Völkerrecht und Rechtsphilosophie: Internationale Festschrift für Stephan Verosta zum 70. Geburtstag [1 ed.] 9783428446933, 9783428046935

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Völkerrecht und Rechtsphilosophie: Internationale Festschrift für Stephan Verosta zum 70. Geburtstag [1 ed.]
 9783428446933, 9783428046935

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Völkerrecht und Rechtsphilosophie

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1980 Duncker & Humblot, Berlln 41 Gedruckt 1980 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlln 61 Printed in Germany ISBN 3 428 04693 5

Völkerrecht und Rechtsphilosophie Internationale Festschrift für Stephan Verosta zum 70. Gehurtstag

llerausgegeben von Peter Fischer - lleribert Franz Köck - Alfred Verdross

DUNCKER&HUMBLOT/BERLIN

Inhalt

Stephan Verosta -

Völkerrechtler und Rechtsphilosoph

Der Diplomat Stephan Verosta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Geschichte, Begriff und Quellen des Völkerrechts RobertoAgo Die pluralistischen Anfänge der internationalen Gemeinschaft

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Ignaz Seidl-Hohenveldern Europarecht im Österreichischen Gesetz über das Studium der Rechtswissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Grigory I. Tunkin Soviet Theory of Sources of International Law

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Heribert Franz Köck Altes und Neues zur Clausulus rebus sie stantibus

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11. Völkerrechtliche Zuständigkeit ( Jurlsdlction) Manlio Udina Über die sogenannten "neutralen Zonen" der arabischen Halbinsel 107 CliveParry The Question of Sovereignty over the Air-Space . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

VI

Inhalt

György Haraszti Outer Space and Sovereignty . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 PaulReuter Einige Betrachtungen zur Natur der Staatenimmunität im Völkerrecht .............................................................. 147

Iß. Der Schutz der Menschenrechte Ulrich Scheuner Die Schlußakte von Helsinki und der Schutz der Menschenrechte . . . . 163 Felix Ermacora über das Kumulationsverbot in Menschenrechtsverfahren . . . . . . . . . . . 187 Hans-Ernst Folz Die Europäische Menschenrechtskonvention in der neueren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs .............................. 201

IV. Völkerrechtliches Unrecht und Streiterledigung Christian Dominice Die internationalen Verbrechen und deren rechtliches Regime ....... 227 Hermann Mosler Aktuelle Aspekte des Verfahrensrechts des Internationalen Gerichtshofes .............................................................. 249 V.D.Degan International Conciliation: Its Past and Future ...................... 261 Vladimir lbler Einige Bemerkungen zur Beilegung der Abgrenzungsstreitigkeiten in der ICNT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287

Inhalt

VII

Franz Matscher Überlegungen über einen einheitlichen Begriff der inländischen Gerichtsbarkeit in Zivilrechtssachen ................................ 299

V. Neutralität und Neutralismus Rudolf L. Bindschedler Ständige Neutralität und Neutralismus (Blockfreiheit) ............... 313 Gerd Kaminski Die Bewertung der Österreichischen Neutralität durch die VR China 323

VI. Internationales Wirtschaftsrecht Peter Fischer Das transnationale Unternehmen als Phänomen in der Völkerrechtsgeschichte . . ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 EndraUstor Die Zollunionsausnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371

VII. Die Vereinten Nationen Manfred Lachs The Decision-Making Powers and the Judiciary within the United Nations ............................................................ 389 Leo Gross The United Nations and the Uruted States . . ..... . .................. 403

VIII

Inhalt VUI. Europäische Sicherheit

Helmut Liedermann Von Helsinki über Belgrad nach Madrid. Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa aus der Sicht eines Österreichischen Konferenzteilnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 Manfred Rotter Intersystemische Kooperation- Europas Weg zum Frieden? ........ 445

IX. Rechtsphilosophisches

Alfred Verdross Höhepunkt und Abschluß der abendländischen Rechtsmetaphysik bei Leibniz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 J ohannes Messner

Naturrecht in Evolution ............................................ 467 Herbert Schamheck Die natürlichen Rechtsgrundsätze des § 7 ABGB .................... 479 Robert Prantner Die Spiritualität des Kirchenlehrers St. Hieronymus - Sein Dienst am Wort ........................................................... 497

Schriftenverzeichnis

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Autorenverzeichnis

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STEPHAN VEROSTA-VÖLKERRECHTLER UND RECHTSPHILOSOPH Wer den im stürmischen Jahr 1934 erschienenen XIV. Band der Zeitschrift für öffentliches Recht auf Seite 371 aufschlägt, findet dort die deutschsprachige Erstlingsarbeit eines damals erst kurz zuvor promovierten vielversprechenden Juristen. Diese Arbeit, die dem großen Kompilator völkerrechtlicher Verträge, Jean Dumont, gewidmet ist, ist kennzeichnend für das Lebenswerk des Jubilars: Stephan Verosta hat bis heute der Geschichte des Völkerrechts und den aus ihr fließenden Anregungen für die Gegenwart sein Hauptaugenmerk geschenkt. Dieser humanistische Zugang zum Völkerrecht war dem am 16. Oktober 1909 in Wien Geborenen schon in die Wiege gelegt worden. Der Sohn des späteren Direktors der Radetzky-Realschule in Wien-Landstraße, Hofrat Dr. Rudolf Verosta, und dessen Gattin Elisabeth, der daheim ein perfektes Französisch lernte und die Tradition, sich an bestimmten Tagen nur dieser Sprache zu bedienen, später auch in seiner eigenen Familie fortgesetzt hat, absolvierte das humanistische Gymnasium. Dieses führte ihn in die Kultur- und Geisteswelt Griechenlands und Roms ein, was sicherlich Anstoß für die verschiedenen späteren Arbeiten des Jubilars über die internationalen Beziehungen und ihre rechtlichen Grundlagen in jener Zeit gab. Der gemäß seiner von ihm oft zitierten Urentscheidung gläubige Katholik verkehrte während seines Studiums der Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Wien in literarischen und humanistischen Zirkeln, die eine weitere Seite seiner universal ausgerichteten Persönlichkeit entfalteten und den Grund für seine späteren rechtsphilosophischen Arbeiten legten. Wiewohl Stephan Verosta nach seiner Promotion zum Doctor iuris utriusque im Jahre 1933 mit einer wissenschaftlichen Laufbahn an der Universität Wien, die ihm seinen Lebensunterhalt gesichert hätte, bei den damaligen beengten Personal- und Sachverhältnissen nicht rechnen konnte, wurde er, der schon früh Seminare von Hans Kelsen und Alfred Verdross aktiv besucht hatte, 1935 ehrenamtlicher Assistent an der Wiener juridischen Fakultät. Seine spätere Tätigkeit im Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten, oder besser: sein Interesse für, ja sein Hang zur Diplomatie, kündigte sich darin an, daß er 1 Festschrift für Stephan Verosta

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ab 1934 an der Konsularakademie (der Vorläuferio der heutigen Diplomatischen Akademie) als Assistent und Vortragender wirkte und gleichzeitig ab Jänner 1935 in der Rechtsabteilung des Bundeskanzleramtes, das damals auch die auswärtigen Angelegenheiten betreute, tätig war. Der aufrechte Österreicher schied 1938 aus dieser Stellung aus und diente in der Folge als Richter in Wien und Niederösterreich. Auch hiefür hatte er sich bereits frühzeitig vorgebildet: in seltener Vereinigung gerichtlicher, völkerrechtlicher und diplomatisch-konsularischer Tätigkeit war er in den Dreißigerjahren auch Rechtspraktikant am Österreichischen Konsulargeriebt Kairo gewesen. Von 1942 bis 1945 diente Stephan Verosta als Soldat in der deutschen Wehrmacht. Die Zeit der Unfreiheit Österreichs war für das Leben des Jubilars in mehrfacher Weise von Bedeutung. Zum ersten ließ sie ihn die Erfahrung machen, daß auch ein kleiner Staat, selbst in schwierigster, ja in hoffnungsloser Situation, nicht aufgegeben werden muß, wenn er sich nicht selbst aufgibt. Damals kam Verosta zur wissenschaftlichen Auffassung, daß im internationalen Bereich Fakten, selbst wenn sie im Augenblick definitiv erscheinen, oft noch eine lange Bewährungsprobe überstehen müssen, um tatsächlich als endgültig angesehen werden zu können. So wurde die Theorie vom "internationalen Schwebezustand" geboren, die an der rechtlichen Existenz eines besetzten Staates festhält, solange der neue Souverän in seiner Stellung nicht endgültig gesichert erscheint. Mit dieser wissenschaftlichen Auffassung paarte sich bei Verosta der unerschütterliche Glaube an ein Wiedererstehen Österreichs. Gerne erzählt er noch heute von Silvesterabenden, an denen er mit Freunden in jener Zeit das Neue Jahr erwartet und mit ihnen gemeinsam auf das Wohl eines neuen Österreichs getrunken hat. Es erscheint als fast selbstverständlich, daß sich der Jubilar, nachdem die Selbständigkeit Österreichs im Frühjahr 1945 endlich Wirklichkeit geworden war, seinem Vaterland zur Verfügung stellte. Er trat in die Völkerrechtsabteilung des Außenministeriums ein, die er dann 1950/51 und von 1953 bis 1956 leiten sollte. Seine Verdienste in dieser Funktion sowie als Missionschef in Budapest und Warschau und als Rechtsberater der Österreichischen Bundesregierung in Zusammenhang mit dem Abschluß des Österreichischen Staatsvertrages von 1955 werden anschließend aus der berufenen Feder des Staatssekretärs im Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten a. D. Dr. Ludwig Steiner gewürdigt werden. Wir können uns daher hier darauf beschränken, den eigentlichen wissenschaftlichen Geha:lt der damaligen für Österreich so bedeutsamen Tätigkeit Verostas aufzuzeigen. Es können keine ernstzunehmenden Zweifel daran geäußert werden, daß das Versprechen der Österreichischen Regierungsdelegation im

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Moskauer Memorandum vom 15. April 1955, Österreich werde eine dauernde Neutralität nach Schweizer Vorbild auf sich nehmen, für die Sowjetunion der Kaufpreis für ihre Zustimmung zum Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 war. Auf diesen Status, der im Neutralitätsgesetz vom 26. Oktober 1955 staatsrechtlich und durch Notifikation an die anderen Staaten und deren ausdrückliche oder stillschweigende Anerkennung völkerrechtlich verankert wurde, war Österreich damals - trotz verschiedener auf dieser Linie liegender früherer Äußerungen einzelner österreichischer Politiker - nicht vorbereitet. Ideologisch stand die ganz überwiegende Mehrheit der Österreicher fest im westlichen Lager. Die "freiwillige" Übernahme der dauernden Neutralität war ein Opfer, das Österreich seiner Unabhängigkeit bringen mußte; dieses Opfer leichter erträglich zu machen, wurde nun Aufgabe der Politiker wie der Wissenschaftler. Es ist ein bleibendes Verdienst Verostas, aufgezeigt zu haben, daß Österreich und die Österreicher eigentlich "von Natur aus" neutral seien, schon bedingt durch die geopolitische Lage des Landes, und daß der Staat (Deutsch-)Österreich de facto schon seit 1919/20, das heißt seit dem Staatsvertrag von Saint-Germain und seinem, Österreich die Unabhängigkeit auferlegenden Art. 88 neutral oder quasi-neutral gewesen ist. Die historisch-dogmatische Durchdringung des Begriffs der dauernden Neutralität, insbesondere am Beispiel des Nachbarlandes Schweiz, ermöglichte es Verosta etwas später auch, bestimmend in eine Neutralitätsdebatte einzugreifen, die sich über die Frage einer etwaigen Mitgliedschaft Österreichs in den Europäischen Gemeinschaften entspann. Sein Gutachten zum Österreichischen Juristentag 1966 - später als "Die dauernde Neutralität - Ein Grundriß" im Druck erschienen trug viel zur Klärung der Pflichten bei, die ein dauernd neutraler Staat schon im Frieden, insbesondere auch auf dem Gebiet der Wirtschaft, hat, und bereitete mit den Weg für jenes neutralitätsrechtlich unbedenkliche Arrangement mit Brüssel, das schließlich 1972 in Form einer Freihandelszone zustandekam. Das Interesse, das Verosta dem 19. Jahrhundert als der klassischen Zeit der Neutralität zuwenden mußte, trug aber reiche Früchte weit über diesen Bereich hinaus. In seinem Werk "Theorie und Realität von Bündnissen", das er 1971 im Druck erscheinen lassen konnte, hat er die Außenpolitik der Donaumonarchie von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg nicht nur nachgezeichnet, sondern auch wissenschaftlich analysiert. Wenig hält der Jubilar von der Idee des Nationalstaates, die zwischen 1848 und 1918 grundlegende Umwälzungen gerade in Mittel- und Osteuropa bewirkte, und der schließlich auch der übernationale Staat Österreich-Ungarn zum Opfer fallen sollte.

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Verosta ist heute noch ein Verfechter der Zweckmäßigkei t des Deutschen Bundes, wie er von 1815-1866 bestand; und noch 1970 machte er sich die Mühe, in einem Festschriftbeitr ag nachzuweisen, daß die 1866 erfolgte Annexion Hannovers, Kurhessens, Nassaus und der Freien Stadt Frankfurt durch Preußen selbst nach damaligen Maßstäben völkerrechtswid rig gewesen sei. Aber in noch viel frühere Zeitläufe ist Verosta hinaufgestiegen . So legte er in seiner Vorlesung an der Academie du droit international im Haag 1964 seine Ansichten über die völkerrechtliche n Beziehungen der ausgehenden Antike dar; und den Kirchenvater Johannes Chrysostomus untersuchte er auf seinen staats- und rechtsphilosoph ischen Gehalt. In den ersten Jahren seiner 1962 an der Universität Wien aufgenommenen Lehrtätigkeit begannen seine rechtsphilosoph ischen Vorlesungen immer mit dem Staatsmodell der sumerischen Stadtstaaten und vergaßen auch das alte Ägypten, Indien und China nicht. Verosta glaubte so am besten nachweisen zu können, daß die menschliche Natur im Wesentlichen überall und immer gleich gewesen sei und bleibe. Daß für ihn die anima humana naturaUter christiana ist, merkten die Studenten spätestens dann, wenn der Jubilar ausführlich das Staatsmodell des Volkes Israel und danach die im Bereich der christlichkirchlichen Wissenschaft entwickelten Vorstellungen über Staat und Recht besprach. Seine Distanz zu modernen Heilslehren oder gar rechtsphilosophischen Modetorheiten zeichnet ihn als einen Weisen seines Faches aus. Dieses V erosta auch im Bereich des Völkerrechts eigene abgewogene Urteil führte dazu, daß der Jubilar mehr und mehr internationale Aufgaben übertragen erhielt. So ist er noch heute Mitglied des Ständigen Schiedshofes im Haag, Vorsitzender der amerikanisch-fi nnischen und Mitglied der niederländisch-d eutschen Vergleichskomm ission, und war 1963 Präsident der Konferenz der Vereinten Nationen über konsularische Beziehungen. Schließlich ist Verosta auch Mitglied der Völkerrechtskom mission der Vereinten Nationen und Stellvertretend er Obmann des Rates der Universität der Vereinten Nationen. In der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der der Jubilar als wirkliches Mitglied angehört, leitet er als Obmann die Kommission für Völkerrecht und internationale Beziehungen. Seine Verdienste wurden durch die Verleihung hoher kirchlicher und staatlicher Orden ausgezeichnet. Wenn Stephan Verosta mit Ablauf des Studienjahres 1979/80 von seiner Lehrtätigkeit an der Universität Wien Abschied nimmt und in den dauernden Ruhestand eintritt, so ist heute schon sicher, daß der zukünftige Emeritus dies nicht als den Beginn eines Feierns von der

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wissenschaftlichen Arbeit ansehen wird. Das von ihm in Angriff genommene Projekt eines Austrian Digest of International Law für die Zeit von 1859 bis 1918 wird noch für viele Jahre seine ganze Arbeitskraft in Anspruch nehmen. Daß ihm diese Arbeitskraft noch lange erhalten bleibe, ist ein Wunsch, den ihm seine Freunde und Schüler zusammen mit dieser Festschrift darbringen. Die Herausgeber danken dem Inhaber des Verlages Duncker & Humblot, Herrn Senator E. h. Ministerialrat a. D. Prof. Dr. Johannes Broermann für die freundliche Bereitwilligkeit, die vorliegende Festschrift in sein Verlagsprogramm aufzunehmen. In diesem Zusammenhang sind wir auch Frau Bundesminister Dr. Hertha Firnberg dafür zu besonderem Dank verpflichtet, daß sie aus dem Fonds des Österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung Mittel zur Übersetzung einzelner Beiträge ins Deutsche und ihrer Druckfertigmachung einen namhaften Betrag zur Verfügung gestellt hat. Schließlich danken wir auch Herrn Dieter H. Kuchta von der Abteilung Herstellung des Verlages Duncker & Humblot für die bei der technischen Betreuung des Buches aufgewendete Mühe. Wien, am 16. Oktober 1979

Peter Fischer

Heribert Franz Köck

Alfred Verdross

DER DIPLOMAT STEPHAN VEROSTA Das Persönlichkeitsbild eines Diplomaten ist in den Augen vieler Menschen von Äußerlichkeiten geformt. Viel zu wenig wird erkannt, daß diese "Äußerlichkeiten" in diesem Beruf lediglich ein technisches Instrument sind, dessen alleinige Anwendung nur hie und da für eine, von Ferne betrachtet, anscheinend sehr erfolgreiche Laufbahn genügt. Soll die Arbeit aber wirklich für das eigene Land vom echten Nutzen sein, so müssen neben der äußeren Gewandtheit und einem umfangreichen Wissen auch noch andere Eigenschaften einen Menschen erfüllen. Heute ist es vielleicht unmodern davon zu reden, daß Idealismus und Patriotismus zusammen mit einer hohen Arbeitsmoral unerläßlich sind. Oft gibt es in den Außenministerien Diskussionen, ob man verschiedene Gruppen in den diplomatischen Dienst umbauen soll oder ob es besser ist, nur Mitarbeiter, die sich für alle Bereiche eignen, aufzunehmen. Ein verhältnismäßig kleiner auswärtiger Dienst kann sich den Luxus eines speziellen Korps von Spezialisten nicht leisten. Um so wichtiger ist es, Mitarbeiter zu haben, die mit der ganzen Palette der diplomatischen Probleme vertraut sind, die aber auch ein profundes Fachwissen auf speziellen Gebieten besitzen. Ein guter Diplomat, der sich in einer schwierigen und entscheidenden Situation bewährt, ist nicht immer nur einer, der einen typischen Studiengang speziell für den diplomatischen Dienst durchlaufen hat. Nicht selten sind Menschen, die in ihrem Leben viel erlebt haben, die viel mitgemacht haben; die sich bereits in schwierigen Situationen des Lebens bewährt haben, die trotz aller Schwierigkeiten sich Idealismus und Menschlichkeit bewahrt haben, auch jene, die sich dann in geschichtlichen entscheidenden Situationen voll bewähren. Der Lebensweg Stephan Verostas ist ein Musterbeispiel dafür, was einem Österreichischen Patrioten im Laufe der Jahre so alles begegnet ist, welche Ereignisse und Erlebnisse ihn geformt haben, wie er mit harten Herausforderungen fertig wurde, ohne sich Vorurteile und Voreingenommenheiten einzuwirtschaften. Man muß diesen Lebensweg wirklich in allen Einzelheiten sehen, um die Leistung des Jubilars voll würdigen zu können.

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Der Diplomat Stephan Verosta

Nachdem Stephan Verosta im November 1932 in den richterlichen Vorbereitungsdienst eingetreten war, stand er als Schriftführer bei verschiedenen Gerichten - Bezirksgericht Landstraße, Landesgericht für Zivilrechtsachen Wien (erste Instanz und Berufungssenat), Handelsgericht Wien und Exekutionsgericht Wien sowie Bezirksgericht Spitz an der Donau - in Verwendung. Auf Grund von Publikationen auf dem Gebiet des Völkerrechts (seit 1932) wurde Verosta zu einer Studienpraxis im Österreichischen Außenamt zugelassen und im September 1934 vom Leiter der Völkerrechtsabteilung Dr. Markus Leitmaier eingeladen, im Außenamt Dienst zu tun. Am 21. Januar 1935 wurde Verosta mit seiner Zustimmung als Richteramtsanwärter dem Außenamt zur besonderen Dienstleistung zugeteilt; er war in der Völkerrechtsabteilung immer wieder durch lange Monate der einzige Mitarbeiter Leitmaiers, dem er die Einführung in den Verwaltungs- und Ministerialdienst und in die Praxis des Völkerrechts verdankt. Die Völkerrechtsabteilung arbeitete mit der politischen Abteilung, die vom Gesandten Theodor Hornbostel geleitet wurde, in den Jahren 1935 bis 1938 besonders eng zusammen. Hatte die Ermordung des Bundeskanzlers Dollfuß die Empörung der Weltöffentlichkeit hervorgerufen und Mussolinis Divisionen am Brenner im Juli 1934 HitZer zum Rückzug gezwungen, konnte Verosta das schrittweise Zurückweichen der Westmächte vor der steigenden Aggressivität des nationalsozialistischen Deutschlands vom Ballhausplatz aus verfolgen. Vergeblich hat auch er aus eigener Initiative hochgestellte Persönlichkeiten in Frankreich und England, darunter den französischen Spezialisten für Mitteleuropa und Präsidenten der Alliance Fran!;aise Louis Eisenmann und den Historiker Arnold Toynbee, damals Direktor des Royal Institute of International Affairs, vor den gefährlichen Folgen dieser Nachgiebigkeit gewarnt. Neben seiner Arbeit in der Völkerrechts- und aushilfsweise auch in der Rechtsschutz-Abteilung des Außenamtes war Verosta von 1934 bis 1938 auch an der Konsularakademie in Wien, einer Lehranstalt des Außenamtes vor allem für den diplomatischen Nachwuchs Österreichs und der Nachfolgestaaten der Donaumonarchie, als Assistent und Vortragender tätig. Unter den Hörern befanden sich in diesen Jahren auch Kurt Waldheim, der nachmalige Außenminister und jetzige Generalsekretär der Vereinten Nationen und Manfred Lachs, später Rechtsberater des polnischen Außenministeriums und jetzt Richter am Internationalen Gerichtshof. Verosta vertrat die Konsularakademie auch auf zwei großen internationalen Konferenzen über "Kollektive Sicherheit" in London (1935 und über "Peaceful Change" in Paris (1937). Als Mitglied der Völkerrechtsabteilung des Außenamtes wurde er 1935 zum Prüfungskommissar für Völkerrecht bei der Staatswissenschaftlichen Staatsprüfung ernannt.

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Verosta hatte sich bei seiner Zuteilung zum Außenamt ausbedungen, daß er die Richterprüfung ablegen könne, da das Richteramt der Beruf seiner ersten Wahl gewesen war. Er besuchte den richterlichen Ausbildungskurs und verfaßte als sogenannte richterliche Hausarbeit die Schrift "Richterliches Gewohnheitsrecht in Österreich", die von der Prüfungskommission mit ausgezeichnet bewertet wurde und legte im Februar 1936 die Richteramtsprüfung ab. 1937 wurde er mit seiner Zustimmung zum Sprengelrichter des Oberlandesgerichts Wien ernannt. Die Sprengelrichter verzichten auf die Ernennung zu einem bestimmten Gericht und damit auf die richterliche Unversetzbarkeit und stehen dem Oberlandesgericht für verschiedene Verwendungen zur Verfügung; Verosta wurde nun als Richter dem Außenamt zugeteilt. Verosta hat die politische Entwicklung in und um Österreich vom Abessinienkrieg, dem Juliabkommen 1936 über das Berchtesgadener Diktat vom 12. Februar 1938, Schuschniggs Rede vom 24. Februar 1938 "Rot-Weiß-Rot bis in den Tod", Ankündigung und Vorbereitung der Volksabstimmung für ein freies und unabhängiges Österreich, die deutschen Ultimaten und Schuschniggs Abschiedsrede nach seinem erzwungenen Rücktritt am 11. März 1938 selbst erlebt. Der Generalsekretär des Außenamtes, Heinrich Wildner, begrüßte am 12. März noch den neuen nationalsozialistische n Außenminister Wilhelm Wolf, der vom deutschen Frieden sprach, während die Geschwader der deutschen Luftwaffe über Wien dahindonnerten. Am 13. März 1938 erfolgte die völkerrechtswidrige Annexion Österreichs durch Deutschland, auf welchen die Westmächte, die im Völkerbund die Hauptrolle spielten, nur mit verbalen Protesten reagierten; diese Proteste sollten erst in der Moskauer Deklaration vom 30. Oktober 1943 ihre endgültige Formulierung finden. Schuschnigg und Hornbostel waren sofort verhaftet worden, U~itmaier wurde vom Dienst suspendiert. Da Verosta sich stets als österreichischer Patriot bekannt hatte, wurde sein Schreibtisch in seiner Abwesenheit von der Gestapo durchsucht. Auf Rat des Ministerialrats Eugen Huber, des späteren Sektionschefs bei Vi~ekanzler Adolf Schärf, beantragte Verosta selbst am 16. März 1938 seine Enthebung von der Verwendung im Außenamt. In der Österreichischen Justiz waren inzwischen zahlreiche höhere Richter ihrer Funktionen in der Vaterländischen Front oder weil sie als Juden qualifiziert wurden, enthoben worden und die Österreichischen Richter, die der nationalsozialistische n Partei beigetreten waren, in ihre Stellen nachgerückt. Am 23. März 1938 lud der nationalsozialistische Personalchef des Oberlandesgerichtes Wien Verosta vor; in dessen Personalakt blätternd meinte er, bei der Justiz läge eigentlich gegen Verosta nichts vor, man wisse er sei ein Schwarzer, d. h. katholischer

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Gesinnung, er solle als Sprengelrichter sofort die Leitung von drei Abteilungen eines avancierten Richters beim Bezirksgericht Innere Stadt übernehmen. Verosta wurde danach auch bei den Bezirksgerichten Döbling, Floridsdorf und wieder Innere Stadt verwendet. Im Februar 1939 wurde er von einem Personalreferenten (mit Parteiabzeichen) des Oberlandesgerichtes Wien befragt, ob er nicht der NSDAP beitreten wollte, was Verosta verneinte. Dann müsse Verosta sich um ein ländliches Bezirksgericht bewerben, da viele Richter auf dem Lande, die der NSDAP beigetreten waren, nach Wien wollten und die Justizverwaltung auf dem Lande nicht genügend Richter habe. Verosta stellte daher die entsprechenden Anträge und wurde mit April 1939 zum Bezirksgericht Walkersdorf ernannt. Als im Mai 1940 der Amtsleiter des Bezirksgerichtes Mistelbach einrückte, wurde Verosta an das Bezirksgericht Mistelbach "abgeordnet". Im September 1940 wurde Verosta von der Sprachmittler-Sammelstelle des Wehrkreiskommandos Wien zur Ablegung der DolmetscherPrüfung aus Französisch verhalten; das darauffolgende Angebot als Verwaltungsrat (Sonderführer 'Z) ins besetzte Frankreich zu gehen, lehnte Verosta ab, ebenso die zweimalige Aufforderung Kriegsgerichtsrat im Offiziersrang zu werden. Im Februar 1942 erhielt Verosta eine Einberufung zum Infanterieregiment 134. Im Wehrkreiskommando Wien saß aber Verostas alter Freund, Eduard Chaloupka, der 1938 aus dem Bundeskanzleramt entlassen und kurz verhaftet gewesen war. Chaloupka annullierte diesen Stellungsbefehl und Verosta wurde aufGrund seiner Dolmetscherprüfung aus Französisch zur Dolmetscherkompanie Wien einberufen und bereits im Juni zu einer Kompanie nach Berlin versetzt, die wegen ihrer Arbeit - Durchsicht und Analyse ausländischer Zeitungen und Telegramme - bis zum Kriegsende vor jeder Frontdienstleistung bewahrte. Berliner Freunde erwirkten für Verosta die Genehmigung außerhalb der Kaserne zu schlafen. Verosta kam gesellschaftlich mit einzelnen Männern deutscher Widerstandsgruppen in Verbindung. Sein bester Freund in Berlin, Oberarzt Dr. Heinz Schlag, war auf der Station des Internisten Professor Sieber im Krankenhaus Moabit tätig, der auch Hermann Göring behandelte. Schlag wurde wegen seiner Beziehungen zum ehemaligen Reichstagspräsidenten Loebe und zum Oberarzt Grosskurth, der ein kommunistische Widerstandsgruppe leitete, verhaftet. Auf Ersuchen der Familie Schlag und dessen Verteidigers Dr. Menzel stellte sich Verosta als "Entlastungszeuge" zur Verfügung. Die Verhandlung fand am 30. Juli 1944 im angebombten Gebäude des Volksgerichtshofes unter Vorsitz Roland Freislers statt, der knapp vorher die Männer des 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt hatte. Gross-

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kurth und die Mitglieder seiner Gruppe waren inzwischen hingerichtet worden. Schlag kam mit drei Jahren Zuchthaus davon, aus dem er 1945 von sowjetischen Truppen befreit wurde. Nach den schweren Bombardements von Berlin vom 22. und 23. November 1943 wurde die Kompanie, der Verosta angehörte, nach Jüterbog verlegt. In der allgemeinen Auflösung Deutschlands im April 1945 erlangte der Gefreite Verosta noch einen Marschbefehl nach Bozen und traf nach 5tägiger, immer wieder durch Luft-Bombardement s unterbrochener Fahrt am 15. April1945 in Innsbruck ein. Dort besuchte er Professor Reut-Nicolussi, der ihm mitteilte, daß die Konstituierung der Tiroler Landesregierung bevorstehe und diese sehr wohl einen Berater in außenpolitischen Angelegenheiten für die erste Zeit brauchen könnte. Verosta wollte aber möglichst bald nach Wien, das inzwischen von der Sowjet-Armee freigekämpft woren war. Er übernahm es noch Briefe und weiteres Material von Reut-Nicolussi bei Walter Amon in Meran abzugeben. Von Bozen aus traf Verosta nach langen Umwegen Anfang Mai in Bad Ischl ein. Inzwischen hatten sich die amerikanischen und sowjetischen Truppen an der Enns getroffen, aber den Amerikanern und westlichen Alliierten blieb bis in den Juli hinein der Weg nach Wien versperrt. Verosta stellte sich daher der Verwaltung der Stadt Ischl unter dem neuen Bürgermeister Fridolin Schröpfer, dem späteren sozialistischen Nationalratsabgeordn eten zur Verfügung; er besorgte die Verbindung zur amerikanischen Militärregierung und nahm an den Sitzungen des Gemeinderates der Stadt lschl teil. Anfang September 1945 konnte Verosta endlich nach Wien gelangen und im noch bombengeschädigten historischen Gebäude am Ballhausplatz wieder den Dienst antreten. Nach Anerkennung der Regierung Renner durch alle vier Großmächte schied Verosta auf eigenen Antrag aus der Justiz und wurde in den Höheren Auswärtigen Dienst übernommen. Er war zuerst in der Vereinigten Rechtsabteilung ("J"} unter seinem alten Chef Gesandten Leitmaier tätig und holte die vor 1938 nicht abgelegte Diplomatenprüfung nach. Als Außenminister Dr. Karl Gruber Leitmaier anfangs 1947 mit der Leitung der Politischen Abteilung betraute, wurden die juristischen Materien wieder wie im "alten Haus" vor 1938 auf die Völkerrechtsabteilun g und mehrerer Rechtsschutzabteilungen aufgeteilt. Die Völkerrechtsabteilun g übernahm Ges. Rudolf Blühdorn, Verosta wurde stellvertretender Abteilungsleiter. Die Österreichischen Regierungen unter den Kanzlern Renner und Figl hatten seit der Befreiung Österreichs den Rechtsstandpunkt der Kontinuität des Staates Österreich vertreten, der durch die völkerrechtswidrige Okkupation und Annexion durch das Deutsche Reich zwar in seiner Handlungsfähigkeit bis zur faktischen Beseitigung der deutschen

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Herrschaft durch die alliierten Truppen gelähmt gewesen sei, aber seine internationale Rechtsfähigkeit behalten hatte. Verosta unterbaute im Vorwort zu der Dokumentensammlung "Die internationale Stellung Österreichs 1938 bis 1947" diesen Rechtsstandpunkt durch gewichtige Argumente. Ebenfalls 1947 veröffentlichte er die erste und einzige Übersetzung der Charter der Vereinten Nationen und des Statuts des Internationalen Gerichtshofs in Österreich mit einer gehaltvollen Einleitung. Schließlich wurde Verosta, der sich Anfang 1946 an der Universität Wien für das Fach Völkerrecht habilitiert hatte, besonders mit der Schulung der neu aufgenommenen Nachwuchskräfte betraut. Im April 1948 war Verosta Rechtsberater der Österreichischen Delegation bei der Konferenz in Paris, auf der die Abkommen über die Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgearbeitet wurden, die eine optimale Lösung für das westliche Europa (Marshall-Plan-Hilfe) darstellte. Im Oktober 1948 wurde Verosta der politischen Abteilung zugeteilt, um sich in die Fragen um Südtirol noch mehr einzuarbeiten. Ab November 1948 wurde er zur Österreichischen Gesandtschaft in Italien versetzt, um als Erster Legationsrat den Gesandten Dr. Johannes Schwarzenberg in den Fragen des Autonomiestatuts für die Region Trentino-Tiroler Etschland zu unterstützen. Dabei lernte Verosta die Südtiroler Senatoren und Abgeordneten sowie ihre italienischen Gegenspieler näher kennen. Aber schon Ende April1949 wurde Verosta nach Wien zurückberufen, um die Leitung der Völkerrechts-Abteilung zu übernehmen. Deren Leiter Blühdorn war zunächst als Vorsitzender der Österreichischen Delegation zur Internationalen Rot-Kreuz-Konferenz monatelang in Genf und trat nach seiner Rückkehr für längere Zeit in den Krankenstand. Verosta führte daher über eineinhalb Jahre die Völkerrechtsabteilung. In dieser Zeit begehrte Vize-Kanzler Schärf das Konkordat zwischen Österreich und dem Heiligen Stuhl vom Jahre 1934 nicht wieder anzuwenden, wie dies bei den meisten anderen Verträgen geschehen war. Obwohl Verosta nachwies, daß Vize-Kanzler Schärf in dutzenden Fällen im Ministerrat persönlich für die Weiteranwendung der von Österreich vor 1938 abgeschlossenen Verträge auf Grund des Rechtsstandpunktes der Rechtskontiunität Österreichs gestimmt hätte, insinuierte Schärf in einem Zeitschriftenartikel ein nicht gerechtfertigtes Eintreten Verostas für Interessen der katholischen Kirche, zur Zeit des gegenständlichen Ministerrats-Beschlusses sei er nicht anwesend, sondern in London gewesen. Es folgte nun in mehreren publizistischen Organen eine unnütze Diskussion über die Frage der Kontinuität oder Diskontinuität des Österreichischen Staates, die überdies mit der Frage

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Okkupation oder Annexion verquickt wurde. Verosta erlangte schließlich eine Audienz bei Bundespräsident Karl Renner, der ihm - auch Vize-Kanzler Schärf gegenüber - bestätigte, Verosta habe auch im Falle des Konkordats pflichtgemäß und in Übereinstimmung mit dem von der Österreichischen Regierung seit 1945 außenpolitisch vertretenen Rechtsstandpunkt der Kontinuität des Österreichischen Staates seit 1918 gehandelt. Freunde in beiden Parteien der Großen Koalition baten Verosta es bei einer Entgegnung, die in der Arbeiter-Zeitung abgedruckt wurde, bewenden zu lassen. Verosta, der von Schärf im Laufe der Jahre immer wieder zu langen Gesprächen empfangen und gerufen wurde, rechnet dies dem Vizekanzler und späteren Bundespräsidenten Schärf hoch an: er habe Verosta verziehen, daß er selbst damals Unrecht hatte; das sei mehr als man von vielen Menschen erwarten könne. Ende März 1951 - Blühdorn war wieder im Amt - übernahm Verosta die Leitung der Österreichischen Gesandtschaft in Budapest als ständiger Geschäftsträger. Das später "stalinistisch" genannte Regime Räkosi war ein schwieriger Partner. Verosta hat die Österreichischen Interessen mutig vertreten, vielen in Ungarn befindlichen Österreichern - aber gelegentlich auch bedrängten Ungarn - mit Rat und Tat geholfen. Hier sei der Fall eines aus der Tschechoslowakei mit seinen Eltern ausgebürgerten Minderjährigen angeführt. Die Eltern waren 1944 mit ihren Kindern nach Österreich gekommen und hatten den Ältesten 1945 zu Verwandten nach Ungarn geschickt. Im Jahre 1949 hatten sie die Österreichische Staatsbürgerschaft erworben und durch sie auch der Minderjährige. Die ungarischen Behörden verweigerten trotz zahlreicher Verbalnoten und mündlicher Urgenzen der Österreichischen Gesandtschaft dem Minderjährigen auf seinen gültigen Österreichischen Reisepaß die nötige Ausreise-Erlaubnis zu erteilen; es müsse erst festgestellt werden, ob er nicht doch ungarischer Staatsbürger sei. Eines Morgens im Juni 1952 erschien der Minderjährige, der in Nordungarn wohnte, verstört auf der Gesandtschaft in Budapest: er habe aus sicherer Quelle ·erfahren, er solle verhaftet werden. Verosta wies ihm einen Raum im Gesandtschaftsgebäude als Quartier an und verbot ihm, dieses zu verlassen. Dann legte er den Fall dem politischen Direktor des ungarischen Außenamtes dar, der sofort schwere Bedenken äußerte. Verosta erklärte nun, ·er sei als österreichischer Missionschef bereit, einen Ausweisungsbescheid gegen den Minderjährigen entgegenzunehmen; die "zuständige Behörde" brauche auf diesem Papier die Staatsbürgerschaft nicht zu erwähnen. Es dauerte lange vier Wochen, bis die Gesandtschaft den Ausweisungsbescheid erhielt - offenbar wollten die ungarischen Behörden keinen Präzedenzfall eines diplomatischen Asyls schaffen. Ein schneidiger junger Attache aus Tirol brachte im eigenen

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Auto den ausgewiesenen Minderjährigen über die ungarisch-österreichische Grenze, an der auch noch sowjetische Organe anwesend waren, sicher nach Wien. Mit dem 16. Februar 1953 übernahm Verosta die Leitung der Völkerrechtsabteilung in Wien. Eine Fülle von Problemen war zu bearbeiten, Staatsvertrag, sowjetische Verwaltung des deutschen Eigentums in Österreich, Staatsbürgerschaftsfragen. Zu dem gab es im In- und Ausland bedeutsame politische Veränderungen. Im Frühjahr 1953 kam es zu einer Neubildung der Bundesregierung. JuZius Raab löste Leopold FigZ am 2. April 1953 als Bundeskanzler ab. Im Bundeskanzleramt, Auswärtige Angelegenheiten, blieb bis zum 26. November 1953 KarZ Gruber Außenminister. Staatssekretär im BKA, Auswärtige Angelegenheiten Bruno Kreisky beigegeben. In dieser Zeit fiel daher auch die erste dienstliche Begegnung von Verosta mit Bruno Kreisky, mit dem er von Jugend auf bekannt war. Kreiskys Onkel war Professor an der Radetzky-Realschule und mit Verostas Vater befreundet und Bruno Kreisky war jahrelang sein Schüler. Als Oskar Kreisky von den nationalsozialistischen Behörden dieAusreise verweigert wurde, hatte Verostas Vater bei einem gemeinsamen Schüler, der inzwischen ein hoher Funktionär der NSDAP geworden war, die Ausreise für Oskar Kreisky und seine Gattin nach den USA im Jahre 1940 erwirkt. Bruno Kreisky hatte sich nach seiner Rückkehr aus Schweden gleich an diese Vorgänge erinnert. Obwohl es gelegentlich Spannungen innerhalb der damaligen Koalitionsregierung gegeben hat, konnte sich Verosta durch seine sachliche Arbeit und seine Prinzipientreue immer das Vertrauen der Ressortführung bewahren. Am 5. März 1953 war Stalin gestorben und gegen Ende 1953 gab es Anzeichen für eine mögliche Änderung des politischen Stils der neuen Sowjetregierung, insbesondere gegenüber weltpolitischen Problemen. Erst später hat diese Änderung als sogenannte "friedliche Koexistenz" firmiert und ist seit dem mit dem Namen Chruschtschov verbunden.

Karl Renner aber auch Karl Gruber und andere Österreichische Politiker hatten schon in den Jahren 1945 und 1947 von der Neutralität als zukünftige Politik Österreichs gesprochen. Diese beachtenswerten Stimmen waren aber unter dem Eindruck des immer frostiger werdenden kalten Krieges und der immer perfekter werdenden militärischen Blockbildung verstummt. Für Bundeskanzler Julius Raab war es vom ersten Tag seiner Amtsübernahme an klar, daß Österreichs politisches Ziel eine Neutralität, wie die Schweiz sie hält, sein müßte. Für Raab war dies nicht die Frage, daß damit Österreich etwa aus der Welt-

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politikaustreten sollte. Es war seine Überzeugung, daß Österreich damit eine wichtige Funktion in Mitteleuropa übernehmen würde; womit sich für Österreich zum Unterschied von der Zwischenkriegszeit eine echte politische Aufgabe in seiner besonderen geopolitischen Lage ergeben müßte. Solche Überlegungen konnten damals nicht immer offen ausgesprochen werden. Im vertrauten Kreis hat dies Raab aber immer wieder getan. Ohne irgend eine Absprache zwischen den beiden hatte V erosta sehr ähnliche Gedanken. Er schrieb schon 1953 in einer Studie über "Die geschichtliche Kontinuität des Österreichischen Staates und seine europäische Funktion": "Das Österreichische Volk ist selbst die feste Grundlage seines Staates, für den es in entschlossenem Selbstbehauptungswillen eintritt. Damit ist das Österreichische Volk wieder in der Lage, die dem Staat Österreich zukommenden Funktionen selbst zu erfüllen. Durch eine mehr als tausendjährige Geschichte unverbrüchlich zum europäischen Abendland gehörig, kann und will das Österreichische Volk durch seine selbstbewußte Existenz in seinem selbständigen Staat die soziale Gerechtigkeit im Innern voll verwirklichen mit allen seinen Nachbarn und freundnachbarlichen, wenn möglich freundschaftlichen Beziehungen leben und in voller Freiheit seinen besonderen, Österreichischen Beitrag zur europäischen Friedensordnung erbringen." Das Buch mit dieser Studie "Geschichte der Republik Österreich" hrsg. von Heinrich Benedikt war Anfang 1954 erschienen. Raab, der viel las, kannte diese Studie. Österreich, dessen Gebiet die Ostalpen beherrschte, sollte wie die Schweiz weder dem östlichen noch dem westlichen Militärblock angehören: Das wurde auf der Berliner Außenministerkonferenz vom Anfang 1954 völlig klar. Neben seinen Amtsobliegenheiten widmete sich Verosta dem Studium der Geschichte der dauernden Neutralität der Schweiz und Belgiens, das er in Gesprächen mit hohen Beamten des Politischen Departements in Bern hinsichtlich der Handhabung des Internationalen Status der dauernden Neutralität abrundete. Verosta lieferte Außenminister Figl und Staatssekretär Kreisky und damit auch dem Bundeskanzler Raab und dem Vizekanzler Schärf eine knappe Darstellung der dauernden Neutralität. Als Anfang 1955 die erwartete Einladung nach Moskau eintraf, wurden die vier Regierungsmitglieder der großen Koalition- Raab, Schärf, Figl, Kreisky -von dem Gesandten Josef Schöner als politischem Direktor und vom Gesandten Verosta als Rechtsberater begleitet. Sprecher auf österreichischer Seite war Julius Raab, der von den beiden Gesandten unterstützt wurde, die an allen Arbeitsbesprechungen teilgenommen haben. Sowjetischerseit& führte Außenminister Molotow die Verhandlungen, überließ aber

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die Verhandlungen über die wirtschaftlichen Aspekte des Staatsvertrages dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Mikojan. Das entscheidende Problem dieser Verhandlungen war es, Klarheit zu schaffen über den zukünftigen politischen Weg Österreichs nach dem allfälligen Abschluß des Staatsvertrages. Hier ging lange die Diskussion darüber, wie sich im Einzelnen Österreich in seiner zukünftigen Politik verhalten werde, bis die Verhandlungen mit der Erklärung Raabs ihren Abschluß fanden, Österreich beabsichtige in Zukunft eine Neutralität, wie die Schweiz, zu wahren. Die Regierungsdelegation gab dann die historische Verwendungszusage, sich für den Beschluß eines Verfassungsgesetzes über die immerwährende Neutralität Österreichs nach Abzug des letzten Besatzungssoldaten einzusetzen. Die Westmächte akzeptierten nach anfänglichem staunendem 'Zögern das Verhandlungsergebnis, das im Moskauer Memorandum vom 15. April1955 formuliert wurde. Die Botschafterkonferenz in Wien vom 12. bis 14. Mai 1955 stellte den endgültigen Text des Staatsvertrages fertig. Schwierigkeiten, die sich in der allerletzten Phase wegen nicht berücksichtigten Ansprüchen alliierter Ölgesellschaften ergaben, wurden im Zusammenwirken Verostas mit den Rechtsberatern der angelsächsischen Mächte im Wiener Memorandum vom 10. Mai 1955 und hinsichtlich französischer Ölinteressen in einem österreichisch-französischen Memorandum vom gleichen Tag überbrückt. Am 15. Mai 1955 wurde im Schloß Belvedere in Wien der Österreichische Staatsvertrag unterzeichnet. Nach seiner Ratifikation zogen die letzten Garnisonen der vier Großmächte aus Österreich ab und am 26. Oktober 1955 beschloß der Österreichische Nationalrat das Verfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität Österreichs. Diese wurde von den vier Mächten in nahezu gleichlautenden Noten anerkannt und damit völkerrechtlich abgesichert. Verosta bezeichnete diese beiden Tage als die Höhepunkte seiner Tätigkeit als österreichischer Diplomat und Rechtsberater; er konnte dazu beitragen, daß das Österreichische Volk die europäische Friedensfunktion seines Staates erkannt und bejaht hat - sie liegt nach dem Muster der Schweiz in der immerwährenden Neutralität. Schon im Jahre 1953 hatte Verosta erreicht, daß ihm bei Auswahl eines geeigneten Stellvertreters der Völkerrechtsabteilung freie Hand gelassen werde. Er suchte einen Mann mit solidem juristischem Wissen, mit Lebenserfahrung und Standfestigkeit, der bereit war, längere Zeit im Außenamt in Wien zu dienen. Da Gesandter Leitmaier und er selbst Richter gewesen war, suchte Verosta einen Mitarbeiter vor allem unter den Richtern, die ein Interesse für Völkerrecht und Außenpolitik bekundet hatten. Seine Wahl fiel schließlich auf den Bezirksrichter Dr. Rudolf

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Kirschschläger, der mehrere Jahre das Bezirksgericht Langenlois geleitet hatte. Im November und Dezember 1955 hielt Verosta Vorträge über die immerwährende Neutralität Österreichs an amerikanischen Universitäten und auch im Council on Foreign Affaires, der führenden Gesellschaft für Außenpolitik in den Vereinigten Staaten. Verosta war auch bei der XI. Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York anwesend, als diese auf Empfehlung des Sicherheitsrates Österreich trotz seines besonderen internationalen Statuts der immerwährenden Neutralität als vollberechtigtes Mitglied - zugleich mit 13 anderen Staaten- in die Organisation der Vereinten Nationen aufnahm. Damit war ein weiteres Begehren der Republik Österreich erfüllt. Im Dezember 1955 und Anfang 1956 nahm Verosta an Tagungen der österreichisch-bundesdeutschen gemischten Kommission betreffend die Regelung von Fragen des "deutschen Eigentums" in Österreich teil. Während seiner Tätigkeit im Außenamt war Verosta Mitglied der Prüfungskommission für den Höheren Auswärtigen Dienst für die rechtlichen Fächer (Diplomatenprüfung) und Mitglied der Kommission für die Zulassung von Kandidaten für den Außendienst. Er leitete auch den im Außenamt eingerichteten Lehrgang für den Höheren Auswärtigen Dienst für die neuaufgenommenen Anwärter durch mehrere Jahre. Schließlich war er Disziplinaranwalt der Disziplinar-Oberkommission im Bundeskanzleramt und danach ihr stellvertretender Vorsitzender. Am 28. März 1956 übernahm Verosta in Warschau die Leitung der Österreichischen Gesandtschaft. i.3 war knapp nach dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und in Polen setzte der Prozeß der "Entstalinisierung" ein. Während der Internationalen Posener Messe kam es am 27. Juni 1956 zu schweren Arbeiterunruhen in dieser Stadt. Da mehrere Dutzend Österreicher als Aussteller sich in Posen aufhielten, fuhr Verosta entgegen den Warnungen des Protokollchefs des polnischen Außenministeriums in der Früh des 28. Juni durch mehrere militärische Sperren; der treue Amtschauffeur Pfeiffer chauffierte beherzt und diensteifrig den Wagen nach Posen, wo noch gekämpft wurde. V erosta vergewisserte sich in Posen, daß alle Österreicher wohlauf waren. Die Widerstandsnester waren am Abend des 28. Juni niedergekämpft. Nachts nach Warschau zurückgekehrt, gab er den entsprechenden Bericht nach Wien durch und Außenminister Figl konnte am 29. Juni auf eine Anfrage im Parlament Verostas Telegramm verlesen. Verosta hat den mit dem Aufstand in Ungarn beginnenden spannungsgeladenen Oktober 1956 in Polen aus nächster Nähe miterlebt, die Rückkehr Gomulkas als Generalsekretär der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei und des Kardinals Wyschinski aus seinem 2 Festsehr1ft für Stephan Verosta

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Zwangsaufenthalt in einem Kloster in den Karpaten und die allmähliche Ausbootung der polnischen Stalinisten sowie die Enthebung des Verteidigungsminister Rokossowski, der bald darauf stellvertretender Verteidigungsminister in der Sowjetunion wurde. Von Anfang an betonte Verosta in seiner Berichterstattung die bestehenden Grenzen der Aktionsfreiheit von Verbündeten der Sowjetunion. Verosta hat in der Folge dazu beigetragen, die Beziehung zwischen Österreich und Polen unter Gomulka, Ministerpräsident Cyrankiewicz und Außenminister Rapacki zu verbessern. Die Vertretungsbehörden der beiden Staaten wurden dementsprechend in den Rang von Botschaften erhoben.

Verosta hat während seiner Amtsführung in Polen persönliche Beziehungen zum Doyen des Diplomatischen Corps in Warschau, dem Botschafter der Volksrepublik China, Wang-Ding Nan, unterhalten und auch an einem Empfang für den chinesischen Ministerpräsidenten Tschu en Lai in Warschau teilgenommen, ohne vom Außenamt hiezu ermächtigt zu sein, da Österreich damals keine diplomatischen Beziehungen zur Volksrepublik China unterhielt. Auf Grund von Informationen aus Polen hat Verosta schon 1959 den Bruch zwischen der Sowjetunion und der Volksrepublik China in seinen Berichten vorausgesagt; allmählich erlangte er nicht nur in Wien, sondern darüber hinaus den Ruf eines Ostexperten. Während seiner langen Amtsführung in Polen wurde Verosta immer wieder zu Konsultationen über verschiedene Probleme, insbesondere betreffend Südtirol, nach Wien berufen. Im Juli 1957 wurde Verosta von der Österreichischen Bundesregierung als Mitglied des Internationalen Schiedshofes in Haag- in Nachfolge des Gesandten Leitmaierbenannt; die vier Österreichischen Mitglieder dieses Internationalen Schiedshofes bilden die sogenannte nationale Gruppe, die die Kandidaten für den Internationalen Gerichtshof im Weg des Generalsekretärs der Generalversammlung der Vereinten Nationen vorschlägt. Vom 20. Juni bis 4. Juli 1960 war Verosta Vorsitzender des Seminars der Vereinten Nationen betreffend den Schutz der Menschenrechte im Strafprozeß in Wien, an welchem alle europäischen Staaten mit Ausnahme der Deutschen Demokratischen Republik mit Fachleuten auf dem Gebiet des Strafrechts und Strafprozesses teilnahmen. Außenminister Figl und dann Außenminister Kreisky betrauten Verosta überdies mit den ersten Verhandlungen mit der Ford-Stiftung, die danach zur Gründung des Instituts für Höhere Studien in Wien führte. Nacll seiner Rückkehr aus Polen (21. August 1961) wurde Verosta als Mitglied der Österreichischen Delegation zur XVI. Generalversammlung der Vereinten Nationen (Oktober- Dezember 1961) nach New

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York entsendet; er vertrat Österreich in der 1. (politischen}, 3. (sozialen) und vor allem in der 6. (der juristischen) Kommission der Generalversammlung. Während seines langen Aufenthaltes in Warschau hatte Verosta Zeit gefunden, ein rechtsphilosophisches Buch zu verfassen. Das Werk "Johannes Chrysostomus. Staatsphilosoph und Geschichtstheologe" stellt das rechts- und staatsphilosophische Denken dieses griechischen Kirchenvaters (353 - 407 n. Chr.) in den Zusammenhang der europäischen Geistesgeschichte. Damit hatte Verosta alle Voraussetzungen erfüllt, um einen Ruf der Wiener Universität, den Lehrstuhl für Völkerrecht und Rechtsphilosophie nach der Emeritierung des Ordinarius Alfred Verdross zu übernehmen, mit voller Überzeugung Folge leisten zu können. Schon 1957 hatten Verdross und andere Mitglieder der juridischen Fakultät bei Verosta angefragt, ob er einer solchen Berufung Folge leisten würde. Verosta hatte dies grundsätzlich bejaht und wäre wohl ohne diesen schon damals ins Auge gefaßten Berufswechsel nicht unbedingt über Jahre Missionschef in Polen geblieben, obwohl er dem polnischen Volk und seiner Kultur bald mit aufrichtiger Achtung und Zuneigung zugetan war. Die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien nominierte Verosta 1961 in ihrem Dreiervorschlag an das Bundesministerium für Unterricht an erster Stelle. Das Außenministerium wollte sich das Wissen und einen Teil der Arbeitskraft Verostas auch weiterhin sichem. Er blieb dem Außenministerium als Konsulent weiter zur Verfügung. Weiterhin fungierte er als Mitglied der Prüfungskommission für den Höheren Auswärtigen Dienst und für die Aufnahmsprüfung für Bewerber. Er hat die Leiter der Völkerrechtsabteilung, die auf Kirehsehläger folgten, in vielen Fällen beraten. Desgleichen nahm er an verschiedenen Verhandlungen in der Südtirol-Frage teil. Als die Konsularakademie der Zwischenkriegszeit vom Außenminister Kreisky am 1. Juni 1964 als "Diplomatische Akademie" in veränderter Form wieder ins Leben gerufen wurde, hat Verosta an dieser dem Außenministerium unterstehenden Lehranstalt völkerrechtliche Spezialvorlesungen und auch solche über diplomatische Staatengeschichte von Anfang an bis 1978 abgehalten. Auf ausdrückliches Ersuchen des Außenministers Kreisky und dann des Außenministers Toneie verfaßte Verosta das Gutachten über die immerwährende Neutralität für den 2. Österreichischen Juristentag 1966. Dieses Gutachten, das 1967 auch in Buchform "Die dauemde Neutralität. Ein Grundriß" erschien, hat wesentlich dazu beigetragen, irrige Vorstellungen einiger Politiker über die Rechte und Pflichten 2*

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immerwährender neutraler Staaten zu berichtigen, etwa die Vereinbarkeit der Mitgliedschaft eines immerwährend neutralen Staates zu Zollund Wirtschaftsunionen, wie dem Gemeinsamen Markt. In der Schweiz, deren Politiker allerdings auf eine langjährige Handhabung des Rechtes der immerwährenden Neutralität zurückblicken konnten, war diese Unvereinbarkeit ebensowenig bezweifelt worden, wie in dem nur faktisch dauernd neutralen Schweden. Als Mitglied der Österreichischen Delegation hat Verosta Österreich in der Generalversammlung der Vereinten Nationen von 1961 bis 1972 und dann wieder 1973 und 1974, jährlich vier bis sechs Wochen, in New York vor allem in der juristischen Kommission vertreten. Unter den Auspizien der Vereinten Nationen wurde vom 4. März bis 22. April 1963 in Wien die Staatenkonferenz betreffend konsularische Beziehungen abgehalten; sie wählte Verosta einstimmig zu ihrem Präsidenten und nach zum Teil schwierigen Verhandlungen konnte sie die "Wiener Konvention über konsularische Beziehungen" verabschieden. Im Rahmen des Europa-Rates war Verosta durch mehrere Jahre Mitglied des juristischen Expertenkomitees, das einen Modellplan für die einzelstaatlichen "Digesten des Völkerrechts" erarbeitete; damit wurde bezweckt, diese die völkerrechtliche Praxis der einzelnen Staaten aus den Akten darstellende Veröffentlichung in ihrer Anlage zu vereinheitlichen. Weiters war Verosta Mitglied und stellvertretender Vorsitzender der Beschwerdekommission für Beamte und Angestellte des Europa-Rates. Als der Generalsekretär der Vereinten Nationen, U-Thant, den Gedanken einer Universität der Vereinten Nationen (United Nations University) in der Generalversammlung der Vereinten Nationen propagierte, wurde ein vorbereitendes Komitee von 20 Experten eingesetzt, um die Durchführbarkeit dieses Gedankens zu prüfen. Verosta, der 1963 zum Mitglied des Instituts de Droit International und 1964 zum Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gewählt worden war, wurde von Generalsek?·etär Waldheim zum Mitglied dieses Expertengremiums berufen und gehörte auch dem Gründungskomitee der United Nations University an; diese ist nicht eine Universität im herkömmlichen Sinn, sondern ein Universitätszentrum mit Sitz in Tokio, das bestimmte Programme mit zahlreichen assoziierten wissenschaftlichen Instituten in der ganzen Welt in akademischer Autonomie durchführt. 1977 wurde Verosta zum Mitglied des Rates dieser Universität bestellt und vom Rat zum Vizepräsidenten gewählt. Im Jahre 1976 wählte die Generalversammlung der Vereinten Nationen Verosta mit über Zweidrittelmehrheit zum Mitglied der "International Law Commission", der Völkerrechtskommission der Vereinten

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Nationen, die aus 25 Völkerrechtsexperten besteht, die sämtliche geographischen, politischen und rechtlichen Regionen repräsentieren. Die International Law Commission hält ihre Tagungen jährlich durch drei Monate, vom Mai bis Juli, in Genf ab; sie bereitet die Entwürfe vor, die einzelne Materien des Völkerrechts kodifizieren und den Staatenkonferenzen als Grundlage für die abzuschließenden kodifikatorischen Konventionen dienen. In der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist Verosta Obmann der Kommission für Völkerrecht und internationale Beziehungen. Ein Hauptvorhaben dieser Kommission ist die Erarbeitung von "Digesten des Völkerrechts" aus dem Archiv des k. u. k. Außenministeriums für den Zeitraum von 1859 bis 1918. Um die völkerrechtliche Praxis der Donaumonarchie in diesem Zeitraum zu erfassen, müssen über zehntausend Kartons zu je mindestens 500 Blatt im Haus-Hofund Staatsarchiv durchforscht werden. Die völkerrechtlich erheblichen Aktenstücke sollen, nach völkerrechtlichen Materien geordnet, nach dem Vorbild der amerikanischen Publikation "A Digest of International Law" (8 Bände) veröffentlicht werden. Diese ausführliche Darlegung verschiedener Stationen im Leben Verostas und besonders während seiner Tätigkeit im und für den Außendienst zeigt meiner Meinung nach sehr klar, daß der Diplomatische Dienst für Stephan Verosta nicht ein gelegentlicher Ausflug in einen besonderen Beruf war. Es zeigt, daß es den Wissenschaftler immer wieder gedrängt hat, in der Praxis mit seinem Wissen, mit seiner Gesinnung, mit seinen Idealen dem Vaterland zu dienen. Ja, zu dienen. Wenn auch dieses Wort heute vielleicht manchen altmodisch klingen mag, so läßt sich die Tätigkeit Verostas im Diplomatischen Dienst und bei internationalen Organisationen nicht besser umschreiben. Seine Tätigkeit vollführte er immer mit einer unglaublichen Ausdauer, einer unermüdlichen Zähigkeit und Zielstrebigkeit. Wir, seine Kollegen im Diplomatischen Dienst haben aber noch eine andere Seite seines Charakters kennengelernt, die für viele von uns eine unersetzliche Hilfe war. Lang bevor man das moderne Schlagwort vom "Menschen im Mittelpunkt der Politik" geprägt hat, hatte für Verosta die Diplomatie nur einen Sinn, den Menschen zu helfen, den Menschen und unsere Heimat vor politischen Unsinnigkeiten der Vergangenheit zu bewahren. Persönlich hat Verosta nie einen Kollegen oder Freund im Stich gelassen. Auch wenn andere es für opportun gehalten haben, Beziehungen zu einem Menschen einfrieren zu lassen, stand Stephan Verosta seinen Freunden immertreuzur Seite. Seine offene, gerade Art, sein fester Wille, die eigene Überzeugung auch gegenüber Vorgesetzten mit aller Energie zu vertreten, hat ihn

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nicht immer zu einem bequemen Mitarbeiter gemacht. Aber es ist bezeichnend, daß nach harten Auseinandersetzungen mit manchen Vorgesetzten letztlich nicht Feindschaft, sondern gegenseitige Achtung übrig geblieben ist. So ist Verosta einer seiner Grundideen, von der Praxis zur Theorie zu gelangen, und die Theorie an der Praxis auszurichten, ein langes arbeitsreiches Leben im Dienste Österreichstreu geblieben. Die Gestalt Stephan Verostas ist aus dem Österreichischen Außendienst nach 1945 nicht wegzudenken. Ludwig Steiner

I. Geschichte, Begriff und Quellen des Völkerrechts

DIE PLURALISTISCHEN ANFÄNGE DER INTERNATIONALEN GEMEINSCHAFT Von Roberto Ago* I. Das römische Imperium und die Reiche der Barbaren Der Umstand, daß sich im Gefolge der germanischen, slawischen und sonstigen Einfälle auf dem Boden des römischen Imperiums eine Mehrzahl von barbarischen Reichen niedergelassen hat, erscheint in sich selbst nicht als ausreichend für die Schaffung von Bedingungen, die notwendig gewesen wären, damit sich eine echte und eigentliche Gemeinschaft von souveränen und gleichen Staaten hätte bilden und sich an die Stelle des Imperiums setzen können. Meines Erachtens ist daher die Auffassung jener Autoren nicht zu teilen, die mit dem Fall des Weströmischen Reiches oder gar noch früher das Entstehen einer neuen internationalen Rechtsgemeinschaft ansetzen1• In der Tat hat die Bildung der Barbarenreiche auf römischen Territorien und auf von Römern bewohntem Boden weder der Existenz de iure der Reichseinheit noch - immer rechtlich gesehen - der Präsenz des Imperiums in diesen Territorien ein Ende gesetzt. Das von dem neuen Phänomen erregte

* Aus dem Italienischen übersetzt von Heribert Franz Köck, Wien, von dem auch die Zwischentitel stammen. 1 Paradisi, Storia del diritto internazianale nel Medio Evo, Mailand 1940, I, 126 ff., scheint den Übergang von der Einheit des Weströmischen Reiches zu einer Mehrheit von romano-barbarischen Königreichen als den direkten Durchgang von einem unitarischen Reichssystem zu einem internationalen System anzusehen, das sich aber andererseits von ersterem herleitet und auf der Fortdauer einer gemeinsamen Kultur beruht. In I fondamenti storici della Comunita giuridica internazionale, Neuabdruck in Civitas Maxima, Studi di storia del diritto internazionale, Florenz 1974, I, 46, sieht er jedoch den ersten Schritt der in Rede stehenden Transformation in der Teilung in ein Ost- und ein Westreich nach dem Tod Theodosius' I. d. Gr. im Jahr 395. Stephan Verosta, "International Law in Europe and Western Asia between 100 and 650 A. D.", Recueil de cours, 1964, III, 562 ff., macht- wobei er sich ausdrücklich auf Bury, History of the Later Roman Empire I, beruft, der dort die Idee geäußert hat, daß sich unter dem Deckmantel der fortdauernden Einheit des Imperiums tatsächlich zwei verschiedene "realms" gebildet hätten - deutlich, wie zwischen 395 und 476 zwischen den beiden Teilen dieser Einheit, die noch immer global als Römisches Reich bezeichnet wurde, wobei in Sonderheit beim Tode des Souveräns eines der beiden Teile sich die Autorität des anderen automatisch über die Gesamtheit des Imperiums ausdehnte, eine Art Konföderation bestanden hat.

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Interesse darf die Bedeutung der Fortdauer des alten nicht verschleiern. Im Hinblick auf eine derartige Fortdauer erscheint das Verschwinden des Weströmischen Reiches für den Moment lediglich als zweitrangiges Ereignis. Es ist bekannt, wie sich Stämme, die von jenseits des Rheins und der Donau gekommen waren, mit der mehr oder weniger spontan erteilten Erlaubnis des Reiches als "Bundesgenossen Roms" in einigen Grenzregionen niedergelassen haben. Darunter waren die Westgoten, die Sueben, die Burgunder, die Franken und andere. Im Rahmen des römischen Heeres kämpften sie für die Verteidigung des Reiches und stellten ihm eine Reihe von Feldherren. Dieselben Völkerschaften wandten sich später selbst in andere Gebiete, oft weit von ihrer ersten Niederlassung entfernt und auch ziemlich groß, aber dies bedeutete nicht, daß die betreffenden Territorien aufgehört hätten, Teil des Imperiums zu sein2 • In Sonderheit, als der Heruler Odoaker, Führer des im Dienste Roms stehenden Barbarenheeres, im Jahr 476 n. Chr. den Weströmischen Kaiser Romulus Augustulus absetzte, hatte er keineswegs die Absicht, der kaiserlichen Gewalt de iure ein Ende zu machen. Seine Handlungsweise unterschied sich von jener von anderen Heerführern bei zahlreichen früheren Gelegenheiten angenommenen lediglich durch den Umstand, daß er keinen anderen Weströmischen Kaiser seiner Wahl anstelle des von ihm abgesetzten proklamieren ließ. Er beschränkte sich darauf, die 'Zeichen der kaiserlichen Gewalt in die Hände des Oströmischen Kaisers Zenon zu legen, in dessen Person er, übrigens in voller Übereinstimmung mit dem Senat von Rom, das alleinige Haupt des Reiches anerkennen wollte; unter einem rechtlichen Gesichtspunkt wurde letzteres damit wiedervereinigt und in der vor 395 existierenden Form wiederhergestellt3 • Es war vom Kaiser in Konstantinopel, 2 Die Landnahme dieser kriegerischen Völkerschaften in den Auffangprovinzen wurde durch ihre Ansiedlung auf Staats- oder verlassenem Land bewerkstelligt, oder auch durch die Anwendung des römischen Systems der tertia und des hospitium, das jeden Eigentümer verpflichtete, den Truppen ein Drittel seines Bodens abzutreten. Die Germanen und anderen Völkerschaften, die so in einer Region angesiedelt wurden, stellten im wesentlichen das militärische Element der Bevölkerung dar, ein übrigens stark in der Minderheit befindliches Element. Dank dem System des Personalrechts lebten Römer und Germanen oder Slawen Seite an Seite, jeder nach seinen eigenen Gewohnheiten. Dazu siehe H. Pirenne, Histoire de l'Europe des invasions au XVI siecle, Cruezburg 1917, Brüssel- Neuchätel 1910, 12; Verosta, "International Law in Europe ... ", 584. Dieser Autor unterstreicht völlig zurecht den Umstand, daß die Landnahme der teutonischen Stämme auf römischem Territorium zwar eine Enteignung großer Teile des privaten römischen Eigentums, aber niemals eine Abtretung der Souveränität über irgendeinen noch so kleinen Teil des Reichsgebietes mit sich brachte. 3 Es scheint mir daher historisch nicht exakt zu sein, wenn man sagt, daß der Westen ab 476 nicht mehr Teil des Imperiums gewesen sei. Fisher, Storia d'Europa, durchgesehene italienische übersetzung der 4. engl. Aufl., Bari 1951, I, 130, arbeitet den Umstand heraus, daß die Tat Odoakers nicht

Die pluralistischen Anfänge der internationalen Gemeinschaft

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daß Odoaker den Titel des "Patricius" erbat und erhielt, also den eines kaiserlichen Beamten, und es geschah kraft dieser Investitur, daß er im Namen des Kaisers - die römische Bevölkerung Italiens und bestimmter angrenzender Gebiete verwaltete. Auch blieb andererseits sein Fall nicht vereinzelt: zwölf Jahre danach zog Kaiser Zenon die erst Odoaker verliehene Investitur zurück und verlieh den Titel eines Patricius und Führer der Milizen für Italien an Theoderich, König der Ostgoten, der von ihm nach der Halbinsel gebracht wurde und sich, nachdem er Odoaker geschlagen hatte, in Ravenna niederließ. Es geschah im Namen des Kaisers von Konstantinopel, daß Theoderich, umgeben von illustren römischen Ratgebem, aus dieser Stadt das Zentrum für die Verwaltung der riesigen Gebiete des kontinentalen Italiens, der Provence, Rhätiens, Noricums, Pannoniens und Illyriens machte. Der König der Ostgoten in jenen Gebieten, der König der Burgunder in einem Teil Südostgalliens, der König der Franken in Nordgallien, der König der Sueben im Nordosten der iberischen Halbinsel waren also Könige bloß ihrer Völker, ihrer Germanen, die getrennt von der römischen oder romanisierten Bevölkerung jener Gegenden lebten. Gegenüber der letztgenannten Bevölkerung übten sie die Verwaltung in ihrer Eigenschaft als Beamte des Imperiums, als "Patricii" oder "Consules", aus, sozusagen als eine Art Vizekönige, die - sei es aus Liebe oder aufgrund der Gewalt, wenn man es so will vom römischen Kaiser emannt waren, und dessen Oberherrlicllkeit sie jedenfalls als Untertanen anerkannten4 • Die Beziehungen zwischen den Barbarenreichen und dem Kaiserrei~."h von Konstantinopel waren daher Beziehungen formaler Subordination und nicht der Koordination zwischen gleichgeordneten Souveränitäten. Was die Beziehungen der Barbarenkönige inter se anlangt, und insbesondere der Germanenkönige, so ist es freilich wahr, daß sie bzw. sosehr wegen ihres revolutionären, sondern wegen ihres konservativen Charakters originell gewesen sei; vgl. auch Demouget, La fin de !'Empire en Occident et les Royaumes barbares, in: Histoire universelle, Encyclopedie de la Pleiade, I, 1302 f. 4 Während seiner langen Regierungszeit (493 - 526) erließ Theoderich Gesetze ausschließlich im Namen der Kaiser, die einander in Konstantinopel folgten, und nur Münzen mit ihrem Namen und Bild. In entsprechenden Fällen wäre es durchaus gerechtfertigt, einen einfachen Ausdruck formaler Treueleistung zu sehen. Chlodwig, König der Franken, empfing im Jahre 507 vom Kaiser Anastasius das Patent eines "Konsuls" und war stolz, diesen Titel vor der gallo-römischen Bevölkerung zu zeigen. Sigismund, König der Burgunder, empfing vom gleichen Kaiser den Titel eines "Patricius" und rühmte sich, ein Soldat des Imperiums zu sein; er ging soweit zu sagen, daß sein Land ein Teil des Imperiums sei. Siehe Fisher, Storia d'Europa, 132; H. Pirenne, Mahomet et Charlemagne, Brüssel 1937, Neuausgabe 1961, 20 ff.; Demougeot, La fin de !'Empire ..., 1304 ff., 1319; Verosta, "International Law in Europe . .. ", 593 ff.

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ihre kriegerischen Völkerschaften sich ohne Unterlaß bekämpften, Waffenstillstandsabkommen, Friedens- und Bündnisverträges abschlossen; und mit Verosta kann man zugeben, daß sie in diesen ihren Beziehungen untereinander einzelne Grundsätze des Völkerrechts zur Anwendung brachten, die von der Praxis Roms anerkannt worden waren. Es wäre aber eine Täuschung, in derartigen Beziehungen den - und wäre es auch nur keimhaften - Ausdruck der Existenz einer echten und eigentlichen zwischenstaatlichen Gemeinschaft zu sehen, charakterisiert durch dauernde und rechtlich geordnete Beziehungen zwischen souveränen Staaten. Dies nicht nur wegen des mehr zufälligen, nichtorganisierten und jeder Stabilität entbehrenden Charakters dieser Beziehungen, sondern auch wegen der Schwierigkeit, als zwischenstaatliche Beziehungen solche zu betrachten, die eigentlich nur Beziehungen zwischen kriegerischen Stämmen waren, welche noch als eindeutige Minderheiten neben einer die große Mehrheit darstellenden römischen oder romanisierten Bevölkerung lebten.

ll. Das Werk Justinians Die einzigen Barbarenkönige, die die kaiserliche Autorität nicht anerkannten- und dies übrigens schon vor 476- waren die Könige der Vandalen in Afrika und, in kleinerem Maßstab, die Könige der Westgoten in Spanien und in Aquitanien6 • Aus diesem Grund konzentrierte das Imperium soweit wie möglich seine Kräfte gegen sie. 534 besetzte Justinian Karthago und zerstörte das Vandalenreich; fast die ganze afrikanische Küste des westlichen Mittelmeeres wurde so wieder byzantinisch und blieb dies für mehr als ein Jahrhundert. In gleicher Weise eroberte Justinian auch Sardinien, Korsika sowie die Balearen zurück; und in der direkten Auseinandersetzung mit den Westgoten entriß er ihnen die Südküste Spaniens zusammen mit dem Hinterland 5 Siehe Verosta, Die Geschichte des Völkerrechts, in: Verdross, Völkerrecht, 5. Auf!., Wien, 1964, 46 ff.; dens., "International Law in Europe ... ", 592 ff. Die germanischen Könige hatten auch mit den Kelten Irlands und der Bretagne sowie mit anderen germanischen oder slawischen Stämmen usw. Beziehungen. 6 Jedenfalls schlug auch der König der Vandalen Geiserich Münzen mit dem Bild des Kaisers Honorius, und es scheint, daß er fortfuhr, Tribute in Naturalien nach Rom und nach Konstantinopel zu senden (vgl. H. Pirenne, Mahomet et Charlemagne, 32 ff.; Demougeot, La fin de !'Empire ..., 1289 ff.), ein "Frieden", kraft dessen Byzanz die Absicht hatte, sich als Protektor der römischen Bevölkerung zu errichten. Von diesem Faktum abgesehen weigerte sich Geiserich jedoch, sich tatsächlich als Vasall des Imperiums zu betrachten. Einzelne westgotische Könige nahmen dieselbe Haltung ein. Das Fehlen jedes wie immer gearteten Bandes mit dem Imperium war für die sächsischen Königreiche der britischen Insel eindeutig. Aber diese Insel war von den römischen Truppen schon weit vor der Ankunft der angelsächsischen Invasoren aufgegeben worden.

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bis Cordoba und setzte sich in den Besitz der wichtigsten iberischen Mittelmeerhäfen. Für den Rest des Landes erklärte sich der damalige westgotische König zum treuen Diener des Imperiums. Nachdem er so den hauptsächlichsten Teil der Küsten des westlichen Mittelmeeres in seine Hand bekommen hatte, konnte Justinian nur auf die Wiederherstellung seiner direkten Herrschaft über Italien aus sein, zieht man den Umstand in Betracht, daß die Halbinsel ihre Funktion als Epizentrum eines mediterranen Imperiums zurückgewonnen hatte. Um dies zu erreichen, mußte er zu langen und schlachtenreichen Kriegen greifen, aber er war schließlich erfolgreich, rottete die Goten Italiens aus und verjagte die Franken, die dorthin gezogen waren. Dann reorganisierte er das ganze Land als römische Provinz unter der Autorität des byzantinischen Exarchen oder Patricius von Ravenna. Gleichzeitig übernahm er auch wieder die Kontrolle über Dalmatien, Illyrien und die Balkanhalbinsel und warf die Slawen, Bulgaren und Awaren über die Donaugrenze zurück7 • Gegen Mitte des 6. Jahrhunderts fanden sich die Küsten des Mittelmeeres dergestalt praktisch zur Gänze wiedervereinigt unter der direkten Herrschaft Konstantinopels. Außerhalb verblieben lediglich ein Teil der iberischen Küste und jener des narbonesischen Galliens, beide in den Händen der Westgoten, und die Küsten der Provence, die von Theoderich den Franken abgetreten worden waren. Aber die westgotischen Könige anerkannten nunmehr die kaiserliche Suprematie, und die Könige der Franken und Burgunder waren stets formell an das Reich gebunden. Andererseits rieben sie sich in unzähligen Streitigkeiten untereinander auf. Man kann daher sicherlich nicht von einer zwischenstaatlichen Gemeinschaft sprechen, welche damals das byzantinische Imperium auf dem Gipfel seiner Macht und die halb-primitiven politischen Einheiten auf der Grundlage der Gleichheit zusammengeiaßt hätte, Einheiten, die im Westen, Nordwesten und Norden Europas noch dabei waren, ihren Weg zu einem organisierten Leben zu suchen. Im Zeitalter Justinians scheint die europäisch-mediterrane Welt viel eher auf dem Weg zu einer stabilen Wiederherstellung der römisch-imperialen Einheit als zur Herausbildung einer Gemeinschaft unabhängiger und gleicher Staaten. Es kann zwar kein Zweifel bestehen, daß nach Justinians Tod das Reich in eine Krise eintrat, die auf den persischen Druck, den Langobardeneinfall in Italien um die Sechziger Jahre des 6. Jahrhunderts und 7 Über die Ereignisse in Afrika, Spanien und Italien siehe H. Pirenne, Mahomet et Charlemagne, 32 ff.; Demougeot, La fin de !'Empire ..., 1289 ff., 1283 ff., 1308 ff. Über die Aktionen Justinians auf dem Balkan siehe Obolenski, Il Commonwealth bizantino, italienische Übersetzung aus dem engl. Original, Bari 1974, 63 ff. Über die Beziehungen Justinians mit Persien und insbesondere seine mit dem persischen Souverän Chosrou 561/2 geschlossenen Verträge siehe Verosta, "International Law in Europe ...", 597 ff.

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den Einbruch der Slawen und Awaren auf dem Balkan zurückzuführen war. Zu diesen Geißeln kamen am Anfang des 7. Jahrhunderts schwere innere Unruhen, dann die persische Invasion in Syrien, in Anatolien und in Ägypten und das Wiedererscheinen der Westgoten an den Küsten Spaniens8 • Aber zwanzig Jahre danach war die Situation durch Kaiser Heraklius größtenteils wiederhergestellt. Dieser triumphierte über die Perser, eroberte die vorübergehend verlorengegangenen Provinzen des Ostens zurück und hielt die Slawen und Bulgaren im Zaum sowie Dalmatien fest in seiner Hand, weiters die Schlüsselstellen der Küsten des italienischen Festlandes und die drei italienischen Inseln sowie- weiter im Westen- die Balearen und, gegenüber, Karthago und die afrikanische Küste. Er verfügte auf diese Weise über eine Reihe von Stützpunkten, die mehr als ausreichten, um ihm die volle Kontrolle über die Schiffahrt im zentralen und selbst westlichen Mittelmeer zu sichern9• Um das dritte Jahrzehnt des 7. Jahrhunderts schienen die Dinge daher nicht viel anders zu liegen als um die Mitte des vorangegangenen Jahrhunderts. Trotz des vielleicht endgültigen Verlustes einzelner Positionen, von denen der schwerste jener Norditaliens und eines Teiles von Mittel- und Süditalien- von den Langobarden beherrscht- war, bewahrte sich das Imperium doch immer die Seeherrschaft in jenem Mittelmeer, welches wie früher das Zentrum und der Schauplatz für die Beziehungen der zivilisierten Welt blieb. Selbst der Merowingerkönig Dagobert - dem es zwischenzeitig gelungen war, die geschwächte königliche Autorität wiederherzustellen und sich auch nach den Ländern Zentralgermaniens hin auszudehnen - beeilte sich im Augenblick von Heraklius' Triumph, ihm wie einem Höheren zu huldigen, wenn man will mit einem bloß formalen Akt, den er aber immerhin doch für notwendig hielt. Kein Zweifel, das Imperium war durch die vielen inneren und äußeren Kämpfe geschwächt; aber sein Prestige und seine Suprematie dauerten fort. Und in jenem Zeitpunkt waren die wenigen instabilen Reiche eines Westens, dessen Zivilisation im Abstieg begriffen war, sicherlich nicht in der Lage, mit dem Imperium ein Gleichgewicht zu bilden und den Anspruch zu erheben, zu ihm gefestigte Beziehungen auf der Grundlage der Gleichheit zu unterhalten.

s Demougeot, La fin de l'Empire . . ., 1163 ff., 1179 ff.; Obolenski, Il Commonwealth bizantino, 71 ff. 9 Demougeot, La fin de l'Empire ... , 1182 ff.; J. Pirenne, Les Grands Courants de l'Histoire universelle, Neue Aufl., Neuchätel 1959, I, 451 f. Über die Ereignisse an der persischen Grenze und die Wiederherstellung der alten Gemarken des Reiches durch den 629 von Heraklius und Chosrou II. geschlossenen Vertrag siehe Verosta, "International Law in Europe ...", 612.

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lll. Die islamische Flut Und doch stand man zu jenem Zeitpunkt am Vorabend eindrucksvoller Umwälzungen und radikaler Änderungen. Und diese Umwälzungen sollten für immer die Einheit des Mittelmeerraumes zerstören, jene Einheit, welche - wenngleich für den Preis so großer, stets erneuerter Anstrengungen - Byzanz bisher hatte erhalten oder doch wenigstens nach zeitweisen Einbrüchen wiederherstellen können. Die erste dieser Umwälzungen, zeitlich wie von ihrer Wichtigkeit her gesehen, ist die Besitzergreifung von Seiten des Islams hinsichtlich eines riesigen Teiles der Mittelmeerküsten. Die arabische Expansion, um die Mitte des vierten Dezenniums des 7. Jahrhunderts ihren Ausgang nehmend, geschah im Laufe eines Jahrhunderts, bis ihr, zuerst im Orient und dann im Okzident, im Laufe des ersten Drittels des achten Jahrhunderts ein doppelter Einhalt geboten wurde. Das Perserreich und das byzantinische Reich, militärisch und finanziell von ihren langen Kämpfen erschöpft und gleichzeitig durch schwere religiöse Zwietracht sowie die Feindseligkeit verschiedener unterdrückter Bevölkerungsteile geschwächt, waren nicht mehr in der Lage, dem gegen sie seit 634 n. Chr. geführten Angriff zu widerstehen. In weniger als einem Jahrzehnt gelang es Omar, seine Herrschaft vom Kaspischen bis zum mittelländischen Meer aufzurichten und sich in den Besitz der östlkhen Küsten des letzteren von Antiochien bis zur Cyrenaika zu setzen1 o. Zwanzig Jahre danach übte das Kalifat von Damaskus unter der Omajadendynastie seine Souveränität über ein großes arabisch-persisches Reich aus, das sich vom Kaukasus bis Aden und von Samarkand bis Tripolis erstreckte. Entlang des Mittelmeeres befanden sich die Küsten Syriens, Palästinas, Ägyptens, der Cyrenaika und Tripolitaniens unter seiner Kontrolle. Noch später fiel nach verbissenen Kämpfen schließlich auch das Exarchat von Karthago, und der byzantinischen Präsenz in Afrika wurde rasch überhaupt ein Ende gemacht. 711 endlich übersetzte ein Expeditionskorps des Berbers Tarik, im Gefolge familiärer Streitigkeiten innerhalb der westgotischen Dynastie gerufen, die Meerenge von Gibraltar, und drei Jahre danach hatte fast ganz Spanien die Herrschaft des Kalifats von Damaskus angenommen11 • Für einen Moment schien es, als sollte die Einheit des Mittelmeerraumes unter der Hoheit Damaskus' wiederhergestellt werden. Aber um dies zu erreichen, hätte der Islam dem byzantinischen Reich einen 10 Siehe Vasiliev, Histoire de l'Empire byzantin, franz. Übersetzung, Paris 1932, I, 280 ff.; Verosta, "International Law in Europe ... ", 612 f. 11 Für eine detaillierte Geschichte dieser Ereignisse siehe H. Pirenne, Mahomet et Charlemagne, 91 ff.; Wiet, L'Islam, in: Histoire universelle, Encyclopedie de la Pleiade, li, 1957, 60, 69 ff.; Demougeot, L'apparition des Arabes en Occident, ibid., 279 ff.

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tödlichen Schlag versetzen müssen. Tatsächlich wurde jedoch der Schwung des Invasoren von Kaiser Leo d. Isaurier gebrochen, welcher nach einer Erneuerung des Heeres und der Flotte den ihn belagernden imponierenden Kräften eine schwere Niederlage von entscheidenden Folgen zufügte. Vierzehn Jahre später wird der gefährlichste in einer Reihe von sarazenischen Einfällen bei Poitiers von Karl Martell, dem Hausmeier des Austrasischen Hauses, gestoppt. Damit war sicherlich die Bedrohung für den Okzident nicht endgültig beseitigt: das westliche Mittelmeer und seine nördlichen Küsten sollten noch Schauplatz vieler Kämpfe sein12 • Vor allem das 9. Jahrhundert sah eine Erneuerung der Aggressivität von Seiten der neuen Machthaber der afrikanischen Küste: ihre Flotten verwüsteten die Provence, Korsika, Sardinien sowie verschiedene Punkte der italienischen Küsten, und den Sarazenen gelang es, sich hier und dort vorübergehend festzusetzen. Besonders bedeutsam war, daß nach zahllosen dorthin gesandten Expeditionen und einem jahrzehntelang andauernden Kampf Sizilien fiel. Aber auf der italienischen Halbinsel wie auch in Südgallien gelang es keiner muselmanischen Herrschaft, sich auf Dauer festzusetzen, und von der Adria bis zur Aegäis behielt die byzantinische Flotte die absolute Herrschaft. Der Plan, das gesamte Mittelmeer unter das Zeichen des Islams zu bringen, schlug fehl, und - ein Umstand, wert, von dem, der sich für diese historische Untersuchung interessiert, ad notam genommen zu werden - die Macht oder, genauer, die verschiedenen Mächte des Islams sollten niemals mehr werden als eine oder mehrere unter verschiedenem Souveränitäten, die an die Ufer dieses Meeres angrenzten. Die Ersetzung Damaskus als Hauptstadt des Kalifats durch Bagdad unter der neuen Dynastie der Abassiden zeigte andererseits schon um die Mitte des 7. Jahrhunderts an, daß sich das vorherrschende Interesse dieser Monarchie Asien zuwandte und der Traum von der Einheit des Mittelmeeres aufgegeben wurde.

IV. Das Wiedererstarken Ostroms Die zweite wichtige Änderung, jedoch an die erste durch eine enge Verknüpfung von Ursache und Wirkung gebunden, war die Annahme einer neuen Dimension und einer neuen Orientierung von Seiten des oströmischen Reiches. Wir haben gesehen, wie das byzantinische Imperium, von den Küsten Syriens, Palästinas, Ägyptens und ganz Nord12 Südgallien sollte noch wiederholte Einfälle erleiden, bis Pippin 759 Narbonne endgültig erobert hatte. Mehr als der Sieg bei Poitiers war es dieses Ereignis, das die Aufgabe der muselmanischen Ambitionen hinsichtlich Galliens veranlaßte. Sowohl hiefür wie für die oberwähnten Ereignisse des 9. Jahrhunderts siehe H. Pirenne, Mahomet et Charlemagne, 96 ff.

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afrikas abgeschnitten, für den Augenblick auch seiner vorderasiatischen Besitzungen beraubt und in seiner eigenen Hauptstadt bedroht, Kraft gefunden hatte sich aufzuraffen, die Flotte und die Heere der Omajjaden zu besiegen und ganz Anatolien, seine Küsten und sein Hinterland, vollständig zurückzuerobern13 . Seine Existenz war gesichert und seine wirtschaftliche Erholung ging Hand in Hand mit seiner militärischen. Aber die Südküste und das gesamte westliche Mittelmeer waren für immer verloren. Als (neuerlicher) Souverän Kleinasiens, Griechenlands, des Epirus, Illyriens und Süditaliens, Herr der Adria, der Ägäis und des Schwarzen Meeres war Byzanz noch immer eine große Macht, vielleicht die erste, weil die stabilste, des Mittelmeerraumes. Aber die romanisch-byzantinische Einheit desselben ist nunmehr zu Ende: das Kaiserreich von Konstantinopel ist auf die Ausmaße eines großen griechischen Reiches reduziert, und seine Beziehungen zu jenem Rest der Welt, den es einst beherrscht hatte, sollten nunmehr Beziehungen auf der Grundlage der Gleichheit ·mit anderen unabhängigen Souveränitäten sein14. Andere Fakten verdienen auch Erwähnung: die erste Reaktion der Kaiser von Konstantinopelangesichts der muselmanischen Flut war die Annäherung an den Okzident und insbesondere eine Verstärkung der Bande mit der Kirche von Rom. Aber die Verständigung mußte von kurzer Dauer sein, und das 725 vom gleichen Kaiser Leo d. Isaurier, der die arabische Umklammerung gesprengt hatte, erlassene Edikt gegen die Bilder mußte zu einem Bruch mit den Päpsten führen, die von da an nicht mehr um ihre Bestätigung durch den Kaiser ersuchten15. Zu dem auf diese Weise auf religiöser Ebene aufgerissenen Graben kamen um die Mitte des 8. Jahrhunderts eine faktische Trennung im Gefolge der Okkupation Ravennas von Seiten der Langobarden und die tatsächliche Unfähigkeit des Imperiums, Rom und seine Kirche wirksam zu schützen, hinzu. 13 Dem Sieg von 718 folgte eine Reihe andere die die Grenzen des Imperiums neuerlich bis Ostarmenien und bis südlich von Antiochien trugen und ihm den Besitz Zyperns sicherten. Vgl. Guilland, L'Empire byzantin, in: Histoire universelle, Encyclopedie de la Pleiade, II, 161. 14 Nunmehr, wie Guilland, L'Empire d'Orient a l'apparition de !'Islam, ibid., 148, schreibt, "le basileus apparait comme un souverain semblable aux autres". Und er fügt hinzu: "Les Heraclide seront malgre eux les liquidateurs de !'Empire oecumenique qui sera devenu, a l'avenement des Isauriens (717) un Empire oriental et hellenique." Vgl. auch, vom selben Autor, L'Empire byzantin, 154 ff. 15 Die Orientalisierung des Imperiums hatte sicherlich einen Einfluß auf den Erfolg des Ikonoklasmus, welcher wiederum seinerseits diese Orientalisierung beschleunigte. Siehe Falco, La Santa Romana Repubblica. Profilo storico del Medio Evo, 3. Aufl., Mailand- Neapel1958, 141 ff. Der letzte römische Papst, der um die kaiserliche Bestätigung nachsuchte, war Gregor III. im Jahr 729. Vgl. Guilland, L'Empire byzantin, 164.

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Die Unterbrechung der geistlichen und materiellen Bande mit Rom und der praktisch endgültige Verlust seiner Besitzungen im Westen, Süden und Südosten des Mittelmeeres waren weitere Faktoren, die das byzantinische Reich veranlaßten, anderswo, nach Norden und Nordosten zu, andere Wege der wirtschaftlichen Expansion und der religiösen Mission zu suchen. Dies sollte zur Schaffung neuer Zentren der Zivilisation beitragen und unter anderem wichtige Konsequenzen für die Expansion der neuen zwischenstaatlichen Gemeinschaft haben, die damals in Herausbildung begriffen war und deren Glied schließlich auch das byzantinische Reich bilden sollte. V. Das karolingische Imperium Die dritte Veränderung von großer Tragweite war die Herausbildung einer riesigen und starken politischen Einheit in West- und Mitteleuropa mit dem Beginn der karolingischen Monarchie, einer Einheit, die auch auf formeller Ebene von jedem Rest eines Treuebandes an das Imperium von Konstantinopel frei war. Die Operation wurde mit entschlossener Kooperation des römischen Papstes durchgeführt, der, um sich gegen die Rom bedrohende langobardische Gefahr verteidigen zu können, einer Unterstützung bedurfte, welche ihm zu gewähren der Kaiser von Konstantinopel nicht mehr in der Lage war. Der erste bedeutsame Abschnitt dieser Operation war die Legitimierung des Karolingers Pippin als König der Franken von päpstlicher Seite 16 , eine Legitimierung, die als Gegenleistung den Zug Pippins nach Italien und seinen siegreichen Krieg gegen die Langobarden sah17 • Der folgende, ebenfalls italienische Abschnitt war die Expedition Karls d. Gr., von Papst Hadrian I. neuerlich gegen die Langobarden, die Rom fortgesetzt bedrohten, zu Hilfe gerufen. Diese 18 Diese Legitimierung begann mit der von Papst Zacharias auf die Anfrage des von Pippin gesandten Kaplans Pippins gegebenen Antwort: die Antwort sprach sich zugunsten des (karolingischen) Inhabers der effektiven Macht und gegen den (merowingischen) Titular der allein legitimen Macht aus. Die Vollendung erfolgte mit der Salbung Pippins als fränkischen Königs und als Patricius der Römer zu Saint-D(mis durch Papst Stephan. Dazu vgl. H. Pirenne, Mahomet et Charlemagne, 144 ff., und für genauere Einzelheiten Leonard, L'Empire franc d'Occident, in: Histoire Universelle, Encyclopedie de la Pleiade, II, 350 ff. 17 Ein Sieg, der seinerseits von einer Zuweisung der Territorien des Exarchats an den Papst begleitet war, und dies trotz der kaiserlichen Proteste. Wie Leonard, L'Empire franc ... , 355, bemerkt, wurde der Kirchenstaat ziemlich in der Art errichtet, wie er sich dann durch Jahrhunderte erhielt. Vgl. auch Fisher, Storia d'Europa, I, 169; und Ganshof, Le Moyen Age, Bd. I der Histoire des Relations Internationales, hrsg. von P. Renouvin, Paris 1958, 22.

