Liebe und Gebot: Studien zum Deuteronomium. Festschrift zum 70. Geburtstag von Lothar Perlitt 9783666538742, 352553874X, 9783525538746

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Liebe und Gebot: Studien zum Deuteronomium. Festschrift zum 70. Geburtstag von Lothar Perlitt
 9783666538742, 352553874X, 9783525538746

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V&R

Festschrift zum 70. Geburtstag von Lothar Perlitt

REINHARD G. KRATZ HERMANN SPIECKERMANN (Hg.)

Liebe und Gebot Studien zum Deuteronomium

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Dietrich-Alex Koch und Rudolf Smend 190. Heft der ganzen Reihe

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Liebe und Gebot: Studien zum Deuteronomium; [Festschrift zum 70. Geburtstag von Lothar Perlitt] / Reinhard G. Kratz; Hermann Spieckermann (Hg.). Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2000 (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments; H. 190) ISBN 3-525-53874-X

© 2000 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen http://wvifw.vandenhoeck-ruprecht.de Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechdich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Foto auf S. 5 von Peter H. A. Neumann, Gleichen-Sattenhausen Satz: Satzspiegel, Nörten-Hardenberg Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen

Vorwort Seit Wilhelm Martin Leberecht de Wette das Deuteronomium dem Mose absprach und als das Werk eines anderen, jüngeren Autors erkannte und Julius Wellhausen zwischen dem Kern in Dtn 12-26 und dem doppelten Rahmen unterschied, beherrschen zwei Fragen die Deuteronomiumforschung: die Datierung und die literarische Rekonstruktion des Urdeuteronomiums. Beides läßt sich heute nicht mehr mit der von de Wette entdeckten Beziehung des Deuteronomiums zur joschianischen Reform beantworten. Der Reformbericht in II Reg 23-24 ist literarisch uneinheitlich, historisch wenig verläßlich und in der Substanz vom Deuteronomium abhängig. Auch die zwei anderen, scheinbar konvergierenden äußeren Kriterien, die literarische Abhängigkeit vom Bundesbuch in Ex 20-23 und die religionsgeschichtlichen Parallelen, tragen nur bedingt zur Klärung bei. Nicht alles im Deuteronomium verdankt sich der Novellierung des Bundesbuchs, und nicht alles, was sich ihr verdankt, gehört zum ältesten Bestand. Den Schluß von den hethitischen und assyrischen Staatsverträgen auf die ursprüngliche Gestalt des Deuteronomiums hat bereits Lothar Perlitt in seiner Arbeit »Bundestheologie im Alten Testament« (WMANT 36, 1969) als Kurzschluß entlarvt. Eine tragfahige Basis zur historischen und theologischen Erklärung des Deuteronomiums kann daher nur die textimmanente Analyse liefern, die mehr oder weniger zufallig in fast sämtlichen Beiträgen dieses Bandes dominiert. Klassisches Kriterium der Analyse ist der Wechsel von singularischer und pluralischer Anrede, von »Du« und »Ihr«, im Deuteronomium. G. Minette de Tillesse findet in ihm nach wie vor den Schlüssel zur Aufteilung in deuteronomische und deuteronomistische Partien, die er zum einen mit dem Fall des Nordreichs Israel um 720 v. Chr., zum anderen mit dem Fall Judas und Jerusalems von 587 v. Chr. in Zusammenhang bringt. Auf der Grundlage dieses Kriteriums gehen andere einen Schritt weiter. F.-L. Hostfeld wählt den Dekalog in Dtn 5 als Ausgangspunkt. Jüdische Rezeption und wissenschaftliche Erklärung sehen in ihm das Grandgesetz, in den deuteronomischen Gesetzen die Ausführung dazu. Das gegenseitige Verhältnis wird an zwei entscheidenden Punkten näher beleuchtet: zum einen an der Fiktion des Deuteronomiums als Mose-Rede, die Dtn 5 explizit einführt, zum andern an der Disposition der Gesetze, die in manchem an den Dekalog erinnert. Bei der anderen, vermutlich älteren Zentralstelle des Deuteronomiums, dem »Höre Israel« in Dtn 6,4 f., setzt H. Spieckermann ein. Anhand des Leitthemas

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\brwort/Einführung

der Liebe Gottes zu Israel und der geforderten Liebe Israels zu Gott weist er nach, wie der gesamte innere, paränetische Rahmen in Dtn 6-11 und 4-5 sowie Dtn 29-30 in mehreren Fortschreibungsschüben aus der Auslegung des Liebesgebots hervorgegangen ist. Einen einzelnen Abschnitt dieser Fortschreibungskette, Dtn 10,12-11,30, in dem sich der Stil der Anrede mischt und der Inhalt von Dtn 6-8 unter neuen Vorzeichen repetiert wird, weist T. Veijola der von ihm so genannten bundestheologischen Bearbeitung zu. Die Bearbeitung, die Elemente des aus der altorientalischen Vertragstradition gespeisten Bundesformulars verwendet, gehört zu den jüngsten Schichten im Deuteronomium. Das bestätigt auch die Analyse der Prophetengesetze durch M. Köckert. Sämtliche Belege, von denen Dtn 18 aufJer 1 basiert, Dtn 13 Formulierungen assyrischer Loyalitätseide nachahmt und Dtn 34,10 die Kanonteile Tora und Propheten ins Verhältnis setzt, unterbrechen und ergänzen einen älteren Textzusammenhang, setzen den Horebbund von Dtn 5 sowie das Fremdgötterverbot voraus und verstehen Mose als prophetischen Mittler der Tora. Andere Beiträge machen deutlich, daß die textimmanente Analyse auch über das literarische und chronologische Verhältnis zu Textbereichen außerhalb des Deuteronomiums entscheidet. So geht J. Chr. Gertz den Formulierungen des »kleinen geschichtlichen Credos« in Dtn 26,1-15 nach, die er im redaktionellen Kontext sowohl des Deuteronomiums als auch des Pentateuchs untersucht, mit dem Ergebnis, daß der Text nachdeuteronomistisch ist und die Priesterschrift kennt. Der »umherirrende Aramäer« wird als Kritik an der priesterschriftlichen Verbindung von Erzvätern und Exodus interpretiert, im übrigen werde auf die noch selbständige vorpriesterschriftliche Exoduserzählung im Tetrateuch rekurriert, womit das kleine geschichtliche Credo wider Willen zum Vorgänger der Endredaktion des Pentateuchs geworden sei. Dem Verhältnis von Deuteronomium und vorpriesterschriftlichem Tetrateuch, hier dem Jahwisten in der Genesis, wendet sich auch Chr. Levin zu. Aufgrund der literarischen Differenzierung in beiden Textbereichen fällt auch das Urteil über die relative Chronologie differenziert aus. Stellung und vorliegende Fassung des Altargesetzes in Ex 20,24-26 sowie die entsprechenden Altargründungen der Erzväter seien die Antwort der Diaspora auf das Hauptgesetz des Deuteronomiums, die Kultzentralisation, während die durchweg zugesetzte Bruderethik im Deuteronomium die Genealogie der Vätergeschichte zum Vorbild habe. Die Stellung des Deuteronomiums an der Schnittstelle zwischen Tora (Pentateuch) und Vorderen Propheten ist das Thema des Beitrags von R. G. Kratz Aufgrund der narrativen und literarischen Verbindungen, die auf allen Werdestufen des Deuteronomiums anzutreffen sind, wird gegen die Trennung von Tetrateuch und Deuteronomistischem Geschichtswerk und für die alte Hexateuch-Hypothese, befreit vom Ballast der Quellenscheidung, plädiert. Anhand eines zentralen theologischen Begriffs, des Zornes Gottes, und des dazugehörigen Formel-

Vorwort/Einführung

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guts legt Ν. Lohfink die literarischen Querbeziehungen zwischen dem Deuteronomium, besonders Dtn 9 und 29, und den Vorderen Propheten, besonders II Reg 17, frei, die das Deuteronomium als Inbegriff der Tora des Mose zum Maßstab haben. Lassen sich das literarische Wachstum und die redaktionsgeschichtliche Vernetzung des Deuteronomiums als Vorgänge einer fortschreitenden, innerbiblischen Auslegungsgeschichte verstehen, so ist sie damit noch lange nicht abgeschlossen. Die Auslegung setzt sich in der Textgeschichte fort. Am Beispiel von Dtn 32,43, dem Schlußvers des Moseliedes, sucht A. Rofeiη den verschiedenen Varianten von Masoretischem Text, Samaritanus, Qumran und Septuaginta nach Anhaltspunkten für die Rekonstruktion des ursprünglichen Texts und führt dabei die ganze Palette von Gründen - Textexpansion, theologische Korrektur und Schreibfehler - für die Abweichungen in der Uberlieferung vor Augen. Die Auslegung setzt sich auch in der alt- und neutestamentlichen Wirkungsgeschichte fort. Am Beispiel von Dtn 30,11-14 zeichnet E. Aurelius den traditionsgeschichtlichen Weg der Gottesnähe im Wort von Jes 55,10-11 über die Hintergründe und die Formulierung von Dtn 30,11-14 im Kontext des Deuteronomiums zur Rezeption dieser Stelle in Dtn 4,5-8 bis hin zu der atemberaubenden christologischen Exegese in Rom 10,6-8 nach. Im einem weiteren Sinne setzt sich die Auslegungsgeschichte schließlich im kulturgeschichtlichen Vergleich und in der wissenschaftlichen Exegese fort. 0. Kaiser hält dem Deuteronomium einmal nicht die altorientalische Vertrags- und Rechtstradition, sondern Piatons Verfassungsentwurf, die Nomoi, entgegen und lotet die Möglichkeiten und Grenzen des Vergleichs aus. R. Smend skizziert in bewährter Manier Leben und Werk des einstigen Göttinger Alttestamentlers und Deuteronomiumkommentators Alfred Bertholet. Dieser Band der »Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments« ist einem heutigen Göttinger Alttestamentier und Deuteronomiumkommentator, Lothar Perlitt, zum siebzigsten Geburtstag gewidmet. Da er Festschriften nicht sonderlich schätzt, wollen auch wir nicht viel Aufhebens davon machen. Wir sind froh, daß sein Alter und das große Thema seines wissenschaftlichen Lebens uns Gelegenheit geben, einige repräsentative Beiträge zur neueren Deuteronomiumforschung zusammenzustellen. Möchten sie ihn erfreuen und ihm bei der Kommentararbeit eine Anregung sein. Unser Dank geht an die Herausgeber der Reihe, den Verlag und unsere Mitarbeiterinnen, Dr. Corinna Körting und Stefanie Stubbendiek, für die tatkräftige Unterstützung des Unternehmens. Göttingen, zum 2. Mai 2000

Reinhard G. Kratz Hermann Spieckermann

Inhalt Vorwort

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ERIK AURELIUS

Heilsgegenwart im Wort. Dtn 30,11-14

13

J A N CHRISTIAN GERTZ

Die Stellung des kleinen geschichtlichen Credos in der Redaktionsgeschichte von Deuteronomium und Pentateuch

30

FRANK-LOTHAR HOSSFELD

Der Dekalog als Grundgesetz - eine Problemanzeige

46

O T T O KAISER

Das Deuteronomium und Piatons Nomoi. Einladung zu einem Vergleich

60

MATTHIAS KÖCKERT

Zum literargeschichdichen Ort des Prophetengesetzes Dtn 18 zwischen demjeremiabuch und Dtn 13

80

REINHARD G . KRATZ

Der literarische Ort des Deuteronomiums

101

CHRISTOPH LEVIN

Das Deuteronomium und der Jahwist

121

NORBERT LOHFINK

Der Zorn Gottes und das Exil. Beobachtungen am deuteronomistischen Geschichtswerk

137

GAETAN MINETTE DE TILLESSE

TU & VOUS dans le Deuteronome

156

ALEXANDER R O F E

The End of the Song of Moses (Deuteronomy 32:43)

164

12

Inhalt

R U D O L F SMEND

Ein Göttinger Deuteronomiumkommentator. Alfred Bertholet (1868-1951)

173

HERMANN SPIECKERMANN

Mit der Liebe im Wort. Ein Beitrag zur Theologie des Deuteronomiums

190

TIMO VEIJOLA

Bundestheologie in Dtn 10,12-11,30

206

Stellenregister

222

ERIK AURELIUS

Heilsgegenwart im Wort Dtn 30,11-14 /. Die deuteronomische Gesetzessammlung enthält, genauso wie die deuterojesajanische Spruchsammlung, gegen Ende eine Reflexion über sich selbst. Als vorletztes Wort der Sammlung steht an der Jes 55,10-11 entsprechenden Stelle Dtn 30,11-14: Denn dieses Gebot, das ich dir heute gebiete, das ist dir nicht zu hoch, und es ist nicht fern. Es ist nicht im Himmel, daß du sagen müßtest: Wer wird für uns zum Himmel hinaufsteigen und es uns holen und verkünden, damit wir es tun? Es ist nicht jenseits des Meeres, daß du sagen müßtest: Wer wird für uns über das Meer fahren und es uns holen und verkünden, damit wir es tun? Nein, das Wort ist dir sehr nahe, in deinem Mund und deinem Herzen, um es zu tun. All die vielen Worte, die dem Leser bisher begegnet sind, werden hier, wie i n j e s 55,10-11, auf den Begriff gebracht. In Jes 55,11 heißen sie Ί Π "DQ KS", »mein (sc: Jhwhs) Wort, das aus meinem Mund ausgeht«, in Dtn 30,11 n r n -pxn '3JX IPX ηκτπ rman, »dieses Gebot, das ich (sc: Mose) dir heute gebiete«, in V. 14 nur Ί27Π, »das Wort«. Daß die Begriffe das Ganze meinen, ergibt sich i n j e s 55 aus dem Anschluß an die verallgemeinernde Rede von Gottes »Gedanken« und »Wegen« in V. 8 f.; für Dtn 30,11-14 soll es gleich näher begründet werden. Als letztes Wort der Sammlung folgt an beiden Stellen ein das Vorangehende zusammenfassendes Schlußwort: in Dtn 30,15-20 eine Mahnung, i n j e s 55,12 f. eine Heilsankündigung. Der Sinn dieser Schlußworte läßt sich hier wie dort so umschreiben: »darauf zielt alles, was ich zu sagen hatte«1, nämlich nach Jes 55,12 f. »auf die Stunde des Aufbruchs, die Freude des Weges in die Heimat« 2 , nach Dtn 30,15-20 auf die gehorsame Liebe zu Jhwh und das gesegnete Leben im gelobten Land. Die 1 Claus Westermann, Das Buchjesaja. Kapitel 40-66, ATD 19, Göttingen 1966, 234, zu Jes 55,12 f. 2 Westermann, Jesaja, 234.

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Erik Aurelius

vorletzten Abschnitte, Dtn 30,11-14 u n d j e s 55,10 f., fassen dagegen nicht den Inhalt der Verkündigung zusammen, sondern sagen etwas über deren Charakter aus. Sie erscheinen als Reflexionen des Redners über seine Rede. Beide Texte zeichnen sich durch Schönheit und Originalität aus. Das ist in Jes 40-55 nicht ungewöhnlich, aber im Dtn eine erfrischende Abwechslung zu den auf die Dauer etwas eintönigen Wendungen, die sonst dem Leser eingeprägt werden. Wenn in Jes 55,10 f. die Prophetie ein »Ergebnis des Nachdenkens über sich selbst« vorlegt3, darf Dtn 30,11-14 ein Ergebnis des Nachdenkens der Gesetzgebung über sich selbst genannt werden. Während aber Sinn und Absicht der Reflexion und deren Verhältnis zum Kontext bei Jes 55,10 f. klar zutage treten, sind sie bei Dtn 30,11-14 unklar und umstritten. Jes 55,10 f. schließt sich sinnvoll an die Mahnungen 55,1 ff. an, die Heilsbotschaft im Glauben zu empfangen. Weiterhin korrespondiert der Text mit der Behauptung im Prolog der ganzen Sammlung, daß »das Wort unseres Gottes für immer besteht« (40,8); und in 45,23 sind alle Haupttermini vorgegeben: das Wort, Tai, das von Gottes Mund ausgegangen ist, "3Q KS", und nicht zurückkehrt, Π Γ Χ^Ί.4 Endlich leuchtet das Anliegen von 55,10 f. im Zusammenhang von Jes 40-55 sofort ein: Nach allen Heilsankündigungen kommt hier die Versicherung ihrer Zuverlässigkeit. So gewiß der Regen die Erde naß und fruchtbar macht, wird »mein Wort« das vollbringen, was es verspricht.5 In Dtn 30,11-14 ist das Verhältnis zur unmittelbaren Umgebung, der Moserede Dtn 29-30, weniger klar. Der Anfang ηχτη msnn "3, »denn dieses Gebot«, scheint eine enge Verbindung mit dem Kontext anzuzeigen. »Weder nach vorn noch nach hinten« besteht trotzdem ein »richtiger Anschluß«.6 Der vorangehende Abschnitt 30,1-10 redet zwar viel von Geboten und Gehorsam (und noch mehr von Umkehr), aber bezieht sich auf die Zukunft; sein Kern ist die Verheißung, daß Jhwh »dein Herz beschneiden« wird (V. 6) - während 30,11-14 vielmehr »heute« (V. 11) feststellt: »Das Wort ist dir 3 Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testaments II, München 4 1965, 103. 4 Vgl. auch 48,3 und dazu Reinhard Gregor Kratz, Kyros im Deuterojesaja-Buch. Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen zu Entstehung und Theologie von Jes 40-55, FAT 1, Tübingen 1991, 62 f. Anm. 222: In 45,23 und 48,3 handelt es sich noch um ein »Wort«, »das in einen Sprechvorgang, die Ankündigung des Heils, eingebunden ist; in 55,10 f. hat dieses Wort sich zu >mein Wort< verselbständigt und wirkt selbst das Heil«. 5 So die herkömmliche Deutung von Jes 55,10 f.; sie ist davon unabhängig, ob man die Verse der ursprünglichen Verkündigung des anonymen exilischen Propheten zuweist oder (so mit guter Begründung Kratz, Kyros, 138 Anm. 528,206 f., 212) zu den spätesten Fortschreibungen in Jes 40-55 zählt. Vgl. aber auch die abweichende Deutung von Alexander Rofe, How Is the Word Fulfilled? Isaiah 55:6-11 within the Theological Debate of Its Time, in: Canon, Theology and Old Testament Interpretation, FS Brevard S. Childs, Philadelphia 1988, 246-251. 6 Norbert Lohfink, Der Bundesschluß im Land Moab. Redaktionsgeschichtliches zu Dt 28,68-32,47, in: BZ 1962, 32-56, 42 Anm. 43.

Heilsgegenwart im Wort

15

sehr nahe, in deinem Mund und deinem Herzen« (V. 14).7 Der folgende Abschnitt, 30,15-20, ist eine Mahnung, das Leben zu wählen, d. h. die Gebote zu halten. Das vorangehende Kapitel Dtn 29 spricht von Jhwhs Bund (V. 11.24) und stellt die heute vor allen Augen liegenden Folgen seiner Ubertretung fest (V. 27). Der einzig zu erwägende Anschluß für 30,11-14 in Dtn 29-30 wäre, über 30,1-10 hinweg, 29,28: o h y - i y l r n h ι:!> ΪΙ^ΜΠΙ irn!>K mn-S» m n o : n

ιιχτπ rninn -nn-i'D-Tix Das Verborgene gehört Jhwh, unserem Gott, aber das Offenbare gehört uns und unseren Kindern für immer, damit wir alle Worte dieses Gesetzes tun. D i e andersartige Terminologie, n b j j n u n d ΠΝΤΠ ΓΠ1ΠΠ *Ί27~!>3, ermuntert

allerdings nicht dazu, diesen Anschluß für ηκτη mxan und Tain 30,11.14 »perfekt« zu nennen.8 Weiterhin zeigen Sprache und Inhalt von 30,11-14 nur wenige Beziehungen zum Dtn im ganzen. Der Anfang von 30,11, n r n -pxn *d:x hpx ηκτπ mxan, und das letzte Wort von 30,14, der Infinitiv wipy!>, kommen freilich dem Dtn-Leser nicht fremd vor, obwohl der Ausdruck πχτπ mf an ohne vorangehendes sonst nur in Mal 2,1.4 begegnet. Anders als in Mal 2 ist in Dtn 29-30 kein besonderes Gebot als möglicher Bezug vorhanden. Deshalb dürfte ηχτπ mxan in 30,11 dasselbe wie ηκτπ mxan-!>39 meinen: die ganze Verkündigung des Mose, »als wäre alles nur ein Gebot«10. Diese Vereinheitlichung der vielen Mahnungen und Gesetze zu einem einzigen »Gebot« ist kaum eine Leistung des Autors von 30,11-14, sondern gehört zu dem aus dem Dtn Vorgegebenen - und wird durch den noch allgemeineren Begriff »das Wort« 30,14 ein Stück vorangetrieben.11 Damit hört aber die sprachliche 7 Der Vorschlag, Tiann 30,2 oder 31B71 "3 30,10 als ein Gebot zu verstehen, dessen Befolgung durch 30,11-14 empfohlen werde (so Ramban zu 30,2; s. David Hoffmann, Das Buch Deuteronomium II, Berlin 1922, 147; bzw. Alfred Bertholet, Deuteronomium, KHC V, Freiburg/Br. 1899, 91 zu 30,10), ist eine Deutung der jetzigen Abfolge V. 1-10, 11-14, entspricht aber kaum dem ursprünglichen Sinn weder von V. 11 noch von V. 1-10. 8 Wie Paul Kleinert es tut (Das Deuteronomium und der Deuteronomiker. Untersuchungen zur alttestamentlichen Rechts- und Literaturgeschichte, Bielefeld 1872, 203). 9 Dtn 6,25; 11,22; 15,5; 19,9, immer mit mByi> und außer 6,25 immer, wie 30,11, mit dem >Promulgationssatz< verbunden; vgl. Georg Braulik, Die Ausdrücke für »Gesetz« im Buch Deuteronomium, in: Studien zur Theologie des Deuteronomiums, SBAB 2, Stuttgart 1988, 11-38, 26-28. 10 Hoffmann, Deuteronomium, 147. So auch nixan in Dtn 17,20 und msnn-^D in Dtn 8,1; 11,8; 27,1 (aber nicht 5,31, wo 0"j?n und D"BD®n folgen, und nicht 31,5). Ebenso umfassend ist der Singular msn, auf Gottes Gebot bezogen, auch in Ps 19,9; 119,96; Hi 23,12; sonst wird er wie in Dtn 5,31 durch andere Termini ergänzt (Ex 24,12; Dtn 6,1; 7,11; Jos 22,3.5; II Reg 17,34.37; II Chr 14,3; 31,21) oder meint ein besonderes Gebot (Num 15,31; Dtn 26,13; I Sam 13,13; I Reg 13,21; Esr 10,3; II Chr 8,13 [29,25, s. BHS]). 11 So heißt das ganze Gesetz auch in Dtn 4,2, aber diese Stelle ist kaum älter als 30,14 (dazu im folgenden), und in 32,47, wenn nicht dort ursprünglich das Moselied gemeint ist. Im

16

Erik Aurelius

Verwandtschaft von 30,11-14 mit dem übrigen Dtn im großen und ganzen auf.12 Endlich ist das Anliegen von Dtn 30,11-14 nicht eindeutig. Die Schlußreflexionjes 55,10f. macht, um es einfach zu sagen, gute Werbung für ihr Buch, die vorangehende Heilsverkündigung. Durch ein eindrucksvolles Bild begründet sie den Glauben an diese. Was will aber die Reflexion Dtn 30,1114 über i'ArBuch, die vorangehende Gesetzessammlung sagen? Eine Begründung des Gehorsams würde man vielleicht erwarten: Folge dem Gesetz, denn das ist einfach und sehr gut für dich! Von den guten Folgen des Gehorsams wird hier indessen nichts gesagt. Möglicherweise sagt der Text, daß es einfach sei, dem Gebot zu folgen: inn Km nxbaj-xb, »es ist nicht zu wunderbar für dich« (V. l l b a ) ; aber das ist nicht eindeutig. An Stellen wie Gen 18,14, Jer 32,17.27 und Sach 8,6 bezeichnet xi>D zwar in erster Linie das, was die menschliche Handlungskraft überfordert: Für Gott ist nichts »zu wunderbar«, zu schwierig zu tun. An anderen Stellen liegt aber der Ton eher darauf, daß die menschliche Vorstellungskraft, das Fassungsvermögen überfordert wird: Der Weg des Adlers am Himmel (Prov 30,18), das Walten Gottes mit der Schöpfung (Hi 42,3), Gottes Allwissenheit (Ps 139,6) sind »zu wunderbar«, zu schwierig zu begreifen; so wohl auch im einzigen Dtn-Beleg der Wurzel xi>D außer 30,11: Der Rechtsfall in 17,8 ist »zu wundersam«, zu schwierig zu durchschauen. In Dtn 30,1 I b a ist, nach der Fortsetzung V. 1 lbß-14 zu urteilen, der letztgenannte Aspekt wichtiger. Das Gebot ist »nicht fern« (V. llbß); es muß nicht vom Himmel oder vom Jenseits des Meeres her geholt werden (V. 12.13). Diese (unnötigen) Reisen werden nicht der Erfüllung schwieriger Gebote gleichgestellt. Als ihr Zweck wird vielmehr ausdrücklich angegeben, das Gesetz herbeizuholen (npi?) und zu verkündigen (yiiV Hi.) - damit es befolgt werden kann (jnawyr V. 12.13).13 Das Gesetz ist nicht verborgen, sondern zugänglich.14

Dtn bezieht sich sonst I i i Sing, im Sinne von »Gesetz« auf eine Einzelvorschrift (15,15; 24,18.22), auf das vorangehende Kapitel (13,1) oder auf den Dekalog (5,5, wenn nicht der Plural von Sam, G, S ursprünglich ist); vgl. Braulik, Ausdrücke, 17-19. Parallel zu rmn Sing, steht "in Sing, außer Dtn 30,11.14 nur in Num 15,31 ( n m — m / imxn) und Prov 13,13. 12 Matthias Köckert, Das nahe Wort. Zum entscheidenden Wandel des Gesetzesverständnisses im Alten Testament, in: ThPh 60, 1985, 496-519, 500 Anm. 11, hat das (Nicht ) Vorkommen der wichtigsten Ausdrücke von 30,11-14 im übrigen Dtn aufgelistet: außer msnn 71ΚΤΠ und l a i n (s. o.) Ni. in 17,8; pm und a i p auf das Gesetz bezogen: niemals; ya3 V. 129.

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Erik Aurelius

Fern (pm) ist der Grund der Dinge und tief, sehr tief; wer kann ihn finden? (Koh 7,23-24)

Diese Motive gehören zum orientalischen commune bonum, »wie auch nur ein Blick in die Weisheitsdichtung Ludlulben nemeqilehrt, die ja doch jedenfalls um ein Jahrtausend älter ist als Kohelet«18. Um Sprache, Topik und Anliegen von Dtn 30,11-14 einsichtig zu machen, sind aber die Berührungspunkte mit der Weisheitsdichtung kaum hinreichend. Von den beiden Schlüsseltermini pm und l i p ist nur der erste und nur an einer Stelle, Koh 7,23 f., auf die Weisheit bezogen. Die Begriffe »fern« und »nahe«, genauer: die Wurzeln pm und Π ρ gelten im Alten Testament, außer Dtn 30 bzw. Koh 7, weder dem Gesetz noch der Weisheit, wohl aber nicht selten Gott.19 Hat soweit ersichtlich niemand behauptet, daß das Gesetz fern und unzugänglich sei, so haben in Israel und anderswo viele das von ihrem Gott gemeint. Das ist »eine religiöse Primärerfahrang«, die sich, wie Perlitt als Eingang zum Thema »die Verborgenheit Gottes« dargelegt hat, in Gebeten zu Ischtar in Babylon ebensosehr wie zu Jhwh in Israel sprachlichen Ausdruck verschafft.20 Zu den dabei im Psalter mehrfach wiederkehrenden, auf Gott bezogenen Termini gehört das Begriffspaar pm und n p : Daß Jahwe denen, die ihn aufrichtig anrufen, nahe ist (mrr n p ) , führt den Beter zu Dank (Ps 34,19) und Lob (145,18). Das ist die Gewißheit des Glaubens und schafft das Ruhen in Gott. Wenn aber dem Beter das Wasser bis an die Kehle geht (69,2b), wenn das Herausschreien der Klage ihn erschöpft hat (V. 4), dann ist Gottes Nähe nicht mehr ein Haben, sondern ein Bedürfen: "®3 J-^N n n p (V. 19a). Die flehentliche Bitte um eine befreiende Nähe lautet dementsprechend, und zwar vornehmlich in der individuellen Klage: "Jan pmir^K (22,12a.20a; 35,22b; 38,22b; 71,12a)! In 10,1a steht an Stelle dieser Bitte sogar der Vorwurf: >Warum, Jahwe, stehst du pimn (LXX: pimn)?< Der ferne Gott ist also der dem Beter verborgene Gott.21

Von den zitierten Psalmen ist zumindest Ps 22,1-23* mit einiger Sicherheit vorexilisch22, und »das Leitmotiv, das den Psalm theologisch strukturiert«, ist 18 Lothar Perlitt, Die Verborgenheit Gottes, in: Allein mit dem Wort. Theologische Studien, Göttingen 1995, 11-25, 17 f. Anm. 13, mit Hinweis auf I, 36-38: »Wer kann den Willen der Götter im Himmel erfahren? Wer begreift den Ratschluß des Anzanunzu? Wo je erfahren den Weg des Gottes die Umwölkten?« (Ubersetzung Wolfram von Soden, TUAT III, 122 f.). 19 Dasselbe gilt erwartungsgemäß der Bestimmung a*a«ia, von Ps 2,4: »Er, der im Himmel thront, lacht«, bis hin zu Koh 5,1: »Gott ist im Himmel und du bist auf Erden.« »Jenseits des Meeres« wohnen hingegen nur fremde Völker (Jer 25,22; II Chr 20,2 f). 20 S. Perlitt, Verborgenheit, bes. 11-14 (Zitat 11). 21 Perlitt, Verborgenheit, 13. 22 S. bes. Hermann Spieckermann, Heilsgegenwart. Eine Theologie der Psalmen, FRLANT 148, Göttingen 1989, 239-253.

Heilsgegenwart im Wort

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eben »die Klage über die Gottesferne, die, formuliert mit der Wurzel pm, >fem seinx n i p , »dir sehr nahe«, sind eher von individuellen Klagepsalmen her zu lesen. Sie greifen das dort auf Gott bezogene Begriffspaar p m / n p auf und übertragen es auf das Gesetz. Das Gebot ist nicht »fern«, das Wort ist »nahe«. Das klingt wie eine Beschwörung, aber nicht in erster Linie des Gehorsams, sondern der nach der Zerstörung des Tempels fraglich gewordenen Gottesnähe. Jhwh hat sich nicht in zorniges Schweigen zurückgezogen. Er ist in seinem durch Mose vermittelten Wort sehr nahe. 32 Der Text ist auf seine Weise eine Antwort auf die Klagen der Exilszeit und ist wohl auch als Widerrufung von Aussagen wie Thr 2,9 beabsichtigt: »Es gibt keine Weisung (min); auch ihre Propheten finden keine Offenbarung (ρτπ) von Jhwh« (vgl. Ps 74,9). Schon daß das ganze Gesetz hier (wohl zum ersten Mal33) Ί3ΤΠ heißt, mag ein Hinweis darauf sein, daß es »zugleich als (prophetische) Offenbarung aufgefaßt« wird.34 Freilich ist dieser Hinweis kaum hinreichend 35 , aber der Text enthält auch andere prophetische Konnotationen: ynv Hi. (V. 12.13) bezieht sich außer in Dtn 4,10.36 sonst nie im Alten Testament auf das Gesetz (am nächsten käme die »Bekanntmachung« Neh 8,15, daß das \blk Zweige für Sukkot sammeln soll), aber auf nichts anderes so häufig als auf prophetische Botschaften, besonders injes 40-55. 3 6 Weiterhin betrifft die Aussage, daß Ί Π (Sing, oder Plur.) nan sei, bis auf Joabs Worte im Munde der Frau aus Tekoa (II Sam 14,3.19) immer Jhwhs Wort(e) im Prophetenmund. 37 Das deuteronomische Gesetz heißt in 30,11-14 nicht nur »Gebot«, das »geboten wird« (V. 11), sondern bekommt Kleider der Prophetie, anscheinend vornehmlich Kleider der deuterojesajanischen Prophetie, für welche die Verwendung von yn® Hi. charakteristisch

(29,28 und 30,11-14 seien in Inhalt und - weisheitlichem - Hintergrund verwandte Rahmenstücke um 30,1-10); Georg Braulik, Deuteronomium II, NEB.AT, Würzburg 1392, 216, 219 (29,28 und 30,11-14 seien nicht ursprünglich, aber im jetzigen Text aufeinander bezogen); Eduard Nielsen, Deuteronomium, HAT 1/6, Tübingen 1995, 270 (»Das Ziel der Rede 30,11-14 und das Ziel von 29,28 ist dasselbe: Du sollst, denn du kannst«), 32 Vgl. Preuß, Deuteronomium, 161: »Gottes Nähe vollzieht sich in seinem Gesetz, und das Gesetz ist als Buch, das >Wort< (V. 14) als Gebot den Menschen nahe.« Freilich fehlt die »Buch«-Terminologie aus Dtn 28 (V. 58.61), 2 9 (V. 19.20.26) und 30,1-10 (V. 10) ganz in 30,11-14; es ist kaum Zufall, daß der Ton hier eher auf viva vox gelegt wird (s. dazu gleich). 33 S. Anm. 11 und zu Dtn 4,2 im folgenden. 34 Nielsen, Deuteronomium, 270. 35 Vgl. etwa Prov 13,13, wo das Paar Tai und mxn die Weisheitslehre meint. 36 Von 59 Belegen (außer den 4 genannten im Dtn, aber einschließlich 7 als Terminus für »musizieren« in Neh und I—II Chr) haben 25 prophetische Botschaften als Objekt: so 13 von den 14 Belegen in Jes 4 0 - 5 5 (vgl. Anm. 38) und 8 von den 13 in Jer; ferner I Sam 9,27;Jes 62,11; Am 3,9; Nah 2,1. 37 Mit dem Verb E x 4,15; Num 22,38; 23,5.16;Jes 51,16; 59,21; mit jnj Dtn 18,18;Jer 1,9; 5,14; ohne Verb (und stets mn- i n ) I Reg 17,24; II Chr 36,21.22.

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ist und in welcher der Begriff Ί Π an einigen hervorgehobenen Stellen die Heilsbotschaft bezeichnet.38 Die Wortwahl in Dtn 30,11-14 deutet eine Tendenz an, das deuteronomische Gesetz zur einzigen, alles Notwendige umfassenden Offenbarungjhwhs an Israel darzustellen: die hinreichende Antwort auf Bitten wie diejenige des Mose: »Laß mich deine Wege erkennen« (Ex 33,13). »Dieses Gebot, das ich dir heute gebiete« (Dtn 30,11), enthält alles, was Israel für sein Heil hören und wissen muß.39 Dieses Wort ist »dir sehr nahe«: "pa^ai "|"D1, »in deinem Mund und deinem Herzen« (V. 14). Das wird nicht selten als eine Mahnung verstanden, wie etwa Dtn 6,6 f.: »Diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollen in deinem Herzen bleiben . . . vm) und du sollst sie deinen Kindern einschärfen und von ihnen sprechen« (vgl. 11,18 f.; Ex 13,9).40 In 30,14 steht aber kein »soll«, kein rrm. Sieht man den Vers im Lichte von 6,6 f., müßte man sagen: Das dort Geforderte wird hier als Tatsache behauptet. Zu 6,6 f. verhält sich 30,14 nicht als Parallele, sondern eher wie die Verheißung 30,6, daß Jhwh »dein Herz beschneiden« wird, zur entsprechenden Mahnung 10,16. Darüber hinaus leitet das im Dtn singulare Paar »Mund und Herz« dazu an, den Vers nicht nur von 6,6 f. und vom Gotteswort im Prophetenmund her zu deuten, sondern auch auf dem Hintergrund der gelegentlich eingeklagten »Differenz von Mund und Herz«41. Die zwei sollten eins sein. Das sind sie nun, versichert Dtn 30,14, indem das »Wort« sich hier wie dort befindet um getan zu werden, m»yi>. Letzteres dürfte der Sinn eines jeden Gesetzes sein. Doch erscheint es hier kaum als eine Forderung, eher als die selbstverständliche Folge dessen, daß das Wort in Mund und Herzen ist. »Wovon das Herz voll ist, davon spricht der Mund« (Mt 12,34) - und das tun die Hände. Auf dem Tun liegt aber auffallig wenig Nachdruck. Keine Vorteile des Gehorsams werden genannt, keine anderen Verben des Gehorchens werden aneinandergereiht. In beiden Hinsichten ist der Text derart asketisch im Vergleich mit dem im Dtn Üblichen, daß es beachtet werden muß.42 Der Ton liegt nicht auf dem Gehorsam, 38 ynv Hi. Jes 41,22.26 (42,2) 42,9; 43,9.12; 44,8; 45,21; 48,3.5.6.20; 52,7 (bis). Zu i n s. Anm. 4. 39 Vgl. den ebenfalls mit Deuterojesaja verwandten Text Dtn 8,3b und dazu Lothar Perlitt, Wovon der Mensch lebt (Dtn 8,3b), in: Deuteronomium-Studien, FAT 8, Tübingen 1994, 74-96. In Dtn 8,3b geht die Tendenz strenggenommen wohl in die andere Richtung, denn Π1Π" -an xs'in i>3 ist nicht einfach identisch mit rnxan i>D (8,1), sondern meint eher »das Garage«; es ist vom »Gotteswort als solchem, wie es in seiner Vielfalt und Fülle hörbar wurde«, die Rede (ebd. 91). 40 So ζ. B. Carl Steuemagel, Das Deuteronomium, HK 1/3,1, Göttingen '1898, 109, Samuel Rolles Driver, Deuteronomy, ICC, Edinburgh 3 1902, 331. 41 Köckert, Das nahe Wort, 500 Anm. 11; vgl. Jes 29,13; Ez 33,31; Ps 55,2 (Jer 12,2; Ps 62,5). Das Paar begegnet sonst ausschließlich in Psalmen (17,3; 19,15; 49,4; 66,17 f.; 78,36 f. und I Sam 2,1) und in der Weisheit (Hi 15,12 f.; 33,2 f.; Prov 15,14.28; 16,23; Koh 5,1). 42 Gute Folgen des Gehorsams nennen etwa 4,1.6; 5,32 f.; 6,13.17 f.24.25; 7,12; 8,1; 11,22 f.;

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sondern auf dem Wort selbst. Das Tun des Wortes hat offensichtlich seinen Lohn in sich, denn durch dieses Wort ist Gott gegenwärtig - das wird nicht ausdrücklich gesagt, aber nahegelegt. Obwohl eine Reflexion über eine Gesetzessammlung, ist Dtn 30,11-14 weniger eine Begründung des Gehorsams als des Glaubens. Auch in dieser Hinsicht ist sie mit der ReflexionJes 55,10 f. vergleichbar. Diese begründet den Glauben an die vorangehende Heilsbotschaft, jene den Glauben an die - unabhängig von Tempel, Königreich, Propheten und sonst noch zu nennenden Heilsgütern - durch das Wort des >Mose< vermittelte Gottesnähe.

IV. Zum "Verhältnis zwischen Dtn 30,11-14 und dem Kontext ist bereits bemerkt worden, daß der Text als eine spätere, den Ton verschiebende Weiterführung von 29,28 gut verständlich wäre. Ob 29,28 der ursprüngliche Anschluß von 30,11-14 ist, soll nun überprüft werden. Daß der dazwischenstehende Abschnitt 30,1-10 in 30,11-14 vorausgesetzt werde, ist vor allem deshalb unwahrscheinlich, weil dann nicht recht verständlich würde, was V. 11-14 nach den Verheißungen V. 1-10 hätte hinzufügen wollen: etwa eine Begründung dafür, daß Israels Bekehrung (V. 2.8.10) und neuer Gehorsam (V. 6 ff.) erfolgen können und werden, weil nämlich das Wort »in deinem Herzen« ist?43 Das leuchtet kaum ein. Die im Zentrum von V. 1-10 für die Zukunft angekündigte Herzensbeschneidung durch Jhwh (V. 6) wird schwerlich durch die »heute« geltenden Nominalsätze von V. 11-14 erklärt oder begründet. Eher verhält es sich umgekehrt. Die Verheißungsrede V. 1-10 läßt sich ungezwungener als eine nachträgliche Begründung der Behauptung von V. 14 verstehen, daß das Wort »in deinem Herzen« sei: Das wird zumindest in der Zukunft wahr sein, wenn »du« zu Gott zurückkehren wirst und Gott »dein Herz beschneiden« wird. Es liegt daher am nächsten, V. 1-10 für den jüngeren der beiden Abschnitte in 30,1-14 zu halten. Daß 29,28 noch jünger sei44, ist hingegen wenig wahrscheinlich. Der Vers schneidet alle Fragen über die Zukunft ab. Daß sich dennoch ein Späterer 12,28; 13,18 f.; 19,8 f.; 28,1.13 f.; 29,8 - um nur die Beispiele mit dem Verb n»y aufzuzählen; an sämtlichen Stellen außer 4,1 ist nipy mit anderen Verben des Gehorchens verbunden. 43 So Hoffmann, Deuteronomium, 147; Braulik, Deuteronomium, 217 f.; freilich hält Braulik 30,11-14 für einen ursprünglich selbständigen Text mit anderer Absicht: eine Mahnung im Sinne von 6,6 f. 44 So Alexis Filemon Puukko, Das Deuteronomium. Eine literarkritische Untersuchung, Leipzig 1909, 210 f.; Johannes Hempel, Die Schichten des Deuteronomiums. Ein Beitrag zur israelitischen Literatur- und Rechtsgeschichte, Leipzig 1914, 167; Dietrich Knapp, Deuteronomium 4. Literarische Analyse und theologische Interpretation, GTA 35, Göttingen 1987, 133 Anm. 653.

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zur Einfügung der Verheißungsrede 30,1-10 berufen wußte, läßt sich vorstellen; kaum aber, daß umgekehrt 29,28 dieser Rede nachträglich vorangestellt worden sei, nämlich um alles dort Verheißene für ungewiß zu erklären. Wenn jemand 29,28 direkt vor 30,11-14 eingesetzt hätte, müßte man ihm eine ähnlich verdüsternde Absicht in bezug auf diesen Text unterstellen. Hinzu kommt, daß es ohne 29,28 schwierig wird, einen einleuchtenden Anschluß für 30,11-14 zu finden. An 29,27 oder 29,20 zu denken, hieße wohl, dem Autor von 30,11-14 zuviel der Kontrast- und Uberraschungsfreude zuzumuten. Dasselbe gilt für den Fluchteil von Kap. 28, in welchem Umfang auch immer. Von den übrigen in Frage kommenden Schlußversen älterer Gestalten des Dtn, 26,16, 26,18 und 29,14, wäre keiner als Anschlußstelle für 30,11 unvorstellbar. Bei 29,28 spricht indessen nicht nur nichts dagegen, sondern auch, wie oben angedeutet, einiges dafür, daß die Reflexion 30,11-14 ursprünglich an diesen Vers angehängt wurde: entweder als letztes oder, der ReflexionJes 55,10 f. entsprechend, als vorletztes Wort der Sammlung, vor den die ganze vorangehende Verkündigung bündelnden Schluß 30,15-20. Nach 29,28 sind das Gesetz und der Gehorsam das einzige Übriggebliebene, das »uns« noch gehört. Das ist nicht wenig, fügt der jüngere Text 30,11-14 hinzu und überbrückt die Kluft, die in 29,28 aufgerissen wird, zwischen dem, wasjhwh, und dem, was »uns« gehört, indem er Gottesprädikate aus den Psalmen auf das »uns« gehörige Geoffenbarte überträgt: auf das Gesetz, das Wort, das »dir sehr nahe« ist.

V. Ein mit Dtn 30,11-14 eng verwandter Text ist noch nicht erwähnt worden: Dtn 4,5-8. Hier ist die prägnante und originelle Aussage von 30,14 über die »Nähe« des »Wortes« gleichsam in zwei Aussagen aufgeteilt, die je für sich verschiedenüich bereichert worden sind: »Nahe« ist hier Jhwh, nämlich im Gebet, r$>x uinp-^aa (V. 7)45; das Gesetz aber, ΐιχτπ ηππη i>D, die D'pn D-aaem sind »gerecht«, aprix (V. 8) - und zu halten (mw) und tun (n»y), denn darin besteht Israels Größe, seine Weisheit und Einsicht unter den Völkern (V. 6). Diese Lobrede auf Israels Einzigartigkeit gehört kaum auf dieselbe Stufe wie 30,11-14 noch zu dessen Vorgaben. Eher greift sie Züge von dorther auf, aber entfaltet diese auf andere Weise.46 Dtn 30,11-14 gehört 45 Das ist weniger originell; vgl. Jes 55,6; Ps 34,18 f.; 145,18; Thr 3,57 und auch I Reg 8,59. 46 Zu Dtn 4,5-8 s. vor allem Georg Braulik, Weisheit, Gottesnähe und Gesetz - Zum Kerygma von Deuteronomium 4,5-8, in: Studien, SBAB 2, 53-93, und Knapp, Deuteronomium 4, 62-67, die freilich nicht die Verwandtschaft mit 30,11-14 erörtern. Zu den vielen Berührungspunkten zwischen Dtn 4 und 29,1 - 30,10, s. Knapp, 128-157, aber auch Eckart Otto, Deuteronomium 4: Die Pentateuchredaktion im Deuteronomiumsrahmen, in: T. Veijola

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demnach in die Zeit zwischen der Grundschicht von Jes 40-55 und Dtn 4,1-40. Zur Wirkungsgeschichte von Dtn 30,11-14 darf auch die innerliche Gesetzesfrömmigkeit gezählt werden, die besonders in einigen Psalmen hervortritt. »Worte« sich »zu Herzen« nehmen, muß freilich nicht gleich fromm sein. David tut es vernünftigerweise, wenn er etwas hört, das ihm gefahrlich werden könnte (aa!>a I Sam 21,13), sollte es aber nicht tun, wenn es ein falsches Gerücht ist D*®, II Sam 13,33). Der Prophet soll sich die Worte Gottes zu Herzen nehmen (aa^a πρ>ί>, Ez 3,10). Sie bedeuten auch für Jeremia nicht nur Leiden, sondern werden ihm zum Glück und zur Herzensfreude ("aai> nnn®!>i Jer 15,16). Und jeder Israelit soll sich Gottes Worte durch Mose zu Herzen nehmen (aai>_i>y rrn, Dtn 6,6, ilb-by tr» 11,18).47 Letzteres ist vorgeschrieben und mit großen Verheißungen verbunden (Dtn 11,21 u. ö.). Auf diesem Hintergrund erklären sich hinreichend die Aussagen im Psalter über den Gerechten, daß er »Tag und Nacht über das Gesetz Jhwhs nachsinnt« (1,2), daß »in seinem Herzen das Gesetz seines Gottes ist« (37,31) und daß er Gottes Wort (mnx) im Herzen »verbirgt« (|3X, 119,II).48 Der durch Dtn 30,11-14 nahegelegte Glaube, daß Gott in seinem Wort gegenwärtig ist, dürfte doch zu dieser Art von Frömmigkeit ein tieferes Motiv beigesteuert haben. Vor allem erklärt sich am einfachsten von Dtn 30,11-14 her ein auffalliges Phänomen in Ps 119. Wie in Dtn 30,11-14, aber in weit größerem Ausmaß werden hier Aussagen, die herkömmlich auf Gott bezogen sind, auf das Gesetz übertragen. »Ich erhebe meine Hände zu deinen Geboten«, heißt es sogar in V. 48. Das muß nach Gunkel ein Textfehler sein: »-ρπιχη-^κ kann nicht richtig sein: die Anbetung gilt Gott allein und nicht

(Hg.), Das Deuteronomium und seine Querbeziehungen, Schriften der Finnischen Exegetischen Gesellschaft 62, Helsinki/Göttingen 1996, 196-222, 201-209. Otto zieht gegen Knapp den gut begründeten Schluß, daß 4,1-40 im Ganzen von 29,1 - 30,10 abhängt und von 30,11-14, ließe sich hinzufügen. Auf eine Beziehung deuten nicht nur 4,5-8, sondern auch die im Dtn auf 4,1-40 und 30,11-14 begrenzten Termini m m im Sinne des ganzen Gesetzes (4,2) und yn® Hi. (4,10.36). Daß 30,11-14 der ältere Text ist, wird durch 4,9-14 und 4,36 zumindest nahegelegt, da diese Stellen u. a. als Erläuterungen der Aussage 30,12 anmuten, daß das Gesetz nicht (mehr) n-n®a sei (und, in Verbindung mit der Kanonformel 4,2, als Grundlage der rabbinischen Folgerung, daß nicht einmal eine Himmelsstimme die Tora verändern kann; s. Paul Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch III, München 1926, 279, 281; vgl. Gal 1,8). 47 Vgl. Dtn 4,9; Jos 14,7; Prov 4,4. Wo sonst noch im (a)a^ vorkommen, handelt es sich eher um Ereignisse (Dtn 30,1) oder (böse) Gedanken (Dtn 15,9; Ez 38,10). 48 Vgl. noch Jes 51,7 und die Verheißungjer 31,33a (dazu Christoph Levin, Die Verheißung des neuen Bundes in ihrem theologiegeschichtlichen Zusammenhang ausgelegt, FRLANT 137, Göttingen 1985, 257-264); ferner Ps 40,8 f., wo anscheinend der prophetische Text Ez 3,3 im Hintergrund steht, denn nur an diesen zwei Stellen ist von einer Rolle (ni>ja) mit Gottes Worten im Inneren (D"ya) die Rede.

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dem Gesetz«49. Angesichts dessen, was sonst noch in Ps 119 begegnet, ist der masoretische Text in V. 48 jedoch nicht so aufsehenerregend: ΊΠΟΠ-^Χ ymXQ »verbirg nicht deine Gebote vor mir« (V. 19)50, »ich halte an deinen Zeugnissen fest« (p3T V. 31)51, »ich verlasse mich auf dein Wort« (naα V. 42)52, »ich vertraue auf deine Gebote« (|ΠΚ Hi. V. 66)53, »mein Herz fürchtet sich vor deinen Worten« (ins V. 161)54, »wie liebe ich dein Gesetz!« (ηπχ V. 97) ,55 Das sind alles genügend deutliche Ausdrücke des Glaubens an Gottes Gegenwart in seinem Wort, im Gesetz: »Aus Gott muß es zu Gott führen.« 56 Die vielen Worte vermitteln eine Gottesnähe, die im Grunde durch keine Tempelzerstörung bedroht werden kann. Hier wird ein Novum der Religionsgeschichte vorbereitet, das im l.Jh. n. Chr. hervortritt: zwei Religionen, die ohne Opferkult leben: das rabbinische Judentum und das Christentum. Eine der Quellen jener zukunftsträchtigen Wortfrömmigkeit dürfte die Reflexion über das Gesetz Dtn 30,11-14 sein.

VI. In jüdischer Gesetzesfrömmigkeit ist Paulus groß geworden: »nach dem Gesetz Pharisäer, nach dem Eifer Verfolger der Gemeinde, nach der Gerechtigkeit, wie sie das Gesetz vorschreibt, untadelig« (Phil 3,5 f.). Für ihn hat aber »die überragende Erkenntnis Christi« in entscheidender Hinsicht das von ihm bisher Geglaubte auf den Kopf gestellt (Phil 3,7 ff.). Christus hat den Platz des Gesetzes eingenommen. Das wird nicht zuletzt dann deutlich, wenn Paulus Dtn 30,11-14 in Rom 10,6-8 zitiert, und zwar um die These von 10,4 zu begründen: »Christus ist des Gesetzes Ende für jeden der glaubt.«57 Der Weg in die Gottesnähe ist nicht das Gesetz, sondern Christus. Zuerst zitiert Paulus in V. 5 aus Lev 18,5: »Denn Mose schreibt von der 49 Hermann Gunkel, Die Psalmen, HK II, 2, Göttingen 1926, 522; vgl. Ps 28,2; 63,5 (121,1) Thr 2,19; 3,41. 50 Vgl. dagegen - p o -inon-S>x Ps 27,9; 69,18; 102,3; 143,7. 51 Vgl. dagegen Ps 63,9, femer Dtn 10,20 u. ö. 52 Vgl. dagegen Ps 4,6; 9,11 (13,6) 21,8; 22,5.6.10; 25,2; 26,1; 28,7 u. ö. 53 Vgl. dagegen Ps 27,13; 116,10 u. ö. 54 Vgl. dagegenJes 19,16; 33,14; Hos 3,5; Mi 7,17; Hi 23,15 (πίγγ Objekt); ferner Ps 27,1; Jes 44,8. 55 Auch 119,47.48.113.127.140.159.163.165.167; vgl. dagegen Dtn 6,5 u.ö. (im Psalter: 26,8; 31,24; 97,10; 116,1; 145,20). 56 Fr. Wilh.Julius Schroeder, Das Deuteronomium oder das Fünfte Buch Mose, Theologischhomiletisches Bibelwerk, Bielefeld 1866, 183, zu Dtn 30,14. 57 Zur umstrittenen Deutung von τέλος, s. Emst Käsemann, An die Römer, HNT 8a, Tübingen 41980, 270-273.

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Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz kommt, daß der Mensch, der sie (sc. die Gebote) tut, durch sie (oder: in ihnen) leben wird.«58 Dem stellt er in V. 6-8 den neuen Heilsweg gegenüber, und zwar durch eine zumindest auf den ersten Blick sehr eigenwillige Auslegung eines anderen Textes aus dem mosaischen Gesetz, Dtn 30,11-14: Die Glaubensgerechtigkeit spricht so: Sage nicht in deinem Herzen: Wer wird in den Himmel hinaufsteigen - das heißt, um Christus herabzuholen - oder: Wer wird in den Abgrund hinabsteigen - das heißt, um Christus von den Toten heraufzuholen? Was sagt sie statt dessen? Das Wort ist dir nahe, in deinem Mund und deinem Herzen - das heißt das Wort des Glaubens, das wir predigen. Alle ausdrücklichen Bezüge in Dtn 30,11-14 auf »das Gebot« (ή έντολή V. 11) und auf das Tun (ποιεΐν V. 12.13.14) sind weggelassen, und dafür wird Christus durch die Erläuterungen eingesetzt. Der Dtn-Text wird derart frei behandelt, daß sogar bestritten worden ist, daß die Stelle als Schriftzitat zu bezeichnen sei.59 Das dreimal wiederkehrende τοϋτ' έστιν dürfte jedoch zeigen, daß es sich dennoch um Schriftauslegung, nicht um zufallig aufgegriffene Wendungen handelt.60 Statt des Anfangs Dtn 30,11, an dem das Folgende dort hängt, beginnt Paulus mit einem Satz aus Dtn 8,17; 9,4: »Sage nicht in deinem Herzen.« Der Satz kommt im ganzen Alten Testament nur an den genannten Stellen vor, und zwar als Einführung einer Warnung vor Hochmut (8,17 f.) bzw. vor frommer Selbstgerechtigkeit, in Verbindung mit einem Hinweis auf Gottes Verheißung an die Väter als den einzigen Grund der Landgabe (9,4-6).61 Dtn 9,4-6 hätte anscheinend Paulus als Schriftbeweis gegen Gerechtigkeit aus Werken, aus dem »Tun«, vorzüglich gepaßt.62 Trotzdem zitiert er im folgenden nicht diesen Text, sondern Dtn 30,11-14. Daraus ergibt sich die häufig gestellte Frage: Wie kommt er auf den Gedanken, diese Lobrede auf das

58 S. die ausführliche Begründung der Lesart und Diskussion der Bedeutung (bei Paulus) von έν αύτοϊς bei Andreas Lindemann, Die Gerechtigkeit aus dem Gesetz. Erwägungen zur Auslegung und zur Textgeschichte von Römer 10 5, in: ZNW 73, 1982, 231-250. 59 Hans Hübner, Gottes Ich und Israel. Zum Schriftgebrauch des Paulus in Römer 9-11, FRLANT 136, Göttingen 1984, 85-90 (mit weiterer Literatur); allerdings modifiziert in ders., Biblische Theologie des Neuen Testaments. Band 2: Die Theologie des Paulus und ihre neutestamentliche Wirkungsgeschichte, Göttingen 1993, 314. 60 S. bes. Dietrich-Alex Koch, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus, BHTh 69, Tübingen 1986, 130, 227-230 (auch zur verwandten Pescher-Kommentierung in Qumran). 61 Daß Paulus den kleinen Satz bewußt zitiert, ist aus den genannten Gründen wahrscheinlich; s. Otto Michel, Der Brief an die Römer, KEK 4, Göttingen 5 1978, 328; Koch, Schrift, 185 f. Anm. 73; Hans-Joachim Eckstein, »Nahe ist dir das Wort.« Exegetische Erwägungen zu Rom 10 8, in: ZNW 79, 1988, 204-220, 208 f. 62 Vermutlich hat er seinen Begriff ιδία δικαιοσύνη (Phil 3,9; Rom 10,3) im Anschluß an Dtn 9,4-6 gebildet (Eckstein, »Nahe«, 209).

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Gesetz als Begründung der Glaubensgerechtigkeit anzuführen? Die nächstliegende Antwort lautet: weil er in erster Linie nicht vom Begriff »Gerechtigkeit«, sondern von Christus sprechen will, von einer Person, die »des Gesetzes Ende« ist - und von der Nähe des Wortes. Davon spricht in der Tat eine, und nur eine, Schriftstelle, nämlich Dtn 30,14. Aus der Reise »jenseits des Meeres« wird bei Paulus eine Fahrt in die Unterwelt63, damit er auf Christi Auferstehung hinweisen kann (V. 7), »ein bereits geschehenes und nicht wiederholbares Ereignis«64, das die Wirklichkeit verändert hat. Entsprechend unnötig und verspätet erscheint die Himmelfahrt, »um Christus herabzuholen« (V. 6), wenn man die Aussage von der Inkarnation her versteht: Niemand muß ihn holen, er ist schon gekommen65 - genauso wie das Gesetz nach dem Dtn »nicht im Himmel« (30,12), sondern bereits »vom Himmel her« verkündigt worden ist (4,36). Die andere Möglichkeit ist, daß Paulus an Christi Erhöhung denkt und sich gegen Wünsche wendet, Christus vom Himmel zurückzuholen.66 Die Deutung von der Inkarnation her liegt aber insofern näher, als die Aussage dann denselben Vorgang wie Rom 10,4-8 im ganzen bezeugen würde: daß Christus für Paulus an die Stelle des Gesetzes getreten ist. So oder so bleibt der einzig annähernd vollständig zitierte Vers Dtn 30,14: »Das Wort ist dir nahe in deinem Mund und deinem Herzen.« Darauf kommt es Paulus offenbar vor allem an67, d. h. auf die Gottesnähe, die nach seiner durchgreifenden Erfahrung jedoch nicht durch das Gesetz, sondern durch Christus vorhanden ist: nicht durch »das Gebot, das ich dir heute gebiete« (Dtn 30,11), sondern durch »das Wort des Glaubens, das wir predigen« (Rom 10,8). Deshalb wird der Schluß von Dtn 30,14, »um es zu tun«, nicht zitiert, denn man kann nicht Christus »tun«, sondern nur darauf vertrauen, was er getan hat. Am Kreuz war den Anwesenden und dem Gekreuzigten von Gottes Nähe nichts zu spüren. »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« - der alte Gebetsruf bezeugt in Mk 15,34 die Verborgenheit Gottes auch vor 63 Vielleicht im Anschluß an Ps 71,20; 107,26; Sap 16,13; vgl. Peter Stuhlmacher, Der Brief an die Römer, NTD 6, Göttingen 2 1998, 141. 64 Koch, Schrift, 154. 65 So Koch, Schrift, 155; jetzt auch Friedrich Lang, Erwägungen zu Gesetz und Verheißung in Römer 10,4-13, in: Jesus Christus als die Mitte der Schrift. Studien zur Hermeneutik des Evangeliums, FS O. Hofius, BZNW 86, Berlin 1997, 579-602, 583. 66 So Käsemann, Römer, 278 f.; er sieht somit hier dasselbe Problem erörtert wie in den johanneischen Abschiedsreden: »Wie können die Jünger nach dem Weggang ihres Herrn bei ihm bleiben?« (279); so jetzt auch Christoph Burchard, Glaubensgerechtigkeit als Weisung der Tora bei Paulus, in: Jesus Christus als die Mitte der Schrift (Anm. 65), 341-362, 360 f. mit Anm. 90. 67 Umgekehrt Bar 3,29 f., wo die Aussagen Dtn 30,12 f. über das Gesetz auf die Weisheit übertragen werden, um deren Unerreichbarkeit zu formulieren, und V. 14 demzufolge eben nicht aufgenommen wird; vgl. Koch, Schrift, 156 f.

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seinem Erwählten. Doch Gott war zugleich in diesem erniedrigten und hingerichteten Menschen verborgen. »Gott war in Christus« (II Kor 5,19). Deshalb ist das Wort vom Kreuz »eine Gotteskraft« (I Kor 1,18) und niemand mehr in Wirklichkeit von Gott verlassen. Er wurde arm, »damit ihr durch seine Armut reich würdet« (II Kor 8,9; vgl. Rom 10,12). Allein mit dem Wort ist man nicht allein; denn in diesem Wort wohnt Gott. Paulus identifiziert nicht ausdrücklich Christus mit dem Wort, sondern nennt es in Rom 10 ρήμα της πίστεως (V. 8), ρήμα Χριστού (V. 17; nicht λόγος, wie er sonst schreibt, denn die Septuaginta sagt in Dtn 30,14 ρήμα). Aber Dtn 30,11-14 nennt das Gesetz »das Wort«, und Paulus überträgt die Aussagen dieses Textes über das Gesetz auf Christus: Du mußt ihn nicht holen, das Wort ist dir nahe. Dadurch bereitet er zumindest eine Gleichsetzung von Christus und dem Wort vor. Es fallt schwer, nicht zu glauben, daß Rom 10,6-8 und damit indirekt Dtn 30,11-14 mit zum Hintergrund vonjoh 1,14 gehören: »Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns.«

J A N CHRISTIAN GERTZ

Die Stellung des kleinen geschichtlichen Credos in der Redaktionsgeschichte von Deuteronomium und Pentateuch /. Das »kleine geschichtliche Credo« in Dtn 26 hat eine abwechslungsreiche Karriere hinter sich. Einst von von Rad prominent an den Anfang der Ausformung der Geschichtsüberlieferung des Hexateuch gestellt1, führt es, seines hohen Alters weitgehend beraubt, ein eher bescheidenes Dasein als dtndtr Rekapitulation der in den »alten Pentateuchquellen« berichteten Heilsgeschichte.2 Gleichwohl steht es auch mit dieser Einordnung nach wie vor am Schnittpunkt zwischen Tetrateuch und Dtn und damit am Schnittpunkt zweier gegenwärtig sehr kontrovers diskutierter Gebiete alttestamentlicher Forschung, der Entstehung und literarischen Schichtung des Dtn {II.-III) und der Pentateuchfrage (IV.-VII). Grund genug also für eine erneute Untersuchung.

II. Die Bestimmungen über die Darbringung der Erstlingsfrüchte in Dtn 26,111 und der folgende kasuistische Rechtssatz über die Ablieferung des 1 Gerhard von Rad, Das formgeschichtliche Problem des Hexateuch, BWANT 78, Stuttgart 1938, zitiert nach ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament, TB 8, München 1958, 9-86. 2 Vgl. statt vieler Leonhard Rost, Das kleine geschichtliche Credo, in: ders., Das kleine Credo und andere Studien zum AT, Heidelberg 1965, 11-25; Norbert Lohfink, Zum »kleinen geschichtlichen Credo« Dtn 26,5-9, ThPh 46, 1971, 19-39, zitiert nach ders., Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur I, SBAB 8, Stuttgart 1990, 263-290 und in jüngerer Zeit etwa Siegfried Kreuzer, Die Frühgeschichte Israels in Bekenntnis und Verkündigung des Alten Testaments, BZAW 178, Berlin/New York 1989. Ausgenommen von der dtn-dtr Charakterisierung ist in der Regel ein V. 5aot2.10a umfassendes Dankgebet aus vielleicht sogar vorstaatlicher Zeit samt einiger Rahmenteile. Zur Diskussion s. u.

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Drittjahreszehnten in 26,12-15 enthalten jeweils ein liturgisches Formular und werden zumeist als liturgischer oder agendarischer Anhang zusammengefaßt.3 Die Klassifizierung als Anhang zum dtn Gesetzeskorpus sucht Gegenläufiges zu berücksichtigen. Einerseits steht 26,1-11.12-15 vor der Uberleitung zur Schlußparänese des Dtn in 26,16-19 und gehört nach formalen wie inhaltlichen Kriterien noch eindeutig zu den Texten des Gesetzeskorpus. Andererseits scheint der Abschnitt innerhalb der Rechtsordnung an der falschen Stelle piaziert zu sein. Unsystematisch wirkt allein schon seine Positionierung nach dem Gebot, die Amalekiter auszurotten (25,17-19), das seinerseits recht unmotiviert auf die Verbote folgt, zweierlei Maß und Gewicht zu benutzen (25,13-16). Ein Blick auf das Bundesbuch, in dem die Darbringung der Erstlingsfrüchte sachgemäß mit den übrigen Vorschriften zum kultischen Leben verhandelt wird (Ex 23,19 in 23,14-19; vgl. auch V. 16), verstärkt diesen Eindruck. Entsprechend würde man für das dtn Gesetzeskorpus eine Erörterung des Inhalts von 26,1-11.12-15 im Kontext derjenigen Bestimmungen erwarten, die sich unter dem \brzeichen der Zentralisationsforderung mit dem Kult befassen. Denkbar erscheint für 26,1-11 eine Zusammenstellung mit den tierischen Ersdingen in 15,19-23 oder mit dem Priestergesetz in 18,1-9, das die Erstlinge von Korn, Wein und Ol sowie der Schafschur als Abgabe für die Priesterschaft festsetzt. Immerhin ist 18,4 innerhalb des Dtn der einzige weitere Beleg für rrwm »Erstlinge« mit Bezug auf agrarische Erträge.4 Besonders deutlich sind indes die Bezüge zwischen den beiden Bestimmungen in 26,12-15 und 14,28 f. über den im Turnus von drei Jahren zugunsten der Versorgung der im Ort lebenden Bedürftigen (vgl. 14,29; 26,12b) zu zahlenden Zehnten. Unverkennbar geht die Protasis des kasuistischen Rechtssatzes in 26,12-15 von der Bekanntgabe des von ihr teilweise wörtlich aufgenommenen Gebotes in 14,28 aus. Der Formulierung nach handelt es sich bei 26,12-15 um Ausführungsbestimmungen zu der in 14,28 f. geforderten Institution, wobei einige Unterschiede zu notieren sind. Zum einen gebraucht 26,12a den noch in 14,22 belegten Terminus technicus iwy »verzehnten«5 anstelle des KS' »herausbringen« aus 14,28. Sodann erhält die in 14,28 f. geforderte Institution durch die doppelte Terminangabe »das dritte Jahr, das Zehnljahr« in 26,12a einen Namen, wobei die analoge Formulierung »das siebte Jahr, das Erlaßjahr« aus 15,9 als Vorbild gedient haben dürfte. Ferner

3 Vgl. aus der Kommentarliteratur schon August Dillmann, Die Bücher Numeri, Deuteronomium und Josua, KEH XIII, Leipzig 2 1886; Carl Steuernagel, Das Deuteronomium, HK 1/3.1, Göttingen 2 1923. 4 Vgl. hierzu aber auch Otto Eißfeldt, Erstlinge und Zehnten im Alten Testament. Ein Beitrag zur Geschichte des israelitisch-jüdischen Kultus, BWANT 22, Stuttgart 1917, 38 ff., wonach Jriwn in Dtn 18,4 anders als in 26,1-11 nicht »Erstlinge«, sondern »das Beste« bedeutet. 5 In 26,12 ist wohl Pi. zu vokalisieren.

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wirkt die Reihe der Bedürftigen in 26,12b durch den Fortfall der auf den Leviten bezogenen Begründung »weil er keinen Anteil und Erbbesitz bei dir hat« sprachlich bereinigt. Somit setzt 26,12-15 mit Sicherheit das Gebot von 14,28 f. voraus, und zwar sehr wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem allgemeinen Zehntgesetz in 14,22-27 (vgl. in 14,22) und den Bestimmungen zum Erlaßjahr in 15,1-11 (vgl. die doppelte Terminangabe in 15,9). Der Fortfall des auf den Leviten bezogenen Begründungssatzes aus 14,29 könnte schließlich dafür sprechen, daß die Ausführungsbestimmungen zum Drittjahreszehnten in 26,11-15 jünger sind als 14,28 f. Wie dem auch sei, daß das Gebot und seine Ausfuhrungsbestimmungen nicht beieinander stehen, bleibt auffallig. Die offenkundigen Querbezüge zwischen 14,28 f. und 26,12-15 haben bereits Steuernagel veranlaßt, die erste Bestimmung des Anhangs in 26,1-11 entsprechend mit 14,22-27 in Verbindung zu bringen, obgleich sie von 7T®m »Erstlingen« statt "i®yn »Zehnten« spricht.6 In mehreren Veröffentlichungen hat Otto diese Beobachtungen, also einerseits die Querbezüge zwischen 14,22-27.28 und 26,1-11.12-15 und andererseits die Positionierung der beiden Texte an völlig entgegengesetzten Orten innerhalb des Gesetzeskorpus, aufgenommen und zu einer These über die Redaktionsgeschichte des vordtr Dtn ausgebaut.7 Danach bilden der vordtr Grundbestand von 14,22-15,23* und 26,1-15* einen privilegrechtlichen Rahmen um die Gesetze in Kap. 12-26, insofern die Ausführungen zum Zehnten in 14,22-29 durch die privilegrechtlichen Bestimmungen zu Erstlingen und Drittjahreszehnten in 26,1-15* aufgegriffen und fortgeführt werden. Für die redaktionsgeschichtliche Analyse des Dtn ist nach Otto von großer Bedeutung, daß sich eine derartige privilegrechtliche Rahmung der Rechtsordnung bereits im Bundesbuch finde (vgl. Ex 21,2-11; 23,10-12) und daher als Vorbild für die Redaktionsstruktur des vordtr Dtn anzusprechen sei. Bei seiner Beschreibung der Redaktionsstruktur einer privilegrechtlichen Rahmung beschränkt sich Otto auf den von ihm mit 14,22-27.28 f. und 26,2*(rekonstruiert).5a*.10-13 bestimmten vordtr Grundbestand. Die rahmende Funktion tritt jedoch noch deutlicher hervor, wenn die eindeutig dtr Passagen einbezogen werden. Otto selbst weist darauf hin, daß nur von den Bekenntnisaussagen in 26,1-11 her verständlich ist, weshalb nach 14,23b die Abgabe des ZehntenJhwh-Furcht (η'Π^χ mn—TiK ηχν^) lehrt (mi>).8 Doch

6 Steuemagel, Deuteronomium, 144. 7 Eckart Otto, Vom Bundesbuch zum Deuteronomium. Die deuteronomische Redaktion in Dtn 12-26*, in: G. Braulik u. a. (Hg.), Biblische Theologie und gesellschaftlicher Wandel, FS N. Lohfink, Freiburg/Br. 1993, 260-278, 263 f.; ders., Theologische Ethik des Alten Testaments, ThW 3/2, Stuttgart 1994, 178, 181-183; ders., Vom Rechtsbruch zur Sünde. Priesterliche Interpretationen des Rechts, JBTh 9, 1994, 25-52, 35 f. 8 Vgl. Otto, Ethik, 178.

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wird man 14,23b gegen Otto als einen sekundären Einschub dtr Paränese zu bewerten haben (vgl. "τηί> und XV mit Jhwh als Objekt in 4,10; 17,19; 31,12 f.).9 Sodann ist auf die parallele Verwendung der dtr Phrase p®!? Q® in® »um seinen Namen dort wohnen zu lassen« in 14,23 und 26,2b zu verweisen.10 Auch ist die Verbindung der Bestimmungen zum Jahreszehnt und zur Erstlingsgabe noch enger, wenn man die zweifelsfrei sekundäre Erwähnung der tierischen Erstgeburt in 14,23aß n einbezieht, insofern erst durch diesen Zusatz die Korrespondenz von Zehnten und Erstlingsgabe ihren sprachlichen Ausdruck findet. Schließlich wird die These einer privilegrechtlichen Rahmung für die Ebene des dtr Textzusammenhangs dadurch gestützt, daß erst auf dieser Ebene - unbeschadet der inhaltlichen Verschiedenheiten - eine feste Kontexteinbindung von 26,1-15 nachweisbar ist. Denn die Formulierung des Landgabesatzes in dem unstrittig dtr V. 1 (s. u.) hat eine sehr enge Parallele in dem vorausgehenden Gebot, die Amalekiter auszurotten (vgl. 25,1912). Und thematisch ist 25,17-19 und 26,1-11 der vergegenwärtigende Riickriff auf Ereignisse im Zusammenhang des Auszugs aus Ägypten gemeinsam (vgl. "IDT »gedenken« in 25,17; V. 18 denkt vermutlich an Ex 17,8 ff.). Die sprachliche und thematische Verknüpfung sprechen für eine gezielte Plazierung des Abschnitts und gegen die Annahme, daß er seine Stellung im vorliegenden Textzusammenhang dem redaktionsgeschichtlichen Zufall oder, was auf dasselbe hinausläuft, dem Ungeschick von Redaktoren verdankt. Die Beobachtungen zu den unstrittig dtr Anteilen an der privilegrechtlichen Rahmung könnten dafür sprechen, daß dtr Redaktoren die von Otto angenommene vordtr Redaktionsstruktur erkannt und ausgebaut haben. Freilich könnten sie auch ein Indiz dafür sein, daß die nach dem Vorbild des Bundesbuches erfolgte privilegrechdiche Rahmung auf dtr Redaktoren zurückgeht. Auf diese zweite Möglichkeit deutet auch die oben erwogene Annahme hin, daß die Ausfuhrungsbestimmungen zum Drittjahreszehnten jünger sind als das entsprechende Gebot in 14,28 f.

9 Vgl. Georg Braulik, Das Deuteronomium und die Gedächtniskultur Israels, in: ders. u. a. (Hg.), FS Lohfink, 9-31, 24. 10 Die Phrase gilt als Ausdruck dtr »Namenstheologie« und ist sonst noch in der dtr Fortschreibung zum Hauptgebot der Kultzentralisation (12,11) und in dtr Nachträgen zum Festkalender (16,2.6.11) belegt. Die Nachträge im Festkalender sind mir i n j a n Christian Gertz, Die Passa-Massot-Ordnung im deuteronomischen Festkalender, in: T. Veijola (Hg.), Das Deuteronomium und seine Querbeziehungen, SESJ 62, Göttingen 1996, 56-80, entgangen. 11 Zur Begründung vgl. nur Gustav Hölscher, Komposition und Ursprung des Deuteronomiums, ZAW 40, 1922, 161-255, 183 Anm. 1. 12 ί^Πί -|ί> inj -ρπϊ>χ a n - ΊΒΚ; vgl. noch 4,21; 15,4; 19,10; 20,16; 21,23; 24,4. Eine Ankündigung der Inbesitznahme mit EH· folgt auf diese Gestalt des Landgabesatzes nur noch in 15,4; 25,19 und 26,1.

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III Die Bestimmung über die Darbringung der Erstlingsfrüchte in Dtn 26,1-11 ist zum Amalekitergesetz (25,17-19) durch die historisierende Gebotseinleitung in V. 1 klar abgegrenzt. Zum folgenden kasuistischen Rechtssatz über die Ablieferung des Drittjahreszehnten (26,12-15) erfolgt die Abgrenzung ebenso deutlich durch die abschließende Aufforderung zur Freude vor Jhwh in V. 11 sowie durch den Neuauftakt mit asyndetischem "3 »wenn« in V. 12. Im Mittelpunkt der Bestimmung steht das seit von Rad allgemein als das »kleine geschichtliche Credo« bezeichnete Gebetsformular in V. 5-10a. Es wird durch die Anweisungen gerahmt, einen Korb mit Erstlingsfrüchten zum Heiligtum zu bringen (V. 1 f.) und nach dem Sprechen des Credos vor dem Altar abzustellen, um sich dann überJhwhs gute Gaben zu freuen (V. 10b.11). Gegenüber diesem rituellen Rahmen, durch den das kleine geschichtliche Credo allererst in den Text des dtn Gesetzeskorpus eingestellt wird, ist V. 3 f. deutlich nachgetragen. Das in V. 3 f. verlangte Aushändigen des Korbes an einen Priester, damit dieser ihn vor den Altar Jhwhs stellt, korrigiert die priesterlose Version dieser Aufforderung in V. 10b, die ihrerseits nach der Einfügung von V. 3 f. keinen Raum mehr hat.13 Wie ist nun der rituelle Rahmen in V. 1 f.lOb.ll literarhistorisch zu bewerten? Die Bestimmung setzt mit einem temporal-konditionalen Satzgefüge ein, dessen Protasis in V. 1 das folgende unter den \brbehalt der zukünftigen Landnahme stellt. Derartige historisierende Gebotseinleitungen sind im Dtn breit belegt. Bekanntlich stellen sie die jeweiligen Bestimmungen und damit das gesamte dtn Gesetzeskorpus in den Rahmen einer mosaischen Gesetzesverkündigung im Lande Moab unmittelbar vor der Landnahme.14 Diese historische Fiktion setzt den Erzählzusammenhang des DtrG voraus und kann daher selbst frühestens dtr Herkunft sein.15 Nun ist die Apodosis in V. 2 mit der für die Bestimmung grundlegenden Aufforderung, sich mit den Erstlingsfrüchten an das Heiligtum zu begeben, als w-qatal-xSatz formuliert und somit mit V. 1 syntaktisch eng zusammengeschlossen.16 13 Vgl. statt vieler Steuernagel, Deuteronomium, 144. 14 Zur Diskussion um die historisierenden Gebotseinleitungen vgl. Gottfried Seitz, Redaktionsgeschichtliche Studien zum Deuteronomium, BWANT 93, Stuttgart u. a. 1971, 56—61; Reinhard Achenbach, Israel zwischen Verheißung und Gebot: literarkritische Untersuchungen zu Deuteronomium 5-11, E H S T 422, Frankfurt/M. u.a. 1991, 172-132; Norbert Lohfink, Kerygmata des Deuteronomistischen Geschichtswerks, in: J. Jeremias/L. Perlitt (Hg.), Die Botschaft und die Boten, FS H. W. Wolff, Neukirchen-Vluyn 1981, 87-100; Udo Rüterswörden, Von der politischen Gemeinschaft zur Gemeinde: Studien zu Dt 16,18-18,22, BBB 65, Frankfurt/M. 1987,54-58; Christa Schäfer-Lichtenberger, Josua und Salomo, VT.S 58, Leiden 1995, 56-69. 15 Grundlegend Lohfink, a. a. O. Anders vor allem Rüterswörden, a. a. O. 16 Vgl. hierzu auch die parallelen Formulierungen in 11,29.31 f.; 19,8 f.; 27,2.

