht mehr als sechs Seiten umfassen. Einleitungsfragen und eine Darstellung zur Textgeschichte werden vermisst. Die Kommentierung orientiert sich an der von Bultmann angenommenen Literarkritik und verwirft teilweise die kanonische Textfolge. 27 Auf die Publikationsumstände und die Anlage des Kommentars geht K. HAMMANN, Rudolf Bultmann. Eine Biographie, Tübingen 2009, 461–463, knapp ein. Eine freundliche Würdigung des Vorlesungsmanuskripts entnehme ich dem Brief M. Heideggers an Bultmann vom 27.11.1969: „Dein Vorlesungstext über 2. Korinther erinnerte mich ständig an unsere Samstag-Nachmittage, da wir zusammen das Johannes-Evangelium lasen. Aber seitdem sind Deine Gedanken erheblich bestimmter und in der Form einfacher geworden. Es bedarf einer langen Erfahrung, um zu solcher Einfachheit zu gelangen“ (zit. nach A. Großmann/Ch. Landmesser [Hg.], Rudolf Bultmann/Martin Heidegger Briefwechsel 1925–1975, Frankfurt/Tübingen 2009, 232). Dieses Zitat bezieht sich wahrscheinlich auf das von Dinkler zugrunde gelegte Manuskript. 28 BULTMANN, Der zweite Brief an die Korinther, 9f. 29 Ebd. 30 A.a.O. 9. 31 A.a.O. 11. O. MERK, Die Evangelische Kriegsgeneration, in: C. Breytenbach/R. Hoppe (Hg.), Neutestamentliche Wissenschaft nach 1945. Hauptvertreter der deutschsprachigen Exegese

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Die Kommentierung des 2. Korintherbriefes in ‚Meyers Kommentar‘

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Ältere Ausgaben des KEK verzeichneten auf der letzten Seite oder im Anhang oftmals die seinerzeit erhältlichen Bände und die geplanten Neubearbeitungen. Für den 2Kor wurde z.B. in KEK 7 (1971) eine Neubearbeitung durch Dinkler angezeigt,32 in KEK 14 (1989) sodann durch Otto F. Hofius (sic!).

2. Exemplarische Darstellung des wissenschaftlichen Profils der einzelnen Kommentare Es ist nicht das Interesse dieses Beitrags, das Werk der genannten Forscher in den Kommentaren je für sich darzustellen und zu würdigen. Es steht auch nicht zu erwarten, dass grundlegende Einsichten dieser Kommentare zwischenzeitlich vergessen wurden und daher jetzt auf diesem Weg wieder in die Diskussion eingebracht würden. Bis auf Meyers eigenen Kommentar zum 2Kor sind diejenigen von Heinrici, Windisch und Bultmann feste Referenzgrößen in gegenwärtig aktuellen Kommentaren zum 2Kor. Vielmehr soll exemplarisch gefragt werden, welchen Weg die wissenschaftliche Erforschung des 2Kor in Meyers Kommentar genommen hat, wie sich die zeitgenössische Wissenschaft in den Kommentaren spiegelt und wie sich dies in den einzelnen Kommentierungen niederschlägt. Auch wenn das Format der Kommentare äußerlich recht ähnlich geblieben ist und bis heute an der Einbändigkeit festgehalten hat, so hat sich die Kommentierung in ihren Zielsetzungen grundlegend verändert. Meyers Kommentar besticht durch eine ausgiebige philologische Orientierung und ein beständiges Verzeichnen der Auslegungsgeschichte, wobei neben der zeitgenössischen Literatur auch die Kirchenväter, die Reformatoren und die altprotestantische Orthodoxie umfänglich aufgeführt werden. Noch Heinrici und Windisch bewegen sich in dieser Linie, da Heinrici, den Text Meyers ohnehin als Grundlage seiner eigenen Kommentierung nehmend, „eine möglichst objectiv gehaltene orientierende Ueberschau über den jetzigen Stand der Auslegung zu vermitteln gedenkt“33. Und Windisch betont im Vorwort, hinsichtlich der Ausbreitung der Erklärungen der Tradition „die Kontinuität mit dem alten Meyer gewahrt“34 zu haben. Meyers eigener Kommentar ist ————— in der Darstellung ihrer Schüler, Neukirchen-Vluyn o. J., 1–58: 14, schreibt über Bultmann, dass dieser „sich mit den Ausführungen des Paulus im 2. Korintherbrief am stärksten identifizierte und diesen Brief am liebsten in Vorlesungen auslegte“. 32 H. VON LIPS, Erich Dinkler (1909–1981), in: Breytenbach/Hoppe (Hg.), Wissenschaft, 187– 198: 197, behauptet, Dinkler habe seinen eigenen Kommentar „zugunsten der Herausgabe von Bultmanns diesbezüglicher Vorlesung zurückgestellt“. 33 HEINRICI, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, VI. 34 WINDISCH. Der zweite Brief an die Korinther, VI.

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geprägt durch ein Profil, das letztlich auf eine Schriftauslegung im Dienst dogmatischer Urteilsfindung zielt. Man muss starke Zweifel daran hegen, ob dieser Kommentar aus der Mitte des 19. Jh. heute überhaupt noch gelesen und verstanden werden kann und ob er seiner avisierten Zielgruppe heute eine Hilfe für die eigene Arbeit sein könnte.35 Exemplarisch soll der Überblick über die vier Kommentare an Themen dargestellt werden, die zu den Dauerfragen der Exegese des 2Kor zählen: 1. die Briefteilungshypothesen; 2. die Frage einer Glosse in 2Kor 6,14–7,1; 3. die Verwandlungsmystik nach 2Kor 3,18; 4. die Krankheit des Paulus nach 2Kor 12,7f. Im Folgenden beziehe ich mich zumeist auf folgende Ausgaben: Meyer (41862), Heinrici (71890), Windisch (91924; Neudruck 1970), Bultmann (Sonderband 1976). 2.1 Briefteilungshypothesen zum 2Kor Meyer referiert Teilungshypothesen, die detailliert bereits im 18. Jh. vorgelegt wurden, weist sie allerdings schroff zurück: „Gegen diese Zerstückelungsversuche ist nicht nur die Gesammtheit der kritischen Zeugen, sondern auch die Gewissheit, dass die Abgerissenheit von Kap. 9. nur scheinbar, und dass der abstechende Ton von Kap. 10–13. aus der veränderten Stimmung des Ap. sehr erklärlich ist“36. Heinrici übernimmt Meyers Darstellung der Forschungsgeschichte weitgehend und zum Teil wörtlich, ergänzt sie aber um die Darstellung groß angelegter literarkritischer Versuche des 19. Jh. bis hin, und dies recht ausführlich, zu den Radikallösungen eines D. Völter, dessen Weg, v.a. dessen Interpolationsfreudigkeit nach Heinrici allerdings „in Dickicht und auf Moorboden“37 führe und insgesamt als gescheitert angesehen werden muss. Jede dunkle Stelle, jeder schwierige Übergang werde nicht einer Auslegung, sondern einer Interpolation unterzogen. In einer Fußnote38 spricht Heinrici – auch unter Verweis auf eine Rede des Demosthenes – den Sachverhalt an, dass gerade in Verteidigungsreden etliche Stimmungswechsel zu beobachten sind. Auch Heinrici verweist schließlich darauf, dass die Überlieferung des 2Kor nicht unsicher ist und Teilungshypothesen entgegensteht. Die Darstellung der literarkritischen Fragen nimmt bei Windisch hinsichtlich des Umfangs andere Ausmaße an als bei seinen Vorgängern, und —————

35 Noch mit Blick auf Windischs Kommentar aus dem Jahr 1924 sprach Strecker im Vorwort von einer wissenschaftlichen Leistung, die „in einem fremd gewordenen gelehrten Gewand uns entgegentritt“ (WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, X). 36 MEYER, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, 8. 37 HEINRICI, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, 12. 38 Vgl. a.a.O. 11.

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hinsichtlich des Ergebnisses bricht Windisch den Briefteilungshypothesen eine Bahn. Bereits im Vorwort deutet er an, die „Krenkelsche Hypothese, die bisher nur wenige Liebhaber gefunden hat, aber m. E. die bestmögliche Fassung der Vierkapitel-Hypothese darstellt“39, erneuern zu wollen. Windisch referiert ausführlich die exegetischen Probleme, die dazu geführt haben, im 2Kor „eine Folge von drei, klar voneinander abgehobenen und in sich abgeschlossenen Briefteilen“40 zu finden: A = Kap. 1–7; B = Kap. 8–9; C = Kap. 10–13. Ausführlich geht er auf den Vorschlag A. Hausraths41 zum sog. Vierkapitelbrief (= C) ein, der „in sämtlichen Punkten ein früheres Stadium der Verhandlung bezeichne als AB“42. C sei demnach der sog. Zwischenbrief. Doch referiert Windisch auch ausführlich die Kritik an Hausraths These, die er jedoch als „sehr bestechend“43 würdigt. Freilich: „Abweisung von Hsr.’s C-Hypothese und Rechtfertigung der Einheit des 2Kor sind indes noch zwei verschiedene Dinge“44. Windisch schlägt als „Endresultat“45 seiner Behandlung des Themas vor: „C ist die Reaktion des P. auf eine neue Verschärfung des Konflikts, der ihm noch nach Abfertigung von AB gemeldet wurde. Im Grunde ist die Voraussetzung, die wir brauchen, keine andere, als die, die oben angeführt war: daß zwischen Abfassung von AB und C neue aufregende Nachrichten zu P. gelangt sind, nur daß wir diesen Moment kürzere oder längere Zeit nach Absendung von AB ansetzen ...“46.

2Kor 6,14–7,1 als Teil von Brief A und die Integrität der Kap. 8f. sind daneben nochmals gesondert zu bedenken. Windisch betont ausdrücklich, dass die vorgelegte Rekonstruktion vermutungsweise geschieht, da jeglicher Anhalt in der Überlieferung fehlt.47 In Bultmanns Kommentar werden die sog. Einleitungsfragen zum 2Kor in einer Vorbemerkung auf etwa 2 Seiten reduziert, auf denen die der Kommentierung zugrunde liegenden wesentlichen Entscheidungen knapp angesprochen, aber nicht diskutiert werden. Bultmann vermutet, dass die korinthische Gemeinde in die vorhandenen beiden Korintherbriefe Teile der beiden ebenfalls von Paulus nach Korinth gesandten weiteren Briefe (Vor—————

39 WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, VI; vgl. M. KRENKEL, Beiträge zur Aufhellung der Geschichte und der Briefe des Apostels Paulus, Braunschweig 1890; zur Rezeption dieses Werks innerhalb der Forschung: WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, 17f. Im Anschluss an Krenkel habe noch R. DRESCHER, Der 2. Korintherbrief und die Vorgänge in Korinth seit Abfassung des 1. Korintherbriefs, ThStKr 70 (1897) 43–111, die Position Krenkels geteilt. 40 WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, 1. 41 Vgl. A. HAUSRATH, Der Vier-Capitelbrief des Paulus an die Korinther, Heidelberg 1870. 42 WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, 12. 43 A.a.O. 13. 44 A.a.O. 14. 45 Ebd. 46 A.a.O. 18; vgl. auch a.a.O. 28. 47 Vgl. a.a.O. 21.

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brief und Tränenbrief) eingearbeitet hat. Die Zuweisung von 2Kor 1–9 und 2Kor 10–13 an zwei verschiedene Briefe wird seit Hausraths Arbeit geradezu als fester Tatbestand angesehen, die Zuweisung von ausschließlich 2Kor 10–13 an den Zwischenbrief jedoch infrage gestellt. Deutlicher wird Bultmanns Position in einer kurzen Anmerkung in einem Aufsatz aus dem Jahr 1947: „Nach meiner Überzeugung gehören 2Kor 2,14–7,4 (außer 6,14–7,1) und c. 10 bis 13 zu einem Briefe zusammen, dem sog. Zwischenbrief, während 1,1–2,13; 7,5–16 zusammen den Brief bilden, den Paulus an die Gemeinde nach der Rückkehr des Titus und dessen Bericht über die Wirkung des Zwischenbriefes schreibt. Wie die c. 8 und 9, die ursprünglich nicht zusammengehört haben können, zu verteilen sind, will ich nicht erörtern.“48

Eine Bewertung dieses Überblicks muss zunächst festhalten, dass die wesentlichen literarkritischen Probleme von allen vier Bearbeitern des KEK gesehen und dargestellt wurden. Bereits Meyer bezog sich auf Arbeiten aus dem späten 18. Jh., v.a. auf zwei Schriften J.S. Semlers aus den Jahren 1767 und 1776, in denen, ohne jetzt auf alle Details eingehen zu wollen, eine literarkritische Dreiteilung in 2Kor 1–7 (bzw. 8), 2Kor 8–9 und 2Kor 10–13 anerkannt war, wobei möglicherweise der Briefschluss in 2Kor 13,11–13 Teil des ersten Briefs gewesen sei. Manches allerdings, was Meyer referiert, wurde in der weiteren Forschung nicht weiter berücksichtigt. Hierzu zähle ich die These, dass auch Röm 16 zu diesem ersten Brief gehört habe. Einer anderen These hingegen, wie der nochmaligen Unterteilung von 2Kor 8–9 in unterschiedliche Briefe an die Christen in Korinth bzw. in der Achaia, wurde erst in späterer Zeit zum Durchbruch verholfen.49 Die literarkritischen Befunde werden in den Kommentaren allerdings höchst unterschiedlich bewertet. Ungeklärt ist etwa die Frage, ob eine veränderte Stimmungslage des Apostels innerhalb eines Schreibens erträglich ist50 oder ob sie zwingend literarkritische Operationen erfordert. Windisch hält den Befürwortern der Einheit vor, sie suchten diese „durch allerlei psychologische Erklärungen verständlich zu machen“51. Sobald man aber zur Erklärung der Sprache und des Stils von 2Kor 10–13 im Vergleich mit 2Kor 1–9 nicht einen Stimmungsumschwung des Apostels bemüht, sondern eine Änderung der Situation in Korinth, nämlich eine massive Verschärfung des Konflikts —————

48 R. BULTMANN, Exegetische Probleme des zweiten Korintherbriefes (= 1947) in: DERS., Exegetica. Aufsätze zur Erforschung des Neuen Testaments, hg.v. E. Dinkler, Tübingen 1967, 298–322: 307 Anm. 17. 49 Vgl. H.-D. BETZ, 2. Korinther 8 und 9. Ein Kommentar zu zwei Verwaltungsbriefen des Apostels Paulus, München 1993. 50 Vgl. MEYER, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, 8. 51 WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, 14.

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Die Kommentierung des 2. Korintherbriefes in ‚Meyers Kommentar‘

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erkennt,52 ist für ein literarkritisches Urteil ein neuer Boden bereitet. Die gegenwärtige, jüngere literarkritische Forschung zum 2Kor tendiert wieder in stärkerem Maße zur Annahme der Einheitlichkeit des Schreibens.53 Neu hinzugekommen ist ein differenziertes methodisches Instrumentarium, das rhetorische, linguistische, rezeptionsästhetische und redaktionskritische Aspekte berücksichtigt und das rein subjektive Empfinden des Exegeten als Grundlage eines literarkritischen Urteils infrage stellt. Ganz ohne Literarkritik allerdings kommt auch der neueste Kommentar zum 2Kor nicht aus, wenngleich er davon ausgeht, dass „2Kor ... insgesamt zu ein- und demselben Zeitpunkt abgefasst und abgeschickt worden“54 ist. Th. Schmeller vermutet, dass der harte Übergang von 2Kor 1–9 zu 2Kor 10–13 daher rührt, dass der Text 2Kor 6,14–7,1, der ursprünglich zwischen beiden Texten gestanden habe, nicht mehr am rechten Ort stehe (s.u.).

2.2 Die Herkunft von 2Kor 6,14–7,1 Über dieses Stück ist natürlich in allen Kommentaren auch im Zusammenhang der Literarkritik und der Briefteilungshypothesen gehandelt worden. Mehr noch aber geht es bei der Bearbeitung dieses Abschnittes um die Frage, welche Herkunft dieser Text hat und welche Theologie sich hier niederschlägt. Einzig Meyer erachtet 2Kor 6,14–7,1 als paulinisch und er weist in einer Anmerkung55 die Kritik seiner Zeit an einer paulinischen Herkunft, zuletzt von H. Ewald vorgetragen, zurück. Etwas kryptisch laviert Heinrici zwischen Meyers Verteidigung der Echtheit und deren in seiner Zeit modernen Infragestellung: „Ist nun zuzugeben, dass an sich das Stück keine dem Ap. fremden und seiner unwürdigen Gedanken enthält, so darf man wohl vermuthen, dass es als werthgehaltene Reliquie dem Paulusbriefe von der Gemeinde beigegeben worden ist“56. Heinrici stimmt also hier der von ihm an anderer Stelle57 kritisch besprochenen Interpolationsthese zu, kann aber den Hintergrund des Stücks in keiner Weise erhellen. Jedenfalls liegt nicht ein Teil eines Paulusbriefs vor, der hier interpoliert wurde, und es ist auch nicht der Apostel, der für die ————— 52

Vgl. a.a.O. 18. Vgl. U. SCHNELLE, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 72011, 104 mit Anm. 275. 54 TH. SCHMELLER, Der zweite Brief an die Korinther I: 2Kor 1,1–7,4, EKK 8/1, NeukirchenVluyn/Ostfildern, 2010, 37; vgl. DERS., Der zweite Korintherbrief, in: M. Ebner/S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, ST 6, Stuttgart 2008, 326–346. 55 Vgl. MEYER, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, 161f; referierend aufgenommen bei HEINRICI, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, 203. 56 A.a.O. 204. 57 Vgl. a.a.O. 12. 53

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Abfassung und Interpolation des Stücks verantwortlich ist. Heinrici erkennt Analogien zu apokrypher und nachapostolischer Literatur. Das Stück gleiche „einem Baustein aus ganz andersartigem Material“58. Nach Windisch sind „Bedenken gegen die paulin. Herkunft nicht unberechtigt (jüdischer und ap.=Väter=Geist!), sie lassen sich aber beschwichtigen“59. Der Text sei „am besten als Aufruf an junge Christen zu bezeichnen, die nun dazu angetrieben werden, ihres Christenberufs würdig zu wandeln…“60. Allerdings steht der Abschnitt „in jedem Falle nicht an seinem ursprünglichen Platz, sondern ist erst durch Versehen oder mit Absicht bei der Redaktion der Briefe da eingesetzt worden“61. Windisch vermutet weiterhin, dass der Abschnitt wohl im Anschluss an 5,14–6,2 zu lesen war, wobei allerdings „eine oder wenige Übergangszeilen getilgt oder weggefallen“62 seien. Damit ist dieser Textabschnitt wieder als paulinisch, ja als frühpaulinisch anerkannt, denn er könnte, wie Windisch durchaus zugesteht, auch im sog. Vorbrief (1Kor 5,9) gestanden haben, zu dessen Thematik er zu passen scheint. Bultmann geht auf 2Kor 6,14–7,1 nur ganz am Rand ein, und dies mit Bemerkungen, die in sich nicht wirklich stimmig sind. Bultmann erkennt typisch-jüdische Paränese und erwägt christliche Bearbeitung. Der Herausgeber unterrichtet in einem Zusatz darüber, dass Bultmann das Stück als nicht-paulinisch betrachtet.63 In der Auslegung, die im Kommentar sechs Zeilen umfasst, wird jedoch erwogen, dass Paulus hier ein Fragment aus dem Vorbrief zitiert, das 1Kor 5,9–11 vorangegangen sei.64 Die Auslegungsgeschichte von 2Kor 6,14–7,1 spiegelt sich in Meyers Kommentar wider, insofern das Schwanken zwischen der Annahme paulinischer und nicht paulinischer Verfasserschaft und die Frage nach dem ursprünglichen Ort des Stücks innerhalb oder außerhalb der Korintherkorrespondenz in den Kommentaren ihren Niederschlag findet. Grundsätzlich halten alle vier Bearbeiter eine paulinische Herkunft für denkbar oder sehen zumindest keine unüberwindlichen Hindernisse für diese Sicht. Die Verbindung mit dem Vorbrief und seinem vermuteten Thema (1Kor 5,9) wird von Windisch und Bultmann angedacht. In der gegenwärtigen Einleitungswissenschaft wird in der Regel keine abschließende Antwort auf die genannten Fragen gegeben. Die Stellung im derzeitigen Kontext gilt als problematisch. Wenn man gleichwohl pauli————— 58

A.a.O. 204. WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, 220. 60 A.a.O. 219. 61 A.a.O. 220. 62 Ebd. 63 Vgl. BULTMANN, Der zweite Brief an die Korinther, 182 Anm. 202. 64 Vgl. a.a.O. 182. 59

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Die Kommentierung des 2. Korintherbriefes in ‚Meyers Kommentar‘

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nische Verfasserschaft festhalten will, liegt die Suche nach einem ursprünglichen Ort innerhalb der Korintherkorrespondenz nahe. Die Annahme von Schmeller, dass „6,14–7,1 … ursprünglich die jetzt fehlende Verbindung zwischen den Kap. 1–9 und 10–13 her[stellte] und … sekundär von dort an seine jetzige Stelle versetzt“65 wurde, schafft gewiss glattere Übergänge. In der Substanz erkennt allerdings auch Schmeller ein traditionelles Stück, dass v.a. wegen der Tempeltheologie in der Nähe der Jerusalemer Urgemeinde ansiedelt wird, Paulus sodann übermittelt und von ihm bewusst zwischen Kap. 1–9 und 10–13 eingesetzt wurde. Schmeller erwägt, dass 6,14–7,1 in einer frühen Kopie des 2Kor ausgelassen wurde, jedoch separat aufgeschrieben und nach einiger Zeit wieder eingefügt wurde, allerdings an der falschen Stelle.66 Freilich habe der Redaktor „von mehreren schlechten Möglichkeiten die beste ausgewählt“67. 2.3 Die Verwandlungsmystik nach 2Kor 3,18 Die Verwandlungsaussage in 2Kor 3,18 schließt eine Argumentation ab, die auf mehreren Vergleichsebenen Moses und Paulus, Israel und die christliche Gemeinde einander zuordnet. Der Schlusssatz bündelt in überfrachteter und metapherngetränkter Sprache beide Ebenen und schließt mit einer Verwandlungsaussage im Blick auf die Christen, die zwar vorgängige Motive der Argumentation (schauen, verhüllt/unverhüllt, Angesicht, Herrlichkeit, Kyrios, Geist) erneut aufnimmt, in der Metamorphose der Glaubenden jedoch einen unerwarteten Schlusspunkt setzt. In der Auslegung der Einheit stehen v.a. die Frage des Schriftbezugs zu Ex 34,29–35 und die Zuordnung des Verhältnisses von Kyrios und Pneuma im Mittelpunkt, weniger aber die Verwandlungsaussage. Diese ist eingebunden in eine Satzkonstruktion, in der die Verwandlung (metamorfou,meqa) in dasselbe Bild in eine Beziehung gesetzt wird zur Schau (katoptrizo,menoi) der Herrlichkeit des Herrn. Undeutlich ist jedoch, wie dieses Verb katoptrizo,menoi, ein neutestamentliches Hapaxlegomenon, in seiner medialen Form genau wiederzugeben ist. Im Wesentlichen stehen sich die Übersetzungen ‚widerspiegeln, sich spiegeln‘ und ‚in einem Spiegel schauen‘ gegenüber. Allerdings wäre es im letzteren Fall abwegig, den —————

65 SCHMELLER, Der zweite Brief an die Korinther, 378f; vgl. auch DERS., Der ursprüngliche Kontext von 2 Kor 6.14–7.1. Zur Frage der Einheitlichkeit des 2. Korintherbriefs, NTS 52 (2006) 219–238. 66 Vgl. DERS., Der zweite Brief an die Korinther, 381. Allerdings kann und will Schmeller in keiner Weise erklären, wie der Bezug des Paulus zu dem Jerusalemer Traditionssplitter zustande gekommen sein soll (vgl. a.a.O. 379f Anm. 91). 67 A.a.O. 382.

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Spiegel hier in irgendeiner Weise als Beeinträchtigung aufzufassen, da gerade die Überbietung des Mose und der Israeliten und ihrer Unfähigkeit zur Schau (2Kor 3,7.13) ausgesagt werden soll. Meyer spricht sich entschieden für das Verständnis ‚in einem Spiegel schauen‘ aus, da die Aufnahme in th.n auvth.n eivko,na diese Auslegung fordert: „... zu demselben Bilde werden wir umgestaltet, d.h. wir werden so umgestaltet, dass sich dasselbe Bild, welches wir in einem Spiegel sehen, das Bild der Glorie Christi an uns darstellt, d. i. dem wesentlichen Sinn nach: wir werden so umgestaltet, dass wir dem verklärten Christus ähnlich werden“68. Im Unterschied zu der zukünftigen Verwandlung bei der Parusie (1Kor 15,51f.; Phil 3,21) deute 2Kor 3,18 auf „etwas gegenwärtig in der Entwickelung Begriffenes: so kann nur die geistige Umgestaltung zur Aehnlichkeit mit dem verherrlichten Christus gemeint sein“69, „d. h. so dass diese Umgestaltung von Glorie (nämlich von der im Spiegel angeschauten und auf uns reflectierten Glorie Christi) ausgeht und Glorie zum Ergebnisse hat“70. Da aber im Spiegel geschaut wird und daher noch nicht die „objective Realität“71 des Parusie-Christus gesehen wird, interpretiert Meyer den Gegenstand des Schauens mit Verweis auf 2Kor 4,4 auf „ihre Darstellung im Evangelium“72. Fragt man weiter nach dem Gehalt der Metamorphose, so zitiert Meyer in einer Fußnote Calov: „Illa autem metamo,rfwsij neutiquam essentialis est, ut fanatici volunt, quum in substantiam Christi transformari nequeamus, sed mystica et spiritualis ...“73. Heinrici folgt im Wesentlichen und über weite Strecken auch wörtlich der Erklärung Meyers. Allerdings fügt er weitere Bemerkungen und Hinweise zu kaqa,per avpo. kuri,ou pneu,matoj mit Blick auf Meyer ein, der sich – gegen eine breite kirchliche Auslegungstradition – für das christologische Geistverständnis ausgesprochen hatte, obwohl bei Paulus gewöhnlich der Geist von Gott gesandt wird: „Warum aber wird Christus hier ku,rioj pneu,matoj genannt? Wie jene geistige Metamorphose, welche von Chriso [sic !] herrührt, nicht anders als durch den Einfluss des heil. Geistes auf uns geschehen kann“74. Für Meyer75 und Heinrici ist „das Unterordnungs-Verhältniss der göttlichen Trias ... dadurch auf’s bestimmteste ausgesprochen“76. Gegenüber Meyer verweist Heinrici auf 2Kor 3,17, da hier „doch ————— 68

MEYER, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, 84. Ebd. 70 A.a.O. 85. 71 A.a.O. 83. 72 Ebd. 73 A.a.O. 84. 74 A.a.O. 86. 75 Vgl. ebd. 76 HEINRICI, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, 102. 69

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Die Kommentierung des 2. Korintherbriefes in ‚Meyers Kommentar‘

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nichts anders als die volle Identität von ku,rioj und pneu/ma hinsichtlich ihrer Wirkungen behauptet [wird,] welche hier bestätigt wird, indem vom ku,rioj seinem damit geforderten Geistsein gemäss die Metamorphose der Gläubigen ausgeht“77. Mit Windisch hält die religionsgeschichtliche Betrachtung78 des Verwandlungsmotivs Einzug in die Kommentierung und bricht die bei Heinrici zu beobachtende erstarrte dogmatische Auslegung auf. „Dann ergibt sich die Anschauung, dass die Phil 3,21 erst von der Zukunft erwartete Verwandlung in einem stetigen Prozesse mysteriös schon in diesem Leben sich zu vollziehen beginnt und P. erscheint tief eingetaucht in die Erlebnissphäre der Mysterien, indem er auch die Epoptie kennt, durch die der Eingeweihte in die Gestalt der göttlichen Person verwandelt wird, die er schauen darf“79.

Wichtig für Windisch ist der Hinweis, dass eine solche Verwandlung nicht allein auf das Hypermaterielle zu beschränken sei, sondern auch eine geistige Verwandlung mit einschließe. Der Nachsatz kaqa,per avpo. kuri,ou pneu,matoj wird nun ganz als genitivus obiectivus aufgenommen und von der Epoptie her interpretiert, dass nämlich „der Verklärungsprozeß als Auswirkung des Herrn zu verstehen ist, der sich dabei seines Geistes bedient ... oder der als pneumatisches Wesen diesen Einfluß auf uns ausüben kann“80. Windisch spricht daher von „psychophysischen Wirkungen“81, „indem das natürliche Wesen immer mehr von dem verklärten Wesen des Herrn erfasst und aufgesaugt wird, so dass sie (die Gemeinde) somit immer voller in die Sphäre des Geistes, ... in die himmlische Gotteswelt eindringt“82. Erfahrbar werde solch eine Verwandlung im christlichen Gottesdienst, dürfe aber auch nicht darauf beschränkt werden, zumal im Text nichts auf Kultusversammlungen hindeute.83 Möglicherweise stelle Paulus hier den christlichen Gottesdienst einerseits in eine Nähe zu Mysterienfeiern, andererseits aber dem jüdischen Synagogalgottesdienst gegenüber. Bultmann weitet die religionsgeschichtliche Betrachtung gegenüber Windisch erheblich aus und führt die Studierenden – es handelt sich ja um Vorlesungsmanuskripte – ausführlich in die antiken Quellen ein, die teil————— 77

A.a.O. 103. Windisch verweist durchgehend auf religionsgeschichtlich orientierte Arbeiten der liberalen Theologie: W. BOUSSET, Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenäus, FRLANT 21, Göttingen 21921; R. REITZENSTEIN, Die hellenistischen Mysterienreligionen. Nach ihren Grundgedanken und Wirkungen, Leipzig 21920, u.a. Kronzeuge des mystischen Aufstiegs in die Himmelswelt ist Philo, De VitMos II 69f; daneben auch ein Hinweis auf die bei Sen. epist. 6,1; 94,48 begegnende Transfigurationsvorstellung. 79 WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, 129. 80 A.a.O. 130. 81 Ebd. 82 Ebd. 83 Vgl. a.a.O. 131. 78

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weise umfänglich im griechischen Originaltext mit deutscher Übersetzung geboten werden. Der Vorgang ‚Verwandlung durch Schauen, speziell durch Spiegelschau‘ wird an Texten (v.a. Philo, ThomAct) ausführlich besprochen und mit 2Kor 3,18 verglichen. Bultmann gesteht zu, dass hier mit der Vorstellung einer ‚Verwandlung durch die Schau Christi‘, einer Verwandlung in Stufen avpo. do,xhj eivj do,xan, ein mystischer Gedanke vorliegt,84 der aber „des eigentlichen mystischen Sinnes entkleidet“85 worden sei, da Paulus den Vorgang der Schau in 2Kor 5,7; Röm 8,24f als „Sache der Vernunft“86, als ein Erneuern des inneren Menschen darstelle und da der Glaubende in der Welt fern von Christus sei. „Die Verwandlung vollzieht sich also nicht als ein magischer Prozeß, sondern als das Wirksamwerden er göttlichen Kraft im geschichtlichen Leben des Glaubenden, in dem die göttliche Kraft zu seiner Kraft des Wirkens und Leidens ... wird“87. Bultmann lehnt daher auch eine Bezugnahme auf eine kultische oder mystische Schau ab. Innerhalb der gegenwärtigen Exegese sind die religionsgeschichtlichen Voraussetzungen und Parallelen einer Kombination von Schau und Verwandlung präziser erfasst worden. Eine einseitige Ableitung dieses Motivbereichs aus den Mysterienreligionen wird abgelehnt. Der hellenistische Einfluss auf jüdische Theologie ist auch in dieser Hinsicht evident.88 Daneben verdient die theologische Wertigkeit des Verwandlungskonzepts im Rahmen der paulinischen Anthropologie und Eschatologie besondere Aufmerksamkeit.89 2.4 Die Krankheit des Paulus nach 2Kor 12,7f Ungewöhnlich ausführlich, die philologischen Probleme und die Auslegungsgeschichte ausbreitend,90 beschäftigt sich Meyer mit der Krankheit des Paulus. Satan sei der mittelbare Geber der Krankheit und erfülle darin den göttlichen Endzweck, dass Paulus sich nicht erhebe. Paulus gebrauche ————— 84

Vgl. BULTMANN, Der zweite Brief an die Korinther, 99. Ebd. 86 Ebd. 87 A.a.O. 98. 88 Vgl. F. BACK, Verwandlung durch Offenbarung bei Paulus. Eine religionsgeschichtlich-exegetische Untersuchung zu 2 Kor 2,14–4,6, WUNT 2/153, Tübingen 2002; R. SCHWINDT, Gesichte der Herrlichkeit. Eine exegetisch-traditionsgeschichtliche Studie zur paulinischen und johanneischen Christologie, HBS 50, Freiburg 2007, 215–233. 89 Vgl. die Überlegungen zur ethischen Dimension der Verwandlung durch V. RABENS, The Holy Spirit and Ethics in Paul. Transformation and Empowering for Religious-Ethical Life, WUNT 2/283, Tübingen 2010, 171–203. 90 Vgl. MEYER, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, 301– 307. 85

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Die Kommentierung des 2. Korintherbriefes in ‚Meyers Kommentar‘

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eine bildliche Vorstellung, spreche von einem Dorn für das Fleisch, welcher den zur Sünde gelüstenden Teil seines Wesens zu peinigen habe. Durch die Apposition a;ggeloj satana/ wird sko,loy personifiziert. Fragt man nun weiter nach, welche Krankheit Paulus anspreche, so muss diese den Korinthern aus ihrer Bekanntschaft mit Paulus bekannt gewesen sein, während den gegenwärtigen Auslegern ein spezieller Hinweis versagt sei. Im Wesentlichen erkennt Meyer drei unterschiedliche Positionen. Paulus spreche a) von geistlichen Anfechtungen; b) von Anfechtungen durch die im Dienst des Satans stehenden Gegner und c) von einem sehr empfindlichen körperlichen Leiden. Der von Meyer verzeichnete Überblick über die Positionen a) und b) lässt bisweilen schmunzeln, aber auch die in der Forschung reichlich beigebrachten Krankheitsbilder unter c) führen Meyer zu der Bemerkung, es handle sich um „weiter gehende Vermuthungen … in’s Blaue hinein“91. Meyer sieht gleichwohl allein in c) die Lösung und spricht davon, „dass Paulus irgend ein schmerzvolles leibliches Uebel an sich trug, welches ihm als vom Satan zugefügt erschien“92, versagt sich aber zur näheren Bestimmung jede Spekulation und spricht von einer „Verzichtleistung auf näheren Hinweis“93. Entscheidend ist für Meyer die Erwähnung der Krankheit im Zusammenhang der „göttlichen Verfügung, sich nicht überheben zu sollen“94. Heinrici übernimmt Meyers Ausführungen wieder großenteils wörtlich, ergänzt aber im Sinne einer Ergebnisverdeutlichung: „Doch ist festzuhalten, dass die bildlich geschilderten Leidenszustände von ihm in Verbindung mit den besonderen Begnadigungen gebracht werden, und er auf Weisung des Herrn in ihnen einen Schutz gegen die Versuchung, sich zu ueberheben, sieht“95. Während Meyer und Heinrici die in ihrer Zeit gängigen Diagnosen des Krankheitsbildes referieren, aber eine „Verzichtleistung auf näheren Nachweis“96 bieten, rollt Windisch die Diskussion erneut auf und fügt einen eigenen Exkurs zur Krankheit des Paulus ein.97 Windisch geht von den beiden unterschiedlichen, sich nicht entsprechenden und nicht auszugleichenden Beschreibungen der Krankheit aus: a) Paulus hat das Gefühl, dass ein schmerzhafter Splitter, also ein Fremdkörper im Leib an einer bestimmten Stelle sitzt. b) Das Schmerzempfinden gleicht von außen kom————— 91