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Expedition endete mit der Kapitulation des langobardischen Souveräns, worauf Karl seinem Titel jenen eines Königs der Langobarden und eines "patricius romanorum" hinzufügte18 • Kraft dessen betrachtete er sich formell als Protektor des Papsttums, und praktisch als dessen Oberer. Was bisher bloß das Frankenreich gewesen war, wurde dergestalt gleichzeitig auch zu einer italienischen Macht 19 : seine Interessen, bis jetzt hauptsächlich auf Kontinentaleuropa konzentriert, nahmen jetzt eine deutliche mediterrane Dimension an. Der dritte Abschnitt war hispano-germanisch. Karl war gezwungen, im Westen die heikle und mühsame Aufgabe, die schon Pippin auf sich genommen hatte, nämlich die Bekämpfung des Islams, wiederaufzunehmen; seine Aktion endete mit der Eroberung der Südwestküste des antiken Galliens und der Errichtung der spanischen Mark. Im Osten gelang es ihm nach blutigen Kämpfen, sowohl Sachsen als auch Bayern und das von andauernden langobardischen Intrigen aufgewühlte Kärnten zu unterwerfen. Den Abschluß der Operation bildete schließlich die Kaiserkrönung Karls d. Gr. durch Papst Leo III. in Sankt Peter in Rom in der Weihnachtsnacht des Jahres 800. Vor diesem Datum hatten der Frankenherrscher und der byzantinische Kaiser während ziemlich langer Perioden freundschaftliche Beziehungen unterhalten; sie hatten häufig Gesandtschaften ausgetauscht, und zuletzt hatte man selbst die Knüpfung familiärer Bande ins Auge gefaßt, um zwischen ihnen eine noch engere Verbindung zu festigen 20 • Aber der Umstand, daß Karl d. Gr. zur Kaiserkrone gelangt war, konnte nicht verfehlen, in Konstantinopel eine scharf negative Reaktion hervorzurufen, wo sich der "basileus" stets als der "einzige" Kaiser betrachtete und wo daher die Krönung Karls als Usurpation erschien. Daher brach 805 zwischen Karl und dem neuen byzantinischen Kaiser Nikephorus I. der Krieg aus. Doch war der letztere zu sehr in seinen Krieg auf dem Balkan gegen die Bulgaren verstrickt, als daß er aktive Operationen gegen die Franken hätte führen können. Der Krieg endete daher mit dem Vertrag von 813, für den die Verhandlungen bereits 811 begonnen hatten, und der einen zweifachen parallelen Verzicht enthielt: jenen Karls auf seine Ansprüche betreffend Gebiete in Venetien und Dalmatien, und jenen der byzantinischen Kaiser auf eine Fortsetzung ihrer Opposition gegen die Anerkennung des neuen karolingischen Imperiums. Die beiden Souveräne verpflichteten sich, einander fortan 1s H. Pirenne, Mahomet et Charlemagne, 147 f., bemerkt, daß dieser letztere Titel nach der Vorstellung Karls an den eines Königs der Langobarden geknüpft war. 19 über die Interventionen Karls in Italien vgl. Leonard, L'Empire franc ... , 365 ff. 20 Vgl. dazu ibid., 382; GuiHand, L'Empire byzantin ... , 184 f. 3*

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als auf gleicher Stufe stehend anzusehen und sich zu bemühen, wie Brüder miteinander zu leben21 • Wenngleich es sich zweifellos lediglich um die formale Konsekratio n einer faktisch schon bestehenden Situation handelte, ist ihre Wichtigkeit nichtsdestow eniger äußerst groß. Und in unserem Zusammenha ng erscheint ihre Tragweite um so bedeutender, als sich an dieses Faktum ein weiteres anfügt. Im Jahr 807, sechs Jahre vor dem Friedensschl uß zwischen den zwei christlichen Imperien, sandte der Kalif von Bagdad, Harun al-Raschid, eine Gesandtscha ft an Karl d. Gr. mit dem Zweck, zwischen den beiden Souveränen die Freundschaf t und Zusammenarbeit zu konsolidieren ; und es scheint festzustehen, daß er bei diesem Anlaß Karl d. Gr. ein Schutzrecht über die Heiligen Stätten von Jerusalem zuerkannt hat22 • Die Gleichzeitigk eit dieser beiden Ereignisse muß den Beobachter frappieren. In ihrem Zusammenfa llen kann man in der Tat das Symbol einer neuen Wirklichkeit erblicken, die sich zu manifestiere n begann. Die euro-medite rrane Welt, die sich unter Schwierigke iten aus langer Erschütterun g erhebt, ist zum Zentrum geworden, aber nicht mehr zum Zentrum einer für immer geschwunden en Reichseinhei t, sondern der Koexistenz einer Mehrheit von souveränen politischen Einheiten, welche beginnen, untereinande r dauerhafte Beziehungen auf der Basis der Gleichheit zu unterhalten. Eine neue zwischenstaa tliche GemeinVgl. Leonard, L'Empire franc ... , 383. Vgl. H. Pirenne, Mahomet et Charlemagne, 98; J. Pirenne, Les Grands Courants ... , II, 30; Chronologie de l'Empire franc d'Occident, in: Histoire universelle, Encyclopedie de la Pleiade, II, 1693. Die von Harun al-Raschid an Karl d. Gr. abgeordnete Gesandtschaf t hatte ihrerseits bereits eine Vorgängerin in der von letzterem 797 nach Bagdad entsendeten, die erst 801 zurückgekehr t war. Vgl. Ganshof, Le Moyen Age, 39 f. Um die Geste des Kalifen gegenüber Karl d. Gr. hinsichtlich der Hl. Stätten voll zu verstehen, ist es gut, sich daran zu erinnern, daß zwei Tage vor der Kaiserkrönun g Karls d. Gr. zwei Mönche aus Jerusalem gekommen waren, um ihm von Seiten des Patriarchen und der Stadt die Schlüssel des Hl. Grabes und des Kalvarienberg es zusammen mit denen der Stadt und des Berges Sion anzubieten. Es war ihre Absicht, den Abschluß eines Vertrages zwischen dem Kalifen Harun al-Raschid und dem fränkischen König zu begünstigen, kraft dessen der letztere als Protektor der Christen Palästinas, Syriens, Ägyptens und Tunesiens anerkannt werden sollte. Vgl. Falco, La Santa Romana Repubblica, 171. Über die gemeinsame Feindschaft Karls und Haruns gegenüber den Emiren von Cordoba als Motiv der Annäherung untereinande r vgl. auch Ganshof, Le Moyen Age, 34. Für den Hintergrund der Aktion des islamischen Souveräns ist es aber vor allem nützlich, sich daran zu erinnern, daß letzterer damals in einen unentschieden en Kampf mit dem byzantinische n Kaiser Nikephoros I. verwickelt war, der sich weigerte, sich den demütigenden und drückenden wirtschaftlich en Klauseln des vor ihm von der Usurpatorin Irene abgeschlossen en Friedens zu unterwerfen. Siehe Vismara, Bisanzio e l'Islam. Per la storia dei trattati tra la cristianita orientale e le potenze musulmane, Mailand 1950, 15 f.; Guilland, L'Empire byzantin, 182 f. 21

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schaft bildet sich an den Ufern desselben Meeres heraus, das vor dem Aufkommen der römischen Einheit Zentrum einer ähnlichen Gemeinschaft gewesen war.

VI. Die Geburt einer neuen internationalen Gemeinschaft Die bis jetzt hier dargelegten Fakten und die auf ihnen beruhenden Überlegungen erlauben, wie ich meine, eine dokumentierte Antwort auf die in der Lehre immer noch offene Frage nach den Anfängen der heutigen internationalen Gemeinschaft zu geben. Wie schon gesagt, läßt sich erst am Beginn des 9. Jahrhunderts die Geburt einer Gemeinschaft feststellen, in der die verschiedenen Einheiten zusammengeschlossen sind, die im euro-mediterranen Bereich aufeinandertreffen. Der Prozeß der Herausbildung dieser Gemeinschaft, sicherlich noch nicht abgeschlossen, vielmehr lang und entwicklungsreich, beginnt in der Periode der relativen Stabilisierung, der Konstitutierung und der Konsolidierung neuer Gleichgewichte, die die letzten Jahrzehnte des 8. und die ersten des 9. Jahrhunderts kennzeichnen und sich klar von den eindrucksvollen und ununterbrochenen Umwälzungen der vorangegangenen Periode abheben. Im Laufe der Jahrhunderte, welche folgen, änderte sich diese Gemeinschaft sowohl in ihrer Zusammensetzung als auch in ihren Dimensionen; die Beziehungen unter ihren Mitgliedern variierten nach Art und Intensität und entwickelten sich bis zu einem Punkt, wo sie mit den ursprünglichen Beziehungen keinen gemeinsamen Maßstab mehr hatten; verschiedene andere Aspekte änderten sich zuweilen auch in grundlegender Weise. In Zusammenhang mit diesen Veränderungen verlegte sich auch der Schwerpunkt der internationalen Gemeinschaft mehr als einmal. Wenngleich sie sich jedoch allmählich vom ursprünglichen Gebiet über die ganze Welt hin ausgedehnt, ihre Bande verstärkt und vervielfacht und immer mehr neue und sehr verschiedene Aspekte aufgenommen hat, hat die im frühen Mittelalter geborene internationale Gemeinschaft deshalb nicht aufgehört, bis in unsere Tage ohne Unterbrechung ihrer Kontinuität fortzudauern.

VII. Das internationale Gleichgewicht In jenem Moment nun, in dem sie ihre Existenz zu manifestieren begann, erstreckte sich die euro-mediterrane internationale Gemeinschaft unter einem geographischen Gesichtspunkt über fast ganz Westeuropa, einen Gutteil 'Zentraleuropas, Südosteuropas, Südwestasiens und über ganz Nordafrika. Ihr Schwerpunkt ist das Mittelmeer, jenes Meer, das diese verschiedenen Regionen teilt und sie vor allem auch verbindet.

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Die neue internationale Gemeinschaft ist - immer noch in jener Periode - ebenso wie die antike zwischenstaatliche mediterrane Gemeinschaft vor der Entwicklung der Vorherrschaft Roms, und wie es auch in anderen noch älteren derartigen Gemeinschaften der Fall war, durch das Bestehen eines echten und eigentlichen Gleichgewichts der Mächte charakterisiert. Tatsächlich waren es drei große Mächte, welche sich die gesamte Küste des Mittelmeeres untereinander teilten: das franko-langobardisch e Imperi:um Karls d. Gr., auf der einen Seite bei Barcelona von den arabischen, auf der anderen Seite in Istrien von den byzantinischen Besitzungen begrenzt; dies letztere Imperium, das sich nach seiner Erstarkung bis zu den arabischen Besitzungen in Syrien erstreckte; und der Rest, der sich unter der Herrschaft des Islams befand - eine lange Folge von Territorien, formell noch unter der kaiserlichen Autorität von Bagdad vereinigt, trotz der Existenz augenfälliger Unabhängigkeitsbest rebungen, Vorankündigung der bevorstehenden Sezession des Westens. Es ist nicht zufällig, daß die italienische Halbinsel und die italienischen Inseln, im Herzen des Mittelmeeres gelegen, jenen Ort darstellten, wo die drei Souveränitäten aufeinandertrafen, sich aneinander stießen. Karl d. Gr. hielt den Norden Italiens, einen Teil der Toskana und Korsika. Das "Dominium Sancti Petri", zu dessen Schöpfung Pippin und Karl d. Gr. selbst beigetragen hatten, trennte das karolingische Imperium von den Herzogtümern Spoleto und Benevent, die als Tributarländer betrachtet wurden. Venetien mit den angrenzenden Gebieten, ein wichtiger Teil Süditaliens mit Gaeta, Neapel, Apulien und, für den Augenblick, Sizilien und Sardinien waren byzantinische Besitzungen. Aber diese letzteren, vor allem die großen Inseln, waren der sarazenischen Gier ausgesetzt: der dritte Partner des mediterranen Gleichgewichts zögerte nicht, auch seine Präsenz in dieser speziellen Region geltend zu machen 23 •

VIII. Die Großmächte Die drei großen Imperien, die drei Protagonisten des internationalen Lebens der Epoche, von der wir sprechen, hätten nicht verschiedener sein können, was die Herkunft ihrer Völker, ihre Lebensart, ihr Glau23 Abgesehen von ihnen gab es nur die kleinen christlichen Souveränitäten Nordspaniens, die vom politischen Gesichtspunkt aus noch ohne jede Wichtigkeit waren, und die angelsächsischen Königreiche von Mercia und Wessex, die mit dem karolingischen Imperium einige Beziehungen aufgenommen haben. Im Osten desselben setzt sich das riesige Land, in dem damals die wendische, tschechische, awarische und serbische Bevölkerung lebt, die vom Imperium als tributpflichtig betrachtet wird, mit den Gebieten fort, die von den Magyaren und Bulgaren besetzt sind, welche für den Augenblick auf das byzantinische Reich hin ausgerichtet sind.

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bensbekenntnis, ihren Reichtum, ihre politische, wirtschaftliche und soziale Organisation und den Grad ihrer internen Kohäsion anlangt. Und doch ist es gerade ihre Koexistenz in einem Bereich, in dem ihre jeweiligen Interessen zusammenflossen, welche stabile und geordnete Beziehungen unter ihnen sich zu entwickeln beginnen ließ, Beziehungen, deren Intensität in ständigem Steigen begriffen war. Es handelte sich zu jenem Zeitpunkt fast ausschließlich um Beziehungen strikt politischer Natur 24, ganz spezifisch gebunden an die Existenz und die Aufrechterhaltung dieses Mächtegleichgewichts unter einer ziemlich begrenzten Gruppe großer Partner, welche für diese Epoche charakteristisch ist. Es ist daher logisch, daß im Zentrum des gemeinsamen Interesses die Entwicklung der Verhandlungen stand, um zum Zweck des Abschlusses von Abkommen zu gelangen25 : Waffenstillstands- und Friedensverträge oder zur friedlichen Beilegung einer Streitigkeit, Bündnis- und Kooperationsverträge gegen einen gemeinsamen Feind oder doch Neutralitätsverträge für den Fall, daß eine der Parteien in einen Konflikt verwickelt werden sollte, Abkommen zur Anerkennung eines Titels oder einer Besitzung oder zum Verzicht auf einen bestimmten Anspruch, Verträge über die Abtretung von Gebieten, zur Festlegung einer Grenze, fur die Reservierung oder Aufteilung von Einflußzonen, Abkommen zur Begründung von Familienbanden unter Souveränen, für die Einräumung besonderer Rechte durch den einen an den anderen, über die Leistung von Subsidien, etc. Insbesondere kann man damals die Herausbildung einzelner Grundsätze des Gewohnheitsrechts in Bezug auf die häufige Abordnung von Gesandtschaften beobachten, welche mit der Führung von Verhandlungen mit dem auswärtigen Souverän betraut waren. Eine bestimmte Praxis, bestimmte Normen bildeten sich hinsichtlich des Schutzes und der Erleichterungen heraus, die den Gesandten während ihren oft langen und riskanten Reisen und ihrem oft langdauernden Aufenthalt zu gewähren waren, hinsichtlich der Dokumente, welche die Vollmachten beurkundeten, mit denen die Gesandten ausgestattet sein mußten, der ihrer Person geschuldeten Achtung, der Immunität, die sie genießen mußten, des Zeremoniells, das bei ihrem Empfang und dem Zusammentreffen mit ihnen zu befolgen war, usf. Man kam derart zur Umschreibung der Kriterien, die im Verfahren zur Annahme der Verträge und für ihre Authentifizierung zu 24 Die Zeiten sind noch nicht reif für die Entwicklung kommerzieller Beziehungen, deren u. a. vor allem Westeuropa besonders bedürfte, zieht man die lange Periode seiner Isolierung und des Rückzuges auf sich selbst in Betracht. 25 Siehe Ganshof, Le Moyen Age, 36 ff.; Nys, "Le droit des gens dans les rapports des Arabes et des Byzantins", Rev. de dr. int. et de leg. comp., 1894, 461 ff., 485 ff.; Vismara, Bisanzio e !'Islam, 15 f.

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beachten waren, weiters hinsichtlich der Form der endgültigen Instrumente, sowie hinsichtlich der Garantien, welche die Abkommen begleiten mußten, die Behandlung der Geiseln, welche gegebenenfalls diese Garantien sichern sollten, etc. Schließlich bildeten sich auch besondere Grundsätze bezüglich der Begründung und Ausgestaltung von Abhängigkeitsverhältnissen heraus, welche kleinere politische Einheiten an die größeren Mächte banden28 • Das internationale Protektorat hat seine Wurzeln in den Beziehungen der seit damals so genannten "Tributärstaaten" mit dem einen oder anderen der großen Imperien. IX. Die Weiterentwicklung der neuen internationalen Gemeinschaft Die Zusammensetzung der internationalen Gemeinschaft, wie sie sich im Moment des Beginns ihrer Existenz zeigt, war jedoch keineswegs so geartet, daß sie für lange Zeit unveränderlich hätte bleiben können. Von den drei großen Mächten, welche ursprünglich praktisch die gesamte internationale Szene beherrschten und sich im Gleichgewicht hielten, war lediglich das byzantinische Imperium ein altes, auf solidem Grund errichtetes Gebäude, eine Pflanze, die ihre Wurzeln in antiker Einheit und zivilisatorischem Reichtum hatte, aus der Fülle von Kultur, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen schöpfte. Von den drei politischen Formationen war allein diese in der Lage, längere Zeit Angriffen von außen wie inneren Krisen standzuhalten und sogar eine neue Ausdehnung fertigzubringen sowie eine neue Entwicklung zu nehmen. Die anderen zwei waren hingegen Konstruktionen ohne solide Basis. In jeder von ihnen war die politische Einheit nur auf äußere und zum Gutteil zufällige Faktoren zurückzuführen, oder auch auf die Aktionen einer außergewöhnlichen Persönlichkeit; sie war nicht auf eine effektive Einheit des Ursprungs, der Geschichte, der Zivilisation oder Struktur gegründet. Wie strahlend sie auch erscheinen mögen, diese zwei imperialen Formationen sind darum doch um nichts weniger von rascher Vergänglichkeit, unfähig, den Kräften der Zersetzung, die sich stets zeigten, einen dauerhaften Widerstand entgegenzusetzen. Die religiöse Autorität, der Reichtum, die Expansionsfähigkeit einer großen Kultur, das persönliche Prestige einzelner Kalifen von Bagdad reichte nicht aus, um die Kraft zu geben, die notwendig gewesen wäre, um die Einheit einer politischen Formation ohne Maß zu erhalten, welche von den Grenzen Indiens bis zu den Ufern des Atlantiks und zu den Pyrenäen für den Augenblick Völker zusammenhielt, die einander fremd und ohne jede echten gemeinsamen Interessen geblieben waren. So zeigte sich etwa auch, kaum war sein großer Schöpfet und charismati26

Siehe abermals Ganshof, Le Moyen Age, 49 ff.

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sches Haupt verschwunden, die Realität des karolingischen Imperiums in ihrem wahren Licht: es handelte sich um eine Gemeinschaft von Ländern ohne gemeinsame Sprache, ohne vergleichbare Entwicklung und mit verschiedenen Interessen. Die Einheit des Reiches sollte mit großer Mühe unter der Regierung des unmittelbaren Nachfolgers Karls d. Gr. aufrechterhalten werden. Nachdem auch dieser Nachfolger einmal gestorben war, zeigte sich, daß die Aufteilung des Reiches, schon von Karl selbst vorhergesehen, unvermeidlich war; und schon von daher zeichneten sich die historischen Teilungen dieses Teiles von Europa ab. In Wirklichkeit hatte kaum ein Jahrhundert nach den Ereignissen, welche die Geburt einer neuen zwischenstaatlichen Gemeinschaft im euro-mediterranen Bereich enthüllt hatten, die Zusammensetzung dieser Gemeinschaft schon eine grundlegende Evolution durchgemacht. Wenn man die Zusammensetzung der internationalen Gemeinschaft zu einem späteren und ganz besonders wichtigen Zeitpunkt, nämlich dem des Übergangs ins 10. Jahrhundert, untersucht, so kann man sich Rechenschaft ablegen einerseits über die Tragweite des zwischenzeitig stattgehabten Wandels, andererseits über die Tatsache, daß zu diesem Zeitpunkt dieser Wandel schon selbst Vergangenheit zu werden beginnt.

X. Die Situation an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert Ein Rundblick auf die gegenüberliegenden Küsten des Mittelmeeres erlaubt es vor allem im Westen, auf der iberischen Halbinsel, eine dissidente islamische Monarchie festzustellen, welche die Höhe ihres Glanzes erreicht hat. Im Laufe des 9. Jahrhunderts hatte das Emirat von Cordoba seine innere Organisation beendet und gegen Ende des dritten Jahrzehnts des 10. Jahrhunderts die letzten Bande einer formalen Abhängigkeit von Bagdad abgestreift, indem es sich selbst in ein Kalifat umwandelte. Im Norden grenzte es an das Königreich von Asturien und Le6n, im Nordosten an das kleine neugeschaffene Königreich von Navarra, und im Osten an die Grafschaft Barcelona, die sich vom Karolingerreich losgerissen hatte. Zu jenem Zeitpunkt nahm das Kalifat von Cordoba praktisch die ganze Halbinsel ein, nachdem es die von den christlichen Monarchien ursprünglich gemachten territorialen Ausdehnungen zum Stillstand gebracht hatte. Am Ende des 10. Jahrhunderts präsentiert sich das Kalifat von Cordoba als der im Inneren am besten organisierte Staat und gleichzeitig als die größte internationale Macht Westeuropas und als solche von höchstem Prestige 27 • 27 Siehe Defourneaux, La peninsule iberique, in: Histoire universelle, Encyclopedie de la Pleiade, II, 294 ff.

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Jenseits der Pyrenäen nahm das Königreich Frankreich jenes Gebiet ein, das ihm bei der Aufteilung des karolingischen Imperiums zugefallen war28 • Auf der Königsthron folgten einander, mit einer einzigen Unterbrechung 29, Souveräne der karolingischen Dynastie. Aber gegen Ende des 10. Jahrhunderts fand eine dynastische Umwälzung statt, und dieses Faktum - wichtig in der Geschichte Frankreichs - führte zur Krönung von Hugo Capet30 • Das Land mußte erbitterte Kämpfe gegen die Normannen und wiederholte Kriege gegen das Königreich Deutschland durchstehen3 1, aber die Macht der Monarchie bestand mehr de iure denn de facto 32 • Die Schaffung der französischen Staatsmacht war völlig der Zukunft vorbehalten 33 • In England hatten die angelsächsischen Könige im Laufe des 9. Jahrhunderts Schwierigkeiten gehabt, der dänischen Invasion entgegenzutreten. Zu Beginn des 11. Jahrhunderts waren die Kronen Englands, Dänemarks und Norwegens im dänischen Reich Knuts d. Gr. vereinigt, das eine gewisse Entwicklung durchgemacht hatte und gegen Osten blickte, hauptsächlich an seinen Beziehungen mit Byzanz und den islamischen Ländern interessiert; erst mit dem Tod Knuts d. Gr. fand das Königreich England erneut zur Unabhängigkeit. Zu jenem Zeitpunkt unterhielt das letztgenannte Königreich ziemlich konstante Beziehungen mit dem Herzogtum der Normandie in seinem Süden: Beziehungen, die sehr bald sein Geschick beeinflussen sollten34 • 28 Diese Aufteilung wurde einmal durch den Vertrag von Verdun von 843 und ein zweites Mal durch den Vertrag von Meersen von 870 festgelegt. Dort war die dieselbe Ostgrenze für Frankreich festgelegt. Die beiden vorübergehenden Wiedervereinigungen des karolingischen Imperiums, zuerst unter Karl d. Kahlen und dann unter Karl dem Dicken in den letzten Jahrzehnten des 9. Jahrhunderts hatten keine Auswirkung auf den Verlauf dieser Grenze. 28 Nämlich jener der zehnjährigen Herrschaft Eudes, des Verteidigers des Landes gegen die gefährlichen Neuankömmlinge, d. h. die Normannen. Später gelang es den Herzögen von Frankreich aus der Familie des Eudes, sie in einem Land anzusiedeln, welches, indem es ihren Namen annahm, zum Herzogtum der Normandie werden sollte. Siehe Leonard, L'Empire franc ... , 414 ff. 30 Welcher der erste einer ganzen Serie von Königen derselben Dynastie sein sollte. Siehe Fawtier, Les Capetiens directs, in: Histoire universelle, Encyclopedie de la Pleiade, II, 789 ff. 31 Einsatz dieser Kämpfe war Lothringen, das schließlich beim deutschen Königreich blieb. Siehe Leonard, L'Empire franc ... , 416 ff. 32 Die Grafschaften der Bretagne, von Flandern und von Toulouse sowie die Herzogtümer von Aquitanien, der Normandie, Frankreichs und von Burgund lassen dem König nur ein sehr beschränktes Dominium und eine lediglich theoretische Souveränität. Siehe Fawtier, Les Capetiens .. ., 789 ff. 33 Im Südwesten grenzt das Königreich Frankreich nunmehr an das Königreich von Arles, welches die alten Königreiche von Burgund und der Provence umfaßt und daher das darstellt, was vom Reich Lothars, wie es in der ersten Teilung des karolingischen Imperiums vorgesehen war, übriggeblieben ist. In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts wird es zu einem Teil des Heiligen römisch-deutschen Reiches werden.

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Mehr gegen Osten, in Deutschland, ist das deutsche Königreich ein anderes Produkt der Teilung des Imperiums Karls d. Gr. 35 • Die Schwäche der königlichen Gewalt läßt sich hier mit jener in Frankreich vergleichen. Fünf verschiedene große Herrschaftsbereiche haben sich hier gebildet38 und reduzieren das Königreich zu einer Art feudaler Föderation von Herzogtümern. Über Betreiben des Landadels hat diese zusammengesetzte Monarchie eine Expansionspolitik gegen Osten geführt, Böhmen neuerlich ins Reich einbezogen, sich zum gegebenen Zeitpunkt den Polen und Ungarn auferlegt, sich in Ostpreußen festgesetzt und die Mark Österreich gegründet. Aber gegen Ende des 10. Jahrhunderts ließ die slawische Reaktion die Grenze gegen Westen zurückweichen37 • Wenn auch Böhmen unter deutscher Souveränität verblieb, so findet doch andererseits im Osten des deutschen Reiches die Gründung der unabhängigen Königreiche Polen und Ungarn und der Beginn ihrer Teilnahme an den internationalen Beziehungen als souveräne Staaten am Beginn des 10. Jahrhunderts statt. Die ehrgeizigen sächsischen Könige, die daheim nur über eine sehr beschränkte Macht verfügten, waren der Atrraktion Italiens und der Faszination der kaiserlichen Idee erlegen. Während der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts gelang es ihnen, mit der Krone Deutschlands auch jene des Königreichs Italien, des dritten Erben des verschiedenen karolingischen Imperiums38, zu vereinigen und sich die Kaiserkrone zu verschaffen. Sie haben daher der Gesamtheit ihrer Staaten39 den Namen "Heiliges Römisches Reich" beigelegt. In 34 über das Reich des Knut und seine Beziehungen mit den Staaten des Orients siehe J. Pirenne, Les Grands Courants ... , 52 f. Über die Situation des Königreichs England zu dieser Zeit siehe Fisher, Storia d'Europa, 199 ff.; H. Pirenne, Histoire de l'Europe, 188. 35 Während der Übergangsperiode zwischen dem 9. und dem 10. Jahrhundert sind einander verschiedene Könige aus karolingischer Familie auf dem deutschen Thron gefolgt. Außer in die Kriege mit Frankreich waren sie vor allem in ausgedehnte Kämpfe mit dem mährischen Reich, das sich um die Mitte des 9. Jahrhunderts gebildet hatte, und dann mit den Ungarn verwickelt, die ihrerseits nach Mähren eingebrochen waren und auch in Sachsen, Bayern und Norditalien eindrangen. Siehe Leonard, L'Empire franc ... ,

415 f.

38 Sachsen, Bayern, Franken, Schwaben und Lothringen. Siehe J. Pirenne, Les Grands Courants ... , II, 37. 37 Siehe Falz, Le monde germanique, in: Histoire universelle, Encyclopedie de la Pleiade, II, 598 ff., 601 f.; Fichelle, Le monde slave, in: Histoire universelle, Encyclopedie de la Pleiade, li, 1126 f., 1129 f. 38 Bis zu diesem Zeitpunkt war die Krone Italiens das Objekt der Rivalität zwischen den großen Feudalherren Italiens gewesen. Über die Sachsenkaiser siehe Falco, La Santa Romana Repubblica, 202 ff. 38 Diese schlossen auch das Königreich von Arles ein, den einzigen vom römisch-deutschen Kaiser Otto in einem Kriegszug gemachten Gewinn, der zum Zwecke der Einverleibung des gesamten Königreiches Frankreich und der Wiederherstellung des karolingischen Imperiums unternommen worden war. Vgl. J. Pirenne, Les Grand Courants ... , II, 38.

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jener Epoche, auf die wir uns beziehen, ist das Königreich Italien noch mit dem deutschen Königreich vereinigt, wenngleich der deutsche König oft viel zu weit entfernt und viel zu fremd war, als daß seine Gewalt über die lebhaften italienischen Lande hätte effektiv sein können 40 • Zum anderen erstreckte sich das Königreich Italien nur über den nördlichen Teil der Halbinsel - und auch das ohne Venetien und Pisa - und über ein Stück des zentralen Teils, der nur aufgrund einer vorübergehenden Reduzierung des "Dominium Sancti Petri" auf das bloße Latium vergrößert war. Süditalien und die Inseln gehörten in einen ganz anderen Zusammenhang. Nach der Eroberung West- und Zentralsiziliens durch die Araber um die Mitte des 9. Jahrhunderts 41 spielten sich dort lange Kämpfe mit wechselnden Ausgang ab, wobei es einmal zu Allianzen zwischen den Sarazenen und den Städten Gaeta, Neapel und Amalfi gegen die Byzantiner, ein andermal zwischen diesen Städten und Byzanz kam; manchmal schlossen sich ihnen auch die Städte Pisa, Venedig, Rom und die langobardischen Herzogtümer Benevent und Salerno an42 • Das Erstarken des Imperiums von Konstantinopel in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts hat es ihm jedenfalls erlaubt, seine Herrschaft über ganz Apulien und über Kalabrien wiederaufzurichten. Unter anderen kamen die langobardischen Herzogtümer, wenn auch nicht ohne Unterbrechung, unter sein Protektorat, und die autonomen Küstenstädte nahmen mit ihm wieder Beziehungen auf, die man als Präferenzen definieren könnte. Venedig blieb ebenfalls, wenngleich es sich immer mehr freimachte, noch formell ein Vasall von Byzanz und agierte immer als dessen Verbündeter. Was Versuche der deutschen Kaiser anlangt, ihren eigenen Ländern solche unter byzantinischer oder arabischer Herrschaft hinzuzufügen, so waren diese alle zum Scheitern bestimmt 43 • Am Ende des 10. Jahrhunderts hat sich das Heilige Römische Reich auf der italienischen Halbinsel zu einer 'Koexistenz mit der byzantinischen und arabischen Macht bequemen müssen. 4° Für den Augenblick hatte sich das, was sich später als der größte Rivale der kaiserlichen Macht erweisen sollte, noch nicht als solcher manifestiert, denn das Papsttum befand sich damals in einer Periode des Niedergangs, was den Kaisern erlaubte, einen echten und eigentlichen Caesaropapismus einzuführen. Die von Gregor d. Gr. (dem VII. seines Namens; Anm. des Übers.) durchgeführte Reform sollte dem in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts ein Ende machen. 41 Träger dieser Eroberung waren die Aghlabiden von Tunis gewesen, die später von den Fatimiden abgelöst wurden. Vgl. Guilland, L'Empire byzantin, 183. 42 Siehe Vismara, Impium foedus, Mailand 1950, 142 ff.; GuiHand, L'Empire byzantin, 172, 184 f., 200 f., 210 ff. 43 Vgl. Leonard, L'Italie medievale, 439; Gttilland, L'Empire byzantin, 204,

209 f .

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Jenseits der Adria gelang es dem Kaiserreich von Konstantinopel''zum ersten Mal nach Justinian- seit den Anfängen des 11. Jahrhunderts, seine Herrschaft über die gesamte Balkanhalbinsel südlich der Linie Save-Donau wiederherzustellen, entlang welcher es an das Königreich Ungarn und das Königreich Kroatien, eine Neuschöpfung, angrenzte. Ein derartiger Erfolg hätte nicht errungen werden können, ohne daß es notwendig gewesen wäre, vorher mit Situationen fertigzuwerden, die für die Existenz des Imperiums selbst ziemlich gefährlich waren. Aber von der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts an wurden nacheinander die Araber von Kreta, die Russen vom Balkan und schließlich, unter der langen Regierungszeit Basilius II., auch die Bulgaren, der traditionelle und gefährlichste Feind, im Laufe des zweiten Jahrzehnts des 11. Jahrhunderts unterworfen und gezwungen, ein ziemlich hartes Protektoratsregime auf sich zu nehmen45 • Im Norden des Schwarzen Meeres ist das Imperium von Konstantinopel an der Küste der Halbinsel Krim präsent. Von dort haben die Byzantiner entlang dem Lauf des Dnjepers enge Kontakte mit einer neuen Staatsbildung, dem Fürstentum von Nowgorod-Kiew, hergestellt, das ihrem Einfluß tiefgreifend ausgesetzt war und von der Mitte des 10. Jahrhunderts an eine bemerkenswerte Entwicklung durchmachte48 • Das Fürstentum schloß politische, Handels- und sonstige Verträge mit dem Imperium von Konstantinopel ab; es ist auch mit den Staaten Westeuropas einerseits und mit verschiedenen muselmanischen Fürstentümern andererseits in direkte Beziehung getreten. Die internationale Gemeinschaft hat so zu jener Zeit ihre Grenzen auch gegen Osten vorgeschoben und ließ einen neuen Partner in sie eintreten, der zwar unter einem geographischen Gesichtspunkt nicht als mediterran anzusehen war, dessen 'Zivilisation aber eine unverkennbare Tochter jener war, die damals an den Küsten des Bosporus blühte. 44 Wohl sechs Mal in zwei Jahrhunderten wurde Konstantinopel von bestimmten slawischen Stämmen bzw. von den Russen oder Bulgaren belagert. Diese letzteren, damals mit den Fatimiden Ägyptens verbündet, sind mehrmals in das Land eingefallen. Die von Spanien kommenden Araber fielen in Kreta ein und griffen Saloniki an. Siehe Guilland, L'Empire byzantin, 182 ff.; Obolenski, Il Commonwealth bizantino, 151 ff., 161 ff., 184 ff., 260 ff. 45 Siehe Guilland, L'Empire byzantin, 198 ff., 209 ff.; Obolenski, Il Commonwealth bizantino, 191 f. 48 Unter dem Fürsten von Kiew vereinigte sich eine Gesamtheit von früher autonomen und von "russischen" Fürsten schwedischer Herkunft regierten Städten. Die Russen haben oft gefährliche Züge gegen das Imperium und seine Hauptstadt unternommen, während sich in entgegengesetzter Richtung auch ein wichtiger Strom zu kommerziellen und religiösen Zwecken entwickelt hat. Siehe J. Pirenne, Les Grands Courants ... , II, 42 ff.; Ganshof, La Moyen Age, 76 f.; Guilland, L'Empire byzantin, 208, 268; Fichelle, Le monde slave, 1145 ff.; Obolenski, Il Commonwealth bizantino, 267 ff., 318 ff.

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In Vorderasien hat das byzantinische Reich unter Basilius 11. seine größte Ausdehnung erreicht. Es gelang ihm, dem Besitz ganz Anatoliens auch jenen von Armenien und Georgien im Norden, von Cilicien und eines guten Teils von Syrien im Süden hinzuzufügen47 • Am Beginn des 11. Jahrhunderts hat das byzantinische Imperium zwar keinen sicheren Schutz vor den alten Bedrohungen48 , die stets von neuem bereit sind, sich zu zeigen, und vor neuen, die bereits am Horizont Gestalt annehmen. Aber mit seiner Ausdehnung von Ostsizilien bis an die Ausläufer des Kaukasus, seiner Bevölkerungsdichte, seiner angesehenen Zivilisation, seiner wirtschaftlichen und sozialen Stabilität, seiner großen wirtschaftlichen Expansion, seiner starken Flotte, seinem bestimmenden Einfluß auf den neuen russischen Staat, seiner Suzeränität über die langobardischen Herzogtümer, über die Bulgaren, über das serbische Fürstentum, über das Emirat von Mossul und über andere islamische Fürstentümer Asiens, mit seinen kostbaren Verbindungen zu Venedig und zu anderen italienischen Seestädten ist das östliche Kaiserreich die größte internationale Macht des östlichen Mittelmeeres und überhaupt des gesamten Mittelmeerraumes. Es ist jenseits der damaligen und beweglichen südlichen Grenzen des Imperiums von Konstantinopel, daß sich die Situation im Vergleich zur Epoche, in der der mächtige Kalif Harun al-Raschid seinem nordwestlichen Nachbar drückende Friedensbedingungen auferlegte und mit Karl d. Gr. Gesandtschaften austauschte, in der radikalsten Weise verändert hat. Die zweite Hälfte des 9. Jahrhunderts war, trotz der von der islamischen Zivilisation und Kultur erreichten Höhe, für die Zentralgewalt des Kalifats von Bagdad eine trübe und gefahrenreiche Periode. In Zusammenhang mit der Schwächung dieser Gewalt vollendete sich im 10. Jahrhundert die Aufstückelung des Territoriums, schon vor Zeiten begonnen und gefolgt von der Bildung und der Sezession unabhängiger Fürstentümer49 • Zu Beginn des 11. Jahrhunderts hat das Imperium von Bagdad aufgehört, ein Reich zu sein, und ist zu einer theokratischen Autorität geworden, das nur noch auf religiöser Ebene über einer Mehrheit von politisch souveränen Staaten stand50 • Zwei verschiedene Dynastien teilten sich den östlichen und den westlichen Teil des Irans; andere kontrollierten den oberen und den unteren Teil Mesopotamiens; eine andere wieder beherrschte Arabien. Schließlich, und dies zählt am meisten, befand sich Ägypten mit dem, was von einem muselmanischen Siehe Guilland, L'Empire byzantin, 198 ff., 201 ff., 209 f., 211 ff. Vgl. J. Pirenne, Les Grands Courants ... , II, 46 f. 48 Vgl. Wiet, L'Islam, 94 f. 50 Das Kalifat bewahrte noch unter seiner direkten Herrschaft Bagdad und ein es umgebendes beschränktes Gebiet, eine Art muselmanischen Kirchenstaats, dem jede militärische und politische Macht fehlte. Vgl. J. Pirenne, Les Grands Courants ... , II, 64 f. 47

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Syrien noch übrig war, sowie mit der Küste Nordafrikas bis einschließlich Tunesien unter der Herrschaft des fatimidischen 1Kalifats, das aus Kairo seine neue Hauptstadt gemacht hatte 51 • In voller Entwicklung begriffen, ist dieses Kalifat die erste muselmanische Macht des östlichen Mittelmeeres geworden, zugleich Partner und Rivale von Byzanz in dieser Region. Gegen Westen von Tunesien, entlang der afrikanischen Küste, existierten noch verschiedene unabhängige islamo-berberische Dynastien, von denen die bedeutendste in Fez bestand, welche ihrerseits an die Gebiete des Kalifats von Cordoba grenzte, mit dem diese schnelle Untersuchung der politischen Situation rund um das Becken des Mittelmeeres im Zeitpunkt des Übergangs vom ersten zum zweiten Jahrtausend unserer Ära begonnen hat. Zu dieser Zeit ist die euro-mediterrane internationale Gemeinschaft also nicht mehr, wie zu ihren Anfängen, eine von einer ziemlich begrenzten Zahl großer Reiche gebildete Gruppe; sie ist viel deutlicher eine Staatenmehrheit geworden, die in einem Ganzen von intensiven und verschiedenen Beziehungen eine Pluralität von staatlichen Bildungen, von ganz großen zu ganz kleinen, vereinigte: Bildungen freilich, die ihrerseits dem geschichtlichen Wandel unterworfen waren.

XI. Die Staatenpraxis jener Zeit Die in der internationalen Gemeinschaft zwischen dem ersten Zeitpunkt, in dem ihre Existenz erkennbar geworden war, und jenem späteren, auf den wir uns hier beziehen und in dem ihre Wirklichkeit voll ausgeprägt war, vorgefallenen Veränderungen hatten die Wirkung, die Beziehungen zwischen den politischen Einheiten, die sie jetzt bildeten, zu intensivieren und vielfältig zu machen. Wegen ihrer im allgemeinen bescheidenen, ja oft wirklich kleinen Proportionen hatten diese Einheiten viel mehr nötig, untereinander intensive und dauerhafte Beziehungen zu pflegen, als dies für die wenigen großen Reichsbildungen zwei Jahrhunderte früher der Fall gewesen war. Daher haben vor allem die Treffen zwischen den einzelnen Souveränitäten zum Zwecke des Vertragsabschlusses sichtbar um ein Vielfaches zugenommen. Die Unterhandlungen sind andererseits nicht mehr ausschließlich bilateral: in gewissen Fällen beginnt man, und man wird das noch intensivieren, Konferenzen von Vertretern einer Mehrzahl von Souveränen zu versammeln 52 • Der Austausch von Missionen zwischen Nach51 Die Fatimiden setzten sich zuerst in Tunis fest, aus dem sie die Aghlabiden, die Eroberer Siziliens, vertrieben hatten. Ägypten hatten sie in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts unterworfen. 52 Vgl. Ganshof, Le Moyen Age, 120 f. In gewissen Fällen nahmen die Souveräne selbst an den Treffen teil oder doch zumindest an deren letzter

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barstaaten ist häufig, aber auch zwischen Souveränen von politischen Einheiten, die voneinander ziemlich weit entfernt sind: der Kalif von Cordoba, der römisch-deutsche Kaiser, der Basileus von Konstantinopel, der fatimidische Kalif von Ägypten, der König von Frankreich, der Fürst von Kiew, der König von Ungarn - sie alle haben im Laufe des 10. Jahrhunderts Gesandtschaften ausgetauscht, die berühmt geblieben sind. Andererseits nahmen auch kleinere Souveränitäten an einer entsprechenden Aktivität teil: unter ihnen die Seerepubliken Italiens, das Emirat von Sizilien und das sarazenische Königreich von Tunis. Auch der Papst begann, die eigenen "Legaten" auf Gesandtschaften zu schikken. Dem Beispiel einer byzantinischen Praxis folgend wurde auch die Verwendung von schriftlichen Dokumenten allgemein, welche die Vollmachten der Unterhändler beurkundeten. Die persönliche Immunität der Gesandten ausländischer Souveräne ist nun eine feststehende Norm53 ; ihre Verletzungen werden scharf verurteilt und immer weniger. Wenn manchmal - und im übrigen ganz selten- der Mission eines ausländischen Souveräns das Recht der Durchreise in einen dritten Staat verwehrt wird, so gilt das als tadelnswert54. Beim Abschluß von Verträgen erscheint nunmehr die Praxis, den Text in zwei Exemplaren abzufassen, die dann von den Parteien wechselseitig ausgetauscht werden. Diese Praxis sollte ihre Wichtigkeit für die Bestimmung des Beginns des Bestehens eines Vertrages haben. Was den Gegenstand der Verträge anlangt, so erscheint derselbe so vielfältig, daß eine Aufzählung Gefahr liefe, lange und nicht erschöpfend zu sein. Erwähnung verdient jedoch das Erscheinen der ersten jener Verträge, die die Stellung der Angehörigen eines Staates auf dem Territorium eines anderen regeln55, sowie das immer häufigere AufPhase. Um keine Empfindlichkeiten zu verletzen, war es notwendig, derartige Treffen auf neutralem Territorium oder in Lokalitäten entlang der Grenze zwischen zwei Ländern, z. B. Frankreich und Deutschland, zu veranstalten. Diese Praxis, die im übrigen auch heute noch Anwendung findet, war jedoch nicht immer anwendbar. Der Kaiser von Byzanz forderte normalerweise, daß seine Treffen mit westlichen oder muselmanischen Fürsten an seinem Hofe stattfänden. Die Kalifen von Cordoba und von Kairo machten es ebenso. 53 An den Höfen von Konstantinopel, Kiew, Bagdad und Cordoba waren die ausländischen Gesandten normalerweise Gäste des Staates, der für ihren Unterhalt aufkam. Die Könige des christlichen Westens waren auf diesem Gebiet nicht in der Lage, Gegenseitigkeit zu garantieren. Vgl. Ganshof, Le Moyen Age, 125. 54 Ein oft zitierter Fall betrifft die Weigerung von Seiten des Königs von Ungarn, der Gesandtschaft des Kaisers und Königs von Deutschland, die sich zu Beginn des 11. Jahrhunderts nach Konstantinopel begab, das Recht der Durchreise über sein Territorium zu gewähren. 55 über den Vertrag von 987 zwischen dem Imperium von Byzanz und dem fatimidischen Kalifat vgl. Verosta, Die Geschichte des Völkerrechts, 61.

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tauchen von Verträgen, die man als Handelsverträge bezeichnen könnte. In diesen letzteren findet man die Definition der Freizügigkeit und der Freiheiten, welche den ausländischen Kaufleuten und ihren Schiffen zu gewähren sind, der Zölle und Abgaben, die ihnen auferlegt werden dürfen, der Modalitäten ihres Aufenthaltes, der ihnen gegebenenfalls vorgeschriebenen Termine für ihre Abreise, der bestimmte Waren betreffenden Restriktionen, etc. Zu den häufigsten Parteien solcher Art Abkommen zählen vor allem die Stadtstaaten von Venedig und Amalfi, dann von Pisa und Genua, die Königreiche Italien und Deutschland, das byzantinische Imperium, die russischen Fürstentümer, die Kalifate von Cordoba und von Kairo und verschiedene autonome islamische Fürstentümer, darunter jenes von Aleppo, von Tunis und andere, die in Spanien dem Kalifat von Cordoba bald nachfolgten56 • Die Entwicklung der Handelsbeziehungen bringt die schrittweise Einrichtung ständiger Kolonien von Bürgern der handelstreibenden Länder auf dem Territorium der Staaten, welche die meistgesuchten Produkte lieferten, mit sich. Konstantinopel und Alexandrien sehen die ersten venezianischen und amalfischen Kolonien sich bilden, Zeichen und Vorläufer einer Entwicklung, welche große Proportionen annehmen und die Ausbildung einer Reihe von Normen und Einrichtungen des Völkerrechtes betreffend die Regelung und den Schutz des Lebens dieser auf ausländischem Gebiet, oft inmitten einer nach Religion und Brauchtum anders gearteten Bevölkerung gelegenen Kolonien notwendig machen sollte. Was die Garantie der vertragsmäßig übernommenen Verpflichtungen anlangt, so kann man unter anderem die Anwendung von Repressalien im zwischenstaatlichen Bereich und damit auch in Handelssachen 56 Die Könige von Italien und Deutschland, Herren der Straßen, die von der Adria zur Nordsee führten, hatten schon seit langem "Pakte" mit Venedig abgeschlossen, in denen letzterem gegen Bezahlung eines Tributes das Recht verliehen wurde, von Norditalien bis Flandern den Handel mit den von den Venetianern aus dem östlichen Mittelmeer importierten Waren zu treiben und sich aus denselben Regionen mit Industrieprodukten und Holz für den Schiffbau zu versorgen. Immer was Venedig anlangt, muß man sich auch der mit Byzanz zu Ende des 10. und Anfang des 11. Jahrhunderts geschlossenen Verträge erinnern: der venetianische Handel erfreute sich dort tatsächlich eines besonders privilegierten Regimes. Vom 10. Jahrhundert an hatte Byzanz auch Handelsverträge mit dem Fürstentum Kiew und einigen muselmanischen Fürstentümern, darunter jenem von Aleppo, geschlossen. Siehe Ganshof, Le Moyen Age, 132 ff. Die in jener Epoche von Byzanz abgeschlossenen Verträge wurden oft in Dokumenten niedergelegt, die "Chrysobullen" genannt wurden. Paradi.si, Dai ,foedera iniqua' alle ,crisobulle bizantine', 1. Aufl. 1953, neuabgedr. in: Civitas Maxima, II, 582 ff., hat ganz klar die formale Intention dieser Praxis als auf die einseitige Bekräftigung der kaiserlichen Suprematie abzielend dargetan, ohne daß dies jedoch, wo es der Fall war, die tatsächliche Gleichheit der vertragsschließenden Parteien noch auch den Wert dieser in den "Chrysobullen" niedergelegten als echte und eigentliche internationale Abmachungen hätte beeintr ächtigen können.

4 Festschrift für Stephan verosta

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feststellen. Daher werden Abkommen zum Zweck der Beschränkung oder des Ausschlusses einer Zuflucht zu solchen Maßnahmen geschlossen. Die internationalen Beziehungen der Vasallität und der Abhängigkeit haben vor allem in der Nähe der Grenzen der mächtigeren Staaten zugenommen: verschiedene christliche Reiche Nordspaniens hängen vom Kalifat von Cordoba ab57 ; man kann sehen, daß einige slawische Staaten wie auch andere, einige ständig, andere von Zeit zu Zeit, Beziehungen dieser Art mit dem deutschen Königreich unterhalten; andere slawische Staaten, verschiedene Fürstentümer und einige italienische Städte wie auch einige islamische oder christliche Fürstentümer Asiens haben, wie wir bereits erwähnten, Bande der Subordination mit dem byzantinischen Reich; in einer analogen Situation befinden sich auch islamische afrikanische Souveräne vis-a-vis dem Kalifat von Kairo, usw. Der Krieg - für den man nunmehr auch eine konstante Praxis insbesondere mit Bezug auf die Materien des Abschlusses von Waffenruhen und Waffenstillstän den als auch, sehr vorsichtig, der Humanisierung, z. B. was den Loskauf der Gefangenen anlangt, zu entwickeln beginnt -der Krieg also bietet Gelegenheit, Allianzen, Koalitionen und Beziehungen der Neutralität zu begründen. Oft überwiegen dabei die besonderen Sachinteressen die religiösen und kulturellen Nahverhältnisse58• Was schließlich die Mittel der friedlichen Streitbeilegung anlangt, so treten Vermittlung und Schiedsspruch durch Dritte neben die direkten Verhandlungen59• Die christlichen Fürsten des Westens wenden sich zeitweilig an den Papst als Vermittler oder Schiedsrichter, aber zeitweilig auch an andere Souveräne. Es kommt auch häufiger als man denken sollte vor, daß muselmanische Souveräne Schiedsrichter in Streitigkeiten zwischen christlichen Souveränen werden und umgekehrt60. 57 Das Protektorat des Kalifen über das Königreich von Le6n brachte das Recht mit sich, in dessen bedeutendsten befestigten Plätzen Garnisonen zu unterhalten. Vgl. Defourneaux, La peninsule iberique, 296. 58 Trotz der Verurteilungen und wiederholten Appelle von Seiten des römischen Papstes wurden Freundschafts- und Allianzverträge zwischen den Seestädten Süditaliens und den Sarazenen von Tunis und von Sizilien abgeschlossen und durchgeführt. Siehe Vismara, Impium foedus, 140 ff., 148 ff. Über Beistands- oder Allianzverträge, die das Imperium von Byzanz mit dem Emirat von Ägypten und mit den Kalifaten von Cordoba und von Kairo gegen andere muselmanische oder christliche Fürstentümer abgeschlossen hat, siehe Vismara, Byzance et !'Islam, 40 ff. 59 Die Heiratsverträge, die auch königliche Häuser verschiedener Religionszugehörigkeit - lateinischer, griechischer und islamischer - verbanden, stellten ebenfalls ein häufiges Mittel zur Lösung zwischenstaatlich er Interessenskonflikte dar. so Zur Zeit, da das Kalifat von Cordoba am Höhepunkt seiner Macht stand, unterbreiteten die kleinen christlichen Königreiche Nordspaniens oft ihre

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XII. Der pluralistische Charakter der internationalen Gemeinschaft seit ihren Anfängen Aus der oben durchgeführten Untersuchung, und zwar sowohl aus der Zusammensetzung der euro-mediterranen internationalen Gemeinschaft nach den beiden ersten Jahrhunderten ihrer Existenz als auch aus den wichtigsten Beziehungen, die sich zwischen den politischen Einheiten, die der Gemeinschaft angehören, abspielen, ergibt sich eine Schlußfolgerung ganz klar. Diese Gemeinschaft hat jenen typisch pluralistischen Charakter, den sie seit ihren Anfängen gezeigt hat, bewahrt und sogar noch verstärkt. Die staatlich verfaßten Gesellschaften, deren Ausdruck die in dieser Gemeinschaft zusammengefaßten Souveränitäten sind, differieren untereinander hinsichtlich unzähliger Aspekte. Ihre ethnische Struktur ist häufig höchst heteroklit, und darüber hinaus wechseln die einzelnen Komponenten dieser Struktur bisweilen von einem Land zum anderen und auch unter Nachbarn. Der Unterschied zwischen den religiösen Gebräuchen, deren besondere Wichtigkeit für das Leben des einzelnen und der Gemeinschaft in jener Zeit man sicherlich nicht unterstreichen muß, beschränkt sich durchaus nicht auf den Gegensatz zwischen Christentum und Islam. Die christliche Welt sieht immer mehr das Aufbrechen des Grabens zwischen Griechen und Lateinern, und das ist nur der wichtigste Riß; daneben hat die islamische Welt fundamentale Unterschiede in den religiösen Tendenzen und Bewegungen erfahren und erfährt sie weiter, die häufig in politische Unterschiede übergehen. Das Zivilisations- und Kulturniveau variiert bis zu einem Punkt, wo man eine Region mit der anderen gar nicht mehr vergleichen kann, und das selbst in Entfernungen, die man selbst für die damalige Zeit als relativ nahe bezeichnen muß. Auch das wirtschaftliche und soziale Regime ist oft höchstverschieden. In den Staaten des westZiehen und zentralen Kontinentaleuropa herrschen, mit der daraus entstehenden Aufsplitterung, das Feudalregime und die geschlossene Agrarwirtschaft; in Nordund Zentralitalien und in Flandern beginnt man dagegen, die Wiederbelebung einer industriellen und handwerklichen Stadtwirtschaft festzustellen, die notwendigerweise offener ist, während die Wirtschaft der bekannteren italienischen Küstenstädte völlig auf die Schiffahrt und den Seehandel ausgerichtet war und sie zu einer einzelnen griechischen Städten in verschiedenen Epochen der antiken Welt vergleichbaren Seeherrschaft führte; in den islamischen Kalifaten ist die Wirtschaft zur Streitigkeiten dem Schiedsspruch des Kalifen oder erbaten seine Hilfe im Falle innerer Unruhen. Später sollte sich die Situation umkehren und es die christlichen Fürsten sein, die über die Streitigkeiten der kleinen muselmanischen Königreiche, in die das Kalifat im 11. Jahrhundert zerfiel, schiedssprachen. Vgl. Defourneaux, La peninsule iberique, 295, 298.

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Zeit ihrer jeweiligen höchsten Entwicklung ziemlich fortgeschritten und im allgemeinen von den Kriterien des industriellen und kommerziellen Liberalismus beeinflußt; die Sarazenenstaate n des Maghreb widmen sich hauptsächlich dem Seehandel und, als dieser zu Ende geht, der Piraterie; die Wirtschaft des byzantinischen Imperiums stützt sich auf einen bemerkenswert freien Handel, aber vor allem auf eine Industrie, welche im Gegensatz dazu von Staatsmonopole n und betontem Dirigismus charakterisiert ist; die Wirtschaft der Städte des Fürstentums von Nowgorod-Kiew basiert auf dem Handwerk und der Freiheit des Handels. Der Sklavenhandel, weithin geübt und in Kontinentaleuro pa und den muselmanischen Ländern die Quelle eines wichtigen Handelszweiges, ist anderseits anderswo, besonders in Byzanz, praktisch verschwunden. Auch die politischen und rechtlichen Institutionen unterscheiden sich grundlegend von einem Land zum anderen. Und doch hindern diese Unterschiede die politischen Einheiten des euro-mediterran en Bereichs überhaupt nicht, untereinander ohne Unterschied Beziehungen zu unterhalten, die die eine immer mehr und dauernder an die andere bindet: diese Beziehungen und die entsprechenden Regelungen derselben rühren nicht von einer Nähe der Herkunft, des Glaubens oder der wirtschaftlichen , politischen und sozialen Strukturen her, sondern von den konkreten Interessen dieser selben verschiedenen Einheiten und von den realen Bedürfnissen ihrer Koexistenz.

XIII. Falsche Auffassungen von den Anfängen der internationalen Gemeinschaft Die oben gemachten Feststellungen erlauben es, sich vom historischen Irrtum jener Autoren Re~enschaft abzulegen, welche - wenngleich die Anfänge der heutigen internationalen Gemeinschaft61 zurecht im hohen Mittelalter ansetzend - diese Gemeinschaft durchaus als anfänglich auf die Staaten der christlich germanisch-rom anischen Welt beschränkt angesehen haben, mit Ausschluß daher sowohl der byzantinischen wie der islamischen Welt. Für die Vertreter dieser Auffassung 62 hätten sich die christlichen Völker des europäischen Westens, zuerst im Gefolge der entscheiden61 Um diese schon jetzt lange Darstellung nicht noch weiter hinzuziehen, halte ich es nicht für angebracht, hier auch noch die meines Erachtens historisch verfehlten Meinungen in Erwägung zu ziehen, nach denen die Anfänge der heutigen internationalen Gemeinschaft in jüngerer Zeit liegen. 62 Unter jenen, die den größten Beitrag zu einer Definition des in Rede stehenden Konzeptes beigetragen haben, siehe vor allem Zimmermann, "La crise de l'organisation internationale a fin du Moyen Age", Recueil des Cours, 1933, II, 310 ff.; G. BaZZadore PaZZieri, Diritto internazianale pubblico 1. Aufl. Mailand 1937, 4 ff., und vom selben Autor die Einleitungen zu

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den Aktion des römischen Papstes im "Imperium christianum" vereint, später mit der Zerstückelung dieses Imperiums abgespalten, um eine Mehrheit von untereinander durch ausschließlich internationale Beziehungen verbundenen Königreichen und Fürstentümern zu bilden, angesichts der Tatsache, daß das Heilige römisch-deutsche Reich Ottos I. und seiner Nachfolger über diese Könige und Fürsten eine Souveränität lediglich auf ausschließlich internationaler Ebene ausgeübt hat 63 • Im Moment des Übergangs vom ersten zum zweiten Jahrtausend hätte sich diese christliche Staatengemeinschaft dann vermehrt, indem sie im Osten Polen und Ungarn - als auch, wie man sagt, Rußland64 - , im Norden England, Dänemark, Norwegen und Schweden, und noch später im Westen die nationale Union der spanischen christlichen Fürstentümer inkorporiert habe. Diese internationale Staatengemeinschaft sei also durch ihre gemeinsame Treue zum römischen Papst verbunden gewesen, und zwar derart, daß sie sich nunmehr selbst als "una res publica christiana" oder "res publica sub Deo" zu bezeichnen beabsichtigte65 • Es sei diese Gemeinschaft gewesen, die - indem sie auf die Beziehungen der sie bildenden Staaten Rechtsnormen anwendete, die aus einzelnen Grundsätzen der Moral und der Vernunft, ihrerseits aus Dogmen des Christentums gewonnen, hergeleitet gewesen seien - das "christliche Völkerrecht" ausgebildet hätte.

Balladore Pallieri I Vismara, Acta pontificia juris gentium usque ad annum MCCCIV, Mailand 1946, XIII ff.; Verdross, Völkerrecht, 1. Auf!. Berlin 1937, 5 ff. 63 In Wahrheit wurde eine suzerainete des römisch-deutschen Kaisers von keinen Königreichen als von jenen anerkannt, deren Kronen er in seiner Person vereinigte (nämlich von Deutschland, Italien und Burgund). Die kaiserliche Würde, die diese Union besiegelte, war ursprünglich Ausdruck der Absicht der sächsischen Dynastie, das karolingische Imperium wiederherzustellen, doch endeten diese Bestrebungen, wie man gesehen hat, mit einem Fehlschlag. Um diese Absichten zu realisieren, hätte es der Wiedervereinigung des Königreiches Frankreich mit den anderen drei Königreichen bedurft, doch blieb Frankreich stets außerhalb des Imperiums und von letzterem völlig unabhängig. 64 Verdross betrachtet Rußland als Teil der westlichen "Respublica christiana" des Mittelalters und führt zur Unterstützung dieses Schlusses den Umstand an, daß der Staat von Nowgorod-Kiew freundschaftliche Beziehungen mit verschiedenen Staaten der westlichen Welt gehabt habe, was auch zutrifft. Aber nicht weniger trifft zu, daß die Zahl dieser Beziehungen gering war im Vergleich mit denen, die derselbe Staat mit Byzanz unterhielt. Vom religiösen Standpunkt aus bewegte sich jedenfalls die russische Kirche völlig im Bereich der griechischen Kirche. 65 Es ist in der Tat ziemlich zweifelhaft ob man im Mittelalter jemals die Idee gehabt hat, eine zwischenstaatliche Gemeinschaft mit diesen Termini zu belegen. Worauf man sich dabei bezog, war entweder- in einem weiten Sinn - die Menschheit als solche, die universale Gemeinschaft der Menschen in ihrer Eigenschaft als Geschöpfe Gottes und ihm als solche unterworfen, oder - in einem engeren Sinn - jener Teil der Menschheit, der sich selbst geistlich als solcher verstand im gemeinsamen christlichen Glauben und in der gemeinsamen Unterwerfung unter das Lehramt der Kirche.

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Der Papst, ganz natürlich an die Spitze dieser mittelalterlichen internationalen Rechtsgemeinschaft gestellt, hätte in ihr jedoch nur einige beschränkte Herrschaftsmöglichkeiten gehabt: eine vage Macht der Anerkennung neuer Staaten und neuer Fürsten wie auch territorialer Veränderungen und eine im übrigen durchaus nicht ausschließliche Funktion als Vermittler und Friedensstifter in Konflikten zwischen christlichen Fürsten66 • Folglich sei die in Rede stehende internationale Gemeinschaft, als das durch die Reformation herbeigeführte Schisma die Stellung des römischen Papstes als zentrale Autorität dieser internationalen Gemeinschaft christlicher Staaten beendet habe, mehr oder weniger unverändert fortbestanden. Das "christliche europäische Recht" sei erst relativ spät "säkularisiert" worden, als im 19. Jahrhundert der Beitritt nichteuropäischer und gleichzeitig nichtchristlicher Staaten zu denselben Grundsätzen der Moral und des Rechts, die zu seiner Basis gehörten, ihm erlaubt habe, zum universalen Völkerrecht zu werden. Wie bereits betont worden ist, hat diese Konzeption das unbestreitbare Verdienst gehabt, daß von immer mehr Autoren zugegeben wurde, daß die Anfänge der heutigen internationalen Gemeinschaft ins Mittelalter hinaufführen, und den Irrtum jener Auffassung offenzulegen, welche früher einmal unbestritten gewesen war und behauptet hatte, daß diese Gemeinschaft erst vom 17. Jahrhundert her datiere. Jedoch abgesehen davon erscheint die Idee, die mittelalterliche internationale Gemeinschaft allein auf die Staaten des christlichen Westeuropas zu reduzieren, als in flagrantem Widerspruch mit der historischen Wirklichkeit. Schon vor längerer Zeit hatte ich Gelegenheit, diese Idee zu erschüttern, indem ich an die völkerrechtlichen Beziehungen der in Rede stehenden Staaten mit anderen, ebenfalls christlichen Staaten, jedoch griechischer Obödienz erinnerte, wie das byzantinische Imperium und der russische Staat, sowie an die Beziehungen mit islamischen Staaten. Ich habe daher den Umstand herausgestellt, daß man, wenn man den Beitrag der byzantinischen und muselmanischen Welt zur Herausbildung des Völkerrechts ignoriert, sich selbst grundlegender Daten für die Kenntnis und das Verstehen des Völkerrechts beraubt61. Auch andere Autoren - deren Auffassung sonst überhaupt 66 Zimmermann, La crise de l'organisation internationale . . ., 355, und Verdross, Völkerrecht, 7, verneinen, daß der Papst ex officio die Kompetenz

gehabt hätte, die Streitigkeiten zwischen Staaten schiedsgerichtlich beizulegen; Vismara, in seiner Einleitung zu den Acta pontificia ... , xxxiii, bestreitet, daß der römische Papst jemals als Gesetzgeber in den internationalen Beziehungen aufgetreten sei. 67 Vgl. meine Lezioni di diritto internazionale, Mailand 1943, 9. In seiner Vorlesung von 1964, "International Law in Europe ... ", 597 ff., bes. 613, hat Verosta unterstrichen, daß das byzantinische Imperium Erbe und Depositar der Oberlieferung der Grundsätze des Völkerrechts geblieben sei, die sich in den römisch-persischen Beziehungen seit Beginn des 2. Jahrhunderts ent-

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nicht mit der meinen übereinstimmt haben diese ausschließlich "christliche" Interpretation des Völkerrechts als ahistorisch und von einem abstrakten Rationalismus verdorben zurückgewiesen und auf der Bedeutung des islamischen Beitrags zu seiner Herausbildung bestanden68. Die historische Analyse, die wir auf den vorangegangenen Seiten hinsichtlich der beständigen Beziehungen, welche im 9. und 10. Jahrhundert die verschiedenen politischen Einheiten des euro-mediterranen Raumes verbanden, durchgeführt haben, bestätigt zur Gänze die Begründetheit dieser verschiedenen Beobachtungen. Darüber hinaus ist es geradezu schwierig, nicht von der gerade der Idee eines Völkerrechts, das wie eine kostbare Blume einer höheren Zivilisation entsprossen sein soll, innewohnenden Widersprüchlichkeit betroffen zu sein, wenn man bedenkt, daß dies gerade in den Grenzen eines Teiles von Europa geschehen sein soll, wo das Zivilisationsniveau, nach der übereinstimmenden Auffassung der Historiker, gegenüber dem Rest der euro-mediterranen Region noch einen Rückstand hatte69 • Der Grundirrtum besteht andererseits in der willkürlichen Vberzeugung, daß sich Recht nur in einem Bereich bilden kann, in dem man wickelten, und daher der Träger jener Tradition in seinen Beziehungen mit den Staaten des Westens und des Nahen Ostens gewesen sei. 68 Vgl. Paradisi, Studi e opinioni recenti sulla storia del diritto internazionale, 1. Aufl. 1974, neugedr. in: Civitas Maxima, 11, 599. Vgl. jüngst auch Giuliano, Diritto internazionale, Mailand 1974, I, 33. 89 Es ist verständlich, daß die Päpste, zu Zeiten in lebhafter Sorge über die Gefahr, die die zwischen den westlichen Fürstentümern oder den italienischen Seestädten und den sarazenischen Fürstentümern abgeschlossenen Allianzverträge selbst für Rom darstellten, sich auf die Lehre vom Corpus mysticum der Kirche beriefen - wie Vismara, Impium foedus, 124 ff., dartut -, um die christlichen Staaten von der religiösen und moralischen Schändlichkeit derartiger Allianzen zu überzeugen und sie davon abzubringen, solche abzuschließen. Doch erlaubt dies durchaus nicht, daraus den Schluß abzuleiten, daß die Lehre vom corpus mysticum ein Rechtsgrundsatz der zwischenstaatlichen Gemeinschaft jener Epoche geworden sei und die auf die als so bedauerlich bezeichneten Allianzen gerichteten Verträge aufgehört hätten, auf der Ebene der internationalen Rechtsbeziehungen eine Realität zu sein. Derselbe Vismara anerkennt (auf 140), daß "di fatto venivano normalmente osservati e adempiuti i trattati conclusi tra stati cristiani e stati musulmani, perfino i trattati d'alleanza", und unterstreicht auch, daß andererseits lediglich die Allianzen von der Kirche bekämpft wurden. Auf 117 schreibt er sogar, daß Handelsverbindungen, diplomatische Beziehungen, Verträge über den Austausch von Kriegsgefangenen, Waffenruhe- und Friedensverträge zwischen christlichen und muselmanischen Staaten als erlaubt und normal angesehen wurden. Auch scheint Vismara der These vom "christlichen" und "westlichen" Charakter der mittelalterlichen internationalen Gemeinschaft und ihres Rechtes ohne rechte Überzeugung und voller Reserven beizutreten. Die Studien dieses Autors - sowohl in seiner Arbeit über die Allianzen zwischen Christen und Ungläubigen als auch in jener über die Beziehungen zwischen Byzanz und dem Islam - haben eine ausgezeichnete Dokumentation geliefert, insbesondere von Wert für eine Bestätigung dieses pan-mediterranen und pluralistischen Charakters der mittelalterlichen internationalen Gemeinschaft.

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denselben religiösen Glauben, dieselben moralischen und juridischen Konzeptionen teilt. Das Völkerrecht des Mittelalters als Reservat einer kleinen geschlossenen Gruppe von Staaten des christlichen Westens aufzufassen, ist genauso falsch, wie das Völkerrecht der Antike als allein auf die Gemeinschaft der griechischen Stadtstaaten bezogen anzusehen. Die Normen des mittelalterlichen Völkerrechts sind überhaupt nicht das Resultat der abstrakten Anwendung des Konzepts einer sauberen societas, von Prinzipien, die im Wege der logischen Deduktion aus Dogmen oder aus einer anderen Wertordnung zugehörenden Lehren gezogen oder gleichsam vom juridischen System einer präexistenten und vielfältigen menschlichen Gemeinschaft geborgt sind. Normen wie jene, die sich auf die Sicherheit der zur Beilegung eines Konfliktes oder ganz allgemein zu Vertragsverhandlung en abgeordneten Missionen, oder auf die Garantie der Freiheit und der für die Erledigung ihrer Aufgabe absolut notwendigen Erleichterungen, die Modalitäten des Vertragsabschlusses, die Garantien der Vertragserfüllung, die Begründung von Beziehungen internationaler Abhängigkeit, den Schutz von Menschen, die sich in ferne Lande begaben und sich daselbst zum Zwecke der Förderung des Handels niederließen, das Los der zu Wasser oder zu Lande gemachten Kriegsgefangenen, den Abschluß von Waffenruhen und Waffenstillständen, etc., bezogen, entsprangen direkt und spontan aus der Koexistenz der Mitglieder der neuen zwischenstaatlichen Gemeinschaft, die sich um das Mittelmeerbecken konstituiert hatte. Diese Normen wurden unter dem Anstoß der Notwendigkeiten zur Organisation und Entwicklung dauerhafter Beziehungen zwischen souveränen politischen Einheiten geboren: Einheiten, die - wie man gesehen hat- grundlegend verschieden, aber gleichzeitig dazu bestimmt waren, im gleichen geopolitischen Bereich zusammenzuleben und dort vielfältige Beziehungen auf der Grundlage des Zusammenfalls oder der Differenz ihrer Interessen zu unterhalten. Lediglich mit Bezug auf diese konkreten Notwendigkeiten haben sich die betreffenden Normen herausgebildet und sich in der Staatenpraxis durchgesetzt, der Praxis aller Staaten der euro-mediterranen Zone. Es ist einleuchtend, daß die oben dargelegten Gründe mich gleichermaßen hindern, der Auffassung wieder anderer Autoren beizutreten, nach welchen das Mittelalter durch die parallele Existenz dreier verschiedener und getrennter internationaler Gemeinschaften charakterisiert gewesen wäre: der westlich-katholischen , der byzantinisch-orthodoxen und der arabisch-islamischen70 • 70 Siehe besonders Stadtmüller, Geschichte des Völkerrechts, 47 ff., 52 ff. und 58 ff. Verosta scheint in: Die Geschichte des Völkerrechts, 51 ff., 57 ff. und 60 ff., zu einer analogen Auffassung zu neigen, doch erscheint dieselbe wesentlich überwunden in seinem darauffolgenden Werk "International Law in Europe ... ".

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Meines Erachtens liegt eine offensichtliche Konfusion sowohl dieser wie auch den vorerwähnten Konzeptionen zugrunde. Daß einzelne menschliche Gemeinschaften an einer gemeinsamen Zivilisation teilhaben, ist eine Sache, eine andere, daß souveräne politische Einheiten, die zu bestimmten Gruppierungen gehören, einer und derselben zwischenstaatlichen Gemeinschaft zuzurechnen sind. Es ist kein Zweifel, daß im Mittelalter drei verschiedene und unterschiedliche Zivilisationen, drei "Welten", wie man sagen könnte, um einen zu Analogiezwecken heute häufig gebrauchten Terminus zu verwenden, im sogenannten euromediterranen Bereich im gegenseitigen Kontakt gestanden sind. Aber das will nicht heißen, daß die staatlichen Bildungen, die jeweils Teile dieser drei Welten gewesen sind, sich untereinander auf politischer, wirtschaftlicher und juristischer Ebene ignoriert, daß sie nicht untereinander dauerhafte Beziehungen im Schoße einer einzigen zwischenstaatlichen Gemeinschaft gepflogen hätten. Schließlich ist der Umstand von Bedeutung, daß die Konklusionen der hier erwähnten Autoren viel eher Deduktionen aus gewissen theologischen oder philosophischen Doktrinen entstammen als einer Induktion aus Fakten, welche dieselben Autoren aus der Realität des internationalen Lebens jener Epoche durchaus entnehmen konnten71 • Das erklärt den inneren Widerspruch des Umstandes, daß man einerseits die Idee der drei "internationalen Gemeinschaften", die miteinander zwar in Kontakt gelebt hätten, aber sonst völlig getrennt geblieben wären, verkündete und andererseits aufzeigte, daß die Mitglieder jeder dieser drei Gemeinschaften mit Mitgliedern der anderen dauernde internationale Beziehungen unterhalten hätte: Beziehungen, die oft intensiver gewesen sind als jene, die die Mitglieder derselben "Gemeinschaft" unterhalten haben. Ein glücklicher Widerspruch übrigens, weil - trotz der verkündeten Theorien - die in Rede stehenden Autoren einen nützlichen Beitrag zur Herausarbeitung dieser Beziehungen und des Beitrags aller Staaten des Mittelmeerraumes zur Herausbildung des gemeinsamen Erbes, des Völkerrechts jener Zeit- wobei der Unterschied der religiösen Überzeugungen, der Traditionen, Institutionen und Strukturen niemals ein entscheidender Faktor für die Förderung oder die Hinderung dieses Beitrags gewesen ist- geleistet haben72 • 71

Dies gilt insbesondere für Stadtmüller, Geschichte des Völkerrechts,

47 ff., 52 ff. und 58 ff.

72 Es ist übrigens im selben Werk, daß Verosta in verdienstlicher Weise ganz allgemein die "internationale Koexistenz" des Kalifats von Bagdad mit dem Imperium von Byzanz und die freundschaftlichen Beziehungen desselben Kalifats mit dem karolingischen Imperium herausgearbeitet hat. So stellt er u. a. fest, daß alle am Rande der Respublica Christiana gelegenen Staaten wie auch die Handelsrepubliken Nord- und Südeuropas internationale Rechtsbeziehungen mit nichtchristliehen Staaten unterhalten haben, und unterstreicht den besonderen Beitrag Byzanzens zur Festschreibung des

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XIV. Schlußbemerkung Dies einmal festgehalten, kann man nicht ausschließen, daß sich bestimmte Spezialnormen oder vor allem besondere Verfahren in einem engeren Rahmen gebildet haben mögen, nämlich zwischen Staaten mit besonderer Affinität: es ist dies ein Phänomen, das sich in jeder einmal bestanden habenden zwischenstaatlichen Gemeinschaft feststellen läßt und das immer von neuem vorkommt. Aber ein derartiger Umstand hat offenbar keinerlei Einfluß auf die allgemeine Konklusion, mit der er Hand in Hand geht, d. h., daß im euro-mediterranen Bereich im Mit-

telalter eine internationale Gemeinschaft bestanden hat, die alle die verschiedenen Staaten dieser Region umfaßte: eine einzige pluralistische Gemeinschaft, nicht eine Mehrheit verschiedener Gemeinschaften.

Der Umstand, daß die in dieser einzigen Gemeinschaft erzeugten Normen keine katholische, orthodoxe oder islamische Etikette trugen, sollte sich in all seiner Bedeutung an jenem Tage zeigen, an dem es sich darum handelte, die äußeren Grenzen der in Rede stehenden Gemeinschaft für die Teilnahme politischer Formationen anderer Regionen zu öffnen und ihr Recht den Notwendigkeiten einer weltweiten zwischenstaatlichen Gemeinschaft, welche insofern noch typischer pluralistisch sein sollte, anzupassen.

Vertragsabschlußverfahrens. In Besonderheit stellt derselbe Autor fest, daß sich das internationale Recht der diplomatischen Missionen, das See- und das Neutralitätsrecht vor allem in den Beziehungen zwischen den italienischen Seestädten, dem Imperium von Konstantinopel und den islamischen Staaten wie auch zwischen den christlichen und islamischen Staaten in Spanien entwickelt hat. Er macht auch deutlich, daß die Niederlassungsverträge zwischen Venedig und Byzanz, zwischen Byzanz und den Kalifaten sowie zwischen Venedig und den islamischen Staaten den Weg für das geöffnet haben, was später das Kapitulationsregime mit dem ottomanischen Reich werden sollte; und er arbeitet den Umstand heraus, daß Byzanz in großem Maße zur näheren Bestimmung der Beziehungen des internationalen Protektorats mit christlichen und muselmanischen Staaten beigetragen und selbst bestimmte Formen des "coimperium" mit dem Kalifat über Länder wie Armenien, Georgien und;Zypern begründet hat. Man muß anmerken, daß auch Verdross, in der ersten Auflage seines Völkerrechts auf 5, den Beitrag von Byzanz zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert zur Bildung "des europäischen Gesandtschaftsrecht" und jenen der muselmanischen Staaten zur Entwicklung der Normen des Kriegsvölkerrechts und der internationalen Rechtsbeziehungen "der christlichen Welt" erwähnt hatte.

EUROPARECHT IM ÖSTERREICHISCHEN GESETZ ÜBER DAS STUDIUM DER RECHTSWISSENSCHAFTEN Von Ignaz Seidl-Hohenveldern § 5 Abs. 2. 2. Z. 11 lit. c des Bundesgesetzes vom 2. März 1978 über das Studium der Rechtswissenschaften, BGBL No. 140/1978, sieht als Wahlfach zur zweiten juristischen Diplomprüfung das Fach "Europarecht einschließlich des Rechts supranationaler Organisationen" vor. Handelt es sich bei diesem Fach um einen Teil des Fachgebietes Völkerrecht oder um ein eigenständiges Fach und wie wäre dieses gegebenenfalls abzugrenzen?

Aus der Tatsache, daß § 5 Abs. 2 Z. 7 das "allgemeine Völkerrecht und Grundzüge des Rechtes der Internationalen Organisationen" als Pflichtprüfungsfach der zweiten Diplomprüfung bezeichnet, kann nicht der Gegenschluß gezogen werden, daß das Europarecht ein aliud zu diesem Fach darstellen müsse. Das beweist schon das Verhältnis des Wahlfaches "Ausgewählte Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts" (§ 5 Abs. 2 Z. 11 lit. a)) zu dem Pflichtfach "Allgemeines Verwaltungsrecht einschließlich Verwaltungslehre, Verwaltungsverfahrensrecht und ausgewählte Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts" (Art. 5 Abs. 2 Z. 6). Das Gesetz geht bei seiner Umschreibung des Faches "Europarecht" offenbar von einem Begriff des Europarechts aus, der nicht nur das Recht der drei Europäischen Gemeinschaften umfaßt, die sich seit kurzem "Europäische Gemeinschaft" nennen1 . Es gibt zwar weder eine Legaldefinition des Begriffes "Europa" noch des Begriffes der "supranationalen Organisationen". Dennoch findet sich in ganz Europa, auch wenn wir darunter das Gebiet vom Atlantik bis zum Ural verstehenaußer den Europäischen Gemeinschaften -, keine internationale Organisation, bei der die in jeder solchen Organisation im Ansatz notwendigerweise vorhandenen2 supranationalen Elemente so stark geworden wären, daß die herrschende Lehre sie als supranationale Organisation 1 Vgl. Entschließung des Europäischen Parlaments, Bundestags-Drucksache 8/1580. 2 Seidl-Hohenveldern, Le juriste regarde l'integration europeenne, in College d'Europe (Hrsg.), Seiences humaines et integration europeenne (1960), s. 178.

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bezeichnen würde. Praktisch erfüllt auch keine außereuropäische Organisation die hierfür von der Lehre aufgestellten Bedingungen3, auch nicht der Andenpakt, der Zentralamerikanische Gemeinsame Markt4 oder der inzwischen aufgelöste Ostafrikanische Gemeinsame Markt5 • Die Wahlfachgruppe Europarecht schließt also das Recht der Europäischen Gemeinschaften, der einzigen gegenwärtig bestehenden supranationalen Organisationen, ein, umfaßt darüber hinaus aber noch andere Organisationen und Materien. Dieses Verständnis des Begriffes lag auch einem Fragebogen des Europarates aus dem Jahre 1967 zugrunde6. Dort verstand man unter "droit europeen": "a} das vergleichende europäische Recht, d. h. die aus dem Vergleich der nationalen Rechte sich ergebenden gemeinsamen Rechtssätze oder Rechtsvorstellungen, b) das vertragliche europäische Recht, d. h. die Verträge zur Errichtung der Europäischen Gemeinschaften und die Abkommen und Übereinkommen im Rahmen des Europarats, und schließlich c) das Recht der europäischen Organisationen, d. h. deren internes Gemeinschaftsrecht'." Wie rasch sich die Dinge insoweit zumindest innerhalb der Bundesrepublik Deutschland entwickelt haben, zeigen folgende Tatsachen. In einem Vortrag in Thessaloniki führte Mosler8 1965 aus, daß es "unmöglich wäre, alle übrigen Länder Europas [außer der damaligen Sechsergemeinschaft] als "außerhalb eines Europarechts stehend anzusehen, das diesen Namen verdient. Wäre das Europarecht auf die Länder des Gemeinsamen Marktes beschränkt, so würde es zweifellos ein Mißbrauch sein, von einer solchen Disziplin der Rechtswissenschaften zu sprechen". Schon die Antworten auf dem Europarat-Fragebogen ergaben aber, daß "Gegenstand der Lehre des Europarechts ganz überwie3 Diese Bedingungen finden sich u. a. bei Seidl-Hohenveldern, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften (3. Aufl. 1979), S. 7 - 8. 4 über die dort vorhandenen supranationalen Ansätze siehe Hummer, Subregionale Präferenzzonen als Mittel lateinamerikanischer Integrationspolitik, Zeitschrift für Lateinamerisa Wien, 8-1975, S. 86 bzw. 22. 6 Akiwumi, Judicial Aspects of Economic Integration Treaties in Africa, in Academie de Droit International (Hrsg.), Colloquium 1971 on Legal Aspects of Economic Integration, S. 88 f. 6 Conseil de l'Europe, Doc. EXP/Spec. Comp. (67) 14, zitiert bei Mosler, Begriff und Gegenstand des Europarechts, ZaöRV 28 (1968), S. 482. 7 Ebd., S. 489 - 490. 8 Mosler, Europarecht ein neues Fach der Rechtswissenschaft?, Aphisroma Ch. Fragistas (Thessaloniki 1968), S. 4?.!1.

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gend die Europäischen Gemeinschaften sind"9. 1968 wurde es vielfach schon "als selbstverständlich vorausgesetzt, daß mit Europarecht nur das mittelbar oder unmittelbar von den Europäischen Gemeinschaften und für diese erzeugte Recht zu dieser Disziplin gehöre" 10, und 1977 gibt Bleckmann einem Buch den Titel "Europarecht. Das Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft" - ohne dieser geographischen Einengung des Begriffes Europa auch nur ein erklärendes Wort zu widmen. Die Gleichsetzung der Begriffe Europarecht und Recht der EG ist einfach selbstverständlich geworden. Sie schlägt sich z. B. auch in der Abgrenzung der Einkaufspraxis des Instituts für Europarecht und des Instituts für Völkerrecht und ausländisches öffentliches Recht der Universität Köln nieder. Man kann wohl annehmen, daß die Entwicklung auch sonst innerhalb der Staaten der Europäischen Gemeinschaft im gleichen Sinn verlaufen ist. Interessant wäre es, festzustellen, ob diese Begriffseinengung aber auch in jeweils sprachverwandten Nichtmitgliedstaaten, also insbesondere in der Schweiz, der DDR und den Vereinigten Staaten übernommen wurde. Der Österreichische Gesetzgeber hat jedenfalls an einem umfassenderen Begriff des Europarecht festgehalten. Das Gesetz sagt zwar nicht, das Recht welcher anderen Organisationen neben dem der supranationalen Gemeinschaften es zum Europarecht zählt. Es ist aber wohl davon auszugehen, daß es diesen Rahmen zumindest so weit ziehen will wie der Europarat und - diesem folgend - Mosler. Nach Mosler sollte 1965 das Europarecht auch noch das Recht der OEEC11 und des Europarats12 sowie - falls sie sich als Dauereinrichtung bewähren sollte13 auch das Recht der EFTA umfassen14 • Diese Organisationen sind aber zweifelsohne "klassische" Internationale Organisationen. Die Lehre ihres Rechtes gehört genau so zur Völkerrechtslehre wie die Lehre etwa des Rechtes der Vereinten Nationen. Mosler wollte zwar das "Europarecht" in dem weiten, von ihm gesteckten Rahmen aus dem Völkerrecht herauslösen. Es beruhe wohl auf völkerrechtlicher Grundlage15, sei aber gegenständlich und territorial begrenzt16 und wirke weniger in den Bezeichnungen zwischen Staaten als vielmehr für die Rechtssubjekte des innerstaatlichen Rechts der 9 Mosler, ZaöRV 28 (1968), S. 490. 1o Ebd., S. 489. 11 Fragistas-Festschrift, S. 434. 1t Ebd., S. 430 ff. 13 Dies ist inzwischen wohl geschehen. 14 Ebd., S. 435 sowie ZaöRV 28 (1968), S. 495 Anm. 43. 15 Fragistas Festschrift, S. 437, ZaöRV 28 (1968), S. 483. 1e ZaöRV 28 (1968), S. 483.

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Mitgliedstaaten 17 • Wohl deshalb zählt Mosler das Recht der NATO und der WEU nicht zum Europarecht 18 • Aber auch die Akte dieser Organisationen könnten sich sehr wohl auch auf die Einzelnen in deren Mitgliedstaaten auswirken, z. B. durch Änderung der Wehrdienstvorschriften. Einen unmittelbaren Durchgriff des Rechtes der Organisation auf die einzelnen Einwohner der Mitgliedstaaten kann Mosler ja nicht als Erfordernis für die Abgrenzung seines Europarechts aufstellen. Dies würde ja zu der von ihm abgelehnten Gleichsetzung Europarecht = Recht der Europäischen Gemeinschaften führen. Wenn Mosler weiter darauf abstellt, daß das Völkerrecht im Gegensatz zum Europarecht eine universale Rechtsordnung seP 9 , müßte er eigentlich auch alle partikulären Völkerrechtsnormen aus dem Völkerrecht aussondern ebenso wie alle internationalen Organisationen, die in voller Absicht (wie z. B. die Araberliga) oder faktisch (wie z. B. die Weltbank) nicht alle Staaten der Welt zu ihren Mitgliedern zählen. Die Abgrenzung des Begriffes Europarecht in einem mehr als das Recht der Europäischen Gemeinschaften umfassenden Sinn - wie er Mosler und dem Österreichischen Gesetzgeber vorschwebt - vom Völkerrecht ist aus der Natur der Sache heraus nicht zu rechtfertigen. Ich würde es dennoch für verfehlt halten, wenn man nun etwa de lege ferenda oder in der Praxis auch in Österreich das Europarecht auf das Recht der Europäischen Gemeinschaften einengen und dieses so verstandene Europarecht aus dem Völkerrecht aussondern wollte. Die Mehrheit der deutschen Europarechtler20 sieht das Gemeinschaftsrecht zwar als ein Recht sui generis neben dem Völkerrecht und dem innerstaatlichen Rechtan-ebenso wie dies Gerichte in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften21 tun. Nun haben aber diese Staaten die Gemeinschaftsverträge durch spätere völkerrechtliche Verträge z. T. ohne Einhaltung der darin für deren Änderung vorgesehenen Vorschriften geändert. Daraus folgt, daß auch das Recht der Gemeinschaften weiterhin als Bestandteil des Völkerrechts und nicht etwa als eine Art durch Gesamtakt22 geschaffener "Bundesverfassung" anzusehen ist. Im letzteren Fall wäre ein solches Vorgehen ein "Staatsstreich", während es sich in Wirklichkeit doch nur um die Anwendung der völkerFragistas Festschrift, S. 437. Ebd., S. 430. to ZaöRV 28 (1968), S. 483. 2 o So H. P. lpsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht (1972), S. 108. 21 Verwaltungsgericht Frankfurt (2. Kammer) 18. 3. 1970, Europäische Rechtspr. 1970, KSE 2 h Nr. 4099 u. Tribunale di Brescia 18. 3. I 30. 3. 1971, Europ. Rechspr. 1972, KSE 2 j, Nr. 4826. EuGH 13. 11. 1964, Rs. 90 und 91/63, Slg. X (1964), S. 1329 (1344). 22 H. P. lpsen, ebd., dagegen Köck, Der Gesamtakt in der deutschen Integrationslehre (1978), S. 42 und 51. 11

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rechtlichen Regel handelt, daß die Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrages durch einen späteren Vertrag zwischen den gleichen Partnern aufgehoben werden kann23 . Dieser Postulierung eines Sonderstatus für das Recht der Europäischen Gemeinschaften neben Völkerrecht und innerstaatlichem Recht schwebt - bewußt oder unbewußt - noch immer die politische Absicht vor, das Band zwischen den Mitgliedstaaten der Neunergemeinschaft als Vorstufe einer engeren, zumindest bundesstaatsähnlichen Verbindung anzusehen. Das Recht zu einem solchen Zusammenschluß steht den Mitgliedstaaten der EG als souveränen Staaten zweifellos zu. Mangels einer Legaldefinition oder eines Markenschutzes für den Begriff "Europa" können sie diesem Zusammenschluß genauso gut den Namen Europa geben wie sie ihn Ruritania nennen könnten. Vom Österreichischen Standpunkt aus schwingt aber da doch ein Unbehagen mit. Man fühlt sich an den Streit zwischen den Kleindeutschen und den Großdeutschen im 19. Jahrhundert erinnert 24 • Gefühlsmäßig reicht der Begriff "Europa" nun einmal weiter als die Neunergemeinschaftund selbst weiter als eine Gemeinschaft, die alle in letzter Zeit erteilten grundsätzlichen Aufnahmezusagen wirklich eingelöst hätte. Wenn es für die Zugehörigkeit zu Europa neben geographischen Kriterien auf das Bekenntnis zu einer gemeinsamen freiheitlich-demokratischen politischen Überzeugung und zur Marktwirtschaft ankommt25, ist die Ausschließung der übrigen Länder des Europarats genauso mißlich wie es die Ausschließung der deutschsprachigen Teile des Kaiserreichs Österreichs aus dem Deutschen Bund war. Dieser Vergleich ließe sich sogar noch weiter ziehen. Geographisch und kulturell gehören auch Staaten zu Europa, die in einem auf den eben angeführten politischen und wirtschaftlichen Werten beruhenden Europa genauso ein Fremdkörper wären wie es nichtdeutschsprachige Gebiete des Kaiserreichs Österreich im Deutschen Bund waren, der letztlich auf einer nationalen Gemeinsamkeit beruhen sollte, die ihrerseits nicht zuletzt auf die Gemeinsamkeit der Sprache sich zu stützen versucht war. Dieser Vergleich hinkt aber deshalb, weil einerseits die Bindungen zwischen den übrigen Staaten des Europarates und den osteuropäischen Staaten schwächer sind als die Bindungen zwischen den verschiedenen Volksstämmen im Kaiserreich Österreich und andererseits die kulturellen-geographischen Bindungen Osteuropas an Kleineuropa relativ stär23 Seidl-Hohenveldern (Anm. 3), S. 11; ders., Das föderalistische Prinzip als Mittel einer vergleichenden Darstellung des Rechts der Internationalen Organisationen, Leibholz-Festschrift (1966), Bd. I, S. 798. 24 Hierzu Verosta, Theorie und Realität von Bündnissen (1978), S. 32, 49,

130, 189 - 190. 25 So Mosler, Fragistas-Festschrift, S. 423.