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Darüber hinaus ist V. 2 auch inhaltlich nur schwer von V. 1 zu trennen, da die historisierende Gebotseinleitung die in 26,1-11 neu aufgenommene, alles beherrschende Landthematik einführt.17 Zudem markiert sie im Rahmen des dtn Gesetzeskorpus den nach dem Abschluß der allgemeinen Rechtsordnung notwendigen Neueinsatz.18 Gleichwohl hat man verschiedentlich vermutet, daß V. 1 sekundär ist und sich einer dtr Überarbeitung von 26,1-11 verdankt.19 Wenn ich recht sehe, werden hierfür zwei Argumente beigebracht. Zum einen wird darauf verwiesen, daß das kleine geschichtliche Credo in V. 5-10a teilweise vordtn Traditionsgut enthalte. Schon vor einer Überprüfung dieser Einschätzung ist jedoch festzuhalten, daß die Aufnahme älteren Materials nur wenig über die literarhistorische Einordnung des Rahmens in V. 1 f.lOb.ll aussagt, da auch dtr Autoren älteres Traditionsgut verwendet haben können, zumal das (vermeintlich) vordtn Credo in V. 5-10a nach weit verbreiteter Überzeugung eine umfangreiche dtr Überarbeitung aufweist. Zum anderen hat Seitz angeführt 20 , daß nach Ausscheidung von V. 1 und den Relativsätzen in V. 2 die geforderte Handlung durch die Abfolge von zwölf kurzen w-qatal-x-Sätzen vorgegeben wird, was an den von Rendtorff 21 beschriebenen Ritualstil in priesterschriftlichen Gesetzen erinnere. Da in der Bestimmung zur Darbringung der Erstlingsfrüchte eine imperfektisch gehaltene Anordnung fehlt, wie sie bei den Texten im Ritualstil der Reihe von w-yaiß/-x-Sätzen vorangeht, hält es Seitz für möglich, daß eine derartige »grundlegende Anordnung« von der historischen Gebotseinleitung verdrängt worden ist.22 Aber auch diese formgeschichtliche Erwägung vermag die ihr auferlegte Beweislast nicht zu tragen: Grundsätzlich ist es eine höchst problematische Vorgehensweise, die ursprüngliche Textgestalt nach Maßgabe des Ideals einer (postulierten) Gattung zu rekonstruieren, und das auch noch gegen den literarkritischen Befund. Sodann sind die w-qatal-x-Sätze in 26,1-11 im Unterschied zu den unpersönlich formulierten priesterschriftlichen Vergleichstexten in der direkten Anrede gehalten. Das weist eindeutig auf ihre dtn-dtr Verfasserschaft hin. Die dtr Redaktion hätte also Auftakt und grundlegende Anordnung ihrer dtn Vorgänger ersetzt, was in der Redaktionsgeschichte des dtn Gesetzeskorpus ohne Analogie wäre. Wo dtr Redaktoren etwa eine historisierende Gebotseinleitung eintragen, da ist diese einfach 17 Vgl. f i x und das synonym gebrauchte ΠΟΤΧ in V. 1.2(2x).3.9(2x).10. 18 So zu Recht Achenbach, Israel, 130 Anm. 241. 19 Vgl. Seitz, Studien, 244 und zuletzt Kreuzer, Frühgeschichte, 151 u. ö. sowie Otto, Bundesbuch, 263 f.; ders., Ethik, 178, 181-183; ders., Rechtsbruch, 35 f. 20 Seitz, Studien, 244. Otto (Bundesbuch, 263 Anm. 19) beruft sich ausdrücklich auf Seitz. 21 Rolf Rendtorff, Die Gesetze in der Priesterschrift, FRLANT 62, Göttingen 1954, 6.12. 22 Diese Erklärung findet sich jetzt ähnlich wieder bei Dwight R. Daniels, The Creed of Deuteronomy XXVI Revisited, in: J. A. Emerton (Hg.), Studies in the Pentateuch, VT.S 41, Leiden 1990, 231-242, 238 f.

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vorangestellt und der Nachsatz (und ursprüngliche Auftakt der Bestimmung) schließt als x-jiqtol-Sa.tz an. 23 Läßt sich somit kein Indiz anführen, das es erlaubt, den syntaktisch wie inhaltlich fest eingebundenen V. 1 literarkritisch aus dem Grundbestand der Bestimmung herauszulösen, so ist diese insgesamt wie ihre Eingangsformulierung dtr Herkunft. In Verbindung mit den Beobachtungen zur privilegrechtlichen Rahmung des dtn Gesetzeskorpus führt diese literarhistorische Einordnung zu der Feststellung, daß sich erst die dtr Neuedition des Dtn, die in der Rahmenbestimmung 26,1-11.(12-15* 2 4 ) das Wort ergreift, an den Redaktionsstrukturen des Bundesbuches orientiert hat. Dem entspricht, daß die Rezeption des Bundesbuches, wie ich andernorts gezeigt habe 25 , auch hinsichdich der rechtlichen Inhalte nicht auf die formgebende Schicht des dtn Gesetzeskorpus beschränkt ist, sondern auch in späteren dtr Redaktionen erfolgt. Wir fragen nun nach der Rezeption der Geschichtsüberlieferung des Tetrateuch, wie sie sich in Aufnahme oder Abfassung des kleinen geschichtlichen Credo durch den dtr Verfasser der Rahmenverse niederschlägt.

IV. Innerhalb des kleinen geschichtlichen Credos werden seit Rost V. 5a(X2 »Mein Vater war ein dem Untergang naher Aramäer« ("IN "rau 'Bin) und V. 10a häufig traditionsgeschichtlich oder literarkritisch von der als dtn-dtr eingeordneten Rekapitulation der Heilsgeschichte in V. 5 a ß - 9 unterschieden und als alte Darbringungsformel und Kern des Textes identifiziert.26 Ein wichtiges Argument für diese Unterscheidung ist die Beobachtung, daß das Credo in V. 5aa 2 in der l.sg. anhebt, dann jedoch in den V. 6 - 9 die heilsgeschichtlichen Daten in der l.pl. referiert, um schließlich in V. 10a wieder in die l.sg. überzugehen. Doch dieser Numeruswechsel ist vollständig aus der Situation des Gebetes zu erklären. Der Betende beginnt und schließt mit singularischen Formulierungen, weil es j a der angeredete einzelne Israelit ist, der die von ihm geernteten Erstlingsfrüchte abliefert und das Gebet spricht. Die Rekapitulation der Heilsgeschichte erfolgt hingegen in pluralischen Formulierungen, weil sich der Betende so in die Geschichte Israels 23 Vgl. 19,1 f. und hierzu J a n Christian Gertz, Die Gerichtsordnung Israels im deuteronomischen Gesetz, F R L A N T 165, Göttingen 1994, 118 f. 24 Wie gezeigt, spricht einiges dafür, daß 26,12-15* jünger ist als der Bezugstext 14,22-27.28 f. M.E. gehören 26,1-11* und 26,12-15* ursprünglich zusammen. Den Nachweis muß ich an dieser Stelle jedoch schuldig bleiben. 25 Gertz, Gerichtsorganisation, 36-41 zu 16,19 f. 26 Rost, Credo, 11-25, bes. 15.17. Vgl. Lohfink, Credo, 270 f.; Otto, Ethik, 182; Kreuzer, Frühgeschichte, 156.

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einordnet. Andererseits läßt sich die Anneihme des im Vergleich mit V. 5aß-9 höheren Alters der V. 5aO2.10a nicht beweisen. V. 5aa 2 ist ohne Einbeziehung seines Kontextes schlicht undatierbar, und die persönlich gewendete Notiz über den Vollzug der Landgabe in V. 10a gehört eher in die Nach- als in die Vorgeschichte der dtn-dtr Landgabesätze. Sodann ist die Formulierung »Mein Vater war ein dem Untergang naher Aramäer« in V. 5aa 2 kaum auf eine unmittelbare Fortsetzung durch die Feststellung der erfolgten Landnahme und erfolgreichen Ernte hin angelegt. Da "τ IX keine allgemeine Kennzeichnung für eine nomadisierende Lebensweise ist27, wird man V. 5aa2.10a nämlich nicht als zugespitzte Gegenüberstellung des nomadisierenden Ahnherrn und seiner zu Landbesitz gekommenen bäuerlichen Nachkommen zusammenfassen können.28 Beide Aussagen sind vielmehr wie der Rest des kleinen geschichtlichen Credos am Ablauf der Heilsgeschichte orientiert. Insofern verlangt V. 5aa 2 ebenso die Fortsetzung durch V. 5aß-9 wie V. 10a die vorgehenden Notizen über die Landgabe voraussetzt.29 Formal fallt schließlich auf, daß V. 5aa 2 durch die Alliteration in "IK 12K ' a m und den Binnenreim von und "m« einen »hartefn] Dreierrhytmus« anschlägt, der das »rhythmische Motiv für die Gestaltung« von V. 5aß-9 abgibt, wohingegen V. 10a keinen Einfluß des Dreierrhythmus erkennen läßt und damit außerhalb der durch V. 5aa 2 vorgegebenen Struktur zu stehen kommt.30 Das weist darauf hin, daß V. 10a weder zusammen mit V. 5aa 2 den alten Kern des kleinen geschichtlichen Credos darstellt noch mit V. 5aa 2 -9 insgesamt gleich ursprünglich ist.31 Der Teilvers gehört vielmehr zu der Fortschreibung in V. 3 f., deren performative Sprechweise »ich verkündige hier und jetzt« (orπ ' n u n ) für das in V. 3b bekannte Faktum den in V. 10agegebenen handfesten Beweis geradezu verlangt.32 Entsprechend greift V. 10a mit Nil

27 Vgl. Thomas Römer, Israels Väter. Untersuchungen zur Väterthematik im Deuteronomium und in der deuteronomistischen Tradition, OBO 99, Fribourg (Schweiz)/Göttingen 1990, 61 mit Hinweis auf den Exkurs zu i l ü bei Horst Seebaß, Der Erzvater Israel, BZAW 98, Berlin 1966, 4. 28 So Rost, Credo, 18. Seebaß, Erzvater, 4 f. vermutet die Aussage des vermeintlich älteren Rahmens des Credos in der Beziehung zwischen dem verelendeten Ahnherrn und dem reichen Kulturland. Kontur gewinnt diese Gegenüberstellung allerdings erst im vorliegenden Textzusammenhang und seiner heilsgeschichtlichen Aussagen (vgl. insbes. V. 5aßyund V. 9). 29 Kreuzer, Frühgeschichte, 158 erwägt daher die Verbindung beider Aussagen durch eine (anscheinend nicht mehr rekonstruierbare) Vorstufe von V. 9a. 30 Lohfink, Credo, 269-271. Vgl. auch schon von Rad, Problem, 12 Anm. 3 zu V. 5aa 2 . Lohfink nimmt jedoch an, daß sich der Verfasser des vermeintlichen Zusatzes in V. 5aß-9 am Rhythmus von V. 5a(X2 orientiert habe. Das Herausfallen von V. 10a aus dem Rhythmus bleibt unerörtert. 31 So auch Ulrich Dahmen, Leviten und Priester im Deuteronomium, BBB 110, Bodenheim 1996, 354 f. 32 Vgl. Dahmen, Priester, 355. Zur Zusammengehörigkeit von V. 3b und V. 10a vgl. auch

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Hi. »darbringen« + n m x n * Ί 3 ΤΓΒίΠ »Erstlingsfrüchte des Landes« + Landgabesatz auf die Folge KU »kommen« + ρΊΧη~ί>Χ »in das Land« + Landgabesatz in V. 3b zurück und bindet so das kleine geschichdiche Credo in den Verlauf der nachträglich in V. 3 f. geforderten Handlung ein. Nach der Ausscheidung von V. 10a bietet der Text des kleinen geschichtlichen Credos keinen Anlaß zu weiteren literarkritischen Eingriffen.

V

In der Diskussion um die literarhistorische Einordnung des kleinen geschichtlichen Credos herrscht über die dtn-dtr Verfasserschaft oder zumindest Ubermalung des Textes eine weitgehende Ubereinstimmung. Namentlich Rost und Lohfink haben den Anteil dtn-dtr Phraseologie in den von ihnen als dtn-dtr Überarbeitung charakterisierten V. 5aß-9 herausgearbeitet.33 Das muß hier nicht wiederholt werden. Im folgenden stehen vielmehr die Anspielungen des Credos auf die Geschichtsüberlieferung des Tetrateuch im Vordergrund, ist es doch in den vergangenen Jahren zu erheblichen Verschiebungen in der literarhistorischen Einordnung der einschlägigen Referenztexte gekommen. Aus Uberzeugung wie Bequemlichkeit beziehe ich mich bei der Untersuchung der fraglichen Anspielungen vor allem auf meine eigene Analyse von Ex 1-15.34 Sie hat für die Exoduserzählung zur Unterscheidung einer durchlaufenden priesterschriftlichen Pentateuchquelle und eines mit Ex 1 einsetzenden nichtpriesterschriftlichen Erzählfadens geführt, die - beide ehedem selbständig - durch eine umfangreiche nachpriesterschrifdiche Endredaktion (R) vereinigt wurden. V. 5aßb: Die Abfolge vom Hinabziehen nach Ägypten (nn'Tsn τ v i ) und einem dortigen Ägyptenaufenthalt als Fremder (ü® Ui) hat ihre nächsten Parallelen in Gen 12,10 und in Jes 52,4. Der Verbindung vom Hinabziehen nach Ägypten und der Volkwerdung in Ägypten ("lib D®—m) kommen Dtn 10,22 und in der Geschichtsüberlieferung Gen 46,3 f. am nächsten. Die genannten Vergleichstexte sind durchweg sehr jung: Gen 12,10-13,1 ist ein redaktioneller Einschub, der Abraham den Weg des nachmaligen Gottesvolkes in Ägypten vorvollziehen läßt und der mit der Abfolge von PlagenJhwhs (yi2\ V. 17) und der dadurch bedingten Entlassung durch den Pharao (rrbi?; V. 20) offenkundig auf Ex 11,1 (yj: - π!»®) anspielt.35 Die literarhistorische Rosario Pius Merendino, Das deuteronomische Gesetz. Eine literaxkritische, gattungs- und überlieferungsgeschichtliche Untersuchung zu Dt 12-26, BBB 31, Bonn 1969, 349 f., 363-369 und Martin Rose, 5. Mose, ZBK 5, Zürich 1994, 358.363. 33 Rost, Credo, 12 f.; Lohfink, Credo, 274-278. 34 Jan Christian Gertz, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung. Untersuchungen zur Endredaktion des Pentateuch, FRLANT 186, Göttingen 2000.

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Einordnung hängt also an Ex 11,1, einer Notiz, die in den Kontext der redaktionellen Zusammenführung der priesterschriftlichen Pentateuchquelle mit der nichtpriesterschriftlichen Exoduserzählung gehört.36 Auf derselben redaktionsgeschichtlichen Ebene liegt auch die Vorschau auf die Ereignisse in Ägypten in Gen 46,laß-5a. 37 Dtn 10,22 ist literarhistorisch nicht von Gen 46,8-28 und Ex 1,1-5 zu trennen, da die Rechnung von den 70 Seelen, die in Ägypten zum Volk wurden, in diesen nachpriesterschriftlichen Texten ihren Ursprung hat.38 Die Ubereinstimmungen von V. 5aßb mit den genannten Texten sind freilich nicht so signifikant, daß hier von einer literarischen Abhängigkeit des kleinen geschichtlichen Credos ausgegangen werden kann. Die Redeweise vom Hinabziehen nach Ägypten ist unter geographischen Gesichtspunkten schlicht angemessen und entsprechend weit verbreitet. Besondere Erwähnung verdient hier allein der heilsgeschichtliche Rückblick in Num 20,15 f., von dessen sieben Verben sechs im kleinen geschichtlichen Credo ihre Entsprechung haben, und zwar in völlig übereinstimmender Reihenfolge. Beide Texte sind also höchstwahrscheinlich nicht unabhängig voneinander entstanden, wobei die literarische Priorität einer Vorstufe von Num 20,15 f. zukommt.39 Hierfür spricht vor allem, daß Dtn 26 die ausgeführte Fassung bietet und in V. 5aß statt des unspezifischen IP" »wohnen« den juristisch genaueren Terminus TU »als Fremder weilen«40 gebraucht. Von einer Rechtsstellung der Israeliten in Ägypten als gerim gehen auch dtn-dtr Rechtsbegründungen aus. Allerdings sind diese nicht mit ~m Qal formuliert, sondern mit rrn + u , was sich jedoch problemlos als Anpassung an den Sprachduktus des Verses verstehen läßt. War der Verfasser des kleinen geschichtlichen Credos demnach nicht auf die zuvor genannten Texte als Formulierungshilfe angewiesen, so bleibt dennoch festzuhalten, daß mit Ausnahme von Num 20,15 die einschlägigen Ver35 Vgl. Christoph Levin, Derjahwist, FRLANT 157, Göttingen 1993, 142 f.; Detlef Jericke, Abraham in Mamre. Historische und redaktionsgeschichtliche Studien zu Genesis 11,27-19,38, HabSchr. Berlin 1999, 221-224. 36 Vgl. Gertz, Tradition, 166-180, 185-188. 37 Vgl. a. a. O., 273-277. 38 Zur literarhistorischen Einordnung von Gen 46,8-27; Ex 1,1-5 vgl. a. a. O., 354-357 mit weiterer Lit. 39 In Num 20,15 f. sind das nachgestellte u-:ni »und für unsere Väter« in V. 15 sowie die Entsendung des Engels in V. 16 sekundär. Zur Diskussion um das literarische Verhältnis von Num 20,15 f. und Dtn 26,5-10 vgl. Lohfink, Credo, 271-274, der Num 20,15 f. die Priorität zugesprochen hat, und die Gegenmeinung bei Siegfried Mittmann, Num 20,14-21 - eine redaktionelle Kompilation, in: H. Gese u. a. (Hg.), Wort und Geschichte, FS K. Eiliger, AOAT 18, Neukirchen-Vluyn/Kevelaer 1973, 143-149. Mittmann ist allerdings darin uneingeschränkt recht zu geben, daß Num 20,14-21 redaktionell ist und nicht einer Quellenschrift angehört. 40 Vgl. Lohfink, Credo, 272.

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gleichstexte durchweg im Zusammenhang der nachpriesterschriftlichen Formierung und Ausgestaltung des Pentateuch stehen. Die Formulierungen in V. 5aßb erfolgen also nicht im Rückgriff auf die »alten Pentateuchquellen«. Letzteres gilt auch für die Beschreibung der Volkwerdung Israels in Ägypten nach V. 5b. Die Wendung »zu einem großen, starken und zahlreichen Volk« (an mxy i n u "U^) ist im AT singulär. Die Verbindung von je zwei der drei hier gebrauchten Adjektive mit "13 »Volk« beschreibt im Dtn die anderen, Israel an Größe und Mächtigkeit überlegenen Völker (4,38; 7,1; 9,1; 11,23; vgl. 2,10.21 sowie J o s 23,9), oder sie findet sich in der Ankündigungjhwhs, Israel zu vertilgen und Mose »zu einem stärkeren und zahlreicheren Volk als sie« zu machen (9,14: Dixy + an; vgl. Num 14,12: fcnj + Disy). Das Wachsen Israels wird im Dtn dagegen völlig anders beschrieben (vgl. 1,10 f.; 6,3; 10,22; 13,18; 28,62). In den Väterverheißungen der Genesis kommt Gen 18,18 der Formulierung von V. 5b am nächsten, doch dürfte es sich hierbei um einen Text handeln, der bereits in die Nachgeschichte des kleinen geschichtlichen Credos gehört.41 Vorgegeben war hingegen wohl die Verbindung i>nj ""π!> mit Bezug auf Israels Volkwerdung in Gen 12,2 (vgl. Gen 21,18 mit Bezug auf Ismael; ferner Gen 46,3 [R]). Der Topos der Volkwerdung mit den Wurzeln nsy + nai/aai ist sonst nur noch in Ex 1,7.9.20 belegt. Da das kleine geschichtliche Credo noch weitere Bezüge zu Ex 1 aufweist, kann davon ausgegangen werden, daß sich die dem Dreierschema des Credos gemäße Ausgestaltung der Beschreibung der Volkwerdung anhand dreier Adjektive an Ex 1 orientiert hat. Ex 1,7 gehört zu P, Ex 1,9.20 gehen auf die Ρ und die nichtpriesterschriftliche Exoduserzählung vereinigende Endredaktion zurück.42 V. 6a: yjn Hi. »schlecht handeln« mit den Ägyptern als Subjekt und den Israeliten als Objekt stammt aus Num 20,15. Vergleichbar ist im AT sonst nur Moses Klage vorJhwh über die zunehmend schlechtere Behandlung der Israeliten durch den Pharao in Ex 5,22 f. (R).43 my II Pi. »unterdrücken« ist ein Leitwort der nichtpriesterschriftlichen Exoduserzählung (vgl. Ex 1,11.12 sowie ~iy »Leiden« in Ex 3,7.17 und redaktionell in Ex 4,31). In Dtn 16,3 dient die Wurzel einer nachdtn Redaktion dazu, das Essen der Massot nicht mehr allein mit dem überhasteten Aufbruch aus Ägypten, sondern schon mit der dortigen Unterdrückung selbst in Verbindung zu bringen.44 V. 6b: may »Frondienst« ist im Dtn singulär und findet sich nicht in Num 20,15 f. Der Ausdruck ist jedoch in der Exoduserzählung belegt, und zwar als Leitwort der priesterschriftlichen Darstellung der Unterdrückung Israels in Ägypten (vgl. Ex 1,14 [3x, davon einmal wie in V. 6b n®p> may »harter 41 42 43 44

Vgl. Levin, Jahwist, 170. Vgl. Gertz, Tradition, 352 f.365-368.373. Zur literarhistorischen Einordnung vgl. Gertz, Tradition, 335-345. Zur Begründung vgl. Gertz, Passa, 69 f.

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Frondienst«]; 2,23 [2x]; 6,6.9). Im nichtpriesterschriftlichen Text wird der Ausdruck in seiner profanen Bedeutung nur in 5,9.11 gebraucht. Beide Belege gehen wie seine kultische Verwendung in 12,25 f.; 13,5 (»Brauch«) auf die Endredaktion zurück.45 Die Verteilung der Belege spricht deutlich für die Priorität von P. V. 7: Der Hilferuf der Israeliten und seine Erhörung durch Jhwh sind im Vergleich mit Num 20,16 wesentlich ausführlicher dargestellt. Das Vokabular findet sich weitgehend in der erweiterten nichtpriesterschriftlichen Version der Berufung des Mose: Wie in Ex 3,7 ist ":y »Elend« Objekt zu run »sehen« mit Jhwh als Subjekt, und mit pnb »Bedrückung« wird ein Leitwort aus Ex 3,9 gebraucht. Die beiden Verben pyx »schreien« und yn® »hören« sind ebenfalls in Ex 3,7.9 belegt, sie finden sich allerdings auch in Num 20,16, wo in Übereinstimmung mit V. 7b und anders als in Ex 3,7.9 ubp »unsere Stimme« Objekt zu yaw ist. Keine Entsprechung in V. 7 hat dagegen die jüngste, vermutlich endredaktionelle Erweiterung in 3,7, wonach Jhwh den Schmerz (nxan) Israels erkannt hat (jn"). Das ist deswegen literarhistorisch aufschlußreich, weil V. 7 dem Schema des kleinen geschichtlichen Credos gemäß die Unterdrückung in Ägypten in einer Dreiergruppe darstellt und neben "Jy »Elend« und f π!» »Bedrückung« noch von buy »Mühsal« spricht. Der in den Klagepsalmen und der jüngeren Weisheitsliteratur beheimatete Begriff bny begegnet sonst nicht im Kontext der Exodusereignisse. Die auffallige, von Num 20,16 wie von Ex 3 abweichende Wortwahl läßt sich unschwer damit erklären, daß sich dem Verfasser von V. 7 der dritte Begriff aus der Vorlage in Ex 3,7.9 noch nicht zur Reihenbildung mit "Jy und f Π^ anbot. Die endredaktionelle Fassung von Ex 3 ist also sehr wahrscheinlich jünger als das kleine geschichdiche Credo. Bemerkenswert ist sodann, daß die Reihenfolge von may »Frondienst«, pyx/pyT »schreien«, ynw »hören« und ΠΧΊ »sehen« eine Parallele in Ex 2,23 f. (P) hat und nicht an Ex 3,7.9 ausgerichtet ist.46 V. 8: Die kaum auf eine bestimmte literarische Schicht festlegbare Aussage, daß Jhwh die Israeliten aus Ägypten herausgeführt hat (xs~ Hi.), findet sich auch in Num 20,16* (ohne "|Κί>η rrbtri »und er [sc. Jhwh] schickte einen Engel«). Der Rest des Verses hat keine Entsprechung in Num 20,15 f. Uber die dtn-dtr Herkunft der Phrase m a j yiTll πρτπ τ ι »mit starker Hand und ausgestrecktem Arm« herrscht Konsens. Der Ausdruck !»"n x m a »unter großem Schrecken« ist noch in Dtn 4,34; 34,12 belegt, und zwar ebenfalls mit Bezug auf den Exodus. Die beiden Belege zählen jedoch zu den jüngsten Texten des Dtn und dürften in die Nachgeschichte von V. 8 gehören. Eventuell wollte der Verfasser von V. 8 bei der Formulierung auf die Erwäh-

45 Vgl. Gertz, Tradition, 335-345 (zu Ex 5), 38-44.50-56 (zu Ex 12,21-27); 59-63.68-71 (zu Ex 13,5-10). 46 Hierauf macht auch Lohfink, Credo, 279 Anm. 34 aufmerksam.

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nung des Gottesschreckens der nichtpriesterschriftlichen Meerwundererzählung in Ex 14,24* anspielen. Die Verbindung D - n a n m η ι η κ η »mit Zeichen und Wundern« erinnert an den Sprachgebrauch der Endredaktion, die in der Benennung der Zauberhandlungen in Ägypten sehr genau nach den jeweils in den Blick kommenden Adressaten differenziert.47 So spricht sie von (Legitimations-)Wundern vor dem Pharao (dtdiq) und von Zeichen für Israels Glauben (mnx), womit jeweils nur unterschiedliche Aspekte hervorgehoben werden, die allen genannten Zauberhandlungen gemeinsam sind; in 7,3 hat sie mit der Notiz »ich will meine Zeichen und Wunder ("7iDm~n>n "ηηκ~πκ) zahlreich machen im Lande Ägypten« die beiden Aspekte der Zauberhandlungen dem Plagenzyklus als Interpretationsleidinie vorangestellt. Den Gebrauch von ilDin hat die Endredaktion von Ρ übernommen (vgl. Ex 7,9; 11,10). Dagegen ist mx mit Bezug auf die Plagen in dem der Endredaktion vorgegebenen Textzusammenhang nicht belegt. Andererseits ist nun die Verbindung von »Zeichen« (mnx) und »Wundern« (ΰ'Ποη) in Texten dtn-dtr Provenienz ein stehender Ausdruck für die ägyptischen Plagen, ohne daß sich für alle Belege eine Kenntnis der endredaktionellen Fassung der Exoduserzählung und ihres differenzierenden Sprachgebrauchs auch nur wahrscheinlich machen ließe.48 Vielmehr konnte die Endredaktion auf dtn-dtr Sprachgebrauch zurückgreifen. Das Vorkommen der Verbindung in V. 8 erklärt sich folglich allein aus dem dtn-dtr Stammbaum des kleinen geschichtlichen Credos. Fassen wir die Durchsicht der verifizierbaren Anspielungen des kleinen geschichdichen Credos auf die Geschichtsüberlieferung des Tetrateuch zusammen, so ist zunächst festzustellen, daß sich der Befund hinsichtlich der Anfange vor dem Aufenthalt in Ägypten und der \blkwerdung von demjenigen zu nachfolgenden Geschehnissen unterscheidet. Für V. 5aß läßt sich als literarische Vorlage lediglich der heilsgeschichtiiche Rückblick in Num 20,15 f. anführen, während intertextuelle Bezüge zu den Vätererzählungen fehlen. Dem korrespondiert der ebenfalls negative Befund zu V. 5act2, insofern es auch für das Diktum »Mein Vater war ein dem Untergang naher Aramäer« keinen präzise bestimmbaren Referenztext in den Vätererzählungen gibt.49 Für die Aufzählung der Ereignisse um Volkwerdung, Unterdrükkung und Auszug Israels greift das kleine geschichdiche Credo hingegen deutlich auf die Geschichtsüberlieferungen des Tetrateuch zurück. Wieder-

47 Vgl. mit ausführlicher Begründung Gertz, Tradition, 332 f., auch 252-254 (zu Ex 7,3). 48 Vgl. Dtn 6,20-25; 7,17-24*; 29,1-14*, ferner den von 26,5 ff. abhängigen Beleg in Jer 32,17-23*. Einige Belege dürften allerdings selbst schon in das Umfeld der Endredaktion gehören: Dtn 4,34; 34,11 f. Noch jünger sind Ps 78,43; 105,27; 135,9; Neh 9,10. 49 Dies zeigt eindrücklich die nicht enden wollende Diskussion darüber, ob der Vater nun mit Jakob, mit Abraham oder gar nicht zu identifizieren sei. Vgl. Römer, Israels Väter, 61-65 (mit weiterer Lit.).

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holt wird auf die nichtpriesterschriftliche Exoduserzählung angespielt, und zwar in ihrer ausgeführten Fassung. Darüber hinaus hat der Verfasser des kleinen geschichtlichen Credos aber auch von den einschlägigen priesterschriftlichen Texten Kenntnis gehabt und davon auch gezielt Gebrauch gemacht. Damit kommen im kleinen geschichtlichen Credo die nichtpriesterschriftliche und die priesterschriftliche Exoduserzählung nebeneinander zu stehen, obwohl dessen Verfasser die endredaktionelle Verbindung der beiden ehedem unabhängigen Versionen allem Anschein nach noch nicht vor sich liegen hatte.

VI. Eine erneute literarhistorische Einordnung der schließlich schon seit langem erkannten Bezüge zur Exoduserzählung geriete zum mehr oder weniger langweiligen Kegelspiel, hätte sie nicht auch Konsequenzen für die Auslegung des kleinen geschichtlichen Credos. Ohne Anspruch auf besondere Originalität greife ich dabei Gedanken von Römer und de Pury auf 50 , meine allerdings, daß sich ihre Annahmen vor dem Hintergrund der hier vorgelegten Analyse weitaus besser begründen lassen. Beide Autoren unterscheiden die in der Väterzählung der Genesis Literatur gewordene Jakobstradition einerseits und die Auszugs- und Wüstentradition andererseits als zwei konkurrierende Konzeptionen vom Ursprung Israels. Diese Konzeptionen, von denen die Auszugs- und Wüstentradition ein Gegenmodell prophetischer, dem Deuteronomismus nahestehender Kreise zu der »populär-autochtonen« Jakobstradition darstelle, seien bis weit in die nachexilische Zeit hinein unabhängig voneinander tradiert und erstmals durch Ρ zu einer mehrstufigen Heilsgeschichte verbunden worden.51 Zur Beschreibung der auf den Exodus rekurrierenden Konzeption von Israels Ursprung ziehen Römer und de Pury auch das kleine geschichtliche Credo heran, da es die Bedeutung der Exodusereignisse einseitig herausstelle, wohingegen seine Erwähnung vom Hinabziehen des anonymen Vaters nach Ägypten in V. 5a(*2 eine pejorative Konnotation habe. Somit zeige das kleine geschichtliche Credo: »Erst in Ägypten beginnt für die Deuteronomisten die Geschichte Israels. Der dorthin hinabziehende 3K . . . ist noch ein Aramäer! Es sieht so aus, als ob es für die dtr Konzeption vor Ägypten kein Israel geben dürfe.«?1 50 Römer, Israels Väter, 61-70; ders., Nachwort, in: Lohfink, Die Väter Israels im Deuteronomium, OBO 111, Fribourg (Schweiz)/Göttingen 1991, 111-123, 120 f.; Albert de Pury, Le cycle de Jacob comme legende autonome des origines d'Israel, in:J. A. Emerton (Hg.), Congress volume Leuven 1989, VT.S 43, Leiden 1991, 78-96, bes. 83. 51 Römer, Israels Väter, 658 ff.; ders., Nachwort, 119 ff.; de Pury, Cycle, 83 und (etwas anders) 93. 52 Römer, Israels Väter, 121 (Hervorhebung im Original).

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Zu dieser Interpretation von V. 5aa 2 durch Römer und de Pury stimmt, daß die Darstellung der Ereignisse vor der Volkwerdung in Ägypten auffallend knapp gerät und Dasein und Ergehen des Vaters mit dem in den Vätererzählung der Genesis nicht belegten l a x Qal »umkommen, verloren gehen« beschrieben werden. Im Dtn bezeichnet die dort relativ häufig belegte Wurzel l a x die physische Vernichtung als Strafe oder Geschick, die Exilierung oder das Zerstören heidnischer Kultgegenstände. 53 Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Belege, in denen "rax Israels exilisches Dasein und Ergehen benennt. So droht Jhwh nach 28,62 f. an, er werde Israel im Falle des Ungehorsams bis auf eine geringe Zahl (ayn "Tina; vgl. 26,5aß) umkommen lassen ("Tax; vgl. 26,5aa 2 ), es vertilgen und es aus dem Land herausreißen, in das es jetzt komme (vgl. Dtn 26,1 f.9), statt ihm Gutes zu tun und es zu mehren (vgl. Dtn 26,5b.9). Liest man diese und vergleichbare Äußerungen im Kontext des kleinen geschichtlichen Credos und seiner Aussagen über die Gegebenheiten vor der Volkwerdung in Ägypten, dann besteht die Strafe des Exils in der Rückversetzung Israels in den Status des Vaters, der dem Untergang nahe war. Umgekehrt ist die Situation des Vaters vor seinem Hinabziehen nach Ägypten und vor der Volkwerdung in Ägypten im Aussagezusammenhang des Dtn unmißverständlich nicht als eine heilsgeschichtlich positiv qualifizierte Epoche zu verstehen. Diese sehr distanzierte Sicht fallt um so mehr auf, als der Verfasser des kleinen geschichtlichen Credos nach der vorgelegten Analyse Ρ und damit auch die priesterschriftliche Aneinanderreihung von Väter- und Exoduserzählung als Epochen der einen Ursprungsgeschichte Israels gekannt hat: Obwohl das kleine geschichtliche Credo im Hinblick auf die Exodusereignisse Ρ aufgreift, schweigt es zu den in dieser Quelle herausgearbeiteten heilsgeschichtlichen Verbindungslinien zwischen den beiden Epochen. Und an die Stelle einer vormosaischen Offenbarungsgeschichte tritt die Rede von einem anonymen Vater, dessen Dasein und Ergehen dem als Strafe verstandenen Exil Israels gleichkommt. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Rezeption der priesterschriftlichen Exoduserzählung wird man die pejorative Konnotation in der Erwähnung des Vaters in V. 5aa 2 und das betonte Herausstellen des Ursprungs Israels in Ägypten also als die nachdrückliche Ablehnung der vermutlich erstmals in Ρ erfolgten Konzeption der einen Ursprungsgeschichte zu bewerten haben. Es ist daher kaum anzunehmen, daß das kleine geschichtliche Credo ursprünglich für ein Dtn verfaßt wurde, dessen literarischer Kontext nach vorn über die nichtpriesterschriftliche Version der Exoduserzählung hinausgegriffen hat. Und aus diesem Grund kommen wir dann bei der Erwähnung des »Gottes unserer Väter« in V. 7 anders als in

53 Im Qal noch 4,26; 7,20; 8,19.20; 11,17; 22,3; 28,20.22; 30,18; 32,28. Im Pi. 11,4; 12,2.3; im Hi. 7,10.24; 8,20; 9,3; 28,51.63. Aus der Reihe fällt nur die Anweisung in 22,3, daß etwas »Verlorenes« von seinem Finder zurückzugeben ist.

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der endredaktionellen Gestalt der Moseberufung in Ex 3 (vgl. V. 6a.15.16*)54 auch »nicht konkret bis zu den drei Patriarchen der Genesis«55.

VII. Der hinter der Formulierung des kleinen geschichtlichen Credos stehende Deuteronomismus hat sich mit seiner Kritik an der priesterschriftlichen Konzeption der einen Ursprungsgeschichte Israels nicht durchsetzen können. Bekanntlich ist die Endredaktion des Pentateuch an diesem Punkt Ρ gefolgt. Gleichwohl kann auch das kleine geschichtliche Credo als Vorgänger der Endredaktion bezeichnet werden, insofern in seiner Rezeption sowohl der priesterschriftlichen als auch der nichtpriesterschriftlichen Exoduserzählung erstmals eine Zusammenschau der beiden ehedem selbständigen Texte greifbar wird. In dieser Hinsicht markiert das kleine geschichtliche Credo dann doch einen wichtigen Ausgangspunkt für die Ordnung der Erzählungsmassen des Pentateuch.

54 Vgl. Gertz, Tradition, 278 ff. u. ö. 55 Lohfink, Väter Israels, 103.

FRANK-LOTHAR HOSSFELD

Der Dekalog als Grundgesetz eine Problemanzeige1 Die Würde des Dekalogs ist traditionell im prinzipiellen Bereich der alttestamentlichen und darüber hinaus der biblischen Ethik gesehen worden. In diesen Bereich gehört auch die juristische bzw. verfassungsrechtliche Metapher Grundgesetz. Diese Position und Funktion legen sich einmal nahe durch die konzise Knappheit dieses Gesetzeskorpus - vom Jubilar im folgenreichen Understatement »eine selbständige, zitable Einheit« genannt. Die Ehrung des Dekalogs vollzieht sich unter Ansehen der allgemeinen Formulierung und des Inhalts dieses Gesetzeskorpus. Andererseits spielt zugleich das Verhältnis des Dekalogs zu den anderen ihm nachfolgenden Gesetzeskorpora irgendwie eine Rolle, sei es, daß die kontextuelle Vorrangstellung oder die Auszeichnung des Dekalogs im Modus seiner Übertragung von Gott zu Mose und zu Israel wahrgenommen werden. Dieser Beitrag will zwei klassische Phänomene der Dekalogkonzeption im Deuteronomium angehen, die mit dem Verständnis des Dekalogs als Grundgesetz zusammenhängen. Zum Einstieg bedient er sich einer Miniauswahl aus der jüdischen Rezeptionsgeschichte des Dekalogs, die den Charakter des Dekalogs als Grundgesetz akzentuiert und unterschiedlich füllt.

I. Momente der jüdischen Rezeption Philo v. Alexandrien, Zeitgenosse Jesu und Verfasser des ersten Traktats über den Dekalog, unternimmt eine philosophische Betrachtung des Dekalogs mit punktuellem Rekurs auf Schriftzitate.2 In §§ 50-51 zeigt er an, daß er 1 Dieser Beitrag will ein Zeichen des Dankes und Respekts vor dem Deuteronomiumforscher Lothar Perlitt sein. Er knüpft dort an, wo wir uns schon begegnet sind (vgl. die Selbstauskunft in: Frank-Lothar Hossfeld, Zum synoptischen Vergleich der Dekalogfassungen. Eine Fortführung des begonnenen Gesprächs, in: ders. (Hg.), Vom Sinai zum Horeb. Stationen alttestamendicher Glaubensgeschichte, FS E. Zenger, Würzburg 1989, 73-117, 75 Anm. 7) und bedeutet persönlich eine bescheidene Wiederannäherung an die »Mitte der Schrift«. 2 Vgl. Yehoshua Amir, The Decalogue According to Philo, in: Β. Segal (Hg.), The Ten Com-

Der Dekalog als Grundgesetz

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den Exodusdekalog vor Augen hat, den er in die »vorzüglichere Reihe von fünf Geboten« mit dem Anfang bei Gott und dem Ende bei den Eltern sowie in die »zweite Reihe« der sämtlichen Verbote (Ehebruch, Mord, Diebstahl, Falschzeugnis, unlautere Begierden) einteilt. Abweichend von der Schrift stellt er fest: »Die zehn nun, die es sind, teilte Moses in zwei Reihen von fünf, die er in zwei Tafeln eingrub.« Philo greift den Unterschied im Offenbarungsmodus zu den nachfolgenden Gesetzen auf und stellt fest, »daß den einen Teil der Gesetze Gott selber, ohne einen Mittler zu gebrauchen, ganz allein zu offenbaren für gut fand, den anderen durch den Propheten Moses« (§18). »Die von Gott selbst geoffenbarten Gesetze sind zugleich Gesetze und Grundprinzipien der Einzelgesetze, die an verschiedenen Stellen der Gesamtgesetzgebung der heiligen Schrift verzeichnet sind« (§ 154). Wolter faßt das Verfahren zusammen: »Dementsprechend kann er (Philo) in Decal 155-175 zunächst Dekalog-Gebote und Einzelbestimmungen überblicksartig einander zuordnen und dann den Aufbau seiner vier Bücher über die Einzelgesetze an der Reihenfolge der Dekalog-Gebote ausrichten.«3 Mit dem Dekalog schlüsselt Philo die verstreuten Einzelgesetze der Tora auf und ordnet sie unter sachlichen Gesichtspunkten den Dekaloggeboten zu, in dem er philosophische Begründungen heranzieht. Aber er argumentiert nicht auf der Basis einer (synchronen) Betrachtung des Kontextes des Dekalogs bzw. seiner beiden Fassungen. Eine weitere Reihe frühjüdischer Positionen, die den Dekalog als Inbegriff aller Gebote auffassen, ist bei Stemberger4 beschrieben, der mit der signifikanten Position von Saadja Gaon schließt. Saadja BenJosef (882-942), dem Gaon von Sura, ist der älteste überlieferte Siddur mit Gebetstexten zu verdanken. In diesem findet sich ein liturgisches Gedicht, das mit den Worten beginnt: »Ich bin ein Feuer, verzehrend und glänzender als jeder Glanz, und meine Worte sind wie Feuer und seine Funken sind viele Gesetze, die in jeder Rede aufleuchten. In meiner Weisheit habe ich in meinen zehn Worten sechshundertdreizehn Gesetze zusammengefaßt, um zu lehren Worte haShems, reine Worte.« Saadja Gaon sieht die 613 Gesetze im Wortlaut des Dekalogs repräsentiert. Wie gelangt er zu der Aussage, daß die Anzahl der Buchstaben der »zehn Worte« den 613 Mizwot entspreche? Der Dekalog in der kürzeren Exodusfassung (Ex 20,1-7) umfaßt genau 620 Konsonanten. Eine Lösung des Problems ergibt sich vielleicht aus der Eigenart der hebräischen Schrift, zwischen Piene- und Defektivschreibung zu un-

mandments in History and Tradition, Jerusalem 1990, 121-160, 122 und Günter Stemberger, Der Dekalog im frühen JudentumJBTh 4, 1989, 91-103, 92 ff. 3 Michael Wolter, »Zeremonialgesetz« vs. »Sittengesetz«. Eine Spurensuche, in: S. Beyerle u. a. (Hg.), Recht und Ethos im Alten Testament - Gestalt und Wirkung, FS H. Seebass, Neukirchen-Vluyn 1999, 339-356, 351. 4 Stemberger, Dekalog, 91-103.

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terscheiden. So fällt auch im MT auf, daß in Ex 20,5 die »Väter« (nax) defektiv, in der Parallelüberlieferung Dtn 5,9 der gleiche Begriff jedoch plene geschrieben wird (max). Dementsprechend kann man untersuchen, welche Worte innerhalb des Exodusdekalogs defektiv geschrieben werden können. In der Tat lassen sich exakt sieben Stellen finden, für die innerbiblisch eine Defektivschreibung derselben oder einer nahestehenden grammatikalischen Form derselben Wurzel belegt ist. Es können fünfmal ein w und zweimal ein y gestrichen werden, ohne daß man den Sinn des Textes verändert. Damit ist eine Möglichkeit gegeben, auf eine Zahl von genau 613 Konsonanten für den Exodusdekalog zu kommen und Saadja Ben Josefs Vorstellung vom Dekalog als der Zusammenfassung der Tora zu verifizieren.

II. Auf dem Weg zur Dekahgstruktur in der Sinai- wie Horebtheophanie Mit einem großen Zeitsprung setzen wir zur jüngeren Dekalog-Exegese über. Seit Beginn der 80er Jahre wird die Sonderstellung des Dekalogs in bezug auf seinen nachfolgenden Kontext genauer geprüft. Damit geht die gewichtige Akzentverschiebung zur synchronen Betrachtung der Sinai- wie der Horebtheophanie einher, wobei im Buch Deuteronomium die Betrachtung sich auf die gesamte Gesetzesverkündigung am Horeb und im Lande Moab ausweitet. Darüber hinaus führt diese Fragestellung zur Behandlung der Einbettung des Dekalogs in die gesamte Tora des Pentateuchs. Braulik schließt 1985 seine erste Untersuchung zum Kontext im Deuteronomium nach Würdigung der analog arbeitenden Vorgänger mit dem Ergebnis: »Dekalog und Gesetzeskodex sind im Deuteronomium vom Bund Jahwes mit Israel umfaßt. Der Dekalog wurde daher von Israel >niemals als ein absolutes moralisches Sittengesetz verstandene Nach dtn Redaktionsentscheid darf aber der Dekalog nicht vom Gesetz gelöst werden, das ihn auslegt. Dieser Bezug des Dekalogs auf die Einzelgesetze als seinem Kontext ist zwar - wie schon seine Parallele in Ex 20 beweist - zeitgebunden. Doch gibt es seither hermeneutisch kein Zurück mehr hinter das Prinzip einer solchen Verbindung von Dekalog und Einzelgesetzen als seinen Durchführungsbestimmungen.«5 Lohfink umschreibt 1989 das Verhältnis von Dekalog und Deuteronomium folgendermaßen: »Dem Dekalog kommt dadurch nicht nur ein höherer Rang zu (Gotteswille aus Theophanie, gegenüber menschlich vermitteltem Gottes willen), sondern darüber hinaus wird auch ein Verhältnis von der Art Grundprinzipien und Explikation< postuliert. Von diesem Ansatz aus ent5 Georg Braulik, Die Abfolge der Gesetze in Deuteronomium 12-26 und der Dekalog, in: ders., Studien zur Theologie des Deuteronomiums, SBAB 2, Stuttgart 1988,231-255,254 f. [mit einem Zitat Gerhard v. Rads].

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faltet sich nun der uns literarisch sichtbar werdende Umgang des Deuteronomiums mit dem Dekalog. Einerseits kann deutlicher herausgearbeitet werden, daß alle anderen Gesetze nur Entfaltung des im Dekalog Angelegten sind. Andererseits wird es durch die Unterscheidung möglich, sie als zeitbedingte und damit nicht geschichtlich unrevidierbare Explikation der grundlegenden Prinzipien zu begreifen.« Dann weitere Punkte: »Daher würde ich als die Aussage, die mit der Unterscheidung von Dekalog und anderen Gesetzen eigentlich gemacht werden sollte, die Unterscheidung zwischen prinzipiellem und unwandelbarem Gotteswillen einerseits und dessen wandelbarer und jeweils zeitbedingter Konkretion andererseits bezeichnen.«6 In der Monographie von Schmidt u. a. zum Dekalog von 1993 heißt es im Nachwort: »Gewiß läßt der Dekalog ein weites Feld des Handelns ungeregelt, spart den Raum des Erlaubten und Guten großenteils aus und gibt ihn so frei. Allerdings möchte wohl schon der Dekalog selbst als Zusammenfassung der Grenzziehungen und Anstöße zur Lebensführung, als eine Art Grundsatzprogramm, verstanden werden, das in den folgenden Rechtssätzen entfaltet wird. Darum ist er in beiden Belegen (Ex 20; Dtn 5) zum einen den Gesetzessammlungen vorangestellt und zum anderen als Wort Gottes (Ex 20,1; Dtn 5,4) formuliert, während jene nur indirekt als Wort Gottes, direkt als Wort Moses (Ex 20,19.22; 21,1; Dtn 5,25 ff.) ergehen. So erhalten die Gesetzesbestimmungen vom Bundesbuch (Ex 20,22) ab durch die Komposition den Charakter einer Auslegung der Zehn Gebote, d. h. von mehr oder weniger exemplarischen Ausfiihrungsbestimmungen.«7 Groß schildert in einer Sammelbesprechung 1995 zu einschlägigen Veröffentlichungen den Trend so: »Die Frage nach dem Dekalog wird somit bei Lohfink wie bei Otto zur Frage nach seinem Verhältnis zu den ihm in Ex wie Dtn nachgeordneten Gesetzen. Das gilt ebenfalls, wenn auch mit abweichenden Akzenten, für Criisemanns zweite Äußerung [die Monographie >Die ToraBundesbuchreiner< Gesetzestext, ohne Situierung und ohne Angaben über den Sprecher; die Moserede war dem Urdtn von Anfang an inhärent; jede redaktionelle Erweiterung ist eben nur Erweiterung von vorgegebenen Ansätzen; das Urdtn war in seinen Anfängen alsßiwhrede konzipiert; erst im Zuge einer tief eingreifenden Umstilisierung wurde es historisiert und als Moserede stilisiert.«18 Das erste Modell wird heute kaum vertreten; die beiden anderen Modelle spielen noch eine tragende Rolle. Braulik führt dazu aus: »Dieses Ur-Dtn war als Jhwh-Gesetz (s. 6,17; 28,45; 16 Lohfink, Unterschied, 82. 17 Eckart Otto in seiner jüngsten Monographie: Das Deuteronomium. Politische Theologie und Rechtsreform in Juda und Assyrien, BZAW 284, Berlin 1999, 32. 18 Eleonore Reuter, Exkurs: Zur Frage der Stilisierung des Dtn, in: dies., Kultzentralisation. Entstehung und Theologie von Dtn 12, BBB 87, Frankfurt 1993, 213-226, 213 f. Dazu die ausführliche Kritik von Norbert Lohfink, Kultzentralisation und Deuteronomium. Zu einem Buch von Eleonore Reuter, Zeitschrift für altorientalische und biblische Rechtsgeschichte 1, 1995, 117-148, 137-141.

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vgl. II Reg 22,19 >ich habe gesprochen^ und noch nicht als von Mose promulgiertes Gesetz formuliert. Es war reines Gesetz, ohne narrative Einbettung. Zu seiner Beobachtung verpflichteten sich Joschija und das ^ l k in einer Eideszeremonie.« Ein wenig später heißt es zur nächsten Stufe der literarischen Geschichte des Deuteronomiums: »Eine >joschijanische Landeroberungserzflhlung< (Lohfink), die dem Grundstock von Dtn 1 - Jos 22 entspricht, hat einerseits den territorialen Anspruch Israels historisch begründet, andererseits durch die Rückblenden auf die Horebereignisse in Dtn 5 und 9 f. auch eine Ätiologie des dtn Gesetzes als der Gesellschaftsordnung für das Leben im Verheißungsland in Israels Urzeit festgemacht. Die Urkunde von 622 wurde jetzt als Moserede beim Moabbund (in Zuordnung zum Horebbund) gefaßt.«19 Dieses Modell einer sekundären Historisierung und Umstilisierung des Ur-Dtn involviert den Dekalog. Er wird faktisch mit der Umstilisierung in Verbindung gebracht, ja, er kann die Theorie zu dieser Praxis liefern. Denn es ist ein singulärer Vorgang, daß ein Jhwh-Gesetz zu einer Menschenrede zurückgestuft werden wird20, was mit der Dekalogkonzeption aufgefangen wird. Die Umstilisierung ist nur in Verbindung mit der Dekalogkonzeption erklärbar, die den Sprecher des Gesetzes zum Angelpunkt der Konzeption macht. Dieses Modell eines Ur-Dtn als reines JhwhGesetz hat in meinen Augen einen heuristischen Vorteil. Alsjhwh-Rede steht das Ur-Dtn von Anfang an gleichberechtigt neben den anderen Gesetzeskorpora in Jhwh-Rede wie Bundesbuch, sog. Privilegrecht Ex 34 und Heiligkeitsgesetz. Ein solches Ur-Dtn ist zeitlich und räumlich ungebunden, es verlangt noch nicht eine schwierige Zuordnung, die eine Menschenrede mit sich bringt. Allerdings bleibt das Problem der Verifizierung am Text des Deuteronomiums. Das Gegenmodell der von Anfang an inhärierenden Mose-Fiktion hat es schwerer, denn es muß den autoritativen menschlichen Sprecher gegenüber Israel identifizieren und muß im rechtsinternen Vergleich der Gesetzeskorpora die charakteristische Singularität des Deuteronomiums erklären. Die Dekalogkonzeption ist dann nur die reflexe Explizitmachung der impliziten Sonderstellung des Deuteronomiums. Auch in der gegenwärtigen Deuteronomium-Exegese übt diese Rand- und Rahmenfrage ihren Einfluß aus. Ζ. B. kommt der Jubilar in seinem Aufsatz »Der Staatsgedanke im Deuteronomium«, einer Auseinandersetzung mit Rüterswördens Habilitationsschrift »Von der politischen Gemeinschaft zur Gemeinde. Studien zu Dtn 16,1818,22«, mehrfach auf die Mose-Fiktion zu sprechen.21 Sie ist wie »Milchglas«,

19 Georg Braulik, Das Buch Deuteronomium, in: E. Zenger u. a., Einleitung in das AT, Stuttgart 3 1998, 125-141, 133. 20 Vgl. das Gegenteil in der Tempelrolle von Qiimran. 21 Lothar Perlitt, Allein mit dem Wort. Theologische Studien, Göttingen 1995, 236-248, bes. 236.241.243 f.

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das sich vor die Konkretionen schiebt, die man bei der Frage nach dem Staatsgedanken erwartet, wie Name des Staates, Hauptstadt, außenpolitische Beziehungen etc.; vor allem tangiert sie über die historisierende Gebotseinleitung des Königsgesetzes Dtn 17,14 die zeitliche Verortung und damit die Interpretation des zentralen Teils des sog. Verfassungsentwurfs. Rüterswörden verteidigt seine auch von mir geteilte Sicht einer von Anfang an inhärierenden Mose-Fiktion und sein Votum für einen deuteronomischen Staatsgedanken: »Das Alter der historisierenden Gebotseinleitungen ist ein Problemkreis eigener Art, indes nicht unbedingt der Punkt, an dem sich alles entscheidet. Denn historisiert im Sinne des Vorausweises auf die künftige Landnahme sind alle Verfügungen des Verfassungsentwurfes. Ein Element solcher Historisierung ist die Erwähnung der Tore bei Richtern (16,18), beim Zentralgericht (17,8), im Priestergesetz (18,6), der Hinweis auf die Erzeugnisse des Landes im Priestergesetz (18,3 f.). Dazu treten der Landgabesatz in 16,18 und der Hinweis auf den Ort, d e n j h w h sich erwählen wird, in 17,8. Der Richter am Zentralgericht wird in jenen zukünftigen Tagen da sein, 17,9. Bei dem König und Propheten geschieht die Historisierung durch die Gebotseinleitungen.«22 In der jüngsten Monographie zum Deuteronomium aus der Feder von Otto, die viele Vorstudien zu einem Ganzen versammelt, werden in akribischen rechtsvergleichenden Studien die Beziehungen des Deuteronomiums zum Bundesbuch ausgelotet. Die These »Das dtn Reformprogramm reformiert und reformuliert das Bundesbuch dort, wo es die Kultzentralisation als hermeneutischer Schlüssel erfordert« durchzieht das Buch wie ein cantus firmus.23 Die Reformulierung läßt das Bundesbuch als »autoritatives Dokument« bestehen, versteht sich als »Auslegung« eines »ausgelegten« Bundesbuches.24 Die dtn Relecture umspannt »Ergänzungen«, die Regelungen des Bundesbuches weiterhin bestehen lassen und nicht ersetzen25, sowie den Fall 22 Vgl. Udo Rüterswörden, Der Verfassungsentwurf des Deuteronomiums in der neueren Diskussion. Ein Uberblick, in: P. Mommer u. a. (Hg.), Altes Testament. Forschung und Wirkung, FS H. Graf Revenüow, Frankfurt u. a. 1994, 313-328, 324. Zur dtr Ansetzung des Königsgesetzes stellt Rüterswörden die Gegenfrage: »Wenn das Königsgesetz exilisch ist, stellt sich die Frage, welchen Sinn angesichts der zeitgeschichdichen Situation diese Forderung hat; es geht wohlgemerkt um den maelaek, nicht um den näs'i« (325). In der Tat, vergleicht man die Einlassung von Dtn 17,14-20 mit der einzigen einschlägigen Stellungnahme des Bundesbuches Ex 22,27, einem Gesetz aus staatlicher Zeit, dann ist demgegenüber Dtn 17,14-20 ein Quantensprung an Berücksichtigung staatlicher Interessen und scheint in vorexilischer Zeit das für die Trägerkreise des Ur-Dtn noch Mögliche zu sein. Das Königsgesetz ist wahrlich »wunderlich« (Perlitt, Wort, 242) sowohl im 7. wie im 6.Jh. v. Chr. 23 Otto, Deuteronomium, 274, vgl. 253.261.353 u. ö. 24 Vgl. Otto, Deuteronomium, 284 Anm. 377. 274 f. 25 Vgl. Otto, Deuteronomium, 309.314.315.

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des Einspruchs, wenn Dtn 12,13 »die göttliche Erwählung vieler Orte in Ex 20,24 durch Diskreditierung aus den Angeln (hebt)«26. Das alles vermittelt den Eindruck, das Ur-Dtn sei ein Kommentar zum Bundesbuch in sachlicher und zeitlicher Nähe27 und man fragt sich, ob dieser Kommentarcharakter nicht für eine Mose-Fiktion von Anfang an votiert, obwohl Otto in seiner Studie darauf nirgends zu sprechen kommt.28 Wenn der Dekalog mit Dtn 5 in die literarische Entwicklung des Deuteronomiums »zwischenhineingekommen« ist, wie mit Konsens angenommen wird, dann stellt sein Auftauchen mit Nachdruck die Frage nach der Beurteilung der Mose-Fiktion, eine Gretchenfrage der Deuteronomium-Exegese: Ist der Dekalog mit seiner Grundgesetz-Konzeption die Explikation eines vorausgehenden und schon immer implizierten Selbstverständnisses des UrDtn, wie ich annehme, oder begründet er mit seiner Grundgesetz-Konzeption die singuläre Umstilisierung eines ursprünglichen Jhwh-Gesetzes zur Moserede, wie Braulik und Lohfink annehmen?

IV. Der Dekalog als Auflauprinzip

des Kerngesetzes

Ebenso wie die Mose-Fiktion ist die Frage nach dem Aufbau des Deuteronomiums mit dem Dekalog verbunden: Seine Aufnahme ins Deuteronomium muß strukturelle Folgen gehabt haben. Braulik hat hier die maßgebliche am »Endtext« des Deuteronomiums ausgerichtete Studie vorgelegt und sie eingangs begründet: »Wenn die Berichte vom Horebgeschehen die göttliche Zusatzoffenbarung an Mose beziehungsweise seinen Lehrauftrag örtlich (5,31) wie zeitlich (4,14) direkt mit der Dekalogspromulgation Jahwes ver26 Vgl. Otto, Deuteronomium, 344. 27 Vgl. Otto, Deuteronomium, 359: »Die Redaktion des Bundesbuches ist also in das 7.Jh. v. Chr. zu datieren und wohl nur wenige Jahrzehnte älter als das in joschijanischer Zeit abgefaßte dtn Reformprogramm.«. 28 Wenn Otto die Feststellung trifft »Der Aufbau des dtn Reformprogramms kommt dem des Bundesbuches sehr nahe.« (352 ff.), erscheint mir das nicht zutreffend angesichts des erheblich divergierenden Aufbaus von Bundesbuch und Ur-Dtn. Dieses Ur-Dtn integriert ja noch weitere Rechtsmaterie, wie Otto selbst aufweist, so das sog. Privilegrecht Ex 34 (vgl. Ex 34,19 in Dtn 15,19-23; Ex 34,18-26 in Dtn 16; Ex 34,26a in Dtn 26,2) und assyrische Loyalitätseide in Dtn 13.28. Das Bundesbuch steht als Altargesetz Ex 20,24-26 voran, das nach Otto in Dtn 12,13-27 + korrespondierend zu Anfang ausgelegt wird. Nun wird aber Rechtsmaterie des Bundesbuch-Altargesetzes nicht nur in Dtn 12, sondern auch in Dtn 16,21-17,1 behandelt, einem Abschnitt, der durchaus für das dtn Reformprogramm in Frage kommt, vgl. Christian Frevel, Aschera und der Ausschließlichkeitsanspruch YHWHs. Beiträge zu literarischen, religionsgeschichtlichen und ikonographischen Aspekten der Ascheradiskussion, BBB 94/1, Weinheim 1995, 164-210. Das ist ein weiterer Hinweis auf den eigenständigen, sich vom Bundesbuch abhebenden Aufbau des rekonstruierten Ur-Dtn.

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binden, legen sie damit nahe, in den >Gesetzen und Rechtsvorschriften eine informative (5,31) beziehungsweise autoritative (4,14) Interpretation des Dekalogs, etwas wie Durchführungsbestimmungen für eine konkrete Situation, zu sehen. Denn der Dekalog verpflichtet immer und überall, die Gesetze dagegen gelten nur in Israels eigenem Land (4,5; 12,l).«29 In jungen Stellungnahmen wird in bezug auf die Eckposition Dtn 5,31 und 12,1 die Interpretation Brauliks und Lohfinks geteilt, zumindest partiell mitgetragen. Otto übernimmt sie für seinen dtr Dekalogredaktor.30 Rüterswörden diskutiert in seinem Aufsatz »Dtn 12,1. Der Anfang des deuteronomischen Gesetzes« Einheitlichkeit der Überschrift, Funktion der Verbform im singularischen Relativsatz und die Bedeutung der Landbegriffe und kommt zu einem \btum iuxta modum: »Der Dekalog ist das Grundgesetz, das sofort, schon in der Wüstenzeit, gilt; mit den D-pn und D ' B l i M sind Ausführungsbestimmungen im Blick, die dann im Land gelten sollen. Dies ist im Sinne einer Historisierung des deuteronomischen Gesetzes denkbar; ob ursprünglich oder überhaupt das Exil im Blick war, ist zu fragen. Die These, daß die D'pn und traawn so ausschließlich an das Land gebunden sind, daß sie außerhalb des Landes insgesamt nicht mehr gelten, ist womöglich doch eine Überspitzung. Die Folgebestimmungen der Kultuszentralisation, die Profanschlachtung mit Bluttabu und den Speisegeboten, gelten im Lande. Es ist indes kaum vorstellbar, daß an einen Dispens außerhalb des Landes gedacht ist. Der Dekalog gilt immer und überall, man wird dies auch für das deuteronomische Gesetz, das in Dtn 5,31 hinzutritt, zu vermuten haben; insofern es sich in besonderer Weise auf das zukünftige Leben im Lande bezieht, etwa in bezug auf das Heiligtum, tritt ein partikulares Moment hinzu, dem die singularische Ergänzung in 12,1 Rechnung trägt. Ihre wesentliche Funktion ist die Nennung des Landes als Voraus-Setzung der dann in Dtn 12 geschilderten Gaben Jhwhs.«31 Brauliks »Komposition und Disposition des Gesetzeskodex« Dtn 12-25 hat zwei Schwerpunkte: eine am Endtext entwickelte Einteilung der Abschnitte des Gesetzes mit ihrer Vernetzung sowie die Bestimmung ihrer inhaltlichen Korrespondenz zu Tenor und Abfolge der Zehn Worte in Dtn 5. Braulik selbst spricht von »Groß- bzw. Grobraster« und betont das Tentative seines Versuchs: »Zwischen den Kapiteln 12-18 und dem Dekalog bestehen 29 Georg Braulik, Die deuteronomischen Gesetze und der Dekalog. Studien zum Aufbau von Dtn 12-26, SBS 145, Stuttgart 1991, 11. 30 Otto, Deuteronomium, 235: »Das Deuteronomium wird zur Offenbarung neben dem Dekalog, die nicht an das Volk direkt, sondern vermittelt durch Mose ergeht (Dtn 5,31) und den Dekalog für die Zeit nach dem Exil ergänzend auslegt.« Und auf 341 Anm. 572: »Dtn 12,1 legt in der dtr. Dekalogredaktion (DtrD) als Überschrift für das ganze Gesetz des Deuteronomiums dessen Geltungsbereich im Kulturland fest.«. 31 Udo Rüterswörden, Dtn 12,1. Der Anfang des deuteronomischen Gesetzes, in: Ch. Kähler (Hg.), Gedenkt an das Wort, FS W. Vogler, Leipzig 1999, 206-216, 216.

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nur unterschiedlich klare und eher globale Korrespondenzen: . . . Erst von Dtn 19 an gibt es genauere Entsprechungen zum 5. bis 10. Dekalogsgebot.« 32 Im Rahmen seines Blockmodells macht er dafür eine relativ späte »dekalogische Redaktion« von Dtn 19-25 her verantwortlich.33 Die Kritik an diesem Vorschlag wird stärker: Frevel meldet Bedenken zur Zuordnung von 23,16-24,17 zum 7. Gebot an.34 Achenbach kritisiert, indem er auf die Isolierung des Sabbatgebotes im ganzen Deuteronomium hinweist und auf die Diskrepanz der Bestimmung des israelitischen Gottesverhältnisses im Ersten Gebot aufmerksam macht.35 Rüterswörden greift sich in einem ökumenischen Apergu Brauliks neuntes Gebot »Nachkommenschaft nicht verhindern« (Dtn 25,5-12) heraus: »[Es] stammt eher vom Vatikan als vom Hor e b . « « A u s f ü h r l i c h e r g g ] ^ Otto darauf ein: Die Zuordnung gelinge nur oberflächlich beim Namensmißbrauchsverbot und Elterngebot. Ebenso sei die philonische Verbindung von Elterngebot und Amtergesetzen ein Anachronismus. Eine Reihe von Entsprechungen tauchen an falscher Stelle auf: Dtn 21,18-21 mit Verbindung zum Elterngebot finde sich im Bereich des Tötungsverbotes; Dtn 24,16 gehöre gerade zu diesem Bereich, erscheine aber im Bereich des 8. Gebotes. In drei Fällen funktioniere die Zuordnung nicht (Dtn 23,16-24,7 und Diebstahlsverbot; Dtn 24,8-25,4 und Falschzeugnisverbot; Dtn 25,5-12.13-16 und Begehrensverbot). Zugleich notiert er aber auch Parallelen zwischen Fremdgötterverbot und Dtn 12-13, Tötungsverbot und Dtn 19,1-21,9, Ehebruchsverbot und Dtn 22. Deswegen kommt er zum Fazit: »Der Durchgang durch die Forschungsgeschichte zeigt, daß die Frage nach den Prinzipien und Techniken der Redaktionen des dtn Gesetzes in Dtn 12-26 offen ist.«37 Man kann noch weitere Gesichtspunkte einbringen: Die Kultzentralisation in Dtn 12 wird nicht mit dem ersten Gebot begründet. Ihre Verbindung dazu kommt über die Vorschriften zur Vernichtung fremder Kultmale Dtn 12,2 f. sowie die dazugehörigen Warnungen vor fremden Kultpraktiken Dtn 12,29-31 und den Konnex mit dem selbständigen Kap. 13 zustande. In Brauliks Disposition wird das Bilderverbot unter das erste Gebot subsumiert, durchaus der Dekalogfassung von Dtn 5 entsprechend; trotzdem wird es in Dtn 4 eigens traktiert, hat in Dtn 16,21 f. wohl eine in der Sache einschlägige Vorgabe, deren Bezüge zu den eben erwähnten Versen Dtn 12,2 f.29—31 offenbar ist.

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Braulik, Gesetze, 22. Vgl. Braulik, Buch, 133 f. Vgl. Frevel, Aschera, 646 Anm. 315, 717 Anm. 580. Achenbach, Israel, 39. Rüterswörden, Dtn 12,1, 207 Anm. 3. Otto, Deuteronomium, 227.

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Das Sabbatgebot steht in einer komplexen Beziehung zum Kerngesetz. Der terminus technicus Sabbat taucht im Gesetz nicht auf 38 , aber das »Arbeitsverbot verbindet im Deuteronomium den Sabbat speziell mit dem siebten Tag der Paschawoche (16,8)«39. Die jüngste Analyse zu Dtn 16,1-8 von Weimar betont wieder den redaktionellen Charakter von Dtn 16,8.40 Aus seinen oben genannten Beobachtungen an der Dekalogdisposition Brauliks zieht Otto die Konsequenzen und übersetzt diese in sein Deuteronomium-Wachstumsmodell von drei durchgehenden Schichten (dtn Grundschicht, dtr Historiker bzw. DtrH und dtr Dekalogredaktor bzw. DtrD41). Mit seinem DtrD hält er das Faktum einer Dekalogstrukturierung durch: »Dieser Redaktor formiert Dtn 12-25 zur Auslegung des Dekalogs (Dtn 5,6-21) unter den Bedingungen des Kulturlandes und als solche zum Programm des Neuen Israel nach dem Exil.«42 In der Konkretion zieht Otto sich auf eine abdämpfende Position zurück, indem er sich auf Lohfinks Sabbatdekalog beruft, der im »Wechsel von Syndese und Asyndese in fünf Einheiten von Lang- und Kurzgeboten gegliedert« ist und seine »Mitte im Sabbatgebot« hat. Zugleich kombiniert er den Sabbatdekalog mit der Zwei-Tafel-Vorstellung. »Der durch Dtn 16,20-17,1 zu einer Einheit der Zentralisationsgesetze zusammengefaßte Block in Dtn 12,1-17,1 entspricht den Pflichten gegenüber Jhwh in Fremdgötter-, Namensmißbrauchs- und Sabbatgebot des Dekalogs.«43 Die zweite Tafel wird folgendermaßen erläutert: »Von den Geboten, die die Pflichten des Menschen gegenüber Gott regeln, abgehoben stehen im Dekalog die ethischen Gebote der Pflichten gegenüber den Mitmenschen, die durch das Elterngebot eröffnet werden. Entsprechend wird der Block der Rechtsordnung in Dtn 17,2-25,17 durch das Ämtergesetz in Dtn 38 Vgl. Lohfink, Unterschied, 76. 39 Braulik, Gesetze, 38. 40 Vgl. zuletzt Otto, Deuteronomium, 326-334, einerseits, der 16,8 zum dtn Reformgesetz rechnet, und Peter Weimar, Pascha und Massot. Anmerkungen zu Dtn 16,1-8, in: S. Beyerle, Recht, andererseits; insbesondere dort 71: »Wenn es auch im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht möglich ist, in eine Auseinandersetzung mit den widerstreitenden Positionen einzutreten, so ergeben sich nicht nur aufgrund einer gewissen Nähe zu einem priesterschriftlich beeinflußten, v. a. für die späten Zusätze zu Ρ kennzeichnenden Sprachgebrauch, sondern insbesondere auch aufgrund der gleichermaßen für die Endgestalt des Doppelabschnitts Ex 12,1-36 / / 12,37-13,19 zu beachtenden Verschmelzung von Pascha und Massot zu einem Fest deutliche Hinweise darauf, daß die abschließende Bearbeitungsschicht in Dtn 16,1-8 erst mit der Pentateuchredaküon zu verbinden ist.«. 41 Verwirrend ist seine Verhältnisbestimmung von DtrH und DtrD in Otto, Deuteronomium, 229. Aus der Redaktionskritik von Dtn 19 ergibt sich die »zweiphasige Redaktionsarbeit am Gesetzeskorpus des Deuteronomiums in Dtn 12-16«, zuerst DtrH und dann DtrD. In Anm. 143 führt er dann aus, daß der für Dtn 1-3 zuständige DtrH später ist als DtrD denn, »Dtn 1-3 ist literaturhistorisch weithin später als die Dekalogätiologie von Dtn 5«. Ich ziehe die letztere Position vor. 42 Otto, Deuteronomium, 233. 43 Otto, Deuteronomium, 234. Die Nähe zu Brauliks Disposition ist unverkennbar.

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17,2-18,22, das DtrD durch Einfügung von Königs- und Prophetengesetz sowie durch Überarbeitung der übrigen Gesetze aus der dtn Gerichtsordnung geschaffen hat, eröffnet. Steht im Dekalog an der Spitze der zweiten Tafel das Elterngebot als Ausdruck dafür, daß in Exil und Diaspora die Familie die tragende soziale Einheit ist, so treten in der Amterverfassung des Neuen Israel in Dtn 17,2-18,22 neben die Familie die politischen, rechdichen und religiösen Institutionen für das Leben im Lande nach dem Exil. Ist im Dekalog das Elterngebot als Kurzgebot von der folgenden Sittenordnung als Langgebot abgehoben, so ist innerhalb der auf die Zentralisationsgebote folgenden Rechtsordnung das Amtergesetz von den folgenden Gesetzen in Dtn 19,1-25,17 durch die Dtn 12,29 entsprechende Langform der historisierenden Gebotseinleitung in Dtn 19,1 abgehoben.«44 Das Motiv der Zehnzahl der Gebote in Dtn 4,13 und 10,4 wird bei Otto als jeweiliger literarischer Zusatz an spätere Redaktionen verwiesen und faktisch damit weggedrückt. Das Mißliche an Ottos Aufriß ist, daß der um die Mitte des Sabbatgebotes zentrierte Dekalog in der Disposition des Kerngesetzes keine entsprechende Mitte aufweist. Er hat ja auch nur die Aufgabe, die schwierige Konkretion von zehn Abteilungen auf fünf zu reduzieren. Unter der Hand wird deswegen die Zwei-Tafel-Vbrstellung induziert mit den drei Gottesgeboten auf der ersten und den übrigen sieben Geboten ab dem Elterngebot auf der zweiten Tafel, wobei die zweite Tafel mit Hilfe des Sabbatdekalogs auf zwei Einheiten Eltemgebot und »Pflichten gegenüber den Mitmenschen« eingeengt wird. Das ist ein künsdiches Verfahren, weil der Deuteronomiumdekalog, übrigens wie der Exodusdekalog, die Zäsur nach dem Elterngebot setzt und dieses zur ersten Tafel rechnet45, und weil die Tafeleinteilung Ottos der augustinisch-lutherischen Tafeleinteilung entspricht, die sowohl die neutestamendiche Dekalogrezeption (vgl. Mk 10,17-21 parr.) als auch die Trinität berücksichtigt.46 Der Text des Deuteronomiums läßt zwischen 17,1 und 17,2 keine derart gravierende Zäsur erkennen und auch sind Dtn 16,20 und 16,21-17,1 kaum zusammen auf den späten DtrD zurückzuführen. Ottos Verbindung von Elterngebot und Ämterverfassung ähnelt Brauliks Argumentation und ist faktisch sozialgeschichtlich untermauerter Philo (vgl. Decal. §§ 165-167), was nichts gegen das Gewicht einer solchen Argumentation sagen soll. Aus diesen Gründen plädiere ich trotz aller Schwierigkeiten für den Aufriß Brauliks, weil er in meinen Augen heuristischen Wert hat. Er verarbeitet

44 Otto, Deuteronomium, 234. 45 Vgl. Frank-Lothar Hossfeld, Art. Dekalog I AT, LThK3, Bd. III, 1995, 62-64, 63. 46 Vgl. Johannes Gründel, Art. IV Dekalog, Theologisch-ethisch, LThK3, Bd. III, 1995,66-68, 66: »Im Anschluß an die biblische Rede von zwei Tafeln weist er die Gebote 1-3 (nach der von ihm begründeten und in der katholischen und lutherischen Tradition rezipierten Zählung) als Pflichten gegenüber Gott der 1. Tafel zu, die restlichen sieben Gebote als Pflichten gegenüber dem Nächsten der 2. Tafel.«.

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die Frontstellung des Dekalogs, seinen offenbarungstheologischen Vorrang im Medium des Mündlichen wie des Schriftlichen und die Andeutungen des Kontextes zur Dekalogkonzeption. In bezug auf Abfolge der Gebote und Struktur gibt es Schwierigkeiten, aber auch bedenkenswerte Korrespondenzen. Das in der Dekalogfassung von Dtn 5 vereinigte Fremdgötter- und Bilderverbot entspricht der redaktionell hergestellten Vereinigung von Dtn 12 und 13 mit der Ablehnung fremder Kultpraktiken und der Bekämpfung der Apostasie. Das Sabbatgebot hat eine Verbindung zu Dtn 16,8 als Indiz für die Möglichkeit, die Festvorschriften mit der Sabbatgesetzgebung zusammenzubringen - man vergleiche Lev 23! Die Verbindung von Elterngebot mit den Amtergesetzen bleibt eine interessante Aufgabe. Das Tötungsverbot hat mit dem Asylgesetz Dtn 19 die wichtige, wenn auch semantisch differierende Ubereinstimmung im Leitbegriff Π2Π (Dtn 5,17; 19,4) und thematische Verwandtschaft im Bereich von 19,1-21,9. Die Zuordnung der übrigen Dekaloggebote zum Prozeß- und Familienrecht Dtn 19-25 macht weiter Schwierigkeiten. Vielleicht darf man in Erwartung einer strengen Akoluthie der Dekaloggebote im Kerngesetz nicht so starr sein und muß sich mit dem Faktum bescheiden, daß die den Dekaloggeboten entsprechende Rechtsmaterie überhaupt auftaucht. Vielleicht hat sich die Zusammenschau von Dekalog als Grundgesetz und Mosegesetz als dessen Auslegung erst in einem komplexen mehrschichtigen Redaktionsprozeß eingestellt bzw. entwickelt. Immerhin kennen wir aus dem Hoseabuch einen analogen Fall, wo den Kapiteln 4-11 in 4,1-3 ein Proömium vorangestellt ist mit Anklagepunkten des »Prozesses«, »die Hauptstichworte der Theologie Hoseas bzw. dekalogartige Reihenbildungen aufgreifen, sämtlich aber erst in folgenden Einzelworten belegt werden: . . . (eine) Anklageschrift des Prozesses in stichwortartiger Zusammenfassung der Vorwürfe, die Kap. 4-11 im einzelnen ausführen werden.«47 Der bescheidene Blick auf die beiden Problemstellungen läßt Mehrfaches erkennen: Es geht im Vergleich der beiden Theophanien nicht nur um die Priorität der jeweiligen Dekalogfassung, sondern auch um die Priorität der jeweiligen Dekalogkonzeption. Dabei erscheint es mir notwendig, das Zueinander der jeweilig nachfolgenden Gesetzeskorpora präzise zu beschreiben. Für das Deuteronomium wurden Ansatzpunkte vorgestellt, die die Dekalog-Konzeption des Deuteronomium als bestimmend und vorgängig vorstellen.