A.a.O. 307. Ebd. 93 Ebd. 94 A.a.O. 303. 95 HEINRICI, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, 375. 96 MEYER, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, 307; vgl. HEINRICI, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, 375. 97 Vgl. WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, 385–388. 92

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menden Schlägen, gleich einer Ohrfeige (ko,lafoj). Dieses Nebeneinander sei „rätselhaft“98. Ausführlich weist Windisch die These zurück, den sko,loy als Marterinstrument, z.B. als Kreuz, in einem realistischen Sinn zu interpretieren, auch wenn Paulus an anderer Stelle seine Christusgemeinschaft im Blick auf Leiden und Tod ansprechen kann (2Kor 4,10; Gal 6,17). Zunächst thematisiert Windisch ausführlich eine gängige Erklärung, die Leiden des Paulus mit seinen Visionen in Verbindung zu bringen bzw. davon abzuleiten. Windisch kann sich auf eine in seiner Zeit blühende medizinische Beschäftigung mit dem Paulus-Saulus epilepticus beziehen.99 Seiner eigenen Einschätzung nach sind aus der Fülle der Diagnosen überhaupt nur vier Möglichkeiten zu diskutieren: a) Epilepsie, b) Hysterie, c) Augenmigräne und d) Ischias bzw. hochgradiger Rheumatismus.100 Gegenüber der These der Epilepsie habe diejenige der Hysterie „den großen Vorzug, dass sie auch gewisse Züge in der Psyche und im Auftreten des P. gut erklärt“101. Im Zusammenhang hysterischer Anfälle sei es sogar vorstellbar, „daß P. den Satansengel leibhaftig schaute“102. Die These der Augenmigräne habe neben derjenigen der Hysterie im Abwägen aller Argumente die größte Wahrscheinlichkeit.103 Bultmann ergänzt die vorhandenen Diagnosen um den Hinweis, es müsse sich um ein chronisches Leiden handeln, da dieses trotz wiederholten Gebetes (2Kor 12,8) fortdauert. Jedoch liegt die grundsätzliche Linie seiner Kommentierung in dem Satz: „... im übrigen ist das Leiden nicht zu diagnostizieren“104. Die Diagnose sei für den Zusammenhang gleichgültig, weil die Krankheit in 2Kor 12,10 in eine Reihe mit den Peristasen gestellt werde. Darüber hinaus verallgemeinert Bultmann das Leiden des Apostels in eine allgemeine Existenzerfahrung. Da dieses Leiden auf den a;ggeloj satana/ zurückgeführt wird, komme in ihm eine „Äußerung des gottfeindlichen Kosmos, der auch den Glaubenden bedroht und verführt“105, zum Ausdruck.106 Ein Sprung in die gegenwärtige Kommentierung von 2Kor 12,7 zeigt, dass die wesentlichen Auslegungsmodelle bereits von Meyer vorweggenommen wurden. Der Kommentar von M.E. Thrall aus dem Jahr 2000 (Nachdruck 2004) jedenfalls stellt in einem ausführlichen Exkurs zur Sache ————— 98

A.a.O. 386. Vgl. ebd. 100 Vgl. a.a.O. 387f. 101 A.a.O. 387. 102 Ebd. 103 Vgl. a.a.O. 388. 104 BULTMANN, Der zweite Brief an die Korinther, 227. 105 Ebd. 106 In einer Fußnote verweist Bultmann zu sko,loy auf Kierkegaard, der im Anschluss an 2Kor 12,7 vom Leid als Merkmal der Seligkeit gesprochen hat. 99

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Die Kommentierung des 2. Korintherbriefes in ‚Meyers Kommentar‘

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die wesentlichen Lösungen aus heutiger Sicht vor: a) an internal psychological state; b) external opposition; c) physical illness or disability. Thrall ihrerseits favorisiert im Blick auf das Verb kolafi,zw eine Form von Migräne.107 Erste Überlegungen zur Bedeutung der Krankheit innerhalb der Biographie und Persönlichkeit des Paulus bzw. in deren Selbstinszenierung vor der Leserschaft stellen eine etwas veränderte Betrachtungsweise dar.108

3. Ausblick Sowohl das theologische Profil der vier Bearbeiter als auch die sie in ihrer Zeit bewegenden hermeneutischen Fragen sowie die jeweiligen wissenschaftlichen Neuorientierungen finden in den Kommentaren einen deutlichen Niederschlag. Meyer ist selbst in der Kommentierung deutlich als ‚Kirchenmann‘, als Superintendent und Oberkonsistorialrat in Hannover zu erkennen. Seine vornehmlich philologisch ausgerichtete und das Gespräch mit der theologischen Auslegungstradition suchende Exegese soll der Pfarrerschaft bei der Vorbereitung des Predigtdienstes dienen und den theologischen Gehalt des Textes klar erhellen. Meyer griff in seiner philologischen Ausrichtung stark auf die Arbeiten zur klassischen Gräzität durch R. Kühner zurück und übernahm das hier gesammelte Material.109 In der Vorrede des ersten Kommentars seiner Reihe sprach sich Meyer im Jahr 1832 dafür aus, den ‚biblischen Rationalismus‘ der neutestamentlichen Schriften wiederzugeben. Diese nüchterne Grundhaltung bleibt bestimmend, auch wenn zunehmend vermittlungstheologische Züge in seinem Werk erkannt werden können. Heinricis Kommentar folgt, wie bereits erwähnt, dem Vorgängerkommentar von Meyer ausgesprochen dicht. Gleichzeitig erscheint das religionsgeschichtliche Interesse, das Windischs Kommentar auszeichnen soll, bei Heinrici bereits vorhanden, aber doch auch merkwürdig gebrochen. Heinrici behielt eine Distanz zu der Religionsgeschichtlichen Schule und war ihrem Relativismus gegenüber skeptisch. G. Seelig schreibt: „Bei aller Offenheit für die Möglichkeit, dass das frühe Christentum Elemente aus seiner religiösen Umwelt übernommen haben könnte, erweist er sich von —————

107 Vgl. M.E. THRALL, A Critical and Exegetical Commentary on the Second Epistle to the Corinthians II: Commentary on II Corinthians VIII–XIII, ICC, Edinburgh 2000, 809–818. 108 Allerdings sind die wenigen Bemerkungen in dem Sammelband von E.-M. Becker/P. Pilhofer (Hg.), Biographie und Persönlichkeit des Paulus, WUNT 187, Tübingen 2005, insgesamt noch nicht zufriedenstellend; außerdem E.-M. BECKER, Die Person des Paulus, in: O. Wischmeyer (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, Tübingen/Basel 2006, 107–119; B.J. MALINA/J. H. NEYREY, Portraits of Paul. An Archaeology of Ancient Personality, Louisville 1996. 109 So HEINRICI, Kritisch-exegetisches Handbuch über den zweiten Brief an die Korinther, III.

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dem Bestreben geleitet, die Selbständigkeit, die Autochthonie des Christentums zu wahren“110. Windischs Kommentar erschien im Jahr 1924 zu einem Zeitpunkt, als in der Folge des Ersten Weltkriegs eine vielfache Neuorientierung in Kirche, Gesellschaft und Wissenschaft angesagt war. Gegenüber Barth und seinen „jugendlichen Anhängern“111 ruft Windisch die „wissenschaftliche Behandlung des Textes (als) die unentbehrliche Grundlage für ein wirkliches Verständnis der Texte“112 in Erinnerung. Daher knüpft Windisch deutlich an die Forschungstradition der liberalen Theologie und ihrer Exegese an, die nach dem historischen Sinn des Textes fragt. Da die theologisch-religionsgeschichtlichen und die literarkritischen Probleme des 2Kor sein Interesse anzogen und ausführlicher als ursprünglich vorgesehen behandelt werden mussten, hat sein Kommentar eine Umfangsüberschreitung gegenüber dem Verlag durchzusetzen gehabt. Noch heute zehrt die exegetische Arbeit am 2Kor von Windischs religionsgeschichtlich orientierter Exegese, die im Kommentar durchgehend und oftmals auch in langen exkursartigen Blöcken in petit ihren Niederschlag gefunden hat. Hatte Meyer auf Parallelen aus der Gräzität aus vorwiegend philologischem Interesse verwiesen, so möchte Windisch das bei Meyer und Heinrici gesammelte Material aufnehmen und „das Verhältnis des Paulus zu den jüdischen und hellenistischen Zeitanschauungen … erörtern“113. In Bultmanns Kommentar sind die wesentlichen Inhalte seiner Hermeneutik, den Text zu entmythologisieren und ihn existential zu interpretieren, nicht nur in den beiden gewählten Auslegungen zu 2Kor 3,18 und 12,7 zu greifen, sondern sie bestimmen durchgehend die exegetische Arbeit. Um dem Kommentar gerecht zu werden, muss stets bedacht werden, dass es sich um eine Vorlesungsmitschrift handelt, die 22 Jahre nach Übergabe des Manuskripts an den Herausgeber veröffentlicht wurde. Eine neue Kommentierung des 2Kor in Meyers Kommentar ist überfällig. Der Nachdruck von Windischs Kommentar 46 Jahre nach der Neubearbeitung und die Veröffentlichung des Vorlesungsmanuskripts Bultmanns sind der Größe der vergangenen Kommentierung und ihrer Bearbeiter geschuldet, sie schließen aber nicht die empfindliche Forschungslücke. Das spezifische Profil von Meyers Kommentar ist historisch in der philologischen und religionsgeschichtlichen Orientierung gewachsen, die aber immer auch mit einer theologischen Auslegung verknüpft war. Sie hat darin —————

110 G. SEELIG, Religionsgeschichtliche Methode in Vergangenheit und Gegenwart. Studien zur Geschichte und Methode des religionsgeschichtlichen Vergleichs in der neutestamentlichen Wissenschaft, ABG 7, Leipzig 2001, 155. 111 WINDISCH, Der zweite Brief an die Korinther, VI. 112 Ebd. 113 A.a.O. V.

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Die Kommentierung des 2. Korintherbriefes in ‚Meyers Kommentar‘

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eine von anderen Kommentarreihen unterscheidende Sonderstellung behalten. Wünschenswert ist es, wenn die zukünftige Kommentierung des 2Kor in Meyers Kommentar diesem Profil verpflichtet bleibt.

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Hans Klein

Die Begründung für den Spendenaufruf für die Heiligen Jerusalems in 2Kor 8 und 9

1. Einleitende Bemerkungen Wenn heute, aus welchem Anlass auch immer, zu einer Wohltätigkeitsspende aufgerufen wird, dann wird gewöhnlich die Mitmenschlichkeit angesprochen. Bilder der Not einerseits und solche von erfolgten oder geplanten Hilfsmaßnahmen andererseits können den Aufruf begründen, angesprochen wird das Mitgefühl. Zuweilen wird auch auf Spender hingewiesen, die eine besonders große Summe geschenkt haben, um die Spendefreudigkeit der Angesprochenen zu erhöhen. Der Apostel Paulus hat in zwei Kapiteln des 2Kor die Gemeinden zu Spenden für die Heiligen in Jerusalem aufgerufen. Es lohnt sich, der Frage nachzugehen, wie er seinen Aufruf begründet. Denn zweifellos befindet sich der Apostel an dieser Stelle nicht im Zentrum seiner Theologie. Darum verwendet er zumindest teilweise auch eine andere Sprache, als er sie in seinen Briefen gebraucht, wo er als Missionar, zuweilen auch als Prophet, herausgefordert ist. Bereits 1924 konnte darum H. Windisch in seinem Kommentar zum 2Kor im Hinblick auf 2Kor 8 und 9 feststellen: „Die beiden Briefe sind ‚Geschäftsbriefe‘, aber die Art, wie das ‚Geschäft‘ angefaßt wird, die Motivierung, die die Bitte erfährt, die ganze Ausführung der geschäftlichen Mitteilungen wie der damit eng verbundenen ethisch religiösen Paränese, alles das erhebt den paul. Brief weit über das Niveau eines gewöhnlichen, profanen Geschäftsbriefes. Auch in dem Geschäftsbrief gibt sich P. als Mensch, als Seelsorger, als Apostel, als Erzieher und Zeuge.“1

Knapp 70 Jahre später hat H.D. Betz die beiden Briefe als „Verwaltungsbriefe“2 zu lesen und auszulegen unternommen, dabei aber den theologischen Hintergrund des paulinischen Denkens nie vergessen. Ihm lag indes ————— 1

H. WINDISCH, Der zweite Korintherbrief, KEK 6, Göttingen 91924, 243. Vgl. H.D. BETZ, 2. Korinther 8 und 9. Ein Kommentar zu zwei Verwaltungsbriefen des Apostels Paulus, Gütersloh 1993. 2

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Die Begründung für den Spendenaufruf

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sehr daran, dass die antiken Verhältnisse, die Sprache der Umwelt und v.a. das rechtliche Verständnis von Begriffen, die leicht theologisch vereinnahmt werden können, ins rechte Licht gerückt werden. Im Folgenden geht es im Gegenzug darum, genauer darauf zu achten, wie Paulus diese weitgehend weltliche Aktion der Kollekte theologisch begründet, wie er also mit den ihm zur Verfügung stehenden geistlichen Mitteln die Korinther zur Spendenaktion motiviert. Dabei wird zum Ausdruck kommen, was in dem oben angeführten Zitat von Windisch bereits vorweggenommen ist, dass nämlich der Apostel auch in diesem weltlich erscheinenden Aufruf als Theologe zu seinen Adressaten spricht. Es finden sich hier: • Ekklesiologische Motive: Danach ist die Spendenaktion a) ein Gemeinschaftsdienst (8,4; 9,13f) und b) ein Akt der Liebe (8,7.8.24). • Christologische Motive: Danach ist die Kollekte begründet a) in der Bindung der Spender an den Herrn (8,5); b) im Heilswerk Christi (8,9). • Schöpfungstheologische Motive: Danach ist die Gabe a) ein Zeichen einer nach Gottes Willen erfolgten Hingabe (8,5); b) sie fließt aus der Gnade des Schöpfers (8,1–4); c) sie führt zum Dank an Gott (9,12) und d) zum Gebet für die Spender (9,14). • Weisheitliche Motive: Die Aktion a) führt zum Ausgleich zwischen arm und reich (8,13f) und: b) Dass sie möglich ist, ist Gottes Gabe, wie bereits der Sämann zeigt (9,6–10). • Biblische Hinweise: Zitierung von Texten des Alten Testaments mit entsprechender Einleitung in 8,15 und 9,9 sowie Übernahme alttestamentlicher Aussagen in 9,7.10.

Es ist nun darauf zu achten, wo und wie Paulus diese einzelnen Motive einsetzt. Die verschiedenartige Akzentsetzung ist zu präzisieren und zu erläutern. In einem ersten Schritt wird zunächst Kap. 8 betrachtet (2.) und anschließend Kap. 9 (3.); dann wird das Verhältnis von Kap. 8 zu Kap. 9 untersucht (4.) und das Ergebnis dargestellt (5.).

2. Kap. 8 Die Absicht des Apostels in diesem Briefteil besteht darin, den Korinthern mitzuteilen, dass sie die vor einem Jahr begonnene Kollekte für Jerusalem zum Abschluss bringen sollen und dass er dazu Titus und zwei weitere Brüder nach Korinth sendet. Er geht dabei so vor, dass er zunächst auf die

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für ihn erstaunliche Spendenfreudigkeit der Makedonier hinweist (8,1–6), dann auf den Weg Christi zum Urbild des Sich-Verschenkens verweist (8,7–9), zur Sammlung aufruft, die einen Ausgleich zwischen Spendern und Empfängern schaffen soll (8,10–15), um endlich die Entsendung der beiden Brüder als Helfer bei der Aktion zu begründen (8,16–24). Das soll im Einzelnen genauer dargestellt werden 2.1 Nachdem Paulus zuvor seine große Freude über das Eintreffen des Titus in 7,5–16 kundgetan hat, spricht er seine nächste Freude über die Makedonier aus,3 bei denen er eingekehrt ist. Dort haben sich einige Dinge zugetragen, die ihn dankbar sein lassen. Er führt sie auf die „Gnade“ Gottes zurück. Der Apostel erwähnt die Bewährung in Bedrängnis (dokimh/| qli,yewj), die offenbar ein Ende gefunden hat. Ob es dieselben Nöte sind, von denen 2Kor 7,5 die Rede war, und was für Nöte es überhaupt waren, muss offen bleiben.4 Paulus ist die Bewährung in dieser Lage wichtig. Weit mehr aber, so hebt er hervor, ist er beeindruckt von der Spendefreudigkeit der Makedonier. Sie ist, so meint er, ebenfalls der Gnadentat Gottes zu verdanken, der die abgrundtiefe Armut in (geistlichen) Reichtum gewendet hat (ptwcei,a ... eivj to. plou/toj), der in ihrer überreichen Spende sichtbar wird. Ihr Grund liegt in einer Einfalt oder schlichten Güte (a`plo,thj), die einfach zu geben bereit ist (V.2). Die Makedonier haben sogar, so schreibt er, über ihre materiellen Möglichkeiten hinaus und aus eigenem Antrieb gehandelt (V.3) und gebeten, sich an der Kollekte beteiligen zu dürfen. Die Sammlung wird hier als Teilnahme am Dienst koinwni,a th/j diakoni,aj bezeichnet5 und als Gnadenwerk (ca,rij) näher bestimmt. Damit haben sie, so kommentiert Paulus in V.5, sich selbst zunächst dem Herrn und dann auch „uns“ nach Gottes Willen geschenkt (e`autou.j e;dwkan prw/ton tw/| kuri,w| kai. h`mi/n dia. qelh,matoj qeou/). Sie haben also ein „Ganzheitsopfer“ (e`autou.j e;dwkan) gebracht.6 Die Bindung an den auferstandenen Herrn (ku,rioj)7 ist der wichtigste Beweggrund ihrer Spendenaktion. Dahinter steht der Gnaden- und Heilswille Gottes. ————— 3

Gnwri,zomen in 8,1 wie 1Kor 15,1 am Anfang des Kap. D. GEORGI, Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem, ThF 38, Hamburg 1963, 52, vermutet, dass es sich um von Gegnern verursachte Nöte handelt, von denen Phil 3,2ff spricht. Es kann sich aber auch um Bedrängnisse handeln, die mit dem Christwerden zusammenhängen, vgl. M.E. THRALL, M.E. THRALL, A Critical and Exegetical Commentary on the Second Epistle to the Corinthians II: Commentary on II Corinthians VIII–XIII, ICC, Edinburgh 2000, 523: „It is more probable that their poverty was due to social ostracism and harassement on account to their new faith.“ 5 Vgl. D. ZELLER, Der erste Brief an die Korinther, KEK 5, Göttingen 2010, 522 Anm.16. 6 So mit W. SCHRAGE, Ethik des Neuen Testaments, GNT 4, Göttingen 1989, 193. Dieses Opfer ist nach Röm 12,1 die Voraussetzung jeder sittlichen Tat der Christen. 7 Nach BETZ, 2. Korinther 8 und 9, 96, ist dieser Herr Gott (wie in P 46). 4

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Die Begründung für den Spendenaufruf

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Die für Paulus überraschende Initiative8 der Makedonier9 ist für ihn ein Grund zum Jubel und zum Rühmen gegenüber den Korinthern. Nach 1Kor 16,1 hat Paulus sowohl die Galater10 als auch die Korinther zur Teilnahme an der Kollekte aufgefordert. Die Makedonier waren anfänglich offenbar nicht in das Kollektenwerk einbezogen, vielleicht weil sie sich mit Spendenaktionen für den Apostel bereits beteiligt hatten (Phil 4,16.18) und weil sie von Paulus als für die groß angelegte Kollekte für Jerusalem zu arm angesehen wurden.11 Paulus hat solches Tun offensichtlich als zutiefst aus dem Geiste Christi geboren angesehen. Darum spricht er etwas später von Christi Weg in die Niedrigkeit Christi (8,9). Was die Makedonier tun, ist Selbsterniedrigung im Sinne von Selbstverarmung zugunsten anderer. Sie haben sich vermutlich schon vorher an Phil 2,6–11 orientiert12 und haben die Aufforderung von Phil 2,4, dass einer den anderen höher achtet als sich selbst, ernst genommen. Zwei Dinge fallen in solchem Zusammenhang auf: • Dass die Makedonier über ihre Möglichkeiten hinaus gespendet haben, wie der Apostel 8,3 bezeugt, und • dass sie dies dem Herrn und ihnen zuliebe taten.

—————

8 Vgl. J. BECKER, Paulus. Der Apostel der Völker, UTB 2014, Tübingen 31998, 272: „Die makedonischen Gemeinden schließen sich dieser Aktion spontan an“. 9 Gemeint sind die Gemeinden in Philippi und Thessalonich sowie die Christen in deren Umfeld. 10 Dass Paulus in Röm 15,25 die Galater nicht erwähnt, dürfte damit zusammenhängen, dass er diese Kollekte noch nicht übernommen hat; dass die Galater sie bereits nach Jerusalem befördert haben, ist weniger wahrscheinlich. Denn wenn Jakobus die Kollekte der Galater annahm, hat er schwerlich Paulus raten können, sich erst öffentlich bei einer Aufhebung des Nasiräats zu zeigen, wie Act 21–18,25 berichtet wird. Zur Historizität der lukanischen Darstellung vgl. E. HAENCHEN, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen 121959, 542–545; J. JERVELL, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen 171998, 528–530. Dass die von Paulus überbrachte Kollekte in Jerusalem nicht angenommen wurde, wie JERVELL, a.a.O. 529f, meint, halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Dagegen spricht nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass der zweite Teil des „Wir“-Berichtes, von einem Teilnehmer der Kollektenreise verfasst wurde, vgl. D.-A. KOCH, Kollektenbericht, „Wir“Bericht und Itinerar. Neue (?) Überlegungen zu einem alten Problem, in: DERS., Hellenistisches Christentum. Schriftverständnis – Ekklesiologie – Geschichte, hg.v. F.W. Horn, NTOA/StUNT 65, Göttingen 2008, 318–339, sondern auch die Tatsache, dass der Epheserbrief die Einheit von Juden und Heiden in der christlichen Gemeinde im Jubelton feiert (2,11–22). Bei einer Verweigerung der Kollekte wären Judenchristentum und Heidenchristentum heillos auseinander gebrochen. 11 Vgl. J. WEISS, Das Urchristentum, hg.v. R. Knopf, Göttingen 1917, 270: „Paulus betont so stark ihre Freiwillligkeit, daß wir annehmen müssen, er habe bisher wegen ihrer Nöte und ihrer ‚tiefen Armut‘ (8,2) davon abgesehen, auch sie heranzuziehen.“ Es besteht kein Anlass zur zweifelnden Aussage von ZELLER, Der erste Brief an die Korinther, 533; „Es wäre also nicht so weit her gewesen mit der von Paulus 2Kor 8,3 ... so betonten Initiative.“ 12 Hinweis auf Phil 2,6–11 auch bei BETZ, 2. Korinther 8 und 9, 118f. Den Zusammenhang sieht auch F. HAHN, Theologie des Neuen Testaments II: Die Einheit des Neuen Testaments. Thematische Darstellung, Tübingen 32011, 217f.

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Die Aussage, dass sie über ihre Möglichkeiten spendeten, zeigt an, dass sie aus der Schicht der ärmeren Leute stammen. Denn bei einem Reichen kann man schwer abschätzen, ob er über seine Möglichkeiten hinaus spendet, bei Ärmeren kann man es ermessen. Die Formulierung, dass sie es „dem Herrn zuerst“ gegeben haben (8,5), wird auch auf dem Hintergrund verständlich, dass es in Philippi viele Vereine und religiöse Gemeinschaften gab, die Spenden erwarteten und auch erhielten.13

Für den Apostel ist Gottes Gnadentat entscheidend, die ein Gnadenwerk unter den Christen auslöst. Sie bewältigen die äußere Trübsal und wandeln sie in Freude. Sie achten nicht darauf, dass sie arm sind; sie geben mehr, als sie sich leisten können. Das kann Paulus nur Gott selber und seinem Gnadenwirken zuschreiben. Es kommt der Wandlung der Herzen bei der Bekehrung nahe, wo durch die Zusage des Evangeliums aus Sündern und Verirrten, aus Menschen, die ohne Sinn leben, solche werden, die den Sinn gefunden haben, aus dem Leid zur Freude stießen, aus der Selbstsucht zur Selbstüberwindung. An diese Aussagen fügt Paulus die Ankündigung der Entsendung des Titus nach Korinth an. Er soll das dort angefangene Spendenwerk vollenden (V.6). Der Abschnitt 8,1–6 erweist sich als fachgerechte Einleitung, insofern darin die beiden folgenden Themen angeschnitten werden: In V.7–15 wird Paulus für die Sammlung werben und in V.16–24 die Entsendung des Titus und der Brüder thematisieren.

Exkurs: Ca,rij in 2Kor 8f Das Wort „Gnade“ (ca,rij) tritt in diesem Abschnitt dreimal auf (V.1.4.6), dann noch zweimal kurz darauf (8,7.9) und einmal etwas später (8,19) sowie zweimal in Kap. 9 (9,8.14) im Zusammenhang der Spendenaktion. Es hat für den Apostel in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung. Darum ist eine nähere Betrachtung nützlich. In V.1 ist „Gnade“ eine Gottesaktion, die Menschenherzen wandelt, dass sie zur Selbstlosigkeit und zur Liebe finden, im konkreten Fall, dass sie sich an einer Spendenaktion mit Eifer beteiligen, das Eigene vergessen und sich der Hilfe für Bedürftige annehmen.14 Es ist eine Initiative, die Liebe im Sinne von enger Solidarität zur Folge hat. Nach V.4 geht diese „Gnadenaktion“ Gottes so weit, dass sich die Makedonier sogar ausbitten, sich an dem „Gnadenerweis“ (ca,rij)15 beteiligen zu dürfen, der hier mit „Teilhabe am Dienst“ (koinwni,a th/j diakoni,aj) näher bestimmt wird. Gemeint

————— 13

Das hat P. PILHOFER, Philippi I: Die erste christliche Gemeinde Europas, WUNT 87, Tübingen 1995, 147–152, mit vielen Belegen zeigen können. 14 Vgl. H. CONZELMANN, Art. ca,rij D. Neues Testament, ThWNT 9 (1973) 381–390: 386: Sie ermöglicht Freigebigkeit. 15 ZELLER, Der erste Brief an die Korinther, 533 Anm. 16, gibt das Wort mit „Gunst“ wieder.

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Die Begründung für den Spendenaufruf

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ist die Spendenaktion. Auch in V.6 ist das Wort im Sinne von „Gnadenerweis“ gebraucht, der diesmal als Spende von Menschen ausgeht, d.h. als „Gnadentat“ zu Gunsten anderer. So bereits 1Kor 16,3.16 In 8,7 nimmt das Wort wieder die Bedeutung von „Gnadenwirken“ an, das durch eine überfließende Liebe verursacht wurde. Im weiteren Kontext stehen Glauben, Wort und Erkenntnis.17 Das ist naheliegend, denn die Liebe ist als durch die Botschaft des Apostels (evx h`mw/n) bei den Korinthern (evn u`mi/n) bewirkt gedacht. Diese Botschaft gründet wiederum in der „Gnadentat“ (ca,rij) des Herrn Jesus Christus, der seinen Reichtum aufgab und arm wurde (V.9). Zum rechten Verständnis des Wortes „Gnade“ in diesem Abschnitt muss man also von hinten beginnen: Die eigentliche Gnadentat bewirkte der Herr, indem er Selbstlosigkeit und Liebe bekundete, seinen Reichtum als Präexistenter aufgab und die Armut des irdischen Lebens annahm und sich so mit den Menschen zu ihren Gunsten solidarisierte (V.9). Das ist die Grundlage des Evangeliums. Und die Annahme der Evangeliums (evx h`mw/n) hat ihrerseits die Wandlung der Herzen (evn u`mi/n) zur Folge, wie sie in V.1 vorausgesetzt wird, die zu einem großen Eifer für die Spendenaktion führt, welche die Gnade Gottes sichtbar werden lässt. Christi Gnadentat bewirkt durch das Evangelium aufgrund des Glaubens und der Erkenntnis die Wandlung der Herzen. Diese führt zur Liebe, zur Solidarität und damit zu einer selbstlosen Tat, die sich in der Spendenaktion zeigt. Dieses Verständnis liegt auch bei zwei weiteren Stellen im Zusammenhang mit der Spendenaktion vor. In 8,19 ist damit der „Gnadenerweis“, d.h. die Kollekte gemeint, in 9,14 die Gnade, die sich in dieser kundtut, also die „Gnadengabe“.18 Ein weiterer Gesichtspunkt eröffnet sich in 9,8, wo eine neue Begründung für die Spende gegeben wird: Gottes Gnadengabe (ca,rij), die in seinem Schöpferhandeln begründet liegt, kann den Verlust, der durch die Gabe/Spende der Achajer bei diesen entsteht, überbieten. An dieser Stelle ist es nicht mehr die Gnade Christi, die im Evangelium zugesprochen wird und vorbildlichen Charakter hat, die zur Spende motiviert. Es wird auf die Gnadenaktion des Schöpfers hingewiesen, der durch seine Gaben, die im Erwerb materieller Güter bestehen, dafür sorgt, dass die jetzigen Spender immer Genüge haben. Die Argumentation ist hier also nicht mehr christologisch, sondern weisheitlich, der Blick richtet sich nicht mehr nach hinten zum Heilsereignis hin, sondern nach oben oder nach vorne, zur Gabe des Schöpfers. Die Andersartigkeit des Verständnisses von „Gnade“ in Kap. 8 und 9 zeigt die Verschiedenartigkeit der theologischen Argumentation in beiden Kapiteln an (s.u.).

2.2 Nach der Einleitung zum Thema Spendenaktion mit der Beschreibung der Gnadentat Gottes an den Makedoniern in 8,1–6 wendet Paulus den Blick zu den Korinthern und redet sie direkt an (V.7–9). Er bescheinigt ihnen, dass sie in allen Dingen Überfluss haben und erwähnt zunächst die ————— 16 Vgl. dazu O. MERK, Handeln aus Glauben. Die Motivierungen der paulinischen Ethik, MThSt 5, Marburg 1968, 153. 17 Auch 1Kor 13,1–2 werden zuerst Reden, Glaube und Erkenntnis genannt und dann „Liebe“. Liebe wird als die Wichtigere nachgestellt, hat also Achtergewicht. 18 K. SCHOLTISSEK, Art. Gnade NT, NBL 1 (1991) 859–867: 863, möchte das Wort sogar mit „Dankesgabe“ wiedergeben.

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geistlichen Gaben. Hatte er bereits 1Kor 1,5 der Gemeinde Reichtum in Wort und Erkenntnis zugesprochen, so wird den Korinthern hier vor diesen beiden „Glaube“ bescheinigt. Glaube erscheint also als Gnadengabe wie Wort und Erkenntnis. In ähnlicher Weise wird Glaube auch in 1Kor 13,2 beschrieben. Aber er ist hier nicht „Berge versetzender Glaube“, sondern einer, der in der Rückkehr der Korinther zu dem vom Apostel verkündeten und vertretenen Evangelium besteht, über den der Apostel nicht herrschen wollte, wie er 2Kor 1,24 betont.19 Nun, da Titus die gute Nachricht hinterbracht hat (8,7–11), kann Paulus der Gemeinde „Reichtum an Glauben, Wort und Erkenntnis“ (perisseu,ete( pi,stei kai. lo,gw| kai. gnw,sei) zusprechen, ihren Eifer loben, der sich in der Sehnsucht, den Apostel zu sehen, kundgetan hat (7,7), und ihre Liebe hervorheben, die vom Apostel ausging und sich auf die Gemeinde ausgewirkt hat (th/| evx h`mw/n evn u`mi/n avga,ph|) – auch das ein Beweis des Gnadewirkens Gottes (8,7). Dass die Korinther in dieser Gnade bleiben, ist das Anliegen des Paulus (V.7c), und er zielt damit auf die Kollekte. Aber, so räumt er sofort ein, er sagt das nicht als Gebot, sondern als Beispiel, wobei am Eifer der anderen die eigene Liebe der Korinther gemessen, geprüft wird (V.8). Und als Begründung dafür führt er eine Beschreibung des Heilswerkes Christi an, der zugunsten der Korinther seinen Reichtum aufgab und arm wurde, damit sie (geistlich) reich würden (V.9); eine Beschreibung des Weges Christi aus der „reichen“ Präexistenz in das „arme“ Menschenleben, wie es ausführlich in Phil 2,6–11 beschrieben ist. Christus hat also etwas getan, was die Makedonier ihm in gewisser Hinsicht nachgemacht haben,20 wenn die Entsprechung auch nicht genau ist: Sie haben sich selbst arm gemacht, über ihre Möglichkeit hinaus gespendet, damit anderen geholfen werde.21 Einen ähnlichen Gedanken, dass nämlich Christus ein Gut aufgab, um andere zu beschenken, hatte Paulus 2Kor 5,2122 ausgesprochen, wo er meinte, dass der Ge—————

19 Nach E.-M. BECKER, Schreiben und Verstehen. Paulinische Briefhermeneutik im Zweiten Korintherbrief, NET 4, Tübingen/Basel 2002, 225, ist „Glauben“ hier als eine Tugend zu verstehen.. 20 Nach K. BERGER, Art. ca,rij, EWNT 3 (32003) 1095–1102: 1097, ist „die Tat des Christus ... das soteriologische und ethische Urbild.“ An unserer Stelle ist der ethische Gedanke hervorgehoben. Vorsichtiger SCHRAGE, Ethik, 214: „Der Gedanke des Vorbildes [ist] nicht auszuschließen.“ 21 Vgl. MERK, Handeln, 153: „Das ist in der Tat die entscheidende Begründung für ihr Tun, nämlich: In das Handeln Gottes hineingezogen ... konkret durch die Sammlung für die ‚Heiligen‘ zu handeln, und dem, was ihnen widerfahren ist, in ihrem Tun Ausdruck zu geben.“ 22 Vgl. E. GRÄSSER, Der zweite Brief an die Korinther II: Kapitel 8,1–13,13, ÖTBK 8/2, Gütersloh 2005, 31. U. WILCKENS, Theologie des Neuen Testaments I: Geschichte der urchristlichen Theologie 3: Briefe des Urchristentums. Paulus und seine Schüler, Theologen aus dem Bereich judenchristlicher Heidenmission, Neukirchen-Vluyn 2005, 127, nennt 2Kor 8,9 als diakonische Variante von 5,21.