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ker sind als diejenigen der nichtdeutschen Bevölkerung des Kaiserreichs Österreich an Kleindeutschland. Wie dem auch sei, jedenfalls kann und will das heutige Österreich weder einen engeren Zusammenschluß der Neunergemeinschaft noch die Behauptung eines Sonderstatus für ein "Europarecht" neben Völkerrecht und innerstaatlichem Recht, nach entsprechender Einengung des Begriffes "Europa" verhindern. Österreich muß aber diese Entwicklungen nicht nachvollziehen. Der Österreichische Gesetzgeber hat also gut daran getan, den Begriff des Europarechts weiter zu fassen. Mit diesem großeuropäischen Begriff des Europarechts geht aber dessen Einordnung in das Völkerrecht Hand in Hand. Nach der vom Österreichischen Gesetzgeber gewählten Formulierung könnte der Begriff des Europarechtes auch das Recht des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe umfassen. Eine solche Ausweitung wäre jedenfalls vom Begriff "Europa" her möglich26 . Ob sie aber auch didaktisch ergiebig wäre, hängt davon ab, wie intensiv sich die Beziehungen mit diesen Staaten in Zukunft entwickeln27. Aus didaktisch-praktischen Gründen läßt sich eine Aussonderung des so oder so verstandenen Europarechts aus dem Recht der sonstigen Internationalen Organisationen rechtfertigen, obgleich Sereni28, SeidlHohenveldern29 und Schermers30 es als sachgerecht ansehen, die Strukturen der europäischen internationalen Organisationen einschließlich der Europäischen Gemeinschaften jeweils gleichzeitig mit den entsprechenden Institutionen weltweiter Organisationen oder von Regionalorganisationen anderer Regionen zu behandeln. Für die Einbeziehung dieser letzteren Gruppen spricht, daß dadurch eine Rechtsvergleichung zwischen den Strukturen internationaler Organisationen auf eine breitere Basis gestellt wird. Der Einbeziehung der Supranationalen Gemeinschaften liegt darüber hinaus die rechtspolitische Überlegung zugrunde, die Ansätze zu stärkerer Integration, die sich in vielen Internationalen Organisationen finden, nicht abzuschneiden. Diese Gefahr bestünde aber, wenn man den Unterschied zwischen "klassischen" internationalen Organisationen und supranationalen Gemeinschaften nicht als quantitativen Unterschied im Integrationsgrad internationaler Organisationen ansehen, sondern die Gemeinschaften als etwas wesensmäßig anderes als diese Organisationen betrachten würde31 • Mosler, ZaöRV 28 (1968), S. 495. Hiezu Seidl-Hohenveldern, Umfang und Intensität einer rechtlichen Einigung Europas, Jahrreiss Festschrift (1974), S. 249-251. 28 Sereni, Diritto Internazionale, Bd. II/2 (1960). 29 Seidl-Hohenveldern, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften (1967, 3. Aufl. 1979). 30 Schermers, International Institutional Law (3 Bände, 1972 - 74). 28

27

Europarecht im Österreichischen Gesetz

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Die Darstellung der Strukturen dieser europäischen Organisationen ist zweifellos ein Teil der Lehre des Europarechts. Sie geht logisch der ebenfalls zum Europarecht zu zählenden Lehre des materiellen Rechts der Europäischen Gemeinschaften voraus. Es erscheint mir nicht nur möglich, sondern sogar angezeigt, die für Österreich wichtigsten Themen des materiellen EG-Rechts bei der Lehre der einschlägigen innerstaatlichen Regeln zu erörtern32 - also z. B. das EG-Kartellrecht zusammen mit dem Österreichischen Kartellrecht, den Schwellenpreis bei der Darlegung des allgemeinen Zollrechts und die Bemühungen der EWG um Rechtsangleichung 33 im Rahmen der Erörterung der dabei ja vorrangig angewandten34 rechtsvergleichenden Methode. All das gehört zum Europarecht. Diese Erörterungen hängen aber in der Luft, solange der Student den Rechtssetzungs- und Rechtsdurchsetzungsmechanismus der EG nicht kennt, genauso wie dessen Kenntnis für ihn farblos bleibt, solange er nicht erfährt, wozu dieser Mechanismus schließlich dient35 • So scheint mir eine Arbeitsteilung in der Lehre angezeigt wie sie etwa in Köln nach freundschaftlicher Absprache schon seit langem praktiziert wird. Schwierigkeiten könnten sich lediglich dann ergeben, wenn ein Student, der lediglich auf dem institutionellen bzw. materiellrechtlichen Teil des Europarechts gearbeitet hätte, behaupten könnte, er sei nun auf dem gesamten Gebiet des Europarechts hinlänglich ausgewiesen. Die eben erwähnten Sachzwänge dürften dafür sorgen, daß ein solches Beispiel Theorie bleibt.

31 Seidl-Hohenveldern (oben Anm 3), S. 8 - 9. Kritisch hierzu H. P. Ipsen, S. 12- 13. Gegen dessen Kritik wendet sich Köck, S. 78. 32 Seidl-Hohenveldern, Leibholz-Festschrift, Bd. I, S. 798; ders., Über die Abgrenzung der Darstellung des Rechtes der Internationalen Organisationen von derjenigen des allgemeinen Völkerrechts, Akrothinia Petros Valindas (1966), s. 264. 33 Mosler, ZaöRV 28 (1968), S. 499. a2 Seidl-Hohenveldern, Leibholz-Festschrift, Bd. I, S. 798; ders., Über die Angleichung in Angleichung des Rechtes der Wirtschaft in Europa, Kölner Schriften zum Europarecht, Bd. 11 (1971), S. 177 - 178. 35 Mosler, Fragistas-Festschrift, S. 420- 421.

5 Festschrift für Stephan Verosta

SOVIET THEORY OF SOURCES OF INTERNATIONAL LAW By Grigory I. Tunkin The various theories of sources of international law current in the capitalist countries since Grotius may be divided into four groups: naturallaw theories, positivist theories, sociological theories and mixed theories. Some of these theories maintain that norms of international law grow directly from other social phenomena (natural law theories and sociological theories), while others (positivist theories) on the contrary, alienate internationallaw from social factors which constitute the basis of its existence. The characteristic feature of the Soviet theory of sources of international law is that while considering the process of creating norms of internationallaw as a specific social phenomenon, it does not divorce it from the social environment which exercises decisive influence on this process. It seams, however, that the term "sources" itself has greatly contributed to the confusion in the theory of sources of internationallaw. Indeed, the norm-creation is a process while the term "sources" does not convey this idea.

Although using a generally accepted term "sources" of international law we shall in fact discuss a general theory of the norm-creating process in internationallaw. Soviet theory of international law and, as its part, the theory of sources of international law is based on the Marxist-Leninist theory of society. According to this theory, the system of all social relations decisively depends on "the mode of production of material life". This mode of production is characterized by the forces of production and relations of production. "The productive forces are the forces by which society influences nature and changes it1." The social forces of production comprise two quite different elements: means of production created by society and all the instruments of labour, and people who put them into operation. 1

The Fundamentals of the Marxist-Leninist Philosophy, Moscow, 1974,

p. 305. 5•

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In creating material goods people enter into various relations with one another. These relations may by either productive-technical or social. Social relations of production are characterized by the distribution of means of production in the society or, in other words, by the ownership of the basic means of production. Production relations comprise not only the relations in the process as such of production of material goods, but also the relations of exchange of goods, services etc. Productive forces and relations of production are two inseparable aspects of social production. They are in constant interaction. Historical law of this interaction is the correspondence of the relations of production to the character and the level of development of forces of production. lt should, however, be emphasized that it is not a one way influence of the forces of production upon relations of production; in is an interaction between them in which relations of production exercise their influence on the development of forces of production as well. The equilibrium between these two social phenomena is relative. Forces of production constitute a more fluent element. The evolution of the forces of production makes the existing relations inadequate and, as Marx puts it, "from forms of development of the productive forces they turn into their fetters." A social revolution becomes unavoidable to change the inadequate relations of production and create new relations of production which would correspond to the changed character and level of the productive forces. Revolutionary change in relations of production which constitute "economic foundation of the entire immense superstructure" leads more or less rapidly to a drastic change in the whole superstructure. A new socio-economic formation emerges. Each socio-economic formation is a special "social organism" which distinguishes itself from another socio-economic formation by the character and Ievel of productive force, by the nature of the relations of production, or, in other words, by the economic structure of society. Each socio-economic formation has its specific superstructure distinct from the superstructure of other socio-economic formation. lnternationallaw, as weH as nationallaw, is apart of superstructure of which principal features are determined by the economic structure of society. That means that international law of one socio-economic formation is distinct from international law of another socio-economic formation. Accordingly, we distinguish the following historical types of international law: international law of the slave-owning society, feudal international law, bourgeois international law and contemporary international law which is the law of the period of transition from

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capitalism to socialism, a law of coexistence of states with different socio-economic systems. Each historical type of international law distinguishes itself from another type of international law not only by its nature and its normative content, but also to a greater or lesser degree by its sources. I therefore shall limit myself to the problern of sources of contemporary internationallaw. Soviet theory of sources of international law has been developing since the Great October socialist revolution. I see my task in presenting contemporary Soviet theory of sources which dates approximately from the late 50-s. Of course there are differences of opinion among the soviet international lawyers with regard to the sources of international law. I am going to discuss the leading theory of sources which is the theory of the coordination of the wills of state. The fundamental premise of this theory is that in an international system consisting primarily of sovereign and equal states there is no other means of creating rules of law binding upon these states except by the coordination of the wills of states regarding the contents of the rules and their recognition as legally binding. lt is evident that this theory is closely connected with the bourgeois theory of agreement which was a dominant theory during the second half of the 19th and the beginning of the 20th century. This theory also preceeded from the assumption that in a system of sovereign states agreement between them is the sole mode of creating norms of internationallaw.

The soviet theory of the coordination of the wills of states has taken from the bourgeois theory of agreement a rational core, namely the proposition that in the society of sovereign states the coordination of the wills of states, of which the agreement is the principal form, is the only means of creating norms of internationallaw. The bourgeois theory of agreement was a formalistic theory which did not investigate the essence of the norm-creating processes in internationallaw. The theory of the coordination of the wills of states is a new theory.

It is based on the Marxist-Leninist theory of society and theory of law. It is characterised by the following main features.

Norms of internationallaw originate and develop in the international system. As the international system functions permanently, the process of creating norms of international law is also a permanent process.

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That means that international law is in a process of constant change. There is nothing new in this statement, but still it poses some problems and, first of all, the centuries old problern of stability and change. The constant dynamism of internationallaw does not mean however, that one cannot define what are norms of international law at a certain moment. In this respect our theory differs essentially from that of Professor McDougal. We confront our theory of sources with the sociological theory of McDougal because they represent two main and opposite theories of international law and international relations: one based on power politics and the other on peaceful coexistence of states. Professor M. McDougal also considers norm-creation as an other continuous process but his theory Ieads to a complete uncertainty in internationallaw. He states: "In the process of decision-making in the world arena the technical rules that constitute the lex lata are continually being defined and redefined in the application of policy to ever changing facts in ever changing contexts 2 ." This theory, inspired probably by the common law countries' internal practices, is completely alien to internationallaw. lf applied to internationallaw it would mean law is practice and practice is law. This would be a negation of international law. Professor R. Falk ist right when speaking of McDougal's theory, he states: ". . . a stress on openness accentuates the potentiality of plausible manipulation of legal rights and duties by powerful, anarchistic or desperate states. At the same time such openness impairs the capacity of legal criteria to provide the organized international community with impartial yardsticks by which to measure its response to crisis and conflict, and thereby to legitimize its own role in resolving international disputes and to make possible a clear decision achieved after minimum debate ... The McDougalian image is at once too complex and too vague to provide guidance either to national actors or to global institutions8." The statement that internationallaw is in constant change should not be understood as meaning that each norm of international law is in a process of continuing change. A norm of international law that has emerged as a result of the coordination of the wills of states or other subject of international law is a specific social phenomenon which is distinct from factual relations between subjects of international law. The change in factual relations does not automatically bring about the 2 M. McDougal, International Law, Power and Politics: A Contemporary Conception, Recueil des Courts, V. 82 (1953), p. 156. 3 R. Falk, The Status of Law in International Society, Princeton, 1970,

p. 47-48.

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change in international law. The change in international law can be effected only through legal processes of forming and changing norms of international law based on the coordination of the wills of states and other subjects of internationallaw. This legal processes are ignored by McDougal which leads him to equalizing factual relations, state practice and policy with international law. In the McDougal's conception internationallaw is destroyed, it disappears as a specific social phenomenon. The theory of the coordination of the wills of states considers the process of creating norms of international law as one of the aspects of the functioning of international system. Therefore the process of normcreating is the process of the struggle and cooperation between states. This thesis requires some explanation as it may be easily confused with a power politics approach to the problern of sources of international law. The proponents of power politics maintain that international politics "is a struggle for power" 4 • According to McDougal, international relations are "power processes" or "processes of coercion" 5 • As he considers that norms of international law are continually being defined "in the process of decision-making in the world arena", that is the power processes or processes of coercion, these legal norms are an immediate result of these "processes of coercion" 8 , or, in other words, of the rule of force in international relations. We reject this power politics approach to the problern of sources of international law as well as various theories of power politics, as inadequate and reflecting the policies of the imperialist states. According to our theory of sources that corresponds, we believe, to the realities of present day international relations, the process of creating norm of international law takes place on the basis of fundamental principles of internationallaw and specific norms relating to this process. This means that in accordance with the principle of sovereign equality of states all states participate in the norm-creating process as equal entities and the will of each particular state in this process is legally of the same weight as the will of any other state. The use of force and even the use of the threat of force are prohibited by contemporary international law. And although factual situations in 4 Hans J. Morgenthau, Politics among Nations, N.-Y., 1960, p. 27. s M. S. McDougal and F. Feliciano, Law and Minimum World Public Order, New Haven, 1961, p. 7. 8 M. S. McDougal, International Law, Power and Politics: A Contemporary Conception, Recueil des Cours, v. 82 (1953), p. 156.

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international relations, which are situations of struggle and cooperation, exercise their influence, even a decisive influence upon the normcreating process, this one is a legal process, the process of the coordination of the wills of states but not the process of coercion. The bourgeois theories of agreement, in accord with the bourgeois theory of state, consider the wills of states as the wills of certain abstract entities, divorced from their class content. The Marxist-Leninist theory of the coordination of the wills of states assumes that the will of a state participating in the process of creating norms of internationallaw reflects the class nature of the state. The will of a capitalist state is primarily the will of the economically and politically dominant class in that state. The will of a socialist state is a will of the entire people under the guidance of the working class. To understand properly the norm-creating process it is of primary importance to find out by which factors the will of state is conditioned. In this respect the theory of the coordination of the wills of states proceeds from the Marxist-Leninist thesis that the will of a ruling class is conditioned by all the circumstances in which this ruling class finds itself. In the system of these circumstances the major role play economic conditions or, in other words, the economic structure of society. Economic structure of society has a decisive influence on the contents of the state's will and this influence is exercised in two ways: directly and through other media. Directly, as the maintenance and development of the existing economic structure of society is always the primary interest of a ruling class, because this economic structure ensures the dominant position of the class in the society and in the state. The principal aim of the foreign policy of any state is, therefore, to ensure favourable external conditions for the maintenance and development of the existing economic structure of society. This consideration plays a decisive role in forming the content of the will of state regarding the norms of international law, especially those connected with fundamental problems of foreign policy. Economic structure of society exercises its influence on the content of a state's will also indirectly through other media. They include external economic, scientific, technical, cultural and other relations, internallaw, philosophy, internal class struggle etc. In other words, the whole system of society influences the contents of a state's will. If however the decisive influence on the whole structure of society is exercised by its economic structure, this indirect influence on the content of the state's will operates generally in the framewerk determined by the economic structure.

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Thus through the wills of states economic structure of society exercises decisive influence on the development of internationallaw. The theory of the coordination of the wills of states consider~ normcreation in contemporary international law as a complex process comprising various parts and stages. 1t reveals the essence of the process of the coordination of the wills of states which is so important for understanding the nature and functioning of contemporary international law. For the emergence of a norm of international law two conditions are necessary: the coordination of the wills of states regarding the content of a rule and the coordination of the wills of states regarding its recognition as legally binding. The wills of states participating in the process of creating norms of international law must therefore be directed towards the creation of a legally binding rule of conduct of the subjects of this legal system. This is what these wills have in common. The coordinated wills of states may however differ in their class nature, as it is the case in the process of creating norms binding upon states of different socio-economic systems. One of the important features of the norm-creating process in international law is that the wills of states are mutually conditioned. The coordination of the wills of states concerning the content of a rule and its recognition as a norm of international law takes place on the condition that other state or states also recognize it as such. A rule recognized as binding in international relations by one state only is not yet a norm of international law. The state may abide by such a rule as it abides by the rules of its domestic law, but it can at any moment deviate from it without incurring international responsibility. There are at present three forms of the coordination of the wills of states which produce norms of international law namely: international treaty, international custom and legally binding resolutions of international organisations. The two first are traditional forms which have however, undergone considerable change. The legally binding resolutions - a new source - constitute a more complex phenomenon, as in this case the coordination of the wills of states results in an act of international organisation. These are the general features of the leading Soviet theory of sources of international law which were first proposed in the late 50th7 • Later 7 See, G. I. Tunkin, Forty Years of Coexistence and International Law, in: "Soviet Yearbook of International Law", 1958.

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they have been further developed by myself8 and by other Soviet internationallawyers and applied to explain not only the problern of sources but also many other aspects of international law and international organisations9. The question of great practical importance is whether there is any hope to find in many divergent theories of sources of international law a common ground which is indispensible for progressive development of international law and its proper functioning? I think such a common ground exists, although sometimes we may not be sufficiently conscious of this fact. There are different socio-economic systems and different ideologies in the world, but in spite of that, peaceful coexistence between states belanging to these systems is possible. More than that, it is gaining strength surmounting vigorous Opposition of the reactionary forces. And with it the development of international law is proceeding at an accelerated pace. There are different theories of international law, but his does not mean that states and scholars propagating these different theories cannot agree on concrete principles and norms of international law. The practice shows that they can and do agree. So in spite of divergent theories of sources of international law there is a considerable measure of agreement among states as weil as among scholars with regard to the normative aspect of the problern of sources of internationallaw. This agreement is embodied in Article 38 of the Statute of the International Court of Justice which is an international treaty to which all states are parties. At least as far as the main sources - treaty and custom- are concerned the text of the Article is sufficiently clear. 8 See, G. 1. Tunkin, Questions of Theory of International Law, Moscow, 1962 (in Russian). Principal translation: Völkerrecht der Gegenwart, Berlin (DDR), 1963; Droit international public. Problemes theoriques, Paris 1965; idem, Theory of International Law, Moscow, 1970 (in Russian). Principal foreign revised editions: Völkerrechtstheorie, Berlin (West), 1972; Theory of International Law, Harvard University Press, Cambridge, Mass., 1974; idem, International Law in the International System, in: "Recueil des Cours de l'Academie de Droit International", vol. 147, 1978, pp. I- 218). ' See, for instance, (in Russian) A. N. Talalaev, Juridical Nature of International Treaties, Moscow, 1963; I. I. Lukashuk, Sources of International Law, Kiev, 1966; L. A. Alexidze, About Class Nature of Contemporary International Law, in: "Soviet State and Law", No. 6, 1967; R. L. Bobrov, Principal Problems of Theory of International Law, Moscow 1968; G. V. Ignatenko, International Law and Social Progress, Moscow, 1972; A. P. Movchan, Codification and Progressive Development of International Law, Moscow, 1972; D. B. Levin, Current Problems of the Theory of International Law, Moscow, 1974; Manual of International Law (edited by G. V. Ignatenko and D. D. Ostapenko, Moscow, 1978).

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There is of course no "problem of consent" concerning the treaty. "Treaty means an agreement concluded between states ... 10." With regard to the custom the sense of the Article is less clear. But still if one approaches the text of the Article without preconceived ideas, one must see that customary norms of international law do not emerge without "consent" of states. Indeed, the Article indicates that custom (usage} as evidence of a general practice must be "accepted as law". Accepted by whom? Evidently by states as there is no authority above states to accept these rules as law. The practice of states indicates that they act in this field on the basic assumption that no rule of conduct can become binding upon them without their consent (or acceptance}, expressly or tacitly. This is an unshakeable position of the Soviet Union and most other socialist states. This position has been laid down by V. Lenin. Speaking of the treaties of Russia with other countries at the Second All-Russian Congress of Soviets on November 8, 1917, Lenin said: "We reject all clauses on plunder and violence, but we shall welcome all clauses containing provisions for good-neighbourly relations and all economic agreements, we cannot reject these11 ." This approach extended to all the norms of internationallaw: Soviet state did not consider itself automatically bound by the norms of international law in force at the time of the Great October socialist revolution of 1917. As a new sovereign state it acted on the assumption that no rule of international law could bind it without its consent and refused to recognize norms of the bourgeois internationallaw, such as norms relating to the colonial system, nationalisation of foreign property etc. The Soviet state, however, recognized the main body of principles and norms of international law, but did it of its own free will. Speaking of the influence of the October socialist revolution on the process of creating norms of internationallaw the well-known Algerian international lawyer M. Bedjaoui stated: "Since that the present epoch started of progressive development of a "voluntarist internationallaw", but not of an imposed or tolerated legal system12 ." The position of the states which emerged into the international arena as a result of the collapse of the colonial system is generally characteris10 11

Article 2 of the Vienna Convention on the Law of Treaties of 1969.

V. Lenin, On the Foreign Policy of the Soviet State, Moscow, 1973,

p. 17. 1z Mohammed Bedjaoui, Problemes recents de succession d'Etat dans les

Etats nouveaux, "Recueil des Cours de l'Academie de Droit International", V., 130 (1970), p. 477.

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ed by the refusal to accept all the norrns of international law as autornatically binding upon thern. As sovereign entities they consider that they can only be bound by those rules of international law, to which they expressly or tacitly consented. This is basically also the position of the capitalist states, as far as they thernselves are concerned. However, very often they try to apply another doctrine with regard to new states rnaintaining that they are bound by the whole systern of international law "which they were born into". Such a position is nothing eise but a transfer of national legal systern notions into the field of international law, where the situation is quite different. The third source of international law rnentioned in Article 38 of the Statuteis "general principles of law". There is, in rny opinion, a general agreernent that general principles of law exist and constitute an indispensable part of international law. The opinions differ, however, as to the nature and role of these principles. I have delt with this problern in another place1a. Most of the Western internationallawyers greatly exaggerate the role of the general principles of law14 and, therefore, the irnportance of the divergence of views on the subject15 • Anyhow, discussing the problern of sources we rnust stress that in our judgernent general principles of law, whether they have originated in national systerns or in international law, in order to be applicable to international law, rnust be based on the consent of states. Article 38 of the Statute says again that "general principles of law" should be "recognized by civilized nations". Of course the term "civilized" is outdated, but what is irnportant is that "general principles of law" require recognition by states, therefore their consent. According to our theory it rneans the coordination of the wills of states. Statute says again that "general principles of law" should be "recognized by civilized nations". Of course the terrn "civilized" is outdated, but what is irnportant is that "general principles of law" require recognition by states, therefore their consent. According to our theory it rneans the coordination of the wills of states. 13 G. Tunkin, Theory of International Law, Harvard Univ. Press, Cambridge, Mass., 1974, p. p. 190- 203. 14 W. Jenks, for instance, called upon states "to develop from the common elements" of their national legal systems "a universal legal order . . .". See W. Jenks, The Common Law of Mankind, London, 1958, p. 169. 18 In "International Law. Cases and Materials", by W. Friedmann, 0 . Lissitzyn and R. Pugh (West Publishing Company, St. Paul, Minn., 1969) we read that a difference of opinion on general principles of law between Western and Soviet experts "results in one of the most basic conflicts in the contemporary interpretation of internationallaw". (p. 71).

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It seems that with the development of internationallaw the "general principles of law" will more and more loose their ties with national legal systems from which they penetrated into international law and become more and more "general principles of international law". They will remain general legal maxims that should not be confused with the fundamental principles of international law, such as sovereign equality of states, non-use of force, etc.

There is a new source of international law not mentioned in Article 38 of the Statute of the International Court of Justice - legally binding resolutions of international organisations. They create legal norms, some of which are norms of internationallaw and some (as, for instance, resolutions fixing salaries, leaves, pensions of the staff, etc.) constitute a specific category of internationallegal norms. As to the resolutions-recommendations, a view that they contain some legal element but are not norms of international law seems to be more and more widely accepted. We concur in this view and think that normative resolutions-recommendations create specific international norms-recommendatory norms which are only partially legaP 6 • The following conclusion may be drawn from the foregoing discussion: if we do not confuse ideological and other doctrinal differences with the normative aspect of the problern of sources of international law, we will find a sufficient measure of agreement between states as weil as between international scholars on the subject. This agreement is of great importance for further progressive development of internationallaw and internationallawyers must contribute to such development.

18 See G. Tunkin, International Law in International System, "Recueil des Cours de l'Academie de Droit International", vol. 147, pp. 62 -70.

ALTES UND NEUES ZUR CLAUSULA REBUS SIC STANTIBUS Von Heribert Franz Köck* Ob ein Staat weiter verpflichtet ist, einen Vertrag zu erfüllen, wenn eine wesentliche Änderung der Umstände eingetreten ist, ist eine Frage, welche Generationen von Völkerrechtlern beschäftigt hatl. Viele haben sich über die Klausel rebus sie stantibus, wie diese Lehre weithin genannt wird, besorgt gezeigt. Andere haben sich für ihre Anerkennung als Grundsatz oder Norm des Völkerrechts eingesetzt. In allden Handbüchern des Völkerrechts und den Monographien, die sich mit diesem Problem beschäftigt haben, ist man aber zu keinem endgültigen Ergebnis gekommen2 •

* Mitglied der Österreichischen Delegation zur Wiener Vertragsrechtskonferenz der Vereinten Nationen. l Die clausula rebus sie stantibus hat ihre historischen Wurzeln im römischen Recht. Vgl. Pfaff, "Die Clausel: Rebus sie stantibus in der Doetrin und der Osterreichischen Gesetzgebung", Festschrift zum 70. Geburtstag von Joseph Unger (1899), 226 ff.; Cattand, La elause "Rebus sie stantibus" du droit prive au droit international (1969); sie war auch mittelalterlichen Gelehrten wie Thomas von Aquin nicht unbekannt. Auf der ersten Session der Wiener Vertragsrechtskonferenz verwies der ukrainische Delegierte auf dieses Faktum; UN Doe.A/CONF.39/C.l/SR.63; A(CONF.39/11, 368. Die Stelle lautet: "Si [ille, qui aliquid promisit] vero non faciat quod promisit, tune videtur infideliter agere per hoe quod animum mutat. Potest tarnen exeusari ex duobus. Uno modo si promisit it quod est manifeste illicitum: quia promittendo peeeavit, mutando autem propositum bene faeit. - Alio modo si sint mutatae eonditiones personarum et negotiorum." Summa Theologiae, II/2, qu. 110, art. 3, ad 5. Grotius wird manchmal als der erste angesehen, der sich ausführlicher mit dieser Problematik auseinandergesetzt und so die Diskussion darüber im Völkerrecht angesiedelt hat. Vgl. sein De iure belli ae paeis II, 16, § 25, no. 2 bzw. § 27, nos. 1-3. Seine Haltung war reservierter als ejne der "aufgeklärten" Privatrechtskodifikationen wie des Bayerischen Landrechts von 1756, des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1793 und des Österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches von 1811. Mit dem Niedergang der Naturrechtslehre im 19. Jh. erfuhr auch die Klausel einen Rückschlag: die sächsische Privatrechtskodifikation von 1865 verwarf sie ausdrücklich und für das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 ist sie kein allgemeiner Rechtsgrundsatz. Vgl. Schneider, "Die völkerrechtliche Clausula rebus sie stantibus und Art. 19 der Völkerbundsatzung", 32 Völkerrechtsfragen (1931), 10, der auch für den Bereich des Völkerrechts zu dem sicherlich übereilten Schluß kommt, die Klausel hätte aufgehört zu existieren. Ibid., 10- 12. 2 Eine Auswahl der wichtigsten völkerrechtlichen Arbeiten zu diesem Thema findet sich in A Seleeted Bibliography on the Law of Treaties,

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Heribert Franz Köck

Für die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, die den Entwurf für eine Vertragsrechtskonvention auszuarbeiten hatte, lag das entscheidende Problem darin, das Prinzip einerseits in einer solchen Weise positivrechtlich zu formulieren, daß ein ausreichender Schutz gegen seine willkürliche Anwendung besteht, es aber andererseits nicht soweit einzuschränken, daß es schließlich wirkungslos bleiben muß. Auch in der Völkerrechtskommission war man sich schon über die grundsätzliche Frage, inwieweit für etwas wie die clausula rebus sie stantibus bereits eine Grundlage im positiven Völkerrecht gegeben sei, nicht einig. Dies zeigt der Kommentar zu Art. 59 des Konventionsentwurfes3, der dem Problem der grundlegenden Veränderung der Umstände, wie es schließlich in Art. 62 W(iener) V(ertragsrechts-)K(onvention) geregelt wurde, gewidmet ist4 • Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt man auch bei der Durchsicht der Debatten zu diesem Punkt auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz 5 • Nichtsdestoweniger haben die Staaten so gut wie eine Reihe von Völkerrechtlern die Auffassung vertreten, daß der Grundsatz reb'us sie stantibus ein Sicherheitsventil darstelle, welches für den Fall benötigt werde, wo die Verpflichtungen aus einem Vertrag für die eine Seite wegen der Änderung der Umstände zu beschwerlich werde und die andere Seite nicht bereit sei, einer Beendigung des Vertrags zuzustimmen8 • Verglichen mit dem eher vagen Konzept der clausula rebus sie stantibus im Völkerrecht der Vergangenheit gibt Art. 62 WVK detaillierte

Bestimmungen für die Anwendung des Grundsatzes in der Zukunft7. Chapter II, Sect. 5 (b), UN Doc.A/CONF.39/4, 104 -115. Vgl. weiters Lissitzyn, "Treaties and Changed Circumstances (Rebus Sie Stantibus)", 61 AJIL (1967), 895 ff., Schwelb, "Fundamental Change of Circumstances: Notes on Article 59 of the Draft Convention on the Law of Treaties as Recommended for Adoption to the United Nations Conference on the Law of Treaties by its Committee of the Whole in 1968", 29 Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (1970), 39; Haraszti, Some Fundamental Problems of the Law of Treaties (1973), 327 ff.; Köck, "The ,Changed Circumstances' Clause After the United Nations Conference on the Law of Treaties (1968- 69)", 4 Georgia Journal of International and Comparative Law (1974), 93 ff. a Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, abgedruckt u. a. in United Nations Conference on the Law of Treaties Official Records, Documents of the Conference, UN Doc.A/CONF.39/11/Add.2, 7 - 94. c Vgl. ibid., 78. 5 Auf der Ersten Session behandelte die Wiener Vertragsrechtskonferenz Art. 59 des Entwurfes im 63., 64., 65. und 81. Meeting des Committee of the Whole. Vgl. UN Doc.A/CONF.39/11, 365 - 382 und 479 - 480; auf der Zweiten Session im 22. Plenary Meeting. Vgl. UN Doc.A/CONF.39/11/Add.1, 116- 121. o Vgl. so schon den Kommentar zu Art. 59 des Entwurfs, loc. cit., 78. In diesem Sinn auch Fischer, "Die neuen Staaten in Übersee und die obligatorische Streiterledigung- Zur Wiener Vertragsrechtskonferenz der Vereinten Nationen 1968/69", 3 Verfassung und Recht in Übersee (1970), 7 ff. und 11.

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Der Text, wie er nunmehr vorliegt, entspricht fast völlig jenem des Entwurfs. Abgesehen von einer nicht nennenswerten Verbesserung der Formulierung ist die einzige wichtigere Veränderung die Hinzufügung der 'Zif. 3 während der Ersten Session der Konferenz. Der Grund dafür, daß wenig am Entwurf geändert wurde, ist darin zu sehen, daß die Konferenz überwiegend der Ansicht war, der Entwurf der Völkerrechtskommission stelle einen wohlausgewogenen Kompromiß dar und jede substantielle Änderung könnte u. U. zu einem Mangel an Einmütigkeit führen 8 • Eine Analyse des Textes erlaubt folgende Bemerkungen:

1. Der Grundsatz, daß eine Änderung der Umstände als eine Grundlage für eine Änderung der Verpflichtungen aus Verträgen angesehen werden kann, ist von der Konvention ausdrücklich anerkannt. In seiner Positivierung ist dieser Grundsatz aber verschiedenen Einschränkungen unterworfen worden. Der Ausnahmecharakter der Norm ist durch die negative Formulierung unterstrichen, in der der Artikel gefaßt ist. Er stellt keine Generalregel dahingehend auf, daß gewisse Änderungen der Umstände, die nach dem Vertragsabschluß einträten, als Grundlage für Beendigung Art. 62 WVK lautet: "Grundlegende Veränderung der Umstände. (1) Eine grundlegende Veränderung der beim Vertragsabschluß gegebenen Umstände, die von den Vertragsparteien nicht vorausgesehen wurde, kann nicht als Grund für die Beendigung des Vertrags oder den Rücktritt von ihm geltend gemacht werden, es sei denn (a:) das Vorhandensein jener Umstände bildete eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der Vertragsparteien, durch den Vertrag gebunden zu sein, und (b) die Veränderung der Umstände würde das Ausmaß der auf Grund des Vertrags noch zu erfüllenden Verpflichtungen tiefgreifend umgestalten. (2) Eine grundlegende Veränderung der Umstände kann nicht als Grund für die Beendigung des Vertrags oder den Rücktritt von ihm geltend gemacht werden, (a) wenn der Vertrag eine Grenze festlegt oder (b) wenn die Vertragspartei, welche die grundlegende Veränderung der Umstände geltend macht, diese durch Verletzung einer Vertragspflicht oder einer sonstigen, gegenüber einer anderen Vertragspartei bestehenden internationalen Verpflichtung selbst herbeigeführt hat. (3) Kann eine Vertragspartei nach Absatz 1 oder 2 eine grundlegende Veränderung der Umstände als Grund fur die Beendigung des Vertrags oder den Rücktritt von ihm geltend machen, so kann sie die Veränderung auch als Grund für die Suspendierung des Vertrags geltend machen." Deutscher Text zitiert nach der offiziösen deutschsprachigen Übersetzung, abgedruckt in Berber I Randelzhofer, Völkerrechtliche Verträge, Beck Texte, 2. Aufl. 1979 (dtv 5031). s Der letzte Special Rapporteur der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen, Sir Humphrey Waldock, diente der Konferenz als Expert Consultant; verschiedene Mitglieder der Kommission waren als Staatenvertreter anwesend. Die Ansicht war verbreitet, die Kommissionsmitglieder hätten vereinbart, an "ihrem" Text möglichst wenig ändern zu lassen. 7

6 Festschrift für Stephan Verosta

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des (oder den Rücktritt vom) Vertrag(s) angesehen werden könnten, wobei dann diese Generalregel durch einzelne Ausnahmen eingeschränkt würde. Statt dessen stellt der Artikel fest, daß eine selbst grundlegende Veränderung der Umstände grundsätzlich keine Basis für eine Beendigung der Vertragserfüllung darstelle, es sei denn, bestimmte Bedingungen seien erfüllt. Diese vorsichtige Formulierung entspricht den Bedenken, welchen die clausula rebus sie stantibus regelmäßig in der Staatenpraxis9 wie in der Doktrin10 begegnet ist, und steht auch in Einklang mit den verschiedenen Zweifeln, welche viele Delegierte auf der Konferenz geäußert haben. Allerdings hätte eine Reihe von Delegationen eine entspanntere Haltung gegenüber der Klausel gewünscht. So beantragte etwa der venezolanische Delegierte, der Klausel eine positive statt einer negativen Formulierung zu geben 11 • Die Diskussion darüber zeigt jedoch, daß dieser Vorschlag, wenn darüber abgestimmt worden wäre, eine Mehrheit nicht gefunden hätte. Er wurde daher zurückgezogen12 ; und die negative Formulierung des Textes blieb unverändert1 3 • Es muß demnach für das Wirksamwerden der clausula rebus sie stantibus zur grundlegenden Veränderung der Umstände weiters hinzutreten, daß diese Umstände eine wesentliche Grundlage für den Vertragsabschluß dargestellt haben und daß darüber hinaus ihre Veränderung in einer radikalen Umgestaltung des Verpflichtungsumfanges resultiert. Die Formulierung, "die Veränderung der Umstände würde das Ausmaß der auf Grund des Vertrags noch zu erfüllenden Verpflichtungen tiefgreifend umgestalten", ist jedoch irreführend. Eine Änderung von Umständen hat als faktisches Ereignis keinen direkten Einfluß auf den Umfang der Verpflichtungen, also auf den Rechtsbereich. Erst die Anerkennung des Gedankens, daß es unbillig sei, auf der Erfüllung von vertraglichen Verpflichtungen zu bestehen, die wegen geänderter Um9 Der ukrainische Delegierte wies darauf hin, daß sich die Regierungen in der Vergangenheit oft gescheut hätten, die Klausel anzuerkennen, weil sie für die Sicherheit der Verträge und den Grundsatz pacta sunt servanda gefürchtet hätten. Vgl. UN Doc.A/CONF.39/C.l/SR.63; A/CONF.39/11, 368. 1o "Most jurists . . . enter a strong caveat as to the need to confine the scope of the doctrine within narrow limits and to regulate strictly the conditions under which it may be invoked ... " Kommentar zu Art. 59 des Entwurfes, loc. cit., 76. 11 Vgl. UN Doc.A/CONF.39/C.l/L.319. 12 UN Doc.A/CONF.39/ll, auf 382. 13 Lissitzyn, loc. cit., 916 f., und Schwelb, loc. cit., haben darauf hingewiesen, daß der Text deswegen schlecht formuliert sei, weil er - im buchstäblichen Sinn - den Umkehrschluß zulasse, eine vorhergesehene Veränderung könne Grund für eine Beendigung oder einen Rücktritt vom Vertrag abgeben. Da der wahre Sinn der negativen Formulierung von Art. 62 jedoch klar erkennbar ist, hat es auf der Konferenz niemand für wert befunden, deswegen den Text zu ändern, obwohl auf das Problem hingewiesen wurde.

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stände allzu beschwerlich geworden sind, als eines Rechtsgrundsatzes bewirkt, daß das Recht an eine solche Änderung der Umstände eine bestimmte Rechtsfolge, etwa die Beendigung des Vertrags, knüpft. Dies ist aber Inhalt der Klausel-Regelung und kann daher nicht gleichzeitig deren Voraussetzung sein. Die in Zif. 1 lit. b von Art. 62 WVK gebrauchte Formulierung von der radikalen Umgestaltung des Verpflichtungsumfanges kann daher nicht eigentlich diese selbst, sondern nur die Unbilligkeit meinen, die bei weiterer (unveränderter) Vertragserfüllung wegen der geänderten Umstände hinsichtlich der Stellung einer Seite gegeben wäre. Der Sinn der Bestimmung stellt also nicht auf die quantitative Änderung des Verpflichtungsumfanges, sondern auch auf die qualitative Änderung der Verpflichtungsbelastung ab. Wenngleich auf der Konferenz an dieser Formulierung Kritik geübt wurde, beschränkte sich diese doch darauf, sie als unklar und dunkel zu bezeichnen, und wies ihrerseits keinen Ausweg 14• Da ein Versuch zu einer Neufassung in diesem Punkt nicht unternommen wurden, handelt es sich bei der Kritik lediglich um die traditionelle Lamentation über die schwere Faßbarkeit der Klausel in Normen positiven Rechts 15 •

2. Verträge, welche eine Grenze festlegen, sind vom Anwendungsbereich der 'Klausel ausgeschlossen. Dies ist eher eine Ausnahme von der Regel, als deren Einschränkung. Es war daher richtig, sie in einem gesonderten Paragraphen festzuhalten, anstatt sie gemeinsam mit den Einschränkungen in Zif. 1 aufzuführen. Die Ausnahme ist keine dem Klauselprinzip seinem Wesen nach innewohnende, und einzelne Mitglieder der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen haben denn auch darauf hingewiesen, daß der völlige Ausschluß von Grenzverträgen aus dem Anwendungsbereich des (späteren) Art. 62 zu weit gehen könnte. Die Kommissionsmehrheit hielt es dennoch für notwendig, Grenzverträge auszunehmen. Sie fürchtete, die Klausel würde sonst nicht ein Instrument friedlicher Vertragsänderung, sondern eine Quelle internationaler Spannungen und eine Gefahr für den Frieden in der Welt werden16 • Auf der Konferenz beklagten einige Delegierte den Ausschluß von Grenzverträgen aus dem Anwendungsbereich des vorliegenden Arti14 Vgl. die niederländische Intervention zu diesem Punkt in UN Doc.A/ CONF.39/11, auf 367. 15 Der angesprochene Expert Consultant zog sich damit aus der Affaire, daß er einen englischen Richter zitierte, der in ähnlichem Zusammenhang gesagt hatte, "it was almost impossible by any nice combination of words t 0 state a rule in advance of any possible controversy; all that could be done was to state as strictly as possible circumstances in which the rule might apply." UN Doc.A/CONF.39/11, 381. 18 Kommentar zum Entwurf, loc. cit., 79.

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kels. In diesem Zusammenhang wurde auch das Verhältnis der Konvention zu von der Kolonialmacht auferlegten und damit "ungleichen" Grenzverträgen17 und ganz allgemein zum Grundsatz der Selbstbestimmung aufgeworfen. Dabei stellte sich die Frage, ob es sich mit der Satzung der Vereinten Nationen vertrüge, die Klausel in ihrer Anwendbarkeit derart zu beschränken18 • Allerdings hatte schon die Völkerrechtskommiss ion in ihrem Kommentar zu Art. 59 des Konventionsentwurf es darauf hingewiesen, daß Selbstbestimmung im Sinne der Satzung der Vereinten Nationen ein unabhängiger Grundsatz sei, dessen Berücksichtigung bei der clausula reb'us sie stantibus nur Verwirrung stiften würde 19 • Diese Auffassung fand auf der Konferenz Unterstützung. Auch wies der weißrussische Delegierte darauf hin, daß die "ungleichen" Verträge rechtswidrig und nichtig seien, und zwar nicht im Zusammenhang mit der Klausel, sondern wegen Verletzung des ius cogens 20 • In gleicher Weise wies auch der sowjetische Delegierte rechtswidrige und "ungleiche" Verträge nicht dem Dritten Abschnitt des Fünften Teils, sondern dem Zweiten Abschnitt zu, der von der Ungültigkeit von Verträgen handelt21 • Die Diskussion wurde schließlich in diesem Punkt durch ein Statement des Expert Consulant, Sir Humphrey Waldock, beendet, welcher auch seinerseits bekräftigte, daß die Frage der Rechtswidrigkeit "ungleicher" Verträge in den Rahmen des ius cogens gehöre und daher im Konventionsentwurf ohnedies in zwei eigenständigen Artikeln behandelt sei22 •

3. Zif. 2 lit. b wendet auf die clausula rebus sie stantibus den allgemeinen Rechtsgrundsatz an, daß eine Partei aus ihrem eigenen rechtswidrigen Verhalten keinen Vorteil ziehen kann. Dieser Grundsatz, der auch z. B. vom Ständigen Internationalen Gerichtshof im Chorzow-Fall ausgesprochen worden war23 , stellt eher eine logische Beschränkung des Anwendungsbereiche s des Klausel dar als eine Ausnahme des positiven Rechts (wie Zif. 2 lit. a, die Grenzverträge betreffend). Daher hätte die Bestimmung von Zif. 2 lit. b einen Platz schon unter den Einschränkungen der Zif. 1 finden sollen. Dieser 17 So vom bolivianischen Delegierten im 63. Meeting des Committee of the Whole, UN Doc.A/CONF.39/11, auf 370. 18 So der afghanisehe Delegierte im 65. Meeting, ibid., 379. 18 Kommentar zum Entwurf, loc. cit., 79. 20 UN Doc.A/CONF.39/11, auf 379 (65. Meeting des Committee of the Whole). 21 Ibid., 382. 22 Nämlich in den Artikeln 50 und 61 des Entwurfes, später 53 und 64 WVK. 23 Worauf im Kommentar zum Entwurf verwiesen ist. Vgl. dort, loc. cit., 79, sowie Permanent Court of International Justice, Ser. A, No. 9 (1927), auf

31.

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Strukturmangel des Art. 62 wird allerdings die korrekte Anwendung der Regel in der Praxis nicht beeinträchtigen. 4. In gewissen Fällen kann man sich auf die clausula rebus sie stantibus auch zur Suspendierung eines Vertrags berufen.

Was die Formulierung der Zif. 3 des Art. 62 anlangt, so kann eine gewisse Ungereimtheit nicht geleugnet werden. Wie schon erwähnt, enthielt der ursprüngliche Entwurf des Artikels diese Zif. 3 nicht 24 . Auf der Konferenz hatten aber sowohl Kanada 25 als auch Finnland 26 den Vorschlag gemacht, eine grundlegende Veränderung der Umstände nicht bloß als Grund für die Beendigung des Vertrages, sondern auch für seine Suspendierung anzusehen. In diesem Zusammenhang hatte der kanadische Delegierte die Auffassung vertreten, eine grundlegende Veränderung der Umstände als Grund für eine bloße Suspendierung des Vertrags könne nur dann ausgeschlossen werden, wenn man davon ausgehe, eine solche grundlegende Veränderung sei synonym mit einer unwiderruflichen und dauernden Veränderung. Tatsächlich sei aber die Beendigung von Vertragsverpflichtungen nicht die einzig mögliche oder angemessene Wirkung einer Berufung auf geänderte Umstände. Je nach der Erwartung der Parteien und der Natur der Änderung könne auch Suspendierung des Vertrags oder eine Beschränkung seiner Erfüllung als angernessen angesehen werden 27 . Die Ausführungen des finnischen Delegierten waren in diesem Zusammenhang weniger schlüssig. Er forderte, daß geänderte Umstände als Grund auch für eine Suspendierung des Vertrags angesehen werden mögen, sah dies jedoch als eine wahlweise in Betracht kommende, weniger einschneidende Maßnahme an als die Beendigung des Vertrags28. Der Gedanke, daß bei einer irreversiblen grundlegenden Veränderung der Umstände Beendigung des Vertrags, bei einer solchen jedoch, die nicht notwendigerweise irreversibel sei, Suspendierung des Vertrags die angemessene Folge wäre, ist bei ihm jedenfalls nicht explizit enthalten. Nachdem das Committee of the Whole das kanadische und den diesbezüglichen Teil des finnischen Arnendrnents angenommen hatte 29 , legte 24 Der Expert consultant wies im 65. Meeting des Committee of the Whole darauf hin, nach Auffassung der Völkerrechtskommission vertrügen sich grundlegend geänderte Umstände und Suspension nur schwer. UN Doc.A/ CONF.39/11, auf 381. 2 5 UN Doc.A/CONF.39/C.l/L.320. 2G UN Doc.A/CONF.39/C.l/L.333. 27 UN Doc.A/CONF.39/11, auf 366. 28 Ibid. 29 Der Grundsatz fand mit 31 zu 26 bei 28 Enthaltungen Annahme. Man kann bei einem solchen Stimmenverhältnis nicht sagen, daß die Änderung

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das mit dem Artikel befaßte Drafting Committee die neue Zif. 3 mit folgendem Text vor30 : "Kann eine Vertragspartei nach Zif. 1 oder 2 eine grundlegende Veränderung der Umstände als Grund für die Beendigung des Vertrags oder den Rücktritt von ihm geltend machen, so kann sie die Veränderung auch als Grund für die Suspendierung des Vertrags geltend machen." Mit dieser Formulierung meinte das Drafting Committee nur dem Willen des Committee of the Whole zu entsprechen, die Parteien sollten eine Wahl zwischen der Rechtsfolge der Beendigung des Vertrags und der Rechtsfolge seiner Suspendierung haben, und zwar unter gleichen grundlegend veränderten Umständen31 • Der Gedanke, daß die Beendigung des Vertrags die angemessene Folge im Falle einer grundlegenden Veränderung auf immer, die Suspendierung aber die angemessene Folge bei einer grundlegenden Veränderung auf Zeit sei, war damit ausdrücklich zurückgewiesen . Da das Committee of the Whole den vom Drafting Committee ausgearbeiteten Text billigte, und dieser später auch vom Plenum der Konferenz angenommen wurde, muß man diesen Ausgang de lege lata akzeptieren. Da aber einerseits die Suspendierung im Fall irreversibler grundlegender Veränderung der Umstände die Wirkung der Beendigung des Vertrags zeitigt, andererseits die Formulierung der Zif. 1 des Art. 62 eine Berufung auf nur temporär grundlegend veränderte Umstände nicht ausschließt, um eine Suspendierung des Vertrags zu erreichen, ja diese sogar nahelegt, wird sich die Praxis wohl weitgehend der Intention des kanadischen Amendments entsprechend entwickeln. 5. Die Anwendung der clausula reb'us sie stantibus hängt nicht von der vorgängigen Zustimmung der anderen Partei ab.

Dies bedeutet nun natürlich nicht, daß ein Staat, der sich auf Art. 62 WVK beruft, nicht verpflichtet ist, die Verfahren einzuhalten, die hiefür entweder im betreffenden Vertrag selbst oder subsidiär im Vierten Abschnitt des Fünften Teils der WVK vorgesehen sind32• Was aber die Verfahren nach der WVK anlangt, so schließen dieselben bekanntlich - ausgenommen für Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem ius cogens - obligatorische Gerichtsbarkeit oder Schiedsgerichts barkeit nicht ein. Insoweit bleibt die Streitbeilegung also letztlich der freien Einigung der Parteien überlassen. bzw. Ergänzung dem Committee of the Whole ein großes Anliegen gewesen ist; eher handelt es sich um eine Zufallsmehrheit. Ibid., 382. 30

31 32

Ibid., 479. Ibid.

Art. 65 f. und Annex zur WVK.

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Kommt es zu keiner solchen Einigung, so erhebt sich die Frage, ob jene Partei, die sich wegen der behaupteten grundlegenden Veränderung der Umstände beschwert fühlt, einseitig die Vertragserfüllung einstellen kann, wie dies die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen angenommen zu haben scheint33 . Ähnlich dieser Situation ist jene, welche bereits in Art. 65 Zif. 2 WVK ins Auge gefaßt ist. Dort ist nämlich vorgesehen, daß eine Vertragspartei in besonders dringenden Fällen die drei Monate nach Notifikation ihrer Absicht, den Vertrag wegen grundlegender Veränderung der Umstände zu beenden oder zu suspendieren, nicht abwarten muß. Ein solcher dringender Fall wird immer dann gegeben sein, wenn die Partei der Meinung ist, daß ihr wegen der behaupteten grundlegenden Veränderung der Umstände ab sofort eine weitere Erfüllung des Vertrags nicht mehr zurnutbar ist. Es erhebt sich also die Frage, ob ein solches einseitiges Abgehen vom Vertrag wegen behaupteter grundlegender Veränderung der Umstände in jenem Fall, wo eine Einigung der Parteien wegen des dringlichen Charakters nicht abgewartet werden kann, oder wo eine solche Einigung nicht zustande kommt, zulässig ist. Die WVK sagt darüber nichts ausdrücklich aus. Wir sind hier daher auf das allgemeine Völkerrecht verwiesen, aus welchem die Bestimmungen der WVK in diesem Punkt ergänzt werden müssen. In diesem Zusammenhang ist auf den Pontusfalt von 1870/71 zurückzukommen34. Hier hatte sich das zaristische Rußland, vor allem unter Berufung auf geänderte Umstände, der Neutralisierungsverpflichtung ledig erklärt, wie sie den Anliegerstaaten des Schwarzen Meeres im Pariser Frieden von 1856 auferlegt worden waren35 . Die übrigen am Pariser Frieden von 1856 beteiligten Mächte beugten sich zwar diesem fait aecompli; gleichzeitig wurde aber von allen, also auch von Rußland, im Londoner ProtokolL von 1871 anerkannt, daß "es ein wesentlicher Grundsatz des Völkerrechts sei, daß keine Partei sich den Verpflichtungen eines Vertrags entledigen noch seine Bestimmungen verändern [könne], es sei denn nach Zustimmung der [anderen] vertragsschließenden Parteien aufgrund einer gütlichen Einigung" 36. 33 " ... the fact that international law reeognized no legal means of terminating or modifying the treaty otherwise than through a further agreement between the same parties might impose a serious strain on the relations between the states eoneerned. In such a ease, the dissatisfied state might ultimately be driven to take aetion outside the law." Kommentar zum Entwurf, loe. cit., 78. 34 Vgl. Schaumann, "Clausula regus sie stantibus", Wörterbuch des Völkerrechts I (begr. von Strupp, hrsg. von Schlochauer, 1960), 289; Schneider, Die völkerrechtliche Clausula rebus sie stantibus und Art. 19 der Völkerbundsatzung (1931), 52 ff. 35 Martens, Nouveau Reeeuil General de Traites XV, 770. 36 Ibid., XVII, 278. (Übersetzung vom Verfasser.)

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Diese Formulierung scheint der Möglichkeit, sich unter Berufung auf die clausula rebus sie stantibus einseitig vertraglicher Verpflichtungen zu entziehen, ebenso einen Riegel vorzuschieben wie der spätere Art. 19 des Völkerbundpaktes. Nach diesem konnte die Völkerbundversammlung im Fall unanwendbar gewordener Verträge, deren Aufrechterhaltung geeignet war, den Weltfrieden zu gefährden, die Mitglieder des Völkerbundes lediglich zu einer Nachprüfung dieser Verträge auffordern37. Auch dies wurde seinerzeit verbreitet als die Bindung der Wirkung geänderter Umstände an die Zustimmung der anderen Vertragsseite angesehen. Überdies übernahm der Völkerbundrat in seiner Resolution vom 16. April1935 wörtlich die Bestimmung des genannten Londoner Protokolls, als er sich gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Anhebung der Effektivstärke der Wehrmacht durch das Deutsche Reich unter Verletzung von Teil V des Versailler Vertrags wandte38 . Das Deutsche Reich hatte sich auf eine grundlegende Veränderung der Umstände berufen. Schon zuvor hatte Art. 10 der Vertragsreehtskonvention von Havanna vom 20. Februar 1928 bestimmt,

daß

"kein Staat sich der Verpflichtung eines Vertrags entziehen oder seine Bestimmungen abändern [könne], es sei denn auf Grund der Zustimmung der anderen vertragsschließenden Parteien, die durch friedliche Mittel herbeigeführt worden ist"av. Andererseits gibt es aber zahlreiche Fälle, in denen sich Staaten unter Berufung auf die clausula rebus sie stantibus einseitig von vertraglichen Verpflichtungen losgesagt haben, wobei es für unser Argument hier ohne Bedeutung ist, ob dies sachlich zu recht oder zu unrecht geschah. Beispiele hiefür sind die Kündigung des Österreichischen Konkordats von 1855 durch Österreich im Jahr 187040, die einseitige Aufhebung der Stellung Batums als Freihafen 1886 durch das zaristische Rußland, welches dieselbe 1877 zugesichert hatte41 , die Annexion Bosniens und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn im Jahr 190842 , die 87 Vgl. Schneider, Die völkerrechtliche Clausula rebus sie stantibus und Art. 19 der Völkerbundsatzung (1931), 95 ff. 38 Vgl. League of Nations Official Journal1935, No. 5, 550- 564. 39 22 AJIL (1918), 139. (Übersetzung des dort abgedruckten Texts vom Verfasser.) Es muß angemerkt werden, daß Art. 15 derselben Konvention vorsah, Verträge könnten als hinfällig erklärt werden, wenn ihre Gründe irreversibel weggefallen seien. 40 Vgl. Hussarek, "Die Krise und Lösung des Konkordats vom 18. August 1855", 112 Archiv für Österreichische Geschichte (1932), 211 ff.; Köck, Die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls (1975), 325 f. 41 Vgl. Pouritch, De la elause "rebus sie stantibus" en droit international publie (1918), 113; Schneider, op. cit., 57 ff.

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verschiedenen Kündigungen von Kapitulationsverträgen zu Beginn des ersten Weltkriegs und in der Zwischenkriegszeit43 , die Suspendierung der Kriegsschuldzahlungen durch Frankreich im Jahr 1932 4 4, die Suspendierung der obligatorischen Zuständigkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes hinsichtlich von Kriegsereignissen seitens verschiedener Staaten im Jahr 1939 45 wie auch die Suspendierung der International Load Line Convention von 1930 durch die Vereinigten Staaten46, nach dem zweiten Weltkrieg insbesondere die Ansehung der Donaukonvention von 1921 auf der Belgrader Konferenz von 1948 als durch die grundlegend veränderten Umstände überholt47, sowie die Stellungnahme Ägyptens vor dem Sicherheitsrat im Jahr 1947, in welcher der ägyptische Ministerpräsident mit Berufung auf die geänderten Umstände durch den zweiten Weltkrieg den anglo-ägyptischen Vertrag von 1936, welcher die Anwesenheit britischer Truppen auf ägyptischem Territorium vorsah, für obsolet erklärte 48 • (Es ist zurecht darauf hingewiesen worden, daß der Umstand, daß Ägypten damals mit seiner Auffassung vor dem Sicherheitsrat nicht durchgedrungen ist, vor allem darauf zurückzuführen war, daß es vor diesem Gremium nicht ausreichende politische Unterstützung seines Anliegens fand 49 .) Schließlich darf auch auf das Gutachten des Generalsekretariats der Vereinten Nationen betreffend die fortdauernde Gültigkeit jener Minoritätenregimes, wie sie durch die Verträge nach dem ersten Weltkrieg eingerichtet worden sind, hingewiesen werden. Darin ist unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die cla'Usula rebus sie stantibus festgestellt, daß diese Verträge wegen der grundlegenden Veränderung der Umstände ihre Gültigkeit verloren hätten 50 • (Dieser letzte Fall stellt zwar keine einseitige Berufung auf die Klausel durch eine Vertragspartei, aber die Anerkennung deren automatischen Wirksamkeit von Seiten einer unabhängigen Instanz dar.) 42 Vgl. Wurmbrand, "Die rechtliche Stellung Bosniens und der Herzegowina", 12 Wiener Staatswissenschaftliche Studien (1915). Es ist jedoch festzuhalten, daß sich Österreich-Ungarn in den offiziellen Äußerungen jener Zeit niemals ausdrücklich auf die clausula rebus sie stantibus berufen hat, wie eine Durchsicht der bei Strupp, Documents, abgedruckten Handschreiben des Kaisers Franz:Joseph beweist. 43 Vgl. Schaumann, "Clausula rebussie stantibus", WV I (1960), 289. 44 Vgl. 1 Foreign Relations of the United States (1950), 873. 45 20 League of Nations Official Journal (1939), 408. 48 Die Proklamation Präsident Roosevelts in 6 Fed. Reg. (1941), 3999. 47 Vgl. Berger, "Zur Klausel ,Rebus sie stantibus"', 4 Österreichische Zeit· schrift für öffentliches Recht (1952), 27 ff., auf 34 ff. 48 Vgl. ibid., 27 ff. 49 So Haraszti, Some Fundamental Problems of the Law of Treaties (1973), 358. so UN Doe.E/CN.4/367, auf 36.

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Aus der Staatenpraxis allein läßt sich allerdings nur schwer eine allgemeine Norm für das Vorgehen bei grundlegend geänderten Umständen in 'Zusammenhang mit Verträgen ableiten. In vielen Fällen ist nämlich die Rechtsfrage mit der Tatsachenfrage so verquickt, daß es schwierig ist festzustellen, welche grundsätzliche Position die Parteien eingenommen haben. Im allgemeinen kann aber festgestellt werden, daß jene Partei, die sich für die Beendigung eines Vertrags auf das Vorliegen grundlegend geänderter Umstände stützt, so gut wie stets davon ausgeht, daß diese Änderung allein genügt, um die Vertragserfüllung einzustellen, jedenfalls dann, wenn die andere Seite nicht bereit ist, auf ein diesbezügliches Verlangen einzugehen. Lediglich im Genfer Freizonen-FalZ scheint die betreibende Partei, also Frankreich, davon ausgegangen zu sein, daß ihr die geänderten Umstände lediglich einen Anspruch auf Abänderung der bestehenden Verpflichtung, nicht aber ein Recht auf einseitige Änderung einräumten51 • Andererseits haben gleichermaßen die von einer solchen Mitteilung betroffenen Parteien zumeist in concreto das Vorliegen einer ausreichenden Änderung der Umstände geleugnet, so daß es nicht sicher ist, inwieweit die Berufung darauf, man dürfe sich auf Grund der Klausel nicht einseitig von einem Vertrag lossagen, nicht lediglich als eine Art second line of defense aufgefaßt wurde, indem man darauf hinwies, daß selbst für den Fall tatsächlich geänderter Umstände der Vertrag nur mit Zustimmung der anderen Partei abgeändert oder aufgehoben werden könne. Es ist daher notwendig, unsere Frage vom Wesen der Klausel selbst her zu beantworten. In diesem Zusammenhang darf heute davon ausgegangen werden, daß Konstruktionen der Klausel als einer stillschweigend jedem Vertrag eingefügten Bedingung52 wie auch des Eintretens einer grundlegenden Veränderung der Umstände als Fortfall der Geschäftsgrundlage53 Analogien zum Zivilrecht darstellen, deren das Völkerrecht entbehren kann. Für dieses ist es nämlich völlig ausVgl. PCIJ-Publ. 1932, Ser AlB, No. 46. Im Bereich der Völkerrechtswissenschaft schon vertreten von Gentili, De iure belli libri tres, Kap. XIV, sowie vom eigentlichen Vater der Völkerrechtswissenschaft, Grotius. Vgl. oben, Anm. 1. Ähnlich auch Pufendorf, De iure naturae et gentium libri octo, V, Kap. XII, § XX, sowie insbesondere auch Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle applique a la conduite et aux affaires des nations et des souverains, II, Kap. XVII, § 296: "... la promesse n'a ete faite que sur cette supposition." 5 3 Für das Österreichische Recht vgl. Kozioll Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts I (4. Aufl. 1976), 108 ff., die an allgemeinen, insbesondere auch das deutsche Recht berücksichtigenden Untersuchungen zum Problem der Geschäftsgrundlage die gleichnamige Publikation von Oertmann aus 1921 sowie Larenz, Geschäftsgrundlage und Vertragserfüllung (3. Aufl. 1963), und Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts II: Das Rechtsgeschäft (2. Aufl. 1975), 494 ff. nennen. 51

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reichend, die Klausel als einen Unterfall des das gesamte Völkerrecht durchwaltenden Grundsatzes der bona fides anzusehen. Dies bedeutet, daß eine Vertragspartei von der anderen die Erfüllung eines Vertrages nicht mehr verlangen kann, wenn ihr diese Erfüllung unzumutbar geworden ist 54 • Nicht mehr zurnutbar aber ist die Erfüllung, wenn die betreffende Vertragspartei dadurch in ihrem Verhältnis zur anderen eine grobe Unbilligkeit erführe oder aber eine wegen Fortfalls des Zweckes sinnlosgewordene Verpflichtung auszuführen hätte. Ob nun unter diesen beiden Rücksichten die Erfüllung eines Vertrags unzumutbar geworden ist, bestimmt sich allein nach objektiven Kriterien, die an sich für jedermann nachprüfbar sein müssen. Die Zustimmung oder der Widerspruch der anderen Vertragsseite, gegenüber welcher eine solche grundlegende Veränderung der Umstände geltend gemacht wird, kann daher zu diesen objektiven Umständen weder etwas hinzutun noch ihnen abträglich sein. Die Wirkung grundlegend geänderter Umstände von der Zustimmung der anderen Vertragsseite abhängig zu machen, heißt die materielle Seite des Problems in ungerechtfertigter Weise mit seiner formellen Seite, dem Verfahren, zu vermischen. Da aber nach Völkerrecht ein Staat bei Fehlen einer bestimmten völkerrechtlichen Pflicht Handiungsfreiheit besitzt55 , wird man in unserem Zusammenhang davon ausgehen können, daß ein durch eine grundlegende Veränderung der Umstände betroffener Staat im Falle der Nichteinigung zwischen den Vertragsparteien, im Falle dringender Notwendigkeit auch schon vor Abschluß des entsprechenden Verfahrens, das Recht hat, von der weiteren Vertragserfüllung Abstand zu nehmen. Selbstverständlich bleibt es der anderen Vertragsseite aufgrundihrer Beurteilung der Umstände überlassen, ihrerseits jene Gegenmaßnahmen zu ergreifen, die sie für gerechtfertigt hält. Daß ein derart entstehender Konflikt heute wegen des Fehlens obligatorischer gerichtlicher oder schiedsgerichtlicher Verfahren einerseits56 , des Verbotes der Anwendung von Gewalt, wie es in Art. 2 Zif. 4 Satzung der Vereinten Vgl. Verdross, Völkerrecht (5. Aufl. 1964), 180 f. Das ergibt sich argumento a minore ad maius aus dem (in Zusammenhang mit der Vertragsinterpretation allerdings oft unrichtig herangezogenen) Grundsatz, daß Verträge im Zweifel so auszulegen seien, daß die Freiheit eines Staates möglichst wenig Einschränkung erfährt. Vgl. Moore, A Digest of International Law V (1906), 251; die Entscheidung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs im Wimbledon-Fall, PCIJ-Publ. 1923, Ser. A, No. 1, auf 24. Dazu Köck, Vertragsinterpretation und Vertragsrechtskonvention (1976), 51 ff. 58 Es bleibt nur das allgemeine Anbieten von friedlichen Streitbeilegungsmitteln in Art. 33 (1) der Satzung der Vereinten Nationen bzw. das Verfahren nach dem Annex der WVK. 54

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Nationen enthalten ist, andererseits, u. U. nicht beigelegt werden kann, ist freilich unbefriedigend und mag darüber hinaus zu Lasten jener Partei gehen, der zu unrecht von einer anderen eine grundlegende Veränderung der Umstände entgegengehalten wird 57 • Es ist jedoch nicht unbefriedigender, als eine Partei zu verhalten, weiterhin einen Vertrag zu erfüllen, obwohl sie sich zurecht auf eine grundlegende Veränderung der Umstände beruft, nur deswegen, weil die andere Partei nicht bereit ist, diese Veränderung anzuerkennen. Daß heute eine Partei, der gegenüber eine Berufung auf die clausula rebus sie stantibus zu unrecht stattfindet, u. U. ohne Rechtsmittel bleibt, ist nicht der Klausel anzukreiden, sondern auf den unbefriedigenden Zustand der heutigen internationalen Gemeinschaft zurückzuführen, die keine funktionierenden obligatorischen Verfahren ausgebildet hat, durch die derartige Situationen bereinigt werden können. 6. Die Relevanz interner Änderungen auf Seiten einer Vertragspartei in Zusammenhang mit Art. 62 WVK ist umstritten.

Wir können in diesem Zusammenhang drei verschiedene Arten interner Änderungen unterscheiden. Es kann sich erstens um eine bloße Änderung des innerstaatlichen Rechts des betreffenden Staates ohne zugrundeliegende politische Veränderung handeln. Solches ist z. B. gegeben, wenn das gesetzgebende Organ das innerstaatliche Recht derart abändert, daß eine weitere Durchführung des Vertrags den innerstaatlichen Organen unmöglich wird. Es kann aber auch dergestalt geschehen, daß eine dazu berufene Instanz (der Verfassungsgerichtshof) das innerstaatliche Recht, welches den Vertrag in bestimmter Weise durchführt, oder jenen Akt, durch den der betreffende Vertrag innerstaatlich inkorporiert wurde, aus irgendeinem, wiederum im innerstaatlichen Recht (zumeist Verfassungsrecht) liegenden Grund aufhebt. Soweit nicht in letzterem Fall der Art. 46 WVK in Betracht kommt58, ist in allen diesen Fällen der Art. 27 WVK ausschlaggebend, welcher 67 Insoweit besteht, worauf Verdross, Völkerrecht (5. Aufl. 1964), 649 f., bereits hingewiesen hat, heute eine Lücke im Völkerrecht im Bereich der Rech tsdurchsetzung. as Art. 46: "Innerstaatliche Bestimmungen über die Zuständigkeit zum Ab-

schluß von Verträgen.

·

(1) Ein Staat kann sich nicht darauf berufen, daß seine Zustimmung, durch einen Vertrag gebunden zu sein, unter Verletzung einer Bestimmung seines innerstaatlichen Rechts über die Zuständigkeit zum Abschluß von Verträgen ausgedrückt wurde und daher ungültig sei, sofern nicht die Verletzung offenkundig war und eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung betraf. (2) Eine Verletzung ist offenkundig, wenn sie für jeden Staat, der sich hiebei im Einklang mit der allgemeinen Ubung und nach Treu und Glauben verhält, objektiv erkennbar ist."

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bestimmt, daß sich keine Vertragspartei auf ihr innerstaatliches Recht berufen kann, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen. Die bloße Änderung des innerstaatlichen Rechts einer Vertragspartei kann daher nicht Grundlage für eine Berufung auf die clausula rebus sie stantibus sein. Der zweite Fall ist die Änderung der Außenpolitik des Staates aufgrund einer Neubeurteilung seiner Interessen. Da dieselbe von den staatlichen Regierungsorganen durchgeführt wird, handelt es sich ebenfalls um eine interne Änderung beim betreffenden Staat, ohne daß derselben hier aber besondere politische Veränderungen zugrunde liegen (müssen). 4

Erscheint einem Staat eine Änderung seiner Außenpolitik zweckmäßig, da dies nach seiner Einschätzung seine Interessen besser fördert, so kann dies keine Grundlage für eine Berufung auf die clausula rebus sie stantibus darstellen, weil sonst jeder Staat jederzeit die Möglichkeit hätte, allein unter Berufung auf seine Interessen jeden Vertrag zu beenden und damit den Grundsatz pacta sunt servanda zu ignorieren. In diesem Sinn ist die von Bismarck in seiner Reichstagsrede vom 6. Februar 1888 vertretene Auffassung, daß sich keine Großmacht auf die Dauer in Widerspruch mit den Interessen ihres eigenen Volkes an den Wortlaut irgendeines Vertrags binden könne 59, nicht nur deshalb unhaltbar, weil diese Begründung eine "imperialistische Färbung" hat oder die Anwendung der Klausel auf die Großmächte beschränkt60 , sondern schon deshalb, weil eine Berufung auf die geänderten Interessen eines Staates allein die Klausel überhaupt nicht zum Tragen bringt. Nur eine objektive Veränderung der Umstände, die niemals bloß in einer Änderung der Beurteilung schon bisher existierender Umstände bestehen kann, sich also nicht als interne Änderung eines Staates, sondern als eine externe Veränderung darstellt, kann eine Berufung auf die Klausel rechtfertigen. Damit kommen wir zum dritten und wichtigsten Fall, zur internen politischen Änderung. Kann eine solche für den betreffenden Staat selbst eine derart grundlegende Veränderung der Umstände darstellen, daß er sich gegenüber seinen Vertragspartnern auf die clausula rebus sie stantibus berufen kann? Im klassischen Völkerrecht wäre diese Frage wohl ohne weitere Umschweife mit Nein zu beantworten. Die völkerrechtlichen Verpflich50

Zit. nach Haraszti, Some Fundamental Problems of the Law of Treaties

(1973), 337 f., Anm. 26.

eo Wie dies Haraszti, ibid., meint.

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tungen richten sich hier nicht nach den innerstaatlichen Verhältnissen; diese haben vielmehr so gestaltet zu werden, daß dem Staat die Erfüllung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen ermöglicht wird61 • Dennoch wird von Seiten bestimmter, nämlich der sozialistischen Staaten die Auffassung vertreten, unter bestimmten Umständen könne

eine Änderung der internen Situation eines Staates Anlaß zur gerechtfertigten Berufung auf die clausula rebus sie stantibus sein. Sollte es nämlich zu einer derartigen Umgestaltung der Produktionsverhältnisse kommen, daß der Staat nunmehr einen höheren Staatstyp darstellt heute also grundsätzlich beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus62 -,so wäre dieser Staat nicht mehr an jene Verträge gebunden, die er unter den Bedingungen der früheren Gesellschaftsordnung abgeschlossen hat und die dieselbe entweder zur Voraussetzung hatten oder aus der Zugehörigkeit zum Lager von Staaten der gleichen Gesellschaftsordnung folgten. Auf den heute im Vordergrund stehenden Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus angewendet, bedeutet dies, daß hieher alle Verträge gehören, welche für ihre Durchführung das Bestehen einer solchen nichtsozialistischen Wirtschafts- und Sozialordnung voraussetzen63, aber auch solche Verträge, welche den betreffenden Staat politisch und militärisch (a'lso z. B. durch eine Allianz) in den Block der kapitalistisch-imperialistischen Mächte einbinden und 61 So hat der Internationale Gerichtshof im Genfer FreizonenfaH, PCIJPubl. 1932, Ser. A/B, No. 46, auf 167, klar ausgesprochen, daß "France cannot rely on her own legislation to Iimit the scope of her international obligations". Schon zuvor hatte er im Fall Polnische Staatsangehörige in Danzig, PCIJPubl. 1932, Ser. A/B, No. 44, ganz allgemein festgestellt: "A State cannot adduce as against another State its own constitution with a view to evading Obligations incumbent upon it under international law." Verdross, der in seinem Völkerrecht (5. Aufl. 1964), 114, den Grundsatz klar herausstellt, weist auch auf die Feststellung der amerikanisch-italienischen Conciliation Commission vom 24. September 1956 im Fall (richtig:) US ex rel. Wollernborg v. Italian Republic hin, wo es heißt: "[O]ne thing is certain: the Italien Government cannot avail itself, before an international court, of its domestic law to avoid fulfilling an accepted international obligation." 51 AJIL (1957), 439. Für das völkerrechtliche Vertragsrecht hat schließlich Art. 27 WVK nunmehr unmißverständlich festgestellt: "Eine Vertragspartei kann sich nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen ..." 62 Zu den verschiedenen Staatstypen vgl. Marxistisch-leninistische allgemeine Theorie des Staates und des Rechts II (Historische Typen des Staates und des Rechts), nach der russischen Originalausgabe hrsg. vom Institut für Theorie des Staates und des Rechts der Akademie der Wissenschaften der DDR (1974), bes. 9 ff.; zum Übergang bes. 403 ff. es Dies ergibt sich klar aus der sowjetischen Praxis nach 1917 und hat seinen Niederschlag vor allem bei Korovin, Das Völkerrecht der Übergangszeit (russisch 1924), 109 f. Haraszti, Some Fundamental Problems of the Law of Treaties (1973), weist aber darauf hin, daß die gesamte heutige sowjetische Völkerrechtsliteratur das Klauselproblem in ein oder zwei Sätzen abtut, ohne es wirklich auszuschöpfen. (Auf 355).

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ihn damit in einen Gegensatz zum Lager der sozialistischen Staaten stellen64 • In diesem Sinn hat die Sowjetunion in ihrer Note vom 2. April 1924 darauf hingewiesen, daß sie sich berechtigt halte, alle Verträge Rußlands vor der Oktoberrevolution angesichts der danach eingetretenen Änderung der internationalen Umstände auf ihre weitere Anwendbarkeit zu überprüfen, nachdem sie bereits zuvor die Geheimverträge des zaristischen Rußland für ungültig erklärt hatte 65 • Im übrigen hatte die Sowjetunion der Konferenz von Genua schon am 20. April 1922 ein Memorandum vorgelegt, nach welchem die Revolution von 1917 die früheren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verhältnisse völlig zerstört und anstelle der alten Sozialordnung eine neue gesetzt habe. Daraus leitete die Sowjetunion den Untergang aller Verpflichtungen, die die früheren Verhältnisse zur Voraussetzung gehabt hätten, ab 66 • Auf dieser Grundlage entwickelte dann Korovin seine Theorie von der sozialen Revolution als Rechtsgrundlage für eine Berufung auf die clausula rebus sie stantibus 67 • Dies ist um so mehr von Bedeutung, als die sowjetische Völkerrechtsdoktrin jener Zeit der Klausel sonst eher ablehnend gegenüberstand68 • Das Argument Korovins lief darauf hinaus, daß die Berufung auf geänderte Umstände im Verhältnis zweier Staaten gleicher Gesellschaftsordnung nicht zulässig sei, weil es keine internationale Instanz gebe, die ohne Zustimmung der Parteien einen sich daraus entwickelnden Streit beilegen könne. Werde aber, wie das aufgrund der sozialistischen Revolution wenigstens in einem Staat der Fall sei, das kapitalistische Völkerrecht durch das Völkerrecht der Übergangszeit - also jenes Völkerrecht, in dem es sowohl sozialistische als auch kapitalistische Völkerrechtssubjekte gebe- ersetzt, dann finde das Klauselinstitut beschränkte Anwendung, indem dieses Völkerrecht der Übergangszeit jenen Staaten, in denen eine soziale Revolution stattgefunden habe, ein Recht gebe, sich ob derselben auf geänderte Umstände zu berufen69 • 64 Vgl. Shurshalov, Die Grundlagen für die Gültigkeit von Verträgen (russisch 1957), 94 ff., auf 129. Wir stützen uns hier auf die Wiedergabe seiner Gedanken bei Haraszti, Some Fundamental Problems of the Law of Treaties

(1973), 355 f. 65 Vgl. Fauchille, Traite de droit international public 1/3 (1926), 388. 66 Vgl. Haraszti, Some Fundamental Problems of the Law of Treaties (1973), 352. 87 Vgl. ibid., nach Korovin, "Soviet Treaties and International Law", AJIL (1928), 763. 88 Vgl. ibid.; auch Haraszti, op. cit., 354. 69 Korovin, Das Völkerrecht der Übergangszeit (russisch 1924), 109; hier nach Haraszti, op. cit., 353.

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Es darf hier erwähnt werden, daß die spätere sowjetische Völkerrechtslehre zwar die Doktrin von der sozialistischen Revolution als Rechtsgrund für eine Berufung auf die clausula rebus sie stantibus beibehielt, gleichzeitig aber von der Auffassung Korovins insofern abrückte, als sie sich allmählich auch die traditioneHe Klausellehre zu eigen machte70 • Dies kam nicht von ungefähr, wenn man erwägt, daß Korovin durch eine völlige Zurückweisung der Klausel in allen anderen Fällen denn jenes einer sozialen Revolution zweifellos zu restriktiv gewesen war, und insbesondere sein Hinweis, die K'lausel könne wegen Fehlens einer zentralen völkerrechtlichen Schiedsinstanz nicht angewendet werden, nicht schlüssig ist71 • Heute wird in der sowjetischen Völkerrechtswissenschaft die Klausel als Instrument angesehen, um überlebte völkerrechtliche Verpflichtungen zu beseitigen72 • Dies gilt zwar immer noch in erster Linie für Völker, die für ihren sozialen Fortschritt, ihre nationale und staatliche Unabhängigkeit kämpfen, oder solche Staaten, welche einem "aggressiven" Militärblock angehören und sich von diesem zurückziehen wollen73 • Gleichzeitig wird jedoch anerkannt, daß es auch andere Fälle geben könne, wo eine radikale Änderung der Umstände eine Anwendung der Klausel rechtfertige74 • Auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz hatte der Vertreter der

Ukraine darauf hingewiesen, daß die sozialistischen Staaten die Exi-

stenz der Klausel zwar nicht verneinten, aber die Auffassung verträten, sie sol:lte nur in außergewöhnlichen Fällen und mit besonderer Vorsicht angewendet werden75 • Der sowjetische Delegierte wies darauf hin, daß ganz allgemein die Haltung der Regierungen lange Zeit hindurch gegenüber der Klausel sehr schwankend gewesen sei, und die Auffassungen oft selbst innerhalb eines Staates geteilt gewesen wären. Nunmehr sei der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen aber 70 Vgl. (mit Vorbehalt) Pashukanis, Grundzüge des Völkerrechts (russisch 1935); nach einer größeren Unterbrechung vor allem Kozhevnikov in den verschiedenen Auflagen (russisch 1957, 1964, 1966) seines Lehrbuches; ähnlich auch das Völkerrecht von Levin und Kalyuzhnaya (russisch 1964). Jüngst vor allem Shurshalov, Foundations of the Validity of Treaties (russisch 1957) und Kovalev, Grundlegende Änderung der Umstände (russisch 1970). Ein früher sowjetischer Vertreter der Klausel als eines fundamentalen Rechtsgrundsatzes war schon Ladishensky, "Die Klausel der geänderten Umstände (clausula rebussie stantibus) im sowjetischen Recht", Pravo i zhizn 1925, Nos. 2-3, p. 12 (russisch). Alle russischen Werke nach Haraszti, op. cit.,

passim.

Denn dann wäre bis heute überhaupt keine Rechtsdurchsetzung möglich. Vgl. das von Chikvadze 1967 russisch herg. Werk Kursus des Völkerrechts II, 279. Auch Shurshalov, in der folgenden Anm. 73 So vor allem Shurshalov, Grundlagen für die Gültigkeit von Verträgen, russisch 1957, 129 f. 74 Chikvadze, Kursus des Völkerrechts (russisch 1967), II, 279. 75 UN Doc. A/CONF.39/C.l/SR.63; A/CONF.39/11, 368. 71

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gelungen, das Institut in eine brauchbare Fassung zu bringen, was die sowjetische Delegation begrüße76 • Der folgende Passus zeigt, wie sehr im Rahmen der sowjetischen Auffassung immer noch die soziale Revolution unter den Gründen für eine Anwendung der clausula rebus sie stantibus an erster Stelle steht: "Die schwerwiegenden Änderungen", heißt es dort, "welche durch eine genuine soziale Revolution oder Entkolonialisierung herbeigeführt würden, bedeuteten eine grundlegende Veränderung jener Umstände, welche zur Zeit des Vertragsabschlusses vor der Revolution bestanden hätten. Unter solchen Umständen eines grundlegenden Wandels wäre es eine Verletzung der Souveränität eines Volkes, wollte man ihm die Anwendung des Vertrags auferlegen. Gleichzeitig aber könne die bloße Änderung der innerstaatlichen Politik eines Landes oder seiner Regierung nicht als eine grundlegende Veränderung der Umstände angesehen werden" 77• Der sowjetische Delegierte bezeichnete es in diesem Zusammenhang als den Zweck der Klausel, die Änderung eines solchen status quo zu erreichen, den die Gesellschaft deutlich ablehne und dessen Aufrechterhaltung den internationalen Beziehungen nur abträglich sein könne. Die in Art. 62 enthaltene Regelung werde dann wirksam, wenn sich die Umstände so geändert hätten, daß der Vertrag alle Bedeutung verloren habe, seine Aufrechterhaltung dem Frieden zum Nachteil gereiche und mit dem Grundsatz der Gleichheit und des wechselseitigen Vorteils der Parteien unvereinbar geworden sei. Eine Berufung auf die clausula rebus sie stantibus dürfe jedoch nur ausnahmsweise und in sehr heiklen Situationen erfolgen. Man könne sich dabei die internationale Praxis des Sowjetstaates zum Vorbild nehmen, der sich nur in ganz vereinzelten Fällen auf die Klausel berufen habe78 • Zwei weitere Wortmeldungen im Plenum der Konferenz, die eine vom sowjetischen, die andere vom weißrussischen Delegierten, betrafen sich aus dem Text des Artikels ergebende Sonderfragen79 und sind hier nur insoweit von indirekter Bedeutung, als der Umstand, daß sich beide in positiver Weise mit einzelnen Passagen des Artikels auseinandersetzten, beweist, daß sie denselben in seiner heutigen Gestalt bejahten und damit zweifellos auch die clausula rebus sie stantibus als Endigungs- oder Suspendierungsgrund für Verträge in anderen Fällen als bloß jenem der sozialen Revolution anerkannten. 76 77 78

UN Doe. A/CONF.39/C.l!SR.64; A/CONF.39/11, 374. Übersetzung aus dem Englischen vom Verf.)

Ibid. (Deutsche Vgl. ibid.

78 Nämlich die Frage der sog. ungleichen Verträge (UN Doe.A/CONF.39/ SR.22; A/CONF.39/11/Add.1, 120) und die Frage der Grenzverträge (ibid., 121).

7 Festschrift für Stephan Verosta

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Die Reaktion auf die Behauptung, die auf einer sozialen Revolution beruhende Änderung der innerstaatlichen Politik könne eine Berufung auf die Klausel rechtfertigen, ermangelt außerhalb des sozialistischen Lagers, wenn nicht der Klarheit, so doch der Deutlichkeit. Der Kommentar der Völkerrechtskommission, die sich mit dieser Meinung hatte ebenfalls auseinandersetzen müssen, vermied es ausdrücklich, dazu eine abschließende Stellung zu nehmen, sondern wies lediglich darauf hin, daß die Auffassung vertreten werde, "eine radikale Änderung der politischen Verbundenheit der Regierung eines Landes könne es im Falle eines Allianzvertrages für beide Seiten als unannehmbar erscheinen lassen, diesen Vertrag fortzusetzen" 80 • Die Kommission hatte in diesem Zusammenhang gemeint, daß ihre Definition einer grundlegenden Veränderung der Umstände im Artikel selbst ausreichen müsse, um mißbräuchliche Versuche der Beendigung eines Vertrags auf der Basis einer bloßen Änderung der Politik auszuschließen, und es für nicht notwendig gehalten habe, das Problem näher zu behandeln81 • Was die Kommission in diesem Zusammenhang als mißbräuchlich angesehen hat, bleibt allerdings offen. Als einziger Delegierter hat sich der britische im Committee of the Whole mit dieser Frage in etwa auseinandergesetzt, indem er bemerkte, es wäre in diesem Zusammenhang besser gewesen, eine Bestimmung aufzunehmen, nach welcher sich niemand auf seine eigene politische Kursänderung zum Zwecke der Anwendung der Klausel berufen dürfe. Da aber eine solche Bestimmung in Art. 62 nicht enthalten sei, verwies er auf die travaux preparatoires, in denen, wie er mit Befriedigung feststellte, zum Ausdruck komme, daß sich die Kommission in diesem Punkt einig gewesen sei82 • Was dagegen die Wirkung einer grundlegenden politischen Kursänderung im Inneren eines Staates für die übrigen Vertragsparteien angehe, so gehöre dieser Fall nicht in den Bereich der clausula rebus sie stantib'us, sondern vielmehr in jenen des (späteren) Art. 56 WVK83 , welcher nunmehr aufgrund eines britischen Abänderungsvorschlages wie folgt lautet: "Ein Vertrag, der keine Bestimmung über seine Beendigung enthält, und eine Kündigung und einen Rücktritt nicht vorsieht, unterliegt weder der Kündigung noch dem Rücktritt, sofern (a) ... oder 80 UN Doc.A/CONF.39/11/Add.2, 79 (Deutsche Übersetzung aus dem Englischen vom Verf.). st Vgl. ibid. 82 UN Doc.NCONF.39/C.l/SR.63; NCONF.39/ll, 369. 83 Vgl. ibid.

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(b) ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht sich nicht aus der Natur des Vertrags herleiten läßt." Der britische Delegierte wollte also bei Allianzverträgen den Vertragspartnern eines Staates, dessen neue politische Struktur und Ausrichtung ein gedeihliches Mitwirken im Rahmen der betreffenden Allianz nicht mehr erwarten läßt oder seine Teilnahme untunlich macht, ein Kündigungsrecht geben. Von einem Kündigungsrecht dieses Staates selbst ist dagegen nicht die Rede 84 • Es ist schwer zu entscheiden, ob andere Delegierte dieses Problem als nicht so vordringlich oder aber als so heikel angesehen haben, daß sie vermieden, darauf einzugehen. Tatsächlich wird man die Behauptung, der Hinweis auf eine soziale Revolution rechtfertige für den betreffenden Staat eine Berufung auf die clausula rebus sie stantibus, unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten, nämlich unter einem theoretischen und unter einem praktischen, betrachten müssen. Was die Theorie anlangt, so gibt es wiederum zwei Standpunkte, nämlich den traditionellen des klassischen Völkerrechts und den marxistisch-leninistischen Standpunkt. Nach dem traditionellen (vom marxistisch-leninistischen als kapitalistisch zu bezeichnenden) Standpunkt kann die Änderung der internen Situation eines Staates, selbst dann, wenn es sich um eine grundlegende soziale Umwälzung handelt, nicht als ausreichender Grund für die Berufung dieses Staates auf die Klausel angesehen werden. Internationale Verpflichtungen können nach dieser Auffassung nämlich durch interne Vorgänge innerhalb eines Staates weder aufgehoben noch abgeändert werden, weil derartige Vorgänge die Rechtssubjektivität des Staates nicht berühren und damit den Träger der völkerrechtlichen Verpflichtungen unberührt lassen85 • Eine soziale Revolution ist damit sonstigen internen Änderungen gleichgestellt und wie diese - z. B. eine Änderung des innerstaatlichen Rechts- im Zusammenhang mit der Klausel unerheblich. 84 Der britische Delegierte stützte sich weitgehend auf die Ausführungen des kubanischen Delegierten zum (späteren) Art. 56, ohne daß sich aber von dorther für diesen Punkt viel gewinnen läßt. Vgl. UN Doc.A/CONF.39/C.l! SR.58; A/CONF.39/11, 337 f. 85 Vgl. dazu als klassischen Präzedenzfall den Tinoco Claims ArbitrationFall (1923), I UNRIAA (1948), 369 ff., wo es heißt: "In an international tribunal ... the unilateral repeal of a treaty by a statute would not affect the rights arising under it and its judgment would necessarily give effect to the treaty and hold the statute repealing it of no effect ... " Der Schiedsrichter bezog sich dabei auf Moore, Digest of International Law I (1906), 249, nach welchem "[a] change in the government or the internal policy of a state do not as a rule affect its position in internationallaw. A monarchy may be transformed into a republic or a republic into a monarchy; absolute princes may be substituted for constitutional, or the reverse; but, though the government changes, the nation remains, with rights and oligations unimpaired."

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Vom Standpunkt der marxistisch-leninistischen Doktrin aus dagegen tritt der Staat mit der Änderung des Staatstyps vom kapitalistischen zum sozialistischen Staat in eine höhere Form seiner Entwicklung ein86, eine Tatsache, die das Recht nur zur Kenntnis nehmen kann und an die es die entsprechenden Folgen zu knüpfen hat. Da es nun widersinnig wäre, von einem zum nächsthöheren Typ fortgeschrittenen Staat ein Verhalten zu fordern, das dem bereits überwundenen Typ angemessen wäre, werden alle vertraglichen Verpflichtungen hinfällig, die mit der neuen Situation dieses Staates als unvereinbar angesehen werden müssen. Wenngleich das Völkerrecht der Übergangszeit die Existenz kapitalistischer neben sozialistischen Staaten noch anerkennt und Beziehungen zwischen ihnen auf der Grundlage der gegenseitigen Achtung und der friedlichen Koexistenz ermöglicht87, so bedeutet dies doch nicht, daß es als eine Rechtsordnung angesehen werden dürfe, die der progressiven Entwicklung der internationalen Gemeinschaft bzw. eines ihrer Mitglieder Hindernisse in den Weg legt88• Daher kann nach dieser Auffassung von Seiten des Völkerrechts kein Einwand gegen eine Berufung auf die clausula rebus sie stantib'us erhoben werden. Was die Praxis anlangt, so muß man feststellen, daß sich aus ihr allein keine eindeutigen Regeln gewinnen lassen. Zwar haben diejenigen Staaten, die das klassische Völkerrecht am konsequentesten vertreten - das sind jene Staaten, die heute in verschiedenen internationalen Institutionen als "Western European and Other States" zusammengefaßt sind - weder nach der Errichtung der sozialistischen Ordnung in der Sowjetunion noch nach der Errichtung derselben in den verschiedenen osteuropäischen Staaten nach dem zweiten Weltkrieg ein Recht auf Lossagung von völkerrechtlichen, insbesondere vertraglichen Verpflichtungen wegen der dort stattgehabten sozialen Umwälzungen anerkannt; und die Sowjetunion hat sich z. B. auch in der Zwischenkriegszeit zu verschiedenen Zugeständnissen, insbesondere was die Rechte ausländischer Staatsangehöriger anlangt, bequemen müssenst. 88 Vgl. dazu allgemein Marxistisch-leninistische allgemeine Theorie des Staates und des Rechts II (Historische Typen des Staates und des Rechts), hrsg. vom Institut für Theorie des Staates und des Rechts der Akademie der Wissenschaften der DDR (1974), 403 ff. 87 Vgl. dazu u. a. Tunkin, Das Völkerrecht der Gegenwart Theorie und Praxis (1963), 11 ff. ("Das Völkerrecht in der Periode nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution"); Verdross, Völkerrecht (5. Aufl. 1964), 106, der sich u. a. auf Korowin, Krylow und Tunkin stützt. (Vgl. die ibid. gegebenen Literaturhinweise.) 88 Vgl. Haraszti, op. cit., 383. 89 Vgl. dazu das sog. Litvinov Assignment von 1933, wo es heißt: "The Government of the Union of Soviet Sodalist Republic agrees that, preparatory to a final settlement of the claims ancl counter claims between the

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Andererseits aber ist es den westlichen Staaten nicht gelungen, ihre Auffassungen über den sozialistischen Standpunkt radikal zur Durchsetzung zu bringen, was in einer internationalen Gemeinschaft, die als völkerrechtlich teilweise desintegriert erscheint90, und bei einer internationalen kräftemäßigen Pattstellung zwischen den Supermächten auch gar nicht möglich gewesen wäre. Läßt sich derart aus der Praxis allein auch hier wie so oft keine eindeutige Antwort geben, dann lassen sich an die marxistisch-leninistische Auffassung von der sozialen Revolution als Grundlage einer Berufung auf die clausula rebus sie stantibus doch jedenfalls zwei Fragen stellen. Die erste Frage betrifft den Fall der Reversion des genannten Vorganges der sozialen Revolution, also die Konterrevolution. Bei der Konterrevolution handelt es sich bekanntlich um die Wiederherstellung einer bereits überwundenen (hier: der kapitalistischen) Gesellschaftsordnung durch die früher herrschende Klasse. Wie hält es nun die marxistisch-leninistische Theorie in diesem Fa:ll mit der elausula rebus sie stantibus? Darauf gibt es drei mögliche Antworten. Die erste Antwort wäre jene, daß es sich bei der Gegenrevolution um eine ebenso grundlegende Umwälzung handelt wie bei der sozialen Revolution. Daher dürfe sich jener Staat, der aufgrund einer Gegenrevolution von einer sozialistischen zu einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung zurückkehrt, seinerseits von allen Verpflichtungen lösen, die er a:ls sozialistischer Staat eingegangen ist und die ihm nunmehr mit seinem neuen Status unvereinbar erscheinen. Die zweite, der ersten entgegengesetzte Antwort wäre jene, nach der eine Gegenrevolution keinen Schritt von einer niedrigeren zu einer höheren Gesellschaftsordnung darstellt, und daher für sich nicht jenen Rechtsschutz beanspruchen könne, die der sozialen Revolution als dem Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus zukomme. In diesem Fall wäre es dem konterrevolutionären Staat nicht erlaubt, sich irgendwelchen früheren völkerrechtlichen Pflichten, insbesondere jenen vertraglicher Natur, zu entziehen. Die dritte Antwort schließlich wäre jene, daß in der internationalen Praxis ein solcher Fall der Konterrevolution bisher nicht eingetreten sei und auch nicht eintreten werde, weil die sozialistischen Staaten Governments of the Union of Soviet Socialist Republics and the United States of America and the claims of their nationals, ..." Zit. nach Bishop, International Law (3. Aufl. 1971), 376. 90 Und zwar insoweit, also die traditionellen, in der abendländischen Tradition wurzelnden Vorstellungen von den sozialistischen und von den Entwicklungsländern in Frage gestellt werden.