47 SoJörgJeremias, Der Prophet Hosea, ATD 24,1, Göttingen 1983, 60.

OTTO KAISER

Das Deuteronomium und Piatons Nomoi Einladung zu einem Vergleich I. Ein sinnvoller Vergleich? Nicht nur auf den ersten Blick mag es einigermaßen gewagt, wenn nicht gar abwegig erscheinen, das als Deuteronomium bezeichnete alttestamentliche Rechtsbuch und Piatons Verfassungsentwurf für eine kretische Stadt unter besonderer Berücksichtigung der von beiden vertretenen höchsten Werte miteinander zu vergleichen. Denn zwischen der Kultur und Bildung der als Schreiber bezeichneten, für uns anonym bleibenden judäischen Hofbeamten und ihren Nachfolgern, denen wir vermutlich das jüdische Rechtsbuch verdanken, und der des attischen Philosophen erscheint der Unterschied allzu groß. Bei den Nomoi handelt es sich um das einigermaßen genau zu datierende Werk1 einer geschichtlich fest umrissenen Persönlichkeit (428-347 v. Chr.)2, eines Mannes, der aus athenischem Uradel stammte und sich zunächst als Tragödiendichter einen Namen zu machen suchte (Diog.Laert.III 5). Dank seiner umfassenden Bildung war er ebenso mit den großen Dichtungen wie mit den Schriften der Philosophen und der politischen Theoretiker und Praktiker seines Volkes vertraut. Gleichfalls enttäuscht über die Ungerechtigkeit der Herrschaft der Dreißig wie über die der an die Macht zurückgekehrten 1 Bekanntlich handelt es sich bei den Nomoi um Piatons opus postumum, das erst nach seinem Tode durch Phillipp von Opus veröffentlicht worden ist (Diog.Laert. III 37). Nach Klaus Schöpsdau, Piaton. Nomoi (Gesetze) Buch I—III, Piaton Werke. Ubersetzung und Kommentar, hg. E. Heitsch und C.W. Müller, IX/2, Götüngen 1994, 135-138, beschäftigte der Plan Piaton bereits vor der zweiten Reise nach Sizilien 366/5, während er mit der systematischen Ausarbeitung vermutlich erst nach der dritten und letzten 361/0 begann. Wie William K.C. Guthrie, The Later Plato and the Academy, A History of Greek Philosophy V, Cambridge, U.K. 1978, 322, vermutet, beschäftigte sie ihn bis zu seinem Tod (348/7), ohne daß er dem Ganzen seinen letzten Schliff zu geben vermochte; vgl. auch Schöpsdau, 141 f. 2 Zur Biographie vgl. ζ. B. Guthrie, Plato. The Man and his Dialogues. Earlier Period, A History of Greek Philosophy IV, Cambridge, U.K. 1975, 8-38, zu den Platon-Bildnissen Paul Zanker, Die Maske des Sokrates. Das Bild des Intellektuellen in der antiken Kunst, München 1995, 46-49 und passim.

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Demokraten, von denen die einen Sokrates ihrer Gewalttaten mitschuldig zu machen suchten, während die anderen ihn gar zum Tode verurteilten, suchte er unter Einsetzung seiner ganzen poetischen Kunst zunächst in der Nachfolge des Sokrates das menschliche Wissen in seiner Vorläufigkeit aufzudecken3 und weiterhin die Polis aus dem Geist der wahren Philosophie als der Erkenntnis von dem, was ewig ist, neu zu begründen (Plat.apol.32c 3-e 1; epist.VII 324b 8-326b 4).4 Beim Deuteronomium handelt es sich dagegen um ein Buch, das in einem längeren, mindestens ein Jahrhundert umfassenden Fortschreibungsprozeß entstanden ist.5 Es bedient sich der Autorität Moses, einer sagenhaften, historisch kaum greifbaren Gestalt6, die uns im Alten Testament als die des berufenen Mittlers zwischenJahwe und seinem Volk entgegentritt. Sie wurde im Laufe der Fortschreibungen des Deuteronomiums bundestheologisch überhöht und dadurch mit direkter göttlicher Dignität versehen (vgl. ζ. B. Dtn 26,16—19).7 Hier ein Philosoph, der als Nachfahre Solons eine differenzierte Vorstellung von politischem Handeln besaß und den Staat auf eine Religion der Vernunft zu gründen suchte, welche die religiösen Vorstellungen und Bräuche seines Volkes nicht abschafft, sondern neu interpretiert8 und gleichzeitig Sittlichkeit und Politik miteinander versöhnt.9 Seine Autorität ist keine andere als die der göttlichen und zugleich praktischen Vernunft.

3 Diesen Aspekt unterstreicht eindrucksvoll, aber im Blick auf die politische Philosophie Piatons wohl zu einseitig Drew A. Hyland, Finitude and Transcendence in The Piatonic Dialogues, Suny Series in Ancient Philosophy, Albany, NY 1995. 4 Zu Sokrates' unterschiedlicher Rolle in Piatons Dialogen vgl. Gregory Vlastos, Socrates. Ironist and moral philosopher, Cambridge, U.K. 1991 (ND), 45-80. 5 Zu seiner Entstehung vgl. Otto Kaiser, Einleitung in das Alte Testament. Eine Einführung in ihre Ergebnisse und Probleme, Gütersloh 51984, 125-134; ders., Grundriß der Einleitung in die kanonischen und deuterokanonischen Schriften des Alten Testaments I: Die erzählenden Werke, Gütersloh 1992, 85-98; ders., Pentateuch und Deuteronomistisches Geschichtswerk, in: ders., Studien zur Literaturgeschichte des Alten Testaments, FzB 90, Würzburg 1999, 68-129 und bes. 70-71 und 114-118 sowie Eckart Otto, Theologische Ethik des Alten Testaments, ThW 3/2, Stuttgart u. a. 1994, 177-181. 6 Vgl. dazu Herbert Donner, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen 1. ATD.E 4/1, Göttingen 31995, 123-131. 7 Vgl. dazu Lothar Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, WMANT 36, NeukirchenVluyn 1969, 7-128 und zur weiteren Diskussion Christoph Levin, Die Verheißung des neuen Bundes in ihrem theologiegeschichdichen Zusammenhang ausgelegt, FRLANT 137, Göttingen 1985, 83-88 und jetzt vor allem Timo Veijola, Bundestheologische Redaktion im Deuteronoium, in: ders., Das Deuteronomium und seine Querbeziehungen, SESJ 62, Helsinki/Göttingen 1996, 242-276. 8 Vgl. dazu ausführlich Glenn R. Morrow, Plato's Cretan City. A Historical Interpretation of the LAWS, Princeton 1960, 399-470 und bes. 469 f. 9 Vgl. dazu Arthur W.H. Adkins, Merit and Responsibility. Α Study in Greek Values, Oxford 1960, 308-311.

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Dort ein Denken von Männern, die unter den Trümmern des Staates nach tragfahigen sozialen Strukturen suchen und ihre konkreten Bestimmungen, Rechtssätze und Gebote im vorliegenden Textzusammenhang als Auslegung der Zehn Gebote vortragen10, die Jahwe, der Gott Israels, der Uberlieferung nach einst aus den Gewitterwolken über dem Horeb an sein von ihm zum Eigentum erwähltes Volk gerichtet hat (Dtn 5,1 ff.).11 Bei ihrer Gesetzgebung haben sie die überkommenen religiösen Vorstellungen und Bräuche von allen polytheistischen Elementen12 gereinigt13 und von dem Anspruch der ausschließlichen \ferehrung Jahwes her gedeutet14, wie er im Ersten Gebot (Dtn 5,6-10)15 und im Schema Israel (Dtn 6,4 f.) seinen verpflichtenden Ausdruck gefunden hat.16 Pointiert läßt sich sagen, daß die Deuteronomiker und Deuteronomisten einen kämpferisch-exklusiven Monojahwismus vertreten, während Plato die Götter und Dämonen seines Volkes als formende Kräfte der Wirklichkeit der höchsten göttlichen Vernunft unterordnet.17

10 Vgl. dazu Georg Braulik, Die Abfolge der Gesetze in Deuteronomium 12-26 und der Dekalog, in: N. Lohfink (Hg.), Das Deuteronomium. Entstehung, Gestalt und Botschaft, BEThL LXVIII, Leuven 1985, 252-272 = ders., Studien zur Theologie des Deuteronomiums, SBAB 2, Stuttgart 1988, 231-256; vgl. auch seine Übersicht in: Deuteronomium 1-16,17, NEB.AT 15, Würzburg 1980, 12 f. 11 Zum Problem der Priorität des Dekalogs in Ex 20 gegenüber dem in Dtn 5 vgl. Frank-Lothar Hossfeld, Der Dekalog. Seine späten Fassungen, die originale Komposition und seine Vorstufen, OBO 45, Freiburg/Schweiz u. a. 1982 mit den Thesen 283 f., der sich für die dtn aussprach, und zur weiteren Diskussion zumal Christoph Levin, Der Dekalog am Sinai, VT 35, 1985, 165-191 und A. Graupner, Zum Verhältnis der beiden Dekalogfassungen Ex 20 und Dtn 5. Ein Gespräch mit Frank-Lothar Hossfeld, ZAW 99, 1987, 308-329. 12 Zum Problem der josianischen Reform vgl. zuletzt Herbert Niehr, Die Reform desjoschija. Methodische, historische und religionsgeschichtliche Aspekte, in: W. Groß (Hg.), Jeremia und die »deuteronomistische Bewegung«, BBB 98, Weinheim 1995, 33-57, und Christoph Uehlinger, Gab es eine joschijanische Kultreform? Plädoyer für ein begründetes Minimum, ebd., 57-90. 13 Zur vorexilischen Religion Israels vgl. Hermann M. Niemann, Herrschaft, Königtum und Staat. Skizzen zur soziokulturellen Entwicklung im monarchischen Israel, FAT 6, Tübingen 1993, 185-227; Othmar Keel und Christoph Uehlinger, Göttinnen. Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen, Questiones Disputatae 134, Freiburg i. Br. u. a. 4 1998, 199-321 und bes. 320 f. sowie 322-429 und bes. 424-429. 14 Vgl. dazu Otto Kaiser, Der Gott des Alten Testaments. Theologie des AT 1: Grundlegung, UTB 1747, Göttingen 1993, 318-321. Zu dem die Feste bestimmenden Moment der Freude vgl. Georg Braulik, Die Freude des Festes. Das Kultverständnis des Deuteronomiums die älteste biblische Festtheorie, in: Congress Volume Salamanca, ed. J.A. Emerton, VT.S 36, Leiden 1985, 29-39 = ders. SBAB 2, 1988, 219-230. 15 Vgl. zu seiner das Deuteronomium gestaltenden Kraft auch Norbert Lohfink, Das Hauptgebot. Eine Untersuchung literarischer Einleitungsfragen zu Dtn 5-11, AnBib 20, Rom 1963, 281-285. 16 Vgl. zu ihm Timo Vcijola, Höre Israel! Der Sinn und Hintergrund von Deuteronomium vi 4-9, VT 42, 1992, 528-541. 17 Vgl. Morrow, Cretan City, 487.

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Ziel der Deuteronomiker und Deuteronomisten ist es, daß Israel werde, was es eigentlich ist, das Volk Jahwes18, und es als das eine Volk des einen Gottes brüderlich aneinander handelt (Dtn 15,2-18).19 Die praktischen Folgen des ausschließlichen Jahwedienstes bestehen in einer sozialen Bruderethik.20 Ziel der Gesetze Piatons ist es, der Polis durch eine Verfassung Dauer zu geben, welche die Freiheit der Polis durch die Eintracht der Bürger ob ihrer Friedfertigkeit und freundschaftlichen Gesinnung sichert21 und sich dabei auf vernünftige Einsicht bzw. die Vernunft selbst (φρόνησις bzw. νοϋς) stützt.22 Indem sie Freiheit, Freundschaft und Friede im Auge behält, dient sie zugleich der άρετή ihrer Bürger (IV 705 e 1- 706 a 4; XII 963a 1-c 6).23 Dabei hält sie sich an das Maß als die rechte Mitte zwischen den Extremen, die sich bei der kritischen Durchsicht der Staatsformen und ihrer dorischen, persischen und attischen Realisierungen im dritten Buch als Bedingung ihres guten Gedeihens (εύπραγία) erwiesen hat (III 701 e). Gleichzeitig respektiert und sichert sie mit ihren konkreten Bestimmungen die sogenannten ungeschriebenen Gesetze, die άγραφα νόμιμα, als den Inbegriff der von den Vätern ererbten Gesetze und Bräuche, der πάτριοι νόμοι (VII 793 a 9 d 5).24

18 Vgl. dazu Otto Kaiser, Der Gott des Alten Testaments. Theologie des AT 2: Entfaltung. Jahwe, der Gott Israels, Schöpfer der Welt und des Menschen, UTB 2024, Göttingen 1998, 49-63. 19 Vgl. dazu Lothar Perlitt, »Ein einzig Volk von Brüdern«. Zur deuteronomischen Herkunft der biblischen Bezeichnung »Bruder«, in: D. Lührmann und G. Strecker, Hg., Kirche. FS G. Bornkamm, Tübingen 1980, 27-52 und bes. 51 f. = ders., Deuteronomium-Studien, FAT 8, Tübingen 1994, 50-73 und bes. 72. Vgl. auch Tert.apol.39.8-11. 20 Vgl. dazu Otto, Theologische Ethik, 186-192. 21 Vgl. I 628c 10 f.: ειρήνη δέ πρός αλλήλους αμα και φιλοφροσύνη. 22 Vgl. III 693b 4-6; 693c 8-9; 693d 7 - e 1 und 701d 6-8; vgl. auch 694b 5-7. 23 Vgl. auch 1631b 6-d 2. Zur der mit Xenophanes fr.2 einsetzenden Versittlichung der άρετή vgl. R. Kattel, The political philosophy of Xenophanes of Colophon, Trames 1, 1997, 125-142 und bes. 133-139; zur Ersetzung des altgriechischen Adelsideals des αγαθός durch das des υγιής άνήρ bei Simonides fr.4 (Diehl) vgl. Otto Kaiser, Der Mensch unter dem Schicksal, NZSTh 14, 1972, 1-28 und bes. 8-11 = ders., Der Mensch unter dem Schicksal. Studien zur Geschichte, Theologie und Gegenwartsbedeutung der Weisheit, BZAW 161, Berlin/New York 1985, 63-90 und bes. 70-73. 24 Vgl. dazu Aristot.rhet. I, 1368b 7-9 und 1373b 4-18 und zum ambivalenten, teils das ius naturale, teils das gewohnheitsrechtliche ius civile meinenden Sprachgebrauch Victor Ehrenberg, Anfange des griechischen Naturrechts, AGPh 35, 1923, 119-143 und bes. 126 f. = ders., Polis und Imperium. Beiträge zur alten Geschichte, K.F. Strohecker und AJ. Graham (Hg.), Zürich u. a. 1965, 359-379 und bes. 365.

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II. Die Geltung der Gesetze und ihre Bedeutung als pädagogische Norm im Deuternomium

und in den Nomoi

Oberste Richtschnur des Handelns in der jüdischen Gemeinschaft soll die im Deuteronomium aufgezeichnete göttliche Weisung, das Buch der Tora sein (Dtn 30,10; vgl. 4,44)25, deren Wortlaut unveränderlich ist (Dtn 4,2). Ihre Worte soll jeder Hausvater seinen Kindern einprägen, sie soll er sich zwischen die Augen und um die Handgelenke binden, sie auf die Türpfosten seines Hauses schreiben (Dtn 6,6-9), über sie Tag und Nacht nachsinnen (Ps 1,2).26 Darüber hinaus soll die ganze Tora Israel vorgelesen werden (Dtn 31,10-13). Denn der Gehorsam oder Ungehorsam gegenüber ihren Geboten entscheidet über Tod und Leben, Untergang oder Heimkehr des in der Fremde zerstreuten Volkes (Dtn 30,14-20). Ihre Bedeutung aber wird durch die in Dtn 4-11 enthaltenen, auf die Alleinverehrung Jahwes und die Abgrenzung von den Völkern hin orientierten Paränesen erhellt sowie durch entsprechende Gebotsbegründungen unterstrichen.27 So gilt das Deuteronomium für das Israel aller Zeiten und an allen Orten (Dtn 29,13 f.). Befolgt es diese Gebote, so wird es aller Segnungen Gottes zuteil (Dtn 28,1-14); versagt es ihnen den Gehorsam, sind ihm alle Heimsuchungen und schließlich die Schrecken der Knechtschaft sicher (Dtn 28,15 ff.58 ff.).28 Der von seinen juridischen Aufgaben entbundene künftige König soll nach Dtn 17,14-20 unter dem Gesetz stehen. Daher soll er sich nach seiner Inthronisation eine Abschrift von ihm machen, sie ständig mit sich fuhren und in ihr lesen, um Jahwe, seinen Gott, zu fürchten und »alle Worte dieser Weisung (min) und dieser Satzungen zu respektieren, so daß er nach ihnen handelt, sein Herz nicht über seine Brüder erhebt und von dem Gebot weder zur Rechten noch zur Linken abweicht, damit er lange als König in Israels Mitte lebt, er und seine Nachkommen« (17,18-20). So ist er »vor allem Mitisraelit«29. Grundsätzlich lassen sich die Deuteronomiker und Deuteronomisten als ethische Optimisten bezeichnen. Sie haben die Frage, ob der Mensch dem göttlichen Gebot von sich aus gehorchen kann, als solche nicht diskutiert.

25 Vgl. dazu auch Kaiser, Der Gott des Alten Testaments I, 301-304 und 312-318. 26 Vgl. dazu Lothar Perlitt, Deuteronomium 6,20-25: eine Ermutigung zu Bekenntnis und Lehre, in: G. Bessier und E. Lohse (Hg.), Glaube - Bekenntnis - Kirchenrecht. FS H.P. Meyer, Hannover 1989, 222-234 = ders., Deuteronomium-Studien, FAT 8, Tübingen 1994, 144-156. 27 Vgl. ζ. B. Dtn 14,2; 15,18; 23,21b; 24,18.22 und dazu P. Doron, Motive Clauses in the Laws of Deuteronomy, HAR 2, 1978, 61-77. 28 Vgl. dazu auch Moshe Weinfeld, Deuteronomy and the Deuteronomic School, Oxford 1972, 116-129. 29 Georg Braulik, Deuteronomium II. 16,18-34,12, NEB.AT, Würzburg 1992, 129.

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Prinzipiell dürften sie dem friihnachexilischen Herausgeber desjesajabuches zugestimmt haben, der den Propheten die Katastrophe mittels eines »aber ihr habt nicht gewollt« deuten (Jes 30,15b) und im Blick auf die Zukunft sagen ließ: »Wenn ihr wollt und gehorcht, werdet ihr des Landes Bestes genießen« (Jes 1,11).30 Immerhin hat ein später Deuteronomist darin ein Problem gesehen und Mose seinem Volk verheißen lassen, daß Jahwe nach seiner Rückführung in das Land der Väter sein und seiner Nachkommen Herz beschneiden und dadurch seine vollkommene und immerwährende Gottesliebe ermöglichen werde (Dtn 30,6 vgl. 10,16). Eigentlicher Herrscher in der platonischen Polis soll das Gesetz, der νόμος, sein, der über allen Parteien steht und nichts als das Wohl der ganzen Stadt im Auge hat. Daher sollen die menschlichen Vertreter der Macht (und das sind im konkreten Fall die nächdiche Versammlung31 und die durch die siebenunddreißig Gesetzeswächter32 angeführten Magistrate) aber Diener der Gesetze (ύπηρέται τοις νόμοις) sein33; denn das Gesetz ist der Gebieter über die Herrschenden (δεσπότης τών αρχόντων), sie aber sind die Sklaven des Gesetzes (δοϋλοι τοϋ νόμου). 34 Ist das der Fall, so ist das Wohl, die σωτηρία der Polis gesichert. Darüber hinaus werden ihr alle Güter zuteil, welche die Götter jemals den Poleis gegeben haben (IV 715 b 2-d 6). Das aber bedarf einer die Entwicklung der άρετή im Auge behaltenden Erziehung (II 653 a 5-c 4), die darauf abzielt, die Knaben und Mädchen nach Leib und Seele möglichst schön und gut (ώς κάλλιστα και άριστα) zu ma-

30 Zur literarkritischen und theologiegeschichtlichen Einordnung der Belege vgl. Uwe Becker, Jesaja - von der Botschaft zum Buch, FRLANT 178, Göttingen 1997, 252 f. 31 XII 964b 3-968e 5; vgl. XII 951c 6-952c 4. 32 VI 752d 2-755b 6. 33 Vgl. dazu auch künftig Christian Wildberg, Hyperesie und Epiphanie. Zur Funktion und Bedeutung der Götter in den Dramen des Euripides, Zet., München 1999, V.3: Der Hyperesiebegriff bei Sokrates und Piaton. 34 Während Piaton Sokrates in der Politeia eine ausführliche schriftliche Gesetzgebung wegen ihrer Nutzlosigkeit in einem gut oder schlecht konstituierten Staat ablehnen ließ (rep. 427a), ließ er dann im Politikos den das Gespräch führenden Fremden erklären, daß es zwar letztlich nicht darauf ankomme, ob eine Polis nach Gesetzen oder ohne solche, sondern daß sie gut regiert werde (Pol.293c 5-d 2). Ein Gesetz könne niemals den in ihrem Wesen und in ihren Handlungen so verschiedenen Menschen gerecht werden. Daher sei es das beste, wenn nicht Gesetze, sondern ein dank seiner Einsicht βασιλικός άνήρ regiere (294a 6-c 3; vgl. auch 297e 9: βασιλικοί άρχοντες). Da die Zahl der Einsichtigen aber gering sei, lasse sich nur ein zweitbester Staat verwirklichen, der sich der Schriften der einzig richtigen Erfassung bediente und unerbittlich auf der Beachtung seiner Gesetze bestünde (297b 7-e 3). Wer gegen die auf langer Erfahrung beruhenden Gesetze zu handeln wagte, würde einen größeren Fehler als die ihrer Eigenart nach beschränkten Gesetze begehen (299b 1-6). So führt ein gerader Weg von der Politeia über den Politikos zu den Nomoi·, vgl. dazu auch O. Apelt, Piaton, IV (s. Anm. 41). Zu der Rolle der Gesetze im Politikosvgl. Erik Wolf, Griechisches Rechtsdenken IV/2: Piaton. Dialoge der mittleren und späteren Zeit. Briefe, Frankfurt am Main 1970, 149-151.

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chen (VII 788 c 7-8).35 Der Erschließung des Geistes der Gesetze dienen die allgemeinen (IV 715e 7-718c 6 + V 726a l-734e 2) und die speziellen Vorreden zu den Gesetzen.36 Sie sollten als Muster (παράδειγμα) für die der Erziehung dienenden Lehrbücher dienen (VII 811c 6-e l).37 Einmal aufgezeichnet, sollten sie prinzipiell als unveränderlich gelten (X 890e 6-891a 2). Die Fähigkeit des Menschen, ein tugendhaftes Leben zu führen, hängt nach Piatons Einsicht davon ab, ob er der göttlichen Leitung durch die Vernunft oder den Antrieben der Sinnlichkeit folgt (I 644d 7-645b 8). Es geht also um die Kooperation der menschlichen mit der göttlichen Vernunft.38 Das zunächst wie spielerisch aufgenommene Bild vom Menschen als einer Marionette Gottes mit ihren goldenen und ihren eisernen Zügen bekommt schließlich seine grundsätzliche Bedeutung: Des hingegebenen seligen Ernstes ist eigentlich nur Gott würdig, der Mensch aber als sein Spielzeug erschaffen und dies (seine Bewegung durch das goldene Zugband des göttlichen νους) sein Bestes (VII 803c 2-8). Daraus folgt, daß ein dem Dienst der Götter im heiligen Spiel von Opfer, Gesang und Tanz geweihtes und mithin friedvolles Leben der Natur des Menschen als Marionetten Gottes gemäß ist (VII 803d 8-804b 4).39 Piaton war allerdings realistisch genug zu erkennen, daß nur ganz wenige Menschen wahrhaft weise und einsichtig sind; darum war er von der Notwendigkeit überzeugt, die Menschen zur wahren Freiheit zu erziehen und in ihr ein Leben lang durch Gesetze zu leiten.40

III. Fiktive Situation und höchster Anspruch A) Die Nomoi als heuristische Utopie. Das Deuteronomium und die Nomoi sind bedacht jeweils in eine fiktive Situation eingebettet. In den Nomoi wird der Dialog der Findung eines philosophisch begründeten Verfassungs- und Ge35 Zu Piatons Erziehungskonzept in den Nomoi vgl. WernerJaeger, Piatos Stellung im Aufbau der griechischen Bildung III: Die platonische Philosophie als Paideia, in: ders., Humanistische Reden und Vorträge, Berlin 2 1960, 158-177, und Erik Wolf, Griechisches Rechtsdenken IV/2, 239 und 248-254; zu den von ihm in den Gesetzen berücksichtigten Grenzen der Rationalität des Menschen Eric R. Dodds, The Greeks and the Irrational, (1951) Berkeley und Los Angeles 1966, 211-216 = ders. Die Griechen und das Irrationale, übers. H.J. Dirksen, Darmstadt 21991, 110-115; zu Spannungen im platonischen Verständnis der Kalokagathie Adkins, Merit, 312 f. 36 Vgl. ζ. Β. IX 854b 1-c 5; 866c 7-867c 2; 869e 10-871a 1 und weiterhin auch X 885b-907d. 37 Vgl. IX 858c 7-859a 2 und XII 957 c 1-d 5. 38 Vgl. dazu auch Adkins, Merit, 302. 39 Vgl. dazu auch Jaeger, Paideia III, 332-334. 40 Vgl. die Forderung, daß die Philosophen Herrscher oder die Herrscher Philosophen werden müssen rep. 473c 11-d 5 und die Folgetexte 496a 11-b 6; 498 d 6-499a 2; leg. IV e 6-712a 7 und dann das Urteil von Adkins, Merit, 303, über den pädagogischen Staat der Nomoi.

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setzesentwurfs41 absichtsvoll als Gespräch zwischen einem namenlosen Athener42 und seinen Begleitern, dem Knossier Kleinias und dem Spartaner Megillos gestaltet. Am längsten Tag des Jahres machen sie sich auf den Weg von Knossos zur Höhle des Zeus auf dem Ida, um die Verfassung für eine kretische Neugründung zu entwerfen. Dadurch wird ihre Wanderang zu einer Wiederholung der Mythe von dem sagenhaften Gesetzgeber Minos, der sich alle neun Jahre auf den Weg zu Zeus auf den Ida machte, um sich von ihm beraten zu lassen.43 Auf diese Weise gibt Piaton zu erkennen, daß die wahre Verfassung und die wahre Gesetzgebung ein Werk der göttlichen Vernunft ist.44 Die beabsichtigte Neugründung entpuppt sich im Lauf des Gesprächs als die eines wüst liegenden Magnesia.45 Das lediglich Paradigmatische dieser Wahl gibt Piaton dadurch zu erkennen, daß er den Athener im Zusammenhang der Schlußbemerkung in XII 969a 6 zu Kleinias sagen läßt, daß er höchsten Ruhm erlangen werde, wenn er der Polis der Magneten oder welchen Namen auch immer der Gott für sie bestimmt hat, die richtige Verfassung

gebe.46 Es geht also eigentlich nicht um die Gründung einer konkreten kretischen Polis, sondern um ein Modell für die Einrichtung eines Staates, dessen Gerechtigkeit seinen Bürgern ein Leben in Freiheit, Frieden und Freundschaft ermöglicht.

41 Zum Aufbau des Buches vgl. ζ. B. eine der Übersichten von O. Apelt, Piaton. Gesetze, übers, und erkl., PhB 159, Leipzig = Piaton. Sämtliche Dialoge. In Verb, mit K. Hildebrandt, C. Ritter und G. Schneider, hg. von dems., Hamburg 1988, XXII-XXIX; Klaus Schöpsdau, Piaton. Gesetze Buch I-VI, Werke in acht Bänden. Griechisch und Deutsch, hg. G. Eigler, Darmstadt 1977, XI-XX bzw. ders., Werke IX/1, 93-102 bzw. die analytische Darstellung von Guthrie, History V, 324-376. 42 Zur Frage, warum hier statt Sokrates ein namenloser Athener auftritt, vgl. mit Leo Strauss, The Argument of the Action of Plato's Laws. With a Foreword b y j . Cropsey. Chicago und London 1975 (ND 1983), 1 f. zunächst Plat.apol. 31c 3-32a und dann Krit.53b 4-6. d 24 und 52e 5-6 3. Wäre Sokrates dem Rat Kritons gefolgt, so wäre er nach Kreta gegangen. Der unbekannte Athener wäre dann kein anderer als Sokrates. So erklärt sich, daß Aristoteles in seiner Politik den Sprecher der Gesetze mit dem Sokrates der Republik identifziert. 43 Sie wiederholen damit die sagenhafte Wanderung des Minos, der alle neunJahre zur Grotte des Zeus auf den Ida gestiegen sein soll, um dort den Rat des Gottes für die kretische Gesetzgebung einzuholen; vgl. Plat. Nom. I 624 a 7 - b 3 mit Hom.Od. XIX 178 f. und Plat. Min. 319a 9-320b 7. Vgl. dazu auch Otto Kaiser, Gott und Mensch als Gesetzgeber in Piatons Nomoi, in: B. Kollmann u. a. (Hg.), Antikes Christentum und Frühes Judentum. FS H. Stegemann, BZNW 97, Berlin/New York 1999, 278-295 und bes. 283 f., und zur Abhängigkeit der mythischen Belehrung des Minos durch Zeus von westasiatischen Einflüssen Martin L. West, The East Face of Helicon. West Asiatic Elements in Greek Poetry and Myth, Oxford 1997, 135 f. 44 Vgl. dazu Kaiser, Gott und Mensch, 291-295. 45 Vgl. III 702b 4-d 5 mit IX 860e 7; XII 946b 6 und weiterhin VIII 848d 3 und XI 919d 5 und dazu Schöpsdau, Werke IX/1, 107 f. 46 Vgl. dazu auch Paul Friedländer, Piaton III: Die platonischen Schriften. Zweite und dritte Periode, Berlin 21960, 389, dessen Bestreitung der Existenz eines kretischen Magnesia jedoch inzwischen obsolet ist.

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Sachlich läßt P i a t o n keinerlei Z w e i f e l darüber a u f k o m m e n , w i e seine p o litische P h i l o s o p h i e zu v e r s t e h e n ist. In der Politeia läßt er Sokrates feststellen, d a ß sich d e r hier vorgestellte Entwurf e i n e s g e r e c h t e n Staates auf E r d e n nur schwierig, aber k e i n e s w e g s u n m ö g l i c h v e r w i r k l i c h e n läßt (Plat. rep. V I 5 0 2 c 5 - 7 ) . 4 7 E n t s c h e i d e n d ist es j e d o c h , d a ß d i e s e Polis i m h i m m l i s c h e n R e i c h b e h e i m a t e t ist u n d d e m G e r e c h t e n als Leitbild s e i n e s H a n d e l n s dient (rep.IX 5 9 2 a 5 - b 5). 4 8 In ihr s o l l e n b e k a n n t l i c h d i e Besitzlosigkeit g e m e i n s a m m i t d e r Frauen- u n d K i n d e r g e m e i n s c h a f t d i e R e g e n t e n u n d W ä c h t e r i m a u s s c h l i e ß l i c h e n D i e n s t z u m W o h l der Polis z u s a m m e n s c h l i e ß e n (rep.III 4 1 6 d 3 - 4 1 7 b 6; I V 4 2 3 e 4 - 4 2 4 a 2; 4 5 7 b 7 - d 9). 4 9 D i e s e π ρ ώ τ η π ό λ ι ς ist u n d bleibt für Piaton d i e beste, w e i l sie d e n s p r i c h w ö r d i c h e n Grundsatz verwirklicht, d a ß F r e u n d e n alles g e m e i n s a m g e h ö r t (vgl. leg. V 7 3 9 c 1 f. m i t rep. I V 4 2 4 a 1 f. u n d V 4 4 9 c 5), u n d in ihr d a h e r alle g l e i c h e n S i n n e s sind. D i e in d e n Nomoi v o r g e l e g t e n G e s e t z e t r a n s p o n i e r e n das Ideal d e s g e r e c h t e n Staates auf s e i n e Realisierbarkeit hin. In d i e s e m S i n n e lassen sie sich als h e u ristische U t o p i e a n s p r e c h e n . 5 0 A l s s o l c h e s e t z e n sie d i e M ö g l i c h k e i t voraus, d a ß sich e i n e künftige Verfassungs- u n d G e s e t z g e b u n g a n ihr zu orientieren vermag. 5 1 D a b e i w a r sich P i a t o n b e w u ß t , d a ß j e d e tatsächliche Verwirk-

47 Vgl. dazu James Adam, The Republic of Plato, ed. with critical notes and appendices, sec. edition with an Introduction by D.A. Rees II, Cambridge, U.K. 1963 (ND), 44; vgl. auch V 472 a 8-e 1 und Erik Wolf, Griechisches Rechtsdenken IV/1: Piaton. Frühdialoge und Politeia, Frankfurt am Main 1968, 371. 48 Vgl. dazu Adam, Republik, 369 f.;Jaeger, Paideia III, Berlin 31959, 79-90 und Wolf, Griechisches Rechtsdenken IV/1, 400: »Ob er bereits verwirklicht war oder nicht, ob er schon bald oder erst später verwirklicht werde - das alles bedeute wenig; denn die philosophische Wahrheit bleibt unabhängig von jeder empirischen Realität.« In diesem Sinne kann man die Politeia als eine Utopie bezeichnen, wie es Hans G. Gadamer, Piatos Denken in Utopien (1983), in: ders., Griechische Philosophie III: Piaton im Dialog, GW 7, Tübingen 1991, 270-289 und bes. 275-278 mit guten Gründen tut. Dagegen scheint mir das von Drew Α. Hyland, Finitude and Transcendence in the Platonic Dialogues, SUNY Series in Ancient Philosophy, New York 1995, auf 59-86 begründete Urteil, »that Plato does not intend the Republic as a realizable Utopia but as an antiutopian work, designed to show that Utopias are impossible and even undesirable« trotz der auch von Gadamer, 276, betonten ironischsarkastischen Züge über das Ziel hinauszuschießen. Es dürfte kaum zufällig sein, daß Hyland die Nomoi unberücksichtigt läßt, weil sie sich mit mit dem Pathos ihrer Vorrreden und ihren detalillierten Gesetzesvorschlägen schwerlich in das Konzept einer Anti-Utopie einordnen lassen. - Zum Aufbau der Politeia immer noch hilfreich Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Piaton (II): Beilagen und Textkritik, R. Stark (Hg.), Dublin. Zürich 1969 (ND Zürich. Hildesheim 1992), 179-213. 49 Vgl. dazu vor allem Wolf, Griechisches Rechtsdenken IV/1, 371 sowie A.W. Price, Love and Friendship in Plato and Aristotle, Oxford 1989, 181. 50 So W. Drechsler, Platons Nomoi als Objekt der Rechtsvergleichung, in: Ο. Werner u. a. (Hg.), Brücken für die Rechtsvergleichung. FS H.G. Leser, Tübingen 1998, 45-61, hier 52 f. in Anknüpfung an Gadamer, Denken, 278, nach dem es sich in ihnen um eine »der Realität genäherte Gründung in der Form einer Utopie« handelt. Dieses Urteil bezeichnet m. E. angemessen die von Piaton in den Gesetzen anvisierte Zwischenstellung. 51 So mit Recht das mit Hinweis auf die Fülle der detaillierten Gesetzesvorschläge begründete

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lichung seines Entwurfes weitere konkrete Akkomodationen an die politischen und geographischen Realitäten verlangte (leg. V 739b 8 - e 7).52 Für seinen Zweck bot jedoch eine imaginäre kretische Neugründung schon deshalb die besten Voraussetzungen, weil die dortigen dorischen Traditionen mit ihrer Achtung vor dem Gesetz und dem in ihm verankerten gemeinsamen Leben samt ihrer Gewaltenteilung seiner eigenen Vorstellung der Eunomie am ehesten entsprachen.53 Mit seinem Entwurf antwortete Piaton auf eine Krise seines Vaterlandes, dessen Kraft durch den Peloponnesischen Krieg und innere Zwistigkeiten und dessen Moralität durch den Schwund des Glaubens an die göttlichen Sanktionen und den Zerfall der Werte zugunsten eines vordergründigen Nützlichkeits- und Erfolgsdenkens ausgehöhlt war. Damit waren Wohl und Existenz der griechischen πόλεις gefährdet. Die aber waren in ihrer ganzen Geschichte von ihren näheren oder entfernteren Nachbarn bedroht54 und vermochten ohne eine den inneren Frieden wahrende εύνομία oder Wohlgesetzlichkeit (Solon frg.3 Diehl, vgl. Plat.leg. XII 960d 3)55 nicht zu überleben.56 So entwarf Piaton einen Staat, der jedem das Seine zu besitzen und zu tun zuerkennt (Plat.rep. IV 433e 12-334a 1) und jeden dazu anhält, dem Gott als dem Maß aller Dinge maßhaltend ähnlich zu werden57, weil Dike, die strafende Gerechtigkeit58, den Spuren Gottes auf dem Fuße folgt (Plat.leg.

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Urteil von Guthrie, History V, 335: »The most reasonable conclusion is that he (scl. Plato) hoped to leave the Laws as a posthumous guide to members of the Academy in their business of legislation and to any rulers, such as Hermeias of Atarneus, who were willing to listen.«. Vgl. auch rep. 501b 1-7 und zur Sache im Blick auf die in den Nomoi gegenüber der Politeia vorgenomenen Abänderungen bei den Eigentums- und Familienverhältnissen Morrow, Cretan City, 103-107 und 118-121, sowie Otto Kaiser, Die Stellung der Frauen in Piatons Nomoi, in: R. Kessler u. a., »Ihr Völker alle, klatscht in die Hände!« FS E. S. Gerstenberger, Exgese in unserer Zeit 3, Münster 1997, 377-400. Vgl. dazu auch Morrow, Cretan City, 17-34. Vgl. dazu auch Adkins, Merit, 348. Vgl. dazu auch Hermann Frankel, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. Eine Geschichte der griechischen Epik, Lyrik und Prosa bis zur Mitte des fünftenJahrhunderts, München 3 1969, 253-256. Zu Solons Erkenntis der Gesetzmäßigkeiten politischen Handelns und der Rolle der Götter als Vollstrecker der sittlichen Ordnung vgl. auch Werner Jaeger, Paideia. Die Formung des griechischen Menschen I, Berlin und Leipzig 1936, 193-204, und knapp Otto Kaiser, Dike und Sedaqa. Zur Frage nach der sittlichen Weltordnung, NZSTh 7, 1965, 251-273, bes. 266 = ders., Der Mensch unter dem Schicksal. Studien zur Geschichte, Theologie und Gegenwartsbedeutung der Weisheit, BZAW 161, Berlin/New York 1985, 1-23 und bes. 16. Zur Bedeutung, die Piaton der Eunomie für den Bürger beilegte, vgl. auch Morrow, Cretan City, 552. Vgl. dazu auch Dietrich Roloff, Gottähnlichkeit, Vergöttlichung und Erhöhung zum seligen Leben. Untersuchungen zur Herkunft der platonischen Angleichung an Gott, UALG 4, Berlin 1970, bes. 198-206. Zur traditionellen Vorstellung von Dike als der Wahrerin des Rechts vgl. Hugh Lloyd-

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IV 715e 7—716d 4).59 Aber auch seine Gesetze sind keine frei schwebenden Schöpfungen philosophischen Nachdenkens, sondern stützen sich auf die Sitten und Gebräuche wie auf die Sakral- und Rechtstraditionen seines Volkes.60

IV. Fiktive Situation und weitreichende Absicht B) Das Deuteronomium

als Abschiedsrede Moses und als Tora Israels. D i e Ge-

setzgebung des Deuteronomiums gibt sich samt ihren Vorreden und Nachreden in Dtn 4-11 und 29-30, ihren Segensverheißungen und Fluchandrohungen in Dtn 28 als Abschiedsrede Moses im Lande Moab an Israel am Vorabend des Zuges durch den Jordan und des Einmarsches in das den Vätern verheißene Land aus. Es formuliert dabei die Bedingungen für Israels Bleiben im und damit zugleich für seine Rückkehr aus der Gola und Diaspora in das Land, in das sie der erzählerischen Einkleidung gemäß einzuziehen im Begriff sind. In seiner Endgestalt setzt das Deuteronomium den Verlust der Staatlichkeit bereits voraus und entwirft eine Lebensordnung, mit der es diesen Zustand überdauern und sich der göttlichen Befreiung würdig erweisen kann.61 Bei den hinter dem deuteronomischen Rechtsbuch stehenden Deuteronomikern und ihren Enkeln, den Deuteronomisten, handelt es sich um die führenden Vertreter der Jahwe-allein-Bewegung, die sich im Juda des 7.Jh.s v. Chr. in Abgrenzung gegen den Fremdgötterdienst angesichts der assyrischen Oberherrschaft herausgebildet und die nach dem Verlust der Staatlichkeit im frühen 6.Jh. v. Chr. ihre Bewährungsprobe zu bestehen hatte.62 Jones, The Justice of Zeus, SCL 41, Berkeley u. a. 1971, 35 f., 86 f. und 99-101, bzw. Eric A. Havelock, Greek Concept of Justice. From Its Shadows in Homer to Its Substance in Plato, Cambridge/Mas. und London 1987, 206-208 und 216, 258-260 und 288-292 und 298, bzw. zusammenfassend Fritz Graf, NEP 3, 1997, Sp. 570 f. 59 Vermutlich bedient sich Piaton hier der herkömmlichen, in der vorausgehenden Anmerkung nachgewiesenen Vorstellung, während bei ihm im eigentlichen Sinne die göttliche Vernunft selbst das Gericht vollzieht, weil den Maßlosen die Folgen seines Tuns treffen; vgl. auch das Mythologem vom götüichen Brettspieler leg.903d 3-e 1. 60 Vgl. dazu die ausfuhrlichen Nachweise bei Morrow, Cretan City, 25-34, 40-62 und 74-94; zu den vorausgehenden attischen Rechtskodifikationen Douglas M. MacDowell, The Law in Classical Athens, AGRL, London 1978, 41-49, zum Solonischen Kalender und der weiteren Bedeutung der ungeschriebenen Gesetze im Athen des 6.Jh.s Robert Parker, Athenian Religion: A History, Oxford 1996, 43-55, und zum Umfang ihrer prozessualen Bedeutung in den Händen der eumolpidischen Exegeten im 5. und 4.Jh., 295-297. 61 Vgl. dazu Lothar Perlitt, Der Staatsgedanke im Deuteronomium, in: S.E. Balentine u n d j . Barton, Hg., Language, Theology, and the Bible. FS J. Barr, Oxford 1994, 182-198 und bes. 195. 62 Vgl. dazu Keel und Uehlinger, Göttinnen, 428 f., und Eckart Otto, Treueid und Gesetz.

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Dabei stützen sie sich in ihrer religiösen Programmatik auf das Vorbild assyrischer Vasallenverträge63, während ihnen für ihr Vorhaben, dem staatenlos gewordenen Volk eine Verfassung zu geben, der mündlichen Tradition entstammende soziale Institutionen64, Rechtsbräuche, Rechtsreihen65 und das sog. Bundesbuch (ein vermutlich im 8. Jh. aufgezeichnetes, der Schulung für den Rechtsentscheid dienendes Lehrbuch)66 zur Verfügung standen.67 Diese Tradition stellten sie um des Überlebens ihres Volkes willen in den Dienst der Forderung, Jahwe, den Gott Israels, zu furchten, ihm allein (Dtn 6,11 ff.) und kultisch ausschließlich an dem von ihm erwählten Ort zu dienen (Dtn 12)68 und aus Liebe zu ihm (Dtn 6,5) seinen gerechten Ordnungen und Rechtssatzungen zu gehorchen (Dtn 10,12; 4,8). Denn sie erkannten im Niedergang und Untergang des davidischen Reiches Jahwes Sanktionen (Dtn 28,15 ff.; vgl. II Reg 21,12 ff.) und im künftigen Gehorsam gegen seinen Willen die Bedingung für deren Aufhebung in Gestalt der Beendigung der Knechtschaft Israels und seines Aufstiegs zur führenden Weltmacht. Daher forderten sie ihr Volk zur Umkehr zu ihrem Gott im Gehorsam gegen seine Weisung (nun) auf (Dtn 30,1 ff.; 28,9 ff.).

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Die Ursprünge des Deuteronomiums im Horizont neuassyrischen Vertragsrechts, Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 2, 1996, 1-52 und bes. 44-47; zum religionsphänomenlogischen Kontext vgl. auch Emst A. Knauf, Die Umwelt des Alten Testaments, NStK.AT 29, Stuttgart 1994, 264-269. Vgl. dazu den grundlegenden Nachweis von Lothar Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, WMANT 36, Neukirchen-Vluyn 1969 sowie die direkten Nachweise bei Simo Parpola, Neo-Assyrian Treaties from the Royal Archives in NinivehJCS 39, 1987, 161-189 und bes. 180-183; Μ. Missinen, Die Relevanz der neoassyrischen Prophetie für die alttestamentliche Forschung, in: M. Dietrich und O. Loretz (Hg.), Mesopotamia - Ugaritica - Biblica. FS K. Bergerhof, AOAT 232. Kevelaer/Neukirchen-Vluyn 1993, 217-258 und bes. 236-241 und Otto, Treueid und Gesetz, 32-44. Vgl. dazu z. B.Joachim Buchholtz, Die Ältesten im Deuteronomium, GThA 36, Göttingen 1988, 103-105. Vgl. dazu ζ. B. Rosario P. Merendino, Das deuteronomische Gesetz. Eine literarkritische-, gattungs- und traditionsgeschichtliche Untersuchung zu Dtn 12-26, BBB 31, Bonn 1969, 398-402 bzw. das Referat bei Kaiser, Einleitung in das Alte Testament, 51984, 126-129. Vgl. zu ihm Eckart Otto, Wandel der Rechtsbegründungen in der Gesellschaftsgeschichte des antiken Israel. Eine Rechtsgeschichte des Bundesbuches (Ex 20,22-23.33), StB, Leiden 1988, und ders., Rechtsgeschichte der Redaktionen im Kodex Esnunna und im »Bundesbuch«, OBO 85, Freiburg/Schweiz u. a. 1989, 181 f., und zum Problem der Genese auch seine Besprechung von Ludger Schwienhorst-Schönberger, Das Bundesbuch (Ex 20,22-23,33). Studien zu seiner Entstehung und Theologie, BZAW 188, Berlin/New York 1990: Vom Profanrecht zum Gottesrecht: Das Bundesbuch, ThR 56, 1991, 412-427 und zur Forschungsgeschichte ders., Theologische Ethik, 19-24. Vgl. dazu Otto, Theologische Ethik, 179 f., und zur zurückliegenden Diskussion auch Kaiser, Einleitung, 128 f. Vgl. dazu auch Eleonore Reuter, Kultzentralisation. Entstehung und Theologie von Dtn 12, BBB 87, Frankfurt am Main 1993.

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V. Die Rangfolge der Werte in Piatons Nomoi Für wie bedroht Piaton die angemessene Rangfolge der von ihm als Güter (άγαθά) bezeichneten Werte und für wie grundlegend er sie hielt, geht schon daraus hervor, daß er nicht weniger als vier Mal grundsätzlich auf sie zu sprechen kommt, in I 631b 6-d 7; II 661a 4-c 5; IV 715e 7-718b 5 und V 726a -734e 2. Dabei rahmen die beiden zuerst genannten Abschnitte die Vorüberlegungen über die sittlich angemessene Verfassung (εύθεΐα), während der dritte den Vorspruch zu der ganzen Gesetzgebung in Gestalt einer Ansprache an die künftigen Einwohner der Polis darstellt und der vierte die Fortsetzung dieser Rede bildet. In I 631b 6-d 7 geht es darum, die Aufgaben des Gesetzgebers zu bestimmen, damit sie alle, welche die von ihnen erlassenen Gesetze befolgen, glücklich machen. Daher müssen zuvor die Güter, die άγαθά, richtig bewertet werden. Diese aber lassen sich in die größeren götdichen und die kleineren menschlichen scheiden. Sachlich gebührt den göttlichen die Führung, während die anderen von ihnen abhängig sind. Daher erwirbt eine Polis mit den größeren zugleich die kleineren. Bei den größeren oder göttlichen Gütern handelt es sich um die vier klassischen Tugenden der Einsicht (φρόνησις), der mit Vernunft verbundenen besonnenen Haltung der Seele (μετά νοϋ σώφρων ψυχής έξις) oder Besonnenheit (σωφροσύνη), der Tapferkeit (άνδρεία) und der Gerechtigkeit (δικαιοσύνη). Dabei ergibt sich aus der Verbindung der Einsicht und der Besonnenheit mit der Tapferkeit die Gerechtigkeit.69 Die hier aufgestellte Rangordnung entspricht der in rep. IV 427d-434d70, nur daß dort an der Stelle der Einsicht die Weisheit (σοφία) erscheint.71 Allein wo diese vier Tugenden als eine Einheit zusammenwirken, besitzen auch die kleineren Güter in Gestalt der Gesundheit, der Schönheit, der Körperkraft und eines umsichtig erworbenen und verwalteten Reichtums einen wahren Wert. Daher ist es für das Gedeihen der Polis unabdingbar, daß allen Bürgern bewußt ist, daß sämtliche ihnen gegebene Anordnungen dieser von der Vernunft, dem νοϋς, angeführten und damit zugleich diktierten Wertskala genügen. Piaton war nicht so weltfremd, um zu übersehen, daß die faktisch geltende Rangordnung schon in seinen Tagen genau 69 In leg.XII 963e liegt die Führung bei der Vernunft. Hier legt der Athener dar, daß auch Tiere und kleine Kinder Tapferkeit besitzen können, aber ohne Vernunft niemand Einsicht zu gewinnen vermag. Den Beweis über die Einheit der Tugend in ihrer Vierheit sollen die Mitglieder der nächtlichen Versammlung zu geben in der Lage sein; der Beweis wird jedoch in X 963a-965e nicht geführt. Der Leser ist in dieser Beziehung auf das in I 631b 3 - d 6 Ausgeführte angewiesen. Zur Spannung zwischen den traditionellen und den platonischen Konzepten der Gerechtigkeit vgl. Havelock, Greek Concept of Justice, 308-323. 70 Vgl. dazu Terence Irwin, Plato's Moral Theory. The Early and Middle Dialogues, Oxford 1977 (ND), 195-200. 71 Vgl. auch rep. IV 435b 4 - 7 und Terence Irwin, Plato's Ethics, Oxford 1995, passim.

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umgekehrt aussah: Auf ihr rangierten Gesundheit, Schönheit und Besitz ganz oben. Der Einsicht des Philosophen in die Wahrheit aller Dinge gemäß verhält es sich jedoch genau umgekehrt: Nur zusammen mit den göttlichen Gütern besitzen sie einen Wert. Von ihnen getrennt sind sie ein Übel, auch wenn die Ungerechten sie als Güter betrachten.72 Denn wirkliche Güter gibt es nur für die Guten (II 661a 4-d 3). Welche Funktion der Vernunft (νους) als Führerin auf der Skala der Werte zukommt, wird deutlich, wenn wir uns der das eigentliche Gesetzeswerk eröffnenden Ansprache an die Siedler (IV 715e 7-718b 5) zuwenden. Der Abschnitt ist zumal in seinem Anfang traditionsbeladen.73 In ihm werden der Gott der höchsten Vernunft als der Inbegriff des Maßes und die ihm folgende, jeden Abfall vom götdichen Gesetz rächende Dike den ihr demütig und bescheiden Folgenden und dem von Hybris Erfaßten gegenübergestellt. Dieser überhebt sich in seiner Jugendkraft und Schönheit, seinem Reichtum oder seiner Ehren und stiftet dadurch Verwirrung, bis Dike den von Gott Verlassenen samt seinem Hause zugrunde richtet (IV 715e 7-716b 5). Denn dem Gott lieb kann nur der sein, der ihm ähnlich ist. Da Gott das Maß aller Dinge ist, ist dem Gott der Maßvolle und d. h. der Besonnene als der ihm ähnliche lieb (IV 716c 1-d 3).74 Man wird sich bei der Feststellung, daß Gott das Maß aller Dinge ist, auch an Piatons mathematische Theologie und Kosmologie zu erinnern haben: Alles, was Maß und damit Grenze besitzt, hat an der göttlichen, das Maß setzenden Vernunft teil. Andererseits ist nichts maßloser als die Lust und nichts maßvoller als Vernunft und Einsicht (Plat.Phil.65d 4-66a 10). Daraus ergibt sich auf dem Gebiet der praktischen Vernunft als der schönste und wahrste Satz, daß für einen guten Menschen alle Formen der Gottesverehrung wie Opfer, Gebete und Weihgeschenke das schönste und beste Mittel zur Erreichung eines glücklichen Lebens sind, für einen Schlechten aber schädlich. Sodann wird der Verständige (έμφρων) die Dämonen und die Heroen verehren, die gleichsam die Brücke zu den als Familiengötter bezeichneten toten Vorfahren75 und zu den Eltern bilden: Jene sind nach dem Brauch (κατά νόμο ν) zu verehren, diese nach göttlichem Recht (θέμις) zu ehren: Ihnen als den Erzeugern schulden es die Kinder,

72 Zur Gefahr des Reichtums als einer Sucht vgl. auch VIII 831c 4 - e 2. 73 Zu Zeus als dem, der vor allem war und in allem ist, vgl. Orph. fr. 6; zum götdichen Maß Heraklit fr. 30; zur kreisförmigen Bewegung der Gottheit Plat.leg. 896e 8-897b 5; zum Walten der Dike vgl. Hes.erg. 248-269; Solon fr.3,12-18; Aischyl.Ag. 176-183; zum göttlichen Recht Soph.Ant.450-460 und 1349-1353; Oid.T. 863-910; zum Homo-mensuraSatz Protagoras fr Β 1, vgl. Plat.Theait. 151e. Test. A 1,111 ff. Zu den Opfern für die Himmlischen und die Unterirdischen Porph. Vit. Pythagorae, (ed. August Nauck), BSGRT, Leipzig 2 1886 (ND) § 38, 36,22-37,6. 74 Vgl. auch die Charakterisierung der philosophische Seele als einer dem Maßvollen, έμμέτριον, verwandten, rep. 486d 7-10. 75 Vgl. IV 717b 4 - 7 mit V 740b 8c 2.

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ihnen für immer Achtung zu erweisen und sie mit allen Kräften, all ihren Gütern und aufjegliche Weise bis hin zu einer angemessenen Bestattung und Grabpflege zu versorgen (IV 717b 6-718a 6): »Wenn wir das tun und danach leben, dann werden wir alle allezeit von den Göttern und denen, die mächtiger sind als wir, den verdienten Lohn erhalten, in dem wir in guten Hoffnungen den größten Teil unseres Lebens verbringen.« So stehen die Gebote, die Götter und die Eltern zu ehren, bei Piaton am Anfang. Fortsetzung und Schluß der Ansprache an die Siedler (V 726a l-734e 2) werden durch die These eingeleitet, daß von allen Besitztümern nächst den Göttern die Seele als das Göttlichste und Allereigenste (οίκειότατον) zu ehren ist.76 Das geschieht jedoch nicht, indem man jeder Regung und jeder Lust nachgibt und umgekehrt alle Beschwerden scheut, das Leben unbedingt für ein Gut hält77, die Schönheit der Tugend (άρετή) vorzieht, dem Leib mehr Ehre als der Seele zollt oder auf Unrechte Weise zu Besitz gelangt. Die Vergeltung dafür liegt darin, daß man auf diese Weise den Schlechten ähnlich wird. Umgekehrt besteht die Ehre des Menschen darin, dem Besseren zu folgen und das Schlechtere, das noch der Besserung fähig ist, zu demselben Ziel zu fuhren. So stehen an erster Stelle der Güter oder Werte die Götter, an der zweiten die Seele und an der dritten der Leib. Unter den Leibern verdienen jedoch weder der schönste noch der kräftigste oder schnellste, aber auch nicht die gegenteiligen die größte Ehre, sondern solche, die in der Mitte an all diesen Eigenschaften teilhaben. Denn sie machen die Seele weder hoffartig und dreist noch niedrig und kriecherisch.78 Das delphische μηδέν αγαν, μέτρον άριστον79 findet so seine platonische Anwendung. Wer sich selbst und seinem Besitz gegenüber entsprechend verhält, erweist dadurch seine σωφροσύνη. Denn das Ubermaß an Besitz führt zu Feindschaft und Aufruhr, der Mangel aber in der Regel zur Knechtschaft. In diesem Sinne ist »Moderation . . . assimilation to the God«80. Wir können im vorliegenden Zusammenhang darauf verzichten, Piatons Lehre über den Umgang mit den Anderen 81 und über das richtige Le76 Zur Vorgeschichte und Eigenart der platonischen Seelenvorstellung vgl. D.B. Claus, Toward the Soul. Am Inquiry into the Meaning of ψυχή before Plato, YCM 2, New Haven und London 1981 und bes. 156-180. 77 Und dabei zu wissen meint, daß das Afterlife im Hades ein Übel ist, V 727b 7-d 2. Im Hintergrund steht die Mythe von der Metempsychose; vgl. X 903d 3-e 1 mit rep. X 614a 5-621d 3. Zur Rolle des Mythos in Piatons Denken vgl. Paul Friedländer, Piaton I: Seinswahrheit und Lebenswirklichkeit, Berlin 3 1964, 182-222, und nicht zuletzt Gerhard Krüger, Einsicht und Leidenschaft. Das Wesen des platonischen Denkens, Frankfurt am Main 3 1963,55-66. Es sei hier vorgeschlagen, vom platonischen als einem gebrochenen Mythos zu sprechen, weil der Philosoph um sein ab ob weiß; vgl. Plat. Phaid.ll4d 1-7. 78 Vgl. V 726a-729a. 79 Nichts zu sehr, das Maß ist das beste. 80 Strauss, Argument, 60. 81 Vgl. dazu die Pflichtenlehre in V 729b-730a.

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ben 82 zu referieren. Statt dessen beschließen wir diesen Abschnitt mit Piatons eigenem Resümee (V 734d 4-e 1): »... ein Leben, das mit Tüchtigkeit (αρετή) an Leib oder auch an Seele verbunden ist, ist angenehmer als das mit Schlechtigkeit verbundene und ist ihm überdies auch in anderer Hinsicht überlegen, nämlich durch Schönheit, Richtigkeit, Tugend und guten Ruf, so daß es dem, der es besitzt, in allem und im ganzen glücklicher leben läßt als das entgegengesetzte.« Angesichts des Vorranges des Göttlichen gegenüber allem Menschlichen läßt Piaton seinen Athener dafür plädieren, daß die Mitglieder der nächtlichen Versammlung in der Lage sind, die Gottesleugner vom Vorrang der Seele über alle Dinge und der Regelmäßigkeit im Umlauf der Gestirne als Beweis für die Herrschaft der göttlichen Vernunft im Weltall zu überzeugen (Plat.leg. XII 966c l-967a 5).83

VI. Die Rangfolge der Werte im Deuteronomium Wie oben bereits angedeutet, gilt der Dekalog im Deuteronomium gleichsam als das Grundgesetz Israels. Gegenüber der in der Regel bekannteren Fassung in Ex 20,2-18 unterscheidet sich die Zählung der Gebote in Dtn 5,6-21 dadurch, daß sie das Fremdgötter- und das Bilderverbot in V.8-10 als Einheit betrachtet, um dann zur Erhaltung der Zehnzahl das \ferbot des Begehrens nach des Nächsten Eigentum in zwei aufzuteilen. Während in der Exodusfassung an das allgemeine Verbot, des Nächsten Haus zu begehren, das weitere mit dem Katalog »Frau, Knecht, Magd, Rind, Esel und alles, was ihm gehört« unmittelbar anschließt, hat der Deuteronomist ein selbständiges Verbot, die Frau des Nächsten zu begehren, als neuntes Gebot an die Spitze gestellt und dann das zehnte mit dem nun durch das Haus angeführten Restkatalog folgen lassen.84 Das Bilderverbot bezieht sich in der deuteronomischen Fassung aufjegliche Verwendung der Bilder fremder Götter imJahwekult. So erhält die Forderung, Jahwe allein zu dienen, eine kräftige Unterstreichung, während der im offiziellen Jahwekult selbstverständliche Aspekt, dies bildlos zu tun, in den Hintergrand tritt und offenbar keiner besonderen Unterstreichung mehr bedarf.85 Die das Fremdgötterverbot er82 Vgl. dazu V 730b-734d. 83 Zu der dieser Aufgabe entsprechenden Mathematisierung seines Denkens vgl. Konrad Gaiser, Platon's ungeschriebene Lehre. Studien zur systematischen und geschichtlichen Begründung der Wissenschaften in der platonischen Schule, Stuttgart 2 1968, 115-145 und bes. 137-145, aber auch Wolfgang Wieland, Piaton und die Formen des Wissens, Göttingen 1982, 38-50. 84 Vgl. dazu die Synopse bei Werner H. Schmidt mit Holger Delkurt und Axel Graupner, Die Zehn Gebote im Rahmen alttestamentlicher Ethik, EdF 281, Darmstadt 1993, 34 f. Dort auf 25-33 auch das Nötige zu Vorgeschichte und Entstehung des Dekalogs. 85 Vgl. dazu Christoph Dohmen, Das Bilderverbot. Seine Entstehung und Entwicklung im

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öffnende Selbstvorstellung Jahwes, als des Gottes, der Israel aus dem Sklavenhaus Ägyptens herausgeführt hat, proklamiert sein Eigentumsrecht auf Israel als das von ihm erwählte Volk (vgl. Dtn 7,7 f.). Der Gehorsamsanspruch erfolgt nicht im Namen der göttlichen Vernunft als des eigentlichen Weltregenten, sondern im Namen des Gottes, der durch sein Handeln an Israel vor den Völkern der Welt offenbar werden will. Daß seine Tora zur Weisung für die ganze Welt und Israel der Mittler seines Willens für die Völker der Welt werden soll (Jes 2,2-5 par Mich 4,1-5), liegt hier noch außerhalb des Gesichtskreises.86 Es geht um die Sicherung der Zukunft Israels als des Volkes Jahwes, und die hängt von seiner exklusiven Treue gegenüber seinem Gotte ab. Ihn ernst zu nehmen, schließt selbstverständlich die Respektierung seines Namens ein. Daraus ergibt sich das zweite Gebot, auf jeden Versuch zu verzichten, den Willen dieses Gottes durch magischen Mißbrauch seines Namens zu manipulieren.87 Das Kennzeichen jüdischen Lebens in einer heidnischen Umwelt ist die strikte Heiligung des siebten Tages der Woche als des Sabbats. So folgt als drittes und als erstes positiv formuliertes Gebot in V.12-15 das Sabbatgebot. Das Arbeitsverbot in V.14 schließt das ganze Haus mit der Familie, den Sklaven und dem Vieh zusammen. Der Deuteronomist begründet diese Forderung nicht wie Ex 20,11 mittels des Hinweises auf Gottes Ruhe nach der Vollendung seines Sechstagewerkes, sondern damit, daß auch die Sklaven wie die freien Israeliten einen Tag lang ruhen können. Außerdem dient dieser Tag nach V.15 der Erinnerung an Israels Knechtschaft in Ägypten und der Befreiung durch seinen Gott. Dabei kann man davon ausgehen, daß die ausdrückliche Erwähnung des Sabbats die unausgesprochene Erinnerung an die Pflicht einschließt, an den drei Wallfahrtsfesten, dem Passa(-Massot), dem Wochen- und dem Laubhüttenfest vor Jahwe zu erscheinen (Dtn 16,1-17).88 So stellen die drei ersten Gebote Gott im Leben jedes Israeliten an die erste Stelle, grenzen ihn dabei von den Göttern der Völker ab, wahren seine Ehre und Gottheit und erinnern gleichzeitig an die sich aus seiner freien Gnadenwahl ergebende Verpflichtung, das Recht der Schwachen nicht zu beugen (vgl. Dtn 10,12-22 mit 24,6-22). Auf diese drei, traditionell der »ersten Tafel« zugeordneten Gebote (vgl. Dtn 9,9-10,5)89, folgen sieben, welche die sozialen Beziehungen regeln.

86 87 88 89

Alten Testament, BBB 62, Frankfurt am Main 21987, 229, bzw. Kaiser, GAT II, 1998, 173 f., zum anikonischen Kult Israels vgl. auch 161-182. Vgl. dazu auch Otto Kaiser, Die Ausländer und die Fremden im Alten Testament, in: P. Biehl u. a. (Hg.), Heimat - Fremde, JRP 14, Neukirchen-Vluyn 1998,65-83 und bes. 79-83. Vgl. dazu Schmidt u.a, Zehn Gebote, 78-85. Zur entsprechenden Historisierung der alten Landwirtschaftsfeste in Dtn 16 vgl. Kaiser, GAT I, 1993, 318-323. Vgl. dazu Christoph Dohmen, Was stand auf den Tafeln vom Sinai und was auf denen vom Horeb? Zur Geschichte und Theologie eines Offenbarungsrequisits, in: F.-L. Hossfeld (Hg.), Vom Sinai zum Horeb. FS E. Zenger, Würzburg 1989, 9-50.

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An ihrer Spitze steht selbstverständlich das Gebot, die Eltern zu ehren und d. h. sie ihr Leben lang zu achten und im Alter zu versorgen (V.16). Nächst dem Gott, dem Israel seine Existenz verdankt, ist jeder seinen Eltern Ehre schuldig, weil er ihnen sein Leben schuldet. Zur Unterstreichung der Bedeutung erhält das vierte Gebot als einziges eine Begründung, die Israel für den Fall des Gehorsams langes Leben und Wohlergehen in dem Lande verspricht, das ihm Jahwe geben wird. Dann folgen in den V.17-19 drei Kurzverbote, die Mord, Ehebruch und ursprünglich wohl Menschenraub verbieten: Leben, Ehe und Freiheit sind die unverbrüchlichen Güter jedes Israeliten. Das Verbot der falschen Zeugenaussage vor Gericht in V.20 sichert sein Recht und seine Ehre. Die Verselbständigung des Verbots, seines Nächsten Weib zu begehren in V.21, sichert noch einmal seine Ehe. Es überschreitet wie das in V.22 folgende, das »Haus« und mithin Kinder, Sklaven, Vieh und den ganzen Besitz des Nächsten zu begehren, den Rahmen des Rechts und appelliert an das ethische Verhalten. Denn das hebräische Verb 173Π bezeichnet einen Affekt, der über kurz oder lang entsprechende Handlungen auslöst.90 So fordern die Begehrensverbote dazu auf, die eigenen Wünsche und Gedanken zu zügeln, damit nicht aus bösen Gedanken böse Taten entspringen. Die Zukunft Israels hängt an dem Gehorsam gegen diese die ganze Tora repräsentierenden Gebote. Denn Gott verheißt denen, die ihn lieben und seine Gebote halten, seine Treue für unabsehbare Geschlechterfolgen («in tausend Glied»), während er die Schuld der Väter an den Kindern, Enkeln und Urenkeln heimzusuchen androht (V.9b-10).91 So ergibt sich als natürliche Rangfolge der Werte: Gott, die Eltern und der Nächste.

VII. Beschluß Die Grundforderung, Gott seinen Gott sein zu lassen und ihn zu ehren, antwortet auf die Bodenlosigkeit der menschlichen Existenz. Dank seiner exzentrischen Position im Jetzt und Hier besitzt der Mensch die Fähigkeit, seine konkrete Situation zu transzendieren. Dadurch eignet ihm eine eigentümliche Ortlosigkeit, die ihn zusammen mit der Unberechenbarkeit seines eigensten Schicksals dazu zwingt, nach dem transzendenten Grund seines Daseins zu fragen.92 Der so bewußt oder unbewußt nach Gott fragen-

90 Vgl. dazu Schmidt u. a., Zehn Gebote, 139 f. mit den entsprechenden Nachweisen. 91 Als exemplarische griechische Parallele vgl. Solon fr.l (Diehl),16-32. 92 Vgl. dazu Helmuth Plessner, Die Stufen des Organischen und der Mensch, SG 2200, Berlin (1928) 3 1975,291 f. sowie Otto Kaiser, Amor Fati und Amor Dei, NZSTh 23, 1981,53-73, bes. 65 f. = ders., Der Mensch unter dem Schicksal, BZAW 161, Berlin/New York 1985, 256-272, bes. 264 f.

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de Mensch wird durch das Grundgebot daran erinnert, daß er längst der von Gott Gefragte ist. Daß die Forderung, die Eltern zu ehren, an zweiter Stelle steht, bedarf nach dem oben Ausgeführten keiner weiteren Begründung. Die Wahrung der Grundrechte des Nächsten auf ein Leben in Freiheit, auf das (verallgemeinern wir die männliche Perspektive des Textes) innige Zusammenleben mit einem Anderen, auf den Schutz seines Rechts und seiner Ehre und seines Besitzes bilden die Grundvoraussetzungen für ein gelingendes Leben. Denn der Mensch ist von Natur aus ein Gemeinschaftswesen. Die sich daraus ergebende Maxime faßt die goldene Regel schließlich für Griechen und Juden in den Sätzen zusammen, nichts zu tun, was man selbst nicht erleiden möchte, sondern so zu handeln, wie man behandelt zu werden wünscht.93 Aber auch die platonische Ermahnung, die eigene Integrität samt einem harmonisch gebildeten und gesunden Leib mehr als Schönheit, Kraft und alle äußeren Güter zu ehren, bleibt weiterhin der Erinnerung wert. Uber die angemessene politische Auslegung der von Piaton politisch ausgelegten Maxime, daß unter Freunden alles gemeinsam sei94, wird und muß der Streit im Interesse weltweiten Friedens weitergehen. Piaton hat das Problem erkannt, das sich daraus ergibt, daß sich die göttliche Gerechtigkeit zwar im Scheitern der Hybris erweist, der Schuldige aber dabei auch Unschuldige mit sich in den Abgrund reißt (leg. IV 715e 7 - 716b 5). Daher griff er auf die Mythe von der Reinkarnation zurück, nach der Gott den Menschen über das jetzige Leben hinaus wie ein Brettspieler seinen Figuren ihrem Verhalten gemäß einen immer neuen Platz zuweist (leg.X 903d 3-e 2). Auch das Judentum hat sich im Laufe des hellenistischen Zeitalters und der in ihm über die Frommen hereinbrechenden Verfolgungen und Martyrien dem Gedanken eines jenseitigen Gerichts nicht verschlossen, sich jedoch aufgrund seiner Naherwartung des Endes dem Reinkarnationsgedanken versagt.95 Blicken wir zurück, so zeichnet sich trotz aller Gemeinsamkeiten freilich auch eine grundsätzlich entgegengesetzte, sich im unterschiedlichen Gebrauch der Mythe vom göttlichen Gesetzgeber abzeichnende Bewegung ab: Die Deuteronomiker reden von der erfolgten Offenbarung Gottes am Sinai/Horeb her, Piatons drei Männer machen sich auf den Weg zur Höhle des göttlichen Gesetzgebers. Jene legen den offenbarten Gotteswillen aus,

93 Vgl. dazu Albrecht Dihle, Die goldene Regel. Eine Einführung in die Geschichte der antiken und frühchristlichen Vulgärethik, Göttingen 1962. 94 Vgl. Tert.apol.39,llf. 95 Vgl. dazu ζ. B. Otto Kaiser und Eduard Lohse, Tod und Leben, BiKon 10001, Stuttgart u. a. 1977 und Manfred Görg, Ein Haus im Totenreich. Jenseitsvorstellungen in Israel und Ägypten, Düsseldorf 1998. Zur Übernahme der Vorstellung der unsterblichen Seele in der Alten Kirche vgl. ζ. B. Tert.apol. 47,2-4.

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diese suchen sich ihm im Dialog und also dialektisch zu nähern. Der Gegensatz erscheint allerdings nur so lange unüberwindlich, als man sich an die mythische Form hält. Blickt man auf die Sache, so spricht hier wie dort dieselbe vernehmende Vernunft, die den ihrer Selbstverständlichkeit beraubten und doch zutiefst in der condition humaine verwurzelten göttlichen Gesetzen zum Wort verhilft. 96

96 Für freundschaftliche Korrekturen und Hinweise danke ich Herrn Prof. Christian Wildberg, Ph.D. M.Th., Princeton.

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Zum literargeschichtlichen Ort des Prophetengesetzes Dtn 18 zwischen dem Jeremiabuch und Dtn 13 Vor dreißig Jahren veröffentlichte Lothar Perlitt unter dem Titel »Mose als Prophet« eine hinreißend geschriebene Studie, in der er Dtn 18 »überlieferungs- und literaturgeschichtlich« nach Hos 12 und Num 11 sowie vor Num 12 und Dtn 34 einordnet.1 Beiläufig notiert er »Entsprechungen im zeitgenössischen Berufungsbericht des Jeremia« und bemerkt: »Obgleich im Zusammenhang von Dt. 18 (ebenso wie sonst im Dtn) die Schriftprophetie des 8. und 7.Jh.s gleichsam nichtexistent ist, kann dem Verfasser der Predigt diese Sukzession ja nicht fremd gewesen sein.«2 In welchem Sinne dieses Urteil auch heute noch seine Berechtigung hat, werden die folgenden Uberlegungen zeigen.

/. Julius Wellhausen hatte einst das Deuteronomium als Krönung der Arbeit der Propheten gewürdigt; denn nirgendwo zeige sich deuüicher, »daß Propheten und Gesetz kein Gegensatz, sondern identisch sind und im Verhältnis von Ursache und Wirkung stehen«3. Ein Blick in die Konkordanz läßt freilich kaum vermuten, daß die Prophetie zu den Ahnen des Deuteronomiums gehört. Lediglich dreimal ist von einem Propheten die Rede, allerdings jeweils an exponierter Stelle, so daß das Buch aus der Geschichte der Prophetie gar nicht wegzudenken ist. Sogleich nach dem Grundgebot der Kultzentralisation legt Dtn 13 das Fremdgötterverbot an drei Beispielen der Verführung zum Abfall von Jhwh aus. An der Spitze der Verfuhrer steht in 13,2-6 - horribile 1 Lothar Perlitt, Mose als Prophet, EvTh 31, 1971, 588-608. 2 Perlitt, Mose, 598. 3 Julius Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte, Berlin 61907, 136. Er sieht im »Monotheismus . . . als Motiv der Konzentration des Kultus«, in der Uberordnung des sozialen Interesses über den Kultus und darin, daß der Wille Gottes in der »Allen bekannten und verständlichen sittlichen Sphäre« liege, »Zeichen prophetischer Gesinnung« (136-137).

Literargeschichtlicher Ort des Prophetengesetzes

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dictu - ein Prophet: »Wenn in deiner Mitte ein Prophet oder Traumseher aufsteht... indem er sagt: Laßt uns anderen Göttern nachfolgen.. .und ihnen dienen, so sollst du auf die Worte jenes Propheten oder jenes Traumsehers nicht hören!« Sodann erscheint die Prophetie am Ende der sog. Amtergesetze in Dtn 18. Nach den Zentralisationsbestimmungen und vor der materialen Rechtsordnung kündigt Mose in 18,15 an: »Einen Propheten aus deiner Mitte, aus deinen Brüdern, wie mich wirdjhwh, dein Gott, dir erstehen lassen; auf ihn sollt ihr hören!« Schließlich legt die Würdigung am Ende des Buches in Dtn 34,10 dem Gottesknecht Mose ausdrücklich den Prophetentitel bei und gibt ihm doch zugleich eine Statur, die das Prophetische weit übersteigt: »Nicht stand noch einmal ein Prophet auf in Israel wie Mose ...« Diese drei Belege stehen, wie aus den Formulierungen ersichtlich, in enger Beziehung zueinander, wenn auch nicht auf derselben literarischen Ebene. Dtn 34 enthält einen Bericht über den Tod des Mose (V. 1-9) 4 und eine Reflexion der Bedeutung Moses aus gehörigem Abstand (V. 10-12). Dabei ist die Reflexion noch einmal besonders zu nehmen; »denn der Anschluß an V. 10 ist syntaktisch schauderhaft, die Sprache verwässert deuteronomistisch und der Rückverweis auf die Wundertaten in Ägypten hier ohne Sinn und Zusammenhang« 5 . Überdies kombinieren diese Verse die in späten Stücken beheimateten Reminiszenzen 4,34b; 7,19; 29,1b ad maiorem gloriam Mosis und setzen damit jene jungen literarischen Zusammenhänge voraus. Zu V. 10 hat schon Perlitt Entscheidendes gesehen: den »sorglosen... Schritt vom hi. zum k. der Wurzel mp« und die Traditionsverknüpfung von Erwählung und Gottesnähe in der singulären Vergleichsaussage.6 V. 10a hat außerdem seine nächsten Seitenstücke in den spät-dtr Unvergleichlichkeitsaussagen bei Salomo (I Reg 3,12) und Josia (II Reg 23,25)7 Mit V. 10b aber ist Mose nicht mehr der aller Prophetie das Maß gebende vornehmste Vertreter geblieben, sondern der alle Maße sprengende Uberprophet geworden. Damit korrigiert 34,10 die Ankündigung von 18,15.18 durchgreifend. Die ganze Tragweite kommt freilich erst in den Blick, wenn man V. 10 auf dem Hintergrund von V. 1-9 sieht. Die Tora endet mit dem Tod ihres Mittlers. Weitere Mitteilungen sind also nicht mehr zu erwarten. Mose stirbt jedoch nicht eines

4 Mag dieser Teil erst sukzessive entstanden sein (so Philipp Stoellger, Deuteronomium 34, ZAW 105, 1993, 26-51), priesterschriftliches Gut ist nicht zu finden (Lothar Perlitt, Priesterschrift im Deuteronomium?, ZAW 100, 1988, 65-88). 5 Perlitt, ZAW 100, 1988, 77. 6 Jhwh »kannte« Mose wiejeremia (1,5), David (II Sam 7,20) und Abraham (Gen 18,19). »Von Angesicht zu Angesicht« sieht Gideon den Engel Jhwhs (Jdc 6,22) und re&ijhwh zu Mose (Ex 33,11). »Von Propheten sonst hat das in Israel niemand so statuarisch zu sagen gewagt; neben dem y v von Dt. 34,10 ist es auch für Mose zuviel« (Perlitt, Mose, 592). 7 Zum dtr Charakter beider Stellen vgl. David McLain Carr, From D to Q. Α Study of Early Jewish Interpretation of Solomon's Dream at Gibeon, SBL.MS 44, Atlanta 1991, 17 f.67 f., und Timo Veijola, Verheißung in der Krise, Helsinki 1982, 146 Anm. 8.