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Die Begründung für den Spendenaufruf

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rechte ohne Sünde seine Gerechtigkeit aufgab und sich zur Sünde machen ließ, damit die Sünder Gerechtigkeit werden. 2.3 Aber der Apostel verweilt nicht bei dieser theologischen Aussage und versucht auch nicht, das Modell der Makedonier den Korinthern nahe zu legen. Er zieht den Nachfolgegedanken nicht aus, sondern geht zu Nützlichkeitserwägungen über (8,10–15). Die Forderung der Nachfolge Christi, so muss man schließen, ist nach Paulus im Umgang mit dem Geld nicht sachgemäß. Man kann Christi Beispiel persönlich auf sich selbst anwenden, wie es die Makedonier taten, aber man kann nicht erwarten oder gar fordern, dass andere es auch tun. Darum argumentiert der Apostel plötzlich weisheitlich und spricht nur die Erwartung an die Korinther aus, dass sie die im Vorjahr angefangene Kollekte (vgl. 1Kor 16,2) zu Ende bringen. Sie hätten doch damals nicht nur durch die Tat, mehr oder weniger genötigt, sondern auch mit ihrem Willen mitgemacht, hätten sich innerlich der Sache hingegeben. Die Wendung poih/sai kai. qe,lein an dieser Stelle ist ungewöhnlich, normalerweise wird sie umgekehrt als „Wollen und Tun“ gebraucht (vgl. Röm 7,15f; Gal 5,17, ähnlich Phil 2,13). Es geht hier um den Gegensatz von sich schnell begeistern oder genötigt fühlen zum eigenen Willen und Engagement. Was die Korinther sich damals vorgenommen haben (proqumi,a tou/ qe,lein, V.11), das sollen sie nun zu Ende führen. Aber, und das ist mit Blick auf die Makedonier gesagt, soweit die Mittel reichen (evk tou/ e;cein). Es soll so sein, dass es Gott wohlgefällig ist (euvpro,sdektoj), man soll nicht aus dem Mangel (evk tou/ mh, e;cein) geben. Das Vorbild Christi ist also begrenzt nachzuahmen. Der Apostel spricht zu den Korinthern in der Art hellenistischer Weisheit,23 in der die „ivso,thj als Voraussetzung und Zielvorstellung für das rechtliche und soziale Zusammenleben“24 gilt: Aus dem Vermögen, dem Besitz soll für andere gespendet werden, aber nicht mehr. Der empfangene geistliche Reichtum durch Christus soll die Hand öffnen zur Hilfe für die Mitchristen. Aber es soll kein Wechsel entstehen, sondern nur ein Ausgleich (V.13). Der gegenwärtige Reichtum soll dem Mangel der „Heiligen“ dienen, es kann die Zeit kommen, wenn deren Überfluss wieder einen Mangel der Korinther aus————— 23

Vgl. G. STÄHLIN, Art. i;soj ktl., ThWNT 3 (1938) 343–356: 346–348. D.-A. KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums. Untersuchung zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus, BHTh 60, Tübingen 1986, 258f; G. THEISSEN, Urchristlicher Liebeskommunismus. Zum „Sitz im Leben“ des Topos a[panta koina, in Apg 2,44 und 4,32, in: T. Fornberg/D. Hellholm (Hg.), Texts and Contexts. Biblical Texts in Their Textual and Situational Contexts (FS L. Hartman), Oslo u.a. 1995, 689–713, sieht die Forderung des Paulus nach ivso,thj und die Vereinbarung zur Hilfe der Armen in Jerusalem (Gal 2,10) verankert in einem Programm der Hellenisten, wonach „alles gemeinsam“ ist. M.E. kommt für diese Hypothese die Begründung mit der ivso,thj innerhalb von Kap. 8 zu spät. Sie ist Korrektur der Paulus sehr viel lieberen Einstellung, die die Makedonier mit ihrer Spendenfreudigkeit aufweisen und das, weil man mehr als ivso,thj in einer Forderung nicht begründen kann. 24

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gleicht (V.14). Zumindest theoretisch rechnet Paulus also mit der Möglichkeit, dass die Hilfe auch in umgekehrter Richtung gehen kann.25 Das wird in V.15 mit einem Hinweis auf das Mannawunder begründet (Ex 16,18), wo Überfluss und Mangel ausgeglichen wurden.26 Im Verhältnis zum LXX-Text schafft Paulus durch Wortumstellung eine „parallele Wortfolge“27: „Wer viel (besaß), hatte keinen Überfluss, und wer wenig (hatte), litt nicht Mangel.“ Der „Ausgleich“ führt also nicht zu völliger Gleichheit, sondern bloß dazu, dass es weder Überfluss noch Mangel gibt. Die Spannweite zwischen beiden kann beträchtlich sein. In Röm 15,27 wird Paulus diesen Gedanken insoweit verändern, dass er nicht mehr von „Ausgleich“ spricht, sondern davon, dass die Kollekte eine Gabe ist, mit der die Korinther den empfangenen geistlichen Reichtum aus der Jerusalemer Gemeinde irdisch vergelten. Dieser Stelle kann man auch entnehmen, dass Paulus die Kollekte als „eindrücklichen Erweis der bleibenden heilsgeschichtlichen Zuordnung der Heidenchristen zu den Judenchristen“28 verstanden hat. Die übrigen Texte lassen nur das Konzept einer selbstverständlichen „Solidarität [eines] Zeichen[s] der Verbundenheit“29 erkennen.

2.4 In der folgenden Passage (8,16–24) wird das zweite Thema des Abschnittes entfaltet: die Entsendung des Titus und der Brüder zur Beendigung der Kollekte (8,16–24). Der Apostel spricht seinen Dank an Gott für den Eifer des Titus aus (V.16f). Eifer (spoudh,) begegnet häufig in Kap. 8, nach V.7.8 noch V.16f (spoudaio,teroj) und dann wieder V.22. Es ist der gottgegebene Eifer für die Sache der Kollekte. Dieser hat bewirkt, dass Titus den Auftrag (para,klhsij)30 angenommen und aus eigenem Antrieb (auvqai,rhtoj) sich auf den Weg zu den Korinthern gemacht hat, so wie die Ma—————

25 Vgl. A. LINDEMANN, Hilfe für die Armen. Die Jerusalem-Kollekte als „diakonisches Unternehmen“, in: DERS., Glauben, Handeln, Verstehen. Studien zur Auslegung des Neuen Testaments II, WUNT 282, Tübingen 2011, 253–283: 270. Der Gedanke des Ausgleichs und die Erwägung, dass man von Jerusalem aus später einmal den Korinthern hilft, spricht entschieden gegen die These von K. HOLL, Der Kirchenbegriff des Paulus in seinem Verhältnis zu dem der Urgemeinde, in: K.H. Rengstorf (Hg.), Das Paulusbild in der neueren deutschen Forschung, WdF 24, Darmstadt 1964, 145–178: 164–169, wonach die Kollekte so etwas wie eine Tempelsteuer gewesen sei. 26 Philo zitiert in seinem Traktat peri, ivso,thtoj wie 1Kor 8,15 den Text aus Ex 16,18. Das heben auch GEORGI, Geschichte, 63, und WINDISCH, Der zweite Korintherbrief, 259, hervor. 27 KOCH, Schrift, 108. 28 W. SCHRAGE, Der erste Brief an die Korinther, 4. Teilband: 1Kor 15,1–16,24, EKK 7/4, Zürich u.a. 2001, 426. U. WILCKENS, Der Brief an die Römer, 3. Teilband: Röm 12–16, EKK 6/3, Zürich u.a. 1982, 127, spricht von einer „Verpflichtung der heidenchristlichen Missionsgemeinden der Diaspora zur Unterstützung Jerusalems als des bleibenden Mittelpunktes, wodurch die Zusammengehörigkeit aller Christen durch die Tat erwiesen werden sollte.“ 29 F. LANG, Die Briefe an die Korinther, NTD 7, Göttingen 1986, 245. 30 BETZ, 2. Korinther 8 und 9, 132–135, meint, dass para,klhsij an dieser Stelle und nur hier im Neuen Testament sogar eine rechtliche Ernennung (mandatum) ausdrückt und das gesamte Kap. das Dokument dieser Ernennung und Bevollmächtigung sei.

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Die Begründung für den Spendenaufruf

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kedonier aus eigenen Antrieb sich für die Kollekte engagiert haben (8,3). Er ist also, wie bereits V.6 aussprach, in dieser Sache selbst sehr engagiert. Gott hat, so muss man hinzudenken, auch sein Herz bewegt. Neben Titus wird noch ein Bruder nach Korinth kommen (V.18), der sich in der Mission lobenswert verhalten hat (e;painoj evn tw/| euvaggeli,w|). Der Evangeliumsprediger wird für administrative Aufgaben eingesetzt.31 Das ist wichtig, weil es um die Sache des Evangeliums geht. Er ist auch von anderen Gemeinden beauftragt worden und soll zur Ehre des erhöhten Herrn (pro.j th.n tou/ kuri,ou do,xan) wirken (V.19). Es geht also bei der Kollekte um das Werk des Herrn, das nicht misslingen soll, was immerhin auch im Denken des Apostels im Bereich des Möglichen liegt, sondern einen „dem Herrn“ entsprechenden reichen Ertrag zeitigt (a`dro,thj – „Fülle, reicher Ertrag“). Andererseits will der Apostel nicht nur vor dem Herrn, sondern auch vor den Menschen32 korrekt erscheinen, weswegen ein weiterer Mitarbeiter notwendig ist. Dafür ist ein zweiter Bruder geprüft worden, der sehr eifrig ist und sich mit Zuversicht der Aufgabe annehmen will. Er hat also offenbar administrativen Sachverstand. Alle drei aber, Titus und die beiden Brüder, sind Apostel der Gemeinden, d.h. deren Beauftragte (V.23f), und werden zur Ehre Christi (do,xa Cristou/) ihren Dienst erfüllen. Abschließend bittet Paulus um den Beweis der Liebe der Korinther, die sich in der Kollekte ausdrückt (V.24), wodurch die Korinther dem Ruhm des Apostels gerecht werden. Neben dem sichtbaren Erweis der Liebe ist dem Apostel wichtig, dass er die Korinther nicht zu schnell gelobt hat. Was sie sich vorgenommen haben (proqumi,a), soll Wirklichkeit werden. Bezeichnend für den christologischen Ansatz auch in diesem Abschnitt ist die Tatsache, dass der eine Bruder als bewährter Evangeliumsprediger vorgestellt wird und dass der Apostel zweimal von der Ehre spricht, die dem erhöhten Herrn bzw. Christus (V.19.23) zukommen soll. 2.5 Zusammenfassung: Der selbstlose Einsatz der Makedonier bewegt Paulus, an das Heilswerk Christi zu erinnern. Darum spricht er in V.9 von der „Gnade unseres Herrn Jesus Christus“, in V.5.19.21vom Herrn (ku,rioj) und in V.23 von Christus (Cristo,j). Gott steht im Kap. 8 gewissermaßen im Hintergrund. Er ist der Bewirker der Gnadentat der Herzenswandlung (8,1.5.16), die Gnadentat Christi dominiert. Aber Paulus empfiehlt den Korinthern keine Nachahmung Christi im Sinne einer Selbstentäußerung, sondern bloß eine ihren Möglichkeiten entsprechende Spende. Er weiß, dass man Selbstlosigkeit nicht einfordern kann. Wohl aber kann man eine Hilfe ————— 31

Das betont F. HAHN, Der Apostolat im Urchristentum. Seine Eigenart und seine Voraussetzungen, in: DERS., Studien zum Neuen Testament II: Bekenntnisbildung und Theologie in urchristlicher Zeit, WUNT 192, Tübingen 2006, 425–448: 427. 32 Paulus lehnt sich in der Sprache an Spr 3,4 an, verstärkt aber diese Aussage durch die Entgegensetzung ouv mo,non ))) avlla. kai,, vgl. dazu KOCH, Schrift, 138f.

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für die Armen erbitten, vorsehen und dann auch organisieren. Zur Transparenz des Vorhabens entsendet er mit Titus zwei Mitarbeiter. In Geldsachen muss man vorsichtig sein. Das ist auch eine weisheitliche Einstellung. Erstaunlich bleibt, dass die Makedonier in ihrer Spendefreudigkeit als „arm“ bezeichnet werden, und von den Korinthern ein „Ausgleich“ erwartet wird, was anzeigt, dass sie keinen Mangel haben.

3. Kap. 9 In Kap. 9 geht Paulus nochmals auf das Thema der Kollekte ein. In einem ersten Schritt (V.1–5) sagt er, dass er die Adressaten wie in 8,24, dort freilich nur marginal festgehalten, vor den Makedoniern gerühmt hatte, und begründet, warum er die Brüder zur Beendigung der Kollekte gesandt hat. Daraufhin ermuntert er zu einer der Sache angemessenen Spende (V.6–10), die er als Opferdienst (V.12) und als Ausdruck ihrer positiven Einstellung zum Evangelium (V.13) kennzeichnet, die zum Dank an Gott und zu dessen Lob führen wird (V.14f). Gegenüber Kap. 8 kann festgestellt werden, dass der Hinweis auf Christus zurücktritt und Gott eine erheblich größere Bedeutung zugemessen wird. Paulus argumentiert weitgehend schöpfungstheologisch. 3.1 Mit einer Höflichkeitsaussage beginnt Paulus, indem er feststellt, es sei nicht nötig über die Kollekte, hier „Dienstaktion für die Heiligen“ (diakoni,a th/j eivj tou.j a`gi,ouj) genannt, mehr zu schreiben (V.1). Denn, so stellt er fest, er weiß um das Vornehmen der Korinther und rühmt sich vor den Makedoniern, dass Achaja seit vergangenem Jahr bereit ist und einen anhaltenden Eifer (zh/loj) gezeigt hat (V.2). Darum, so schreibt er weiter, hat er auch die Brüder vorausgeschickt, damit sein Ruhm in dieser Hinsicht nicht zunichte werde, vielmehr die Korinther tatsächlich vorbereitet sind, wie er es früher gesagt hat (V.3). Es soll nicht geschehen, dass die Makedonier kommen und sie unvorbereitet finden, was zur Folge hätte, dass er und damit auch sie in dieser Lage (u`po,stasij)33 zu Schanden werden (V.4). Die Brüder wurden von ihm angehalten, den verheißenen Segen zum Abschluss zu bringen, damit sich die Kollekte tatsächlich als „Segen“ und nicht als Zeichen des Geizes erweist. Das zweimal verwendete Wort „Segen“ (euvlogi,a) ist in diesem Abschnitt das einzige theologische Wort. —————

33 So mit W. BAUER, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, hg.v. K. Aland/B. Aland, Berlin/New York 61988, 1699. Das Wort hat eine große Bedeutungsbreite. Zu den Möglichkeiten der Wiedergabe vgl. GRÄSSER, Der zweite Brief an die Korinther II, 50f.

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3.2 Die Begründung für die Aufforderung zu einer reichlichen Spende (V.6–10) erfolgt mit weisheitlichen Mitteln unter Verwendung alttestamentlicher Aussagen; jeder christologische Bezug fehlt.34 Begonnen wird mit einer Sentenz (V.6), die zwar dem Agrarmilieu entnommen ist,35 aber kaum eine Bauernregel wiedergibt,36 die etwa gelautet haben könnte: „Wo wenig gesät wird, wird wenig geerntet.“ Der Bauer weiß, dass die Ernte nicht in direktem Verhältnis zur Aussaat steht. Sturm oder Dürre haben einen Einfluss darauf. Indes kann die Spruchweisheit aussagen: Wer Schlechtes sät, erntet Schlimmes (o` spei,rwn fau/la qeri,sei kaka,, Spr 22,8LXX). Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Paulus diese Sentenz selbständig abgewandelt hat,37 zumal er in V.7 im zweiten Teil desselben Verses das Wort euvlogi,a durch avgapa/| ersetzt (s.u.). Vermutlich, weil er bereits vorher das Wort euvlogi,a verwendet hat. Diese Annahme liegt umso näher, als die Formulierung künstlich ist. Das Adverb feidome,nwj („spärlich, sparsam, geizig“) hat in evpV euvlogi,aij („auf Segen hin“) keine genaue Entsprechung. Man wird es mit „reichlich“ sachgemäß wiedergeben. Aber Paulus hat den Segen im Blick, der durch die Kollekte entsteht, und will darum betonen, dass das Segenswerk sich auch auf den Spender segensreich auswirkt.38 Darum überlässt er die Höhe der Spende den einzelnen Christen in Korinth (V.7). Er hat zur Großzügigkeit ermuntert, jetzt wirbt er darum, dass die Gabe der Einstellung des Herzens entspricht. Es ist daran gedacht, dass die Angeschriebenen – jeder einzeln – das bisher Gesammelte überdenken und möglichst noch etwas dazu legen; andernfalls hat die Ermahnung wenig Sinn. Die Begründung erfolgt mit einer in dichterische Sprache gegossenen Gnome, die an den zweiten Teil von Spr 22,8LXX angelehnt ist. Aus i`laro.n kai. do,thn euvlogei/ o` qeo,j wird i`laro.n ga.r do,thn avgapa/| o` qeo,j.39 Danach antwortet Gott auf die Tat des fröhlichen Spenders mit seiner Liebe, nicht mit seinem Segen. Die Spende wird nicht mit Gottes Segen aufgerechnet, —————

34 Vgl. WINDISCH, Der zweite Korintherbrief, 275: „... Aneinanderreihung von Bemerkungen, die den religiösen Wert einer echten Liebesgabe von verschiedenen Seiten her beleuchten. Auffallend ist dabei, dass die religiöse Wirkung nirgends auf Christus bezogen, nicht einmal durch ihn vermittelt gedacht wird.“ 35 Man kann mit GRÄSSER, Der zweite Brief an die Korinther, 60, vermuten, dass „die reichlich verwendeten Agrarmetaphern“ „ein Indiz dafür“ sind, dass Paulus das Schreiben „an die Gemeinden in der achäischen Landprovinz“ richtet. Aber die Handelsstadt Korinth ist dabei kaum ausgeschlossen gewesen. Darum wird man „spo,roj übertragen nehmen müssen“, wie bereits WINDISCH, Der zweite Korintherbrief, 280, feststellte. Die Agrarmetaphern gehören in den Bereich der Weisheit und setzen nicht genaue Kenntnis der Landwirtschaft voraus. Zu den Adressaten von Kap. 9 s.u. 36 Anders a.a.O. 276; GRÄSSER, Der zweite Brief an die Korinther II, 54. 37 Vgl. KOCH, Schrift, 118.140. 38 Vgl. etwa Spr 11,26: euvlogi,a de. eivj kefalh.n tou/ metadido,ntoj. 39 Zur Änderung des Zitates durch Paulus vgl. KOCH, a.a.O. 118.140.

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der dem Geber gewissermaßen das Geschenkte ersetzt, etwa in Form einer künftigen reichen Ernte oder von Kunden für den Handwerker. Es wird vorrangig auf Gottes Liebe verwiesen, die an dieser Stelle etwa die Bedeutung von „erfreute Zuneigung“ hat. Man müsste also umschreiben: „Einem fröhlichen Geber wendet sich Gott mit großer Freude zu.“ Nach dieser Korrektur des Gedankens eines direkten Zusammenhanges von Spende und Gottessegen nimmt Paulus diese Voraussetzung wieder auf, indem er sie erneut variiert. Er spricht von der Gnade Gottes und nicht vom Segen, die sich über die Korinther reichlich ergießen kann (V.8). Das geschieht in einer plerophoren Sprache, in der er die Verheißung laut werden lässt, dass Gott in jeder Hinsicht (dreimaliges pa/n) die Dinge so gestalten kann und wird, dass den Korinthern genug bleibt, auch wenn sie reichlich spenden. Als Begründung schließt er ein Zitat aus Ps 111,9LXX an (V.9), in dem Gott als Geber guter Gaben an die Armen gepriesen wird, dessen Gerechtigkeit, hier als Barmherzigkeit verstanden, ewiglich währt. Daran schließt Paulus in freier Variation von Jes 55,1040 in V.10 die Aussage an, dass Gott „dem Sämann Samen und Brot zur Speise gibt“ und so auch „geben und mehren wird euren Samen und die Früchte eurer Gerechtigkeit“. Das bedeutet, dass Gott denjenigen reich beschenkt, der seinerseits eine offene Hand hat. Und darum kann der Apostel die Erwartung aussprechen, dass die Gabe, als Gerechtigkeitstat qualifiziert, von Gott durch Wachstum vermehrt wird, sodass ein Reichtum in jeder Hinsicht entsteht, der wiederum die Spendefreudigkeit (a`plo,thj) vermehrt. 3.3 Solche Freigebigkeit führt, so Paulus, zur Danksagung (V.11). Denn die Gabe ist eine geistliche Dienstleistung und somit ein Opferdienst (leitourgi,a),41 der nicht nur den Mangel der Empfänger ausfüllt. Sie wird den Dank vieler Menschen an Gott hervorrufen (V.12). Die Christen Jerusalems werden Gott dafür preisen, dass sich die Korinther mit der Kollekte bewährt haben.42 Der darauf folgende Satz enthält geballte, nahezu hymnische Sprache mit mehreren nomina, deren Zuordnung nicht klar ist. Er muss darum genauer untersucht werden. ————— 40

Zur Differenz im Verhältnis zu Jes 55,10 vgl. a.a.O. 140. diakoni,a th/j leitourgi,aj 9,12 kann plerophorisch als Dienst in Dienstbereitschaft (Hingabe), als hingebungsvoller (Spenden-)Dienst verstanden werden. ZELLER, Der erste Brief an die Korinther, 533, übersetzt leitourgi,a mit „Dienstleistung“. Da die Kollekte, wie das Folgende zeigt, eine doppelte Funktion hat, nämlich die äußere Not zu lindern und das Dankgebet zu vermehren, wird das geistliche, auf Gott bezogene Verständnis von leitourgi,a nicht auszuschließen sein, wie dies BETZ, 2. Korinther 8 und 9, 211, vorschlägt. Auch Röm 15,27 schwingt zumindest der geistliche Sinn von leitourgh/sai mit. diakoni,a th/j leitourgi,aj wird darum am besten mit: „Kollekte geistlicher Dienstleistung“ wiederzugeben sein. Zu den verschiedenen Möglichkeiten des Verständnisses von leitourgi,a vgl. THRALL, Critical and Exegetical Commentary II, 586f. 42 Dokimh/j th/j diakoni,aj (9,13) – „Bewährung im Spenden-Dienst“, von ZELLER, Der erste Brief an die Korinther, 533, mit „Solidaritätsbeitrag“ wiedergegeben. 41

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Die Konstruktion in 9,13 (u`potagh/| th/j o`mologi,aj u`mw/n eivj to. euvagge,lion tou/ Cristou/) ist schwierig aufzulösen,43 da es sich um zwei Genitivverbindungen, u`potagh/| th/j o`mologi,aj und euvagge,lion tou/ Cristou/ handelt, die durch die Präposition eivj miteinander verbunden sind. Es kommt hinzu, dass die drei Substantive u`potagh, o`mologi,a und euvagge,lion sowohl als Substantive im Sinne von Unterwerfung, Bekenntnis, Evangelium als auch als Aktivitäten, d.h. als substantivierte Verben (Unterwerfen, Bekennen, Evangelisieren) verstanden werden können. Auch der Genitiv Cristou/ ist nicht ganz eindeutig zu bestimmen. Relativ einfach ist die Wiedergabe von u`potagh,, ein Substantiv, das vom Verbum u`pota,ssein abgeleitet und als nomen actionis im Sinne von Sich-Unterordnen, die Unterordnung, verstanden werden muss. Im Unterschied zu u`pakoh, geht es nicht um „Gehorsam“, sondern um Unterwerfung unter eine feststehende „Ordnung“ (ta,gma). Mit großer Wahrscheinlichkeit lässt sich auch sagen, dass der Genitiv Cristou/ ein genitivus obiectivus ist: das Evangelium von Jesus Christus.44 Die Frage ist, wo das Objekt der u`potagh, zu finden ist, dem sich die Korinther unterordnet haben. Es kann sich um eine Unterordnung im Hinblick auf das Evangelium handeln oder um eine unter die o`mologi,a. Sieht man im Evangelium den Bezugspunkt der Unterordnung, und das geschieht durch die meisten Ausleger, dann ist o`mologi,a als genitivus epexegeticus zu fassen, und die Wendung ist mit „Unterordnung hinsichtlich des Evangeliums, zu dem ihr euch bekennt“ wiederzugeben. Solches Verständnis ist grammatikalisch möglich, aber sachlich unwahrscheinlich. Denn: a) Eine Konstruktion von Evangelium mit einem Verhältniswort meint in den meisten Fällen die Evangeliumsverkündigung, so in den Verbindungen mit evn (Röm 1,9; 1Kor 9,18; 2Kor 8,18; 10,14; Phil 4,3), mit dia, c. gen. (1Kor 4,15), mit dia, c. acc. (1Kor 9,23) und mit evk (1Kor 9,14), ebenso mit eivj (Röm 1,1; 2Kor 2,12), unsicher aber möglich in Phil 1,5 und Gal 1,6. Die Wahrscheinlichkeit, dass mit euvagge,lion die Evangeliumsverkündigung gemeint ist,45 ist also sehr groß, zumal euvagge,lion bei Paulus auch ohne Präposition im Sinne von Evangeliumsverkündigung verstanden wird (2Kor 2,12; Phil 4,15).46

————— 43

Natürlich kann man auch vom Kontext ausgehen und von da aus den Sachverhalt beschreiben, indem man mit CH. WOLFF, Der zweite Brief an die Korinther, ThHK 8, Berlin 1989, 188, eine „überschwängliche Fülle von Nominalkonstruktionen“ feststellt, ohne eine genaue Analyse der Konstruktion vorzunehmen, und dann paraphrasiert: „Es liegt daran, dass das Sich-Bekennen der Korinther zum Evangelium vom Heilsbringer (vgl. Röm 10,9) sich in der ‚Unterordnung‘, d.h. im Sich Einfügen in der Anerkennung der Verpflichtungen gegenüber der Jerusalemer Gemeinde und auch gegenüber Paulus, der die Kollekte durchführt, äußert.“ Solche Umschreibung klärt aber nicht genug. 44 Vgl. F. HAHN, Theologie des Neue Testaments I: Die Vielfalt des Neuen Testaments, UTB 3500, Tübingen 32011, 189f: „... bei euvagge,lion tou/ VIhsou/ Cristou/ ... [wird] in der Regel [...] hervorgehoben, dass es sich um Jesus Christus als den Inhalt der Evangeliumsbotschaft handelt.“ 45 So auch H.-J. KLAUCK, Eucharistie und Kirchengemeinschaft bei Paulus, in: DERS., Gemeinde – Amt – Sakrament. Neutestamentliche Perspektiven, Würzburg 1989, 331–347: 343. 46 Zu diesem Verständnis vgl. G. FRIEDRICH, euvaggeli,zomai ktl., ThWNT 2 (1935) 705–735: 727: „Es entspricht der Herkunft des Wortes aus dem at.lich-rabbinischen Sprachgebrauch, dass das Substantiv ein nomen actionis ist. Es beschreibt die Handlung der Verkündigung.“

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b) Wenn das Evangelium Objekt der u`potagh, wäre, hätte man statt u`potagh, eher u`pakoh, wie in Röm 10,16 erwartet. Das Evangelium wird gehört und im Glauben angenommen. Es ist keine Norm, der man sich unterordnen soll. Die Ausleger ziehen erwartungsgemäß die Wendung u`pakoh. pi,stewj von Röm 1,5 zur Erläuterung heran. c) Wäre das Evangelium tatsächlich das Objekt der u`potagh,, wäre die präpositionale Wendung eivj euvagge,lion merkwürdig. Ist aber o`mologi,a das Objekt der u`potagh, und nicht euvagge,lion Cristou/, dann entsprechen sich die beiden Genitivverbindungen: Wie Cristou/ Objekt zu euvagge,lion ist, so ist o`mologi,a Objekt von u`potagh,.47 Als solches kann o`mologi,a nicht mehr als nomen actionis im Sinne von „das Sich-Bekennen“48 verstanden werden, es muss als Substantiv ernst genommen werden.49 Der Versuch, das nomen vom Verbum o`mologei/n abzuleiten, das bei Paulus auch nur Röm 10,9 gebraucht ist („Wenn du mit dem Munde bekennst: Herr ist Jesus …“) hilft wenig weiter, weil o`mologei/n dort eine Unterordnung unter den ku,rioj erwartet. An unserer Stelle aber soll man sich der o`mologi,a unterordnen. Zieht man zum Verständnis von o`mologi,a Texte außerhalb des NT heran, ergibt sich: Das Wort kann im Profangriechischen „Übereinkunft, Vertrag“ bedeuten,50 bei Aristoteles gewinnt es den Sinn von „hergestellte Einheit“, „die Harmonie zwischen Personen“, „der geltende Vertrag“. 51 Von solchen Voraussetzungen her kann man o`mologi,a als „Vereinbarung“, „Übereinkunft“ verstehen.52 Einer Vereinbarung kann man sich in der Tat unterordnen. Setzt man das Verständnis von euvagge,lion im Sinne von Evangeliumsverkündigung ein, dann spricht die Wendung u`potagh/| th/j o`mologi,aj u`mw/n eivj to. euvagge,lion von der Unterordnung unter die Vereinbarung hinsichtlich der Verkündigung des Evangeliums Christi.53 Eine solche Vereinbarung ist beim Apostelkonzil zwischen Paulus und Barnabas einerseits und Jakobus, Petrus und Johannes andererseits getroffen worden, wie Gal 2,9f zeigt. Das u`mw/n hinter o`mologi,a bezieht sich auf die ganze Genitivkonstruktion, also: „Eure Unterordnung unter die Vereinbarung“.

Die Vereinbarung beim Apostelkonzil sah vor, dass man der „Armen“ gedenkt. Im Nachsatz zu der eben untersuchten Aussage wird dies festgehalten: kai. a`plo,thti th/j koinwni,aj eivj auvtou.j kai. eivj pa,ntaj und für die ————— 47

Zum genitivus obiectivus vgl. BDR § 163. BAUER, Wörterbuch, 1153: „Euer Bekenntnis zum Evangelium äußert sich in gehorsamer Unterwerfung unter dessen Forderungen“. Vgl. O. HOFIUS, Art. o`mologi,a o`mologe,w, EWNT 2 (32011) 1255–1263: 1261: „... das Bekenntnis der Gemeinde, das sich der einzelne im Akt des persönlichen Bekennens zu eigen macht“, allerdings zum Verständnis des Begriffes im Hebräerbrief. 49 Auf dieser Linie liegt A. SCHLATTER, Paulus der Bote Jesu. Eine Deutung seiner Briefe an die Korinther, Stuttgart 1934, 610, der o`mologi,a mit „Zustimmung“, „sein Ja-Wort geben“ übersetzt. 50 Vgl. F. PASSOW, Handwörterbuch der griechischen Sprache II/1, Leipzig 21852, 468. 51 Vgl. G. BORNKAMM, HOMOLOGIA. Zur Geschichte eines politischen Begriffs, in: DERS., Geschichte und Glaube I, GAufs. III, BEvTh 48, München 1968, 140–156: 149. 52 Nach BETZ, 2. Korinther 8 und 9, 220, nimmt es in 2Kor 9 den Sinn von „Verpflichtung“ an. 53 Ausführlichere Begründung dieses Verständnisses bei H. KLEIN, Vereinbarung hinsichtlich der Mission? o`mologi,a eivj to. euvagge,lion in 2Kor 913, ZNW 103 (2012) 146–151. 48

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Lauterkeit des Gemeinschaftserweises54 bzw. die Freigebigkeit im Hinblick auf die Gemeinschaft55 ihnen und allen gegenüber. In der Vereinbarung, die Paulus nach Gal 2,9f in Jerusalem getroffen hatte, war die Kollekte für Jerusalem eingeschlossen. Nimmt man die Aussagen von V.13 zusammen, dann sieht Paulus voraus, dass die Jerusalemer Gott preisen werden, weil sich die Korinther durch die Kollekte der in Jerusalem beim Apostelkonzil getroffenen Übereinkunft bezüglich der Mission und der Hilfe für die Armen der Heiligen unterordnet haben, wie Gal 2,9f berichtet. 3.4 Besondere Beachtung verdient die gebundene Sprache in diesem Abschnitt. Sie wird im Stabreim mit dem doppelten pa/n und dem ploutizo,menoi in V.11 sichtbar, vorbereitet von V.8 mit fünffachem p.56 V.11f begegnet zweimal euvcaristi,a tw/| qew/|, in V.14 dann ca,rij tou/ qeou/ und in V.15 ca,rij tw/| qew/|. Paulus wird feierlich. Er sieht einen Gottesdienst in Jerusalem voraus (V.14). Diese prophetische Vision baut auf einem Wissen um die Art der Aufnahme von Spenden durch judenchristliche Gemeinden auf. In Mt 5,16 wird vorausgesetzt, dass die Menschen Gott preisen, wenn sie die guten Werke der Jünger Jesu sehen. Es muss bereits im Judentum und dann auch im Judenchristentum eine entsprechende Dankkultur gegeben haben. Die betende Gemeinde, die der Apostel vor sich sieht, ersehnt eine Verbindung mit den Spendern und preist Gott für seine überschwängliche Gabe. Dafür dankt er in V.15 im Voraus. Lukas berichtet seinerseits von einem Gotteslob bei der Ankunft der Delegation in Jerusalem (Act 21,20). 3.5 Zusammenfassung: In Kap. 9 bringt Paulus neben der Erklärung für die Sendung der beiden Brüder neue Argumente für die Sammlung. Sie sind weisheitlicher, d.h. schöpfungstheologischer Art. Im Zusammenhang einer Vision von der dankbaren Annahme der Kollekte erinnert er an die beim Apostelkonzil getroffene Vereinbarung hinsichtlich der Mission, die diese Sammlung mit beinhaltete. Diese Dankbarkeit führt zu einem Gotteslob durch viele.