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unter der Führung der Sowetunion in Anwendung der Grundsätze des marxistischen Internationalism us und der sozialistischen Solidarität jedem einzelnen Staat ihrer Gemeinschaft (gerufen oder ungerufen) zu Hilfe kommen würden, um eine Konterrevolutio n niederzuschlage n und damit die Wiederherstellu ng der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu verhindern91 . Für diese Auffassung erhebt sich dann die Frage, ob dem gegenrevolution ären Staat dasselbe Privileg hinsichtlich der Berufung auf die clausula rebus sie stantibus zukommt wie dem revolutionären Staat, überhaupt nicht, bzw. hat sie keinen Realitätsbezug. Die zweite Frage an die marxistisch-leni nistische Auffassung von der sozialen Revolution als Grundlage für eine Berufung auf die Klausel bezieht sich auf deren Anwendungsber eich. Ein solcher Bereich ist, wie wir gesehen haben, die Mitgliedschaft in einem "aggressiven" Militätblock, also die Zugehörigkeit zu einer westlichen Allianz; dies wird jedenfalls postuliert92 • Nun ist aber festzustellen, daß (zumindest) einzelne kommunistische Parteien in Westeuropa, für deren Position der Sammelname "Eurokommunismus" geprägt worden ist, die Auffassung vertreten, auch im Fa:lle ihrer Regierungsüber nahme und der allmählichen Herstellung einer gesellschaftliche n Ordnung sozialistischen Charakters unter der Hegemonie der kommunistische n Partei - also in jener Phase, die nach eurokommunist ischer Auffassung jene der Diktatur des Proletariats ersetzen soll - , solle der betreffende Staat weiterhin Mitglied jenes Militärbündniss es bleiben, dem er bisher angehört hat. Italien würde in diesem Fall z. B. in der NATO verbleiben, Spanien das Fortbestehen amerikanischer Stützpunkte auf seinem Territorium zulassen93 • Diese Parteien erklären ihre Haltung damit, daß die Aufrechterhaltung der bestehenden Bündnissysteme und damit des Gleichgewichts zwischen Ost und West geeignet sei, den Frieden in der Welt zu erhalten94. Da der Friede hier als höchster internationaler Wert angesehen 91 Also im Sinne der sog. "Breschnew"-Do ktrin, wie sie - ohne als solche ausdrücklich proklamiert zu sein - z. B. 1968 in der Tschechoslowakei im Zusammenhang mit der Entwicklung des "Prager Frühlings" zur praktischen Anwendung kam. 92 Vgl. oben, Anm. 73. 93 Vgl. u. a. Laqueur, Europa vor der Entscheidung (1978), S. 147; Benedikter, Eurokommunismus - der große Bluff, 158 ff. (1978); Steinkühler, Eurokommunismus im Widerspruch - Analyse und Dokumentation (1977), s. 121 ff. 94 Laqueur weist op. cit. darauf hin, daß Berlinguer und Carillo gelegentlich betont haben, wie wichtig es sei, die NATO wenigstens noch so lange intakt zu halten, bis alle militärischen Blöcke beseitigt sind. Nur der französische KP-Chef Marchais widersetzte sich entschieden nicht nur der

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wird, kann von diesem Standpunkt aus also gerade in Zusammenhang mit den von der marxistisch-leninistischen Theorie in den Vordergrund gestellten "aggressiven" Allianzen eine Berufung auf die Klausel nicht statthaben. Die Lehre von der clausula rebus sie stantibus ist damit um eine weitere Facette bereichert worden. 7. Abschließend kann darauf hingewiesen werden, daß die Klausel heute zwar als solche allgemein anerkannt ist und damit zum Kernbestand des Völkervertragsrechts gehört, die Fälle ihrer Anwendbarkeit jedoch durchaus umstritten bleiben. Die Formulierung von Art. 62 WVK ist nämlich so gehalten, daß man von den verschiedenen Standpunkten her die verschiedenen Auffassungen in die Bestimmungen hineinlesen kann. Dies ist die notwendige Folge einer Kodifikation in Bereichen, in denen sich die internationale Gemeinschaft materiell nicht einig ist. Wie bei verschiedenen anderen Grundsätzen und Normen des Völkerrechts auch handelt es sich hier aber nicht sosehr um eine Frage, die in der Theorie bereinigt werden könnte, sondern vielmehr um eine solche, deren endgültige Klärung eine Überwindung der ideologischen Gegensätze in der internationalen NATO, sondern auch allen anderen Formen von militärischem Zusammenhalt in Europa. In diesem Zusammenhang muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß die KPF von einigen nicht eigentlich zum Eurokommunismus gezählt wird. Nach Leonhardt sei sie vielmehr im wesentlichen immer noch stalinistisch ausgerichtet. Der italienische KP-Chef Berlinguer bezeichnete Anfang 1975 auf einer Sitzung des Zentralkommittees der KPI zur Vorbereitung des 14. Parteikongresses "den Atlantikpakt zwar noch als ein Hauptinstrument der Politik der kapitalistischen und imperialistischen Kräfte zur Spaltung der antifaschistischen Einheit und zur Vertiefung des kalten Krieges, ja er erinnerte die Delegierten gleichzeitig an die Tatsache, daß die Bildung des Warschauer Paktes der Ostblockstaaten nur eine nachträgliche Antwort darauf gewesen sei. (Aber) zwischen den beiden Großmächten existiere schon seit längerer Zeit ein militärisch-strategisches Gleichgewicht, das man mit großer Aufmerksamkeit und mit Realismus zur Kenntnis nehmen müsse. Nur ein dauerhafter Prozeß der Entspannung könne diese Blockbildung langsam überwinden. Deshalb wäre es unrealistisch an einseitige Austritte einzelner Länder aus dem einen oder anderen Paktsystem zu denken." Benedikter, op. cit., 159. In einem Interview, das Berlinguer im Hinblick auf die Parlamentswahlen am 20. 6. 76 gewährte, wurde er u. a. gefragt, ob er nicht Angst habe, daß Moskau seinem Eurokommunismus das gleiche Ende bereiten könnte wie 1968 den Tschechen unter Dubcek und ihrem Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Berlinguer antwortete darauf, es gäbe keine einzige Handlung, welche die Absicht der UdSSR enthüllen würde, über die Grenzen von Jalta hinauszugehen. Die geographische Lage Italiens schlösse im übrigen aus, daß die Sowjetunion selbst wenn sie wollte, den eurokommunistischen Weg der KPI behindern könne. In diesem Zusammenhang begrüßte er, daß Italien nicht dem Warschauer Pakt angehöre, sonrern der NATO. Er wolle daher nicht, daß Italien den Atlantikpakt verlasse und zwar erstens, weil ein Austritt das internationale Gleichgewicht erschüttern könne, aber auch, weil, wie er sagte, "er sich persönlich hier sicherer fühle als dort." Benedikter, op. cit., 160 f.; vgl. auch Steinkiihler, op. cit., 125.

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Heribert Franz Köck

Praxis voraussetzen würde. Solange eine solche Überwindung auf der einen oder anderen ideologischen Grundlage nicht herbeigeführt ist, werden einzelne Anwendungsfäl le der clausula rebus sie stantibus immer umstritten bleiben.

II. Völkerrechtliche Zuständigkeit (Jurisdiction)

ÜBER DIE SOGENANNTEN "NEUTRALEN 'ZONEN" DER ARABISCHEN HALBINSEL Von Manlio Udina*

I. Die relative Unbekanntheit dieses Problems Ich habe mich bei einer Betrachtung geographischer Karten, welche die nicht immer klar gezogenen Grenzen der Staaten auf der arabischen Halbinsel, die in jüngerer Zeit entstanden sind und sich immer rascher entwickeln, wiedergeben, öfter gefragt, warum sich in Werken über das Völkerrecht im allgemeinen oder in monographischen Abhandlungen zu einzelnen seiner Institute niemals- und in geographischen, wirtschaftlichen oder statistischen Werken selten- Hinweise auf jene beiden an den Grenzen zwischen Saudi-Arabien und dem Irak bzw. Kuwait gelegenen Zonen finden, welche jeweils in jenen Karten nach englischer Terminologie als "Neutral Zone", nach französischer als "Zone neutre" gekennzeichnet sind1 • Daher habe ich es für angemessen gehalten, meine Wißbegier durch eine nähere Untersuchung der tatsächlichen Beschaffenheit und der rechtlichen Natur dieser Zonen in diesem kurzen Beitrag zu einem Sammelband zu befriedigen, der einen illustren Kollegen und lieben Freund ehren soll, wobei ich darauf vertraue, daß ich auf diese Weise einem ziemlich wenig beachteten Problem zu größerer Bekanntheit verhelfen kann.

II. Lage und Beschaffenheit der Zonen Als erstes ist es notwendig, näher zu präzisieren, um welche Territorien in concreto es sich bei jenen handelt, die damals, im Jahre 1922, als "neutrale Zonen" festgelegt wurden, um vor allem als kleiner Polster zu dem Zweck zu dienen, im Laufe des Prozesses der neuen politi-

* Übersetzung aus dem Italienischen von Heribert Franz

Köck.

Meines Wissens nach - und ohne auszuschließen, daß das Problem auch von anderen arabischen Juristen in arabischer Sprache berührt worden sein mag - findet sich ein Hinweis auf den rechtlichen Status einer dieser Zonen lediglich im Werk von El Erian, Condominium and related situations in international law, Kairo 1951, 100 f., der danach von Marazzi, I territori internazionalizzati, I, Turin 1959, 167 f., zitiert wird. 1

Manlio Udina

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sehen Einteilung der arabischen Halbinsel im Gefolge des ersten Weltkrieges, der u. a. den Zerfall des ottomanischen Reiches und die nachfolgende Bildung der neuen laizistischen türkischen Republik gesehen hatte, die Zusammenstöße zwischen den im Grenzgebiet der drei benachbarten Staaten wohnenden Stämmen zu vermeiden. Die erste dieser Zonen, die auch Zone von Tawal genannt wird, wird von einem steppenartigen Gebiet von ca. 6.700 km2 gebildet, das an der nördlichen Grenze Saudi-Arabiens zwischen diesem und dem Irak, und zwar unmittelbar westlich von Kuwait liegt; sie ist demilitarisiert und wird von den beiden Nachbarstaaten gemeinsam hauptsächlich zu dem Zweck verwaltet, um den Nomadenstämmen den freien Zugang zu den dort befindlichen Weideplätzen und Wasserstellen zu ermöglkhen. Das Territorium, das heute auch Aussichten auf die mögliche Existenz noch nicht ausgebeuteter Petroleumvorkommen bietet, hat mit Ausnahme der Ortschaft Rukhaimiyah, die an der Kreuzung der das Gebiet durchquerenden Pisten liegt, so gut wie keine seßhafte Bevölkerung. Die zweite, weit wichtigere Zone, auch Territorium von Wafra genannt und sehr dünn besiedelt, mißt 5.770 km2 und ist mehr nach Osten, am Ufer des persischen Golfes zwischen Saudi-Arabien und Kuweit gelegen. Seit 1953 hat man dort mit der Ausbeutung ungeheurer Petroleumvorkommen begonnen, vor allem von Seiten US-amerikanischer Gesellschaften 2 • Diese Zone müßte heute- wenngleich, wie man sehen wird, nur bis zu einem bestimmten Punkt - eigentlich nur eine historische Erinnerung darstellen, weil die beiden Staaten 1965 beschlossen haben, das Territorium unter einander durch Annexion des nördlichen Teils von Seiten Kuweits und des südlichen von Seiten Saudi-Arabiens aufzuteilen.

lll. Die auf die Zonen bezüglichen internationalen Rechtsakte Betrachten wir nunmehr die internationalen Akte, die diese Territorien betreffen und von denen sich für sie eine besondere Stellung herleitet, deren rechtlicher Charakter dann zu bestimmen sein wird. Was die irako-saudische Zone anlangt, so ist hiefür das Protokoll No. 1 betreffen die Festlegung der Grenzen entscheidend, das am 2. Dezember 19223 im Hafen von Oqayr als Zusatz zu dem am 5. Mai desselben Jahres 4 in Mohammerah zwischen der Regierung des Irak und dem da2 Vgl. Berreby, La peninsule arabique, Paris 1958, 78 f., und Tomiche, L'Arabie seoudite, Paris 1962, 104. 8 Wiedergegeben von Aitchison, A collection of treaties, engagements and sanads relating to India and neighbouring countries, XI, Delhi 1933, 211 f.

' Ibid., 208- 210.

Die sogenannten "neutralen Zonen" der arabischen Halbinsel

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maligen Sultan von Nedjed (der später, nach der Eroberung des Hedjaz und von Asir, zum König von Saudi-Arabien werden sollte) geschlossenen Vertrag unter Mitwirkung eines Delegierten des britischen Hochkommissars im Irak - wegen des in letzterem Land damals herrschenden Mandatsregimes - unterzeichnet wurde. In Art. 1 lit. c des Protokolls, mit dem man die Grenzlinie festlegte, bestimmte man, daß "the area delimited by the points enumerated above which includes all these points will remain neutral and common to the two Governments of Iraq and Najd who will enjoy equal rights in it for all purposes". Die Zone zwischen Saudi-Arabien und Kuweit wurde hingegen durch die Grenzkonvention zwischen Kuweit und Nedjed errichtet, die vom Vertreter des letzteren Landes und dem "Political Agent" Großbritanniens, unter dessen Protektorat damals - und bis 1961 - das von ihm repräsentierte Kuweit stand, am 2. Dezember 19225 gleichfalls in Oqayr unterzeichnet wurde. Im einzigen Artikel dieser Konvention bestimmte man, daß "the portion of territory bounded on the North by this line and which is bounded on the West by a low mountainous ridge called Shaq (Esh Shakk) and on the East by the sea, on the South by a line passing from West to East from Shaq (Esh Shakk) to ,Ain al 'Abd (Ain el Abd) and thence to the coast north of Ras al Mish'ab (Ras Mishaab), in this territory the Governments of Najd and Kuwait will share equal rights until through the good offices of the Government of Great Britain a further agreement is made between Najd and Kuwait concerning it." Und zu diesem weiteren Abkommen, das zwischen den zwei nunmehr beide unabhängigen Ländern direkt ausgehandelt wurde, ist es am 7. Juli 1965 in Al-Hadda gekommen, wobei die Aufteilung der neutralen Zone zwischen dem Staat von Kuweit und den Königreich Saudi-Arabien festgelegt wurde6 • Unter anderem muß daran erinnert werden, daß Art. 8 eines früheren zwischen Großbritannien als dem Agenten für das Scheichturn Kuweit und Saudi-Arabien abgeschlossenen Übereinkommens, das die Auslieferung von Verbrechern und die Unterdrückung des Schmuggels zwischen den beiden Ländern betraf und in Dschidda am 20. April 1942 (zusammen mit einem Übereinkommen über Freundschaft und gute Nachbarschaft und einem Handelsabkommen) unterzeichnet wurde, dieses Übereinkommen auch als auf die neutrale Zone anwendbar erklärte7. s Ibid., 213 f.

8 Der Text ist veröffentlicht in den International Legal Materials, 1965, 1134 - 1137. Er sollte 1970 mit dem erfolgten Austausch der Ratifikations-

urkunden in Kraft treten. 1 Vgl. United Nations Treaty Series, X, 102. Im Zusammenhang des Art. 8 legte man auch die Bedingungen für die Anwendbarkeit des Übereinkom-

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Manlio Udina

IV. Der rechtliche Status der Zonen

Es handelt sich nunmehr darum, den juristischen Status dieser Zonen zu bewerten, welcher bis 1965 sicherlich für beide identisch und ganz ähnlich demjenigen anderer Fälle von Territorien gewesen ist, die zwischen zwei Staaten liegen, die sich nicht auf die Festlegung einer vollständigen gemeinsamen Grenze einigen, so daß sie endlich weder zum Staatsgebiet des einen noch dem des anderen angrenzenden Staates zur Gänze gehören. Und es ist in diesem, oder doch auch in diesem Sinn, daß man den Ausdruck "neutrale Zone" interpretiert, viel eher denn als Hinweis auf den Zustand der Entmilitarisierung, der nur eines ihrer Charakteristika darstellt8 • Die mangelnde Verständigung über die Grenzfestlegung im Bereich des dann als "neutral" erklärten Gebietes hat tatsächlich zur Folge, daß dasselbe auf den Status einer terra nullius reduziert wird oder darin verbleibt: das bedeutet nicht notwendigerweise, wie allgemein angenommen wird, daß es sich dabei um jedermann zur Okkupation freistehendes Gebiet handelt, sondern lediglich um Gebiet, das niemandem gehört und, wenn überhaupt, nur auf Grund einer Verletzung des Grenzvertrages akkupierbar oder auf Grund eines späteren Vertrages von Seiten der Nachbarstaaten, die im Vergleich zu allen anderen Staaten einen Vorzugstitel genießen, annektierbar ist, über das aber gegenwärtig kein Staat eine exklusive Herrschaftsgewalt ausübt. Man kann daher offenbar die Meinung nicht teilen, nach denen es sich in den beiden untersuchten Fällen um ein "Kondominium" handelt, d. h. um ein gemeinsames Recht der angrenzenden Staaten über das Gebiet9• Auch die Qualifikation der Gebiete als "international" oder "internationalisiert" erscheint wenig treffend10, weil sie eher auf Fälle paßt, wo die Herrschaftsgewalt einer Staatenmehrheit oder, noch besser, internationalen Organisationen zukommt11 , während es sich um Zonen handelt, mens fest: der einer im Gebiete eines der beiden Vertragsschließenden begangenen Tat schuldige Verbrecher, der sich in die Zone geflüchtet hat, sollte als noch im betreffenden Staat befindlich angesehen werden; war dagegen die Tat in der Zone begangen und der schuldige Verbrecher Staatsangehöriger eines der beiden Vertragsschließenden, so sollte er so angesehen werden, als habe er die Straftat im eigenen Staat verübt, und für den Fall, daß er sich auf das Gebiet des anderen Staates geflüchtet hatte, ausgeliefert werden. s Wie dies indirekt für die Zone zwischen Saudi-Arabien und dem Irak aus Art. 3 des Protokolls von Oqayr hervorgeht ("The two Governments mutually agree not to use the watering places and wells situated in the vicinity of the border for any military purpose, such as building forts on them, and not to concentrate troops in their vicinity.") 9 EZ Erian, op. cit., 100, hinsichtlich des zweiten Falles. 10 Marazzi, op. cit., 65 ff. 11 Unter jenen Autoren, welche immer an der Unterscheidung zwischen "Koimperium" und "Kondominium" festhielten, siehe vor allem Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., Wien 1964 (in Zusammenarbeit mit Verosta und Zema-

Die sogenannten "neutralen Zonen" der arabischen Halbinsel

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hinsichtlich derer lediglich zwei Staaten das Recht haben, Gewalt auszuüben und über ihr Schicksal zu bestimmen. Tatsächlich scheint mir, daß man hier lediglich von Fällen eines Koimperiums im Bereich von terra nullius sprechen könnte12 • V. Die Zone von Wafra nach 1965

Diese Schlußfolgerung behält auch nach 1965 ihre Gültigkeit für die Zone von Tawal zwischen Saudi Arabien und dem Irak, jedoch nicht für jene von Wafra zwischen Saudi-Arabien und Kuweit, welche nicht mehr terra nullius ist, weil sie in zwei Teile aufgeteilt wurde, von denen der nördliche an Kuweit, der südliche an Saudi-Arabien fiel. Zahlreiche Bestimmungen des Abkommens von Al-Hadda lassen jedoch Zweifel über die tatsächliche Beendigung des Koimperiums zwischen den beiden Staaten im Bereich der gesamten zwischen ihnen aufgeteilten Zone aufkommen. In der Tat möchte das Abkommen, wenn es die Aufteilung bewerkstelligen wollte, gleichzeitig auch den status quo mit Bezug auf die Erdölkonzessionen und den damit in Zusammenhang stehenden staatlichen Aktivitäten soweit wie möglich bewahren, mit wechselseitigen Beschränkungen der Ausübung der Herrschaftsgewalt, Verpflichtungen zu gegenseitiger Konzertierung hinsichtlich neuer Konzessionen, der Einrichtung einer mit der Aufsicht über derartige Aktivitäten betrauten ständigen gemischten Kommission und einem System der Beilegung eventueller Streitigkeiten durch die Arabische Liga oder eine Vorlage derselben vor den Internationalen Gerichtshof, etc. 13• Nicht von ungefähr ist man daher gezwungen, nicht nur im Teilungsabkommen, sondern auch in anderen darauffolgenden normativen Akten, wie im Dekret des Staates Kuweit vom 17. Dezember 1967, durch das die neuen Grenzen des eigenen Küstenmeeres fixiert wurden14, sich mit einem in sich selbst widersprüchlichen Terminus auf die "Partitioned Zone" zu beziehen, in deren Bereich in Wahrheit eine Art von "schwächlichem Koimperium" von Seiten der beiden angrenzenden Staaten fortbesteht. nek), 297, der aber nicht den Fall des Koimperiums über terra nulZius (welcher Konzeption ich mich am meisten nähere), sondern lediglich den über fremdes Gebiet kennt. 12 In diesem Sinn vgl. auch vor allem Quadri, Diritto internazianale pubblico, 5. Aufl., Neapel1968, 732 ff. 13 Vgl. besonders Abs. III der Präambel und die Artikel III, VI, IXXII und XVII- XXII des Abkommens vom 7. Juli 1965. 14 Man kann seinen Text in den International Legal Materials, 1968, 574 bis 576, einsehen. Gemäß Art. 5 dieses Dekrets präjudizieren seine Bestimmungen in keiner Weise die Rechte der interessierten Parteien in der "offshore area opposite to the (partitioned) Neutral Zone under the aforementioned Agreement on the partition ofthisNeutral Zone".

THE QUESTION OF SOVEREIGNTY OVER THE AIR-SPACE* By Clive Parry In 1909 the French Governrnent proposed the convening of an international Conference on Aerial Navigation and circulated to other Governrnents a draft prograrnrne of the Conference which was referred by the Secretary of State for the Horne Departrnent to an InterDepartrnental Cornrnittee of representatives of the Horne Office, H. M. Cornrnissioners of Custorns, the Adrniralty, the War Office and the Board of Trade. The prograrnrne, which set out a list of sornewhat technical questions relating to whether there should be a distinction between public and private aircraft, whether aircraft should be invested with nationality, what papers aircraft should carry etc., did not directly raise the question whether a State could or should control the adrnission of aircraft to the air-space above its territory at all. Nor, strictly speaking, did the Cornrnittee's Report exarnine this question, stating sirnply: "The subject presents considerable difficulties in that it is impossible to foresee the developments of this new method of locomotion and the extent to which, apart from sport and recreation, it may be used in the near future in commercial undertakings as well as its application to warlike purposes. The Committee feels that, so far as is compatible with the safeguarding of national interests, whether Naval, Military, or Commercial. it is highly undesirable to introduce restrictions which may tend to retard the development of aerial navigation. It must, however, not be forgotten that it will be difficult to impose, at a future date, any restrictions affecting foreign aeronauts which may be waived at the present Conference. Caution is, therefore, necessary not to depart radically from our present tried practice in analogous undertakings. The similarity between sea shipping and aeriallocomotion is sufficiently close to furnish a useful and safe basis in discussing the questions relating to our inquiry. Our present regulations as regards shipping are the outcome of several centuries of experience. We therefore consider it desirable that, where restrictions are called for, the precedents of sea shipping should be followed as nearly as possible in aerial navigation. Several other general considerations guided the decisions arrived at below: * This excursion into international legal history is offered as a contribution to this symposium in tribute to the work of Stephan Verosta as an historian of the law. 8 Festschrift für Stephan Verosta

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CliveParry

"First, the matter under consideration by the Committee deals primarily with international as distinct from national regulations. It appears, therefore, highly convenient to consider all aerostats as divided into two classes of vessels, viz., the one navigating the air which overlies national territory only, and the other, or 'foreign-going ', which will cross over the territories of other countries. In the former case, aerial vessels require little more regulation than motor cars; the second class must in some respects be dealt with in a similar manner to foreign-going ships. "Secondly, it is clear that to obtain economically an adequate control from the Customs point of view, it would be desirable that aerostats should, on arrival in a foreign country, be compelled to descend on certain defined areas, just as mercantile ships are compelled to come to particular boarding stations in ports appointed by the Customs authorities. This should inflict very little inconvenience on the aeronauts, and, at the same time, greatly facilitate the settlement of a number of complicated points which would otherwise give rise to difficulties. No objection can be taken to the stringency of the regulations requiring aerostats entering foreign countries to land in prescribed areas, since it is reasonable to demand that frontiers should only be crossed when the weather is suitable, and with machines under perfect control. The provision of such areas should not be impracticable , since considerable tracts of uncultivated ground exist in suitable localities, which could be obtained for this purpose. For similar reasons all foreigngoing aerostats should be required to start from prescribed areas. "Thirdly, it is desirable that no regulations should be framed which in any way imply the right of an aerostat to fly over or to descend on private property, or which exclude or limit the right of any State to prescribe the conditions under which the air above its territory should be navigated. We have not thought it within our reference to submit any opinion on these debatable points of law." (Report of the Interdepartm ental Committee with reference to The International Conference on Aerial Navigation, 11 October,

1909 (Conf. 10177*) p. 3.)

But, as the British Delegates were to report, when the time came to discuss that chapter of the draft Convention evolved by the Conference entitled "The Admission of Foreign Airships", despite their original view "that we should [not] have to take any prominent part. We considered that aerial navigation was still in an embryonie stage, and that many of the problems created by it affected continental countries with land frontiers more nearly than Great Britain", it became apparent that: "Before any regulations as to registration, customs duties, or the safety of airships in international circulation could have meaning or effect, it was plainly necessary to determine on what terms international circulation would be permitted at all; or, in other words, to establish some commonly recognized title for the passage of airships from one country to another. Without such a title the Convention would be void. Its provisions would be as useless as international maritime regulations would be if ships were confined to the territorial waters of their own countries. At the same time, the problern of creating a right of international circulation without infring-

The Question of Sovereignty over the Air-Space

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ing rights of State-sovereignty was difficult and delicate ... " (Interim Report of the British DeZegates to the ... Conference etc., 12 .July, 1910 (Conf. 10195*) p. 6.)

The German proposals, H. M. Delegates reported, "focussed the questions at issue most clearly". These proposals were for Articles in the Convention providing: "1. Les aeronefs seront autorises, en principe, a effectuer leur depart et leur atterrissage dans un territoire etranger et a passer au-dessus d'un territoire etranger.

"2. L'Etat sous-jacent gardera la faculte de restreindre cette liberte de la navigation aerienne - faculte qui, cependant, sera subordonnee a une double condition. "Les restrictions devront etre determinees par l'interet de la securite de l'Etat ou par l'interet qu'il aura a proteger les personnes et les biens de ses habitants. "En outre, les aeronefs etrangers ne pourront pas etre traites moins favorablement que les aeronefs du pays. "3. Il n'y aura que deux exceptions aux principes susenonces: l'une, motivee par un droit de retorsion; l'autre se rapportant au cabotage aerien." (Ibid., p. 7.)

The British Delegation found the first two articles unacceptable: "In the first place, they felt that a general declaration that foreign airships must be admitted by all countries would be undesirable, as the consequences that might be drawn from it could not be foreseen with certainty, and might give rise to international misunderstandings and complications. To avoid this possibility it seemed indispensable that the relation between the general principle and the right of States to limit it should be clearly defined instead of being left in a state of uncertainty. Moreover, abstract pronouncements of the kind contemplated appeared foreign to English legal ideas. It would be impossible to prophesy what meaning would be attached to it by English courts or how it could be embodied in an Act of Parliament. "The practical object which it seemed necessary to attain was that airships should not be denied passage over foreign countries for arbitrary or insufficient reasons. Considering that the action of no single country could seriously impede the development of aerial navigation, we thought that most nations, and among them Great Britain, would not impose any needless or irksome restrictions on aeronauts coming from abroad and landing in their territory, but at the same time it was clear that every State must preserve its sovereign right to take any measures it thought fit in its own interests. What was needed, therefore, was an international agreement, set out in a formal convention, that in ordinary circumstances air-ships might cruise over a foreign country or land in it in the same way as foreign merchantships are permitted to enter the harbours of all countries, unless there is any special reason for limiting or withholding this courtesy. "Obviously an agreement based on these principles would be far from equivalent to a general declaration that the admission of foreign air-ships is, in principle, free. In fact, the supporters of the ultra-liberal principle them-

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selves found it necessary to impose such limitations on this freedom as to make such a declaration really nugatory in effect. "In the first place, complete liberty must be reserved to the State to take any action required by its interests, especially for purposes of national defence. Even in time of peace it would be necessary to mark out areas round dockyards and fortified places above which flying would be prohibited, and in some circumstances it might even be advisable to exclude foreign airships altogether from the country. On the eve of war, for instance, such a precaution might be necessary in order to protect measures of mobilisation from observation. From this point of view the equality of treatment for harne and foreign aircraft contemplated by the German proposals seemed clearly inadmissible. If, for instance, a prohibited area was proclaimed round the Thames defences, the authorities might wish to exempt members of the Royal Aero Club from the general prohibition against flying in that district; or, again, if foreign airships were debarred from flying over the country, a similar restriction might not be desirable for harne vessels. For these reasons it seemed better to declare the unrestricted power of every State to take any measures it deemed necessary to control aerial navigation above its territory in the interests of defence. Secondly, in the existing state of the law not only in the United Kingdom, but also in foreign countries, it is uncertain how far private owners can restrain aerial navigation above their property. To fly above private property may in itself constitute a trespass, even though no material darnage be committed, and it is impossible to foreteil what view the courts may take until cases have actually been decided. It seems reasonable that there should be no right of restraining 'innocent passage', and it may perhaps be expected that the English law will adopt this view, but, pending a definite decision, the delegates thought that no general right of passage could be explicitly recognised, whlle they gathered that the first German proposition was intended to be and would be construed as limiting both public and private rights to restrain aerial navigation. "In view of these considerations, the British delegates decided that it was necessary to express their dissent from the German proposals and to set out the chief arguments against them, since it was likely that other countries would have similar objections. A reasoned Memorandum was therefore drawn up criticising the German proposals and suggesting that the best way of achieving the practical end in view was to admit the full right of every State to take any measures needful for its national security, and to add an engagement to give every reasonable facilities to foreign airships as a matter of international comity. It was suggested that the analogy of the treatment of aliens furnished a precedent which proved any formal declaration of the liberty of aerial navigation unnecessary. Aliens of good character were admitted by all countries in time of peace, though there was full power to keep them out; and in the same way foreign ships were allowed in territorial waters. If these precedents in international law were followed, the freedom of passage for aeronauts in foreign countries would be fully secured without any abstract principles being laid down which might be construed as limiting the sovereignty of the State. The British proposals read as follows:"1. Chaque Etat aura le droit de prendre les mesures qu'il voudra pour restreindre la navigation aerienne audessus de son territoire, du moment que ces m esures lui semblent indispensables a la defense nationale.

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'Cette faculte lui permettra de determiner des endroits speciaux pour l'atterrissage des aeronautes etrangers, de prescrire les zones interdites ou la navigation ne sera pas permise et qui seront marquees sur les cartes aeronautiques, et en cas d'urgence d'interdire le passage de tout aeronef etranger au-dessus de son territoire, pourvu que l'avis en ait ete donne clairement. '2. Chaque Etat doit, a titre de COurtoisie internationale, s'engager a menager toutes les facilites raisonnables aux aeronefs etrangers pour naviguer au-dessus de son territoire ou pour y atterrir, sauf telles restrictions qu'il croit absolument indispensables pour assurer la securite de ses nationaux. 'La delegation britannique se range entierement a la maniere de voir de la delegation allemande, telle qu'elle est exprimee dans la troisieme proposition en ce qui concerne le droit de retorsion et le cabotage aerien."' (Ibid., pp. 7 - 8.) The German Government was unable to accept the British proposals. As a deadlock appeared imminent, H. M. Delegates asked for further instructions, which were furnished in the form of a re-draft approved by the Committee of Imperial Defence. This being likewise unacceptable, instructions were sent that an adjoumment of the Conference should be asked for "in order that the Governments concemed might have an opportunity to give the whole question their mature consideration". (Ibid., pp. 11, 18). The Conference having duly adjourned in accordance with this request, the Secretary of State for Foreign Affairs sent to each of H. M. Representatives at European capitals a memorandum explanatory of the reasons for the request for adjournment "as an aide-memoire in order that you may explain the views of His Majesty's Government in strict confidence to the Government to which you are accredited". H. M. Representatives were cautioned not to furnish copies of this document to foreign Governments but might lend them. The memorandum, which is of considerable historic interest, read in part: "The primary consideration which His Majesty's Government had in view in asking for an adjournment of the International Conference on Aerial Navigation was in order to afford ample time, not only to Great Britain but to other States, for considering how far the proposed regulations would have the effect of fettering the freedom of action of the various Powers represented at the Conference in a manner which might prove detrimental to their own interests in time of war or strained relations, or might further hamper them in fulfilling their obligations as neutrals. "2. It has to be borne in mind that up to the present time almost the only practical use which has been proposed for dirigible air-ships is for purposes of war, and it is for these purposes that nearly the whole of the money required for the construction of air-ships has been raised. Aeroplanes, it is true, are being extensively used for purposes of sport, more particularly that form of sport which consists in providing a spectacle to draw a crowd. But the fact remains that neither dirigible air-ships nor aeroplanes have as yet been put to any practical use to the advantage of the community at large.

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Moreover, every air-ship or aeroplane, whether nominally public or private, can, and no doubt will, be employed for purposes of war. Since, therefore, the only assured use to which air-ships and aeroplanes can be put is for purposes of war, it is supremely important for each country to examine the draft Convention, which has been formulated by the International Conference, from the aspect of its bearing on the rights and duties of belligerents and of neutrals. "3. His Majesty's Government are disposed to think that the tendency of the proposed regulations is to deprive the Powers of the control of airships within or passing over their own territories, and of aeronauts and other persons residing within them, the most striking illustration of this tendency being furnished by the proposed adoption of the principle that States should be bound to apply equal treatment to foreign and national air-ships. To all intents and purposes the proposed Convention proceeds on the principle that the air is free to all, and that every reservation is grudgingly admitted as a concession made by Europe to an individual State. It ignores the elementary right of a State to take each and every measure, which it considers necessary for self-preservation, and only concedes this right as if it were a privilege. It thus exposes a State, and particularly a weak State, to constant pressure to withdraw its reservation. "4. In all probability the most important use of both air-ships and aeroplanes in war will be to gather information, which could not be obtained by any other means, as to the position of the armed forces of the enemy and of his state of preparation. Employed in this manner, air-craft might have a great effect on the conduct of a war. Cases can be readily imagined in which, in a war between two great Powers, material advantage would be derived from information obtained by air-craft floating over the territory of a neutral State adjacent to the enemy's country. The fact that such air-craft were at liberty to alight on neutral soil without hindrance in case of need, in order to take in supplies of petrol, food, and water, or to despatch and receive telegrams, would greatly facilitate the watch they maintained over military movements. "5. The special restrictions in the Convention regarding the movements of military air-craft, and the provisions reserving the freedom of action of belligerents and the rights and duties of neutrals, do not appear sufficiently to safeguard national interests as, in the absence of welldefined rules respecting privateering and the rights of neutrals in aerial warfare, private air-ships would be used for reconnoitring purposes, and during the important period of strained relations their use in this manner would be extremely difficult to prevent. "6. For the above reasons His Majesty's Government adhere to the principle laid down in the British Memorandum printed in the 'Expose des Vues des Puissances', which states that 'no regulations should be framed which in any way ... exclude or limit the right of any State to prescribe the conditions under which the air above its territory should be navigated', and they are of opinion that in the present experimental stage of aerial navigation, more particularly in its application to war, it would be premature for any nation to agree to regulations and restrictions which in any way fetter its sovereign right to make such regulations as may be necessary for its own security or for the proper discharge of its duties as a neutral. ... " (Sir E. Grey to H. M. Representatives at Paris, Berlin etc., 29 July, 1910: Correspondence

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respecting the International Conference on Aerial Navigation, Part I, July to December 1910 Conf. 10104). The memorandum is printed also as Conf. 10197*.)

In accordance with these instructions, which were reenforced with frequent telegrams, H. M. Representatives abroad argued H. M. Government's view with great energy and despatch. As a result, before the year was ended, H. M. Minister at Christiania could be informed "We understand that Russia, Portugal, Bulgaria, Turkey, Servia and Spain have already or will before long inform the French Government that the draft Aerial Navigation Convention is unacceptable to them in its present form ... France, Switzerland and Roumania are also believed to be generally favourable to our views . .." (Sir E. Grey to Sir. C. Spring-Rice, 10 December, 1910: Correspondence etc. (Conf. 10104) No. 203.) In addition, H. M. Government secured a postponement of the reopening of the Conference. The most delicate and important aspect of this diplomatic activity was the winning over of the French Government to H. M. Government's views. France's "pre-eminence ... in aerial navigation had led the French delegates to shut their eyes to the dangers involved in some of the proposals before the Conference, and particularly some put forward by the German delegates"- or so H. M. Ambassador represented to the French Foreign Minister. (Sir F. Bertie (H. M. Ambassador at Paris) to Sir E. Grey, 19 October, 1910: Ibid., No. 62.) M. Renault, a distinguished jurist, who had been president of the Conference, had advanced the theory: "la circulation aerienne est libre" - speaking, H. M. Ambassador supposed, "as a jurisconsult, and not in the name of the French Government." (Same to same, 20 November, 1910: Ibid., No. 142.) Though it proved possible to detach the French Government from this theory, H. M. Ambassador argued strongly against a Foreign Office proposal put forward by the Secretary of State in the following words: " . .. It has been suggested to me by my legal adviser, and appears to me to be desirable, that the convention should, if possible, contain a preliminary declaration in the most definite and distinct terms, which would govern the detailed provisions which followed, to the effect that the air superincumbent upon the territories of each State is as absolutely the property of such State as is the subjacent earth. It would then logically follow that the air superincumbent upon the high seas would be the common property and joint air highway of all mankind." (Sir E. Grey to Sir F . Bertie, 1 December, 1910: Ibid., No. 177.)

H. M. Ambassador thought the putting forward of such a proposal to be to court its defeat. It would be better to propose that the Conference should adopt a distinct resolution in the same sense or that H. M.

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plenipotentiaries should attach to their signatures a reservation in that sense. (Sir F. Bertie to SirE. Grey, 4 December, 1910: Ibid., No. 194.) The Foreign Office also sent to H. M. Ambassador copies of a correspondence with the French Ambassador "which took place in 1906, on the subject of wireless telegraphic communication between England and Italy ... [as] show[ing] the attitude of the legal advisers of the French Government as to the propriety rights of France to the ether superincumbent over their territory, and ... of [possible] use to your Excellency in view of the present opinion expressed by French jurists, as to the rights of States over the air superincumbent over their territories." (Sir E. Grey to Sir F. Bertie, 1 December, 1910: Ibid., No. 176.) H. M. Ambassador replied that the French Government was already abandoning the views of M. Renault; further that, were this not the case, "if ... I were to quote the French ether claim as an argument in favour of our view in regard to the air, the obvious retort of the French Government would be that as we did not admit their claim in regard to ether, we ought, in order to be logical, to adopt their view in regard to air." (Sir F. Bertie to Sir. E. Grey, 4 December, 1910: Ibid., No. 195.) But the Foreign Office refuted this argument in a despatch which again is of some historic interest as showing the origins of the international law of the air, the Secretary of State writing to H. M. Charge d'Affaires: " ... I have duly considered the argument which bis Excellency mentions as likely to be raised by the French Government on the parallel between 'air' and 'ether', for which there is much to be said. I would, however, call your attention to the very marked difference between the transference of an impalpable wave of motion, such as heat, sound, or light, by agitation of the air waves or of the waves of the ether, and the propulsion of a palpable physical body of substance and dimension through the air by mechanical means, which, in the case of a balloon, are set in motion by the currents of wind (which again might be said tobe themselves committing a trespass on the air or ether if they were not the common and uncontrollable forces of nature), or which, in the case of an aeronef, are partially actuated in the same manner by the wind, and partially by the direct action of mechanism upon the air or ether through which they pass.

"The case of interference with the superincumbent air by agitation of the aerial or ethereal waves may no doubt in theory constitute a trespass, but it is not a trespass of an analogous kind to that committed by a bulky air-ship or balloon, which is of an obvious and material character." "A closer analogy to trespass by transmission of a wireless message would be that of trespass by the firing of a cannon near the frontier-Iine dividing two States from each other, and the consequent agitation of the air or ether superincumbent on the territory of the adjoining State." "The interference with land wires and stations established in a State by wireless messages transmitted by another State through the air super-

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incumbent on the first State is, I am disposed to think, a separate and distinct question." "It may well be that the distinction which I have indicated above is of somewhat too subtle and technical a kind to be effectively urged before an international conference so composed and constituted as is that now under indefinite adjournment ... ". (SirE. Grey to Mr. Carnegie, 9 December, 1910: Ibid., No. 201.)

The Aerial Navigation Bill - In addition to advocating strenuously in the international area in the manner described, the thesis that the State is sovereign of the air-space above its territory, the Foreign Office took steps to secure the adoption of this thesis in municipal law. The Admiralty, War Office and Horne Office were thus informed that the Secretary of State for Foreign Affairs "considers that it would be desirable to show other Powers in a practical manner what legislation His Majesty's Government themselves regard as essential in the interests of national safety and the Obligations of neutrality, and thus to Iead the minor Powers at least to take similar steps". "With this object he suggests ... that a bill should be prepared without delay: 1. Asserting the sovereignty and jurisdiction of the British Crown over the air above the British dominions; 2. Regulating aerial navigation in and over the United Kingdom and the waters within its territorial Iimits; ... ". (And further regulating air traffic in detail: Foreign Office to Admiralty etc., 10 August, 1910, Ibid., No. 8.) The Admiralty thought it "unnecessary to provide explicitly for the sovereignty and jurisdiction of the British Crown over the air ... , it being generally undesirable to limit or define by statute the executive powers of the Crown. If, however, it is considered that for special reasons of policy mention must be made of the powers of the Crown, it is suggested that the requirements would be met by a recital ... in the preamble ... " (Admiralty to Foreign Office, 16 September, 1910: Ibid., No. 30.) The Horne Office suggested several additional topics with which the Bill might deal, including the conferment of British nationality on aircraft and the maintenance of neutrality. (Horne Office to Foreign Office, 20 September, 1910: Ibid., No. 31.) The War Office concurred with the Foreign Office, the Admiralty disagreeing, that no privileges of extraterritoriality should be conceded to foreign public aircraft. (War Office to Foreign Office, 12 October, 1910: Ibid., No. 52.) As to the provisions finally agreed upon, see the Aerial Navigation Act, 1911, repealed by the Air Navigation Act, 1920.

Dr. Hazeltine's opinion- The Foreign Office consulted, with respect to the theoretical aspects of the matter, Dr. Hazeltine, author of the now classical monograph on The Law of the Air (1911). He furnished an opinion which is historically important for its opposition to the campet-

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ing theory of a "right of innocent passage" through the domestic airspace and for the analysis to which it submits the assertion of the State's "property" in the air. "There is a theoretical difficulty in conceding to the State a right of 'property' in the air-space, except over land owned by the State. Of course one might invoke the dogma of English land law, based on feudal conceptions, that the King owns every bit of English soil, each tenant having only an estate in the land. It might then be held that the King owns the entire air-space above the land, the tenant's estate in the land, including also the air-space above it. Upon this view it might thus be held that the State has the 'property' in the air superincumbent upon the land. At the same time, it must be recognised that this doctrine of the King's ownership of land is peculiar to English law and systems of law derived from it. Most systems of law concede to individuals full rights of ownership; and, indeed, in presentday English law the tenant in fee-simple seems to have, for all practical purposes, the true proprietary right in the land. There is some difficulty in holding that both the private landowner and the State have rights of 'property' in the same piece of land and in the same air-space above that land. Of course, the State owns privately - that is, on principles of the private law - certain tracts or pieces of land; and this right of property in these pieces of realty would clearly include the right of property in the airspace above them. As regards such pieces of land and the air-space above them, the State would clearly seem to have, on the sovereignty view, both the private law right of property and the public law right of sovereign dominion. Apart from such pieces of realty thus actually owned by the State, it seems sound to hold that the landowner, whoever he may be, owns the air-space above his land, but that the State has the same full right of sovereign dominion in that air-space which it has as regards that land itself; the landowner having the private law right, and the State the public law right." "As to the 'right of innocent passage'. No doubt publicists are not unanimous in opinion as to the legal character of the State's right in territorial waters, more especially the 3-mile strip; some- and perhaps the majoritymaintaining that the State has sovereign dominion, limited by the right of innocent passage for foreign merchant-vessels , while others contend that the State's rights are less than even this limited sovereignty, amounting in reality to rights of 'conservation' only, rights enabling the State to take measures for its own protection and welfare." "The question, therefore, naturally arises as to whether the adoption of the view that the State has sovereignty in the air-space above its territory and territorial waters involves the limitation upon that sovereignty by a right of innocent passage for foreign merchant air-vessels." "It is, perhaps, best to distinguish (1) the air-space above territorial waters (including the 3-mile strip) from (2) the air-space above the territory (land) itself." "State sovereignty limited by right of innocent passage in territorial waters might seem at first sight to involve naturally and necessarily the admission of State sovereignty limited by right of innocent passage for foreign merchant air-vessels in the air-space above the territorial waters. But a distinction can be drawn between territorial waters (especially the

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3-mile strip) and the air-space above them. As far as the 3-mile strip of coastal waters is concerned, the coast-line itself acts as a natural and effective barrier to the passage of sea vessels from the strip into the territory itself (except, of course, where some waterway opens into the territory); while the imaginary air-line rising everywhere just above the coast-line usque ad coelum cannot in the nature of things act as a natural and effective barrier to the passage of air-vessels from the 3-mile perpendicular strip of air-space into the air-space above the territory (land) itself. It would be very difficult - and often indeed quite impossible - to prevent the entry into the air-space above the territory itself of air-vessels enjoying a right of innocent passage in the 3-mile strip of air-space. Greater inconvenience and greater danger to the territorial State would therefore seem to result from the admission of a right of innocent passage through the 3-mile strip of air-space than now result from the admission of a right of innocent passage through the subjacent 3-mile strip of water. These natural differences between the air-strip and the water-strip, together with the necessary consequences, would seem sufficiently great to prevent the adoption of the view that the right of innocent passage now existing in the one case must, on analogy, be conceded in the other case also. In other words, the admission of a State sovereignty, limited by right of innocent passage, in the waterstrip does not force one to admit that a State sovereignty in the air-strip must likewise be limited by a right of innocent passage." "The argument seems even stronger as regards the air-space over the State's territory itself. The 3-mile strip of coastal waters is extremely useful to the State in maintaining its welfare and safety, but is not, perhaps, after all, strictly speaking, absolutely essential to State existence (note, for instance, inland States); while the air-space above the territory of all States is in reality absolutely essential to State existence itself. The existence of a right of innocent passage in the 3-mile strip of water seems to be of far less significance to the State than the existence of such a right in the air-space would be. While the State may therefore safely admit that its sovereign dominion over the water strip is thus limited by the right of innocent passage, no State could safely admit that even a right of innocent passage should limit its sovereign dominion in the air-space directly over its own territory. State welfare and even existence demand unlimited sovereignty in the air-space just as they have demanded unlimited sovereignty over the territory itself; the land and the superincumbent column of air being far more intimately connected with and related to each other than is the case with the land and the adjacent strip of coastal water." "The analogies of the high sea and the 3-mile strip of coastal waters do not therefore on the whole appear to be safe ones to follow. It seems consistent with legal principle to maintain that, while the State's sovereignty over territorial waters may well be limited by right of innocent passage, yet no such limitation can exist as regards the State sovereign dominion in (1) the air-space over territorial waters and in (2) the air-space over the State's territory itself. Admitting full sovereignty, each State can then grant such favours and subject them to such suitable limitations and conditions as it sees fit. Foreign merchant or other air-vessels might be granted revocable licences to fly in the State's air-space which is subject to the State's full sovereign dominion." "As indicated earlier, there seem tobe theoretical objections to maintaining a doctrine of the State's 'property' in the air-space (except in the air-space

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over land in fact owned by the State); and it is not clear, moreover, how more could be claimed for the State by adopting the phraseology 'property' or even 'full property', since what is really meant after all is the public law right of 'sovereignty' or 'full sovereignty'. It seems safer to assert the State's 'full sovereignty' or 'unlimited sovereignty' in the entire air-space over State territory and territorial waters; for then the 'right of innocent passage' could not be read in by interpretation, as it might be conceivably if the words 'sovereignty' or 'sovereign dominion' were allowed to stand alone." (Memorandum by Dr. Hazeltine, 5 January, 1911 : Further Correspondence etc., Part II, 1911 (Conf. 10 071) No. 2.)

The Law Officers' views- The Foreign Office further consulted the Horne Office on the desirability of taking the opinion of the Law Officers "in view of the objections which have been raised in regard to the inclusion of the word 'property' in ... a prelirninary declaration to the proposed International Convention ... , as to the validity of a clairn on the part of the State to the right of 'property' in the air-space over land other than that owned by the State, and further, as to whether, in the event of the word 'sovereigny' being substituted for the word 'property' in this connection, His Majesty's Governrnent could be assured of being able to exercise that cornplete control over airships navigating over British territory, which they consider tobe indispensable." (Foreign Office to Horne Office, 31 January, 1911: Ibid., No. 21.) A case to the Law Officers was in fact drawn, based prirnarily on Dr. Hazeltine's opinion but reciting also that "Another course which has been suggested ... is to avoid the use of either of the words 'sovereignty' or 'property', and to ernploy the terrn 'jurisdiction' instead. Jurisdiction is no doubt, in one sense, one of the attributes of sovereignty, and it would therefore seern at first sight as if the argurnent against the use of the word 'sovereignty' rnust necessarily all apply to the use of the word 'jurisdiction', but as the object in view is to assert the unfettered right of the Sovereign to Iegislate (subject, of course, to any treaties in force now or in the future) on the subject of air-vessels using the superincurnbent air-space, it has been suggested that the right would be adequately asserted by a declaration to the effect that the superincurnbent air-space above the territory and the territorial waters of a State is, and rernains, subject to its exclusive jurisdiction." With this prearnble, there were put the following questions: "1. Whether it is possible to clairn for the State (1) as matter of public law, and (2) as matter of English municipal law (or droit interne) the right of 'property' over the air superincumbent upon its territories;

2. Whether, in any event, the term 'sovereignty' used in this connexion would not confer on the State that absolute control over vessels navigating the air above its territories which His Majesty's Government consider to be indispensable.

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3. What term, or terms, it would on the whole be most desirable and advantageaus to employ in order to secure such absolute and undisputed control." (Foreign Office to the Law Officers, 16 February, 1911: Ibid., No. 28.) The Law Officers reported: "In our opinion, the term 'full and absolute sovereignty' would be the most desirable and advantgeous term to employ in order to secure for the State absolute and undisputed control over vessels navigating the air above its territories. We prefer this phrase to the use of the word 'property' when considering the rights of the State as a matter of international law; though the result is really the same, whichever expression is used." "As a matter of English municipal law the principle applies cujus est solum ejus est usque ad coelum, so that, theoretically, the rights of the

private owner are as great in respect of the air-space above his land as over the surface of the land itself." "As regards the air-space superincumbent upon territorial waters, it is to be observed that the degree of control necessary to secure the safety of the State may well be greater than that required in reference to the use of the territorial waters themselves. And since the principle of State sovereignty involves the right of the State in relation to its own territories to exercise such powers as are necessary for the defence and security of its dominions, we think that jurisdiction over the air immediately surrounding the coasts, and for such a distance outwards as is necessary for the defence and security of the State, ought to be not less complete than that exercisable over the air-space which is actually above the territory of the State." (Sir R. Isaacs and J. Sirnon to SirE. Grey, 2 June, 1911: Ibid., No. 55; L. 0. R. 1911 (Conf. 10 026) No. 2.) Further .developments - In the event the Conference which had been adjourned in 1910 failed to reassemble before the outbreak of the First World War:

"In regard to the air, the moment the 1914 war broke out, the principle of sovereignty, which had been a matter of opinion up to then, was settled at once." (Speech of Mr. J. L. Brierly, 6 June 1950. Year Book of the International Law Commission (1950) Vol. I, p. 5.) But in fact H. M. Government did not accept the principle of sovereignty of the air quite so soon. Thus when in December 1914 the Swiss Government protested that British aviators had flown over Swiss territory in the course of a raid on Friedrichshafen H. M. Minister at Berne was instructed that, though such action, if it had taken place, was inadvertent and in contravention of orders, and though H. M. Government desired to express regret: "His Majesty's Government however would wish it tobe understood that in issuing these instructions to their navigators and expressing their regret to the Swiss Government for any action contrary thereto, they have done so from a desire to respect the wishes of the Swiss Government. The Inter-

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national Congress of 1910 failed to come to any agreement as to the recognition of territory in the air; many representatives contended that there was no national property in the column of air above and no rule of international law was laid down." "His Majesty's Government desire therefore that their expression of regret to the Swiss Government should not be construed as an admission that any recognized and generally accepted rule of international law on this subject exists at present or that Great Britain is necessarily bound in all cast:s to respect a doctrine which however it may be viewed by herself is not accepted and may not be acted upon by other Powers." (Foreign Office to Mr. Grant Duff (telegraphic), 5 December, 1914: F. 0. 372/570.) The official communique published by the Swiss Government in reference to the matter omitted the passage from H. M. Minister's note pointing out "that H. M. Govt.: must abstain from binding itself with regard to a doctrine that a State enjoys complete sovereignty over the air-column above its territory, for the reason that other Powers do not accept and may not act upon this doctrine". H. M. Minister was in consequence further instructed "to take an early opportunity of explaining to the Swiss Govt.: the attitude of H. M. Govt.: on this point". (Same to same, 23 December, 1914: F. 0. 372/570. The principle of sovereignty of the air above national territory was, however, proclaimed in Article I of the Aerial Navigation Convention of 13 October 1919 (11 L . N. T. S., 114), as it is similarly in the Chicago Convention on International Civil Aviation of 7 December 1944 (15 U. N. T. S., 295). lt was similarly recited in the Preamble to the Air Navigation Act, 1920, implementing the Convention of 1919.

OUTER SPACE AND SOVEREIGNTY By György Haraszti One of the most important principles governing the relations between States in the present stage of development is the principle of respect for State sovereignty, which necessarily entails a series of additional principles. It is no accident that the United Nations Charter, which in Article 2 lays down the principles to be applied by the World Organization and its Members in their activites, also mentions in the first place the principle of the sovereign equality of all Member States. The views which, especially in the period between the two world wars, regarded State sovereignty as the main obstacle to the development of international relations and that of international law, and according to which "l'organisation de la vie internationale ... est proprement impossible avec la notion de la souverainete" 1, lost much of their impact and States are increasingly careful not to let their sovereignty be impaired. However, when more than two decades ago, the first sputnik was launched into space, thereby giving rise to the necessity of determining the legal status of outer space, States soon arrived at an agreement that outer space must not become the scene of conflicts between State sovereignties, and they even gave expression to this idea in a number of resolutions adopted by the General Assembly of the United Nations2 • Not much later, on 27 January 1967, they concluded the Treaty on Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space, including the Moon and Other Celestial Bodies, which now has binding effect. This Treaty, with reference to General Assembly resolution 1962 (XVIII), similarly rejects the exercise of sover1

N. Potitis, Les nouvelles tendances du droit international, Paris 1927,

p. 23.

2 In the preamble of its resolution 1348 /XIII/ of 13 December 1958 the UN General Assembly, with reference to the afore-mentioned Article 2 /1/ of the UN Charter, expressed the desire "to avoid the extension of present national rivalries into this new field". This was reiterated also by General Assembly resolution 1472 /XIV/ of 12 December 1959. Resolution 1721 /XVI/ of 20 December 1961 and especially resolution 1962/XVIII/, adopted unanimously on 13 December 1963, already go further. The latter solemnly declares prohibition of the national appropriation of outer space to be a guiding principle to be followed by States.

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eign rights in any part of outer space. Article II provides as follows: "Outer space, including the moon and other celestial bodies, is not subject to national appropriation by claim of sovereignty, by means of use or occupation, or by any other means." But this provision, even if it seems to be clear, has nevertheless prevented neither the problern of sovereignty from being raised time and again in connection with activities carried on in outer space by States and international organizations nor new disputes from arising which hinder the formulation of rules of international law relating to the use of outer space. The first problern arises, as a matter of course, from the fact that air space, to which State sovereignty extends, and outer space, which, according to the established rules of international law, cannot be subject to national sovereignty and is - to use the terminology of Roman law - res communis omnium usus, have not yet been delimited, i. e. the concept of outer space has not yet been precisely defined. The number of theories evolved for the purpose of delimitation is steadily increasing3 , but those who go more deeply into the problern see clearly that what they have to do with here is not a theoretical but an exclusively practical question which can be solved not by the recognition of a boundary based on one of the elaborated theories but by the tracing of a line most suited to the different, first of all security, interests of States, if States are at all convinced of the necessity of delimitation. It can still hardly be said today that the latter condition has been entirely fufilled. The annual sessions of the Legal Sub-Committee of the UN Committee on the Peaceful Uses of Outer Space have long since on their agenda the question of the delimitation or definition of outer space, but among the members of the Sub-Committee there were in the past merely a few States which pressed for the solution of the question, and only at the session of 1978, and especially at that of 1979 were there clear indications that the number of States recognizing the necessity of delimitation was rapidly growing. An important initiative in favour of the delimitation was made by the Soviet Union which at the 1979 session of the Legal Sub-Committee submitted a working paper suggesting that the region above 100 or 110 km altitude from the sea Ievel be declared outer space4 • Undoubtedly the lack of delimitation has not yet led to any kind of anarchy in outer space, and no "boundary disputes" have arisen in the 3 Cf. in this connection, inter alia: London - Toronto 1969, p. 13 ff. 4 ~ee doc. A/AC.105/C.2/L.121.

N. Mateesco Matte,

Aerospace Law,

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infinite space above the territory of States. The Legal Sub-Committee has hitherto based its position on the assumption that what has to be regulated in the given situation is the activity which States or international organizations carry on in outer space and which can be conducted in outer space only. If such activities are legally regulated, then, at least according to the present state of space technology, the question of delimitation cannot be considered of prime importance. Really the fact is that the perigee of the objects launched into space, i. e. the distance of the point at which space objects in their orbit are nearest to the Earth, should be regarded as being already outside the air space subject to State sovereignty. The attitude of States, the absence of protests against the orbiting of artificial satellites, is also proof that this view has been generally accepted. The conception dictated simply by common sense, which has as its starting-point that, if the limits of sovereignty cannot be fixed, it is the activity of the objects capable of moving in outer space alone that must be regulated, is called by some the functional theory. No matter what we think of the character of this theory, it is beyond doubt that this pragmatic solution has until now ensured the free use of outer space at least to those States which, either on their own or in conjunction with others, have been capable of the exploration or use of outer space. The situation, however, will not be so simple when the space shuttle is put into operation. If this happens in the near future, as is to be expected, and there begins to work a device which carries on its activity now in air space, now in outer space, then the lack of a boundary line between the two may pose difficult problems, because the activity of the space shuttle will be conducted partly in the air spaces subject to the sovereignty of different States and partly in outer space exampt from allnational sovereignty5 • Technical progress will thus considerably alter the situation also with regard to the necessity of the delimitation of air space and outer space. Incidentally, however, another phenomenon calls attention to the difficulties that can be raised with reference to the lack of delimitation. This phenomenon caused some people anxiety that the absence of the precise fixing of a boundary between air space and outer space might give rise to claims of the kind which certain States raised with regard 5 Already at the 1978 session of the Legal Sub-Committee the United States delegate objected to the view that the putting into operation of the space shuttle would alter the situation as it was, claiming that this vehicle was exclusively a "spacecraft in design, purpose and behaviour" /A/AC.105/ C.2/SR.297/, but the majority of the Sub-Committee were not convinced by this declaration. ·

9 Festschrift für Stephan Verosta

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to the territorial sea because the Geneva Conventions of 1958 had failed to determine clearly the maximum breadth of the territorial sea beyond any shadow of doubt. It is not to be questioned that instrumental in the collapse of the system created by the Geneva Conventions on the Law of the Sea was the one-sided action by which certain States extended their territorial seas to vast distances. As concerns outer space, recently we have witnessed that States situated along the equator try to extend their sovereignty to the socalled geostationary orbit running at an altitude of about 35 800 kms above the equator. The geostationary orbit, which makes it possible for the artificial satellites moving in it to remain always above the same point on the Earth's surface, is particularly favourable to the placing of such satellites serving the purposes of radio and television broadcasting and meteorological Observation, but it is also important for other tasks; but the number of space objects capable of being placed in this orbit is, of course, limited. The States whose territory is crossed by the equator would like to take advantage of the orbit; therefore at the World Conference of the International Telecommunication Union held in Geneva in 1977 the majority of these States, namely eight equatorial States, announced that they wished to enforce a claim of sovereignty in the geostationary orbit, which they regard as belonging to their natural resources. These States laid down their claim partly in written declarations annexed to the Final Acts of the Conference and partly in other documents they submitted6 • A considerable number of the States participating in the ITU Conference categorically rejected this claim of the equatorial States. The majority of the socialist countries attending the Conference, including the Hungarian People's Republic, when signing the final acts of the Conference, with reference to declarations7 made by certain States in the course of the negotiations emphasized that the decisions8 related to the use ofthat orbit were in full accord with the generally accepted princip1es and rules of international law, including the International Telecommunication Convention and the pertinent Regulations. In another declaration9 the socialist countries reserved themselves the 6 Cf. Conference documents No. 121, 165, 223, 229, 249, 281, 319 and 331. The position reckoning the geostationary orbit as natural wealth of the subjacent States is especially emphasized by the Ecuadorian document /No. 229/. 7 Cf. Conference document No. 266. s In its plan of allocation the World Administrative Radio Conference determined the orbital positions assigned to the particular States, with the exception of Region 2 /the American continent/, concerning the artificial satellites placed in geostationary orbits, while its Decision F contained a provision relating to the use of frequencies for telecommunications via geostationary artificial satellites.

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right, in so far as some States would not comply with the decisions adopted by the Conference, to take the necessary measures to secure the normal Operation of their telecommunication services. Various Western countries also made declarations10 objecting to the position taken up by the equatorial States, but their argument was based first of all on the fact that questions concerning the geostationary orbit were not included in the agenda of the Conference and so they could not be discussed there, and besides, the discussion of the problems related to the delimitation of outer space came within the competence of the UN Committee on the Peaceful Uses of Outer Space, or of its two auxiliary bodies, the Legal Sub-Committee and the Scientific and Technical Sub-Committee. Obviously this argumentalso stimulated the equatorial States to raise the question at the Legal Sub-Committee's 16th session held at New York in 1977, but the question was not taken up in the merits in the Legal Sub-Committee at that time. However, the question was placed on the agenda of the_17th and 18th sessions of the Legal Sub-Committee held in 1978 and 1979 and was discussed there. What is the ground for the equatorial countries' claim of sovereignty in the geostationary orbit? The above-mentioned eight States11, in the Bogota Declaration signed on 3 December 1976, before the opening of the !TU Conference, started from the fact that the existence of the geostationary orbit is due to gravitational phenomena generated by the Earth and therefore "it must not be considered as part of the outer space". Consequently the particular sections of the orbit form a part of the territory over which the equatorial States exercise sovereignty, so they qualify as natural resource under the jurisdiction of the States in question. The provisions of the Outer Space Treaty of 1967, as is stated in the Declaration, cannot affect the rights of the equatorial States also because outer space has not so far been delimited, and thus there is nothing to prove that the geostationary orbit is included in the outer space. What has thus far ensued from practice is the "technological partition" of the orbit, and this is nothing else but its "national appropriation", which the equatorial countries do not recognize. In the special documents submitted to the Conference, thus particularly in the Indonesian document, reference is made to the law of the sea, as one on whose analogy State sovereignty in outer space has evolved, and even mention is made of the usque ad coelum theory advocating theinfinite vertical extension of State sovereignty. 9

Cf. document No. 360.

° Cf. documents No. 181, 295 and 360.

1

11 Brazil, Colombia, the Congo, Ecuador, Indonesia, Kenya, Uganda and Zaire.

g•

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At the 1978 session of the Legal Sub-Committee the delegate from Columbia pursued the argument stating that the above-quoted Article II of the Space Treaty "could carry no weight until outer space had been defined and delimited". Developing this thought further, he arrived at the conclusion that under such circumstances the State could demarcate national space by its own domestic law12 • At the 1979 session the Columbian delegation declared that the geostationary orbit "was equivalent to a limited natural resource over which the equatorial states were entitled to claim exclusive rights of sovereignty". And from the argument used by the representative of Ecuador in 1978 a vague hint of the rebus sie stantibus principle appeared when, without calling the rule by name, he indicated that "it was ... difficult to maintain in force ... the 1967 Treaty", after it "had been overtaken by scientific developments". And he saw the ground for it in the fact that practically only the Space Powers were in a position to make use of their right to the exploration and use of outer space13 • At the present developmental Ievel of international space law it is not difficult to refute the above argument. The Space Treaty of 1967 really does not fix the lower Iimit of outer space, but in its abovequoted Article II it enunciates clearly and definitely that outer space can in no way be subject to national appropriation. There is no doubt that the geostationary orbit at an altitude of nearly 36 000 kms really lies in outer space, since not even the apogee of many an artificial satellite reaches this height. lf the lower Iimit of outer space can be argued about, this means only that the contention is whether outer space begins at an altitude of 80, 100 or maybe 130 kms14• It is a fact of common knowledge that the perigee of many space objects is at about this altitude, and this space activity, as mentioned above, has never been objected to by any State claiming that the intrusion of the space object into that space violates its sovereignty; i. e. that section of space has already been regarded by all States as part of outer space. In our view the argument that the geostationary orbit is dependent upon the Earth's gravitational pull is, from the point of view of determining the legal status of that orbit, of no consequence whatever. It is not our task to examine the rightness of this assertion, although, as far as we know, other factors also have a part to play here, but decision of the question at issue does not require such examination, because even if it really were so, it is likewise evident that gravitation is deterA/AC.105/C.2/SR.296. A/AC.105/C.2/SR.297. 14 The 130-km limit was regarded as reasonable by Mr. Butler, Deputy Secretary-Gener al of the International Telecommunicati on Union, in his statement made at the 1977 session of the Legal Sub-Committee. 12

1s

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mined by the total mass of the Earth, not by the area of the equatorial States, and so it would become still more obvious that it is necessary to recognize the right of all States to make use of the geostationary orbit. We obtain the same result also if the geostationary orbit which, by dint of its particular character and of the fact that this particularity can be put to use only through a limited number of space objects, is regarded as part of the natural resources. This conclusion cannot in the least mean that in regard to its utilization the States whose territory lies at a distance of about 36 000 kms below the orbit should enjoy a privileged position vis-a-vis other States. If once the orbit lies in outer space, it shall have the same legal status and is subject to the provision of the Space Treaty according to which "the exploration and use of outer space ... shall be the province of all mankind" 15 • If, by starting from the provisions of the Outer Space Treaty, we arrive at an unambiguous result in determining the legal status of the geostationary orbit, even so we have to ask what is the situation with regard to those States which have not so far become parties to the 1967 Treaty. Although this Treaty has met with relatively wide response among the States, still about half of the community of States have not acceded to it. One of these latter States is Colombia, whose representative in the meetings of the Legal Sub-Committee did not fail to point out that the Treaty was not binding upon his State. We are of the opinion that in the given case it is of no significance whether or not a State is a party to the 1967 Treaty. Namely, if a provision of the Treaty is identical with a general rule of customary international law, then it is quite natural that the States not parties to the Treaty are essentially under the same obligation as are the contracting parties. As the International Court of Justice stated in its judgments concerning the dispute between the Federal Republic of Germany and Denmark as well as that between the FRG and the Netherlands in connection with the North Sea continental shelf, the said situation can arise in one of two ways. It may be that an international treaty merely enunciates an already established customary rule, but it may happen also that a general rule of customary law emerges from the practice which States not parties to the treaty have 15 A draft resolution submitted in unofficial form at the 1978 session of the Legal Sub-Committee correctly stated that the geostationary orbit was inseparable from outer space, that all provisions concerning the exploration and use of outer space contained in the basic treaty of 1967 applied also to this orbit; furthermore, that the placing of an artificial satellite in a geostationary orbit created no proprietary right over the orbital positions occupied or certain sections of this orbit.

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evolved unter the impact of the treaty provisions and essentially in harmony with them 16. The principle of the freedom of outer space was established by the UN General Assembly already long before the adoption of the Space Treaty. The above-mentioned UNGA resolution 1721 (XVI)1 7 , and then resolution 1962 (XVIII) on the Declaration of Legal Principles Governing the Activities of States in the Exploration and Use of Outer Space, laid down the guiding principle of the freedom of outer space as follows: "Outer space and celestial bodies are free for exploration and use by all States on a basis of equality and in accordance with international law." The resolution was adopted by the UN General Assembly on 13 December 1963, i. e. more than six years after the first sputnik had been launched, and it already reflected the unanimous stand of States with regard to the legal status of outer space. This stand was given expression by the uniform attitude of States acknowledging without protest that artificial satellites launched into outer space above their territories were free to orbit without asking for their consent. Upon the introduction of the draft of the Treaty on Principles Governing the Activitites of States in the Exploration and Use of Outer Space, including the Moon and Other Celestial Bodies, a treaty which reiterated with some insignificant changes the above provisions of the UNGA resolution of 1963, the General Assembly adopted it, equally unanimously, on 19 December 196618 • We can safely say that what was at issue already in 1963 was not the acknowledgement of some rule of courtesy but the realization by all States that the freedom of outer space was advantageaus to all of them, so the opinio juris needed for the emergence of the rule of customary law was already established in the States at the time. Until 1976 there was no serious sign even of any view challenging the res communis character of outer space, a fact indicating that States were agreed in accepting the principles evolved with regard to the legal status of outer space. What conclusions should be drawn from the above exposition in the matter of the delimitation of outer space? It has to be stated first of all that the question of the Iimits of State sovereignty is not raised identically in outer space and on the sea. As has been pointed out, the law of the sea contained certain provisions from which the allowable maximum extension of the territorial sea could be inferred, but, especially after the failure of the Second Conference on the Law of the Sea held at Geneva in 1960, it was clear

C. J. Reports 1969, p. 37 ff. See Note 1. Cf. General Assembly resolution 2222 /XXI/.

1e I. 17

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that States did not consider this matter of extremely practical importance as settled. In respect of outer space, on the other hand, we can speak of a customary rule, established as appears from the foregoing, at least with regard to the space beyond the perigee of the orbits used by artificial satellites. And this has so far been completely satisfactory from the point of view of practical requirements. No doubt juristic thinking naturally gravitates towards clear and precise definitions. In the given case, however, we have to say tJtat it has so far been much more important to devote our energy to the legal regulation of activities in outer space than to the fixing of a dividing line between air space and outer space. If now we nevertheless think that this view must be changed, then we justify it not by the claim regarding the geostationary orbit and by the efforts at an appropriation entirely unsubstantiated through any statutory provision in force, but by the fact that owing to rapid technical development we can encounter ever newer phenomena - as in the case of the said space shuttle - which cannot properly be clarified by the so-called functional theory. And although it does not seem possible today to arrive at the necessary consensus in the matter of delimitation, yet we see that the solution of the question is ripening, and this solution will certainly take shape around the above-mentioned limits proposed in the Legal Sub-Committee. In case of such delimitation we think it ought to be ensured that States enjoy the right of innocent passage - as they do in the territorial sea - when launehing space objects into outer space or returning them to the Earth. If air space and outer space were once delimited, this would put an end also to the forced dispute which certain equatorial States provoked in regard to the geostationary orbit. This does not mean, however, that no international regulation should be elaborated regarding the use of the geostationary orbit. This orbit can, of course, be used by only a limited number of artificial satellites, and although it is far from being replete at present, yet, by eliminating the satellites which are already out of order, it ought to be marle sure in good time that this repletion sets in as late as possible and the advantages of the use of the orbit are enjoyed by all States 19•

* 19 The question of how many artificial satellites can be placed in the geostationary orbit without the risk of collision, and without disturbing one another's operation, cannot be answered in a general way, because it greatly depends also on the purpose for which the space objects in question have been launched. In 1977 about 100 space objects were moving in geostationary orbits, and the launehing of an additional 15 to 20 objects annually was planned for the subsequent years. Several of those artificial satellites are

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As appears from the foregoing, the question of sovereignty holds a pivotal place in the definition of the general status of outer space. The Space Treaty chose the correct solution when it exempted outer space from State sovereignty and made it free for all to explore and use, and although - as we have seen - there are sporadic attempts at stealing the notion of sovereignty back, these have failed in their object. The question is raised differently when the space activities at issue are aimed direct at our Earth and their result manifests itself on the Earth. I~ the case of these activities, therefore, exploration and use are not confined to outer space proper, and consequently they have to be governed also by rules and principles other than those established for outer space. The methods already applied, or to be applied in a few years hence, for the practical utilization of space technology belong for the most part in this category. In connection with them, consequently, the principal question is how these space activities can be made consistent with State sovereignty, what legal regulation is needed to prevent the serious violation of the principle of international law concerning respect for State sovereignty and to keep the sovereignty of States from bindering technical development and the conduct of space activities aimed at the Earth and serving at the same time the betterment of mankind. The urgency of regulation arises at present in connection with two practical uses of space technology, namely direct television broadcasting by means of artificial satellites and remote sensing of the Earth from outer space. Before examining one by one the two cases, it seems necessary to make a statement of principle. A basic provision of the Space Treaty of 1967 declares that outer space is free for exploration and use by all States on a basis of equality and in accordance with international law. No doubt the principle of the free exploration and use of outer space can be implemented only within the bounds of the generally accepted principles and rules of international law. Article III of the Treaty expressly makes this self-evident conclusion and explains it more amply stating: "States Parties to the Treaty shall carry on activities in the exploration and use of outer space, including the moon and other celestial bodies, in accordance with international law, including the Charter of the United Nations ...". But, to leave no doubt about the limitations of the particular space activities, the draft principles formulated by the UN Legal Sub-Committee on Outer Space in respect of both direct television broadcasting and remote sensing lay down too already out of order. The satellites nearing the end of their operation can, by using up their fuel reserves, be removed from the geostationary orbit /cf. for more detail the UN Secretariat's study on the problern in doc. Al AC.l05/203./.

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that such activities have to be conducted in accordance with international law. Both drafts put special emphasis, within the framework of international law, upon the Charter of the United Nations and the Outer Space Treaty; moreover, the draft concerning direct television broadcasting refers to the relevant rules of the International Telecommunication Union and its Radio Regulations, as weil as to the instruments on friendly relations and co-operation among States and those on human rights. And one of the fundamental principles of today's international law is precisely that of respect for State sovereignty. If the new rules of international law preclude sovereignty in some parts of outer space from being claimed by States and these parts from being appropriated by them, this does not at all mean that outer space should be free for any kind of activities making possible the impairment, in any degree whatever, of the sovereignty exercised by States over their own territory. By direct television broadcasting we mean such TV transmission by means of artificial satellites which, without the aid of earth relay stations, results in picture with sound being produced on home screens. The problern has already been solved in principle, and experts are of the opinion that in a few years' time the solution of principle may be put into practice without individuals having to incur exorbitant expenses. When the transmitting State designs a direct television broadcast for another State, then a series of problems arise which need international legal regulation. Already existing rules of international law are necessarily applicable to such direct TV broadcasts as weil, but certain questions require a new sort of legal regulation. As has been mentioned above, the draft principles concerning direct television broadcasts emphasize among other things, with regard to this space activity and through reference to international instruments on friendly relations and co-operation among States, the applicability of UN General Assembly resolution 2625 /XXV/. A provision of the draft worked out by the Legal Sub-Committee specially stresses that direct TV transmissions through artificial satellites should be based upon international co-operation. One of the nine principles formulated so far draws from the principle of co-operation a practical conclusion stating that, when television broadcasting by a State is likely to affect another State, at the request of the latter the State carrying on the activity shall be bound immediately to start consultation with it.

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The question arises, however, whether this obligation to start consultation is sufficient for realizing the co-operation so often emphasized in the draft. It would be difficult to answer this question in the affirmative, when the planned specific pactum de negotiando does not necessarily lead to agreement between the disputant States. But television, whose radius of transmission is enormously enlarged by the use of space technology and which consequently can play an important part in promoting peace and understanding among States and peoples, can become, by dint of its powerful influence, a dangerous weapon in the rivalry between States. To eliminate this danger, something more is needed than the obligation to negotiate: direct TV broadcasting towards another State must be made subject to agreement between the States concerned. Of course this questionwas raised also in the UN Legal Sub-Committee on Outer Space, but no consensus was reached on this issue. The vast majority of the 47-member Sub-Committee took the position that some form of the target State's consent was definitely necessary for such broadcasts, but a few States rejected this position with reference to the principle of freedom of information20 • The latter States make the principle of the free flow of information appear as one recognized in internationallaw, andin this way they claim that their view alone is in accordance with the rules of internationallaw. Does such a generally recognized principle of international law exist?

If we take the practice of States, we are bound to come to the conclusion

that States have never recognized as binding upon them the right of any other State to send freely to their territory any kind of information unconditionally. In consequence of technical progress and the new mass media the question is today raised differently and has acquired increased importance.

Already on 23 September 1936, still under the auspices of the League of Nations, the Convention concerning the Use of Broadcasting in the Cause of Peace was concluded, with the purpose of banning radio broadcasts that were directed against the domestic order or security of other States, contained war propaganda or, by supporting false assertions, jeopardized international understanding 21 • 20 According to a compilation made in 1975, only six States in the then 37-member Legal Sub-Committee on Outer Space considered the principle of freedom of information as fully applicable to direct television broadcasting, and 25 States partly or wholly rejected the application of this thesis /see: B. Signitzer, Regulation of Direct Broadcasting from Satellites: The UN Involvement. New York, 1976, p. 78/. Since then, the Sub-Committee membership having been raised to 47, the ratio of the unconditional supporters of the principle has further diminished.

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After the end of the Second World War, already during the first session of the United Nations General Assembly, the question of freedom of information was raised, and then as weH as at subsequent sessions the Assembly adopted a few resolutions having the character of recommendations, which of course had no binding force under international law. At Geneva in 1948, under the auspices of the United Nations, a conference attended by a large nurober of States was convened with the proposed aim of preparing a convention on freedom of information, but the draft that was prepared then is still today before the General Assembly which, owing to the conflict of views, has so far been unable to pass any resolution on this issue. A similar fate was met by a draft declaration introduced by some Western States through ECOSOC in 1960 22 • The Universal Declaration of Human Rights adopted by the UN General Assembly in 1948 states in Article 19 that everyone has the right "to seek, receive and impart information and ideas through any media and regardless of frontiers", but this principle, being formulated in a general way and laid down only in a General Assembly resolution, in spite of the moral weight of the Declaration, cannot be regarded as a binding rule of internationallaw. Different in character are, on the other hand, the International Covenants on human rights, which already qualify as binding instruments of internationallaw. Article 19 of the International Covenant on Civil and Political Rights enunciates with binding force that the right to freedom of expression includes freedom to seek, receive and impart information and ideas of all kind, regardless of frontiers. The Covenant immediately adds, however, that the exercise of these rights carries with it special duties and responsiblities. Consequently it may be subject to certain restrictions, among other things, for the protection of national security, public order, public health or morals. In other words this means that, without being able to bar completely the implementation of the given right, States are free to establish in their domestic law restrictions of its implementation. In order to enforce the right to disseminate information and the lawful restrictions of this right, however, there is need for co-operation among the States concerned. The lack of this co-operation would involve the danger of States using direct television broadcasts for propaganda and counter-propaganda against one another, or even 21 League of Nations Treaty Series. Vol. CLXXXVI, 1938, p. 301. The Convention entered into force in 1938, but many of the signatories, the U. S. S. R. among them, failed to ratify it. Hungary also is not a party to the Convention. 22 As to the further fate of the related drafts, see: Y. M. Kolosov, Mass Information and International Law, Moscow 1974/in Russian/, pp. 117 ff.

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States which posses the necessary technical facilities would resort to measures intended to prevent transmissions transgressing the limits established by the State or to hinder the reception of such broadcasts. It is evident that all this would be greatly prejudicial to the peaceful co-existence of States. Co-operation aiming at the elimination of dangers implies agreement between States concerning direct TV transmissions. This may consist in acceptance of the thesis that the consent of the target State is needed for direct television broadcasting, as is provided by the drafts submitted to the Legal Sub-Committee by the U.S.S.R., on the one hand23, and by Canada and Sweden, on the other24 . Both documents are based on the principle that direct television broadcasting towards a foreign State by means of artificial satellites shall be subject to the agreement of the States concerned. The same principle is laid down in an Argentine proposa12s. Agreement between States, however, is imaginable also in a more general form, if the content of transmissions were defined, or if it were specified what broadcasts are to be considered prohibited. The Soviet draft also contained a specification of this kind though it coupled it with the principle of express consent. 1t is questionable, however, whether a general specification of the content of transmissions, if the concrete consent of the target State is precluded, will be enough to protect the interests of the latter State. What is certain is that, despite such specification of the content of broadcasts, friction between States may develop and in this case provisions ought to be made for the satisfactory settlement of disputes. The solution of the problern of direct TV broadcasting is to some extent facilitated by the agreements set down in the final acts of the World Administrative Radio Conference held by the International Telecommunication Union at Geneva early in 1977. Since the broadcasts in question are possible only through artificial satellites moving in a geostationary orbit and the number of these objects- as mentioned already - can only be limited, and, since for technical reasons not to be specified in more detail here, only the 12 GHz frequency band can be used for the purpose of direct broadcasting, the agreements allocate among States, with the exception of the American continent for the Cf.A/AC.105/WG.3/V/CRP.l. Cf.A/AC.105/WG.3/L.4. At its 18th Session the Legal Sub-Committee had before it a new variant of the Canadian-Swedish draft the so-called Clean text, see doc. A/AC.105/C.2/L.117/. 25 Cf.A/AC.105/WG.3/V/CRP.3. 23

24

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time being, the orbital positions and usable frequency channels which are suitable for covering the territory of the given State only 26 • From this it follows also that several orbital positions have badtobe assigned to States with vast geographical areas, positions from which the different parts of their territory may be beamed by the use of the frequency channel. This means that, by virtue of the agreements made there, the particular States can broadcast only to their own territories, but this of course does not make it possible to eliminate the spillover in border areas, while broadcasting directed straight beyond the frontier is impossible. The situation has thus certainly changed with the making of the before-mentioned agreements, but we can say by no means that the misgivings of States which insist on the consent of the target State to direct television broadcasting have become devoid of all foundation. Aside from the fact that the planned duration of the agreements put into force on 1st January 1979 is a period of fifteen years, certain misgivings may arise also on the ground that in this way questions concerning State sovereignty, i. e. questions of serious political consequence, are proposed to be solved by purely technical rules. In view of the certainly existing principled viewpoints this misgiving would be justified also because the violation of international rules of a technical character is judged more mildly by the general public than that of legal provisions of greater political significance, and as far as the observance of rules of international law is concerned, the role played by public opinion is of increased importance in view of the decentralized character of internationallaw. All this admits the conclusion that in the given case, just as in general, it is desirable to create harmony between the character of the problern and the way of regulation. It seems therefore that many States are justified in demanding that the question of political importance at issue should be settled by an international legal rule of similar significance. At the same time it must be admitted also that the adoption of the final acts of 1977 has greatly facilitated the settlement of the question, and there are hopes that, even if not by an international treaty for the time being, but at least by general principles laid down in General Assembly resolutions, a new regulation will determine the attitude which the international community rightly expects States to display in connection with direct television broadcasting by satellites, in the interest of respect for sovereignty and the strengthening of friendly relations among States. Such a General As26 With the exception of certain groups of States /Scandinavian States, some Arab States/, which, by agreement among the members, have received wider beaming possibilities enabling international broadcasting within the group.

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sembly resolution would certainly promote progress regulation of the whole complex of problems through an international convention acceptable to all States. Another practical use of space technolgy, remote sensing from outer space, equally raises the question of compatibility with the principle of respect for national sovereignty. The answer to the question, or the regulation of the activity under international law, is all the more topical as this activity has been carried on for a long time now, and the views regarding the way of regulation are conflicting even more violently than in the case of the formerproblern area. lt is commonly known that the phenomena occurring on the Earth can be observed from outer space, while it is impossible to observe them directly on the Earth or from its air space. This remote sensing is of great importance, among other things, from the point of view of environmental protection, the prevention of natural disasters, the perfection of meteorological forecasts, the improvement of the reliability of crop estimates. Remote sensing from outer space is of special practical significance for the purpose of detecting the layers of mineral resources hidden in the depths of the Earth, because the data obtained from outer space, compared with other data gathered on the Earth, provide valuable information on the place of occurrence of such mineral resources.

Of course, remote sensing from outer space directed by a State towards its own territory needs no international regulation. On the other band, the situation is different when the artificial satellite launched by a State carries on remote sensing activity aimed at the territory of a foreign State. Here we again have to do with a case when the activity takes place in outer space exempt from national sovereignty, but its result manifests itself on the Earth, in regard to a territory subject to the sovereignty of another State and, of course, for the purpose of utilization on the Earth27• The first question to be answered here is whether this remote sensing aimed at the territory of a foreign State is at all admissible under international law, whether this activity is compatible with the important legal principle of respect for sovereignty. In vain do we Iook for an express answer to this question in the Space Treaty, and, as we have mentioned above, the freedom of outer space stipulated in the Treaty does not at all mean the free use of outer space for activities of 27 What is to be explained further on does not, of course, apply to remote sensing conducted on the high seas and in other international areas exempt from all national sovereignty.

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terrestrial purpose which is performed on the Earth would be contrary to international law. As follows from sovereignty, every State can determine by itself which data about its territory it wishes to keep secret and which data it considers to be free for use by others; in principle, therefore, no remote sensing activity affecting the territory of another State is admissible against the will of the State concerned, because this act qualifies as intervention in the domestic jurisdiction of the latter State. At the same time we have to say, however, that a contrary rule of customary law concerning this matter is taking shape; what is more, we can suppose with reason that it has already been established. For a long time already remote sensing is carried on by States which have the necessary technical facilities; States even are informed of this activity, but they have hardly protested against it so far. We can say, therefore, that States have given their tacit consent to remote sensing activities, and they have even been trying to obtain the data gathered by other States in order to make use of them for their own purposes. This is not at all meant to create the impression that developing countries in the UN Committee on the Peaceful Uses of Guter Space and in its two Sub-Committees have not, with reference to their sovereignty, objected to remote sensing activities conducted without their consent. At the same time, however, as far as I know, concrete protests have not or have only occasionally been raised on an intergovernmental level, a fact that leads us to the conclusion that States in general considered and still consider the manysided uses of remote sensing to be in the interest of the international community. It is beyond doubt that making remote sensing subject to preliminary consent would hinder this activity which serves among other things also the prevention in time of natural disasters or the reduction of their consequences. Besides, it would meet with great technical difficulties if the operation of the installations of remote sensing satellites, or their switching on and off, were to be adjusted to national frontiers, and it is also beyond doubt that the prohibition of remote sensing would require a legal rule the observance of which it would be impossible to control through the existing technical facilities. And the making of such a provision of law does not serve the peaceful co-existence of States but is rather apt to disturb international relations. By no means can we agree with those otherwise excellent scholars of international space law who speak of the "obsolete theory" of sovereignty which will be discarded in the future 28 • In our view the principle of sovereignty will for a long time remain one of the most important 28

Cf., for example, N . Mateesco Matte, op. cit., p . 45.

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fundamental principles of the legal system governing relations between States. This, however, does not mean that the concept of sovereignty is irresponsive to the scientific-technologic al revolution. It is obvious that this concept has to be adjusted to the incredibly rapid advance of technical progress and to its unparalleled achievements, and this can be done without having to modify radically the essential elements of the notion of sovereignty. If, however, we have to conclude that as a result of practice the right of States to the remote sensing of the Earth from outer space can be regarded as established, we ought to add also that international regulation could and should settle the use of the data obtained by means of remote sensing. In this matter there are two conflicting views. One of them is advocated mainly by the United States which wishes to make it entirely free for all to acquire the data gathered, and this irrespective of whether it is a State, or a natural or juridical person who wants to acquire them. There is the obvious danger that unrestricted freedom to acquire the data would make it possible for the big monopolies to obtain data the knowledge of which would enable them to gain different advantages to the possible detriment of the sensed State. The other view, however, is intended to restriet the dissemination of data and to make it subject to the consent of the territorial State. A provision to this effect is contained, for example, in the joint FrancoSoviet working paper29 andin the proposal introduced by Brazi130 • In our opinion this restriction is undoubtedly warranted in so far as it is related to the dissemination of data for the benefit of natural and juridicial persons, but it is rather difficult to justify by legal arguments - if all States are considered entitled to conduct remote sensing activities- why a State should be prohibited from making data obtained by it available to another State. This does not at all preclude, however, the making of an international agreement which would restriet this procedure, maybe to the effect that only above a certain spatial resolution should the passing on of data to other States be permitted without the consent of the sensed State31 • On the other hand, it seems definitely necessary to formulate the thesis laid down also in the Franco-Soviet document that the data collected from the territory of the sensed State have to be made available, on mutually acceptable terms, to the latter State. What is more, pursuant to the text drawn up by the Legal Sub-Committee and 29

so

A/AC.105/C.2/L.99. A /AC.105/122.

31 The proposal submitted by the U. S. S. R. would permit the passing on of data beginning from the 50-metre spatial resolution.

Outer Space and Sovereignty

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still controversial in some parts, this State should have priority in the obtention of such data32 • If we start from the assumption that remote sensing is not subject to the consent of the territorially affected State, and especially if we admit that the State carrying on remote sensing activities is free to pass on the data it has obtained to other States as weil, increased emphasis must be put on the absolute and permanent sovereignty of States and peoples over their own wealth and natural resources. The right of all peoples to enjoy and utilize fully and freely their natural wealth and resources was given expression by the UN General Assembly as early as 1952 in its resolution 626 /VII/ and later in a number of further resolutions, and was laid down with binding force also in both Covenants on human rights. lt seems surprising that Western States in the Legal Sub-Committee strongly opposed the mention of the above principle among those to be enforced in connection with remote sensing. This attitude can hardly be attributed to the underlying argument that remote sensing cannot by any means affect the sovereignty of the territorial State over its natural wealth and resources. But if in most cases the purpose of remote sensing is precisely to reveal data relating to the natural resources to be found in the territory of a State and possibly to make those data available to other States as weil, then there is good reason to fear that the State obtaining such information, by using it, may effectively impair the sovereignty of the sensed State over its natural wealth and resources. This is why it would seem warranted to include the principle in question among those governing the remote sensing activities, but the consensus needed for the adoption of a resolution on this subject could for the time being not be attained in the Legal Sub-Committee. The UN Committee on the Peaceful Uses of Outer Space also has so far failed in this respect.

*** From what we have explained above we can draw the conclusion that State sovereignty in general does not hinder space activities carried on in the interests of mankind but makes it necessary to introduce an appropriate legal regulation regarding such activities. This task is a pressing one, because it can doubtless be expected that the number of States and international organizations conducting space activities will grow noticeably and at the same time ever newer types of activities will take place in outer space. Consequently there will be an increasing 32 Principle XII annexed to the 1978 report of the Sub-Committee provides for the timely access of the sensed State to data on a priority basis, i. e. by no means later than they are rnade available to any third State

I Al AC.105IC.21L.1141Add.B/.

10 Festschrift für Stephan Verosta

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György Haraszti

danger that the space activities carried on without proper regulation may lead to conflicts between States and create new obstacles to international detente. Especially great is therefore the responsibility of those States which, as members of the UN Committee on the Peaceful Uses of Guter Space, being conscious of the importance and urgency of the questions thus raised, are in a position, by seeking good co-operation and the possibilities of agreement, to promote the establishment of the necessary new rules of international space law.