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natürlichen Todes aufgrund körperlicher Hinfälligkeit8, sondern auf ausdrückliche Veranlassung Gottes (V. 5: mrr Also schließt Gott selbst mit dem von ihm verfügten Tod seines Mitders die Tora definitiv ab, so daß hinfort nichts mehr hinzugefügt werden kann. In Jos 1,7-8 hält denn auch Josua als Moses Nachfolger »die ganze Tora« als »Buch der Tora« in Händen. Mit dem Tod des Mitders wird die Tora als Teil des Kanons geboren.9 Die Erweiterung V. 10{—12) will darüber hinaus die Tora und die Propheten in ein Verhältnis zueinander setzen. Von einem Gleichgewicht kann dabei nicht die Rede sein. Die Zeichnung des Toramittlers Mose als unerreichbaren Uberpropheten schärft ein, daß die Tora aller Prophetie vor- und das heißt übergeordnet bleibt. Das zeigt Abstand und Differenz an, die zwischen Dtn 18 und 34 liegen, und man kann fragen, ob »dtr« wirklich die passende Schublade für Dtn 34 ist. In jedem Falle gehört es zu den jüngsten Stücken im Pentateuch, durch das er überhaupt erst zum »Pentateuch« wird. Dtn 13,2ff.verdanken ihren Ort nach der Zentralisationsforderung deren Rahmung durch das Fremdgötterverbot in 12,2—7.2810—31. Sie setzen also Kap. 12 schon in einer mehrfach erweiterten Gestalt voraus." So erklärt sich auch die Unterbrechung der älteren Fortsetzung von 12,13 ff. in 14,3 ff., die freilich ihrerseits erst durch die Erweiterung in 12,15 f. ermöglicht worden ist. Dieser kompositionsgeschichtliche Ort von Dtn 13 ist der Annahme älteren vorexilischen Gutes nicht eben günstig, die Entscheidung fallt jedoch letztiich an 13,2-6. Während Veijola die Beurteilung von Dtn 13 als ein nachexilisches Theorem durch Hölscher wieder aufnimmt12, will Otto die These Dions von einer Grundschicht aus josianischer Zeit nicht nur analytisch, sondern auch mit der literarischen Abhängigkeit von der Thronfolge- ade Asarhaddons besser begründen und damit zugleich die alte These von einem Urdeuteronomium fröhliche Urständ feiern lassen, so daß wir in Dtn 13* endlich der Keimzelle des Dtn ansichtig würden.13 Ottos Rückführung eines Kerns von Dtn 13 in die Josiazeit ist indes so fraglos nicht. 8 Im Gegensatz zu 31,2 betont 34,7 die Vitalität Moses (vgl. Cant 5,12; 7,5), womit auch das übernatürliche Sehvermögen Moses in V. l b - 4 zusammenhängen dürfte. 9 Dohmen in: Christoph Dohmen/Manfred Oeming, Biblischer Kanon warum und wozu?, QD 137, Freiburg 1992, 54-67. 10 Zu diesem Einsatz s. Gottfried Seitz, Redaktionsgeschichtliche Studien zum Deuteronomium, BWANT V/13, Stuttgart 1971, 106 f. 11 Die Rahmung gehört zur jüngsten Schicht (Rudolf Smend, Die Entstehung des Alten Testaments, Stuttgart 2 1981, 73), die bereits die mosaische Verankerung der Zentralisationsforderung in V. 8-12 kennt. 12 Timo Veijola, Wahrheit und Intoleranz nach Deuteronomium 13, ZThK 92, 1995,287-314; Gustav Hölscher, Komposition und Ursprung des Deuteronomiums, ZAW 40, 1922, 161-255. 13 Paul E. Dion, Deuteronomy 13: The Suppression of Alien Religious Propaganda in Israel during the Late Monarchical Era, in: Law and Ideology in Monarchic Israel, B.Halpern u. a. (Hg.), Sheffield 1991, JSOT.S 124, 147-216; Eckart Otto, Treueid und Gesetz. Die

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(1) Schon die rekonstruierte Grundschicht setzt in V. 3b bereits das Fremdgötterverbot14 voraus und kann - wie die Formel »hinter anderen Göttern hergehen« zeigt - nicht vor-dtr sein.15 Ohne diesen Hintergrund fiele das Kap. in sich zusammen. Das schließt m. E. die Ansetzung einer wie auch immer gearteten Grundschicht von Dtn 13 in das 7.Jh. aus. (2) Otto hat einmal mehr gezeigt16 und mit weiterem Material bekräftigt, daß Dtn 13 Formulierungen der Loyalitätseide aus den Vasallenverträgen rezipiert. Damit ist erwiesen, daß Dtn 13 nicht älter als die literarischen Vorlagen aus der Zeit Asarhaddons sein kann, mehr aber auch nicht. Daß Dtn 13 darüber hinaus die Vasallenverträge als noch Autorität heischende Texte benutze und deshalb allein in derJosiazeit denkbar sei, setzt voraus, Dtn 13 sei der Urtext gewesen, der dem neuassyrischen König die Loyalität habe absprechen wollen und dazu die assyrische Vertragsterminologie auf das Gottesverhältnis übertragen hat. Dafür hat Otto bislang keine anderweitigen Beweise vorgebracht. (3) Seine Erklärung von Dtn 13 aus der Analogie der Loyalitätseide berücksichtigt einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden Texten nicht. In VTE § 10,108 ff. bezieht sich das für den Thronfolger schädliche »üble, schlechte, unpassende Wort« aus dem Munde der königlichen Verwandten und der religiösen Experten (Prophet, Ekstatiker und Traumdeuter) deutlich auf ganz reale Vorgänge. Es handelt sich um Worte, die Aufruhr stiften - unter Umständen im Namen einer göttlichen Autorität. Derlei ist in zeitgenössischen Briefen auch dokumentiert.17 Ganz anders verhält es sich

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Ursprünge des Deuteronomiums im Horizont neuassyrischen Vertragsrechts, Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 2, 1996, 1-52. Vgl. 13,3b mit 5,7.9a und die Belege für "ΙΠΚ "|!>π . . . (s. Franz Josef Helfmeyer, Die Nachfolge Gottes im Alten Testament, BBB 29, Bonn 1968): Dtn 6,14; 8,19; 11,28; 28,14;Jdc 2,12.19; I Reg 11,10 usw. Schon Dion, Deuteronomy, 189, hält alle Belege m. R. für dtr (wenn auch ζ. T. aus josianischer Zeit). Otto, Treueid, 29 ff., verweist dagegen auf das Opferverbot für andere Götter im BB und vor allem auf Hos. Jedoch besagt Ex 22,19a für die Formulierung in Dtn 13,3b nichts, und Hos 3 dürfte schwerlich vor-dtn sein; denn das Kap. setzt die frühnachexilische Komposition Hos 1-2* bereits voraus. Marie Theres Wacker deutet Hos 3 in ihrer sorgfältigen Arbeit (Figurationen des Weiblichen, Freiburg 1996) als antisamarische Polemik aus persischer Zeit (233). Uberhaupt gehen die von Otto bemühten Hos-Belege 2,7.15 nicht auf den Propheten im 8. Jh. zurück. Daß an der Wiege dieser Formel »judäisches Eherecht« stehe (so 37), mag ja das Rechte treffen, daß aber Dtn 13,3b der älteste Beleg für diese Gevatterschaft sein soll, ist eine petitio principii, die die Beheimatung in der Josiazeit schon als erwiesen betrachtet. Gen 24 ist übrigens alles andere als vor-dtr. S. nur Moshe Weinfeld, Deuteronomy and Deuteronomic School, Oxford 1972, 116-122; Dion, Deuteronomy, 199-203, und vor allem aber Martti Nissinen, Falsche Prophetie in neuassyrischer und deuteronomistischer Darstellung, in: Das Deuteronomium und seine Querbeziehungen, T. Veijola (Hg.), SESJ 62, Göttingen 1996, 172-195, haben insbesondere auf VTE § 1 0 + 1 2 (dazu Kazuko Watanabe, Die a . . . JIlj).2a. 43 Dabei gehören 1,17-19 deutlich zu einer fortschreibenden Hand, die 1,4 ff. bereits voraussetzt. 44 Das ΠΓΓ^Κ in Dtn 18,18b erklärt sich aus dem Kontext von V 18a (on!>) und nimmt die im mi-Satz von Jer 1,7 fehlende, aber im frS> B-Satz versteckte Adressatenangabe auf. 45 Eine schöne Illustration dazu bietetJoabs Instruktion der Frau aus Tekoa II Sam 14,19. 46 Vgl. Hans-Peter Stähli, Knabe-Jüngling-Knecht, BET 7, Bern 1978, 123-129. 47 Beachte auch den militärischen Kontext der m. W. engsten Parallele Jos 1,16 (I Sam 15,20); vgl. aus der Sicht des Befehlshabers Jdc 4,6; 6,14; 21,10 und Ex 3,10. 48 Eine Brücke nach V. 6a schlägt 131 in V. 7b.

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Wurzel JH" aus V. 5 auf. Diese feste Verankerung im Kontext - ganz im Gegensatz zu Dtn 18,18b - wird man als ein deutliches Indiz für die literarische Priorität von Jer 1 werten können. Zugleich gibt Jer 1,7b einen weiteren Fingerzeig für den literarischen Horizont des sog. Berufungsberichtes. Es ist schon immer aufgefallen, daß V. 7 im Unterschied zujes 6,9 weder ein konkretes Ziel nennt, zu dem der Prophet gesandt wird, noch einen konkreten Adressaten für seine Verkündigung. Der Auftrag zu gehen, »wohin auch immer ich dich sende«, endet nicht in Juda und Jerusalem, sondern hat über 25,15.1749 offenbar auch die Sendung zu den Völkern im Blick. Entsprechend deckt der Auftrag zu reden, »was auch immer ich dir gebiete«, Unheils- und Heilsworte ab. Beide Dimensionen faßt abschließend V. 10 zusammen. Jer 1,7 hat also einen weiten Buchhorizont vor Augen, für den der Abschnitt 1,4-10 überhaupt erst geschaffen worden ist. Mit dem Bezug auf 25,15b.l7MT ist die Ausweitung zu einem umfassenden Völkergericht, aber wohl noch nicht zum Weltgericht auf dem Plan.50 (3) Betrafen die bisher vorgetragenen Überlegungen im wesentlichen das Verhältnis zu Jer 1, so kommen als weitere Bezugstexte vor allem die Partien des Buches in Betracht, in denen die Auseinandersetzung um Jeremia sowie zwischen Jeremia und den Propheten geführt wird. Dtn 18,19—2051 entfalten die grundlegende Ankündigung eines Propheten wie Mose (V. 18) unter dem Gesichtspunkt des »Redens in meinem Namen« im Blick auf den ungehorsamen Hörer (V. 19) und im Blick auf den Propheten, der sich anmaßt, »in meinem Namen zu reden, was ich nicht geboten habe« (V. 20). Wer in eines anderen Namen redet, redet als Gesandter in dessen Auftrag und Autorität.52 In diesem Sinne erscheint die Wendung auch einige Male imjeremiabuch.53 Doch begegnet dort - und zwar ausschließlich dort - vor allem die vergleichbare Formulierung »im Namen Jhwhs prophe-

49 Nur hier (und in 26,12.15 PD) begegnet in Jer nochmals der Topos von der Sendung Jeremias durch Jhwh mit Adressatenangabe (allerdings mit !>K statt mit i>y). 50 Beachte in V. 15b.l7 »alle Völker, zu denen ich dich sende« im Unterschied zu V. 29 (»alle Bewohner der Erde«) und V. 31 (»alles Fleisch«, vgl. 45,5). Insofern muß man nicht mit Jean Vermeylen erst ins 4.Jh. gehen (La redaction de Jeremie 1,4-19, EThL 58, 1982, 252-278). Immerhin hielt schon Thiel 25,15 ff. für post-dtr (282); und Bernhard Duhm, Jeremia, K H C , Tübingen 1901, 2, sah bereits vor beinahe hundert Jahren, daß Jer 1 und 25,16 ff. zusammengehören, ihr Verfasser habe »frühestens in der persischen Zeit gelebt«. In der Perspektive von 25,29 (Becher für alle Bewohner der Erde) gelesen, ergibt sich eine buchübergreifende Klammer von 1,14 über 25,27 ff. zu 45,4-5, die mit der Weltgerichtsperspektive den Untergang des Perserreichs voraussetzt. 51 Beide Verse nehmen 17,12 auf: »der Mann, der ...«, »nicht hören auf...«, die Wurzel TT (vgl. Ex 21,14), »sterben muß jener ...«. Sie geben dem ganzen einen quasi-juristischen Anstrich. 52 Vgl. »im Namen Davids "127« I Sam 25,9; »im Namen Mordechais inK« Est 2,22. 53 Mit i m : Jer 20,9; 26,16; 29,23; 44,16 neben Ex 5,23; Dtn 18,19.20.22; I Reg 22,16 (II Chr 18,15); Sach 13,3; Dan 9,6; I Chr 21,19; II Chr 33,18.

Literargeschichtlicher Ort des Prophetengesetzes

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zeien«54. Beide Wendungen gehören nicht zum älteren Gut in Jer, sondern zu jüngeren Fortschreibungen und Bearbeitungen. Beide begegnen im Zusammenhang der Auseinandersetzung um Jeremias Verkündigung. Eben jener in einem Prophetenbuch schon mit XU auf das Problem nichtautorisierter Prophetie angewandte Gebrauch der an sich im Botenverkehr beheimateten Wendung mit " i n (s. I Sam 25,9) ermöglichte ihre Übernahme für den vergleichbaren Fall in Dtn 18. Während sich Belege mit 121 in Jer als Nachwirkungen von Dtn 18,19-20 zu erkennen geben55, ist eine derartige Erklärung für die mit X33 formulierte Wendung nicht möglich. Man kann deshalb vermuten, daß Dtn 18 diese Wendung aus dem Jeremiabuch gekannt, bei der Aufnahme aber das \ferb durch das semantisch weitere Tai ersetzt hat, was mit dem inhaltlichen Profil der »Prophetie wie Mose« zusammenhängen dürfte. Dem entspricht auch der durchgehend negative Befund zur Wurzel X2J in dtr Stücken von Dtn bis Reg.56 Daß man sich auch in dieser Frage das Verhältnis zwischen Dtn 18 und dem Jeremiabuch nicht als Einbahnstraße vorstellen darf, kann man an Jer 26 sehen. Die konstruierte57 Erzählung setzt Jer 7 voraus, ist aber nicht aus einem Guß. Das zeigt einmal der unmotivierte Wechsel des Volkes von der Seite der feindlichen Priester und Propheten (V. 8-9) auf die der jeremiafreundlichen Beamten (V. 10-16), zum andern die Rede der Altesten in V. 17-19, die über jene offenbar noch unbekannte Gerichtsszene in V. 10-16 hinweg das Volk allererst zu einem derartigen Ortswechsel und entsprechender Gesinnungsänderung veranlassen will. Da die Priester und Propheten als Gegner Jeremias in der Gerichtsszene fest verwurzelt sind, dürfte V. 7 und die nochmalige Erwähnung der Gegner in V. 8* zur Vorbereitung der Gerichtsszene eingefügt worden sein. Es ergibt sich eine Grunderzählung in V. l-6.8*.9.17-2458, die durch V. 7.8M0-16 erweitert wurde. Aufschlußreich

54 Mit K33: Jer 11,21; 14,14 f.; 23,25; 26,9.20; 27,15; 29,9.21. 55 Jer 44,16 mutet (mit Kontext) geradezu als Beispielerzählung für Dtn 18,19 an (vgl. auch 44,28 Dip mit 18,22 ma). Jer 29,23 ist im Wortlaut ganz an 18,20aa orientiert (np® fehlt in LXX und dürfte aus dem geläufigen Arsenal der Prophetenpolemik eingetragen sein). 56 I Reg 22 ist nach-dtr, I Reg 18,29 (wie die Opferprobe überhaupt) jedenfalls nicht älter als Dtn 4 (vgl. I Reg 18,39 mit Dtn 4,35.39; 7,9; 10,17; I Reg 8,60; II Reg 19,15; Jes 45,18), und die Belege in I Sam 10; 18 f. im Zusammenhang des Topos von »Saul unter den Propheten« sind sämtlich un-dtr. 57 Man sehe nur die Veranlassung in V. 1-2 (alle Judäer sollen alles hören, was Jhwh dem Propheten bisher geboten hat [Perf. + Kanonformel!]) und die in jeder Hinsicht ominöse Gerichtsverhandlung sowie das gewaltige Aufgebot aller nur denkbaren relevanten Gruppen. 58 Vgl. die Analyse von Hermannjosef Süpp, Jeremia im Parteienstreit, BBB 82, Frankfurt/M. 1992, 17-72, dessen Abtrennung von V. 24 als »schafanidischer Zusatz« (65) allerdings wenig einleuchtet. Die terminologische Differenz in der Bezeichnung des Volkes läßt sich aus der nach V. 19 gewandelten Erzählsituation erklären. Ohne V. 24 fehlt der Grunderzählung der Abschluß.

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ist, daß die an Dtn 18,19 f. erinnernde Wendung »im Namen Jhwhs, unseres Gottes, zu uns reden« lediglich in der Erweiterung (V. 16) begegnet, während die Grunderzählung mit Kai formuliert (V. 9.20), obwohl sie zweifellos ein dtr Produkt ist.59 Zuweilen hat manjer 26,10-16 geradezu als »Musterprozeß« oder wenigstens als »Lehrzuchtverfahren«60 nach Dtn 18 verstehen wollen, das die Legitimität der Verkündigung Jeremias erweisen soll. Davon kann gar keine Rede sein. Auf diese Idee kommt man nur, wenn man Dtn 18,9 ff. als Gesetz versteht, das einem Prozeß zugrunde liegen könne, und wenn man die Szene - in welcher Weise auch immer - beim historischen Jeremia festmacht. Beides ist abwegig. Die Einfügung der Gerichtsszene in Jer 26 verhilft vielmehr auf der Erzählebene der Umkehrpredigt Jeremias zum durchschlagenden Erfolg, der dem historischen Jeremia gerade versagt geblieben war, und ermöglicht dem Volk die Änderung seines Verhaltens, nachdem der traurige Gang der Geschichte den Propheten nur allzu deudich ins Recht gesetzt hatte. Vor allem aber entsprechen Anklage, Verteidigung und Freisprach Jeremias in 26,10-16 nicht dem Kasus von Dtn 18,20. Nicht daß ein Prophet im Namen Jhwhs geredet hat, wie 26,16 den Freisprach Jeremias begründet, ist das Problem, das Dtn 18,20 bewegt, sondern daß der Prophet in Gottes Namen zu reden beansprucht, ohne von ihm autorisiert zu sein. In Jer 26 verteidigt sich der Prophet indes allein mit der doppelten Beteuerung, von Jhwh mit der verkündigten Botschaft gesandt zu sein (26,12.15). Die Erweiterung von Jer 26 gebraucht zwar dtr Formulierangen aus Dtn 18,20, geht

59 Zwar hat es nicht an Versuchen gefehlt, die Deuteronomismen samt und sonders als redaktionelle Zutaten zu eliminieren, doch gelingt das nur, wenn man das analytische Handwerkszeug auf stilistische Kriterien reduziert. So teilt Wilfried Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 26-45, WMANT 52, Neukirchen-Vluyn 1981, 3-4, lediglich Belege für den dtr Charakter der V. 3-5.6b*.13 mit, um daraus zu schließen: »Die ursprüngliche, D vorliegende Abfolge war also: 2.4a.6ab*« (4). Da dtr Sprach- und Stileigentümlichkeiten stets nur an bestimmte Themen gebunden erscheinen, bedarf es der auch sonst üblichen literarischen Kriterien zur Erhebung von Kohärenzstörungen, um einen vor-dtr Erzähltext in Jer 26 rekonstruieren zu können. Die fehlen jedoch in jener Grundschicht. Übrigens besagt die Möglichkeit, V. 4 unmittelbar an V. 2aa anschließen zu können, nichts gegen die Ursprünglichkeit von V. 3, sondern setzt voraus, was erst bewiesen werden müßte. Das gilt auch für V. 13, der aus V. 3.19 und 7,3.5 als Vorlagen gebildet worden ist. Vor allem Christoph Hardmeier, Der Prophet Micha und Jesaja im Spiegel von Jeremia XXVI und 2 Regum XVIII-XX. Zur Prophetie-Rezeption in der nach-joschianischen Zeit, VT.S 43, Leiden 1991, 172-189, setzt stillschweigend voraus, daß es sich inJer 26 ursprünglich nur um unbedingte Unheilsprophetie gehandelt haben könne, doch steht dem entgegen, daß auch die Argumentation der Altesten in V. 17-19 nur mit bedingter rechnet. Die Rekonstruktionsversuche eines ursprünglichen Tempelwortes in V. 6 setzen allesamt die Amputation der vorangegangenen dtr Verse voraus und können deshalb als weitgehend freie Phantasien auf sich beruhen. 60 So ζ. B. Frank-Lothar Hossfeld/Ivo Meyer, Der Prophet vor dem Tribunal, ZAW 86, 1974, 30-50.44.

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aber mit den damit verbundenen Inhalten völlig frei um und erweist sich eben darin als nach-dtr. Noch abwegiger ist es, in Jer 26,10-16 eine Verbindung zu Dtn 18,21-22 herzustellen. Denn dort ist ein Fall wie Jer 26 per definitionem ausgeschlossen. Konditionale Unheilsprophetie sehen Dtn 18,21-22 im Unterschied zuJer 26 gar nicht vor; und die Lösung für die Frage nach der Erkennbarkeit falscher Prophetie, die dort vorgeschlagen wird, nötigt zu keinem Prozeß, sondern entweder zum Weinen oder zum Lachen! Erst in der Zeit des nachexilischen Erzählers, als das Gericht vor aller Augen lag, konnte das Erfiillungskriterium das leisten, wozu es in der erzählten Zeit gänzlich untauglich war. Das Verhältnis der Prophetenpolemik im Jeremiabuch zu Dtn 18,20 ist leider nicht in jedem Falle eindeutig zu bestimmen, solange eine überzeugende Situierung jener Texte in der Geschichte desjeremiabuches aussteht. Daß sie sich samt und sonders erst nachträglicher Reflexion verdanken, ist wenig wahrscheinlich. Immerhin hat jüngst Hermisson ausJer 23 einen älteren Kern in V. 16*.17a.l8a.l9-20a herausgeschält, der auf den Propheten selbst zurückgehen könnte.61 Hier greift Jeremia den konkreten Mißstand an, daß jene prophetischen Gegner den Verächtern des Wortes Jhwhs in seinem Munde Heil ansagen (V. 17a). Davon heben sich die grundsätzlichen Reflexionen in V. 21-22 ab, die bereits auf die Vielzahl (V. 22) des je und je ergangenen konkreten Jhwhwortes (V. 17-18) zurückblicken und dessen Funktion als Umkehrruf eigens hervorheben. V. 21 bestreitet die Legitimität jener Propheten, indem er ihnen Sendung und Wortempfang im RatJhwhs abspricht. Während V. 22a das vorgegebene Prophetenwort aus V. 18a aufnimmt, geht V. 21 darüber hinaus und verbindet mit 14,14 f.; 23,32; 27,15; 29,9.31, die sich weniger in der Formulierung als in der Sache mit Dtn 18,20 berühren. Wenn die Auseinandersetzung um die Legitimität des Jhwhwortes im Prophetenmund ansatzweise schon bei Jeremia selbst angelegt ist, spricht alles dafür, auch das Prophetenbuch als den ursprünglichen Ort grundsätzlicherer Reflexion des in der Prophetie aufgebrochenen Problems anzunehmen. Von dort konnte dann derlei auch unschwer in einen Kontext übertragen werden, in den die Prophetie erst geraten war, als sie in ein ausdrückliches Verhältnis zur Tora gebracht werden mußte. Das aber ist erstmals in Dtn 18 der Fall. Aus alledem ergibt sich: Jer 1 ist in Kenntnis vonjes 6 formuliert worden und stand bei der Bildung von Dtn 18,18 Pate. Die Reflexion Dtn 18,20 greift die grundsätzliche Diskussion auf, die im Jeremiabuch im Anschluß an den Propheten geführt wird (vgl. Jer 23). Anderseits hat das sog. Prophetengesetz Spuren im Jeremiabuch hinterlassen (ζ. B. in 29,23; 26,16; 44,16). Allerdings kann Jer 26 nicht als eine Beispielerzählung für Dtn 18,20.21-22 gelten. 61 Hans-Jürgen Hermisson, Kriterien »wahrer« und »falscher« Prophetie im Alten Testament. Zur Auslegung von Jer 23,16-22 und Jer 28,8-9, ZThK 92, 1995, 121-139, bes. 126-131, gegen Thiel, Redaktion, 250-252.

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III Trifft die Abhängigkeit von Jer für das Prophetengesetz insgesamt zu oder nur für dessen dtr Bearbeitung?62 Das hängt davon ab, ob sich in Dtn 18,9-22 überhaupt ein älterer vor-dtr Kern nachweisen läßt. Daran entscheiden sich auch die gegenwärtigen Alternativen in der Bestimmung des literargeschichtlichen Ortes: Gehört die Ankündigung eines »Propheten wie Mose« zu einem »Verfassungsgesetz« der ausgehenden Königszeit63 oder zu jüngeren redaktionellen Ergänzungen einer älteren Gerichtsordnung64 mit Blick auf das dtr Geschichtswerk oder zu einem utopischen »Verfassungsentwurf« für das neue Israel nach dem Exil65? Weitgehende Einigkeit besteht in der Beurteilung der V. 21-22 als eines jüngeren Nachtrags.66Jedoch überzeugen die Gründe nicht, die immer wieder für eine Abtrennung der dtr V. 16-20 von einem älteren dtn Prophetengesetz in V. 9-15 vorgetragen werden.67 Der Wechsel in die Gottesrede ist durch die Zitierung von 5,22 ff. veranlaßt und deshalb so wenig ein literarkritisches

62 So zuletzt Schmidt, Prophetengesetz, 58 Anm. 15, 68 f. 63 Julius Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 41963, 357; vgl. Udo Rüterswörden, \ b n der politischen Gemeinschaft zur Gemeinde. Studien zu Dt 16,18 - 18,22, BBB 65, Frankfurt/M. 1987, der zu einer dtn Grundschicht 16,18*.19.21 f.; 17,8-10.12-15.16aa.l7*.20;18,l*.3-4.5*. 6-8.9-15 rechnet (89 f.). 64 Carl Steuemagel, Das Deuteronomium, HK 1/3.1, Göttingen 21923, 115; er weist bemerkenswerterweise das Prophetengesetz einem noch jüngeren Bearbeiter zu. 65 Norbert Lohfink, Die Sicherung der Wirksamkeit des Gotteswortes durch das Prinzip der Schriftlichkeit der Tora und durch das Prinzip der Gewaltenteilung nach den Ämtergesetzen des Buches Deuteronomium (Dt 16,18-18,22), in: FS W. Kempf, Frankfurt/M. 1971, 143-155; Braulik, Deuteronomium II, 121 ff.; Otto, Von der Gerichtsordnung zum Verfassungsentwurf. Deuteronomische Gestaltung und deuteronomisüsche Interpretation im »Amtergesetz« Dtn 16,18-18,22, in »Wer ist wie du, Herr, unter den Göttern?«, FS O. Kaiser, Göttingen 1994, 142-155. 66 Gegen Eduard Nielsens (Deuteronomium, HAT 1/6, Tübingen 1995, 180) neuerliche Verteidigung von V. 21 f. als dtn sprechen: Beide Verse knüpfen zwar mit πιπ· πβι Ί3Τ und TT an V. 20 an, haben aber die Horebsituation von V. 16-18, die Gottesrede von V. 16-20 und das Gegenüber von Jhwhs gebietendem Wort und prophetischem Reden verlassen. Was V. 20 noch mit der Todesstrafe ahndet, gibt V. 22b nur noch der Gleichgültigkeit preis. Der Nachtrag stellt in nachexilischer Zeit die Unheilsprophetie unter das Erfüllungskriterium und ist schon auf dem Wege zu Sach 13,2-6. Vgl. Rosario Pius Merendino, Das deuteronomische Gesetz: Eine literarkritische, gattungs- und überlieferungsgeschichtliche Untersuchung zu Dt 12-26, BBB 31, Bonn 1969, 198; Rüterswörden, Gemeinschaft, 87 f. 67 S. Rüterswörden, Gemeinschaft, 85. Hans M. Barstad erkennt drei völlig unabhängige Einheiten ohne »internal logical connexion« (V. 9-14.15-19.20-22); davon haben V. 15-19 allein Josua als Moses Nachfolger im Sinn, keine »succession of mosaic prophets«; überhaupt sei das Dtn »hostile to prophecy« (The Understanding of the Prophets in Deuteronomy, SJOT 8, 1994, 230-251, bes. 243 f. und 246 f.) - von alledem kann keine Rede sein. 18,9-20 ist zwar mit verschiedenen Materialien gestaltet, aber literarisch einheitlich.

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Indiz wie die dadurch entstandene »Doppelung«. Die Formulierung von V. 15a ist als emphatische Hervorhebung erklärbar68, und die Variante in V. 18 hat sachliche Gründe.69 Eine sachliche Verschiebung im Prophetenverständnis70 kann nur finden, wer in V. 15 das »wie mich« übersieht, das als vorangestellte Summe nichts anderes enthält, als dann V. 16-18 ausführen. Sind schon die angeführten Gesichtspunkte nicht dazu angetan, V. 9-15 zu isolieren, so schließen folgende Beobachtungen eine vor-dtr Situierung geradezu aus. (1) Alle Belege der »historisierenden Gebotseinleitung« im Dtn stellen die davon eingeführten Betimmungen unter die Fiktion der Gesetzespromulgation jenseits des Jordans unmittelbar vor der Landnahme und setzen damit den »narrativen Kontext des DtrG«71 voraus; sie können also selbst nicht vor-dtr sein. Das muß dann auch für die Gesetze gelten, von denen sich die historisierende Gebotseinleitung nicht ablösen läßt. Das ist beim Königsgesetz 17,14-20 der Fall, das ohne V. 15 in sich zusammenfallt, aber auch beim Prophetengesetz, insofern dort V. 15 als Position auf die Negativfolie von V. 10 f. und V. 14 bezogen ist, die über V. 9b an die Gebotseinleitung gebunden wird und mit ΠΠΠ D-un auf 17,14 zurückweist. (2) Propheten- und Königsgesetz sind über den ausdrücklichen Rückbezug hinaus mehrfach miteinander verbunden.72 (3) Die Liste der verbotenen mantischen und anderen Praktiken in 18,10 f. ist die umfänglichste ihrer Art im AT überhaupt. Sie kombiniert II Reg 17,17 und 21,6 und ergänzt die dort fehlenden Glieder aus II Reg 9,22 («|»3) und vielleicht aus Jes 47,9.12 («|®3 und Tan). Mit II Reg 17,17; 21,6 befindet man sich aber eindeutig in jüngeren dtr Schichten. Die beliebte Annahme, hier werde umgekehrt die Liste aus Dtn 18,10 f. benutzt und ad hoc modifiziert, stellt den traditionsgeschichtlichen Grundsatz auf den Kopf, wonach derartige Aufzählungen nicht zu verküm-

68 Norbert Lohfink, ThLZ 113, 1988, 428 (Rez. zu Rüterswörden). Der Numeruswechsel in V. 15b kann auf einen paränetischen Zusatz hinweisen (so Perlitt, Mose, 597), erklärt sich aber vielleicht einfacher als Angleichung an den Plural in V. 14a, weil mit V. 15b offensichtlich ein Kontrast zu V. 14 beabsichtigt ist (so Rüterswörden, Gemeinschaft, 85). 69 Jan Christian Gertz, Die Gerichtsorganisation Israels im deuteronomischen Gesetz, FRLANT 165, Göttingen 1994, 32 Anm. 22. 70 So zuletzt wieder Nielsen, Deuteronomium, 187, mit der Annahme, die Ankündigung in V. 18 beziehe sich jetzt allein aufjosua mit der Erfiillungsnotiz in Jos 1,17. 71 Norbert Lohfink, Kerygmata des Deuteronomistischen Geschichtswerks, in: Die Botschaft und die Boten, FS H.W.Wolff, Neukirchen-Vluyn 1981,91, und Reinhard Achenbach, Israel zwischen Verheißung und Gebot. Iiterarkritische Untersuchungen zu Deuteronomium 5-11, Frankfurt/M. 1991, 127-132, der einen dtn Ursprung annimmt. 72 Beide beginnen mit einer historisierenden Gebotseinleitung·, beide erinnern an die Ursprungsgeschichte Israels (im Exodus 17,16 / am Horeb 18,16 ff.) und argumentieren mit Schriftzitaten (Ex 14,13; Dtn 28,68 in 17,16 / Dtn 5,22 ff. in 18,16 ff.); beide stellen eine Grundsatzregelung voran (17,15 und 18,15), die dann entfaltet wird (negativ in 17,16 f./ 18,19 f. - positiv in 17,18 f./18,18); außerdem sind 17,19 mit 18,15 (-rn>) und 18,15.18 mit 17,15 ("|"ΠΧ aipa) zu vergleichen.

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mern, sondern zu wachsen pflegen.73 Außerdem ist eine Motivierung der jeweils getroffenen Auswahl nicht erkennbar. (4) Die sog. Ämtergesetze zerreißen den kontextuellen Zusammenhang von 16,18; 17,8-12* und 19,26*.l 1-12.16-19*, der eine ältere dtn Gerichtsordnung darstellt.74 Am einfachsten erklärt sich dieser Befund mit der Annahme, diese Gerichtsordnung sei sekundär zu einem »Ämtergesetz« ausgebaut worden.75 Deshalb fehlt im corpus des dtn Gesetzes auch jeder Hinweis auf König und Prophet im Unterschied zum Richter.76 Also können nicht erst V. 16 ff., sondern muß das Prophetengesetz als ganzes im literarischen Kontext des dtr Dtn verstanden werden, und zwar schon in einer jüngeren Gestalt. Das legt ohnehin die beobachtete Kenntnis nicht nur einzelner Überlieferungen aus Jer, sondern schon einer »neueren Auflage« des Jeremiabuches mit Jer 1* als Eröffnung nahe. Die Liste der für Israel verbotenen Praktiken der Völker in V. 10-11 setzt bereits die spät-dtr Referenztexte II Reg 17,17; 21,6 voraus. Außerdem binden Zitat und Formulierung von V. 16 (brtpn DT) das Prophetengesetz in ein Bezugssystem ein77, das die Kundgabe des Dekalogs auf dem Horeb akzentuiert und zu einer jüngeren dtr Bearbeitungsschicht im Dtn gehört, die den Dekalog zur Strukturierung benutzt.78 Hinzu kommt die priesterliche Tönung von V. 13 (RRRM D'NN), die auf der Linie von Gen 17,1b (vgl. 6,9) liegt.79 Welches Kolorit gibt die für Dtn 18 maßgebende dtr Schicht Mose? Die Farben werden in Dtn 5 gemischt, jener Erinnerung an die Horeb-Berit, die Israels Gottesverhältnis bleibend bestimmt. Der äußere Rahmen in V.

73 Hinzu kommt, daß sich bereits II Reg 21,3 ff. unverkennbar um eine Kumulation aller nur denkbaren Sünden auf Manasse bemühen wie für keinen König sonst; er übertrifft selbst die Erzbösewichte Jerobeam und Ahab weit. 74 Zur Rekonstruktion s. Gertz, Gerichtsorganisation, zum Gesamtmodell Lohfink, Sicherung, und Otto, Gerichtsordnung, der die zum Gericht gehörigen Ämter der Grundschicht zuordnet. 75 So schon Lohfink und Otto. 76 Nichts nötigt dazu, dieses Schweigen als damnatio memoriae zu deuten, wenn man sich die Ausrichtung des Gesetzes als Novellierung des Bundesbuches vor Augen hält (gegen Rüterswörden, Der Verfassungsentwurf des Deuteronomiums in der neueren Diskussion. Ein Überblick, in: Altes Testament. Forschung und Wirkung, FS H. Graf Reventlow, Frankfurt/M. 1994, 324 f.). Die behauptete Spannung zwischen der Rolle des Königs Josia und der Prophetin Hulda bei der dtn Reform und dem Fehlen beider »Ämter« im dtn Gesetz resultiert aus falschen Erwartungen. Der König ist in altorientalischen Rechtssammlungen ohnehin nie Gegenstand einer Gesetzgebung! 77 Dtn 5,22; 9,10; 10,4; vgl. 4,10; 31,12. 78 Eckart Otto, Theologische Ethik des Alten Testaments, ThW 3,2, Stuttgart 1994, 198, 203 ff., gegen deren Frühansetzung bei Georg Braulik, Die deuteronomischen Gesetze und der Dekalog. Studien zum Aufbau von Deuteronomium 12 - 26, SBS 145, Stuttgart 1991. 79 Doch zeigen Jos 24,24; Ps 18,24.26; 19,8; 119,1.80, welch durchaus unterschiedliche aparte Verbindungen in jener Spätzeit möglich waren.

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1/32 f.80 ruft unter Anspielung auf das Sch e majisrael (6,3) dazu auf, die dtn Gesetze (α-aawnn ηκι ü'pnn hk) zu lernen, zu halten und zu tun. V. 2-3 schärfen die bleibende Aktualität der Horeb-Berit ein. V. 4/22 rahmen den Dekalog und erinnern daran, daß Jhwh unmittelbar von Angesicht zu Angesicht mit Israel geredet hat. V. 5-21 zitieren den Dekalog als Inhalt dieser Rede. In V. 23-27* bitten die Repräsentanten Israels Mose darum, daß er als Mittler zwischen Gottes Reden und Israels Hören trete. Die Bitte erfahrt in V. 28-30 die ausdrückliche Billigung Gottes, der in V. 31 das Verhältnis Jhwh-Mose-Israel abschließend so ordnet: Jhwh redet zu Mose msnn nämlich ü'pnn und O'Batsnn; Mose soll diese Israel lehren, so daß Israel sie im Lande (!) tut. Während die unmittelbare Horeboffenbarung mit dem Dekalog abgeschlossen ist («]D* xb V. 22), stellt V. 31 alle weitere Willensoffenbarung Gottes unter die Offenbarungsmittlerschaft Moses. Die dtn Gesetze erscheinen so zwar wie der Dekalog als am Horeb gesprochenes Gotteswort, aber die hat - anders als den Dekalog - nur Mose vernommen. Der lehrt sie erst jetzt im Lande Moab unmittelbar vor der Landnahme, damit Israel sie im Lande tun kann. Jene Unterscheidung von unmittelbarer und durch Mose vermittelter Willensoffenbarung zielt auf eine Verhältnisbestimmung zwischen dem Dekalog und dem dtn Gesetz (msnn ^d), das aus Rechtsbestimmungen/Satzungen (ü'pnn) und Rechtsnormen/Entscheidungen (α-aawnn) besteht. Als aus Gottes Mund vernommen hat das, was Mose jetzt vor den Toren des Landes lehrt, nicht weniger Dignität als der Dekalog. Die Differenzen liegen nicht in der Autorität, sondern in Zeitpunkt und Ort sowie im Modus der Veröffentlichung dieser ganzen mxn.81 Sie bestimmen das dtn Gesetz als die für ein gelingendes Leben im Lande nötige konkrete Auslegung des im Dekalog vorab veröffentlichten immerdar und überall gültigen Gotteswillens. Deshalb wird es nicht lapidar verkündet ( i n 5,4), sondern von Mose gelehrt ("rnb 5,31; 6,1). Deshalb wird es nicht schon am Horeb, sondern erst jetzt für das Leben im Lande in Kraft gesetzt, wie die ausdrücklichen Hinweise auf das »Tun im Lande« an entscheidenden Punkten der Komposition zeigen (5,31; 6,1; 12,1). In dieser Konzeption ist Mose der Israel gewährte und von Gott autorisierte Lehrer des dtn Gesetzes als Auslegung des Dekalogs. Dtn 18 greift diese Konzeption ausdrücklich auf: V. 16 faßt 5,24-26 zusammen und weist auf 5,25 zurück82, und V. 17 zitiert 5,28b. Mit Bedacht werden jedoch die Passagen ausgelassen, in denen Mose als Mittler erbeten (5,27) und eingesetzt (5,31) wird; denn an dessen Stelle soll in der Zeit nach Moses Tod der »Prophet wie Mose« treten (18,18).

80 S. den Rückbezug mit ni®yi> nmati. 81 So schon Frank-Lothar Hossfeld, Der Dekalog. Seine späten Fassungen, die originale Komposition und seine Vorstufen, OBO 45, Freiburg/Schweiz 1982, 233. 82 D. E. Skweres, Die Rückverweise im Buch Deuteronomium, AnBib 79, Rom 1979, 76 f.

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Da bei »Personenvergleichen . . . durch das Pronomen ein Individuum oder eine Gruppe als exemplarisch und typenbildend für alle weiteren Exemplare gleicher Art hervorgehoben« wird83, gibt die Ankündigung dem Propheten mit der Statur des Mose die Funktion autoritativer Vermittlung des Gotteswillens. Israel steht nach Moses Tod nicht ohne lehrenden Mittier im Lande, so daß es etwa von den Völkern lernen müßte (18,9).84 Bei den in V. 10-11.14 für Israel verbotenen Praktiken85 der Völker handelt es sich um Techniken zur aktuellen Erkundung des Willens der Gottheit (Divination) und zur magischen Einwirkung auf die Wirklichkeit (Beschwörung). Sie dienen nicht so sehr der Ergründung der Zukunft, als vielmehr dazu, die rechten Entscheidungen zu treffen, um die Gegenwart zu meistern.86 An die Stelle jener Techniken tritt für Israel jener »Prophet wie Mose«. Mit ihm hat Gott schon am Horeb für die Kontinuität seines Wortes gesorgt, indem er die lehrende Vermittlung des Gesetzes selbst institutionalisiert.87 Sind die Urteile des Zentralgerichts in 17,11 am dtn Gesetz als Tora orientiert, hat der König sich laut 17,18 f. eine Abschrift der Tora, die sich in der Obhut der levitischen Priester befindet, anfertigen zu lassen, um sie zu studieren, so sichert die ätiologische Verankerung der Prophetie in der mosaischen Mittlerschaft am Horeb deren Kontinuität nach Moses Tod und jenseits des Horeb. Während die anderen Amter zur ihrer Amtsführung der Tora bedürfen, dient das Prophetenamt gleichsam der von Gott gewirkten Auslegung der Tora.88 Als Amt, das die Funktionsfähigkeit der anderen Ämter ermöglicht, wird allein das Prophetenamt solenn auf dem Horeb begründet. Seine Vertreter werden nicht nur von Jhwh erwählt (wie der König), sondern Jhwh »läßt sie erstehen«, was jede89 menschliche Mitwirkung unmöglich macht. 83 ErnstJenni, Die hebräischen Präpositionen Band 2: Die Präposition Kaph, Stuttgart 1994, 43. 84 Vgl. 18,9.15 mit 5,27 und 5,31. 85 Josef Tropper, Nekromanüe. Totenbefragung im Alten Orient und im Alten Testament, AOAT 223, Neukirchen-Vluyn 1989, 227-242. 86 Zum Vorgang s. I Sam 6,2; 28,15;Jer 27,9. 87 Dip Hi. Impf, hat iterative Bedeutung. Überdies sind die Amtergesetze nicht an Einzelpersonen, sondern an fortdauernden Institutionen orientiert. Daß 18,15.18 auf eine kontinuierliche Begleitung Israels durch die Propheten zielt, geht auch aus deren Gegensatz zu den in V. 10 f. bleibend abgewiesenen Möglichkeiten hervor. 88 Insofern geht Rüterswörden, Gemeinschaft, 110, wohl zu weit, wenn er im Anschluß an Norbert Lohfink (Gewaltenteilung: Die Ämtergesetze des Deuteronomiums als gewaltenteiliger Verfassungsentwurf und das katholische Kirchenrecht, in: ders., Unsere großen Wörter, 320 f.) dem dtr Propheten legislative Funktionen zuschreibt. Dagegen spricht auch die dtr Kanonformel 13,1, zumindest auf der Ebene von 4,2. Anderseits greift Otto zu kurz, wenn er das Prophetengesetz im Verfassungsentwurf lediglich aus der prophetischen Aufgabe erklärt, »den Gotteswillen auch in der Königseinsetzung zu verkünden« und ansonsten das »Verhältnis zwischen Prophetenwort und Tora in der Schwebe gehalten« sieht (Gerichtsordnung, 154). 89 Das gilt auch für die Zustimmung des Betroffenen, worauf Braulik, Gesetze, 58, hinweist.

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Die »Prophetie wie Mose« verhält sich zum Gesetz ungefähr so wie das Dtn als Predigt Moses zum Dekalog. Wie Mose steht der Prophet an Gottes Statt. Sein Wort ist Gottes Wort; denn Gott selbst legt seine Worte in des Propheten Mund und gebietet, was der Prophet reden soll, so daß er »im NamenJhwhs redet« (18,19-20). Das impliziert ein Verständnis des Propheten als Boten.90 Wie Mose ist allein der Prophet gottunmittelbar und deshalb der einzige legitime Künder des aktuellen Gotteswillens. Die Propheten, die Dtn 18 in den Schatten Moses stellt, haben die Tora im Kopfe und im Herzen, gleichwohl sind es Propheten. Was sie im Namen Jhwhs reden, fordert Gehorsam (18,18), dessen Ausbleiben Gott ahndet. Gehorsam heischende Rede aber kann nicht schlichtweg Unheil androhen. Sie muß vielmehr Weisungen geben oder mahnen oder wenigstens konditional gemeint sein. Denn sie droht nur, um ihrer Paränese Nachdruck zu verleihen, damit nicht geschehen muß, was sie androht. Nicht Kunde vom kommenden Ende, sondern Warnung vor dem Ungehorsam oder Ruf zur Umkehr sind deren Hauptinhalt. Das erste findet sich schon beim großen Vorbild Mose in Dtn 8,19 f., und noch sein letztes Wort 32,46 gilt der Vermahnung; Josua ist ihm darin gefolgt (Jos 2391) wie jener prophetische Anonymus vonjdc 6,7-1092 und schließlich Samuel (I Sam 7,3-493; 8,994). Der Ruf zur Umkehr aber wird erst imjeremiabuch laut.95 In der dtr Darstellung der Geschichte von David bis zu Zedeqia sucht man dagegen Beispiele für die in Dtn 18 angekündigte Reihe der Propheten vergeblich. Zwar weiß man auch dort von Propheten zu berichten, doch ähneln diese eher ihren klassischen Kollegen aus dem corpus propheticum.96 Erst der jüngste Teil der Geschichtsreflexion in II Reg 17 deutet rückblickend die gesamte Geschichte Israels (und Judas!) in V. 12-20 als eine unablässige, wenn auch erfolglose

90 Vgl. I Sam 25,9 (Davids Leute reden »in Davids Namen«) mit I Reg 22,16 und den Stellen injer, die das »Reden im Namen Jhwhs« mit der Sendung verbinden (negativ: Jer 14,14 f.; 23,25.32; 27,15; 29,9; positiv: 26,15 f.). 91 Die Abschiedsrede Josuas gebraucht zwar nicht Hi., ist aber in der Sache eine einzige Mahnrede, die die Buch gewordene Tora in ihrer Totalität (V. 6), mit Elementen der Alternativpredigt (dazu Thiel, Redaktion I, 290 ff.) einschärft. 92 Hier finden sich die Topoi Prophetensendung, Erinnerung ans Hauptgebot und Feststellung des Ungehorsams. 93 Der dtr Einsatz präsentiert Samuel als Prediger der Umkehr (allerdings mrt" ^x 21® wie I Reg 8,33 f.), die am Hauptgebot festgemacht wird (vgl. Jos 24,14.23) und Bedingung für Rettung ist. Die Abschiedsrede I Sam 12 argumentiert in V. 14 f. im Stile der Alternativpredigt, und in V. 23 erscheint Samuel geradezu als Lehrer des guten und rechten Weges, also der Tora, die in V. 24 auf das Hauptgebot konzentriert wird. 94 Der Rahmen des Königsrechts I Sam 8,6-22 berührt sich am engsten mit II Reg 17,12-20: TJ> Hi. V.9; Verweigerung des Gehorsams V.19; οχη V. 7; n j l V. 8. 95 Jer 18,11; 25,5 ff.; 26,2 f.; 35,15; 36,2 f.; vgl. 11,1-10. 96 Auch sie künden unbedingten Untergang, allerdings keinen totalen und lediglich auf die jeweilige Dynastie bezogen: I Reg 14,7-11; 16,1-4; 21,20-24; II Reg 9,7-10.

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Matthias Köckert

Arbeit Gottes an seinem Volk durch die nicht abreißende Kette seiner Knechte, der Propheten, in der successio Mosaica. Hier sind die Propheten nichts anderes als Warner (ny) und Umkehrprediger (m®) mit dem Buch97 der Tora in der Hand. Weil die Propheten in dieser Konzeption Moses Werk nach dessen Tod fortsetzen, verwundert es nicht, daß sich die 0 Ί Π sowohl auf das Prophetenwort als auch auf die Gesetze beziehen können 98 und daß ms für die Übermittlung des Gotteswortes an den Propheten wie für die Gesetzespromulgation verwendet wird. 99 Gesetz und die Propheten in den Fußstapfen Moses sind endgültig die entscheidenden Größen geworden, an denen Israels Existenz hängt; und es ist das Gesetz, das dieser Prophetie ihre Autorität verleiht. Israel hat sich als Gemeinde um das von Mose im Lande Moab vermittelte Gesetz konstituiert, und Gott ist fortan gegenwärtig im Wort des »Propheten wie Mose«, der als Wächter der Tora100 dessen Auftrag übernommen hat.

97 »Die ganze Tora« bezieht sich in den wenigen Belegen Jos 1,7 f.; II Reg 17,13; 21,8; 23,25 auf das dtn Gesetz, das bereits schriftlich vorliegt. In Jos 1,7 f. befindet sich »die ganze Tora« in »dem Buch der Tora«. Das Attribut definiert sie als relativ abgeschlossene Größe mit quasikanonischer Qualität. 98 S. für das Gesetz: Dtn 1,18; 6,6; 11,18; 12,28 und für das Prophetenwort:Jer 1,9; 5,14; 11,10; 13,10; 18,2; 19,15; 23,22.30; 25,8.13; 29,19; 35,13; 39,16; 44,29. 99 Für die Prophetenbeauftragung s. II Sam 24,19; I Reg 13,9;Jer 1,7.17; 14,14; 23,32; 26,2.8; 29,23. 100 Perlitt, Mose, 599.

REINHARD G . KRATZ

Der literarische Ort des Deuteronomiums Im Kanon des Alten Testaments bildet das Deuteronomium den Abschluß des Pentateuchs, des Kanonteils Tora. Gleichzeitig exponiert es die historischen und theologischen (legislativen) Voraussetzungen all dessen, was in den historischen Büchern Jos-Ii Reg, den vorderen Propheten, folgt. Im Erzählzusammenhang nimmt es eine retardierende Funktion wahr, indem es die \brgeschichte, Geschichte und Gesetz, mit Blick auf die kommende Geschichte rekapituliert. Die Forschung geht seit de Wette einhellig von der ursprünglichen Selbständigkeit des Dtn aus. Folglich muß es »zwischeneingetreten« sein. Nur ist unklar, wo es zuerst hingehört, ob an das Ende von Gen-Num, an den Anfang von Jos-Ii Reg oder dazwischen. Die Frage berührt das Problem der Abgrenzung von Tetrateuch, Pentateuch, Hexateuch und Enneateuch.1 Die ältere Forschung rechnete bekanntlich mit einem hexateuchischen Zusammenhang, in den das Dtn vor, mit oder nach der Verbindung der Quellen J E und Ρ eingesetzt wurde, bevor die historischen Bücher Jdc und Sam-Reg angeschlossen wurden. In der neueren Forschung hat sich Noth durchgesetzt mit seiner Hypothese eines von Dtn 1 bis II Reg 25 reichenden deuteronomistischen Geschichtswerkes DtrG, das sekundär mit dem vor- oder nachpriesterschrifdichen Tetrateuch zum Enneateuch verbunden und zuletzt in die beiden Kanonteile Tora (Pentateuch) und vordere Propheten (Jos-Ii Reg) aufgeteilt wurde. Um die Frage zu entscheiden, kann man von der literarischen Analyse des Dtn nicht absehen. Im folgenden seien dazu einige Gesichtspunkte zusammengestellt. Nicht wenige verdanken sich Studien und Kommentar von Lothar Perlitt, andere kann er vielleicht noch brauchen.

1 Dazu A. Greame Auld, Joshua, Moses and the Land. Tetrateuch - Pentateuch - Hexateuch in a Generation since 1938, Edinburgh 1980. Mit den Chiffren bezeichne ich im folgenden immer nur die Reichweite des literarischen Zusammenhangs, nicht die genaue Zahl der Bücher.

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/. Ab Dtn 31 geht es für Mose Eins Sterben. In 31,1-2a weiß Mose selber, daß seine Zeit gekommen ist, und beruft darum in 31,7 f. Josua zu seinem Nachfolger. 31,2b fügt hinzu, daß er es von Jhwh weiß, der ihm schon vorher in der Wüste (Num 20,12; Dtn 1,37; 4,21 f.) und nach der Ankunft im Ostjordanland (Num 27,12-14; Dtn 3,23-27) sein Schicksal, das Land nicht betreten zu dürfen, mitgeteilt, gemäß Dtn 3,23-27 auch eine entsprechende Bitte abgeschlagen und wiederholt die Berufungjosuas angeordnet hat (Dtn 1,38 sowie Num 27,15-23; Dtn 3,21 f.28). In 31,14 f.23 wird Mose ein weiteres Mal von Jhwh über seinen bevorstehenden Tod in Kenntnis gesetzt und darüber, was nun zu tun sei, und er tut es und bestellt Josua ins Zelt der Begegnung. Ein letztes Mal bekommt Mose in 32,48-52 den Tod angesagt und wird von Jhwh wie in Num 27,12 f. auf das Gebirge Abarim geschickt, um das gelobte Land zu besehen, das er nicht betreten darf. In Dtn 34 ist es soweit: Mose steigt auf den Berg, stirbt und wird begraben, und Josua rückt an seine Stelle. Daß diese Texte alle irgendwie zusammenhängen, ist klar.2 Sie nehmen das Ende Moses und des Pentateuchs in den Blick und leiten über zu Person und Buch Josua in Jos 1. Doch die Texte liegen nicht alle auf einer Ebene.3 Die engste Verbindung besteht zwischen Dtn 31,1 f.7 f.4 und Jos 1,5 f.: Mose beruft Josua und spricht ihm Mut zu, Jhwh wiederholt den Zuspruch. Dazwischen liegt Moses Tod in Dtn 34/Jos 1,1 f. Alles weitere in Dtn 31-34 ist nachträglich eingeschoben: Das Moselied 32,1-43 mit Ein- und Ausleitung in 31,16-22.(27b-)30; 32,44(-47) unterbricht die Weihe Josuas in 31,14 f.23, der Mosesegen in Dtn 33 den Zusammenhang von Ankündigung und Eintritt des Todes in 32,48-52 und Dtn 34; die Weihe Josuas in 31,14 f.23 (mit Wiederaufnahme von V. 7 f.) unterbricht ihrerseits die Aufzeichung des Gesetzes in 31,9-13.24-26a (32,46 f.), diese wiederum den Zusammenhang von ersterJosuaberufung in 31,1 f.7 f. und Moses Tod in 32,48-52 und Dtn 34/Jos 1,1 f.; zwischen 31,1 f.7 f. und Jos 1 sind schließlich 32,48-52 und das meiste in Kap. 345 sekundär. Daraus ergibt sich folgende relative Chronologie: Ausgehend vom Tod des Mose in 34,1-6, von dem alles Übrige abhängt, erfolgte 2 Vgl. Norbert Lohfink, Studien zum Deuteronomium und zur Deuteronomistischen Literatur I, SBAB 8, Stuttgart 1990, 83-97. 3 Vgl. Martin Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien, Darmstadt 2 1957 (= ÜSt), 39f.190f.213; zur Sortierung der Texte auch Felix Garcia Lopez, Deuteronomio 31, el Pentateuco y la Historia Deuteronomista, in: M. Vervenne / J. Lust (Hg.), Deuteronomy and Deuteronomistic Literature, FS C.H.W. Brekelmans, BEThL 133, Leuven 1997, 71-85. 4 V. 3 - 6 sind Zusätze. 5 V. 5(ab lay).7-8.9.10-12. Auch der Aufstieg des Mose zur Besichtigung des Landes in V. 1-4 (mit Zusätzen in V. lbß-3.4) ist gegenüber der einfachen Todesnachricht in V. 5 f. vermutlich sekundär. Zur Erzvätertypologie s. u. Anm. 54, zum Grundtext Anm. 73.

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zuerst die Verklammerung mit Jos in Dtn 31,1 f.7f. und Jos 1,1—6, anschließend - nach der Niederschrift des Gesetzes in Dtn 31,9-13.24 ff. - die göttliche Bestätigung Josuas in 31,14 f.23 und schließlich - nach den Unterbrechungen in Dtn 31 - die Wiederaufnahme von Num 27,12 ff. in 32,48-52 vor Dtn 34; Moselied und Mosesegen fallen ganz heraus. Von den drei Versionen der Schlußszene werden für gewöhnlich Dtn 31,1 f.7 f.; 34,1-6 zusammen mit 1,37 f.; 3,21-28; 4,21 f. dem Deuteronomisten (Dtr), 34,7 f. mit Num 20,12; 27,12 ff.; Dtn 32,48-52 der Priesterschrift (P) zugeschrieben. Doch ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Für Num 27,15-23 und Dtn 32,48-52 hat Noth6 kombiniert, für Dtn 32,48 ff. und 34,7f.(9.10-12) Perlitt7 den Nachweis erbracht, daß es sich um Zufügungen handelt, die jenseits von Dtr und Ρ liegen. Und auch für Dtn 31,14 f.23 beginnt sich die richtige Auffassung durchzusetzen, daß man es nicht mit dem Fragment einer alten Qpelle, sondern mit einer literarischen Ergänzung zu tun hat, die Deuteronomistisches und Priesterschriftliches in sich vereint.8 Für welche der anderen Stellen, die auf den Tod des Mose in Dtn 34,1-6 und die Beauftragung Josuas in Dtn 31,1 f. 7 f. (Jos 1) zielen, das noch gilt, sei dahingestellt.9 Der literarische Horizont solcher Mischtexte ist weder DtrG noch P, sondern der werdende Pentateuch, dessen Ende mit Dtn 32,48-52 und 34,1-12 erreicht ist. Darauf führen die sachlichen und literarischen Querbeziehungen und die literarhistorische Stratigraphie dieser Texte, die den Zusammenschluß von Ρ undJE 10 und die Inkorporation des Dtn in den Pentateuch voraussetzen. Schon in Num 27,12-23 kündigt sich das Ende an. Der Erzählfaden wird angehalten, alles, was folgt, soll sich von nun an in der von Num 27,12 ff. ins 6 Noth, ÜSt, 190 f.215; ders., Das vierte Buch Mose. Numeri, ATD 7, Göttingen 4 1982, 185; vgl. auch Siegfried Mittmann, Deuteronomium 1,1-6,3 literarkritisch und traditionsgeschichtlich untersucht, BZAW 139, Berlin 1975, 110-112. 7 Lothar Perlitt, Deuteronomium-Studien, FAT 8, Tübingen 1994, 123-143, bes. 133-141. 8 Vgl. Martin Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Darmstadt 1948 (ÜP), 35 Anm. 125; Mittmann, Deuteronomium, 113 Anm. 37; Erhard Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, Berlin 1990,85 ff., der die Reminiszenzen an Ρ allerdings bestreitet (a. a. O. 86). 9 Dtn 1,37 f. und 3,21 f. sind längst als Zusätze erkannt (Carl Steuemagel, HK 1/3.1, Göttingen 2 1923, z.St.), 4,21 f. setzten 1,37 f. voraus; die Einordnung entscheidet sich hier wie im Falle von 3,23-28 an der Beurteilung von Dtn 1-3 im ganzen (s.u. II-III). Auch Num 27,12-14 sind nicht über jeden Zweifel erhaben: Mittmann, Deuteronomium, 107 f.110 hält V. 13b.l4 (ab »auch du« in V. 13a) für einen Zusatz; Perlitt, Dtn-Studien, 132 rechnet V. 12-13a nur noch »allenfalls« zu P; Thomas Pola, Die ursprüngliche Priesterschrift, WMANT 70, Neukirchen-Vluyn 1995,95-97.98 spricht diesen wie alle anderen Num-Texte P° ab; Erik Aurelius, Der Fürbitter Israels, CB.OT 27, Lund 1988, 187 f. rückt ihn sachlich in die Nahe von Dtr. Die Sprache ist allerdings die von Ρ (vgl. Gen 25,8.17; 35,29; 49,29.33 sowie Num 20,24.26). 10 Mit JE bezeichne ich, wie üblich, den vor- bzw. nichtpriesterschriftlichen Text des Tetrateuchs, der Einfachheit halber ohne Unterscheidung von Gen und Ex-Num.

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Auge gefaßten Situation abspielen. Zusammen mit der erneuten Bestandsaufnahme des Volkes (Num 26) leiten der Blick aufs Land, die Ankündigung des Todes und die Installation des Nachfolgers in Num 27,12 ff. die letzte große Etappe der Gesetzgebung nach der Offenbarung auf bzw. an dem Sinai (Ex 19-Lev) und in der Wüste (Num 1-19) ein, die in den Gefilden Moabs stattfindet - weitere Gesetze (Num 28-30) und in der Hauptsache Anweisungen zur Landnahme und Landverteilung sowie die Promulgation der Gesetze für das Leben im Land enthält (Num 28-36 4- Dtn).11 Mit dem Tod des Mose ist diese dritte Epoche der Gesetzgebung vor dem Eintritt ins Land abgeschlossen. Die Wiederaufnahme von Num 27,12-23 in Dtn 32,48-52 und 34,9 bekräftigt die Zäsur, verlegt aber den Epocheneinschnitt vom Anfang ans Ende der Epoche. Mit Bedacht beschränkt sich die Wiederholung auf den noch nicht eingetretenen Tod des Mose. Die Installation Josuas gilt nach Num 27,15-23 als vollzogen und wird in Dtn 31,3b.7 f. von Mose, in 31,14 f.23 von Jhwh nur noch einmal bestätigt, in Dtn 3,21 f.; 34,9 ist sie vorausgesetzt. Die Wiederaufnahme soll also nicht einfach Koinzidenz herstellen, sondern führt die Erzählung weiter und ist als zweite, definitive Aufforderung nach Num 27,12 ff. und der Gesetzgebung in Moab gedacht, wozu die Rückblicke auf eine frühere Anweisung in Dtn 1,37 f.; 3,23-28; 4,21 f.; 31,2b das Ihre beitragen. Damit setzt die Ankündigung aus Num 27,12-14 in Dtn 32,48 ff. unmittelbar vor ihrer Ausführung den Schlußpunkt hinter die drei Epochen der Gesetzgebung (Sinai, Wüste, Moab), die von Jos 1 an in Kraft treten soll. Der Tod des Mose in Dtn 34 markiert auf dieser Stufe den Abschluß des Pentateuchs als Tora. Als solche steht der Pentateuch auf sich und kann im weiteren als »Tora/Buch des Mose« zitiert bzw. unter dieser - ursprünglich auf das Dtn bezogenen - Bezeichnung subsumiert werden. Darum auch die immense Auffüllung der Gesetzgebung in sämtlichen Teilen und die Vorwegnahmen von Themen der folgenden historischen Bücher im Pentateuch. In der Tora soll alles im voraus gesagt sein und darf nichts fehlen, was für Landnahme, Landverteilung und das Leben im Land wichtig ist. Gerade die Vorwegnahmen, ζ. B. die Bestellung Josuas zum Nachfolger Moses, zeigen aber auch, daß die Abtrennung des Pentateuchs nicht die völlige Verselbständigung eines Literaturwerkes bedeutet. Auch und gerade der Abschluß des Pentateuchs als Tora des Mose sucht den erzählerischen und theologischen Au-

l l Vgl. Julius Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 3 1899 (= 4 1963), 181 Anm. 1, zur Stellung von Num 27,12 ff. a. a. O. 112 f.; Blum, Studien, 227. Num 2 5 - 3 6 besteht überwiegend aus späten Auffüllungen, die sich zwischen die Ankunft in Moab (Num 22,1; 25,1) und Moses Abschiedsrede (Dtn 1-30) vor seinem Tod (Dtn 3 1 - 3 4 mit oder ohne Fortsetzung in Jos-Ii Reg) geschoben haben. Vgl. Noth, ÜSt, 192-203.217; ders., ÜP, 8.16; Auld, Joshua, 72-83. Num 27,12 ff. dient sowohl für die Landverteilung als auch für die Abschiedsrede als Scharnier.

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schluß an das Folgende, an die historischen Bücher in den vorderen Propheten, wie auch umgekehrt die historischen Bücher Bearbeitungen und Angleichungen im Sinne des (priesterschriftlich-deuteronomistischen) Pentateuchs erfahren haben.12 Im Sinne der Tora erzählen die historischen Bücher, was aus ihren \brgaben wurde, und zugleich lassen sie auf das hoffen, was daraus noch werden kann. Daß und wie der fertige Pentateuch als Tora sowohl für sich als auch im Erzählzusammenhang von Tora und vorderen (und hinteren) Propheten gelesen werden konnte und gelesen wurde, belegen die Nachschriften, etwa Ps 106, Neh 9, das chronistische Geschichtswerk, der Väterhymnus Sir 44-49 (mit Zäsur in 46,1!) u. a. m.

II Verbindungen nach beiden Seiten, Num und Jos, weist auch der vordere historische Rahmen Dtn 1-3 13 auf. Die literarischen Beziehungen sind nicht einlinig, sondern wechselseitig.14 Das bedeutet, daß sowohl in Dtn 1-3 als auch zwischen und in den Bezugstexten literarkritisch differenziert werden muß. Legt man in Dtn 1-3 die vom Text an die Hand gegebenen Kriterien an15, kommt man ungefähr auf folgenden Grandbestand: Uberschrift 1,1*, Abmarsch vom Horeb zum Gebirge der Amoriter l,6-7a (bis »Amoriter«).19a.20 (darin eingeschoben: Einsetzung von Helfern V. 9-18), Kundschafter l,22aba.23-24a. 25-27.34-35aab.(36.37f.)39(ab »und eure Söhne«).40.41-4516, Umgehung des Gebirges Seir nach der Wüste Moab 2,1-3.8b (darin eingeschoben: Durchzug durch Edom V. 4a.5-6.8a), Uberschreitung des Arnon V. 9aa'.24aa (darin eingeschoben: Durchzug durch Moab und Ammon und Tod der Wüstengeneration V. 13-1917), Sihon und 12 Vgl. Blum, Studien, 109-111 sowie 224 ff. 13 Von Dtn 4 sehe ich ganz ab. Zur Begründung vgl. August Dillmann, Die Bücher Numeri, Deuteronomium undjosua, KEH 13, Leipzig 2 1886, 228. 14 Vgl. Blum, Studien, 177 ff. 15 Sg.-Anrede, archäologische Glossen u.s.w. Vgl. Kommentare seit Steuernagel; Gustav Hölscher, Komposition und Ursprung des Deuteronomiums, ZAW 40, 1922, 161-255, hier 163 f. Anm. 1. Weiterführende Gesichtspunkte bei Mittmann, Deuteronomium; Timo Veijola, Principal Observations on the Basic Story in Deuteronomy 1-3, in: M. Augustin / K.-D. Schunck (Hg.), »Wünschet Jerusalem Frieden«, BEAT 13, Frankfurt u.a. 1988, 249-259, hier 252 und 259 Anm. 46; Lothar Perlitt, BK V / l - 3 , 1990-1995. Zum Methodenstreit vgl. Perlitt, Dtn-Studien, 109-122. 16 2,1 schließt nahtlos an 1,40 an. Die V. 41-45 gehören hier ebenso viel oder wenig dazu wie in Num 14,40-45. 17 Die - ihrerseits entbehrliche - pluralische Itinerarnotiz in V. 9aa'.24aa wurde einerseits in V. 13-17 verdoppelt und um die Chronologie ergänzt, andererseits in V. 9.18 f. im Sg. an die Edomszene angeglichen, schließlich mit den antiquarischen Glossen V. 10-12.20-23 aufgefüllt. Die Schonung Moabs und Ammons erklärt sich aus dem Vorbau der Vätergeschichte.

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Og 2,26-28.29ba 18 .30a.31.32-35.36 19 ; 3,l-7*.8.10a und im Anschluß daran die Verteilung des Ostjordanlandes 3,12-13a, Gebet Moses und Antwort Gottes 3,23-28, endgültiger Lagerplatz 3,29. Man könnte meinen, die historische Einleitung sei schon in 2,8b an ihrem Ziel, dem Ort der Verkündigung des Gesetzes Dtn 5 ff., angelangt.20 Doch das Gesetz müßte dann im Laufen mitgeteilt worden sein, denn Israel befindet sich in 2,8b noch »auf dem Weg nach der Wüste Moab«, erst in 3,29 läßt es sich nieder. Näher liegt übrigens der direkte Anschluß vom Marsch ins Gebirge der Amoriter in l,6.7a.l9a.20 zur Schlacht mit Sihon und Og, den Königen der Amoriter, in 2,26-3,11.21 Die Kundschaftergeschichte in 1,22 ff. mit geographischer Uberleitung in 2,l-3.8b.(9-24), die die von der Überlieferung vorgegebene Landnahme von Osten (und das »um euretwillen« in 3,26) mit Rückgriff auf Num 13 f. theologisch und nicht, wie in Num 20,14 ff., historisch motiviert22 und die Amoriterfeldzüge zur exemplarischen Antithese stilisiert, wäre dann nachgetragen.23 So wird man, ob mit oder ohne Kundschafter, auf alle Fälle die ostjordanische Landnahme und den Abschluß in Dtn 2 f. bis und mit der letzten Station 3,29 (vgl. 34,6) zum ursprünglichen Text zählen müssen.24 Dasselbe läßt sich von der Edomepisode 2,4-8a nicht behaupten25, die, ebenso wie 1,9-18, den sprachlichen und geographischen Zusammenhang zerreißt. Das durch immanente Kritik gewonnene Ergebnis deckt sich in etwa mit den literarischen Verhältnissen im Numeribuch, wo sämtliche Episoden, mit Ausnahme der nicht zurückgetragenen Uberschüsse (2,9-24, anders 3,1 ff./ 18 Merkwürdig ist die Tatsache, daß der Doppelgänger in 3,1-11 den aus Num 20,14.17; 21,21 f. gespeisten Vorspann nicht übernimmt. Du und Ich in 2,26-29 gehen wie in 2,17 ff. (anders V. 4-8) der Natur nach nicht auf Mose (Perlitt, BK V, 203), sondern auf Israel (Wellhausen, Composition, 198). 19 Die Gebietsangaben hier und in 3,8.10a dürften an beiden Stellen nachgetragen sein. Die Parallele in Num 21 hat sie nicht, dafür das Spottlied über Hesbon. 20 So Mittmann, Deuteronomium, 165 f. für das selbständige Dtn. 21 Die Lokalisierung der Amoriter im Süden ergibt sich erst aus den nachgetragenen Ortsnamen in 1,7.19b und der Kundschaftergeschichte 1,22 ff. Sie stehen für die Amalekiter von Num 14,41-45, vgl. Num 13,29. 22 Im - kaum ursprünglichen - Zusammenhang begründet Num 13 f. (mit 14,25) vorgreifend den in 20,14 ff. wie selbstverständlich eingeschlagenen Weg nach Edom, Num 20,14 ff. die Umgehung Edoms (vgl. Noth, ATD 7, 132 f.). Dtn 2,1-3 faßt nach 1,22-45 beide Stationen zusammen, darum die Abänderung von Num 20,14 ff. in einen Durchzug durch das östliche Edom in Dtn 2,4-8. 23 Dies erklärte den zuletzt von Perlitt, BK V, 89 notierten Unterschied zu Dtn 2 f., »wo das historisch-geographische Material stärker im Vordergrund steht und sich in geringerem Maße zur Theologisierung anbietet.« Untheologisch sind Dtn 2 f. keineswegs (vgl. nur 3,23 ff.), doch heben sich davon die nach und nach angewachsenen »theologischen Vertiefungen« (a. a. O. 91 zu 1,28-33) deutlich ab. 24 So mit Veijola, Observations, 252.255. 25 So Perlitt, BK V, 145 ff.

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Num 21,33-35), eine Parallele haben (Num 11; 13 f.; 20,14-21; 21,21-35; 27,12-23; 32; Itinerar als Überbrückung Num 21,10-20/Dtn 2,9-24). Es handelt sich fast durchweg um Texte, die man im allgemeinen zum vorpriesterschriftlichen Kern von Num rechnet, nicht zuletzt aufgrund von Dtn 1-3, das »geradezu als Leitfaden zur Ermittlung von JE« 26 diente. Grundsätzlich liegt die literarische Abhängigkeit auf Seiten des Dtn. Nur muß man die Schichtung in Dtn 1-3 beachten und die Texte in Num und deren eigene Literargeschichte dazu ins Verhältnis setzen und außerdem in Rechnung stellen, daß die E r fasser vielleicht nur eine Auswahl treffen wollten, wofür die nachträgliche Aufnahme von Num-Vorlagen und die Auslassung der Bileamperikope Num 22-24 sprechen. Allzuviel darf man auf die Parallelität also nicht geben. Unter diesem \brbehalt zeichnet sich als Vorlage für Dtn 1-3 in Num ein Textzusammenhang zwischen Sinai und Moab ab, der sich, von den Einzelheiten und den in diesem Bereich ganz fraglichen Quellenzuweisungen einmal abgesehen, etwa folgendermaßen umreißen läßt: Das Gerüst bildet das Itinerar vom Sinai (Num 10,12a bzw. 10,33a) über Kadesch (20,laßb) nach Moab (Num 21,10-20 bzw. 22,1; 25,1a). In dieses Gerüst wurden nach und nach die Begebenheiten zwischen Kadesch und Moab eingebaut: die beiden für den Kontext gebildeten, voneinander abhängigen27 Varianten Num 20,14-21 und 21,21-32, die einmal einen unmittelbaren, später durch das Stationenverzeichnis 21,10-20 überbrückten Zusammenhang bildeten, zwischen 20,laßb und 22,1; irgendwann auch die ältere, von Dtn 1-3 ignorierte Überlieferung Num 22-24 zwischen 22,1 und 25,1a, von wo die westjordanische Landnahme in Jos 2,1; 3,1 ihren Ausgang nimmt. Es ist schon merkwürdig, daß Dtn 2-3, auch die Einfügung und Umdeutung28 der Edom-Szene 2,4-8a mit überleitendem Itinerar und weiteren Ergänzungen in 2,9-24, nur auf die beiden letzten Episoden vor der Ankunft in Moab Bezug nehmen, nicht aber auf Bileam (vgl. Dtn 23,5 f.; Jos 13,22; 24,9 f.). Weiter vorausgesetzt ist in 3,23 ff. eine Ankündigung, daß Mose das Land nicht betreten darf, wofür als Referenz nur Num 27,12 ff., des näheren V. 12.13a, in Frage kommt.29 26 Wellhausen, Composition, 197. 27 Vgl. Mittmann, Deuteronomium, 74 f. einserseits, Christoph Levin, Derjahwist, FRLANT 157, Göttingen 1993, 380 andererseits. Über die Richtung der Abhängigkeit entscheidet nicht nur der Textvergleich, sondern auch der Kontext. Wäre Num 21,21 ff. primär, müßte dem das Itinerar 21,10-20 vorangegangen sein, das Israel von Kadesch (20,1) ins Ostjordanland führt. Doch das Verzeichnis führt zu weit (Wellhausen, Composition, 108) und ist ein spätes Konglomerat (Noth, ATD 7, z.St.). Auch 21,4 kommt als Übergang nicht in Frage, denn hier ist bereits der Abstecher zum Berg Hör 20,22-29 (und nach Horma in 21,1-3; vgl. 14,40-45) vorausgesetzt. Anders die Episode 20,14-21, die nahtlos an 20,laßb anschließt und nach der unbestimmten Angabe 20,21 ursprünglich durch 22,1, später durch 21,21 ff. weitergeführt wird. 28 Vgl. Anm. 22. Es gehen zusammen Num 20,14 ff. und Dtn 2,1-3 (Umwanderung Edoms), Num 21,10 ff. und Dtn 2,4-8.9 ff. (Durchquerung der ostjordanischen Staaten). 29 Im vorliegenden Kontext mag in Dtn 3,23 ff. (bes. V. 26aa) an den früheren Bescheid in

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Bezüge zu Num 32 f. (Jos 1,12 ff.) finden sich in den Nachträgen von Dtn 3 (V. 14-20), während sich der ältere, gegenüber Num 27,21 ff./Dtn 2,26 ff. überschüssige Text (2,36; 3,1 ff.l2-13a) in der Hauptsache mit Jos 12 f. berührt.30 Und schließlich muß als Vorlage für Dtn 1 f. die Kundschaftergeschichte Num 13-14 zwischen Num 10 und 20,1 gestanden haben31, für die ein Abstecher in die Wüste Paran gemacht wird (10,12b/12,16)32, bevor man nach Kadesch gelangt. Früher oder später wurde mit der Einfügung von 20,laa.2-13 Kadesch (V. 1.14 f.) in die Wüste Zin verlegt. Eine Glosse in Num 13,26 versuchte Ordnung zu schaffen und brachte damit alles durcheinander. Aber auch andere sehen Israel von Num 13 an bis zum Aufbruch in 20,22 in Kadesch lagern oder dorthin zurückkehren, nur nennen sie, mit Ausnahme von Dtn 1,1, nicht die Wüste Paran (Num 32,8; 33,36 f.; 34,4; Dtn 1,2.19.46; 2,14; 9,23; Jos 14,6 f.). Wie so oft beruht auf den jüngsten Belegen die Spekulation über das vorstaatliche Israel, die sog. Kadesch-Hypothese. Dtn 1-3 im vollen Umfang nimmt Anfang (Num 13 f., in einem Nachtrag Num 11/Ex 18) und Ende (Num 20 f.; 27,12 f.) dieser so rekonstruierten Darstellung der Wüstenzeit zwischen Sinai und Moab auf. Rechnet man mit Vorstufen in Dtn 1-3, dann wäre zuerst entweder nur der Anfang (Num 13 f. + 20,14-20 in Dtn 1,6-2,8b) oder nur das Ende (Num 21,21 ff. + 27,12 f. in Dtn 1,6 f.19 f. + 2,26-3,29) reproduziert. So oder so lebt Dtn 1-3 schon im Grundbestand von literarischen Anleihen aus dem Numerischluß und weist mit der ostjordanischen Landnahme in Dtn 2 f. und der Einfiihrungjosuas in Dtn 3,28 zugleich voraus auf die bevorstehende westjordanische Landnahme in Jos. Der Befund ist bekannt, doch wie ist er zu deuten? Wellhausen33 schreibt: »Die letztere Operation (sc. Einsetzung des Dtn in den Hexateuch) ist nur nach hinten durch äusserlich hervortretende Bindemittel

1,37 (davon abhängig 4,21 f.) gedacht sein, doch ist der literarisch jünger. Das »in jener Zeit« von 3,21 weist eindeutig in die Zeit der ostjordanischen Landnahme Dtn 2-3, d. h. exakt in die Zeit von Num 20,14 ff.; 21,21 ff.; 22,1/25,1 + 27,12 ff. Die Ortsangaben von Num 22,1; 25,1a; 27,12 (und wieder Jos 2,1; 3,1) werden in Dtn 3,27.29 an 34,1.6 angeglichen. Der Bezug ist auch ohne Num 27,13b—14.15 ff. gegeben: Das »um euretwillen« in 3,26 bezieht sich auf die Kundschaftergeschichte und ist ein - an passender Stelle bei der Nachfolgeregelung angebrachter - erster Versuch, den Ausschluß Moses von der Landnahme zu begründen. 1,37 f. trägt dies in die Situation selbst ein, Num 20,12.24; 27,14; Dtn 32,50 f. machen an höchst unpassender Stelle Mose (und Aaron) selbst dafür verantwortlich. Die Nachfolgeregelung Dtn 3,28 trägt 31,7/Jos 1,6 in die Situation von Num 27,12 f. ein; bei der Auffüllung durch Num 32 ff. wird dies der Anhalt für die Ergänzung von Num 27,15-23 gewesen sein. 30 Vgl. Noth, ÜSt, 36 f.44 ff.; Mittmann, Deuteronomium, 88ff.l04ff. 31 Es fehlten noch Num 15 und 18 f., vermutlich auch Num 16 f. 32 Num 13 f. ist ein Einschub. Die Wegegeschichten in 20,14 ff.; 21,21 ff. sowie 22-24 setzen ihn und Num 20,laa.2-13 nicht voraus. Die Wiederaufnahme in 12,16 läßt vermuten, daß die weiteren Abstecher in Num 11 f. (11,3.35) noch später eingeschoben wurden. 33 Composition, 193.