4. Das Verhältnis von Kap. 8 zu Kap. 9 und die Ereignisse in Korinth 4.1 Kap. 8 und 9 des 2Kor erscheinen wie Dubletten. Es ist dieselbe Situation vorausgesetzt: Paulus wirbt um die Fertigstellung der Spende für Jeru—————

J. HAINZ, Art. koinwni,a ktl., EWNT 2 (22011), 749–755: 755. Vgl. die Aussage von R. BULTMANN, Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 91984, 64, die wohl diesen Text und Röm 15,27 zusammen sieht: „Denn die Kollekte hat nicht nur den Sinn einer einfachen Wohltat, sondern den eines Glaubensaktes, sofern sie den Zusammenschluss mit der Heilsgeschichte dokumentiert.“ 56 Vgl. B.-M. KIM, Die Paulinische Kollekte, TANZ 38, Tübingen/Basel 2002, 84. 54 55

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salem (8,6.11; 9,4f), wobei er gleichzeitig festhält, dass die Adressaten bzw. Achaja seit dem Vorjahr (avpo. pe,rusi, 8,10; 9.2) vorbereitet sind. In beiden Kapiteln vermerkt er das Wollen (proqumi,a) der Angeschriebenen (8,11.19; 9,2); in beiden ist Gottes Gnadenhandeln zentral (8,1.4.6.f.9.16.19; 9,8.14f); in beiden spricht er die Entsendung von Brüdern an (8,16–23; 9,3–5); beide reden von der Spendenaktion als von der diakoni,a eivj tou.j a`gi,ouj (8,4; 9,1); beide von einer Einfältigkeit (a`plo,thj) im Sinne einer Freigebigkeit (8,2; 9,11.13); beide von einer Bewährung (dokimh,) (8.2; 9,13), freilich mit verschiedener Näherbestimmung; beide sprechen vom Mangel (u`ste,rhma), der ausgeglichen werden soll (8,14; 9,12), allerdings in 8,14 im Singular, in 9,12 im Plural; beide heben das Lob (kau,chma) des Apostels hervor (8,24; 9,3); beide sprechen von der Gnade Gottes (ca,rij tou/ qeou/, 8,1; 9,14) und vom Dank an Gott (V.15 ca,rij tw/| qew/,| 8,16; 9,15); beide haben je einen als solchen gekennzeichneten Hinweis auf das Alte Testament (8,15; 9,9). 4.2 Neben diesen Gemeinsamkeiten gibt es aber drei größere Unterschiede zwischen den beiden Briefabschnitten, die sich am Wortbestand festmachen lassen: • In Kap. 8 lobt Paulus die Makedonier, um die Korinther anzureizen. Mehrfach gebraucht er Worte vom Stamme spoud- eifrig (8,7.8.16.17.22). In Kap. 9 sagt er, dass er den Makedoniern die Korinther beispielhaft dargestellt hat, und spricht in 9,2 von ihrem zh/loj. Das ist zwar auch ein Eifer, aber kein eiliger, geschäftiger, sich spontan ins Zeug legender, sondern eher ein anhaltender, dauerhafter. 2Kor 7,11 verwendet Paulus hintereinander beide Wörter und markiert damit den Unterschied. • In Kap. 8 begegnen Paulusworte, die in Kap. 9 nicht vorkommen: Dreimal wird das Wort avga,ph verwendet (8,7.8.24). Hapaxlegomena sind: auvqai,retoi (8,3.17), ivso,thj (8,13f), a`dro,thj (8,20) und der einmalige Gegensatz ptwcei,a – plou/toj (8,2.9), wobei die Armut irdisch, der Reichtum geistlich verstanden ist. • Umgekehrt lassen sich in Kap. 9 Paulusworte finden, die in Kap. 8 nicht anzutreffen sind: die paulinischen Hapaxlegomena proai,resqai (9,7), auvtarkei,a (9,8)57 und skorpi,zein (9,9), u`po,stasij im Sinne von Gegebenheit (9,4), sodann dikaiosu,nh im Sinne von Gerechtigkeitstat, Barmherzigkeitstat (9,9f), nur hier bei Paulus, ebenso die Wendung diakoni,a th/j leitourgi,aj ferner euvlogi,a (9,5f)59, euvcaristi,a tw/| qew/| (9,11.12)60, de,hsij (9,14)61, doxa,zontej to.n qeo,n (9,13)62. Es fehlt in Kap. 8 eine „meta-argumentative Aussage“63 wie sie in 9,1f vorliegt.

————— 57

Nur hier bei Paulus. vAuta,rkhj noch Phil 4,11 Leitourgi,a bei Paulus noch Phil 2,17. 30 59 Bei Paulus noch Röm 15,29; 18,18; 1Kor 10,16; Gal 3,14. 60 Nur noch 1Thess 3,9; euvcaristi,a tw/| qew/ begegnet bei Paulus häufiger, gerne am Briefeingang. 61 Noch Röm 10,1; 1Kor 1,11: Phil 1,4.19; 4,6. 62 Noch Röm 1,21; 15,6.9; 1Kor 6,20; Gal 1,24. 63 BECKER, Schreiben, 199. 58

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• Kap. 8 schreibt er im Wir-Stil, Kap. 9 im Ich-Stil.64

Auch die Art der Argumentation ist in den beiden Kapiteln sehr unterschiedlich: • In Kap. 8 dominiert zunächst die christologische Ausrichtung, zwar nicht mit Kreuz und Auferstehung,65 sondern von der Erniedrigung her (8,9). Diesem Gedanken sinnt Paulus in V.10f nach. Ab V.12 wird er praktisch und spricht den Gedanken aus, dass die Korinther nur nach der Maßgabe ihres Vermögens spenden sollen (8,12–15). In V.18 aber kehrt er zum christologischen Ansatzpunkt zurück und lobt den Einsatz eines Bruders für das Evangelium, gemeint ist für die Mission. In V.21 stellt er fest, dass er vor dem Herrn – nicht vor Gott – das Gute will und in V.23 hebt er hervor, dass die Brüder die „Herrlichkeit Christi“ darstellen. Nur in V.16, in der Überleitung, dankt er Gott. Die auf Christus bezogenen Elemente überwiegen in Kap. 8. • In Kap. 9 ist hingegen die schöpfungstheologische Argumentation vorherrschend. Der Apostel vergleicht die Kollekte mit dem Werk des Sämanns und dem Erfolg bei der Ernte (9,6–10). Gott wird sogar als Spender auch des Samens angesehen (V.10). Dikaiosu,nh – Gerechtigkeit (9,10), von der in Kap. 8 nicht die Rede war, wird als Tat des Menschen ganz im Rahmen der Spendenaktion gesehen. So nähert sich, wie im Judentum, die Bedeutung dieses Wortes dem Verständnis von „Almosen“, „Barmherzigkeitstat“. Am Ende von Kap. 9 kündigt er einen Dankgottesdienst an (9,12), in dem Gott für die Freigebigkeit der Adressaten gelobt wird (9,13).

3.3 Die Frage, wie diese beiden Schreiben miteinander und innerhalb des Gesamtbriefes zu betrachten sind, hat verschiedene Antworten bekommen66: • Kap. 9 ist vor Kap. 8 geschrieben, vor allem, weil in 9,1 am Anfang die Frage der Kollekte direkt thematisiert wird, als sei bisher darüber nicht gesprochen worden, was nach Kap. 8 wenig Sinn ergibt.67 • Kap. 9 geht nach Achaja,68 während Kap. 8 an Korinth gerichtet ist. Es sind also verschiedene Briefe, wobei offen bleibt, ob sie zur gleichen Zeit abgegangen sind.69

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64 Vgl. GEORGI, Geschichte, 57 Anm.212; A. SUHL, Paulus und seine Briefe. Ein Beitrag zur paulinischen Chronologie, StNT 11, Gütersloh 1975, 263. 65 Hervorgehoben auch von BETZ, 2. Korinther 8 und 9, 89, der allerdings unzutreffend meint, Paulus rekurriere „auf frühe[] christliche[] Traditionen wie [] in der Bergpredigt.“ 66 Ausführliche Dokumentation der Sichten bei R. BIERINGER, Teilungshypothesen zum 2. Korintherbrief. Ein Forschungsüberblick, in: DERS./J. LAMBRECHT, Studies on 2 Corinthians, BEThL 112, Leuven 1994, 67–105. 67 Vgl. R. BULTMANN, Der zweite Brief an die Korinther, hg.v. E. Dinkler, KEK Sonderband, Göttingen 1976, 258. 68 Vgl. WINDISCH, Der zweite Korintherbrief, 288; G. BORNKAMM, Die Vorgeschichte des sogenannten zweiten Korintherbriefes, in: DERS., Glaube und Geschichte II, GAufs. IV, BEvTh 53, München 1971, 162–194: 187; BETZ, 2. Korinther 8 und 9, 256; BECKER, Schreiben, 199.

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• Kap. 9 ist ein selbständiges Schreiben nach Korinth, nach Kap.8 abgefasst. 70 • Kap. 9 ist am jetzigen Platz richtig und gehört zum selben Versöhnungsbrief wie Kap. 8.71

Wir gehen davon aus, dass Kap. 8 zu dem Versöhnungsbrief gehört und an Kap. 7 angeschlossen war.72 Dafür gibt es zwei Argumente: • Paulus kann die Bereitschaft der Makedonier, sich an der Kollekte zu beteiligen, bereits in der kurzen Zeit erfahren haben, bevor Titus mit der Nachricht aus Korinth eintraf. Diese Bereitschaft dürfte auch der Grund gewesen sein, weswegen Paulus sich entschloss, noch eine Zeit in Makedonien zu bleiben und nicht sofort nach Korinth zu reisen. • Von Titus ist in Kap. 7 mehrfach die Rede (V.6.13.f, vgl. aber schon 2,13) ebenso in Kap. 8 (V.6.16.23), aber nicht mehr in Kap. 9.

Gegen die Zugehörigkeit von Kap. 8 zum Versöhnungsbrief kann man allenfalls anführen, dass der Versöhnungsbrief sehr rasch nach der Ankunft des Titus geschrieben wurde und der Apostel kaum Zeit gehabt haben dürfte, mit den Makedoniern über die Kollekte zu sprechen, für die sie sich dann spontan entschieden. In diesem Falle muss man annehmen, dass Kap. 8 etwas später als der Versöhnungsbrief abgefasst wurde und ihm bei einer Zusammenlegung mit dem Versöhnungsbrief das Präskript entfernt wurde. Das ist nicht auszuschließen. Es handelt sich dabei um eine Einschätzung der Zeit, in der Paulus auf Titus in Makedonien wartete. Für das Verständnis von Kap. 8 sind solche Erwägungen aber kaum weiterführend, da Kap. 8 in jedem Fall nach dem Eintreffen des Titus in Makedonien geschrieben wurde. Dass Kap. 9 vor Kap. 8 geschrieben wurde, ist wenig wahrscheinlich, besonders weil in 9,3 von Brüdern die Rede ist, deren Entsendung erst 8,16– 24 angekündigt wird. Wenig wahrscheinlich ist auch, dass Kap. 9 Teil eines Briefes nach Achaja ist, der parallel oder zugleich mit Kap. 8 abging.73 Da die Argumentation zwischen beiden Schreiben sehr verschieden ist, kann man kaum annehmen, dass es sich um zwei zu gleicher Zeit geschriebene Texte handelt. Befremdlich ist bei dieser Annahme auch, dass in Kap. 8 die Makedonier vor den Korinthern (8,1–5), in Kap. 9 die Achajer vor den Makedoni—————

69 Vgl. PH. VIELHAUER, Geschichte der urchristlichen Literatur, Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die apostolischen Väter, Berlin/New York 1975, 153. 70 Vgl. THRALL, Critical and Exegetical Commentary II, 42f. 71 Vgl. U. SCHNELLE, Einleitung in das Neue Testament, UTB 1830, Göttingen 72011, 102f. 72 Anders GEORGI, Geschichte, 56f. 73 LANG, Die Briefe an die Korinther, 317, denkt sich die Sache so, dass „Kap.8 zur Verlesung in Korinth und Kap.9 zur Verlesung in den Landgemeinden bestimmt [war]“. Nach BIERINGER, Teilungshypothesen, 103, „wächst ... die Bereitschaft, beide Kollektenbriefe im Versöhnungsbrief zu akzeptieren.“

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ern gelobt werden (9,2). Soll man sich die Sache so denken, dass die Achajer sich anders verhalten haben als die Korinther, die vielen Kleinstgemeinden also vorbildlich waren, die große Gemeinde Korinth indessen nicht? Wenn die Achajer sich anders verhalten haben sollten als die Korinther, warum werden den Korinthern nicht die Achajer als Vorbild hingestellt? Indes, Paulus spricht im 2Kor zwar die Korinther als solche an (2Kor 6,11), sagt aber im 1Kor, dass Stefanas der Erstling aus Achaja ist (1Kor 16,15), d.h. er hat in diesem Fall das Missionsgebiet im Auge. Im Zusammenhang der Kollekte nennt er die Provinzen,74 Makedonien allein in 2Kor 8,1; 9,2.4 und zusammen mit Achaja in Röm 15,26. Es kommt hinzu, dass nach 2Kor 1,1 der „Versöhnungsbrief“ (1,1–2,13; 7,5–8,24) und damit wohl auch Kap. 8 an die Achajer mitadressiert ist. Die Wahrscheinlichkeit ist also recht groß, dass Paulus mit „Achaja“ in 9,2 Korinth und sein Umfeld meint, also die Provinz. 4.4 Viel näher liegend ist es darum, das Brieffragment nach Korinth adressiert zu sehen. Der Neueinsatz in 9,1 mit peri. me,n nimmt in diesem Falle auf eine Anfrage aus Korinth Bezug, entsprechend den Einleitungen mit peri. de, in 1Kor 8,1; 12,1, nachdem Paulus in 1Kor 7,1 ausführlicher mit peri. de. w-n evgra,yate auf Anfragen zu antworten begonnen hatte. Bei 1Kor 16,1 ist der Rekurs auf eine briefliche Anfrage weniger sicher, doch besteht zumindest Anlass zur Annahme, dass Paulus hier das Thema nicht erstmalig anschneidet, da er die Forderung nach einer Kollekte nicht begründet, sondern sich „ausschließlich auf Fragen der praktischen Durchführung“75 beschränkt. Für eine solche Anfrage, wie sie für 9,1 vorausgesetzt werden kann, lässt sich aber keine Situation vor dem Versöhnungsbrief und auch nicht in demselben finden. Die Anweisungen zur Kollekte in 1Kor 16,1f sind klar. Da hat es kaum Rückfragen geben können. Die folgenden Auseinandersetzungen, von denen wir im 2Kor erfahren (vgl. bes. 12,16– 18), haben vermutlich die Kollekte ins Stocken gebracht.76 Von da aus scheint der Appell an die Korinther in 8,1 als Fortsetzung des Versöhnungsbriefes und die Angabe des Vorbildes der Makedonier durchaus verständlich. Die Wahrscheinlichkeit ist somit groß, dass Kap. 9 ein späterer Brief des Apostels ist, der auf eine Anfrage aus Korinth antwortet. Dafür gibt es freilich keinerlei Daten, die weiterhelfen könnten, außer jenen in Kap. 9 selbst. —————

74 Sie decken sich hier mit den Provinzen. Zur Bevorzugung von Provinzen durch den Apostel vgl. D. SÄNGER, Die Adresse des Galaterbriefes. Neue (?) Überlegungen zu einem alten Problem, in: M. Bachmann/B. Kollmann (Hg.), Umstrittener Galaterbrief. Studien zur Situierung der Theologie des Paulusschreibens, BThSt 106, Neukirchen-Vluyn 2010, 1–56: 23. 75 H. MERKLEIN/M. GIELEN, Der erste Brief an die Korinther III: Kapitel 11,2–16,24, ÖTBK 7/3, Gütersloh 2005, 402. 76 Vgl. LANG, Die Briefe an die Korinther, 316; BECKER, Paulus, 25.

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So muss man annehmen, dass eine Anfrage aus Korinth den Apostel erreichte, die durch den Versöhnungsbrief und besonders durch Kap. 8 verursacht war. 4.5 Um die Situation zu verstehen, muss man sich zunächst in die Lage des Paulus bei der Abfassung des Versöhnungsbriefes (1,1–2,13; 7,5–8,24) versetzen und anschließend den Brief des Paulus mit den Ohren der Korinther zu hören suchen. Es geht also um ein doppeltes Verständnis von Kap. 8: zunächst von der Situation des Paulus in Makedonien (die Meinung des Autors) und dann von der Situation der Leser her. 4.5.1 Bei der Abfassung von Kap. 8 ist Paulus begeistert gewesen von der Spontaneität der Makedonier, die sich von sich aus bereit erklärt hatten, an der Kollekte mitzuwirken, wiewohl das bis dahin nicht verabredet worden war. Die Begeisterung der Makedonier hat nicht nur den Apostel, sondern auch Titus angesteckt, der sich sofort bereit erklärt hat, sich um die Kollekte in Korinth zu kümmern. Aus solch hoher Stimmung heraus schreibt der Apostel an die Korinther, voll des Lobes über die Makedonier, in der Hoffnung, dass sich die Korinther anstecken lassen. 4.5.2 Die Korinther aber haben Kap. 8 im Zusammenhang des Versöhnungsbriefes (1,1–2,13; 7,5–8,24) gelesen. Um zu verstehen, wie sie ihn aufgenommen haben können, muss zunächst die Situation bedacht werden, auf die der Versöhnungsbrief antwortet. Der Brief geht am Anfang auf die Enttäuschung der Korinther ein, dass Paulus von Ephesus her nicht zu ihnen kam, sondern nach Troas und dann nach Makedonien aufgebrochen war und Titus gebeten hatte, ihm entgegen zu kommen (1,15–17). Titus hatte bei seiner Ankunft in Makedonien ihm von dieser Enttäuschung berichtet und gleichzeitig die Sehnsucht der Korinther ausgesprochen, den Apostel zu sehen (7,7). Statt sich aber sofort auf die Reise nach Korinth zu begeben und gegebenenfalls später nach Makedonien zurückzukehren, um von da die Reise nach Jerusalem anzutreten, wie er es dann tatsächlich später tat (Act 20,3), war er nach der Ankunft des Titus in Makedonien geblieben und hatte der Gemeinde den Versöhnungsbrief geschrieben, in dessen Abschluss (8,1–5) er die Spendenbereitschaft der Makedonier pries. Dass die Korinther selbst Rühmenswertes bis dahin im Hinblick auf die Kollekte geleistet hatten, war in einem kleinen Nebensatz im Rahmen eines Appells vermerkt worden (8,24), wo er auch vom „Erweis der Liebe“ der Korinther spricht. Wahrscheinlich meinte der Apostel, beeindruckt von der Spendenbereitschaft der Makedonier, dass er noch einige Zeit bei ihnen bleiben müsse und dass die Korinther auf seinen Besuch durchaus ein wenig warten könnten, da die Sammlung der Kollekte sowieso längere Zeit in Anspruch nahm. Die Apostelgeschichte berichtet darüber nichts. In solcher Lage dürften die Korinther den Brief nicht nur mit Freude aufgenommen haben. Schon die Tatsache, dass der Apostel nicht selber ge-

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kommen war, sondern Titus mit einem Brief zurückgeschickt hatte, dürfte sie befremdet haben. Hinzu kam, dass ihnen wie schon im vorhergegangenen Tränenbrief die Makedonier in ihrer Spendenfreudigkeit als Vorbilder hingestellt worden waren (11,9); eine Spende, die seinerzeit dazu dienen sollte, den Apostel bei seinem Aufenthalt in Korinth von den Christen dieser Stadt unabhängig zu halten. Offensichtlich haben die Korinther zum Geld eine andere Beziehung gehabt als die Makedonier. Solches erneute Lob der Makedonier konnte besonders schmerzlich sein, da die Korinther schon längst (avpo. pe,rusi) mit der Kollektensammlung begonnen hatten, wie ihnen der Apostel sogar im Brief bezeugt hatte (8,10f). Zudem hatte der Apostel ihnen noch „zwei Brüder“77 gesandt, welche den Gang der Kollekte begleiten sollten.

Exkurs: Unterschiedlicher Umgang mit dem Geld in Makedonien und Achaja Es ist bekannt, dass Bauern und Handwerker bzw. Tagelöhner unterschiedlich mit Geld umgehen. Bauern müssen für ein ganzes Jahr planen und haben eher Lebensmittel als Geld. Um Geld zu bekommen, müssen sie Lebensmittel, in der Regel Getreide, Wein oder Mastvieh verkaufen. Sie planen also für ein Jahr, von Ernte zu Ernte oder auf mehrere Jahre hin. Handwerker hingegen bekommen für jedes ihrer Werkstücke bezahlt. Sie haben, was sie an Gütern besitzen, weitgehend in Geld. Tagelöhner wiederum erhalten täglich ihre Entlohnung, müssen aber mit Unsicherheiten rechnen und darum ist Sparsamkeit bei ihnen angebracht. Weniger bewusst ist, dass Menschen mit Geld anders umgehen, wenn sie arm sind, sich Sparen also nur begrenzt lohnt, als wenn sie ein wenig mehr Geld haben, als sie unbedingt brauchen, und auch relativ viele Möglichkeiten sehen, mit dem überschießenden Geld etwas anzufangen. Reiche gehen mit ihrem Geld dann nochmals anders um. Auch wenn sie viel spenden, geben sie kaum etwas weg, was ihr Leben ein-

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77 Es ist längst aufgefallen, dass die Namen der beiden Brüder in 2Kor 8,18 und 8,23 fehlen. Es liegt nahe, nach der Identität derselben zu fragen. Der eine wird als Abgesandter vieler Gemeinden angegeben (8,18). Bei beiden wird erwartet, dass sie die Kollektenreise nach Jerusalem mit antreten (8,23). Von den Act 20,4 genannten Namen kommen da nur Trophimus und Tychikus in Frage (so bereits WEISS, Urchristentum, 270; THRALL, Critical and Exegetical Commentary II, 562). BECKER, Paulus, 272, meint, die beiden Begleiter kämen aus Makedonien. Zur Echtheit der Namen vgl. KOCH, Kollektenbericht, 327. Da diese beiden aus Ephesus stammen und auch nach Paulus eine herausragende Rolle gespielt haben dürften, wie für Tychikus Kol 4,7; Eph 6,21; 2Tim 4,12 und Tit 3,12, für Trophimus 2Tim 4,20 zeigen, und Trophimus, wie Act 21,29 zeigt, mit Paulus in Jerusalem war, ist durchaus vorstellbar, dass ihre Namen im Zuge einer Redaktion getilgt wurden, damit man sie nicht wegen des Geldtransportes behelligt. Das wäre umso verständlicher, wenn die Paulusbriefe in Ephesus gesammelt wurden. Zu dieser Möglichkeit vgl. SCHNELLE, Einleitung, 398f.

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schränkt. Diese Tatsache reflektiert bereits die Erzählung von der Spende der armen Witwe (Mk 12,41–44). Makedonien war eine römische Provinz, in der, wie aus antiken Quellen hervorgeht, die Armut „allgemein zur Lebenswirklichkeit gehörte“78. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Christen aus Makedonien sich aus der Schicht der Handwerker rekrutierten und relativ arm waren. Für Philippi hat P. Pilhofer zeigen können, dass die in „Handwerkszweigen Arbeitenden ... noch im zweiten Jahrhundert mindestens überwiegend Griechen waren“79 und dass „die Maurer und Bauhandwerker ... griechisch“80 sprachen. Dasselbe gilt für die „Purpurfärberei und den Purpurhandel“81. Paulus wendet sich an Griechisch-Spechende. Für Thessalonich aber hat G. Haufe wahrscheinlich gemacht, „... dass sich die junge Gemeinde offensichtlich aus Leuten zusammensetzt, die ihrerseits von Handarbeit lebten ...[,] man die ersten Christen überwiegend in der unteren Schicht von Lohnarbeitern, selbständigen Handwerkern und Kaufleuten [wird] suchen müssen.“82 Das erklärt soziologisch die Spendefreudigkeit der Makedonier. Sie waren arm und konnten mit dem Erworbenen „nicht weit springen“, wie man heute sagt. In Korinth hingegen, der großen Hafenstadt, dürften die Angebote zur Verschönerung des Lebens vielfältig gewesen sein. Und nicht nur die Angebote. Die unter Cäsar neu besiedelte junge Stadt war kosmopolitisch orientiert: „Viele Bürger waren wohlhabend. In der Tat wurden Wohlstand und seine ostentative Zurschaustellung ein typisches Zeichen von Korinth.“83 Unter den Christen gab es Wohlhabende, wenn auch nicht allzu viele, wie 1Kor 1,26 festhält,84 es gab solche, die es sich leisten konnten, beim Herrenmahl zu schwelgen, während andere hungerten (1Kor 11,21). In 1Kor 16,1f weist der Apostel darum an, dass man wöchentlich einen Beitrag für die Kollekte beiseite legt, vermutlich aus dem Wissen heraus, dass man weniger auf einmal zu geben bereit ist, wenn man aufgefordert wird, als wenn man wöchentlich spart. Die Korinther oder zumindest einige von ihnen waren, wie man 2Kor 2,17 entnehmen kann, eher bereit, einen „Apostel“ für seinen Dienst zu bezahlen als eine größere Spende für Leute in weiter Ferne zu geben. Darum stellt Paulus heraus, dass er den Eifer und die Liebe als echt erkennen möchte (8,10), sagt aber nicht, dass er für die Korinther betet, dass sie dieselbe Gnadengabe aufbringen wie die Makedonier. Er spricht davon, dass die kärgliche, zögerliche Aussaat kärgliche Ernte bringt (9,6). Offensichtlich neigten einige Christen in Korinth zur Zurückhaltung im Geben. Er aber, Paulus, sucht „Segen“, nicht „Geiz“ (9,5).

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78 BETZ, 2. Korinther 8 und 9, 89; vgl. a.a.O. 100: „Es ist leicht zu verstehen, warum Paulus die wirtschaftliche Lage der Makedonier als ‚tiefe Armut‘ (8,2) beschrieb, denn dies beschrieb geradezu sprichwörtlich den Zustand des Landes.“ 79 PILHOFER, Philippi, 82. 80 A.a.O. 85. 81 A.a.O. 82. 82 G. HAUFE, Der erste Brief des Paulus an die Thessalonicher, ThHK 12/1, Leipzig 1999, 11. 83 BETZ, 2. Korinther 8 und 9, 104. 84 Einige sind bei ZELLER, Der erste Brief an die Korinther, 37–39, aufgezählt.

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4.6 Bei aller Vorsicht, die man bei einer Rekonstruktion der Ereignisse walten lassen muss, wird man aus diesen Erwägungen schließen dürfen, dass die Korinther oder einige von ihnen nach dem Erhalt des Briefes beschlossen haben, Paulus einen kurzen Brief zu schreiben, in dem sie ihren Unmut darüber bekundeten, dass er die Spendefreudigkeit der Makedonier als vorbildlich pries und ihnen zusätzlich die beiden Brüder geschickt hatte, gewissermaßen als Inspektoren. Gleichzeitig stellten sie die Frage, warum er so zu handeln beschlossen hatte. Dieses Schreiben der Korinther dürfte sehr sachlich und ohne kränkende Emotionen verfasst worden sein, denn Paulus reagiert auch sachlich und nicht betroffen. 4.7 Der Apostel nimmt mit peri. me,n85 auf den Brief Bezug und geht darauf in 9,2–5 ein. Er schreibt in der 1. Pers. Sing, hat also keinen weiteren Begleiter bei sich, mit dem er sich zusammenschließt. Zunächst spricht er aus, dass er den Makedoniern das Kollektenwerk der Korinther ebenso als vorbildlich hingestellt hatte (9,2) und begründet ausführlich die Sendung der beiden Brüder (9,3–5). Darüber hinaus spricht er die Erwartung aus, dass die Gabe der Korinther groß (im Segen) sei. Er weist auf Gottes Segenshandeln hin (9,6–10) und drückt die Hoffnung aus, dass die Kollekte zu einem gewaltigen Dank an Gott führt (9,11–14). Ein persönlicher Dank an Gott schließt das Schreiben ab (9,15). Es musste nach der Richtigstellung in 9,2–4 eine ganz andere Argumentation liefern, warum die Kollekte ihm und auch für die Korinther und ihren Glauben wichtig war. 4.8 So gesehen ergibt Kap. 9 nach Kap. 8 durchaus Sinn. Vorausgesetzt ist allerdings, dass der Apostel sich mehrere Wochen in Makedonien aufhielt und auch bei dem Schreiben von Kap. 9 nicht die Absicht hatte, sehr rasch von dort nach Korinth zu reisen. Er wollte offensichtlich die Sache der Kollekte in Makedonien zu Ende bringen. Und das benötigte Zeit,86 denn Makedonien war eine große Provinz. Dass bei der Reise nach Jerusalem in Act 20,4 ein Sopater aus Beröa und weitere zwei Brüder, nämlich Aristarchus und Sekundus aus Thessalonich angegeben sind, spricht dafür, dass die Aktion dort nicht nur abgeschlossen worden ist, sondern die Gemeinden auch Begleiter nach Jerusalem stellten. Der Verfasser des „WirBerichtes“ dürfte Makedonier gewesen sein.87 4.9 Zusammenfassung: Die beiden Spendenaufrufe in 2Kor 8 und 9 sind an die Gemeinde in Korinth gerichtet und damit auch an Christen in ganz Achaja. Kap. 8 enthält das ältere Schreiben, das wahrscheinlich mit dem Versöhnungsbrief (1,1–2,13; 7,5–8,24) zusammen nach Korinth ging. Kap. —————

85 Das ga,r in 9,1 geht wie jenes in 7,5 auf den Redaktor zurück, der den 2Kor in seine jetzige Form brachte. 86 Vgl. BECKER, Paulus, 272: „Solche Sammlung in einer ganzen Provinz dauert etwas länger.“ 87 Vgl. KOCH, Kollektenbericht, 328.

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9 ist die Antwort auf eine Anfrage aus Korinth, die dort im Anschluss an die Lektüre von Kap. 8 und die Entsendung von Titus und die zwei Brüder entstanden ist. Die Annahme, dass Kap. 9 nach Achaja ging und Korinth nicht erreichte, ist nicht wahrscheinlich zu machen.

5. Ergebnis Nach diesem Durchgang durch die Texte lässt sich feststellen: Anders als bei den Werbungen um eine Spende bis auf den heutigen Tag macht der Apostel Paulus nie auf die Not der Empfänger der Spende aufmerksam. Er weist auch nicht darauf hin, dass die empfangenen Geldsummen gut angewendet werden. Das war unter Christen jener Zeit selbstverständlich. Aber er entsendet Brüder, die zumindest garantieren sollen, dass die Spende korrekt übergeben wird. Dass er keine Notbeschreibung vornimmt, hängt damit zusammen, dass er die Korinther bereits vor der Abfassung des 1Kor über die Notwendigkeit der Spendenaktion informiert hat (1Kor 16,1f). Dass ein Mangel in Jerusalem besteht, wird aus der Betonung der ivso,thj, des Ausgleichs, sichtbar. Den Üblichkeiten bei Spendenaufrufen unserer Zeit entspricht das Lob der Makedonier in einem Brief an die Korinther (8,2–5) und das Lob der Achajer vor den Makedoniern (9,2). Darüber hinaus bietet Paulus eine seiner Gesamttheologie entsprechende Begründung. Danach ist die Gnadentat Gottes die Voraussetzung der Spendenaktion in beiden Kapiteln. In Kap. 8 wandelt sie die Herzen der Makedonier, so dass sie sich spontan und unerwartet dazu entschließen, sich an der Kollekte zu beteiligen und über ihre Möglichkeiten hinaus spenden. Das veranlasst den Apostel an den Urgrund ihres Glaubens, das Heilswerk Christi, zu denken, das sich in seiner Erniedrigung zugunsten der Menschen gezeigt hat (8,9). In Kap. 9 schenkt die Gnade des Schöpfergottes materielle Werte, wie er dem Säenden Samen gibt und die Ernte reifen lässt (9,10). Die Kollekte kann sogar zu einer überschwänglichen Gnadengabe Gottes führen (9,14) In den beiden Kapiteln fehlen die theologisch sonst wichtigen Worte des Paulus wie Gerechtigkeit Gottes, Rechtfertigung aus Glauben, Rettung, in Christus, Gemeinde, Gehorsam, Geist, Kreuz, Versöhnung, neues Leben. Es fehlen also viele in der Evangeliumsverkündigung spezifische Termini. Bloß der Bezug dazu bleibt, allerdings formelhaft in 9,13 (eivj to. euvagge,lion tou/ Cristou/) und inhaltlich in 8,9 auf Christi Erniedrigung bezogen. Es begegnen andere wichtige theologische Ausdrücke, die allerdings in eine deutlich weisheitliche Argumentation integriert sind: Gnade Gottes, Gemeinschaft/Teilhabe (koinwni,a), Unterordnung, Eifer, Bedrängnis,

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Die Begründung für den Spendenaufruf

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Dienst, Dank an Gott. Der weisheitliche Sprachgebrauch in der Begründung der Kollektenaktion dominiert, aber weder in Kap. 8 noch in Kap. 9 fehlt ein deutlicher Hinweis auf das Evangelium. Kap. 8 ist zentriert um den Gedanken des Ausgleichs, der ivso,thj. Ausgehend davon, dass Christus seinen himmlischen Reichtum aufgegeben hat, um „uns“ reich zu machen (8,9) und dadurch den Unterschied zwischen den Himmlischen und den Irdischen zu verkleinern, wird von den Korinthern erwartet, dass sie auch dazu beitragen, den sozialen Unterschied zwischen ihnen und den Christen in und um Jerusalem geringer werden zu lassen. Erwartet wird aber nicht Nachahmung Christi, sondern die Ermöglichung eines gewissen Ausgleichs, wobei zumindest theoretisch die Möglichkeit eingeräumt wird, dass sich die Sache einmal umkehrt und die Korinther von den Jerusalemern unterstützt werden. Zur Begründung der Kollekte weist Paulus in Kap. 8 auf die Makedonier hin, um die Korinther mit Eifer zu erfüllen. Dieses Handeln ist aber nicht nachzuahmen. Gespendet werden soll nach Maßgabe des Habens. Ausgleich kann auch so sein: Ihr habt geistliche Güter empfangen(Glaube, Wort, Erkenntnis, Eifer), gebt ihr eurerseits irdische weiter. Oder wie 8,7: Weil ihr darin reich seid, werdet reich auch im Geben (Gnadenwerk). In Kap. 9 wird nicht auf die Tat des Christus in der Vergangenheit, sondern auf das Wirken Gottes in der Schöpfung gesehen: Gott schenkt, wie der Sämann erfahren kann, Wachstum und Gedeihen. Das bedeutet: Zuerst muss gesät werden. Es soll in dem Wissen geschehen, dass Gott auch den Samen gibt. Niemand gibt vom Eigenen, alles ist geschenkt. Wer aber weitergibt, erfährt den Reichtum der Gottesgabe, er wird reicher, zumindest geistlich. Aber seine Tat führt darüber hinaus auch zum Gotteslob und zur Festigung der Gemeinschaft. Die Beschenkten sehnen sich nach den Spendern (9,14), denn sie erkennen, dass sie sich einem Vertrag zur Förderung der Mission untergeordnet haben. Darum klingt auch der Aufruf in Kap. 9, besonders in 9,12f, in einer theologisch geballten Sprache aus. Im Hintergrund steht die Vision eines Dankgottesdienstes der Jerusalemer Gemeinde. Sie läuft auf den großen Lobpreis Gottes hinaus, vergleichbar dem hymnischen Abschluss der Diskussion über Israel in Röm 11,33–36. Der Apostel schaut hier nicht mehr zurück auf die Gemeinden Makedoniens und das Heilswerk Christi, sondern nach vorne, auf das Ergebnis, den Erfolg. Er stimuliert seine Adressaten damit, dass er ihre Tat von daher als sinnvoll erscheinen lässt. Der Gedanke einer möglichen Umkehrung der Spendenaktion, wie sie 8,14 ausgesprochen ist, wird Röm 15,27 aufgegeben. Der Apostel spricht nur noch davon, dass die Christen aus den paulinischen Gemeinden irdisch zurückgeben, was sie geistlich an Reichtum von den Jerusalemern erhalten haben. Das ist eine Weiterführung der Gedanken von 2Kor 8.

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In beiden Kapiteln fehlt ein Hinweis auf die ewige Entlohnung. Nach Kap. 8 hat die erwartete Spende der Korinther einen Grund im Heilswerk Christi und in Gottes Gnade, die Menschenherzen wandelt. Nach Kap. 9 hat sie ein Ziel, das vielfältige Gotteslob. Im Gotteslob erreicht das menschliche Tun seine höchste Erfüllung. Dass Menschen durch ihr Tun bei Gott etwas erreichen und sei es auch nur eine wie immer geartete irdische oder gar himmlische Vergeltung, wie etwa Mt 6,2–48 vorausgesetzt wird, ist nicht im Blickpunkt. Die Christen sind eben schon „gerechtfertigt aus Glauben“. Ihr Wirken gründet in Gottes Gnade und Christi Heilswerk und hat im Gotteslob sein Ziel.