EINIGE BETRACHTUNGEN ZUR NATUR DER STAATENIMMUNITÄT IM VÖLKERRECHT Von Paul Reuter* Die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen hat 1977 in Vorschlag gebracht und es danach 1978 über Empfehlung der Generalversammlung unternommen, den Gegenstand "Die Immunität der Staaten und ihres Vermögens von der Jurisdiktion anderer Staaten" in Untersuchung zu ziehen; sie hat dazu als ihren Spezialberichterstatter einen der besten Kenner dieser Materie in der Person des Botschafters Sucharitkul bestellt, Verfasser zahlreicher Studien, die auf diesem Gebiet als autoritativ anzusehen sind. Der von letzterem erstellte Vorläufige Bericht wurde auf der 1979er Session der Kommission1 diskutiert, und das Thema wird ihre Aufmerksamkeit im Laufe der nächsten Jahre beschäftigen. Wir legen es nicht darauf an, hier die zahlreichen Elemente darzulegen und zu diskutieren, die vom Spezialberichterstatter bereits zusammengetragen worden sind, noch auch die Meinungen, die dazu im Schoße der Kommission geäußert wurden. Es erscheint uns jedoch opportun, zu Ehren Seiner Exzellenz Botschafter Verostas, der so glänzend an den Arbeiten der Kommission teilnimmt, hier einige "generelle Betrachtungen" über die Beziehungen der genannten Materie zum Völkerrecht anzustellen, weil man sie in recht allgemeiner Weise faßt und sie zum Gegenstand einer Kodifikation machen will, die Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt 2 • Dieser doppelte Ehrgeiz, die Allgemeinheit des Gegenstandes und die Universa:lität seiner Anwendung, stellt eine Neuerung dar; es gibt über besondere Punkte Kodifika-

* übertragen aus dem Französischen von Peter Fischer und Heribert F. Köck. 1 "Rapport preliminaire sur la question des immunites jurisdictionelles des Etatset de leurs biens." Doc. A/CN. 4/323 vom 18. Juni 1979. 2 Ohne den künftigen Arbeitsplan der Kommission präjudizieren zu wollen, muß man doch die Überlegung anstellen, daß der Ausdruck "Jurisdiktionsimmunitäten" sowohl die Jurisdiktionsimmunität im eigentlichen Sinn als auch die Vollstreckungsimmunität umfaßt. Wie es der Sonderberichterstatter schon in ausgezeichneter Weise herausarbeitete, ist die Hinzufügung des Ausdruckes "et de leurs biens" überflüssig, da die Immunitäten "sont conferees a l'Etat et a lui seul". 10*

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tionsinstrumente für gewisse Immunitäten (z. B. im Bereich des Diplomaten- und Konsularwesens, oder betreffend bestimmter Schiffe); es gibt auch allgemeine Kodifikationen, aber in regionalem Rahmen, wie die Konvention über Staatenimmunitäten, die unter den Auspizien des Europarates 1972 ausgearbeitet wurde und am 11. Juni 1976 in Kraft getreten ist. Aber nach allem kann man annehmen, daß für alle Materien dasselbe gilt: das Unterfangen allgemeiner Kodifikation in universellem Maßstab ist jüngsten Datums. Andererseits ist man von der reichen Fülle nationaler Rechtsprechungspraxis, oft von einer Regierungspraxis unterstützt, und von ihrem Charakter überrascht. Die Frage der Immunitäten des Staates läßt sich nicht leicht von den Besonderheiten der Wege der internen Rechtsprechung loslösen; sie scheint zahlreiche Verbindungen zu den Problemen der Zuständigkeitskonflikte und Gesetzeskonflikte zu haben, welche die Substanz der nationalen Internationalen Privatrechte ausmachen, und zwar derart, daß es in gewissen Ländern wie z. B. Frankreich die Werke über Internationales Privatrecht sind, welche die Immunitäten behandeln, während dieselben in Darstellungen des Völkerrechts nur summarisch genannt werden. Die nationalen Positionen sind so häufig unsicher, schwankend und in Entwicklung begriffen. Kann man überhaupt sagen, daß es sich um rechtliche Positionen handelt? Und die Gerichte stellen sich wie auch die Doktrin häufig auf den Standpunkt der comitas gentium. In Wahrheit hat man den Eindruck, daß man bei der Ermittlung des Zutreffenden tastend vorgeht und sich vollständig von einem praktischen Empirismus leiten läßt, in welchem der Gedanke der Reziprozität dominiert: das, was oft am meisten zählt, ist die Angst eines Staates, er werde später bei anderer Gelegenheit der ausländischen Gerichtsbarkeit unterworfen werden, wenn er jetzt die seinige ausübt; von daher kommt die mehr oder weniger direkte Art, mit der die Regierungsstellen die Gerichte unterweisen und leiten. Man hat sagen können, daß das ganze Völkerrecht auf Reziprozität aufgebaut war, und man ist daher versucht, in diesem vorsichtigen Tasten und Zurechtrücken einen exemplarischen Fall für die Geburt einer Rechtsnorm zu sehen. Die Reziprozität in der Anwendung einer Rechtsnorm ist jedoch eine Sache, die Reziprozität beim vorsichtigen Vorgehen jedoch eine andere. Man kann sicherlich von einer zur anderen kommen, aber das ist nicht immer leicht, wenn die Staaten im konkreten untereinander hinsichtlich ihrer Struktur, ihren Unternehmungen und ihren Ambitionen verschieden sind. Es wird daher vielleicht nicht leicht sein, generelle und universelle Normen bezüglich der Immunität von Staaten auszuarbeiten. Die

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geschichtliche Entwicklung der internationalen Gemeinschaft zeigt in dieser Hinsicht zwischen den nationalen Positionen der Staaten Konvergenz- und Divergenzfaktoren, die die Daten und die Einsätze des Problems modifiziert haben. Man nimmt ziemlich allgemein an, daß die Immunität des Staatschefs als erste aufgetreten ist, was logisch ist, weil das Königtum dem Staat voranging, dessen Begriff sich auf der Ebene des Rechts nur langsam behauptet hat; es war leicht, von den Immunitäten des Königs auf jene seiner diplomatischen Vertreter zu kommen; noch später hat man die Immunitäten des Königs auf den Staat übertragen3. Im gleichen Maß wie die Staaten nur in sehr beschränkter Weise zwischen 1815 und 1914 in die wirtschaftlichen Angelegenheiten eingegriffen haben, war auch die 'Zahl der Fälle, wo das Problem der Staatenimmunität gestellt werden konnte, relativ gering; vor allem aber waren die Staaten im Verhältnis untereinander in einer symmetrischen Position; die Bedingungen für eine Festigung der jeweiligen nationalen Praxis konnten sich leicht dergesta'lt realisieren, daß die gleichen Prinzipien den gleichen Umfang an Konsequenzen für alle Staaten hatten. Diese beiden Konsequenzen können nach der Entwicklung, die nach dem ersten Weltkrieg Platz gegriffen hat, nicht mehr verifiziert werden. Alle Staaten ohne Ausnahme haben ihre Interventionen in die wirtschaftlichen Beziehungen stark intensiviert, indem sie enorme Verbraucher und wichtige Erzeuger geworden sind und so ihre Aktionen in Bereichen vervielfachen, die normalerweise dem Handelsrecht unterliegen und zu Rechtsprozessen vor ausländischen Gerichten führen können. Diese Situation modifiziert die Daten des Prob'lems, aber da sie sich für alle Staaten feststellen läßt, bringt sie zwischen ihnen keine radikalen Unterschiede mit sich. Das gilt aber nicht auch für eine andere Änderung: einzelne Staaten haben ein völlig vom Staat dirigiertes Wirtschaftssystem eingerichtet, der den gesamten Produktions-, Konsum- und Austauschapparat mittels einer autoritären zentralisti3 Wenn auch am Anbeginn der König einen sakralen Charakter besaß, der seine Immunität verstärkte, so hat man doch bald zwischen der Person des Souveräns und der Immunität unterschieden und erkannt" daß das nicht das gleiche wäre, gemäß dem was als "wegen eines mit seinen öffentlichen Funktionen verbundenen Grundes oder nicht" zitiert wurde. Aber man weiß, wie das öffentliche britische Recht der monarchischen Einrichtung verbunden ist und vielleicht kann das die so lange und ausgedehnte Immunität des Staates erklären. Wenn heute der sakrale Sinn, der der königlichen Person beigegeben wird, noch fortlebt und nicht verschwunden ist, so ist er aber doch laisiert und findet Anwendung in gewissen politischen Philosophien, in denen er die gleichen Wirkungen verursacht: nämlich eine größtmögliche Immunität. Daher hat die ideologische Spaltung der internationalen Gemeinschaft verschiedene Staatsmodelle hervorgebracht, die auch verschiedene Konzeptionen der Immunitäten nach sich ziehen.

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sehen Planung in der Hand hat. Um daher ein Immunitätenregime aufzustellen, das nicht de facto ein großes Ungleichgewicht zwischen den Staaten mit sich bringt, muß man nicht nur eine gewisse Zahl von Begriffen und Prinzipien darlegen, die allen Staaten gemeinsam sind, welches auch immer ihr wirtschaftliches System sein mag, sondern man muß auch darauf sehen, daß die aus diesen Begriffen und diesen Prinzipien sich ergebenden Konsequenzen den Staaten mit verschiedenen Wirtschaftssystemen vergleichbare Lasten auferlegen. Es gibt auch heute noch Staaten, die ein System absoluter Immunität des fremden Staates vorziehen, obgleich die neuen, kürzlich in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien beschlossenen Gesetze eine steigende Tendenz aufweisen, die Immunität des fremden Staates danach zu gewähren oder zu verweigern, ob die in Rede stehende Aktivität des Staates iure imperii oder iure gestionis ist. Man könnte daher versucht sein zu denken, daß es, um zu einer gelungenen Kodifikation zu kommen, notwendig sei, sehr subtile Untersuchungen anzustellen, und daß alle Grundsatzerwägungen zurückgewiesen werden müßten, die ein Hindernis auf der Suche nach allgemein akzeptablen Lösungen darstellen könnten. Diese empirische Haltung entspricht zu einem großen Teil der Wahrheit. Sie darf jedoch nicht übertrieben werden. Man kann im Bereich der Staatenimmunitäten nicht von gewissen Daten des aktuellen Völkerrechts absehen, die die fundamentalen Orientierungen der Materie festlegen. Und ohne, wohlverstanden, vorgeben zu wollen, aile diese Daten hier zu nennen, möchten wir uns doch, nach diesen Einleitenden Bemerkungen, daran machen, einige von ihnen in unseren "Betrachtungen" darzulegen. Ich werde zuerst versuchen zu zeigen, daß alle Immunitäten im Völkerrecht nur dieselben Wurzeln haben können und daß eine Kodifikation dies notwendigerweise in Betracht ziehen muß. Danach werde ich einige Beispiele liefern um zu zeigen, wie notwendig es - unseres Erachtens - ist, in der Erarbeitung eines Immunitätenregimes auf gewisse Normen des Völkerrechts, die andere Materien berühren, Rücksicht zu nehmen. Ein Staat kann von Seiten eines anderen Staates Immunitäten genießen, die man in zwei verschiedene Gruppen einteilen kann. Die erste Gruppe umfaßt die im Völkerrecht wohlgesicherten, auf fundamentale Grundsätze desselben gegründete Immunitäten; sie sind in ihrer Gesamtheit bereits kodifiziert. Eine zweite Gruppe sieht hingegen ihre Grundlagen umstritten und gehört - nach unserer Meinung mehr oder weniger- nicht in gleicher Weise zum Völkerrecht; es ist diese Gruppe, die nach einem Bemühen um Definition und Klärung ruft. Die erste

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Gruppe umfaßt diejenigen Immunitäten, die mit dem diplomatischen und konsularischen Dienst verbunden sind, weiters mit dem Regime fremder Kriegsschiffe in den nationalen und territorialen Gewässern wie auch mit dem Status fremder Truppen, die sich auf dem Territorium ·eines Staates als Okkupationsstreitmacht aufhalten; die zweite Gruppe umfaßt diejenigen Immunitäten, auf die sich ein Staat in Zusammenhang mit der Jurisdiktion der Gerichte eines fremden Staates oder mit der Durchführung einer Exekution von Seiten dieses Staates beruft, insbesondere wo dieser Staat in analoge Situationen zu jenen verwickelt ist, wo Besonderheiten existieren können. Man kann vorweg abschätzen - aber dieser Punkt ist so evident, daß es nicht nötig ist, bei ihm zu verwei'l en -, daß es nicht opportun ist, bereits gesicherte Normen im Zusammenhang mit einer Kodifikation, die noch nicht gesichert erscheint, in Frage zu stellen. Das müßte dazu führen, daß man der Begrenzung des Anwendungsbereiches eines Kodifikationsentwurfes auf Immunität{m der zweiten Gruppe günstig gegenübersteht. Man muß aber noch weiter gehen und sagen, daß es überhaupt nicht evident ist, daß man sich von Lösungen inspierieren lassen muß, die von Immunitäten der ersten Gruppe stammen, wenn es sich um Immunitäten der zweiten Gruppe handelt, weil der Einfluß des Völkerrechts auf die beiden Gruppen verschieden ist. Um diese Behauptungen zu rechtfertigen, muß man mit einer einleuchtenden Feststellung beginnen. Um das Problem der Immunität eines Staates zu stellen, ist es notwendig, daß der Staat, im Falle des Fehlens der Immunität, der "Jurisdiktion" eines anderen Staates unterworfen wäre, wobei hier der Terminus "Jurisdiktion" in seinem der englischen Sprache entnommenen Sinn verstanden wird, d. h., daß seine Aktivität unter die "Kompetenz" eines anderen Staates fällt, um eine geläufigere Formulierung zu verwenden. Wie kommt es, wenn man von jenem Fall, wo ein Staat sich freiwillig der "Jurisdiktion" eines anderen Staates unterwirft, absieht, daß das Völkerrecht überhaupt erlaubt, daß ein Staat über einen anderen Jurisdiktion hat? Ganz einfach, weil das Völkerrecht, entgegen allen doktrineilen Konstruktionen, die Kompetenzen zwischen den Staaten nur in sehr unvollkommener Weise aufteilt. Wenn es sich um dieterritoriale Kompetenz und um eine Aktion eines fremden Staates handelt, der seine Gewalt physisch auf dem Gebiet eines anderen Staates kundtut, so spricht sich das Völkerrecht darüber ganz eindeutig und klar aus: diese Aktion eines fremden Staates ist verboten, und der Staat, der die territoriale Souveränität eines anderen Staates derartig verletzt, fällt unter die Kompetenz dieses Staates; es ist hier somit keine Frage, ob er Vorteile aus einer Immunität ziehen

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könne, welche die Negation der verletzten territorialen Souveränität darstellte 4 • Das ist der Grund, warum ein Staat z. B. einen militärischen Apparat eines fremden Staates, der sich auf seinem Territorium befindet, zerstören oder beschlagnahmen könnte. Die Staaten haben sich jedoch, im Interesse der Entwicklung ihrer gegenseitigen Beziehungen, bestimmen lassen, fremden Staaten die Ausübung gewisser Funktionen physisch auf ihrem Territorium zu gestatten, wie dies insbesondere hinsichtlich des diplomatischen und konsularischen Dienstes der Fall ist; die Ausübung dieser Funktionen wäre aber praktisch unmöglich, wenn diese Autorisation nicht auch von gewissen, wohlbekannten Immunitäten begleitet wäre. Dies sind die Immunitäten, welche die erste der oben erwähnten Immunitätsgruppen darstellen. Diese Immunitäten erscheinen als notwendige Gegenstücke zu gewissen Derogationen von der Exklusivität der territorialen Kompetenz; sie sind mit fundamentalen Normen des Völkerrechts verbunden und bewegen sich im Rahmen von Institutionen, die heute auf universeller Ebene wohletabliert sind. So ist es auch hinsichtlich dessen, was die Ausübung einer Gewalt anlangt, die sich als erlaubte Derogation von der Exklusivität der territorialen Souveränität darstellt und die, in Folge ihres erlaubten Charakters, lmmunitäten mit sich bringt, die ihr Funktionieren in der Praxis gestatten. Dort aber, wo es sich nicht mehr um die physische Manifestation der Gewalt eines Staates auf dem Territorium eines anderen Staates handelt, teilt das Völkerrecht die Kompetenzen zwischen den Staaten nicht mehr ganz allgemein gemäß präzisen und strengen Kriterien auf. Ob es sich um die Verleihung der Staatsangehörigkeit, Gesetzeskonflikte, Konflikte von Jurisdiktionsbereichen handelt, erkennt das Völkerrecht den Staaten eine sehr große Macht zu, die Personen und Situationen ihrer Rechtsordnung und ihrer Jurisdiktion zu unterwerfen. Es geschieht nicht ohne Zurückhaltung und Zögern und nur im Zusammenhang mit Rechtsmißbräuchen, daß die Doktrin und die internationale Rechtsprechung Anknüpfungen verbieten, die als willkürlich oder einer etablierten Übung zuwiderlaufend anzusehen sind. Es ist daher nicht im Namen einer vom Völkerrecht geheiligten Kompetenzaufteilung, daß man eine Immunität eines Staates rechtfertigen könnte. Wenn es so wäre, müßte diese behauptete "Immunität" auch den einzelnen in dem Sinn zum Vorteil gereichen, daß der Staat, der zur Festlegung ihrer Rechte und Pflichten zuständig ist, unter Ausschluß aller anderen genau bestimmt wäre. 4 Vgl. dazu die auf einer Ansicht von Richter Marshall im berühmten Schooner Exchange-Fall begründete, aber vorsichtigere Lehrmeinung von Strisower anläßlich des Falles Creole et autres in: Lapradelle-Politis, Recueil des arbitrages internationaux, Bd. I, S. 711, Fußnote 3.

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Wenn es in solchen Fällen eine Staatenimmunität gibt, so kann das nicht unter dem Titel derselben Grundsätze, die die oben unter der Gruppe 1 untersuchten Immunitäten rechtfertigen, erfolgen. Aber besteht nicht ein anderer Grundsatz des Völkerrechts, der genau die Rechtsstellung des Staates gegenüber einer Einzelperson differenziert und hier die Rechtfertigung einer beanspruchten Immunität veranlaßt? In der nationalen Rechtsprechung und der Lehre fand dieser Gedankengang Aufnahme und auch manche Staaten unterstützen ihn noch. Für sie besitzt die Staatenimmunität allgemeinen und absoluten Charakter und sie lassen keinerlei Verfahren oder Vollstreckung gegen den fremden Staat zu. Man begründet diese Lösung mit der souveränen Gleichheit der Staaten oder - genauer - mit dem lateinischen Rechtssprichwort "par in parem imperiumnon habet" 5 • Ohne an dieser Stelle ein Urteil über die Zweckmäßigkeitsüberlegungen zu Gunsten de lege ferenda einer absoluten Staatenimmunität abgeben zu wollen, so muß man doch von vornherein jene Argumentation ablehnen, die sagt, daß eine positive Haltung wenig überzeugend wäre 6 • In der Tat verkennt diese These einen der grundsätzlichen Mechanismen des klassischen Völkerrechts: das jedem Staate zustehende Recht der Selbstbeurteilung in Bezug auf gegen ihn begangene Rechtsverletzungen und der Ergeifung von "Gegenmaßnahmen". Da es keine übergeordneten Einheiten über den Staaten gibt, sind es die Staaten se'lbst, die untereinander wohl entscheiden müssen. Dem wird man vielleicht entgegnen, daß es keine Staatenimmunität gegenüber einem Setzer eines völkerrechtlichen Delikts gibt; aber hier kann gerade der Fall eintreten, daß der andere Staat das Vorliegen eines Delikts nicht geltend macht; alles in allem wird eine Wahlmöglichkeit offenstehen: entweder macht der Staat auf internationaler Ebene einen Anspruch geltend, womit keine wie immer geartete Immunität sich diesem Vorgehen entgegenstellt, oder der Staat behauptet keineswegs, daß ein Delikt vorliegt, und die Gleichheit der Staaten verpflichtet ihn zum Verzicht auf jedwede Kompetenz in Hinblick auf den fremden Staat. Aber wenn es der Gleichheitsgrundsatz ist, der den Kern des Staatenimmunitätssystems bestimmt, würde er in jenen Fällen zu einer Immunitätsbeschränkung führen, in denen zwei "imperium" von Staaten vorliegen. Oder angenommen, die Gerichte des einen Staates und dessen Vollstreckungsmaßnahmen begründen sich stets auf dessen "imperium", wohingegen die Tätigkeit des anderen Staates keineswegs 5 Zu diesem Punkt vgl. den Bericht der Arbeitsgruppe der Völkerrechtskommission über jurisdiktioneile Immunitäten der Staaten und deren Vermögen aus 1978. Doc. A/CN. 4/L. 279 Rev. 1, para. 11, S. 5. u Uber den inneren Widerspruch dieser These siehe D. P. O'Connell, International Law, Bd. 2, S. 842.

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notwendigerweise auf dessen "imperium" basiert: seine Tätigkeit kann in der Tat denselben Bedingungen wie die einer Einzelperson entspringen. Daher kann der Grundsatz der souveränen Gleichheit der Staaten - wenn er überhaupt als Basis für die Staatenimmunität angesehen wird - nur eine Immunität hinsichtlich der Handlungen jure imperii, nicht hingegen eine absolute und allgemeine, in limine litis, rechtfertigen. Wenn man daher ein Immunitätssystem in den völkerrechtlichen Rechtsgrundsätzen rechtfertigen wollte, so muß man anerkennen, daß die erste der oben beschriebenen Immunitätsgruppe in Hinblick auf die allgemeinen Rechtsgrundstäze ein festes und unbestrittenes Fundament besitzt, während die zweite ein solches nur in Hinblick auf die Handlungen jure imperii aufzuweisen in der Lage ist. Wenn es nur Opportunitätsüberlegungen und keine der Rechtslogik sind, die am Ende den Vertragsentwurf bestimmen, wird man zweifellos die Bedeutung dieser theoretischen Überlegungen herabsetzen. Nicht weniger verbleibt zu sagen, daß es keineswegs als gerechtfertigt erscheint, die Immunität als eine einheitliche Rechtsmasse zu behandeln, die doch durchaus unterschiedliche Rechtfertigungen besitzt, - die nunmehr einen gewissen Reifegrad erzielt haben, - und in Hinblick auf Präzision und Stabilität vollkommen ungleich ist. Es steht in der Tat nichts im Wege, an die Vorschriften der Wiener Diplomatenkonvention 1961, der Konsularkonvention 1963 und der Seerechtskonventionen 1958 und der in Ausarbeitung befindlichen Konvention in Hinblick auf die erstgenannte Gruppe zu denken, - echte völkerrechtliche Bestimmungen, - die genau die grundlegende Struktur des Völkerrechts widerspiegeln. Im Gegensatz dazu die im Stadium der Evolution und der unterschiedlichen nationalen Praxis befindlichen Regeln betreffend Immunität jener Staaten, die in wirtschaftlichen und privaten Beziehungen verhaftet sind und nunmehr den Entwurf einer einheitlichen rechtlichen Konvention relevieren. Trotz ihrer Allgemeinheit mündet schließlich diese Untersuchung in bestimmte praktische Überlegungen. Genau so ist es in den Beziehungen zwischen Sachfragen betreffend Staatenimmunität und anderen Einrichtungen und Völkerrechtsproblemen. Gerne werden drei Beispiele als bedeutend hier angeboten: der diplomatische Schutz, das internationale Statut der staatlichen Untergliederung und die innerstaatliche Rechtsfähigkeit eines Staates. Erstes Beispiel: Der diplomatische Schutz Befinden sich Einzelpersonen mit einem fremden Staat in Konflikt, so bietet ihnen das klassische Völkerrecht - im Ermessen ihres Heimat-

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staates - den Weg des diplomatischen Schutzes. In der modernen völkerrechtlichen Praxis wird nunmehr eine starke Strömung, die der Einzelperson andere Rechtswege öffnet, releviert. Ein solcher ist beispielsweise der Fall der Konvention zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten zwischen Staaten und Angehörigen anderer Staaten; man erkennt hier genau, daß in den durch diese Konvention vorgesehenen Verfahren der Heimatstaat auf das diplomatische Schutzrecht verzichtet. Umgekehrt kann sich die Inanspruchnahme einer transnationalen Schiedsinstanz zwischen einem Staat und fremden Privatpersonen mit der Ausübung des diplomatischen Schutzes seitens des Heimatstaates der Fremden vereinigen und damit Anlaß zu besonderen Sachverhalten geben 7 • In dem Ausmaß, in dem man die Immunität von der Jurisdiktion eines fremden Staates vor den Gerichten eines anderen Staates ablehnt, schafft man einen neuen, dem diplomatischen Schutz gleichlaufenden Rechtsweg. Mehr oder weniger wird es den Umständen gemäß eine dem diplomatischen Schutz idente Rechtsgrundlage haben. Nehmen wir an, daß im Verlaufe von militärischen Schießübungen ein Geschoß vom Territorium des Staates A auf das Territorium des Staates B gerät und dortselbst einen Staatsangehörigen des Staates B verletzt. Sicher ist das eine Verletzung der territorialen Souveränität des Staates B und ein völkerrechtliches Delikt; wenn man nun anerkennt, daß dieser Staatsangehörige die Verantwortlichkeit des Staates A vor einem Gericht des Staates B geltend machen kann, so könnte eine bestimmte Konkurrenz mit der Geltendmachung des Anspruches von B gegen A in Ausübung des diplomatischen Schutzrechtes entstehen. Der Abstand zwischen beiden Rechtswegen ist größer im Falle des Vertragsbruchs durch den Staat A in Hinblick auf einen Vertrag mit einem Staatsangehörigen des Staates B; in der Tat wird in einem diplomatischen Vorgehen von 7 Nur wenige Autoren haben bislang auf diese Art von Schwierigkeiten hingewiesen. Vgl. jedoch J. Verhoeven in seinem Kommentar zu einem in der Revue belge de droit internationsk (1978/79), S. 221, para. 11 behandelten Schiedsspruch. Man kennt auch die Situation des Ripert-Ponchaud-Schiedsspruches im Falle SociiHe europeenne d'etudes et d'entreprises; nach Ausübung des diplomatischen Schutzrechtes seitens der französischen Regierung für dieses Unternehmen gegen die jugoslawische Regierung hat dieses jenen transnationalen Schiedsspruch bekommen und daraus die Vollstreckung beantragt. Nach einer Reihe langer und beharrlicher Versuche erhielt es eine Entscheidung des französischen Kassationsgerichtshofs (14. Juni 1977, in: Clunet 1977, II, S. 864), welche folgende Begründung beinhalten: "Lorsqu'il exerce la protection diplomatique de ses nationaux, l'Etat fait valoir le droit propre qu'il a de faire respecter, en la personne de ses ressortissants, le droit international; que des lors, l'accord diplomatique par lequelle Gouvernement francais accepte la Iimitation de la dette d'un Gouvernement etrager envers un ressortissant francais ne prive pas ce dernier de l'exercise des voies de droit decoulant du contrat passe par lui."

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B viel schwieriger das Begehen eines völkerrechtlichen Delikts durch A zu beweisen sein als der Vertragsbruch vor einem nationalen Gericht durch den Staatsangehörigen des Staates B gemäß dem auf den Vertrag anzuwendenden Recht, und deshalb besitzt man von nun an das Glück transnationaler Schiedsgerichtsbarkeit und das Verlangen nach Beschränkung der Staatenimmunität. Es ist daher nicht nur das Verlangen nach Vergrößerung des Abstandes zum Spiel des politischen Zufalls des diplomatischen Schutzes, sondern nach Ersetzung der Grundregeln über die Staatenverantwortlichkeit für Vertragsverletzung, nach großzügigeren und natürlicheren Regeln dieses Kontraktsrechts. Es führt zu nichts, die Augen vor jenen Gründen zu verschließen, die die Staaten zur Annahme von vertraglichen Verpflichtungen veranlassen, die von anderen als den eigenen Rechtsprechungsorganen sanktioniert werden können; man muß vielmehr diese Praxis einer angemessenen Neuordnung des diplomatischen Schutzes anpassen.

Zweites Beispiel: Das internationale Statut der staatlichen Untergliederung Es ist wohlbekannt, daß sich in der Gesamtheit der innerstaatlichen Praktiken die Staatenimmunitäten nicht auf juristische Personen des öffentlichen Rechts des betreffenden Staates erstrecken, sei es, daß es sich um Gebietskörperschaften (Provinzen, Grafschaften, Gemeinden, Städte) oder mit bestimmten Funktionen ausgestattete Sonderkörperschaften (autonome Einrichtungen, Büros, "Behörden", öffentliche Dienstleistungsstellen etc.) handelt. Diese Lösung muß naturgemäß die praktische Tragweite der Staatenimmunität grundlegend ändern. In der Tat vermindert sich die praktische Tragweite der Staatenimmunität - selbst wenn man ihr absoluten Charakter zuerkennt beträchtlich, wenn sich der Staat nur eine beschränkte Zahl von Tätigkeiten vorbehält und sich weitgehend von personalisierten Einheiten ersetzen läßt. In Wirtschaftsangelegenheiten ist diese Hypothese sehr häufig. Das System, das eine absolute Immunität fremder Staaten annimmt, hat nicht mehr eine solch' radikale Tragweite, wenn die fremden Staaten nur mehr selten "persönlich" bestimmte öffentliche Tätigkeiten beanspruchen. Jedoch gibt es in einer solchen Lösung Aspekte - welch' immer Vorteile sie bislang besitzen mag -, die auf der Ebene des Völkerrechts Vorbehalte hervorrufen, Vorbehalte, die man bei einem Konventionsentwurf über Staatenimmunität sehr wohl in Rechnung zu stellen hat.

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Zunächst hängt in diesem System die Tragweite der Immunität nur von einseitigen und im Ermessen jedes Staates getroffenen Maßnahmen ab. In der Tat ist es Verfassungs-, Verwaltungs- (und Gesetzgebungs-) Recht eines jeden Staates, die die öffentlich-rechtlichen Körperschaften erzeugen und bestimmen, welche Kompetenzbereiche ihnen übertragen werden.Durch sein innerstaatliches Recht zieht der Staat die Grenze zwischen nicht-personalisierten und von ihm nicht unterschiedenen Leistungen, wie beispielsweise seiner "Ministerien", und jenen, die über eine hinreichende Autonomie verfügen, um als "juristische Personen" getrennt aufzutreten. Daher wird technisch durch einen Verweis auf das ausländische Recht der Umfang der fremden Staaten zuerkannten Immunität bestimmt. So wählt jeder Staat die Grenzen der anderen Staaten auferlegten Verpflichtungen. Vom Gesichtspunkt des Grundsätzlichen her ist es etwas überraschend und von jenem des Praktischen führt diese Lösung keineswegs zu einem guten Gleichgewicht zwischen Staaten in Hinblick auf das Ausmaß ihrer Verpflichtungen. Wenn man sich aber andererseits nach einem System, das in der Unterscheidung von Akten jure imperii und jure gestionis begründet ist, richtet, so kann diese Unterscheidung zwischen Staat und seiner Untergliederung nicht aufrecht erhalten werden. Unter diesen Voraussetzungen ist es ja in der Tat nicht die Persönlichkeit des Staates, die das Immunitätsregime bestimmt, sondern die Natur seiner Akte. Man kann nicht einsehen, aus welchem Grunde die Personen des öffentlichen Rechts etwas anderes als der Staat, der in Hinblick auf diese die Immunität ausschließt, sein sollen. Dasselbe Kriterium muß auf diese Einheiten, wie auf den Staat anwendbar sein: für diese wir für den Staat muß die Natur der ausgeübten Tätigkeiten das Kriterium der Immunitäten sein. Daher sind nur de facto die Akte jure imperii für den Staat häufiger gegenüber jenen anderer öffentlich rechtlicher Körperschaften. In jedem Falle empfiehlt sich diese Lösung unter dem Gesichtspunkt der Grundsätze8 • Will man daher den Anwendungsbereich der Immunitäten nach der Natur der Tätigkeiten der Behörden bestimmen, so ist dieses Kriterium wesentlich ausgewogener und objektiver, da es sich nicht nach den internen Bestimmungen jenes Staates richtet, der die Begünstigung der Immunität in Anspruch nimmt. Es entspricht im weiteren dem Geist anderer allgemeiner Normen des Völkerrechts, vor 8 Der oben erwähnte Rapport preliminaire, ausgearbeitet durch die Völkerrechtskommission(§ 54, S. 25), neigt dieser Lösung zu, indem er "getrennte Einheiten, die von den durch die Staatenimmunität gebotenen Vorteile in bestimmten Grenzen und nur unter bestimmten Bedingungen Nutzen ziehen", behandelt, "insbesondere wenn sie auf Rechnung und im Namen des Staates handeln und in der Ausübung von souveränen und regierungsmäßigen Funktionen".

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allem jener, wie sie von der Völkerrechtskommission formuliert wurden. In der Tat findet man im Bereich der Staatenhaftung das bekannte Problem, ob ein Staat für Handlungen, die innerstaatliche Einheiten gesetzt haben, verantwortlich ist, oder ob er diese Verantwortlichkeit mit dem Hinweis auf die unterschiedliche Rechtspersönlichkeit zurückweisen kann. Für die erstgenannte Lösung hat sich das Völkerrecht nicht nur zu Gunsten der durch territoriale Einheiten begangene Handlungen entschlossen, sondern auch was "eine Einheit, die nicht einmal Teil der Staatsstruktur oder einer territorialen öffentlichen Körperschaft, aber nach internem Recht dieses Staates zur Ausübung der öffentlichen Gewalt befugt ist, wenn ihre Organe in dieser Eigenschaft auftreten" 9 betrifft. Daher bestehen - zumindest vom logischen Gesichtspunkt her gute Gründe für die Beschränkung der Immunitäten auf Akte jure imperii, was für juristische Personen auch immer die Setzer dieser Akte sind. Allerdings muß man anerkennen, daß von einem praktischen Standpunkt her gesehen die Bestimmung solcher Akte diskutabel sein kann, und daß in diesem Punkt eine ausgewogene Lösung schwerer zu verwirklichen sein wird.

Drittes Beispiel: die Rechtsfähigkeit des Staates im ausländischen Recht Damit sich überhaupt die Frage der Immunitäten eines fremden Staates stellt ist es notwendig, daß dieser Staat in der Rechtsordnung eines anderen Staates eine gewisse rechtliche Existenz, eine gewisse Rechtsfähigkeit besitzt. Lassen wir jetzt die Fragen, die die eigentliche Existenz eines Staates und seine Anerkennung berühren, als solche beiseite; sie stellen ein wohlbekanntes, wenn auch schlecht gelöstes Problem dar. Die Frage der Rechtsfähigkeit des Staates im internen Recht anderer Staaten ist hingegen weniger erforscht und analysiert. Manche nationalen Rechtsordnungen enthalten Vorschriften über die Rechtsfähigkeit ausländischer juristischer Personen und es kann der Fall sein, daß diese Vorschriften irgendwelche Hinweise auf die Rechtsfähigkeit eines fremden Staates in dieser Rechtsordnung bieten. Aber sehr häufig wird es nicht leicht sein, auf folgende Fragen eine Antwort zu geben: hat ein Staat das Recht, unentgeltlich aus seinem Vermögen 9 Art. 7 des Entwurfs der Artikel über die völkerrechtliche Verantwortlichkeit. ILC-Year-Book (1974), Bd. II (Erster Teil), Doc. A/9616/Rev. 1. En passant kann man feststellen, daß die Formel der Kommission zu restriktiv ist: Handlungen, die sich nicht auf die Ausübung der öffentlichen Gewalt beziehen, können ein internationales Delikt darstellen, für das der Staat verantwortlich ist.

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Nutzen zu ziehen? Kann er an einer unbeweglichen Sache Eigentum erwerben? Kann er Leiter von Gesellschaften sein? In dem Ausmaß, an dem ihm solche Fähigkeiten verweigert werden, ist der Umfang des Problems einer möglichen Immunität reduziert. Das heißt, das die Folgen einer Konvention über Staatenimmunität auch von der in der Rechtsordnung anderer Staaten anerkannten Rechtsfähigkeit abhängen und daß auf diese Frage die Aufmerksamkeit der Unterhändler einer solchen Immunitätenkonvention gelenkt werden muß. Nun scheint das allgemeine Völkerrecht keine Vorschrift betreffend der Rechtsfähigkeit, die ein Staat im innerstaatlichen Recht eines anderen Staates anerkannt sehen muß, zu enthalten. Höchstens könnte man vertreten, daß es als Minimum über jene Rechtsfähigkeit verfügen muß, die notwendig ist, damit nach Aufnahme diplomatischer und konsularischer Beziehungen diese Missionen materiell ihre Funktionen erfüllen können; aber dieses Minimum umfaßt nur einfache Rechtsgeschäfte. In der Tat ist die Rechtsfähigkeit des fremden Staates durch jedes nationale Recht zur Gänze bestimmt und daher auch abänderbar. In den sozialistischen Ländern ist die Rechtsfähigkeit eines fremden Staates durch die Macht der Dinge häufig in einer sehr rigorosen Weise reduziert. In Systemen, in welchen der Privatinitiative großer Raum geboten wird, ziehen die fremden Staaten - stillschweigend, häufig aber auch ausdrücklich - aus einer recht umfangreichen Rechts- und Handlundsfähigkeit einen Nutzen10 • Diese Situation beweist, daß die praktische Tragweite eines Immunitätensystems sehr unterschiedlich ist: in einem sozialistischen Land werden Immunitäten, welch' immer sie sind, kaum zur Anwendung gelangen; dazu steht im Gegensatz der liberale Staat, da doch die modernen Probleme der Staatenimmunität direkten Bezug auf die von den Staaten im wirtschaftlichen Bereich ausgeübten Tätigkeiten haben. Die in liberalen Ländern ausländischen Staaten gebotenen Möglichkeiten sind daher viel bedeutsamer, da der liberale Staat Interventionen - vor allem in Hinblick auf die Achtung der Freiheit des Handels und der Industrie - mitansehen muß, die seinen strikt legalen Bedingungen unterworfen sind. In Anbetracht dieser einschränkenden Regelung genießen kommerzielle Handlungen ausländischer Staaten Vorteile, die dem lokalen Staat verwehrt sind. Die nicht-liberalen Staaten gewähren so freiwillig fremden Staaten eine 10 Die Praxis der Banken und der Handelsgesellschaften entwickelt häufig in Bezug auf fremde Staaten (aber auch internationale Organisationen!) eine entwaffnende Nachgiebigkeit. Darüber hinaus kann durch das Dazwlischentreten von gemischt-wirtschaftlichen Gesellschaften der fremde Staat die Kontrolle über Gesellschaften erwerben und einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf bestimmte Wirtschaftssektoren ausüben. In diesen Fällen, in denen diese Aktion offensichtlich politischen Charakter annimmt, wird er häufig mit großer Diskretion behandelt.

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absolute Immunität ohne praktische Anwendungsmöglichkeiten und beanspruchen eine solche für sich selbst dort, wo sie viel davon haben können. So kehrt man nun zum Kernproblem zurück, das die Frage der Staatenimmunität mit jener des rechtlichen Regimes der transnationalen Wirtschaftsbeziehungen verbindet. Man versteht, daß, wenn der Staat Partei seiner Rechtsgeschäfte ist, er darauf bes~eht, daß seine Gerichte und Verwaltungsbehörden das Recht haben, künftig mit seinen Partnern auftretende Streitigkeiten zu beurteilen und die Entscheidungen zu vollstrecken; er kann das durch ausdrückliche Vertragsklauseln machen, wobei er allenfalls den Preis der Unsicherheit zahlt, den sein Partner zu Recht oder Unrecht erprobt. Es mag für einen Staat von Vorteil sein, sich durch ein extensives Konzept der Staatenimmunität den Zugang zu allen ausländischen Gerichten zu versperren, und das ist eines der Einsätze in der Ausarbeitung der ganzen Konvention über Staatenimmunität.

111. Der Schutz der Menschenrechte

DIE SCHLUSSAKTE VON HELSINKI VOM 1. 8. 1975 UND DER SCHUTZ DER MENSCHENRECHT E Von Ulrich Scheuner

I. Die Stellung der Schlußakte im Rahmen der Sicherung der Menschenrechte 1. In den letzten Jahren haben sich im internationalen Bereich die Bestrebungen zur Gewähr der Grund- und Freiheitsrechte des Menschen nach vielen Rkhtungen belebt. Das gilt sowohl für die Bemühungen im universalen Rahmen wie für regionale Vorgänge. Immer noch liegt dabei, wie auch die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von Helsinki vom 3. 7. bis 1. 8. 1975 gezeigt hat, die Initiative bei den westlichen Nationen, aber gerade die Ergebnisse von Helsinki lassen auch eine Bereitschaft der kommunistischen Staaten erkennen sich zu dem Gedanken des Schutzes menschlicher Rechte und Freiheiten zu bekennen. Man geht nicht fehl in der Annahme, daß in der Gegenwart, nachdem die Hoffnungen der westlichen Staaten auf Ausbreitung demokratischer Verfassungssysteme in den neuen Staaten der Welt sich großenteils nicht erfüllt haben, die Anerkennung des Prinzips des Schutzes fundamentaler menschlicher Rechte das Merkmal bildet, das in der internationalen Gemeinschaft für die Beurteilung des Verhaltens eines Staates grundlegende Bedeutung erlangt hat. Auch in der Stellungnahme der Organe der Vereinten Nationen - das gilt sowohl für die Stellungnahme gegenüber der Republik von Südafrika, gegenüber Chile und anderen Ländern - werden Verletzungen der Menschenrechte mit Nachdruck hervorgehoben, wenn auch nicht immer mit einem das Verhalten aller Staaten berücksichtigenden selektiven Ausblick1 • Ein Kennzeichen der neueren Entwicklung ist es, daß nun die Aufmerksamkeit sich nach dem Zustandekommen der beiden UN Menschenrechtspakte von 1966 nicht mehr - von speziellen Abkommen z. B. gegen die Folter abgesehen - auf die inhaltliche Erweiterung der Erklärungen und Vereinbarungen über Menschenrechte richtet, sondern auf Sicherung durch geeignete Verfahren und Vorkehrungen2• 1 Zu Chile siehe GA Res. 32/118 UN Chronicle 1978 Nr. 1 S. 72. Zu Südafrika siehe Bartsch, NJW 1978, S. 1294.

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2. Im universalen Bereich werden die menschenrechtli ehen Bemühungen von den Vereinten Nationen getragen. In ihnen nimmt die Erklärung der Menschenrechte vom 10. 12. 1948, obwohl der rechtlichen Form nach keine rechtlich bindende Aussage, einen festen Platz als grundlegender Maßstab ein, der auch die nationalen Verfassungen und regionale Übereinkomme n beeinflußt hat und dessen wichtigste Bestandteile man dem völkerrechtliche n Gewohnheitsrec ht wird zurechnen können3 • Die beiden Konventionen der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische und über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. 12. 1966 sind Anfang 1976 einschließlich des Fakultativprotokolls in Kraft getreten4 • Die Gewähr ihrer Durchsetzung ist schwächer ausgestaltet; sie hat aber in neuerer Zeit durch die Organe der Vereinten Nationen eine gewisse Verstärkung erfahren. Hinsichtlich der Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, die den Signataren nur die Pflicht zur Verwirklichung im Rahmen ihrer vorhandenen Handlungsmach t auferlegt, besteht nur eine Berichtspflicht (Art. 16/17). Hier ist bei dem weiten Spielraum der Gestaltung auch eine stärkere internationale Kontrolle kaum denkbar. Auch bei dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte steht eine Berichtspflicht der Staaten im Mittelpunkt (Art. 40). Diese Berichte gehen an den in der Konvention vorgesehenen Ausschuß für Menschenrechte von 18 Mitgliedern, der nunmehr diese Berichtspflicht dadurch effektiver gestaltet hat, daß er auf seinen Tagungen die einzelnen Berichte eingehend mit Vertretern der betroffenen Staaten erörtert. Auf diesem Wege ist, es darf hier an das ähnliche wirkungsvolle Verfahren der Internationalen Arbeitsorganisa tion mit Staatenberichte n erinnert werden, durch den Ausschuß ein Instrument der Überwachung geschaffen worden, von dessen Fortentwicklun g eine nicht unerhebliche Verstärkung der Kontrolle erwartet werden darf. Der Ausschuß nimmt auch Individualbesch werden entgegen, die er in nichtöffentliche n Sit2 Übersicht über den gegenwärtigen Stand des internationalen Schutzes der Menschenrechte bei Egon Schwelb, Civil and Political Rights: The International Means of Implementation AJIL 62 (1968) S. 827 ff.; Friedrich Meissner, Die Menschenrechtsbeschwerde vor den Vereinten Nationen BadenBaden 1976; Christian Tomuschat, Menschenrechtsschutz durch die Vereinten Nationen, Ver. Nationen 1976 S. 166 ff.; Wilhelm Karl Geck, Der internationale Stand des Schutzes der Freiheitsrechte ZaöRVR 38 (1978) S. 182 ff.; HansJürgen Bartsch, Die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes NJW 1977 S. 474 ff.; 1978 S. 449 ff.; Karl Josej Partsch, Aspekte des internationalen Menschenrechtsschutzes, Ver. Nationen 1979 S. 21 ff. Dort S. 23 ff. eine Tabelle des neuesten Standes der Unterzeichnungen und Ratifikationen. Luzius Wildhaber, Erfahrungen mit der Europ. Menschenrechtskonvention, Schweiz. Juristenverein 1979, S. 249 ff. 3 Siehe hierzu Op. Diss. des Richters Tanaka im South West Africa Case ICJ Reports 1966 S. 291, 294. 4 Zum jetzigen Stand siehe Bartsch (Anm. 2) S. 450.

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zungen prüft5 • Die in der Konvention über bürgerliche und politische Rechte vorgesehene Staatenbeschwerde gegen einen anderen Vertragspartner wegen Verletzung seiner Verpflichtungen (Art. 41), deren Anwendung die besondere Annahme dieses Kontrollmittels durch den passiv beteiligten Staat wie den Antragsteller voraussetzt, ist bisher nur von 10 Mitgliedstaaten zugelassen worden und ist damit in Geltung getreten. Sie wird aber wohl im Blick auf die Zurückhaltung der Staaten vor direktem Vorgehen gegen andere Regierungen - abgesehen von den beliebten Fällen solcher Rügen wie Südafrika, Israel usw. - schwerlich eine breitere Wirksamkeit als Mittel der Aufsicht erlangen6• Was die Individualbeschwerde des Fakultativprotokolls anlangt, das Individualbeschwerden gegen die unterzeichnenden Staaten zuläßt, so ist es von 20 Staaten ratifiziert und damit in Kraft gesetzt worden. Doch haben wichtige Staaten der westlichen Welt, wie die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, die Bundesrepublik aus später zu erwähnenden Gründen das Protokoll nicht gezeichnet. Im übrigen führt das Verfahren nach dem Protokoll nur zu einer nichtöffentlichen Erörterung durch den Ausschuß für Menschenrechte und zu einer Mitteilung an den Antragsteller wie den beteiligten Staat (Art. 5 § 4), bleibt also schwach entwickelF. Immerhin hat sich der Ausschuß für Menschenrechte mit einer größeren Zahl von Individualbeschwerden auf Grund des Fakultativprotokolls bereits befaßt8 . Eine begrenzte Intensivierung der Kontrolle der Vereinten Nationen ergibt sich auch an einer zweiten Stelle. Die vom Wirtschafts- und Sozialrat ressortierenden Menschenrechtskommissionen werden auf Grund der Resolution 728 (XXVIII) des Wirtschafts- und Sozialrates vom 30. 7. 1959 die bei den Vereinten Nationen eingehenden Petitionen und Mitteilungen über Menschenrechte vom Generalsekretär in einer Liste vorgelegt, ohne daß mehr als eine Mitteilung an den betreffenden Staat vorgesehen war. Die Resolution 1235 (XLII) vom 6. 6. 1967 sah eine Prüfung der Beschwerden durch die Unterkommission für die Verhinderung von Diskrimination und den Schutz von Minderheiten und ggf. Studien vor. Mit der Resolution 1503 (XLVIII) vom 27. 5. 1970 5 Zur Kontrolle des Ausschusses für Menschenrechte der Konvention über bürgerliche und politische Rechte siehe Ver. Nationen (Red.) 1978 S. 97 f., 167 f., 1979 S. 31 f. Eine solche Prüfung der Staatenberichte findet auch durch den von der Konvention gegen Rassendiskriminierung vom 7. 3. 1966 statt. Vgl. Ver. Nationen (Red.) 1978 S. 100 f., 168 f. Karl Josef Partsch, Elimination of Discrimination in the Enjoyment of Civil and Political Rights, 14 Texas Law Journal (1979), S. 193 ff. 6 Siehe Jens Hacker, in: Die KSZE und die Menschenrechte (Studien zur Deutschlandfrage Band 2) Berlin 1977 S. 86. 7 Zur geringen Kontrollwirksamkeit des Fakultativprotokolls siehe Meissner (Anm. 2) S. 43 ff.; Geck (Anm. 2) S. 208; Hacker (Anm. 6) S. 81 f. 8 Siehe Meissner (Anm. 2) S. 39 ff.; Bartsch, NJW 1979 S. 451.

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wurde aber bestimmt, daß das Sub-Committee on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities jährlich auf einer kurzen Tagung die eingegangenen Mitteilungen prüft. Sie kann schwere Verletzungen der Menschenrechte vor die Menschenrechtskommission bringen, die dann Studien und Berichte an den Rat geben oder auch einen ad hoc Ausschuß einsetzen kann, der mit Zustimmung des betroffenen Staates eine Untersuchung führt 9 • Darüber hinaus befaßt sich die Kommission für Menschenrechte aber auch unabhängig von diesen Verfahren mit Fällen schwerer Verletzung von Menschenrechten durch Einsetzung von Arbeitsgruppen (z. B. Chile 1975, Südafrika 1967) und Entschließungen. Die starke Konzentration dieser Aktivität auf einige wenige Länder ist neuerdings Gegenstand der Kritik in der Kommission geworden und hat zur Befassung mit weiteren Fällen geführt10 • Im Ganzen zeichnet sich jedenfalls auch im Bereich der Menschenrechtskommission eine gewisse Verstärkung der von Organen der Vereinten Nationen geübten Kontrolle über Menschenrechtsverletzungen ab. Soweit die Ergebnisse dieser Prüfungen an die Öffentlichkeit gelangen, kommt ihnen sicherlich eine erhebliche Publizitätswirkung zu11 • 3. Im Bereich der Vereinten Nationen legen die im Anschluß an die Menschenrechtskommission und an den Pakt für bürgerliche und politische Rechte geschaffenen Einrichtungen-trotz Entgegennahme zahlreicher individueller Mitteilungen- das Gewicht ihres Vorgehenseher auf Feststellungen zur Gesamtlage der Beobachtung der Menschenrechte in einem Staate und nur in der Anwendung des Fakultätivprotokolls gelangt das individuelle Moment etwas stärker zur Geltung. Hier macht sich das Zögern der Staaten, insbesondere auch vieler Regierungen der dritten Welt, bemerkbar, ihre Souveränität beeinträchtigt zu sehen. Auch spielen natürlich die in den Vereinten Nationen bestehende allgemeine Neigung zu politischen Entscheidungen und der tiefe Unterschied der politischen Regime unter den nunmehr 151 Mitgliedsstaaten ihre Rolle. Unter diesen Umständen erlangt für den effektiven Schutz der menschlichen Freiheiten der regionale Bereich eine besondere Bedeutung. Hier kann man in einem engeren Kreis von Staaten auf eine festere gemeinsame Tradition aufbauen. Hier kann auch leich9 Zu der Res. 1503 (XLVIII) hat die Unterkommission eine Verfahrensordnung Res. 1 (XXIV) am 13. 8. 1971 erlassen. Texte dieser Resolutionen bei Wilhelm Bertram, Menschenrechte. Intern. Dokumente (Deutsche UNESCO Komm. 1978) S. 145 ff. Hierzu Meissner (Anm. 2) S. 17 ff.; Klaus Hüfner, Zur Kodifizierung der Menschenrechte durch das UNO-System Berlin 1978 S. 29 ff. 10 Zu den Arbeitsgruppen Hüfner (Anm. 9) S. 33 und die Berichte in Ver. Nationen (Red.) 1978 S. 98 ff., 1979 S. 70 ff. Ferner Bartsch, NJW 1979 s. 452 f. 11 Vgl. hierzu John Humphrey, Bericht über Human Rights auf der 57. Konferenz der International Law Association Madrid (1976) S. 511 ff.

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ter eine Bereitschaft der Staaten erreicht werden, sich einer internationalen Kontrolle einzuordnen. Auf der regionalen Ebene haben sich bisher zwei Systeme zum Schutze der Menschenrechte ausgebildet, das eine innerhalb der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), das andere im Rahmen des Europarates. Die Aktivität der OAS setzt ein mit der Annahme einer nicht bindenden Amerikanischen Deklaration der Rechte und Pflichten des Menschen vom Jahre 1948 in Anlehnung an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Im Jahre 1960 setzte die OAS die Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte ein, die sich in Fällen der Bedrohung der Grundrechte mit Untersuchungen in den Mitgliedstaaten befaßt. Diese Investigationen an Ort und Stelle haben verschiedentlich zu erheblichen Erfolgen geführt. Seit 1965 kann die Kommission auch individuelle Mitteilungen entgegennehmen; sie wendet sich dann an die betroffene Regierung und richtet ggf. an diese Empfehlungen und veröffentlicht sie. Die Kommission erstattet auch Gesamtberichte über die Situation in bestimmten Ländern12 • Der Kommission sind durch die am 18. 7. 1978 in Kraft getretene Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22. 11. 1969, vor allem gegenüber den 13 Mitgliedstaaten, weitere Kontrollen eröffnet worden. Die Konvention sieht auch die Errichtung eines Interamerikanischen Gerichtshofs der Menschenrechte vor13• In dem amerikanischen System zeichnet sich mithin eine wachsende Bestrebung zum wirksamen Schutz auch individueller Beschwerden ab. Das zweite System zum Schutz der Menschenrechte, die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. 11. 1950 nebst Ergänzungsprotokollen, heute in Kraft für 17 Mitglieder des Europarates hat mit der Zulassung der Individualbeschwerde gegen Staaten, die diese zulassen, eine richterähnliche Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission in Straßburg über individuelle Fälle ermöglicht und läßt ferner die Anrufung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg durch die Mitgliedstaaten und die Kommission zu. Damit ist ein vollwirksamer Rechtsschutz geschaffen worden, dessen ausgedehnte Anwendung keiner näheren Darlegung bedarf14• Neuerdings finden auch die in den 12 Vgl. Thomas Buergenthal und Judith V. Torney, International Human Rights and International Education (US National Cttee for UNESCO) Washington 1976 S. 71 ff.; Bartsch, NJW 1979 S. 453. 13 Bartsch, NJW 1979, S. 453. Wildhab er (Anm. 2), S. 268 f. Die USA haben die Konvention gezeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Präsident Carter sprach sich 1978 für einen Ausbau dieses Systems aus. 14 Zur EuMR Konvention siehe Karl Josef Partsch, Die Rechte und Freiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention, Berlin 1966; J. E. S. Fawcett, The Application of the European Convention on Human Rights Oxford 1969; Francis G. Jacobs, The European Convention on Human Rights Oxford 1975; Robertson, Human Rights in Europe 2. Aufl., Manchester 1977, S. 139 ff., Wildhaber (Anm. 2), S. 275 ff.

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wirtschaftlichen Bereich reichenden Grundfreiheiten in der rechtsbildenden Praxis des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaft in Luxemburg eine Anerkennung auf der Grundlage der Anwendung der den Mitgliedstaaten gemeinsamen Rechtsüberzeugung und in Anlehnung an die Europäische Menschenrechtskonvention11• Diese richterliche Ausformung grundrechtlicher Prinzipien hat durch gemeinsame Beschlüsse der drei Hauptorgane der EG, des Ministerrates, der Kommission und des Parlaments vom 5. 4. 1977 ihre Bestätigung gefunden18 • 4. Die Übersicht zeigt eine Vielfalt internationaler und regionaler Instanzen, an die insbesondere auch individuelle Situationen der Verletzung der Menschenrechte herangetragen werden können. Die Art der Aufnahme und Behandlung differiert freilich stark, und es darf auch nicht übersehen werden, daß der Kreis und Inhalt der geschützten Rechte in den einzelnen Einrichtungen und in den ihnen zugrundeliegenden Dokumenten unterschiedlich bestimmt ist. Endlich ist die Reichweite universeller Instanzen weiter gezogen, als die regionaler Institutionen, auch als die solcher Organe innerhalb des UNKreises, die auf Grund von Konventionen nur für Mitgliedstaaten Bedeutung haben. Dies Miteinander kann nicht grundsätzlich einen Nachteil bedeuten, weil es den Schutz ausdehnt. Doch könnten sich Schwierigkeiten ergeben, wenn Antragsteller oder Petenten individuelle Verfahren vor universalen und regionalen Instanzen gleichzeitig oder nacheinander betreiben. Die hier bestehenden Bestimmungen zur Vermeidung oder Lösung solcher Kollisionen reichen nicht aus. Die EuMRKonvention bestimmt in Art. 27 Abs. 1 b einen Ausschluß solcher Anträge, die bereits einer anderen internationalen Untersuchungs- und Ausgleichsinstanz unterbreitet wurden. Da der Begriff "investigation or settlement" sehr weit gefaßt ist, werden davon auch Petitionen an Organe der Vereinten Nationen wie Beschwerden nach dem Fakultätivprotokoll, nicht aber Staatenbeschwerden oder Staatenberichte umfaßt17. Umgekehrt schließt Art. 5 Abs. 2 a des Fakultativprotokolls zum 15 Siehe zur Bezugnahme auf die EuMRK die Entscheidungen RutiH, Rechtsfall 36(75 EuGH Rechtspr. 1975 AS. 1219 und Prais, Rechtssache 136(75 EuGH Rechtspr. 1976 S. 1589. 18 ABI. EG C 103 v. 27. 4. 1977. Zu der Ausbildung von Grundrechten unter den Verträgen der EG siehe Ingolf Pernice, Grundrechtsgehalte im Europäischen Gemeinschaftsrecht Baden-Baden 1978 und das Internationale Kolloquium des Max Planck Instituts für ausl. öffRecht u . Völkerrecht, .,Grundrechtsschutz in Europa" Berlin- Heidelberg- New York 1977; Wildhaber (Anm. 2), S. 323 ff. 17 Vgl. zum Problem der Kollisionen zwischen verschiedenen Verfahren Robertson, The U. N. Covenant on Civil and Political Rights and the European Convention, Manchester 1972; Tardu, Coexistence des procedures universelles et regionales de plainte individuelle dans le domaine des droits de l'homme Revue des Droits de l'Homme 1971, S. 589; Meissner (Anm. 2), S. 53 ff.

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Pakt über bürgerliche und politische Rechte Mitteilungen einer Einzelperson aus, wenn dieselbe Sache bereits in einem anderen internationalen Untersuchungs- oder Streitregelungsverfahren geprüft wird. Das deckt eingeleitete Verfahren nach Art. 25 EuMRK ab, schließt also eine Befassung des Ausschusses für Menschenrechte nach Anrufung der Straßburger Kommission aus, verhindert aber nicht, daß nach Abschluß eines regionalen Verfahrens der Ausschuß für Menschenrechte angegangen wird18 • Ebenso dürften erhobene Staatenbeschwerden regionaler Natur keinen Ausschluß herbeiführen, da sie nicht die gleiche Sache betreffen. Damit besteht die Möglichkeit, daß Individuen nach regionalen Verfahren sich an die Vereinten Nationen als eine Art Oberinstanz wenden könnten. Diese Situation hat mehrere westliche Länder, auch die Bundesrepublik, davon abgehalten, das Fakultätivprotokoll zu zeichnen, um nicht die Möglichkeit solcher Kollisionen zur regionalen Regelung zu eröffnen19 • Ob diese Kollision zwischen regionalem Schutz und Anwendung des Fakultätsprotokolls durch dem Protokoll von Staaten beigefügte Vorbehalte zugunsten der abschließenden Wirkung regionaler Verfahren gelöst werden können, ist zweifelhaft, da die inhaltliche Umgrenzung der in dem Pakt überbürgerliche und politische Rechte der UN und in der EuMRK geschützten Rechte nicht sicher zu bestimmen ist und damit auch die Identität der Verfahren offenbleibt20 • Hinsichtlich der Relation der Anwendung des Fakultätivprotokolls und dem Petitionsverfahren bei der Menschenrechtskommission sehen die Instanzen der UN keine Überschneidung, da letztere nur Situationen betreffe 21 • Das dürfte auch gegenüber regionalen Verfahren gelten, da das Verfahren vor der Menschenrechtskommission weniger zu individuellen als zu generellen Feststellungen führt. Es erscheint aber dringlich wünschenswert, zu einer klaren Abgrenzung zwischen universalen und regionalen Verfahren zu gelangen, um parallele oder vor allem sukzessive Verfahren und etwaige Widersprüche auszuschließen22 • In diesen Kollisionsmöglichkeiten verbirgt sich, wie nur kurz angedeutet werden kann, eine tiefere, selten (Anm. 2), S. 54 ff. Meissner (Anm. 2), S. 57; Hacher, in: KSZE und Menschenrechte (Anm.

ts Meissner 10

6)

s. 85.

Meissner (Anm. 2), S. 60 ff. Bartsch, NJW 1979, S. 452. 22 Bei der Heranziehung der EuMRK zur Ermittlung der gemeinsamen Rechtsgrundlage der Mitgliedstaaten der EG im Grundrechtsbereich könnten sich Abweichungen der Interpretation zwischen dem Straßburger Europäischen Gerichtshof und dem Luxemburger Gerichtshof der EG ergeben. Dieses Problem ist auf dem Int. Kolloquium über Grundrechtsschutz (Anm. 16) von mehreren Seiten berührt worden (vgl. dort Pescatore, S. 70 f., Golsong, S. 122 f., 183 f.; Mosler, S. 126 f., 222; Stein, S. 150 ff.; E. Klein, S 160 ff.) . Es kann im Wege der persönlichen Fühlungnahme dieser Gerichte gemindert werden. 20

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ausgesprochene Haltung. Die Vereinten Nationen legen das Gewicht ihrer Bestrebungen im Menschenrechtsschutz auf ihre eigenen Einrichtungen und stehen daher den regionalen Bestrebungen distanziert gegenüber, besorgen wohl auch - im bisherigen Stande ohne Grund daß inhaltlich Abschwächungen der gesicherten Rechte in regionalen Vereinbarungen sich ergeben könnten. Hieran ist nur zutreffend, daß der regionale Rahmen etwa der EuMRK inhaltlich enger gezogen ist als die beiden Pakte der Vereinten Nationen von 1966. 5. Welche 'Züge fügt nun die Schlußakte von Helsinki in das bestehende Gefüge von Dokumenten und Einrichtungen ein? Um das zu erkennen, muß man sich die besondere Absicht und Struktur der in ihr zum Ausdruck gelangenden Tendenzen vor Augen halten. Die zuerst von den kommunistischen Staaten angeregten Bestrebungen zur Stärkung der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa waren in erster Linie auf ganz andere Ziele politischer Natur gerichtet als auf die Ausgestaltung von Grundfreiheiten. Die KSZE-Konferenz sollte den territorialen status quo in Europa befestigen, die Entspannung fördern, einen Beitrag zur militärischen Sicherheit und zum wirtschaftlichen Austausch leisten. Erst in den langen Vorverhandlungen haben die westlichen Staaten die Aufnahme des Bekenntnisses zu den Menschenrechten unter die am Anfang stehenden Prinzipien und die weitere Ausgestaltung dieses Gedankens durch die konkreten Richtlinien des Korbes III erreicht23. Der menschenrechtliche Gehalt der Schlußakte ist also erst in ihren Gesamtzweck als ein Teil einer ausgewogenen Gewichtung eingefügt worden. Das mindert nicht seine Bedeutung, legt aber klar, daß auch im Hinblick auf die Erklärung am Schluß der Prinzipienreihe, wonach alle Prinzipien gleichermaßen gelten und in Beziehung aufeinander auszulegen sind, die menschenrechtliche Aussage im Gesamtkontext der Akte gesehen werden muß, also auch Bezüge zur Förderung des Friedens und der Zusammenarbeit aufweist. Zieht man diese Zusammenhänge in Erwägung, so erklären sich die zahlreichen von anderen Erklärungen und Vereinbarungen dieses Bereiches abweichenden Züge der Akte von Helsinki. Folgende wesentliche Punkte kennzeichnen ihre besondere Position: a) Die Schlußakte stellt keinen internationalen Vertrag dar; sie begründet nicht formelle rechtliche Verbindlichkeit, sondern beinhaltet eine Einigung über Verhaltensregeln unter Staaten. 23 Zur Entwicklung der politischen Fragen der KSZE siehe die Wiedergabe zahlreicher Stellungnahmen verschiedener Autoren des Europa-Archiv in dem Sammelband: KSZE. Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hrsg. v. Hermann Volle und Wolfgang Wagner, Bonn 1976; W. Grewe, in: .,KSZE und Menschenrechte" (Anm. 6), S. 49 f.; Otto Kimminich, ArchVR 17 (1977/78), S. 274 ff.

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b) Die entscheidende Aussage über Grundfreiheiten findet sich in Prinzip VII, wird aber ergänzt durch die im Korb III aufgeführten praktischen Maßnahmen über Kontakte, Informationen und kulturellen Austausch. c) Die Schlußakte enthält keinen Katalog von Freiheitsrechten, sondern proklamiert nur das Prinzip der Achtung der Menschenrechte unter Verweisung auf die bestehenden Verpflichtungen. d) Die verwendet keine der üblichen Sicherungen von Rechten (Bericht der Staaten, Staatenbeschwerde, individuelle Anträge), sondern führt vielmehr zwei neue Methoden der Gewährleistung in Gestalt der zugesagten Publizität der menschlichen Freiheiten und der Folgekonferenzen ein. Was den räumlichen Umfang anlangt, so hat die Akte einen spezifischen regionalen Rahmen: Sie schließt alle europäischen Staaten (außer Albanien) ein, die durch zwei wichtige westliche Mächte, die USA und Kanada, ergänzt werden. Diese Abgrenzung entspricht politischen Gesichtspunkten des Gleichgewichts auf dem Felde der Sicherheit. Im Ergebnis führt dieser regionale Raum aber Länder sehr unterschiedlicher politischer Systeme, Ost und West, zusammen. In dieser gemeinsamen Stellungnahme liegt gerade im Blick auf die Menschenrechte der wichtigste politische Zug der Akte. Eine Untersuchung der Bedeutung der Akte muß demgemäß anders vorgehen als die Betrachtung sonstiger internationaler Konventionen auf diesem Gebiet. Sie muß zuerst fragen nach der rechtlichen Natur der Schlußakte, sodann das Gewicht ihrer Aussagen im Verhältnis zu den bisherigen Dokumenten erörtern, endlich auch die neuen Formen der Gewähr, die sie eingeführt hat, prüfen. Ein Blick auf die Auswirkung der Akte wird das abrunden.

II. Die rechtliche Natur der Schlußakte 6. Es ist während der Verhandlungen von Genf und Helsinki entgegen den anfänglichen Tendenzen der östlichen Staaten klargestellt worden, und ist auch seither - von vereinzelten Stimmen abgesehen24 - nicht in Zweifel gezogen worden, daß die Akte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa keinen rechtsverbindlichen internationalen Vertrag darstellt25 • Sie ist nicht gemäß Art. 102 der 24 Zu solchen Äußerungen in der sowjetischen Literatur siehe Theodor Schweissfurth, Zur Frage der Rechtsnatur, Verbindlichkeit und völkerrechtlichen Relevanz der KSZE Schlußakte. ZaöRVR 36 (1976), S. 693. 25 Diese These ist dokumentarisch belegt bei Schweissfurth (Anm. 24), S. 681 ff.; Harold Russen, The Helsinki Declaration. Brobdignag or Liliput AJIL 70 (1976), S. 242 ff. Im gleichen Sinne ferner Krzysztof Skubiszewski,

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Charter der Vereinten Nationen bei diesen registriert worden, vor allem aber fehlte den Teilnehmern an der Konferenz die für einen echten internationalen Vertragsschluß erforderliche Intention26 • Mit dieser Feststellung ist indes die Bedeutung des Dokumentes, das in langen und eingehenden Verhandlungen ausgearbeitet wurde, keineswegs erschöpft. Es besteht in der internationalen Literatur Einigkeit darüber, daß es sich bei der Schlußakte um eine außerrechtliche Verständigung unter den Staaten handelt, die sich in ihr zu Grundsätzen ihres künftigen Verhaltens bekennen und damit in eine nicht formalrechtliche aber moralische und auf gegenseitiges Vertrauen gegründete Bindung eintraten. Man wird die Schlußakte jenem vielfach getönten Gebiet außerrechtlicher internationaler Abmachungen (agreements) zurechnen können, das in verschiedener Form ein Feld internationaler Abreden und Zusagen der Staaten, wenn auch unterhalb der Linie rechtlicher Verbindlichkeit, darstellt. Hierher gehören einseitige Erklärungen und Zusagen von Staaten27 , Gentlemen's Agreements 28 als Formen nicht erzwingbarer Bindung, ferner aber auch der Bereich der Aufstellung von Prinzipien, oft in Anlehnung an anerkannte Regeln des internationalen Rechts, die in allgemeiner Form formuliert und für künftige Beurteilung des Verhaltens der Staaten proklamiert werden, wie dies vor allem in den Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen geschieht. Bei den letzteren ist man sich heute bewußt, daß sie mit dem Ausdruck "Empfehlungen" nicht mehr hinreichend gekennDer Rechtscharakter der KSZE-Schlußakte, in: Rudolf Bernhard I Ingo von Münch I Walter Rudolf (Hrsg.), Drittes deutsch-polnisches Kolloquium Band 1 Baden-Baden 1977, S. 17, 24; N. Jost Delbrück, dort S. 42; Th. Buergenthal, in Human Rights, International Law and the Helsinki Accord Montelair 1977, 6; Louis Henkins, dort S. 29; Kimminich, ZVR 17 (1977), S. 277. 26 Zum Merkmal der Intention für die Rechtsgeltung eines Vertrages siehe Schweissfurth (Anm. 24), S. 685; Kimminich, (Anm. 25), S. 277. 27 Zur Bindung durch einseitige Versprechen und Zusagen siehe Dieter Blumenwitz, Das deutsch-polnische Ausreiseprotokoll von 1975, Festschrift für Friedrich August Frhr. von der Heydte Berlin 1977, S. 63 ff.; VerdrossSimma, Universelles Völkerrecht Berlin 1976 S. 343 f.; Wilfried Fiedler, Zur Verbindlichkeit einseitiger Versprechen im Völkerrecht JahrblntR 19 (1976), S. 35 ff. Dabei muß zwischen rechtlich verbindlichen Zusagen und Deklarationen und Erklärungen geringeren Bindungsgrades unterschieden werden. Zum Vertrauensschutz in diesem Zusammenhand siehe Jörg P. Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht 1971, S. 21 ff. 28 Siehe E. Lauterpacht, Gentlemen's Agreements, Festgabe für F. A. Mann, München 1977, S. 381 ff. Zur Lage außerrechtlicher Abreden Fritz Münch, Unverbindliche Abmachungen in zwischenstaatlichen Bereich, Melanges offerts a J. Andrassy, Den Haag 1968, S. 214; ders. ZaöRVR 29, S. 1 ff.; M. Rotter, Die Abgrenzung zwischen völkerrechtlichem Vertrag und außerrechtlicher zwischenstaatlicher Abmachung, Festschrift A. Verdross, München I Salzburg 1971, S. 413 ff. Oscar SchachteT, The Twilight Existence of Nowbinding International Agreements AJIL 71 (1877), S. 301 ff. Rudolf Bindschedler, Rechtsakte internationaler Organisationen, Berner Festgabe zum Schweiz. Juristentag 1979 Bern S. 363 ff.

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zeichnet sind, daß sie zwar nicht unmittelbar verbindliches Recht erzeugen (auch nicht durch stete Wiederholung der Sätze), daß sie aber eine Basis für die raschere Entwicklung internationalen Gewohnheitsrechts bilden können und an sich eine gewisse außerrechtliche Bindung und politische Orientierung des Verhaltens der Staaten hervorrufen28 • Von den Resolutionen der Generalversammlung unterscheiden sich die Festlegungen der Schlußakte freilich darin, daß bei jenen im Rahmen der universalen Staatenorganisation die Neigung der Mitgliedstaaten, sich einem Konsens oder einer überwiegenden Mehrheit einzuordnen, stärker ausgeprägt ist, als dies im Rahmen einer Konferenz souveräner Staaten in Helsinki der Fall sein konnte. Auch charakterisiert den Kreis der Vereinten Nationen die fast vollständige Universalität der teilnehmenden Staaten, der in Helsinki die regionale Beschränkung des Teilnehmerkreises gegenübersteht30 • Schon der Umstand, daß in den Vereinten Nationen Mitglieder einer universalen Organisation handeln, während die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa keine institutionelle Gestalt bedeutet, begründet Unterschiede, die eine einfache Parallelisierung der Ergebnisse in rechtlicher Hinsicht ausschließen. Andererseits ist es klar, daß die Delegierten der Staaten in der Generalversammlung der Vereinten Nationen keine Vollmacht gemäß den Verfassungen ihrer Länder für rechtsbildende Verträge besitzen31 , während in Helsinki die Akte sogar von Staats- und Regierungshäuptern unterzeichnet wurde. 7. Man wird mithin den Gehalt der Akte von Helsinki, deren einzelne Teile noch näherer Qualifikation hinsichtlich ihrer rechtlichen Bedeutung bedürfen, und die Erklärung von Prinzipien in ihr wie die Festlegung ausführender innerer Maßnahmen der Staaten nicht mit den Resolutionen der Generalversammlung gleichstellen dürfen - ihre Aussicht der Erstakung zu allgemeinem oder regionalem Recht ist sicherlich geringer - aber anerkennen können, daß hier die Staaten untereinander in eine Bindung eingetreten sind, das eigene Verhalten nach den Grundsätzen der Akte auszurichten. Diese Verpflichtung wird 29 Zu den Momenten rechtlicher Geltung (Rechtserzeugung) in den Resolutionen der Generalversammlung der UN siehe Jochen A. Frowein, Der Beitrag internationaler Organisationen zur Entwicklung des Völkerrechts ZaöRVR 36 (1976), S. 149 ff.; Felix Ermacora und Heribert Golsong, Das Problem der Rechtsetzung durch internationale Organisationen, insbesondere im Rahmen der UN, Berichte d. Dt. Ges. VR 10, Karlsruhe 1971, S. 1 ff., 51 ff.; Wilhelm Kewenig, in : Kieler Symposium, Völkerrecht und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit, Berlin 1978, S. 80 f.; meine Darlegung Internationale Verträge als Element der Bildung von völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht, Festgabe für F. A. Mann, 1977, S. 431 ff. so Zum Unterschied der Schlußakte von den Resolutionen der UN siehe Suzanne Bastid, in: Buergenthal, Helsinki Accord (Anm. 32), S. 13. st Hierzu mein Hinweis Festschrift F. A. Mann (Anm. 29), S. 432.

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Dirich Scheunet

getragen durch den Grundsatz von Treu und Glauben 32, kann freilich nur eine außerrechtliche sein. Aus einer Nichtbeobachtung der Schlußakte kann keine internationale Verantwortlichkeit der Teilnahmestaaten abgeleitet werden, und ebensowenig können Sanktionen ins Auge gefaßt werden33 • Wohl aber sind die Signatare befugt, im gegenseitigen Verhältnis auf die Nichtausführung oder Verletzung der Akte in den allgemeinen Formen des völkerrechtlichen Verkehrs hinzuweisen34 und Vorstellungen zu erheben, wie dies auch in einzelnen Fällen geschehen ist 35 ohne daß dies als unstatthafte Intervention erscheint, auch soweit das Unterbleiben oder die Vornahme innerstaatlicher Maßnahmen in Frage steht. Ich würde die Schlußakte daher nicht mit Skubiszewski als ein Programm ansehen, das in bindende Wirkung erwachsen könnte36, aber, etwas weniger weitgehend wie Delbrück37 als eine Einigung über Grundsätze des Verhaltens, die nicht durch rechtliche Sanktionen gesichert sind, aber moralische Bindungen erzeugen und politische Folgen haben können 38 • Daß eine gewisse Bindung der Signatare vor Augen stand, ergibt sich aus der der Anführung der Prinzipien in der Akte folgenden Festsetzung, daß sie alle von gleicher Bedeutung seien und in Beziehung aufeinander ausgelegt werden sollen. "Auslegung" deutet auf eine Form der verpflichtenden Kraft hin. Im Schlußteil der Akte ist von der Entschlossenheit der Staaten die Rede, die Bestimmungen anzuwenden. Auch die praktischen Einzelrichtlinien, die die Körbe II und 111 enthalten, legen keine bindenden Verpflichtungen auf, sind aber ähnlich zu verstehen; für ihre Anwendung können die Prinzipien des ersten Teiles herangezogen werden. Es ist eine andere Frage, der wir uns nun zuwenden wollen, inwieweit die Prinzipien des ersten Teiles, die sich auf Sätze des bestehenden Rechts und eingegangene 32 Vgl. Schweissfurth (Anm. 24), S. 709; M. Virally, La deuxieme decennie des N. U. pour le developpement AnnFDI 1970, S. 29. 33 Siehe Delbrück, Deutsch-polo. Koll. (Anm. 25), S. 45; Henkins, in: Buergenthal, Helsinki Accord (Anm. 25), S. 25. 34 Die Auffassung von Suzanne Bastid (Anm. 30), S. 41, daß die Schlußakte keine solche Befugnis zu Vorstellungen begründe, sondern im Bereich der Menschenrechte die Staaten auf die in früheren Vereinbarungen vorgesehenen Mittel angewiesen seien, kann ich nicht teilen. Für die Zulässigkeit von Vorstellungen auch Henkins, (Anm. 33), S. 23 ff.; Buergenthal, dort S. 7. 35 Die Vereinigten Staaten haben im Jahr 1977 durch öffentliche amtliche Äußerungen auf mangelnde Beobachtung der Schlußakte in östlichen Staaten hingewiesen. Siehe Virginia Leary, in: Buergenthal, Helsinki Accord (Anm. 25), S. 113 f. Andere Regierungen zogen den Weg der stillen Diplomatie vor. 38 Skubiszewski, in Deutsch-Polo. Kolloquium (Anm. 25), S. 27 ff. 37 Delbrück, dort, S. 42 ff. 38 Siehe Schweissfurth (Anm. 24), S. 711; vgl. auch Guy Feuer, Reflexions sur la Charte des droits et devoirs economiques des Etats RGDIP 79 (1975),

s. 3041.

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Vertragsverpflichtungen beziehen, dadurch eine besondere rechtliche Bedeutung erhalten. Es mag endlich hinzugefügt werden, daß man in einzelnen Bestimmungen auch eine rechtliche Bindung wird erkennen können. So darf man in der im Schlußteil enthaltenen mit genauer Datenangabe versehenen Festlegung der ersten Nachfolgekonferenz wohl eine verbindliche Vereinbarung erkennen, die auch eingehalten worden ist. 111. Die menschenrechtliche Aussage der Schlußakte in ihrer Beziehung zum allgemeinen Völkerrecht 8. Die auf die Grundfreiheiten bezüglichen Bestimmungen der Schlußakte zerfallen in zwei Teile. Zunächst erscheint das Bekenntnis zu ihrer Achtung unter den zehn im ersten Teil vorangestellten Prinzipien. Sodann aber umfaßt Korb III unter seinen Maßnahmen zur Förderung engerer Kontakte und der Zusammenarbeit im humanitären Bereich eine Anzahl von einzelnen praktischen Punkten, in denen menschenrechtliche Forderungen realisiert werden wie Bewegungsfreiheit der Individuen, Information, Eheschließung von Personen über staatliche Grenzen hinweg usw. Wie auch bei den anderen Prinzipien des ersten Teiles ergibt sich der rechtliche Gehalt des Prinzips VII "Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten" aus den im Text enthaltenen Verweisungen auf bestehendes internationales Recht und bestehende internationale Vereinbarungen. Wenn im Prinzip VII die Signatarstaaten die Achtung vor den Menschenrechten und ihre Förderung der Auswirkung der bürgerlichen, politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte sowie die Freiheit des Individuums in diesem Rahmen zusagen, so gehört diese Erklärung in den Zusammenhang der im vorigen Abschnitt behandelten außerrechtlichen Bindungen. Es ist von hoher Bedeutung, daß im Unterschied zu früheren Erklärungen über grundlegende Prinzipien der internationalen Gemeinschaft z. B. der Erklärung über freundschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit unter den Staaten vom 24. 10. 197039 in die Aufzählung dieser Grundsätze nunmehr die Menschenrechte aufgenommen worden sind. Sie gehören damit zu den Verhaltensregeln, deren Erfüllung die teilnehmenden Staaten versprechen und zu denen sie sich als Richtpunkte ihres Handeins bekennen. Wenn aber die Schlußakte von Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Charter und von der Erfüllung eingegangener internationaler Verbindlichkeiten spricht, so werden damit die existierenden rechtlimen Verpflichtungen der Sig39 GA Res. 2625 (XXV): Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relation and Co-operation among States. Vgl. hierzu meine Darlegung Vereinte Nationen 1978, S .111 ff.

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natarstaaten und die existierenden allgemeinen Grundsätze des geltenden allgemeinen Völkerrechts und die eingegangenen Vertragsbindungen in Bezug genommen. Diese Bezugnahme ändert nichts an der Verpflichtungskraft dieser bestehenden Bindungen. Sie kann nach der rechtlichen Natur der Schlußakte keine weitergehenden rechtlichen Bindungen erzeugen, sie schwächt aber bestehende Obligationen auch nicht ab. Die Akte von Helsinki hat, wie bei anderen von ihr aufgeführten Prinzipien, dem Gewaltverbot, der territorialen Unverletzlichkeit, der Untersagung der Intervention deklaratorischen Charakter und fügt dem bestehenden Recht lediglich eine erneute Bekräftigung und die Bereitschaft zur Beachtung hinzu. Auch können die Prinzipien der Akte als interpretative Auslegung bestehender rechtlicher Regeln in geeigneten Fällen gesehen werden. Die Bezugnahme auf Grundsätze der Charter und auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 bedeutet mithin einen Verweis auf geltendes internationales Recht nur insoweit, als über die nicht in konkrete rechtliche Pflichten gefaßten Formeln der Art. 55/56 der Charter hinaus Bestandteile der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu internationalem Gewohnheitsrecht erwachsen sind. Was die vertraglichen Verpflichtungen angeht, so sind die beiden Menschenrechtskonventionen von 1966 die Sowjetunion, die DDR, Polen, Ungarn, die Tschechoslowakei und Bulgarien beigetreten40 • Diese besondere Bekräftigung übernommener vertraglicher Bindungen darf aber nicht unterschätzt werden; sie unterstreicht den Willen zu ihrer Beobachtung. 9. Zwei grundlegende Folgerungen sind in diesem Zusammenhang hervorzuheben. Die Beobachtung der Menschenrechte ist als eine Angelegenheit von internationaler Bedeutung, entzogen der Sphäre der ausschließlichen nationalen Jurisdiktion, zu beurteilen, und ungeachtet der fortbestehenden ost-westlichen Auffassungsunterschiede über Wesen und Natur der Menschenrechte ist zwischen Ost und West ein Grundkonsens über ihre Anerkennung und Erfüllung erreicht worden. Es kann gewiß angenommen werden, daß schon auf Grund der Art. 55/56 der Charter für die Mitglieder der UN die Beachtung der Grundfreiheiten zu einer Angelegenheit von internationaler Bedeutung (international concern) geworden ist. Jedenfalls in Fällen schwerer und anhaltender Verletzung menschlicher Rechte haben die Vereinten Nationen in ihrer Praxis den Grundsatz verfolgt, daß hier der Bereich des nationalen Vorbehaltsgebietes (domestic jurisdiction) des Art. 2 § 7 der Charter überschritten und eine internationale Zuständigkeit ihrer Organe begründet ist41 • Übersicht der Ratifikationen in Vereinte Nationen 1977, S. 96. Für die Zurechnung der menschenrechtliehen Fragen zu den internationalen Angelegenheiten jenseits der nationalen Jurisdiktion gemäß Art. 55/56 40

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Diese Auffassung war in der internationalen Lehre nicht unbestritten. Die Grundansicht über die rechtliche Natur der Grundfreiheiten weicht in den kommunistischen Staaten und den westlichen Ländern in wesentlichen Punkten voneinander ab. Die sozialistische Konzeption geht von einem Menschenbilde aus, daß nicht das selbstbestimmte Individuum in den Mittelpunkt stellt, dem bestimmte Rechte gegen den Staat zustehen, sondern die den Menschen eingebunden sieht in das kollektive Leben der Gesellschaft und daher in der Schaffung entsprechender sozialer Veränderungen den Weg zur Erfüllung der Grundfreiheiten erblickt, der Ausbeutung beseitigt und die sozialen Rechte der Menschen sichert. Die Menschenrechte müssen sich daher der gesellschaftlichen Entwicklung einfügen, sie sind nicht dem Staat vorgegebene Rechte, sondern staatliche Gewährungen42 , die die sozialistische Gesellschaft verleiht43 • Aus diesem Grundansatz ergibt sich die weitere Folgerung, daß es der einzelne Staat ist, im Rahmen seiner soziapolitischen Gesamtordnung, der die Menschenrechte festlegt und über sie verfügt. Daher wendet sich die kommunistische Anschauung gegen internationale Kontrollen über diesen Bereich und zählt ihn zur domestic jurisdiction. Grundsätzlich zählt Ouchakow diese Fragen zum Bereich der internationaler Einwirkung entzogenen nationalen Jurisdiktion, soweit nicht ausdrückliche internationale Pflichten vom Staat übernommen worden sind44 • Allein die Zugehörigkeit zu den Vereinten Nationen begründet keine Befugnisse internationaler Organe zu Eingriffen, die vielmehr als unerlaubte Intervention erscheinen. Dieser Auffassung ist zu widersprechen. Schon durch die Art. 55/56 der Charter ist eine Zuweisung der menschenrechtliehen Fragen zum internationalen Bereich erfolgt. Diese Zugehörigkeit wird durch die Schlußakte erneut bestätigt. Die Einfügung der Menschenrechte unter die leitenden Prinzipien der Staatengemeinschaft, in denen sich die Signatarmächte einig sind, bestätigt das45 • Es ist für die Unterzeichner der der Charter und der Allgemeinen Erklärung siehe auch Felix Ermacora, RdC 1968 II, S. 424 ff. Dort S. 410 ff. Übersicht der Praxis der Vereinten Nationen. In gleichem Sinne auch Louis Henkin, in: Buergenthal, Helsinki Accord (Anm. 25), S. 26 f. 42 Zur Auffassung der Grundfreiheiten im kommunistischen Bereich siehe H.-J. Uibopuu, Die Menschenrechtspakte der UN im Staatsrecht der UdSSR Osteuropa-Recht 1975, S. 1 ff.; ders., EuGRZ 1977, S. 228 ff.; Georg Brunner, in: "KSZE und Menschenrechte") (Anm. 28), S. 96 ff. 43 Zur Darlegung dieses Standpunkts siehe Grigorj J. Tunkin, Theory of International Law Eng. Transl. London 1974, S. 83; ausführlich jetzt die Darlegung in dem Lehrbuch eines Autorenkollektivs "Staatsrecht der DDR" Berlin 1978, S. 177 ff., 227 ff. 44 N. Ouchakow, La competence interne des Etats et la Non-intervention dans le Droit International Contemporain RdC 141 (1974 I), S. 48 ff. 45 In diesem Sinne Buergenthal, in: Buergenthal, Helsinki Accord (Anm. 25), S. 7 unter Betonung der friedlichen Einwirkung; Henkins dort S. 22 f., 12 Festschrift für Stephan Verosta

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Akte von Helsinki nicht möglich, sich gegenüber anderen teilnehmenden Staaten, die sie durch friedliche diplomatische oder andere Mittel auf Verletzungen dieser spezifischen menschenrechtliehen Verpflichtungen hinweisen, auf Art. 7 § 2 der Charter zu berufen oder gar derartige Hinweise und Vorstellungen als unzulässige Interventionen zu behandeln32 • Demgegenüber kann auch nicht auf die in der Schlußakte aufgenommene- sogar frühere Erklärungen übersteigende Definition der Nichtintervention hingewiesen werden. Die hier vertretene Ansicht ist auch in der auf ihrer 58. Konferenz in Manila am 2. 9. 1978 von der International Law Association angenommene Resolution über Menschenrechte geteilt worden46 • Suzanne Bastid hat versucht, eine Beschränkung der Einwirkung anderer Staaten bei Nichtachtung der Menschenrechte daraus abzuleiten, das dann, wenn sie zugleich Vertragsparteien bestimmter Verträge seien, etwa der Konvention über bürgerliche und politische Rechte, ihnen nur die in diesen Verträgen vorgesehenen Mittel(remedies) offenstünden; sie meint auch, insofern sei die Belgrader Folgekonferenz ein solcher Weg, um Fragen der Erfüllung aufzugreifen47 • Ich vermag mich diesem Standpunkt nicht anzuschließen. Abgesehen davon, daß nur wenige Staaten ein Verfahren gemäß Art. 41 der Konvention über bürgerliche und politische Rechte von 1966 angenommen haben, tragen diese Methoden der Abhilfe keinen ausschließlichen Charakter, der friedliche Vorstellungen von Staat zu Staat ausschließen könnte. Ein so allgemeines und präzise Entscheidungen internationaler Organe nicht herbeiführendes Verfahren ist nicht imstande, einen solchen Ausschlußeffekt gegenüber allgemeinen Methoden internationaler Wahrnehmung des Schutzes der Menschenrechte zu begründen48 • 10. Das zweite grundlegende Moment der Akte von Helsinki im Bereich der Menschenrechte ist der in dem Abschluß sich manifestierende Konsens zwischen Ost und West. Gewiß hatten die Staaten des

30, 33, 35; Leary, dort S. 155. Ohne hier näher auf den Begriff der Intervention einzugehen, können jedenfalls bloße Hinweise, diplomatische Vorstellungen und öffentliche Erklärungen nicht als Intervention angesehen werden, die Gewalt oder entscheidungsbedingenden Druck voraussetzt. 46 In der am 2. 9. 1978 angenommenen Resolution über Human Rights heißt es (Bulletin of the 58th. Conference of the I. L. A. Manila, S. 15): "Convinced that the protection of human rights is a matter of international concern; that the claim that violations of human rights within a country are matters of exclusive domestic concern and hence may not be subject to international appraisal, is unfounded in international law; and further that actions (including the making of allegations), consistent with the principles of the U. N. Charter, taken in respect of violations of internationally recognized rights, arenot violations of state sovereignty." 47 Suzanne Bastid, in: Buergenthal, Helsinki Accord (Anm. 25), S. 41 f. 48 Siehe hierzu auch Frowein, dort S. 74 ff. 79 f. über das Verhältnis der Methoden der Schlußakte von Helsinki zu denen anderer Konventionen.

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Ostblocks, wie bereits erwähnt, auch ihren Beitritt zu den menschenrechtlichen Konventionen der Vereinten Nationen vollzogen. Die Aufnahme der Menschenrechte in die Akte der Europäischen Konferenz bedeutet aber durch seine regionale Ausdehnung eine Verstärkung dieser Linie in der Richtung auf eine gemeinsame Haltung. Das schließt freilich ebensowenig wie die früheren Beitritte eine Überwindung der Gegensätze in den Auffassungen von der Natur der menschlichen Freiheiten in sich. Es bleibt dabei, daß für die Ansicht der sozialistischen Länder der Akzent auf den sozialen Rechten des Menschen liegt, während die westlichen Staaten im Prinzip VII sich für die Aufnahme der Würde des Menschen aussprechen und in den einzelnen zu Beginn des Prinzips hervorgehobenen Rechten - Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit - individuelle Rechte zur Geltung brachten, die besonders hervorgehoben werden sollten. Nach dieser Richtung kann die Schlußakte indes nur der Beginn einer Auseinandersetzung sein, in der sich diese beiden Auffassungen begegnen und gegenseitig beeinflussen. Es kann dabei darauf hingewiesen werden, daß auch in der Lehre der westeuropäischen Staaten, vor allem in der Bundesrepublik und der Schweiz, in neuerer Zeit die Konzeption grundrechtlicher Bestimmungen über die Betonung individueller Rechte der Abwehr gegen den Staat hinausführt, den objektiven Gehalt grundrechtlicher Normen hervorhebt und auch sich dem Gedanken sozialer Rechte weiter öffnet49 • Blickt man auf die Haltung der dritten Welt, so werden hier Akzente erkennbar, die ebenfalls stärker in die Richtung der Betonung sozialer Rechte weisen. Mit dem Ergebnis von Helsinki und dem dort erzielten freilich sehr allgemeinen Konsens über Menschenrechte ist damit eine Entwicklung eingeleitet, die zu lebhafterer Befassung mit dem Gehalt dieser Rechte und möglicherweise zu einem besseren Verständnis der gegenseitigen Standpunkte in diesen Fragen zwischen Ost und West führen kann5°. 40 Auf die Wandlungen im westlichen Grundrechtsverständnis, die Akzentuierung der objektiven Gehalte und die Wendung zur Anerkennung der Rolle sozialer Zusagen kann hier nicht näher eingegangen werden. Zu dieser ausgedehnten Diskussion meine Darlegung, Die Funktion der Grundrechte im Sozialstaat in "Staatstheorie und Staatsrecht", Ges. Schriften, Berlin 1978, S. 737 ff.; Jörg P. Müller, Soziale Grundrechte in der Verfassung?, Schweiz. Juristenverein 1973, S. 821 ff.; Ernst Friesenhahn, Der Wandel des Grundrechtsverständnisses 50. Dt. Juristentag 1974 Band G, S. 1 ff.; Schlußbericht der Arbeitsgruppe (Wahlen) für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung (der Schweiz), Bd. VI 1973, S. 62 ff., 180 ff. Karl Korinek, Bestand und Bedeutung der Grundrechte (Bericht für die IV. Konferenz der europ. Verfassungsgerichte) EuGRZ 1978, S. 489 ff. Vgl. auch Claude-Albert Colliard, Les libertes publiques, 5. Aufl. Paris 1975, S. 212 ff.; Georges Burdeau, Les libertes publiques, 4. Aufl. Paris 1972,

s. 8 ff., 367 ff.