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(Kap. 31) erfolgt, nach vorn sind solche nicht sichtbar. Denn Kap. 1-4 hat offenbar nicht den Zweck, an die vorhergehende Erzählung anzuknüpfen, vielmehr sie ausführlich zu recapituliren, d. h. zu ersetzen.« Dieses »offenbar« ist die später kaum mehr hinterfragte \braussetzung für Noths Hypothese, daß Dtn 1-3 der Anfang des DtrG sei.34 Doch die zurückliegende Geschichte, die Wüstenzeit von Num 11-27 im historischen Rahmen Dtn 1-3, der Sinaiaufenthalt ab Ex 19 in Dtn 4 f., wird ja nicht nur wiederholt, sondern - und das in der historisch falschen Reihenfolge - ausdrücklich und durchgehend als Erinnerung an Früheres dargeboten. Die historische Situation des Rückblicks knüpft exakt dort an, wo die erinnerte Vorgeschichte nach Num 13 f. und 20 f. in 22,1; 25,1a; 27,12-13a endet. Und die Erzählung in Dtn 31-34 (31,1 f.7 f.; 34,1-6), die zu Jos überleitet, setzt nach der langen Rede Dtn 1-30 dort auch wieder ein. Wozu aber der rhetorische Aufwand des Rückblicks in einem selbständigen Dtn oder DtrG? Dillmann35 sah die Schwierigkeit und meinte darum, der Bericht sei zunächst in Erzählform geschrieben und erst im Zuge der Zusammenarbeitung von J E und Dtn in eine Moserede umgesetzt worden. Als Beweis dafür dienten ihm die im ErStil formulierten archäologischen Glossen. Die Hypothese ist falsch, die dahinter stehende Auffassung von der Funktion der Rede aber richtig. Die Frage läßt sich auch literarkritisch nicht aus der Welt schaffen36, indem man eine Grundschicht von Dtn 1-3 für das selbständige Dtn oder die Erstausgabe des dtr Werkes DtrH reklamiert und erst die Sekundärschichten für die Anbindung des Dtn oder DtrG an den Tetrateuch verantwortlich macht. Numeri- und Josuabezüge und der literarische Kunstgriff des Rückblicks sind Dtn 1-3 von Anfang an eigen. Nimmt man hinzu, daß Dtn 1-3, um das gewünschte Verständnis zu erreichen, nicht nur die Kenntnis der Stoffe (nicht zuletzt das Wissen um Person und Bedeutung von Mose!), sondern die Textkenntnis der Numeriparallelen voraussetzt37, so ist der umgekehrte Schluß unausweichlich: »Offenbar« hat die rhetorische Fiktion von Dtn 1-3 den Zweck, an die vorhergehende Erzählung anzuknüpfen. Das Resultat hat Folgen. Mit dem Anfang in Dtn 1-3 fallt die literarische Voraussetzung für die Hypothese Noths, nicht etwa, weil der Anschluß an Jos fehlte38, sondern weil schon die Grundschicht in Dtn 1-3 Anschlüsse nach beiden Seiten, Num und Jos, hat. Der literarische Horizont von Dtn 1-3 ist entweder der Hexateuch oder der Enneateuch, möglich ist auch der Pentateuch im Sinne des oben unter I. definierten Verhältnisses von Tora

34 Ein weiterer Grund ist der, daß Noth in Jos die alten Quellen nicht mehr fand. Vgl. Noth, ÜSt, 180-182; dazu auch Wellhausen, Composition, 116 f. 35 KEH 13, 228 ff.; dazu Antti F. Puuko, Das Deuteronomium, BWAT 5, Leipzig 1910, 124 ff. 36 So Mittmann, Deuteronomium und Veijola, Observations. 37 So Lohfink, Studien I, 15-44; zustimmend Perlitt, Dtn-Studien, 120; ders., BK V, 30 f. 38 So Mittmann, Deuteronomium, 177 f.

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und (vorderen) Propheten. Noths Hypothese behält insoweit ihr Recht, als Dtn 1-3 über die Rekapitulation der Sinaiereignisse in Dtn 5 hinaus einen weiteren, auch in die folgenden historischen Bücher reichenden Horizont eröffnet. Und auch darin behält sie recht, daß die historische Rekapitulation einen den Erzählfluß retardierenden Einschnitt markieren möchte, nur eben einen Einschnitt im Anschluß an die vorangehende Erzählung, d. h. eine Zäsur im selben literarischen Kontext.

III Noth begründet seine Auffassung von Dtn 1-3 damit, daß das »Stück . . . gar keine spezielle Beziehung zum deuteronomischen Gesetze, wohl aber ein ganz unmittelbares Verhältnis zum deuteronomistischen Geschichtswerk« habe.39 Das wiederum brachte Gerhard von Rad40 auf den Gedanken, daß es »in Dt. 31,1 ff. einmal seine unmittelbare Fortsetzung hatte«. Veijola41 verbindet das eine mit dem anderen und findet in dem historischen Rahmen Dtn 1-3 die ursprüngliche Einleitung eines »Deuteronomistic Historian« DtrH, der Erstausgabe des Nothschen DtrG, das - ganz gegen Noths Definition des Deuteronomisten - das dtn Gesetz und alle Rückverweise darauf noch nicht enthielt. Die Einfügung des dtn Gesetzes mit allem, was es in Jos-Ii Reg nach sich zog, schreibt er dem »Nomistic Deuteronomist« DtrN zu, der in etwa Noths Deuteronomisten entspricht. Es ist klar, daß sich der Anschluß von Dtn 1-3 an die vorangehende Erzählung, mit dem von Rad und Veijola im Gefolge von Noth natürlich gar nicht rechnen, damit nicht verträgt. Läßt sich auf diese Weise das selbständige DtrG doch noch retten? Kaum. Das Dtn ist, wie viele biblische Bücher, von innen nach außen gewachsen. Dtn 1-3 erweist sich bei näherer Prüfung sowohl gegenüber dem hinteren historischen Rahmen als auch gegenüber dem paränetischen Rahmen in Dtn 5 ff. und also auch gegenüber dem Gesetz als sekundär. Ich beginne mit dem Verhältnis zum hinteren geschichtlichen Rahmen in Dtn 31-34. Auf das relativ älteste Stratum stößt man, wie oben gesehen, in 31,1 f.7 f. und 34,1-6. 31,1 f. markiert einen Redeeinschnitt. Je nachdem, für welche Textzeugen42 man sich entscheidet, beziehen sich »alle diese Worte« auf die folgende oder auf eine vorangehende Rede. Auf gar keinen Fall aber 39 Noth, ÜSt, 14 und a. a. O. 15. Zustimmend zuletzt Perlitt, BK V, 27 f. 40 Gerhard von Rad, Das fünfte Buch Mose. Deuteronomium, ATD 8, Göttingen 1964, 33; vgl. schon Dillmann, KEH 13, 229.386, sowie Horst Dietrich Preuss, Deuteronomium, EdF 164, Darmstadt 1982, 22.84. 41 Observations, 253-255. 42 Μ: »Und Mose ging hin und sprach alle diese Worte«; G und Qiimran: »Und als er fertig war, alle diese Worte zu reden«.

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kann der Neueinsatz unmittelbar an Dtn 1-3 angeschlossen haben. Nach 3,27 würde sich Mose in 31,2 ohne Grund wiederholen. Die Wiederaufnahme ist nur dann sinnvoll, wenn etwas dazwischenstand. Folglich beziehen sich »diese Worte« in V. 1 entweder auf das, was nach dem Gesetz folgt, oder auf das Gesetz selbst. Es ist bereits historisiert, d. h. es Schloß in Kap. 26 oder mit 30,15-20. Aber auch so verwundert die Wiederholung von 3,27 in 31,2. In 31,2 klappt sie nach und scheint auf der Grundlage von 3,27 nachgetragen zu sein43: Mose stirbt, weil er alt ist (V. l-2a), und (noch) nicht, weil Jhwh es so will (V. 2b; 34,5b). Auch die Berufungjosuas in 31,7 f. erfolgt ursprünglich - mit Blick aufJos 1 - sua sponte und erst in dem tertiären Vers 31,3b, der die sekundären Anspielungen an Dtn 1-3 in 31,3-6 schon voraussetzt, wie in 3,28 nach göttlicher Anordnung. Folglich kommt 31,l-2a.7 f. die Priorität vor Dtn 1-3 zu. Damit scheidet auch die Möglichkeit aus, daß auf Dtn 1-3 unmittelbar Dtn 34 gefolgt wäre. Der Erzählschluß in 31-34 kommt ohne die Ankündigung in 3,23-29 aus, diese aber ist auf die Ausführung in 31-34 angewiesen und daraufhin formuliert. Außer 31,l-2a.7 f. ist dabei die Rahmung durch Ankündigung und Eintritt des Todes in Num 27,12 f. und Dtn 34,1-6 vorausgesetzt44, die in Dtn 3,23-29 berücksichtigt wird, durch Nachträge in Num 27,13b-14.15-23; 31,2b.3-6; 34,1-6.7 f. aufgefüllt und schließlich - im Rahmen des Pentateuchs - durch Wiederaufnahme von Num 27,12 ff. in Dtn 32,48-52 und 34,9.(10-12) zusammengezogen wurde. Auch gegenüber der Paränese in Dtn 5-11 ist der historische Rahmen in Dtn 1-3 sekundär. Zwar enthält er außer der Zufügung von 1,5 in der Tat keine explizite Anspielung auf das Gesetz, während die Paränese mit Anspielungen auf die Geschichte, auch die in Dtn 1-3 rekapitulierte, voll ist. Doch muß man dazu folgendes bedenken: Dtn 1-3(4) steht vor dem Konglomerat von Uberschriften in 4,44-5,1. Wellhausen45 schloß daraus auf verschiedene, voneinander unabhängige Ausgaben des Dtn. Seit Hölscher46 kann diese Annahme als erledigt gelten, der Befund erklärt sich am besten mit der Ergänzungshypothese. Dazu stimmt, daß die Grundschicht von Dtn 1-3 in Pl.-Anrede gehalten ist, dem Stil der Ergänzungen in Dtn 5-11 und

43 Vgl. Puuko, Deuteronomium, 119 f., der aber 31,1 f.7f. insgesamt von Dtn 1-3 abhängig sein läßt. 44 S.o. Anm. 29 sowie Mittmann, Deuteronomium, 112-115. Die geographischen Angaben das Gebirge Abarim (Num 27,12) mit dem Gipfel des Pisga in den Gefilden Moabs (Dtn 3,27; 34,1; vgl. Num 21,20 sowie 22,1; 23,14) gegenüber Bet-Peor (Dtn 3,29; 34,6) - schließen sich nicht aus, sondern ergänzen einander. Nur der Berg Nebo in Dtn 34,1 tanzt aus der Reihe und scheint hier wie in 32,48 nachgetragen, vielleicht nach der gleichnamigen Stadt in Moab (Num 32,3.38) und in der Absicht, Abarim und Pisga auf einen Nenner zu bringen (vgl. Num 33,47). 45 Wellhausen, Composition, 193; danach auch Steuernagel in der 2. Aufl. seines Kommentars, 7. 46 Hölscher, Komposition, bes. 176 ff.

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12 ff. Dazu stimmt auch die Beobachtung Steuernagels''7, daß Dtn 1-3 die in den Rückblicken von Dtn 5-11 klaffende Lücke der 40 Jahre zwischen Horeb und Moab schließt. Gegenüber der älteren Historisierung des Gesetzes, die lediglich die Situation vor Eintritt ins Land vor Augen hat, führt Dtn 1-3 die - aus Num 13 f. gespeiste, in Num 26,63-65; 27,13 f.; 32,7 ff. nachgetragene und wohl auch in die doppelsinnige Aussage Dtn 5,2 f. hinein- oder aus ihr herausgelesene - Differenzierung der Wüstengenerationen neu ein (1,34 ff.; 2,14 f.16), wodurch der Widerspruch entsteht, daß die auf die Angelegenheit Angesprochenen von Rechts wegen längst tot sein müßten.48 Auch Veijola49 kommt nicht darum herum, für Dtn 1-3 wenigstens die Kenntnis des dtn Gesetzes, namentlich von Dtn 20, zu konzedieren. Die Konstruktion, daß es erst danach - vermittelt nur durch Dtn 4 (und 1,5) auch in denselben literarischen Kontext geraten sein soll, wirkt gekünstelt. Schließlich sei noch ein letzter, m. E. durchschlagender Gesichtspunkt genannt, den schon Noth geltend machte50: Die Stilisierung als Rede Moses, die nur im Anschluß an die vorangehende Erzählung in Num einerseits und im Blick auf Paränese und Gesetz in Dtn 5 ff. andererseits einen Sinn ergibt. Ohne das Gesetz liefe die Rekapitulation der Geschichte ins Leere. Mit einem Wort: Dtn 1-3 sind jünger als der paränetische Rahmen in Dtn 5-11, mithin jünger als das Gesetz, und sie schließen sich an den literarischen Kontext von Num, Dtn 5 ff. und Jos an. Das Ergebnis impliziert eine ungefähre zeitliche Einordnung, wenn auch keine absolute, sondern nur eine relative im Verhältnis der literarischen Schichten. Mit dem, was Dtn 1-3 in Num voraussetzt, kann man nur unter Vorbehalt argumentieren. Der klassische JE-Bestand enthält immer sowohl vor- wie nachpriesterschriftliche Schichten, was im Falle der in Grundschicht und Ergänzungen von Dtn 1-3 benutzten Texte im einzelnen zu prüfen wäre. Die Stücke in Num 20 f., die die Vorlage von Dtn 2 f. (Grundtext und Ergänzungen) abgeben, dürften noch vorpriesterschriftlich sein. Schwieriger zu beurteilen sind Num 11; 13 f.; 27,12 ff. und 32, von denen Num 11 (mit Ex 18) in einem Nachtrag zu Dtn 1 erscheint, Num 13 f. kürzlich J E abgesprochen und auf Ρ und »nachendredaktionelle« Ergänzungen verteilt wurde51, Num 27,12-23 im ganzen sicher nachpriesterschriftlich ist, 27,12-13a ebenfalls schon nach Ρ schmeckt und Num 32 ein Problem für sich ist.52 Und

47 Carl Steuernagel, Der Rahmen des Deuteronomiums, Diss, theol. Halle 1894, 16.20.30 ff. (bei Puuko, Deuteronomium, 131). 48 Vgl. Puuko, Deuteronomium, 101 f.; Hölscher, Komposition, 163 f.168; zum Generationenproblem in Dtn 5,2 f. s. u. Anm. 63. 49 \feijola, Observations, 255. 50 Noth, ÜSt, 15 f.; vgl. Perlitt, BK V, 33 f. 51 Levin, Jahwist, 375-377. 52 Vgl. Blum, Studien, 112-114.

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noch einmal: Die Verfasser von Dtn 1-3 haben vielleicht nur eine Auswahl aus einem sehr viel umfänglicheren literarischen Zusammenhang getroffen. Sichereren Boden betritt man im Dtn selbst. Hier sind das Korpus des Gesetzes in Dtn 12-25, seine theologische Einleitung in Dtn 6,4 f., seine Historisierung in Dtn 26, seine Stilisierung als Promulgation des Gesetzes vom Sinai/Horeb in Dtn 5 und mithin seine - sachliche, wenn nicht literarische (s. u. IV) - Anbindung an Ex(-Num) und seine literarische Anbindung an J o s durch 31,1 f. 7 f. etc. vorausgesetzt. Dtn 1-3 kommen als letztes hinzu und schieben sich in einen älteren Zusammenhang ein. Dies mag ein vorpriesterschriftlicher oder neben der Priesterschrift existierender Hexateuch (Gen/Ex-Jos), ein vorpriesterschriftlicher Enneateuch (JE + Dtn-II Reg) oder ein mit der Priesterschrift aufgefüllter und auch im weiteren priesterlich bearbeiteter Enneateuch (PJE + Dtn-II Reg) oder alles nacheinander gewesen sein. Das alles aber heißt: Dtn 1-3 gehört nicht an den Anfang, sondern ziemlich ans Ende der deuteronomistischen Literargeschichte. Was soll der nachgetragene Rückblick im literarischen Kontext des Hexateuchs oder Enneateuchs? Dazu ist wieder auf Noths Hypothese eines DtrG zurückzukommen. Abgesehen von den geschichtstheologischen Interessen53 markiert Dtn 1-3 eine Buchgrenze, die es erlaubt, im folgenden, in J o s - I i Reg und sogar innerhalb des Dtn (17,18; 28,58.61; 30,10), das Dtn als »Buch« oder »Tora« des Mose zu zitieren. Vorausgesetzt sind dabei die Aufzeichnungsnotiz Dtn 31,9 und natürlich die vom Dtn suggerierte Auffassung, daß in dem zitierten Buch des Mose, also im Dtn, nichts wesentlich anderes stehe als das am Sinai/Horeb geoffenbarte und in Moab nur promulgierte Gesetz, also Ex 19-Num 10. Eine ähnliche Funktion erfüllt die Notiz Dtn 28,69, die Moab- und Sinaibund unterscheidet, aber gerade damit auf ihre Weise - wie 5,2 f. auf seine - die sachliche, nicht unbedingt materiale Identität des Gesetzes bezeugt. Das alles sind Anzeichen nicht gegen, sondern für den literarischen Zusammenhang von (Gen 54 )Ex-Num, Dtn und J o s - I i Reg, in den herkömmlichen Kürzeln: v o n J E oder PJE und DtrG. Daß Mose in ihm das Gesetz zweimal aufschreibt, einmal am Sinai (Ex 24,4 bzw. 34,27) und noch einmal 40 Jahre später in Moab 55 , hängt - wie die geschichtliche 53 Vgl. dazu Perlitt, Dtn-Studien, 120 f.; ders., B K V, 27 ff. 54 Auf die Vätergeschichte der Gen weisen nur sehr wenige Stellen, vor allem natürlich die namentliche Erwähnung der Patriarchen in 1,8; 9,5.27; 29,12; 30,20; 34,4 (mit 34,1-4 vgl. Gen 12,1; 13,14-17) sowie 10,22; 26,5. Die - relativ - ältesten Belege für die »Väter«, 26,3 und 31,7 (wie J o s 1,6; 21,43 f.), sprechen vom Land, dasjhwh den Vätem zugeschworen hat, ohne erkennbaren Referenztext in der Gen. Alle übrigen Belege, mag in ihnen an die Exodusgeneration oder auch (wie in Gen 24,7; 26,3; 50,24 sowie Gen 15; 22,17) an die Erzväterverheißungen gedacht sein, sind spät. 55 Auf den Unterschied macht Wellhausen, Composition, 194 Anm. 1 aufmerksam. Er ist in der Tat »bewusst und beabsichtigt«. Eine Sache für sich sind die »Tafeln« von Ex 24,12; 31,18; 32,15 f.19; 34,1.4.28.29, auf denen laut Dtn 4,13; 5,22; 9,9-11.15.17; 10,1-5 (sowie Ex

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Rekapitulation in Dtn 1-3 - mit dem Lapsus und dem Tod der Wüstengeneration (Ex 32-34; Num 14/Dtn 1,35 ff.; 2,14-16) zusammen. Wo die erste Auflage geblieben ist, hat sich keiner gefragt und muß darum auch uns nicht weiter kümmern. Nach Meinung des Dtn handelt es sich um dasselbe Gesetz.56 In gewisser Weise entspricht der durch Dtn 1-3 allererst in Tetrateuch und Dtn-II Reg zerlegte, auch an anderen Stellen (Gen 50/Ex 1, Dtn 31-34/Jos l,Jos 23-24/Jdc 1-3, J d c 17-21/1 Sam 1) in einzelne Bücher aufgeteilte Enneateuch (ohne und mit P) Noths DtrG nach dem Zusammenschluß mit dem Tetrateuch, und beides entspricht in etwa dem, was man heute gerne DtrN nennt.57

IV. Dtn 1-3 ist keineswegs die erste Historisierung des dtn Gesetzes. Sieht man von dem historischen Rahmen in Dtn 1-3 und 31-34 ab, stellt sich für den verbleibenden Text in Dtn 5-30 dasselbe Problem. Auch der paränetische Rahmen in Dtn 5-11 und 26-30 und teilweise das Gesetzeskorpus sind nicht frei von Anspielungen auf die zurückliegende und die bevorstehende Geschichte in den benachbarten Büchern. Vorausgesetzt ist auch hier die Situation im Lande Moab, kurz vor Eintritt in das verheißene Land, die auf die Fortsetzung in J o s zielt. Nötig ist lediglich der Tod des Mose in Dtn 34,1-6 als Ubergang. Rekapituliert und theologisch gewertet werden zudem Ereignisse der Vergangenheit, die sich im Tetrateuch finden, wobei der Exodus als Gründungsdatum der Geschichte Israels im Vordergrund steht. Wie in Dtn 1-3 sind die geschichtlichen Rückblicke in einer Rede Moses ausdrücklich als Erinnerung 34,28) nur der von Gott schon öffentlich proklamierte Dekalog steht. Ohne die Einschränkung in Dtn (4)5 und 9 f. beziehen sich allerdings auch die Tafeln in Ex auf das ganze Gesetz, das am Sinai dem Mose zweimal übergeben und in Moab von ihm öffentlich gemacht wird, und geraten so in Konkurrenz zur Niederschrift in Ex 24,4 und Dtn 31,9.24. Das könnte der Anlaß für die Einschränkung gewesen sein. 56 Inwieweit das auch Ρ und die legislativen Materialien in Lev-Num betrifft, ist schwer zu sagen. Eine gewisse Analogie ergibt sich aus den Abschlüssen in Ex 23,20-26; Lev 26 und Dtn 28. Im einzelnen geraten die Dinge jedoch durcheinander: Einiges teilt Mose schon am Sinai oder in der Wüste mit (außer Ex 24,3-8 vgl. 34,31 f.; 35-40; Lev 8 f.; 16,34; 21,24; 23,44; 24,23) ; das meiste wird weder in der Wüste noch in Moab veröffentlicht (vgl. Lev 7,37 f.; 10,11; 11,46 f.; 13,59; 14,32.54-57; 15,32 f.; 26,46; 27,34; Num 36,13). Die Buchgrenze bei Dtn 1-3 könnte nicht zuletzt durch Auffüllungen in Lev-Num veranlaßt sein, wie sie umgekehrt die Voraussetzung dafür schafft. Die Fülle der Materialien führt schließlich dazu, daß sich die drei Epochen der Gesetzgebung (Sinai, Wüste und Moab) additiv zu einem Ganzen verbinden. 57 Zur literarischen Reichweite von DtrN vgl. Rudolf Smend, Die Entstehung des Alten Testaments, ThW 1, Stuttgart 1978, 115 (Kleingedrucktes) und 125.

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an Früheres gefaßt. Nun traktieren Dtn 1-3 einerseits und Dtn 5 ff. andererseits die Geschichte auf ganz unterschiedliche Weise und liegen darum zweifellos nicht auf einer literarischen Stufe.58 Vielmehr sehen wir in Dtn 5 ff., wie sich die Paränese allmählich des geschichdichen Stoffs bemächtigt und auch den literarischen Anschluß an die historischen Bücher sucht, bevor die Geschichte in Dtn 1-3 als solche, eingebunden in den Kontext der historischen Bücher des Enneateuchs, zum theologischen Paradigma wird. Dementsprechend finden sich die deutlichsten geschichtlichen Reminiszenzen in den jüngsten Schichten des paränetischen Rahmens, d. h. in den pluralischen Stücken in Dtn 5; 9 f. und II.59 Für unsere Frage ist vor allem der Dekalog in 5,l-6,3 60 von Interesse, der nicht, wie Dtn 7-11, zwischen Dtn 6 und 12 eingeschrieben, sondern davor gestellt wurde. Wie längst erkannt, will die Horebszene von Dtn 5 in einem Rekapitulation und Modifikation der vorderen Sinaiperikope Ex 19-24 sein.61 Vorausgesetzt sind die Verbindung von Dekalog und Bundesbuch in Ex 20-23, die mit der sekundären Vorschaltung von Dtn 5 vor Dtn (6,4) 12 ff. nachgeahmt, und die konfuse Szene von Ex 19 und 20,18 ff., die in Dtn 5 geklärt wird. Wieder muß man fragen: Soll Dtn 5 die vorangehende Erzählung ersetzen62 oder fortsetzen? Für den literarischen Anschluß im Rahmen des Hexateuchs bzw. Enneateuchs gelten ungefähr dieselben Argumente wie im Falle von Dtn 1-3, die ich nicht zu wiederholen brauche. Anders als in 1,35 ff.; 2,14-16 wird (noch) kein Unterschied zwischen den Generationen gemacht, im Gegenteil: die in Moab stehen, waren schon am Sinai/Horeb dabei (5,l-5).63 Nicht die Generationen, sondern Teile des Gesetzes werden unterschieden. Das Volk kennt den Dekalog, aber noch nicht das Mose allein geoffenbarte Gesetz. Die Einkleidung des dtn Gesetzes als Gesetzesproklamation vor dem Eintritt in das Land Kanaan, die dem Dtn auch an anderen Stellen eigen ist, wird so zur Promulgation des Gesetzes vom Sinai/Horeb, sprich: zur Promulgation des Bundesbuchs in seiner in Dtn vorliegenden, revidierten Ausgabe. Dtn 5 hat also den Zweck, das dtn Gesetz mit dem Bundesbuch, der literarischen Vorlage des Dtn, zu identifizieren. Die Identifizierung wäre nicht nötig und ergäbe keinen Sinn, hätte man Ex 19-24 nicht vor Augen. Sie

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Vgl. Puuko, Deuteronomium, 129 f. Im hinteren Rahmen Dtn 29. Vgl. Noth, ÜSt, 16 f. Der Sg. in V. 2 f. leitet zu 6,4 ff. über, ist aber von der Ergänzung in 5,1 -6,1 nicht zu trennen. Zur Richtung der Abhängigkeit vgl. Vf., Der Dekalog im Exodusbuch, VT 44, 1994, 205-238, hier 232-235. 62 So Wellhausen, Composition, 201 f. 63 5,2 f. kann man allerdings verschieden lesen: Entweder sind dieselben angeredet, oder die »hier und heute« Lebenden sind die zweite Generation, die den von den Vätern am Horeb verspielten Bund eigens übertragen bekommen (vgl. 28,13 f.69). Im letzteren Fall stößt sich V. 2 f. oder auch nur V. 3 mit V. 1 (f).4 f. und ist vielleicht ein Zusatz, der die Szene an Dtn 1-3 angleicht.

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erweist sich somit als Hilfskonstruktion, um die Doppelung des Gesetzes im selben literarischen Kontext - am Sinai und in Moab - zu harmonisieren. Was die literarische Anbindung betrifft, so kann die Überschrift in 5,1 ursprünglich, über Dtn 1-4 und die späten Auffüllungen in Num 25-36 hinweg, gut an Num 27,12-13a oder 25,1a angeschlossen haben.64 Nach hinten bildet Dtn 5 gemeinsam mit Ex 20 und entsprechenden Ergänzungen im Dtn (12,1 ff. etc.) die sachliche Grundlage für die strenge Beurteilung des ganzen Volkes i n j o s - j d c (Jos 23 f.; Jdc 2,6 ff. u.s.w.) wie der Könige in Sam-Reg nach dem 1. und 2. Gebot, d. h. nach den Maßstäben, die Noth seinem Dtr, Jepsen teils der ersten (priesterlichen), teils der zweiten (nebiistischen) Redaktion und die neuere Forschung dem späten, mehrschichtigen DtrN zuschreibt. Ob Dtn 5 den Hexateuch oder den Enneateuch voraussetzt, läßt sich von hier aus nicht entscheiden. Für die nachträgliche Verschärfung der Maßstäbe im annalistischen Rahmenwerk von Reg65 dürften - ganz im Sinne von Noths DtrG - dieselben verantwortlich sein, die auch in Jos 23-24 und Jdc 2 f. tätig waren. Sie sind mit dem Verfasser von Dtn 5 aber kaum identisch. So könnte der Rückblick auf Ex 19-24 in Dtn 5 als solcher noch im Rahmen eines älteren Hexateuchs (Gen/Ex-Jos) entstanden sein. Für den im Geist des 1. Gebots gebildeten Enneateuch, in dem Gen/ Ex-Jos mit Sam-Reg zusammengeschlossen werden, ist das Richterschema in Jdc 2,6 ff. das Bindemittel. Demgegenüber ist die Buchabtrennung in Jdc 1, Dtn 1-3 vergleichbar, noch einmal jünger.

V. Geht man hinter Dtn 5 zurück, nehmen die historischen und literarischen Bezüge in die benachbarten Bücher mehr und mehr ab, ganz los ist man sie aber nicht. Im vorderen paränetischen Rahmen ist außer den PI.-Stücken auch der singularische Bestand in Dtn 6-11 sekundär gegenüber dem älteren Zusammenhang von Dtn 6,4-6(9) und Dtn 12. Die eingeschriebenen Texte wimmeln von Bezügen in die Nachbarbücher (Dtn 7/Ex 23; 34 und Jdc 2; Dtn 8/Ex 16 f.) und setzen zum größten Teil den Dekalog (6,10 ff.; 7,9 f.; 8,19) oder wenigstens den Exodus voraus (7,17-19). Ebenso wie die pluralischen Texte legen sie das ältere Sch'ma in die eine oder andere Richtung aus. Das Schema selber setzt unvermittelt ein. Sprecher ist nicht Jhwh, son64 Der Anschluß über eine der diversen Überschriften in 1,1-5 oder 4,44-49 ist nicht gut möglich, da sie die Vorrede in Dtn 1-3 und 4 voraussetzen: 1,1-5 leitet sie ein, 4,44.45 und die Wiederaufnahmen in V. 46-49 leiten über zum vorgegebenen Erzählanfang in 5,1. Die Uberschriften trennen Historie und Gesetz, was spätestens nach der Vorwegnahme von Dtn 5 in Dtn 4 nötig wurde. 65 Dazu Alfred Jepsen, Die Quellen des Königsbuches, Halle 1953; Ernst Würthwein, Die Bücher der Könige. 1 Kön 1 7 - 2 Kön 25, ATD 11,2, Göttingen 1984, bes. 484-515.

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dem ein Dritter, der Israel anredet, wer, ist nicht gesagt. Ist das ein Indiz für ein ursprünglich selbständiges Dtn? Oder ist hier wie sonst an Mose als Sprecher gedacht? Doch wer ist Mose außerhalb des Dtn? Die Gesetzeskorpora selber (Bundesbuch, Dtn 12-25, auch der Dekalog) wissen von ihm nichts. Bekannt ist er fast ausschließlich aus der Uberlieferung in Ex-Num, und dort auch nicht primär als Gesetzgeber. Kann es also jemals ein mosaisches Gesetz gegeben haben ohne irgendeine Anbindung an die Uberlieferung, die von Mose erzählt? Auch der hintere paränetische Rahmen ist bekanndich nicht einheitlich.66 Außer dem pluralischen Einschub in Dtn 29 muß man zwischen einem älteren Ende in Dtn 26 und verschiedenen Fortschreibungen in Kap. 27-30 unterscheiden: an die Ablieferung der Ersdinge und des Zehnten in 26,1-15 und den Bundesschluß in 26,16-19 wurden zunächst Fluch und Segen in Kap. 28 angeschlossen, darauf folgte das zweite Schlußwort in 30,15-20; nachträglich wurden noch, die Rede Moses unterbrechend (27,1.9.11), Kap. 27 sowie 30,1-14 eingeschoben. Hält man sich an den - relativ - ältesten Schluß des dtn Gesetzes, stößt man auf das Ende von 6,4-6, die anonyme Schlußmahnung in 26,16.67 Dem geht in 26,1—1568 die Anweisung zur Abgabe der Erstlingsfrüchte im verheißenen Land voraus. Im Zusammenhang damit bezieht sich das »heute« in 26,16 auf dieselbe Situation. Es ist die einfachste und, von den literarischen Relationen her geurteilt, älteste Form der Historisierung des dtn Gesetzes: die Proklamation vor Eintritt in das Land. Der Grundgedanke hält sich zwar in sämtlichen Texten des paränetischen und historischen Rahmens durch, wird dort aber, wie gesehen, auf mannigfache Weise variiert. Kurz: Schon die erste Historisierung im ältesten paränetischen Rahmen 6,4-6 und 26,1-15.16, die sich vereinzelt auch im Kern des dtn Gesetzes findet69, setzt die Situation der bevorstehenden Landnahme und folglich

66 Die Analyse folgt wieder Noth, ÜSt, 17. 67 V. 17 f. 19 weisen schon auf das Folgende, bes. 28,1 (Hölscher, Komposition, 218), und haben die Situation von Ex 19-24 vor Augen (Wellhausen, Composition, 192). 68 Ursprünglich ohne V. 3 f.5-10.12-15. 69 Die Kriterien zur Ausscheidung des Grundbestands sind der Numeruswechsel und die Abhängigkeit vom Bundesbuch. Da beides - übrigens wie die »externa! evidence«, die Abhängigkeit von den assyrischen Vertragstexten - sowohl im Grundbestand als auch in Ergänzungen vorkommt, gibt die spezifisch dtn Forderung der Zentralisation den Ausschlag. Daraus ergibt sich ungefähr folgender Grundbestand (von Einzelheiten abgesehen): 12,13-18.19-28; 14,22-29; 15,19-23; 16,16-17; 16,18-20 + 17,8-13; 19,1-13; 19,15-21, vielleicht noch 21,1-9. Zu den Folgen der Kultzentralisation für das Rechtswesen (ab 16,18) vgl. Steuemagel, HK 1/3.1, 115 f.122 f. Die bald zugefügte Bruderethik in Dtn 15,1 ff. und 19,18 f. macht die für die weitere Ausgestaltung wegweisende dtn Trias: einjhwh (Dtn 6,4), ein Kultort (Dtn 12), ein Volk (Dtn 15), komplett. An Historisierungen begegnen die bevorstehende Erwählung des Ortes (12,14.18.21.26; 14,23-25; 15,20; 16,16; 17,8.10) und die Landgabe (15,4.7; 16,18.20; 19,1-3.8.10.17; 21,1). In den Pl.-Zusätzen ist die Historisierung vorausgesetzt (vgl. ζ. B. 12,1.2-7.8-12).

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Mose als Sprecher der Gesetzesproklamation voraus. Beides wäre in einem selbständigen Dtn möglich, wenn auch für ein Gesetzeswerk ziemlich merkwürdig. Beides paßt hingegen vorzüglich in den literarischen Zusammenhang, in dem das Dtn jetzt steht. Bedenkt man weiter, daß die Gesetze selber die historische Fiktion nicht bräuchten und teilweise auch gar nicht haben, drängt sich der Schluß auf, daß sie für den literarischen Kontext gemacht ist. Die Situation vor der Landnahme läßt natürlich als erstes an die Fortsetzung in J o s und also an Noths DtrG denken.70 Doch wo befindet sich, nachdem Noths Hypothese mit der Ausscheidung von Dtn 1-4 die literarische Grundlage entzogen wurde und auch Dtn 5,1-6,3 wegfallt, der Anfang? Auf irgendeinem Weg müssen Israel und Mose nach Moab gekommen sein. Davon ist im Dtn selber aber nirgends die Rede, gleichgültig, ob man es mit 1,1 (-5) oder mit einer der Überschriften in 4,44-5,1 beginnen läßt. Lediglich 4,45 bietet mit der Angabe »als sie aus Ägypten hinauszogen« eine ziemlich allgemeine Situationsbeschreibung, wie man sie für ein selbständiges Dtn bzw. DtrG erwarten würde. Doch danach wäre das Gesetz im Niemandsland der Wüste mitgeteilt worden, vorausgesetzt wäre immerhin die Geschichte der »Söhne Israels« in der Exodusüberlieferung (vgl. Ex 20,22), und im übrigen ist der Vers sekundär gegenüber der älteren Uberschrift in 5,1 und der Gesetzesterminologie hier und in 26,16 (11,32; 12,l).71 Die älteste Historisierung des dtn Gesetzes lebt also unausgesprochen, auf der jüngeren Stufe von 26,5-10 dann auch ausdrücklich von der Vorgeschichte in Ex-Num. Sieht man in der Historisierung nicht nur einen Hinweis auf eine gedachte, sondern auf eine literarische Fortsetzung, so ist auch die Vorgeschichte als literarischer Kontext hinzuzunehmen. Als Anschlußstelle für Dtn 6,4-6 kommt Num 27,12-13a oder die Itinerarnotiz Num 25,1a in Frage, als Ubergang dient die Redeeinleitung Dtn 5 , l a a ' (»Und Mose berief ganz Israel und sprach zu ihnen«). Daß in Dtn 5,1 eine ältere Einleitung zu 6,4-6 vorliegt, sieht man an dem folgenden »Höre Israel«, das 6,4 nachahmt und neu auf die Satzungen und Rechte als Objekt bezieht, und an der erneuten Redeeröffnung in 6,1 (-3), die wieder auf 6,4-6 hinführt.72 Auf der anderen Seite ist das Dtn durch 26,1-15 bzw. - nach 26,16.17-19 und schließlich 30,15-20 durch 31,1 f.7f. mit der Fortsetzung in Dtn 34,1-6/Jos verbunden. 70 So Norbert Lohfink, Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur II, SB AB 12, Stuttgart 1991, 129 f. u. ö.; Christoph Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, F R L A N T 137, Göttingen 1985, 86. 71 Anders Lohfink, Studien II, 229-256, hier 234. Auch Ex 15,25 f. J e r 7,22 ff.; 11,3 ff.; 31,32; 34,13 f. belegen keine vorsinaitische oder vormoabitische Fassung von Bund und Gesetz. Die Stellen verlegen die vom Gesetz abgeleitete Kondition noch weiter zurück in den in Ex 20,2 u. ö. genannten historischen Ursprung des Gottesverhältnisses (vgl. Ez 20; Gen 17). Umgekehrt tragen sie Jos 24;Jdc 2,1 ff.; 6,8-10 oder II Reg 22 f. in spätere Zeiten ein. 72 Der Anschluß ist später nachgemacht worden: vgl. 3,23-29 als Wiederaufnahme von Num 25,1a und 27,12-13a vor Dtn 5,1; oder Dtn 4,1 (wie 5,1* + 6,4 bzw. 5,1-6,3) im Anschluß an 3,29.

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Wenn nicht alles täuscht, sind dies die literarischen Anschlüsse, die das dtn Gesetz erstmals in die Geschichtserzählung integrieren. Sie unterbrechen einen älteren, hexateuchischen Erzählfaden, der von Num 25,1a über Dtn 34,5 f. nach Jos 2,1 oder 3,1 führt73, und schalten das Testament Moses ein zuerst ziemlich unvermittelt über Num 25,la/Dtn 5,1 und Dtn 26/34,1 (-4).5 f., im weiteren vermittelt über die priesterschriftlich anmutende Ankündigung von Dtn 34,1-6 in Num 27,12 f. auf der einen, den deuteronomistischen Vorverweis auf die Landverteilung in Dtn 31,1 f.7 f./Jos 1,1-6 (21,43-45) auf der anderen Seite. Ob es überhaupt das erste Mal ist, daß das Gesetz in die Geschichte »zwischeneinkommt«, hängt davon ab, was zum Zeitpunkt der Historisierung in der Sinaiperikope Ex 19-24; 32-34 stand, insbesondere davon, ob die literarische Vorlage des Dtn, das Bundesbuch Ex 20,24-23,19, im literarischen Kontext oder noch selbständig überliefert wurde. Je nachdem ist das Bundesbuch entweder vom Sinai nach Moab oder umgekehrt über Moab zum Sinai gewandert. Mit dem heilsgeschichtlichen Ort verbinden sich sodann hier wie dort in ganz analoger Weise der Ausschließlichkeitsanspruch Jhwhs (Dekalog Ex 20 bzw. Ex 32-34, Schema Dtn 6 und Zitat des Dekalogs Dtn 5 und 9 f.) und ein förmlicher Bundesschluß (Ex 24 bzw. 34; Dtn 26,17-19 bzw. 27; 31,9 ff.) mit der Verheißung von Segen und Fluch für das Leben im Land (Ex 23,20 ff.; Dtn 28-30). Die Reihenfolge der literarischen Genese, die auf gegenseitiger Abhängigkeit beruht, bedarf noch näherer Untersuchung. Anders als im Original, dem Bundesbuch, das außer- und innerhalb des literarischen Kontexts einen Prozeß der Theologisierung durchlief, stehen die Bestimmungen in der dtn Epitome, ob mit oder ohne Historisierung und literarischen Zusammenhang, von Anfang an unter dem theologischen Vorzeichen der Kultzentralisation bzw. der davon abgeleiteten Einheit Jhwhs. Der Ausschließlichkeitsanspruch des 1. Gebots repräsentiert demgegenüber ein jüngeres Stadium der religions- und theologiegeschichtlichen Entwicklung, das die religiöse Abgrenzung gegen innen und außen nach sich zog. Auf die Einheit von Kult und Gottheit folgte die Ausschließlichkeit, und auf die Ausschließlichkeit folgte die Unverträglichkeit. Jos 24 und II Reg 23 setzen die über Generationen sich erstreckende Identität von Sinai/Horeb- und Moabbund bereits voraus. Die Textanschlüsse, die das Urdeuteronomium mit Ex-Num und Jos verbinden, lassen nicht erkennen, wie weit der literarische Horizont noch reicht. Auch daß die Grundschicht des annalistischen Rahmens in (Sam-)Reg nur das Hauptgebot des Dtn, die Kultzentralisation, zum Maßstab für die Zensur 73 Der Zusammenhang von Num 25,1a mit Dtn 34,5-6 (ursprünglich nur: »Und dort starb Mose, und man begrub ihn...«) entspricht Num 20,laßb. Josua, der Sohn Nuns, tritt in Jos 2,1 genauso plötzlich auf wie Miijam in Ex 15,20 f.. Die Ortsangabe in Dtn 34,1a (mit oder ohne V. Iba, davon abhängig V. lbß-3.4) wurde nötig, als die Einschaltung des Dtn zwischen Num 25,1a und Dtn 34,5 f. dem »dort« in 34,5 den Bezugspunkt nahm; demselben Zweck dient die nachgeholte lokale Präzisierung in V. 5 nach Auffüllung der V. 1-4.

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der Könige Israels und Judas, ob sie »aufrecht« oder »böse« waren in den Augen Jhwhs, nimmt, besagt nicht allzu viel. Denn erstens gibt es keine literarischen Bezugnahmen des Könige-Rahmens auf Dtn 12,13 ff., die ursprüngliche Fassung des Zentralisationsgebots74, und zweitens muß die dtr Bearbeitung von Sam-Kön nicht gleichzeitig mit der Einfügung des dtn Gesetzes in die Geschichtserzählung erfolgt sein. Außerdem weiß ich nicht, wie man damit die Darstellung der kultischen Verhältnisse in Jdc und Sam bis zur Staatengründung in Einklang bringen soll, die I Reg 3,2 f. nachträglich entschuldigt. Daß die im Dtn geforderte Zentralisation erst ab der Königszeit gelten soll, ist nirgends gesagt. Dtn 17,14-20 sagt etwas zum Gesetz, aber gerade nichts über die Einhaltung der Zentralisation, und ist ohnehin ein später Einschub.75 Oder hat ein älterer Enneateuch das Richterbuch noch nicht enthalten?76 Da das Netz der Verbindungen im Rahmen des Enneateuchs immer dichter wird, je mehr auch das Dtn in den gesetzlichen, paränetischen und geschichdichen Teilen anwächst, halte ich für den Anfang einen weniger weiten Horizont für wahrscheinlicher, und zwar den vor Noth ganz selbstverständlichen, nach ihm etwas in Vergessenheit geratenen Hexateuch. In ihm gilt die dtn Forderung der Kultzentralisation als eine Erwartung für die Zeit unmittelbar nach der Landnahme, ein Programm, das dem staatenlosen Juda eine neue, der nach 587 v. Chr. drohenden Dezentralisierung entgegenwirkende Mitte gibt: den einen - weder national noch lokal dilferenzierten - Jhwh, den einen - von Jhwh erwählten - Kultort, das »einzig Volk von Brüdern«77. Um zur Anfangsfrage zurückzukehren: Die Analyse des Dtn bestätigt nicht die Nothsche, sondern die ältere Sicht der Dinge. Danach ist mit einem wie immer beschaffenen, allerdings keinesfalls quellenhaften Hexateuch in (Gen)Ex-Jos zu rechnen (Num 25,la/Dtn 34,5 f./Jos 2,1; 3,1), in den an zwei Orten nacheinander, aber nicht unabhängig voneinander Offenbarung und Proklamation des Gesetzes eingeschrieben (Bundesbuch und Urdeuteronomium mit Schema) und laufend ergänzt wurden (Ex 19-24 und 32-34; Dtn 5-31 mit Dekalog). Der Hexateuch wurde nach und nach - vor, bei und nach der Einarbeitung von Ρ - zum Enneateuch aufgestockt und in einzelne Bücher unterteilt (Num/Dtn 1-3; Dtn 31-34/Jos 1). Zuletzt wurde die pentateuchische Zäsur verstärkt, die die Kanonteile Tora und Propheten trennt (Dtn 32,48-52; 34). 74 Hier ist von den »Höhen«, dort von »jedem Ort« bzw. »deinen Toren« die Rede; die Qualifikation »recht/böse in den Augen Jhwhs« findet sich nur an sekundären Stellen im Dtn (6,18; 12,8.25.28; 13,19; 21,9). 75 Den literarischen Grund hat Wellhausen, Composition, 192, genannt, die sachlichen Gründe Lothar Perlitt, Allein mit dem Wort, Göttingen 1995, 236-248, hier 240-243 nachgeliefert. 76 I Sam 1 ist ein selbständiger Anfang, der an einen der Abschlüsse in Jos (11,16-23)12; 21,43-45 oder 24,28 angehängt worden sein könnte, bevor die Epoche der Richter dazwischenkam. 77 Dazu Perlitt, Dtn-Studien, 50-73.

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Das Deuteronomium und der Jahwist Als der verehrte Jubilar dem Verfasser dieses Beitrags seine »Deuteronomium-Studien« vermachte1, trug er als Widmung ein: »Vor-Jahwistisches für Christoph Levin«. Die Ironie sollte provozieren. Hier ist Gelegenheit, den Ball aufzunehmen. Perlitt nimmt Levins Uberzeugung aufs Korn, daß die Botschaft des jahwistischen Geschichtswerks sich aus den Lebensumständen der beginnenden jüdischen Diaspora versteht und daher am ehesten ins Ö.Jahrhundert zu datieren ist.2 Mit dieser Datierung ist nolens volens ein zeitliches Verhältnis zum Deuteronomium gesetzt: Gemessen an der üblichen Auffassung, die die Anfange des Deuteronomiums im letzten Drittel des 7.Jahrhunderts vermutet, ist der Jahwist nach-deuteronomisch, das Deuteronomium vor-jahwistisch: »Das jahwistische Geschichtswerk kann nicht vor dem Deuteronomium geschrieben sein.«3 Zum wiederholten Male ist ein Spiel eröffnet, das sich stets nahelegt, wenn es gilt, die traditionsgeschichtliche Entwicklung des Alten Testaments und seiner Theologie zu erschließen: der Vergleich der literarischen Korpora unter der Frage ihrer relativen Chronologie. Gerade wenn, beim Deuteronomium nicht anders als beim Jahwisten, die geschichtliche Einordnung heftiger Diskussion unterliegt, kommt dem gegenseitigen zeidichen Verhältnis ausschlaggebende Bedeutung zu. Der Meister dieses Spiels ist Julius Wellhausen gewesen. Seine »Prolegomena zur Geschichte Israels« sind in immer neuem Anlauf eine große Etüde zur relativen Datierung, mit der er den Nachfolgern die Maßstäbe gesetzt hat.4 Die Spätdatierung des priesterschriftlichen Gesetzes, die für das Verständnis der Religionsgeschichte Israels grundlegend geworden ist, vollzieht sich im Vergleich der drei Überlieferungsgrößen Priesterschrift, Deuteronomium und ältere Geschichtswerke. In diesem Dreischritt ist das Deuteronomium im Verbund mit den Propheten das Gelenk, das den Ubergang von 1 Lothar Perlitt, Deuteronomium-Studien, FAT 8, Tübingen 1994. 2 Christoph Levin, Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen 1993. 3 Levin, Jahwist, 432. 4 Julius Wellhausen, Geschichte Israels. Erster Band, Berlin 1878; im folgenden zitiert nach der 6. Auflage: Prolegomena zur Geschichte Israels, Berlin 1905.

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den Verhältnissen der staatlichen Zeit zu jenen des nachexilischen Judentums dokumentiert. Seither gilt: Das Deuteronomium ist nach-jahwistisch. Auch wenn mir die Datierung desjahwisten in das Ö.Jahrhundert unausweichlich erscheint, fällt mir nicht ein, die von Wellhausen erkannte Abfolge in toto zu bestreiten; und zwar darum nicht, weil sich heute die innere Entwicklungsgeschichte der beteiligten Traditionsgrößen vielschichtiger darstellt, als sie seinerzeit noch erschien. Die Blöcke fächern sich auf zu langfristig gewachsenen literarischen Gebilden. Das läßt ihr gegenseitiges Verhältnis nicht unberührt. An die Stelle des einfachen Dreischritts »ältere Geschichtswerke - Deuteronomium - Priesterschrift« tritt eine Vielzahl von Verzahnungen. Sie bezeugen, daß die Traditionsgrößen sich über lange Zeit gegenseitig beeinflußt haben. 5 Die gewohnte Abfolge gilt bestenfalls noch im großen und ganzen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß auch das Große und Ganze berührt wird. Ich beschränke mich im folgenden auf zwei kennzeichnende Beispiele, aus denen zwei gegenteilige Thesen hervorgehen, die sich, wie sich zeigen wird, nicht widersprechen: (1) Die deuteronomische Forderung der Kultzentralisation ist vor-jahwistisch. (2) Die deuteronomische Bruder-Ethik ist nachjahwistisch. Beide Male soll aufgewiesen werden, daß die Datierung des Deuteronomiums in das letzte Drittel des 7. Jahrhunderts mit der Datierung desjahwisten in das Ö.Jahrhundert in Einklang steht.

/. Das »Hauptgesetz« des Urdeuteronomiums 6 ist die Bestimmung über den einen Kultort. Die Bedeutung wird dem Leser durch die Stellung am Anfang des Gesetzeskorpus Dtn 12-2Ö sogleich vor Augen geführt; die anschließenden Einzelbestimmungen folgen zu einem guten Teil aus der Anwendung des Grundsatzes. Wie ein roter Faden zieht die Zentralisationsformel sich durch das gesetzliche Material. 7 Auch wo sie fehlt, ist vielfach der sachliche Zusammenhang offensichtlich, wie in den Speisevorschriften Dtn 14 (als Annex zur Freigabe der Schlachtung Dtn 12), im Asylrecht Dtn 19,1-13 und

5 Das wußte auch Wellhausen schon. Die Beobachtungen, mit denen wir Heutigen jonglieren, finden sich in vielen Fällen bereits bei ihm, wenn nicht bei seinen Vorgängern oder Zeitgenossen. Die Genialität lag in der sicheren Reduktion auf das Maßgebende. 6 Julius Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs, Berlin 4 1963, 191. 205. 7 Dtn 12,5.11.14.18.21.26; 14,23.24.25; 15,20; 16,2.6.7.11.15.16; 17,8.10; 18,6; 26,2; 31,11. Eine Übersicht über die Abwandlungen der Formel bei Norbert Lohfink, Zur deuteronomischen Zentralisationsformel (1984), in: ders., Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur II, SB AB 12, Stuttgart 1991, 147-177, dort 151.

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bei den übrigen Neuregelungen für die Rechtspflege Dtn 16,18-21,9.8 Der Vergleich mit dem Bundesbuch Ex 20,22-23,33*, das der Novellierung vorausliegt9, läßt Anlaß und Absicht offenkundig werden. »Das alte Material . . . gestaltet er (sei. der Gesetzgeber) überall nach dieser Richtung um. Nach allen Seiten geht er den Konsequenzen der Maßregel nach; um ihre Durchführung zu ermöglichen ändert er frühere Einrichtungen, erlaubt was verboten, verbietet was erlaubt war; fast immer steht bei seinen übrigen Neuerungen diese im Hintergrunde.«10 Auch und zumal über das Verhältnis des deuteronomischen Hauptgesetzes zum Altargesetz des Bundesbuches Ex 20,24-26 scheint damit entschieden: »Deut. 12 polemisirt gegen den durch Exod. 20,24 sanktionirten Zustand.«11 Daß Dtn 12 auf Ex 20,24-26 beruht und die dortige Vorschrift im Sinne der Zentralisierung des Kultes umdeutet, ist communis opinio.12 Doch der Fall ist nicht so klar, wie es den Anschein hat. Das erste Problem des Altargesetzes betrifft die Stellung. Es ist längst gesehen, beispielsweise von Martin Noth: »Das... Altargesetz (20,24-26) steht merkwürdig vor der Überschrift 21,1, die, da weitere Uberschriften im Bundesbuch nicht folgen, einmal das ganze Rechtsbuch eingeleitet haben dürfte . . . Das Altargesetz dürfte also nachträglich an den Anfang gestellt worden sein.«13 Gleichgültig wie man das Wachstum zwischen Ex 20,22 und 21,11 beurteilt, muß das Bundesbuch zu einem bestimmten Zeitpunkt mit 21,1 begonnen haben, bevor das Altargesetz hinzukam. Keiner hätte eine nachträgliche Überschrift an ihre jetzige Stelle gesetzt.14 Auch eine Teilüberschrift ist ausgeschlossen, da das Attribut Drrjni» er Β η HPK »die du ihnen vorlegen sollst« das Korpus in einen Erzählzusammenhang einordnet. Welcher Zu8 Zur Analyse vgl. Christoph Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, FRLANT 137, Göttingen 1985,85-88; jetzt auch Jan Christian Gertz, Die Gerichtsorganisation Israels im deuteronomischen Gesetz, FRLANT 165, 1994. 9 Vgl. Wellhausen, Composition, 192. Jüngster Einzelnachweis bei Eckart Otto, Das Deuteronomium, BZAW 284, Berlin/New York 1999, 217-364. 10 Wellhausen, Prolegomena, 33. 11 Wellhausen, Composition, 203. 12 Zuletzt wurde die Abfolge ausführlich begründet von Bernard Μ. Levinson, Deuteronomy and the Hermeneutics of Legal Innovation, New York/Oxford 1997,28-38. Auf ihn stützen sich Norbert Lohfink, Kultzentralisation und Deuteronomium, Zeitschrift für altorientalische und biblische Rechtsgeschichte 1,1995,117-148, dort 122, und Otto, Deuteronomium, 341- 351. 13 Martin Noth, Das zweite Buch Mose. Exodus, ATD 5, Göttingen s1973, 142. 14 Frank-Lothar Hossfeld, Der Dekalog, OBO 45, Freiburg (Schweiz)/Göttingen 1982, 182, weiß einen Grund zu nennen: »Für einen vom Dtn herkommenden Redaktor mußte der V. 20,24b des Altargesetzes, der seinerseits - wahrscheinlich vordeuteronomisch - zum Grundtext hinzugefügt wurde, einen Stein des Anstoßes bilden. Die distributive Aussage (>an jedem OrtFrontstellung< des Altargesetzes des Bb voraus, dann gehört die dt Zentralisationsformel auf die gegnerische Seite. Sie zielt ja gerade auf das, was die Kultformel des Bb bekämpft«20. Noch entschiedener Eckart Otto: »In einer der Kultzentralisationsforderung geradezu entgegenlaufenden Bewegung wird der Anspruch Jerusalemer Kulttheologie auf die anderen Heiligtümer ausgeweitet.«21 Verbindet man diese Tendenz mit den Beobachtungen, daß die heutige Stellung von Ex 20,24-26 wahrscheinlich Dtn 12 zum Virbild hat und daß Ex 20,24b einen nachträglichen Akzent in das Altargesetz einfügt, dürfte sehr unwahrscheinlich sein, daß Ex 20,24b dem Deuteronomium voraufgegangen ist. Die Kultformel des Bundesbuches bekämpft gerade das, worauf die deuteronomische Zentralisationsformel zielt. Sie ist nach-deuteronomisch.22 Unter dieser Voraussetzung erlangt auch »die formale Ähnlichkeit des dt. Grundgesetzes mit dem Altargesetz des Bundesbuches«23, die oft beobachtet worden ist, neue Bedeutung. Beide Aussagen stehen sprachlich in großer Nähe, vergleiche Π Χ Ί Π T B K M P N - i > D N »an jedem Ort, den du siehst« (Dtn 12,13) mit - N W - N X V D T X - I » X D I P N N - ^ A A »an jedem Ort, an dem ich meinen

19 Anders Wellhausen, Prolegomena, 29: »Das in Rede stehende Gesetz steht also im Einklänge mit Sitte und Brauch der ersten geschichtlichen Periode, wurzelt darin und sanktionirt sie.« Eine überkommene Sitte muß nicht sanktoniert werden. 20 Lohfink, Zentralisationsformel, 168. Der vollständige Wortlaut setzt eine Frühdatierung voraus: »die Spitze des Altargesetzes des Bb gegen den z.m Zeit der Abfassung gerade enichteten Jerusalemer Tempel mit seiner offenbar schon damals beginnenden Dynamik auf eine Konzentration ...« Ahnlich Halbe, Privilegrecht, für den »das programmatische Interesse, das hier die einfache Uberzeugung . . . zum ausdrücklichen Grundsatz erhebt, der wahre Gottesdienst geschehe dort, wo Jahwe seinen >Namen verkündet«« (377), »in die Vorgeschichte der Reichstrennung gehört« (380). Ludger Schwienhorst-Schönberger, Das Bundesbuch, BZAW 188, Berlin/New York 1990, sieht in der Erweiterung Ex 20,24b eine Zwischenstation auf dem Wege, der von der prophetischen Kritik an nicht-jahwistischen Kultpraktiken zur deuteronomischen Kultzentralisation führt. »Hier wird ein altes Kultgesetz im Horizont hoseanischer Kultkritik neu interpretiert« (297 f.). 21 Eckart Otto, Wandel der Rechtsbegründungen in der Gesellschaftsgeschichte des antiken Israel, StB 3, Leiden u. a. 1988, 56. 22 Vgl. Levin, Verheißung, 96 Anm. 94. 23 Gerhard v. Rad, Das 5. Buch Mose. Deuteronomium, ATD 8, Göttingen 4 1983, 65.

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Namen kundmachen werde« (Ex 20,24b).24 Üblicherweise erklärt man die Ubereinstimmung so, daß »demgegenüber die dt. Formulierung doch eigentlich nur wie eine Neufassung erscheint«25. »Das scheint... in der Tat denkbar« 26 - mehr aber nicht. »Yahweh's first person speech there directly affirms that he provides his cultic presence and blessing consequent upon sacrifice HPK mpnn >in every place that< (Exod 20:24b) - precisely what Deut 12:13 proscribes as anathema«27. Daß aber damit Dtn 12,13 auf Ex 20,24b reagiert und nicht umgekehrt, gilt nur, wenn man die Priorität des Bundesbuches voraussetzt.28 Beweisen läßt es sich nicht. Auch das Motiv des Segens muß nicht in Ex 20,24b seinen Ursprung haben, sondern kann aus der deuteronomischen Segensverheißung genommen sein, vgl. Dtn 12,15 u. ö. Bewegen wir uns bisher im Bereich des lediglich Möglichen, so wird das Gefalle von Dtn 12 nach Ex 20,24b deshalb wahrscheinlich, weil das Interesse auf der Hand liegt, welches das Bundesbuch durch die Vorschaltung des Altargesetzes zu einem Anti-Deuteronomium ausgestalten ließ. Die Abwehr der Zentralisationsforderung entspringt unmittelbar der Situation des Exils. Für die zerstreuten Judäer war es lebensnotwendig, die Beschränkung des Jahwekultes auf das Zentralheiligtum, die das Deuteronomium forderte, abzutun. Denn anders hätten sie die kultische Verehrung Jahwes nicht beibehalten können. Die Diaspora hätte nicht überlebt. Nur aus dem Zwang elementarer religiöser Not läßt sich ein so flagranter Selbstwiderspruch der Uberlieferung erklären, wie er zwischen Ex 20,24b und Dtn 12 besteht. Das vordeuteronomische Gesetz diente in nachdeuteronomischer Zeit als literarische Grundlage einer antideuteronomischen Theologie. Die Spuren des Exils sind auch an der rückwärtigen Rahmung des Bundesbuches erkennbar, vergleiche Ex 23,20 mit Gen 28,15a und Gen 24,7*. 29

24 Das sprachliche Problem der Verbindung TBK mpnn~i>33 sollte man angesichts der Parallelen Gen 20,13 und Dtn 11,24 nicht überbewerten. Zweifellos ist Ex 20,24 distributiv zu verstehen, vgl. L X X έν παντί τόπφ ού έάν sowie das Zitat von Dtn 11,24 in J o s 1,5. Die masoretische Fassung »an dem ganzen Ort, an dem« war aber gewiß nicht unwillkommen, da sie sich im Sinne der Zentralisationsforderung lesen läßt. Daß sie auf Textkorrektur beruht, ist unwahrscheinlich. Korrigiert hat der Samaritanus: mpna. 25 V. Rad, Deuteronomium, 65 (zitiert bei Lohfink, Zentralisationsformel, 169). 26 Lohfink, Zentralisationsformel, 169. 27 LeVinson, Deuteronomy, 31. 28 Auf dieser Prämisse beruht der Beweis von Levinson, Deuteronomy, 28-38. Allerdings eröffnet die literarkritische Ausscheidung von V. 24b die Möglichkeit, daß die Verfasser von Dtn 12 das ältere Altargesetz in der von ihnen benutzten Fassung des Bundesbuches vorgefunden haben, vgl. Ex 20,24a -pn!>y-nK r b y nruTi mit Dtn 12,13.14 "pn^y nbyn. 29 Auch für Halbe, Privilegrecht, 369, »ergibt die Zusammenschau von Ex 20,24b; 23,20-22 und Ri 2,1-5 aufschlußreiche Sachbezüge« bei freilich anderen traditionsgeschichtlichen Koordinaten.

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II. Das Bundesbuch ist nicht Teil des jahwistischen Geschichtswerks gewesen, sondern nachträglich in die Sinaiperikope gelangt.30 Gleichwohl steht es dem Jahwisten traditionsgeschichtlich sehr nahe. »Mit dem jehovistischen Gesetze stimmt die jehovistische Erzählung des Pentateuchs vollkommen überein, wie namentlich die Patriarchengeschichte i n j und Ε sehr deutlich lehrt.«31 Ist das Bundesbuch, was seine Haltung zum Kultort betrifft, nachdeuteronomisch, gilt das ebenso für den Jahwisten. Auch bei ihm wird nämlich nicht einfach ein vordeuteronomisch gegebener Zustand beschrieben, sondern die dezentrale Kultpraxis sanktioniert. »Überall, wo sie wohnen oder vorübergehend sich aufhalten, gründen hiernach die Erzväter Altäre, richten Malsteine auf, pflanzen Bäume, graben Brunnen.« 32 Namentlich Abraham, aus seinem Vaterhause auf den Weg in das von den Kanaanäern bewohnte Land gerufen, tut das mit auffallender Folgerichtigkeit (Gen 12,l-4a.6-9). 33 Dahinter steht ein gravierendes religiöses Problem: die Gottesferne der Fremde. »Es sind keine antiquarischen Notizen, sondern sie haben die lebendigste Bedeutung für die Gegenwart der Erzähler.«34 Der Vollzug folgt Ex 20,24b so genau wie möglich: Die Patriarchen errichten »ihre Altäre in der Regel nicht nach eigenem Gutdünken ..., wo es ihnen beliebt. Sondern eine Theophanie macht sie aufmerksam auf die Heiligkeit des Ortes oder bestätigt dieselbe wenigstens nachträglich.... Der Inhalt der Offenbarung ist dabei verhältnismäßig gleichgiltig (sie!): ich bin die Gottheit; das Wichtige ist die Theophanie an sich, ihr Erfolgen an dem betreffenden Orte.« 35 Nichts anderes nämlich meint der Ausdruck D® "Γ3ΤΠ »den Namen kundmachen« in Ex 20,24b. 36 »Der Satz spricht das aus, was die Geschichte des alten Israel durch >HeiligtumssagenGedenken< im Alten Orient und im Alten Testament, WMANT 15, Neukirchen-Vluyn 2 1967, 245-251. Stamm, Altargesetz, 306.

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zieht sich beispielhaft die Abfolge von göttlicher Selbstkundgabe und Segen; und zwar nicht im überlieferten Wortlaut: Es ist die jahwistische Redaktion gewesen, die die alte Kultlegende zum stärksten antideuteronomischen Text des Tetrateuchs ausgestaltet hat38: »Und siehe, Jahwe stand oben darauf und sprach: Ich bin Jahwe (mrr der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks.... Und siehe, ich bin mit dir« (V. 13a.l5a). »Durch die Namenskundgabe wird in den Heiligtumsagen der Kultort als Jahwekultstätte legitimiert. Das Altargesetz knüpft also an die durch göttliche Selbstbekundungen legitimierten Kultstätten die λ/ferheißung, daß sich Gott dort finden lasse und segnend nahe sei.«39 Dabei geht es allein um die Gottesgegenwart als solche, um jene Erkenntnis, dieJakob als Reaktion auf die Erscheinung in den Mund gelegt ist: »Wahrhaftig, Jahwe ist an dieser Stätte (ητπ mpna), und ich wußte es nicht« (V. 16). Der Sinn dieser Schlußfolgerung erschließt sich, wenn man sieht, daß Jakob sich an dieser Stätte auf dem Weg in die Fremde befindet. Höchst bezeichnend umfaßt die Segensverheißung die Rückführung in die Heimat: »Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo immer du hingehst, und will dich zurückbringen in dieses Land« (V. 15a, vgl. Ex 23,20). Unzweifelhaft wird nicht der vordeuteronomische Zustand beschrieben, sondern es herrscht eine antideuteronomische Tendenz. Sie hat in der Situation des Exils ihren Grund. Der Jahwist ist nach-deuteronomisch.

III. Das zweite Beispiel gilt ebenfalls als kennzeichnend für das deuteronomische Gesetz: die Bruder-Ethik. Die grundlegende Untersuchung verdanken wir Lothar Perlitt.40 Das Besondere des Deuteronomiums tritt dort heraus, wo der Begriff des Bruders (nx) nicht im engsten Sinne den leiblichen Bruder bezeichnet (so Dtn 13,7; 25,5.6.7.9)41, sondern den Volksgenossen. »Der Bruder ist demnach der Nicht-Ausländer, der Israelit.«42 Kontrastausdruck ist 'Ί33 »Fremder«43. Der Begriff erweist sich für Perlitt »als zentraler und form38 Innerhalb des jahwistischen Textbestands, der Gen 28,10-13a.l5a.l6-19a umfaßt, sind V. 13a.15a.16 der redaktionelle Einschub, vgl. Levin, Jahwist, 216-220. 39 Schottroff, Gedenken, 248. Ebenso Otto, Wandel der Rechtsbegründungen, 55: »Die Legitimität eines Altars ist... gebunden . . . an die SelbstkundgabeJHWHs. Der Segen hat JHWHs Selbstvorstellung im "hliJHWHzur Voraussetzung.« 40 Lothar Perlitt, »Ein einzig Volk von Brüdern«. Zur deuteronomischen Herkunft der biblischen Bezeichnung »Bruder« (1980), in: ders., Deuteronomium-Studien, 50-73. 41 Auch der bloße pronominale Gebrauch im Sinne von »der eine - der andere« (τπκι trx) in Dtn 25,11 scheidet aus. 42 Perlitt, Deuteronomium-Studien, 57. 43 Dtn 14,21; 15,3; 17,5; 23,21. Dazu Christoph Bultmann, Der Fremde im antiken Juda, FRLANT 153, 1992, 93-102: »Die Abgrenzung des Gottesvolkes gegen den ndkri.«

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bestimmender Ausdruck des Anliegens der dtn Hauptschicht(en). Dieser Bruder ist kein Blutsverwandter - und ist es, gemessen am Ausländer, eben doch!«44. Im Vergleich mit dem vorgegebenen Recht ist "ρπχ »dein Bruder« die spezifisch deuteronomische Näherbestimmung von "|jn »dein Nächster«: »Mit ΠΧ kam ein emotionaler Wert hinzu, den jn von Hause aus nicht hatte. . . . >dein Nachbar< ist im verkündigten >Gesetz< >dein BruderDein Brud e r i s t . . . eine religiös zentrale und durchaus emotional gefärbte Näherbestimmung des Traditionsausdrucks >dein Nachbar/Nächsterdein Nachbar/NächsterX | ohne das Verb m n (in Dtn 9,19; 29,27; II Reg 24,20), die Wendung mn- >]K ]Vy· »der Zorn Jhwhs raucht« in Dtn 29,19 (Anm. 15) sowie, aufgrund des gemeinsamen Auftretens mit der Zornesformel in Dtn 29,27, das Nomen nan »Glut« (Anm. 14). Ich halte mich im folgenden an diese weite Definition der Formel. 9 Zu Oys vgl. Norbert Lohfink, Art. OJO, ThWAT IV, 297-302. Im Blick auf meine dortigen Ergebnisse habe ich mir erlaubt, fur »provocation formula« nicht »Reizungsformel«, sondern »Kränkungsformel« zu sagen. 10 In II Reg 21,15 ist die ganze Geschichte Israels seit dem Exodus im Blick; II Reg 22,17 spricht von allen Bewohnern Jerusalems, wenn auch wohl die Manassezeit gemeint ist. McCarthys Aussage, die Kränkungsformel kehre in den Königsbüchern in Juda »after Manasseh« wieder (101), ist also zumindest nicht sehr genau. Auch der Beleg in II Reg 23,26 bezieht sich auf Manasse (gegen seine Anm. 6). Aus dem Deuteronomium erwähnt McCarthy nur die Belege der Kränkungsformel in Dtn 4,25 und 31,29 (Anm. 6). Den Beleg in Dtn 9,18 teilt er der Zornesformel zu (Anm. 6).

Der Zorn Gottes

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III. Der Gotteszorn und die drei ersten Königshäuser des Nordreichs Faktisch handelt es sich beim Haus Ahab um die Omri-Dynastie, aber die Bibel benennt sie lieber nach Omris Sohn Ahab. 11 Das heißt aber, der Bereich, in dem die Kränkungsformel auftritt, ist die gesamte Geschichte des Nordreichs von Jerobeam I. bis zum letzten Vertreter der Omridynastie. Hier ist vom Zorn Gottes die Rede. Doch nur die Kränkungsformel kommt vor. Von der Jehu-Dynastie an fehlt auch sie. McCarthy rechnet, wie gesagt, mit einem tiefgreifenden Unterschied zwischen den beiden von ihm untersuchten Formeln. Nach ihm folgt auf die »Kränkungsformel« normalerweise keine Strafe. Die Geschichte geht - anders als bei der »Zornesformel« - ungebrochen weiter. Das scheint mir nun aber im Fall der drei ersten Nordreichsdynastien nicht zuzutreffen, obwohl er den Befund vor allem hier erhebt. Es gibt nämlich in den gleichen Texten ein anderes Phänomen, das sich ebenfalls auf die drei ersten Dynastien des Nordens beschränkt. Es ist das Vorkommen der Wurzel "rn®. Für jedes der drei Herrscherhäuser, bei denen die »Kränkungsformel« vorkommt, findet sich am Ende auch eine Notiz über die Ausmordung der ganzen königlichen Familie durch den neuen Usurpator. Obwohl dafür zum Teil unterschiedliche Formulierungen verwendet werden, ist die Wurzel "rn© immer dabei. Wie die folgende Tafel zeigt, steht die Wurzel zumindest in zwei Fällen auch in unmittelbarer Nähe der »Kränkungsformel«. Haus Jerobeam: Haus Bascha: Haus Ahab:

oyy. I Reg 14,9.15; 12 15,30 050:1 Reg 16,2.7.13 oya: I Reg 16,26.33; 21,22; 22,54

inv: I Reg 13,34; 15,29 i n ® : I Reg 16,12 t a v : I Reg 10,17

In der restlichen Nordreichsgeschichte fehlt nach Jehu, wenn es um göttliche Strafe geht, nicht nur die »Kränkungsformel«, sondern auch die Wurzel "τη®13 Zwar gibt es noch Königsmord, aber keine Ausrottung ganzer Herrscherhäuser mehr. Offenbar bestehen bei all dem Sachzusammenhänge. Die 11 Aufgrund der Inschriften von Salmanassar III. ist auch historisch die Möglichkeit gegeben, daß Jehu zum Haus Omri gehörte. Vgl. TsviJ. Schneider, Rethinking Jehu, Bib. 77, 1996, 100-107. Auch das ist ein Grund, hier für die Analyse der biblischen Darstellung deren Sprachgebrauch zu übernehmen. Von Simri, der sich vor Omri sieben Tage lang dazwischenschob, kann ich absehen. 12 14,15 ist hier der Vollständigkeit der Belege wegen mitgenannt, muß aber dann wieder weggedacht werden. In I Reg 14,15 geht es nicht um die Kränkung Gottes durch einen König durch die Verführung zum Kälberkult, sondern um die Kränkung Gottes durch ganz Israel durch Errichtung von Äscheren. In diesem Vers wird die Benutzung des Lexems für Aussagen über ganz Israel in II Reg 17,11.17 (vgl. 17,10.16 für Äscheren) vorbereitet. 13 Der einzige Beleg ist II Reg 10,28, die Beseitigung des Baal in Israel durch Jehu. Er kommt in dem hier behandelten Zusammenhang nicht in Frage.

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Norbert Lohfink

»Kränkungsformel« impliziert, auch wenn sie kein Wort für »Zorn« enthält, den göttlichen Zorn trotzdem, und dessen Effekt ist in unserem Textbereich dann die völlige Vernichtung der ganzen Familie des Sünders. Ist das so, dann unterscheiden die beiden Formeln McCarthys sich zwar sprachlich, weisen vielleicht auch auf verschiedene literarische Schichten im Text, enthalten sicher auch bestimmte semantische Nuancen - aber beide sprechen von Gottes Zorn. Davon, daß die Institution der Thronfolge den Zorn Gottes fernhalte, kann schon deshalb keine Rede sein. Wenn hier Zorn Gottes nicht am Werk wäre, würden königliche Sippen nicht bis auf den letzten Sproß niedergemetzelt. Das gilt zumindest für die Kränkungsformel in der Nordreichsgeschichte im ersten Königebuch. Doch ich kann weiter ausgreifen. Die Sünde des Nordreichs ist entscheidend »SündeJerobeams«, das heißt Kälberkult in Betel und Dan. Diese Sünde steht in narrativer Korrespondenz zur Ursünde Israels am Horeb. Das Deuteronomium behandelt diese in Kapitel 9. Der intertextuelle Zusammenhang zwischen der Horebsünde und dem nordisraelitischen Kälberkult wird durch die Wurzel ΧΒΠ signalisiert, die sich in beiden Bereichen häuft. In Dtn 9 steht sie fünfmal.14 Der folgende Überblick zeigt, in welchem Ausmaß sie in der Nordreichsgeschichte für den Kälberkult vorkommt. Meist handelt es sich um Königsbeurteilungen: Hausjerobeam: Haus Bascha: Simri: Omri: Haus Ahab: Hausjehu: Letzte Könige: Schlußurteil:

I Reg 12,30; 13,34; 14,16; 15,26.30 spätere Rückverweise: II Reg 17,21.22;23,15 I Reg 15,34; 16,2.13 I Reg 16,19 I Reg 16,26 I Reg 16,31; 21,22; 22,53; II Reg 3,3 II Reg 10,29.31; 13,2.6.11; 14,24; 15,9 II Reg 15,18.24.28 II Reg 17,21.22

Eines ist sofort deutlich: Die Rückbezüge der Königsbeurteilungen auf die Horebsünde setzen sich auch fort, nachdem keine »Kränkungsformel« und keine Belege des Wortes τη® mehr kommen. Der Rückgriff auf die Horebsünde geschieht offensichtlich nicht unter dem Blickpunkt des Zorns Gottes. Eher wird gesagt: Schon am Horeb zeigte sich die wahre Sünde Israels. Das Verhältnis dieser Sünde zum Zorn Gottes ist komplex. Der Zorn Gottes wird durch diese Sünde später offenbar nicht, wie einst am Horeb, automatisch und für das ganze Volk ausgelöst. Die Erklärung dafür ist die Geschichte vom Horeb selbst. Dort wurde Gottes Zorn durch die Fürsprache Moses besänftigt und wirkte sich dann nicht aus. Dtn 9 begründet, warum

14 Dtn 9,16.18(2x).21.24.

Der Zorn Gottes

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Nachrichten über Kälberkult im Nordreich nicht notwendig von Aussagen über den Zorn Gottes gefolgt sein müssen. Doch ich war auf der Suche nach der Verknüpfung der »Kränkungsformel« mit dem Wort IQ®. Sie findet sich in der Tat auch in Dtn 9, und dort findet sich noch mehr über die deuteronomistische Zornesterminologie. Das, wovor Moses Fürsprache Israel am Horeb bewahrte, war die völlige Ausrottung Israels. Gott wollte Israel in seinem Zorn vernichten und aus Mose ein neues "Vblk machen. Das entspräche, wenn auch am Horeb auf das ganze Volk bezogen, dem, daß die drei ersten Nordreichsdynastien jeweils völlig ausgerottet und durch eine neue ersetzt wurden. Dtn 9 enthält auch die gleiche Terminologie wie die Königsbeurteilungen der drei Dynastien. In Dtn 9 finden sich sowohl die »Kränkungsformel« als auch die Wurzel ΊΤίύ. Das ist nicht zufallig. Die Zornesterminologie ist in Dtn 9 bewußt und neu gesetzt. Denn hier stehen andere Wörter für Zorn als in der Parallele in Ex 32. Dazu sind die Wörter des Zorns sorgfältig in einer palindromischen Figur verteilt: 7.8a A 8b Β 18 f. C 20 B' 22 A'

rnrr-ηκ n n m / i n n a -pn!>N rrrr-ηκ naxpn Dann vagnfr ddi mrr gwiri ip'yjni»... αηκηπ ibx DDnxan ^ • 37ix T-afenfr ΠΊΓΓ «jxj? iwx nnnni gxn Tragnfr ixn mrr η:χηη j n n s n mn—nx nrr-n craspn πικιϊη ηπραι nonm mynirn

Im Zentrum steht erst die »Kränkungsformel«, dann folgen Elemente der »Zornesformel«, am Ende das schon bekannte Wort für Vernichtung, "TQ®. In den Gliedern Β und Β' "τη® dagegen auf eine Variante der »Zornesformel«. Zwei Dinge sind deutlich: 1. Sowohl die »Zornesformel« als auch die »Kränkungsformel« werden durch das Wort 1ΒΪ weitergeführt, enden also mit der vollen Vernichtung,15 2. im Zentrum der Figur, wo verschiedene sprachliche Möglichkeiten kombiniert sind, zeigt sich eine objektive Reihenfolge der Aussagen der beiden Wendungen, nämlich: - Kränkung - Zorn - Vernichtung Die beiden Formeln McCarthys sind daher parallel. Beide beruhen auf einem einzigen Grundschema. Sie bringen es nur nicht vollständig, sondern greifen jeweils zwei Elemente aus ihm heraus: 15 Daß m© sich in Dtn 9,19 (und 9,8.20) - anders als bei den drei ersten Nordreichsdynastien - mit der »Zornesformel« verbindet, ist nicht ein Ausnahmefall, der allein durch die palindromische Struktur herbeigeführt wäre. Vgl. Dtn 6,15; 7,4. Für die »Kränkungsformel« vgl. auch Dtn 4,25 f.