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Andreas Lindemann

„... an die Kirche in Korinth samt allen Heiligen in ganz Achaja“ Zu Entstehung und Redaktion des „2. Korintherbriefs“

Die Frage, ob der neutestamentliche 2Kor ein in der uns überlieferten Form ursprünglich verfasster, also literarisch einheitlicher Brief ist, oder ob es sich um einen durch die Redaktion mehrerer Paulusbriefe geschaffenen Text handelt, wird seit Beginn der historischen-kritischen Forschung am Neuen Testament diskutiert1 und hat bis heute keine allgemein überzeugende Antwort gefunden.2 Schon J.S. Semler (1725–1791) hatte darauf hingewiesen, dass wir die paulinischen Briefe nicht im Original besitzen und dass deshalb ein kanonischer Paulusbrief nicht von vornherein mit dem

————— 1 Wie lebhaft die Debatte zeitweilig sein konnte, zeigt das zweite Heft der ZNW im Jahre 1973; es enthielt Aufsätze von W. Schmithals und direkt folgend von N. Hyldahl, in denen die Frage nach der ursprünglichen literarischen Gestalt der Korintherbriefe gegensätzlich beantwortet wurde. W. SCHMITHALS, Die Korintherbriefe als Briefsammlung, ZNW 64 (1973) 263–288, fand in beiden Korintherbriefen insgesamt neun Briefe des Paulus redaktionell verarbeitet; N. HYLDAHL, Die Frage nach der literarischen Einheit des Zweiten Korintherbriefes, ZNW 64 (1973) 289–306, beantwortete die Frage nach der literarischen Einheit positiv. 2 Das gilt grundsätzlich natürlich für nahezu alle Bereiche der neutestamentlichen Exegese; aber während in der Exegese der meisten Paulusbriefe literarkritische Erwägungen eine vergleichsweise geringe Rolle spielen, ist 2Kor außerordentlich umstritten. TH. SCHMELLER, Der zweite Brief an die Korinther I: 2Kor 1,1–7,4, EKK 8/1, Neukirchen-Vluyn/Ostfildern 2010, 25, weist darauf hin, „eine (wachsende) Minderheit von Exeget/innen“ vertrete „die Einheitlichkeit des 2Kor“. Die Argumente auf beiden Seiten haben sich in den letzten Jahrzehnten inhaltlich kaum verändert. Eine sehr eingehende, allerdings auf einer eher schmalen Literaturbasis beruhende Untersuchung zu allen in Frage kommenden Paulusbriefen hat P. Beier vorgelegt: P. BEIER, Geteilte Briefe? Eine kritische Untersuchung der neueren Teilungshypothesen zu den paulinischen Briefen, Diss. masch., Halle 1984; er setzt sich im Blick auf 2Kor mit Schmithals und G. Bornkamm auseinander und kommt zu dem Ergebnis, es gebe für die Literarkritik der Paulusbriefe, nicht zuletzt angesichts ihrer geringen Zahl, keine klaren Kriterien: „Die Literarkritik im Bereich der Paulusbriefe erweist sich somit als ein zur Zeit nicht gangbarer Weg zum besseren Verständnis dieser neutestamentlichen Schriften.“ Das bedeute nicht, dass „die Literarkritik an den Briefen des Paulus an sich ein Irrweg ist“ (a.a.O. 223). Herrn Kollegen U. Schnelle (Halle) danke ich für die Möglichkeit, die Arbeit von P. Beier einzusehen.

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ursprünglich verfassten Brief identisch sein müsse;3 vielmehr sei es möglich, dass die kirchlichen „Vorlesungsschriften aus einem Aneinanderreihen oder einem Ineinanderarbeiten von verschiedenen Briefen entstanden sind“, und „daß man schriftliche Anweisungen und Aufträge, die ursprünglich für sich existierten, in späteren Abschriften den Briefen anhängte, um nichts von der Erbschaft des Apostels verloren gehen zu lassen“.4 Trotz der nicht mehr überschaubaren Literaturfülle zu dem Thema5 soll in diesem D.-A. Koch gewidmeten Beitrag versucht werden, an der einen oder anderen Stelle einen vielleicht neuen Gesichtspunkt in die Diskussion einzubringen oder in Erinnerung zu rufen.6 Im Zentrum steht der Versuch zu zeigen, dass in der Situation der korinthischen Gemeinde zur Zeit des Paulus eine Rezeption des jetzt vorliegenden Textes 2Kor 1,1–13,13 als kaum möglich anzusehen ist. Der für eine Antwort auf die Frage nach der ursprünglichen Gestalt des 2Kor (oder anderer Briefe) in der Regel verwendete Begriff „Teilungshypothesen“ ist wenig glücklich: Es soll ja nicht ein einheitlich überlieferter Brief „geteilt“ werden, sondern es wird versucht, einen Text angemessen, und das heißt hier vor allem: möglichst widerspruchsfrei zu verstehen. Lassen sich solche Widersprüche nicht angemessen erklären, so muss grundsätzlich mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass der Text in seiner jetzt vorliegenden Gestalt das Ergebnis einer späteren redaktionellen Arbeit ist. Der ungeachtet des bereits erwähnten Hinweises von Semler dazu immer wieder vorgebrachte Einwand, schon die handschriftliche Überlieferung spreche für die

————— 3 J.S. SEMLER, Abhandlung von freier Untersuchung des Canon, hg.v. H. Scheible, TKTG 5, Gütersloh 1967, 13. Semler hat diese Aussage als rhetorische Frage formuliert. 4 Referat nach A. SCHWEITZER, Die Geschichte der Paulinischen Forschung von der Reformation bis auf die Gegenwart, Tübingen 1911, 5. Vgl. J. WEISS, Der erste Korintherbrief, KEK 5, Göttingen 1910 (= 1970), XL: Wir haben nicht Abschriften der originalen Briefe, „sondern nur noch Exemplare einer kirchlichen Sammlung, eines corpus Paulinum, das irgendwo und irgendwann (m.E. ziemlich früh) hergestellt ist“. Weiß nahm an, dass unsere sämtlichen Handschriften auf dieselbe Sammlung zurückgehen. 5 S. dazu R. BIERINGER/J. LAMBRECHT, Studies on 2 Corinthians, BEThL 112, Leuven 1994, hier vor allem: R. BIERINGER, Teilungshypothesen zum 2. Korintherbrief. Ein Forschungsüberblick, a.a.O. 67–105; ferner M.E. THRALL, A Critical an Exegetical Commentary on the Second Epistle to the Corinthians I: Introduction and Commentary on II Corinthians I–VII, ICC, London/ New York 2004 (= 1994), 3–49. Ferner E. GRÄSSER, Der zweite Brief an die Korinther I: Kapitel 1,1–7,16, ÖTBK 8/1, Gütersloh/Würzburg 2002, 29–35. Zur neuesten Literatur vgl. R. BIERINGER u.a., 2 Corinthians. Bibliography, BiTS 5, Leuven 2008. 6 Es sei an dieser Stelle der Hinweis erlaubt, dass wir im Sommersemester 1964 gemeinsam bei H. Conzelmann in Göttingen dessen Vorlesung zum 2Kor gehört haben.

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literarische Einheit,7 greift nicht, da die Paulusbriefe ja nicht als einzelne Texte überliefert sind, sondern ausschließlich als Teil des Corpus Paulinum.8

1. Das Problem Die gravierendsten Einwände gegen die Annahme der literarischen Integrität des 2Kor ergeben sich aus der Frage nach dem Verhältnis von Kap. 10– 13 zu Kap. 1–9 und aus dem Inhalt und der Stellung des Abschnitts 6,14– 7,1 im Kontext des Briefes: Das in 10,1–13,10 (13) Gesagte kommt nach den vorangegangenen Aussagen sehr überraschend, und die Ausführungen in 6,14–7,1 wirken aus inhaltlichen und literarischen Gründen wie ein Fremdkörper. Angesichts dessen ist die Möglichkeit zu bedenken, dass Paulus den Brief nicht so verfasst bzw. diktiert hat, wie er jetzt vorliegt.9 „Gegen eine literarkritisch relevante Zäsur vor 10,1“ nennt Th. Schmeller allerdings drei Argumente: „Der Gegensatz zwischen Kap. 1–9 und 10–13 wird dadurch gemildert, dass auch in 1–9 Probleme mit der Gemeinde … und in 10–13 Vertrauen und Zuversicht durchscheinen“10; möglicherweise beginne mit 10,1 ein eigenhändiges Postskript;11 in Kap. 10–13 könne nicht ————— 7 Nach SCHMELLER, Der zweite Brief an die Korinther, 36, ist „die Tatsache, dass der 2Kor in unserer Textüberlieferung von Anfang an als einheitlicher Brief begegnet, ein gewichtiges Argument für die Einheitlichkeit, dem auf der Gegenseite kein einzelnes Argument gleicher Qualität gegenübersteht“. 8 K. ALAND, Die Entstehung des Corpus Paulinum, in: DERS., Neutestamentliche Entwürfe, TB 63, München 1979, 302–350, schreibt, die handschriftliche Überlieferung des Corpus Pau-linum mache eine „Ursammlung“ wenig wahrscheinlich (a.a.O. 348f); aber es müssen ja zu Beginn des in Kol 4,16 dargestellten Vorgangs die vorhandenen Briefe in einer Abschrift weitergegeben worden sein, und in dieser Form fand der jeweilige Brief dann Eingang in die Textgeschichte – wie immer diese dann verlaufen sein mag. 9 P. PILHOFER, Das Neue Testament und seine Welt. Eine Einführung, UTB 3363, Tübingen 2010, 240f, nennt einige Aspekte und folgert: „Ein einheitlicher und in sich geschlossener Brief ist es also ersichtlich nicht.“ Auf die erkennbaren Probleme verweist auch TH. SCHMELLER, Der zweite Korintherbrief, in: M. Ebner/S. Schreiber (Hg.), Einleitung in das Neue Testament, KStTh 6, Stuttgart 2008, 326–346: 332f; er kommt zu dem Ergebnis, die einheitliche Überlieferung stelle „ein wichtiges Argument für die Einheitlichkeit dar“, betont dann aber unter Verweis auf 6,14–7,1 und 1–9 / 10–13: „Dennoch ist es schwierig, die Einheitlichkeit des 2Kor zu vertreten“ (a.a.O. 336). 10 SCHMELLER, Der zweite Brief an die Korinther, 24. Anzeichen für „Probleme mit der Gemeinde“ sieht er in 1,13.17; 5,11f; 6,11–13 und 7,2, „Vertrauen und Zuversicht“ seien in 10,6.15 und 13,7–12 zu erkennen. Aber 10,6 und ähnlich 13,7–10 sind eher Drohungen; 10,15 ist von 10,12 her zu lesen und offensichtlich kritisch gemeint. Dass innerhalb von 2Kor 1–7 auch Probleme mit der Gemeinde erkennbar sind, ist kein Argument dafür, dass Kap. 1–9 und 10–13 zum selben Brief gehören. 11 Vgl. ebd.; ein solches Postskript könne sich „im Ton deutlich vom eigentlichen Brief unterscheiden“. Aber deutlich ist, dass in 10,1–13,10 eine andere äußere Situation vorausgesetzt ist als in 1–9 – das ist ja der Grund für die häufig angenommene „Diktierpause“ (s.u.). Auch

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der „Tränenbrief“ vorliegen, denn dessen Thema, der in 7,12 erwähnte avdikh,saj, tauche dort nicht auf.12 Zu 6,14–7,1 erklärt Schmeller, der Abschnitt sei durchaus „nicht völlig isoliert“, sondern stehe in Beziehung zu 2,15f; 4,3–6 und 5,11, überdies sei 7,2–4 „eher eine Wiederaufnahme nach einem Exkurs als ein direkter Anschluss an 6,14 [sic! ist 6,13 gemeint?]“13. „Die scheinbar unpaulinischen Gedanken finden sich mindestens teilweise auch in unbestritten paulinischen Texten“; die „absolute Forderung der Absonderung vom Heidentum könnte damit erklärt werden, dass Paulus eine Tauftradition verwendet, die in essenisch beeinflussten Kreisen entstand“14. Nach Schmeller ist es „nach wie vor schwierig, die Einheitlichkeit des 2 Kor zu vertreten“; gleichwohl sei, abgesehen von der Stellung des Abschnitts 6,14–7,1 anzunehmen, dass der Brief „insgesamt zu ein- und demselben Zeitpunkt abgefasst und abgeschickt worden“15 ist. Gegen die Annahme einer redaktionellen Zusammenstellung mehrerer Paulusbriefe zu einem „neuen“ Brief wird eingewandt, dass es dazu in der Antike keine Parallele gibt:16 Die antike Briefliteratur, so betont F. Vouga, kennt Briefsammlungen etwa bei Cicero, Seneca und Plinius, „mais non la collection des lettres en forme de lettre unique“17. Aber dieser Vergleich trifft insofern nicht, als es frühe außerchristliche Parallelen zu dem im 1. und 2. Jh. entstandenen Corpus Paulinum offenbar gar nicht gibt: Es werden Abschriften von an sehr unterschiedliche Adressaten gerichteten authentischen und auch fingierten Briefen des Paulus an andere weitergegeben und dann auch gesammelt, weil man meint, die Briefe seien über die aktuelle(n) Situation(en) hinaus bedeutsam für christusgläubige Menschen „an allen Orten und zu allen Zeiten“18. Angesichts dieses offenbar sehr ungewöhnlichen Vorgangs ist es nicht aus-

————— Schmeller hält es für möglich, dass „der Konflikt mit den Gegnern auch nach der Versöhnung mit der Gemeinde neu oder erneut entbrannt“ ist (a.a.O. 24f), was ja für die Annahme einer veränderten Situation spricht. Vom „Eintreffen neuer Nachrichten“ (a.a.O. 34) ist freilich im Text nicht die Rede. 12 A.a.O. 24. Aber in 7,12 wird auf den Konflikt mit dem avdikh,saj ja zurückgeblickt. Dass der in 2,4 erwähnte „Tränenbrief“ nicht in Kap. 10–13 vorliegt, trifft m.E. freilich zu (s.u.). 13 A.a.O. 23; er verweist auf „die Entsprechung von cwrh,sate [7,4] zu platu,nqhte [6,13]“. Dies gilt freilich meist als Indiz für die Annahme, dass 6,14–7,1 als Interpolation anzusehen ist. 14 Ebd. Aber was in 2Kor 6,14–7,1 verweist auf die Taufe? Und wo wären solche „essenisch beeinflussten Kreise“ im Urchristentum historisch greifbar? 15 A.a.O. 37. 16 W.G. KÜMMEL, Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg 171973, 225f; belegt sei das Aneinanderfügen mehrerer Briefe, nicht aber das Ineinanderfügen mehrerer Briefe desselben Autors. 17 F. VOUGA, La deuxième épître aux Corinthiens, in: D. Marguerat (Hg.), Introduction au Nouveau Testament. Son histoire, son écriture, sa théologie, Le Monde de la Bible 41, Genève 2 2001, 199–212: 204. Ausführlich dazu TH. SCHMELLER, Die Cicerobriefe und die Frage nach der Einheitlichkeit des 2. Korintherbriefs, ZNW 95 (2004) 181–208. 18 E. SCHWEIZER, Theologische Einleitung in das NT, GNT 2, Göttingen 1989, 66: Man las nach dem Tode des Paulus die Briefe „nicht mehr als Gelegenheitsschreiben zu einer bestimmten

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geschlossen, dass eine im Blick auf diese Sammlung erfolgte Redaktion eines „2Kor“ ebenfalls „einzigartig“ war.19

Zur Methode hat W.G. Kümmel die beiden grundsätzlich entscheidenden Fragen formuliert: „a) Zwingt der überlieferte Text zur Annahme sekundärer Kombination? b) Läßt sich ein überzeugendes Motiv für die überlieferte ‚Kombination‘ erkennen?“20 Selbstverständlich ist nicht auszuschließen, dass Paulus zumal in einem längeren Brief widersprüchlich argumentiert; aber wenn der Text offensichtlich unterschiedliche Situationen beim Autor und/oder bei den Adressaten voraussetzt, dann muss damit gerechnet werden, dass der vorliegende Text Ergebnis einer nachträglichen Redaktion ist, wenn sonst das Ziel einer sachgemäßen Interpretation nicht erreicht werden kann.

2. Zur möglichen Rezeption eines einheitlichen Briefes „2Kor 1,1–13,13“ in Korinth Wie stellt sich die Kommunikation zwischen dem Apostel Paulus und der von ihm gegründeten Gemeinde in Korinth dar, wenn man annimmt, die Glieder der evkklhsi,a tou/ qeou/ in Korinth „samt allen Heiligen in ganz Achaja“ (1,1f) hätten den vorliegenden Text 2Kor 1,1–13,13 als einheitlichen Brief erhalten und gelesen? Dieser Brief wäre nach dem in 1Kor 5,9 erwähnten Schreiben, in dem Paulus die Korinther gemahnt hatte, sie sollten sich fernhalten von unmoralischen Menschen (e;graya u`mi/n ... mh. sunanami,gnusqai po,rnoij, 5,9), und nach dem darauf folgenden „1Kor“ vermutlich der dritte Paulusbrief nach Korinth gewesen. Der erste dieser Briefe ist vermutlich nicht erhalten.21 In dem zweiten Brief nach Korinth (1Kor) nimmt Paulus zunächst vor allem zu Informationen über die innergemeind————— Zeit und in einer bestimmten Situation“, sondern als „immer noch, mehr oder weniger zeitlos gültige Dokumente“. 19 Für die Annahme, Paulus selber habe Abschriften seiner Briefe besessen und so eine „Sammlung“ initiiert, gibt es keine Indizien; anders SCHMELLER, Cicerobriefe, unter Verweis auf die zwischen Röm einerseits und Phil und Gal andererseits bestehenden Bezüge (a.a.O. 203). 20 KÜMMEL, Einleitung, 252. 21 Es gibt jedenfalls keinen Text, der inhaltlich dem entspricht, was Paulus in 1Kor 5,9 schreibt. Offenbar war die Forderung des Paulus missverstanden worden; er erklärt jetzt (5,10), wohl als Reaktion auf eine entsprechende Rückfrage, er denke selbstverständlich nicht an alle unmoralischen Menschen in der Welt (po,rnoi tou/ ko,smou), denn dann müssten die Christen ja die Welt verlassen (evk tou/ kos,mou evxelqei/n); gewarnt habe er vielmehr vor einem „sogenannten Bruder“ (avdelfo.j ovnomazo,menoj), der fundamentale moralische Normen verletzt (V.11). Natürlich geht es nicht um den jetzt zur Diskussion stehenden Fall des „Blutschänders“, von dem Paulus ja eben erst erfahren hat (5,1); aber die Adressaten sollen nun die in dem früheren Brief genannte und jetzt näher erläuterte Norm anwenden.

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lichen korinthischen sci,smata kritisch Stellung (1Kor 1–4); in 4,17 lesen die Adressaten dann, Timotheus sei zu ihnen gesandt worden, um sie an die „Wege“ zu erinnern, die Paulus pantacou/ evn pa,sh| evkklhsi,a| lehrt. Was genau er damit meint, schreibt Paulus nicht – darüber wird Timotheus die Korinther natürlich mündlich informieren. Paulus erwartet allerdings wohl einen für Timotheus kritischen Empfang (evfusiw,qhsa,n tinej, 4,18); er kündigt deshalb an, bald selber nach Korinth zu kommen (evleu,somai de. tace,wj pro.j u`ma/j), und er fragt abschließend drohend, ob er „mit dem Stock“ kommen solle oder in Liebe mit Geist und Milde (V.21). Zu genau diesem Zeitpunkt erhält Paulus offenbar neue Nachrichten aus Korinth,22 auf die er in 5,1 (o[lwj avkou,etai) und dann auch im sich nun anschließenden weiteren Brieftext ausführlich eingeht (7,1: peri. de. w-n evgra,yate). Am Ende des Briefes (16,10) kündigt er, ähnlich wie zuvor schon in 4,18, den Besuch des Timotheus an; er ermahnt die Adressaten, sie sollten dafür Sorge tragen, dass sich Timotheus „vor euch nicht fürchten muss, denn er wirkt wie ich am Werk des Herrn“ − niemand solle ihn gering schätzen. Zuvor hatte Paulus abermals seinen geplanten Besuch in Korinth erwähnt (16,2.5–9), aber anders als in 4,19 schreibt er jetzt, er werde bis Pfingsten in Ephesus bleiben und die Rückkehr des Timotheus abwarten (16,11).23 Dann werde er selber über Makedonien nach Korinth reisen (16,5), also nicht auf dem direkten (See-)Weg. Möglicherweise werde er den Winter über in Korinth bleiben, so dass die Korinther ihn bei den folgenden Reisen unterstützen können (16,6). Den auf diese Weise sehr umfangreich gewordenen Brief sendet Paulus nach Korinth, vermutlich ist Timotheus der Überbringer. Aus dem uns vorliegenden „2Kor“ erfahren die Adressaten schon aus der Absenderangabe (1,1), dass Timotheus zu Paulus zurückgekehrt ist; Paulus hat sich insoweit an den in 1Kor 16,10.11 beschriebenen Plan gehalten.24 Gründe dafür, warum er nun einen Brief schreibt, statt persönlich nach Korinth zu kommen, werden zunächst nicht genannt; warum dieser Brief, anders als der vorangegangene, nicht nur der evkklhsi,a in Korinth gilt, sondern auch toi/j a`gi,oij pa/sin toi/j ou=sin evn o[lh| th/| VAcai hervorhebt, dass niemand den Tag des Herrn ertragen kann, kommt in LXX stärker der Aspekt der Eignung und Würdigkeit zum Tragen. 53 W. BAUER, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, hg.v. K. Aland/B. Aland, Berlin/New York 61988, 760; ein „typisch hellenistisches Wort“ (vgl. K.H. RENGSTORF, Art. i`kano,j, ThWNT 3 [1938] 293). 54 GRÄSSER, Der zweite Brief an die Korinther, 124.

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Peter Müller

x Es ist Gott selbst, der im Triumphzug handelt, und nicht ein zum Gott stilisierter Mensch. Deshalb ist es auch Gott, dem der Dank gebührt. x Dadurch verändert sich die Rolle derer, die im Zug mitgeführt werden; sie gehören auf die Seite Gottes und Christi und haben Teil am göttlichen Triumph, aber sie triumphieren nicht selbst und aus eigener Vollmacht, sondern sind eingebunden in Gottes Handeln, sie werden im Triumph Gottes mitgeführt, Gott handelt durch sie (diV h`mw/n) und sie handeln „aus Gott, vor Gott und in Christus“ (V.17). x Der Triumph Gottes ereignet sich pa,ntote: Anders als die römischen Umzüge, die zeitlich limitiert sind (selbst wenn es 890 Tage sind, wie Augustus stolz bemerkt), ist der Triumphzug Gottes zeitlich unbegrenzt und offenbart sich „an allen Orten“, nicht bloß bei zeitlich und räumlich begrenzten Umzügen.55 Anders als solche Umzüge ist der Triumphzug Gottes ein eschatologisches Ereignis, dem umfassende Bedeutung zukommt. x Äußerliche Beweihräucherung ist dabei überflüssig. Denn der Duft im Triumphzug Gottes ist der Duft seiner Erkenntnis,56 die an Christus gebunden ist. Deshalb kann Paulus sich selbst und seine Mitstreiter als Cristou/ euvwdi,a tw/| qew/| bezeichnen. Wenn Gottes Nähe spürbar wird, dann in Christus und in der Verkündigung von ihm.57 Sowohl das Handeln Gottes als auch die Rolle der Verkündiger sind auf Christus bezogen und gewinnen in ihm Gestalt. x Der römische Triumphzug feiert den Sieger, damit auch Sieg und Prosperität, und verknüpft dies mit dem Tod von Opfertieren und/oder feindlichen Anführern. Im Triumphzug Gottes geht es dagegen viel grundsätzlicher um Tod und Leben, um Verderben und Gerettet-Werden im

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55 fanerou/n bezieht sich zum einen auf das Offenbarwerden des Evangeliums (vgl. Röm 3,21). In 2Kor verwendet Paulus das Verb aber auch in polemischer Zuspitzung gegenüber dem hohen Anspruch seiner Gegner (vgl. 3,3; 5,10; 11,6). Im Zusammenhang mit dem Triumphzug kann man auch die imperial-religiöse Bedeutung der verwandten Begriffe evpifai,nw und evpifanei,a berücksichtigen (vgl. hierzu R. BULTMANN/D. LÜHRMANN, Art. fanero,w ktl., ThWNT 9 [1973] 4–11: 8f, mit Belegstellen), das das hilfreiche Eingreifen eines Gottes in der Schlacht bezeichnet und in der hellenistischen Herrschervorstellung auf den König übertragen wird (qeo.j evpifanh,j). 56 Es handelt sich hier um die Erkenntnis Gottes, nicht Christi; vgl. 4,6 (pro.j fwtismo.n th/j gnw,sewj th/j do,xhj tou/ qeou/ evn prosw,pw| vIhsou/ Cristou/) wo in einer vergleichbaren Formulierung die Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes und Christus mit einer Lichtmetapher verbunden sind. Und so wie in 2,15 Paulus sich als „Wohlgeruch Christi bezeichnet“, so führt seine Verkündigung in 4,6 ins Licht der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes. Die Geruchsmetapher und die Lichtmetapher in 2,14f und 4,6 sind demnach eng aufeinander zu beziehen. 57 Hier berührt sich die Formulierung mit der allgemeinen Vorstellung von der Nähe der Götter im Duft.

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Wer ist geeignet und würdig?

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umfassend-eschatologischen Sinn, über jeden römischen Triumphtag hinaus.58 Die Wendung tw/| pa,ntote qriambeu,onti h`ma/j evn tw/| Cristw/| und die dazu gehörenden Duftmetaphern nehmen somit die Vorstellung vom römischen Triumphzug auf, beziehen sie erweiternd auf Gottes Handeln in Christus und die apostolische Verkündigung und formulieren damit eine kritische Spitze gegen die römische Herrscherideologie und den Triumphzug als einer ihrer zentralen Ausdrucksmöglichkeiten. Die Frage kai. pro.j tau/ta ti,j i`kano,j greift aber nicht nur auf 2,14–16b zurück, sondern wirkt auch auf 2,17 ein. Wer das Wort Gottes verkündigen will, muss dies nach V.17 „aus Gott“, „vor Gott“ und „in Christus“ tun, d.h. in Auftrag und Vollmacht von Gott her, ihm gegenüber verantwortlich und „im Kraftfeld Christi“.59 Das Wort Gottes zu verkündigen ist für Paulus nur in Verantwortung diesen Instanzen gegenüber möglich. Handel damit zu treiben, d.h. wie mit einer Ware damit umzugehen, über die man verfügen kann, wird der Verkündigung weder von ihrem Auftrag noch von ihrem Inhalt her gerecht.60 Sie muss ein Reden evx eivlikrinei,aj sein, in verantwortungsvoller Lauterkeit, wie in Aufnahme von 1,12 hervorgehoben wird.61 Nur darin kann der Ruhm des Verkündigers bestehen. Damit sind wichtige Aspekte der folgenden Apologie des paulinischen Apostolates bereits angesprochen. Indem Paulus zu Beginn der Apologie die Bilderwelt des Triumphzugs aufruft, stellt er seine Verkündigung in einen umfassend-eschatologischen Horizont, bezieht sie in das Handeln Gottes mit ein und formuliert mit seinen Bildern zugleich eine kritische Spitze gegen die Anmaßung weltlicher Herrscher und christlicher Verkündiger, die sich selbst über das Wort Gottes stellen.

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58 GRÄSSER, Der zweite Brief an die Korinther, 112: „Bei den ‚Verlorenen‘ bewirkt Paulus mit seiner Predigt nichts weiter als Tod, bei den ‚Geretteten‘ nichts weiter als Leben. Dass beides nicht einfach naturhaft, sondern eschatologisch zu verstehen ist, bedarf kaum eines Hinweises. ‚Tod‘ meint die infolge der Sünde unrettbare, endgültige Verlorenheit (Röm 5,2; 1Kor 15,56), ‚Leben‘ das durch Christus erschlossene ‚ewige Heilsgut‘ (Röm 6,23 u.ö.).“ 59 H. GOLDSTEIN, Art. eivlikrinei,a, EWNT 1 (32011) 949; GRÄSSER, Der zweite Brief an die Korinther, 115. Zur Formulierung w`j evx eivlikrinei,aj avllV w`j evk qeou/ vgl. BDR § 425,3. 60 Vgl. zu kaphleu,ein ausführlich HAFEMANN, Suffering, 106–126. Trotz eines „negativen Beigeschmacks“ (BAUER, Wörterbuch, 818) geht es bei dem Verb nicht um den Aspekt des Betrügerischen oder Gewinnsüchtigen, sondern um die Vorstellung, selbst darüber verfügen zu können. In Did 12,5 findet sich hierfür die neue Wortschöpfung criste,mporoj. 61 Hierzu gehört für Paulus in 2Kor auch das Recht auf Entlohnung, das er in 1Kor 9 noch zugestanden hat. In 2Kor 11,7–11; 12,13 revidiert er diesen Anspruch geradezu.

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Tobias Nicklas

Die verborgene Herrlichkeit des Paulusdienstes Überlegungen zu 2Kor 3,1–4,6*

Die Spannweite paulinischer Aussagen über Israel ist groß:1 Während eine Passage wie 1Thess 2,14–16 wohl zu den dunkelsten Stellen des Neuen Testaments gehört und man immer wieder überlegt hat, ob sie wirklich dem christlichen Juden Paulus zugeschrieben werden kann oder ob es sich um eine spätere Interpolation handelt,2 gilt Röm 9–11 als Höhepunkt der Israeltheologie des Neuen Testaments.3 Viel diskutiert wurden zudem – wegweisend auch durch D.-A. Koch4 – die schwierigen Aussagen im Zusammenhang mit dem 3. Kap. des 2Kor. Und doch verbindet sich auch weiterhin eine solch große Zahl von Problemen mit dem Abschnitt, dass der vorgegebene Rahmen nur Linien einer Interpretation zulässt. Ein entscheidendes Problem der Exegese dieser Passage scheint mir darin zu liegen, dass das Interesse vieler heutiger Ausleger sich auf das Verhältnis zwischen Altem und Neuem Bund, das im Text zum Tragen kommt, konzentriert,5 man dabei aber in die Gefahr zu geraten droht, das eigentliche Argumentationsziel des Paulus aus den Augen zu verlieren. Hinzu kommt eine Vielzahl philologischer (wie damit zusammenhängend exegetischer) ————— 1

Vgl. allgemein z.B. die wichtigen Studien von R.H. BELL, The Irrevocable Call of God. An Inquiry into Paul’s Theology of Israel, WUNT 184, Tübingen 2005; D. SÄNGER, Die Verkündigung des Gekreuzigten und Israel. Studien zum Verhältnis von Kirche und Israel bei Paulus und im frühen Christentum, WUNT 75, Tübingen 1994. 2 Zur Diskussion (mit Literaturangaben) vgl. z.B. A. MALHERBE, The Letters to the Thessalonians, AncB 32b, New Haven/London 2000, 164f. 3 Die Literatur hierzu ist kaum überschaubar. Besonders wichtig scheint F. Wilk/J. Ross Wagner (Hg.), Between Gospel and Election. Explorations in the Interpretation of Romans 9–11, WUNT 257, Tübingen 2010; vgl. auch meinen Beitrag T. NICKLAS, Paulus und die Errettung Israels. Röm 11,25–36 in der exegetischen Diskussion und im jüdisch-christlichen Dialog, Early Christianity 2 (2011) 173–97. 4 Vgl. D.-A. KOCH, Abraham und Mose im Streit der Meinungen. Beobachtungen und Hypothesen zur Debatte zwischen Paulus und seinen Gegnern in 2 Kor 11,22–23 und 3,7–18, in: R. Bieringer (Hg.), The Corinthian Correspondence, BEThL 125, Leuven 1996, 305–324. 5 Klassisch etwa die Interpretation von O. HOFIUS, Gesetz und Evangelium nach 2. Korinther 3, in DERS., Paulusstudien, WUNT 51, Tübingen 1989, 75–120.

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Die verborgene Herrlichkeit des Paulusdienstes

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Detailprobleme, die ein angemessenes Verständnis dieses Abschnitts erschweren. So möchte ich meinen eigenen Überlegungen den folgenden Gedanken vorausschicken: 2Kor 3,1–4,6 ist Teil eines größeren Ganzen, das mit 2Kor 2,14 beginnt und zumindest bis zu 2Kor 5,10 reicht, ja wohl bis 2Kor 7,4 gefasst werden muss.6 Ob diese „Apologie“ des Paulusdienstes nun ursprünglich als ein eigenständiges Schreiben des Apostels anzusehen oder als Teil eines einheitlichen 2Kor zu interpretieren ist, braucht für die hier vorliegende Untersuchung nicht entschieden zu werden.7 Wenn 2Kor 3 als Teil dieses Kontextes betrachtet wird, wird deutlich, dass wir es in diesem Text keineswegs mit einer – mehr oder minder – systematischen Diskussion des Verhältnisses von „altem“ und „neuem Bund“ zu tun haben, sondern einer Aussage, die sich in eine Gesamtargumentation zur Darstellung und Verteidigung der paulinischen Auffassung seines apostolischen Dienstes einbettet und deren Pragmatik nur vor diesem Hintergrund zu fassen ist. Ich gehe im Folgenden von der Hypothese aus, dass die heute gerne an den Text herangetragenen Fragen nach dem Verhältnis zwischen Altem und Neuem Bund zwar wichtig sind, dass die Pragmatik des Textes jedoch auf einer anderen Ebene anzusetzen ist. Um dieser Pragmatik auf die Spur zu kommen, sollen zunächst einige semantische Linien durch den Text hindurch verfolgt werden.

1. Einige semantische Linien durch 2Kor 3,1–4,6 Tatsächlich zeigt sich bereits bei einer ersten Durchsicht durch den Text, dass vom „alten“ wie auch vom „neuen Bund“ nur an jeweils einer einzigen Stelle die Rede ist (2Kor 3,14 und 2Kor 3,6). Dagegen fällt auf, dass die Wörter diakoni,a, dia,konoj oder diakone,w in 2Kor 3,3.6.7.8.9 (2x) sowie 4,1 begegnen. Die Vorkommen wiederum lassen sich in zwei Gruppen aufteilen: In 2Kor 3,3.6.8 und 9 ist jeweils vom Dienst des Paulus die Rede; dieser wird als Dienst an der Gemeinde, d.h. dem „Brief Christi“ (2Kor —————

6 Einen solch großen Bogen schlägt auch die monographische Untersuchung von J. SCHRÖTER, Der versöhnte Versöhner. Paulus als Mittler im Heilsvorgang, TANZ 10, Tübingen/Basel 1993. 7 Eine Übersicht über verschiedene Rekonstruktionsversuche bietet z.B. R. BIERINGER, Teilungshypothesen zum 2. Korintherbrief. Ein Forschungsüberblick, in DERS./J. LAMBRECHT, Studies on 2 Corinthians, BEThL 112, Leuven 1994, 67–105, sowie knapper, aber aktueller E.-M. BECKER, 2. Korintherbrief, in: O. Wischmeyer (Hg.), Paulus. Leben – Umwelt – Werk – Briefe, UTB 2767, Tübingen/Basel 2006, 164–191: 180–183, deren eigenes Modell mir aber etwas überkomplex erscheint.