50 Zum Fortbestand des unterschiedlichen Menschenrechtsverständnisses von Ost und West siehe Kimminich ZV 17 (1977/78), S. 293.

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Von Bedeutung ist ferner auch, daß die Schlußakte zwischen der Beobachtung der vorangestellten zehn Prinzipien und den Zielen der Erhaltung des Friedens, der Sicherheit und der Entspannung einen inneren Zusammenhang herstellt. Hier wird die Achtung vor den Menschenrechten in eine neue Beleuchtung gerückt, die sie in ihrer Rolle für die Wahrung und Stärkung des Friedens zeigt. Auch das verstärkt die internationale Tragweite der menschenrechtliehen Aussage und entzieht sie der nationalen ausschließlichen Verfügung51 • 11. Einen Beitrag für den menschenrechtliehen Bereich leisten auch die in Korb III der Akte enthaltenen konkreten Bestimmungen über Verstärkung der humanitären und kulturellen Zusammenarbeit. Sie weisen in manchen Beziehungen den Weg zu konkreten Realisierungen der Freiheiten. Sie betreffen freilich nicht durchweg Punkte, die man als Erfüllung menschlicher Rechte betrachten kann, sondern viele Bestimmungen dieses Korbes gelten in erster Linie der Ausweitung der kulturellen Zusammenarbeit unter den Staaten im offiziellen Bereich des Austausches und der Gruppenbeziehungen. Doch finden sich immer wieder im Korb III Maßnahmen, die man als Verwirklichungen menschenrechtlicher Forderungen ansehen kann: freiere individuelle und familiäre Bewegung über die Grenzen, Familienzusammenführung, Eheschließung über die Grenzen, Zulassung weiterer Information zwischen den Ländern, Erleichterung des Zugangs für fremde Journalisten. Hier werden bestimmte menschenrechtliche Gesichtspunkte angesprochen: Freizügigkeit, Recht auf Information und Freiheit des geistigen Ausdrucks, Recht auf Eheschließung und familiären Zusammenhang, Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnis, Förderung der Kultur von Minderheiten52• In ihrer rechtlichen Tragweite bleiben diese Zusagen wiederum in der Ebene der außerrechtlichen Bindung. Ihre Bedeutung liegt in erster Linie darin, daß hier konkrete Wege der Realisierung der menschenrechtliehen Absichten aufgewiesen werden, deren Einhaltung es auch gestattet von außen her bei den teilnehmenden Staaten den Stand ihrer Beobachtung der Grundfreiheiten in diesen Gebieten festzustellen53• Zugleich tragen diese Bestimmw1gen einen Doppelcharakter darin, als sie einerseits inhaltliche Festlegungen darstellen, zugleich aber auch als Methoden der Erfüllung der Menschenrechte (implementation) angesehen werden können; insofern nähern sie sich bereits den Gesichtspunkten, die wir im nächsten Abschnitt betrachten wollen. 51 Vgl. Buergenthal, in: Buergenthal, Helsinki Accord (Anm. 25), S. 17; Gerard Cohen Jonathan, dort S. 49; Kimminich, ZV 17, S. 282 ff. 52 Siehe hierzu Jens Hacker, in: ,.KSZE und Menschenrechte" (Anm. 22), S. 83; Virginia Leary, in: Buergenthal, Helsinki Accord (Anm. 25), S. 127 ff. 53 Leary, dort S. 111 ff.

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IV. Einrichtungen zur Gewährleistung der Erfüllung der Schlußakte 12. Die Schlußakte von Helsinki enthält, wie es auch der mangelnden formalen rechtlichen Bindungskraft entspricht, keine der üblichen, den menschenrechtliehen Abkommen beigegebenen Vorkehrungen zur Kontrolle ihrer Verwirklichung. Weder besteht eine Berichtspflicht der Staaten, noch können Staatenbeschwerden oder Individualbeschwerden eingelegt werden, noch bestehen überhaupt Instanzen der Kontrolle. Doch hat die Schlußakte, abgesehen von der bereits erwähnten Aufzeigung derjenigen praktischen Schritte, die der Besserung der individuellen Lage dienen können, zwei neue Wege der Überwachung ihrer Einhaltung eingeführt, die im bisherigen Recht nicht bekannt waren und die Neuerungen darstellen, nämlich die Pflicht zur Offenlegung ihres Textes im Inneren der Signatarstaaten und die Erörterung ihrer Verwirklichung auf einer Folgekonferenz. Beide Methoden haben sich, beurteilt man sie nach dem Ergebnis, als wichtig und folgenreich erwiesen, auch wenn die Folgekonferenz gewisse Enttäuschungen gebracht hat. Sie haben beide dazu geführt, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die menschenrechtliche Seite der Schlußakte in erhöhtem Maße zu lenken und damit einen von der Öffentlichkeit her kommenden Druck auf die Einhaltung auszuüben. Die Bedeutung dieser beiden neuen Methoden liegt also darin, daß sie auch für die Zukunft auf neue Möglichkeiten der Realisierung (implementation) hinweisen. Sie bereichern damit das Instrumentarium der Sicherung menschenrechtlicher Verpflichtungen. 13. Wenden wir uns kurz der Auswirkung dieser beiden Mittel zu. Der erste Weg, die Übernahme der Verpflichtung durch die Teilnehmer, den Text der Schlußakte in jedem Teilnehmerstaat so umfassend wie möglich bekannt zu geben und zu verbreiten, stellt ein Mittel dar, im Wege dieser echten Verpflichtung die Öffentlichkeit jedes Landes zu mobilisieren und durch Popularisierung des Gehaltes der Bestimmungen eine Garantie ihrer Beobachtung zu ermöglichen. Diese Verbindlichkeit ist von den beteiligten Staaten eingehalten worden54, und sie hat sich als wirksame Garantie erwiesen. Ihre Einhaltung hat Anlaß zu weitreichenden Bewegungen in den kommunistischen Staaten gegeben, die die Beachtung der Grundsätze der Akte forderten. Das gilt vor allem für die Erklärung der 77 in der Tschechoslowakei vom Januar 1977 55 , aber auch für die Stellungnahmen von Dissidenten in der So54 Zur Beachtung in der Sowjetunion siehe Suzanne Bastid, in: Buergenthal, Helsinki Accord (Anm. 25), S. 14 f. 55 Text der Erklärung der tschechoslowakischen Bewegung vom 1. 1. 1977 in EA 1977 D, S. 355 ff. Englisch in Hearings of the Commission on Security (Anm. 56), Bd. 1, S. 117 ff.

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wjetunion. Auch die Öffentlichkeit der westlichen Länder ist durch diese Entwicklung stärker auf die Probleme der Menschenrechte hingewiesen worden. Der unerwartet großen Reaktion auf die Texte der Schlußakte in den kommunistischen Staaten vor allem im Blick auf diese Bestimmungen über Menschenrechte, entsprach in den Ländern Westeuropas und in den Vereinigten Staaten ebenfalls eine starke Aufmerksamkeit, die sich auf diesen Gesichtspunkt richtete. In den Vereinigten Staaten berief der Kongress eine Gruppe von seinen Mitgliedern (Senatoren und Abgeordnete des Repräsentantenhauses) in die Commission on Security and Cooperation in Europe, die sich in Halbjahresberichten sowie ausgedehnten Hearings von Sachverständigen und Zeugen eingehend mit der Einhaltung der Bestimmungen der Helsinki Akte befaßte und in ihren Veröffentlichungen bisher ein breites Material vorgelegt hat56 • Insbesondere richtete sich die Aufmerksamkeit auf die Erfüllung der Einzelregelungen des Korbes 111. Die Bemühungen wurden auch nach der Belgrader Folgekonferenz fortgesetzt. Sie erfuhren während der Jahre 1977/78 eine Stärkung durch die am Beginn der Präsidentschaft Carter eingeschlagene Richtung der präsidentiellen Politik, die die Menschenrechte stark betonte und in den Vordergrund rückte. Es ist nicht zu entscheiden, ob die präsidentielle Kampagne im Ergebnis die menschenrechtliehen Fragen wesentlich hat fördern können. Die starke Zurückhaltung der Sowjetunion und ihrer Verbündeten auf der Belgrader Folgekonferenz vom 3. 10. 1977 bis 9. 3. 1978 hat Grenzen dieser Akzentuierung der menschenrechtliehen Probleme im Zusammenhang der europäischen Zusammenarbeit gezeigt. Auch offizielle Stellungnahmen sowie die allgemeine Öffentlichkeit nahmen sich der menschenrechtlichen Seite der Helsinki Akte in breitem Umfang an. Auf Beförderung einer positiven Zusammenarbeit und Bekämpfung individueller Verletzungen gerichtet war die Aktivität, die der Ökumenische Rat der Kirchen seit 1975 entfaltet hat und die zur Einsetzung eines Ausschusses aus beteiligten Kirchen in Ost und West im Rahmen der europäischen Zusammenarbeit der Kirchen geführt hat57 • Im Ergebnis wird man demnach die Einrichtung, daß die Signatarstaaten in ihrem Lande für Verbreitung menschenrechtlicher Abmachungen sorgen, als ein neues wichtiges Mittel zur Unterstützung men56 Die Kommission legt seit 1977 Halbjahresberichte vor (Washington Govmt, Printing Office), ferner einen Bericht über die Belgrader Folgekonferenz (vom 17. 5.1978) sowie 7 Bände Hearings before the Commission on Security and Cooperation in Europe (1977/79) sowie 3 Bände über die Menschenrechtsbewegung in der Sowjetunion. Siehe auch Virginia Leary, in: Buergenthal, Helsinki Accord (Anm. 25), S. 118 ff. Vorsitzender der Kommission ist Representative Dante B. Fascell. 5 7 Siehe V. Leary, dort S. 135 ff.

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sehenrechtlicher Konventionen und Erklärungen ansehen dürfen, auch wenn hier vielleicht gewisse Gefahren vorliegen, daß sich Angehörige solcher Länder, die diesen Schutz weniger beachten, durch ihre Insistenz auf die Befolgung der Texte einer Verfolgung aussetzen. Die Öffentlichkeit, deren Bedeutung für den Schutz menschlicher Freiheiten stets sehr hoch zu veranschlagen ist, ist jedenfalls durch diese Verfahren sensibilisiert worden. Und letzten Endes wird dort, wo keine verfahrensrechtlichen Möglichkeiten der Durchsetzung bestehen, die Erwekkung der Öffentlichkeit immer eines der wirksamen Mittel der Gewährleistung bleiben. 14. Auch die zweite in Helsinki neu eingeführte Methode der Gewährleistung der grundrechtliehen Forderungen, die Einführung einer Folgekonferenz sollte trotz der enttäuschenden Ergebnisse von Belgrad nicht unterschätzt werden. Nach dem Wortlaut der Schlußakte ist die Folgekonferenz dazu bestiq~.mt, einen vertieften Meinungsaustausch über die Durchführung ihrer Bestimmungen und die Ausführung der von der Konferenz definierten Aufgaben vorzunehmen. Sie bedeutet mithin eine Möglichkeit, durch Aussprache unter den 35 Teilnahmestaaten von Helsinki Mängel der Einhaltung der Schlußakte zur Sprache zu bringen, wie auch für die Zukunft fortführende Maßnahmen ins Auge zu fassen. Eine solche Auseinandersetzung könnte also, auch wenn man die gegenseitige Zurückhaltung im Verkehr der Staaten und Regierungen untereinander berücksichtigt, durchaus zu einem Mittel der gegenseitigen Kontrolle in der Erfüllung der übernommenen Regeln des Verhaltens werden. Daß die Folgekonferenz von Belgrad dieser Aufgabe gedient hat, ist auch in den Schlußerklärungen der Delegierten festgestellt worden, ohne daß die Vertreter des Westens verhehlten, daß insbesondere auch das Schlußdokument von Belgrad hinter zu stellenden Erwartungen zurückblieb58•

Die Folgekonferenz fand in einem Zeitpunkt statt, als die weltweite Debatte über die Menschenrechte die Sowjetunion und ihrer Verbün· deten in eine gewisse defensive Haltung geführt hatte. Ihnen lag daher daran, die kritische Seite dieser Konferenz zu begrenzen und die Konferenz selbst ohne Vertiefung der Auseinandersetzungen stattfinden zu lassen. Daher wurde schon in der Vorkonferenz von Belgrad vom 15. 6. bis 5. 8. 1977 von den östlichen Staaten dahin gedrängt, daß nach einer 58 Eine Reihe von öffentlichen Stellungnahmen des KSZE Folgetreffens sowie das Schlußdokument wie auch publizistische Stellungnahmen finden sich in der Publikation Hermann Volle u. Wolfgang Wagner, Das Belgrader KSZE Folgetreffen Bonn 1978. Eine Analyse der Verhandlungen und einige Dokumente enthält der "Report und Appraisal" der Konferenz durch die Commission on Security and Cooperation in Europe (vgl. Anm. 56) Washington 1978.

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öffentlichen Phase der Zusammenkunft die Aussprache über die Einhaltung der Helsinki Akte in nicht öffentlichen Sitzungen geführt wurde 59 • Auf dem vom 4. 10. 1977 bis 9. 3. 1978 abgehaltenen Belgrader Folgetreffen wurde durch sehr zahlreiche Anträge der kommunistischen Staaten zum Gebiet der Sicherheit das Gewicht der Diskussionen in diese Richtung zu verlagern gesucht. Vor allem aber erreichten diese Staaten in der dritten Phase der Konferenz, die der Abfassung eines Schlußdokumentes gewidmet war, daß in diesem keine Aussagen über den Inhalt der Gespräche, insbesondere auch des Meinungsaustausches über die Erfüllung der Schlußakte, enthalten waren. Eine Anzahl der westlichen Staaten wählte daher den Weg, durch einen Antrag auf ein Schlußdokument, der ihre Vorstellungen wiedergab, am 21. 2. 1978 einen ausführlichen Bericht über die Verhandlungen und die von ihnen gewünschten Ergebnisse vorzulegen, der auch die Bedeutung der Menschenrechte erneut unterstrich und eingehende Anregungen zu den konkreten Fragen des Korbes III enthielt60'. Das schließlich vereinbarte Schlußdokument begnügte sich mit formaler Aufführung des Verhand1ungsinhal ts. Wenn man in Belgrad vereinbarte, im Herbst 1980 eine zweite Folgekonferenz in Madrid abzuhalten, so zeigt dies aber deutlich, daß die Erwartung erhalten geblieben ist, solche Folgetreffen zu nützlichen Instrumenten der internationalen Erfüllungskontrolle entwickeln zu können. In der Tat hat auch die breite Publizität, die die Konferenz von Belgrad umgab, gezeigt, daß das 'Ziel, die öffentliche Meinung der Welt anzuregen, erreicht wurde. So haben die beiden neuen Methoden der Gewährleistung, die Helsiniki eingeführt hat, dazu beigetragen, auch ohne daß eine Maschinerie für die Kontrolle der Ausführung geschaffen wurde, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit im regionalen Rahmen zu stärken. Nach dieser Richtung hin haben sich die beiden neuen eröffneten Wege, Publizität und Folgekonferenz, als brauchbare Mittel erwiesen. Insgesamt hat die Konferenz von Helsiniki und haben die an sie geknüpften weiteren Vorgänge in einem regionalen Rahmen die Anerkennung der Menschenrechte gestärkt. Bedeutsam ist dabei vor allem die erfolgte Einbeziehung der Staaten des Ostblocks in eine fortführende Auseinandersetzung über die Grundfreiheiten. Das mag dazu beitragen, den Gedanken des Schutzes menschlicher fundamentaler Rechte ungeachtet fortbestehender Differenzen über den Gehalt der Menschenrechte zu festigen und ihm allgemeine Anerkennung zu sichern. In der Vielfalt der internationalen Bestrebungen zur Sicherung Die Schlußakte der Vorkonferenz bei Volle-Wagner (Anm. 58), S. 79 ff. Text bei Volle-Wagner (Anm. 58), S. 163 ff. und im Report der Commission on Security (Anm. 58), S. 58 ff. 59

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der Menschenrechte kommt daher den Absichten der Schlußakte von Helsiniki, gerade weil sie den regionalen Kreis weit zieht und weil sie neue, wenn auch weniger formell gestaltete Methoden der Gewährleistung einführt, ein wichtiger Platz zu. Hier öffnet sich ein Feld, auf dem vor allem auch unterschiedliche Konzeptionen der Sicherung dieser Rechte miteinander in ein Gespräch treten können.

ÜBER DAS KUMULATIONSVERBOT IN MENSCHENRECHTSVERFAHREN Von Felix Ermacora 1. Das Anwachsen völkerrechtlicher Instrumente auf dem Gebiete des Menschenrechtsschutzes, die weitgehend den gleichen Gegenstand betreffen und ihn regeln\ läßt allmählich eine völkerrechtliche Interpretationslehre entstehen, die geeignet ist, von der allgemeinen Interpretation völkerrechtlicher Verträge abzuweichen und eigenen Gesetzen zu folgen. Das zeigt die menschenrechtliche Spruchpraxis internationaler Organe 2 z. B. für den Fall der Regel vom Erfordernis der Erschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges3 , der Strukturfragen von Vorbehalten\ der Anwendung des Satzes "in dubio pro libertate" u. ä. Die Wissenschaft wird wie kaum in einem anderen Bereich ihres Aufgabengebietes aufgerufen sein, das zu erreichen, was den politischen Organen internationaler Organisationen, die die "parent bodies" menschenrechtlicher Organisationen sind, nicht und den menschenrechtliehen Entscheidungsorganen kaum gelingt5 : die Auslegung gleicharti1 Die umfassendste Dokumentation über den internationalen Menschenrechtsschutz findet sich bei L. Sohn I Th. Buergenthat, International Protection of Human Rights, New York 1973; eine gute Übersicht bieten auch Berchtotd (Hrsg.), Human Rights in International Law, Collected Texts, Wien 1978 und Ermacora (Hrsg.), Internationale Dokumente zum Menschenrechtsschutz, 2. Auf!., Reclam 7956 (2). 2 Vor allem im Schoße der europäischen Menschenrechtsschutzorgane, vgl. dazu die vom Generalsekretariat des Europarates herausgegebene Entscheidungssammlungen für Kommission und Gerichtshof und die immer wieder mit kritischen Rechtsprechungsbesprechungen ausgestattete Zeitschrift "Europäische Grundrechte" (EuGRZ), 1980 im 7. Jg., Hrsg. N. P. EngeL 3 Siehe dazu U. GiebeZer, Die Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe als Zulässigkeitsvoraussetzung der Menschenrechtsbeschwerde, zugleich ein Vergleich mit der entsprechenden Regel des allgemeinen Völkerrechts und des Verfassungsbeschwerderechts Marburger Diss. 1972. 4 Siehe dazu F. Cassese, A New Reservations Clause (Article 20 of the United Nations Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination). 5 Darunter sind die Berichte des Menschenrechtskomitees der UN-Pakte und des Internationalen Abkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung zu verstehen, die der Generalversammlung der Vereinten Nationen vorgelegt werden, die diese Berichte zur Kenntnis nimmt, ohne aber in die Substanz der Berichterstattung hineinzuleuchten.

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ger Bestimmungen in verschiedenen menschenrechtliehen Texten zu harmonisieren. 2. Im folgenden geht es um den Versuch, e1mge gleichgeartete Bestimmungen verschiedener internationaler Texte auf dem Gebiete der Menschenrechte unter die Lupe zu nehmen. Es handelt sich um die "Kumulationsverbots-Klausel" ("Non-duplication clause"). Diese findet sich in den nachstehenden Konventionen oder Resolutionen, die sich mit dem Menschenrechtsschutz befassen: -

Art. 27 Abs. 1lit. b EKonv., Art. 46 Z. 1 lit. c IAmKonv., Art. 5 Abs. 2lit. a Optional Protocol zur CCPR, Para 6 lit. b ii ECOSOC Res. 1503 (XLVIII), Para 14 lit. a) x UNESCO-Entscheidung vom 28. April 1978 ex 104. Tagung.

Die bezogenen Texte haben den in der unten stehenden Anmerkung wiedergegebenen Inhalt6• 3. Demgegenüber findet sich in den Texten aber auch eine Klausel, die die Vertragsparteien ausdrücklich ermuntert, andere Verfahren zu nutzen, wenn sie geeignet sind, einen Streitfall zu erledigen. Sie sei Streitschlichtungs-Ermunterun gsklausel settlement-strengthening clause - genannt. Ferner wird ausgeführt, daß die Durchführungse Art. 27 Abs. 1 lit. b EKonv: "Die Kommission befaßt sich nicht mit einem gemäß Art. 25 eingereichten Gesuch, wenn es mit einem schon vorher von der Kommission geprüften Gesuch übereinstimmt oder vor einer anderen internationalen Untersuchungs- oder Ausgleichsinstan74 anhängig ist . . ." Art. 46 Z 1 lit. c IAmKonv: "Admissions by the Commission of a petition or communication lodged in accordance with articles 44 or 45 shall be subject to the following requirements: a) ..., b) ... , c) that the subject of the petition or communication is not pending in another international proceedings for settlement ..." Art. 5 Abs. 2 lit. a Optionat Protocot zur CCPR: "Der Ausschuß befaßt sich mit der Prüfung einer Mitteilung von Einzelpersonen erst, nachdem er festgestellt hat, a) ... , daß dieselbe Angelegenheit nicht bereits Gegenstand eines anderen internationalen Untersuchungs- oder Beilegungsverfahrens ist ... Z 6 lit. b) ii ECOSOC Res. 1503: "The investigation may be undertaken only if ... , ii) The situation does not relate to a matter which is being dealt with under other procedures prescribed in the constituent instruments of, or conventions adopted by, the United Nations and the specialised agencies, or in regional conventions, or which the state concerned wishes to submit to other procedures in accordance with general or special international agreements to which it is a party." Art. 14 lit. a) UNESCO-Entscheidung v. 28. April 1978 ex 104. Tagung: "Communications shall be deemed admissible if they meet the following conditions: ... x) communications relating to matters already settled by the states concerned in accordance with the human rights principles set forth in the Universal Declaration of Human Rights and the International Covenants of Human Rights shall not be considered ..."

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bestimmungen der jeweiligen, im konkreten Fall anzuwendenden Konvention ohne Vorgriff auf andere Menschenrechtsverfahren der UN oder ihrer Spezialorganisationen angewendet werden sollen. Es handelt sich hierbei um die nachstehenden Regeln: -

Art. 44 CCPR, Art. 16 CRD, Art. 12 Abs. 3 des Zusatzprotokolls zur UNESCO-Konvention gegen die Diskriminierung in Erziehungsfragen;

Die bezogenen Texte haben den in der untenstehenden Anmerkung bezogenen lnhalt7. 4. Die beiden Gruppen von Bestimmungen haben unterschiedliche Funktion und unterschiedlichen Anwendungsbereich. Während das Kumulationsverbot vor allem, wenn nicht ausschließlich, im Beschwerdeverfahren des Individuums zur Anwendung gelangen soll, ist die "Streitschlichtungs-Ermunterun gsklausel" darauf ausgerichtet, einem zwischenstaatlichen Konflikt, der durch die Anwendung des einen Instruments nicht gelöst werden kann, durch die Inanspruchnahme eines anderen Instrumentes eine Lösung nicht zu erwehren. Die Funktion des Kumulationsverbotes ist, einem Beschwerdeführer die Möglichkeit zu nehmen, sich wegen derselben Sache, vor allem zugleich, an verschiedene internationale menschenrechtliche Instanzen zu wenden. Die Funktion der "Streitschlichtungs-Ermunteru ngsklausel" ist, die Lösung von zwischenstaatlichen Streitigkeiten durch die Anwendung aller Instrumente zu erleichtern. Dies gilt auch für das europäische menschenrechtliche Verfahren, in dem die unter 2. bezogene Klausel nur auf das Verfahren aufgrund von Individualbeschwerden, nicht aber von Staatenbeschwerden8 Anwendung findet. Die Klauseln sind sehr deutlich auf die unterschiedliche Rechtssubjektivität von Staat und Individuum im Völkerrecht abgestellt: das Individuum soll nicht zur vielfachen Beschwerdeführung in derselben Sache ermuntert werden, der Staat aber soll jedes friedliche Mittel der Streitschlichtung auch kumulativ nützen. 7 Art. 44 CCPR: "Die Bestimmungen über die Durchführung dieses Paktes sind unbeschadet der Verfahren anzuwenden, die auf dem Gebiete der Menschenrechte durch oder aufgrund der Satzungen und Übereinkommen der Vereinten Nationen und der Sonderorganisationen vorgeschrieben sind, und hindern die Vertragsstaaten nicht, in Übereinstimmung mit den zwischen ihnen in Kraft befindlichen allgemeinen oder besonderen internationalen übereinkünften, andere Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten anzuwenden." 8 Art. 16 CRD enthält eine nahezu gleichlautende Bestimmung, ebenso die UNESCO-Konvention gegen die Diskriminierung in Verfahrensfragen. Art. 27 EKonv bezieht sich nur auf die unter Art. 25 eingebrachten Beschwerden, ds. nicht die Staatenbeschwerden.

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5. Die Streitschlichtungs-Ermunterungsklausel wirft keine juristischen Probleme auf. Sie ist als Empfehlung anzusehen, die ein Staat nützen kann oder auch nicht. Es liegt in seiner souveränen Entscheidung, ob er die Empfehlung nützt. Das Kumulationsverbot hat demgegenüber verfahrensrechtlichen Charakter. Die Klausel ist als prozeßrechtliches Instrument in das Verfahren zur Behandlung von Individualbeschwerden entsprechend der EKonv., der IAKonv., dem Optional Protocol eingebraut. Sie findet sich im Communications-Verfahren nach der ECOSOC-Res. 1503 (XLVIII) sowie vor der UNESCO. Hiebei gilt sie für das Tatsachenermittlungsverfahren durch die Menschenrechtskommission der UN und für die Zulässigkeitsbeurteilung gemäß dem CommunicationsVerfahren nach der oben genannten UNESCO-Resolution. Das Kumulationsverbot regelt eine Prozeßvoraussetzung, die dem Sinne nach lautet: eine Beschwerde ist zur weiteren Behandlung nicht anzunehmen, wenn derselbe (Beschwerde)Gegenstand schon bei einer anderen internationalen Untersuchungs- oder Ausgleichsinstanz anhängig ist. Diese Formel steht dem Sinne nach hinter jeder dieser Klauseln, auch wenn deren Wortlaut wortwörtlich nicht derselbe ist. Ist die in diesen Klauseln angesprochene Bedingung gegeben, dann darf eine Beschwerde meritorisch nicht weiter behandelt werden. Der genannte Unzulässigkeitsgrund gilt zwar rechtlich nur für ein bestimmtes Verfahren, wirkt aber auf mögliche andere Verfahren, denn sich möglicherweise kollidierende Verfahren werden schon dann ausgeschlossen, wenn eine Beschwerde in einem Verfahren anhängig ist, für das die genannte Klausel ausdrücklich vorgesehen ist. Die Anwendung der Klausel in internationalen Menschenrechtsschutzverfahren bewirkt damit eine Art Verfahrenskonzentration bei einer einzigen Tatsachen-, Vergleichs- oder Entscheidungsinstanz. Das deutet auch den allerdings untauglichen Versuch zur Harmonisierung von internationalen Verfahren an. 6. Das Kumulationsverbot ist vom zuständigen internationalen Organ ex officio oder auf "Parteienantrag" wahrzunehmen. Verfahrensrechtlich wirft die Anwendung der Klausel folgende Interpretationsfragen auf: a) was heißt "im wesentlichen dieselbe Sache" und b) was bedeutet "ein anderes Untersuchungs- und Ausgleichsverfahren"? c) was heißt "andere internationale Untersuchungs- oder Ausgleichsinstanz"?

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Ad a): "Im wesentlichen dieselbe Sache" kann je nach der Art des Verfahrens bedeuten "der identisch gleiche Sachverhalt", die "identisch gleiche Situation", die identisch gleiche Zurechnungsnorm. Die Klauseln, die das Kumulationsverbot beinhalten, stellen nur darauf, nicht aber auf dieselbe Beschwerde, nicht auf den nämlichen Beschwerdeführer, nicht auf denselben Staat als Beschwerdegegner ab. Die Klauseln des Kumulationsverbotes sind objekt- nicht aber subjektbezogen. Um diese Klausel anwenden zu können, muß das zuständige Organ eine vorläufige Sachverhaltsermittlung vornehmen, damit festgestellt wird, ob der vorliegende Sachverhalt nicht einem anderen internationalen Verfahren unterworfen ist. D. h., die vorläufige Sachverhaltsermittlung muß in eine Art Vorfragenprüfung den Gegenstand eines allfällig anderen Verfahrens ermitteln. Da alle entsprechenden Klauseln den Hinweis enthalten, daß der Gegenstand nicht "anhängig gemacht worden ist", hat sich die ex-officio-Prüfung darauf zu beschränken, eine Erklärung der interessierten Parteien zu verlangen, ob diese Bedingungen erfüllt sind. Derzeit kennt das internationale Organisationsrecht eine Kooperation (Amtshilfe) zwischen internationalen Organisationen noch nicht; das internationale Organ ist auf die Parteienerklärung, auf die offiziöse Information oder die ex officio-Ermittlung angewiesen, die in eine Frage an die Partei münden kann, ob "dieselbe Angelegenheit" einem Verfahren vor einer anderen Untersuchungsoder Ausgleichsinstanz "anhängig gemacht worden ist", "anhängig ist", oder "schon erledigt ist". Die Formel "im wesentlichen dieselbe Sache" weist auf einen Sachverhalt hin. Es kommt auf Fragen personeller, räumlicher, materieller und zeitlicher Art an, die einen Sachverhalt zur "seihen Sache" vor zwei verschiedenen internationalen Organen werden läßt. Dazu kommt aber noch, daß es sich um denselben Anspruch handeln muß. Derselbe Sachverhalt und derselbe "subjektive" Anspruch schließen eine Verfahrenskumulation aus. Nicht aber die Existenz desselben Sachverhalts und derselben Norm. Dieselbe Norm und derselbe Sachverhalt können sehr wohl verschiedenen Verfahren unterworfen werden, ohne sich auszuschließen. Der Sachverhalt A und die Norm AA können in dem einen Verfahren zur Feststellung einer Menschenrechtsverletzung führen, in einem anderen Verfahren zum Begehren finanzieller Unterstützungen. Das schließt sich also nicht aus. Ad b): Die zweite Bedingung betrifft das Verfahrensgebot, daß Tatsachenfeststellung oder ein Ausgleichsverfahren von zwei verschiedenen internationalen Organen nicht zugleich behandelt werden dürfen. Damit wird die genannte Klausel zu einer KompetenzregeL Sie

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soll einen "positiven" Kompetenzkonflikt internationaler Organe ausschließen. 'Zwar wird der Formulierung nach nicht primär auf ein spezifisches Organ abgestellt, sondern auf ein spezifisches Verfahren; ob dieses vor einem UN-Organ, dem IGH, einem Schiedsgericht, einem Organ kraft bilateraler Vereinbarung oder einer regionalen Streitschlichtungsinstanz stattfindet, ist gleichgültig, doch das Verfahren indiziert das Organ. Damit stellt die Klausel keine Verfahrenskonfliktsregel, sondern eine Kompetenzkonfliktsregel dar. Ad c): Der Ausdruck "Andere internationale Untersuchungs- und Ausgleichsinstanz", der dem Sinne nach in den einzelnen Vorschriften gleichartig ist, bezieht sich auf Organe, die kraft Völkerrechtes zur Tatsachenermittlung und zum Ausgleich im menschenrechtliehen Streitverfahren zur Vermittlung oder Streitschlichtung herangezogen werden. Es muß sich dabei um ein menschenrechtliches Verfahren handeln, in dem diese Organe tätig werden. Nach meiner Meinung ist ein menschenrechtliches Verfahren nicht irgendein beliebiges Ausgleichs- und Ermittlungsverfahren, in dem auch menschenrechtliche Fragen eine Rolle spielen, sondern ein Ausgleichs- und Ermittlungsverfahren, das aufgrund menschenrechtlicher Normen des Völkerrechtes stattfindet oder aufgrund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung in der Hauptsache eine menschenrechtliche Frage zum Gegenstand hat. Die Instanzen können Organe internationaler Organisationen sein (UN, Europarat, EG, OAS) oder Organe, die aufgrund besonderer Streitschlichtungsinstrumente eingerichtet sind. Zu den internationalen Organen im Sinne des Völkerrechtes können Non Governmental Organisations (NGOs) nicht gerechnet werden9 • Das, obschon auch sie bemüht sind, internationale Untersuchungen vorzunehmen und deren Ergebnisse zur allgemeinen Information über Menschenrechtsfragen beitragen können. NGOs haben gemäß Völkerrecht den Status von Beratungseinrichtungen. Hier ragen die Internationale Juristenkommission und Amnesty International hervor. Sie gehen immer wieder mit eigenen Untersuchungen behaupteten Menschenrechtsverletzungen nach, sie werden mitunter auch vermittelnd tätig. Nur wenn NGOs durch ein staatliches Mandat oder durch völkerrechtlichen Auftrag mit einer internationalen Untersuchungs- und Vermittlungsaufgabe betraut werden, rücken sie in den Rang einer internationalen Organisation, andernfalls mögen sie wohl Streitschlichtungselemente in den internationalen Beziehungen sein, aber ohne mit völkerrechtlich relevanter Autorität ausgestattet zu sein. Anders ist es mit dem internationalen Komitee vom Roten Kreuz. Es wird im humanitären Völkerrecht ausdrücklich als eine internationale Organisation 9

Art. 41 CCPR handelt von der Möglichkeit der Staatenbeschwerde.

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anerkannt, ohne seiner Struktur nach eine solche zu sein. Es überwiegt das funktionelle Kriterium, um dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz einen besonderen internationalen Status zu geben. Die Klausel über das Kumulationsverbot stellt demnach auf Einrichtungen ab, die kraft Völkerrechtes ausdrücklich als internationale Organisationen anerkannt oder kraft ihrer Funktion als solche vorausgesetzt sind. NGOs werden daher von dem Kumulationsverbot nicht erfaßt. 7. Die praktisch wichtigsten Anwendungsfälle der Klausel über das Kumulationsverbot können sich auf -

das Verhältnis von Beschwerdefällen aufgrund der EKonv. 10 oder der IAKonv. und aufgrunddes "Optional protocols" oder aufgrundder EKonv. und eines Verfahrens aufgrundder ECOSOC Res. 1503 (XLVIII) 11 oder einer Staatenbeschwerde nach der EKonv. und einem Verfahren aufgrundder ECOSOC Res. 1503 (XLVIII) 11 oder aller dieser und einer Beschwerde nach der CDR12 und der CCPR (Art. 41) oder aller dieser und einer Tatsachenermittlung vor einem anderen UN-Organ.

Es könnten schließlich auch Konkurrenzen mit diesen Verfahren und Verfahren nach den Genfer Konventionen entstehen, die vom Kumulationsverbot betroffen sind; Verfahrenskonkurrenz kann in allen diesen Fällen aber nur auftreten, wenn die belangte Regierung die Kompetenz zur Individualbeschwerde nach der EKonv., der CDR, dem Optional Protocol, der IAmKonv. anerkannt hat. Die Anerkennung der Individualbeschwerde und die Anerkennung der Staatenbeschwerde sind die Richtpunkte für die Beurteilung einer Zuständigkeitskonkurrenz. Es soll damit die kumulative Beschwerdeführung vor der EKom. und dem Human Rights Committee, der IAKom. und dem Human Rights Committee, der EKom. und dem Investigation Committee nach der ECOSOC Res. 1503 bzw. der oben genannten UNESCO Res. ausgeschlossen werden. Es soll aber auch ein Verfahren nach der Res. 1503 und jedes andere UntersuchungsausDie Möglichkeit der Staatenbeschwerde wird im Art. 11 gegeben. Die Tatsachenermittlung vor einem anderen UN-Organ findet vor allem im Bereiche massiver Menschenrechtsverletzungen statt, wie sie in bezug auf das Verhalten Israels in den arabischen Gebieten, Chile und die Republik Südafrika behauptet werden. 12 Das setzt allerdings voraus, daß sich die Vertragspartner der Genfer Konventionen im Konfliktsfalle bereit finden, Vermittlungsinstanzen, vor allem das Internationale Komitee vom Roten Kreuz einzusetzen und mit einer Streitvermittlung zu betrauen. 10

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13 Festschrift für Stephan verosta

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gleichsverfahren ausgeschlossen werden. Oder anders ausgedrückt: eine kumulative Tatsachenermittlung und Streitschlichtung durch irgendein anderes internationales Organ schließt ein 1503-Verfahren (=Tatsachenermittlung) aus 13 • Es kommt bei diesem Ausschluß nicht auf die potentielle Beschwerdeführung, Untersuchung und Streitschlichtung an, sondern auf den konkreten Beschwerdefall, der noch nicht abgeschlossen ist. Ein zeitliches Element ist dabei noch zu berücksichtigen: die Anwendung des Kumulationsverbots richtet sich nach dem bereits anhängigen Verfahren. Dieses hat den Vorrang gegenüber dem potentiellen anderen Verfahren, das allenfalls angestrebt wird. Die belangte Regierung könnte die Einrede des Vorranges eines schon eingeleiteten Verfahrens geltend machen; in diesem Fall hätte das zuständige internationale Organ die Klausel über das Kumulationsverbot anzuwenden. 8. Das Zeitelement des Kumulationsverbotes hat aber noch andere Aspekte. Sie sind vor allem hinsichtlich der EKonv. und der IAmKonv. einerseits und dem UN-Fakultativprotokoll andererseits, oder, wie einzelne Autoren dies ausgesprochen haben, hinsichtlich "Straßburg und New York" und "St. Jose und New York" und vice versa untersucht worden. Die Untersuchungen stammen von M. A. Eissen 14 und Tardu 15 , auf ihnen aufbauend F. Meissner 16 • Die internationalen Vorschriften über das Verfahren in Menschenrechtssachen, die ein Kumulationsverbot aussprechen, lassen durch ihre Wortwahl erkennen, daß die EKonv. das Verbot für die Behandlung von Sachen ausspricht, die "already submitted to another procedure ... " wurden. Die IAmKonv. enthält ein sinngleiches Verbot mit den Worten, "is not pending", das Fakultativprotokoll zur CCPR enthält die Aussage, daß eine Angelegenheit "nicht bereits Gegenstand eines anderen Verfahrens ist". Das gilt auch für das Verfahren nach der ECOSOC Res. 1503 (XLVIII), wozu noch kommt, daß man auch auf den Willen eines Staates abgestellt, der künftighin ein anderes Verfahren wählt. Die UNESCO-Ent13 Über die NGOs siehe Ermacora, Menschenrechte in der sich wandelnden Welt, 1. Band, 1974, S. 574 f. 14 Die Resolution 1503 ist darauf bedacht, daß das von ihr angeordnete Verfahren nicht stattfindet, wenn dieselbe Angelegenheit einem anderen Verfahren unterworfen ist. 15 M. A. Eissen, Droits de l'Homme, Coexistence des divers instruments, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 30 (1970), S. 249 ff.; derselbe, The European Convention on Human Rights and the United Covenant on Civil and Political Rights: Problems of Coexistence, in: Buffalo Law Review 22 (1972), S. 181 ff. 18 Quelques questions relatives a la coexistence des procedures universelles et regionales de plainte individuelle dans le domaine des droits de l'Homme, in: Human Rights Journal IV (1971), S. 589 ff. 17 F. Meissner, Die Menschenrechtsbeschwerde vor den Vereinten Nationen, Bd. 24, Völkerrecht und Außenpolitik, 1976.

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schließung stell auf das Verbot ab, abgeschlossene Verfahren nicht wieder aufzurollen. Alle diese nicht ganz gleichlautenden Formulierungen haben die Frage aufgeworfen, ob das Kumulationsverbot nicht nur für ein bestimmtes Stadium in der Behandlung der Angelegenheit gilt, dem sich dann ebenfalls ein Duplikationsverbot anschließt, das mit dem Satze "ne bis in idem" gekennzeichnet werden kann oder ob das Duplikationsverbot nicht überhaupt den menschenrechtliehen Schutzverfahren immanent ist. Man wird die Frage ungeachtet der verschiedenen Ausdrücke in den Texten, ungeachtet der unterschiedlichen Rechtsquellen, auf denen sich die Verfahren gründen, zunächst vor einem sehr allgemeinen Standpunkt her beantworten können: Vom Standpunkt der "Einheit des rechtlichen Weltbildes", der vor vielen Jahren von Verdross in der wissenschaftlichen Völkerrechtsdiskussion vertreten wurde17 und Vorstellungen der Wiener Schule entspricht, ist das Kumulationsverbot zugleich auch ein Duplikationsverbot in dem Sinne, daß ein international abgeschlossenes Verfahren nicht vor einer anderen internationalen Organisation wiederum aufgerollt werden darf. Ein anderer Standpunkt bezieht sich auf das Verhältnis von regionalen internationalen Organisationen und der universellen internationalen Organisation. Die Tatsache, daß in der Lehre die These vertreten wird, daß nach einem abgeschlossenen Beschwerdeverfahren vor den beiden derzeit bestehenden regionalen Instanzen (EKonv. und IAmKonv.) dieselbe Sache vor das Menschenrechtskomitee gemäß der CCPR gebracht werden darf, weil das Kumulationsverbot eine res judicata clausel nicht kennt18, kann so begründet werden, daß der regionale Menschenrechtsschutz durch den universellen Menschenrechtsschutz der UN harmonisiert werden kann19 und regionale und universelle Organe instanzenmäßig in einem Verhältnis von Über- und Unterordnung zu sehen sind. 9. Praktisch betrifft - außer dem 1503-Verfahren - nach dem gegegenwärtigen Stand der Rechtslage das Problem nur wenige Staaten. Und zwar nur solche- und diese nur potentiell-, die die Individualbeschwerde vor regionalen und universellen Menschenrechtsinstanzen anerkannt haben. Das gilt für Verfahren nach der EKonv., der IAmKonv., nach dem Optional Protocol jeweils wechselseitig. Für Verfahren 18 19

Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, 1923. M. A. Eissen, in Anm. 15 (zweitgenannter Aufsatz), S. 199 f., Tardu,

s. 602 ff.

20 Tatsächlich sieht Art. 33 der UN-Charta die regionalen Vereinbarungen als Mittel der Konfliktlösung vor; auch die Menschenrechtskommission der UN hat wiederholt auf die Harmonisierung des Verhältnisses von regionalem und universellem Menschenrechtsschutz hingewiesen.

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nach der Res. 1503 gilt dasselbe mit dem Unterschied, daß Staaten einem solchen Verfahren nicht unterworfen werden dürfen, wenn dieselbe Angelegenheit irgendeinem der genannten konventionellen aber auch nichtkonvention ellen Verfahren unterzogen ist. Andererseits schließen Verfahren nach 1503 Verfahren aufgrund der genannten Konventionsnormen aus. Zur ersten Gruppe der betroffenen Staaten gehören Kanada24, Costa Rica24, Dänemark25, Ecuador24 , Norwegen23, Surinam24, Uruguay24 • Zur zweiten Gruppe von Staaten, auf die sich das Kumulationsverbot hinsichtlich einer Staatenbeschwe rde beziehen könnte, die zugleich eine "situation" im Sinne der Res. 1503 im Auge hat, gehören alle Staaten des Europarats, die Mitgliedsstaate n der EKonv. sind und jene Staaten der IAmKonv., die die Staatenbeschwe rde anerkannt haben. Gemessen an der Mitgliedszahl der UN (gegenwärtig 154) ist die Zahl jener Staaten, die die Klausel über das Kumulationsve rbot für sich geltend machen könnten, gering. Allerdings kann das Kumulationsverbot auch von allen Staaten dann geltend gemacht werden, die einem 23 Nachdem Erwähnung getan wird, daß sich noch nicht mit Sicherheit sagen lasse, inwieweit Beschwerdeführe r, die in Straßburg abgewiesen wor~ den sind, den Versuch machen könnten, nach New York zu gehen, heißt es in der Stellungnahme: "Die Kollisionsnorm des Artikels 5 Abs. 2 Buchst. a des Protokolls, wonach der Ausschuß Mitteilungen von Einzelpersonen nur prüft, wenn er sich vergewissert hat, daß dieselbe Sache nicht bereits von einer anderen internationalen Untersuchungs- oder Ausgleichsinstan z geprüft wird, ist ihrem Wortlaut nach nicht ausreichend. Sie beugt wohl einem Nebeneinander, nicht aber einem Nacheinander der Beschwerdewege Straßburg/New York vor. Umgekehrt laufen Beschwerdeführe r, die zuerst den VN-Ausschuß anrufen, Gefahr, sich den Weg der MRK zu verbauen, und damit auf den - wesentlich weitergehenden - Schutz verzichten zu müssen, da Artikel 27 Abs. 1 Buchst. b MRK ein Tätigwerden der Menschenrechtsk ommission ausschließt, wenn das Gesuch eines Beschwerdeführe rs bereits einer anderen internationalen Untersuchungs- oder Ausgleichsinstan z unterbreitet worden ist. Schließlich ist für den einzelnen Beschwerdeführe r in der Bundesrepublik der Gang nach Straßburg technisch und finanziell einfacher durchzuführen, als ein entsprechendes Verfahren in New York. Ob der Vorschlag des Europarats (CM, Del./Concl. [70] 189), bei Ratifizierung des Protokolls eine entsprechende Interpretations- oder Vorbehaltserklärung abzugeben, die eine Überschneidung oder Überlagerung der beiden Verfahrenswege ausschließen oder wenigstens erheblich einschränken soll, zum Erfolg führen kann, ist noch nicht zu überblicken. Es soll daher zunächst abgewartet werden, in welchem Umfang andere Vertragsstaaten der MRK dem Fakultativprotok oll zum Pakt beitreten, und wie sich die Rechtsprechung des VN-Ausschusses im Verhältnis zu dem bewährten Verfahren und der weitgehend ausgebildeten Praxis der Europäischen Menschenrechtsk ommission entwickelt. Erst dann wird sich die Problematik des Nebeneinanderbe steheus beider Verfahrenswege und damit die Frage einer Beteiligung der Bundesrepublik an dem Protokoll abschließend beurteilen lassen." 24 Diese Staaten gehören zugleich der IAmKonv an. ! 5 Diese Staaten gehören zugleich der EKonv an und haben die Individualbeschwerde anerkannt.

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sonstigen Untersuchungs- oder Vergleichsverfahren unterworfen sind, wenn zugleich auch ein Verfahren nach 1503 angestrengt wird. 10. Die gegenwärtige Menschenrechtspraxis kennt lediglich 4 Beispiele, wo die genannte Klausel vage angesprochen wurde: Griechenland (1968) 26, Israel (1976) 27, Chile (1977) 26 und Großbritannien (1977} 20 • Im Falle Griechenland wurde in der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen der Versuch, eine besondere Untersuchung gegen behauptete Menschenrechtsverletzungen durch das im Jahre 1967 eingerichtete Militärregime im Rahmen der UN einzuleiten, mit dem Hinweis abgeblockt, daß ein Ermittlungsverfahren schon vor den Europäischen Rechtsschutzinstanzen des Europarates stattfinde. Der Fall Israel ist im Verfahren nach der ECOSOC Res. 1503 nicht weiter behandelt worden, weil man feststellte, daß die Praxis Israels in den von Israel besetzten arabischen Gebieten durch ein Spezialkomitee der Generalversammlung behandelt werde. Die Menschenrechtssituation in Chile ist vor der Menschenrechtskommission der UN im Verfahren nach der ECOSOC Res. 1503 nicht weiter behandelt worden, weil zur Behandlung dieser Frage ein Untersuchungsorgan durch die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen eingesetzt worden war. Allerdings hat die Befassung mit der Chile-Frage durch die Interamerikanische Menschenrechtskommission, die den Bedingungen der Duplizitätsklausel entsprochen hätte, nicht genügt, die Befassung mit der Menschenrechtssituation in Chile durch die Organe der UN zu verhindern. Endlich ist die Behandlung des Nordirlandproblems im Verfahren nach der ECOSOC Res. 1503 unterblieben, da im selben Zeitraum die Menschenrechtsschutzorgane des Europarates eine substantielle Untersuchung und Vermittlung in der Frage vorgenommen haben. Ein genauerer Einblick in diese Fälle zeigt aber, daß das Kumulationsverbot als ein politisches, nicht aber juristisches Argument vorgebracht wurde, ohne daß es zu einer ernsthaften Prüfung der Anwendbarkeit oder Nicht-Anwendbarkeit dieser Klausel gekommen wäre. Alles in allem ist - vom Juristischen her gesehen - die Klausel noch nicht angewendet worden. Man hat den Eindruck, daß die Klausel wohl ein Instrument menschenrechtliehen völkerrechtlichen Verfahrens ist, sein Gebrauch jedoch die Wirksamkeit dieser Klausel noch nicht genügend unter Be-. weis gestellt hat. Erst wenn die menschenrechtliehen Verfahren weltweit harmonisierter und universeller zur Anwendung gelangen und weniger von machtpolitischen Überlegungen gestört würden, wäre die 28 Siehe die weiterführenden Hinweise im Bericht der UN-Menschenrechtskommission von ihrer 24. Tagung in UN Doc. E/4475, para 145 ff., 151 und vor allem 160. 27 Siehe die Hinweise in UN Doc. E/5635, para 46 ff., die betreffenden Aussagen finden sich in Dokumenten, die nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind.

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Kumulationsverbots-Klausel ein vollwertiges verfahrensrechtliches Mittel, um prozeßgestaltend angewendet zu werden 30 . Noch fehlt es in jedem Fall an der entsprechenden Harmonisierung. Diese allgemeinen Überlegungen könnten bei der Interpretation der einschlägigen Texte mitgedacht werden. Die beiden Hauptträger der wissenschaftlichen Lehre zu diesen Fragen - Eissen und Tardu entfalten ihre These aber ohne Bedachtnahme auf solche gründenden überlegungen. Sie interpretieren die Vorschriften entsprechend ihren Worten unter Berücksichtigung der Analyse der einschlägigen Materialien. Dabei kommen sie zu dem Schluß, daß der Weg von "New York nach Straßburg" praktisch kaum begehbar ist, der Weg von "Straßburg nach New York" aber unter keiner Verbotsnorm stehe. Tardu untersucht auch den Weg von "St. Jose nach New York" und umgekehrt; er kommt zu einer gleichartigen Auffassung, wie er sie bei der Analyse des Verhältnisses der Beschwerdeführung aufgrundder EKonv. und des Fakultativprotokolls entwickelt hat. Aufgrund der Wortinterpretation der einschlägigen Texte ist zumindest eine Unsicherheit in der Rechtslage nicht zu übersehen. Diese Unsicherheit kann aber durch einen staatlichen Willensakt gelöst werden. Diesen Willensakt empfiehlt für die Mitgliedsstaaten des Europarates das Ministerkomitee des Europarates. Das Ministerkomitee des Europarates erklärte in einer Entscheidung vom Mai 1970 unter anderem22: "In order to prevent the possibility of successive applications to the European Commission and the UN-Committee, member-states of the Council of Europe which sign or ratify the Optional Protocol might wish to make a declaration at the moment of signing or ratifying, whose effect would be that the competence of the UN-Human Rights Committee would not extent to receiving and considering individual complaints relating to cases which are being or already have been examined under the procedure provided for by the European Convention ... ". Die Mehrheit der Europaratsstaaten, die alle Mitglieder der EKonv. sind, hat das Fakultativprotokoll aus dem Grunde der eben angeführten Unsicherheit der Rechtslage nicht unterzeichnet oder ratifiziert. Als besonderes Beispiel sei auf die Meinung der deutschen Bundesregierung in den Ausführungen zur Ratifizierung der Pakte in Drucksache 304/73 vom 13. 4. 1973 hingewiesen23 . Die Unsicherheiten So Eissen, S. 196 f. Eur. Consult. Ass. 22nd Session, Doc. No. 2795 at 22-23, 4 Docs. (1970/71). 28 Siehe die Hinweise in UN-Doc. E/5927, para 83 und Anm. 18. 29 Siehe Anm. 19 und 18. 30 über die Überlegungen zur Harmonisierung der Menschenrechtsverfahren im Schoße der UN berichtet Tardu, a.a.O., S. 591; Meissner, S. 56 ff. bietet gleichfalls Lösungsvorschläge an. 21

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könnten aber auch durch die Spruchpraxis der zuständigen Organe behoben werden. Aber so eine Spruchpraxis hat sich - mangels Anlaßfall- noch nicht herangebildet.

DIE EUROPÄISCHE MENSCHENRECHTSKONVENTION IN DER NEUEREN RECHTSPRECHUNG DES VERFASSUNGSGERICHTSHOFS Von Hans-Ernst Folz In seinem gesamten Schaffen hat der Jubilar den Möglichkeiten des Völkerrechts, die Grund- und Menschenrechte zu schützen, stets besonderes Interesse entgegengebracht. Es sei ihm daher (auch) ein Beitrag zu dieser Thematik dargeboten. Im folgenden soll über die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur Menschenrechtskonvention während des derzeitigen Jahrzehnts berichtet werden.* Obwohl sich in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) seit dem Ende der sechzigerund dem Beginn der siebziger Jahre einige bedeutende Richtungsänderungen ergeben haben, würde dieser zeitliche Aspekt allein nicht unbedingt eine Zäsur für die Zusammenfassung dieser Rechtsprechung darstellen. Der Hauptgrund, diesen Bericht auf die Zeitspanne des laufenden Jahrzehnts zu begrenzen, liegt darin, daß für die vorausgegangenen zehn Jahre der Rechtsprechung des VfGH zur EMRK bereits Schantl und Welan ihre grundlegende und dogmatisch fundierte Studie veröffentlicht haben, die sich allerdings schwerpunktartig auf die Kommentierung der Artikel 5, 6 und 8 der EMRK konzen triertt. Wenn auch hier für das zweite Jahrzehnt der Judikatur zur EMRK nur ein bescheideneres Konzept verwirklicht werden kann, so soll doch versucht werden, an Hand der wichtigen Entscheidungen des VfGH - also nicht auch des Verwaltungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes2 - den diesbezüglichen Einfluß des Völkerrechts,

* Herrn Univ.-Doz. DDDr. Waldemar Hummer gebührt herzlicher Dank für seine Unterstützung bei der Aufbereitung des Materials. 1 G. SchantZ IM. Welan, Betrachtungen über die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zur Menschenrechtskonvention (Slg. 1968), ÖJZ 1970, S. 617 ff., 647 ff.; siehe ferner den in Fn. 104 genannten Beitrag von Drzemczewski, S. 8 ff., sowie I. Seidl-Hohenveldern, Chronique de Jurisprudence Autrichienne, Clunet 106 (1979), S. 144 ff. 1 Obgleich die Bundesverfassung keine Verfassungsbeschwerde an den VfGH gegen gerichtliche Urteile kennt, so beeinflussen die Grundrechte auch die Bereiche des Straf- und Zivilrechts, hinsichtlich derer die EMRK bei der

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d. h. die Entwicklung der durch die Konvention gewährleisteten Rechte und Grundfreiheiten in der innerstaatlichen Rechtsordnung nachzuzeichnen und abschließend kurz zu würdigen. Die diese Entwicklung tragende Rechtsprechung betrifft inzwischen nahezu alle Rechtsverbürgungen der Konvention.

I. Menschenrechtserkenntnisse der siebziger Jahre 1. Allgemeines

Unter den allgemeinen Aussagen zur EMRK verdient zunächst der neuerliche Hinweis 3 Beachtung, daß die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBL 210/1958) in der Republik Österreich gemäß dem BVG (BGBL 59/1964)- das Bestimmungen des Bundes-Verfassungsg esetzes i. d. F. von 1929 über Staatsverträge abgeändert und ergänzt hat- im Verfassungsrang steht, und zwar seit dem Tage der Zugehörigkeit der Konvention zur Österreichischen Rechtsordnung, d. h. seit dem 3. September 1958 4 • Des weiteren hat der VfGH seine Aussage erneuert5, daß zur Klärung von Zweifelsfragen der VfGH von den authentischen Texten der EMRK - somit von den im BGBL kundgemachten Texten in englischer und französischer Sprache6 - auszugehen hat7• Ebenso erneuerte der VfGH die von ihm bereits mehrfach ausgesprochene Rechtsansicht 8 , daß der Vorbehalt der Republik Österreich zu Art. 5 EMRK hinsichtlich der Verwaltungsverfahre nsgesetze (BGBl. 172/1950) bezüglich dieser Verfahren auch die Anwendung des Art. 6 EMRK ausschließe9 • 2. Art. 2 EMRK (Recht auf Leben)

Die wohl wichtigste Entscheidung des Berichtszeitraumes ist das "Fristenlösungserken ntnis". In Zusammenhang mit Art. 2 (1) EMRK -"Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt" - hatte sich der VfGH mit den verfassungsrechtliche n Fragen des Auslegung immer heranzuziehen ist. Vgl. OGH 8. 7. 1970, 12 Os 138, 139/70 und I. Seidl-Hohenveldern, S. 145 f. sowie auch 148 ff. a So bereits in Slg. 5100/1965. 4 Slg. 7400/1974. 6 So schon Slg. 5100/1965 und 6275/1970. e Siehe Schlußklausel der EMRK 1 Slg. 740011974. 8 Slg. 5021/1965 und 7210/1973. 8 Erk. B 111/1975, vom 14. 6. 1976 (Slg. 6814/1976).

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Schwangerschaftsabbruches, d. h. mit der Verfassungsmäßigkeit der "Fristenlösung" zu befassen. Gemäß § 97 Abs. 1 Ziff. 1 des Strafgesetzbuches 1974 (BGBL 60/1974) ist eine Abtreibung dann nicht strafbar, "wenn der Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft nach vorhergehender ärztlicher Beratung von einem Arzt vorgenommen wird". Die Salzburger Landesregierung stellte bekanntlich am 15. 3. 1974 gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG und § 62 VerfGG 1953 den Antrag,§ 97 Abs. 1 Ziff. 1 StGB wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben, wobei sie dies zum einen mit der Verletzung des Grund- und Freiheitsrechtes auf Leben (Art. 63 (1) Staatsvertrag von St. Germain 1919; Art. 2 (1) EMRK) und zum anderen mit Verstößen gegen die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 1, 7 (1) B-VG; Art. 2 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger 1867) sowie gegen die Rechte auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) und auf Verehelichung und Familiengründung (Art. 12 EMRK) rechtfertigte. Die Beschwerdeführerin machte geltend, auch dem "nasciturus" stehe das Grund- und Freiheitsrecht auf Leben zu, so daß § 97 Abs. 1 'Ziff. 1 StGB 1974 deshalb verfassungswidrig sei, weil er dem Noch-Ungeborenen das Grund- und Freiheitsrecht auf Leben "dadurch nimmt, daß er in Abweichung von der geltenden Rechtslage den Schutz vor Tötung behebt". Die Verletzung des Grundrechtes der Gleichheit vor dem Gesetz sah die beschwerdeführende Landesregierung sowohl unter dem Gesichtspunkt der "Verletzung des Grundrechtes auf Gleichheit als wesentlicher Teil des demokratischen Prinzips", wie auch unter dem der "Verletzung des Grundrechtes auf Gleichheit vor dem Gesetz nach nicht auf völkerrechtliche Verträge gegründetem Verfassungsrecht" als gegeben an. Das Gebot der Achtung des Privat- und Familienlebens erschien der Salzburger Landesregierung im Falle einer Abtreibung - als willkürlicher Tötung durch einen Elternteil allein sogar ohne Anhörung des anderen Elternteils - deswegen verletzt, weil der Anspruch des Ehemannes auf Achtung des Familienlebens durch eine einseitige Maßnahme der Ehefrau vernichtet werden könne und damit beide Geschlechter in der Ehe ungleich gestellt würden. Auch sei der Ehemann um sein Recht auf Familienleben gebracht, wenn es in die Willkür der Frau gestellt werde, seine Nachkommenschaft zur Welt zu bringen oder nicht1°. Im Ausgangspunkt hat der VfGH erwogen, im Grundrechtskatalog des "nicht auf völkerrechtliche Verträge gegründeten Verfassungs10

Vgl. G. Stadler, Urteilsbesprechung, in: EuGRZ 1975, S. 74 f.

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rechts" könne auch ein eventuell interpretativ erschlossenes "Recht auf Leben" nur den klassisch liberalen Inhalt haben, den Einzelnen vor einem Eingriff des Staates in sein Leben zu schützen. Für ein Recht auf Leben, das gegenüber Eingriffen von nicht-staatlicher Seite einen Schutz gewährt, sieht der VfGH demnach keinen Ansatzpunkt in den Grundrechtsbestimmungen ausschließlich nationaler Provenienz. Aber auch in den "verfassungsrechtlichen Bestimmungen, denen völkerrechliehe Verträge zugrundeliegen" sieht der VfGH kein entsprechendes Menschenrecht, d. h. keinen grundrechtliehen Schutz des werdenden Lebens verbürgt: Art. 63 Abs. 1 des Staatsvertrages von St. Germain (StGBl. 303/1920) beziehe sich expressis verbis auf alle "Einwohner" (habitants) Österreichs, worunter wohl nur bereits geborene Menschen zu verstehen seien; außerdem gehe diese Bestimmung nach ihrem Wortlaut, ihrer systematischen Stellung und ihrem Zweck über den Schutz von Minderheiten nicht hinaus. Art. 2 EMRK hingegen enthalte keine Begriffsbestimmung des durch ihn geschützten Lebens; insbesondere sei nicht normiert, ab welchem Zeitpunkt dieses Lebens beginne. Der VfGH verweist in diesem Zusammenhang auf die außerordentliche Spannweite des internationalen Schrifttums zu dieser Frage, in dem schlechthin jede nur denkbare Meinung vertreten werde. Allerdings könne sich das nach Art. 2 EMRK jeder Person (everyone; toute personne) gewährleistete Recht auf Leben nur auf das dem Menschen eigene Leben beziehen, wobei der Personenbegriff der EMRK unabhängig von dem der einzelnen nationalen Rechtsordnungen sei. Eine Betrachtung des gesamten Textes des Art. 2 EMRK in seinem Zusammenhang spreche jedoch nicht dafür, daß mit dieser Bestimmung auch das keimende Leben erfaßt werde. Beziehe sich aber die Regelung des Art. 2 EMRK nicht auf das keimende Leben, so könne der einen Fall der Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruches normierende § 97 Abs. 1 Ziff. 1 StGB nicht gegen Art. 2 EMRK verstoßen. Darüber hinaus macht der VfGH darauf aufmerksam, daß zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der EMRK durch Österreich und der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde in der Österreichischen Rechtsordnung eine Regelung bestand, gemäß der ein Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Voraussetzungen nicht strafbar war (Indikationenlösung der §§ 344 Abs. 2, 357 a und 499 b StG), daß sich aber die Republik nicht veranlaßt gesehen hat, im Sinne des Art. 64 EMRK einen Vorbehalt anzubringen. Es müsse daher angenommen werden, daß ein solcher Vorbehalt zur Hintanhaltung einer Konventionswidrigkeit gemacht worden wäre, wenn Österreich das in Art. 2 MRK normierte Recht auf Leben auch auf den "nasciturus" bezogen hätte und wenn man weiterhin davon ausgegangen wäre, daß der von Art. 2 EMRK

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verbürgte Schutz des Rechtes auf Leben nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber Dritten gewährt sei. Hinsichtlich Art. 8 EMRK stellt der VfGH fest, daß diese Bestimmung zwar die Erlassung von Strafbestimmungen zum Schutze des Anspruches auf Achtung des Familienlebens nicht ausschließe, aber keine Verpflichtung des Gesetzgebers enthalte, eine Mißachtung des Familienlebens unter Strafe zu stellen 11 • Es könne daher eine Bestimmung wie die des § 97 Abs. 1 Ziff. 1 StGB, die eine Ausnahme von der in Art. 96 StGB normierten Strafdrohung vorsieht, nicht gegen Art. 8 EMRK verstoßen. Sclüießlich setzt sich der VfGH mit Art. 12 EMRK auseinander. Art. 12 gewährlesitet ein Recht der Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter auf Eheschließung und Familiengründung, wobei es sich grundsätzlich um zwei unterschiedliche - wenngleich eng verbundene Rechte handelt, von denen das Recht auf Familiengründung neben dem Recht auf Eheschließung akzessorische Bedeutung hat. Das Recht auf Eheschließung ist nach Auffassung des VfGH mit der Heirat jedenfalls für die Dauer einer Ehe - konsumiert. Deshalb könne das Recht auf Familiengründung nur in dem Recht eines Ehepaares bestehen, Kinder zu haben12 ; beide Rechte hätten aber keine über den Gründungsakt hinausgehende Bedeutung, und es besteht auch hier kein Gebot an den Gesetzgeber, Strafbestimmungen zu erlassen. Der (allein) in Rechtskraft erwachsene Spruch13 des VfGH lautet: "Dem Antrag der Salzburger Landesregierung, § 97 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes vom 23. 1. 1974, BGBl. Nr. 60, über die mit gerichtlicher Strafe bedrohten Handlungen (Strafgesetzbuch-StGB) wegen Verfassungswidrigkeit aufzuheben, wird keine Folge gegeben." Dieses Judikat zu einer sittlich-moralisch so umstrittenen Problematik hat im wissenschaftlichen Schrifttum sowohl Zustimmung 14 als auch Ablehnung 15 gefunden, wobei sich letztere Autoren in ihrem negativen 11 Der VfGH verneint damit konsequent die Forderung, daß die Grundrechte nicht nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind (status negativus), sondern im Zuge der Entwicklung zum Leistungs- und Daseinsvorsorgestaat auch eine grundrechtliche Verbürgung der Teilhabe an staatlichen Leistungen gewährleisten (status positivus). Aus den Art. 8 und 12 EMRK ergebe sich daher keine Pflicht des Staates zur Erlassung von Strafnormen zum Schutz des Lebens des "nasciturus"; siehe W. Rosenzweig, Bedeutung der Grundrechte in Österreich, in: EuGRZ 1978, S. 471; vgl. auch die Bemerkungen bei Fn. 70. 12 Siehe dazu auch den Text bei Fn. 80. 13 Slg. 5872/19. 14 Vgl. insbesondere W. Rosenzweig, Drei Verfassungsgerichte zur Fristenlösung, in: FS Broda, 1976, S. 244 ff. 15 Vgl. u. a. W. Waldstein, Rechtserkenntnis und Rechtsprechung, JBl. 1976, S. 505 ff., 574 ff.; D. Grimm, Die Fristenlösungsurteile in Österreich und

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Votum zum einen von rechtsdogmatischen, -politischen und -soziologischen Überlegungen16, zum anderen von verfassungsvergleichenden Erwägungen leiten lassen, und dies insbesondere im Hinblick auf den anders entschiedenen Verfassungsprozeß über die Fristenlösung in der Bundesrepublik Deutschland. Insoweit wurde darzutun versucht, daß der entgegengesetzte Ausgang der Fristenlösungsurteile in Österreich und der Bundesrepublik seinen Grund letztlich nicht in unterschiedlichen Verfassungslagen oder Gerichtskompetenzen, sondern in unterschiedlichen Grundrechtstheorien habe, hinter denen wiederum divergente Auffassungen von Funktion und Methode (höchst-)richterlicher Rechtsanwendung stünden17• Die entgegengesetzten Ergebnisse dürften allerdings nicht ausschließlich in dieser Weise zu erklären sein. Das BVerfG kann zunächst davon ausgehen, daß es (schon) nach nationalem Verfassungsrecht einen eindeutigen grundrechtliehen Schutz auch des werdenden Lebens gibt (Begriff des Lebens i. S. des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG). Im Unterschied zum VfGH führt das BVerfG dann weiter aus, daß die Grundrechtsnormen nicht nur subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat enthalten, sondern zugleich eine objektive Wertordnung verkörpern, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt. Die Schutzpflicht, die aus dem objektiven Gehalt der Grundrechtsnorm folge, gebiete dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor das Leben zu stellen, d. h. es auch vor rechtswidrigen Eingriffen vonseitenanderer zu bewahren18• Das BVerfG erkennt im Rahmen des Grundrechtsschutzes somit auch einen zu sichernden positiven und aktiven Status des Normunterworfenen an, eine Auslegung, der der VfGH nicht zu folgen vermag19, da er ja allenfalls ein Verbot für den Staat, Eingriffe in werdendes Leben anzuordnen oder selbst vorzunehmen, als gegeben ansieht ("status negaDeutschland und die Grundrechtstheorie, in: JBl. 1976, S. 74 ff.; P. Pernthaler, Urteilsbesprechung zu Slg. 7400/1974, JBl. 1975, S. 316 ff.; H. Schambeck, Die Grundrechte im demokratischen Verfassungsstaat, in: FS Messner, 1976, S. 480 ff.; Lang-Hinrichsen, Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch, Farn. RZ 1974, S. 500 ff. 18 ". • • andere der Auffassung des VfGH entgegenstehende Darlegungen werden überhaupt nicht erwähnt", Pernthaler, S. 317; offenbar, weil sie den "moralisch-politischen Anschauungen der Mehrheit des VfGH nicht entsprechen", Waldstein, S. 578. Waldstein behauptet auch, daß der Auslegung des Art. 2 EMRK durch den VfGH offenbar die Maxime zugrundeliege: "im Zweifel gegen den Schutz der MRK", S. 579. Siehe dazu die Bemerkungen bei Fn. 98 ff. 11 Siehe Grimm, S. 74 ff. 18 Urteil des BVerfG vom 25. 2. 1975, BVerfG E 39,1 (41 f.); vgl. auch NJW 1975, S. 573 ff.; siehe auch die Bemerkungen bei Fn. 100. 19 Siehe dazu Fn. 11 und die Ausführungen bei Fn. 98 ff.

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tivus"). Für das BVerfG erschöpft sich jedoch der Regelungsgehalt der Grundrechte darin nicht; sie erlegen dem Staat zusätzlich die Pflicht auf, das grundrechtlich geschützte Rechtsgut möglichst auch vor Verletzungen durch Dritte zu bewahren und sozial zu unterfangen. In der Kritik der erwähnten Autoren konnte aber der VfGH wegen seiner "wahrhaft versteinerten Grundrechtstheorie" 20 den Überlegungen einer Pflicht zur aktiven Ausgestaltung verfassungsrechtlich geschützter Grund- und Menschenrechte nicht nähertreten. Ein weiteres Erkenntnis des VfGH zum Recht auf Leben betrifft den polizeilichen Waffengebrauch. Demnach gilt ein den Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes 1969 (BGBL 149/1969) widersprechender Gebrauch der Dienstwaffe im Rahmen der polizeilichen Zwangsbefugnisse zur Erzwingung der Festnahme einer Person nicht als Bruch des durch Art. 2 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes jedes Menschen auf das Leben. Art. 2 EMRK besagt nämlich in der lib. b seines Absatzes 2 (im Zusammenhalt mit dem einleitenden Satz dieses Absatzes) u. a., daß die (absichtliche) Tötung nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet wird, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt, um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen. Aus der Sicht des Beschwerdefalles sei kein Widerspruch dieser Regelung und der hiezu in Betracht kommenden Vorschriften des Waffengebrauchsgesetzes 1969 zu erkennen21 • 3. Art. 3 EMRK (Verbot unmenschlicher Behandlung)

In Zusammenhang mit Art. 3 EMRK ist eine Reihe von Judikaten ergangen, die insbesondere die Frage zu klären hatte, ob die bei einer Festnahme erfolgenden Akte faktischen Polizeizwanges eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen oder nicht. So hat der VfGH erkannt, daß die notwendige Fesselung eines zum Kommissariat zu stellenden Ruhestörers keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S. des Art. 3 EMRK darstelle, daß aber die Aufrechterhaltung der Fesselung in der Arrestzelle - die weder aus Gründen einer Gemeingefährlichkeit oder Selbstgefährdung notwendig war- eine diesbezügliche Verletzung begründet habe 22 • Ebenso hat der VfGH entschieden, daß ein den Bestimmungen des WaffengebrauchsG 1969 (BGBL 149/1969) nicht widersprechender nicht lebensgefährdender Gebrauch einer Dienstwaffe (eines 20

zt 22

Grimm, S. 79. Slg. 8082/1975. Slg. 7081/1973; Erk. B 388/76 vom 6. 10. 1977.

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Gummiknüppels) 23 , nicht als unmenschliche Behandlung i. S. des Art. 3 EMRK angesehen werden kann24 • In seinem weiterführenden Erkenntnis B 350/76 25 stellt der VfGH fest, daß auch die Anwendung von Körperkraft im Rahmen exekutiver Zwangsbefugnisse derselben grundsätzlichen Einschränkung wie der Waffengebrauch unterliegt, unter diesen Voraussetzungen aber - wie der Waffengebrauch selbst- nicht gegen Art. 3 EMRK verstößt. Aus dem Erk. Slg. 7377/1974 wiederum folgt nicht, daß jede nach dem Waffengebrauchsgesetz unzulässige Anwendung von Körperkraft - zwingend- auch Art. 3 EMRK verletzt; gegen das in Art. 3 EMRK statuierte Verbot "erniedrigender Behandlung" verstoßen derartige physische Zwangsakte vielmehr nur dann, wenn qualifizierend hinzutritt, daß ihnen eine. die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person zu eigen ist. Im Beschwerdefall traf dies allerdings zu, da der Beschwerdeführer im Rahmen physischen Polizeizwangs bei der Eskortierung in das Postengebäude durch gewaltsames Erfassen, Ergreifen an der Hose, schnelles Voranschieben und heftiges Stoßen in einen Raum in einer die Menschenwürde gröblich mißachtenden Weise behandelt wurde 26 • Desgleichen wird vom VfGH eine Eskortierung durch Zerren an den Haaren als erniedrigende Handlung eingestuft und dementsprechend als konventionswidrig qualifiziert27 • Art. 3 EMRK ist weiters dann verletzt, wenn eine Person von einem amtshandelnden Exekutivbeamten grundlos geohrfeigt wird, da dies ebenfalls eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Betroffenen als Person zum Ausdruck bringt28 • Die Anhaltung in einem Arrestlokal einer Gemeinde, das sich in einem desolaten 'Zustand befindet, - sehr aktuell - stellt (nur) deswegen keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar, weil die Anhaltung des Beschwerdeführers lediglich für einen Zeitraum von vier Stunden erfolgte und der Beschwerdeführer auch die Möglichkeit hatte, von der einen Arrestzelle in eine andere auszuweichen und sich auch im Verbindungsgang aufzuhalten29 • Siehe auch oben bei Fn. 21. Slg. 7377/1974; Erk. B 425/75 vom 17. 6.1977. 25 Erk. B 350/76 vom 6. 10. 1977. 28 Erk. B 350/76 vom 6. 10. 1977; siehe auch Urteilsanmerkung von G. Stadler, in: EuGRZ 1978, S. 85 ff. 27 Erk. 388/1976 vom 6. 10. 1977; siehe auch die Urteilsbesprechung von P. Fischer, in: ÖZÖRVR 1978, S. 267 ff. 28 Erk. B 326/77 vom 9. 6. 1978. 29 Erk. B 64/77 vom 30. 9. 1977. 23

24

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Die Aufforderung an einen Querschnittsgelähmten, den Zuschauerraum eines Theaters mit seinem Rollstuhl zu verlassen, bedeutet keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung, .zumal im entscheidungsgegenständlichen Fall der diensthabende Sicherheitswachebeamte sich außerordentlich höflich, taktvoll und korrekt verhalten hatte 30 • Wird der Beschuldigte in einem Disziplinarverfahren gemäß § 119 Abs. 1 Dienstpragmatik zwischen Einleitungs- und Verweisungsbeschluß nicht in Ungewißheit über die Ansehuldigungspunkte gehalten, so kann schon aus diesem Grunde ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK nicht vorliegen. 'Zwischen Einleitungs- und Verweisungsbeschluß werde der zu disziplinierende Beamte daher nicht in psychischer Spannung gehalten und auf diese Weise psychisch gefoltert ("auf die Folter gespannt"). Im übrigen sind für den VfGH keine Bedenken in der Richtung ersichtlich, daß das Disziplinarrecht der Beamten gegen Art. 3 EMRK verstoße31 • 4. Art. 4 EMRK (verbotene Zwangs- und Pflichtarbeit)

Gemäß Art. 4 Abs. 3 lit. d EMRK gilt nicht als Zwangs- oder Pflichtarbeit "jede Arbeit oder Dienstleistung, die zu den normalen Bürgerpflichten gehört". Die Mitwirkung der Arbeitgeber bei der Einhebung der Lohnsteuer, wie dies im EStG 1953 und im EStG 1967 zur Pflicht gemacht ist, wird von dieser Bestimmung erfaßt und ist damit konventionsgemäß32. Auch die Entrichtung der im Vormonat entstandenen Abgabenschuld bis zum zehnten Tag jedes Monats sowie die vom Abgabepflichtigen jeweils schriftlich zu erklärende Abgabenschuld, die im vorangegangenen Kalenderviertel entstanden ist (gemäß § 6 Abs. 1 und 2 des Wiener DienstgeberabgabeG, LGBl. 17/1970), gehört zu den "normalen Bürgerpflichten" 33 , ebenso wie die aus§ 2 PreisbestimmungsG resultierende Inpflichtnahme34. Ganz allgemein stellt zu diesem Problemkreis der VfGH dezidiert fest, daß "Zwangs- oder Pflichtarbeit" nur in der Erbringung höchstpersönlicher Dienstleistungen bestehen könne35 •

30

3t 32

n 34 35

Slg. 7219/1973. Slg. 7907/1976. Slg. 6415/1971. Slg. 6755/1972. Slg. 7112/1973. Slg. 7826/1976; Erk. B 376/74 vom 23. 6. 1976.

14 Festsehr1ft für Stephan Verosta

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Hans-Ernst Folz 5. Art. 5 EMRK (persönliche Freiheit)

Nach Art. 5 EMRK darf einem Menschen die Freiheit nur in den unter lit. a bis lit. f genannten Fällen entzogen werden; in all diesen Fällen ist von rechtmäßiger Festnahme oder rechtmäßiger Haft die Rede. Art. 5 EMRK schützt daher auch nur vor rechtswidriger Freiheitsentziehung oder rechtswidriger Verhaftung, nicht aber auch vor anderen Beschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit. Daher sind die mit dem Wesen des Vollzugs einer Freiheitsstrafe verknüpften Beschränkungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten konventionskonform36. Aus diesem Grunde ist ein Strafgefangener auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Empfang von Nachrichten und Ideen (Art. 10 EMRK) und im Recht auf Bildung (Art. 2 des I. ZProt.) verletzt37. Da Art. 5 EMRK nur Schutz vor gesetzwidriger Festnahme oder gesetzwidrigem Halten in Haft bietet, steht diese Bestimmung mit der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen Fremde in keinem Zusammenhang38. Des weiteren verneint der VfGH das Vorliegen einer Konventionsverletzung in nachstehenden Fällen: a) in der Kontrolle von Flugreisenden, d. h. in der auf Vorkehrungen gegen das Einbringen gefährlicher Gegenstände in Flugzeuge gerichteten Personendurchsuchung (keine Verhaftung und keine Beschränkung des Rechtes auf persönliche Freiheit) 39 ; b) in der Aufforderung gemäß Art. 33 a WehrG, an einer Inspektion/ Instruktion teilzunehmen40 ; c) in der Ablehnung von Anträgen auf Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes gemäß § 29 Abs. 2 lit. b WehrG und auf Aufschiebung des Grundwehrdienstes gemäߧ 29 Abs. 6 lit. a WehrG41 •

Slg. 6464/1971. Slg. 6464/1971; ebenso Slg. 6465/1971. 38 Slg. 7608/1975 unter Bezugnahme auf Slg. 4221/1962; vgl. auch P. Fischer, Urteilsbesprechung, in: ÖZÖRVR 1976, S. 312 ff. 39 Erk. B 19/74 vom 7. 6. 1974; vgl. auch G. Stadter, Urteilsbesprechung, in: 38

37

EuGRZ 1974, S. 4 f. 40 Slg. 7149/1973. u Slg. 7209/1973.

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6. Art. 6 EMRK (Garantien bei geridttlidten Verfahren)

a) Standes- und Berufspflichten (Disziplinarrecht)

Die Ahndung von Verstößen gegen die Standes- und Berufspflichten im Rahmen des Disziplinarrechts fällt nicht unter Art. 6 EMRK, wie der VfGH wiederholt ausgesprochen hat 42 • Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 8. Juni 1976 in der Rechtssache Engel u. a. 43 ist diese Aussage in ihrer Allgemeinheit allerdings insoweit zu präzisieren, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dargelegt hat, daß die EMRK die Behörden auch bei der Verhängung von schweren freiheitsentziehenden Strafen im Disziplinarbereich verpflichte, dem Belangten die Garantien des Art. 6 EMRK zukommen zu lassen44 • b) "Gerichtshof"- und "Zivilrechts"-Begriff des Art. 6 (1) EMRK

Besondere Probleme wirft in Zusammenhang mit Art. 6 Abs. 1 EMRK, der einen Anspruch auf Gerichtsentscheidung bezüglich zivilrechtlicher Ansprüche und Verpflichtungen sowie strafrechtlicher Anklagen normiert, die genaue Abgrenzung sowohl des "Gerichts"- als auch des "Zivilrechts"-Begriffs auf. Die von Art. 6 Abs. 1 EMRK selbst gegebene Eingrenzung des Gerichtsbegriff ("tribunal") umfaßt als determinierende Kriterien die Unabhängigkeit, die Unparteilichkeit und die gesetzliche Verankerung der entsprechenden Institution45 • Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat mit seiner Judikatur zu den einzelnen "Gerichts"-bestimmungen der Konvention (Art. 2 (1); 5 (1) a und b, 5 (4), (1)) im "Neumeister-Urteil" 46 , im "Landstreicher-Urteil"47 und im "Ringeisen-Urteil" 48 nicht nach den einzelnen Slg. 471011964; 503311965; 567711968; 623911970; 736611974; 764511975. Urteilsauszug in: EuGRZ 1976, S. 221 ff. 44 Vgl. Slg. 790711976; siehe auch Urteilsbesprechung durch G. Stadler in: EuGRZ 1977, S. 54 ff.; vgl. außerdem T. Herzog, Das Österreichische Heeres• disziplinarrecht im Lichte des Engel-Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, EuGRZ 1978, S. 537 ff. 45 " ••• independent and impartial tribunal es.tablished by law"; vgl. Schorn, die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 1965, S. 146; Guradze, Die Europäische Menschenrechtskonvention, 1968, S. 71 und Jacobs, The European Convention on Human Rights, 1975, s. 47. u Zu Art. 5 (4); Annuaire 1968, S. 813; = Golsong I Petzold I Furrer, Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bd. 1, s. 143 ff. 47 Zu Art. 6 (1); Annuaire 1971, S. 789; = Golsong I Petzold I Furrer, op. cit. Bd. 3, S . 1 ff. 48 Zu Art. 6 (1); Annuaire 1971, S. 839; = Golsong I Petzold I Furrer, op. cit. Bd. 3, S. 61 ff. 42

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14•

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Konventionsbestimm ungen differenziert und bei der Qualifikation eines staatlichen Organs als "Gericht" einen materiellen Gerichtsbegriff zugrundegelegt; so qualifiziert der Gerichtshof im Ringeisen-Urteil z. B. die o. ö. Landesgrundverkehr skommission - die eine Verwaltungsbehörde gemäß Art. 133 Ziff. 4 B-VG darstellt- als "Gericht" im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK, eine Auslegung, der sich inzwischen auch der VfGH angeschlossen hat 49 • Allerdings ist im Sinne des VfGH nicht jede weisungsfreie Kollegialbehörde gemäß Art. 133 Ziff. 4 B-VG bereits als "Gericht" im Sinne des Art. 6 Abs. 1 EMRK anzusehen. Es muß vielmehr weiter differenziert werden: nur diejenigen "Art. 133 Ziff. 4 -Behörden" gelten als "Gericht", die (a) sowohl von der Exekutive als auch von den Parteien des Streitfalles strikt getrennt sind, (b) über ein Verfahren verfügen, das die erforderlichen Garantien bietet und (c) bei denen die jederzeitige Abberufung der Mitglieder unmöglich ist50 • Betrachtet man die frühere Rechtsprechung des VfGH, so läßt sich hier eine markante Richtungsänderung feststellen. Während - im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK - bei Strafsachen der Österreichische Vorbehalt zugunsten des Verwaltungsstrafrec hts und die ihm durch die Judikatur des VfGH gegebene Auslegung51 den vollen Einbruch eines materiell orientierten Gerichtsbegriffs und einer Kompetenzgarantie für die ordentlichen Gerichte verhinderte52 , trat der VfGH zunächst auch bei Zivilsachen der Ansicht entgegen, daß allen Bestimmungen, die die Kompetenz von Verwaltungsbehörde n in zivilrechtliehen Angelegenheiten vorsehen, durch Art. 6 EMRK materiell derogiert sei53, indem er feststellte, daß den Erfordernissen der EMRK entsprochen sei, wenn zwar primär Verwaltungsbehörde n zuständig sind, deren Ent•e Siehe Slg. 6995/1973; 7099/1973. Slg. 6995/1973 ; vgl. auch Herzog, S. 540, unter Bezugnahme auf Novak,

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Erfordernisse für die Zusammensetzung der Landesgrundverkehrsb ehörden und Agrarsenate gern. Art. 6 Abs. 1 MRK, Osterreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1974, S. 85. In seinem Erkenntnis Slg. 6995/1973 qualifiziert der VfGH nicht nur die o. ö. Landesgrundverkehrsk ommission, sondern auch den Obersten Patent- und Markensenat als "Gericht" i. S. von Art. 6 Abs. 1 EMRK. 51 Slg. 5100/1965 bezüglich des FinStrG. 62 Bis zur Ratifikation der EMRK (BGBI. 210/1958), d. h. bis zum BVG BGBI. 59/1964, durch dessen Art. II der Verfassungsrang der EMRK authentisch festgestellt wurde, war es in der Rechtsprechung des VfGH (siehe Slg. 2794/1955; 3121/1956; 3917/1961; 5218/1966) und weitgehend auch in der Doktrin unbestritten, daß es dem einfachen Gesetzgeber freistehe, Vollziehungsangelegenheiten den Gerichten oder den Verwaltungsbehörden zuzuweisen (formalorganisatorischer Gerichtsbarkeits- und Verwaltungsbegriff des B-VG). Siehe J . Panzer, Kollegialbehörden nach Art. 133 Z 4 B-VG und Europäische Menschenrechtskonvention, OJZ 1975, S. 113. 53 Schäffer, Der Zivilrechtsbegriff der MRK, OJZ 1965, S. 520.

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scheidungen aber der Nachprüfung durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts unterliegen 54 • Die Kontrollmöglichkeit müsse allerdings durch beide Gerichtshöfe gegeben sein55 • Aufgrund der nachprüfenden Kontrolle der Tätigkeit der Verwaltung durch die beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts werden Entscheidungen von Verwaltungsbehörden zu solchen eines "unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gerichts" i. S. von Art. 6 Abs. 1 EMRK. Was aber die Entscheidung über Zivilsachen durch Kollegialbehörden gemäß Art. 133 Ziff. 4 B-VG betrifft, so wich der VfGH - anhand des Präzedenzfalles der Agrarsenate - der Problematik lange 'Zeit dadurch aus, daß er Art. 12 Abs. 2 B-VG im Verhältnis zur EMRK als "lex specialis" betrachtete, dessen Inhalt daher durch die Konvention nicht betroffen werde. Unter Hinweis auf das "Ringeisen-Urteil" des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte brach dann der VfGH in seinen Erk. Slg. 6995/1973 und 7099/1973 mit dieser Auffassung des Spezialitätsverhältnisses von Art. 12 Abs. 2 B-VG und Art. 6 Abs. 1 EMRK hinsichtlich der Agrarsenate und klärte nunmehr auch den Zivilrechtsbegriff des Art. 6 Abs. 1 EMRK näher ab, und zwar dahin, daß er alle jene Verfahren umfaßt, deren Ausgang für Rechte und Pflichten privatrechtlicher Natur "entscheidend" ist56 • Trotz des materiellen Zivil- und Strafrechtsbegriffs und der Zuweisung an "Gerichte" ist es jedoch nicht prinzipiell zu einem die Zuweisungsfreiheit des Gesetzgebers ausschließenden materiellen Gerichtsbarkeits- und Verwaltungsbegriff gekommen, weil die Freiheit der legislativen Zuweisung von Kompetenzen an Gerichte oder Verwaltungsbehörden noch immer folgendermaßen aufrechterhalten wird: -

Strafsachen können aufgrund des Österreichischen Vorbehalts weiterhin Verwaltungsbehörden zugewiesen werden57 ; zivilrechtliche Angelegenheiten können weiterhin Verwaltungsbehörden zugewiesen werden, wenn die nachprüfende Kontrolle durch beide Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gewährleistet ist;

-

Slg. 5100/1965 und 5102/1965. In diesem Sinne auch Erk. Slg. 7230/1973, in dem der VfGH der Meinung war, daß dann, wenn gegen einen über civil rights absprechenden verwaltungsbehördlichen Bescheid Beschwerde sowohl vor dem VfGH als auch vor dem VwGH geführt werden kann, der Parteirechtsschutz in einem Maße zur Verfügung steht, das dem von der MRK geforderten durchaus entspricht. 58 Im Erk. G 30/73 verwendet der VfGH gleichbedeutend den Begriff "maßgebend". 57 Neue, d. h. vor dem 3. 9. 1958 ihrer Art nach in der Österreichischen Rechtsordnung nicht bekannte freiheitsentziehende Straftatbestände in Verwaltungsvorschriften dürfen nicht mehr vorgesehen werden; bei ihnen könnte somit der Anspruch auf "Gerichts"-entscheidung zum Durchbruch gelangen. 54

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selbst wenn sich aus dem Vorstehenden die 'Zuweisung an Verwaltungsbehörden nicht rechtfertigen läßt, erfordert auch dies noch keine Zuweisung an "Gerichte" i. S. des B- VG; denn als "Gericht" i. S. des Art. 6 Abs. 1 EMRK können auch Verwaltungsbehörde n unter Beachtung besonderer, nämlich der genannten Organisationsmerkmale eingerichtet werden58 •

Gerade insoweit ist aber der von Art. 6 Abs. 1 EMRK geforderten Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Behörde gegenüber den Parteien und der Verwaltung 58 durch die bloße Weisungsfreistellung der Mitglieder nicht Genüge getan, sondern es darf auch (a) zu keiner personellen Verflechtung mit Organen der Vollziehung und (b) nicht zu Eingriffsmöglichkeit en der Verwaltung durch willkürliche Abberufung von Mitgliedern kommen. In diesem Sinne kam der VfGH mit seinem Erk. vom 19. 3. 1974, G 30/73, Slg. 7184/1974 zu dem Ergebnis, daß die Agrarsenate des Agrarbehördengesetz es 1950 (BGBL 1/1951), die bei Grundstückszusamm enlegungen im Flurverfassungsverf ahren ([Bundes-]Flurverfassungs -Grundsatzgesetz 1951) in letzter Instanz auch über zivilrechtliche Ansprüche zu entscheiden haben, nkht den in Art. 6 Abs. 1 EMRK normierten Anforderungen an ein unabhängiges Gericht entsprechen, weil in ihnen Mitglieder der Exekutive (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft und Landeshauptmänner) ex lege den Vorsitz führen und die übrigen Mitglieder von der Exekutive abberufen werden können60 • c) Sonstiges

Gemäß Art. 6 Abs. 2 EMRK wird bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld vermutet, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist. Die EMRK besagt nun nicht selbst, wodurch der "gesetzliche Nachweis der Schuld" erbracht wird, sondern sie überläßt es dem innerstaatlichen Gesetzgeber, eine Art. 6 EMRK entsprechende Regelung zu treffen. Nach dem System des Österreichischen Verwaltungsstrafrechts - und somit auch im Sinne der EMRK - ist der Schuldnachweis jedenfalls mit der verurteilenden Entscheidung der zweiten Instanz erbracht, auch wenn in der Folge noch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts angerufen werden sollten. Das durch Art. 6 Abs. 2 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht wird aber 68 Panzer, S. 115; wegen mangelnder Unabhängigkeit qualifizierte der VfGH im Erk. Slg. 7099/1973 die Landesgrundverkehrsb ehörde beim Amt der Tiroler LReg. nicht als "Gericht" i. S. des Art. 6 (1) EMRK; siehe dazu auch Slg. 7492/1975 (hinsichtlich der Finanzlandesdirektion für Kärnten). 6 ' Siehe dazu die vorstehenden Ausführungen bei Fn. 45. 80 Siehe G. Stadler, Urteilsbesprechung, in: EuGRZ 1974, S. 32, Leitsatz; siehe dazu auch Slg. 7497/1975.