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Norbert Lohfink

Grundschema

Kränkungsformel

Kränkung Zorn Vernichtung

Kränkung Vernichtung

Zornesformel

Zorn Vernichtung

Sie fassen also den Zorn Gottes jeweils von einem anderen Punkt her ins Auge: einmal von seiner Verursachung her (Kränkungsformel), einmal von seiner Gestalt her (Zornesformel). Aber beide laufen auf die Vernichtung derer hinaus, gegen die sich der Zorn Gottes richtet, zumindest da, wo sie vollständig erscheinen. Daß im ersten Königebuch bei den drei ersten Dynastien die eine Formel aus Dtn 9 wiederkehrt, zeigt, daß zumindest im jetzigen Text an Dtn 9 angeknüpft wird. Doch wie wird der Sache nach angeknüpft? Offenbar nicht in dem Sinne, daß jetzt für Israel jene Verzeihung, die damals durch die Fürsprache Moses erreicht wurde, nicht mehr weiterwirken würde. Es tritt ja kein Gotteszorn gegen Israel ein. Moses Fürsprache von damals rettet offenbar auch jetzt noch das verführte Volk. Wohl aber trifft Gottes Zorn die

Verßihrer.

Das liegt von Dtn 9 her auch gar nicht so fern. Denn in Dtn 9,20 legt Mose noch einmal eine eigene Fürsprache für Aaron ein. Der Anführer des Abfalls ist also nicht ohne weiteres in die generelle Verzeihung Gottes für Israel eingeschlossen. Bei den drei ersten Nordreichsdynastien scheint kein Prophet für die volksverführenden Könige gebetet und auch die Könige selbst scheinen sich nicht um Gottes neue Gunst bemüht zu haben.16 Hier wirkt sich deshalb, wenn die Zeit gekommen ist, der Zorn aus. Ihre Häuser werden weggemordet. Auch genereller ist es schon ein Theorem des Deuteronomiums, daß Gottes Geduld mit Israel als Gesamtvolk nicht ohne weiteres auch Einzelsünder und ihr Umfeld vor Gottes Zorn bewahrt. Die Sünder von Kadesch-Barnea müssen sterben, doch später kann die nächste Generation ins verheißene Land einziehen (Dtn 1,35-39). In der Wüste riß die Erde ihren Rachen auf und verschluckte die Sünder Datan und Abiram »mit ihren Familien, ihren Zelten und ihrem ganzen Troß in der Mitte von ganz Israel« (Dtn 11,5 f.). Für die Zeit im Land wird nach dem Segen-Fluch-Kapitel Dtn 28 im folgenden Kapitel all denen, die sich beim Bundesschwur nicht vorbehaltlos auf den ausschließlichen Jhwh-Dienst verpflichten - »Mann oder Frau, Sippe oder Stamm« -, das Eintreten aller Bundesflüche angedroht, die vorher an sich für Israel als ganzes vorgetragen waren (Dtn 29,15-20). Man muß also Israel als ganzes deutlich von einzelnen Sündern und Sündersippen in Israel unterscheiden. Der Zorn Gottes muß nicht immer sofort gegen ganz Israel

16 Daß das möglich gewesen wäre, zeigt II Reg 13,1-5 vgl. 22 f. (Joahas von Israel), wo II Reg 13,23 deutlich auf Moses Fürsprache in Dtn 9,27 anspielt.

Der Zorn Gottes

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entbrennen. So auch bei den ersten Königsfamilien des Nordreichs, die alle drei am Ende jeweils von nachrückenden Dynastiegründern ausgemordet wurden. Es geht in diesen Passagen um Zorn Gottes gegen Herrscherhäuser, nicht um Zorn Gottes gegen ganz Israel. Das erklärt das Phänomen, welches McCarthy vor allem beunruhigt hat, befriedigender als seine Gesamttheorie. Anders ist die Lage jedoch beim Untergang des ganzen Nordreichs und beim Untergang Judas, wo McCarthy zur Rettung seiner Theorie den Zusatzfaktor der hoffnungslosen Korruption des Königtums einführen mußte. Hier treffen in Wirklichkeit die Bundesflüche ein, unter die sich das "Vblk in Moab als ganzes gestellt hatte. Der hier entbrennende Gotteszorn realisiert sich gewissermaßen in zwei Schüben, zuerst gegen die Stämme des Nordens, dann auch gegen Juda und Jerusalem.17

17 Nach II Reg 17,18 ist Juda geretteter Rest. Also wird vom Zwölfstämme volk her gedacht. Mir scheint darüber hinaus, daß im endgültigen Text der gesamte Abschnitt 17,7-23 eigentlich eine zusammenfassende Beurteilung des Endes nicht nur des Nordreichs, sondern auch schon des Südreichs ist. Zunächst wird zwar an die Exilierung nach dem Fall Samarias angeknüpft. Aber wenn bei der Definition der zugrundeliegenden Schuld dreimal kurz hintereinander von den ^KltT "Ja gesprochen wird, so ist das durchaus nicht die übliche Bezeichnung für die Bewohner des Nordreichs. Die Wendung findet sich in I Reg 11 - II Reg 16 im Vergleich zum Josua- und Richterbuch erstaunlich selten (nur 12 mal), davon einmal für die 12 Söhne Jakobs (I Reg 18,31), zweimal für diejosuageneraüon (I Reg 21,26; 2 Kön 16,3), einmal mit Referenz zu den Bewohnern des Südreichs (1 Kön 14,24). Nur 6 mal steht sie in dieser ganzen Geschichtsdarstellung für Menschen aus dem Nordreich, wobei man sich in allen Fällen vom Kontext her fragen kann, ob hier nicht ihr IsraelitenSein, also ihre Zugehörigkeit zu den Nachkommen Jakobs, speziell betont werden soll (I Reg 12,24; 18,20; 19,10.14; 20,15.27.29; II Reg 13,5). Der Blick wird in II Reg 17 also durch die Benutzung der Wendung !>X~IB" "33 zweifellos auf Gesamtisrael hin geöffnet. Das gilt selbst, wo vom schlechten Beispiel der Könige von Israel die Rede ist (17,8). So ist es vorbereitet, daß in 17,13 die Propheten »gegen Israel und gegen Juda« auftreten. Zwar kommen inmitten der Sündenliste auch wieder die beiden Kälber vor, aber vermischt mit Sünden, die eher nach Juda gehören (17,16). Es ist nicht erstaunlich, daß bei der Verstoßung Israels = des Nordreichs sofortJuda als von Gott übriggelassener Rest genannt wird (17,18). Dann wird die trotzdem weiterlaufende Sünde Judas genannt (17,19). 17,20 geht schließlich über den »ganzen Samen Israels«. Das ist vom Kontext her Juda, doch insofern als mit Juda, dem letzten verbliebenen Rest, jetzt das ganze Zwölfstämmevolk von seinem Land vertrieben ist. Dann erst wird in 17,21-23 in einer Art Rückblende die Aufmerksamkeit auf das spezielle Schicksal des Nordens von Jerobeam I. an konzentriert und so der Anknüpfungspunkt für die von 17,24 an weiterlaufende Geschichtsdarstellung geschaffen. Man dürfte also gar nicht von einem »Schlußurteil über das Nordreich«, dem dann das Südreichspendant fehlte, sprechen. Wir haben hier in II Reg 17,7-23 vielmehr das Schlußurteil des Bucherzählers über die Geschichte von ganz Israel, wobei die Ereignisse zum Teil antizipiert werden.

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IV. Der Gotteszorn und das doppelte Exil Die entscheidenden Texte für diesen Aussagenzusammenhang sind II Reg 17, die Schlußzusammenfassung des Bucherzählers, und dann die Serie von Königsbeurteilungen in II Reg 21-24, also von Manasse an. Überall wird in reflexen Feststellungen mit sprachlichen Formeln gearbeitet, so daß ich mich darauf beschränken kann. In der Geschichte vom Torafund im Tempel kommen noch zwei Äußerungen des Königs Joschija und der Prophetin Hulda hinzu, die sich jedoch in meinem Zusammenhang vernachlässigen lassen.18 Natürlich ist es dem Leser des Geschichtswerks schon vom Deuteronomium an klar, daß Gott Israel einst wegen des gebrochenen Bundes in seinem Zorn aus dem Land, in das es damals einzog, wieder hinauswerfen wird. Mose sagt es in Dtn 4 und in Dtn 29 gleichsam prophetisch an (vgl. Dtn 4,25-28; 29,21-27). Aber die in den folgenden Büchern erzählte Geschichte zeigt keineswegs eine Art evolutiven Wachstums eines sich ständig steigernden Gotteszorns, der deutlich auf die Schlußkatastrophe zutriebe.19 Ich habe Zorngeschichten aufgezeigt, die in sich stehen. Zwischen ihnen gibt es auch lange Geschichten der Gnade und der kompromißbereiten göttlichen Geduld. Die deuteronomistische Geschichtsdarstellung ist viel weniger theoretische Konstraktion als es manche Leute in Kopenhagen und Sheffield wahrhaben wollen. Noch unterJerobeam II. von Israel teilt der Bucherzähler mit, daß Jhwh nicht ankündigen ließ, er wolle »den Namen Israels unter dem Himmel austilgen« (II Reg 14,27). Hoschea ben Ela, der letzte König in Samaria, dem die Stadt dann zerstört wird, tat sogar weniger Mißfalliges als »die Könige von Israel, die vor ihm geherrscht hatten« (II Reg 17,2). Im ganzen vergißt der Leser allmählich fast die gewaltigen Drohungen und Unheilsprophezeiungen vom Anfang des Werks. Auf der menschlich-politischen Ebene bahnt sich beim Nordreich zwar deutlich erkennbar langsam die Katastrophe an - noch mehr, wenn wir die Texte mit unserem heutigen Hintergrundwissen lesen. Theologisch gesehen ist in den Königebüchern das Ende Samarias aber fast unvorbereitet da, und 18 II Reg 22,13.17. Über das Wort nan scheint hier noch einmal eine besondere Beziehung zu Dtn 29,21-27 zu bestehen. Wie dort siebenmal von der f i x die Rede ist, scheint hier viermal vom nipn die Rede zu sein - wobei I Reg 8 - 9 eine Art Mittelglied darstellen: Beide Kapitel sind vom Wort ira dominiert, doch tritt in I Reg 8 das Wort als weiteres Leitwort hinzu, und das Wort f"iK, das in I Reg 8 meist in anderer Referenz gebraucht wird, ist in I Reg 9,7.8 ein entscheidendes Parallelwort zu irn. In II Reg 22 bestimmt das Wort 7Γ3 die dem Huldaorakel vorausgehende Erzählung durch zehnmaliges Vorkommen. Selbstverständlich tragen nicht allein diese lexematischen Beobachtungen den Zusammenhang der drei Textbereiche. Sie seien nur erwähnt, weil sie weniger im Bewußtsein stehen. 19 Das könnte später eher bei der Chronik der Fall sein, vgl. Baruch Halpem, Why Manasseh is Blamed for the Babylonian Exile: The Evolution of a Biblical Tradition, VT 48, 1968, 473-514.

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dann erst schaltet sich in II Reg 77 der deuteronomistische Kommentar ein, der rückwärtsblickend vom Zorn spricht und die Ereignisse aus dem Zorn Gottes erklärt. Nur bei genauerem Zusehen, fast schon mit der Lupe, entdeckt man hinterher, daß II Reg 17 doch schon literarisch vorbereitet war; vor allem bei Jerobeam I., dem ersten Nordreichskönig. Am Ende des Orakels Ahijas von Schilo an die Fraujerobeams weitet sich in I Reg 14,15 f. plötzlich der Horizont. Das Exil »Israels« wird angekündigt. Die Begründung spricht zunächst von einer Sünde ganz Israels: »weil sie Äscheren angefertigt und mich dadurch gekränkt haben«. Erst anschließend werden, fast wie um eine Verbindung zur Situation herzustellen, auch Jerobeams Sünden und seine Verführung des \folkes genannt. Wichtig scheint mir hier, daß sofort, wenn der Blick aufs kommende Exil geht, nicht mehr nur der König, sondern das ganze \folk Jhwh durch Sünde reizt. Hier ist das ein reiner Vorblick des Propheten Ahija. Später gibt es einige Königsbeurteilungen des Bucherzählers, in denen syntaktisch offen bleibt, ob der König oder auch das von ihm verführte \blk Subjekte der »Kränkungsformel« sind.20 Exilsandrohungen sind damit nicht verbunden. Immerhin kann mitgedacht werden, daß nicht die Könige allein sündigten. Doch es bleibt dabei: Der Fall Samarias kommt gerade bei einem weniger schlechten König, und hinterher erst wird er in II Reg 17 durch den Zorn Gottes auf das ganze Volk erklärt. Für Juda ist es nicht viel anders. Salomo rechnet in seinem Tempelweihgebet mit einem möglichen Exil (I Reg 8,46-51). Aber das ist keine Vorhersage. In der anschließenden Gotteserscheinung werden Landverlust und Tempelzerstörung ins Auge gefaßt (I Reg 9,6-9). Aber nur bedingt - für den Fall des Abfalls von Jhwh und seinen Gesetzen. Interessant ist, daß die Gottesrede bei diesem Thema nicht mehr, wie bis dahin, an Salomo allein und im Singular ergeht, sondern in den Plural springt. Solch ein ungeheures Unglück hängt offenbar auch in Juda nicht am Verhalten des Königs allein, sondern an dem des ganzen Volkes. Doch dann wird die Geschichte Judas erzählt, ohne daß irgendeinmal die Rede von Zorn oder Kränkung käme. Erst mit Manasse von Juda setzen plötzlich die Belege der »Kränkungsformel« und der »Zornesformel« ein. Aber schon bei Manasse wird ein Prophetenwort referiert, das nicht Manasse allein, sondern das gesamte Volk als schuldig ins Auge faßt und die Schuldgeschichte bis zum Exodus aus Ägypten zurückverlängert (II Reg 21,15).21 So ist wieder deutlich, daß jener göttliche Zorn, der zum Exil führt, von ganz Israel ausgelöst werden muß - so sehr die Könige, vor allem Manasse, sich dabei als Verführer betätigen. Das 20 I Reg 16,2.13.26. Im Blick auf die anderen Belege der »Kränkungsformel« im literarischen Umkreis möchte man die Aussagen eher allein auf den König beziehen. 21 Auf II Reg 21,15 macht auch die neueste Studie zur Exilsbegründung in den Königsbüchern und der Chronik aufmerksam: Halpern, Manasseh, 485.

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mag auch der Grund dafür sein, daß selbst ein so heiliger König wiejoschija das Unheil nur verschieben, aber nicht mehr aufhalten kann. Vieles an diesem Befund ergibt sich zweifellos aus der stufenweisen Entstehung des Gesamtwerks. In älteren Vorstufen war das doppelte Exil noch nicht im Blick. Ihre Geschichtsdeutung ohne Exilsperspektive wurde dann im endgültigen Werk stehengelassen. Fast nur am Anfang, im Deuteronomium, und am Ende der beiden Reiche, in den letzten Kapiteln des zweiten Königebuchs, wurden Texte hinzugefügt, die von jenem Zorn Gottes sprachen, der Israel schließlich aus seinem Land herausreißen sollte. Auch diese Texte könnten noch mehrschichtig sein. Doch mich interessiert in dieser synchronen Analyse nur der Endtext. Selbst ihn kann ich hier nicht im Detail analysieren. Ich will nur auf einen einzigen, allerdings wesentlichen Punkt aufmerksam machen. In II Reg 17 und dann von Manasse an finden sich sowohl die »Kränkungsformel« als auch die »Zornesformel«, letztere in verschiedenen Varianten. Dagegen fehlen Belege des Wortes 172V. Dieser Befund scheint mir relevant zu sein. An ihm vor allem wird deutlich, wie die Deuteronomisten mit dem Zorn Gottes gerungen haben. Nach dem, was sich in Dtn 9 für die gemeinsame Grundstruktur der beiden Formeln McCarthys gezeigt hat, kann das beiden Formeln gemeinsame Schlußelement kaum zufällig ausgefallen sein. Es ist sogar nicht nur ausgefallen, es ist ersetzt worden. An seine Stelle treten in II Reg 17 und in II Reg 23-24 zwei andere, selbst offenbar synonyme Wendungen mitjhwh als Subjekt: Π1Π' -3D !>yn von mir -3D i>yn

II Reg 17,18.23; 23,27 (2x); 24,3 II Reg 17,20; 24,2022

v o n meint »entfernen«, "ρ^ΒΠ meint »wegschleudern«.23 Israel wird entfernt, ja weggeschleudert aus dem Bereich von Jhwhs Antlitz - wohl vor allem aus seiner kultischen Gegenwart. 24 Konkret sind die beiden Deportationen nach Assur und Babylon gemeint. Das geht hervor aus 17,23 und dem, was auf 24,20 folgt, das wie eine Uberschrift wirkt. Im Grunde ist eine dritte Formel entstanden. Ich möchte sie die »Exilsformel« nennen. In ihrem Kontext ist mehrfach von prophetischen Ansagen 22 Als vorgreifend ist noch II Reg 13,23 zu nennen. Eine Emendation der »weniger drastischen« (Noth) Formulierung ni>BR in I Reg 9,7 nach der Chronikparallele und der LXX zu T^BX verbietet sich nach den Regeln der Textkritik. Es handelt sich dort auch nicht um Menschen, sondern um den Tempel. 23 Zu Hin- -33 i>ya -|"!»»n und ähnlichen Ausdrücken vgl. Winfried Thiel, Art. ηί>Β, ThWAT VIII, 84-91, speziell 90 f. L. A. Snijders, der Verfasser des Artikels Π0 im gleichen Wörterbuch, hat die hier interessierende Wendung offenbar nicht wahrgenommen. 24 Vgl. Ian Wilson, Out of the Midst of the Fire. Divine Presence in Deuteronomy, Atlanta 1995, zu Π1Π- "3ai> im Deuteronomium.

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die Rede.25 In der Tat finden sich Ähnlichkeiten zu dieser Formel vor allem bei einem Propheten, nämlich Jeremia (Jer 7,15; 32,31, vgl. 22,2826; 52,3). Sie kann als »Zornesformel« ebenso wie als »Kränkungsformel« beginnen, doch sie führt am Ende nicht auf τη®, also die völlige Vernichtung, sondern auf eines der beiden Bilder für die Exilierung. Ein Vergleich dieser Exilsformel mit den beiden »Formeln« von McCarthy zeigt die Gemeinsamkeiten wie die Unterschiede: Grundschema Kränkung Zorn Effekt

Formeln McCarthys Kränkung (fakultativ) Zorn (fakultativ) Vernichtung

Exilsformel Kränkung (fakultativ) Zorn (fakultativ) Exil (2 Formulierungen)

An zentraler Stelle im Schlußurteil von II Reg 17 steht im übrigen ein Beleg der »Exilsformel«, der sowohl die »Kränkungsformel« als auch die »Zornesformel« enthält: (mrr -rya jnn

nann'i) iD-yan!? tontra τκη mrr "|jxin ras !>yn mo-i (nab min- aa» pn ίκρ: k!>)

(Sie gaben sich dazu her, zu tun, was J h w h mißfiel,) so daß sie ihn reizten. J h w h zürnte g e g e n Israel ohne M a ß e n und er entfernte sie v o n seinem Antlitz. (Kein Rest verblieb, außer d e m Stamm J u d a allein.) (II R e g 17,17 f.)

Was geschieht nun bei der Ersetzung der alten »Zornes/Kränkungsformel« durch die neue »Exilsformel«? Offenbar wird der Begriff des Zorns Gottes neu interpretiert. Der Gotteszorn der alten Formeln hätte Israels Existenz schlechthin und in jeder Hinsicht beendet. Aber im Exil, nachdem Gottes Zorn sich voll ausgetobt hat, gibt es immer noch eine Größe, die »Israel« heißt, selbst wenn diesem Israel alles ihm einst Verheißene aus der Hand gerissen ist. Also ist sogar der große Ziorn Gottes noch nicht das Ende. Um die schmale Hoffnung auf einen wie immer zu denkenden Neuanfang der Geschichte mit Gott nicht preiszugeben, muß jetzt also der alte und vorher so eindeutige Begriff des Gotteszorns herunterinterpretiert werden. Die Deuteronomisten tun es, indem sie ihre Formelwelt ganz leicht, fast unmerkbar, aber selbst darin prophetisch legitimiert, abwandeln. Der Zorn ist da, und er ist furchtbar in seiner Härte. Trotzdem ist er nicht so unbarmherzig, wie ihn die deuteronomistische Sprache bisher als Möglichkeit vorausentworfen hatte.

25 II Reg 17,18; 23,27; 24,3.20. 26 Jer 52,3 ist identisch mit II Reg 24,20 und scheidet hier aus.

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Es gab also eine Interpretationsarbeit am Begriff des Gotteszorns. Doch sie geschah am Ende der Königsbücher so leise und zart, daß die Exegese bis heute kaum darauf aufmerksam geworden ist. Soll der Leser den Umbau der Aussage vielleicht gar nicht bemerken? Das zu meinen wäre auch wieder falsch. Im deuteronomistischen Geschichtswerk werden alle Grundlagen des Funktionierens der Geschichte gleich zu Anfang gelegt, im Buch Deuteronomium. Dort haben die Deuteronomisten die »Exilsformel« in der Tat schon eingeführt. Sie taten es in Kapitel 29.

V. Die Neuinterpretation

des Gotteszorns

am Ende des Deuteronomiums Um das, was dort geschieht, zu verstehen, muß zunächst Kapitel 28 ins Auge gefaßt werden. Am Ende der eigentlichen Bundesurkunde spricht Mose zunächst Segenswünsche für den Fall des Bundesgehorsams aus, und dann in 28,15-46 für den Fall des Bundesbruches die dem Segen entsprechenden Bundesverwünschungen. Sie verlängert er in 28,47-68 noch einmal in einer Serie von Drohungen. 27 Alle diese Texte sind vom Wort Ί12V dominiert. Es kommt in 28,15-68 insgesamt siebenmal vor.28 In 28,20-24 bildet es mit zwei anderen Vernichtungsverben eine palindromische Struktur.29 Es steht dann am Ende der Verwünschungen und am Anfang der Drohungen (28,45.48), und es kehrt innerhalb der Drohungen noch dreimal an wichtigen Stellen der Aussage wieder. Es ist das Wort, das eigentlich am deutlichsten die Verwünschungen und Drohungen auf den Punkt bringt. 30 Sieht man genauer zu, dann wird allerdings sein Sinn unterwegs verändert. Die Verwünschungen laufen auf die Vernichtung Israels hinaus. Die Drohungen schieben dagegen das Motiv der Feinde in den Vordergrund, die Not der Belagerung wird in schrecklichen Bildern ausgemalt, und am Ende steht die Not von Deportation und Exil. Das heißt jedoch: Die Bedro27 Zur gattungsmäßigen Unterscheidung zwischen Verwünschungen (bis 28,46) und Drohungen (in den dann folgenden Texten) vgl. die ausführliche Analyse der »Fluchtexte« von Deuteronomium 28 bei Hans Ulrich Steymans, Deuteronomium 28 und die ade zur Thronfolgeregelung Asarhaddons. Segen und Fluch im Alten Orient und in Israel, OBO 145, Freiburg/Schweiz und Göttingen 1995, 221-361, und die vorausgehende Überlegung »Wann ist ein Fluch ein Fluch?« (ebd., 207-220). 28 Dtn 28,20.24.45.48.51.61.63. 29 Sie wird von den Aussagen der Konstruktion »7y + Infinitiv« getragen. Die anderen Verben sind -Γ2Χ und n ^ D . Vgl. Norbert Lohfink, Art. l i t , ThWAT 8, 1994, 176-198, hier: 189 f. Das Verb 12X wird sich auch in 28,51 und 63 (nach der LXX auch schon in 28,45) mit "TOB paaren. 30 Genauere Analyse bei Lohfink, TO®, 188-190.

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hung wird von der völligen Vernichtung auf die Entwurzelung und Deportation heruntergestuft.31 Daß die abschließenden Exilsaussagen sich als Interpretation der viel radikaleren Verwünschungen und Drohungen des Anfangs verstehen, macht gerade der Gebrauch des Wortes "tn® deutlich. Bei seinem letzten Vorkommen, in 28,63, steht es nicht mehr als dunkler Schlußpunkt einer Aussage (so noch in 28,61: "|"rn®n »bis du vernichtet bist«), sondern in einer Art Überschrift über die dann folgenden Aussagen: So wie Jhwh seine Freude daran hatte, euch Gutes zu tun und euch zahlreich zu machen, so wird Jhwh seine Freude daran haben, euch auszutilgen (mrr t r t r • djik τηκπϊ» DD'i>y) und euch zu vernichten (D37W Tannin). (Dtn 28,63) Jetzt muß man sich einen Doppelpunkt denken. Hinter ihm wird dann die Deportation und die Not des Exils beschrieben. Sie sind schlimm genug. Aber was beschrieben wird, ist nicht mehr die völlige Vernichtung. Von ihr ist jetzt am Ende des Kapitels keine Rede mehr. Das Wort intb, das die Vernichtungsaussage zusammenfaßte, wird jetzt also so konkretisiert, daß es weniger sagt.32 Ein solcher Vorgang ist sprachlich natürlich nur in einem kontinuierlichen Textzusammenhang möglich. Würde das gleiche Wort in anderen Zusammenhängen neu aufgenommen, verstünde man es wieder in seiner üblichen Bedeutung. Immerhin: Die Um· deutungsarbeit am Wort in® in Dtn 28 hat schon darauf vorbereitet, daß

31 Zu dieser Analyse vgl. Steymans, Deuteronomium 28, 327 f. 32 Inwiefern das Wort "rnt> von seiner ursprünglichen Bedeutung her zu dieser Umdeutung seines normalen Sinns besonders disponiert war, habe ich in Lohfink, "TOP, nachzuweisen versucht. Das Wort meint ursprünglich nicht einfach »Vernichtung«, sondern die Aufhebung des »Familien-Ahnen-Erbbesitz-Zusammenhangs« einer Menschengruppe. Eine vergleichbare Uminterpretaüon wie die in Deuteronomium 28 dürfte bei auch in den paränetischen Kapiteln des Deuteronomiums vorliegen - entstehungsgeschichtlich vielleicht sekundär zum Vorgang in Kapitel 28. Im Bereich der Paränese wird der Text nicht verlängernd umgebogen, sondern ihm wird eine Leseregel vorangestellt, in deren Licht die nachfolgenden Texte dann zu lesen sind. Diachron gesehen handelt es sich bei dem erstplazierten Text natürlich um den jüngsten, doch synchron ist von einer einleitenden Leseanweisung für die später kommenden und ähnlich klingenden Aussagen zu sprechen. Die Texte, in denen, liest man sie vereinzelt, voll vernichtender Zorn Jhwhs gegen Israel angedroht wird (Wort: in®), sind 6,15 und 7,4. Doch vor ihnen hat der Leser schon das Kapitel 4 gelesen. Hier berichtet Mose in 4,3, Jhwh habe jeden einzelnen, der dem BaalPegor nachfolgte, aus Israels Mitte ("|2Ίρα) ausgerottet. "|2"ΐρη wird in 6,15a "|a*ipa wiederkehren und den Zusammenhang der beiden Stellen unterstreichen, 70» meint in 4,3 volle Vernichtung, wird aber nicht von ganz Israel, sondern von einzelnen Abtrünnigen ausgesagt. In 4,26 folgt auf die Kränkungsformel wegen Bilderverehrung in der Königszeit (4,25) die Vemichtungsaussage mit 13K und "TO® für ganz Israel. Aus der dann folgenden Explikation in den Vfersen 26-31 geht jedoch deutlich hervor, daß nicht der Untergang des Volkes, sondern nur eine Deportation gemeint ist, die sogar nach eingetretenem Exil die Möglichkeit neuer, barmherziger Zuwendung Jhwhs zu seinem Volk nicht ausschließt.

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das Wort am Ende des zweiten Königebuches in der einschlägigen Formelsprache ganz gestrichen und durch Exilierungsaussagen ersetzt werden konnte. Doch die Vorbereitungsarbeit für das Ende des Geschichtswerks ist noch nicht am Ende. In Kapitel 29 wird auch noch die »Exilsformel« selbst eingeführt. Interessanterweise sagen die Verwünschungen und Drohungen von Kapitel 28 niemals den Zorn Gottes an. Das ist wohl so zu verstehen: Die Bundesverwünschungen nennen nur Folgen des eigenen Verhaltens, denen Israel sich unterstellt. Ob Gott dann, wenn Israel den Bund bricht, auf diese Selbstverwünschungen eingeht, steht noch einmal in seiner Freiheit. Die Bundesverwünschungen sind also kein Mechanismus, der automatisch Gottes Zorn auslösen könnte. So glaube ich wenigstens das Fehlen der Rede vom Zorn Gottes in Kapitel 28 interpretieren zu sollen. Sobald Mose in Dtn 29 in den Mantel eines Propheten schlüpft, der als solcher auch die in der Freiheit Gottes liegende Zukunft sieht, spricht er auch vom zukünftigen Gotteszorn. Damit bin ich bei der Ansage des zukünftigen Exils in Dtn 29,21-27. Dieses hochpoetische, nach neuassyrischen Vorbildern gestaltete Textstück33 ist zusätzlich zu seiner rhetorisch-narrativen Hauptstruktur auch noch durch eine chiastische Struktur von Zornaussagen charakterisiert34: 29.22 29.23 29.26 29.27

Α Β Β' A'

mann iaxa πτη [»narr ηκπ -in ηιπ- η χ - i r n ηχρπ πηιηι ηκι

Es geht also wahrlich um Gottes Zorn, der in der fernen Zukunft ausbrechen wird und der nur mit dem Zorn vergleichbar ist, der sich in Sodom und Gomorra, Adma und Zebojim gezeigt hat. Trotzdem: Was alle Lebensfähigkeit verliert, ist das Land, nicht das darin lebende Volk. \ b n diesem heißt es am Ende, nachdem Gottes Zorn sich über dem Land ausgetobt hat, aus dem Mund von Menschen, die das beobachten werden: und dann riß Jhwh sie von ihrem Lande weg in Zorn und Glut und großer Ungnade und schleuderte sie (DD!»»"!) in ein anderes Land. (Dtn 29,27)

Das ist die »Exilsformel«, die sich von II Reg 17 an finden wird, in einer ihrer beiden Gestalten. Es ist in dieser Rede der letzte Satz Moses über die

33 Grundlegend: Dieter E. Skweres, Das Motiv der Strafgrunderfragung in biblischen und neuassyrischen Texten, BZ 14, 1970, 181-197. 34 Vgl. Georg Braulik, Deuteronomium II: 16,18-34,12, NEB.AT, Würzburg 1992, 216. Er weist auch darauf hin, daß sich innerhalb dieser Struktur genau 7 Zomausdrücke finden.

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dunkle Zukunft. Nach einem Überleitungssatz wird sofort in Dtn 31,1 die Prophezeiung der Heimkehr aus dem Exil folgen. Nur, weil vorher die »Zornesformel«, die den Text so deutlich prägte, nicht mit dem Wort "rat? endete, sondern sich zur »Exilsformel« entwickelte, kann eine spätere Heimkehr überhaupt gedacht werden. Schiebt man einmal die beiden positiven Zukunftstexte in Dtn 4,29-31 und 30,1-14 beiseite35, dann scheint es, als hätten die exilischen Bearbeiter des deuteronomistischen Geschichtswerks in ihrer Schlußbilanz nur eine These gekannt: Israel hat so gesündigt, daß Gottes Zorn seiner Geschichte schließlich ein Ende bereitete. Martin Noth, der das Geschichtswerk als erster voll in den Blick bekam, hat das mit Recht so gesagt. Wenn Gerhard von Rad dann mit Blick auf die Davidsverheißung in dieser Geschichtstheologie dennoch eine messianische Komponente entdeckte, so hat Frank Moore Cross das mit Recht einer Vorstufe des Werks zugewiesen, der joschijanischen Ausgabe.36 Das definitive Werk blieb dunkel, genau wie Noth meinte. In diesem Dunkel hat sich nun dennoch wieder ein ganz verhaltener Lichtschein gezeigt. McCarthy hat mit seinen Beobachtungen an der Formelsprache des Werks Hilfestellung geleistet. Seine eigenen Erklärungen, die er daraus entwickelte, waren zwar nicht weiter brauchbar, aber in der Erweiterung und Verfeinerung seiner Beobachtungen ließ sich am Ende eine sorgfältige Abwandlung der vorgegebenen Zornaussagen entdecken. Aus der Vernichtung wurde die Deportation. Diese Umdeutung wurde in den Schlußkapiteln des Buches Deuteronomium entworfen. In den Schlußkapiteln des zweiten Königebuchs wurde das Ende der Monarchie durch sie gedeutet. Die Deuteronomisten wußten sich unter dem Zorn Gottes. Sie haben mit dem Zorn ihres Gottes gerungen. Sie haben entdeckt, daß dieser Gott, wenn er auch noch so hart ist, am Ende doch nicht ganz von seiner Liebe zu Israel lassen kann.

35 Zur Einordnung dieser vor allem für Hans Walter Wolff wichtigen Texte vgl. zuletzt Yair Hoffman, The Deuteronomist and the Exile, in: Pomegranates and Golden Bells. Studies in Biblical, Jewish, and Near Eastern Ritual, Law, and Literature in Honor of Jacob Milgrom, Winona Lake IN 1995, 659-675. 36 Zur Korrektur der Beobachtungen von Gerhard von Rad vgl. noch Norbert Lohfink, Welches Orakel gab den Davididen Dauer? Ein Textproblem in II Reg 8,19 und das Funktionieren der dynastischen Orakel im deuteronomistischen Geschichtswerk, in: Lingering over Words. Studies in Ancient Near Eastern Literature in Honor of William L. Moran, HSSt 37, Atlanta GA 1990, 349-370.

GAETAN MINETTE DE TILLESSE

TU & VOUS dans le Deuteronome Lorsqu'on lit exclusivement les Sections-Tu du Dtn 5-12, on ne peut manquer d'etre frappe par la fiction systematique utilisee avec une insistance extraordinaire: Ecoute, Isarel. Te voici aujourd'hui sur le point de passer le Jourdain, pour aller deposseder des nations plus grandes et plus puissantes que toi et prendre possession de grandes villes dont les fortifications montent jusqu'au ciel (Dtn 9,1). On se demande qui aurait pu forger une telle fiction, qui ne se retrouve dans aucun autre livre de Γ Ancien Testament avant Daniel, Tobie, Judith et Esther. Pour qui l'aurait-on forgee (destinataires), ä quelle epoque et dans quelles circonstances? La critique moderne exclut totalement la possibilite qu'il s'agisse d'un document authentique de l'epoque de Mo'ise, car les lois et la parenese du Deuteronome supposent qu'Israel est sedentarise depuis longtemps. Une telle fiction aurait ete tout aussi impossible ä l'epoque florissante de l'Israel du Nord. Pourquoi, en une epoque oü Israel jouissait de la possession relativement tranquille de son pays, un livre aussi serieux et aussi important aurait-il simule que le peuple se trouvait en dehors de sa terre et allait encore la conquerir? Une telle fiction - qui, generalement, caracterise la litterature tardive - n'a pu se produire qu'ä une epoque oü Israel avait effectivement perdu la possession de son pays. Par consequent, il faut opter pour une composition »exilique« du Deuteronome. 1 Une autre caracteristique impressionnante est Γ exuberant optimisme. Comment, ä une epoque qui suivait de peu l'ecrasante deroute et l'exil de 721, un livre inspire, qui, manifestement, representait l'äme du peuple Israelite, pouvait-il manifester un tel enthousiasme delirant? Ici, nous n'avons qu'un seul point de comparaison: le Deutero-Isai'e. Le ton et le message sont etonnamment paralleles. Le Deutero-Isai'e a probablement ete trompe par la victoire sensationnelle de Cyrus contre Nabonide, quand il conquit Babylone sans bataille. La facilite de cette conquete a dü suggerer au Deutero-Isaie qu'il s'agissait la d'une intervention miraculeuse de Yahve en faveur de son peuple et que, comme autrefois Yahve avait 1 Nous l'avons dejä dit, »exilique« pour nous se rapporte aussi ä l'exil d'Israel du Nord, c'est ä-dire ä une epoque posterieure ä 721 av. J.-C.

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arrache le peuple esclave du pouvoir tyrannique du Pharaon, ainsi renouvelait-il aujourd'hui contre Babylone, les exploits qu'il avait realise jadis en Egypte. II existe done une affinite indeniable entre Deutero-Isai'e et le Deuteronome. II s'agit de savoir en quel sens court la dependance. Toutefois, la situation du Deuteronome est differente de celle du Deutero-Isai'e. Chez ce dernier, la situation est claire; eile n'a rien d'une fiction. Le peuple se trouve en exil, Cyrus vient de conquerir Babylone et de liberer les captifs qui vont retourner en Palestine reconstruire Jerusalem et les ruines de leur patrie. lis sont pleins d'enthousiasme, de foi et de courage. Une grande parente est egalement reconnue entre Osee et le Deuteronome. Toutefois en Osee, on n'a pas la moindre trace de la grande fiction qui conditionne tout le Deuteronome. Chez Osee, la sortie d'Egypte et la conquete sont evenements d'un passe clairement caracterise. Dans le cas du Deuteronome, nous nageons en pleine fiction. L'auteur se situe et situe ses lecteurs / auditeurs, comme s'ils se trouvaient ä la frontiere de la Palestine, prets ä commencer la conquete. Quand une telle mise en scene a-t-elle pu avoir eu un sens? Comme nous l'avons dit, cela n'a pu etre qu'ä une epoque oü Israel avait perdu le contröle de son pays et esperait le reconquerir. Ce ne pouvait pas non plus etre ä l'epoque de l'exil babylonien, car ici la difference avec Deutero-Isai'e est flagrante. Pas la moindre allusion ä un exil ä Babylone ou en une autre terre distante. Iis sont ä la frontiere de leur patrie, mais il attendent le signal pour commencer la (re-) conquete. La seule situation qui pourrait correspondre ä cette representation des choses2 est l'epoque d'Ezechias, durant laquelle reignait un grand optimisme, avec la pensee que le descendant de David pourrait reconquerir l'independance de l'Israel du Nord et reconstituer l'empire de David-Salomon. Effectivement, Ezechias et Juda se trouvaient »ä la frontiere« d'Israel (du Nord) domine par les Assyriens. Ezechias, qui s'etait dejä revoke contre le roi d'Assyrie (II Reg 18,7b), attendait l'occasion de mäter les Philistins (II Reg 18,8) et de reconquerir Israel du Nord. II est certain qu'Ezechias avait lance une grande Campagne de propagande pour attirer les anciens Israelites du nord dans son parti, contre les Assyriens (II Reg 18,19-20.32b-35). Le Deuteronome prouve que cette propagande politique rencontra un grand echo dans l'Israel du Nord, qui carressait ainsi l'espoir d'etre delivre du joug assyrien par Ezechias, Yahve renouvelant ses exploits accomplis en Egypte au temps de l'Exode. Ce reve pris fin en 701 par l'intervention fulgurante de Sennacherib. Josias parait avoir eu le meme songe, dont il ne reveilla plus ä Meguiddo en 609 av. J.C. Nous pensons plus probable l'epoque d'Ezechias, qui parait avoir suscite une grande esperance dans l'Israel du Nord, peu de temps apres

2 A moins de descendre jusqu'ä l'epoque des Maccabees, ce qui serait impossible, car le Deuteronome est presuppose par les Livres de Samuel, Rois, Nehemie, Chroniques, etc.

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la destruction de Samarie. Egalement Pexpression: »Te voici aujourd'hui sur le point de passer lejourdain, pour aller deposseder des nations plus grandes et plus puissantes que toi et prendre de grandes villes dont les fortifications montent jusqu'au del« (Dtn 9,1) s'appliquent beaucoup mieux ä Ezechias, qui attendait le moment de franchir la frontiere de l'Israel du Nord apres avoir vaincu les forteresses philistines (II Reg 18,8), qu'äjosias, qui devasta les sanctuaires de l'Israel du Nord (II Reg 23,15.19-20), mais ne realisa pas exactement une guerre de liberation comme l'avait commencee Ezechias. A l'epoque d'Ezechias - et uniquement ä l'epoque d'Ezechias - la liberation (ou la reconquete) d'Israel du Nord etait ardemment esperee ä partir de la frontiere entre Jerusalem et Israel du Nord, pas tellement loin de ce Jericho et de ce Guilgal qui avaient ete les bastions de la premiere conquete. Les Sections-Tu sont une gentille exhortation en vue de la reconquete imminente par l'armee de liberation en pied de guerre aux frontieres d'Israel (du Nord). Les accents et Poptimisme sont aussi pressants que ceux du Deutero-Isaie. Les Sections-Tu font du Deuteronome la promesse d'une nouvelle conquete du pays ä partir de la frontiere (de Juda). Dans les Sections-Vous, cet optimisme exuberant fait place ä un pessismisme amer et agressif. Les Sections-Vous sont narratives - tout comme le Deuteronomiste de Martin Noth auquel elles appartiennent. Aux antipodes des Sections-Tu, optimistes et encourageantes, les Sections-Vous sont un requisitoire, base sur l'histoire ancienne pour prouver qu'Israel a toujours ete infidele ä Yahve et c'est pour cela que le chätiment est venu sur lui. L'espoir d'une reconquete immediate - et encore moins d'une reconquete ä partir de Juda, qui se trouvait dorenavant dans une situation pire que Samarie! - s'est evanoui.3 Les Sections-Vous epiloguent sur les raisons de la deroute et de l'exil et accusent Israel (=Juda) d'avoir viole la Loi de Moise. Dans les Sections-Tu on ne sait pas qui est l'orateur ou l'auteur implicite. En Dtn 6,2.6; 7,11 apparait un »moi, je t'ordonne aujourd'hui« non identifie. A peine le titre (plus tardif?) de Dtn 4,44 presente la »Loi que Mo'ise promulga« et pourrait faire deviner que ce »je« qui apparait discretement de temps ä autre pourrait etre Mo'ise. Mais aucune affirmation explicite ne le dit. Au contraire, dans les Sections-Vous, Dtn 4,45-49 situe exactement et geographiquement la promulgation du Deuteronome en territoire de Moab, juste apres la conquete de la Transjordanie relatee par Dtr (Dtn 1-3), au 3 Sans aucun doute, Dtn 8,1; 11,11.23, qui citent presque textuellement les Sections-Tu dont ils dependent, parlent encore de conquete imminente, ä condition d'observer les commandements: la conquete est devenue conditionnelle, comme en Jos 23,15-16. Ce n'est plus la promesse irrefragable de la conquete basee sur le serment divin; mais la menace de perdre la terre, en raison de la desobeissance ä la loi. Dans les Sections-Tu, on suppose qu 'ils ne possedent pas la terre, mais qu'ils vont la conquerir en raison de la promesse divine; dans les Sections-Vous, on suppose qu'ils possedent la terre, mais qu'ils vont la perdre en raison de leur desobeissance ä la loi.

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moment de passer le Jourdain. Egalement, seules les Sections-Vous offrent cette mise en scene d'un peuple mourant de peur devant la manifestation puissante de Yahve ä l'Horeb, »le jour de l'Ässemblee«, et demandant ä Moi'se de se faire leur mediateur et porte-parole aupres de Yahve. Dans les Sections-Vous, il est tout ä fait clair que c'est Moi'se qui prononce tout le Deuteronome, 40 ans apres les evenements du Sinai", au moment de traverser le Jourdain pour conquerir le pays promis. Pour cette raison, les Sections-Vous parlent de deux Alliances: l'une au Sinai" / Horeb, le Jour de l'Ässemblee; la seconde en Moab, le jour oü Moi'se decida finalement de proclamer le Deuteronome qu'il avait garde silencieusement par devers lui durant 40 ans (Dtn 28,69). Egalement Dtn 18,15 fait une reference explicite ä Dtn 5,23-31. Yahve confirme les paroles du peuple et designe officiellement Moi'se pour etre son porte-parole (»prophete«) aupres du peuple. Par consequent, pour les Sections-Vous, il est clair que Moi'se est le locuteur du Deuteronome.4 D'ailleurs le Deuteronomiste aime la denomination »Loi de Moi'se«. Dans les SectionsTu, on ne sait pas qui parle. C'est quelqu'un qui parle avec autorite au nom de Yahve, mais qui n'est pas explicitement identifie. Le bloc central et crucial des Sections-Vous est l'adoration du veau d'or ä l'Horeb, le jour de l'Ässemblee (Dtn 9.8-10,11). C'est une section narrative dans le style deuteronomiste et non un style d'exhortation comme celui des Lois et de la parenese du Deuteronome primitif. Cette longue narration est un requisitoire contre Israel (Juda), annon9ant la rupture de 1'Alliance et l'Exil en raison de son infidelite. Le bris violent des tables du Decalogue par »Moi'se« indique clairement la rupture de l'Alliance (Sach 11,10-14). Les deux jeünes successifs (!) de 40 jours suggerent aussi le »jeüne« de l'exil de Babylone. II n'y a plus rien de l'enthousiasme exuberant des Sections-Tu. Ces deux jeünes sucessifs de Moi'se sont absents de la source des SectionsVous (Ex 32) et sont done une insistance propre de ces dernieres.5 Apparait ainsi la notion d'expiation, outre la notion d'intercession qui etait dejä presente en Ex 32 (comparer Ez 4,6). L'autre insistance des Sections-Vous se trouve naturellement au ch. 12, qui fait une claire allusion ä la Reforme de Josias et est done posterieur ä II Reg 23 (source du Dtr), qu'elle suppose (Dtn 12,2-3 est un resume de II Reg 23,4-20). Dtn 17,16-20 oppose le roi ideal Josias aux desordres de Salomon et resume la critique faite par Dtr ä presque tous les successeurs de Salomon.

4 Dtn 18,15c-18 appartient aux Sections-Vous, voir Revista Biblica Brasileira 12, 1995 (en frangais), 435-436. 5 Dtn 9 interprete Ex 24,18; 34,28 comme s'il s'agissait de deux jeünes successifs.

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L'Alliance dans les Sections-Tu et dans les Sections-Vous Dans son grand livre sur la Bundestheologie, Lothar Perlitt a magistralement demontre que la notion d'Alliance dans l'Ancien Testament etait inconnue des prophetes et avait ete introduite par le Deuteronome / Deuteronomiste. La notion d'Alliance entre Etats, Alliance de vassalite (hittite, assyrienne, etc.) existait dans tout le Proche Orient Ancien. Mais la notion d'Alliance theologale entre le peuple et son Dieu est propre ä la Bible. Dans notre theologie de l'Ancien Testament, nous etudions la notion d'Alliance dans la Bible, tant humaine que theologale, et nous avons note que l'Alliance n'est jamais purement »profane«; car meme une alliance entre hommes (Isaac / Abimelec [Gen 26]; Jacob / Laban [Gen 31]; etc.) est toujours l'objet d'un serment imprecatoire devant la divinite et revet done une valeur sacree.6 Mais ici, nous voudrions considerer un autre aspect. Perlitt a montre que la notion d'Alliance est essentiellement Dtn / Dtr. Perlitt parle de l'»horrible nom«7 de »Deuteronomisme«, qui pour lui inclut: 1) Dtn, la Loi deuteronomique »avec son cadre parenetique«8, e'est-a-dire Dtn 5-28 en bloc, sans distinction entre les Sections-Tu et les Sections-Vous; 2) Dtr: les chapitre introductoires Dtn 1-4 etJos 23; et 3) DtrG: la grande histoire deuteronomiste de Martin Noth, de Dtn 1 jusque II Reg 25. Je crois qu'ici exactement se trouve la grande lacune de Perlitt. En effet, s'il etablit de fa9on convaincante que la theologie de l'Alliance est une theologie creee par Dtn / Dtr, il devenait tout ä fait indispensable de creuser davantage et voir ce que signifiait cette notion d'Alliance pour le Deuteronome primitif (Sections-Tu) et comment eile avait ete reinterpretee consciemment par l'historien Deuteronomiste posterieur (Sections-Vous et grande histoire deuteronomiste). Nous essaierons de completer l'oeuvre magistrale de Perlitt sur ce point et de situer aussi l'ambiance vitale (Sitz im Leben) de l'Alliance dans le Deuteronome primitif et dans l'histoire deuteronomiste posterieure. Pour nous, le Deuteronome primitif (Sections-Tu) se situe dans l'Israel du Nord dans les annees 711-701 av. J.C.; au contraire, l'histoire deuteronomiste (Sections-Vous = Dtr) se situe enjuda apres 538 av. J.C. Cet intervalle de presque 200 ans constitue un abime entre l'une et l'autre theologies et on ne peut pas simplement les niveler, comme l'a fait Perlitt (suivant en cela Ernst Kutsch). Dans les Sections-Tu, l'Alliance a un sens bien speeifie, e'est l'Alliance et l'amour que Yahve a jure ä tes peres. C'est Yahve qui garde PAlliance. Cel-

6 Revista Biblica Brasileira, 15, 1998, p. 166-221. 7 Bundestheologie im Alten Testament, Neukirchen-Vluyn 1969, 2, note 2: »schreckliche Wort«. 8 Sic: ibid.

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le-ci s'identifie au serment que Yahve a prononce jadis »ä tes peres«. II doit s'agir du serment unilateral que Yahve a fait ä Abraham et ä sa descendance de lui donner ce pays, apres qu'il les aura delivres de l'esclavage egyptien (Gen 15,7-19). Cette Alliance-Serment estle signe qu'Abraham avait demande comme garantie qu'il possederait ce pays (Gen 15,8). Cette »garantie« devenait plus urgente que jamais en une epoque oü les descendants d'Abraham avaient ete spolies de leur terre. Ce serment de Yahve est le Leit-Motiv de toutes les Sections-Tu: Yahve a jure ä tes peres et maintenant il accomplit infailliblement ce qu'il a jure. Par consequent PAlliance ou le serment fait ä tes peres sont synonymes pour les Sections-Tu: c'est un don gratuit auquel Yahve s'est oblige par serment et qui est absolument garanti en vertu de la fidelite de Yahve. II ne s'agit pas d'une Alliance legaliste, ni d'une Alliance »du Sinai«, comme les auteurs modernes aiment de l'appeler. C'est une Alliance de grace, essentiellement gratuite (Dtn 7,8-15). La reponse du peuple ä cette Alliance se trouvera seulement en Jos 24,14-28: si Yahve a ete fidele, s'il a delivre Israel de l'esclavage d'Egypte, s'il lui a donne la victoire contre tous ses ennemis, la reponse d'Israel sera la foi et la confiance exclusive en Yahve comme en son unique sauveur. L'»aujourd'hui« du Deuteronome suggere que cette profession de foi yahviste etait l'objet d'une grande celebration liturgique, dont nous trouvons l'indication en Dtn 26,3 et e n j o s 24. La question des enfants et la repetition constante de la liberation de l'esclavage egyptien devaient faire partie de cette joyeuse celebration. Encore une fois, l'insistance; »Ecoute, Israel. Te voici aujourd'hui sur le point de passer le Jourdain, pour aller deposseder des nations plus grandes et plus puissantes que toi ...« (Dtn 9,1) suppose qu'ils ont perdu la possession de ce pays que Yahve leur avait donne et que le memorial du serment de Yahve ä Abraham est leur plus grande garantie de pouvoir la reconquerir ä nouveau d'ici peu. Iis en appellent au serment de Yahve pour fomenter leur esperance de recuperer immediatement la possession de la terre, dont les Assyriens viennent de les spolier. Les Sections-Vous, presque 200 ans plus tard, reinterpreted ces textes triomphants dans un sens tout different. Des le debut de la relecture »Vous«, la polemique apparait de fagon presque agressive: Yahve notre Dieu a conclu avec nous une Alliance ä l'Horeb. Ce n'est pas avec nos peres que Yahve a conclu cette Alliance, mais avec nous, nous qui sommes ici aujourd'hui tous vivants (Dtn 5,2-3). Les Sections-Vous nient done le sens fondamental de PAlliance faite avec les peres, Abraham, Isaac et J a c o b et insistent que c'est une Alliance faite ä l'Horeb avec la generation presente. En outre, cette Alliance est situee dorenavant au Sinai' / Horeb, ce qui fait d'elle une Alliance speeifiquement legaliste. Elle se resume ou se concretise dans le Decalogue, comme le specific Dtn 4,13 (»Vous«), qui pourrait etre encore posterieur.

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Par consequent, le chapitre crucial des Sections-\bus est Dtn 9,7 - 10,11. Dans ce chapitre, les tables du »temoignage« d'Ex 32,15-19; 34,29 deviennent »les tables de l'Alliance«, identifiee au Decalogue. Puisque l'adoration du veau d'or etait une violation du Decalogue, Moi'se brise le tables: l'»Alliance« est brisee. Et les nouvelles tables representent dejä la promesse d'une »Nouvelle Alliance« comme e n j e r 31,31, oü cette Nouvelle Alliance ne sera plus ecrite sur des tables de pierre mais dans les cceurs, comme va le developper II Kor 3,6-18. Nous constatons done qu'il y a une difference fondamentale entre l'Alliance dans les Sections-Tu: Alliance de misericorde, juree par Yahve ä Abraham en Gen 15 et infailliblement realisee jusqu'ä la conquete complete de la terre en Jos 21,43-45. Cette Alliance de grace est reconnue et proclamee comme telle dans la liturgie de Dtn 26,3;Jos 24,14-24, ä laquelle repond la confession de foi de la communaute (Dtn 26,3; Jos 21,43-45; 24,17-18) et la certitude triomphante que, dans une situation de retour ä la domination etrangere, apres la conquete assyrienne, Yahve, fidele ä sa promesse et ä son serment fait aux patriarches, les delivrera, renouvellant pour eux tous les miracles de l'Exode.9 Au contraire, les Sections-Ybus, qui sont originaires de Juda, pres de 200 ans plus tard - apres la ruine de Jerusalem - developpent une Alliance de type legaliste, qui consiste en une Loi - essentiellement le Decalogue - que Yahve impose ä son peuple, »lejour de l'Assemblee« au Sinai' / Horeb. C'est la violation de cette »Loi-Alliance« - comme dans le texte Dtr de la Reforme de Josias - qui provoque implacablement l'exil, oü ils se trouvent presentement (ä Babylone!). Kutsch et Perlitt apres lui ont tendance ä presenter ce modele legaliste de l'Alliance Dtr (imposition de Lois et de preeeptes!), comme si e'etait la signification authentique (et unique) de l'Alliance dans la Bible. La distinction entre les Sections-Tu (Israel du Nord, 711-701 av.J.C.) et les Sections-Vous (= Dtr, apres 538 av.J.C., enjudä) est essentielle pour reconstituer une histoire de la notion d'Alliance dans la Bible et, en particulier, dans la tradition Dtn / Dtr.

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TU & V O U S dans le Deuteronome LOHFINK, Norbert, S.J., Das Hauptgebot, Roma, PIB, 1963 DERS. (Hg.), Das Deuteronomium. Enstehung, Gestalt und

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ALEXANDER ROFE

The End of the Song of Moses (Deuteronomy 32:43) The last verse of the Song of Moses, Dtn 32:43, has been preserved in three divergent recensions: the Masoretic Text (= MT), which is virtually identical to the Samaritan Pentateuch (= SP), the fragment from Q u m r a n (= Q ) designated 4 Q D e u t q by its decipherers 1 , and the main Greek translation, the so-called L X X , which functions in biblical text-criticism as an important textual witness, indirect indeed, but most ancient. 2 Some of the best scholars over several generations dedicated their efforts to elucidate the relationship between the distinct recensions of this passage and to reconstruct a primary text lying behind them all. 3 In the present paper, I will attempt to improve on their results, taking advantage of their insights and of the general advances of our knowledge and method. It is with pleasure that I dedicate these remarks to a distinguished scholar who always excelled in his scrupulous study of the texts, advancing our understanding of the Hebrew Bible in general and of Deuteronomy in particular. Let us begin, then, with reviewing the textual witnesses.

1 The editio princeps has recently been published; cf. Eugene Ulrich, Frank M. Cross et al., Qumran Cave 4-IX, D J D XIV, Oxford 1995, 137-142. 2 I have used the critical edition of John W. Wevers, Septuaginta - Vetus Testamentum Graecum, Vol. 111,2: Deuteronomium, Göttingen 1977. However, I have reservations concerning some of his choices; at Dtn 9:4 and 26:7 the shorter Vaticanus text should be preferred. 3 Commentaries, monographs, and studies are listed in Alexander Rofe, The Belief in Angels (Hebrew; Ph.D. dissertation, The Hebrew University, 1969, repr.), Jerusalem 1979, 66-78, 362-363; repr. also in Alexander Rofe, Introduction to Deuteronomy, Part I and Further Chapters (Hebrew), Jerusalem 1988, 216-233. For more recent contributions cf. Pierre-M. Bogaert, >Les trois redactions conservees et la forme originale de l'envoi du cantique de Moi'seThe Ending of the Song of Moses: On the Pre-Masoretic Version of Deut 32:43 :k"j) d-hs^ opj n-sri apji (f •!»tr vio®a!>i (g .lay jibtn 'n nasi (h

The texts will be examined here by means of guidelines commonly accepted in textual criticism, and on the basis of phenomena that have already been detected in the transmission of biblical texts. The recognition of the following phenomena will serve us in the present essay: text-expansion, theological correction, conflation of readings, and graphic metathesis. In addition, we shall employ here two recognized, albeit not uncontested, guidelines: lectio difficilior praeferenda est and emendatio parallelismi causa. The employment of so many factors in the study of one single passage is certainly justified by the plurality of text-forms extant in this verse.5

I. Text-expansion. On a large scale, this phenomenon characterizes the Samaritan Pentateuch. But other textual witnesses are not free of it either. Passages in prose or poetry are often expanded with elements from similar contexts. Thus, 4 SP differs from MT in secondary details: it reads np" r m y 07 "J (scriptio defectiva) and

lay raw naai. 5 Such a plurality has been defined by Contini with an appropriate term: diffraction; cf. G. Contini, Breviario di ecdotica 1986, Torino 1990 and 1992, 29-30.

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Alexander Rofe

for example, M T in Dtn 1:39 borrowed the phrase rrrr Tib DJimx "IPX nasal from Num 14:31a, while D t n 1 ^ and 4QDeut h do not represent it.6 Peculiarly, SP presents here what we determined to be the added phrase, while it omits most of the original counterpart y~n 11U a r n i y T κ!>. In any case, L X X and 4QDeut h preserve the best reading.7 The first Isaiah scroll from Qumran (lQIsa a ) reads at the end of 1:15 jixya aa'myaxx ικί»η n * m n a a ' T . The two last words, which represent an additional colon, were taken from the similar context in Isa 59:3 jnya nna-myaxia a m nna'aa Here we may observe that the expansion extant in lQIsa a has probably been promoted by the copyist's impression that a colon was missing at the end of Isa 1:15 in its primary form. 8 This observation will serve us in the following analysis. Apparent expansions in our verse include colon c of M T π x^ a*iT npjl, as well as cola d - e of Qd^ET rxa&nbl / n s ^ a * t r DpJi, which are represented by cola f - g in L X X . These phrases appear in Moses' song at v. 41b: "KJS?ni>i "ix!> Dp] n'EX. However, nowhere else in this poem do we encounter such a verbatim repetition. Therefore, the phrases considered here in v. 43 are suspected of being secondarily added by a copyist. In M T , the inclusion of colon c results in an even number of cola. Thus it has plausibly been transcribed here by a copyist who sensed a gap. (How this gap could have been created we shall see below.) As for Q and L X X , the fact that their number of cola was originally even made them borrow an additional colon from v. 41b. At the root was probably the shorter expansion of M T and SP. One cannot easily argue the opposite position, in favor of the originality of colon c in M T and cola d - e of Q. Rather, the sequence of "D lay m m « nasi mp- n a y t n = >for He will avenge the blood of His servants and cleanse the land of His people' (without colon c of M T , etc.) makes good sense: both avenging the blood and cleansing the earth belong to the action of the blood-redeemer (cf. Ex 21:20; Num 35:33; the same concept dominates Gen 4:10-16: unavenged blood defiles the land). In all events, the repetitive cola in v. 43 should be considered as borrowed from v. 41b.

6 Cf. Ulrich, Cross, et al., Qumran Cave 4 I X , 6 4 - 6 5 . 7 Cf. Julius Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 4 1 9 6 3 , 3 3 8 ; Lothar Perlitt, Deuteronomium, B K V / 2 , NeukirchenVluyn 1991, 86.121. 8 An expansion on similar grounds occurred in Ps 91:4 according to 11Q11; cf. J . van der Ploeg, >Le Psaume X C I dans une recension de Qumran«πν, m p a a bibs, O-i; Emile Puech, >llQPsAp a : un rituel d'exorcismes. Essai de reconstruction^ R d Q 14, 1989/90, 377-408; Florentino Garcia Martinez et al., Qumran Cave 11 II, DJD X X I I I , Oxford 1998, 181-205.

The End of the Song of Moses

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II

Theological correction lies at the bottom of the textual manipulations that ensued. To my knowledge, the subject of theological corrections in the pre-Masoretic period has not yet received the attention it deserves and we still lack a comprehensive work that will replace Geiger's seminal monograph about the relationship between the history of the religion of Israel and that of the biblical text. Some beginnings, however, have been done and we may rely on them in discussing the theological corrections performed in Dtn 32:43.9 The first colon started with an invitation to divine beings to rejoice with the Lord: my D"Q® i m n (Q; cf. LXX); crn® here does not mean >heavensheavenly beingsthe nationsatomistic< translation: it does not connect to the verb either in Greek or in Hebrew. Both attempts at retroversion do not attain much, although lb 1TJT conveys a suitable atmosphere: in Ps 29:1 the deities are invited to give honor and strength to the Lord. The principle of lectio diffieilior praeferenda est has undergone a certain

devaluation in the last generation.17 Indeed, too often had its use been turned into abuse. Still, I believe this rule to be a sound guideline in passages where no other phenomenon of text transmission can be perceived to be at work. In such cases, the reading that is less expected by the copyists, on account of its being either rare or not easily recognizable, should be preferred by the critic. Viewed from this point, colon d of LXX certainly constitutes a lectio diffieilior. One cannot explain how the awkward ένισχυσάτωσαν αύτφ has derived from the plain προσκυνησάτωσαν αύτφ of the parallel colon b. In addition, if the expressions are retroverted into Hebrew, the clumsy II> ITJ?~I cannot be secondary vis-ä-vis n n n w m . To the contrary, a difficult, inexplicable locution may have given way to an obvious one: bowing down 15 Robert Helbing, Die Kasussyntax der Verba bei den Septuaginta. Ein Beitrag zur Hebraismenfrage und zur Syntax der Koine, Göttingen 1928, 77. 16 This direction was followed by the scholars listed in n. 25 of my Hebrew contribution Belief in Angels. Kamphausen noted Paulus as the first who suggested l!> lT"yn; cf. Adolf Η. H. Kamphausen, Das Lied Moses. Dtn. 32, 1 - 4 3 erklärt, Leipzig 1862, 222. 17 Cf. Bertil Albrektson, >Difficilior lectio probabilior - A Rule of Textual Criticism and its Use in Old Testament StudiesK ιί> nnn®n, which features in colon b of Q and LXX, appears verbatim in Ps 97:7. But what can be done about this ένισχυσάτωσαν αύτφ and its putative Vorlage iTjri or the like?

V. In an attempt to break the impasse, I suggest exploring the possibility of emending the text on the basis of parallelismus membrorum, i. e., what we may define as emendatio parallelismi causa. According to this procedure, a corruption in a biblical poetic text is redressed with an eye to the parallel colon. This kind of intervention is used quite often by interpreters, and in recent times some of the conjectures of scholars have found confirmation by modern discoveries. An illuminating instance of this type obtains in Isa 11:6 . . . Ί-ΤΠ- x-nni v a a i h j n / / p - r " t j ay i n r / / ® 1 3 Dy am -m. On the basis of LXX of the third line - και μοσχάριον, και ταύρος, και λέων αμα βοσκηθήσονται and taking into account the parallel clauses, Perles conjectured the reading u n a " (= they will feed)18 this is now confirmed by lQIsa a , which reads ΠΠ- n a " "V3D1 ^jn. 1 9 An additional conjecture parallelismi causa, suggested by Julius Wellhausen, has been confirmed by the Isaiah scroll from Qumran (lQIsa"). This is the passage in II Reg 19:27 = Isa 37:28 η χ π -|7ixsi ηπΐϊη "-pip.20 The restored word "|nip disappeared from all other witnesses due to haplography with the end of the preceding verse (crip > nap). Turning now to the vocabulary of our verse, I note the following parallels: Zeph 3:14 Ps 96:12 Ps 149:5

D~i>!n-r ra a!> i>aa ~TS»yi -πη» ||... jrx na ny- *iy S>a m v tx || ia ί»χ !>ai -tb T^yamaaua !>y u j v || naaa o'-ron Trfry

and again with the kindred verb -f-i>-y: I Chr 16:32

ny- -xy u : y tk || ia

i>ai men rfcy*

18 Cf. Frants Buhl, bearb., W. Gesenius' . . . Wörterbuch (Leipzig 151910) 456, s.v. X"in. Felix Perles' proposal was published in JQR 18, 1906, 385. 19 Cf. Eduard Y. Kutscher, The Language and Linguistic Background of the Isaiah Scroll, Jerusalem 1959, 26, 244 (Hebrew). The transcription in the editio princeps was not exact in this place. See now Elisha Qimron and Donald W. Parry, The Great Isaiah Scroll (1 Qlsa") (Leiden, 1999), a.l. M. Shab. 24:3 enjoins: Q-^jyn nx D-ΊΜ i. e., »(On Saturday) one does not feed the calves.« 20 Millar Burrows, The Dead Sea Scrolls of St. Mark's Monastery, Vol. I (New Haven, 1950), pi. XXXI. For the conjecture of Wellhausen, cf. supra, n. 7, p. 292, η. 1.

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The End of the Song of Moses P r o v 11:10

n n a - y t n " α κ π || m p

Ps 5:12

Η Η Υ - A N « -|A I S B Y I || U J - P

ri>yn o~p"rx

nai

- Ρ - O M !»D Ι Π Η Ι Π .

Evidently, (rejoice) and . T - ! » - Y / .f -by (exult) function as parallels in biblical poetry. On this account one is tempted to restore the word "iTl^jn, instead of the putative Vorlage of LXX "LB I T J R I , as a parallel to the I M N attested by all textual witnesses in the first colon of this verse.21

VI. Graphic metathesis is the textual phenomenon that I surmise to have happened at this point. This kind of mistake is quite common, not likely to disappear, at least in Semitic languages, even in the age of word-processors. This corruption has been detected, studied, and described, in a seminal essay by Tur-Sinai.22 Out of his many examples, I will mention a few of those in which MT can be emended on the basis of LXX: G e n 27:5 J o s 6:18 I S a m 17:39 J e r 12:4 M i 3:3

for for for for for

iran!>, r e a d irrani» (τφ πατρΐ αύτοϋ) in—mil, r e a d n n n n (ένθυμηθέντες) i»X"i, r e a d (έκοπίασεν) Υ ΐ Γ Ί Π Κ , r e a d l r n m x (οδούς ήμών) v o a "i&XD, r e a d v o l ΊΧΒ3 (ώς σ ά ρ κ α ς εις λέβητα)

In some of these cases the corruption has been facilitated by the fact that copyists would not recognize rare, difficult words. Note, for instance, •y "QTi in I Sam 9:25 MT that probably derived from an original!» n a v f attested by LXX. But all in all the phenomenon is a mechanical one: scribes invert the order of letters due to haste. This is certainly the case of Dtn 31:1 21 In the face of the widespread scepticism concerning conjectures in biblical text-criticism, I would refer the reader to the attitude of classical philologists; cf. H[ermann] Fraenkel, Testo critico e critica del testo, a cura di C. F. Russo (trad, di L. Canfora), Firenze 1983, esp. 42-46. The booklet contains excerpts from the author's Einleitung zur kritischen Ausgabe der Argonautika des Apollonius, Göttingen 1964. Cf. also D'A. S. Avalle, Principi di critica testuale, Padova 1978, 111-119: >emendatio ope ingenii... it is far more dangerous for a corruption to pass unrecognized than for a sound text to be unjustifiably attacked. For as every conjecture provokes refutation, this at all events advances our understanding of the passage, and only the best conjectures will win acceptance; on the other hand, the unnoticed corruption damages our total impression of the style . . . Anyone who is afraid of giving an uncertain text had best confine himself to dealing with autograph manuscripts T j n (Qumranic spelling l ^ T r y - l ) and then read as two words "iTjri. On the basis of the arguments evinced here, I suggest reconstructing the end of the Song of Moses as follows: Rejoice h e a v e n l y beings with H i m and let the divine o n e s exult, for H e will a v e n g e the b l o o d of H i s servants and H e will cleanse the land of H i s people.

m y D~nt? i m n crnbx ut>y-i 24 mp>~ n a y α ϊ "3 25 .iny w m f t naai

23 Dominique Barthelemy O. P. et al., Qumran Cave I, DJD I, Oxford 1955, 39. 24 n a y (MT, SP) should be preferred to m a ; cf. Jeffrey H. Tigay, The J P S Commentary-Deuteronomy D-ΊΠ, Philadelphia 5756/1996, 315. 25 I offered this reading for the first time some thirty years ago and later reprinted it (in: Introduction, supra nr. 3). My thanks go t o j . H. Tigay who kindly took notice and accepted it in his commentary (cf. preceding note), pp. 516-517, 546-547.

RUDOLF SMEND

Ein Göttinger Deuteronomiumkommentator Alfred Bertholet (1868-1951) Als »unseren Vater« redete ihn der große Gerardus van der Leeuw im Namen der Religionshistoriker an.1 Dabei war und blieb Alfred Bertholet Alttestamentler, ein Alttestamentier allerdings von ungewöhnlicher thematischer Weite. Auch sonst charakterisiert ihn Weite, den Grandseigneur mit dem mächtigen Kopf und der kraftvollen Handschrift, den Bürger von Basel, Aigle, Villeneuve und Roche, den Schweizer in Deutschland, den Basler Studenten, der Jacob Burckhardt hörte, den Berliner Professor, dessen Violinspiel Max Planck am Klavier begleitete. Seine älteste Erinnerung waren Basler Fasnachtstrommeln, die jäh seinen kindlichen Schlaf unterbrachen. 2 Das geschah in dem schmalen siebenstökkigen Haus »am Bäumlein« in der Augustinergasse über dem Rhein, wo er zusammen mit seiner Schwester eine glückliche Jugend hatte. Der Vater, Französischlehrer und später Konrektor am Gymnasium, sprach zu Hause nur französisch, so daß die Kinder zweisprachig aufwuchsen. Die Bertholets waren eine Honoratiorenfamilie im waadtländischen Aigle. Dort verbrachte Alfred Bertholet alle Schulferien bei Tanten und Cousinen, dort hatte er noch bis 1945 einen Restbesitz an Reben. »Wein war ein Teil seiner Kultur«, berichtet sein Enkel. Die Musikalität kam von der Mutter, die mütterlicherseits aus der großbürgerlichen Familie von Mayr in Arbon am Bodensee stammte; auch dort war Alfred Bertholet zu Hause. Ein kompromißlos orthodoxer Konfirmandenunterricht bestimmte ihn, das Fach der Theologie zu wählen. Er studierte außer einem Straßburger und einem Berliner Semester in Beisel. In Straßburg beeindruckte ihn Friedrich Spitta, in Berlin Adolf Harnack, in Basel nannte er die Alttestamentler 1 In der gedruckten Glückwunschadresse »Alfred Bertholet [...] grüßen bei seinem Eintritt in das 15. Lustrum seine Freunde, Kollegen und Schüler«. 2 Alfred Bertholet, Erinnerungen eines Musikfreundes, Basel 1950, 6. Das Biographische im folgenden weitgehend nach den »Personalien, vom Verstorbenen im Jahre 1948 aufgezeichnet« in dem nach seinem Tod gedruckten Gedenkheft, das außerdem die Ansprache von Eduard Thurneysen und die Gedenkreden von Walter Baumgartner (in Basel) und Leonhard Rost (in Berlin) enthält (letztere etwas verändert auch in ThLZ 77, 1952, Sp. 114-118). Für wertvolle Mitteilungen bin ich außerdem Bertholets Enkel Prof. Dr. Andreas Tammann in Basel zu großem Dank verpflichtet.

174

Rudolf Smend

Rudolf Smend, Konrad von Orelli und »ganz besonders« Bernhard Duhm seine Lehrer; sie veranlaßten ihn auch, in Straßburg bei Theodor Nöldeke Arabisch zu treiben. Das Leben kam darüber nicht zu kurz. Er war Mitglied der »Zofingia« und öffnete, tolerant wie er war, in deren Basler Sektion als Präses Abstinenzlern den Zugang. Vor allem musizierte er. Er spielte die Geige, zeitweise im großen Orchester der Allgemeinen Musikgesellschaft, und nahm während seiner gesamten Basler Zeit Anteil am musikalischen Leben der Stadt. Der Gymnasiast sang Brahms' Parzenlied unter dem Dirigat des Komponisten mit und wurde von diesem unter Schulterklopfen als »tapferer kleiner Sänger« angeredet, der Dozent war Präsident des Münsterchors und Administrator der Musikschule und des neugegründeten Konservatoriums, wo er Ferruccio Busoni als Leiter eines Meisterkurses zu begrüßen hatte und unter den Schülern den Pianisten Edwin Fischer kennenlernte, mit dem er bis ins Alter eng verbunden blieb. Beim Deutschen Tonkünstlerfest, das 1903 in Basel stattfand, war er der Quartiermeister; durch seinen eigenen Gast, den späteren Thomaskantor Karl Straube, kam er mit Max Reger in Beziehung. \ b n den Basler Freunden seien der Theologe Carl Albrecht Bernoulli und der Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin genannt. Einer anderthalbjährigen Pfarrerstätigkeit an der holländisch-deutschen Gemeinde in Livorno, gleich nach dem zweiten theologischen Examen und der Ordination angetreten, machte lebensgefahrliche Krankheit ein Ende. Die lange Zeit der Genesung nutzte er zu wissenschaftlicher Arbeit, wie sie ihm längst als Ziel vor Augen gestanden hatte. Er löste eine 1893/94 von der Basler Fakultät ausgeschriebene Preisaufgabe und arbeitete das Resultat zu einer Dissertation aus, mit der ihn die Fakultät 1895 promovierte und 1896 auch habilitierte. Das Thema stammte von Duhm, der Rang des 1896 unter dem Titel »Die Stellung der Israeliten und derJuden zu den Fremden« erschienenen Buches, mit 368 Seiten für eine damalige Dissertation ungewöhnlich umfangreich, rechtfertigte seine akademische Doppelverwendung vollauf. Motiv und Ergebnis der Untersuchung lassen sich nicht besser zusammenfassen, als es der Autor im Vorwort getan hat. Er betont ihren theologischen Charakter und erläutert: »Worauf wir ja als Theologen bei all unserer Arbeit, selbst auf entlegeneren Gebieten, im tiefsten Grunde unser Absehen richten, ist das Christentum dem wissenschaftlichen Verständnis etwas näher zu bringen. Das ist auch der letzte Zweck, der mir bei der vorliegenden Untersuchung vorgeschwebt hat. Es gilt als etwas Selbstverständliches vom Universalismus des Christentums zu reden. In wiefern ist nach dieser Seite die israelitische und die jüdische Religion die Vorbereitung auf dasselbe gewesen? Und wenn im Judentum selber Keime zum Universalismus lagen, warum ist es nicht ihm, sondern doch erst dem Christentum gelungen, sich

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die Welt zu erobern? Gerade aus diesem Unterschiede muß ein helles Licht auf das Wesen des Christentums fallen - aber zugleich freilich auch auf das Wesen des Judentums, und das ist der nächste Zweck, der mich bei meiner Arbeit geleitet hat. Ja, es dürfte sich vielleicht zeigen, daß nicht leicht etwas in gleichem Maße dazu geeignet ist, den Charakter der nomistischen Religion scharf hervortreten zu lassen, wie eben die Untersuchung der Frage nach der Stellung der Israeliten und der Juden zu den Fremden, macht doch gerade hier der Anbruch der theokratischen Periode mit der Einführung der deuteronomischen Verfassung einen besonders tiefen Einschnitt; denn während in der alten Zeit [...] die Stellung der Israeliten zu den Fremden keine wesentlich andere ist als die aller anderen Völker, bahnt sich mit dem allmählichen Aufkommen des Gesetzes auf einmal eine merkwürdige Umwandlung an. Aus den ausländischen Fremden, den >VölkernHeidenGerProselytkonservativer< als Sie's wünschten; aber ich bin's aus Uberzeugung!«29 Wie wenig er einfach der Mann einer Schule war, zeigt die Offenheit, mit der er Gunkels Genesiskommentar begegnet; er findet, daß »die kritische Anschauung gewisse Correcturen, die er an ihr vornimmt, nicht unbesehen von der Hand weisen darf«30. Auf Gunkels zentrale Thesen

26 27 28 29 30

Alfred Bertholet, Leviticus, XX Anm. Vgl. Hans-Peter Mathys, Karl Marti (1855-1925), ThZ 48, 1992, 356-368, bes. 360-362. Brief vom 21.3.95. 1.12.01. Rezension in der ThLZ 27, 1902, 133-138, Zitat 137.