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3,3)8 beschrieben, die Rede ist von „Dienern des neuen Bundes“, dem „Dienst des Geistes“ (3,6), dem Dienst der Gerechtigkeit (3,9) bzw. von „diesem Dienst“ (4,1), der dem Paulus aufgrund großen Erbarmens übertragen wurde. Dem gegenüber gestellt sind Aussagen über den Dienst des Mose, welcher als „Todesdienst“ (3,7) und „Dienst der Verurteilung“ (3,9) bezeichnet wird. Dass das Gegenüber von „altem“ und „neuem Bund“ mit dieser Opposition zu tun hat, ist deutlich. Die Rede vom „alten“ und „neuen Bund“ jedoch steht im Dienst der Rede von den beiden „Diensten“ – und nicht umgekehrt. Dies zeigt sich nicht nur an der reinen Zahl der Vorkommen, sondern auch daran, dass von „Dienern“ bzw. „Dienst“ jeweils an Neueinsätzen der Argumentation (3,6f; 4,1) die Rede ist und dass die Rede vom „neuen Bund“ in 3,6 als Genitivattribut zu diako,nouj begegnet, der „neue Bund“ also den Dienst näher beschreibt und nicht umgekehrt. Dass im Gegenüber der beiden Dienste wiederum der argumentative Schwerpunkt auf dem Paulusdienst liegt, zeigt sich schon in der Gegenüberstellung in 3,7–8, wo die Rede von der Herrlichkeit des „Todesdiensts“ zur argumentativen Basis dessen wird, was über die Herrlichkeit des „Geistesdiensts“ gesagt ist.9 Im Abschlussteil 4,1–6 schließlich, der mit dem Vorherigen durch die Wiederaufnahme des Motivs vom „Dienst“ verbunden ist (4,1 – e;contej th.n diakoni,an tauth,n; vgl. auch die verwandte Idee der Knechtschaft in 2Kor 4,5), ist vom Mosedienst nicht mehr die Rede. Eine zweite semantische Linie durch den Text ergibt sich aufgrund des Nebeneinanders von Aussagen über Herrlichkeit und Verhüllung. Wörter wie do,xa oder doxa,zw begegnen in 2Kor 3,7 (2 x).8.9 (2x).10 (3x).11 (2x). 18 (3x) sowie 4,4.6. Von Herrlichkeit ist wiederum sowohl im Zusammenhang mit dem Dienst des Mose als auch dem Dienst des Paulus die Rede. Gerade die letzteren Gedanken sind wiederum in Bezug gesetzt zum Gedanken von der Herrlichkeit Christi, der als „Bild Gottes“ (2Kor 4,4) verstanden ist. Eine weitere, mit 2Kor 3,13 einsetzende Aussagenreihe schließlich verbindet sich mit dem Wort ka,lumma, d.h. „Hülle“ (vgl. 2Kor 3,13.14. 15.16.18 sowie 4,3 [2x]). Von der Hülle ist dabei zunächst im Zusammen—————

8 Die Rede von der Gemeinde als „Brief Christi“ kann hier nicht im Detail diskutiert werden. Vgl. jedoch z.B. R. KUSCHNERUS, Die Gemeinde als Brief Christi. Die kommunikative Funktion der Metapher bei Paulus am Beispiel von 2 Kor 2–5, FRLANT 197, Göttingen 2002; sowie K. SCHOLTISSEK, ‚Ihr seid ein Brief Christi‘ (2 Kor 3,3). Zu einer ekklesiologischen Metapher bei Paulus, BZ 44 (2000) 183–205. 9 Zur hinter 3,7–8 liegenden Argumentationsstruktur vgl. auch N.L. COLLINS, Observations on the Jewish Background of 2 Corinthians 3:9, 3:7–8 and 3:11, in: T.J. Burke/J.K. Elliott (Hg.), Paul and the Corinthians. Studies on a Community in Conflict (FS M. Thrall), NT.S 109, Leiden/Boston 2003, 75–92: 76f.

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hang mit Mose die Rede, der laut Ex 34,33f sein Gesicht verhüllte, um den Glanz, der nach seiner Gottesbegegnung von seinem Gesicht ausging, zu verbergen; diese Hülle liege bis heute auf dem Vorlesen des Alten Bundes (3,14) bzw. auf „ihrem Herzen“, wenn Mose vorgelesen wird (3,15), sie werde erst entfernt, wenn sich einer zum Herrn bekehrt (3,16). 2Kor 3,18 spricht vom „enthüllten Angesicht“ der Glaubenden (avnakekalumme,non pro,swpon), die die Herrlichkeit des Herrn spiegelten, 4,3 schließlich davon, dass das paulinische Evangelium denjenigen verhüllt sei, „die verloren gehen“. Wichtig daran erscheint mir vor allem, dass von der Hülle sowohl im Zusammenhang mit dem Alten Bund, als auch mit der Evangeliumsverkündigung des Paulus die Rede sein kann. Wie bereits angedeutet, ist aus 3,7 zu folgern, dass der von allen Partnern akzeptierte Ausgangspunkt der Argumentation darin zu bestehen scheint, dass dem Mosedienst Herrlichkeit zukommt und dies auch Geltung hat, obwohl er in 2Kor 3,6 als „Todesdienst“ beschrieben werden kann. Der Zielpunkt der Argumentation wiederum scheint weniger in der Gegenüberstellung von altem und neuem Bund zu bestehen, als in Aussagen über die Verkündigung des Paulus, die wiederum ihren Urgrund in seinem Christusverhältnis finden (2Kor 4,4–6).10 Als Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen lässt sich somit die folgende These formulieren: Dem Text geht es nicht in erster Linie um eine Bestimmung des Verhältnisses von altem und neuem Bund. Die Aussagen des Textes, die sich damit auseinandersetzen, stehen vielmehr im Dienst, die (verborgene) Herrlichkeit des apostolischen Dienstes des Paulus zu beschreiben. Diese Herrlichkeit wiederum verdankt sich der Christusbeziehung des Apostels. Der Text ist somit kaum als Lösung des Problems „Wie verhalten alter und neuer Bund sich zueinander?“ denn als Antwort auf die Frage „Wie ist es möglich, dass das Apostolat des Paulus, wenn es doch Dienst am Neuen Bund ist, der in unseren gottesdienstlichen Feiern aktualisiert wird (1Kor 11,25), so wenig ‚glanzvoll’ ist, wenn doch die Schrift bereits von Mose sagt, dass von seinem Antlitz ‚Herrlichkeit’ ausging?“ Es scheint mir sehr wahrscheinlich, dass Paulus hier nicht einfach ein theoretisches Problem diskutiert, sondern —————

10 Hinzu kommt wohl, dass auch die Vokabel pneu/ma eine wichtige Rolle in unserem Abschnitt spielt: 2Kor 3,3 spricht vom „Geist des lebendigen Gottes“, mit Hilfe dessen der „Brief Christi“ auf Herzen von Fleisch eingeschrieben ist; 3,6 von den Aposteln als „Dienern des Geistes“ (im Gegensatz zu Dienern des Buchstaben), worauf sich anschließt, dass der Geist lebendig mache (3,6b). 2Kor 3,8 wird der Dienst des Paulus als diakoni,a tou/ pneu,matoj beschrieben; 2Kor 3,17 bietet den seltsamen Satz o` de ku,rioj to. pneu/ma evstin, 17b schließlich spricht vom „Geist des Herrn“.

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mit einer konkreten, die Autorität seines Apostolats in Frage stellenden Kritik konfrontiert ist.11 Vor dem Hintergrund dieser Gedanken wiederum können die Aussagen über den Mosedienst zumindest nicht vollkommen abwertend gemeint sein: Wenn es Paulus in erster Linie um die Bewertung seines eigenen Dienstes geht, den er – eventuell aufgrund konkreter Anfragen von Gegnern – in Bezug zum Mosedienst setzen muss, ist eine vollkommene Abwertung des Mosedienstes kaum dem Ziel der Argumentation zuträglich. Diese Voraussetzung ist in der konkreten Entscheidung einzelner exegetischer Probleme zu berücksichtigen.

2. Linien der Argumentation Ohne dass es damit möglich wäre, alle exegetischen Detailfragen zu diskutieren, die mit unserem Text zusammenhängen, soll vor diesem Hintergrund doch versucht werden, die entscheidenden Linien der paulinischen Argumentation darzustellen, um die Tragfähigkeit der eben formulierten These zu erweisen. 2.1 2Kor 3,1–6 Der Gedanke, dass Paulus sich (wohl zusammen mit seinen Begleitern) als dia,konoj kainh/j diaqh,khj (2Kor 3,6) versteht, schließt einerseits die Argumentation des Paulus, warum er keinen Empfehlungsbrief benötige, ab und eröffnet andererseits die folgenden Gedanken über die besondere Herrlichkeit seines Dienstes. Der Schlüssel des Arguments von 3,1–6 wiederum scheint mir darin zu liegen, dass zwar andere Apostel Empfehlungsbriefe benötigen mögen, dass die Gemeinde in Korinth jedoch (historisch) von Paulus selbst gegründet wurde. Da Paulus die Gründung und das Bestehen der Gemeinde nicht ohne Christus, dem ja alles Dienen des Paulus gilt (2Kor 3,3), verstehen kann, wird die Gemeinde zum Christusbrief. Anders gesagt: Die Gemeinde ist der eigentliche Empfehlungsbrief des Paulus; ohne Christus wäre es ja gar nicht dazu gekommen, dass es sie gibt (und sie von Christus kündet!) – und so geht der Empfehlungsbrief des Paulus letztlich auf Christus selbst zurück. Das Gegenüber der beiden Vorstellungen ————— 11

KOCH, Abraham und Mose, stellt eine Verbindung zu den in 2Kor 11,22–23 erkennbaren Gegnern her und versteht von daher 2Kor 3,7–18 „geradezu als Kontrastprogramm“ zu Aussagen dieser Gegner.

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eines üblichen Empfehlungsbriefs und der Gemeinde als Christusbrief führt zur Assoziation weiterer Oppositionen, die sicherlich nicht alle vollkommen auf gleicher Ebene liegen. Gut nachvollziehbar ist noch das Gegenüber von „Tinte“ und „Gottesgeist“ als Schreibmittel, eine Verschiebung aber ergibt sich bereits am Ende von 3,3, wenn als Beschreibstoff ein Gegenüber von „steinernen Tafeln“ und „Tafeln, die Herzen aus Fleisch sind“ evoziert ist.12 Paulus hat das Thema „Empfehlungsbriefe“ im engeren Sinne offenbar verlassen, das Zueinander von Heilsgemeinde und „Geist“, der schreibt, hat bei ihm offenbar eine neue Assoziation geweckt. Dabei ist natürlich an die in Ex 31,18LXX erwähnten steinernen Tafeln des Gesetzes gedacht. Obwohl das Syntagma „Geist des lebendigen Gottes“ im gesamten Alten Testament nicht mehr zu finden ist,13 erinnert die Kombination der genannten Motive aber auch an weitere alttestamentliche Intertexte. Dabei scheint mir besonders das Zueinander von Ez 36,26–27 zu dem anschließenden Kap. 37 mit der Vision der Auferweckung der Totengebeine Israels mit Hilfe des Leben spendenden Gottesgeistes beachtenswert:14 Dort begegnen immerhin die Verbindung zwischen Herz und Geist, das Gegenüber von „Stein“ und „Fleisch“ – „Herz aus Fleisch“ zudem in positiver Konnotation – sowie in Kap. 37 die Vorstellung des Leben schaffenden Gottesgeistes. Dies ist sicherlich nicht identisch mit der Idee des „Geistes des lebendigen Gottes“, wir müssen hier jedoch weder von einem Zitat noch einer klaren Anspielung ausgehen, sondern können ein – deutlich vageres – Assoziationsmuster zu Grunde legen, welches helfen mag, die Argumentation zu verstehen. Damit ist sicherlich noch nicht alles erklärt. Dass beim Gedanken des „Schreibens auf Herzen“ auch an Jer 31,33 (= 38,33LXX) gedacht sein dürfte (ohne diesen Text unbedingt zu zitieren), liegt auf der Hand15 – dann wie—————

12 Zu den damit entstehenden Assoziationen vgl. z.B. M.E. THRALL, A Critical and Exegetical Commentary on the Second Epistle to the Corinthians I: Introduction and Commentary on II Corinthians I–VII, ICC, London/New York 2004 (= 1994), 226: „In this context, the word li,qinoj acquires a figurative, and a pejorative, connotation, i.e., ‚lacking feeling‘, whilst the ‚heart of flesh‘ is the sensitive, feeling heart.“ 13 Darauf verweist etwa auch TH. SCHMELLER, Der Zweite Brief an die Korinther I: 2Kor 1,1– 7,4, EKK 7/1, Neukirchen-Vluyn/Ostfildern 2010, 179. 14 Der Hinweis auf Ez 36,26f wird in der Literatur häufiger gegeben, nicht üblich jedoch ist die Assoziation mit dem folgenden Ez 37. Letztere lässt sich sicherlich nicht unumstößlich nachweisen, scheint mir aber aufgrund der in Ez 37 angesprochenen Themen wie auch der reichen Nachgeschichte von Ez 37 in der frühjüdischen und christlichen Literatur durchaus denkbar. Zu den Ausnahmen gehören F.J. MATERA, II Corinthians, New Testament Library, Louisville/London 2003, 81; HOFIUS, Gesetz, 81; sowie C.K. STOCKHAUSEN, Moses’ Veil and the Glory of the New Covenant. The Exegetical Substructure of II Cor. 3,1 – 4,6, AnBib 116, Rom 1989, 67–71.78–82. 15 Auch diese Parallele wird in der Sekundärliteratur regelmäßig genannt. – Vgl. allerdings E. GRÄSSER, Der Alte Bund im Neuen, in: DERS., Der Alte Bund im Neuen. Exegetische Studien zur Israelfrage im Neuen Testament, WUNT 35, Tübingen 1985, 1–134: 81, und D.-A. KOCH, Die

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derum wäre auch die den Abschnitt abschließende Assoziation an die „Diener des neuen Bundes“ sinnvoll erklärt. Zumindest einige Aspekte aus 2Kor 3,1–6 scheinen mir jedoch noch unbedingt der Klärung zu bedürfen, um die weitere Argumentationslinie nachvollziehen zu können. Die V.4–6 sprechen auffällig oft von einer „Fähigkeit“ des Paulus, wohl ein Rückbezug auf 2,16c:16 Paulus hat all seine Fähigkeit der Einschätzung nicht von sich aus, sondern aus Gott (evk tou/ qeou/): Unter den Befähigungen wiederum, die Paulus von Gott her zukommen, ist eine die, einer der „Diener des neuen Bundes“ zu sein (3,6).17 Dies scheint mir zunächst noch immer zur Antwort auf die Frage zu gehören, warum Paulus keinen Empfehlungsbrief benötigt: Zwar ist die Gemeinde Paulus’ Christusbrief; Paulus muss nun aber noch auf das Problem reagieren, dass er diesen Gedanken einfach selbst erfunden habe, und er reagiert mit dem Verweis auf Gott selbst, dem er alles verdankt und der auf seiner Seite steht.18 Dies ist eine Argumentation, die, soweit ich sehe, sehr klar das auch anderweitig erkennbare Selbstverständnis des Paulus als Apostel im Sinne eines von Gott selbst „berufenen Rufers“ spiegelt.19 Die Argumentation wird vielleicht noch klarer, wenn man sich vor Augen führt, dass mit der Erwartung, Paulus müsse Empfehlungsbriefe vorzeigen, nicht nur ein konkretes Detailproblem zu diskutieren ist, sondern im Grunde die Basis des gesamten paulinischen Apostolats auf dem Spiel steht. Wo Empfehlungsbriefe eine Rolle spielen sollen, ist klar, dass die – etwa in Gal 1,15f beschriebene – Berufung des Paulus von Gott selbst in Frage steht: Diese Dimension des Problems ist nun ab 3,6 offensichtlich im Blick. Die immer wieder diskutierte Frage, ob das Syntagma diako,nouj kainh/j diaqh,khj als „Diener des neuen Bundes“ oder aufgrund des fehlenden Arti————— Schrift als Zeuge des Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus, BHTh 69, Tübingen 1986, 45f, die hier an einem Bezug zu Jer 31/38 zweifeln. 16 Diesen Zusammenhang stellt auch SCHRÖTER, Versöhner, 76f, her, der 3,4–6 auf alles ab 2,14 Gesagte bezieht. 17 Besonders N. BAUMERT, Mit dem Rücken zur Wand. Übersetzung und Auslegung des zweiten Korintherbriefes, Paulus neu gelesen, Würzburg 2008, 55, legt großen Wert auf das in diesem Satz begegnende kai,. Wichtig erscheint mir zudem der in diesen Zusammenhang hineingehörende Gedanke Baumerts, dass wegen der Mehrzahl der „Diener“ des Neuen Bundes keine vollkommene Parallele zu Mose entsteht, wie sie immer wieder behauptet wird. Vgl. hierzu auch die differenzierte Darstellung bei E. BAMMEL, Paulus, der Moses des Neuen Bundes, in: DERS., Judaica et Paulina. Kleine Schriften II, WUNT 91, Tübingen 1997, 205–214. 18 Wichtig hierzu SCHRÖTER, Versöhner, 77: „Die Intention der Aussage ist …, den eigenen Apostolat in Gott begründet zu erweisen, wodurch erreicht wäre, daß Gott auf seiten des Paulus gegen die Gegner kämpfend erschiene.“ 19 Hierzu mein Beitrag T. NICKLAS, Paulus – der Apostel als Prophet, in: Ders. u.a. (Hg.), Prophets and Prophecy in Early Jewish and Christian Literature, WUNT 2/248, Tübingen 2010, 77–104.

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kels als „Diener eines neuen Bundes“ zu übersetzen sei, scheint mir letztlich zweitrangig zu sein: Selbst wenn Paulus hier nur die Neuartigkeit des Bundes, dem sein Dienst gilt, hervorheben wollte,20 so ist daran zu denken, dass die Gemeinde diesen Bund eindeutig mit dem in ihrer in 1Kor 11,25 reflektierten gottesdienstlichen Praxis evozierten „neuen Bund“ identifizieren muss.21 Der Schlusssatz des Abschnitts, die Worte to. ga.r gra,mma avpokte,nnei( to. de. pneu/ma zw|opoiei/ – Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig, sind sicher in ihrer knappen Formulierung nicht unproblematisch. Im Kontext jedoch scheinen sie mir in erster Linie dazu zu dienen, die folgende Argumentation mit ihren Bildern vom „Todesdienst“ und dem „Geistesdienst“ (3,7–8) vorzubereiten. Eine Deutung des hier erkennbaren Zueinanders scheint mir jedoch erst im Verlauf der weiteren Lektüre des Textes möglich.22 2.2 2Kor 3,7–11 Die Bilder vom Gegenüber von Tod und Leben, das bereits in 2Kor 3,6b begegnet, werden im nun folgenden Abschnitt weitergeführt. Die thematische Verschiebung vom Problem der Empfehlungsschreiben zur Frage nach dem Dienst des Paulus und der diesen Dienst begleitenden Herrlichkeit ist dann nachvollziehbar, wenn beide als auf das gleiche Problem bezogen verstanden werden: Die apostolische Autorität des Paulus steht unter Druck, und Paulus leitet nun von einem Argument der Gegner zu einem anderen, damit eng zusammenhängenden über. Wie oben bereits angesprochen, scheinen beide Parteien – die des Paulus und die der Gegner – darin überein zu stimmen, dass dem Dienst des Mose Herrlichkeit zukommt, sonst könnte Paulus diesen Gedanken nicht als Ausgangspunkt seiner weiteren Argumentation wählen. Doch damit beginnen erst die exegetischen Probleme: V.7 führt deutlich das bereits in V.1–6 begegnenden Motivcluster von „Stein“, „Buchstabe“ und „Tod“ weiter, das nun aber – geradezu paradox – mit do,xa, „Herrlichkeit“, in Verbindung gebracht wird. Im Text offen gelassen ist, wie konkret das Syntagma vom „Todesdienst“ zu verstehen ist. Dass —————

20 Darauf legt BAUMERT, Rücken zur Wand, 55f, großen Wert, bedenkt aber nicht, dass das Syntagma „neuer Bund“ im korinthischen Gottesdienst eine solch wichtige Rolle spielen dürfte, dass es bereits dadurch inhaltlich gefüllt ist. 21 Diesen Bezug macht etwa auch A. LINDEMANN, Die biblische Hermeneutik des Paulus. Beobachtungen zu 2 Kor 3, in: DERS., Paulus, Apostel und Lehrer der Kirche. Studien zu Paulus und zum frühen Paulusverständnis, Tübingen 1999, 37–63: 43. 22 Zur teilweise problematischen Auslegungsgeschichte des Abschnitts vgl. SCHMELLER, Der Zweite Brief an die Korinther I, 187–90.

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„Tod“ und „Verurteilung“ (katakri,sij) in Zusammenhang stehen, wird aus 3,9 deutlich. Doch damit sind noch immer nicht alle Fragen beantwortet: Ist die „tödliche“ Seite des Mosedienstes aus der Perspektive der korinthischen Heidenchristen zu interpretieren, die – als außerhalb des Bundes Gottes mit seinem Volk stehend – als aufgrund des Mosedienstes Verurteilte zu gelten haben?23 Eine solche Deutung würde wohl der Perspektive großer Teile der korinthischen Gemeinde gerecht, weniger aber derer von jüdischen Christusanhängern, für die Fragen der Herrlichkeit des Mosedienstes eine Rolle spielen könnten. Wahrscheinlicher erscheinen mir die folgenden Deutungen: Der Mosedienst kann verstanden werden als ein Dienst, der Israel bereits geschichtlich immer wieder in Situationen führte, die dem „Tod“ vergleichbar sind, die aber durch den Leben spendenden Gottesgeist überwindbar sind: Dies würde immerhin sehr gut zu dem womöglich bereits angespielten Intertext Ez 37 passen, wo Israel als „tot“ gesehen wird, ihm aber durch den Geist die Möglichkeit neuen Lebens zugesagt ist. Möglicherweise ist der Mosedienst jedoch auch deswegen Todesdienst, weil er die Sünde aufdeckt, damit den unheilvollen Zustand des Menschen verdeutlicht und ohne den Leben schaffenden Geist Gottes zum Tode führt.24 Wie wertvoll er auch dann zu verstehen ist, wird dann bewusst, wenn man sich vergegenwärtigt, wie sehr biblische Menschenbilder (in all ihrer Differenziertheit) vom Menschen als einem Wesen ausgehen, das vollkommen aus seiner Beziehung zu Gott (und von daher zum Mitmenschen) lebt: Die Störung dieser Beziehung aufzudecken, entspricht der Diagnose eines Patienten, der dem Tod geweiht ist, wenn ihm nicht Hilfe zuteil wird.25 Womöglich sind Aspekte beider Dimensionen mitzudenken – in jedem Fall aber wird der Mosedienst dann als bleibend wichtiger Teil eines größeren Ganzen verstanden, in dem der „Geistesdienst“ hinzukommt, ohne die Bedeutung des ersten Dienstes aufzuheben: Die beiden Aspekte verhielten sich dann wie Diagnose und Therapie zueinander. —————

23 So die originelle Interpretation von P.B. DUFF, Glory in the Ministry of Death. Gentile Condemnation and Letters of Recommendation in 2 Cor 3:6–18, NT 46 (2004) 313–337. 24 In diese Richtung geht auch SCHRÖTER, Versöhner, 90, wenn er schreibt: „Wir haben hier also eine ausführliche Darstellung des paulinischen Gedankens, den er in 2Kor 3,6f bereits andeutet, daß nämlich das Gesetz, wenn es nicht im Verein mit dem pneu/ma wirkt, also gra,mma ... bleibt, eine tötende Wirkung entfaltet, vor uns. Anders z.B. SCHMELLER, Der Zweite Brief an die Korinther I, 200: „Der Dienst des Paulus vermittelt Leben in solchem Maß, dass (im Vergleich!) der Dienst des Mose nur zum Tod führen kann, ebenso, wie eine Ablehnung des paulinischen Evangeliums nur zum Tod führen kann (vgl. 2,15f; 4,3f).“ 25 Wichtig hierzu auch die Gedanken bei BAUMERT, Mit dem Rücken zur Wand, 58: „Daß das Gesetz die Sünde verurteilt, ist ... nichts Negatives, sondern der Segen Gottes für Israel und nun auch für uns, damit Gott unter ihnen und uns wohnen bleibt, weil seine Anwesenheit nichts Unreines, keine Sünde verträgt.“

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Vor diesem Hintergrund sind einige exegetische Entscheidungen auch im Hinblick auf die weiteren Probleme des Textes möglich: 2.2.1 Das Verhältnis von 3,7 und 3,8 kann dann nicht so verstanden werden, dass dem Geistesdienst größere Herrlichkeit zukomme als dem Todesdienst.26 Das ma/llon aus 2Kor 3,8 ist vielmehr in dem Sinne zu deuten, dass aus der Tatsache, dass dem Todesdienst Herrlichkeit zukommt, logisch a minore ad maius geschlossen, der Geistesdienst ebenfalls Herrlichkeitsdienst sein muss. Das Überfließen der Herrlichkeit, von dem in 3,9 die Rede ist, ist dann nicht so gemeint, dass die Herrlichkeit des Gerechtigkeitsdienstes größer sei als die des Diensts der Verurteilung. Vorausgesetzt ist vielmehr, dass bei beiden Herrlichkeit überfließt, dass dies beim Paulusdienst nicht quantitativ mehr, sondern umso mehr der Fall ist. 2.2.2 Seit langer Zeit bekannt ist, dass unser Text von 2Kor 3,7 an als Midrasch über Ex 34,29–35 gelesen werden muss.27 Dabei fällt allerdings nicht nur auf, dass Paulus im Vergleich zur Exoduspassage eine Reihe von Details auslässt, sondern dem Exodustext auch zwei Aspekte hinzufügt:28 Auch wenn Ex 34,30 davon spricht, dass Aaron und die Ältesten Israels sich fürchteten, dem Mose nahe zu kommen, ist im Buch Exodus selbst nirgends davon die Rede, dass die Israeliten ihn wegen des Glanzes seines Gesichts nicht anblicken konnten (2Kor 3,7). Bekanntlich jedoch finden sich Parallelen hierzu in frühjüdischer Literatur, so bei Philo, VitMos 2,70 sowie bei Ps-Philo, LAB 12,1. Vor dem Hintergrund unserer Hypothese zur Pragmatik der Gesamtszene kann auch die Funktion dieses Motivs gut erklärt werden: Es kann keineswegs darum gehen, gegenüber dem Exodustext die Unwürdigkeit Israels – etwa aufgrund seiner Sünden – herauszuheben:29 Vielmehr wird die Herrlichkeit, die vom Antlitz des Mose ausgeht, als so groß verstanden, dass Mose aufgrund seiner Gottesbegegnung geradezu einem himmlischen Wesen verglichen werden kann, dem nicht ins Antlitz geblickt werden kann:30 Paulus betont gegenüber Ex 34 also das Ele————— 26

Vgl. jedoch M.J. HARRIS, The Second Epistle to the Corinthians, NIGTC, Grand Rapids 2005, 279, und LINDEMANN, Hermeneutik, 47. 27 Der Begriff „Midrasch“, der hier sicherlich weit gefasst werden muss, wird im Zusammenhang mit 2Kor 3 m.W. erstmals bei H. WINDISCH, Der zweite Korintherbrief, KEK 6, Göttingen 9 1924, 115, verwendet. 28 Hierzu auch HOFIUS, Gesetz, 92–101; SCHMELLER, Der Zweite Brief an die Korinther I, 201–204; S. VOLLENWEIDER, Freiheit als neue Schöpfung. Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt, FRLANT 147, Göttingen 1993, 262–269, und andere. 29 Vgl. jedoch S. HAFEMANN, Paul, Moses, and the History of Israel. The Letter/Spirit Contrast and the Argument from Scripture in 2 Corinthians 3, WUNT 81, Tübingen 1995, 282f. 30 Zu Paralleltexten für eine derartige Vorstellung vgl. etwa meinen Beitrag T. NICKLAS, ‚Our Righteous Brethren‘. Reflections on the Description of the Righteous Ones according to the Greek Revelation of Peter (Akhm. 2), in: A. De Jong u.a. (Hg.), Empsychoi Logoi. Religious Innovations in Antiquity (FS P.W. van der Horst), AJEC 73, Leiden/Boston 2008, 329–346: 336–341.

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ment der Epiphanie; eine Abwertung Israels dagegen scheint keine Rolle zu spielen. Viel schwieriger dagegen scheint die Erklärung des zweiten gegenüber Ex 34 überschüssigen Elements, die Erklärung des Partizips th.n katargoume,nhn (2Kor 3,7), zu dem sich in der bekannten frühjüdischen Literatur keine echten Parallelen finden. Es würde zu weit führen, hier alle exegetischen Probleme, die sich mit einer angemessenen Übersetzung verbinden, zu erörtern.31 Besonders einleuchtend erscheint mir hier ein Vorschlag von N. Baumert, der es nicht nur ermöglicht, auch die folgenden Vorkommen des Partizips zu deuten, sondern der auch dem oben angedeuteten Verhältnis der beiden Dienste gerecht werden kann. Baumert schreibt: „Der Dienst des Mose ist als ein Dienst des Verurteilens ‚ein außer Kraft gesetzt werdender‘. Hier steht im Griechischen ein Partizip, das (ähnlich wie Adjektive auf -tos) auch die grundsätzliche Möglichkeit bezeichnen kann … Dies dürfte hier die passende Übersetzung sein. Denn Paulus will nicht sagen, daß jener Dienst seit Christus nicht mehr gilt (dann hätte er gesagt: der Dienst wurde außer Kraft gesetzt), sondern daß er durch ihn, der für unsere Sünden gestorben ist, außer Kraft gesetzt werden kann.“32

Wichtig daran erscheint mir vor allem der Gedanke, dass es nicht um ein Außer-Kraft-Setzen auf institutioneller Ebene – d.h. der Institution des Mose-Dienstes und der ihr zukommenden Herrlichkeit – gehen kann, sondern um die „Außer-Kraft-Setzung“ im aufgrund des Paulusdienstes betroffenen Einzelfall, d.h. „die je aktuelle Aufhebung eines ‚Todesurteils‘ ..., dort wo ein Mensch Christus annimmt.“33 Dieses Zueinander wiederum ermöglicht schließlich auch eine angemessene Übersetzung von V.11, der dann erneut die Gedanken aus V.7f und V.9 aufnimmt: Auch V.11 würde dann nicht bedeuten, dass der Mosedienst als Institution außer Kraft gesetzt sei. Um es noch einmal im oben verwendeten Bild zu beschreiben: Die auf————— 31

Ausführlich hierzu der Überblick bei SCHMELLER, Der Zweite Brief an die Korinther I, 202–

205.

32 BAUMERT, Rücken zur Wand, 60. – Ganz anders etwa G. DAUTZENBERG, Alter und neuer Bund nach 2Kor 3, in: R. Kampling (Hg.), „Nun steht aber diese Sache im Evangelium ...“. Zur Frage nach den Anfängen des christlichen Antijudaismus, Paderborn u.a. 1999, 229–249: 237: „[W]ährend die Herrlichkeit des alten Bundes zusammen mit jener des Mose vergangen ist und darin auch das Vergehen des Bundes selbst sich abzeichnet, ‚bleibt‘ der neue Bund in seiner Herrlichkeit (3,11). D.h. der ‚neue Bund‘ nach 2Kor 3 steht zum alten Bund weit mehr in einem Verhältnis der Diskontinuität als der Kontinuität. Er ersetzt und überbietet den alten Bund, der auf Grund seiner Konstitution vergänglich und nicht heilskräftig war.“ 33 BAUMERT, Rücken, 60. Die Idee, dass der Text von einem Ende des alten Bundes als Institution ausgeht, findet sich regelmäßig in der Sekundärliteratur. Vgl. z.B. J. ECKERT, Gottes Bundesstiftungen und der Neue Bund bei Paulus, in H. Frankemölle (Hg.), Der ungekündigte Bund. Antworten des Neuen Testaments, QD 172 Freiburg u.a. 1998, 135–156: 139–46.