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(unter anderem) dann verletzt, wenn in einem Verwaltungsstrafverfahren bei der Strafzumessung eine Vorstrafe als erschwerender Umstand berücksichtigt wird, die noch nicht formell rechtskräftig ist61 • Art. 6 EMRK gewährleistet nicht das Recht, daß über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage von einem Tribunal in einem bestimmten Verfahren entschieden wird. Die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Fremden stellt jedenfalls keine zivil- oder strafrechtliche Angelegenheit dar; Art. 6 EMRK bezieht sich daher nicht auf das zu einer derartigen behördlichen Maßnahme führende Verfahren62• Schon erwähnt wurde, daß der VfGH den Vorbehalt zu Art. 5 auch auf Art. 6 EMRK bezieht. Nach Auffassung des VfGH lassen sich keine wie immer gearteten Gründe dafür finden, weshalb der Verfassungsgesetzgeber die sehr einschränkenden Verfahrensvoraussetzungen des Art. 6 EMRK für die Freiheitsstrafe als das strengere Strafmittel ausschließen, für das mildere der Geldstrafe jedoch beachtet haben wollte. Überdies dürfe dem Verfassungsgesetzgeber im Hinblick auf die ausdrückliche Bezugnahme auf die Verwaltungsverfahrensgesetze, also vor allem auf das VStG 1950, nicht unterstellt werden, daß er die Ersatzfreiheitsstrafe als ein nur im Falle der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe vorgesehenes Strafmittel mitberücksichtigt, die Geldstrafe als das primäre Strafmittel jedoch völlig außer acht gelassen habe.. Der VfGH hält daher an seiner mit dem Erk Slg 5021/1965 eingeleiteten und in den übrigen angeführten Erkenntnissen fortgesetzten Rechtsprechung fest, wonach der zu Art. 5 EMRK ausgesprochene Vorbehalt es auch ausschließt, daß Verwaltungsverfahren, die nach dem VStG 1950 durchgeführt werden, dem Art. 6 EMRK widersprechen. Wie der damit zusammenhängende in Art. 64 EMRK gebrauchte Ausdruck "geltendes Gesetz" rechtstechnisch präzise in seinen Einzelheiten zu umschreiben ist, läßt der VfGH dahingestellt bleiben. Es steht jedenfalls fest (und hierin befindet sich der VfGH in Übereinstimmung mit der Entscheidung der Europäischen Menschenrechtskommission vom 14. Dezember 1970, Nr. 3923/ 1969), daß der Vorbehalt seinem Sinne nach auch Gesetze umfaßt, die zwar nach Erklärung des Vorbehaltes erlassen wurden wie etwa die StVO 1960, die aber keine nachträgliche Erweiterung jenes materiell-rechtlichen Bereiches bewirken, der durch die Abgabe des Vorbehaltes ausgeschlossen werden sollte63 •

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Erk. 504, 505/77 vom 27. 1. 1979. Slg. 7608/1975; vgl. auch Fischer, ÖZÖRV 1976, S. 312 ff. Erk. B 105/75 vom 26. 1. 1978.

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7. Art. 7 EMRK (nulla poena)

Nach Art. 7 Abs. 1 erster Satz EMRK kann niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war ("nullum crimen, nulla poena sine lege"). Diese Regelung beinhaltet einerseits den nicht auf Österreichische Staatsbürger beschränkten Grundrechtsschutz dahin, keine Verurteilung und damit insbesondere auch keine Bestrafung wegen eines Verhaltens zu erleiden, das nicht bereits zum Zeitpunkt der Tat (Handlung oder Unterlassung) gegen eine rechtsgültige Strafdrohung verstößt. Andererseits verbietet diese Regelung dem einfachen Gesetzgeber, rückwirkende Strafdrohungen zu erlassen oder Organe der Vollziehung zur Erlassung solcher Strafdrohungen zu ermächtigen64 • 'Zu dieser Garantie hat der VfGH entgegen der Argumentation des Beschwerdeführers, daß in Disziplinarverfahren Beamte wegen Dienstvergehen abgeurteilt werden können, wobei es keinen objektiven Anhaltspunkt dafür gebe, was eine disziplinär strafbare Tat alles sein könne, weiterhin festgestellt, das Tatbild des § 87 der Dienstpragmatik65 sei in ausreichender Weise so umschrieben, daß jeder Rechtsunterworfene sein Verhalten danach einrichten könne. Somit könne ein Verstoß der disziplinarrechtliehen Bestimmungen der Dienstpragmatik auch gegen Art. 4 Abs. 1 EMRK in den vom Beschwerdeführer angeführten Gründen nicht gesehen werden, weshalb der VfGH nicht zu untersuchen brauche, ob Art. 7 EMRK überhaupt auf Verletzungen der Standes- und Berufspflichten Anwendung findet 66 . Hinsichtlich dieser letzteren Frage hatte der VfGH aber bereits früher befunden: "Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat in ihrer Entscheidung vom 5. 2. 1971 67 ausgesprochen, daß die Garantien des Art. 7 EMRK auf Disziplinarverfahren nicht anwendbar sind. Der Verfassungsgerichtshof schließt sich dieser Rechtsauffassung an68.'' Zur thematischen Abgrenzung des Art. 7 hat der VfGH entschieden, daß der Schutzumfang des Grundrechts aus Art. 7 Abs. 1 erster Satz EMRK weder eine Verletzung von Verfahrensvorschriften noch eine unrichtige Anwendung einer vorhandenen Strafnorm umfaßt69 • " Slg. 6762/1972. 65 "Verletzung der Amts- und Standespflichten." 66 Slg. 7907/1976; vgl. auch G. Stadler, Urteilsbesprechung, in: EuGRZ 1977, S. 54 ff.; Leitsatz. 67 Requete Nr. 4040/69, Recueil 37, S. 27. es Slg. 7494/1975. 60 Slg. 7814/1976; so auch schon Slg. 5233/1966, 6762/1972.

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8. Art. 8 EMRK (Privatsphäre)

Die Frage, ob der Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Art. 8 EMRK auch gegenüber Eingriffen Dritter gewährt ist, hat der VfGH in der Sache verneint. Art. 8 EMRK schließe zwar die Erlassung von Strafbestimmungen zum Schutze des Anspruches auf Achtung des Familienlebens nicht aus, enthalte aber keine Verpflichtung des Gesetzgebers, eine Mißachtung des Familienlebens unter Strafe zu stellen. Daher verstoße, wie schon ausgeführt, die Fristenlösung (§ 97 Abs. 1 Ziff. 1 StGB) nicht gegen Art. 8 EMRK 70 . Die Auffassung, daß eine Tätigkeit als "Privatmann", also nicht in Ausübung eines Berufes, unter "Privat- und Familienleben" i. S. des Art. 8 Abs. 1 EMRK fällt, ist nach Meinung des VfGH verfehlt. Sie hätte z. B. die unvertretbare Folge, daß jedes rechtsgeschäftliche Handeln, sofern es nicht in Ausübung eines Berufes geschehe, der Intimsphäre des Privat- und Familienlebens zuzurechnen wäre71 • Sexuelle Aktivität, die nicht öffentlich in Erscheinung tritt, rechnet der VfGH der Privatsphäre des Menschen zu. Ein gesetzliches Verbot nicht nur der gewerbsmäßigen, sondern auch der gelegentlichen Prostitution72, die nicht öffentlich in Erscheinung tritt ("Geheimprostitution"), läßt sich auch nicht mit den Vorbehalten des Art. 8 (2) EMRK "zum Schutze der Moral" oder "in einer demokratischen Gesellschaft ... notwendig" rechtfertigen 73 . Einen interessanten Aspekt bringt eine weitere einschlägige Entscheidung. Weder Art. 8 EMRK noch irgend eine andere bundesverfassungsgesetzliche Bestimmung enthält danach einen Vorrang von Bundesrecht vor Landesrecht, Ermächtigungen zur Durchführung von Hausdurchsuchungen vorzusehen. Ebensowenig hat der Gesetzgeber den Vorrang, der die frühere Regelung getroffen hat. Wenn der Landesgesetzgeber zur betreffenden Regelung zuständig ist, ist er in gleicher Weise wie der Bundesgesetzgeber berufen, Hausdurchsuchungen vorzusehen74.

70 Slg. 7400/1974; siehe dazu die Bemerkungen bei Fn. 11. 71 Slg. 6534/1971; so schon Slg. 5129/1965. 72 Der inkriminierte Passus des § 14 lit. a des Tiroler Landespolizeigesetzes (LGBl. Nr. 60/1976) lautete: " ... sowie die entgeltliche, wenn auch nicht gewerbsmäßige (Hingabe des eigenen Körpers) ... " wurde vom VfGH als verfassungswidrig aufgehoben. 73 Erk. G 63/77-20, vom 9. 3. 1978; G. Stadler, Urteilsbesprechung, in: EuGRZ 1978, S. 245 ff.; P. Fischer, Urteilsbesprechung, in: ÖZÖRV 1978, s. 291 ff. 7' Erk. G. 3/78 vom 16. 12. 1978.

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9. Art. 9 EMRK (Gewissensfreiheit)

Ein Erkenntnis dazu betrifft wieder den Freiheitsentzug. Durch die Hinderung der Teilnahme am Gottesdienst im Gefangenenhaus ist ein Gefangener in seinem durch Art. 9 EMRK gewährleisteten Anspruch auf Religionsfreiheit nicht verletzt, da grundsätzlich keine Verpflichtung des Staates besteht, in den Fällen eines gesetzmäßig verhängten Freiheitsentzuges besondere Vorkehrungen zu treffen, um den Betroffenen die Ausübung ihres Individualrechtes zu ermöglichen 75 • Ebenso gilt ein anderes Judikat der Problematik des Schwangerschaftsabbruchs. Der Rechtsträger einer Krankenanstalt ist nicht gehindert, die Aufnahme von Schwangeren zur Vornahme eines straflosen Schwangerschaftsabbruches in seiner Krankenanstalt zu untersagen, soweit er Personen nicht in seine Anstaltspflege nehmen muß. Durch § 6 (3) des Krankenanstaltengesetzes (BGBl. 1/1957 i. d. F. BGBl. 281/1974), demzufolge die Anstaltsordnungen keine Bestimmungen enthalten dürfen, die die Durchführung eines straflosen Schwangerschaftsabbruches oder die Mitwirkung daran verbieten, werde aber nicht in das Grundrecht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit gemäß Art. 9 EMRK eingegriffen78 • Ein Kriegsdienstverweigerer hatte eine Verletzung des Art. 9 EMRK geltend gemacht. Dazu verweist der VfGH auf die Entscheidung der Europäischen Kommission für Menschenrechte vom 2. 4. 1973, Nr. 5591 172, wonach sich aus Art. 9 im 'Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 3 lit. b EMRK ergibt, daß kein Vertragsstaat verpflichtet ist, Waffendienstverweigerer anzuerkennen. Aus dieser Auffassung, welcher der VfGH beipflichtet, folgt, daß aus der Nichtbefreiung von der Verpflichtung zur Wehrdienstleistung keine Verletzung des Art. 9 EMRK abgeleitet werden kann n. 10. Art. 10 EMRK (Meinungsfreiheit)

Nach Art. 10 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten ein. Art. 10 Abs. 2 EMRK bestimmt allerdings, daß die Ausübung dieses Rechts unter bestimmten Voraussetzungen vom Gesetz vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden kann. Die Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Nachrichten ist nicht ein Tatbestandsmerkmal, das zusätzlich zu den ande75 Slg. 6747/1972, unter Bezug auf Slg. 6265/1970; siehe auch die Ausführungen bei Fn. 36 f. 76 Erk. G 25/74, vom 16.12. 1975; siehe G. Stadler, Urteilsbesprechung, in: EuGRZ 1976, S. 189 ff., Leitsatz. 77 B 248/75, vom 26. 3. 1977.

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ren Tatbestandsmerkmalen gegeben sein muß. Es handelt sich vielmehr, wie der VfGH feststellt, um einen Tatbestand, der für sich allein Einschränkungen der Ausübung der freien Meinungsäußerung rechtfertigF8. 11. Art. 11 EMRK (Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit)

Das Grundrecht auf Vereinsfreiheit gewährleistet nicht das Recht zur Gründung von Vereinen mit bestimmten Namen. Zu diesem Ergebnis kommt der VfGH in einem entsprechenden Verfahren. Die Untersagung eines Vereins "Gewerkschaft freier Unternehmer" wegen Unklarheit des Vereinsnamens verletzt deshalb nicht das Grundrecht auf Vereinsfreiheit und nicht Art. 11 EMRK. Unter "Gewerkschaft" ist nur eine Interessenorganisation von Arbeitnehmern zu verstehen79 • 12. Art. 12 EMRK (Eheschließung und Familiengründung)

Art. 12 EMRK normiert ein Recht der Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter auf Eheschließung und Familiengründung. Obwohl Art. 12 EMRK nur von einem Recht spricht, handelt es sich in Wahrheit um zwei unterschiedliche Rechte. Einschlägig ist dazu das Fristenlösungserkenntnis, dessen diesbezügliche Ausführungen bereits referiert wurdenso. 13. Art. 14 EMRK (Gleichheitssatz)

Art. 14 EMRK hat nach Auffassung des VfGH den Personenkreis, dem in Österreich das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz zusteht, nicht erweitert81 . Da eine Beschwerdeführerin nicht Österreichische Staatsbürgerin war, konnte sie durch den angefochtenen Bescheid nicht in dem gemäß Art. 7 B-VG nur Österreichischen Staatsbürgern garantierten Gleichheitsrecht verletzt werden. 14. 1. Zusatzprotokoll zur EMRK (ZPEMRK) a) Art. 1 ZPEMRK (Eigentumsgarantie)

In der Einführung des "Bonus-Malus-Systems" bei der KfZ-Haftpflichtversicherung in Österreich 1977 durch VO des BMfF - die zu einer Modifikation der privatrechtliehen Verträge zwischen den KfZSlg. 6288/1970; vgl. auch Slg. 7494/1975; 7907/1976. Erk. B 322/76, vom 4. 10. 1977; siehe G. Stadler, Urteilsbesprechung, in: EuGRZ 1978, S. 138 f., Leitsatz; vgl. auch Erk. B 209/76 vom 23. 6. 1977. 80 Slg. 7400/1974; siehe auch den Text bei Fn. 12. 81 Slg. 7138/1973; 7307/1974; so schon Slg. 4952/ 1965, 5059/1965. Neuerdings auch Slg. 7581/1975. 78

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Versicherern und ihren Versicherungsnehmern führte - erblickt der VfGH wohl eine Eigentumsbeschränkung (keine Enteignung), die aber zulässig sei, soweit nicht der Wesensgehalt von Grundrechten berührt werde. In unmittelbarem Zusammenhang damit ist ein anderes dieturn zu sehen, demzufolge Art.l Abs. 1 des 1. ZPMRK seinem klaren Wortlaut nach nur auf den Eigentumsentzug, nicht aber auf eine bloße Eigentumsbeschränkung Anwendung finde 82 . Auch der Eigentumsschutz nach Art. 1 des 1. ZPEMRK ist nur unter Gesetzesvorbehalt gewährleistet und darf insbesondere im öffentlichen Interesse durch Gesetz eingeschränkt werden (vgl. Slg. 6753/1972). Der VfGH hat es deshalb dahin stehen lassen, ob in der Verweigerung der (im o. ö. Grundverkehrsgesetz 1975 vorgesehenen) grundverkehrsbehördlichen Genehmigung überhaupt eine Entziehung von Eigentum i. S. des Art. 1 des 1. ZPEMRK liegt (vgl. Erk. G 44/77, V 32, 33/77, vom 17.12.1977)83 . Zum Eigentumsbegriff vertritt der VfGH die Ansicht, die staatsvertragliche Bestimmung des Art. 1 des 1. ZPEMKR beziehe sich nicht auf öffentlich-rechtliche Ansprüche (vgl. Slg. 4879/1964) 84 . b) Art. 2 des 1. ZPEMRK (Recht auf Bildung)

Ein dazu ergangenes Judikat betrifft schließlich nochmals den Strafvollzug. Keine Verletzung des Rechts auf Bildung nimmt der VfGH bei einem Strafgefangenen an, dem die Vergünstigung der längeren Beleuchtung des Haftraumes gemäß § 40 Abs. 2 Strafvollzugsgesetz verweigert wird8s.

II. Versuch einer Zwischenbilanz 1. Haben noch Schantl I Welan im Jahre 1970 festgestellt: "Der VfGH hat sich in seiner 10jährigen Rechtsprechung der MRK nicht gerade als deren Freund erwiesen. Die Haltung des VfGH, die sich in der Mehrzahl der Erkenntnisse widerspiegelt, ist von einer Abneigung gegen die MRK als etwas Neues und Störendes gekennzeichnet" 86, so zeigt sich heute bei näherer Betrachtung der Judikatur der zweiten zehn Jahre, daß der VfGH mehr und mehr bemüht ist, in einem vorsichtigen und

Erk. G 44177, V 32, 33/77, vom 17. 12.1977. Erk. B 99/76, vom 14. 6. 1978. 84 Slg. 6230/1970. 85 Slg. 6722/1971. 88 Schantl/ Welan, S. 617; vgl. auch Novak, Das Problem der sozialen Grundrechte, 1972, S. 6. 82

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schrittweisen interpretativen Anpassungsprozeß die EMRK in die innerstaatliche Rechtsordnung zu integrieren. 2. Die Bundesverfassung bezeichnet die im Verfassungsrang stehenden Grundrechte 81 als "verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte", die gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG solche subjektive Rechte darstellen, die durch Verfassungsgesetze im formellen Sinn eingeräumt sind88 • Dieser Begriff der "verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte" kann vom Standpunkt des Rechtsschutzes her sowohl die in der Konvention (und anderen völkerrechtlichen Dokumenten) verwendeten Begriffe, als auch die der Verfassungslehre umfassen, die gerrau zwischen Menschenrechten, Grundrechten, Freiheitsrechten, Bürgerrechten oder Grundfreiheiten unterscheiden. Die "verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte" sind zum Teil jedermann eingeräumte Menschenrechte, zum Teil- wie insbesondere das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz - sind sie Staatsbürgerrechte. Manche Grundrechte, die im Staatsgrundgesetz vom 21. 12. 1867 noch als Staatsbürgerrechte gewährleistet wurden - wie z. B. das Vereinsund Versammlungsrecht - sind durch die Konvention und ihre Erhebung in Verfassungsrang im innerstaatlichen Bereich zu Menschenrechten gewordensD. Im allgemeinen ist hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereiches der Grundrechte festzustellen, daß die Konvention eine Tendenz erkennen läßt, die unterschiedliche Geltung der Grundrechte bei Staatsbürgern90 und bei Fremden zu beseitigen oder jedenfalls zu verringern. Soweit allerdings die EMRK hier keine ausdrückliche Erweiterung gebracht hat, bestehen diese Beschränkungen des persönlichen Geltungsbereiches der Grundrechte aber nach wie vor, so besonders hinsichtlich der Geltung des Gleichheitssatzes für Ausländer91 sowie auch im Hinblick auf die Freiheit des Liegenschaftserwerbes92 • 87 Mit diesem Begriff deckt sich im wesentlichen der der "allgemeinen Rechte der Staatsbürger" in Art. 149 B-VG; siehe A. Saxer, Bestand der Grundrechte in Österreich, EuGRZ 1978, S. 462. 88 Slg. 2075/1950. 89 Siehe W. Rosenzweig, Bedeutung der Grundrechte in Österreich, EuGRZ

1976,

s. 467.

Neben dem bereits erwähnten Gleichheitssatz und dem Vereins- und Versammlungsrecht kommen noch folgende "Staatsbürgerrechte" in Betracht: gleiche Zugänglichkeit zu den öffentlichen Ämtern, Aufenthaltsfreiheit, Freiheit des Liegenschaftserwerbs, Freiheit der Erwerbstätigkeit, Unterrichtsfreiheit etc. 91 Slg. 6240/1970, 6585/1971, 1738/1973, 7307/1974. i2 Slg. 7535/1975; siehe Saxer, S. 466. 90

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Der VfGH bejaht in ständiger Spruchpraxis die Geltung der Grundrechte auch für juristische Personen9a, aber nicht für die Fälle, die nur bei physischen Personen in Frage kommen können94 • Entsprechendes wird für die Gewährleistungen der EMRK anzunehmen sein. Bezüglich des sachlichen Geltungs- und Schutzbereichs der Grundrechte ist insbesondere die Problematik des sogenannten "Gesetzesvorbehaltes" zu erwähnen. Mit diesem Problem ist das der Grenzziehung verbunden, die die Gestaltungsfreiheit für den einfachen Gesetzgeber bestimmt. Der VfGH spricht hier vom "Wesensgehalt", "Wesenskern" oder "Kernbereich" eines Grundrechtes; der zugriffsfest bleiben muß 95 • Insoweit brachte die Konvention einen in dieser Form neuen Typus von Gesetzesvorbehalten96 , da bei ihnen der VfGH materiell zu prüfen hat, ob die im Gesetz vorgesehenen Eingriffe in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der aufgezählten Rechtsgüter notwendig sind, wohingegen bei Grundrechten mit unbeschränktem Gesetzesvorbehalt nur geprüft wird, ob die Wesensgehaltsschranke überschritten oder der Gleichheitsgrundsatz verletzt worden ist. Der Maßstab der EMRK gibt dem Gesetzgeber weniger Spielraum als der Gleichheitssatz, bei welchem sich die nachprüfende Kontrolle des VfGH hinsichtlich der Notwendigkeit nur auf den Exzeß beschränkt. Durch die EMRK sind jedenfalls bei Einschränkungen der in ihr gewährleisteten Grundrechte die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlich verankert97 • 3. Was nun ganz allgemein die Judikatur des VfGH zu den verfassungsgesetzlich verbürgten (Grund)Rechten betrifft, so wird häufig kritisiert, daß der Gerichtshof die Grundrechte formal und nicht materiell betrachte. Dies ist aber Ausdruck sowohl - wie bereits angedeutet einer speziellen Grundrechtstheorie 98 als auch eines speziellen Rechts- und Verfassungsvorverständnisses 99 •

Neuerdings z. B. Slg. 7380/1974. Als Beispiele werden die Glaubens- und Gewissensfreiheit oder etwa die Befreiung von Jer Wehrpflicht genannt. 95 Diese Judikatur des VfGH lehnt sich an die des BVerfG zu Art. 19 (2) GGan. 86 Siehe die jeweiligen Abs. 2 der Art. 8, 9, 10 und 11 EMRK. 97 Rosenzweig, EuGRZ 1978, S. 468. 98 Siehe die Ausführungen bei Fn. 19. 99 Vgl. dazu H. Schäfjer. Verfassungsinterpretation in Österreich 1971, s. 151 ff. 93

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Menschenrechtskonvention und Verfassungsgerichtshof

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Allgerneiner Maßstab für den VfGH bei Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen, Verordnungen oder Bescheiden sind die einzelnen (formalen) Grundrechtsnorrnen, die nicht als "objektive Prinzipien der Verfassungsordnung" im Sinne werterfüllter Grundsatznormen verstanden werden. Die Verfassung verbietet dem (österreichischen) Gesetzgeber lediglich, unzulässige Eingriffe in die Grundrechte vorzunehmen; sie gebietet ihm aber nicht, den jeweils grundrechtlich geschützten Lebensbereich auch vor Verletzungen Dritter zu bewahren oder "sozial zu unterfangen"too. Letzteres ist für den VfGH Sache der Verfassungs- und Rechtspolitik, in der der Gesetzgeber grundsätzlich frei ist und bei der sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle unter dem Aspekt des Gleichheitsgrundsatzes bloß auf allenfalls vorliegende Willkür beschränkt. Die nachprüfende Kontrolle des VfGH kann demgemäß nur kassatorisch und nicht reformatorisch oder gestaltend sein. Der VfGH hat keine Kompetenz, als Ersatzgesetzgeber zu fungieren oder an Stelle des untätigen Gesetzgebers tätig zu werdentot. Nach der Judikatur des VfGH fehlen der (österreichischen) Bundesverfassung darüber hinaus sowohl ein Sozialstaatsgebot als auch Gebote der Verankerung einer bestimmten Wirtschaftsordnung, etwa im Sinne einer "sozialen Marktwirtschaft" 102, Ganz grundsätzlich unterscheidet der VfGH deshalb auch zwischen dem verfassungsgesetzlichen Gebot der Gleichheit und dem rechtspolitischen Postulat der Gerechtigkeit; so leitet er gerade das Willkürverbot aus dem Gleichheitssatz und nicht aus materialen Gerechtigkeitsüberlegungen abtoa. Obwohl Österreich aufgrund seiner einfachgesetzlichen Regelungen ohne Frage als Sozialstaat anzusehen ist, gesteht sich der VfGH keine wie immer gearteten rechtspolitischen Gestaltungsrechte zur Beschleunigung oder überhaupt zur Verwirklichung einer materialen Gerechtigkeit oder Sozialstaatlichkeit zu.

1oo Siehe den Text bei Fn. 19 f.

Rosenzweig, wie zuvor, S. 471; vgl. demgegenüber zur "gestaltenden" Judikatur des BVerfG das "Diätenurteil", BVerfGE 40, 296, und dazu 'P . Häberle, Freiheit, Gleichheit und Öffentlichkeit des Abgeordnetenstatus, NJW 1976, s. 537 ff. 1o2 Slg. 4753; 5966; 5831. 103 Vgl. Slg. 5966. 101

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Hans-Ernst Folz

4. Es wäre interessant, insgesamt dem Vorverständnis des VfGH das Grundrechtsverständnis des Europäischen Gerichtshofes und der Europäischen Kommission für Menschenrechte gegenüberzustellen, die jeweiligen Ansätze miteinander zu vergleichen und den damit verbundenen Rechtsfragen nachzugehen104 •

10' Zu einem dieser Aspekte siehe neuerdings A. Drzemczewski, The Authority of the Findings of the Organs of the European Human Rights Convention in Domestic Courts, Legal issues of European integration 1979, S. 1 ff. Für die Problematik in der Schweiz vgl. neuestens die eingehenden Referate von L. Wildhaber und .J. Raymond, Erfahrungen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, in: Schweizerischer Juristenverein/Referate und Mitteilungen 1979, S. 229 ff. (passim). Zu einem weiteren Aspekt H .-E. Folz, Zur Anwendbarkeit grundrechtlicher Gewährleistungen der Menschenrechtskonvention im Europäischen Gemeinschaftsrecht, demnächst in: Festschrift für Ludwig Fröhler.

IV. Völkerrechtliches Unrecht und Streiterledigung

DIE INTERNATIONALEN VERBRECHEN UND DEREN RECHTLICHES REGIME* Von Christian Dominice I. Artikel19 des Entwurfs der Völkerrechtskommission über die Staatenverantwortlichkeit Seit etmgen Jahren bemüht sich die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen ständig um die wichtige und heikle Aufgabe der Kodifizierung des Rechts der völkerrechtlichen Staatenverantwortlichkeit1. Die bis jetzt geleistete Arbeit - vor allem dank dem Sonderberichterstatter, Professor (heute Richter) Roberto Ago - bringt einen Beitrag zur wissenschaftlichen Erforschung des Themas, dessen Wert unleugbar ist, was auch immer in Zukunft das Schicksal des in Ausarbeitung befindlichen Konventionsentwurfs sein wird. Das Werk ist noch weit von seiner Vollendung entfernt, da die Kommission noch nicht den ersten Teil des Entwurfs- dem "Ursprung der internationalen Verantwortlichkeit" gewidmet - beendet hat, und dann in einem zweiten Teil die Frage des Inhalts, der Formen und der Abstufungen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit, d. h . der Folgen, die aus einem völkerrechtswidrigen Akt des Staates entstehen, erörtern will. Sie plant, dem Entwurf möglicherweise einen dritten Teil - über die "Anwendung" der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit und die Beilegung von Streitfällen - hinzuzufügen. Das heißt, daß die Kommission, die heute auch Professor Stephan Verosta zu ihren Mitgliedern zählt, noch viel vor sich hat und man noch abwarten muß, um einen Gesamtüberblick über ihre Arbeiten zu bekommen. Das Material ist jedoch jetzt schon ausreichend, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken; einige Beschlüsse der Kommission verdienen es, sich mit ihnen zu befassen. • Aus dem Französischen übertragen von Monika Heske und Peter Fischer. Der neueste historische Abriß der Arbeiten der Kommission zeigt sich in ihrem Bericht über die Arbeiten der 30. Sitzung, Generalversammlung, offizielle Dokumente: 33. Tagung, Supplement Nr. 10 (A/33/10), S. 190. 1

15•

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Der Vorschlag auf Anerkennung, daß die Verletzung bestimmter, besonders wichtiger Normen des Völkerrechts ein internationales Verbrechen darstellt, wird zweifellos eine weitgreifende Diskussion hervorrufen, die nicht so bald beendet sein wird. Wir wollen nun gewissen Aspekten dieser Frage einige Überlegung widmen. Man sollte in Erinnerung rufen, daß der Sonderberichterstatter in seinem 1976 vorgelegten fünften Bericht die Frage erhoben hat, ob die durch einen rechtswidrigen Akt eines Staates entstandene Verantwortlichkeit in Hinblick auf ihr rechtliches Regime die gleiche ist, welche Norm auch immer verletzt wurde, oder ob dagegen die Verletzung bestimmter völkerrechtlicher Normen - bestimmt aufgrund ihres Inhalts - sich nicht solcherart darstellt, daß es gerechtfertigt erscheint, auf ihrenVerursacherein schwerwiegenderes Regime der Verantwortlichkeit anzuwenden2 • Unter der Annahme, daß jede Verletzung einer völkerrechtlichen Verpflichtung durch einen Staat ein international rechtswidriger Akt ist, schlug der Sonderberichterstatter vor, als "Internationale Verbrechen" die Verletzung von Normen von primärer Bedeutung zu qualifizieren, während die anderen international rechtswidrigen Akte als Vergehen bezeichnet würden. In diesem Sinne legte er einen Artikelentwurf vor 3• Innerhalb der Kommission waren die Meinungen im allgemeinen für diese Unterscheidung, obwohl manche Mitglieder es vorgezogen hätten, daß die Frage der Regelung der Verantwortlichkeit bei internationalen Verbrechen vorher noch näher untersucht werden würde 4 • Eine umgearbeitete Fassung des ursprünglichen Textes wurde einstimmig von der Kommission angenommen, die daraus den Artikel 19 ihres Entwurfs formulierte 5 : "Artikel 19- Internationale Verbrechen und Vergehen 1. Die Handlung eines Staates, die eine Verletzung einer internationalen Verpflichtung darstellt, ist ein international rechtswidriger Akt, was auch immer Gegenstand der verletzten Verpflichtung ist. 2. Der international rechtswidrige Akt, der aus der Verletzung einer internationalen Verpflichtung durch einen Staat resultiert, die so wesentlich zum Schutz von Grundinteressen der internationalen Gemeinschaft ist, daß 2 Fünfter Bericht über die Staatenverantwortlichkeit, Jahrbuch der Völkerrechtskommission (ACDI) 1976, Band II (1. Teil), S. 3- 57. 3 Entwurf zum Artikel18, ACDI, 1976, Band II (1. Teil), S. 57. 4 ACDI 1976, Band I, Sitzungen 1371 bis 1376, 1402, 1403, 1409, 1412, 1413. 5 Der Text des Art. 19 und der Kommentar der Kommission sind veröffentlicht in ACDI 1976, Band II (2. Teil), S. 89. Dieser Artikelentwurf wurde innerhalb der 6. Kommission der Generalversammlung der Vereinten Nationen diskutiert. Siehe Dok. A 31/370 vom 10. 12. 1976.

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ihre Verletzung durch diese Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit als Verbrechen angesehen wird, stellt ein internationales Verbrechen dar. 3. Vorbehaltlich der Bestimmungen des Paragraphen 2 und den Regeln des geltenden Völkerrechts kann ein internationales Verbrechen insbesondere entstehen aus: a) einer schwerwiegenden Verletzung einer internationalen Verpflichtung von wesentlicher Bedeutung für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der internationalen Sicherheit, wie etwa der Verpflichtung, die den Angriff untersagt; b) einer schwerwiegenden Verletzung einer internationalen Verpflichtung von wesentlicher Bedeutung für die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der Völker, sowie der Verpflichtung, die die Errichtung einer Kolonialherrschaft oder ihre Weiterführung durch Gewalt untersagt; c) einer schwerwiegenden und in großem Maßstabe erfolgten Verletzung einer internationalen Verpflichtung von wesentlicher Bedeutung zum Schutz des Menschen, wie der Verpflichtung, die die Sklaverei, den Völkermord, die Apartheid untersagt; d) einer schwerwiegenden Verletzung einer internationalen Verpflichtung von wesentlicher Bedeutung für den Schutz und die Erhaltung der menschlichen Umwelt, wie der Verpflichtung, die die massive Versehrnutzung von Atmosphäre und Meeren untersagt; 4. Jeder international rechtswidrige Akt, der kein internationales Verbrechen gemäß Paragraph 2 ist, stellt ein internationales Vergehen dar." Man muß unterstreichen, daß sowohl der Sonderberichterstatter als auch die Kommission klar darauf hinwiesen, daß die Unterscheidung zwischen internationalen Verbrechen und Vergehen normativen Charakter hat - mit anderen Worten, es folgt daraus ein Unterschied in der rechtlichen Regelung 6• Die Kommission hat sich jedoch - dem Arbeitsplan folgend, den sie sich erstellt hat- in diesem Stadium noch nicht über die Regelung der Verantwortlichkeit bei internationalen Verbrechen ausgesprochen, eine Frage, die erst zu einem späteren Zeitpunkt geprüft werden soll, da sie der zweite Teil des Entwurfs ist, der den Inhalt, die Formen und die Abstufungen der internationalen Verantwortlichkeit zum Gegenstand haben soll, d. h. die rechtlichen Folgen eines international rechtswidrigen Akts. Dieser Text wirft zahlreiche Fragen auf. Handelt es sich um eine Kodifizierung oder um eine rechtliche Neubildung? Die Meinungen gehen in diesem Punkte auseinander. Man kann sich außerdem fragen, was genau der Begriff "internationale Gemeinschaft" umfaßt, wie und durch wen festgestellt werden soll, daß diese Gemeinschaft "in ihrer Gesamtheit" einer Norm zur Wahrung von Grundinteressen so wesentlichen Charakter zuerkennt, daß deren schwere Verletzung ein Ver6

Fünfter Bericht von R. Ago, loc. cit., S. 27 - 28.

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brechen darstellt. Dieser Begriff von Schwere kann subjektiven Charakter haben, was die Frage um so heikler macht, wer in einem bestimmten Fall bevollmächtigt sein wird festzustellen, daß ein internationales Verbrechen begangen wurde. Die wesentliche Frage ist jedoch, ob man mit Artikel19 dazu kommen wird, für bestimmte international rechtswidrige Akte die Regelung der Verantwortlichkeit, wie sie bisher im Völkerrecht verankert war, grundsätzlich zu modifizieren. Genauer gesagt, hat der Entwurf der Kommission zur Folge, daß man von einem System, das gegenwärtig nur kompensatorische Wirkungen (Verpflichtung zur Wiedergutmachung) kennt, zu einem System übergeht, welches nach dem Beispiel des innerstaatlichen Rechts auch repressive Maßnahmen in Form von Strafen mit sich brächte? Kann die Völkerrechtskommiss ion zwar Verfahrensgründe geltend machen, um die Frage der rechtlichen Regelung von internationalen Verbrechen auf einen späteren Zeitpunkt in ihren Arbeiten zu verlegen, so ist es trotzdem ein Problem, das man nicht beiseite lassen kann, wenn es darum geht, die Bedeutung dieser besonderen Kategorie von international rechtswidrigen Akten zu ermessen. Zu diesem Thema wollen wir einige Überlegungen anstellen, die jedoch nicht die Absicht haben, Vorschläge zu machen. Es scheint uns in diesem Stadium nur wichtig zu versuchen, das Problem abzugrenzen und dem gegenwärtigen Entwicklungsstand des Völkerrechts Rechnung zu tragen. II. Die Rechtsfolgen der Verantwortlichkeit: ein Problem, das zu oft schlecht gestellt wird Es ist bemerkenswert festzustellen, wie stark die Untersuchung der internationalen Verantwortlichkeit und deren Rechtsfolgen im einzelnen durch die Denkweisen und Kategorien des innerstaatlichen Rechts beeinflußt wird. Das erscheint zunächst recht logisch, da man einerseits eine gewisse Analogie von Tatbeständen (Rechtsverletzung) beobachten kann und andererseits Rechtsbegriffe allgemeinen Charakters in der internationalen Rechtsordnung ebenso wie in der innerstaatlichen verwendet werden. Daraus entstehen jedoch in zahlreichen Belangen Irrtümer und Verwirrungen7 • Hiervon ist auszugehen. 7

In diesem Sinn Brownlie, Principles of Public International Law, 1973

(2nd ed.), S. 420.

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Wenn man sich über die möglichen Folgen der Verantwortlichkeit befragt, unterstreicht man, daß sie entweder kompensatorischer Natur (Verpflichtung zur Wiedergutmachung) oder repressiver, affliktiver Natur (Strafe) sein können. Wenn man das tut, hält man sich an das, was man im innerstaatlichen Recht zu beobachten können glaubt; und mit diesem Modell im Sinn geht man dann an die Überprüfung der internationalen Anwendung. Man schließt daraus, daß das allgemeine Völkerrecht - zu Lasten des Staates, der für den rechtswidrigen Akt verantwortlich ist- die Verpflichtung zur Wiedergutmachung rechtfertigt8 , die der zivilen Verantwortlichkeit entspricht; es kennt hingegen nicht die strafrechtliche Verantwortlichkeit9. Diese ist aufgrund der strengen Regeln, die sie leiten müssen, insbesondere hinsichtlich der gerichtlichen Garantien, auch aufgrund der Natur der Strafe eine Institution, die nur für Einzelpersonen, nicht aber für Staaten gilt10 • Man gibt indessen zu, zumindest in einem Teil der Lehre, daß Repressalien "affliktiven" Charakter haben, aber sie können erst in Ermangelung von Wiedergutmachung eintreten11, so daß sie also nicht die unmittelbare Folge der Verantwortlichkeit sind. Man wird zweifellos nicht bestreiten, daß im allgemeinen in internen Rechtsordnungen zur Verantwortlichkeit für eine rechtswidrige Handlung einerseits das Recht des Schadensopfers auf eine Wiedergutmachung gehört, andererseits die Befugnis der öffentlichen Gewalt, eine Strafe zu verhängen. Diese Rechtswirkungen existieren unabhängig voneinander, wenn sie auch bei derselben Tat gleichzeitig angewendet werden können. Es ist jedoch falsch, das Völkerrecht von dieser Grundlage allein aus zu beurteilen, und zwar aus zwei Hauptgründen. Einerseits entspricht das Phänomen der Verantwortlichkeit oder, wenn man will, 8 Die Lehrmeinung ist, wie man weiß, nicht einstimmig; manche Autoren meinen, daß die Folge der Verantwortlichkeit die "Sanktion" ist, cf. Kelsen, Unrecht und Unrechtsfolge im Völkerrecht, Zeitschrift für öffentliches Recht, 1932, S. 481; Guggenheim, Traite de droit international public, Band II, 1954, s. 63. Für die vorherrschende Lehrmeinung ist die Verpflichtung zur Wiedergutmachung die unmittelbare Folge der Verantwortlichkeit, auch wenn manche meinen, daß sie nicht die einzige Folge ist, cf. Ago, Le delit international, RCADI, vol. 68, 1939, II, S. 415, besonders S. 524 - 530. 9 Siehe jedoch Oppenheim-Lauterpacht, International Law, vol. I, 1955 (8th ed.), S. 355 ("Criminal Responsibility of States"). 10 Die strafrechtliche Verantwortlichkeit existiert im Völkerrecht für Einzelpersonen, die Organe sind, aber wir behandeln hier ausschließlich die Staatenhaftung. 11 Cf. Ago, loc. cit., S. 530.

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der Anwendungsbereich dieses Begriffs in der internationalen Rechtsordnung nicht dem in der innerstaatlichen. Andererseits kann man nicht wegen der Strukturunterschiede der beiden Rechtsordnungen eine Beweisführung antreten und Vergleiche erstellen, indem man sich auf die einzigen unmittelbaren Folgen einer Handlung, die im Widerspruch zu einer Verpflichtung stehen, beschränkt, sondern es ziehrot sich, die Gesamtheit der Regeln und Institutionen, die im Spiele sind, in Erwägung zu ziehen. Es gibt wohl ein gemeinsames Merkmal: In beiden Rechtsordnungen gehört der Begriff Verantwortlichkeit zur Verletzung einer Verpflichtung. Jedoch behandelt das innerstaatliche Recht nur einen Teil der Handlungen, die im Widerspruch zu einer Verpflichtung stehen, unter dem Gesichtswinkel der Verantwortlichkeit, während das Völkerrecht sich viel weitgehender dieser Institution bedient. Zum Beispiel wird im innerstaatlichen Recht eine einseitige rechtswidrige Rechtshandlung oft für nichtig erklärt, insbesondere wenn es sich um eine Norm handelt, die im Widerspruch zu einer übergeordneten Norm steht (Nichtigkeit einer im Widerspruch zum Gesetz stehenden Regelung)1 2, während in einer in gewisser Weise vergleichbaren Situation (eine innerstaatliche Norm im Widerspruch zu einer völkerrechtlichen) das Völkerrecht das Problem unter dem Gesichtswinkel der Verantwortlichkeit beurteilen muß. Ein anderes Beispiel: die Erfüllung der durch einen Vertrag entstandenen Verpflichtungen. Das Hauptinteresse des Kontrahenten, dessen Partner säumig ist, ist es zu erreichen, daß die Leistung erfüllt wird. Die innerstaatliche Rechtsordnung zielt darauf ab, so weit es möglich ist, dieses Ergebnis zu gewährleisten. So kann der Kaufgegenstand beim Verkäufer beschlagnahmt und dem Käufer übergeben werden. Damit erwähnen wir schon das Problem der Maßnahmen zur Zwangsvollstreckung, das später noch behandelt wird; es scheint aber nützlich, schon jetzt zu erwähnen, daß das Verhalten, das im Widerspruch zu einer vertraglichen Verpflichtung steht, nicht als einzige Folge die Verpflichtung zur Wiedergutmachung hat. Diese erscheint erst, wenn es nicht möglich ist, die Erfüllung der Leistung sicherzustellen, oder aber nur zusätzlich - um den Schaden zu decken, der aus einer säumigen Erfüllung der Verpflichtung entstanden ist. Mit anderen Worten: der Begriff der Verantwortlichkeit, verbunden mit seinen kompensatorischen Folgen, kommt erst in zweiter Linie. Die Übertretung (bzw. das Nichteinhalten) einer aus einem Vertrag entstan12 Das gilt auch für die Rechtshandlungen von Einzelpersonen, wie z. B. das Testament, das den Pflichtteil der legalen Erben schädigt.

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denen Verpflichtung wird durch das innerstaatliche Recht in erster Linie unter dem Winkel der Erfüllung der Verpflichtung ergriffen, ungeachtet der Nichterfüllung des Verpflichteten. Wenn man das Problem im Völkerrecht betrachtet, sieht man zweifellos, daß ein Abkommen zwischen den Staaten oft die gleiche Rolle spielt wie bei Einzelpersonen das Gesetz - eher als der Vertrag - in dem Sinne, als das zwischenstaatliche Abkommen öfter eine rechtliche Regelung begründet als einen Austausch von Leistungen vorsieht. Man kann daraus folgern, daß die Verletzung eines Abkommens mehr Analogien mit einer Gesetzesverletzung aufweist - die, wenn sie einem anderen Schaden zufügt, im innerstaatlichen Recht gerade unter dem Aspekt der Verantwortlichkeit behandelt wird- als mit einer Vertragsverletzung. Man kann auch feststellen, daß das Fehlen einer obligatorischen Gerichtsbarkeit es verhindert, feststellen zu lassen, daß ein Staat gebunden ist, eine aus einem Abkommen entstandene Verpflichtung zu erfüllen. Diese Beobachtungen erlauben es jedoch nicht, die Feststellung zu entkräften, daß das Nichteinhalten einer vertragsmäßigen Verpflichtung unter dem Gesichtswinkel der Verantwortlichkeit in jenen Fällen betrachtet wird, wo es im innerstaatlichen Recht Zwangsvollstreckung gibt. Diese wenigen Beispiele genügen, um in Erinnerung zu rufen, daß das Institut der Verantwortlichkeit im innerstaatlichen Recht verschiedenen Typen oder Kategorien von Verhalten, die im Widerspruch zu einer Verpflichtung stehen, entspricht, während andere Typen oder Kategorien anderen Gebieten wie der Nichtigkeit oder der Zwangsvollstreckung angehören. Im Völkerrecht hingegen, zweifellos wegen des Fehlens einer obligatorischen Gerichtsbarkeit, aber vor allem mangels zentralisierter Zwangsmittel, gehören die meisten Übertretungen einer Verpflichtung dem Gebiet der Verantwortlichkeit an. Man muß daraus schließen, daß wenn sich der Vergleich zwischen den beiden Rechtsordnungen oft als notwendig erweist, sei es auch nur, weil die gleichen Ausdrücke und Begriffe verwendet werden, auch wenn ihr Inhalt verschieden ist - es sich doch aufdrängt, nicht als Instrumente der Analyse allein die unmittelbaren Rechtsfolgen der Verantwortlichkeit im innerstaatlichen Recht (Strafe und Wiedergutmachung) zu nehmen. Man muß als Vergleichspunkte, wenn man die Rechtsnatur der Verantwortlichkeit eines Staates im Völkerrecht erkennen will, die Gesamtheit der Folgen nehmen, unmittelbar oder mittelbar, die die Verletzung einer Verpflichtung nach sich ziehen kann.

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111. Die Folgen der Verletzung einer Verpflichtung 1. Im innerstaatlichen Recht

Es wird genügen, kurz in Erinnerung zu rufen, was man als die allgemeinen, gemeinsamen Merkmale in den innerstaatlichen Rechtsordnungen bezeichnen kann, die im übrigen Unterschiede sowohl in der Struktur bestimmter Institute als auch in der Terminologie aufweisen. a) Die Verpflichtung zur Wiedergutmachung erscheint zunächst dann, wenn die Verletzung des objektiven Rechts einem anderen Schaden zufügt. Das ist die klassische aquilinische Verantwortlichkeit. Man kann hier feststellen, daß die schuldhafte rechtswidrige Handlung, die einen Schaden verursacht, eine neue Verpflichtung zwischen dem Verursacher (oder dem, der für ihn verantwortlich ist) und dem Geschädigten schafft. In zwe~ter Linie - wie schon angedeutet wurde - kann die Verletzung einer vertraglichen Verpflichtung eine Verpflichtung zur Wiedergutmachung nach sich ziehen, deren Prinzipien im übrigen je nach dem betreffenden Vertrag variieren. Es handelt sich um eine Verpflichtung, die an Stelle der ursprünglichen Verpflichtung tritt, sobald feststeht, daß diese nicht erfüllt wird. Wenn es nur um eine Verzögerung in der Erfüllung (der Verpflichtung) geht, hat die Verpflichtung, den aufgrund der Verzögerung entstandenen Schaden wiedergutzumachen, zusätzlichen Charakter. Schließlich bezieht sich die Verpflichtung zur Wiedergutmachung auf die Vergangenheit: eine rechtswidrige Handlung, die zur Gänze ihre Folgen gezeigt hat, oder (bei einer aus einem Vertrag entstandenen Verpflichtung) dessen feststehende Nichteinhaltung oder eine mit Sicherheit verzögerte Einhaltung. b) Die Strafe sanktioniert, wie man weiß, die Verletzung bestimmter, ganz besonderer Regeln. Es genügt, ihren affliktiven Charakter in Erinnerung zu rufen, in dem Sinne, als sie eine "Unannehmlichkeit" verursacht, die ihrer Natur nach unabhängig von den Folgen des Delikts ist. Sie erfüllt eine doppelte Funktion, einerseits die "Rache", andererseits die allgemeine und spezielle Prävention; dieser Vorbeugungscharakter ist der wichtigere. Es bleibt noch zu betonen, daß die Strafe nur durch die öffentliche Gewalt verhängt werden kann, und daß aufgrund ihrer Natur die gesamte Materie des Strafrechts durch zwingendes Recht geleitet wird (Individualisierung der Strafe, nullum crimen nulla poena sine lege, Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens usw.). c) Die Nichtigkeit kann die Nichtbeobachtung einer Verpflichtung sanktionieren - wir haben es schon betont und werden nicht darauf

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zurückkommen, außer um in Erinnerung zu rufen, daß die Nichtigkeit sowohl einen Akt der Behörde als auch die Handlung einer Einzelperson treffen kann; sie verhindert, daß diese Handlung Wirkungen hervorruft, die im Widerspruch zum Recht stehen. Falls nachteilige Wirkungen bereits vorhanden sind, kann es zur Kummulierung von Nichtigkeit und Wiedergutmachung kommen13 • d) Die Zwangsmaßnahmen oder Maßnahmen der Zwangsvollstrekkung erscheinen in verschiedenen Formen und in verschiedener Eigen-

schaft. Zwangsmaßnahmen Personen gegenüber, abgesehen von den Maßnahmen zur Verhängung von Gefängnisstrafen - werden dazu verwendet, um einer rechtswidrigen Situation ein Ende zu setzen, welche die Folge einer rechtswidrigen Handlung sein kann, wie die unerlaubte Besetzung eines Gebäudes, oder des Erlöschens eines Rechts, wie die Situation des Mieters, der nach dem regulären Ablauf seines Mietvertrages in seinen Räumen bleibt. Zwangsmaßnahmen hinsichtlich Sachen, auf einen bestimmten Gegenstand oder auf eine Geldsumme (einschließlich eines gegenwärtigen oder zukünftigen Guthabens oder Sachen, die zu Geld gemacht werden sollten) angewendet, dienen verschiedenen Zwecken. 'Zweifellos handelt es sich immer um die zwangsweise Erfüllung einer Verpflichtung durch den gepfändeten Schuldner, aber es kann sich entweder um eine Erstverbindlichkeit handeln (Pfändung eines verkauften Gegenstandes, den zu liefern der Verkäufer sich weigert) oder um eine Verpflichtung zur Wiedergutmachung als Folge einer rechtswidrigen Handlung (neue Verbindlichkeit) oder der Nichterfüllung eines Vertrages. Was Aufmerksamkeit verdient, ist die Tatsache, daß die von der Behörde ausgeführte Zwangsmaßnahme manchmal die unmittelbare Folge der Verletzung einer Verpflichtung ist: Das ist dann der Fall, wenn es darum geht, einer rechtswidrigen Situation ein Ende zu setzen oder die Erfüllung einer Verpflichtung zu gewährleisten. Aber manchmal tritt die Zwangsmaßnahme erst im zweiten Stadium ein, wenn nötig: Wenn es um Verantwortlichkeit geht, oder um den Bruch eines Vertrages, dessen Erfüllung nicht mehr möglich ist, ist die unmittelbare Folge die Verpflichtung zur Wiedergutmachung; wenn diese nicht erfüllt wird, kommt es zur Zwangsvollstreckung. 13 Dies ist der Fall, wenn eine für nichtig erklärte Handlung der Obrigkeit einen Schaden verursacht hat: Der Staat ist verantwortlich und muß den Schaden wiedergutmachen, zumindest trifft dies zu in vielen innerstaatlichen Rechtsordnungen (wie übrigens auch im Gemeinschaftsrecht, cf. Art. 215, 2 des EWG Abkommens).

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Muß man, was Gewaltanwendung im weitesten Sinn betrifft, noch die Notwehr erwähnen? Sie entspricht einer anderen Rechtsgrundlage, denn sie ist ein Grund für Haftungsausschluß. Man kann jedoch bezüglich der Notwehr hervorheben, daß sie in engem Zusammenhang mit der Rechtsverletzung steht, weil ja eine rechtswidrige Handlung oder die unmittelbar drohende Gefahr einer solchen den Rückgriff auf normalerweise verbotene Mittel legitim macht, um die Folgen einer rechtswidrigen Handlung durch einen anderen zu vermeiden oder einzuschränken. Daraus folgend scheint es gerechtfertigt zu behaupten, daß das innerstaatliche Recht mit der Rechtsverletzung einerseits affliktive oder repressive Folgen verbindet, die die ganz spezifische Materie des Strafrechts darstellen und andererseits verschiedene Rechtsfolgen, von denen manche unmittelbar sind (Nichtigkeit, 'Zwangsvollstreckung einer durch einen Vertrag entstandenen Verbindlichkeit, Beendigung einer rechtswidrigen Situation, Verpflichtung zur Wiedergutmachung), andere aber erst in einem zweiten Stadium eintreten (Zwangsvollstrekkung einer Verpflichtung zur Wiedergutmachung). Die gesamte Materie des Verhaltens, das im Widerspruch zu einer Verbindlichkeit steht, ist daher eng an die Effektivität (wenn es sich um Nichtigkeit handelt) und an die Zwangsmittel gebunden, die durch die Zentralisierung der öffentlichen Gewalt, das Monopol der legalen Gewalt, über die sie verfügt, und die Effektivität dieser Gewalt gewährleistet sind. Was die Rolle des Richters betrifft, so ist sie offensichtlich entscheidend. Das richterliche Urteil jedoch ist nur ein Mittel und eine Bedingung. Ein Mittel, das Recht festzulegen (festzusetzen, ob eine Verpflichtung besteht, einen Schaden wiedergutzumachen oder einen Vertrag zu erfüllen, ob ein Rechtsanspruch erloschen ist etc.). Eine in den meisten Fällen notwendige Bedingung für die Zwangsvollstreckung, die eines richterlichen Urteils bedarf, wenn sie von einer Privatperson gefordert wird. 2. Im Völkerrecht

Im Völkerrecht räumt man im allgemeinen ein, daß die Verletzung einer Verpflichtung durch einen Staat die Verpflichtung zur Wiedergutmachung zu seinen Lasten mit sich bringt und daß das Fehlen von Wiedergutmachung Repressalien den Weg öffnet14 • Es ziehmt sich, bei diesen beiden Fragen stehenzubleiben und dann zu prüfen, ob sich an14

Siehe den Fünften Bericht von R. Ago, loc. cit., S. 49.

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dere Rechtsfolgen aus einem Verstoß gegen eine Verpflichtung ergeben können. a) Die Verpflichtung zur Wiedergutmach ung als Folge eines international rechtswidrigen Akts ist auf deutlichste Weise durch die internationale Praxis, insbesondere die Rechtsprechung , sanktioniert worden15 • Dieser Verpflichtung des Staates, dem die rechtswidrige Handlung zugerechnet wird, entspricht der Anspruch (claim, pretention) des Staates, der das Opfer des Verstoßes ist. Nun, das Studium der diversen Situationen, die zu der Verbindung Verpflichtung - Anspruch führen, erlaubt es festzustellen, daß sie recht verschieden voneinander sind. Man trifft sicherlich auf Fälle, wo im Moment der Klage die rechtswidrige Handlung vollständig der Vergangenheit angehört. Es geht dann darum, die Wirkungen dieser Handlung wiedergutzumac hen, und diese Situation entspricht im innerstaatlichen Recht jener der "zivilen" Verantwortlichk eit (aufgrund eines zugefügten Schadens oder eines Vertrages, wenn feststeht, daß der Vertrag nicht erfüllt werden wird). Man findet unzählige Beispiele in der internationalen Praxis und kann sich unter vielen anderen den Korfu-Kanal-Fa ll 16 in Erinnerung rufen: der Anspruch Großbritannien s wegen der von seiner Marine erlittenen Schäden und der Anspruch Albaniens nach der in seinen territorialen Gewässern erfolgten Entminung bezogen sich auf vergangene Ereignisse, deren sämtliche Folgen endgültig eingetreten waren. Man findet auch Ansprüche - und das muß betont werden - die unter dem allgemeinen Begriff der Wiedergutmach ung oder unter einer anderen Bezeichnung darauf abzielen, die Beendigung einer rechtswidrigen Situation oder die Erfüllung einer Verpflichtung zu erreichen. Wenn ein Staat seine territorialen Gewässer über die durch das Völkerrecht festgelegten Grenzen hinaus ausdehnt, so zielt der Anspruch des anderen Staates weniger auf die Wiedergutmach ung von Schäden ab, die er durch diese rechtswidirge Handlung erlitten haben kann, als auf die Beendigung der so entstandenen rechtswidrigen Situation, die auch noch im Augenblick der Klage andauertl 7 • Ebenso in C. P. J. I., Serie A, No. 9, S. 21 (Chorz6w-Fall). C. I. J., Recueil1949, S. 4. 17 In den beiden Fischerei-Fällen, in welchen Island Großbritannien (C. I. J., Recueil 1974, S. 3) und der BRD (C. I. J., Recueil 1974, S. 175) gegenüberstand, war es das Hauptziel der beiden Kläger, erklären zu lassen, daß das Dekret Islands nicht mit dem Völkerrecht übereinstimmte und daher nicht angewandt werden dürfte; die Forderung nach Wiedergutmachu ng sensu stricto hatte weniger Bedeutung. Siehe auch den Fall Haya de la Torre (C. I. J., Recueil 1951, S. 71): Peru war berechtigt, die Beendigung der regelwidrigen Situation zu verlangen (S. 82). 15

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einem Fall, wo ein Gesetz ein früheres Abkommen verletzt, das ein rechtliches Regime zwischen den Parteien begründet (Niederlassungsabkommen, Abkommen über Doppelbesteuerung, Schiffahrtsabkommen usw.): Die restitutio in integrum, die verlangt wird, faßt sicher auch die verursachten Schäden ins Auge, aber vor allem die Aufhebung des Gesetzes, das heißt die Beendigung der Rechtswidrigkeit. Das sind die Situationen, wo das innerstaatliche Recht mit Nichtigkeit und Zwangsmitteln operiert. Schließlich, um es bei diesen wenigen Beispielen zu belassen, wenn ein Abkommen die Verpflichtung zu einer Leistung oder zu irgendeinem anderen Handeln auferlegt (den Zolltarif zu ändern, zum Beispiel), wird es die erste Sorge des Staates sein, der sich gegen die Nichterfüllung des Abkommens durch seinen Partner wehren muß, die Durchführung des Abkommens zu verlangen und nicht eine eigentliche Wiedergutmachung. In den Fällen, wo der Staat eine Verpflichtung zur Enthaltung verletzt oder passiv bleibt, wenn er die Pflicht hat, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, kann er eine rechtswidrige Situation hervorrufen, die auch noch in dem Augenblick besteht, wo der Staat, dessen Rechte verletzt sind, seinen Anspruch geltend macht18 : Was man Verpflichtung zur Wiedergutmachung nennt, ist in Wirklichkeit die Pflicht, die Anerkennung oder Durchführung der ursprünglichen Verpflichtung zu gewährleisten1o. b) Die RepressaLien sind ein Institut, bei dem manche Aspekte umstritten sind20 • Man kann es aber für gesichert halten, daß ein Staat, der das Opfer eines international rechtswidrigen Aktes ist - unter der Bedingung, daß er vorher einen Anspruch erfolglos geltend gemacht hat -gegen den des Verstoßes Maßnahmen ergreifen kann, die unter anderen Umständen im Widerspruch zum Recht stünden 21 • 18 Die Aufkündigung eines Abkommens wegen wesentlicher Verletzung seitens der anderen Partei ist nur eine Möglichkeit (Art. 60 der Wiener Konvention über das Vertragsrecht), wodurch zum Ausdruck gebracht wird, daß der Staat Interesse an der Einhaltung oder Durchführung des Abkommens haben kann. Wenn das Abkommen aufgekündigt ist, existiert selbstverständlich die Verpflichtung nicht mehr und die Beschwerde kann nur auf die eventuelle Wiedergutmachung von Schäden abzielen, die aus der Vertragsverletzungenstanden sind, als er noch in Kraft war. 18 In diesem Sinne Reuter, Principes de droit international public, RCADI, vol. 103, 1961, II, S. 595; Guggenheim, Traite de droit international public, t. II, 1954, S. 68. 20 Siehe Partsch, Repressalie, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III, 1962, S. 102; Venezia, La notion de represailles en droit international public, Revue generale de droit international public, 1960, S. 465; Fünfter Bericht von R. Ago, loc. cit., S. 31. 21 Siehe das berühmte Urteil im Zwischenfall von Naulilaa, U. N. R. I. A. A., Band Il, S. 1025.

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Er muß sich jedoch der bewaffneten Gewalt enthalten22 und das Prinzip der Proportionalität achten. Die eben skizzierte Analyse von verschiedenen Situationen, in denen sich ein Staat befinden kann, der Opfer eines rechtswidrigen Aktes ist, läßt verstehen, daß dieser zu Repressalien greifen kann - nicht nur, wenn er nach Aufforderung eine Wiedergutmachung im engen Sinn nicht erhalten kann, sondern auch, wenn er vergeblich die Beendigung einer rechtswidrigen Situation oder die Erfüllung einer Verpflichtung verlangt23 • Es scheint uns wichtig, das zu unterstreichen, nicht aber ohne die Wichtigkeit der erfolglosen Aufforderung zu betonen24 • Die Frage, die immer die Lehrmeinungen gespalten hat, ist jene nach der Rechtsnatur der Repressalien. Handelt es sich um eine Strafmaßnahme, um eine Gewaltanwendung, oder um eine Zwangsvollstreckung? In Wahrheit ist keine dieser Qualifikationen exakt, aber keine ist auch ganz unrichtig 25. Die Repressalien sind ein acte mixte, deren Natur in Begriffen des innerstaatlichen Rechts nur- und auch das nur sehr annähernd - in jedem einzelnen Fall bestimmt werden kann, im Lichte der konkreten Maßnahmen, die getroffen wurden und im Lichte des Ziels, das der Staat verfolgt, der sie traf. Wenn also ein Staat zum Nachteil eines anderen das genaue Aequivalent dessen nehmen kann, was ihm zusteht, hat man eine Maßnahme vor sich, die nahe an die Zwangseintreibung einer Schuld herankommt26. Wenn ein Staat Maßnahmen zur Beschlagnahmung fremder Güter trifft in der Absicht, diese wieder aufzuheben, falls der betroffene 22 Über das Verbot von militärischen Repressalien, cf. Partsch, loc. cit., S. 104 und Bowett, Reprisals involving recourse to armed forces, 66 American Journal of International Law (1972), S. 1. 23 Siehe in diesem Sinn die Definition des Instituts für internationales Recht (Annuaire de !'Institut de droit international, 1934, S. 708) die von Repressalien sagt, daß sie es zum Ziel haben, die "Respektierung des Rechts" zu erzwingen. 24 Diese Anspruchserhebung schließt nicht nur die Inanspruchnahme gewöhnlicher, diplomatischer Wege ein, sondern auch - wenn sich die beiden betroffenen Staaten der Schiedsgerichtsbarkeit unterworfen haben die Inanspruchnahme auch dieses Verfahrens, das auch den Internationalen Gerichtshof einschließt, wenn die beiden Staaten eine Erklärung im Sinne des Art. 36/2 des IGH-Statuts abgegeben haben. 25 Siehe für diverse Thesen, Ago, Le delit international, loc. cit., S. 527; Oppenheim-Lauterpacht, International Law, t. II (7th ed.), S. 143; Guggenheim, op. cit., t. II, S. 84; Partsch, loc. cit., S. 104; Tomuschat, Repressalie und Retorsion 33, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1973, S. 186. 28 z. B. der Interalliierte Vertrag bezüglich der Zuerkennung von alban. Münzgold an Großbritannien als Teilsatisfaktion seiner Schuldforderung in der Folge des Korfu-Kanal-Falls. C. I. J., Recueil 1954, S. 19.

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Staat einer rechtswidrigen Situation ein Ende setzt oder eine Verpflichtung erfüllt, erscheinen die Repressalien wie eine Art von Zwangsmittel27. Erst wenn die Repressalien einen bestimmten Schaden zufügen, der nicht einer Wiedergutmachung gleichkommt, haben sie den Anschein einer Repression (Rache, aber vielleicht auch ein Versuch zur Vorbeugung). Militärische Repressalien weisen meist diesen Charakter auf. Man kann jedoch nicht mit Bestimmtheit sagen, daß dies heute das Hauptmerkmal der Repressalien sei. c) Unmittelbare Gewaltanwendung ist im Falle eines Angriffs auf die Gebietshoheit gestattet. Im schwerwiegendsten Fall, im Fall des bewaffneten Angriffs gestattet die Selbsverteidigung (Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen) die Zuhilfenahme aller durch das ius in bello erlaubten Mittel, sowie die Hilfe anderer Staaten28 . Andere, weniger schwerwiegende Beeinträchtigungen berechtigen ebenfalls zu einer unmittelbaren Reaktion29 . Der Staat hat das Recht, Mittel einzusetzen, die die widerrechtliche Situation beenden sollen, aber nur auf seinem Territorium. Das Recht auf Wiedergutmachung eines bei einer Verletzung der Gebietshoheit erlittenen Schadens ist unabhängig von diesem Recht, die widerrechtliche Situation durch Gewalt zu beenden30 • Man muß also zunächst mit Bestimmtheit feststellen, daß der Angriff auf die Gebietshoheit einen spezifischen Sonderfall darstellt. Nicht weil diese Art von rechtswidriger Handlung überhaupt nicht in die gemeinsame rechtliche Regelung fällt (die Verpflichtung zur Wiedergutmachung der verursachten Schäden folgt aus dem rechtswidrigen Akt), sondern weil der Staat, der der Geschädigte dieser Handlung ist, von 27 Andere Zwangsmaßnahmen sind nicht Repressalien, insbesondere wenn es sich um Maßnahmen handelt, die an sich nicht rechtswidrig sind. 28 Man muß den Unterschied zwischen Notwehr (primäres Recht eines Staates) und Repressalien (ein Recht, das aus der rechtswidrigen Handlung eines anderen und der erfolglosen Mahnung abgeleitet wird) betonen. Cf. Zourek, La notion de legitime defense en droit international, Rapport provisoire, Annuaire de !'Institut de droit international, 1975, S. 59; Bowett, loc. cit., S. 3. Siehe auch Ago, Le delit international, loc. cit., S. 539. Die Grenze ist jedoch manchmal schwer zu ziehen, so z. B. wenn ein Staat es unternimmt, einen Teil seines Territoriums, das von einem anderen besetzt ist, wieder in Besitz zu nehmen. 29 Siehe z. B. den Fall des Flugzeugs U 2, Revue generale de droit international public, 1961, S. 133. Die Anwendung von Gewalt ist gestattet, aber nur innerhalb der Grenzen des Proportionalitätsprinzips, was eine gewisse Analogie mit den Repressalien aufweist. 30 Das Recht eines Staates, die Beendigung einer rechtswidrigen Situation auf seinem eigenen Territorium herbeizuführen, entspringt aus einer anderen Quelle - das bemerkt man insbesondere daran, daß hier nicht notwendigerweise eine Mahnung vorausgehen muß: denn die Mahnung kann lange Verzögerungen mit sich bringen, insbesondere wenn die beiden Staaten durch eine schiedsgerichtliche Verpflichtung gebunden sind.

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seinem ihm zustehenden Recht Gebrauch macht, sich die Achtung seiner territorialen Unversehrtheit zu verschaffen - und nicht von einem Recht, das aus einem rechtswidrigen Akt eines anderen abgeleitet wird. Man sieht das vor allem an der Tatsache, daß eine Geltendmachung nicht notwendig ist. Abgesehen von diesem Sonderfall bringt ein international rechtswidriger Akt ein Recht auf Wiedergutmachung mit sich, das sich jedoch auf zwei sehr verschiedene Realitäten bezieht. Es kann sich um ein Recht auf Wiedergutmachung im engeren Sinn handeln, aber auch um das Recht, sich die Achtung einer ursprünglichen Verpflichtung zu ver~ schaffen. Daher ist das Recht, Vergeltungsmaßnahmen zu treffen, manchmal die Folge eines Fehlens von Wiedergutmachung, manchmal aber auch die unmittelbare Folge einer rechtswidrigen Handlung insofern als sie die Weigerung sanktioniert, die ursprüngliche Verpflichtung anzuerkennen oder durchzuführen31 • In dem einen wie dem anderen Fall spielt die Geltendmachung eine große Rolle, weil- wenn die beiden betroffenen Staaten durch eine Verpflichtung zur Schlichtung gebunden sind- der Beschwerdeführer dieses Verfahren einhalten muß. Bei Fehlen eines solchen Verfahrens liegt der schwerste Fehler darin, daß die Beschwerde, die Gegenstand des Anspruches ist, vielleicht nicht fundiert ist, so daß die Repressalien rechtswidrige Handlungen sind. Nichtsdestoweniger sind Repressalien, wenn sie auch mit dieser Bedingung zur Mahnung verbunden sind, in manchen Fällen die unmittelbare Folge des Unrechts. d) Die Satzung der Vereinten Nationen verdient es, in diesem Zusammenhang kurz erwähnt zu werden. Zweifellos hat das System, das sie einsetzt, nicht die Sanktion des Unrechts zu seinem wichtigsten Ziel, sondern die Erhaltung des Friedens. Es ist also nicht an die Institution der internationalen Verantwortlichkeit gebunden. Nichtsdestoweniger scheinen unter den Motiven die die Intervention des Sicherheitsrates nach Kapitel VII rechtfertigen, die schwerwiegendsten international rechtswidrigen Akte, vor allem der Angriff, auf. Es ist also nicht uninteressant, sich über die "Sanktionen", die der Sicherheitsrat anordnen kann, zu befragen. Diesbezüglich scheint uns, daß die militärischen Maßnahmen zweifellos teilweise Strafcharakter haben, daß sie aber in erster Linie zum Ziel haben, die Verteidigung des Staates, der Opfer einer Aggression ist, zu gewährleisten, und zu verhindern, daß diese 31 In besonderen Fällen kann das Erlöschen eines Rechts eine rechtswidrige Situation verursachen, wenn der Staat, der dieses Recht innehatte, es weiterhin ausübt. Siehe das Gutachten bezüglich Namibia, C. I. J., Recueil 1971, S. 16, das besagt: "Solange es diese illegale Situation weiterbestehen läßt und das Territorium ohne Anrecht besetzt, wird Südafrika völkerrechtlich verantwortlich aufgrund einer andauernden Verletzung einer internationalen Verbindlichkeit", (S. 54).

16 Festsehr1ft für Stephan Verosta

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Aggression ihrem Urheber Vorteil bringt (Gewinn von Territorien oder andere politische Vorteile) - kurz, die durch den Aggressor gestörte Ordnung wiederherzustellen. Das Element des 'Zwangs ist markanter und wichtiger als der Aspekt der Strafe, vor allem, wenn kollektive militärische Operationen unternommen werden um die Aggression abzuwehren und nicht auf dem Territorium des Angreifers geführt werden. Es geht viel mehr darum, eine Verfügung mit Gewalt durchzusetzen, als eine Strafe zu verhängen, bei der man sich klar ist, daß sie bestimmt die Bevölkerung härter trifft als deren Regierung. Diese Aussage gilt noch mehr für die nichtmilitärischen Maßnahmen. Dort fehlt das Element der Strafe manchmal weitgehend - so scheint es uns, wenn der Sicherheitsrat Waffenlieferungen verbietet32 ; es erscheint im Hintergrund, wenn umfassendere Maßnahmen angeordnet werden, die auf eine Art von wirtschaftlichem Ersticken abzielen 88 • Das Ziel ist es, den Staat, der Gegenstand dieser Maßnahmen ist, dazu zu bringen, eine Situation zu beenden, die man für rechtswidrig oder friedensbedrohend hält. Das Vertragsrecht, wie das allgemeine Völkerrecht, scheint uns viel mehr auf Zwang als auf Strafe ausgerichtet. 3. Sdtlußfolgerungen

Der Vergleich der beiden Rechtsordnungen erlaubt Feststellungen, die für unseren Zusammenhang nützlich sind. Handlungen oder Verhaltensformen, die im Widerspruch zu einer Verpflichtung stehen, ziehen im innerstaatlichen Recht den Einsatz verschiedener Institute nach sich. Die Verantwortlichkeit (Haftung) nimmt einen Platz in einer Gesamtheit ein, von der sie einen Aspekt darstellt. Sie bestimmt denjenigen, der die Folgen einer Handlung tragen muß, die der Vergangenheit angehört und deren Wirkungen vollständig und endgültig eingetroffen sind. Darin besteht das gemeinsame Merkmal der zivilen Haftung und Haftung durch Strafe, die im übrigen verschiedenen Rechtskonstruktione n entsprechen. Das Strafdelikt macht die Verpflichtung der öffentlichen Macht zur Verhängung einer Strafe aktuell und konkret, eine Verpflichtung, die eine der zahlreichen Auf4 gaben der Behörden ist (unter denen sich auch die Aufgabe befindet, Vollstreckungsmaßn ahmen zu ergreifen, wenn eine Privatperson es mit Berufung auf ein richterliches Urteil verlangt). Die zivile Haftung zeigt sich in "horizontalen" Beziehungen und ihr Charakteristikum ist das 32 z. B. Resolution des Sicherheitsrats 418 (1977) betreffs der Waffenlieferungen an Südafrika. 33 z. B. die verschiedenen Resolutionen des Sicherheitsrats betreffs Südrhodesiens, insbesondere es 232 (1966), 253 (1968), 277 (1970), 388 (1976), 409

(1977).

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Erscheinen einerneuen juristischer• .Relation. Es entsteht eine Verbindlichkeit und ein entsprechendes Recht. In der internationalen Rechtsordnung erscheinen Handlungen im Widerspruch zu einer Verpflichtung in einem anderen, viel einheitlieberem Zusammenhang, wo man nur das Institut der Verantwortlichziehungen ebenfalls durch das Erscheinen von neuen juristischen Relationen zwischen dem verantwortlichen und dem geschädigten Staat charakterisiert. Hingegen beinhalten die neuen Rechte, die zum Vorteil dieses geschädigten Staates entstehen, einerseits eine Berechtigung auf Wiedergutmachung der erlittenen Schäden, andererseits aber auch das Recht, Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, von dem wir gesehen haben, daß es in bestimmten Situationen die unmittelbare Folge eines rechtswidrigen Aktes ist, obwohl es erst nach der Aufforderung ausgeübt werden kann, die Situation zu beenden, die durch diese widerrechtliche Handlung oder Unterlassung entstanden ist. IV. Auf der Suche nach einem rechtlichen Regime für die internationalen Verbrechen Die Analyse der Haftungsregelung im Völkerrecht erlaubt e1mge Überlegungen über die Grenzen, in denen sich das Problem der rechtlichen Regelung der internationalen Verbrechen darstellt. 1. Der Ausdruck "Verbrechen" läßt zweifellos an eine strafrechtliche Haftung denken, aber, wenn man achtgibt, nicht bei diesem semantischen Aspekt stehenzubleiben und bei dem, was der Ausdruck im innerstaatlichen Recht bedeutet, wird man sich darüber klar, daß die Sanktionierung einer besonderen Regelung der Staatenhaftung für bestimmte Handlungen nicht unbedingt bedeutet, daß man diese Haftung "kriminalisiert" - was wirklich fundamentale Einwände hervorrufen würde. Da ja das Völkerrecht in seinem augenblicklichen Zustand auch andere Folgen eines rechtswidrigen Aktes als die Verpflichtung, einen Schaden wiedergutzumachen, rechtfertigt, muß man in dieser Perspektive Überlegungen anstellen, ohne bei dem Gedanken stehenzubleiben - der aus der spezifischen Funktion der Verantwortlichkeit im innerstaatlichen Recht resultiert - daß man über das Recht des Geschädigten auf Wiedergutmachung hinaus nur mehr die "Strafe" antreffen könnte.

2. Das Recht auf Wiedergutmachung im eigentlichen Sinn steht nur dem durch einen rechtswidrigen Akt Geschädigten zu, aber man kann 16•

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sich fragen, ob das Recht, die Beendigung des rechtswidrigen Zustandes zu fordern oder - nach erfolgloser Aufforderung - das Recht, Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, nicht der Gesamtheit der Staaten zuerkannt werden kann34 wenn es sich um Akte handelt, die als Verbrechen qualifiziert sind. Es ist klar, daß eine Entwicklung in diese Richtung nicht ins Auge gefaßt werden kann, ohne daß vorher verschiedene heikle Fragen geklärt würden, von denen einige hier kurz angeschnitten werden sollen. Die Schwierigkeit des Problems ist jedoch kein ausreichendes Motiv, um eine Arbeitshypothe se beiseitezuschieb en, die sich in den allgemeinen Zusammenhang des Rechts der völkerrechtliche n Verantwortlichkeit, wie es bis jetzt aufgebaut wurde, fügt. 3. Von dieser Perspektive aus scheint es uns notwendig, sofort festzustellen, daß man das geltende Recht einhalten muß - welches auch immer seine Unsicherheiten seien - was die Anwendung von militärischer Gewalt betrifft. Auf dem Umweg über die rechtliche Regelung der internationalen Verbrechen das Prinzip der militärischen Repressalien wieder einzuführen, könnte die größten Gefahren hervorrufen. Das Gewaltverbot, das sowohl durch die Satzung der Vereinten Nationen als auch durch das Gewohnheitsrec ht bestätigt ist, muß unverändert bestehen bleiben. Man könnte die Anwendung von militärischer Gewalt nur in übereinstimmu ng mit der Satzung ins Auge fassen, im Rahmen der Institution der kollektiven Sicherheit (Kap. VII). Im übrigen erlaubt die individuelle und kollektive Selbstverteidigu ng die Zuhilfenahme von Waffen im Falle eines bewaffneten Angriffs, inklusive der militärischen Unterstützung des Staates, der das Opfer des Angriffs ist. Es besteht kein Grund, darüber hinauszugehen. 4. Wenn man zulassen will, daß Staaten, die vom internationalen rechtswidrigen Akt nicht betroffen sind, Friedensrepress alien ergreifen könnten, um die rechtswidrige Situation zu beenden, falls diese ein Verbrechen darstellt, so darf man nicht aus den Augen verlieren, daß analoge Maßnahmen36 durch den Sicherheitsrat angeordnet werden können (Art. 41 der Satzung). Man kann sich die Koexistenz von zwei Systemen kollektiver Maßnahmen schwer vorstellen, selbst wenn ihre Ziele verschieden sind. Daher scheint es klar, daß die Folge eines internationalen Verbrechens nicht die Verpflichtung, aber eine Befugnis für die Staaten 84 Siehe in diesem Sinne Schindler, Le principe de non-intervention dans les guerres civiles, Rapport provisoire, Annuaire de !'Institut de droit international, 1973, S. 481. 35 Diese Maßnahmen sind nur in ihrem materiellen Aspekt analog, ihre rechtliche Qualifikation ist natürlich verschieden.

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wäre, Repressalien zu ergreifen. So ist im Augenblick das System des Völkerrechts in den Beziehungen zwischen Verursacher und Geschädigten eines international rechtswidrigen Aktes, wobei es klar ist, daß diese Befugnis von der erfolglosen Geltendmachung abhängig ist, eine Frage, auf die wir zurückkommen werden. Es bleibt zu prüfen, ob eine solche Regelung opportun wäre. Man kann sich fragen, ob eine derartige Befugnis nicht nur von einigen Staaten geltend gemacht würde, je nach ihren Interessen, was die Unterscheidung zwischen Vergehen und Verbrechen illusorisch- oder fast illusorisch machen würde. Man kann auch argumentieren, daß eine zaghafte und sporadische Ausübung nichtsdestoweniger positive Aspekte zeigt. Die Debatte ist offen und die Antwort hängt von verschiedenen Elementen ab, insbesondere von der Definition der internationalen Verbrechen. 5. Ins Auge zu fassen, allen Staaten das Recht zuzuerkennen, die Wiedergutmachung oder Beendigung von internationalen Verbrechen zu fordern, bedeutet, die Frage des Geschädigten aufzuwerfen. Wenn es sich um einen Staat handelt, steht es nicht ihm zu, zu beurteilen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind? Dürften die anderen Staaten nicht nur auf sein Verlangen handeln können? Die Frage stellt sich in anderer Weise, wenn nicht ein Staat der Geschädigte ist, wie es im Entwurf des Artikels 19 der Hinweis auf Kolonialherrschaft, Sklaverei, Völkermord, Apartheit naheliegt. Es ist wahrscheinlich, daß die rechtliche Regelung der internationalen Verbrechen- zumindest angepaßt sein muß, je nachdem ob ein Staat oder eine Bevölkerung davon betroffen wird. 6. Eine der heikelsten Fragen ist die Feststellung in einem gegebenen Fall - ob ein internationales Verbrechen besteht. Bis jetzt liegt der schwerwiegendste Mangel der rechtlichen Haftungsregelung in der Tatsache, daß der Anspruch eines Staates, der vorbringt, Geschädigter einer Rechtsverletzung zu sein, nicht genügend fundiert ist: Er kann sich hinsichtlich des genauen Wortlauts, hinsichtlich des Bestehens einer Vorschrift oder ihrer Interpretation täuschen36 • Wenn der andere Staat überzeugt ist, in seinem Recht zu sein, bleibt die Anspruchserhebung erfolglos, außer wenn beide durch eine schiedsgerichtliche Verpflichtung gebunden sind oder sich auf eine solche Regelung einigen. Oft herrscht Unsicherheit in der Frage, ob bestimmte Zwangsmaßnahmen Repressalien sind oder rechtswidrige Akte. 38 Unter zahlreichen Beispielen der Britisch-Norwegische Fischerei-Fall; Großbritannien war überzeugt, daß das norwegische System teilweise im Widerspruch zum Völkerrecht stand, daß es folglich eine rechtswidrige Situation schuf, was sich als irrig herausstellte (C. I. .T., Recueil 1951, S. 116).

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Um so mehr würde Unsicherheit eintreten, wenn alle Staaten über das Recht verfügten, die Einstellung eines Verbrechens zu fordern. Man muß also große Aufmerksamkeit der Frage der Feststellung des Verbrechens widmen. Es ist klar, daß dies die Aufgabe eines Gerichts sein müßte, das dies zu prüfen hätte. Man kann jedoch nicht vom System der Vereinten Nationen absehen ; die erste Frage ist die, welche Rolle der Sicherheitsrat in dieser Materie spielt. Wenn der Angriff ein Verbrechen ist, wird er berufen sein um festzustellen, daß ein Verbrechen vorliegt (Art. 39), während er ebenso gegebenenfalls erwägen könnte, daß verschiedene Verbrechen eine Bedrohung des Friedens darstellen, obwohl auch in dieser Materie seine Macht nicht unbegrenzt ist. Welche Auswirkungen könnte das auf ein eventuelles Gerichtsverfahren haben? Wenn man die besondere Aufgabe und die Arbeitsweisen des Sicherheitsrats in Erwägung zieht, scheint es uns, daß nur die Feststellung, daß eine Aggression stattgefunden hat, ein Gericht binden könnte. Die anderen Feststellungen des Sicherheitsrates, insbesondere die Feststellung einer Friedensbedrohung, lassen in unseren Augen die Frage offen, ob es sich um ein Verbrechen handelt. Ein Gericht behielte die Freiheit zur Beurteilung. Schließlich, wenn der Sicherheitsrat keinerlei Feststellung im Sinne des Artikels 39 vornimmt, bedeutet das nicht, daß keine rechtswidrige Handlung vorliegt, die sehr wohl ein Verbrechen sein kann. Die Funktionen des Sicherheitsrates lassen also bezüglich der internationalen Verbrechen den Weg der Gerichtsverfahren weitgehend offen. Was die Generalversammlung betrifft, ein politisches Organ, kann ihr!'! Rolle bei der Ausarbeitung der Definition der internationalen Verbrechen eine wichtige sein, und sei es auch nur durch den Beitrag ihrer Resolutionen zur Entwicklung verschiedener Begriffe und zur internationalen Praxis. Es steht ihr aber nicht zu, außer für interne Ziele, "Recht zu sprechen", d. h. eine konkrete Situation im Lichte einer anwendbaren Norm zu beurteilen. Sie ist sich dessen bewußt, da. sie ja auf die Möglichkeit des Gutachtenverfahrens zurückgreift, wenn sie einen Rechtsstandpunkt erläutert wissen will. Die Rechtsmeinung, die sie somit in einem konkreten Fall über das Vorhandensein eines internationalen Verbrechens äußern könnte - auch wenn man ihr die Wichtigkeit zugesteht, die sie verdient - scheint uns aber nicht so zu sein, daß sie ein Gericht binden könnte. Es ist auch nicht wünschenswert, ihr die Aufgabe anzuvertrauen, das Vorhandensein eines internationalen Verbrechens festzustellen, da dies nicht ihrer Funktion entspricht und der internationalen Gerichtsbarkeit einen schweren Schlag versetzen könnte.

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Auf welche Art stellt sich das Problem der richterlichen Intervention? In der Folge zweier Verfügungen im Südwestafrika-Fall 81 , die sich jedoch auf die Auslegung eines besonderen Instruments bezogen, und vor allem bei der Lektüre der Verfügung des internationalen Gerichtshofes im Barcelona Traction-Fall38 hat man sich über die Möglichkeit einer Art actio popularis 39 Gedanken gemacht. Es frägt sich, ob der Begriff der Rechtsstreitigkeit im Sinne von Art. 32/2 des Statuts des IGH sowie der Schiedsgerichtsverträge auf Fälle ausgedehnt werden kann, wo der Kläger nicht direkt durch das Verhalten des Beklagten betroffen wird. Es scheint, daß, sollte das allgemeine Völkerrecht anerkennen, daß bestimmte rechtswidrige Handlungen allen Staaten das Recht geben, die Beendigung der rechtswidrigen Situation zu fordern, gleichzeitig das für das ius standi nötige rechtliche Interesse vorhanden sein würde. Diese Frage stellt sich jedoch nur dann, wenn der Staat, dem man eine rechtswidrige Handlung vorwirft, durch eine schiedsgerichtliche Verpflichtung gebunden ist, die aus einer Erklärung im Sinne von Art. 36/2 oder aus einem Vertrag hervorgeht. Das Hauptproblem ist, daß zahlreiche Staaten eine solche Verpflichtung nicht übernehmen. Natürlich kommt einem der Gedanke, die obligatorische Gerichtsbarkeit des IGH festlegen zu lassen, nur diesem zu ermöglichen, über das Vorhandensein eines internationalen Verbrechens zu entscheiden. Da man aber bezweifeln kann, ob dieses Prinzip allgemein angenommen würde, muß man auch an andere Lösungen denken. Das Recht, Zwangsmaßnahmen in Form von Repressalien zu ergreifen, ist von einer erfolglosen Anspruchserhebung abhängig. Wenn die beiden betroffenen Staaten durch eine Verpflichtung zur Unterwerfung an ein Schiedsgericht gebunden sind, muß der Beschwerdeführer auf dieses Verfahren zurückgreifen. Beim Fehlen einer solchen Verpflichtung ist es heute nicht sicher, ob Anspruchserhebung, um rechtsgültig zu sein, ein Angebot zur schiedsgerichtlichen oder gerichtlichen Beilegung enthalten muß 40 • Man könnte daran denken, diese Richtung einzuschlagen. Ein Staat, der forderte indem er einen anderen bezichtigt, ein internationales Verbrechen beC. I. J., Recueil 1962, S. 319, und Recueil1966, S. 6. C. I. J., Recueil 1970, S. 3; Der Abschnitt bezüglich der Verpflichtungen erga omnes (S. 32) scheint durch spätere Entwicklungen entkräftet worden zu sein, cf. Hauptsächlich Bollecker-Stern, Le prejudice dans la theorie de la responsabilite internationale, 1973, S. 83. 39 Man wird bemerken, daß eine Klage "im Interesse des Rechts" im System der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 24) existiert. 40 Siehe Guggenheim, op. cit., t. II, S. 65. 37

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gangen zu haben - daß die Opfer entschädigt würden oder vor allem, daß der rechtswidrigen Situation ein Ende gesetzt würde, könnte das nur tun, wenn er seinen Anspruch mit einem Angebot versieht, durch ein Gericht41 die Frage des Vorhandenseins eines Verbrechens entscheiden zu lassen. Würde dieses Angebot zurückgewiesen, wären Zwangsmaßnahmen möglich, würde es aber nicht gemacht, wären diese Maßnahmen nicht gestattet. Das ist übrigens ein Prinzip, das es verdiente, auf alle internationalen Ansprüche angewendet zu werden, die von rechtswidrigen Handlungen abgeleitet werden. Eine andere Frage sollte gleichfalls untersucht werden, nämlich die Frage, welche Maßnahmen gestattet werden könnten. Könnte es sich um alle Akte handeln, die als friedliche Repressalien gestattet sind? Müßte man sich auf bestimmte Arten von Maßnahmen beschränken und auf welche? Auch hier muß man eine eingehende Analyse durchführen, denn zahlreich sind die staatlichen Beziehungen, die der Kontrolle internationaler Organisationen unterstellt sind, und man dürfte das Recht dieser Institutionen nicht mißachten. Diese verschiedenen Fragen verlangen zweifellos Antworten, die auf einer genauen Studie aller verschiedenen Faktoren beruhen, welche in Erwägung gezogen werden müssen. Das bescheidene Ziel dieser Studie war es nicht, sie zu beantworten. Sie wird ihren Zweck erfüllt haben, wenn die Beobachtungen, die sie enthält, die überzeugung erlauben, daß das Recht der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit eigene Merkmale aufweist und daß daher seine Entwicklung ohne vorgefaßte Ideen, im spezifischen Kontext der Völkerrechtsordnung- gesehen werden muß.

41 Durch ~tericht.

den IGH, es sei denn, die Parteien einigen sich auf ein Schieds-

AKTUELLE ASPEKTE DES VERFAHRENSRECHTS DES INTERNATIONALEN GERICHTSHOFES Von Hermann Mosler

I. Fast gleichzeitig mit dem Bezug des neuen Zusatzgebäudes zum Friedenspalast mit seinen modernen Arbeits- und Beratungsräumen verabschiedete der Internationale Gerichtshof im April 1978 die Revision seiner Verfahrensordnung. Die Arbeiten hatten bereits im Jahre 1967 begonnen, waren zweimal, 1968 und 1972, wegen der Inanspruchnahme des Gerichts durch Rechtssachen unterbrochen worden und hatten, weil man bei der 2. Verschiebung wenigstens den damals fertigen Teil in Kraft setzen wollte, zu der partiellen Revision vom 10. Mai 1972 geführt. Als im Frühjahr 1976, nach Abschluß des Gutachtenverfahrens über die West-Sahara, kein Fall anhängig war und die teilweise neue Zusammensetzung des Gerichts die Gelegenheit zur Aktivierung des sogenannten Rules Committee bot, wurde der Rest des Werkes in Angriff genommen und vollendet. Mit dem lokrafttreten der Verfahrensordnung am 1. Juli 1978 sind die bis dahin- mit den Änderungen von 1972 - geltenden Regeln, die sich der Gerichtshof nach seiner Konstituierung im Rahmen der Vereinten Nationen am 6. Mai 1946 gegeben hatte, außer Kraft getreten1 • Das neue Gebäude entwickelt den architektonischen Stil des alten mit eigenen Akzenten weiter. Im Inneren ist es funktional gedacht. Das Dekor der Meister von der klassischen Malerei bis zum Jugendstil, das den Friedenspalast zugleich ehrwürdig und weltfern erscheinen läßt, ist durch zeitgenössische Abstrakta ersetzt. Symbolisiert der Übergang über die Brücke, die Alt und Neu verbindet, vom Präsidenten in 1 Sie waren noch auf den bei lokrafttreten der neuen Verfahrensordnung anhängigen griechisch-türkischen Streitfall über den Festlandsockel des ägäischen Meeres bis zu dessen Abschluß durch das Urteil vom 19. Dezember 1978 (I. C. J. Reports 1978, p. 3) anwendbar. Der Text der Rules 1978 ist abgedruckt in: International Court of Justice, Acts and Documents concerning the Organisation of the Court, No. 4, Charter of the United Nations, Statute and Rules of Court and other Documents, 1978. Der Text der Verfahrensordnung vom 6. Mai 1946 in der Fassung vom 10. Mai 1972 befindet sich in No. 3 derselben Publikationsreihe (1977), derjenige der Verfahrensordnung in der ursprünglichen Fassung vom 6. Mai 1946 in No. 1 dieser Reihe.

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seiner Eröffnungsansprache als "sensation of travelling also in time" empfunden, äußerlich den Beginn eines neuen Abschnitts der Geschichte des Gerichts und bietet die gleichzeitig erlassene, vollständig überarbeitete Verfahrensordnung das angemessene Instrumentarium für die Rolle des Gerichts in der Zukunft? Mit Sicherheit signalisiert der trotz mehrfachen Wechsels der Richterbank und verschiedenen mehrjährigen Verzögerungen konsequent durchgeführte Plan der Totalrevision die Entschlossenheit des Gerichtshofs, seine Organisation und sein Verfahren den aktuellen Bedürfnissen der internationalen Gerichtsbarkeit anzupassen und dadurch der - zu Recht oder zu Unrecht - geäußerten Kritik, veraltete Prozeduren seien der Anrufung des Gerichtshofs hinderlich, zu begegnen. Blickt man auf die beiden Stufen der Revision zurück, so fallen die weniger zahlreichen Änderungen von 1972 im Ver~ältnis zu der gesamten Restrevision von 1978 als die substantiell gewichtigeren ins Auge2 • Das Gericht hat offenbar Wert darauf gelegt, diejenigen bereits endgültig formulierten und beschlossenen Reformen ohne Aufschub in Kraft zu setzen, die in den vorangegangenen Jahren vorwiegend Gegenstand der Diskussion in der Fachwelt und in den Vereinten Nationen gewesen waren. Die Teilrevision fiel zeitlich mit der 50jährigen Wiederkehr der Errichtung des Ständigen Internationalen Gerichtshofs zusammen. In der Erwartung dieses Jubiläumsdatums war das Thema "Review of the Role of the International Court of Justice" in der Generalversammlung der Vereinten Nationen aufgegriffen worden. Die Behandlung der Frage im 6. Ausschuß und die Antworten vieler Mitgliedstaaten auf einen im Auftrage der Generalversammlung versandten Fragebogen hatten eine Anzahl kritischer Äußerungen und Vorschläge zutage gefördert, von denen sich ein Teil mit der Organisation und dem Verfahren befaßten3 • 2 Zur Geschichte der Arbeiten seit 1946 siehe I. C. J. Yearbook 1971- 1972, S. 2 ff.; 1977- 1978, S. 111 ff. Erläuterungen zu den Änderungen von 1972 im Yearbook 1971 - 1972, S. 3- 11, und der "Note by the Registry Indicating the Rules of Court Amended on 10 May 1972" (Background Note IV); zu den Änderungen von 1978 im Yearbook 1977 - 1978, S. 112 ff., und der "Note by the Registry on the Revised Rules" (1978) (Background Note V). Die Systematik der Sachgruppen und die Numerierung der Artikel sind in der Gesamtrevision von 1978 neu angeordnet worden. Vergleichstabellen für die systematische Anordnung und die inhaltlich einander entsprechenden Bestimmungen sind im Yearbook 1977- 1978, S. 119, und der Background Note V, S. 19 - 25, veröffentlicht. 3 Doc. A/8238, 11 December 1970, Review of the Role of the International Court of Justice, Report of the 6th Committee; Doc. A/8382, 15 September 1971, Review of the Role of the International Court of Justice, Report of the Secretary-General; GA Res. 2818 (XXVI) (dort wird ausdrücklich der Wunsch ausgesprochen, daß die Revision der Verfahrensregeln sobald als möglich beendet werde).