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schwenkt er damit durchaus nicht ein: »In der Auffassung der Entstehung der Psalmen vermag ich ja nun allerdings Ihnen nicht zu folgen, wie sie schon wissen.«31 Im eigenen Lager, wenn man es so nennen darf, hält er sich gegenüber einer immer genaueren Quellenscheidung, wie sie etwa Budde oder Steuernagel üben, deutlich zurück. Es ist ihm nicht gegeben, Buddes »frohen Glauben an die Möglichkeit gewisser haarfeiner Spaltungen des überlieferten Erzählungsstoffes zu theilen«, und er fragt sich auch, »ob die Mühe, die aufgewendet wird, um über gewisse unstreitig wichtige Ergebnisse der Quellenkritik hinauszukommen, in einem annehmbaren Verhältnisse stehe zum theologischen und religionsgeschichtlichen Gewinn«32. An die Adresse Steuernagels äußert er sich bewußt »ketzerisch« gegen eine Quellenkritik, »die den Text zu Tode hetzt, bis glücklich jedes Wort und Wörtlein unter Dach und Fach gebracht ist, und das mit so viel Ernst und ehrlichem Eifer, als läge darin eine der Hauptaufgaben unserer gegenwärtigen alttestamentlichen Arbeit beschlossen«33. Vermutlich war er nicht beleidigt, als Steuernagel ihm seinerseits vorhielt, seine Stärke liege »nicht auf dem Gebiet selbständiger Quellenanalyse«, hier sei er »mehr oder weniger nur ein allerdings selbständige Kritik übender Referent; die Gaben sind eben verschieden vertheilt und B.'s Gaben liegen auf andern Gebieten«34. Es waren zwei große Gebiete, denen Bertholet seit jener Zeit seine Gaben zugute kommen ließ: das nach exilische Judentum und die allgemeine Religionsgeschichte. War es schon in der Dissertation um das Judentum im Gegensatz zum alten Israel gegangen, so fixierte Bertholet in zwei frühen Vorträgen über je eine Gestalt am Anfang und am Ende des fraglichen Zeitraums sein künftiges Arbeitsgebiet. Die Habilitationsvorlesung im Sommersemester 1896 bestimmt im Anschluß an Bertholets Lehrer Smend den Propheten Ezechiel als »Vater des Judentums«35, ein Aulavortrag im darauffolgenden Winter schildert plastisch die Herrschaft Herodes' des Großen, dessen Ziel »der großartige Versuch« gewesen sei, »das Judentum mit der hellenistischen Welt und ihrer Kultur in Einklang zu bringen«, und den man nicht »mit jüdischen oder gar christlichen Werten messen« dürfe.36 Die Weiterarbeit wurde zunächst durch

31 Brief an Hermann Gunkel vom 3.12.1911 (Universitätsbibliothek Halle Y: 33 I Β 261). 32 Besprechung von Karl Buddes Richterkommentar ThLZ 23,1898,209-212, Zitat 211. Dazu brieflich an Marti 28.5.98: »Ist Budde über meine Recension in ThLZ. wohl ärgerlich?«. 33 Besprechung von Carl Steuernagels Josuakommentar ThLZ 26, 1901, 214-218, Zitat 215. 34 Besprechung von Bertholets Deuteronomiumkommentar ThLZ 25, 1900, 433-436, Zitat 434. 35 Der Verfassungsentwurf des Hesekiel in seiner religionsgeschichtlichen Bedeutung, SGV 3, Tübingen 1896, 21922, 21. Vgl. Rudolf Smend, Der Prophet Ezechiel, KEH VIII, Leipzig 2 1880, VIII, und Alfred Bertholet, Das Buch Hesekiel, KHC XII, Freiburg u. a. 1897, XXIV 36 Herodes der Große, ChW 11, 1897, 1131-1134.1196 f.1210-1213, Zitate 1211.1213. Vgl. den Brief an Marti vom 9.11.96.

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die Kommentierung der einschlägigen biblischen Bücher dirigiert. So gleich im Sommer 1897, als das Buch Ruth an der Reihe war: »Ich muß mich zuerst ganz in die Geschichte der Entstehung des Judentums einarbeiten; denn ich meine, daß Ruth in jene Zeit gehöre.«37 Wie intensiv Bertholet dann ein Jahrzehnt lang den schwierigen und spröden Stoff durchdrang, zeigt die Souveränität, mit der er im Schlußteil von Buddes Geschichte der althebräischen Litteratur die Apokryphen und Pseudepigraphen abhandelte.38 Er hoffte, darin den Leser, der »mit Apokryphen und Pseudepigraphen in eine Zeit geistiger Erstarrung des Judentums, als die man sich seine letzten vorchristlichen Jahrhunderte früher wohl vorgestellt hat, geführt zu werden glaubte«, eines besseren zu belehren; diese Schriften waren ihm »von dem ein beredtes Zeugnis, was des Judentums unvergängliche Größe bleibt«39. Das rief danach, die literaturgeschichtliche Synthese durch eine religionsgeschichtlich-theologische zu ergänzen. Die Gelegenheit bot sich, indem Bertholet nach Bernhard Stades Tod den Auftrag erhielt, den zweiten Band von dessen Biblischer Theologie des Alten Testaments zu schreiben. Stade hatte vorgehabt, ähnlich Wellhausens Verfahren in der Israelitischen und jüdischen Geschichte mit einer Darstellung der PredigtJesu abzuschließen.40 Für Bertholet dagegen war Jesu Werk so sehr »Neuschöpfung«, daß er sein nach langer Vorarbeit41 1911 erschienenes Buch zwar »Die jüdische Religion von der Zeit Esras bis zum Zeitalter Christi« nannte, aber doch nur das Zeitalter und nicht dessen Namengeber darstellte.42 Gleichwohl stritt er auch hier gegen die traditionelle Auffassung, »daß dieser Zeitraum von 4 ^ J a h r hunderten lediglich eine Erstarrung und Verknöcherung schon gegebener Gedanken zum Inhalt habe«. Man habe »gründlich umzulernen angefangen«, und es werde »in dieser Beziehung sogar noch mehr zu tun sein«. Das hänge damit zusammen, daß eine Reihe früher für älter gehaltener Quellen sich als erst nachesranisch herausgestellt hätten, wodurch das damalige Judentum als eine »komplexe religiöse Größe« erkennbar geworden sei, die sich keineswegs ganz auf den Nenner des Gesetzes bringen lasse.43 Nicht zufällig ist die Partie über Hiob44 ein Höhepunkt des Buches, ähnlich wie bei Wellhausen45, dessen (komplexe!) Gesamtauffassung des nachexilischen

37 38 39 40 41 42 43 44 45

An Marti 12.6.97. Die Litteraturen des Ostens in Einzeldarstellungen VII/1, Leipzig 1906, 2 1909, 335-422. 422. Biblische Theologie des Alten Testaments I, Tübingen 1905, 5 f., vgl. Akademische Reden und Abhandlungen, Gießen 21907, 94 f. Vgl. seinen Brief an Gunkel vom 13.12.08 (Univ. Bibl. Halle, Nachlaß Gunkel Yi 33 I Β 251). Vgl. 496. 1.83 f. §§9 f., 98-135. Julius Wellhausen, Israelitische und jüdische Geschichte, Berlin 71914, 205-208.

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Judentums häufig durchschimmert. Für die spätere Zeit hat Bertholet den meisten Nutzen aus den Werken Schürers und Boussets gezogen. 46 Von Bousset ließ er sich vor allem in der Frage ausländischer, namentlich iranischer Einflüsse auf die jüdische Religion anregen. Er selbst rechnete an vielen Stellen mit solchen Einflüssen, sah aber in der Offenheit des Judentums dafür »nicht ein Zeichen seiner Schwäche, sondern seiner Kraft«; »was man rezipierte, nahm nur die Stelle des geistigen Tributes der außeijüdischen Religionen an den Jahweglauben ein, den man sich gerne gefallen ließ«47. In derartigen Fragen war er mitderweile längst zum Fachmann geworden. Als ihm 1898 Marti die Kommentierung auch noch des Josua anbot, lehnte er ab mit der Begründung: »Meine Arbeit hat sich in der letzten Zeit in etwas anderer Richtung bewegt, und ich möchte in der nächsten Zeit sie mehr und mehr verfolgen: es ist die allgemeine Religionsgeschichte, die mich mächtig anzieht und wo ich neue Aussichten sich mir eröffnen sehe. Ich gehe sogar mit dem Gedanken um, Sanskrit anzufangen.« 48 Er stand damit, worauf er gern hinwies49, in einer verhältnismäßig alten Basler Tradition: seit 1837 wurden dort, zuerst von einem Neutestamentier namens Johann Georg Müller50, regelmäßig religionsgeschichtliche Vorlesungen gehalten; ein besonderes Interesse in dieser Richtung hatten, jeder auf seine Weise, die beiden älteren Kollegen Bertholets, von Orelli und Duhm. Vorangegangen war ihnen allen kein Geringerer als W. M. L. de Wette mit einer 1827 publizierten Basler Vorlesungsreihe »Uber die Religion, ihr Wesen, ihre Erscheinungsformen und ihren Einfluß auf das Leben«. Hatte de Wette den meisten seiner Nachfolger eine durchdachte philosophisch-theologische Deutung des »Wesens« der Religion voraus, so überholten sie ihn schnell in der detaillierten Kenntnis ihrer »Erscheinungsformen«, für die das Anschauungsmaterial von allen Seiten heranströmte und nach Interpretation und Ordnung verlangte. Diese Arbeit gewann früher und umfassender als in anderen geisteswissenschaftlichen Disziplinen einen internationalen Charakter, und daran hat bereits der junge Bertholet einen Anteil gehabt.51 Im September 1900 besuchte er den »Premier Congres international d'Histoire des Religions« in Paris, auf dem »das deutsche Element sozusagen gänzlich fehlte«. Um »es 46 Emil Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu Christi, Leipzig 4 19011909; Wilhelm Bousset, Die Religion des Judentums im neutestamentlichen Zeitalter, Tübingen 1903. 47 Das religionsgeschichtliche Problem des Spätjudentums, S G V 55, Tübingen 1909, 20. 48 21.4.98. 49 Vgl. seine Antrittsrede in der Preußischen Akademie der Wissenschaften (SPAW.PH 1938, C-CII) CI. 50 Vgl. Edgar Bonjour, Die Universität Basel von den Anfangen bis zur Gegenwart, Basel 1960, 157. 51 Zum Folgenden vgl. Verhandlungen des II. Internationalen Kongresses für Allgemeine Religionsgeschichte in Basel, Basel 1905; dort 1-34 Bertholets Bericht.

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womöglich zu künftiger Mitarbeit ungezwungen heranzuziehen«, wurde ins Auge gefaßt, den nächsten Kongreß im deutschen Sprachgebiet stattfinden zu lassen. Da die Religionsgeschichte an den deutschschweizerischen Universitäten und speziell in Basel damals eine erheblich größere Rolle spielte als in Deutschland und da Bertholet der einzige in Paris anwesende deutschsprachige Professor war, bekam er den inoffiziellen Auftrag, in Basel zu sondieren. Er hatte Erfolg, und der zweite Kongreß fand 1904 dort statt. Bertholet als sein Generalsekretär trug wesentlich zu seinem glanzvollen Gelingen bei und war fortan eine zentrale Gestalt nicht nur auf diesen Kongressen und bei ihrer Organisation, sondern auch in der internationalen Gemeinschaft der Religionshistoriker überhaupt. Das bezeugt eindrucksvoll ein Dokument aus viel späterer Zeit, die Glückwunschadresse, die ihm 1938 an seinem 70. Geburtstag, zu einem der Internationalität alles andere als günstigen Zeitpunkt, überreicht wurde. Sie enthält faksimilierte Briefe von Stanley A. Cook, Max Haller, Sten Konow, Gerardus van der Leeuw, Adolphe Lods, Martin P. Nilsson, Arthur Darby Nock, Raffaele Pettazzoni und Tadeusz Zielinski und danach die Unterschriften von fast zweihundert weiteren Gelehrten, unter ihnen viele klangvolle Namen; allerdings fehlen die Juden. Alfred Bertholet hat sich an der religionsgeschichtlichen Arbeit der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auf vielfache Weise beteiligt, zunächst in Einzelstudien, die er meist nicht nur den Fachkollegen, sondern auch einem allgemeineren Publikum vorlegte. So hielt er bereits im Januar 1900 einen Aulavortrag über Seelen- und Geisterglauben, im Februar einen Bernoullianumsvortrag über den Buddhismus 52 , und es ist kein Zufall, daß die Mohr-Siebecksche »Sammlung gemeinverständlicher Vorträge und Schriften aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgeschichte« sein beliebtester Publikationsort wurde. Offenkundig war er ein eindrucksvoller Redner, interessant ohne jede Effekthascherei, ein meist umfangreiches Material auf ein klar angegebenes Problem hin disponierend, die Möglichkeiten mit ruhiger Sachlichkeit gegeneinander abwägend - man hat ihm eine »fast klassische Abgeklärtheit des Urteils« nachgerühmt53 - und den Gedankengang übersichtlich und folgerichtig zu Ende führend, wobei Sicherheiten nicht vorgetäuscht wurden, wenn sie nicht vorhanden waren. Bertholet beherrschte aber nicht nur die Kunst der Abhandlung, sondern auch die der Erzählung, wie etwa die sechs Vorträge zeigen, die er im Januar und Februar 1910 »in einem vom Basler Erziehungsdepartement angeordneten populären Kurs« über »Das Ende des jüdischen Staatswesens« hielt.54 Über Richtung und Themen seiner religionsgeschichtlichen Arbeit kann die Aufzählung von Einzelstudien, meist also Vorträgen, wenigstens eine 52 An Marti 11.1.00. 53 Rost, Gedenkschrift, 30 (115). 54 1910 in Tübingen erschienen.

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grobe Orientierung geben55: Die Gefilde der Seligen (1903), Seelenwanderung (1904), Dynamismus und Personalismus in der Seelenauffassung (1930), Über den Ursprung des Totemismus (1918), Das Wesen der Magie (1926), Uber Gemination von Kultriten. Ein Beitrag zur Unterscheidung von Religion und Magie (1929), Uber kultische Motiwerschiebungen (1938), Der Sinn des kultischen Opfers (1942), Der Versöhnungsgedanke in der Religion (1913), Weibliches Priestertum (1950)56, Wortanklang und Volksetymologie in ihrer Wirkung auf religiösen Glauben und Brauch (1940), Die Macht der Schrift in Glauben und Aberglauben (1948), Religionsgeschichtliche Ambivalenzerscheinungen (1948), Parallelen der Religionsgeschichte57, Götterspaltung und Göttervereinigung (1933), Das Geschlecht der Gottheit (1934), Die gegenwärtige Gestalt des Islams (1926), Buddhismus und Christentum (1902), Der Buddhismus und seine Bedeutung für unser Geistesleben (1904), Buddhismus im Abendland der Gegenwart (1928), Religion und Krieg (1915), Kultur und Religion (1924). Die Vielzahl der Detailarbeiten rief nach einer Gesamtdarstellung, und eine solche in Gestalt einer »umfassenden Phänomenologie der Religion« hat Bertholet durchaus als Ziel im Auge gehabt und mehrfach angekündigt, so besonders 1938 in seiner Antrittsrede in der Preußischen Akademie der Wissenschaften58 - dort unter Nennung einer höchst anspruchsvollen Parallele, nämlich der einer »nach Formkategorien gegliederten Kunstgeschichte, wie Jakob Burckhardt sie gemeint hat«59. Leider war es ihm nicht gegeben, diesen Plan auszuführen. Daß ihm das Material zu Gebote stand wie vielleicht keinem Zweiten, bewies er durch die Betreuung der religionsgeschichtlichen Abteilung in der zweiten Auflage der »Religion in Geschichte und Gegenwart« und noch mehr durch sein »Wörterbuch der Religionen«, das postum 1952 in »Kröners Taschenausgabe« erschien. Eine gedrängte Skizze der leitenden Gesichtspunkte steuerte er zum letzten Kriegsheft der »Forschungen und Fortschritte« bei, in dem sich »eine Anzahl der ältesten und treuesten Mitarbeiter, führende Männer der deutschen Wissenschaft« äußern sollten - das Heft beginnt mit Planck und endet mit Bertholet.60 Die Stichworte sind: Religionsgeschichte und Religionsphänomenologie, Religion im engeren und im weiteren Sinn, das hinter den äußeren Phänomenen Stehende (die »anima«), Entwicklung, Gegensätzlichkeiten und Ambivalen55 Die genaueren bibliographischen Angaben bei Verena Tammann-Bertholet, Bibliographie Alfred Bertholet, in: Festschrift für Alfred Bertholet, Walter Baumgartner u. a. (Hg.), Tübingen 1950, 564-578. 56 In: Beiträge zur Gesellungs- und Völkerwissenschaft. Festschrift zum 80. Geburtstag von Richard Thurnwald, Berlin 1950, 42-52 (noch nicht bei Tammann-Bertholet). 57 HUCA XXIII, 1950/51, 561-578. Ebenfalls noch nicht bei Tammann-Bertholet. 58 S.o. Anm. 49. 59 Antrittsrede, CI. 60 Zur Religionsphänomenologie, FuF 21/23, 1947, 29-31.

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zen, lebendige Geschichte als eigentliches Wesen der Religion. Die Skizze läßt nicht erkennen, wieweit hinter ihr etwa schon ein wenigstens in den Grundzügen ausgeführtes Werk steht. Sollte Bertholets letzte Berliner Vorlesung, eine »Phänomenologie der Religion«, im Wintersemester 1937/38 zweistündig gehalten, in seiner letzten Basler Vorlesung über »Grundformen der Erscheinungs welt der Gottesverehrung« wiederzuerkennen sein, die Johannes Hempel 1953 postum herausgab, dann war zu dem großen Buch noch ein weiter Weg. Das Buch hätte wohl nicht die Poesie von van der Leeuws, des großen Konkurrenten und Freundes, »Phänomenologie« gehabt, aber es wäre ihm an Gediegenheit und Benutzbarkeit überlegen gewesen. Uber Mangel an Kritik hätte Bertholet sicher nicht zu klagen gehabt. »Mit Schlagwörtern und Theorien wie Animismus, Totemismus usw. ist nichts getan (das ein Einwand gegen Bertholets Methode)«, schrieb Mowinckel an Gunkel61, und ähnlich hat innerhalb und außerhalb der Religionsgeschichtlichen Schule mancher gedacht. Im Rückblick konstatiert der Historiograph der Berliner theologischen Fakultät bei Bertholet bei aller Anerkennung eine allgemeine Gefahr von zwei Seiten: »Nur überdeckte der Phänomenologe immer wieder sowohl den Historiker wie den Theologen.« 62 Die Gefahr, daß in der religionsgeschichtlichen Zusammenschau »das geschichtliche Moment in den Hintergrund träte«, brachte Heinrich Lüders, der Sekretär der Philosophisch-historischen Klasse der Berliner Akademie, in seiner Erwiderung auf Bertholets Antrittsrede zur Sprache, um daraus die Folgerung zu ziehen, Bertholets Wissenschaft sei besser als Religionsphänomenologie zu bezeichnen.63 Damit rannte er bei Bertholet offene Türen ein, zumal er ihn als einen erprobten Philologen und Historiker kannte. Bertholet mag gelegentlich in der Gefahr gewesen sein, die israelitische Religion eher im Licht eines Abstractums von Religion oder primitiver Religion zu sehen als in dem ihrer konkreten Nachbarreligionen 64 ; aber eine grundsätzliche Alternative bestand hier für ihn keinesfalls, und einen weiten Horizont bewies seine Position allemal. Was die Theologie angeht, legte er Wert darauf, daß sowohl die Religionsgeschichte als auch die Religionsphänomenologie sich auf »Fragen nach Wert und Wahrheit der Religion« nicht einlasse, sie vielmehr der Religionsphilosophie und der Dogmatik überlasse 65 ; und namentlich für die letztere hegte er, obwohl er etwa mit Karl Barth in den gemeinsamen Göttinger Jahren auf gutem Fuß stand, so gut wie keine Sympathien. Aber es

61 62 63 64

26.5.1928 (Univ.-Bibl. Halle, Nachlaß Gunkel Yi 33 I Μ 104). Walter Elliger, 150 Jahre Theologische Fakultät Berlin, Berlin 1960, 111. Antrittsrede, CIII. Vgl. Der Beitrag des Alten Testaments zur allgemeinen Religionsgeschichte, S G V 106, 1923. 65 Wörterbuch der Religionen, Stuttgart 1952, 401 f.

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wird immer wieder deudich, daß er sich als einen Christen verstand und sein Christentum feinsinnig und verantwortungsbewußt reflektierte - man lese etwa den schönen Vortrag »Ästhetische und christliche Lebensauffassung«66. Da die »Phänomenologie« nicht zustandekam, ging die literarische Wirkung des Religionshistorikers außer vom »Wörterbuch« von zwei Standardwerken aus, die er in selbstloser Weise betreute, dem »Religionsgeschichtlichen Lesebuch« und dem »Chantepie de la Saussaye«. Das »Lesebuch« bietet in seiner ersten Auflage (1908) in einem stattlichen Band von 400 Seiten Texte aus der kanonischen Literatur der Chinesen, der Inder, der Perser und der Araber in der Übersetzung von vier Fachleuten und mit deren Erläuterungen. Bertholet hat das Register ausgearbeitet und eine sehr lesenswerte Einleitung vorangestellt, die mit einer an Harnack gerichteten Apologie nicht nur dieses Werkes, sondern der Allgemeinen Religionsgeschichte überhaupt beginnt. Noch wirksamer wurde das Werk in der gänzlich erneuerten, auf 17 Einzelhefte erweiterten zweiten Auflage (1926-1932), in der Bertholet neben der Arbeit des Herausgebers das Heft über die Religion des Alten Testaments selbst besorgte. Das »Lehrbuch der Religionsgeschichte« des Leidener Religionshistorikers P. D. Chantepie de la Saussaye war nach dem Tod seines Herausgebers (1920) auf den Schweden Ed. Lehmann übergegangen, und dieser wiederum konnte nichts Besseres tun als Bertholet heranzuziehen, der akkurat die eigentlichen Redaktionsgeschäfte besorgte und ohne fremde Hilfe das fast hundertseitige Register (in drei Spalten!) herstellte. Wir haben schon mehrfach über Bertholets Basler Zeit hinausgegriffen. Er war 1899 zum außerordentlichen und 1905 zum ordentiichen Professor befördert worden, bezog aber auch als solcher nur ein geringes Gehalt und hatte in dem umschwärmten Duhm und in v. Orelli, zu dem die »positiven« Studenten gingen, zwei Kollegen, die seiner Lehrtätigkeit nicht viel Raum ließen. So war es ihm eine Erlösung, als er 1913 als Nachfolger Julius Grills nach Tübingen berufen wurde. Er ging als Familienvater. 1906 hatte er die aus puritanischem Kaufmannshaus stammende Salome Schmid geheiratet, die nach der Darstellung des Enkels hoch intelligent war, mehr sozial als religiös, mehr kunstsinnig als musisch, und die die Finanzen und den Haushalt in Ordnung hielt. 1907 und 1910 waren die beiden Töchter geboren worden. Die nach Bertholets eigener Aussage »höchst beglückende« Tübinger Zeit dauerte nur drei Semester. Zum Winter 1914/15 trat er in Göttingen die Nachfolge seines einstigen Lehrers Smend an, und er hat das »nicht zu bereuen gehabt«67. Eine der ersten Pflichten war der Antrittsbesuch beim Ehe-

66 Tübingen 1910. 67 Gedenkheft 5 f.

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paar Wellhausen. Die siebenjährige Tochter Verena durfte mitkommen und war, wie sie mir Jahrzehnte später erzählte, aufs höchste gespannt, weil sie ihren Vater von Wellhausen hatte sprechen hören wie sonst nur vom lieben Gott. Sie verfolgte an einem Nebentischchen sitzend die etwas mühsame Unterhaltung und stellte sich seitdem noch lange Gott so vor wie den alten Wellhausen: weißhaarig, etwas unbeweglich, sehr freundlich und schrecklich schwerhörig. Vater Bertholet wird sehr bedauert haben, zu dem schwerkranken Mann nicht mehr in eine nähere Beziehung treten zu können. Stattdessen ergaben sich andere Beziehungen, darunter die Freundschaft mit dem Kunsthistoriker Oskar Hagen, der das Göttinger Akademische Orchester dirigierte. Bei gemeinsamem Händel-Musizieren entstand im Herbst 1919 der Gedanke, zum ersten Mal seit zwei Jahrhunderten eine Händel-Oper aufzuführen, und dieser Gedanke wurde nicht zuletzt dank Bertholets Organisationstalent schon im Juni 1920 mit der »Rodelinde« in die Tat umgesetzt. Die noch heute blühenden Göttinger Händel-Festspiele zählen Bertholet zu ihren Gründungsvätern, und als der »getreue Eckhardt der Händel-Opern«, wie ihn der Historiker Karl Brandl nannte68, wurde er 1935 eingeladen, die Göttinger Festrede zu Händeis 250. Geburtstag zu halten.69 Dazu mußte er aus Berlin anreisen, wo er, seit 1928 als Hugo Greßmanns Nachfolger Ordinarius für Altes Testament und Allgemeine Religionsgeschichte, auf dem Höhepunkt seines Lebens und seiner Wirksamkeit stand. Wie in Göttingen war er ein hochgeachteter Lehrer, und wie dort ergänzte ihn sein alttestamentlicher Fachkollege aufs beste, wenngleich sozusagen nach der anderen Seite: war es in Göttingen der strohtrockene Rahlfs gewesen, so in Berlin der quicklebendige Sellin, der ihm nicht übelnahm, daß er einst in einer Rezension geschrieben hatte: »Ich kann S.'s Buch nicht aus der Hand legen, ohne an den Verf. die Aufforderung übrig zu haben: δός μοι ποϋ στώ. Überall merkt man ihm an, wie völlig er für seine Person davon überzeugt ist, festen Boden unter den Füßen zu haben. Das ist unter lauter Schwankendem das eigentlich Feste, und sein Buch legt in glänzender Weise dafür Zeugnis ab, wie ihm selber seine Hypothese über eine Fülle von Schwierigkeiten hinweghilft, deren Lösung Andern großenteils nicht so klipp und klar vor Augen liegt.«70 Die Sätze charakterisieren nicht nur Sellin, sondern auch Bertholet. »Vielleicht«, meint ein damaliger Kollege71, »war es gerade diese Verschiedenheit, die ihr Nebeneinander erleichterte, vielleicht aber war es das letztlich Gemeinsame, die Ablehnung alles Zweideutigen, Unklaren, die Zurückweisung des Unechten; denn hier fanden sich die bei-

68 Die Beziehungen der Landesuniversität zum niedersächsischen Lebensraum, Mitteilungen des Universitätsbundes Göttingen 15, 1933, 7-22, Zitat 10. 69 Mitteilungen des Universitatsbundes Göttingen 17, 1935, 1-6. 70 Rez. von Sellins »Serubbabel«, ThLZ 24, 1899, 603-606, Zitat 606. 71 Rost, Gedenkheft, 38.

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den so verschieden Veranlagten, und dem Ungeist, der 1933 die Herrschaft an sich riß, beugte sich keiner.« Diesen Ungeist hatte der Schweizer Bürger nun in der Hauptstadt täglich vor Augen. Er war in Göttingen zuerst 1914 vereidigt worden, dann 1920 auf die Weimarer und 1921 auf die preußische Verfassung, jetzt, 1934, mußte er auf Hitler schwören. Die Distanz, die dem Schweizer möglich war, hielt er, so gut es ging. Sein Haus war ein Zentrum der schweizerischen Kolonie in Berlin. Er unterstützte seine Frau, als sie 1936 einen Dienst einrichtete, um Juden durch Visabeschaffung, Möbeltransporte, finanzielle Transaktionen und anderes bei der Auswanderang zu helfen. Im Zuge dieser Hilfe kauften sie in Dahlem von einem Juden das Haus, das sie von da an bewohnten; der Kauf wurde nach 1945 gerichtlich als humanitärer Akt anerkannt. Mehrfach war Gefahr im Verzug, so als 1940 oder 1941, während Bertholet schwerkrank im Bett lag, im Keller ein jüdisches Kind geboren wurde. Aber solange es ging, führten die Bertholets ihr stets reges gesellschaftliches Leben weiter. Die nächsten Freunde waren, mit ihren Frauen, der Indologe Lüders, der Historiker Meinecke und der Pathologe Roessle, dazu kamen weitere Kollegen wie Planck und Sauerbruch, Künstler wie Emil Nolde, Wirtschaftler, Politiker und Diplomaten und natürlich Musiker in großer Zahl. Bertholet blieb in seinen deutschen Jahrzehnten der produktive Gelehrte, der er in Basel gewesen war. Mochten dabei auch religionsgeschichtliche Themen im Vordergrund stehen, so behielt doch das Alte Testament sein Recht. Es kamen noch drei größere Bücher zustande, zwei in Göttingen und eins in Berlin. Den Anfang machte 1919 die »Kulturgeschichte Israels«, vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht als eine Art Ergänzung zu den »Schriften des Alten Testaments« gedacht, aber als selbständiges und auch originales Werk erschienen. Es knüpfte an die älteren »Archäologien« an, arbeitete aber nach Möglichkeit die Ergebnisse der altorientalischen Forschung und besonders der Ausgrabungen ein, achtete auf die geschichtliche Entwicklung und behandelte ausführlich das »geistige Leben«: Recht, Wissen, bildende Kunst, Musik, Literatur und Religion. Für die Ausgrabungen bezog sich Bertholet auf Kittel, für die Literaturgeschichte auf Gunkel. Beide hatten dann allerdings einiges auszusetzen. Kittel beanstandete die Scheidung einer amoritischen und einer kanaanäischen Periode, die gesonderte Behandlung der »Ubergänge« und die Unterbewertung des Beduinentums72, Gunkel73, soviel sich vermuten läßt, im Aufbau des Ganzen die Vernachlässigung des Exils, worauf Bertholet replizierte, er habe ursprünglich zwei Bände schreiben wollen, eine israelitische und eine jüdische Kulturgeschichte, und habe nun einiges Nachexilische in den einzigen Band aufgenommen. Das Buch, bei al72 Geschichte des Volkes Israel I, Gotha 41921, Nachträge XXIf. 73 In einem nicht erhaltenen Brief, auf den Bertholet am 6.2.1921 antwortete (Univ.-Bibl. Halle, Nachlaß Gunkel).

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len Schwächen ein erneutes Zeugnis für Bertholets Gabe, einen riesigen Stoff lesbar zu bewältigen, ist in deutscher Sprache nie völlig ersetzt worden. Das gilt auch vom »Kautzsch-Bertholet«, der zweibändigen »Heiligen Schrift des Alten Testaments«, die Bertholet 1922 in Verbindung mit den früheren Mitarbeitern, zu denen Otto Eißfeldt hinzutrat, in vierter Auflage herausgeben konnte. Er selbst übersetzte und kommentierte darin die Psalmen und verbesserte das Gesamtwerk nicht nur in vielen Einzelheiten, sondern auch in der Anlage der Erläuterungen, indem er die textkritischen Noten von den Sachbemerkungen trennte. Im Vorwort wünschte er, daß die Ubersetzung dem Alten Testament neue Freunde werben möchte. »Bei allen Angriffen, denen es gerade in letzter Zeit ausgesetzt gewesen ist, kann es nicht ausbleiben, daß es seine Stellung siegreich behaupten wird; denn wie kaum ein zweites Buch verkündet es, was jeder Zeit und keiner mehr als der unsern Not tut, Glauben an Zukunft!« Die beiden Bände sind für zahllose Theologen und Nichttheologen bis heute die unentbehrliche Handausgabe des Alten Testaments geblieben. Wer meint, Bertholet habe zwar viel gesammelt und geordnet, aber keine prononcierten Thesen vertreten, kann sich durch den 1936 im Handbuch zum Alten Testament erschienenen Hesekielkommentar eines Besseren belehren lassen. Von dem ersten Kommentar (1897) ist dort fast »kein Stein auf dem andern stehen geblieben« 74 . Die seinerzeit erwogene Möglichkeit, »in der Verschiedenheit einzelner Entwürfe über ein gleiches Thema eine Spur zu finden, daß Hes. nicht mehr dazu gekommen sei, sein Buch einer völlig abschließenden Revision zu unterziehen«75, wird jetzt zu der Annahme erweitert, daß man sich den literarischen Nachlaß des Propheten »etwa in der Art >loser Blätter< eines eigenen Skizzenbuches zu denken habe« 76 . Vor allem aber sucht Bertholet die Schwierigkeit, die durch den in manchen Texten naheliegenden Eindruck einer direkten Rede des angeblichen Exilspropheten an die Jerusalemer liegt, durch die scharfsinnige Hypothese einer doppelten Wirksamkeit Hesekiels zu beheben: zunächst in Jerusalem (Berufungsvision 2,3-3,9), dann im Exil (Berufungsvision 1,4-2,2).77 Nach heutiger Auffassung allerdings »erzeugt« diese Hypothese, wie einige ähnliche, »mehr Probleme, als sie aus der Welt schafft«78. Als Krönung seiner Arbeit am Alten Testament plante Bertholet eine israelitische Religionsgeschichte.79 Leider ist sie ebensowenig zustandegekommen wie ihr religionsgeschichtliches Gegenstück, die Phänomenologie. 74 75 76 77 78 79

V. 1897,58. 1936, XIV. Vgl. 1936, XIV-XVI. Otto Kaiser, Einleitung in das Alte Testament, Gütersloh 51984, 263. Vgl. Chantepie de la Saussaye 4I, IV.

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Der Wunsch des Emeritus, nach Beginn des Zweiten Weltkriegs in die heimatliche Schweiz zurückzukehren, scheiterte an der Weigerung der deutschen Behörden, ihm dorthin seine Bezüge zu zahlen. Die Kriegszeit verbrachte die Familie - beide Schwiegersöhne standen an der Front - großenteils in einem oberbayerischen Exil. Fast die ganze Bibliothek und vieles andere ging in und um Berlin beim Einmarsch der Russen verloren. Ende 1945 gelang die Übersiedlung in die Schweiz, 1947 der Einzug in ein eigenes Haus in Basel. Dafür, daß die Verbindung nach Deutschland nicht abriß, sorgte ein ständiger Besucherstrom, zu dem das Ehepaar Heuss und die Witwe Max Plancks gehörten. Besonders gern machte Bertholet seit 1948 von der Möglichkeit Gebrauch, an der Basler theologischen Fakultät als »Gastdozent« Vorlesungen zu halten. Die meiste Zeit verbrachte er damit, das 1941 abgeschlossene und 1944 vernichtete Manuskript des »Wörterbuchs der Religionen« nach seinen noch vorhandenen Notizen zu rekonstruieren; das Erscheinen dieses seitdem vielfach bewährten Buchs - es wurde viermal aufgelegt - erlebte er nicht mehr. Seinen 80. Geburtstag würdigte die internationale Fachwelt durch eine Festschrift von hohem Niveau - sie konnte allerdings erst 1950 erscheinen - und die Basler Fakultät durch ein Sonderheft der Theologischen Zeitschrift.80 Bei dessen Überreichung hielt Walter Baumgartner eine Laudatio, die er, wie der ihm freilich mißgünstige Kirchenratspräsident Alphons Koechlin mir später erzählte, bei Bertholets Begräbnis am 28. August 1951 wörtlich wiederholte, nur mit Ersetzung des Präsens durch das Präteritum. Baumgartner Schloß, zumindest 1951, indem er »die Demut und die Frömmigkeit des großen Gelehrten« in Erinnerung rief. 1999 nennt ein amerikanisches Lexikon Bertholet »the last great nineteenth-century scholar of Hebrew religion«81.

80 4, 1948, Heft 5. 81 Dictionary of Biblical Interpretation, Nashville 1999,1, 125 (D. G. Schley).

HERMANN SPIECKERMANN

Mit der Liebe im Wort Ein Beitrag zur Theologie des Deuteronomiums

/. Das Deuteronomium gehört zu den alttestamentlichen Schriften, in denen am intensivsten versucht worden ist, Israels Gottesverhältnis theologisch konzentriert und sprachlich profiliert zum Ausdruck zu bringen.1 Der Versuch hat bereits auf vorauslaufende Bemühungen in der Prophetie zurückgreifen können, welche allerdings eher in der Abweisung religiöser Irrwege verharren und nur selten zu positiven theologischen Bestimmungen fortschreiten. Dies tut das Deuteronomium hingegen ganz bewußt, in mahnender und werbender Rede, konzentriert auf wenige theologische Vorstellungen, die um die beiden Brennpunkte Exodus und Land elliptisch organisiert sind. Die anfangliche Konstellation ist in Schichten und Ergänzungen bis in die nachexilische Zeit immer weiter angereichert worden. Väter, Bund, Erwählung, Segen, Fluch und vieles mehr sind hinzugekommen und miteinander kombiniert worden. Die beiden theologischen Brennpunkte des Deuteronomiums sind dadurch jedoch nicht in den Hintergrund getreten. Immer wieder verdichtet sich die Botschaft in den Aussagen, daß der Gott Israels sein \blk aus der ägyptischen Sklaverei gerettet und ihm ein Land geschenkt hat, in dem Israel sicher wohnen und gedeihen kann, wenn es den Retter und Geber der guten Gabe nicht vergißt. Der Nachdruck, mit dem dies eingeschärft wird, hat dem Deuteronomium sein unverwechselbares theolo1 Es ist das Verdienst von Lothar Perlitt, vor ungefähr dreißigjahren durch das Buch Bundestheologie im Alten Testament, WMANT 36, Neukirchen-Vluyn 1969, diese theologische Konzentration des Deuteronomiums wieder sachgemäß zu beleuchten. Zu notwendigen Modifikationen seiner Sicht der Bundestheologie im Deuteronomium vgl. Timo Vfeijola, Bundestheologische Redaktion im Deuteronomium, in: Das Deuteronomium und seine Querbeziehungen, SESJ 62, Helsinki/Göttingen 1996, 242-276. Wer hingegen die Bundestheologie des Deuteronomiums wieder stärker an das altorientalische Vertragsrecht meint binden zu können (vgl. Eckart Otto, Die Ursprünge der Bundestheologie im Alten Testament und im Alten Orient, Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 4,1998, 1-84), muß prüfen, ob die seinerzeit erhobenen Gegenargumente wirklich entkräftet sind; zur Kritik vgl. den Beitrag von Matthias Köckert in diesem Band.

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gisches Profil gegeben. Es ist ein Buch gegen die Gottvergessenheit angesichts der Attraktivität der Götter der Völker. Zur theologischen Anreicherung im Dienste der Grundaussage gehört auch die Vorstellung vom gestifteten und angemahnten Liebesverhältnis zwischen Gott und Israel.2 Diese Beziehung als Liebesverhältnis zu beschreiben, hat Vorläufer. Sie sind vor allem im Bereich der Theologie der Psalmen zu finden.3 Doch nicht diese Tradition ist für das Deuteronomium bedeutsam geworden, sondern wahrscheinlich Texte des Hoseabuches, in denen die Liebe Gottes zu Israel in Bildern der Ehe zur Sprache kommt, nicht zuletzt als Anklage wegen Untreue und Gottvergessenheit.4 Hier sind Wege gebahnt worden, die im Deuteronomium ihre Fortsetzung gefunden haben. Die Verstellung vom Liebesverhältnis zwischen Gott und Israel ist indessen noch nicht im deuteronomischen Gesetz verankert. Das Gesetz in Dtn 21,15-17, das dem Erstgeborenen von der ungeliebten Frau den rechtmäßigen Erbteil gegenüber dem ersten Sohn von der geliebten Frau sichert, nimmt blühende und erstorbene Liebe als Realität zwischenmenschlicher Beziehungen wahr und versucht, die denkbaren schädlichen Auswirkungen für andere zu verhindern. Ohne weitere theologische Begründung wird hier dem Recht vor allem Eigensinn der Liebe die Priorität eingeräumt. Einen positiven Klang hat der Bezug auf die Liebe im Gesetz zur Freilassung eines hebräischen Sklaven in Dtn 15,12-18. Es wird mit der Möglichkeit gerechnet, daß gute Behandlung durch den Herrn beim Sklaven, dem hebräischen Bruder5, Liebe wecken kann, die ihren rechtlich angemessenen

2 Die alttestamentliche Liebe im Überblick bieten Horst Seebaß, Art. Liebe II, in: TRE XXI, 1991, 128-133 und Katharine Doob Sakenfeld, Art. Love (OT), in: AncB-Dictionary Bd. IV, 1992,375-381; besonders aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang die Wörterbuchartikel zu 'hb (vgl. Ernst Jenni, THAT I, 1971, 60-73; J. Bergman/A. Haldar/G. Wallis, ThWAT I, 1973, 105-128) und haesaed (vgl. Hans Joachim Stoebe, THAT I, 1971, 600-621; H.-J. Zobel, ThWAT III, 1982, 48-71; der derzeitige Forschungsstand wird repräsentiert durch Gordon R. Clark, The Word Hesed in the Hebrew Bible, JSOT.S 157, Sheffield 1993). 3 Zur Spannweite der Liebesverhältnisse in den Psalmen vgl. Ps 5,12; 11,5.7; 26,8; 31,24; 33,5; 40,17 = 70,5; 45,8; 47,5; 69,37; 78,68; 87,2; 97,10; 99,4; 116,1; 119,47.48.97.113.119. 127.132.140.159.163.165.167; 122,6; 145,20; 146,8. 4 Vgl. Hos 1,2-9; 2,4-15.16-22; 3,1-5; 4,1-3.11-19; 5,1-7; 6,4-6.7-11; 7,1-7; 8,11-14; 9,1.10-17; 10,11-12; 11,1-9; 12; 13,1-8; 14,5. Die genannten Texte stehen nur exemplarisch für die Liebes- und Ehemetaphorik im Hoseabuch. Zum größeren Teil entstammen sie späteren Schichten, die den Kern des Deuteronomiums nicht beeinflußt haben können. Wollte man indessen das Thema der Treue bzw. Treulosigkeit in der Metaphorik der Liebe und Ehe dem Grundbestand des Hoseabuches ganz absprechen, bliebe nicht viel übrig, was Spätere zur theologischen Anreicherung des werdenden Prophetenbuches hätte veranlaßt haben können; zur Metaphorik des Hoseabuches vgl. Göran Eidevall, Grapes in the Desert. Metaphors, Models, and Themes in Hosea 4-14, CB.OT 43, Stockholm 1996 und Brigitte Seifert, Metaphorisches Reden von Gott im Hoseabuch, FRLANT 166, Göttingen 1996. 5 Vgl. Lothar Perlitt, »Ein einzig Volk von Brüdern«. Zur deuteronomischen Herkunft der

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Hermann Spieckermann

Ausdruck in einem lebenslangen Dienstverhältnis findet. Im Unterschied zum parallelen Gesetz im Bundesbuch (Ex 21,2-6) ist die Regelung der Freilassung in Dtn 15,15 theologisch mit der Rettung aus der ägyptischen Sklaverei begründet. Und man wird nicht zuviel in den Text hineinlesen, wenn man auch das Begehren des Sklaven nach einem lebenslangen Dienstverhältnis aus der Dankbarkeit, die alle Israeliten verbindet, zu verstehen sucht. Eine Bezugnahme auf die Vorstellung der Liebe Gottes, die in diesem Zusammenhang durchaus denkbar gewesen wäre, gibt es aber nicht. Drei weitere Stellen aus dem Bereich des deuteronomischen Gesetzes, Dtn 13,4; 19,9; 23,6, gehören nicht zum Grundentwurf aus dem siebten Jahrhundert. Sie spielen auf andere, jüngere Texte an, zu denen auch die gehören, die der Vorstellung des Liebesverhältnisses zwischen Gott und Israel im Deuteronomium Kontur gegeben haben. Die Theologie der Liebe hat im Deuteronomium ihren Schwerpunkt in den vorderen Rahmenkapiteln, programmatisch in Dtn 6 und 7. Von diesem Zentrum gehen Strahlungen aus, die in die Kapitel 4 und 5 sowie 10 und 11 hineinreichen.6 In der abschließenden Rahmung kommt Dtn 30 eine besondere Bedeutung zu. In einer gewissen, kaum absichtslosen Asymmetrie kommt die Liebe zwischen Gott und Israel in den genannten Kapiteln zur Sprache: seltener, daß Gott Israel liebgewonnen hat und liebt (Dtn 4,37; 7,8.13; 10,15), häufiger, in direkten und indirekten Sprechakten formuliert, daß Israel Gott lieben soll (5,10; 6,5; 7,9; 10,12; 11,1.13.22; 30,6.16.20).7 In welchem Verhältnis stehen Liebe Gottes zu Israel und Israels erwartete Liebe zu Gott? Sagen die quantitativen Verhältnisse etwas über qualitative Gewichtungen aus? Es wird sinnvoll sein, die theologische Konstellation zunächst biblischen Bezeichnung »Bruder«, in: Kirche. FS G. Bornkamm, Tübingen 1980, 27-52 = ders., Deuteronomium-Studien, FAT 8, Tübingen 1994, 50-73. 6 Wichtige Beobachtungen zu diesem thematischen Komplex sind bei Norbert Lohfink, Das Hauptgebot. Eine Untersuchung literarischer Einleitungsfragen zu Dtn 5-11, AnBib 20, Rom 1963 und in der von Perlitt betreuten Dissertation von Reinhard Achenbach, Israel zwischen Verheißung und Gebot. Literarkritische Untersuchungen zu Deuteronomium 5-11, EHS.T 422, Frankfurt/Main 1991 zu finden. Die zwischen Lohfink und Perlitt intensiv geführte Diskussion um den angemessenen exegetischen Zugang zu den Texten des Deuteronomiums ist nach wie vor unabgeschlossen. Es scheint an der Zeit, den literarhistorischen und den literarischen Zugang stärker im Blick auf die Komplementarität als auf die scheinbare Unverträglichkeit hin in den Blick zu nehmen. Denn einerseits haben gewachsene Texte auf allen Stufen des Werdens eine Struktur, die mit dem auf Analyse und Genese gerichteten Blick nur unzureichend zu erfassen ist. Der Text als Text ist mehr als die Summe seiner Wachstumsstufen. Und andererseits bekommen Textstrukturen einen künstlichen Charakter, wenn die Bemühungen um die Erhellung ihres geschichtlichen Werdegangs vernachlässigt werden. Der vorliegende Beitrag ist ein Versuch, dieser Einsicht Rechnung zu tragen. 7 Von besonderer Prägnanz sind in diesem Zusammenhang auch die Verben ρ π (vgl. Dtn 4,4; 10,20; 11,22; 13,5; 30,20 und G. Wallis, ThWAT II, 1977, 84-89) und ptm (vgl. Dtn 7,7; 10,15 und G. Wallis, ThWAT III, 1982, 280-281).

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in den zentralen Kapiteln 6 und 7 zu untersuchen, um daraufhin die Auswirkungen in den weiteren Texten zu betrachten.

II Das Gebot der Jhwh-Liebe für einen jeden Israeliten in Dtn 6,5 schließt direkt an die Proklamation der Einzigkeit Jhwhs für Israel in 6,4 an.8 Beides hängt in der theologischen Gedankenführung eng zusammen. Dem »Jhwh allein«, der »unser Gott« ist und zu keinem anderen ein Verhältnis sucht, soll das »Nur du allein« Israels unmittelbar folgen. Der für Israel einzige Gott erwartet keinen Anteil an Israels liebe, sondern Israels Liebe ganz. Die alleinige Bindung des einen Gottes an Israel hat in der Forderung der Exklusivität der Liebe Israels zuJhwh ihr Pendant. Daran läßt die Formulierung in 6,5 keinen Zweifel zu. Die Liebesforderung wäre nur dann lieblos, wenn nicht Gottes Selbstbindung an Israel in 6,4, die für das Volk durch die gewählte Prädikation »unser Gott« ganz offensichtlich ist, vorausliefe. Die Liebe zu Jhwh ist nicht wortloser Uberschwang, sondern ausdrucksfahige Liebe, Liebe in Worten, die wiederholbar sind, nicht gebetsmühlenhaft, sondern als inniger Ausdruck erwiderter Liebe. Deshalb sollen die Worte, nämlich die folgenden Gebote und Verbote, »auf deinem Herzen sein« (6,7), an dem Ort im Menschen, an dem sich Gott zuvörderst mitteilt. Gottes Worte sind »Herzenssache«, Sache der Einsicht und der Liebe und folglich des leichten Gehorsams. Freilich tragen die Worte in Dtn 6,4 ff. bereits das Wissen in sich, daß der leichtgemachte Gehorsam Israel durchaus nicht leichtfällt. Deshalb hat das Judentum das Liebesgebot von Dtn 6,4 ff. zum Gebet gemacht. Israel, das sich im Liebesgebot mit den Gottesworten auf dem Herzen selbst erkennen will, weiß, daß nur das ständige Gebet dem Gebot den nötigen Raum im Herzen schaffen kann. Selbst die kühne Verheißung des neuen Bundes i n j e r 31,31-34, die auf das Scheitern des Sinai/Horebbundes zurückblickt, weiß keinen anderen Ort für die Tora als das Herz (rmnax tui'-i'jn, 31,33), weil nur hier im Menschen Einsicht und Liebe zuammenfinden können. 8 Vgl. Lothar Perlitt, >Evangelium< und Gesetz im Deuteronomium, in: The Law in the Bible and its Environment, Τ. Veijola (Hg.), SESJ 51, Helsinki/Göttingen 1990, 23-38 = ders., Deuteronomium-Studien, 172-183; zur Frage literarhistorischer Distinktionen in Dtn 6,4-9 vgl. Timo Veijola, Das Bekenntnis Israels. Beobachtungen zur Geschichte und Theologie von Dtn 6,4-9, ThZ 48, 1992, 369-381; ders., Höre Israel! Der Sinn und Hintergrund von Deuteronomium vi 4-9, VT 42, 1992,528-541. Übereinstimmung besteht an vielen Punkten mit der Analyse von Georg Braulik, Deuteronomium 1-16,17, NEB.AT 15, Würzburg 1986, 55-61. Allerdings scheint die aus der altorientalischen Vertrags tradition stammende juristische Komponente für die Gestaltung von Dtn 6 überbewertet zu sein.

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Die Omnipräsenz der Worte in Dtn 6,7-9 dient vor aller Gebotsmitteilung der Erinnerung an die vorauseilende Liebe Gottes, der - gemäß der Fiktion des Deuteronomiums - das Israel vor Augen liegende Land herrlich bereitet hat (6,10-13). Israels fingierte Gegenwart an der Schwelle des Landes wird in einen Vergangenheit und Zukunft umfassenden Raum gestellt. Mit der Landgabe ()TiJ, 6,10) hält Gott Wort gemäß seinem Väterschwur. Daß Gott seiner Landverheißung durch das Schwurwort Nachdruck verleiht, ist ebenso Zeichen problematisch gewordener Liebe wie die Vorwegnahme von Israels drohendem Vergessen aller guten Gaben Gottes.9 Das Deuteronomium spricht folglich nicht mehr vom Wunder erwachter Liebe, sondern von Gottes Taten der Liebe, die Gegenliebe erheischen. Das Deuteronomium wird nicht müde, den Exodus und die bevorstehende Landgabe als Taten der Liebe Gottes in Erinnerung zu rufen. Sie stehen auch in Dtn 6,10-12 im Mittelpunkt und tragen die Begründung für die vorausgehenden und die folgenden Imperative. Der den Mittelteil abschließende V. 13 greift das einleitende Liebesgebot (6,5) und den Väterschwur (6,10) auf. Gott zu lieben, heißt, ihn zu furchten, ihm zu dienen und den Schwur in Gottes Namen (und nicht bei den Namen aller möglichen Götter) genauso verbindlich sein zu lassen, wie Gott dem Väterschwur treu geblieben ist. Es gibt keine respekt- und tatenlose Liebe. Das gegebene Wort muß in der Liebe gelten, zumal Gott Israel in Dtn 6 sogar die Worte der Gegenliebe schenkt, die vor aller Gebotsmitteilung Gottes Taten der Liebe vergegenwärtigen. Der abschließende Teil 6,14-19 stellt die beiden vorangehenden Teile 6,4-9 und 6,10-13 in das Bezugssystem dtr Theologie. Er ist mit größter Wahrscheinlichkeit dem Text 6,4-13 zugewachsen, mindestens in zwei Erweiterungsschüben (6,14-17 und 6,18-19). Sie sind zu dem einleitenden Teil mit seinen Imperativischen Formen ein Pendant, in welchem die Einhaltung der Gebote als Tun des Rechten und Guten qualifiziert wird, worin die Voraussetzung für die Inbesitznahme (®~r) des Landes und die Vertreibung der Feinde liegt. Die im Grundtext betonte vorauseilende Liebe Gottes wird im Sinne der auf Israels Gehorsam reagierenden Liebe Gottes interpretiert. Hier ist die Liebe nicht mehr nur in die Gefährdung geraten, sondern bitter enttäuscht worden, was auch aus den weite Textkomplexe und Epochen umspannenden Anspielungen zu entnehmen ist. Sie rufen die Geschichte des Scheiterns der Liebe von den Anfangen (Ex 17,2—710) bis zum Ende von

9 Vgl. Perlitt, Bundestheologie, 68 im Zusammenhang der Auslegung von Dtn 7: »Im Jh. der Siege genügte Jahwes Wort, denn er erwies sich gegen die Philister als Gott Israels, wie er sich . . . vom Auszug her erwiesen hatte. Erst als das Reich krank und die Feinde übermächtig wurden, mußteJahwe den Besitz des Landes >garantieren Pi., 11,19) geworden, ohne daß in 6,7 etwas grundsätzlich anderes als in 11,19 gemeint sein dürfte. Die Aufforderung hat in 11,18-19 eine noch größere Unmittelbarkeit durch ihre Gestaltung als Gottesrede.20 Es sind »meine Worte« (11,18), mit denen das gegenwärtige Israel seine Gottesliebe sagen und sie

20 Auch 11,14-15 sind bereits als Gottesrede gestaltet.

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in der Unterweisung der Söhne weitergeben soll. Wo dies geschieht, ist der in 10,12-22 konstatierte Unterschied zwischen Vätern und gegenwärtigem Israel sowie der in 11,2-7 zumindest angedeutete Unterschied zur folgenden Generation überbrückt. Väter, gegenwärtiges Israel und Söhne sind in 11,21 vereint in der Gottesliebe, weitergesagt mit den Gottesworten der (Land-)Verheißung und der Gebote. Wenn Israel auf diesem Weg bleibt, führt der Weg in ein Land ungeahnter Ausmaße (11,22-25). Israel kann dies alles nicht selbst bewirken, aber Israel kann durch seinen liebevollen Gehorsam den Gott zum Handeln bewegen, der nur auf dieses Zeichen der Liebe wartet, um seine Landverheißung wahr werden zu lassen. Das landlose Israel der exilischen und in gewisser Hinsicht auch der nachexilischen Zeit hat die entscheidenden Worte an den entscheidenden Stellen: in Herz und Seele, auf Hand und Stirn, an Tür und Tor und - mitten dazwischen genommen (vgl. die andere Ordnung in der Vorlage 6,6-9) - in der Unterweisung der Söhne (11,18-20). Ein äußerer Gesetzesgehorsam bewirkt freilich nichts. Es muß die Liebe zu den Worten kommen. Sonst bleiben die Worte des Gehorsams tot und die Verheißungen unerfüllt.

IV. Die in Dtn 6-11 über einen langen Zeitraum hin gewachsene Theologie der Gottesliebe und des Gesetzesgehorsams sowie der Liebe Gottes und der Erwählung ist als programmatische Einleitung des zunächst deuteronomischen und schließlich deuteronomistischen Gesetzes verfaßt worden. In dieser gewachsenen Theologie spiegeln sich die Konflikte wider, die die politische und theologische Katastrophe des Jahres 587/6 aus sich herausgesetzt hat. Nachdem der Reflexionsgang in Dtn 6-11 mit seinen unterschiedlichen Optionen zu einem gewissen Abschluß gekommen war, konnten neue theologische Akzentsetzungen, die gebührend wahrgenommen werden wollten, nur noch am Anfang oder am Ende, also nach der Gesetzessammlung, erfolgen. Von dieser Möglichkeit ist mit zwei gewichtigen Texten in der Eröffnungsposition Gebrauch gemacht worden. Als erster Text ist Dtn 5 zu nennen. Dabei wird in diesem Zusammenhang ohne nähere Begründung vorausgesetzt, daß der Dekalog in 5,6-21 - obwohl zum Teil auf älteren Traditionen basierend - zusammen mit seiner Einleitung (5,1-5) und der Überleitung (5,22-6,3) zum bereits bestehenden Einleitungskomplex (6-11) als spätdtr Komposition hinzugekommen ist und gegenüber dem nachpriesterschriftlichen Dekalog in Ex 20 die literarische Priorität hat.21 21 Vgl. Frank-Lothar Hossfeld, Der Dekalog. Seine späten Fassungen, die originale Komposition und seine Vorstufen, O B O 45, Freiburg(Schweiz)/Göttingen 1982; ders., Zum syn-

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Von besonderem Interesse ist an dieser Stelle die Einleitung zum Dekalog in Dtn 5,1-5. Was Israel nun hören soll, ist vor der Kunde von dem einen Gott Israels (vgl. 6,4) die Kunde von den Gesetzen. Israel soll sie nicht nur hören, sondern auch lernen (vgl. 5,31; 6,1; 11,19). Deshalb ist der Horebbund nicht mit den Vätern geschlossen worden, sondern mit dem Israel hier und jetzt, in Gottes unmittelbarer Gegenwart. Den Vätern gehören die Liebe Gottes und die Verheißungen (vgl. 10,15), dem Israel hier und jetzt »die Worte«, welche die Summe aller Gebote des dt(r) Gesetzes sind, von Gott selbst verkündet und von ihm selbst auf zwei Tafeln geschrieben (5,22).22 Wer immer diese (zehn) Worte gebraucht, erweist mit ihnen seine Liebe zu dem K3J? bs (vgl. 6,15), der mit Eifer(sucht) über sein Bundesvolk wacht, begrenzt strafend und unbegrenzt gütig, aber das eine wie das andere nur an denen, die im Gesetzesgehorsam ihre Gottesliebe kundtun wollen (5,9-10). Die theologische Akzentsetzung von Dtn 7,7-11 ist in den Hintergrund und die von 11,1-25 in den Vordergrund getreten. Das neue Licht, das durch Dtn 5 allen folgenden Reden und Gesetzen aufgesteckt wird, sind »die Worte«, der Dekalog.23 Durch ihn bekommt die dt(r) Gesetzessammlung theologische und ethische Konzentration. Darüber hinaus entstammt er der unmittelbaren Gegenwart Gottes. Dem Gewicht dieser Autorität kann sich kein Israelit entziehen. Er muß sich unmittelbar entscheiden, zum Gehorsam oder zum Ungehorsam gegenüber den Worten, gleichbedeutend mit der Entscheidung für die Liebe oder für den Haß. Tertium - etwa die Indifferenz - non datur. Wo die (zehn) Worte bereitliegen, Gott die Liebeserklärung des Gehorsams zu machen, ist das Nachsprechen dieser Worte allemal eine Entscheidung für das Leben, weil sie Gottes befreiende Liebe proklamieren: »Ich binjhwh, dein Gott, der dich herausgeführt hat aus dem Land Ägypten, aus dem Sklavenhaus« (5,6). Dtn 4 schließlich, das jüngste Einleitungskapitel24, unternimmt den Ver-

optischen Vergleich der Dekalogfassungen, in: ders. (Hg.), Sinai zum Horeb, Würzburg 1989, 73-117. 22 »Diese Worte« in 5,22 haben in den »Worten Jhwhs« in 5,5 ihr Pendant, obwohl dieser \fers deutlich ein Nachtrag ist, weil er die Unmittelbarkeit der Verkündigung des Dekalogs gemäß 5,4 aufhebt und in Spannung zu der Überleitung 5,22-6,3 steht, die allererst Moses Gesetzesmittlerschaft etablieren soll. Der Singular »WortJhwhs«, den MT in 5,5 liest, dürfte die sekundäre Lesart gegenüber dem Plural des Samaritanus und der Versionen sein, welcher zudem der Diktion von 5,22 entspricht. Der Singular kann als Haplographie oder als bewußte theologische Änderung im Sinne von 4,2 und 30,14 erklärt werden. 23 In Dtn 10,4 sind in Erinnerung an Dtn 5 die »Worte« zu den »zehn Worten« (O'imn Jll&y) geworden. 24 Dtn 1-3 können in diesem Zusammenhang unberücksichtigt bleiben. In ihnen ist die umfassendere Komposition des DtrG im Blick (vgl. Lothar Perlitt, Deuteronomium 1-3 im Streit der exegetischen Meinungen, in: Das Deuteronomium. Entstehung, Gestalt und Botschaft, N. Lohfink (Hg.), BEThL 68, Leuven 1985, 149-163 = ders., DeuteronomiumStudien, 109-122). Die schwierige Frage, in welchem Stadium des Wachstums der Komposition sie vorangestellt worden sind, muß hier nicht geklärt werden.

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such, allem in Dtn 5-11 Gesagten Gottes vorauseilende Liebe voranzustellen.25 Dies geschieht nicht in grundsätzlich neuer theologischer Ausrichtung, sondern als Frucht genauer Lektüre von Dtn 5-11 sowie von zeitgenössischer theologischer Literatur, darunter Deuterojesaja. Dtn 5-11 hat für die Erfasser von Dtn 4 bereits autoritative Geltung. Deshalb wird der Höraufruf aus 6,4 und 5,1 in 4,1 aufgenommen. Er gilt, wie jetzt in äußerster theologischer Verdichtung gesagt werden kann, dem »Wort« (T2"t, 4,2), welches sich in »diesem ganzen Gesetz« (ηχτη ΓΠ1ΠΠ i>s) manifestiert (4,8) und in den »zehn Worten« ( c n a i n m&y, 4,13), wie der Dekalog jetzt genannt wird. Daß dazu nichts mehr hinzugetan oder davon weggenommen wird (4,2), dazu will Dtn 4 den abschließenden Beitrag leisten. Das Wort in den Worten und Geboten ist Lehre zum Leben (4,1). Das Ethos des Lehrens und Lernens ist stark ausgeprägt (4,1.5.9[Söhne und Enkel].10.14), weil nur dadurch Leben, das den Namen verdient, erstrebt werden kann. Das Ziel des Lebens ist so wichtig, daß es in 4,1 sogar der Landgabe vorgeordnet wird. Der besondere Anlaß für die Vorschaltung von Dtn 4 ist allerdings in der Auseinandersetzung mit der Kunde vom eifernden Gott (xap bx) in 5,9 (und 6,15) zu erkennen. Gottes Gehorsam heischende Stimme aus dem Feuer wird in ihrer für Israel lebensgefährlichen Dimension ausdrücklich bestätigt. Mehr noch: Der sich hier als xjp bx erweisende Gott ist selbst n^3X PN, ein verzehrendes Feuer (4,24). Israel wird dies wegen seiner Vergeßlichkeit gegenüber dem Götter- und Bilderverbot durch die Zerstreuung unter die Völker zu spüren bekommen (4,25-28), hat vielmehr jenseits der Fiktion des Textes diese Strafe längst erlitten. Doch der eifernde Gott ist zugleich der barmherzige Gott (Dim bx), der Israels Gottesvergessenheit nicht mit eigener Vergeßlichkeit gegenüber dem den Vätern zugeschworenen Bund beantwortet (4,31), der vielmehr auf die Umkehr seines Volkes wartet (4,29-30). Gottes Feuer und Worte, die züchtigen, entspringen seiner Liebe zu den Vätern und der Erwählung ihrer Nachkommenschaft, die das Land als Erbbesitz (nbru) erhalten soll (4,36-38). Gottes Liebe gilt den Vätern des Verheißungsbundes, den Nachkommen hingegen die Erwählung. Dieser Gedanke aus 10,15 wird in 4,37 aufgenommen und anders gewendet. Nicht wie in 10,15 wird der Unterschied von Liebe zu den Vätern und Erwählung der Nachkommenschaft betont. Vielmehr sind in Gottes Liebe zu den Vätern 25 Die Wachstumsringe von Dtn 4 können hier unberücksichtigt bleiben, weil sie allesamt den fast vollständigen literarischen Bestand von Dtn 5-11 voraussetzen; vgl. zu diesen Fragen und zur intertextuellen Vernetzung die unterschiedlich akzentuierenden Arbeiten von Dietrich Knapp, Deuteronomium 4. Literarische Analyse und theologische Interpretation, GTA 35, Göttingen 1987 und Eckart Otto, Deuteronomium 4: Die Pentateuchredaktion im Deuteronomiumsrahmen, in: Das Deuteronomium und seine Querbeziehungen, T. Veijola (Hg.), SESJ 62, Helsinki/Göttingen 1996, 196-222. Daß die Fortschreibungen 4,41-43 und 4,44-49 in Zusammenhang mit der Edition des ganzen Buches Deuteronomium stehen, leidet keinen Zweifel. Sie können hier unberücksichtigt bleiben.

Mit der Liebe im Wort

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die Erwählung der Nachkommen und die Verläßlichkeit der Landverheißung für Israel unter großen und mächtigen Völkern begründet. Die bleibende Unterscheidung zwischen Gottes Liebe zu den Vätern und der Erwählung der Nachkommenschaft gemäß 10,15 wird im Lichte der übergreifenden Liebe Gottes gemäß 7,7-8 gelesen und in die spannungsvolle Einheit des Gottes gestellt, der zugleich bx (4,24) und m m i>K (4,31) ist. Dieser Gedanke ist der Versuch einer theologischen Vertiefung von 5,9 wahrscheinlich mit Blick auf Ex 34,6. Wie auch immer man die intertextuelle Verflechtung beurteilen mag, deutlich ist in Dtn 4 das Resultat der Auseinandersetzung mit Dtn 5-11: Israel lebt von Gottes Liebe zu den Vätern. Sie haben gleichsam ein divini amoris depositum, das Israel trägt, besser: das Israel, das an der Einheit von Liebe und Gehorsam gescheitert ist, erträglich macht. Ohne den Gott, der mit der Liebe im (Schwur-)Wort (des Bundes) ist und sich in der Treue zu diesem Wort als eifernder und barmherziger Gott erweist (4,24.31), wäre Israel verloren. Das haben die Verfasser von Dtn 4 im sorgfältigen Hören auf das Wort (4,2) von Dtn 5-11 verstanden.

V. Die Auslegung dieser programmatischen Einleitung hat auch in den Schlußkapiteln zum Gesetz ihre Spuren hinterlassen. Nachdem in Anknüpfung an die Segensverheißungen in Dtn 7,12-16; 8,7-10 und 11,8-17 das Gesetz in eine große Klammer gestellt worden war, in der in mehreren Etappen die Haltung zum Gesetz als Entscheidung für Fluch oder Segen interpretiert (11,26-32; 27-28) und durch einen neuen Bundesschluß im Lande Moab bekräftigt worden ist (29), wird in der Abschlußrede Dtn 30 in Korrespondenz zu Dtn 4 noch einmal versucht, der Verheißung Gewicht zu geben, nachdem in den vorhergehenden Kapiteln Drohung und Fluch den Segen fast überlagert haben. Das unter die Völker zerstreute Israel darf bei ernsthafter Umkehr auf Gottes Erbarmen (am Pi.) und auf Rückkehr hoffen (30,1-4). Deutlicher als in Dtn 4 hat die Verheißung nun große Dimensionen. Gott wird Israel zahlreicher als die Väter machen (30,5), und er wird - unter Voraussetzung von Israels Umkehr - die Herzen beschneiden, dem gegenwärtigen Israel und den Nachkommen. In deutlichem Gegensatz zu 10,15-16 gibt es nun nicht mehr Gottes Liebe für die Väter und die Aufforderung zur Herzensbeschneidung für die Nachkommen. Vielmehr wird Gott am Israel der Gegenwart und Zukunft das tun, wozu Israel selbst in keinem Stadium seiner Geschichte fähig gewesen ist. Die Herzensbeschneidung hat in 30,6 den düsteren Unterton von 10,16 hinter sich gelassen. Sie ist nun nicht mehr in erster Linie Israels Absage an die eigene Halsstarrigkeit, sondern Gottes Tat, durch die er Israels Gottesliebe weckt, weil er Israels Leben will. Der

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Fluch ist für die Israel-Hasser, der Segen für das umkehrwillige Israel, das das Buch der Tora (minn ηαο) in Händen hat und in der geweckten Gottesliebe danach leben will (30,7-10). Welch eine Änderung der theologischen Akzente gegenüber Dtn 27-29! Der Weg, der zujer 31,31-34 hinführt, wird klar erkennbar. Die Tora dann nicht mehr ins Buch, sondern auf die Herzen zu schreiben, von denen in Dtn 30 durch die Beschneidung der liebevolle Gehorsam erhofft wird, ist allerdings ein weiterer großer Schritt, der über das Deuteronomium in allen Stadien seines theologischen Nachdenkens hinausgeht. In Dtn 30 selbst ist das Vertrauen zum liebevollen Gehorsam Israels aufgrund der Herzensbeschneidung stark, obwohl Einwände bereits bestehen. Unter ihnen ist der gefahrlichste, daß die Einhaltung des Gesetzes unmöglich sei. Dieser Einwand wird in 30,11-14 zurückgewiesen. Er scheint auf den göttlichen Ursprung des Gebotes - 71ΚΤΠ mxnn in 30,11 ist identisch mit Ί90 πτπ ππππ in 30,10 - zu zielen, wodurch seine Erfüllung durch Menschen auszuschließen sei. Diesem Einwand wird lapidar die Nähe des Wortes (nnn) in Mund und Herz entgegengesetzt (30,14). Gott hat sich nicht in ferne Welten zurückgezogen, sondern in das Wort des Gesetzes gegeben. Daß das Wort in dieser Gestalt wirken kann, hat er selbst bewirkt: durch die Herzensbeschneidung. Der Raum im Herzen für das Wort, nämlich das geschriebene Wort der Tora, ist Gottes eigene Tat. Der abschließende Passus 30,15-20 setzt stilistisch und inhaltlich neu ein. Die Entscheidung gegenüber dem Wort im Herzen ist eine Entscheidung über Leben und Tod, jeweils gleichbedeutend mit dem Guten und dem Bösen (30,15; vgl. 30,19). Diese Entscheidung ist den Verfassern so wichtig gewesen, daß sie in dem kleinen Abschnitt gleich zweimal in Erinnerung gerufen wird. In 30,15 scheint sie sekundär piaziert worden zu sein, weil der Übergang zu 30,16 stilistisch brüchig ist und zudem im letztgenannten \fers die inhaltliche Fortsetzung von 30,14 folgt.26 Ursprünglich ist die Kunde von Gottes nahem Wort in Mund und Herz (30,14) durch den Gedanken fortgesetzt worden, daß dieses Wort in ein durch die Herzensbeschneidung zur Gottesliebe befähigtes Herz Einzug hält. So kann liebevoller Gehorsam gegen Gottes Gebot zum Erweis der Gegenliebe werden. Es ist aber auch deutlich, wieso 30,15 in diesen Gedankengang eingeschoben worden ist. Die Entscheidung über Leben und Tod wird dadurch zum Leitmotiv für das Folgende. Unter diesem Leitmotiv hört man aufmerksamer, daß die ermöglichte und erwartete Gegenliebe Leben, Nachkommenschaft und Segen im verheißenen Land bedeutet (30,16), die ausbleibende Gegenliebe Verderben und Landverlust (30,17-18). Himmel und Erde werden als Zeugen angerufen, damit Israel die Wahl des Lebens trifft (30,19). 26 Der Einschub ist genau an der Stelle piaziert, die sich von der Textsequenz in 30,19-20 her nahelegt.

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In den letzten Versen wird die Werbung der Verfasser um Israels Gegenliebe kühn. Will man theologisch überspitzen - und nichts anderes haben die Verfasser in 30,15-20 gewollt - , hat Israel mit der Wahl von Leben und Tod eine Entscheidung in Händen, die eigendich nur Gott zusteht. Trifft Israel die Wahl des Lebens, handelt Israel an sich selbst erwählend (30,19). Daß dies nur als Grenzaussage im Rahmen der Erwählung Gottes (7,7-8) möglich ist, versteht sich von selbst. Das Verwunderliche besteht indessen darin, daß die Verfasser dies in ihrer Werbung für die Gottesliebe und die Gottesanhänglichkeit (pa~r) zu sagen wagen (30,20a). Daran kann man ihre Entschlossenheit erkennen, die Nähe des Wortes Gottes in Israels Herz ernst zu nehmen. Wo sich Gott in seinem Wort Israel so tief eingestiftet hat, steht Israel vor einer Wahl, die nur als Erwählung adäquat begriffen werden kann. Denn der Gott im Wort ist »dein Leben und die Länge deiner Tage« (30,20). Die Formel •"ΓΐΙ'ΚΠ Kin wird abgewandelt zu η'Π" ιρκΐ η"Π Kin. Der souveräne Gott, der in seinem Liebesverhältnis zu Israel keinen Dritten duldet, ist zugleich bereit, ganz und gar Israels Leben zu sein und nichts anderes daneben und darüber hinaus, wenn Israel das Leben - ihn - im liebenden Gehorsam erwählt. Hier ist im Deuteronomium nach einer bewegten Geschichte der Liebe Gottes zu Israel und Israels Liebe zu Gott am tiefsten erkannt worden, was es für Israel bedeutet, daß Gott mit seiner Liebe im Wort ist. Es ist das Wort des Lebens, jenes nicht nur Medium und dieses nicht nur Ziel, sondern dieses wie jenes ganz Gott selbst. Was sollte das Israel des beschnittenen Herzens anderes tun, als seinen Gott und mit ihm sein Leben liebend zu erwählen.

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Bundestheologie in Dtn 10,12-11,30 I. Einführung: das Problem und, die These Die neu einsetzende Rede Dtn 10,12-11,30, die Mose nach der Episode des goldenen Kalbes (9,7-10,11) noch vor dem Beginn der eigentlichen Gesetzesverkündigung (11,31 ff.)1 hält, bereitet der Auslegung erhebliche Schwierigkeiten. Bezeichnend für die Einstellung der älteren Ausleger ist die Stellungnahme von Carl Steuernagel: »In dem gegenwärtigen Text läßt sich kein verständlicher Gedankengang erkennen. Das beruht teils auf der Verflechtung der Quellen, teils auf mehrfacher ergänzender Bearbeitung. Eine Analyse kann nur mit Vorbehalt versucht werden.«2 Die jüngeren stehen vor den Problemen des Textes nicht weniger ratlos da. So urteilt ζ. B. Reinhard Achenbach3 im Anschluß an Gerhard von Rad4: »Die Texte in dem Komplex Dtn. 10,12-11,32 sind hinsichdich ihrer Abgrenzung, ihrer formgeschichtlichen Eigenheiten wie ihres inneren literarischen Zusammenhanges ausgesprochen undurchsichtig.« Die Ratlosigkeit der Ausleger spiegelt sich auch in den neueren Kommentaren von Martin Rose und Eduard Nielsen wider, die hier ein Konglomerat von verschiedenen dtn (bzw. proto-dtn) und vor allem dtr Schichten ohne eine klare Struktur und einen geschlossenen Gedankengang finden.5 1 Die V. 31-32 bilden zusammen mit 12,1 eine ausführliche Uberschrift für die Gesetzgebung. Die Überschrift ist als eine breit ausgeführte Uberleitungsformel gestaltet (vgl. 5,31 + 6,1), in der Wiederholungen im Dienste der chiastischen Struktur stehen (s. Alexander Rofe, The Strata of the Law about the Centralization of Worship in Deuteronomy and the History of the Deuteronomic Movement, VT.S 22, Leiden 1972, 221-226 [dort 222 f.]). 2 Carl Steuernagel, Das Deuteronomium, HK 1/3,1, Göttingen 21923, 88. 3 Reinhard Achenbach, Israel zwischen Verheißung und Gebot. Literarkritische Untersuchungen zu Deuteronomium 5-11, EHS.T 422, Frankfurt am Main 1991, 378. 4 Gerhard von Rad, Das fünfte Buch Mose. Deuteronomium, ATD 8, Göttingen 21968, 59. 5 Martin Rose (5. Mose, Teilbände 1-2, ZBK.AT 5, Zürich 1994) behandelt Dtn 10,12-11,32 an drei verschiedenen Stellen (341-348.470 f.515-522) und teilt den Text nach sehr undurchsichtigen Kriterien in eine dtn (Schicht II) und zwei dtr Schichten (Schicht III und Schicht IV). Eduard Nielsen (Deuteronomium, HAT 1/6, Tübingen 1995, 119-130) hingegen traktiert Dtn 10,12-11,32 in fünf separaten Abschnitten, wobei er proto-dtn Gut in ll,29-30a*, dtn Gut in 10,12.20-21a* erkennt und den Rest mehreren dtr Redaktoren zuschreibt.