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grund des Mosedienstes womöglich erstellte Diagnose, dass der Mensch aufgrund seiner Sünde Tod und Verurteilung geweiht sei, kann im Einzelfall aufgrund der im Paulusdienst ermöglichten Therapie außer Kraft gesetzt werden – deren Ergebnis wiederum ist „bleibend“.34 2.2.3 Schließlich kann auch 2Kor 3,10 dann kaum bedeuten, dass die Herrlichkeit des Paulusdienstes so großartig ist, dass im Vergleich dazu die Herrlichkeit des Mosediensts geradezu verschwinde.35 Diese Deutung würde gleich in mehreren Punkten im Widerspruch zum Kontext stehen, war doch 3,7 und 3,9 die Herrlichkeit des Mosedienstes als Basis der Argumentation vorausgesetzt und wird doch offenbar auch in 3,11 erneut von der Herrlichkeit des Mosediensts gesprochen. 2Kor 3,10 wird jedoch dann verständlich, wenn 3,7–11 als Antwort auf die Frage verstanden ist, warum denn am Dienst des Paulus so wenig glanzvoll Herrliches zu erkennen sei. Das bereits genannte gegenüber Ex 34 überschüssige Element, dass die Söhne Israels wegen der Herrlichkeit seines Gesichts Mose nicht ansehen konnten, erhält dann seinen Sinn: Im Falle des Paulus ist das Verherrlichte wegen seiner übermäßigen Herrlichkeit nicht (konkret) verherrlicht, d.h. als Glanz sichtbar. Man muss hinzufügen: denn sonst wäre es auch nicht möglich, dem Paulus ins Gesicht zu blicken, wäre ein offenes Auftreten und Wirken des Apostels nicht mehr denkbar.36 2.3 2Kor 3,12–18 Vor diesem Hintergrund lässt sich nun auch ein großer Teil der folgenden Aussagen, die sich um das Motiv der „Hülle“ um das Gesicht des Mose drehen, verstehen. Die Rede von der parrhsi,a des Paulus schließt sich nicht nur perfekt an den oben genannten Gedanken an, sondern wird damit zum Gegenüber der Aussagen über Mose: Anders als Mose, der sich die Hülle auflegen musste, kann Paulus in großem Freimut auftreten, weil laut —————

34 Gänzlich anders dagegen etwa die Interpretation von GRÄSSER, Der Alte Bund, 88, welcher Alten und Neuen Bund als „einander ausschließende Gegensätze“ bezeichnet. 35 Diese Interpretation findet sich häufig in der einschlägigen Literatur. Vgl. z.B. LINDEMANN, Hermeneutik, 48; SCHMELLER, Der Zweite Brief an die Korinther I, 208–210, oder THRALL, Critical an Exegetical Commentary I, 250. 36 Ähnlich BAUMERT, Rücken zur Wand, 61f: „Sobald man ... das Oxymoron von V 10, daß das ‚Verherrlichte nicht verherrlicht‘ sei, auf die Geist-Herrlichkeit bezieht, schließt sich V 11 organisch an, ist nicht von Abwertung des Mosedienstes ... die Rede und klingt in V 10 das bei Paulus häufige Thema an, daß die Geist-Herrlichkeit für die Augen des Leibes unsichtbar ist (s. nur 3,12.18; 4,6.7.8.18) – im Unterschied zur Herrlichkeit des Mose, wo die ‚Herrlichkeit verherrlicht‘, nämlich sichtbar war.“

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3,10 das Verherrlichte an ihm nicht konkret sichtbar verherrlicht ist und keine Hülle benötigt. V.13 jedoch bereitet erneut eine Reihe von Problemen: Wenn der mit pro,j einsetzende Satz final aufgefasst wird und zudem das Syntagma to. te,loj tou/ katargoume,nou als „das Ende dessen, was außer Kraft gesetzt ist“, übersetzt wird, ist Mose letztlich zum Betrüger Israels gemacht, weil der Text aussagt, dass Mose die Hülle bewusst über sein Gesicht gezogen habe, um gegenüber Israel das Verschwinden des Glanzes auf seinem Gesicht zu verbergen.37 Dies aber ist weder mit der oben getroffenen Entscheidung zum Verständnis des Partizips katargoume,non, noch dem bei Paulus üblichen Verständnis des Wortes te,loj im Sinne von „Ziel“ zu vereinbaren.38 So scheint es mir wahrscheinlich, dass Paulus hier von einer logischen, aber nicht intendierten Folge des Verhaltens des Mose spricht:39 Weil Mose wegen der Herrlichkeit seines Gesichts die Hülle überziehen musste, kam es zu der tragischen Folge, dass Israel das Ziel des Mosedienstes – die „Therapie“ im Geistesdienst – im wahrsten Sinne „aus den Augen verlor.“ Zwischen V.13 und V.14 liegt in jedem Fall ein Sprung vor, der sich aber dann erklären lässt, wenn Mose und Tora in engste Beziehung zueinander gesetzt sind und vorausgesetzt ist, dass auch der Tora weiterhin Herrlichkeit zukommt. Die Hülle auf dem Gesicht des Mose bleibe auch auf dem Lesen des „alten Bundes“, der sich in der Tora ausdrückt. Dass beim Attribut „alt“ nicht die Konnotation „überholt“ mitschwingt, braucht sicher nicht eigens betont zu werden; „außer Kraft gesetzt“ wird auch nicht der alte Bund, sondern die Hülle, die unaufgedeckt auf dessen Lektüre liegt. Damit wird der alte Bund nicht außer Kraft gesetzt, jedoch eine eigene sich vom Christusereignis her begründende Schrifthermeneutik begründet, die sicherlich per se ebenfalls nicht unproblematisch sein mag, die die früheste christliche Auslegung der Schriften Israels jedoch in breiter Weise bestimmt.40 Dass auch V.16 wieder den Hintergrund aus Ex 34 – hier konkret Ex 34,34LXX – einspielt, ist deutlich: Ein genauerer Vergleich der beiden Texte scheint hier besonders lohnend.41 —————

37 So etwa die Interpretation von DAUTZENBERG, Alter und neuer Bund, 247; GRÄSSER, Der Alte Bund, 86; sowie G. THEISSEN, Psychologische Aspekte paulinischer Theologie, FRLANT 131, Göttingen 1983, 133f. 38 Hierzu vgl. etwa die Analyse bei M. TIWALD, Hebräer von Hebräern. Paulus auf dem Hintergrund frühjüdischer Argumentation und biblischer Interpretation, HBS 52, Freiburg u.a. 2008. 39 Anders etwa SCHMELLER, Der Zweite Brief an die Korinther I, 193, der final übersetzt. 40 Hierzu weiterführend T. NICKLAS, Die Schriften Israels im ‚Christentum‘ des 1. und 2. Jahrhunderts, in: I. Kalimi u.a. (Hg.), Scriptural Authority in Ancient Judaism, DCLS, Berlin/New York 2012 [im Druck]. 41 LINDEMANN, Hermeneutik, 55, will den Text zwar nicht als Zitat, jedoch als „exegetischen Kommentar“ zu Ex 34,34 ansehen.

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Ex 34,34LXX: h`ni,ka d’ a'n eivsporeu,eto Mwush/j e;nanti kuri,ou lalei/n auvtw/| perih|rei/to to. ka,lumma e[wj tou/ evkporeu,estai) 2Kor 3,16: h`ni,ka de. eva.n evpistre,yh| pro.j ku,rion( periairei/tai to. ka,lumma)

Der genaue Vergleich macht nicht nur deutlich, wie weit beide Texte aufeinander Bezug nehmen; tatsächlich ist jeder der erkennbaren Unterschiede signifikant. Die Tatsache, dass beide Verben, mit denen das Hinein- und Hinausgehen des Mose aus dem Bundeszelt beschrieben sind, bei Paulus fehlen, lässt den Aspekt zeitlicher Begrenzung des Abnehmens der Hülle verschwinden; die Tatsache, dass 2Kor 3,16 kein konkretes Subjekt nennt, ermöglicht weiter den Bezug auf Mose, öffnet den Text aber für jedes andere Subjekt, das sich dem Herrn zuwendet. Die Wahl des Verbs evpistre,fw lässt – wie in Ex 34,34 – an eine konkrete Hinwendung zum Gespräch denken, spielt aber andererseits auch den Aspekt der „Bekehrung“, wie er in 1Thess 1,9–10 zum Ausdruck gebracht ist, ein. Auch der Begriff ku,rioj mag nun anders konnotiert sein, Paulus dürfte nun an Christus denken.42 V.17 ist dann keine Aussage, die im Sinne späterer Überlegungen zum Zueinander der verschiedenen Personen der Trinität verstanden werden soll: Sich dem Herrn zuzuwenden, bedeutet sich dem Geist zuzuwenden, „mit dem die Gemeinde als Brief Christi in das Herz des Paulus geschrieben ist (3,3) und der als Leben spendende Kraft den neuen Bund und den Dienst des Paulus charakterisiert.“43 Diese Zuwendung schafft zugleich „Freiheit“ – ich würde den ansonsten so gewichtigen Begriff der evleuqeri,a hier zunächst nur auf den Gedanken der Befreiung von der Hülle und die in 3,12 angedeutete parrhsi,a des Paulus beziehen.44 Mit 3,18 ist so ein erstes Ziel der Argumentation erreicht: Der Paulusdienst hat tatsächlich Herrlichkeit an sich, und zwar nehmen alle, die sich dem Herrn zuwenden, an einem Transformationsprozess Teil, der sie nach demselben Bild in Herrlichkeit gestaltet. Diese Herrlichkeit wiederum wird – anders als beim Mosedienst – unverhüllt gespiegelt. Wichtig scheint mir dabei die Idee des „Spiegelns“: die Herrlichkeit ist nicht einfach Herrlichkeit der Glaubenden, sondern reflektierte Herrlichkeit des Herrn, der eben als „geist-lich“ verstanden wurde, der in 4,4 als Bild Gottes bezeichnet ————— 42

Dies wird in der Literatur immer wieder diskutiert. Vgl. aber die Argumentation bei M. FATEHI, The Spirit’s Relation to the Risen Lord in Paul. An Examination of Its Christological Implications, WUNT 2/128, Tübingen 2000, 289–302. 43 SCHMELLER, Der Zweite Brief an die Korinther I, 222. 44 Diesen Bezug stellt auch SCHRÖTER, Versöhner, 101f, her.

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werden kann, der m.E. aber gleichzeitig nicht anders als der gekreuzigte und auferweckte Christus (vgl. auch 4,5) identifiziert werden muss.45 Damit aber hat die bisherige Argumentation hat zwar dazu geführt, dass das Verherrlichte nicht in der Weise verherrlicht ist, wie es bei Mose war, was ja zu der (für Israel problematischen) Folge führte, dass das Ziel der Herrlichkeit des Mosedienstes nicht erkannt werden konnte. Nun sind die negativen Folgen, die sich aus der Form, in der sich im Mosedienst die Herrlichkeit zeigte, geklärt, und auch klar gemacht, dass allen, die sich Christus zugewandt haben, eine Herrlichkeit zukommt, die sie mit unverhülltem Gesicht „widerspiegeln“. 2.4 2Kor 4,1–6 2Kor 4,1f thematisiert noch einmal die Offenheit, in der der (auf Gottes Erbarmen zurückgeführte) Paulusdienst sich erfüllt; dies zeige sich sowohl anhand des paulinischen Lebenswandels, als auch in der offenen Art der Verkündigung (4,2). Damit entsteht ein Rückgriff auf den Gedanken der parrhsi,a in 3,12 sowie gleichzeitig auf das Motiv der „Empfehlung“ in 3,1–6. Die eigentliche Empfehlung des Paulus liege nicht in einem Empfehlungsschreiben, sondern in der Offenbarung der Wahrheit. Dies wieder wiederum sei eine Empfehlung vor jedem menschlichen Gewissen (und damit) gegenüber Gott. Dieser Gedanke wird verstehbar, wenn das Gewissen wie in Röm 2,15 verstanden ist als innere Instanz des Menschen, in der dem Menschen Gottes Wille gegenübertritt.46 Wenn dies so ist, dann kann das Gewissen des Menschen auch beurteilen, ob das, was Paulus offenbart, der Wahrheit entspricht. Das Syntagma evnw,pion tou/ qeou/ (2Kor 4,2) verleiht dieser Deutung eine zusätzliche Stütze. So sehr nun eigentlich die Wahrheit des von Paulus Offenbarten aufgrund des menschlichen Gewissens erkennbar sein müsste, so sehr jedoch ist es einigen verhüllt – der Rückgriff von 4,3 auf das Motiv der „Hülle“ in 3,12–18 ist deutlich. Es scheint, als nehme Paulus in 4,3f recht konkret den Vorwurf auf, dass an der Evangeliumsbotschaft des Paulus keine Herrlichkeit aufleuchte. Dem jedoch setzt Paulus bewusst den Gedanken gegen—————

45 Hierzu auch J. LAMBRECHT, Transformation in 2 Corinthians 3,18, in: DERS./BIERINGER, Studies on 2 Corinthians, 295–307; sowie N.T. WRIGHT, Reflected Glory. 2 Corinthians 3:18, in: Ders./L.D. Hurst (Hg.), The Glory of Christ in the New Testament. Studies in Christology in Memory of G.B. Caird, Oxford 1987, 139–150. 46 Zum paulinischen Begriff des „Gewissens“ vgl. v.a. E. LOHSE, Die Berufung auf das Gewissen in der paulinischen Ethik, in: DERS., Das Neue Testament als Urkunde des Glaubens. Exegetische Studien zur Theologie des Neuen Testaments, FRLANT 192, Göttingen 2000, 53–63.

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über, dass es sich bei der Herrlichkeit seines Evangeliums um Herrlichkeit Christi handele. Damit nimmt er nicht nur 3,17 auf, wo – offener – von der Herrlichkeit des Herrn die Rede war; die Verbindung Christus – Herr wird in 4,5 noch einmal besonders betont. Christus wiederum komme Herrlichkeit als Bild Gottes zu. 4,5f schließlich scheint mir die Antwort auf die entscheidende Frage zu geben: Auch im Angesicht Christi – Gottes Ebenbild und gleichzeitig für Paulus immer des Gekreuzigten, der von Gott auferweckt wurde – ist für denjenigen, der auf dem Weg ins Verderben ist (2Kor 4,3), kein „Glanz“ zu erkennen. Wo Gott selbst, auf den alles Licht zurückgeht, jedoch im Herzen aufgestrahlt ist, hatte dies zur Folge, dass auch die (verborgene) Herrlichkeit Gottes im Antlitz Christi erkannt werden kann.

3. Fazit Der Versuch, die komplexe Argumentation des Paulus in dem so wichtigen Abschnitt 2Kor 3,1–4,6 nachzuvollziehen, ist mit einer Vielzahl von Schwierigkeiten verbunden, die im vorgegebenen Rahmen sicherlich nicht alle einer Lösung zugeführt werden konnten. Die vorausgeschickte These, dass es der Argumentation des Paulus wohl weniger um das Verhältnis zwischen altem und neuem Bund geht als um die Frage, warum denn die Verkündigung seines Evangeliums von Christus, dem Bild Gottes (2Kor 4,4), so wenig glanzvoll sei, wo doch schon der Dienst des Mose sichtbare Herrlichkeit an sich gehabt habe, hilft jedoch, zumindest einige Fragen des Textes einer Lösung zuzuführen.47 Wenn die gemeinsame Basis in der Idee besteht, dass dem Mosedienst Herrlichkeit zukommt, dann kann die Argumentation des Paulus nicht darin bestehen, den Mosedienst völlig abzuwerten. Das Zueinander von Mosedienst und Paulusdienst kann dann im Sinne von Diagnose (des Zustands des Menschen) und Therapie verstanden werden, der Mosedienst ist damit nicht als Institution abgeschafft, sein Ergebnis kann vielmehr im Einzelfall aufgrund des Paulusdienstes bleibend überwunden werden. Das Motiv der Hülle, die Mose über sein Gesicht habe legen müssen, weil Israel ihn nicht mehr anblicken konnte (3,7), wird auf seine (von Mose unbeabsichtigten) negativen Folgen befragt: Weil mit Mose auch die Tora verhüllt geblieben sei, sei Israel der Blick auf das Ziel des Mosedienstes verwehrt geblieben. Deswegen komme der Herrlichkeit des Paulusdienstes eine andere Qualität zu: sie sei, anders als im Falle des Mosedienstes, nicht konkret sichtbar verherrlicht (3,10), um die Verkündi—————

47 Ich denke, dass über diesen Gedanken die von KOCH, Abraham und Mose, hergestellte Brücke zwischen 2Kor 11 und 2Kor 3 noch stärker gemacht werden kann.

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gung in Offenheit und Freimut zu ermöglichen (3,12). Und trotzdem spiegele sie unverhüllt Herrlichkeit, nämlich Herrlichkeit des Herrn (3,18) bzw. Herrlichkeit Christi (4,4), der Gottes Ebenbild ist. Mit dem Bild des Spiegels aus 3,18 wiederum wird eine Differenzierung im Verhältnis zur Herrlichkeit Gottes angezeigt: Paulus (und die Christen) sind damit nicht einfach Mose gleichgesetzt, der Herrlichkeit an sich trägt. Christus als Bild Gottes trägt Gottes Herrlichkeit an sich, seine Anhänger wiederum reflektieren diese aufgrund ihrer Christusbeziehung wie ein Spiegel, lassen sie – unverhüllt und doch im Ansatz – an sich selbst erkennen und werden in einem Transformationsprozess mehr und mehr zum Bild Gottes verwandelt.48 Diese Herrlichkeit jedoch – man möchte hinzufügen, die Herrlichkeit des Gekreuzigten, der von Gott auferweckt wurde – sei denen, die nicht glaubten (4,4), verborgen, denen jedoch, in deren Herzen Gott aufstrahlt (4,6) erkennbar – auf dem Gesicht Christi erkennbar, der bei Paulus sicherlich nicht anders als der geschundene Gekreuzigte, der von Gott auferweckt wurde, verstanden sein kann.

—————

48 Vgl. auch die Überlegungen zur Bedeutung der Spiegel-Metaphorik bei A. WEISSENRIEDER, Der Blick in den Spiegel. II Kor 3,18 vor dem Hintergrund antiker Spiegeltheorien und ikonographischer Abbildungen, in: P. von Gemünden u.a. (Hg.), Picturing the New Testament. Studies in Ancient Visual Images, WUNT 2/193, Tübingen 2005, 313–343: 342.

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Dieter Sänger „Jetzt aber führt auch das Tun zu Ende“ (2Kor 8,11) Die korinthische Gemeinde und die Kollekte für Jerusalem

1. Die Kollektenvereinbarung (Gal 2,10) – Anlass und Kontext Über den Verlauf und Ertrag des Apostelkonvents berichtet Paulus in Gal 2,1–10. Die Ergebnisse fasst er in V.6–10 zusammen. Zunächst betont er, ihm sei von den – erst später (V.9) namentlich erwähnten – Jerusalemer Autoritäten nichts zusätzlich auferlegt worden (V.6d). Der engere Kontext (V.3–5) legt es nahe, diese Bemerkung auf den fehlgeschlagenen Versuch der „falschen Brüder“ (vgl. 2Kor 11,26) zu beziehen, christusgläubige Nichtjuden wie Titus auf die Beschneidung zu verpflichten1. Nachdem er festgestellt hat, in dieser Richtung habe es seitens der dokou/ntej keinerlei Forderungen an ihn gegeben, kommt Paulus nun auf den positiven Gehalt des zuvor negativ Formulierten (ouvde.n prosane,qento) zu sprechen. Mit —————

1 Anders F. WATSON, Paul, Judaism and the Gentiles. A Sociological Approach, MSSNTS 56, Cambridge u.a. 31989, 50–52. Er beurteilt die Verse 3–5 als eine den Zusammenhang von V.2 und V.6 unterbrechende Digression, in der Paulus den Grund für seinen zweiten Jerusalembesuch mitteilt. Mit den „falschen Brüdern“ seien die in Antiochien aufgetretenen Unruhestifter aus Judäa gemeint, von denen Lukas berichtet (Act 15,1.24). Als Emissäre der Jerusalemer Autoritäten hätten sie deren tiefe Besorgnis „over the new policies which had been adopted there“ (51) zum Ausdruck gebracht. Zur Lösung des Konflikts seien Paulus und Barnabas als Vertreter Antiochiens nach Jerusalem gereist, um Jakobus und die dortige Gemeinde zu bewegen „to abandom their hostility towards the new policy with regard to the Gentiles and the law“ (52). Gegen diese Annahme spricht – von anderen Einwänden einmal abgesehen – die auf der gleichen Zeitebene angesiedelte Akoluthie der Ereignisse. Denn Paulus stellt eine direkte Verbindung her zwischen der Darlegung seines Evangeliums im engeren Kreis der dokou/ntej (V.2), ihrem (daraus resultierenden) Verzicht, von Titus die Übernahme der Beschneidung zu verlangen, und dem als katadouleu,ein charakterisierten gegenteiligen Ansinnen der „falschen Brüder“ (V.3f). Aus V.3 geht hervor, dass sie sich nicht durchsetzen konnten: avllV ouvde. Ti,toj ... hvnagka,sqh peritmhqh/nai. Der Satz verneint also nicht generell, „auf Titus [sei] ein (moralischer) Zwang ausgeübt worden“, sondern er besagt lediglich, dass dieser Versuch erfolglos bliebt. Deshalb ist der Schluss keineswegs „unumgänglich, dass die in V 4f beschriebene Situation ... nicht in Jerusalem stattfand“, H. ZEIGAN, Aposteltreffen in Jerusalem. Eine forschungsgeschichtliche Studie zu Galater 2,1–10 und den möglichen lukanischen Parallelen, ABG 18, Leipzig 2005, 448. Allerdings ist durchaus möglich, dass die Notiz über die Falschbrüder auch Vorgänge in Antiochien im Blick hat.

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„sondern im Gegenteil“ leitet er zu dem zweiten und wichtigsten Ergebnis der Verhandlungen über (V.7–10). Jakobus, Petrus und Johannes, die „Säulen“ der Jerusalemer Gemeinde (V.9), „haben gesehen, dass mir das Evangelium für die Unbeschnittenen anvertraut ist wie Petrus (das Evangelium) für die Beschnittenen“ (V.7). V.8 zeigt, dass der Ton auf kaqw.j Pe,troj th/j peritomh/j liegt2. Die eingeschobene Parenthese begründet (ga,r), warum für Paulus das Gleiche gilt wie für Petrus. Darüber hinaus macht sie deutlich, in welcher Hinsicht die drei Genannten zu einer Einsicht gelangten, die ihnen bisher verschlossen blieb. Grammatisches bzw. logisches Subjekt der Verben pisteu,esqai (V.7b), evnergei/n (V.8) und di,dosqai (V.9a) ist Gott. Um sein Handeln geht es3. Diese im eigentlichen Sinne des Wortes theo-logische Grundierung der Verse spiegelt den entscheidenden Erkenntnisfortschritt der Jerusalemer: Es ist derselbe Gott, der durch Petrus unter den Juden wirksam war und sich in der Mission eivj ta. e;qnh, mit der Paulus beauftragt ist, als wirkmächtig erwiesen hat (V.8). Die koordinierten Partizipien ivdo,ntej und gno,ntej (V.7.9) referieren auf zwei verschiedene, aber untrennbar miteinander verbundene Sachverhalte. Gesehen haben die dokou/ntej stu/loi, „dass mir das Evangelium für die Unbeschnittenen anvertraut ist“; erkannt haben sie „die Gnade, die mir verliehen ist“. Damit machten sie sich zu eigen, was Paulus aus der Retrospektive als den zentralen Inhalt der ihm zuteil gewordenen Christusoffenbarung beschreibt: Seine gnadenhafte Berufung zum Völkerapostel (1,15f)4. ————— Vgl. F. SIEFFERT, Der Brief an die Galater, KEK 7, Göttingen 9(6)1899, 115; H. SCHLIER, Der Brief an die Galater, KEK 7, Göttingen 15(6)1989, 77. Die Vergleichspartikel kaqw,j drückt Komplementarität, keinen Gegensatz aus. 3 Das Perf. Pass. pepi,steumai – in der Wendung kaqw.j Pe,troj th/j peritomh/j ist nach Pe,troj gedanklich pepi,steutai to. euvagge,lion zu ergänzen – ist wie das Part. Aor. Pass. doqei/san ein Passivum divinum. Die Referenz von o` evnergh,saj (vgl. 1,6.15; 3,5; 5,8) und evnh,rghsen ist jeweils dieselbe: Gott. 4 Unter Anspielung auf Jes 49,1.6 (explizit: Act 13,47) und Jer 1,5. Vgl. ferner Röm 1,1.5; 11,13; 12,3; 15,15f; 1Kor 3,10; 15,10. WATSON, Paul, Judaism and the Gentiles, 28–38, hält Gal 1,15f für ein paulinisches Konstrukt. Erst nachdem seine anfängliche Judenmission erfolglos geblieben sei, habe sich Paulus den Völkern zugewandt. Noch einmal anders akzentuiert D.A. CAMPBELL, Galatians 5.11: Evidence of an Early Law-observant Mission by Paul, NTS 57 (2011) 325–347: Im Frühstadium seiner missionarischen Karriere habe Paulus christusgläubige Nichtjuden zur Übernahme der Beschneidung angehalten. Erst später sei er davon abgerückt. In Gal 2,8 bezieht sich avpostolh, allein auf Petrus. Für manche ein Indiz dafür, Paulus habe seinen Apostolatsanspruch nicht durchsetzen können, vgl. etwa H.D. BETZ, Der Galaterbrief. Ein Kommentar zum Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in Galatien, München 1988, 187f. Neben dieser einseitigen Reservierung des Begriffs für Petrus fällt auf, dass hier und in V.7 Pe,troj und nicht Khfa/j steht, wie es bei Paulus sonst immer der Fall ist (1Kor 1,12; 3,22; 9,5; 15,5; Gal 1,18; 2,9.11.14). Im Anschluss an O. CULLMANN, Petrus. Jünger – Apostel – Märtyrer, Zürich/Stuttgart 21960, 19, und E. DINKLER, Der Brief an die Galater. Zum Kommentar von Heinrich Schlier, in: DERS., Signum Crucis. Aufs. zum Neuen Testament und zur Christlichen Archäologie, Tübingen 1967, 270–282: 279–282, wird dieser Befund oft dahingehend interpretiert, in V.7f zitiere Paulus aus der griechischen Fassung des Verhandlungsprotokolls, so u.a. G. KLEIN, Galater 2

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„Jetzt aber führt auch das Tun zu Ende“ (2Kor 8,11)

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Auf der Basis dieser nunmehr gemeinsamen Überzeugung kamen alle Beteiligten überein: Paulus und Barnabas („wir“) „zu den Völkern, sie (sc. die Jerusalemer) zu den Beschnittenen“ (V.9c)5. Die Konsensformel impliziert, dass beide Seiten einander die Gleichrangigkeit ihrer auf jeweils un————— 2,6–9 und die Geschichte der Jerusalemer Urgemeinde, in: DERS., Rekonstruktion und Interpretation. GAufs. zum Neuen Testament, BEvTh 50, München 1969, 99–118 (118–128: Nachtrag), bes. 106f.110; G. SCHWARZ, Zum Wechsel von „Kephas“ zu „Petros“ in Gal 1 und 2, BN 62 (1992) 46–50; D. KREMENDAHL, Die Botschaft der Form. Zum Verhältnis von antiker Epistolographie und Rhetorik im Galaterbrief, NTOA 46, Fribourg/Göttingen 2000, 87–90; M. HENGEL, Der unterschätzte Petrus. Zwei Studien, Tübingen 2006, 37 (mit Anm. 73). Zurückhaltender urteilen BETZ, a.a.O. 185f (Paulus „erinnert seine Leser wohl eher an die betreffenden Abmachungen, indem er Begriffe verwendet, auf die sich die Parteien geeinigt hatten“, ebd. 186), F.F. BRUCE, The Epistle to the Galatians. A Commentary on the Greek Text, NIGTC 2, Grand Rapids 21998, 120f, und R.N. LONGENECKER, Galatians, WBC 41, Dallas 1990, 55f. Jedoch gibt Paulus durch nichts zu erkennen, er zitiere „aus einer Art Kommuniqué“ (SCHWARZ, a.a.O. 48). Überhaupt fehlt jeder Hinweis auf ein solches offizielles Dokument (das von KREMENDAHL, a.a.O. 89, bemühte Aposteldekret Act 15,23–29 ist gerade keine Parallele). Wenig für sich hat die Hypothese, V.7f reflektiere eine bereits während des ersten Jerusalembesuchs (Gal 1,18f) zwischen Petrus und Paulus getroffene Vereinbarung über die Aufteilung der Missionsfelder, die nach dem Übergang der Leitungsfunktion auf Jakobus von den Konferenzteilnehmern formell bestätigt wurde, A. SCHMIDT, Das Missionsdekret in Galater 2.7–8 als Vereinbarung vom ersten Besuch Pauli in Jerusalem, NTS 38 (1992) 149–152. Ihm folgen z.B. S. KIM, The ‚Mystery‘ of Rom 11.25–6 Once More, NTS 43 (1997) 412–429: 426–429; J.L. MARTYN, Galatians. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 33A, New York u.a. 1997, 204.212, und H. PONSOT, Peut-on encore parler de „Concile“ de Jérusalem? À propos d’Ac 15 et de la Chronologie Paulinienne, RB 109 (2002) 556– 586: 564.577. Da Gal 2,7–10 trotz der beiden Anakoluthe (an der Grenze von V.5 und V.6 sowie in V.6) klar strukturiert ist und kompositorisch eine Einheit bildet, wird man nicht mehr sagen können, als dass Paulus hier den Ertrag der Verhandlungen mit eigenen Worten wiedergibt. V.8 lässt sich aber keinesfalls entnehmen, ihm sei die Anerkennung als Apostel verweigert worden. Ausdrücklich wird ja festgestellt, Gott selbst habe seine Verkündigung eivj ta. e;qnh autorisiert, so dass der präpositionale Ausdruck für eivj avpostolh.n tw/n evqnw/n steht. Zudem wird das im zweiten Glied des Satzes Ausgelassene kurz darauf nachgeholt. Wenn Paulus in V.9a davon spricht, die dokou/ntej stu/loi hätten die „mir verliehene Gnade“ erkannt (vgl. Röm 12,3; 15,5), ist nichts anderes gemeint als die Akzeptanz seines Völkerapostolats durch das Leitungsgremium der Jerusalemer Gemeinde. Der Grund für den Gebrauch der griechischen Namensform dürfte in der Briefsituation liegen. Durch die Wahl des titularen Beinamens will Paulus den Adressaten deutlich machen, dass es kein geringerer als der „unbestrittene Felsenmann der judenchristlichen Mission“ ist, mit dem er sich vergleichen kann und dessen Apostolat der Maßstab ist, an dem sein eigener apostolischer Anspruch gemessen werden soll, J. BECKER, Der Brief an die Galater, in: DERS./U. LUZ, Die Briefe an die Galater, Epheser und Kolosser, NTD 8/1, Göttingen 18(1)1998, 7–103: 35. 5 Auch wenn die elliptische Formulierung „unterschiedliche Missionsweisen“ beschreibt, M. WOLTER, Paulus. Ein Grundriss seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 41 (Kursivierung im Orig.), schließt das eine ethnisch oder geographisch orientierte Zielrichtung nicht a limine aus. Schon deshalb nicht, weil a) Paulus und Barnabas bereits vor dem Apostelkonvent außerhalb der jüdischen Kerngebiete evn toi/j e;qnesin (2,2) missioniert haben und b) mit eivj th.n peritomh,n an einen ethnisch definierten Adressatenkreis, d.h. vor allem an Juden gedacht sein dürfte. Dass später pauluskritische judenchristliche Missionare, die vermutlich in enger Verbindung mit der Jerusalemer Gemeinde standen, etwa auch in Galatien, Philippi und Korinth aktiv waren, spricht nicht dagegen. Denn zum Zeitpunkt des Apostelkonvents war diese Entwicklung noch nicht vorhersehbar. Vgl. M.C. DE BOER, Galatians. A Commentary, Louisville 2011, 125f.

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terschiedliche Weise betriebenen missionarischen Verkündigung zugestanden. Wenngleich die eine mit der anderen nicht identisch ist, darf doch jede für sich in Anspruch nehmen, dem Willen Gottes zu entsprechen und den christlichen Glauben zur Geltung zu bringen. Das gilt für die paulinische Verkündigung des euvagge,lion th/j avkrobusti,aj ebenso wie für das von Petrus verkündigte Evangelium für die Beschnittenen. Eben darauf hebt das Stichwort koinwni,a (V.9b) ab. Es unterstreicht den einvernehmlichen Charakter der erzielten Übereinkunft. Ihr erster Teil besagt: Die von Paulus und Barnabas bisher praktizierte beschneidungsfreie (gemeint ist nicht: gesetzesfreie) Mission wird theologisch ins Recht gesetzt. Christen aus der Völkerwelt müssen auch künftig nicht Juden werden, um volle ekklesiale Gemeinschaft mit den Christusgläubigen jüdischer Herkunft zu haben. Der zweite Teil des Beschlusses: auvtoi. de. eivj th.n peritomh,n erscheint hingegen mehrdeutig. Er lässt nämlich, wie der Gal exemplarisch dokumentiert, Raum für unterschiedliche Interpretationen6. Klar ist nur, dass von einem Beschneidungsverbot ausdrücklich nicht die Rede ist. Dennoch hat Paulus die Wendung – jedenfalls später – in diesem Sinne verstanden. Einer solchen extensiven Auslegung, die aus dem Zugeständnis einen generellen Verzicht ableitet, hätten seine damaligen Verhandlungspartner wohl kaum zugestimmt. Offenbar war lediglich vereinbart worden, Heidenchristen dürften nicht verpflichtet werden, sich beschneiden zu lassen. Damit stand ihnen aber, jedenfalls aus Jerusalemer Sicht, prinzipiell die Möglichkeit offen, sich für diese Option zu entscheiden. Sollten sie also von ihr Gebrauch machen und sich aus freien Stücken der Beschneidung unterziehen, verstießen weder sie noch die judenchristlichen Missionare, die ihnen zu diesem Schritt geraten hatten, gegen den Konventsbeschluss7. Über das dritte Ergebnis, die Übereinkunft in der Kollektenfrage, informiert Paulus am Ende seines Berichts. „Wir“, das heißt wohl in erster Linie er selbst und Barnabas, sollten „der Armen gedenken“ (V.10a). Der Nachsatz „eben dies zu tun habe ich mich auch bemüht“ (V.10b) 8 setzt den seit geraumer Zeit erfolgten Start, nicht notwendig auch schon den Abschluss der Kollektensammlung voraus. Die galatischen Gemeinden wussten um sein persönliches Engagement in dieser Angelegenheit (1Kor 16,1)9. Viel————— 6 Auf das der Abmachung innewohnende Konfliktpotential weist U. SCHNELLE, Der 2. Korintherbrief und die Mission gegen Paulus (in diesem Band 300–322, bes. 309ff) zu Recht hin. 7 Vgl. G. THEISSEN, Die Gegenmission zu Paulus in Galatien, Philippi und Korinth: Versuch einer Einheitsdeutung, in: W. Kraus (Hg.), Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte, BZNW 163, Berlin/New York 2009, 277–306: 285f; WOLTER, Paulus, 40f. 8 Zur verstärkenden Funktion des kai, nach einem Relativpronomen vgl. BDR § 442,8b (mit Anm. 24). 9 Ich setze also voraus, dass der Gal später als der 1Kor datiert. Wahrscheinlich wurde er nicht allzu lange vor dem Röm abgefasst, vgl. D. SÄNGER, „Das Gesetz ist unser paidadwgo,j geworden bis zu Christus“ (Gal 3,24). Zum Verständnis des Gesetzes im Galaterbrief, in: DERS., Von der Be-

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fach wird angenommen, das vorangestellte mo,non („allein, nur“) impliziere eine Relativierung, Modifizierung oder Korrektur des kurz zuvor emphatisch Verneinten (ouvde.n prosane,qento, avlla. touvnanti,on)10. Gegen diese Lesart spricht neben einem syntaktischen Argument – bei der Referenz auf ouvde.n prosane,qento klappte das mo,non doch merklich nach – das durch die adverbiale Anbindung angezeigte innere Zuordnungsverhältnis der Verse 9 und 10. Im Ensemble stützen sie gerade Paulus’ Aussage, ihm sei von den Autoritäten nichts auferlegt worden, was im Widerspruch zu seiner Christusverkündigung stünde11. Der absolut gebrauchte Gen. qual. koinwni,aj erhellt zum einen die Tiefendimension der mit Handschlag besiegelten „consensual societas“12, zum anderen markiert er den Wahrnehmungs- und Ver————— stimmtheit des Anfangs. Studien zu Jesus, Paulus und zum frühchristlichen Schriftverständnis, Neukirchen-Vluyn 2007, 158–184: 161f. Paulus hat dann die Galater entweder per Boten (mündlich bzw. schriftlich) über das Kollektenunternehmen informiert, oder aber, sollte sich to. pro,teron in Gal 4,13 auf einen zweiten Besuch beziehen, bei dieser Gelegenheit für die Sammlung geworben. Der Gründungsaufenthalt fällt als Möglichkeit aus, da er m.E. während der sog. 1. Missionsreise erfolgte. Näheres hierzu in meiner Studie: Die Adresse des Galaterbriefs. Neue (?) Überlegungen zu einem alten Problem, in: M. Bachmann/B. Kollmann (Hg.), Umstrittener Galaterbrief. Studien zur Situierung und Theologie des Paulus-Schreibens, BThSt 106, Neukirchen-Vluyn 2010, 1–56, bes. 37ff. 10 Vgl. pars pro toto H. LIETZMANN, An die Galater. Mit einem Literaturnachtrag von Ph. Vielhauer, HNT 10, Tübingen 41971, 13: „Nur eine Zusatzbestimmung ist gemacht worden ... Insofern ist das ouvde,n von v. 6 zu korrigieren“. In diesem Sinne versteht die Wendung mo,non tw/n ptwcw/n i[na mnhmoneu,wmen zuletzt wieder A. LINDEMANN, Hilfe für die Armen. Die Jerusalem-Kollekte des Paulus als „diakonisches Unternehmen“, in: DERS., Glauben, Verstehen, Handeln. Studien zur Auslegung des Neuen Testaments II, WUNT 282, Tübingen 2011, 253–283: 254 (mit Anm. 5). B. BECKHEUER, Paulus und Jerusalem. Kollekte und Mission im theologischen Denken des Heidenapostels, EHS.T 611, Frankfurt a.M. u.a. 1997, 62, meint sogar, Paulus taktiere hier. Das „kleinlaut[e]“ Eingeständnis, es sei „doch eine Auflage vereinbart worden, wenn es auch nur eine Kleinigkeit ist“, sei „aus taktischen Gründen im Rahmen seiner Apologie erforderlich gewesen, damit ihn seine Gegner vor Ort nicht der Unwahrhaftigkeit bezichtigen konnten“. Noch einmal anders R. SCHÄFER, Paulus bis zum Apostelkonzil. Ein Beitrag zur Einleitung in den Galaterbrief, zur Geschichte der Jesusbewegung und zur Pauluschronologie, WUNT 2/179, Tübingen 2004, 221f. Zwar geht auch sie von einer einschränkenden Funktion des mo,non aus, bezieht es aber auf die unmittelbar zuvor mitgeteilte Vereinbarung. Obwohl sie „auf getrennte Zuständigkeiten der Apostel“ hinauslaufe, benenne V.10a „eine bestimmte Form der Verantwortlichkeit“ der eigentlich für die „Heidinnen und Heiden“ zuständigen antiochenischen Missionare auch „für den palästinischen Raum“ (ebd. 222). Hingegen versteht D. GEORGI, Der Armen zu gedenken. Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem, Neukirchen-Vluyn 21994, V.6fin als Anspielung auf das Aposteldekret (Act 15,24–29), von dem sich Paulus hier distanziere (19f). 11 Das gilt unabhängig davon, ob man den Finalsatz in V.10a auf dexia.j e;dwkan ... koinwni,aj bezieht, so dass er mit dem vorhergehenden i[na-Satz korrespondiert, oder ob man in dem zweiten i[na eine nachgestellte epexegetische Konjunktion erblickt. Auch im ersten Fall erscheint der Schluss nicht zwingend, die Kollekte wäre dann „doch wieder conditio sine qua non der gesetzesfreien Heidenmission“, so G. LÜDEMANN, Paulus, der Heidenapostel I. Studien zur Chronologie, FRLANT 123, Göttingen 1980, 105 Anm. 106. 12 S. JOUBERT, Paul as Benefactor. Reciprocity, Strategy and Theological Reflection in Paul’ Collection, WUNT 2/124, Tübingen 2000, 101 (Kursivierung im Orig.). Schon im klassischen und vorklassischen Griechentum besiegelte der Handschlag eine von zwei Parteien verbindlich einge-

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stehenshorizont von V.10. Nachdem beide Seiten einander bescheinigt haben, gemeinsame Basis ihrer jeweils unterschiedlichen Missionsarbeit sei das eine Evangelium, verweisen die Bitte, der Armen zu gedenken, und die Beteuerung, ihr entsprochen zu haben, auf die konnektive Struktur von ekklesialer koinwni,a und geschwisterlicher Hilfe. Daraus wird zweierlei ersichtlich: In der paulinischen Kollekte13 findet die auf dem Apostelkonvent gewissermaßen vertraglich geregelte und gesamtkirchlich approbierte Gemeinschaft zwischen Juden- und Heidenchristen ihren sichtbaren Ausdruck (vgl. Röm 15,26; 2Kor 8,4; 9,13)14. Zugleich ist sie, jedenfalls für Paulus, „a gesture of Christian solidarity between Jewish and Gentile Christians“15. Unter rhetorischem Aspekt fungiert V.10 als Evidenzargument für die Legitimität des den dokou/ntej privatim dargelegten euvagge,lion o] khru,ssw evn toi/j e;qnesin (V.2), in pragmatischer Hinsicht als kodierte Handlungsanweisung. Indem Paulus die Kollekte, an der die Galater sich beteiligt haben (1Kor 16,1), unter das Leitwort koinwni,a stellt, ruft er sie dazu auf, nicht hinter die Vereinbarung zurückzufallen und sich damit dem „Prozeß der gegenseitigen Anerkennung“16 zu entziehen. Wer die Kollekte angeregt hat, sagt Paulus nicht. Vermutlich waren es Jakobus, Petrus und Johannes. Dass sie jedoch „for their own benefit“17 die Initiative ergriffen haben, wie Ph.F. Esler meint, erscheint wenig plausibel. ————— gangene, auf gegenseitigem Vertrauen beruhende vertragliche Verpflichtung, Hom. Il II 341; Soph. Ai. 751; Eur. Med. 21; Xen. an. VII 3,1, vgl. Verg. Aen. 3,610f. Im Sinne von „Vertrag“ begegnet dexi,a auch in Papyri: BGU III 899,13 (evxedo,mhn soi th.n dexi,an mou avsfa,leian); P.Oxy. III 533,18 (i[na thrh,swsi auvtw/n th.n dexi,an); P.Fay. 124,13 (fula,ssein th.n dexi,an). Jüdische Belege: 1Makk 6,58; 11,50.62.66; 13,45; 2Makk 4,34; 11,26; Jos, Ant 18,326.328 u.ö. 13 Der Wechsel von der 1. Pers. plur. („wir sollten gedenken“) zur 1. Pers. sing. („ich habe mich bemüht“) signalisiert, dass zumindest Barnabas an der Kollekte nicht mehr beteiligt war. 14 WOLTER, Paulus, 42, bezeichnet die Kollekte als „Realsymbol für die Verbundenheit und Zusammengehörigkeit von Judenchristen und Heidenchristen“. GEORGI, Der Armen zu gedenken, 22, erblickt in ihr die „einzig sichtbare Klammer zwischen Juden- und Heidenchristenheit“. Als „die Bestätigung der Gleichrangigkeit der heidenchristlichen Gemeinden mit den judenchristlichen“ wertet sie J. GNILKA, Die Kollekte der paulinischen Gemeinden für Jerusalem als Ausdruck ekklesialer Gemeinschaft, in: R. Kampling/Th. Söding (Hg.), Ekklesiologie des Neuen Testaments (FS K. Kertelge), Freiburg u.a. 1996, 301–315: 313. 15 J. PATHRAPANKAL, „Apostolic Commitment and „Remembering the Poor“. A Study in Gal 2:10, in: T. Fornberg/D. Hellholm (Hg.), Texts and Contexts. Biblical Texts in Their Textual and Situational Contexts (FS L. Hartman), Oslo u.a. 1995, 1000–1018: 1005. Von einem Akt „praktischer Solidarität“, der „die theologische Einigung und die koinwni,a auf der Gemeindeebene ... konkretisiert“, spricht B. JÜRGENS, Zweierlei Anfang, BBB 120, Berlin/ Bodenheim 1999, 71. 16 F. VOUGA, An die Galater, HNT 10, Tübingen 1998, 50. 17 PH.F. ESLER, Making and Breaking an Agreement Mediterranean Style: A New Reading of Galatians 2:1–14, in: M.D. Nanos (Hg.), The Galatian Debate. Contemporary Issues in Rhetorical and Historical Interpretation, Peabody 2002, 261–281: 271 (Erstveröffentlichung in: BibInt 3 [1995] 285–314). Vgl. auch DERS., Galatians, New Testament Readings, London/New York 1998, 127–140.

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Er gelangt zu diesem Schluss, weil er die Abmachung in das kultur- und sozialanthropologische Paradigma des „Honour-Shame-Code“ einzeichnet. Leitend ist für ihn eine doppelte Annahme: (1.) Im antik-mediterranen Kulturraum spielte dieser Kodex eine zentrale Rolle. Das von ihm repräsentierte Wertesystem bestimmte den gesellschaftlichen Status von Einzelpersonen oder Gruppen und diente als Regulativ für die Selbst- und Fremdeinschätzung sozialer Interaktionen jeglicher Art. (2.) Aufgrund seiner kategorialen Bedeutung und (relativ) einheitlichen Konzeptualisierung ist damit zu rechnen, dass der Ehre/Schande-Code auch die „interpersonal relations“ auf der Jerusalemer Konferenz maßgeblich beeinflusst hat18. Unter dieser Voraussetzung geht Esler von dem folgenden Szenario aus: Auf dem Hintergrund der „prevailing social values and practices“19 habe Paulus’ Besuch in der Stadt für die Jerusalemer Autoritäten eine große Herausforderung dargestellt. Denn er sei nicht bereit gewesen, den ihnen zugeschriebenen Status als dokou/ntej [stu/loi] (Gal 2,2.6.9) und damit ihre „pre-eminence over him“20 anzuerkennen. Deshalb hätten sie zum Zeichen ihrer „superior position“21 und um vor der eigenen Gemeinde ihr Gesicht zu wahren, für ihre Zustimmung zu der von Paulus und Barnabas praktizierten Völkermission auf einer Kompensation bestanden. Sie wurde ihnen gewährt, und zwar in Form der materiellen Unterstützung für die notleidenden Christen in Jerusalem22. Anschließend konnten sie für sich in Anspruch nehmen „that they had extracted a valuable concession in return“23. Ihnen blieb dadurch die Schmach erspart, einem Rangniederen entgegengekommen zu sein, ohne von ihm eine Gegenleistung empfangen zu haben. Ihre Ehre war gerettet.

Eslers Perspektive auf den Text läuft im Ergebnis auf eine Variante der alten These K. Holls hinaus, wonach die Kollekte einer religiös begründeten

————— 18

Making and Breaking an Agreement, 263f. A.a.O. 267. 20 Ebd. 21 A.a.O. 272. 22 Auf sie bezieht sich oi` ptwcoi,. Hingegen ist B.W. LONGENECKER, Good News to the Poor: Jesus, Paul, and Jerusalem, in: T.D. Still (Hg.), Jesus and Paul Reconnected. Fresh Pathways into an Old Debate, Grand Rapids/Cambridge, U.K. 2007, 37–65, der Ansicht, Paulus sei gebeten worden, dafür Sorge zu tragen „that Gentile Christians should care for the poor and needy within their own local contexts“ (58). Vgl. DERS., Dating the origin of Paul’s collection for the saints in Judaea: The Corinthian contribution, in: C.J. Belezos u.a. (Hg.), Saint Paul and Corinth. 1950 Years since the Writing of the Epistles to the Corinthians. Exegesis – Theology – History of Interpretation – Philology – Philosophy – St. Paul’s Time. International Scholarly Conference Proceedings (Corinth, 23–25 September 2007), Vol. II, Athen 2009, 263–275: 264–266, und jetzt ausführlich: Remember the Poor. Paul, Poverty, and the Greco-Roman World, Grand Rapids/Cambridge, U.K. 2010, 135–206, bes. 195ff: Weil die „Jerusalem apostles were … concerned that Jewish traditions about caring for the poor might be abandoned in a mission to the pagan world“ (198f), hätten sie darauf hingewirkt, notleidende Menschen im Umfeld der paulinischen Gemeinden finanziell zu unterstützen. Warum verbindet Paulus dann aber die Kollekte, wenn er anderswo von ihr spricht, speziell mit Jerusalem (Röm 15,25f.31; 1Kor 16,1–4, vgl. 2Kor 8,4; 9,1.12)? 23 ESLER, Making and Breaking an Agreement, 271. 19

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Rechtsforderung der Jerusalemer „Kirche“ entsprungen sei24. Als Sitz der Apostel reklamierte sie für sich den Supremat über alle anderen Gemeinden, einschließlich der Befugnis, sie zu visitieren und zu besteuern. Mit seiner Bereitschaft, die Kollekte durchzuführen, habe Paulus den Leitungsanspruch der Jerusalemer anerkannt und bestätigt25. Daran ist sicher eines richtig: Für Paulus war die Kollekte mehr als ein dem sozialen Gewissen geschuldeter karitativer Akt. Allein die Tatsache, dass er beträchtliche Mühe aufwendet und immer wieder theologisch argumentiert, um seine Gemeinden zu bewegen, sich nach Kräften an ihr zu beteiligen, macht dies deutlich26. Doch ebenso wenig wie Holl vermag Esler im Rahmen seines Interpretationsansatzes zu erklären, warum Paulus den koinonialen Charakter der Kollekte, von dem er mehrfach spricht, so stark betont. Er ist deshalb entweder genötigt anzunehmen, dies sei aus psychologischen Gründen geschehen, um den Ehrgeiz anzustacheln27. Oder aber er muss unterstellen, Paulus habe die Absicht der Jerusalemer nicht durchschaut, vielleicht auch verkannt, oder sie in seinen Briefen bewusst verschwiegen. Es erscheint jedoch problematisch, wie selbstverständlich davon auszugehen, die kulturelle Dominanz und Prägekraft des „Honour-Shame-Code“ habe sich über den ganzen Mittelmeerraum erstreckt. Eine solche globale Bestimmung, in der es nur den mediterranen Menschen und das von ihm internalisierte und gewohnheitsmäßig reproduzierte symbolische Universum gibt, wird dem ethnographischen Partikularismus28, der diese Großregion kennzeichnet, nicht gerecht. Vor allem deshalb nicht, weil sie mit einem —————

24 K. HOLL, Der Kirchenbegriff des Paulus in seinem Verhältnis zu dem der Urgemeinde, in: DERS., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte II: Der Osten, Tübingen 1928, 44–67. 25 A.a.O. 59–62. 26 Vgl. jetzt A. WEIHS, „Gott liebt einen fröhlichen Geber“. Zur Strategie und Theologie paulinischer Spendenakquise in Korinth (2Kor 8–9), in: R. v. Bendemann/M. Tiwald (Hg.), Das frühe Christentum und die Stadt, BWANT 198, Stuttgart 2012, 164–188, bes. 171ff, und H. KLEIN, Die Begründung für den Spendenaufruf für die Heiligen Jerusalems in 2. Korinther 8 und 9 (in diesem Band 104–130). In den erhaltenen Briefen fehlt nur im 1Thess, Phil und Phlm ein Hinweis auf die Kollekte. Selbst im Röm wird sie erwähnt (15,25–28.31), obwohl nichts darauf hindeutet, die römischen Christen hätten sich an ihr beteiligt oder seien dazu ermuntert worden. Möglicherweise war auch die ephesinische Gemeinde in sie eingebunden. Nach Act 20,4 gehörten Tychikus und Trophimus zur Kollektendelegation. Beide stammten aus der Asia, wobei Trophimus näherhin als „Ephesiner“ identifiziert wird (Act 21,29). Stellt man dazu noch in Rechnung, dass Paulus (zusammen mit Titus, vgl. 2Kor 8,16f.23; 12,17f) die Kollekte größtenteils von Ephesus aus organisiert hat (1Kor 16,1–4.8), erscheint es kaum denkbar, die dortige Gemeinde habe sie nicht unterstützt. Vgl. W.-H. OLLROG, Paulus und seine Mitarbeiter. Untersuchungen zu Theorie und Praxis der paulinischen Mission, WMANT 50, Neukirchen-Vluyn 1979, 52–58. 27 Dies würde zu der „pronounced competitiveness“ passen, von der Esler das „cultural pattern[]“ des Honour Code durchweg geprägt sieht, Making and Breaking an Agreement, 264f. 28 Den Begriff gebraucht M. HERZFELD, Honour and Shame. Problems in the Comparative Analysis of Moral Systems, Man 15 (1980) 339–351: 349 („ethnographic particularism“).

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methodisch fragwürdigen, auf deduktivem Weg gewonnenen homologisierenden Modell antik-mediterraner Gesellschaften operiert, das, wie Esler selbst einräumt, die historische Wirklichkeit weder abbildet noch beschreibt, sondern von ihr abstrahiert29. Indem es typisiert und generalisiert, eignet dem Modell ein reduktionistisches Moment. Seine „abstraction from empirical reality“30 führt zwangsläufig zu einer Nivellierung der Raum und Zeit übergreifenden soziokulturellen Differenzen zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, zwischen ländlich geprägten Gebieten und urbanen Zentren31, zwischen traditionell gepflegten und optional inszenierten sozialen Interaktionsformen. Infolge dessen wird etwa das soziale Wirkpotential politisch, ökonomisch oder religiös definierter Wertvorstellungen weithin ausgeblendet, zumindest aber unterbestimmt. Dadurch gerät aus dem Blick, dass „honor and shame coexist with other, less competitive values“32. Obwohl Esler um das breite Spektrum der nebeneinander existierenden „pivotal Mediterranean value[s]“ und ihre Orientierungsfunktion als Statusindikatoren im hierarchisch gestuften gesellschaftlichen Ordnungsgefüge weiß33, erliegt er der Gefahr „[to] lumping all parts of the Mediterranean together in one large honor and shame context“34. Insgesamt erscheint der behauptete Einfluss des „moral code“ von Ehre und Schande auf die mentale Disposition und Verhaltensstruktur der Konferenzteilnehmer extrem unwahrscheinlich, um nicht zu sagen ziemlich gesucht. Wir haben es mit einem an die paulinischen Texte herangetragenen Forschungskonstrukt zu tun, das auf vorgängigen Setzungen beruht und tendenziell dazu neigt „to impose the model upon the evidence“35. Im konkreten Fall hat es den Wortlaut von 2,9f gegen sich und kollidiert überdies mit der erklärten Absicht des Briefs, die Legitimität des von Menschen unab-

————— 29

Making and Breaking an Agreement, 264. Ebd. 31 Dies macht insbesondere D.G. HORRELL, Models and Methods in Social-Scientific-Interpretation, JSNT 78 (2000) 83–105, gegen Esler geltend. 32 H. MOXNESS, Honor and Shame, BTB 23 (1993) 167–176: 175. Vgl. J.K. CHANCE, The Anthropology of Honor and Shame: Culture, Values, and Practices, Semeia 68 (1994) 139–152: „[T]here is more to Mediterranean culture than honor and shame“ (148). 33 Making an Breaking an Agreement, 265. 34 CHANCE, a.a.O. 141. Zur Kritik an der These vom einheitlichen, in sich geschlossenen Kulturbereich des Mittelmeerraums vgl. auch HORRELL, Models and Methods, bes. 89.94. Von der „creation of a Pan-Mediterranean mentality“ spricht W.R. DOMERIS, Honor and Shame in the New Testament, Neotest. 27 (1993) 283–297: 292 (hier im Blick auf B.J. MALINA. Die Welt des Neuen Testaments. Kulturanthropologische Einsichten, Stuttgart 1993 [= The New Testament World. Insights from Cultural Anthropology, Atlanta 1981). Mutatis mutandis gilt dies auch für Ph.F. Esler. 35 HORREL, a.a.O. 94. 30

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hängigen, weil allein dia. VIhsou/ Cristou/ kai. qeou/ patro,j (1,1) autorisierten paulinischen Apostolats (vgl. 1,10–12; 2,3–6.7f) zu erweisen36.

2. Zwei Kollektensammlungen? Das Verhältnis von Act 11,27–30 zu Gal 2,10; 1Kor 16,1–4 und 2Kor 8f Wenn Paulus außerhalb des Gal die Kollekte thematisiert (Röm 15,25– 28.31), Vertrauensleute mit der Aufgabe betraut, für ihre baldige Durchführung zu sorgen (2Kor 8f), die Modalitäten für das Einsammeln des Geldes regelt und auf seinen Transport zu sprechen kommt (1Kor 16,2–4), erwähnt er nie die in Jerusalem getroffene Vereinbarung. Dieser Negativbefund wird unterschiedlich bewertet. D. Georgi interpretiert ihn dahingehend, hinter der lukanischen Notiz in Act 11,27–30 verberge sich „in verstellter Form“37 die auf dem Konvent zugesagte antiochenische Kollekte. Sie sei von Paulus und Barnabas zwar initiiert, aber nicht überbracht worden. Der Konflikt mit Petrus (Gal 2,11–14) habe Paulus’ Eifer eine Zeitlang gebremst. Trotz dieser enttäuschenden Erfahrung habe er die Sammlung später aus eigenem Antrieb wieder aufgenommen, nun aber auf die Gemeinden seines Missionsgebiets beschränkt und mit einer anderen theologischen Zielsetzung38. Von beiden Kollektenwerken sei nur das zweite Gegenstand seiner entsprechenden brieflichen Äußerungen39. ————— 36

Der Einwand von B.H. MCLEAN, Galatians 2.7–9 and the Recognition of Paul’s Apostolic Status at the Jerusalem Conference, NTS 37 (1991) 67–76, ist berechtigt: „One wonders why Paul would have appealed to the conference decision in his letter to the Galatians in order to defend himself against attacks upon his apostleship, if his apostleship was not recognized at the conference. Or put another way, if Paul’s apostleship was not recognized at the conference, any allusion to the conference by Paul in his Galatian letter would only serve to strengthen the position of those who challenged his apostleship“ (75f). 37 GEORGI, Der Armen zu gedenken, 31. 38 A.a.O. 31–33. Georgi meint, Paulus habe nach seiner Trennung von Antiochien und Jerusalem ein neues Verständnis der Kollekte entwickelt. Für ihn sei sie ein „Zeichen der Endzeit“ (72) gewesen. Ihre „Überbringung nach Jerusalem durch ... unbeschnittene[] Heiden“ habe „bei den Juden den Gedanken an die eschatologische Völkerwallfahrt nach Jerusalem wachrufen“ (85) müssen. Mit der Kollekte für die Armen unter den dortigen Judenchristen wollte Paulus demonstrativ zum Ausdruck bringen, dass in Verkehrung des ursprünglichen heilsökonomischen Fahrplans nicht die Rettung Israels „Vorbedingung einer Rettung der Heiden“ ist, sondern deren Rettung „zur Voraussetzung der Rettung Israels geworden“ ist (84, vgl. 26–28.72f). Die Leistungsfähigkeit des alttestamentlich-jüdischen Topos von der eschatologischen Völkerwallfahrt als Interpretament der Kollekte wird überwiegend kritisch gesehen, vgl. nur BECKHEUER, Paulus und Jerusalem, 47– 50, und B.-M. KIM, Die paulinische Kollekte, TANZ 38, Tübingen/Basel 2002, 153–156. 39 MARTYN, Galatians, 222–228, schließt sich Georgis These weithin an, lässt aber im Unterschied zu ihm 1Thess, Phil und Gal noch vor der von Paulus nunmehr eigenständig durchgeführten Kollekte geschrieben sein. Denn es sei ganz unwahrscheinlich, dass Paulus „would subsequently

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Allerdings geben weder sie noch Act 11,27ff in Verbindung mit Gal 2,10 begründeten Anlass zur Vermutung, zwischen einer in Antiochien bereits zum Abschluss gebrachten Kollekte und einer weiteren, die zu organisieren Paulus gerade im Begriff stehe40, müsse unterschieden werden. Erhebliche Schwierigkeiten bereitet zunächst die Identifizierung des von Lukas geschilderten Vorgangs, über dessen historischen Hintergründe kaum noch etwas auszumachen ist41, mit der auf dem Konvent vereinbarten Hilfeleistung. Die in 11,29 geschilderte Spendenaktion der antiochenischen Gemeinde zugunsten der Jerusalemer Christen ist durch eine Hungersnot motiviert und wird, da offenbar dringender Handlungsbedarf besteht, sogleich in die Tat umgesetzt. Mit dem Transfer der zusammengetragenen Gelder an die Empfänger (11,30; 12,25) ist sie dann aber auch beendet. Hingegen signalisiert die Verbform mnhmoneu,wmen in Gal 2,10a, dass an ein kontinuierliches „Gedenken“ gedacht ist42. Dies passt nicht zu einer Situation wie der in Act 11,27f beschriebenen. Auch wird durch nichts angedeutet, die Bitte um finanzielle Unterstützung der Armen entspringe einer akuten Notsituation. Jedenfalls ist davon keine Rede43. Vielmehr gibt Gal 2,10 zu erkennen, dass ————— write a letter to any of his churches without mentioning it“, ebd. 228 Anm. 83. Auf der gleichen Linie liegen A.J.M. WEDERBURN, Paul’s Collection: Chronology and History, NTS 48 (2002) 95– 110, und D.J. DOWNS, The Offering of the Gentiles. Paul’s Collection for Jerusalem and Its Chronological, Cultural, and Cultic Contexts, WUNT 2/248, Tübingen 2008, 33–39. 40 GEORGI, a.a.O. 30, ist ebenfalls der Meinung, zur Abfassungszeit des Gal sei die Sammlung in Galatien noch nicht begonnen worden. Auch 1Kor 16 erwecke den Anschein, als stecke sie noch in den Anfängen. 41 Dies gibt, wenn auch unfreiwillig, R. RIESNER, Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie, WUNT 71, Tübingen 1994, 117–119, zu erkennen. 42 Vgl. PATHRAPANKAL, Apostolic Commitment, 1009: „The auxiliary verb mnhmoneu,wmen ... points to a desired ongoing activity ...: ‚we should continue to remember‘“. 43 Das ist einer der Gründe, die dagegen sprechen, Gal 2,1–10 mit Act 11,29f zu korrelieren, wie es z.B. WEDDERBURN, a.a.O. 99.107f; SCHÄFER, Paulus vor dem Apostelkonzil, 363–368, und DOWNS, a.a.O. 38f, tun (wobei die beiden zuletzt Genannten eine Verbindung zwischen der Weissagung des Propheten Agabus [Apg 11,27f] und Gal 2,2: avne,bhn de. kata. avpoka,luyin herstellen). Alle drei gehen davon aus, Paulus und Barnabas hätten die Kollekte der antiochenischen Gemeinde nach Jerusalem mitgebracht. Nur: Wenn in Antiochien bereits vor dem Apostelkonvent Geld für die bedürftigen Glaubensgeschwister in Jerusalem gesammelt worden wäre, müsste erklärt werden, warum ausgerechnet Abgesandte des dortigen Gemeindeleiters Jakobus auf eine Beendigung der in Antiochien praktizierten Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen drängten (Gal 2,12f). Soll man wirklich annehmen, die Jerusalemer hätten die ekklesiale Gemeinschaft mit christusgläubigen Nichtjuden abgelehnt, gleichzeitig aber deren finanziellen Zuwendungen willkommen geheißen? Dieses Problem scheint auch K IM, Kollekte, 160–162, entgangen zu sein. Er interpretiert die Kollektenvereinbarung im Sinne einer Verstetigung der zeitlich begrenzten Unterstützung von Seiten Antiochiens. M. HENGEL/A.M. SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels, WUNT 108, Tübingen 1998, halten es für denkbar, Paulus habe die Sammlung in Antiochien nicht nur unterstützt, sondern sei sogar mitgereist, Jerusalem selbst aber ferngeblieben, „weil sein Leben dort immer noch in Gefahr war und man ihn dort nicht sehen wollte“ (368).

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die sicher einige Jahre in Anspruch nehmende Kollektensammlung – ihre Planung, Vorbereitung und Realisierung waren aufwändig; sie erforderten viel Zeit und Energie, dazu organisatorisches Geschick, willige Helfer auf beiden Seiten (Paulus/Gemeinden), Durchhaltevermögen und nicht zuletzt Überzeugungsarbeit – zur Abfassungzeit des Briefs in Galatien bereits durchgeführt worden ist44 und ihr Abschluss andernorts zumindest unmittelbar bevorsteht. Das geht aus dem nicht lange nach dem Gal entstandenen Röm hervor. In 15,25–28a teilt Paulus seine Absicht mit, von Korinth, seinem jetzigen Aufenthaltsort (vgl. Röm 16,23 [mit 1Kor 1,14]; Act 19,21; 20,2), nach Jerusalem zu reisen „um den Heiligen zu dienen“ (V.25). Die Gemeinden Makedoniens und Achaias hätten (zu ergänzen ist: auf seine Initiative hin45) „den Beschluss gefasst, eine gemeinsame Spende (koinwni,a) für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem zu leisten“ (V.26). Wenige Monate vorher, als er den Gal schrieb, hatte sich diese positive Entwicklung bereits abgezeichnet. Mittlerweile waren die Gelder bereitgestellt und warteten auf ihre Weiterleitung nach Jerusalem (V.28a)46. Gal 2,10b lässt sich daher am ungezwungensten im Sinne einer auf mo,non ... mnhmoneu,wmen bezogenen Vollzugsmeldung verstehen. Paulus betont, soweit es an ihm lag sei er der auf dem Apostelkonvent eingegangenen Verpflichtung nachgekommen. Vor allem der konstatierende Aorist evspou,dasa berechtigt zu dem Schluss, er formuliere hier aus der Rückschau und behandle die Kollekte faktisch „wie eine erledigte Sache“47. Den Aorist plusquamper————— 44 Vgl. hingegen BETZ, Galaterbrief, 195: „Es ist kaum zu bezweifeln, daß die Sammlung ... noch nicht abgeschlossen ist“. Warum kaum Zweifel möglich sind, wird nicht gesagt. 45 Die makedonischen Gemeinden haben zwar darauf gedrungen, sich an der Kollekte zu beteiligen (2Kor 8,4). Aber dass die Initiative zur Sammlung von ihnen ausging, so GEORGI, Der Armen zu gedenken, 42, wird nicht gesagt. Die Formulierung „wobei sie uns mit inständigem Ersuchen um die Gnade (Gunst) baten, teilzuhaben an dem Dienst für die Heiligen“, deutet vielmehr darauf hin, dass die Makedonier die an sie herangetragene Bitte gleich zu ihrer eigenen Sache gemacht haben. SCHNELLE, Der 2. Korintherbrief und die Mission gegen Paulus, 303, vermutet, Timotheus habe die Kollekte bei ihnen auf seinem Durchzug nach Korinth (1Kor 16,10) veranlasst. „Veranlasst“ geht m.E. zu weit, auch wenn damit zu rechnen ist, dass Timotheus sich nicht bloß nach dem Stand der Dinge erkundigt, sondern mit dazu beigetragen hat, den Eifer der Makedonier zu beflügeln. 46 Dass die galatischen Gemeinden in Röm 15,26 unerwähnt bleiben, widerspricht dem nicht, wenn man annimmt, ihre Gelder seien schon nach Jerusalem transferiert worden. Dann wäre mit ihnen so verfahren worden, wie Paulus es auch für die korinthische Kollekte geplant hatte. Sie sollte von Korinth aus auf dem direkten Weg ihren Bestimmungsort erreichen (1Kor 16,3). In diesem Fall hätten die Galater das bei ihnen gesammelte Geld in der Tat nicht in die Gesamtkollekte einfließen lassen, von der Paulus in Röm 15,25f spricht. Vgl. H. VON LIPS, Timotheus und Titus. Unterwegs für Paulus, Biblische Gestalten 19, Leipzig 2008, 115f. 47 J. BECKER, Der Völkerapostel Paulus im Spiegel seiner neuesten Interpreten, ThLZ 122 (1997) 977–990: 987. Vgl. JOUBERT, Paul as Benefactor, 78; SCHÄFER, Paulus bis zum Apostelkonzil, 25f. Schäfer unterscheidet jedoch zwischen dem von ihr mit Act 11,29f identifizierten Apostelkonvent (Gal 2,1–10) und dem Apostelkonzil (Act 15,1–35), das sie durch den antiochenischen Konflikt veranlasst sieht. Bei diesem dritten Jerusalemaufenthalt seien die Beschlüsse des in

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fektisch aufzufassen und ihn auf eine Zeit vor dem Konvent zu beziehen48, ist wegen des vorangestellten kai, nicht möglich, da die Konjunktion „das evspou,dasa als etwas der Vereinbarung Entsprechendes, also auf sie Folgendes bezeichnet“49. Ein ingressives Verständnis scheidet ebenfalls aus. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnte Paulus kaum auf die benötigte Unterstützung hoffen. Hätte er lediglich seine Bereitschaft bekundet, die schon begonnene Sammlung fortzuführen, hätte er in V.10b die galatischen Gemeinden ja an sein erfolgloses Bemühen in der fraglichen Angelegenheit erinnert50. Das wäre in der angespannten Situation, in der seine apostolische Legitimität und Autorität als von Gott berufener Verkündiger des Christusevangeliums (1,1.15f) angezweifelt wurden, kontraproduktiv gewesen und hätte seine Argumentationsstrategie torpediert. Der Brief zielt darauf ab, die Galater von ihrem Irrweg abzubringen und sie für die „Wahrheit des Evangeliums“ (2,4.15) zurückzugewinnen. Will man nicht zu der Hypothese greifen, Paulus habe die Konsequenzen seines möglichen Scheiterns nicht einkalkuliert, gar bewusst ignoriert, setzt die Beteuerung o] kai. evspou,dasa auvto. tou/to poih/sai zugleich voraus, dass Titus und seine Begleiter (2Kor 8,6.18.22f; 9,5) mit ihrem Versuch, die Sammlung der in Korinth ins Stocken geratenen Kollekte (2Kor 8,10f) zu forcieren und das gestörte Vertrauen zu Paulus wieder herzustellen (2Kor 8,20f, vgl. 7,12; 12,16–18), Erfolg hatten. Anders gesagt: Der Gal datiert später als die korinthische Korrespondenz51. Sollte der kanonische 2Kor aus mehreren ursprünglich selbstän————— das Jahr 40 n.Chr. zu datierenden Konvents grundsätzlich bestätigt, aber im Blick auf das Aposteldekret (Act 15,23–29) modifiziert worden, a.a.O. 460–470. 48 D.R. HALL, St. Paul and Famine Relief: A Study in Galatians 2:10, ET 82 (1971) 309–311: 310; LONGENECKER, Galatians, 60f; B. WITHERINGTON III., Grace in Galatia. A Commentary on St. Paul’s Letter to the Galatians, Edinburgh 1998, 16.146 (vgl. aber a.a.O. Anm. 183). Er ergänzt daher ein im Text nicht vorhandenes „schon“. Wie er auch S.J. GATHERCOLE, The Petrine and Pauline Sola Fide in Galatians, in: M. Bachmann (Hg.), Lutherische und Neue Paulusperspektive. Beiträge zu einem Schlüsselproblem der gegenwärtigen exegetischen Diskussion, WUNT 182, Tübingen 2005, 309–327: 320. Aus dem von ihm in diesem Sinn verstandenen evspou,dasa folgert R.Y. FUNG, The Epistle to the Galatians, NICNT, Grand Rapids 1988, 103f, Paulus habe die Kollekte in Jerusalem bereits abgeliefert. Dies setzt wiederum voraus, Act 11,29f und Gal 2,1–10 referierten auf ein und dasselbe Ereignis (vgl. oben Anm. 43). 49 SIEFFERT, Galater, 123. Daher „betrifft der Aorist die Zeit von jenem apostol. Bunde an bis zur Abfassung des Briefs“ (ebd.). 50 L.W. HURTADO, The Jerusalem Collection and the Book of Galatians, JSNT 5 (1979) 46–62, meint, in 6,6–10 appelliere Paulus an die Adressaten, sich an der Kollekte zu beteiligen (bes. 53– 57). Abgesehen davon, dass diese Deutung in Spannung zu V.10a steht, auf den sich der Nachsatz o] kai. evspou,dasa auvto. tou/to poih/sai bezieht, hat sie angesichts des aktuellen Konflikts mit ungewissem Ausgang wenig für sich. 51 Das Schweigen des Apostels in 1Kor 16,1 über den galatischen Konflikt ist zwar kein durchschlagendes Argument für die Spätdatierung des Gal, bleibt aber gegen GEORGI, Der Armen zu gedenken, 37 (mit Anm. 119), dennoch zu beachten. Nach G. THEISSEN, Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 22001, 306f, indiziert 1Kor 16,1, dass die gravierenden Differenzen mit den Galatern schon ausgeräumt waren. Zudem verweist er auf die

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digen Schreiben bestehen, wie in der Forschung vielfach angenommen wird52, datieren die Kapitel 8 und 9 jedenfalls früher als der Gal, gleichviel, ob sie eine literarische Einheit bilden oder auf zwei Briefe zu verteilen sind – der eine an die Korinther gerichtet, der andere für die übrigen (Haus)Gemeinden evn o[lh| th/| VAcai