Bundestheologie

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Die allgemeine Unsicherheit der Forscher angesichts des Textes ist offensichtlich durch den Eindruck veranlaßt, daß ihm eine logische Gedankenfolge zu fehlen scheint, der Abschnitt vielmehr wie eine regellose Wiederholung von früher behandelten Themen aussieht. Dazu kommt, daß der Gebrauch des Numerus in der Anrede Israels so unregelmäßig wechselt6, daß er kein brauchbares Instrumentarium zur Wiederherstellung eines ursprünglichen Textes bietet.7 Einen wichtigen Fortschritt bei der Erhellung der dunklen Rede bildet allerdings die gelegentlich gemachte Beobachtung, daß in diesem Abschnitt mehrfach Elemente des Bundesformulars in lockerer Form zur Verwendung kommen. 8 Obwohl - oder vielleicht besser: gerade weil - der Jubilar, dem diese Zeilen als Ausdruck der Verehrung und Freundschaft gewidmet sind, »das sog. Bundesformular« als »eine fragwürdige Hilfe« für die Erklärung alttestamentlicher Texte mit bundestheologischem Inhalt bezeichnet hat9, soll im folgenden auf dieses Kunstgebilde der neueren Exegese in Ermangelung eines besseren Hilfsmittels zur Erklärung der dunklen Rede von Dtn 10,12 ff. zurückgegriffen und geprüft werden, inwieweit Elemente des Bundesformulars in ihr tatsächlich erkennbar sind. Dies liegt mir deshalb nahe, weil ich bei der Auslegung des Dtn oft auf einen bundestheologisch orientierten dtr Redaktor (DtrB) gestoßen bin, der an vielen Stellen Elemente des 6 Siehe z.B. 10,14 (Sg.), 10,15 (Sg./PI.), 10,16-19 (PI.), 10,20-11,1 (Sg.), 11,8 (PI./Sg.), 11,10 (Pl./Sg.), 11,11 (PL), 11,12 (Sg.), 11,14 (Pl./Sg.), 11,15 (Sg.), 11,16 (PL), 11,19 (PL), 11,20 (Sg.), 11,21 (PL). 7 Vgl. Alfred Bertholet, Deuteronomium, KHC 5, Leipzig 1899, 33; A.D.H. Mayes, Deuteronomy, NCBC, Grand Rapids - London, 2 1981, 207 f., anders ζ. B. Georges Minette de Tillesse, Sections »tu« et sections »vous« dans le Deuteronome, VT 12, 1962, 29-87 (dort 37-39) und auch Horst Dietrich Preuß, Deuteronomium, EdF 164, Darmstadt 1982, 103. 8 Siehe u. a. Norbert Lohfink, Das Hauptgebot. Eine Untersuchung literarischer Einleitungsfragen zu Dtn 5-11, AnBib 20, Rom 1963, 219.223 f.; Klaus Baltzer, Das Bundesformular, WMANT 4, Neukirchen 21964, 46 f.; von Rad, Das fünfte Buch Mose, 59; Gottfried Seitz, Redaktionsgeschichtliche Studien zum Deuteronomium, BWANT 93, Stuttgart 1971, 82-89; DennisJ. McCarthy, Treaty and Covenant. Α Study in Form in the Ancient Oriental Documents and in the Old Testament, AnBib 21a, Rom, 21978, 165; Mayes, Deuteronomy, 208; Preuß, Deuteronomium, 103; Georg Braulik, Deuteronomium 1-16,17, NEB.AT 15, Würzburg 1986, 84. Zwischen den einzelnen Vorschlägen zur Abgrenzung der Formmerkmale bestehen erhebliche Divergenzen. 9 Lothar Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, WMANT 36, Neukirchen-Vluyn 1969, 4. Negative Stellungnahmen zum Bundesformular ziehen sich durch das ganze Werk (27-29.33 Anm.2, 45 Anm.2, 62 mit Anm.3, 79.93-96.123-125.132-134.163-167.178 f. 228 Anm. 3, 246 Anm. 3). Beachtenswert ist jedoch, daß Perlitt im letzten Kapitel, in dem er »Jos 24 und die Herkunft der Bundestheologie« behandelt, konzediert, daß im 7.Jahrhundert das >Bundesformular< in Israel eine Rolle hätte spielen können: »Wenn schließlich die Vfarstellung von einem an Vasallen-Verträgen geschulten >Bundesformular< im Alten Testament überhaupt Spuren hinterlassen hat, dann zu keiner anderen Zeit als in diesem Jahrhundert, in dem Israel am eigenen Leibe erfuhr, was Vasall sein heißt« (282, vgl. auch 283). Auf den Abschnitt Dtn 10,12-11,30 geht Perlitt in seinem Buch nicht ein.

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Formulars der altorientalischen Vasallenverträge als Leitlinie für die Gestaltung der von ihm geschaffenen Texte und Kompositionen verwendet hat (so ζ. B. in Dtn 6, 7,8,13). 10 Ein für diese Redaktion charakteristisches Merkmal, das sie äußerlich mit Dtn 10,12 ff. verbindet, ist der unregelmäßige Numerusgebrauch, der darauf beruht, daß es sich bei ihr um eine relativ späte, wahrscheinlich schon frühnachexilische Textstufe handelt, dem sowohl singularische wie auch pluralische Texte vorlagen, was den Redaktor unwillkürlich zum gemischten Gebrauch des Numerus führte.11 Eine weitere Voraussetzung für das richtige Verständnis des Aufbaus und Inhalts von 10,12 ff. liegt in der Wahrnehmung, daß es sich bei diesem Text um eine bewußte Wiederholung der in Dtn 6-8* abgehandelten Themen in eigenem Wortlaut des DtrB handelt. Dazu muß noch berücksichtigt werden, daß der Text nach DtrB noch eine größere (10,14-11,1) und drei kleinere Ergänzungen (ll,6.19b-20.29f.) erhalten hat, die an der entsprechenden Stelle der Analyse zur Sprache kommen werden.

II. Beweisführung Die Rede beginnt mit der Proklamierung der Grundsatzerklärung (10,12) und dem Hinweis auf die sie spezifizierenden Einzelbestimmungen (V. 13)12, womit DtrB die Quintessenz der vorangegangenen Kapitel Dtn 6-8 nach seinem eigenen Verständnis bündig wiedergibt: das Einhalten des Hauptgebots und der Einzelgebote ist die Bedingung für Israels Wohlergehen. Der Ubergang von der Kalbsgeschichte zu der neuen Predigt wird durch die Partikel nnjn hergestellt, die die Konsequenzen aus dem soeben Erzählten einleitet (vgl. 4,1).13 Mit der Anrede »Israel« knüpft der Verfasser an das Hauptbekenntnis 10 Siehe Timo Veijola, Bundestheologische Redaktion im Deuteronomium, in: ders. (Hg.), Das Deuteronomium und seine Querbeziehungen, SESJ 62, Helsinki/Göttingen 1996, 2 4 2 - 2 7 6 (dort 2 4 3 Anm. 6 weitere Literatur zu dieser Redaktion). Dort (263-265) habe ich bereits die These vertreten, nach der auch Dtn 10,12-11,30 Bestandteil dieser Redaktion ist. Hier geht es um die Vertiefung und Begründung der dort aufgestellten These. 11 Veijola, Bundestheologische Redaktion, 257. 12 Zum Verhältnis von Grundsatzerklärung und Einzelbestimmungen s. hier insbesondere Jean L'Hour, La morale de l'alliance, C R B 5, Paris 1966, 3 2 - 3 4 . 6 2 f., zur Grundsatzerklärung vgl. auch Lohfink, Hauptgebot, 219 und von Rad, Das fünfte Buch Mose, 59. 13 Siehe H.A. Brongers, Bemerkungen zum Gebrauch des adverbialen Jtf 'attäh im Alten Testament, V T 15, 1965, 2 8 9 - 2 9 9 (dort 299). Anders Felix Garcia Lopez, En los umbrales de la tierra prometida. Analisis de Dt 9,1-7; 10,12-11,17, Salm. 28, 1981, 37-64, der vermutet, daß V. 12 mit nnjn 9 , l - 7 a * als seinen Hintergrund habe (42). Obwohl anhand der Ubergangspartikel nnjn manchmal Konsequenzen aus der »Vorgeschichte« des Bundesformulars gezogen werden (Baltzer, Bundesformular, 30 f.37.42. 45.47), bedeutet dies nicht, daß die Kalbsgeschichte diese Funktion hier hätte (so jedoch Lohfink, Hauptgebot, 219.224 und Braulik, Deuteronomium, 84); denn in der Kalbsgeschichte geht es um die Sünde

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(6,4) an und stellt die Grundforderung14 Jhwhs im Anschluß an das von ihm selber formulierte Hauptgebot (6,5)15 auf: Was dort mit einem einzigen \fcrb (»lieben«) ausgedrückt wird, erhält hier eine vierfache Explikation: Die bedingungslose Loyalität gegenüber Jhwh bedeutet nicht nur Liebe zu ihm, sondern auch »Furcht« (vgl. 6,13.24)16, die in der Vertragsterminologie kein Gegensatz zur Liebe (anders I Joh 4,18), sondern nur ein anderes Wort für die loyale Einstellung des Vasallen zu seinem Suzerän ist17 und auch nach Luther in Verbindung mit der Liebe das richtige Gottesverhältnis auf eine angemessene Weise zum Ausdruck bringt.18 Weiter bedeutet die Treue zu Jhwh »Wandeln auf all seinen Wegen« (vgl. 8,6; 19,9; 26,17; 30,16), also einen Gegensatz zum Verhalten des \blkes am Horeb, als es von dem gebotenen »Weg abwich« (9,12.16, vgl. 11,22). Die aus 6,5 wiederholte Forderung der Liebe (vgl. 5,10; 7,9; 11,13.22; 13,4)19 wird noch durch ein viertes Verb der Loyalität, »dienen«, ergänzt (vgl. 6,13; 10,20; 11,13; 13,5; 28,47) und die ganze Hauptgebotsformulierung mit der aus 6,5 abgekürzt zitierten Adverbialbestimmung »mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele« abgeschlossen (vgl. 4,29; 11,13; 13,4)20. Die Formulierung des Hauptgebots in Gestalt von 10,12 erwies sich als eine so gelungene Zusammenfassung der richtigen Einstellung des Menschen zu Gott, daß sie dazu geeignet war, als Vorbild zu dienen, als Israel sein Ethos auf eine kurze Formel brachte (Mi 6,8) 2 1 .

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Israels gegenJhwh und nicht um die Wohltaten Jhwhs für Israel wie in einer formgemäßen »Vorgeschichte« (vgl. 11,2 ff.). Das hier gebrauchte Verb i>XB »fragen, fordern« erscheint mitJhwh/Gott als Subjekt sonst nur in Mi 6,8; Ps 40,7; Hi 38,3; 40,7. Siehe dazu Timo Veijola, Das Bekenntnis Israels. Beobachtungen zur Geschichte und Theologie von Dtn 6,4-9, ThZ 48, 1992, 369-381 (dort 372-375.379 f.). Weiter 4,10; 5,29; 8,6; 14,23; 17,19; 28,58; 31,13. Siehe z. B. Simo Parpola - Kazuko Watanabe, Neo-Assyrian Treaties and Loyalty Oaths, State Archives of Assyria 2, Helsinki 1988, 44 (Ζ. 396), 76 (Ζ. ii:5'). Vgl. seine Erklärung der Zehn Gebote im Kleinen Katechismus, die jedesmal mit dem Vordersatz beginnt: »Wir sollen Gott fürchten und lieben, daß wir ...«. Die Furcht Gottes ist nach Luther ein Mittel gegen den Hochmut (superbia), wie die Liebe ein Mittel gegen die Verzweiflung (desperatio) ist. »Timor ist auff der lincken Seiten, fiducia (seil. Liebe) auff der rechten« (WA 30/1, 60:14 f.). Weiter 19,9; 30,6.16.20. Weiter 26,16; 30,2.6.10. Es ist müßig, damit zu spekulieren, daß hinter der Weglassung von »mit deiner ganzen Kraft« (vgl. 6,5) eine negative Stellungnahme zu Israels »Kraft«, Jhwh zu lieben, stünde (so jedoch Konstantin Zobel, Prophetie und Deuteronomium. Die Rezeption prophetischer Theologie durch das Deuteronomium, BZAW 199, Berlin/New York 1992, 71). Es ist nicht nötig, hinter Dtn 10,12 und Mi 6,8 eine gemeinsame ältere Tradition zu postulieren (Lohfink, Hauptgebot, 220). Vielmehr ist der in der fortgeschrittenen nachexilischen Zeit entstandene Vers Mi 6,8 (s. dazu Wolfgang Werner, Micha 6,8 - eine alttestamentliche Kurzformel des Glaubens?, BZ 32, 1988, 232-248 [dort 237]) direkt von Dtn 10,12 abhängig, was sich ζ. B. an den folgenden Einzelheiten zeigt: Mi 6,8 beginnt mit »er (Jhwh) hat

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D i e Treue will a b e r nicht abstrakt b l e i b e n , s o n d e r n verpflichtet Israel z u m E i n h a l t e n der k o n k r e t e n Einzielbestimmungen (V. 13). A u f sie ist in D t n 6 - 8 * m e h r f a c h a n g e s p i e l t w o r d e n (vgl. 6,6.17a.20.24.25; 8,1.11), u n d in V. 13 22 w e r d e n sie s a c h g e m ä ß i m A n s c h l u ß a n d i e Grundsatzerklärung v o n V. 12 m i t e i n i g e n stichwortartigen F o r m u l i e r u n g e n 2 3 in E r i n n e r u n g gerufen, a b e r nicht n ä h e r ausgebreitet, w e i l sie i n D t n 12 ff. in e x t e n s o ausgeführt w e r d e n . D e r Text d e s D t r B wird in 10,14-11,1 durch e i n andersartiges Stück unterb r o c h e n , das a n h a n d d e r Technik der R i n g k o m p o s i t i o n a n d e n älteren K o n text anknüpft, i n d e m e s a m E n d e (11,1) d e n unmittelbar v o r a n g e h e n d e n Text (10,12 f.) m i t e i n i g e n V e r ä n d e r u n g e n w i e d e r h o l t . 2 4 A n d e r s als die a m Bund e s f o r m u l a r orientierte R e d e d e s D t r B hat d i e E r w e i t e r u n g e i n e n hymnischen Charakter, der durch e i n e reiche A n w e n d u n g v o n Partizipien u n d N o m i n a l sätzen hervortritt. 2 5 In d e m u r s p r ü n g l i c h e n Text d e s DtrB folgte auf 10,12 f. die Vorgeschichte (11,2—9)26, d i e i h r e n f o r m g e m ä ß e n Platz vor der Grundsatzerklärung u n d d e n E i n z e l b e s t i m m u n g e n hätte 2 7 , hier j e d o c h aus k o n t e x t u a l e n G r ü n d e n - w e g e n der u n m i t t e l b a r v o r a n g e h e n d e n , historisch ausgerichteten E r z ä h l u n g v o n Israels S ü n d e a m H o r e b - i n u m g e k e h r t e r R e i h e n f o l g e erscheint. D e r

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dir mitgeteilt (Tin)«, was auf eine frühere Mitteilung Bezug nimmt. In Mi 6,8 ist Gegenstand der Anrede »der Mensch« (d"tk) im allgemeinen und nicht mehr »Israel« wie in Dtn 10,12 (vgl. Dtn 8,3), was eine Erweiterung des Horizonts bedeutet. Eine Erweiterung liegt auch in der Ergänzung von »was Jhwh von dir fordert« durch »was gut ist« (Mi 6,8) vor. Außerdem wird in Mi 6,8 auch das Verhältnis zum Mitmenschen berücksichtigt (»Recht üben und die Güte lieben«) und das Gottesverhältnis kürzer als in Dtn 10,12 durch das spät bezeugte Verb J7JS Hi. (vgl. Sir 16,25; 35,3) ausgedrückt (»behutsam [?] wandeln vor deinem Gott«), Die ungewöhnliche syntaktische Konstruktion mit rtn + DK "3 + Inf., die nur an diesen beiden Stellen bezeugt ist, spricht ebenfalls für eine direkte Abhängigkeit. Damit kann hinter Mi 6,8 kein »altes Gut« in dtn/dtr Fassung postuliert werden (gegen Zobel, Prophetie und Deuteronomium, 33). Es wäre ein Mißverständnis der Aussageabsicht des Verfassers, V. 13 als späteren Zusatz zu bezeichnen (so jedoch Steuernagel, Deuteronomium, 88; Rose, 5. Mose, 344 f.; Nielsen, Deuteronomium, 119 f.). Die einzelnen Ausdrücke in V. 13 nehmen früher Gesagtes wieder auf. Vgl. im einzelnen V. 13aa mit 5,10b und 6,17a (beide von DtrB), V. 13aß mit 6,2 (DtrB) und 6,6 sowie V. 13b mit 6,24 (und 5,33 DtrB). Als Zusatz gilt der Abschnitt ζ. B. auch für Antti Filemon Puukko, Das Deuteronomium. Eine literarkritische Untersuchung, BWAT 5, Leipzig 1910, 158; von Rad, Das fünfte Buch Mose, 60 (allerdings nur 10,15-22) und Seitz, Studien, 81. Moshe Weinfeld zieht vornehmlich aus den hier vorkommenden hymnischen Zügen die Schlußfolgerung, daß der Abschnitt 10,12-11,21 - den er für eine literarische Einheit hält - eine Liturgie als seinen Sitz im Leben habe (Deuteronomy 1-11. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 5, New York 1991, 454). Ahnlich wird die Gattung von V. 2-7(9) auch von Lohfink, Hauptgebot, 224 f.; von Rad, Das fünfte Buch Mose, 60 und Seitz, Studien, 82 bestimmt. Siehe etwa Baltzer, Bundesformular, 20; McCarthy, Treaty, 38; Parpola - Watanabe, Treaties, xxxv.

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Rückblick auf die Vergangenheit geschieht in Form einer Gegenüberstellung der gegenwärtigen Generation und ihrer Kinder (Söhne), diejhwhs vergangene Taten nicht kennen. Die Wahl dieser Darstellungsform hat ihren Hintergrund wahrscheinlich in der Musterkatechese28 von 6,20-25, wo die großen Taten Jhwhs mit ihrer ethischen Verpflichtung als Erwiderung auf die Frage eines unwissenden Sohnes (6,20) dargestellt werden. Ein Unterschied besteht darin, daß in 11,2-9 die Kinder auch am Ende unwissend bleiben, aber nur vorübergehend, denn ihre Belehrung erfolgt absichtlich etwas später, in 11,18-21. Sonst dient der Vergangenheitsrückblick in 11,2-9 demselben Ziel wie in 6,20-25: Die großen »Taten« (11,3.7), »die« Jhwh für sein Volk »getan hat« (11,3.4.5.6.7), sind dazu da, in Israel Dankbarkeit und Bereitschaft zum Gehorsam gegen sein Gesetz zu erwecken, der die Vorbedingung der Landnahme und des Wohlergehens ist (11,8 f., vgl. 6,24 f.). Unwissend sind die Kinder nach V. 2, weil ihnen die Erfahrung 29 von Jhwhs Erziehung fehlt, die der gegenwärtigen Generation im Aufweis der Größe Jhwhs bei der Befreiung aus Ägypten30 zuteil wurde. Als einzelne Taten im Zusammenhang mit dem Exodus werden in V. 3 die ägyptischen Plagen, die ein fester Bestandteil des Credos sind31, in V. 4 das Wunder am Schilfmeer (vgl. Ex 14,27 f.; 15,4 f.10) mit der Vernichtung32 des ägyptischen Heeres und in V. 5 die Wüstenwanderung ohne nähere Einzelheiten aufgezählt. Die Feststellung von der Ankunft »an diesem Ort« (vgl. 1,31; 9,7) in V. 5 hat schon den Charakter eines Abschlusses, nach dem man keine Mitteilung von weiteren Ereignissen erwartet. Angesichts dessen kommt die Anspielung auf das Schicksal von Datan und Abiram in V. 6 etwas verspätet, denn obwohl die Geschichte selbst (Num 16) nicht lokalisiert ist, hat sie ihren Ort im Ostjordanland, da ihre Hauptakteure Rubeniten sind. Zudem paßt sie nicht richtig in die Reihe der anderen Heilstaten in 11,2 ff., weil darin vom Strafhandeln Gottes die Rede ist.33 Deshalb wird es sich bei

28 So die Gattungsbestimmung von Dtn 6,20-24(25) nach Lothar Perlitt, >Evangelium< und Gesetz im Deuteronomium (1990), in: Deuteronomium-Studien, FAT 8, Tübingen 1994, 172-183 (dort 179). 29 »Erfahrung« wird durch die Verba y v und ΠΚΊ ausgedrückt, die austauschbar sind (vgl. Jos 24,31 u n d j d c 2,7). 30 Die in V. 2b gebrauchten Ausdrücke enthalten schon eine Anspielung auf den Exodus, vgl. 3,24; 5,24 (Jhwhs »Größe«) einerseits und 4,34; 5,15; 7,19; 26,8 (seine »starke Hand« und sein »ausgestreckter Arm«) andererseits. Siehe näher Siegfried Kreuzer, Die Mächtigkeitsformel im Deuteronomium, ZAW 109, 1997, 188-207 (dort 203). 31 Vgl. hier im Blick auf die Terminologie besonders Dtn 4,34; 6,22; 7,18 f.; Neh 9,10. 32 DtrB verwendet hier das Verb t i n Pi., das einer seiner Lieblingsausdrücke ist (vgl. im Qal 4,26; 7,20; 8,19.20; 11,17). 33 Überraschend ist auch die Formulierung »inmitten von ganz Israel«, da in Dtn 11,2-9 sonst durchgehend von »euch« geredet wird. Wahrscheinlich geht sie auf Num 16,33b-34 zurück.

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V. 6 um eine sekundäre Ergänzung 34 unbekannter Herkunft handeln. Der eigene Gedankengang des DtrB läuft weiter in V. 7, wo er die erste Konsequenz aus dem Geschichtsrückblick zieht: Im Unterschied zu ihren Kindern, die sagen könnten, daß sie all dies nicht kennen und nicht gesehen haben 35 , kann die gegenwärtige Generation ihre Rolle als Augenzeuge 36 und damit als Traditionsträger37 nicht leugnen und darf deshalb ihrer Identität nicht untreu werden. Die zweite Konsequenz (V. 8-9) 38 buchstabiert die aus der Geschichtserfahrung resultierende Treue konkret (vgl. 4,40; 7,11; 8,6): Sie fordert Leben nach »dem ganzen Gebot« (vgl. 6,25; 8,1; 11,22; 15,5; 19,9)39, das die Befolgung sowohl des Hauptgebots wie auch der einzelnen Bestimmungen des Gesetzeskorpus einschließt40 und in der Theologie des DtrB die Vorbedingung für die Landnahme bildet (vgl. 4,1b; 6,17a.l8; 8,1)41. Auf der anderen Seite ergibt sich aus dem Gehorsam ein Segen in Gestalt eines langen Lebens 42 im Lande, das letzten Endes eine Gabe Jhwhs bleibt43, weil seine Einnahme sich aufJhwhs Verheißung an die Väter gründet (V. 9a)44. Etwas nachhinkend wird das Verheißungsland in V. 9b mit einer geläufigen Wendung als »ein Land« definiert, »das von Milch und Honig fließt«45. Sie hat

34 Vgl. Steuernagel, Deuteronomium, 88. 35 Vgl. Raschi zu V. 2: »Denn ich rede jetzt nicht mit euren Kindern, die sagen könnten: >Wir kennen nicht und haben all das nicht gesehen.D stammen von DtrB, vgl. weiter 5,31; 26,13; 27,1; 31,5, die ebenfalls relativ junge Belege sind (Achenbach, Israel, 309). 40 Braulik, Die Ausdrücke für »Gesetz« im Buch Deuteronomium (1970), in: Studien zur Theologie des Deuteronomiums, SBAB 2, Stuttgart 1988, 11-38 (dort 27 f.). 41 Mit Recht macht Achenbach, Israel, 387 geltend, »daß hier eine redaktionelle Schicht zu Worte kommt, die Dtn 6,1 schon im Rücken hat, wonach die Gesetze zu lernen sind, auf daß sie >im Lande< befolgt werden (5,31; 6,1), während die Befolgung von rmnrt in 8,1; 11,8.22 als Vorbedingung für die Einnahme des Landes überhaupt erscheint.« 42 Vgl. 4,26 (DtrB); 4,40; 5,16; 5,33 (DtrB); 6,2 (DtrB); 17,20; 22,7; 25,15; 30,18; 32,47. 43 Vgl. L'Hour, Morale, 88; Braulik, Deuteronomium, 88. 44 Vgl. hier formal vor allem 1,8b und sachlich 6,18; 7,13; 8,1; 10,11; 11,21 (alle von DtrB). 45 Vgl. sonst bei DtrB in 6,3 (in einer ähnlich nachhinkenden Position!) und weiter im Dtn in 26,9.15; 27,3; 31,20 und im übrigen AT in Ex 3,8.17; 13,5; 33,3; Lev 20,24; Num 13,27; 14,8; 16,13.14; Jer 11,5; 32,22; Ez 20,6.15. Nach einem ugaritischen Text läßt Baal »den Himmel Ol regnen und die Täler von Honig fließen« (KTU 1.6,111:13 f.). Nach Philip D. Stern, The Origin and Significance of »the land flowing with milk and honey«, VT 42, 1992, 554-557 bildet die obengenannte atl. Wendung eine Erwiderung auf diese Aussage aus der Sicht der Jhwhreligion (»a Yahwistic counter-slogan«). Aber steht sie im AT im Kontext einer religiösen Auseinandersetzung?

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hier die Funktion, von der Urgeschichte (11,2-9) zu dem nächsten Abschnitt, der Landbeschreibung46 (11,10-12), überzuleiten. Die Beschreibung des Landes, in das Jhwh sein Volk hineinführen will, wenn es seinem Willen gehorcht, schließt sich logisch der Aufzählung der vergangenen Heilstaten an. Das in V. 9b-12 sechsmal wiederholte Stichwort »Land« (ρκ) gibt das Thema an, aber anders als bei den früheren Landbeschreibungen in 6,10b-lla und 8,7b-9, die deutlich im Hintergrund stehen, handelt es sich in V. 10-12 nicht um eine neutrale Beschreibung der natürlichen Vorzüge des Landes, sondern um ein theologisch akzentuiertes Lob des Verheißenen Landes47, von dem ein die Wirklichkeit transzendierendes Idealbild im Vergleich zu Ägypten48 gegeben wird.49 Seine hydrologischen Bedingungen werden kühn abgehoben von den Verhältnissen in dem Land der Sklaverei, »aus dem ihr ausgezogen seid«50 (V. 10). Im Gegensatz zu dem flachen und regenarmen Ägypten51 wird das anders geartete Palästina, das »ein Land von Bergen und Tälern« ist (vgl. 8,7), ohne jedes menschliche Tun direkt vom Himmel getränkt (V. 11). Damit wird zu den früher erwähnten Wasservorräten des gelobten Landes, den Zisternen (6,11) und den unterirdischen Wasserquellen (8,7), der himmlische Regen hinzugefügt52, der schon eine Anspielung auf seinen Spender enthält. Das Land ist unmittelbar auf Gott angewiesen, der - und nicht etwa Baal - persönlich hinter dem Wasserreichtum des Landes steht (V. 12) und sich liebevoll um sein Land kümmert53, indem er stets seine Augen (vgl. Ps 33,18; 34,16; Prov 15,3) auf ihm ruhen läßt. Daraufkommt es in der Landbeschreibung letzten Endes an: auf die ständige, fürsorgende PräsenzJhwhs in der Natur des von ihm geschenkten Landes. Das Land ist in der Theologie des DtrB jedoch eine ambivalente Gabe, deren Erhalt und Genuß unwiderruflich an das Verhalten seiner Bewohner

46 Vgl. zur Gattungsbestimmung hier Lohfink, Hauptgebot, 223; von Rad, Das fünfte Buch Mose, 60; Seitz, Studien, 86; Mayes, Deuteronomy, 207. 47 Vgl. Christine Gottfriedsen, Die Fruchtbarkeit von Israels Land, EHS.T 267, Frankfurt am Main 1985, 140. 48 Anders in Gen 13,10; Num 16,13; 20,5. 49 Von Rad, Das fünfte Buch Mose, 61. 50 Die pl. Formulierung des Satzes fällt in dem sg. Kontext auf und wird häufig entweder in Sg. geändert (Eduard König, Das Deuteronomium, ΚΑΤ 3, Leipzig 1917, 112; Weinfeld, Deuteronomy, 433; Nielsen, Deuteronomium, 124), oder der Satz wird ingesamt für sekundär gehalten (Puukko, Deuteronomium, 159; Steuernagel, Deuteronomium, 91; Minette de Tillesse, Sections, 38; Garcia Lopez, En los umbrales, 47). Man muß jedoch beachten, daß der kontrastische Satz V. IIa« ebenfalls im PI. steht. 51 Zutreffend kommentiert schon Luther: »Notum est Aegyptum non pluviis rigari sed inundatione Nili quotannis in aestate« (Dtn-Vorlesung 1525, WA 14, 643:7 f.). 52 Vgl. Garcia Lopez, En los umbrales, 54. 53 Zum Verb TP TT mit Gott als Subjekt vgl.Jes 62,12; Ez 34,6.11; Hi 3,4.

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gebunden sind.54 Deshalb folgen auf die Landbeschreibung vollkommen sachgemäß die beiden Alternativen des Segens (V. 13-15) und des Fluches (V. 16-17)55, die den entsprechenden Abschnitten am Ende der Staatsverträge - in umgekehrter Reihenfolge - entsprechen.56 Der Segensabschnitt (V. 13-15) setzt mit einem Vordersatz (V. 13) ein, der die Bedingung des Segens mit einem für DtrB charakteristischen Stil57 und Vokabular58 statuiert und dabei die volle Formulierung des Hauptgebots und der Einzelgebote in 10,12 f. abkürzend für den jetzigen Kontext vergegenwärtigt. Befremdlich mag auf den ersten Blick der unvermittelte Ubergang in die Redeform der 1. sg. (»meine Gebote«) wirken, die hier wie auch in V. 14 und V. 15 (»ich werde geben«) Anlaß zu textkritischen Korrekturen59 gegeben hat. Sie wird jedoch verständlich im Lichte der Tatsache, daß der unregelmäßige Wechsel zwischen der 2. sg. und pl. bei DtrB eher die Regel als eine Ausnahme bildet und auch ein gelegentlicher Übergang in die 1. sg. in der Moserede bei ihm schon in 7,4 begegnete (vgl. sonst 28,20), ohne daß hinter dem schwankenden Numerusgebrauch tiefere Verkündigungsinteressen sichtbar würden.60 Der Segen besteht in der Spende des Regens (V. 14), des Kernelements der vorangehenden Landbeschreibung (V. 10-12), der zum richtigen Zeitpunkt fällt (vgl. 28,12; Lev 26,4) und das Bestellen der Felder im Herbst und das Ausreifen der Saat im Frühjahr ermöglicht, so daß der Bauer eine reiche Ernte von Korn, Wein und Ol (vgl. 7,13) einbringen kann. Neben den Menschen profitieren nach V. 15 vom rechtzeitigen Regen aber auch die Haustiere (vgl. 7,13)61, die als ihre Nahrung das durch den Regen gewachsene

54 Siehe hier insbesondere 4,lb.25-28; 5,32 f.; 6,2 f,14.15b.l7a.l8.25; 7,12-16; 8,1.19 f.; 11,8 f. 55 Keiner von den beiden Abschnitten, die spiegelbildlich zueinander stehen, läßt sich deshalb als Zusatz entfernen. Vgl. Lohfink, Hauptgebot, 223; Garcia Lopez, En los umbrales, 48.55; Mayes, Deuteronomy, 214 f. und Braulik, Deuteronomium, 89, gegen Minette de Tillesse, Sections, 38 und Seitz, Studien, 89 f., die entweder V. 16-17 (Minette de Tillesse) oder V. 13-15 (Seitz) für sekundär halten. 56 Vgl. Lohfink, Hauptgebot, 223; von Rad, Das fünfte Buch Mose, 61; Seitz, Studien, 87; Mayes, Deuteronomy, 214; Braulik, Deuteronomium, 89. 57 Vgl. zu n-m in Einführung der Bedingung bei DtrB in 7,12 und 8,19. Mit Recht stellt Achenbach, Israel, 97 fest: »Sachlich steht Dtn. 11,13 auf einer Ebene mit der jungen Rahmenschicht von Dtn. 8,1.19 f.« (d. h. auf der Ebene von DtrB). 58 ΤΐΊϊη stehen hier wie in 6,17a (vgl. 8,6) allein für die Gesamtheit der Einzelbestimmungen und blicken über 11,8 (msn) auf 10,13 (iilpm nun) zurück, worauf sich auch der Promulgationssatz in 11,13a (vgl. 11,8) bezieht. 59 Die schon in den Ubersetzungen bestehende Neigung zur Änderung der 1. sg. in die 3. sg. (s. BHS) floriert bei den Kommentatoren weiter. 60 Achenbach, Israel, 389 äußert die Vermutung, daß der Verfasser damit Mose als Propheten stilisieren wolle. 61 Schon ein Blick auf 7,13 lehrt, daß V. 15a kein Zusatz ist, wie Gottfriedsen, Fruchtbarkeit, 141, wegen der Berücksichtigung der Tiere vermutet.

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Gras erhalten (vgl. Gen 1,30; Ps 104,14) und damit den materiellen Wohlstand erhöhen (vgl. 6,11; 8,12). In dem Wohlstand liegt aber eine religiöse Gefahr, die DtrB in V. 16-17 in Gestalt einer Fluchandrohung formgemäß als Gegenstück zu der Segensverheißung in Aussicht stellt (vgl. 6,14.15b; 7,4; 8,19 f.). Der Einsatz mit der Warnung »Hütet euch ...« statt mit einem Bedingungssatz wie in V. 13 beruht auf der Abhängigkeit von den vorgegebenen Formulierungen in 6,12 (vgl. 6,11b) und 8,11 (vgl. 8,10a). Anders als in den älteren Schichten (vgl. 6,12; 8,lla.l2-14.17-18a), aber in Ubereinstimmung mit seinen eigenen früheren Aussagen (vgl. 6,14; 8,19) erblickt DtrB die durch den Wohlstand hervorgerufene Gefahr nicht in einer satten Selbstgenügsamkeit, die Jhwh vergessen läßt, sondern in einem direkten Fremdgötterdienst. Es kommt alles auf das von DtrB in 6,5; 10,12; 11,13 angedeutete Organ des Willens und Verstandes, das Herz, an, das sich im Uberfluß leicht »verfuhren läßt« (vgl. Hi 31,9.27) und den Menschen zum »Abweichen« (vgl. 7,4; 9,12.16; 11,28)62 von dem gebotenen Weg (10,12) bringt, so daß er stattJhwh (10,12; 11,13) den »anderen Göttern« (vgl. 6,14; 7,4; 8,19) »dient« und sie »anbetet« (vgl. 8,19). Das ist eine Sünde gegen das Hauptgebot und damit eine grundsätzliche Kündigung des Dienstverhältnisses, die den von DtrB oft beschworenen göttlichen Zorn mit seinen verhängnisvollen Folgen auf den Plan ruft (V. 17)63. Weil hier das Land mit seinen natürlichen Gegebenheiten auf dem Spiel steht, zeigen sich auch die bösen Wirkungen des Zornes in der Natur des geschenkten Landes als Umkehrung der versprochenen Segensgüter: Der Himmel (vgl. V. 11) wird verschlossen, so daß er seinen Regen (vgl. V. 11.14) versagt (vgl. I Reg 8,35; Dtn 28,23 f.; Lev 26,19) und der Ackerboden seinen Ertrag (vgl. V. 14) nicht mehr gibt (vgl. Lev 26,4.20), und als die letzte und schlimmste Strafe kommt noch die Verbannung64 aus diesem von Gott gegebenen, eben beschriebenen »guten Land« (vgl. 8,10) hinzu, womit der Verfasser seine eigene Leidensgeschichte in den Text hineinliest (vgl. 4,26; 6,15b; 7,4b; 8,19b)65. Der Abschnitt V. 18-21, wo die symbolhafte Vergegenwärtigung der Gesetzesworte befohlen wird, wirkt wie eine mechanische Wiederholung der entsprechenden Vorschriften in 6,6-9 und wird deshalb häufig in toto als sekundärer Zusatz betrachtet.66 Das ist jedoch eine voreilige Lösung, die außer acht läßt, daß die ganze Rede in 10,12 ff. nach der Fassung des DtrB

62 Überall das Verb Ί10. Vgl. weiter 31,29; Jdc 2,17; I Reg 22,43. 63 Vgl. 4,25; 6,15; 7,4; 9,7a*.8*.18 f. 64 Dafür werden in V. 17b die für DtrB typischen Ausdrücke I I * (vgl. 4,26; 7,20; 8,19.20 im Qal, 7,24; 8,20 im Hi.) und mnn »schnell« (vgl. inn in 4,26; 7,4.22; 9,12.16) verwendet. 65 Weitere naheliegende Parallelen zu V. 17b liegen in 28,20; 30,18; Jos 23,13.16 vor. 66 Siehe ζ. B. Bertholet, Deuteronomium, 36; Puukko, Deuteronomium, 150; von Rad, Das fünfte Buch Mose, 61; Seitz, Studien, 90; Preuß, Deuteronomium, 51.

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auf das Prinzip der Wiederholung von Dtn 6 - 8 gebaut ist.67 Bekanntlich erscheinen in den altorientalischen Vasallenverträgen gelegentlich Passagen, die den Vasallen zur Belehrung der nachkommenden Generationen über den Vertragsinhalt verpflichten.68 Eben darin liegt das Ziel, dem die Vorschriften von V. 18-21 dienen. Die in der »ersten« Rede fragenden und Antwort erhaltenden Kinder (6,20-25) sind in der »zweiten« Rede bisher nur als unwissend und unerfahren aufgetreten (11,2-5), weshalb ihre Einbeziehung in die Verpflichtung und Verheißung des Gesetzes jetzt das Gebot der Stunde ist. Beim näheren Zusehen zeigt sich, daß die V. 18-21 nicht eine rein mechanische Wiederholung von Dtn 6,6-9 darstellen, sondern einige markante Unterschiede sowohl in der Gesamtstruktur wie auch in Einzelheiten aufweisen, die die eigene Aussageabsicht des DtrB zum Ausdruck bringen. Auf der Ebene der Gesamtstruktur fallt erstens der unterschiedliche Numerusgebrauch auf: Während 6,6-9 durchgehend im Sg. formuliert sind, ergehen die Anweisungen in 11,18-21 zuerst (V. 18-19a) dem umliegenden Kontext entsprechend an »euch«, dann aber plötzlich an »dich« (V. 19b-20), und schließlich richtet sich die Verheißung (V. 21) wieder an »euch«, was selbst bei dem im Gebrauch des Numerus großzügigen DtrB befremdet. Zweitens erscheinen die konkreten Vorschriften in einer abweichenden Reihenfolge: Während in 6,6-9 das Lehren »dieser Worte« an die Söhne (V. 7aa) sich als eine einzelne Bestimmung zwischen den Anweisungen, sie »auf das Herz« zu nehmen (V. 6) und ständig »herzusagen« (V. 7aß), befindet, kommen in 11,18-21 zuerst die Vorschriften über die Zeichen an der Hand und auf der Stirn (V. 18b) und erst nach ihnen die Anweisung zum Lehren der Söhne (V. 19aa), die syntaktisch mit der Vorschrift des Rezitierens (V. 19aß) verbunden ist und damit hier einen breiteren Raum als in 6,7 beansprucht. Außerdem schließt sie in V. 19a die Reihe der pl. Vorschriften ab und findet ihre Fortsetzung in der in 6,6-9 fehlenden pl. Verheißung (V. 21), wo wiederum auch von den Söhnen die Rede ist. All das spricht dafür, daß das dazwischenliegende sg. Stück V. 19b-20, das den formal und inhaltlich kohärenten Aufbau von V. 18-21 stört und wortwörtlich 6,7b.9 zitiert, eine mechanische Übernahme von dort darstellt.69

67 Vgl. Mayes, Deuteronomy, 207, der aus diesem Grund an der Ursprünglichkeit von V. 18-21 festhält. 68 Siehe ζ. B. R. Frankena, The Vassal-Treaties of Esarhaddon, OTS 14, 1965, 122-154 (dort 141 f.); Jose Loza, Les catecheses etiologiques dans l'Ancien Testament, RB 78, 1971, 481-500 (dort 491-493). Der ausführlichste Beleg liegt in dem assyrischen AsarhaddonVertrag aus dem Jahre 672 vor (VTE 283-301, s. Parpola - Watanabe, Treaties, 40 f.; TUAT 1/2, 167). Siehe auch die entsprechende Selbstverpflichtung des Vasallen in dem aramäischen Vertrag zwischen Bar-ga'ja von KTK und Mati'-'el von Arpad aus der Mitte des 8.Jh.s (KAI 222 C 1-9). 69 Diese Möglichkeit wird von Minette de Tillesse, Sections, 39 erwogen. Georg Fischer Norbert Lohfink, »Diese Worte sollst du summen«, ThPh 62, 1987, 59-72 (dort 64 f.) hin-

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Im Blick auf die einzelnen Formulierungen unternimmt DtrB einige an sich unauffällige, inhaltlich jedoch bedeutsame Veränderungen gegenüber der Vorlage. Er tauscht in V. 18 das neutrale Verb Π-Π von 6,6 gegen das konkrete ET®, was zunächst für eine Anbringung der Worte als Amulett auf der Brust zu sprechen scheint (vgl. Cant 8,6; Ex 28,29 f.).70 Das wird jedoch durch die Fortsetzung ausgeschlossen, wenn als Ort der Bewahrung »dieser meiner Worte« (vgl. 6,6), die jetzt eindeutig das dtn Gesetz insgesamt zu ihrem Inhalt haben71, nicht allein das »Herz« (vgl. 6,6), sondern auch die »Seele« (t?3j) erscheint. Damit entsteht eine wörtliche Verbindung zu der bei DtrB geläufigen adverbialen Verstärkung der Forderung des Hauptgebots durch die Wendung »mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele« (10,12; 11,13, vgl. 6,5), und damit erhalten die in V. 18b genannten Zeichen von vornherein eine symbolische Bedeutung (vgl. Prov 3,3; 6,21; 7,3; Ex 13,9.16) - was freilich die weitere Existenz ihres konkreten Gebrauchs in der Zeit des DtrB nicht ausschließt.72 Als Höhepunkt der einzelnen Anweisungen wird in V. 19a das »Lehren« der Kinder vorgeschrieben, das terminologisch anstelle des einmaligen Verbs Pi. »wiederholen« (6,7) mit dem gewöhnlichen Verb des Lehrens, "τηί> Pi., ausgedrückt73 wird. Nach der sekundären, den Zusammenhang unterbrechenden Ergänzung V. 19b-20 (< 6,7b.9) folgt in V. 21 eine Verheißung, die keine Entsprechung in der Vorlage von Kap. 6 hat, wohl aber in 11,9, wo sie die gegenwärtige Generation betraf und jetzt - nach der gegebenen Lehrverpflichtung - folgerichtig auf ihre Kinder erweitert wird. Auch sie betrifft die Zusage des langen Lebens in dem den Vätern eidlich zugesicherten Land der Verheißung.74

gegen möchten die Einheitlichkeit von V. 18-21 mit einer angenommenen palindromischen Struktur rechtfertigen, in deren Mitte das Lehren (V. 19) stünde. 70 Siehe näher zum Sprachgebrauch P. Joüon, Locutions hebraiques avec la preposition !>? devant n^, 2it>, Bib. 5, 1924, 49-53. 71 Vgl. Seitz, Studien, 87; Braulik, Deuteronomium, 90. 72 In dem ursprünglichen Text von Dtn 6,4-9 bezogen sich »diese Worte« (V. 6") auf das Bekenntnis von V. 4b und waren zur konkreten Veranschaulichung durch die in V. 7 - 9 genannten Maßnahmen bestimmt (s. Timo Veijola, Höre Israel! Der Sinn und Hintergrund von Deuteronomium vi 4-9, V T 42, 1992, 528-541 [dort 536-540]). 73 Vgl. 4,1.5.10.14; 5,31; 6,1; 20,18; 31,19.22. 74 Syntaktisch bezieht sich »ihnen« (Dil^) auf die Väter, die damit nicht nur die Empfanger der Verheißung, sondern auch der Gabe des Landes wären, was den Rabbinern Anlaß zu Spekulationen über die Auferstehung der Toten gegeben hat, s. Siphre Deuteronomium, Pisqa 47 (Louis Finkelstein [Hg.], Siphre ad Deuteronomium, Berlin 1939 [reprint New York 1969), 104; Hans Bietenhard, Der tannaitische Midrasch Sifre Deuteronomium, JudChr 8, Bern 1984, 166) und Raschi z. St. Im Lichte der parallelen Formulierungen bei DtrB (6,18; 7,13; 8,1; 10,11; 11,9) wird es sich aber nur um einen lapsus calami handeln. Eine andere Möglichkeit wäre es, »ihnen« nicht auf »die Väter«, sondern auf »eure Kinder« zu beziehen und darin eine absichtsvolle Interpretation zu sehen, nach der erst die Kinder der gegenwärtigen Generation in den Besitz des Landes kommen (wie nach 1,35.39).

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Nach der schon einmal gegebenen bedingten Segensverheißung in V. 1315 kommt das Auftauchen einer ähnlichen Segensverheißungin V. 22-25 überraschend. Sie läßt sich jedoch nicht als eine sekundäre Wiederholung aus zweiter Hand abtun, denn sie trägt in sich die authentischen Merkmale der Terminologie und Theologie des DtrB. Sie hat in seinem Gesamtplan, der in 10,12 ff. die Kap. 6 - 8 möglichst umfassend aufnehmen will, offensichtlich die Funktion, neben dem in 11,13-15 beschriebenen Natursegen, der sein Vorbild in 7,12-15 hat, auch den dort dargestellten geschichtlichen Segen, der sich in der Niederwerfung der Feinde manifestiert (7,16-24), zu berücksichtigen. Damit kommt dem Segen (11,13-15.22-25) ein Übergewicht gegenüber dem Fluch (11,16 f.) zu75, was ihrem gegenseitigen Verhältnis in Dtn 6-8 76 und offenbar auch der eigenen Auffassung des Erfassers entspricht. Die Landnahme ist nach der Grundüberzeugung des DtrB an eine Bedingung gebunden (vgl. V. 13)77, die in V. 22 im Rückblick auf die Hauptgebotsformulierung von 10,1278 mit einer für DtrB charakteristischen Terminologie ausgedrückt wird (vgl. 6,17a; 8,1; 11,8). Die Feinde werden in V. 23 als bekannt vorausgesetzt (»alle diese Völker«), weil sie schon in 7,1 namentlich vorgestellt worden sind und ihre Niederwerfung ausführlich in 7,16-24 beschrieben worden ist. Die erneute Verheißung der Bezwingung »dieser Völker« (vgl. 7,22) faßt DtrB in ein Wortspiel mit dem Verb ή - : Jhwh hat die Initiative, indem er sie zuerst »vernichtet« (»V Hi.)79, und Israel erfüllt seine Pflicht in der Kooperation, 80 indem es nachher »ihren Besitz übernimmt« (BT Qal)81. Uber die Vorlage hinaus gibt DtrB in V. 24 eine kurze Grenzbeschreibung, die an ähnliche Passagen in den Vasallenverträgen erinnert. 82 Die Segensverheißung wird in V. 25 mit einer Siegeszusage abgerundet, die ge75 Vgl. Braulik, Deuteronomium, 90. 76 Segensverheißungen innerhalb von Dtn 6 - 8 (nach dem Textbestand des DtrB) enthalten 6,2 f.18.24 f.; 7,12-24; 8,1.7-18, Fluchandrohungen 6,15b; 7,4; 8,19 f. 77 Eine Betonung des DtrN wird darin gesehen von Norbert Lohfink, Kerygmata des Deuteronomistischen Geschichtswerks (1981), in: Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur II, SBAB 12, Stuttgart 1991, 125-142 (dort 139); Matthias Kökkert, Das nahe Wort. Zum entscheidenden Wandel des Gesetzesverständnisses im Alten Testament, ThPh 60, 1985, 496-529 (dort 509) und von Georg Braulik, Die Entstehung der Rechtfertigungslehre in den Bearbeitungsschichten des Buches Deuteronomium (1989), in: Studien zum Buch Deuteronomium, SBAB 24, Stuttgart 1997, 11-27 (dort 18). 78 Von dort werden aufgenommen »Jhwh, dein Gott«, »lieben«, »auf all seinen Wegen wandeln«, und ihnen wird »anhangen« (pai) hinzugefügt (vgl. 4,4; 10,20; 13,5; 30,20; 28,21.60; Jos 22,5; 23,8; II Reg 18,6). 79 »J(ahwe) vernichtet, aber Fleisch und Blut vernichten nicht« (Siphre Deuteronomium, Pisqa 50 [Finkelstein, Siphre, 115; Bietenhard, Sifre, 185]). 80 Vgl. Weinfeld, Deuteronomy, 449; Rose, 5. Mose, 521. 81 Der ganze Satz V. 23b zeitigt seine Wirkung in 4,38 und 9,1. 82 Siehe Timo Veijola, Davidverheißung und Staatsvertrag (1983), in: David. Gesammelte Studien zu den Davidüberlieferungen des Alten Testaments, SESJ 52, Helsinki/Göttingen 1990, 128-153 (dort 145 f.), vgl. Weinfeld, Deuteronomy, 450.

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danklich und verbal auf 7,16-24 rekurriert.83 Deshalb besteht kein Zweifel, daß dieser Text - und indirekt seine Vorlage in Ex 23,25-30 - die von DtrB gemeinte Adresse des Satzes »wie er es euch zugesagt hat« ist.84 Mit dem Rückverweis bestätigt DtrB ausdrücklich, daß er hier mit Absicht auf früher Gesagtes Bezug nimmt. Die Alternativpredigt des DtrB (10,12 ff.), die zugleich auch seine paränetische Einführung (4,1 ff.) in die Gesetzesverkündigung (11,31 ff.) beendet, wird in 11,26-28 abgeschlossen, wo die schon mehrfach anvisierten Alternativen des Segens und Fluches namentlich genannt und den Lesern/Hörern als eine ihre Existenz betreffende Grundentscheidung vor die Augen gestellt werden. 85 Segen und Fluch sind nach dem antiken Verständnis machtvolle Realitäten, die durch entsprechende Riten ad hominem gebracht werden und danach selbsttätig ihre Wirkung zeitigen. Deshalb haben sie auch in den altorientalischen Verträgen oft einen zeremoniellen Charakter86, und von daher versteht sich von selbst, daß sie auch in Dtn 11,26-28 als konkrete Mächte vorgestellt werden, die dann in dem großen Segens- und Fluchkapitel Dtn 2887 nach ihren Wirkungen näher beschrieben werden. 88

83 V. 25a nimmt 7,24boc wörtlich auf und wird seinerseits in Jos l,5aa zitiert (vgl. Jos l,3-5a < Dtn ll,24-25a). 84 Gewöhnlich wird der Gegenstand des Rückverweises in Ex 23,27 erblickt (so bereits Siphre Deuteronomium, Pisqa 52 [Finkelstein, Siphre, 119; Bietenhard, Sifre, 195] und Raschi z. St., vgl. weiter etwa Bertholet, Deuteronomium, 37; S.R. Driver, A Critical and Exegetical Commentary on Deuteronomy, ICC, Edinburgh,31901, 131 und Weinfeld, Deuteronomy, 450). Dieter Eduard Skweres, Die Rückverweise im Buch Deuteronomium, AnBib 79, Rom 1979, 30 f. hingegen möchte als Bezugstext Dtn 2,25 sehen, wofür er sprachliche Ankläge zwischen 2,25 und 11,25 ins Feld führt, das weitere kontextuale Geflecht der Aussagen von 11,22-25 jedoch außer acht läßt. Der mögliche Einwand, daß in 11,25b Jhwhrede vorausgesetzt ist, in 7,16-24 aber Mose redet, würde nicht durchschlagen, weil die Grenze zwischen Jhwh- und Moserede bei DtrB fließend ist (vgl. 11,13.14.15) und 7,16-24 zum Teil eine Rekapitulation der Jhwhrede in Ex 23,25-30 darstellt. 85 Die geographische Lokalisierung des Segens und Fluches in V. 29 f. ist hingegen später nachgetragen worden, s. Bertholet, Deuteronomium, 37; Steuernagel, Deuteronomium, 92 f.; Minette de Tillesse, Sections, 39; Mayes, Deuteronomy, 218; Braulik, Deuteronomium, 91; Achenbach, Israel 391; Rose, 5. Mose, 521. Anders freilich Nielsen, Deuteronomium, 128 f., der ausgerechnet in V. 29-30* eine »proto-deuteronomische Überlieferung nordisraelitischer Herkunft« findet. 86 Siehe dazu allgemein McCarthy, Treaty, 148-153 und vgl. im einzelnen z.B. die ausgeführten Fluchzeremonien in den assyrischen und aramäischen Verträgen (s. Parpola - Watanabe 1988, 8-13.50-58; KAI 222 A 21-42). 87 Daß die partizipiale Aussage von V. 26 futurisch auf die Proklamation von Segen und Fluch in Dtn 28 vorausblickt, hat Norbert Lohfink, Die huqqim ümispätim im Buch Deuteronomium und ihre Neubegrenzung durch Dtn 12,1 (1989), in: Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur II, 229-256 (dort 246) richtig erkannt. 88 Es verwundert nicht wenig, daß Seitz, Studien, 88.90 für V. 26-28 keinen Ort innerhalb der vom Bundesformular bestimmten Rede findet; s. aber von Rad, Das fünfte Buch Mose, 61 und McCarthy, Treaty, 166 f.

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Segen und Fluch sind nach V. 26 reale Begebenheiten, die wie das Land (vgl. 1,8) »vorgelegt« jrij) werden können 89 und so grundlegende Alternativen wie Leben und Tod (vgl. 30,15.19) darstellen. Wie oben (V. 13-15, V. 22-25) kommt der Segen bei DtrB als vorrangige Option zuerst ins Bild und ist nach V. 27 wie dort (V. 13) vom »Hören auf die Gebote Jhwhs« (vgl. 6,17a; 8,6; 10,13) abhängig (vgl. 28,1). Sein Gegenteil Fluch wird in V. 28 formal als paritätische Alternative eingeführt, die im Falle des Nicht-Hörens eintreten wird (vgl. 28,15). Darüber hinaus entfaltet DtrB aber näher den Charakter des Ungehorsams, indem er ihn im Anschluß an die letzte Fluchandrohung (V. 16) als »Abweichen« (tid) von dem gebotenen »Weg« (vgl. 9,12.16) und Nachfolgen anderer, von früher unbekannter Götter 90 , definiert (vgl. 6,14; 7,4; 8,19). Damit bringt er an dieser entscheidenden Stelle, beim Übergang von der Paränese zur eigentlichen Gesetzesverkündigung, noch einmal die tiefste Sorge, die ihn bewegt, zum Ausdruck: die Verletzung des ersten Gebotes durch den Fremdgötterdienst.

III. Ergebnis Die Analyse von Dtn 10,12-11,30 hat gezeigt, daß der Textkomplex nach seinem Aufbau und Gedankengang nicht ganz so undurchsichtig ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, sondern nach dem Abzug von wenigen Zusätzen (10,14—11,1.6.19b—20.29 f.) eine überschaubare Struktur aufweist, die locker an das Schema des Bundesformulars anknüpft und dabei Material aus den Kapiteln Dtn 6-8 in neuer Ordnung wiederholt. Formal läßt sich das Ergebnis der Analyse folgendermaßen darstellen: 7.10,12 f. Grundsatzerklärung mit dem Hinweis auf die Einzelbestimmungen: vgl. 6,4 f.6 u. ö. 2. 11,2-9 Vorgeschichte mit ethischer Schlußfolgerung: vgl. 6,20-25 3. 11,10-12 Landbeschreibung, vgl. 6,10b-lla; 8,7b-9 4. 11,13-15 Segensverheißung 1 (Natur): vgl. 7,12-14 5. 11,16-17 Fluchandrohung, vgl. 6,14.15b; 7,4; 8,19 f. 6. 11,18—19a.21 Vorschrift zur Weitergabe des Bundesinhalts an die Kinder, vgl. 6,6-9 Ζ 11,22-25 Segetisverheißungll (Geschichte): vgl. 7,16-24 8. 11,26-28 Formales Vorlegen des Segens und Fluches: —> 28 89 Daß die in V. 26a gebrauchte Formel in V. 32 wieder auftaucht, besagt noch nicht, daß der Abschnitt V. 26-32 eine literarische Einheit bildet (so jedoch Lohfink, Hauptgebot, 233 und Weinfeld, Deuteronomy, 453). 90 Zu »den anderen Göttern, die ihr nicht kennt« vgl. 13,3.7.14; 28,64; 29,25 (32,17).

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Es handelt sich natürlich nicht um ein vollständiges Formular, sondern lediglich um dessen einzelne Elemente, aber ob man in diesem Fall »gutgläubig« sein muß, wenn man meint, daß selbst mit den Einzelelementen, wenn sie in so großer Anzahl wie hier vorkommen, sich doch die Abhängigkeit des Verfassers vom Bundesformular beweisen läßt, scheint mir nicht ganz sicher.91 Wer in dem jungen, wahrscheinlich erst nachexilischen Text Dtn 10,12 ff. den Einfluß des Bundesformulars erkennt, findet darin einen neuen Beweis dafür, daß mit dem Niedergang des neuassyrischen Reiches im Jahre 612 die Wirkung der altorientalischen Vertragstradition auf die atl. Literatur nicht endete. Im Gegenteil kam sie im Dtn durch den späten bundestheologischen Redaktor DtrB erst recht zu ihrer vollen Blüte (vgl. Dtn 13)92. Allerdings stellt sich bei Dtn 10,12 ff. die Frage, »ob die >Sache< (seil. Bundestheologie) vorhanden ist, wo der Begriff (seil, m a ) fehlt«93. Die positive Beantwortung der Frage kann sich darauf stützen, daß der bundestheologische Redaktor in 10,12 ff. die Paränese in eine Gestalt gekleidet hat, die sich als eine religiöse Übertragung der aus der altorientalischen Vertragstradition bekannten Formen erwiesen hat und daß er in anderen Zusammenhängen auch den Begriff m a benutzt hat (4,23.31; 7,12; 8,18b; 17,2)94. Der Begriff ist nicht nebensächlich, aber auch keine unabdingbare Vorbedingung für die Existenz einer Bundestheologie. Die bundestheologische Paränese in Dtn 10,12 ff. ist weitgehend eine Reprise des Hauptinhalts von Dtn 6-8. Der Grund für die Wiederholung dürfte darin liegen, daß die inzwischen geschehene Kardinalsünde am goldenen Kalb (Dtn 9) in den Augen des DtrB das am Horeb begründete Bundesverhältnis (Dtn 5) so radikal in Frage stellte, daß sie nicht nur die Anfertigung der neuen Bundestafeln (10,1-5), sondern auch eine neue Verschärfung des Wesentlichen in dem Bundesverhältnis zwischen Jhwh und Israel erforderlich machte.

91 »Mit Einzelelementen läßt sich natürlich so ziemlich alles beweisen - für den Gutgläubigen« (Perlitt, Bundestheologie, 4f.). 92 Siehe Timo Veijola, Wahrheit und Intoleranz nach Deuteronomium 13, ZThK 92, 1995, 287-314 und dagegen Eckart Otto, Die Ursprünge der Bundestheologie im Alten Testament und im Alten Orient, Zeitschrift für Altorientalische und Biblische Rechtsgeschichte 4, 1998, 1-84 (dort bes. 32-37). 93 Perlitt, Bundestheologie, 3. 94 Vgl. auch 9,9.11.15, wo DtrB einen Text von DtrN zitiert.

Stellenregister (in Auswahl)

7. Altes Testament Genesis

4,9-11 4,10-16 12,1-4 12,2 12,6-9 12,10-13,1 12,10 13,8 15 15,7-19 15,8 18,14 18,18 24,7 26 27,5 28,10 ff. 28,13 28,15 28,16 29,15 31 32,2 32,21 33,8-10 33,11 37,26 f. 46,1-5 46,3 f. 46,8-28 Exodus

1-15 1 1,1-5

130 166 127 40 127 38 38 130 162 161 161 16 40 126 160 171 127 128 126,128 128 130 160 168 f. 131 131 131 131 39 38 39 38 38,40 39

2,11 2,23 f. 3 3,7 3,9 4,18 6,10-12 7,1-2 11,1 13,9 14,24 14,27 f. 15,4 f. 15,10 17,2-7 17,8 ff. 18 19-Num 10 19-34 19-24 19 20-23 20 20,1-7 20,1 20,2-18 20,5 20,11 20,18 ff. 20,19 20,22-23,33 20,22 f. 20,22 20,24-23,19 20,24-26 20,24

130 41 45 41 41 130 89 89 38 f. 22 42 211 211 211 194 33 108,112 113 50 115f.,119f. 109,115 7,115 48-50,116,200 47 49 75 48 76 115 49 123 124 49,123 119 8,123,125 123-127

Stellenregister 20,25 21,1 21,2-11 21,2-7 21,2-6 21,11 21,16 21,20 21,23 f. 23,1-3 23,1 23,4-5 23,6-8 23,10-19 23,10-12 23,14-19 23,19 23,20 23,25-30 24,4 24,12 32-34 32 32,15-19 34 34,6 34,27 34,29

124 49,123 32 132 192 123 132 166 133 136 133 136 136 124 32 31 31 126,128 219 113 50 119f. 159 162 50,52 203 113 162

Levitikus 18,5 23

26 59

Numeri 10 11-27 11 12 13 f. 14,31 16 2 0 f. 20,1 20,12 2 0 , 1 4 ff. 2 0 , 1 5 f. 20,15

108 109 80,108,112 80 106,108 f.,112 166 211 109,112 108 103 106 f. 39,42 40

20,16 20,22 21,21-32 22-24 22,1 22,38 23,5 23,12 25-36 25,1 26 26,63-65 27,12 ff. 27,12-23 27,12 f. 27,13-14 27,15-23 27,2 I f f . 31,2 31,3-6 3 2 f. 32 3 2 , 7 ff. 34,1-6 34,7 35,33 Deuteronomium 1Jos 22 1-30 1-4 1-3 lf. 1 1,1 1,3 1,5 1,35-39 1,35 ff. 1,37 f. 1,38 1,39 2 f. 2,14-16 2 , 2 6 ff. 3,21-28 3 , 2 1 f.

223 41 108 107 107 109 86 86 86 116 109,116,118-120 104 112 103 f.,107,112 104 102,109,111,116,118f. lllf. 102 f. 108 111 111 108 112 112 111 111 166

52 109 116,118,160 105-116,120,158 108 88,160 108,118 8 8 f. lllf. 146 115 103 f. 102 166 112 115 108 103 102,104

224 3,29-29 3,23-27 3,27 3,28 4-11 4 f. 4 4,1-40 4,1-3 4,1 4,2 4,5-8 4,5 4,8 4,10 4,13 4,14 4,2 I f . 4,29-31 4,34 4,36 4,37 4,44-5,1 4,44 4,45-49 4,45 5 ff. 5-31 5-30 5-28 5-12 5-11 5

5 , 1 ff. 5,1-6,3 5,1-5 5,1 5 , 2 f. 5,4 5,6-21 5,6-10 5,8-10 5 , 9 f. 5,9 5,12-15

Stellenregister 111 102,104 111 102,108 59,64,70 8,109 112,148,192,201-203 25 58 202 64 9,24 55 71 21 58 5 4 f. 103 f. 155 41 21,28 202 111,118 64,158 158 118 106,115 120 114 160 156 111 f.,114,202 f. 7 f.,49,52,54-56,59, 87,96,110,113,115 f., 1 1 9 , 1 9 2 , 2 0 0 f.,221 62 115,118 115,201 118 f . , 2 0 2 113,161 49,97 57,75,200 62 75 77 4 8 , 2 0 2 f. 76

5,14 5,15 5,16 5,17-19 5,20 5,21 5 , 2 2 ff. 5,22 5,23-31 5,24-26 5 , 2 5 ff. 5,28 5,31 6-11 6-8 6 6,1 6,2 6,3 6 , 4 ff. 6,4-13 6,4-9 6,4-6 6 , 4 f. 6,4 6,5-9 6,5 6,6-9 6,6 f. 6,6 6,7-9 6,7 6,10-13 6,10-12 6,10 f. 6,1 I f f . 6,12 6,13 6,14-19 6,14-17 6,17 6 , 1 8 f. 6,20-25 6,24

76 76 77 77 77 77 94 77 159 97 49 97 5 4 f.,97 8,116,200 8,208,210,216,218, 2 2 0 f. 115f.,119,192f.,197f., 217 97,118 158 97 193,195,199 194 f. 194 116-118 7,62,113 115,118,193,196,209 199 71,193,197,199,209, 215,217 6 4 , 2 0 0 , 2 1 5 f. 22 25,158,217 194 199,216 194 f. 194 213 71 215 195,197 f. 194 f. 194 51 194 195,211 197

Stellenregister 7-11 7 7,1-6 7,1 7,4 7,7-11 7,7 f. 7,8-15 7,8 7,9 f. 7,9 7,11 7,12-16 7,12-15 7,16-24 7,17-26 8 8,7-10 8,7-9 8,11 8,17 f. 8,17 8,19f. 9 f. 9 9,1-10,11 9,1 9,4-6 9,4 9,7-10,11 9,7 9,8 9,9-10,5 9,18 f. 9,20 9,22 10 10,1-5 10,4 10,12-11,32 10,12-11,30 10,12-22 10,12 10,14-22 10,14 10,15 f. 10,15

115 192 f.,197 f. 195 218 214 195 f.,201 76,197,203 161 197 196 196 158 195 f.,199,203 218 218 f. 197 197 203 213 215 27 27 99 52,115,119 9,144-146,221 197 156,158,161 27 27 162 145 145 76 145 145 f. 145 51,192,197 221 58 206

8,206-221 76,197-199,200 71,197 197 197 203 197,199,202 f.

10,16 10,18 f. 10,20 10,22 11 11,1-25 11,1-12 11,1 11,2-7 11,2 11,5 f. 11,7 11,8-17 11,9 11,13-21 11,13 11,18-20 11,18 f. 11,18 11,19 11,21 11,22-25 11,22 12 ff. 12-26 12-25 12-18 12-13 12 12,1-17,1 12,1 12,2 f. 12,13 ff. 12,13 12,15 12,29-31 12,29 13 13,4 14 14,3 ff. 14,21 14,22-15,23 14,22-29 14,22-27 14,22

225 22,65,203 198 198 38 f. 115,192,197 198 f.,201 199 199 200 199 146 199 203 199 199 199 200 22,199 25 199 25,200 199 f. 199 112,210 7,32,51,56,122 55,57,113,117 55 56 55f.,59,71,82,115f., 122 f.,125 f. 57 55,97 56,159 120 54,125f. 126 56 58

8,56,59,80-100 192 122 82 131 32 32 32 31 f.

226 14,23 14,28 f. 15,1-11 15,1-3 15,2-18 15,3 15,4-11 15,9 15,12-18 15,15 15,19-23 16,1-17 16,1-8 16,3 16,8 16,18-21,9 16,18-18,22 16,18 16,20-17,1 16,20 16,21-17,1 16,2 I f . 17,1 17,2-25,17 17,2-18,22 17,2 17,8-12 17,8 17,9 17,11 17,14-20 17,14 17,16-20 17,18-20 17,18 f. 18 18,1-9 18,3 f. 18,6 18,15 19-25 19 19,1-25,17 19,1-21,9 19,1-13 19,1 19,2-6

Stellenregister 33 31-33 132 135 63 131 135 31 132,191 192 31 76 57 40 57,59 123 52 53,96 5 7 f. 58 58 56 58 57 58 58 96 16,53 53 98 64,95,120 53 159 64 98 8,51,50-/00 31 53 53 159 56,59 56 58 56,59 122 58 96

19,9 19,11-12 19,15-21 19,16-21 19,16-19 21,10-21 21,15-17 21,18-21 21,22 f. 22 22,1-4 22,5-12 22,13-23,1 23,6 23,16-24,17 23,16-24,7 23,20-21 23,20 23,21 24,6-22 24,7 24,8-25,4 24,14 f. 24,14 24,16 25,1-3 25,5-12 25,13-16 25,17-19 25,17 25,19 26-30 26 26,1-15 26,1-11 26,1 f. 26,1 26,2 26,3 f. 26,3 26,5-10 26,5-9 26,5 26,6-9 26,6 26,7 26,8

192 96 132 133 96 136 191 56 136 56 132,135 136 136 192 56 56 131-133 134 134 76 132 56 132 133 56 132,134 56 31,56 31,33 f. 33 33 114 30,111,113,117,119 8,32f.,117f. 30-36 3 4 f. 34-36 33-35 34,37 f. 161 f. 34,118 36-38 36-40,42-44 36 40 41,44 41 f.

Stellenregister 26,10 26,11-15 26,11 26,12-15 26,12 26,16-19 26,16 26,17-19 26,18 27-30 27-29 27 28 28,1-14 2 8 , 9 ff. 2 8 , 1 5 ff. 28,15-68 28,15-46 28,20-24 28,45 28,47-68 2 8 , 5 8 ff. 28,61 2 8 , 6 2 f. 28,63 28,69 29-30 29 29,3 2 9 , 1 3 f. 29,14 29,15-20 29,20 29,21-27 29,22 29,23 29,26 29,27 29,28 30 3 0 , 1 ff. 30,1-14 30,1-10 30,6 30,10 30,11-14

34-38 32 3 4 f. 31 f.,34,36 3 1 f.,34 31,61,117 2 4 , 1 1 7 f. 118 24 117 204 117 70,117,152-154,219 64 70 64,71 152 152 152 51 152 64 153 44 153 113,159 8,14,17,70 9,15,17,20,117,148, 152,154 20 64 24 146 24 154 154 154 20,154 24,154 15,20,23 f. 1 9 2 , 2 0 3 f. 71 117,155 14 f.,23 f. 22,65,203 64,204 9,73-25,204

30,11 30,14-20 30,14 30,15-20 30,15 30,16 31-34 31 31,1 ff. 31,1-2 31,1 31,2 31,3-6 31,3 31,7 f. 31,9-13 31,9 31,14 f. 31,16-22 31,23 31,24-26 31,27-30 32,1-43 32,43 32,44-47 3 2 , 4 6 f. 32,46 3 2 , 4 8 ff. 32,48-52 33 34 34,1-12 34,1-9 34,1-6 34,1-5 34,1 3 4 , 5 f. 3 4 , 7 f. 34,9 34,10-12 34,10 34,12 Josua 1 1,1-6

227 204 64 204 13,15,24,111,117 f.,204 f. 204 204 102,109-111,114,120 51,102 f. 110 102f.,110f.,113,118f. 155 104,111 111 104 102,104,110 f.,113,118 f. 102 113 102-104 102 102-104 102 102 102 9,164-172 102 102 99,102 104 102 f.,111,120 102,177 80-82,85,102-104, 111,120 103 81 102 f.,110,114,118 f. 119 119 119 f. 103 104,111 81,111 8,81 41

104,119 119

228 1,1 f. 1,5 f. 1,7-8 2,1 3,1 4,10 6,18 12 f. 21,43-45 23-24 23 24 24,14-28 24,14-24 24,19

Stellenregister 102 102 82 107,119 f. 107,119 f. 89 171 108 162 116 99,160 119,161 161 162 20

Judicum 2 f. 2,6 ff. 6,7-10

116 116 99

1. Samuelbuch 7,3 f. 8,9 9,25 17,39 21,13 25,9 28,18

99 99 171 171 25 91 140

2. Samuelbuch 13,33

25

1. Regum 3,2 f. 3,12 8,13 8,46-51 9,6-9 10,17 12,30 13,34 14-22 14,9 14,15 f. 14,15 14,16

120 81 19 149 149 143 144 143 f. 142 143 149 143 144

15,26 15,29 15,30 15,34 16,2 16,7 16,12 16,13 16,19 16,26 16,31 16,33 21,22 22,53 22,54 2. Regum 3,3 9,22 10,29 10,31 13,2 13,6 13,11 14,24 14,27 15,9 15,18 15,24 15,28 17 17,2 17,12-20 17,17 f. 17,17 17,18 17,20 17,21 17,22 17,23 18,7 18,8 18,19 f. 18,32-35 19,27 21-24 21,6

144 143 143 f. 144 143 f. 143 143 143 f. 144 143 f. 144 143 143 f. 144 143

144 95 144 144 144 144 144 144 148 144 144 144 144 9,99,148-151,154 148 99 151 95 f. 150 150 144 144 150 157 157 f. 157 157 170 148 95 f.

Stellenregister 21,12 ff. 21,15 22,19 23-24 23 23,4-20 23,15 23,19f. 23,25 23,27 24,3 24,20 25 Jesaja I,11 2,2-5 6 6,5 66 67 6,8 II,6 30,15 37,28 40-55 40,8 45 >23 47,9 47

>12 51,16 52,4 55 55, I f f . 55,8 f. 55,10 f. 55,12 f. 59,21 Jeremia 1-25 1 1,4-10 1,7 1,9 1,17 6,1

71 149 52 7,150 119,159 159 144,158 158 81 150 150 150 160

65 76 87,93 87 87 87 87 170 65 170 14,20 f.,25 14 14 95 9 5

86 38 13 14 13 9,13 f.,16,23 13 86

229

7 7,15 12,4 14,22 15,16 22,28 23 25,1-14 25,15

91 151 171 167 25 151 93 88 90

25,17 26 26.7 26.8 26,10-16 26,17-19 31,31-34 31,31 32,17

90 91-93 91 91 91-93 91 193,204 162 16

32,27 32,31 36,10

16 151 88

4 5

8 8

45,1 52,3

88 151

Ezechiel 1,4-2,2

188

2,3-3,9 3,10

188 25

4 4,0

fi

159

Hosea

12

80

Joel 4,16

169 ,

88 8,87-90,93,96 90 87,89 f. 86-89 89 169

Mtcka

3,3 4,1-5 6,8

171 76 209

Zephanja 3,14

170

230

Stellenregister

Sacharja 8,6 11,10-14

16 159

Maleachi 2,1 2,4

15 15

Psalmen 1,2 5,12 10,1 22,1-23 22,12 22,20 29,1 34,19 35,22 37,31 38,22 44,15 69,2 71,12 74 74,9 89,6 96,12 106 119 119,11 119,48 137

25,64 171 18 18 18 18 169 18 18 25 18 20 18 18 20 21 167 170 105 17,25 f. 25 2 5 f. 19

2.

Neues

Matthäus 12,34

22

Markus 10,17-21 parr. 15,34 Johannes 1,14

58 28 29

139,6 145,18 149,5

16 f. 18 170

Hiob 28,21 f. 38,16 38,18 42,3

17 17 17 16 f.

Proverbia 11,10 30,18

171 16f.

Kohelet 7,23-24

18

Threni 2,7 2,8 2,9 Esra 8,17

19 19 19,21

86

Nehemia 9

105

7. Chronikbuch 16,32

170

Istament Römerbrief 10,4 10,4-8 10,5 10,6 10,6-8 10,7 10,8 10,12 10,17

26 28 26 28 9,26 f.,29 28 2 8 f. 29 29

Stellenregister

1. Korintherbrief 1.18

29

2. Korintherbrief 3,6-18 5.19 8,9

162 29 29

Philipperbrief 3,5 f. 3.7 ff. 1. Johannesbrief 4,18

231

26 26

209

3. Qumran 1Q5 lQIsa a 4QDeut h

172 166,170 166

4QDeut> 4QDeuti

167 164

4. Piaton Nomoi I 631b 6-d 7 I 644 d 7-645 b 8 II 653 a 5-c 4 II 661 a 4-c 5 III 701 e IV 705 e 1-706 a 4 IV 715 b 2-d 6 IV 715 e 7-718 c 6 IV 715 e 7-718 b 5 IV 715 e 7-716 d 4

72 66 65 72 63 63 65 66 72 f. 70

V 726 a 1-734 e 2 V 739 b 8-e 7 VII 788 c 7-8 VII 793 a 9-d 5 VII803 c 2-8 VII803 d 8-804 b 4 VII 811 c 6-e 1 X 890 e 6-891 a 2 XII 960 d 3 XII963 a 1 - c 6 XII 969 a 6

66,72,74 69 65 63 66 66 66 66 69 63 67

Das Alte Testament Deutsch. ATD Neues Göttinger Bibelwerk. Herausgegeben von Reinhard G. Kratz und Hermann Spieckermann

2-4: Gerhard von Rad - Das erste Buch Mose 12. Auflage 1987. VIII, 364 Seiten, kart. ISBN 3-525-51111-6; Ln. ISBN 3-525-51112-4

17: Otto Kaiser - Das Buch des Propheten Jesaja Kapitel 1-12. 5., völlig neubearb. Auflage 1981. 257 Seiten, kart. ISBN 3-525-51233-3;

5: Martin Noth - Das zweite Buch Mose 8. Auflage 1988. VI, 230 Seiten, kart. ISBN 3-525-51115-9

18: Otto Kaiser Der Prophet Jesaja Kapitel 13-39. 3., durchges. Auflage 1983. XII, 327 Seiten, kart. ISBN 3-525-51189-2

6: Erhard S. Gerstenberger Das dritte Buch Mose 1. Aufl. dieser Bearb. 1993. VIII, 411 Seiten, kart. ISBN 3-525-51122-1; Ln. ISBN 3-525-51123-X

19: Claus Westermann - Das Buch Jesaja Kapitel 40-66. 5. Auflage 1986. 344 Seiten, kart. ISBN 3-525-51193-0

7: Martin Noth - Das vierte Buch Mose 4. Auflage 1982. Nachdruck 1995. IV, 222 Seiten, kart. ISBN 3-525-51127-2 8: Gerhard von Rad - Das fünfte Buch Mose 4. Auflage 1983. 150 Seiten, kart. ISBN 3-525-51133-7; Ln. ISBN 3-525-51136-1

20: Artur Weiser - Das Buch Jeremia Kapitel 1-25,14. 8. Auflage 1981. XLIII, 219 Seiten, kart. ISBN 3-525-51200-7 21: Artur Weiser - Das Buch Jeremia Kapitel 25, 15-52,34. 7. Auflage 1982. IV, 232 Seiten, kart. ISBN 3-525-51202-3

9: H.W.Hertzberg Bücher Josua,Richter, Ruth 6. Auflage 1985. 287 Seiten, kart. ISBN 3-525-51139-6

22/1: Karl-F. Pohlmann Das Buch des Propheten Hesekiel Kapitel 1-19. 1996. 297 Seiten, kart. ISBN 3-525-51210-4; Ln. ISBN 3-525-51209-0

10: Hans W. Hertzberg - Die Samuelbücher 7. Auflage 1986. 347 Seiten, kart. ISBN 3-525-51142-6

22/2: Walther Eichrodt - Der Prophet Hesekiel Kapitel 19-48. 3. Auflage 1984. IV, 263 Seiten, kart. ISBN 3-525-51211-2

11/1: Ernst Würthwein - Die Bücher der Könige 1. Kön 1-16. 2., durchges.u.Überarb. Auflage 1985. XVI, 204 Seiten, kart. ISBN 3-525-51148-5; Ln. ISBN 3-525-51151-5

23: Norman W. Porteous Das Buch Daniel 4. Auflage 1985. 166 Seiten, kart. ISBN 3-525-51219-8; Ln. ISBN 3-525-51222-8

11/2: 1. Kön. 1 7 - 2 . Kön. 25. 1984. XVI,313 Seiten, kart. ISBN 3-525-51152-3; Ln. ISBN 3-525-51153-1 13: Artur Weiser Das Buch Hiob 8. Auflage 1988. 272 Seiten, kart. ISBN 3-525-51160-4; Ln. ISBN 3-525-51163-9 14: Artur Weiser · Die Psalmen Psalm 1-60. 10. Auflage 1987. 300 Seiten, kart. ISBN 3-525-51166-3 15: Psalm 61-150. 10. Auflage 1987. IV, 312 Seiten, Sachregister, Bibelstellenverzeichnis zum Gesamtband, kart. ISBN 3-525-51169-8 16/2: H.-P. Müller / 0. Kaiser / J. A. Loader Das Hohe Lied, Klagelieder, Das Buch Ester 4., völlig neubearb. Auflage 1992. VIII, 280 Seiten, kart. ISBN 3-525-51237-6

24/1: Jörg Jeremias · Der Prophet Hosea 1983. 174 Seiten, kart. ISBN 3-525-51224-4; Ln. ISBN 3-525-51225-2 24/2: Jörg Jeremias - Der Prophet Arnos 1995. XXII, 137 Seiten, kart. ISBN 3-525-51226-0; Ln. ISBN 3-525-51213-9 25/1: Lothar Perlitt Nahum, Habakuk, Zephanja (in Vorbereitung) 25/2: H. Graf Reventlow Die Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi 1. Auflage dieser Bearbeitung 1993. XI, 161 Seiten, kart. ISBN 3-525-51238-4 *

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