Aspekte des Verfahrensrechts des Internationalen Gerichtshofes

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Es liegt auf der Hand, daß die ungleich wichtigeren Probleme die Jurisdiktion des Gerichtshofs, seine Zusammensetzung, das von ihm anzuwendende Recht und, alles in allem, die Erhöhung seiner Effizienz als "Hauptjustizorgan der Vereinten Nationen" 4 betrafen. Mängel des Statuts, der Verfahrensordnung oder des Funktionierens des Gerichts waren nicht der wesentliche Grund für die Krise der Institution. Man müsse, so erklärte ein Delegierter im 6. Ausschuß, das angebliche Versagen des Gerichts in der richtigen Perspektive sehen: "The judicial settlement of disputes in a world still plagued by the concept of absolute sovereignty was no mean task, and a judicial settlementimmune from pressures from the parties involved was the most effective instrument in the peaceful settlement of disputes 5." Organisations- und Verfahrensfragen waren indes ebenfalls Gegenstand der Erörterungen gewesen; sie waren der einzige Bereich, in dem der Gerichtshof aufgrund seines Statuts ermächtigt war, in eigener Initiative tätig zu werden6 • Auch diese Kompetenz ist begrenzt, weil das Statut selbst gewisse Verfahrensregeln aufstellt. Die Änderungen von 1972 sind im allgemeinen begrüßt worden. Abgesehen von dem Bestreben, das Verfahren so einfach und beschleunigt wie möglich zu machen, betrafen die wichtigsten Reformen die Behandlung der prozeßhindernden Einreden (Artikel 67) und die Bildung von Ad-hoc-Kammern für bestimmte Einzelfälle (Artikel 26). Diese Bestimmungen, die als vorgezogener Teil der Gesamtrevision angesehen wurden, sind in der neuen Verfahrensordnung aufrechterhalten worden. Diese versucht, das allgemeine Ziel, die Einfachheit, Flexibilität, zügige Abwicklung und damit kostensparende Durchführung des Verfahrens weiter zu fördern. Die Redaktion ist mehr als bisher auf die Bedürfnisse der Orientierung von Regierungen, Prozeßvertretern und Anwälten zugeschnitten. Die Funktionen einzelner Organe und Untergliederungen, z. B. des Kanzlers und der Kammern, sind übersichtlicher zusammengefaßt. Bisher nicht kodifizierte Praxis des Gerichts in der Handhabung des Verfahrens ist an einigen Stellen formuliert. Diese Retuschen an den bisherigen Regeln werden vermutlich nach einer Übergangszeit, in der sich die Beteiligten an die neue Anordnung und Numerierung gewöhnen mußten, als Verbesserung angesehen werden. Man kann nicht sagen, daß sie zur Erhöhung der Funktionsfähigkeit des Gerichtshofs unerläßlich gewesen wäre. Einen besonderen Hinweis verdienen folgende Bestimmungen: die Vorschrift, Artikel 92 der UN Satzung. Sette Cämara, G. A., 27th Session, Official Records, 11 December 1972. 8 Artikel 30, Absatz 1 des Statuts: "The Court shall frame rules for carrying out its functions. In particular, it shall lay down rules of procedure." 4

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daß im Tenor der Urteile und Gutachten nicht nur, wie bisher, die 'Zahl der Richter, die die Mehrheit bilden, erscheint, sondern auch deren Namen (Artikel 95 und 107). Die in der Verfahrensordnung bisher nicht geregelte Praxis, den Urteilen nicht nur Sondervoten, sondern auch Deklarationen beizufügen, ist jetzt bestätigt worden. Die in Artikel 95 Absatz 2 gegebene Definition: "A judge who wishes to record his concurrence or dissent without stating his reasons may do so in the form of a declaration", zeigt an, daß die Grenze zur "individual opinion" in den beiden Formen des dissentierenden oder konkurrierenden Votums durch die Beifügung argumentativer Begründungen überschritten würde. Deklarationen derselben Art können auch den Gutachten und Verfügungen, soweit die letzteren nach ihrem Gegenstand dazu geeigiet sind, beigefügt werden (Artikel 95, Absatz 2; Art. 107, Abs. 3). Eine neue Bestimmung (Artikel 55) sieht auf der Grundlage des Statuts7 vor, daß nach Abschluß des schriftlichen Verfahrens "all or part of the further proceedings in a case shall be held at a place other than the seat of the Court". Die Parteien sind vorher zu hören. Diese Neuerung soll dem in den Diskussionen um die Zukunft des Gerichtshofs geäußerten Wunsch Rechnung tragen, das Gericht im Bedarfsfalle räumlich näher an die Parteien heranzubringen. Praktisch ist das mündliche Verfahren gemeint. Der in der Verfahrensrevision des Ständigen Internationalen Gerichtshofs im Jahre 1936 eingeführte, aus einem einzigen Artikel bestehende Abschnitt "Appeals to the Court" 8 ist durch den ebenfalls nur aus einem Artikel bestehenden Abschnitt "Special Hefebenfalls nur aus einem Artikel bestehenden Abschnitt "Special Reference to the Court" 9 ersetzt worden. Auf Inhalt und Grund dieser ÄnBestimmungen über die Klagerücknahme erwähnt: Der frühere Abschnitt "Settlement and Dicontinuance" (Artikel 73- 74) heißt jetzt, ohne sachliche Änderung, nur noch "Discontinuance" (Artikel 88 - 89). Das Wort "Settlement" ist gestrichen, weil es, prozeßrechtlich gesehen, keine Bedeutung für die Einstellung des Verfahrens hat. Die Rücknahme des Verfahrens gegenüber dem Gerichtshof ist maßgebend für die Streichung des Falles von der Liste, gleichgültig aus welchem Grund diese Erklärung abgegeben wird. Auch von der neuen Regel ist vorgesehen, daß der Gerichtshof auf Wunsch der Parteien die Tatsache, daß die Rücknahme auf ihrer Einigung beruht, in der Verfügung über die Streichung des Falles von der Liste zur Kenntnis nimmt. Die neue Fassung sieht zusätzlich vor, daß der Wortlaut der zwischen den Parteien getroffenen Regelung in die Verfügung aufgenommen oder ihr als Anhang beigefügt werden kann 7

8 9

Artikel 22, Absatz 1. Alter Artikel 72. Artikel 87.

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(Artikel 88, Absatz 2). Die Verfahrensordnung äußert sich nicht über die Wirkung der Aufnahme oder Beifügung. Die Parteien können sich jedenfalls auf den vorn Gerichtshof offiziell zur Kenntnis genommenen Text berufen. Die Kundrnachung ihrer Einigung im Rahmen einer Verfügung des Gerichtshofs kann für sie auch einen politischen und moralischen Wert haben. Die Revision hat sich unter anderem auch des Gutachtenverfahrens angenommen. Der Charakter der Erstattung von Gutachten als einer richterlichen Funktion, die von der Vermittlungs- und Vergleichstätigkeit abgegrenzt ist, tritt dadurch noch deutlicher hervor 10 • Wollte man die oben gestellte Frage nach der Signalwirkung der neuen Verfahrensordnung, sowohl sie rhetorisch gerneint war, dennoch zu beantworten versuchen, so ergibt die Übersicht über das Ganze und die einzelnen Bestimmungen zweierlei: Das Gericht hat alles ihm Mögliche getan, um sein Verfahrensrecht zu modernisieren. Da dieser Aspekt aber von untergeordneter Bedeutung im Rahmen der Gesamtproblerne der internationalen Gerichtsbarkeit ist, kann auch die beste Verfahrensänderung keine Wende einleiten. Die Neufassung von 1978 hat, wie die Hinweise gezeigt haben, keine grundlegenden Neuerungen geschaffen. Die Änderungen der Bestimmungen über die Ad-hoc-Karnrnern in der Teilrevision von 1972 könnten allerdings nachhaltige Folgen haben, wenn davon Gebrauch gernacht werden sollte. Die dahingehenden Erwartungen sind bisher nicht erfüllt worden. Im folgenden wird auf zwei der 1972 oder 1978 geänderten Bestimmungen eingegangen. II.

In der Diskussion über die Zukunft des Gerichtshofs zu Beginn der 70er Jahre wurde häufig, darunter auch im 6. Ausschuß der Generalversammlung, der Hauptgrund für die Zurückhaltung potentieller Streitparteien in einer Vertrauenskrise gesehen. Die Bildung von Adhoc-Karnrnern für Einzelfälle und der Einfluß der Parteien auf deren Zusammensetzung wurde für ein geeignetes Mittel gehalten, den Parteien die Anrufung des Gerichtshofs zu erleichtern11 • Die Frage wurde teilweise mit Vorschlägen zur Einrichtung von Regionalkammern ver10 Zustimmend zu dieser Gerichtspraxis, mit Rücksicht auf andere Vorschläge vor der Gründung des Gerichtshofs: Stephan Verosta, La competence consultative de la Cour internationale de Justice, La conciliation et le non liquet (Studi in onore di Gaetano Morelli, XIV Comunicazioni e Studi, 1975, s. 997, 1008). 11 Siehe z. B. UN Doc. GA A/8382, 15. 9. 1971, S. 48 f. (Schweden), 49 (Kanada, in allgemeinerer Formulierung); A/8382/Add. 1, S. 5 (Großbritannien).

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bunden, denen die aus der Region angehörenden Richter zugeordnet werden solltent2. 1. Artikel 26 Absatz 2 des Statuts sieht die Bildung von Kammern zur Behandlung von Einzelfällen vor. Die Anzahl der Mitglieder wird vom Gerichtshof mit 'Zustimmung der Parteien festgesetzt. Die Bestimmung der Mitglieder aller vom Statut vorgesehenen Kammern, d. h. der Kammer des abgekürzten Verfahrens (Chamber of Summary Procedure), der Kammern für bestimmte Arten von Angelegenheiten (Chambers for Dealing with Particular Categories of Cases) und der Kammern zur Entscheidung von Einzelfällen (Chambers for Dealing with a Particular Case) ist dem Gerichtshof vorbehalten (Artikel 26, 29). Sie geschieht nach der Verfahrensordnung (Artikel 18) durch geheime Wahl. Die Neuerung von 1972 sieht vor, daß der Präsident die Parteien nicht nur hinsichtlich der Mitgliederzahl der Kammer, sondern auch hinsichtlich der von ihnen gewünschten Richter konsultiert und dem Plenum darüber Bericht erstattet (jetzt Artikel 17, Absatz 2). Diese Zufügung ist als ein dilatorischer Formelkompromiß bezeichnet worden13 • Ihre Zulässigkeit ist damit begründet worden, daß das Statut den Gegenstand und die Reichweite der Konsultationen des Präsidenten mit den Parteien nicht einschränkt1 4 • Es hat den Anschein, daß die Änderung positiv aufgenommen worden ist. Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat sie in ihrer Resolution vom 22. November 1974 über die Überprüfung der Rolle des Gerichtshofs mit einem positiven Akzent versehen15 • In ähnlicher Weise hat sich Generalsekretär Waldheim in seiner Ansprache anläßlich der Einweihung des Zusatzgebäudes des Friedenspalastes geäußert16 • Die Kontrolle des Gerichts über die Auswahl der Richter ist wegen des übergeordneten Statuts durch die Verfahrensordnung nicht abdingbar. Die neue Bestimmung kann nur dann zu dem von ihr erwarteten Erfolg führen, wenn entweder das Plenum des Gerichts sich die Wünsche der Parteien durch die Wahl der betreffenden Richter zu eigen macht oder die Parteien auf ein anderes Ergebnis der Wahl eingehen. Die Parteien sind in der Konsultation mit dem Präsidenten juristisch der schwächere, tatsächlich aber der stärkere Partner: Es bleibt 12

13

z. B. GA A/8382 S. 46 f. (USA), S. 47 (Finnland), S. 53 (Schweiz).

H. Golsong, in: Judicial Settlement of International Disputes, An Inter-

national Symposium, Max Planck Institute for Comparative Public Law and International Law, 1974, S. llO f. 14 E. Jimenez de Arechaga, The Amendments to the Rules of Procedure of the International Court of Justice, 27 American Journal of International Law, 1973, S. 1 ff., 3. 15 B. S. A. Petren, 6 Netherlands Yearbook of International Law, 1975, s. 64. n I. C. J. Yearbook 1977- 1978, S. 124.

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ihnen jederzeit möglich, die Übertragung des Falles an den Gerichtshof zurückzuziehen und damit dessen Zuständigkeit zur Behandlung ihrer Streitsache zu beenden. Man darf nicht übersehen, daß die Parteien auch in dem Verfahren vor den Kammern das Recht auf Benennung eines Ad-hoc-Richters haben, falls kein Richter ihrer Staatsangehörigkeit Mitglied der Kammer ist (Artikel 31 Absatz 4 des Statuts). Im Extremfall ist eine Kammer vorstellbar, die aus einem, von den Parteien gewünschten Mitglied des Gerichtshofs und 2 Ad-hoc-Richtern besteht17• 2. Welche Bedeutung würde die Annahme des in der Zusatzbestimmung liegenden Angebots durch potentielle Streitparteien haben? a) Die Bildung der Kammer entspricht derjenigen eines bilateralen Ad-hoc-Schiedsgerichts mit der Einschränkung, daß die Auswahl der Mitglieder, die nicht Ad-hoc-Richter sind, auf die Mitglieder des Internationalen Gerichtshofs beschränkt ist und daß der Gerichtshof durch die Konsultationen des Präsidenten mit den Parteien auf deren Entschließungen Einfluß ausüben kann. Die Unterschiede zu einem Schiedsgericht sind erheblich: Die Kammer ist Teil des Internationalen Gerichtshofs; sie übt die Jurisdiktion aus, die dem Gerichtshof zusteht. Das Urteil hat die gleiche Wirkung wie ein Urteil des Gerichtshofs in der normalen Plenarbesetzung. Es muß dem Sicherheitsrat übermittelt werden, um ihn instand zu setzen, seine Funktionen nach Artikel 94 Absatz 2 der Satzung zu erfüllen: Wenn eine Partei ihre Verpflichtungen aus dem Urteil nicht erfüllt, kann die andere Partei sich an den Sicherheitsrat wenden, der, wenn er es für notwendig erachtet, Empfehlungen geben oder Maßnahmen treffen kann, um das Urteil durchzusetzen. Auf das Verfahren ist die Verfahrensordnung des Gerichtshofs anwendbar. Die Kosten werden aus dem Haushalt des Internationalen Gerichtshofs, der durch die Vereinten Nationen festgesetzt wird, getragen; die Streitparteien tragen dazu in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des Statuts bei. Die Kanzlei des Gerichtshofs steht der Kammer zur Verfügung. Durch die Bildung von Kammern für Einzelfälle kann auch dem Bedürfnis zur Bildung von Regionalkammern Rechnung getragen werden, indem diejenigen Richter, die aus der Region stammen oder den spe17 Diese Möglichkeit wurde von den Richtern Gros und Jimenez de Areehaga auf dem internationalen Kolloquium des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht über die gerichtliche Erledigung zwischenstaatlicher Streitigkeiten, das unmittelbar nach der Verabschiedung der Teilrevision stattfand, erörtert (Judicial Settlement of Disputes, S. 57, 68).

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zieHen Rechtskultur en der Parteien nahestehen, zu Mitgliedern der Kammer gewählt werden. Ein Vorteil der Behandlung in der Kammer gegenüber dem Plenum liegt in der für alle Phasen des Verfahrens feststehende n Besetzung der Richterbank. Die Zusammense tzung des Gerichtshofs ändert sich alle 3 Jahre. Die Verpflichtun g der Richter, einen unter ihrer Mitwirkung begonnenen Fall nach Ablauf ihrer Amtszeit und ihrer Ersetzung durch einen neu gewählten Richter weiter fortzuführen , endet mit dem laufenden Prozeßabsch nitt, erstreckt sich aber nicht, falls die Sache in mehreren Prozeßphase n abläuft, auf das gesamte Verfahren bis zum Endurteil. Eine Ausnahme besteht für die Mitglieder von Ad-hoc-Kam mern: Sie führen den Fall in allen Phasen bis zum Endurteil weiter, gleichgültig in welchem Abschnitt sich der Fall bei Ablauf ihrer Amtszeit und Ersetzung befindet1s. Disharmonie n zwischen Entscheidung en in derselben Sache, die in verschiedene n Verfahrensp hasen durch das Plenum in anderer Zusammense tzung getroffen worden sind, sind häufig kritisiert worden19 • Fällt während der Dauer des Verfahrens ein Richter der Kammer aus und muß er ersetzt werden, so wird dasselbe Verfahren wie bei der Konstituieru ng der Kammer angewendet, wodurch dieselben Probleme sich wiederholen (Artikel17, Absatz 3, Satz 2). Die auch für das Plenum geltende Bestimmung , nach Abschluß des mündlichen Verfahrens Sitzungen an anderer Stelle als in Den Haag abzuhalten, ist für das Verfahren der Kammern praktikabler . Auch dieser Aspekt mag für die Parteien eine Rolle spielen. b) Auf der anderen Seite werden grundsätzlich e Fragen aufgeworfen, wohl nicht durch den ersten Anwendungs fall, aber durch die etwaige Bildung einer Praxis in einer Vielzahl von Fällen. Diese Eventualität scheint zur Zeit nicht realistisch zu sein, muß aber ins Auge gefaßt werden: Eine Rechtsfrage kann von einer Kammer anders beantwortet werden als vom Plenum. Die gleiche Divergenz kann zwischen zwei oder mehreren Kammern entstehen20 • In nationalen Gerichten, die aus mehreren Kammern oder Senaten bestehen, pflegt die Einheit der Rechtsprechung in solchen Fällen durch die Anrufung des Plenums oder eines Artikel33, 17 der Verfahrensordnung. z. B. im Barcelona Traction-Fall und in den verschiedenen Südwestafrika-Fällen. Siehe dazu R. Bernhardt, Homogenität, Kontinuität und Dissonanzen in der Rechtsprechung des Internationale n Gerichtshofs, eine Fallstudie zum Südwestafrika/Namibia-Komplex, 33 Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 1973, S. 1-37. H. C. Dillard, The World Court: Reflections of a Professor turned Judge, 27 The American University Law Review, 1978, S. 205 ff., 208. 20 Auf diese Gefahr hat T. 0. Elias auf dem erwähnten Kolloquium aufmerksam gemacht (Judicial Settlement of International Disputes, S. 29). 18

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aus Vertretern der Untergliederungen bestehenden Gremiums erhalten zu werden. Eine solche Lösung würde noch notwendiger für ein internationales Gericht sein, das auf der Grundlage weniger klar definierter Rechtsquellen entscheiden und partikuläre Rechtsvorstellungen und Rechtskulturen berücksichtigen muß. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, dessen anwendbares Recht in einer einzigen Konvention festgelegt ist und der im Rahmen einer weitgehend homogenen Rechtsgemeinschaft der Mitgliedstaaten tätig ist, hat Vorkehrungen gegen divergierende Entscheidungen seiner Kammern getroffen21. Für den Weltgerichtshof würde, wenn die Entscheidung durch Kammern zunehmen sollte, eine entsprechende Einrichtung zur Erhaltung der Einheit der Rechtsprechung noch notwendiger sein22 . Ob sich die psychologischen Hindernisse überwinden lassen oder nicht, ist eine Frage an die Zukunft, auf die es zur Zeit keine Antwort gibt. Wenn das Problem divergierender Entscheidungen tatsächlich entstehen sollte, dürfte die Ermächtigung des Gerichtshofs in Artikel 30 des Statuts, Regeln zur Ausführung seiner Funktion festzusetzen und insbesondere Verfahrensregeln zu erlassen, die Ermächtigung einschließen, eine ähnliche Lösung zu treffen, wie sie der Europäische Gerichtshof in Straßburg besitzt und erfolgreich anwendet.

111. Die Änderung des bisherigen Artikels 72: "Appeals to the Court", "Des recours exerces devant la Cour" in den 1978 neu gefaßten Unterabschnitt 5: "Special Reference to the Court", "Renvoi special devant la Cour" (Besondere Verweisung) des Abschnitts D über "Verfahren in besonderen Fällen" ist ohne eine Erläuterung schwer verständlich. Der wesentliche Teil der jetzt ersetzten Bestimmung lautete: "When an appeal is made to the Court against a decision given by some other tribunal, the proceedings before the Court shall be governed by the provisions of the Statute and of these Rules." Der entsprechend der bisher geltenden Fassung aus einem einzigen Artikel (jetzt 87) bestehende Unterabschnitt führt keine sachlichen Neuerungen gegenüber dem bisher geltenden Rechtszustand ein. Er ersetzt die unglückliche Terminologie der alten Fassung durch eine rechtlich korrekte; er stellt gegenüber der mißverständlichen Formulierung des alten Artikels 72 klar, daß es sich bei "Berufungen" nicht um eine besondere Art der Kompetenzzuweisung, sondern um die Ausübung von Gerichtsbarkeit im streitigen Verfahren auf der Grundlage des Artikels 36 Absatz 1 des 21 Artikel 48 der Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. 22 über die in diesem Zusammenhang entstehenden Fragen siehe Elias, a.a.O.

17 Festschrift für Stephan Verosta

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Statuts handelt; er macht ferner deutlich, daß die "besondere Verweisung an den Gerichtshof" sich nicht nur auf die Überprüfung von Urteilen, sondern auch von anderen internationalen Gremien ("some other international body", "un autre organ international") beziehen kann; er vermeidet schließlich durch den Hinweis auf die Anwendung der Regeln des streitigen Verfahrens die Verwechslung der "besonderen Verweisung" mit denjenigen Ersuchen zur Erstattung von Gutachten, die die Überprüfung der Entscheidung eines internationalen Organs zum Gegenstand haben23. Der Gerichtshof ist nicht die oberste Stufe eines hierarchisch gegliederten Systems von Instanzen. Nach dem Statut ist er als ein Gericht erster und letzter Instanz konzipiert. In den zwischenstaatlichen Verträgen, die seine Jurisdiktion nach Artikel 36 Absatz 1 des Statuts begründen, ist er normalerweise als Entscheidungsinstanz für Streitigkeiten vorgesehen, ohne daß diese Gegenstand eines vorgängigen, zwischen den Parteien vereinbarten Verfahrens gewesen sind. Eine Anzahl von Verträgen übertragen aber in den Fällen, in denen solche Verfahren stattgefunden haben, die Überprüfung der Entscheidung dem Internationalen Gerichtshof24 • Einer dieser Fälle war die Berufung gegen die Entscheidung des Ungarisch-Tschechoslowakische n Gemischten Schiedsgerichts im Falle der Peter Päzmäny Universität25 ; sie gab den Anstoß zur Einfügung einer Verfahrensregel über "Appeals" ("Recours") 26 • Die Redaktoren des damals eingefügten Artikels 67 (1972: 72, 1978: 87) gingen davon aus, daß es sich bei der Berufung um eine neue, nicht mit der angefochtenen identischen Streitsache handele und daß die Jurisdiktion des Gerichtshofs, wie in allen anderen bei ihm anhängig gemachten Fällen, entweder auf einer Konvention oder auf einem besonderen Kompromiß beruhe27 • Der Wortlaut der in die Verfahrensordnung eingefügten Bestimmung brachte diesen rechtlichen Zusammenhang aber in so wenig befriedigender Weise zum Ausdruck, daß die Re23 z. B. die Gutachten in den Fällen Judgment of the Administrative Tribunal of the International Labour Organisation upon Complaints Made against UNESCO, I. C. J. Reports 1956, S. 77, und Application for Review of Judgment No. 158 of the United Nations Administrative Tribunal, I. C. J. Reports 1973, S. 166; siehe Sh. Rosenne, The International Court of Justice,

1957, s. 488. 24 M. 0. Hudson, The Permanent Court of International Justice 1920 bis 1942, 1943, s. 430 ff.

25 Appeal from a Judgment of the Hungaro-Czechoslovak Mixed Arbitral Tribunal (The Peter Päzmäny University), Judgment, 1933, P. C. I. J., Series AlB, No. 61, S. 208. Darstellung des Falles bei E. Thomas, in: Strupp-Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Band 2, S. 762 f.

Hudson, S. 294. Siehe G. Guyomar, Commentaire du Reglement de la Cour Internationale de Justice, 1973, S. 392 ff. 2a

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vision der Bestimmung jetzt für zweckmäßig gehalten wurde. Sie lautet nunmehr in ihrem wesentlichen Teil: "When in accordance with a treaty or convention in force a contentious case is brought before the Court concerning a matter which has been the subject of proceedings before some other international body, the provisions of the Statute and of the Rules governing contentious cases shall apply." Streng genommen ist diese Regel nicht notwendig, weil sie nur einen Anwendungsfall des streitigen Verfahrens betrifft. Sie ist gleichwohl nützlich, weil sie auf die Möglichkeit der Prüfung vorhergehender Verfahren vor internationalen Instanzen jeder Art hinweist, die Anrufung des Gerichtshofs in diesen Fällen rechtlich richtig einordnet und die anwendbaren Bestimmungen der Verfahrensordnung eindeutig anzeigt. Überdies hätte die ersatzlose Streichung des alten Artikels zu Zweifeln über die Auffassung des Gerichts zu dieser Kategorie von Fällen Anlaß gegeben. IV.

Verfahrensrecht ist ein unerläßliches Mittel zur Funktionsfähigkeit des Gerichtshofs. Die neuen Bestimmungen werden um so wirksamer sein, je mehr das Gericht in einer Vielzahl von Fällen Gelegenheit erhält, sich ihrer zu bedienen. Diese Feststellung gilt vor allem für die zahlreichen Regeln sowohl des streitigen wie des gutachtlichen Verfahrens, die dem zügigen, beschleunigten Ablauf dienen und Verzögerungen verhindern sollen. Gerade in dieser Hinsicht ist aber der Gerichtshof auf die Mitarbeit der Parteien angewiesen. Nur in Ausnahmefällen, die an Mißbrauch grenzen, kann er die Beschleunigung gegen ihren Willen durchsetzen. Der richterlichen Aufgabe läßt die Verfahrensordnung alle Möglichkeiten offen: Die Auseinandersetzung um die großen Gegenwartsfragen der Anwendung und fortschreitenden Weiterentwicklung des Völkerrechts28 wird von ihr kanalisiert, aber nicht präjudiziert. Sie leistet damit einen bescheidenen, aber unverzichtbaren Beitrag zur materiellen Gerechtigkeit.

28 E. McWhinney, The World Court and the Contemporary International Law-Making Process, 1979, S. 162 - 169.

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INTERNATIONAL CONCILIATION: ITS PAST AND FUTURE By V. D. Degan There is scarcely another field of international law where such a big number of conventional obligations have never been implemented in practice as in the pacific settlement of disputes. And in this respect special attention must be paid to the treaty provisions which provide for conciliation as a method of settlement. In the period between two World Warsalmost two hundred bilateral treaties made conciliation obligatory, and nearly all of them for the socalled political disputes1 • That conventional basis alone should serve for a very rich practice. In addition, all notable complex multilateral conventions for pacific settlement of disputes equally provided for conciliation as one of the obligatory procedures. The case was similar with the multilateral conventions concluded after the Second World War. However, in cantrast to this impressive legal basis there are more than meager results in practice. It is possible that some of the cases in practice have remained secret and unknown to the science. But JeanPierre Cot in his exhaustive treatise on international conciliation could quote only seventeen cases of bilateral conciliation until now. Among them only in twelve instances the report of the commission served as a basis for the final settlement of the dispute 2 • Such a big difference between treaty obligations and their implementation raises the question whether conciliation genuinly affirmed itself as a distinct method of settlement of disputes. If the answer is 1 As the basis of our analysis served the following collections of treaties: For the period 1919- 1927: Societe des Nations, Arbitrage et securite, deuxieme edition, Geneve 1929; for the period 1928-1948: United Nations, Systematic Survey of Treaties for the Pacific Settlement of International Disputes 1928-1948 (abreviation: Systematic Survey, U. N.), Lake Success, N. Y. 1948; for the further period until 1962, A Survey of Treaty Provisions for the Pacific Settlement of International Disputes 1949 -1962 (abreviation: A Survey of Treaty Provisions), United Nations, New York 1966. The most exhaustive collection for the period until 1928 was however - Max Habicht, Post-War Treaties for the Pacific Settlement of International Disputes, Cambridge, Mass. 1931. 2 See Jean-Pierre Cot, La conciliation internationale, Paris 1968, pp. 92 to 102. We do not have data for the practice of conciliation after the publication of that book. If there were some new cases they must be very sparse.

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negative, there is a question of the usefulness of providing for that procedure in future treaties. And now mankind is faced more than before with an urgent need of promoting the settlement of disputes by peaceful means. It is of utmost importance that all negative experiences from the past should be taken into account. The former mistakes should not be repeated. It is in our view a complexity of factors which contributed to this state of things. Some of these factors were linked with miscomprehensions which followed the development of mechanisms of pacific settlement from their very beginning. First of all there is the unhappy division between the so-called legal and political disputes, based on some allegedly objective criteria, and a parallel division of justiciable and nonjusticiable disputes. These divisions are still present in treaty provisions.

The settlement of disputes has always been a function of prevention and suppression of wars. Even in the second half of 19th century, after the success of Alabama and some following arbitrations, it was generally believed that most wars could be prevented by an obligatory arbitral settlement of all disputes between States. However, that optimism of legal writers was not shared by the politicians. And it was paradoxical that the Institut de droit international, during its session of 1873, was the first which suggested the exemption from obligatory arbitration of some kinds of disputes in order to prove its compatibility with the State Sovereignty. Thus appeared the class of disputes which concern "vital interests, independence or honor" of States, and which were considered by some treaties on arbitration as nonjusticiables3 • As is known, the First Hague Peace Conference of 1899 did not succeed in imposing the obligatory arbitration on States even for some limited kinds of disputes. But its Convention for the Pacific Settlement of International Disputes introduced the procedures of good offices, mediation, inquiry and arbitration on a purely facultative basis. The procedure of inquiry before impartial commissions was a genuine innovation of that Conference. The succesful settlement of the Dogger Bank dispute in 1905 between Russia and the United Kingdom raised hopes in inquiry as an efficient method of prevention of wars. And the 3 That reservation appears in a number of arbitral treaties from the early period. The most known among them was the Convention concerning Pacific Settlement of International Disputes of October 14, 1903 between France and the United Kingdom. See its text - Arbitrage et Securite, p. 91. Such a provision appears sometimes even after the Second World War, for instance in Article 5 of the Pact of 'the Arab League of May 10, 1945.

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result was a further development and institutionalization of that procedure in the new Hague Convention of 1907. In that period preceding the First World War, there were undertaken various efforts of introducing some procedures of settlement of disputes by bilateral treaties. These treaties provided for either arbitral settlement or the obligatory procedure of inquiry, while the other means of settlement, as good offices or mediation, were neglected. The Bryan Treaties, concluded in 1914- 1916 by the United States4 of America with more than thirty other States, form the highest point in confidence of States in obligatory inquiry as a method of prevention of wars. Famous was the "cooling off" period provided for by them, upon which was based afterwards the collective security system of the League of Nations5 • However, after the Dogger Bank case until now there were known only four other cases of inquiry according to the procedure of the Hague Convention6 • And no Bryan Treaty has ever been applied in practice, in spite of the provided permanent character of their commissions of inquiry and in spite of their power to initiate the procedure of settlement of disputes on their own initiative. Thus began a tendency in nonimplementation of treaty provisions on pacific settlement of disputes which is still present in international affairs. In the same period, preceding the First World War, there were made various attempts of scholars in advancing and developing existing procedures of settlement of disputes. The distrust of mediation was very strong due to its abuses in the 19th century, and there were some ideas that the competence of the commissions of inquiry should be enlarged in envisaging all aspects of a dispute. Thus appeared first ideas on conciliation. It was in fact conceived as a merging of some aspects from the three other procedures: mediation, arbitration and inquiry, but to be distinct to any of them. With mediation it has the common task in bringing the parties to an agreement, however not by an intervention of third States in the dispute, but by an impartial commission of experts appointed by the 4 That was just quoted Convention between France and the United Kingdom and a number of other treaties on arbitration. Among them important were Root Treaties concluded by the United States with other countries in 1908, following the Second Hague Peace Conference. 5 See as an example the text of the Bryan Treaty concluded with France in 1914 Claude-Albert Colliard, Droit international et histoire diplomatique, Documentes choisis, Paris 1948, pp. 232- 234. 8 That were the cases Tavignano of 1912; Tiger of 1918, Tubantia of 1922, and after the Second World War Red Crusader Cf. Jean-Pierre Cot, op. cit., pp. 52- 59; Antoine Fattal, Les procedures diplomatiques de reglement des differends internationaux, Beyrouth 1966, pp. 56 - 62.

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parties themselves on the same lines as commissions of arbitration or of inquiry. With arbitration it has the common trait in an impartial contradictory procedure in which parties are represented by agents and attorneys. In both procedures parties define the subject matter of their dispute by a common agreement and they can decide on the rules of procedure if they want to do so. But in distinction to the arbitral award which is obligatory and which must be based on law if parties do not decide otherwise, the report of the commission of conciliation is of advisory character, the same as is the report of a commission of inquiry. The conciliation inherited the most marks from the procedure of inquiry which preceded it. The appointment of the commission, the procedural rules and the nature of the final report are almost the same. Only the goal of these two procedures is considerably different. The inquiry has as its main task the elucidation of facts by means of an impartial investigation. In its pure form, it does not deal with the responsibility of parties, nor with the nature and extent of the reparations of a committed injustice. However, the task of the conciliator approaches that of mediator. If necessary, the inquiry can be a composite part of the procedure of conciliation, but the report of the commission of conciliation has to consider all aspects of the controversy and it has to propose to parties a complete solution of the dispute, which is, however, not obligatory to them. Thus the conciliation was in our view more the result of logic and doctrinal speculations of scholars than it was the product of needs from practice. It was in fact a logical and inevitable consequence of the doctrinal endeavours in perfecting the existing procedures of settlement of disputes, and it still remains that, in the present time. However, logically correct devices must not necessarily be accurate for all practical purposes. In that way, all important aspects of the procedure of conciliation were first conceived by doctrine in the time before the First World War. We must mention herein this respect the instigations of Germanscholar Von Bar since 1898 for establishing of a Permanent International Academy composed of distinguished persons, to which the States should submit their disputes. That basic idea was later on accepted by Jean Efremoff, who presented it to the Interparlament ary Union in 1912 and who remained one of its promotors even after the War7• In this line, from the theoretical point of view of primary importance was an article by Nicolas Politis published in 1910 on the future of mediation, where he first used the term conciliation. He advocated in 7

Cf., Jean-Pierre Cot, op. cit., pp. 61- 64.

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fact that the mediation should be performed by the professional conciliators, and not by States8 • Maybe, that design would have more fruitful practical consequences if it was not bound, just following the War, to particular opinions on the scope of international law as a basis of settlement of disputes, and to the said divisions of disputes arising from them. The basic idea was that, in spite of its obligatory character, international law in general has a primitive nature with considerable gaps (lacunas), and for that very reason it is not fit to offer a sufficient basis for settlement of all kinds of disputes which arise in practice. According to that opinion, which had a full impact on treaty provisions concerning settlement of disputes, there are some controversies of interest among States which are not justiciable, which in other words could not be settled on the basis of existing law. If they were submitted to the arbitral or judicial procedure, the judge should pronounce a non liquet, because of the lack of applicable rules. And since its beginning, the conciliation was provided for as an appropriate procedure for these - nonjusticiable - disputes. Some treaty provisions established objective criteria for the divisions of disputes, sometimes on somewhat different criteria than just mentioned. Thus appeared a division of legal and political disputes. However, according to these criteria, the two concepts of the division are sometimes confused, but generally they serve the same purpose. The first of such criteria was established by Article 38 of the Hague Convention where, among the questions of a legal nature for which the arbitration was recognized as the most effective and the most equitable means, were quoted the questions concerning interpretation or application of treaties. Article 13, paragraph 2 of the Covenant of the League of Nationsand Article 36, paragraph 2 of the Statute of the Hague Court established a more complex basis for the qualification of justiciable or legal disputes, suitable for submission to arbitration or to the judicial settlement. These are disputes concerning - (a) the interpretation of a treaty; (b) any question of international law; (c) the existerrce of any fact which, if established, would constitute a breach of an international obligation; and (d) the nature or extent of the reparation to be made for the breach of an international obligation. Treaties of Locarno of 1925 and the Geneva General Act of 1928 submit to the judicial or arbitral decision "all disputes with regard to which the parties are in conflict as to their respective rights". 8 See Nicolas Politis, "L'avenir de la mediation", Revue generale de droit international public 1910, pp. 136 - 163.

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And the largest qualification of justiciable disputes proceeds from the Kellogg Treaties of 1928. According to these provisions, all disputes are justiciable in their nature which are susceptible of decision "by the application of the principles of law and equity". Equity is conceived here not merely as the clause ex aequo et bono from Article 38, paragraph 2 of the Statute of the Hague Court, but as a part of positive law 0 • There were only early attempts of qualifying nonjusticiable disputes in the treaties of arbitration in the beginning of this century. As we said, from the arbitral procedure were exempted disputes concerning vital interests, independence and honor of States. In all later treaty provisions the qualification of political or non justiciable disputes was generally negative. They were those controversies not belonging to the class of legal or justiciable disputes, following established criteria for them. The era of conciliation in treaty provisions began in the period after the First World War. In fact, there was no other period in history where a greater importance was assigned to the obligations of States to settle their disputes as an effective mean of prevention of wars, then just following the First World War. The Covenant of the League of Nations did not impose on its members any obligation to submit their legal disputes to arbitration or to judicial settlement, neither did it yet provide for the conciliation as a separate procedure. The only obligatory procedure according to its text was the settlement before its own political organs: Council or alternatively Assembly, which acted merely as collective mediators. But this obligation to settle disputes was the very core of the entire system of collective security, unlike the Chapter VI of the Charter of the United Nations. Later on, in the years following the establishment of the League there was a movement in favor of completing this system by the conclusion of bilateral and multilateral treaty obligations to settle all possible disputes between parties. This movement was rightly described by Charles De Visscher tobe somewhat artificaP 0 • The general idea was the creation of such systems where no dispute should remain unsettled, by which the parties should assume obligation to submit an their possible disputes in the future to the respective procedures according to their nature. And the procedure of conciliation in these treaty provisions was of a great importance. 9 We discussed largely on this problern and on the relationship of Equity from the Common Law systems with the clause ex aequo et bono in our book L'equite et le droit international, La Haye 1970, pp. 10 - 11, 79 - 80. 1° Cf., Charles De Visscher, Theories et realites en droit international public, deuxieme edition, Paris 1955, p. 102.

International Conciliation: Its Past and Future

267

Almost all these treaties provided for and combined only three procedures of settlement: conciliation, arbitration and the settlement by the Permanent Court of International Justice. Good offices, mediation and inquiry as a separate method of settlement, were almost completely neglected. The only exception were multilateral treaties concluded under the auspices of the Pan-American Union, but there was also present a tendency in favor of conciliation and arbitration. The first bilateral treaty of conciliation was concluded on April 4, 1919 between Brasil and the United Kingdom, and it came into force on March 11, 1921 11 • Next was the convention on conciliation between Chile and Sweden of March 20, 1920 12• On September 22, 1922, the Assembly of the League of Nations adopted a resolution recommending its member States the conclusion of bilateral treaties on conciliation, and setting up special commissions in that respect. The aim of that resolution was the coordination of these treaties to the Covenant of the League. Some model articles as to the establishment of the commissions and their rules of procedure were annexed tothat resolution13. After the Assembly resolution a considerable nurober of bilateral treaties were concluded, where the conciliation was mostly provided for as one among other procedures of settlement, with arbitration, and/ or with the judicial settlement. Because, as we said, only in the period until the Second W orld War almost two hundred bilateral treaties were concluded providing for obligatory resort to conciliation, it is of primary practical importance to analyse these provisions and to apprehend the context in which this procedure was conceived. Most of these treaties expressly provide for the resort to diplomatic negotiations as a prerequisite to any further settlement. Therefore, we shall not repeat this general obligation. 1. To the first type of these bilateral conventions belong the Treaty of Arbitration and Conciliation concluded between Germany and Switzerland on December 3, 192114 • Later on Germany concluded analogaus treaties with a nurober of other States, the last being that with Luxembourg in 1929. 11 12

See its text in Arbitrage et securite, pp. 148- 149.

Ibid., pp. 145- 148.

13 Cf., League of Nations, Records of the Third Assembly, Plenary Meetings, vol. I, Geneva 1922, pp. 196 - 201. 14 See the text in Arbitrage te securite, pp. 21 - 26.

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Legal disputes were determined on the same manner as in Article 13 of the Covenant of the League of Nations, which is the same as Article 36, paragraph 2 of the Statute of the Hague Court. According to this type of treaties, legal disputes had to be submitted to the Permanent Court of International Justice, or alternatively, if the parties agree so, to a special arbitral tribunal. These disputes could previously be also referred to a Permanent Commission of Conciliation upon a common agreement of parties. All political disputes could be submitted on the proposal of either party to the Permanent Commission of Conciliation, as the first and last instance. For these disputes there was not provided for any other resort if the parties fail to agree on the report of the Commission. 2. The second is the so-called Scandinavian type of treaties. Five Scandinavian countries concluded in 1925, 1926 and 1930 a series of mutual bilateral treaties 15 • Legal disputes are according to this type of treaties determined by Article 36, paragraph 2 of the Statute of the Hague Court. For this kind of controversies is competent the Permanent Court of International Justice, unless a special agreement between parties provides for arbitral settlement.

All other disputes of political character have to be settled by arbitration - "in accordance with the principles of law and equity". Here is equity, therefore, concieved praeter legem, and such a clause is not alien to numerous arbitral compromises in 19th and 20th centuries16 • Only if parties agree so, such a dispute could be submitted to the conciliation before arbitral procedure. So, by this system the final settlement of all kinds of disputes is assured, but conciliation has a minimal importance. It is facultative, and provided only for political disputes. 3. To our third group belong the treaty concluded between Belgium and Sweden on April 30, 192617 , and the analogous conventions which followed it until 1930. Legal disputes, to which the parties are in conflict 15 Some of Scandinavian countries concluded on a bilateral basis separate treaties on conciliation and on judicial settlement, whose procedures were inter-connected. That were, for example - Convention on the Institution of a Conciliation Commission between Norway and Sweden of June 27, 1924, and their Convention of Pacific Settlement of Disputes of November 25, 1925. See texts in Arbitrage et securite, pp. 149- 152, 130- 132. Later on, some of these countries concluded unique instruments encompassing both procedures, for example, Convention between Denmark and leeland of June 27, 1930, Systematic Survey, U. N., pp. 814- 817. 16 See examples of such compromises V. D. Degan, op. cit., La Haye 1970, pp. 68 - 70. 17 See the text in Arbitrage et securite, pp. 297- 301.

International Conciliation: Its Past and Future

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as to their respective rights, were provided for the settlement before the Permanent Court of International Justice, unless both parties agree to refer them previously to conciliation. All other disputes had to be submitted to the conciliation commission. If no amicable settlement was reached by this way, any party could refer them to the arbitration, and the arbitrator had the duty to decide them ex aequo et bono, without alternative. Therefore, here also no dispute could remain without a final and obligatory settlement, but it is significant that the parties totally distrusted international law as an appropriate basis for the settlement of political disputes. Not only none of these treaties has never been applied, but in entire practice of the two Hague Courts we have not had until now any case decided ex aequo et bono. Thus, in spite of its apparent legal perfection such a system is not workable as a whole. This is an example how unreliable theoretical constructions can influence .conventional practice of States, and that was not on the benefit for the pacific settlement of disputes. 4. The fourth group of bilateral treaties is analogous to the previous one, with the same role of conciliation in it1 8 • The only difference was that the arbitral tribunal, dealing in the last instance with the political disputes was authorized to decide as an amiable compositeur. In fact there is only a difference in clause of style and not of substance. The arbitral award in both cases is obligatory for parties, and arbitrator in dealing with a case, whether deciding ex aequo et bono or acting as an amiable compositeur, must do justice. In both instances he can not base his verdict on the considerations of political opportunity or expediency. But that was a new example of the theoretical distrust towards internationallaw as a basis for settlement of political disputes. 5. After the conclusion of the Geneva General Act of 1928, most subsequent bilateral treaties were drawn along the same lines19 • This system was also based on a strict division between legal and political disputes and respective choice of means of settlement. Legal disputes, to which parties are in conflict as to their respective rights, were to be submitted to the Permanent Court of International Justice, or alternatively on common agreement of the parties, to arbitration. For all other, that is to say political, disputes was provided for an obligatory procedure of conciliation as the first instance. If the parties 18 See as an example the Treaty on Conciliation and Arbitration between Spain and Belgium of July 19, 1927, Habicht, op. cit., p. 607. 19 As an example see the Convention of Conciliation, Arbitration and Judicial Settlement between Belgium and Czechoslovakia of April 23, 1929, Systematic Survey, U. N., pp. 557- 565.

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fail to reach an agreement, these disputes could be brought to arbitration on a unilateral application by each of them. But in this case it was left first to the parties themselves to determine the basis of arbitral settlement by their special agreement. If such an agreement does not exist, "the Tribunal shall apply the rules in regard to the substance of the dispute enumerated in Article 38 of the Statute of the Permanent Court of International Justice. In so far as there exist no such rule applicable to the dispute, the Tribunal shall decide ex aequo et bono." This solution seems to be more justified than the exclusive reference to decision ex aequo et bono. It is normally recognized in arbitration the right of the parties to decide the basis of the settlement. If there is no such an agreement the arbitrator has to resort first of all to international law in its fullest extent. Only in case of a gap, when that law really does not furnish a basis for the settlement, and this is very unlikely to be the case, the arbitrator shall resort to the equity praeter legem. This solution seems to be more accurate from the theoretical point of view than the previous one. But the rigid division between legal and political disputes still persisted and it was in our opinion the source of the wekness in practice of all conventions based on it. And conciliation in the frame of this system was primarily conceived as a substitute to the settlement on the basis of law. 6. To our sixth group belong Kellogg Conciliation and Kellogg Arbitration treaties concluded by the United States with other countries beginning with 1928 20 • The Kellogg Conciliation treaties provided for obligatory "investigation and report" by permanent commissions for all kinds of disputes of whatever character. The separate Kellogg Arbitration treaties provided for the procedure before the Permanent Court of Arbitration21 for disputes "which are justiciable in their nature by reason of being susceptible of decision by the application of the principles of law and equity". But, as we have seen, even for these - justiciable - disputes the previous conciliation procedure was obligatory, and this is a single example from that time of providing for the conciliation as a procedure of settling of all kinds of disputes. 7. The last is the so-called Polish type of treaties, concluded in 1925 with Czechoslovakia and in 1926 with the Kingdom of Serbs, Croats 20 See for instance the Treaty of Aribitration and Treaty of Conciliation between Austria and the United States, both concluded on August 16, 1928, Systematic Survey, U. N., pp. 416 - 418. 21 The reason for the reference of the disputes to the Permanent Court of Arbitration was because the United States have never become the party to the former Permanent Court of International Justice, in spite of the fact that its nationals were elected as the Judges to it.

International Conciliation : Its Past and Future

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and Slovenes (actual Yugoslavia) 22• These are the only bilateral treaties of that time which abolished the division of legal and political disputes. For all kinds of controversies conciliation was obligatory in the first instance. In case of failure of final settlement by this procedure, the dispute could be submitted to the arbitral tribunal appointed by parties, or on agreement of both parties to the Permanent Court of International Justice. Both organs should decide the case exclusively on the basis of Article 38, paragraph 1 of the Statute of the Hague Court, that is to say according to the three main sources of international law: conventions, custom and general principles of law. The ommission of the ex aequo et bono clause even as an option, was intentional. And in all its other bilateral treaties, Poland intentionally ommitted equity or amiable composition as a way of settling any kind of disputes. We can say that these treaties, like almost all others, have never been applied in practice. But this solution is likely to be more appropriate than any other we mentioned above. That is with regard to bilateral treaties. A great majority of them belonged to one of our seven groups, with some possible slight variations. The most of them were concluded in the period between the resolution of the League of Nations Assembly and 1933. Later on, there were very few new treaties which were mostly concluded by LatinAmerican or Asian countries. But in Europe the hope rapidly faded that the peace could be saved by that way. And that was the main political reason that all these treaties have not influenced subsequent international relations. Among multilateral agreement from the same period, in addition to the Geneva Protocol of 1924 which has never came into force, there was concluded a system of treaties of Locarno of 1925 and the already mentioned Geneva General Act of 1928. Both systems were based on the rigid division between legal and political disputes. In the frame of mutual guarantees of territorial status quo and the obligations on settlement of disputes which Germany agreed with its neighbouring countries (Belgium, France, Poland and Czechoslovakia) at Locarno in 1925, there were four bilateral conventions on arbitration, which embraced also the procedure of conciliation23 • All controversies with regard to which the parties were in conflict as to their respective rights had to be submitted to the arbitral settlement or to the decision of the Hague Court. Such disputes could be, by common agreement of parties, previously submitted to a permanent commission of conciliation. 22 29

See the texts of these treaties in Max Habicht, op. cit., pp. 240 and 502. See the texts in Arbitrage et securite, pp. 410- 426.

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All other, that is to say political, disputes should be submitted to a permanent commission of conciliation as the first instance. If such a dispute is not settled in that way, any party could bring it to the Council of the League of Nations. In 1928, in the Briand-Kellogg pact the recourse to war was solemnly condemned for the solution of international controversies, and the parties assumed obligation to settle all their disputes or conflicts of whatever nature or origin only by pacific means. But no specific obligations with regard to precedures of settlement were provided for. Filling that gap was attempted by conclusion of the General Act for the Pacific Settlement of International Disputes, or Geneva General Act of the same year24 • We have already explained its structure and the role of conciliation in that system. The common feature of all these provisions explained was the neglect of good offices, mediation and inquiry, and the said rigid divisions of legal and political, and of justiciable and nonjusticiable disputes. As we can see from the explained examples of bilateral and multilateral conventions, conciliation as an obligatory procedure was mostly reserved for political disputes, and it was sometimes combined with arbitral settlement on an extra-legal ground. However, in the frame of the Pan-American Union there was somewhat a different approach to this problem. There was created a regional system of obligations to settle disputes by a series of multilateral conventions, each of them dealing with only one method of settlement. The first in the series was the Gondra Treaty of May 3, 1923 25 , which encompassed the procedure of inquiry. It was very closed to earlier Bryan Treaties concluded by the United States. The obligation to submit to "investigation and report" of a commission was general for all kinds of disputes. An ad hoc commission should be established by parties, but in addition, two permanent commission were set up, one in Washington and another in Montevideo. There were the same cooling off obligations not to resort to war during the procedure before the commission, as in the Bryan Treaties. By the Convention of Inter-American Conciliation of January 5, 192926 , the competence of inquiry commissions from Gondra Treaty were extended to the exercise of conciliatory functions. Thus, the general trend in favor of conciliation was reflected in the Pan-American cooperation, too. 24 25

2'

See the text in SystemaUe Survey, U. N., pp. 435 - 445. See the tert in Arbitrage et securite, pp. 158- 161. See the text in Systematic Survey, U. N., pp. 505- 509.

International Conciliation: Its Past and Future

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The same day was concluded the General Treaty of Inter-American Arbitration27 • Much was expected from it because its text stipulated a very !arge obligation to arbitrate. Arbitration became obligatory for all disputes "which are justificiable in their nature by reason of being susceptible of decision by the application of the principles of law" 28 • However, a nurober of members of the Pan-American Union have never adhered to that Convention, and the most others became parties to it with far-reaching reservations. Parallel to the Briand-Kellogg pact was concluded on October 10, 1933 the Pact Saavedra Lamas, or Inter-American Anti-War Treaty of Non-Aggression and Conciliation29 • The scope of the prohibition of aggressive wars was in regard to any other State, and not only among contracting parties, as it resulted from the very text of the BriandKellogg pact. And the procedure of conciliation became obligatory for all kinds of disputes between its parties, and it should not be eluded by a reservation. Besides nine Latin-American countries, the parties to that Treaty became Yugoslavia and Norway. Until the beginning of the Second World War, there were concluded Inter-American Treaty on the Prevention of Controversies and the Inter-American Treaty on Good Offices and Mediation, both on December 23, 1936 30 • The former one provided for permanent bilateral mixed commissions in order to study the causes of future difficulties or controversies with the object of eliminating them. The latter Treaty provided for good offices and mediation to be made by eminent. American citizens, instead of States. And for that aim was set up a Iist of potential mediators, similar to that of the Permanent Court of Arbitration. Thus, the Pan-American Union instituted until the Second World War practically all means of Settlement of disputes, except that it has never been created a permanent court of justice for that region. It is significant how the conciliation was considered important in the frame of the general prohibition of aggressive wars. And, unlike in Europe, there have never been neglected other procedures of settlement of disputes, like good offices, mediation, and even periodical consultations between States. In practice, three procedures of conciliation took place in the Americas, in the inter-war period. In 1927 a commission of inquiry and Ibid., pp. 499 - 505. It is significant that in this formula equity is comitted. In all other respects this provision is analogous to those from Kellogg Treaties. 29 See the text- Systematic Survey, U. N., pp. 1038- 1042. 30 Ibid., pp. ll06- ll09. 27

28

18 Festschrift für Stephan Verosta

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conciliation on the Chaco Boundary Dispute between Bolivia and Paraguay failed to bring parties to a solution. In 1937, the Permanent Commission of Inquiry and Conciliation at Washington was engaged in two cases. In the first one parties were Dominican Republic and Haiti, and in the second one there were Nicaragua and Honduras. Reports of the Commission in both instances helped parties to come to an agreement31. During the same period, only in five instances conciliation commissions were created and acted in Europe: in 1929 and 1932, a GermanoSoviet Commission; in 1931, a Germano-Lithuanian Commission; in 1934, a Commission in a dispute between Belgium and Luxembourg; in 1935, a French-Portuguese Commission; and in 1938, a Commission between Denmark and Lithuania. In three of these cases, the report of the commission was helpful for the parties32 • Allthese activities of the conciliation commissions represent a meager score, having in mind a considerable practice of the Permanent Court of International Justice during the same period, and the arbitral practice, in particular the activities of Mixed Arbitral Tribunals created by the Peace Treaties after the First World War. However, if we need to collect some experiences from the past treaty provisions in this respect, we think that the most precious are solutions laid down by the Pan-American Union. They seem to be the least unrealistic among all others adopted between two World Wars. After the Second World War, considerably diminished the nurober of new bilateral treaties which provided for obligatory conciliation, and this method of settlement is generally not destined only for political disputes33 • The United Nations Charter makes mention of conciliation in its Article 33 alongside with most other known methods of settlement, but its text as a whole does not stipulate any obligatory resort to it. The Charter implicitely reaffirms the principle of free choice of methods of Settlement by the disputing parties, and that is partly one of weaknesses of its system of collective security. The specific obligations on various methods of settlement are mostly stipulated by conventions of regional character. And significant is the tendency in some of them to abolish rigid division between legal and political disputes. 31

a2

Cf., Jean-Pierre Cot, op. cit., pp. 92- 95.

Ibid., pp. 95 - 96.

ss We found in the collection A Survey of Treaty Provisions only six bilateral treaties providing for obligatory conciliation for the period unbl 1962.

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The first of these regional engagements was Article 8 of the Brussels Pact (Treaty of Economic, Social and Cultural Collaboration and Collective Self-Defense) of March 17, 194834• It referres legal disputes those within the scope of Article 36, paragraph 2 of the Statute of the Hague Court - to the International Court of Justice, and all other disputes to conciliation. And interesting is the solution for disputes having both characteristics, which were not envisaged in the previous agreements: "In the case of a mixed dispute involving both questions for which conciliation is appropriate and other questions for which judicial settlement is appropriate, any Party to the dispute shall have the right to insist that the judicial settlement of the legal questions shall precede conciliation." The Pact of Bogota (American Treaty of Pacific Settlement) of April 30, 194835 is a complex system which lays down procedural rules of all the most known methods of pacific settlement. lt deals together with good offices and mediation, and then conjointly with inquiry and conciliation, then with the judicial settlement, and at last with the procedure of arbitration. The parties to it undertook a general obligation to use the procedures established in that Pact before referring them to the U. N. Security Council. The choice of procedures for whatever dispute depends on the agreement of the parties, and they in addition can alternatively choose such other special procedures as, in their opinion, will permit them to arrive at a solution. Reference to a specific procedure, thus, does not depend on the nature of a dispute. But according to Chapter Four of the Pact, obligatory competence of the International Court of Justice was provided for all legal disputes in relation to American States, within Article 36, paragraph 2 of its Statute. However, this Chapter was subject to many reservations, including that by the United States, and it is not of a great practical scope. On April 28, 1949, the U. N. General Assembly adopted the Revised General Act for the Pacific Settlement of International Disputes36• In fact, that text does not differ from the original Geneva General Act of 1928, except that the competences of former Assembly and Secretary of the League of Nations and that of the Permanent Court of International Justice, were replaced by the U. N. Organs: General Assembly, Secretary Generaland the International Court of Justice. 34 See entire text of this treaty in United Nations Textbook, Third Edition, Leiden 1958, pp. 281 - 285. 35 See the text in Systematic Survey, U. N., pp. 1161 - 1175. 38 See the text in United Nations Textbook, pp. 108 - 123.

18•

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Thus, the Revised General Act retained the old-fashioned division of legal and political disputes, and conciliation was mostly destined for the settlement of political disputes. However, like the former Geneva General Act, its revised text has had almost no impact on actual international relations. The former one was ratified with the far-reaching reservations which nullified the scope of its obligations for final settlement of all kinds of disputes. The new one has been ratified by an extremely small number of States, according to our knowledge only by Belgium , Sweden, Norway, Denmark, Luxembourg and Upper Volta. It is highly improbable that a dispute will occur between two of these States which should be settled by conciliation. And, in spite of the fact that Revised General Act was expected to be a universal instrument of pacific Settlement, it remained in practice less than a regional arrangement. Under the aegis of the Council of Europe, on April 29, 1959 was adopted the European Convention for the Pacific Settlement of Disputes37. It is equally a very old-fashioned instrument, which reminds very much of the Geneva General Act. Like all prewar treaties it deals only with procedures of conciliation, judicial settlement and arbitration, and it is based also on the rigid division of disputes according to their nature. All legal disputes between parties, and in particular those according to Article 36, paragraph 2, whose substance was reproduced, are submitted to the International Court of Justice without alternative of an arbitral settlement. All others, that is to say political, disputes are referred to conciliation, unless parties agree to submit them directly to arbitration. In case of failure of conciliation procedure to bring parties into an agreement, arbitration is obligatory on the unilateral request by one of parties. Article 26 states as follows: "If nothing is laid down in the special agreement, or no special agreement has been made, the Tribunal shall decide ex aequo et bono, having regard to the principles of internationallaw, while respecting the contractual obligations and the final decisions of international tribunals which are binding on the parties." According to Andre Lalande, 'e quity is "sentiment sur et spontane du juste et de l'injuste, en tant surtout qu'il se manifeste dans l'appreciation d'un cas concret et particulier" 38• It is thus a highly subjective judgment of persans called to decide a concrete subject matter, and it is not a set of rules to be applied. According to the European Convention, that power to decide ex aequo et bono is mitigated with the rules of positive internationallaw. That is a kind of equity infra legem. 37 See the text in A Survey of Treaty Provisions, pp. 59 - 68. 3s

Cf., Andre Lalande: Vo

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Last of regional instruments which provides for the pacific settlement of disputes is the Protocol of the Commission of Mediation, Conciliation and Arbitration of the Organization of African Unity, done at Cairo on July 21, 196439• This instrument seems to be interesting in many respects. In the framework of the Addis Ababa Charter of 1963 (Charter of the 0. A. U.), a Commission of 21 members was set up who are elected by the Assembly of Heads of State and Government. This Commission is at the same time a panel of potential mediators, conciliators and arbitrators, but its Bureau, consisting of the president and two vicepresidents of the Commission, isapermanent body with the competence of consulting with the parties as regards the appropriate mode of settling disputes. A dispute can be referred to the Commission jointly by the parties, only by one party, by the Council of Ministers or by the Assembly of Heads of State and Government. Nevertheless, the reference of any dispute to a specific procedure of settlement depends ultimatly on the agreement of both parties. Thus was respected the right of choice of means of settlement by the parties themselves, and there is no automatism in the application of the Protocol. So, like the Bogota Charter, this Protocol does not make any preference for conciliation to the detriment of mediation. Arbitral procedure can be concluded on any dispute submitted to it by both parties, whatever its nature. During the Conference on Security and Cooperation in Europe the problern of pacific settlement of disputes was much discussed. The delegation of Switzerland submitted a large and elaborate Draft of a Convention on a European System for the Peaceful Settlement of Disputes40. It was based on a rigid division of justiciable and nonjusticiable disputes. Justiciable disputes were qualified as those which involve the interpretation and application of existing international law, and all others are nonjusticiable disputes. For justiciable disputes was provided for arbitral settlement where the tribunal had to apply the sources of law fixed in advance, or it should rule ex aequo et bono if the parties agree on it. On the common agreement of parties a justiciable dispute should be previously brought before the Permanent Commission of Investigation, Mediation and Conciliation. Nonjusticiable disputes were exclusively destined for the said Commission, which had to appoint in the cooperation with the parties a chamber for each particular case. The procedural rules laid 38 Cf., Andre Lalande, Vocabulaire technique et critique de la Philosophie, 9e ed., Paris 1962, p. 295. 39 See the text in A Survey of Treaty Provisions, pp. 78 - 84. 4° Conference on Security and Cooperation in Europe, CSCE (II) B/ 1, Geneva, 18 September 1973.

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down in that Draft Convention related almost exclusively to the conciliation. Thus, a nonjusticiable dispute could remain unsettled in the case of failure of the procedure of its settlement. That Draft Convention was not acceptable for most participants to the Conference. Some of them opposed the obligatory arbitration openly, and some others disguised their opposition by an apparent approval on tactical basis. Only some small European countries sincerely advocated the arbitration. The meeting of experts, held in 1978 at Montreux, was even much more distant from a consensus on the matter of pacific settlement. As in the time before the war, in the post-war period conciliation was also provided for as a procedure for settling disputes on implementation of conventions on various fields of international cooperation, other than that general pacific settlement of disputes. Conciliation has found a very special place in treaties concerning human rights. A number of treaties: European Convention on the Protection of Human Rights of 1950; International Convention on Elimination of All Forms of Racial Discrimination of 1965; International Covenant on Civil and Political Rights of 1966; and the American Convention on Human Rights of 1969;- all provide for permanent organs in order to observe the implementation of legal obligations from them. These commissions examine petitions of individuals, of groups or non-governmental organizations; some of them examine annual reports of States parties to the conventions; and they can also be organs of good offices in disputes between parties on the application and interpretation of the respective treaties. Some of these texts provide for special conciliation procedure if the commission did not bring parties of dispute to an agreement. On this subject matter a great deal of Iiterature has been written, and they cannot be dealt with exhaustively in the present article. Interesting are solutions by some of the U. N. specialized agencies, like the Commission of Investigation and Conciliation in the matter of freedom of trade unions established by the International Labour Organization in 1950, or the Commission of Conciliation and Good Offices created by the UNESCO in 1962 with regard to the implementation of the Convention on the struggle against the discrimination in the matter of education. Although in some of these instances the function of competent borlies does not consist exclusively of conciliation, but it is mixed with good offices, with mediation or examination of petitions of individuals and reports of States, that is a domain of rich practice, especially by the

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European Commission of Human Rights. Maybe, it is the only real domain of conciliation in practice. It is significant that the Vienna Convention of the Law of Treaties of 1969 provides for an obligatory procedure of conciliation in case of all disputes in that subject matter, other than those concerning the application or interpretation of jus cogens as consequence of invalidity of treaties. At the present time, at the U. N. Conference on the Law of the Sea conciliation is also envisaged as a procedure of settling various disputes, for which at other times was provided for obligatory judicial or arbitral settlement. In the present international community many States, for various more or less justified reasons, are reluctant to adopt such kinds of obligiüions. However, in the light of an extremely small nurober of conciliation procedures put into practice until now, it is highly questionable whether such stipulations are of any use. For after the Second W orld War there were recorded not more than seven procedures of bilateral inter-State conciliation between following countries: France and Siam in 1946; Rumania and Switzerland in 1949; Belgium and Denmark in 1952; France and Switzerland in 1956; Italy and Switzerland in 1956; Greece and Italy in 1956; and France and Morocco in 195741 • In four of these cases the parties reached an agreement and settled their dispute as a result of the report of the commission. Summing up, we must conclude that the main problern of conciliation in practice has not been merely the failure of the commissions to furnish the parties with an acceptable basis for the settlement of disputes, but what is much worst - the simple non-application of this procedure of settlement. And we must find the reasons for this state of things. As it follows from all what was explained above, in most international treaties for pacific settlement, the conciliation was stipulated as obligatory mostly for the so-called political or nonjusticiable disputes. That was in our opinion a ·direct influence of earlier science which wanted to prove that the internationallaw was a set of rules obligatory to its subjects in all respects, just like the municipal law. And the fact that many disputes were not decided on the exclusive basis of that law, they were inclined to interpret as a consequence of its gaps (lacunas) and of its primitive nature. Thus, since its beginning the conciliation was primarily envisaged as an appropriate method for the settlement of those disputes for which an international judge should declare a non liquet. The evidence of 41

Cf., Jean-Pierre Cot, op. cit., pp. 97- 100.

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that fact is that these disputes were referred after the conciliation to the arbitration ex aequo et bono, or on the basis of equity praeter legem, or of equity tempered by positive law. The core of this problem, however, does not consist of that. Apart from the question of its fitness to the social needs of a given time, the internationallaw has in modern times always consisted of a system of rules. As a system it has an answer to any problern from the practice. If there are no particular treaty provisions applicable to a concrete case, a judge can resort to particular or general customary rules, taking into account all norms of jus cogens. If there is no such rule, he can deduce a general principle of law. Andin case of the Iack of such a general principle, there is an assumption in favor of State sovereignty, namely that everything is allowed what is not prohibited by a positive legal rule. In that light, there are no nonjusticiable disputes, which an international judge could not settle on the basis of international law in its fullest extent. Thus, the pretended non-justiciability of a dispute should not be the main reason to refer it to conciliation as a sort of extra-legal settlement, or to arbitration or judical settlement ex aequo et bono. However, a legal solution must not necessarily and always satisfy one or even both parties to a dispute. States have a sovereign right to dispose with their subjective rights and legal interests. Thus a solution which is not strictly based on the existing law can sometimes be more suitable to the needs of international cooperation. It is perfectly understandable that States, when assuming obligations of arbitral or of judicial settlement on the basis of existing law, sometimes want to exempt from it some kinds of disputes, for which they prefer an extra-legal solution. But these exemptions are a matter of politics and not of strictly legal character. No legal criteria in that respect, given in advance, are of great use. In that respect such kinds of disputes can be qualified as nonlegal or political. And conciliation must not necessarily be the best method for settlement of disputes exempted from arbitral or judicial Settlement.

In fact, as most of contemporary scholars agree, there is only a subjective criterion of the division of legal and political disputes. According to it, legal disputes are those in which parties are in conflict on the interpretation and application of the existing law. And political disputes are these where one or both parties seek a change ofthat law42 • 42 Of the same opinion are Charles Rousseau: Droit international public, Paris 1953, p. 477; Brierly I Waldock, The Law of Nations, Sixth Edition, Oxford 1963, p. 366; Max Soerensen (Ed.), Manual of Public International Law, New York 1968, p. 678; Thierry et autres: Droit international public, Paris

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The internationallaw in general, including subjective acquired rights of States and other international persons, is nothing constant and everlasting. The same is true of the municipal law of any State which incessantly changes by the action of legislator or elswhere. Thus, international law is subject to changes as everything eise in the world in which we live. It is the case with the impersonal norms of general character, as weil as with the acquired rights and legal situations of individual States. The problern thus lays not in gaps of law but in claims for changes which can be motivated on many grounds. The goal must however be a peaceful change, where some kind of a more perfect justice should be reached, where the transformed general rules should have an impact on the subjective situations of international persons, and where the newly established legal relations should fit more to the transformed social needs of mankind and international community43 • In that respect, the settlement of international disputes in general has always been much more a law creating process than a process of strict application of existing Iaw to a given case. It was the aim of older science to assimilate the pacific settlement of international disputes into a judicial procedure according to municipal law, in order to prove the very legal nature of international Iaw. But there are far-reaching differences between municipal law as a law of subordination of its subjects to it, and international Iaw as a product of the coordination of States and its other subjects, which must not be neglected when the treaty provisions on pacific settlement are concluded. In fact, in most cases, except when the matter is of arbitral and judicial settlement on the strictly legal basis, the settlement of disputes is a bargaining and negotiating process. The parties to it can claim their rights or legal rules, but their aim is to reach a new agreement, a new legal basis for their future relations. In reaching such an agreement, they can consciously sacrifice some of their existing rights for some benefit from the other side. Thus, the goal is not a judicial sentence based on law, but a transaction which will be the substance of a new contractual arrangement governed by the law of treaties. And the subject matter of the bargaining of the disputing parties can be the whole area of their mutual rights and interests. 1975, p. 676; Juraj Andrassy, Medjunarodno pravo, 6. izd., Zagreh 1976, p. 491; SchwarzenbergeT I Brown, A Manual of International Law, Sixth Edition, 1976, p. 198; etc.

43 We discussed largely with the problern of Paecful Change in our article: V. D. Degan, "Mirna promjena i medjunarodno pravo", Jugoslovenska revija za mcdjunarodno pravo 1974, pp. 7- 43.

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However, it is extremely important to exclude as much as possible from this negotiating process the use or threat of force and the power relations, where the weaker party can be compelled to renounce Unilaterally its rights in exchange for nothing, or when it can be even frightened not to rise its claim. The existing provisions of the Vienna Convention concerning the invalidity of treaties based on error, fraud, corruption or coertion, are certainly not sufficient in preventing such relations, nor are always of great use material rules concerning condemnation of force which are repeated in international instruments. In that light we must consider all the most known means of pacific settlement of disputes, including conciliation. The most usual and the most effective in practice are direct negotiations between interesting parties. If a dispute is finally settled, it is the most often done by a direct understanding of parties, far from publicity and without intervention by anybody third. Many concluded bilateral treaties consist in fact in a final settlement of controversies and different interests of States, and the nurober of such treaties is far greater than all rendered arbitral and judicial sentences, taken together. But direct negotiations can be a risky process for a weaker side, because there are no genuine guarantees in it of the equality of parties and sometimes even of the respect of their fundamental rights of sovereignty, independence and others. Therefore, the negotiations should not be provided for in any international instrument as a final or the only method of settlement. Whenever a State considers that direct negotiations endanger its basic rights, it must have a right to interrupt them and to bring its dispute to an international organ of its own choice, including the United Nations. In fact only States which feel powerful advocate negotiations or consultations to be the unique obligatory procedure of settlement. Good offices and mediation can be very efficient methods of bringing the parties into an agreement on their dispute. They can be done discreetely, and the mediator can give to the parties various and subsequent advice concerning the final settlement of the dispute. In doing so, he is not restrained by rigid and formal procedural rules, and the object of his recommendations can be the entire domaine of mutal rights and interests of the parties. However, these means of settlement are also not free from possible abuses. If the mediator is a government or a responsible politician from a third State, mediation can degenerate into intervention. The mediator can seek a solution in favor of his own interests, or favouring the party which is politically closer to him, or he can seek to preserve the

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peace to the detriment of the rights of a weaker party. Forthat reason, and because of bad experiences from the past, smaller and weaker States have been distrustful of mediations. And that was the main reason for the promoting of procedures of inquiry and conciliation in the beginning of this century. It must not necessarily be better if the mediator is a political organ of an international organization, like the U. N. Security Council. These organs are not impartial bodies. They consist of representatives of governments and in making decisions they keep in the first place interests of their respective States.

However, the Inter-American Treaty on Good Offices and Mediation of 1936, partly the Pact of Bogota of 1948, and the Protocol of the 0. A. U. of 1964, seem to find solutions in a right way. According to these instruments, mediation can be made by experts or collegial bodies of experts from third States, who have the confidence of both parties to a dispute. The pratical advantages of mediation and good offices are thus not lost, but unhappily there have not been much experiences in that respect until now. Inquiry and conciliation were established in order to avoid the defects of mediation. Impartial bodies of experts, appointed like arbitral tribunals by the parties themselves, examine the dispute in a Contradietory procedure in order to help the parties to corile to an agreement on the basis of their conclusions and reports. Everything looks perfect and the worst abuses of intervention and inequality of parties are really avoided in normal circumstances. But still they failed to give concrete results in practice. Even small and weak States which have a good reason to fear the imposed solutions, nevertheless try to escape from these procedures when they aretobe resorted to. Since their beginning, both of these procedures were burdened by the excessive institutionalization and by the excessive procedural formalism. That what is more important, these highly impartial procedures are not suited to the settlement of disputes as a bargaining process between parties. Like in the arbitration, the parties to a procedure of conciliation determine by their common agreement the subject matter of the dispute, and it is usually of a very restrined scope. Within these limits the conciliator has to try to reach an agreement between parties, and in such situations it is extremely difficult to find a solution which will be acceptable and which will satisfy both parties. If he transgresses the subject-matter of the dispute, he commits, like an arbitrator, an exces du pouvoir and that can be a sufficient reason for the refusal of his report.

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In addition, the report of a commission of conciliation or of inquiry, although having no legally obligatory character for the parties, as a result of an impartial procedure it morally obliges. It can bring a losing party into an uncomfortable position for further negotiations, and the winning party will after it more stubbornly insist on its claims. In order to prevent such a position, parties to a dispute which claim the changes of an existing situation will avoid as much as possible procedures of inquiry and conciliation, the same as the arbitral and judicial procedures are not acceptable to them. For that reason, it was unrealistic to stipulate obligatory procedure of conciliation for disputes of political character. And when the matter is of other disputes, when both parties want an impartial solution, they usually prefer to go to the arbitration or to a permanent jurisdiction. Procerlure of inquiry is nevertheless an important part of arbitral and of judicial procedures and of the settlement by international organizations. As a distinct procedure it can be helpful for consideration of disputes which result from grave incidents. But it is of little use as a method of settlement of future disputes in order to prevent wars. All we said was not advocating the political methods as only efficient in settling disputes. Arbitration and judicial settlement can have even a greater importance in future international relations then now. But there is much to be alone to improve them. One must be aware of their shortcomings. They are not very suitable for preventing armed conflicts. Very few disputes were settled by that way which could really lead to war, although there were in the past some famous arbitral awards which served the cause of peace. If the matter is of important interests States generally agree to arbitral or judicial settlement on the basis of law only if both of them at the same time believe that they have the chance to win, and the winner will be only one. Otherwise, they prefer to negotiate. For the disputes of lesser importance, the resort to judicial Settlement or arbitration is usually a sign of high understanding and friendly relations of the States, when they are ready to sacrifice some of their interests in favour of their future cooperation. But generally, for the fear from their own public opinion, the governments do not want to lose cases before international jurisdictions.

And with regard to the general Obligations to submit future disputes to these procedures, the situation is very similar to that of obligations of inquiry and conciliation. The international practice is rich in examples of nonimplementation of these obligations, and sometimes

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even of their evasions, in particular when at stake are important interests. Sometimes in such cases even the tribunals render unexpected sentences, as the Nuclear Terts case before the Hague Court recently proved44 • There are, of course, opposite exemples, but it would be wrong to expect in times of crises too much from such obligations that they will save the peace. However, in the matters of implementation of specific treaty Obligations, arbitral and judicial settlement are irreplacable as obligatory for settlement of disputes with regard to their application and interpretation. The obligatory conciliation can not in our view be a substitute to them. Arbitration has some advantages which have not been fully exploited until now. It is a highly flexible procedure in which parties decide by common agreement the composition of the tribunal, the legal or other rules applicable by it, as well as the rules of procedure to be followed. The new States, which are sometimes suspicious towards "classical" international law have a large opportunity to experiment with it in settling this mutual disputes. In spite of major opposite experiences, we believe that pacific settlement can be an efficient way of prevention or of settling some kinds of serious disputes and controversies, and even of armed conflicts. It can be done first of all by extremely informal and nonobligatory methods of settlement, as direct negotiations by the parties themselves, by good offices and mediation. Impartial bodies of experts could probably be suitable in offering good offices to the parties in such disputes, the task which was confided by Chapter 6 of the U. N. Charter to the Security Council, and which is not performed by it in practice. In doing that such bodies could help the parties either to pursue direct negotiations or to choose another procedure of settlement by their common agreement, not intervening in the merits of the problern without their permission. Among proposed procedures could be of course the conciliation. And maybe, the parties to a conflict would be sometimes more confident even to accept the mediation of such impartial bodies of experts, than to tolerate the mediation by third States. In all such procedures, respective organs should be strictly obliged to respect the fundamental rights of all States, as are the independence, equality, nonintervention, and others, what will not prevent the peaceful change.

44

Australia v. France; New Zealand v. France; two Judgments of December

20, 1974, I. C. J. Reports 1974, pp. 253 ff.

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What is needed today are the permanent organs which will supervise the relations among States and which will offer to the parties, when it becomes necessary, their good offices on their own initiative. The efforts in bringing the U. N. Charter into the harmony with the needs of our time could make a precious contribution in that respect.

EINIGE BEMERKUNGEN ZUR BEILEGUNG DER ABGRENZUNGSSTREITIGKEITEN IM ICNT* Von Vladimir Ibler Im System der Streitbeilegung der zukünftigen Seerechtskonvention werden Abgrenzungsstreitigkeiten- jedenfalls soweit es die Anstrengungen und die Ergebnisse der 3. Seerechtskonferenz bislang (März 1979) gebracht haben- ausschließlich im Art. 297, 1 (a) des ICNT erwähnt. Aus der Überschrift des Art. 297 (Optional exceptions) und aus dem Wortlaut der angegebenen Stelle des ICNT selbst! muß geschlossen werden, daß die an der Konvention teilnehmenden Staaten das Recht haben, durch einseitige Erklärungen ihre Abgrenzungsstreitigkeiten der Anwendung des ICNT zu entziehen. Jedenfalls nur unter der Bedingung daß der betreffende Staat, wenn ein solcher Streitfall entsteht, angibt, welcher regionalen oder anderen richterlichen oder schiedsrichterlichen Entscheidungsinstanz er seine Abgrenzungsstreitigkeiten unterwerfen will. Diese Instanz muß die Kompetenz besitzen, bindende Entscheidungen zu bringen; und außerdem müssen alle am Streit beteiligten Staaten zu dieser Instanz Zugang haben. Unserer Meinung nach ist diese Vorbehaltsmöglichkeit wirklich weitreichend, vielleicht zu weitreichend, und nicht nur für den Wert des Streiterledigungssystems der Konvention allein, sondern auch für

* Informal Composite Negotiating Text (U. N. Doc. A/CONF. 62/WP. 10, 15. July 1977; Abdruck in: International Legal Materials, Vol. 16 (1977); Indian Journal of International Law, Vol. 17 Nos. 3 & 4, 1977. 1 " 1. Without prejudice to the Obligations arising under section 1 of this Part of the present Convention, a State Party when signing, ratifying or otherwise expressing its consent to be bound by the present Convention, or at any time thereafter, may declare that it does not accept any one or more of the procedures for the settlement of disputes specified in the present Convention with respect to one or more of the following categories of disputes : (a) Disputes concerning sea boundary delimitations between adjacent or opposite States, or those involving historic bays or titles, provided that the State making such a declaration shall, when such dispute arises, indicate, and shall for the settlement of such disputes accept a regional or other third party procedure entailing a binding decision, to which all parties to the dispute have access; and provided further that such procedure or decision shall exclude the determination of any claim to sovereignty or other rights with respect to continental or insular land territory;"

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die Rolle der gesamten Konvention möglicherweise von verhängnisvoller Bedeutung. Der Art. 297, 1 (a) sollte deswegen in den folgenden Sessionen der UNCLOS 2 noch gewissenhaft überprüft werden. Im Zusammenhang mit dieser Auffassung folgende kurze Bemerkungen. Die Bedingung, mit deren Erfüllung sich Staaten dem Streiterledigungssystem des ICNT entziehen können, nämlich die Aussage, daß sie eine regionale oder eine andere Instanz annehmen und sich derselben im Abgrenzungsstreitfall unterstellen wollen, scheint uns unannehmbar zu sein. Das Ausweichen in eine regionale oder eine andere third party procedure, vorgesehen im Art. 297, 1 (a}, sollte unserer Meinung nach als nicht adäquat betrachtet werden. Einem universellen System auszuweichen und den potentiellen Kläger vor ein unbekanntes, undefiniertes und ihm fremdes regionales System zu stellen - wo eine Hegemonie des angeklagten Staates nicht unmöglich sein muß - und den Kläger vor ein ebenso undefiniertes, unbekanntes und vielleicht noch nicht bestehendes Forum zu zwingen, ist höchst unannehmbar. Es läuft darauf hinaus, daß ein Staat, eine Streitpartei, sich nicht dem System des ICNT (bzw. der zukünftigen Konvention) unterwerfen will- wegen ungenügenden Vertrauens in das System, muß man annehmen aber dem anderen Staat, der anderen Streitpartei, zumutet, Vertrauen zu haben in eine Entscheidungsinstanz, die nicht universell ist, die regional oder sonstwie beeinflußt wird und von der ersten Streitpartei allein gewählt und nominiert worden ist. Mit anderen Worten, der Angeklagte sucht sich die Entscheidungsinstanz aus, und der Kläger sollte damit zufrieden sein. Dabei bleibt es im dunkeln, warum und wieso diese einseitig gewählte Instanz eine höhere Qualität aufweisen sollte als ein universelles Tribunal oder ein Schiedsgericht des ICNT-Systems. Dem Wortlaut des Art. 297, 1 (a) nach stimmt es wohl, daß eine Abgrenzungsstreitigkeit nicht unbereinigt bleiben kann. Die regionale oder eine andere Instanz soll ja die verbindliche Entscheidung bringen. Doch unsere Skepsis bezüglich eines regionalen oder anderen Verfahrens (a regional or other third party procedure}, daß von einem Staate nominiert wird und für den anderen gar nicht akzeptabel sein muß, berechtigt uns, die Möglichkeit, daß eine Abgrenzungsstreitigkeit nie beigelegt wird, keinesfalls auszuschließen. Und das muß als eine Schwäche des ICNT angesehen werden. Ein weiterer Grund für die Ablehnung regionaler und "anderer" richterlicher oder schiedsrichterlicher Streitbeilegungen, einschließlich 2 United Nations Conference on the Law of the Sea konferenz der Vereinten Nationen.

Dritte Seerechts-

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der Abgrenzungsstreitigkeiten, scheint uns die Gefahr zu sein, einer uneinheitlichen, diskrepanten und unstabilen Judikatur die Wege zu ebnen. Dieser wichtige Nachteil ist praktisch unbestritten, doch vielleicht unumgänglich, weil höchstwahrscheinlich erst die Wahlmöglichkeiten, geboten im Art. 278 (Choice of procedure), vielen Staaten den Beitritt zur zukünftigen Seerechtskonvention ermöglichen würden. Doch neben dieser im Art. 287 statuierten Proliferation der Instanzen sollte man nicht noch speziell für Abgrenzungsstreitigkeiten ein Recht auf höhere Einschätzung nicht-universeller Instanzen einräumen und die darauffolgende Konsequenz der Umgehung des ICNT-Streiterledigungssysteme schaffen. Was geschieht, wenn beide im Streit befindlichen Staaten ihr Recht, begründet auf Art. 297, 1 (a), genützt, und demzufolge auch ihre respektiven Deklarationen abgegeben haben? Dann geben die Staaten, ebenfalls im Streitfall, die Verfahren an ("regional or other third party procedure ... "), denen sie sich unterwerfen wollen. Doch wir dürfen annehmen daß jeder der Staaten ein anderes Verfahren, bzw. eine andere Instanz angegeben hat. Welche Instanz, welches Verfahren soll in solch einem Fall angewendet werden, falls jeder der Streitteile sich nur demjenigen Verfahren unterwerfen will, das er selbst angegeben hat? Wessen Angabe des Verfahrens ist maßgebend: die des Klägers oder die des Angeklagten, wenn sich die streitenden Staaten darüber nicht einig werden können? Aus dem ICNT sollte man meinen, daß dasjenige Verfahren angewendet werden wird das der angeklagte Staat angegeben hat. Man kann aber nicht behaupten, daß diese Lösung restlos klar und ausdrücklich aus dem ICNT erfolgt. Diese Frage verdient es, in der zukünftigen Seerechtskonvention ausdrücklich beantwortet zu werden. Es wäre in der Tat ein juristisch sehr mangelhafter Text, der sogar in dieser Frage einen Auslegungsstreit ermöglichen und erleichtern würde. Nach der Ansicht und den Wünschen mancher UNCLOS-Teilnehmer sollte die Umgehung des ICNT-Systems für die Abgrenzungsstreitigkeiten noch weiter sehr radikal erleichtert werden3 • Die Bedingung, daß ein regionales oder ein anderes Verfahren angegeben werden muß, 3 "Some states are urging that this optimal exception not be conditioned on acceptance of alternative binding means to settlement." (Report of the Committee on the Law of the Sea of The American Branch of The International Law Association, March 1978, p. 19.) "Va segnalato ehe secondo aleuni Stati - tra i quali l'URSS ,_ deve essere creata un'eccezione facoltativa di portate piu ampia di quella minima oggi prevista nell'art. 297 n. 1 (a) in tema di contraversie relative alla delimitazione di aree marine tra Stati adiacenti o fronteggiantisi" (Treves, La Conferenza sul diritto del mare: Dal "Testo unico riveduto" del 1976 al "Testo composito informale di negoziato" del 1977, Rivista di diritto internazionale, Volume LX, fase. 3-4-1977, S. 573).

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sollte wegfallen. Dadurch könnten die Abgrenzungsstreitigkeiten bedingungslos aus dem System des ICNT ausgeschlossen werden, natürlich nur dann, wenn ein Staat es so entscheidet (Optional exceptions). In bezug auf diese Möglichkeit ist es von unserem Standpunkt aus nur logisch, wenn wir diese als noch schädlicher betrachten als den jetzigen Art. 297, 1 (a) des ICNT. Nun, einerlei, ob der Art. 297, 1 (a) so bleibt, wie er jetzt steht, oder ob nach dem Wort "titles"4 der weiter Text wegfällt, sollte folgendes nicht außer acht gelassen werden. Es scheint von Wichtigkeit zu sein, daß die Zahl der zu erwartenden Abgrenzungsstreitigkeiten beträchtlich sein wird, vielleicht auch sehr groß5 • Diese spezifischen Streitigkeiten werden sich auf das Territoriale Meer, die Anschlußzone, die ausschließliche Wirtschaftszone, den kontinentalen Sockel, und auch auf die äußere Linie der maritimen Eigengewässer beziehen. Man sollte bedenken, daß die seitlichen Abgrenzungslinien weit in Richtung der offenen See vordringen werden, und daß bei dem breiteren Territorialen Meer und bei einem neu entstandenen Rechtsinstitut, der ausschließlichen Wirtschaftszone, auch aufrichtige, auf Überzeugung beruhende Ansprüche notwendigerweise sehr oft - pessimistisch gesehen sogar beinahe immer - zu Streitigkeiten führen werden. Was solche Ansprüche betrifft, deren Grund eine zweifelhafte bona fide sein wird, also möglicherweise auf mala fide beruhende Versuche die eigene territoriale Souveränität oder Jurisdiktion auszubreiten, und zwar gegen besseres, entgegengesetztes Wissen des materiellen Rechts, so erwähnen wir sie hier nur als Grund für ein Anwachsen der Zahl von Abgrenzungsstreitfällen. Was die bestehenden Meeresräume betrifft, sollte man annehmen, daß die Zahl der Streitfälle größer sein wird bei Abgrenzungen der kontinentalen Sockel und der Wirtschaftszonen als bei Territorialen Meeren. Und zwar wegen der sehr langen (200 sm, bzw. 188 sm, aber oft auch mehr) Abgrenzungslinien und der Kompliziertheit verschiedener rechtlich relevanter geographischer Tatsachen und Tatbestände. Aus diesen Gründen muß man annehmen, daß Streitfälle praktisch beinahe unumgänglich sein werden. Diese Voraussetzung scheint realistisch zu sein. Auf sie wurde schon oft hingedeutet. Abgrenzungsstreitigkeiten waren auch bis jetzt nicht unbekannt. Manche wurden durch richterliche Entscheidungen bereinigt. Andere 4 Der Text würde nach dem Wort "titles" mit Strichpunkt enden; beginnend mit dem Worte "provided", würde der Rest von (a) gestrichen werden. 8 "The criteria and procedures which a coastal state employs to demarcate and delimit its exclusive jurisdiction for its various purposes is by far the most important aspect of the Law of the Sea likely to give rise to conflicts." (K. Verkata Raman, Ocean Resources: Procedures and Mechanisms for Settlement of Disputes- UNITAR, 1976.)

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belasten gegenwärtig die zwischenstaatlichen Beziehungen, leider nicht in einer Art und Intensität, die sie als unwichtig erscheinen lassen (Beagle Channel Case, Aegean Sea Continental Shelf Case). Die Zahl der zu erwartenden Abgrenzungsstreitfälle könnte nicht nur beträchtlich sein, sondern sogar die absolute Mehrheit aller Streitfälle bilden, die ihr Substrat in der Auslegung und Anwendung der zukünftigen Konvention haben. Besonders aber wenn man diejenigen Streitfälle ausschließt, für die die Sea-Bed Disputes Chamber zuständig sein wird. In der Gesamtheit der Fälle die nach dieser Subtraktion übrig bleiben, dürfte der Prozentsatz der Abgrenzungsstreitigkeiten höchstwahrscheinlich hoch sein. Mit dem Gesagten soll nicht behauptet werden, daß die zu erwartende große Zahl der Abgrenzungsstreitigkeiten allein als Argument dienen kann, daß solche Fälle durch richterliche oder schiedsrichterliche Entscheidungen gelöst werden können und deswegen gelöst werden sollten. Es geht ja selbstverständlich nicht um die Zahl allein, sondern um die Beschaffenheit der Streitfälle. Und doch ist es hier angebracht, darauf aufmerksam zu machen, daß ein Streiterledigungssystem, das nur für die Minderheit oder den kleineren Teil der Streitfälle geschaffen ist, nicht nur von kleinem Wert ist, sondern auch den Wert der ganzen Konvention und des Meeresvölkerrechts stark beeinträchtigen würde. Die Nicht-Bereinigung der Abgrenzungsstreitigkeiten kompromittiert nicht nur das Streiterledigungssystem, sondern auch das materielle Meeresvölkerrecht. Im Zusammenhang mit den Abgrenzungsstreitigkeiten, bzw. mit dem Ablehnen des Systems, das eine zwingende Bereinigung dieser Streitfälle durch richterliche oder schiedsrichterliche Entscheidungen vorsieht - natürlich nur, wenn andere (politische) Mittel endgültig versagt haben6 - beruft man sich mancherseits auf die Souveränität des Staates. Dies geschieht in einer Weise, die sich zum größten Teil im summarischen, generellen und abstrakten Berufen auf die Souveränität schlechthin erschöpft. Dabei wird der Begriff der Souveränität nicht zeitgemäß und im Sinne der dominanten Doktrin7 und Judikatur bee "Section 2 Article 286. Application of section 1 and proceedings under this section. Subject to the provisions of articles 296 and 297, any dispute relating to the interpretation or application of the present Convention shall, where no settlement has been reached by recourse to the provisions of section 1, be submitted, at the request of any party to the dispute, to the court or tribunal having jurisdiction under the provisions of this section." 7 "Diese Lehre fand aber in den letzten Jahrzehnten keine Anhänger mehr, da ihre Wurzel, die absolute staatliche Souveränität, unhaltbar geworden ist." (S. 66). "Wenn angenommen wird, daß die Staaten in allen Belangen die oberste Ordnung bilden, so führt dies zur Leugnung des VR und seiner Degradie19°

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nützt, sondern mehr im Sinne eines absoluten Begriffs, politisch unantastbar und rechtlich unbegrenzt, deswegen auch rechtlich kaum brauchbar. Es wird auch behauptet, daß die Probleme der Abgrenzungsstreitigkeiten für die Staaten und für ihre Sicherheit und Wirtschaft also auch für ihre Existenz und Unabhängigkeit - von allergrößter Bedeutung sind. Das sollte aber, unserer Meinung nach, in jedem konkreten Fall mit Vorsicht und mit Zurückhaltung geprüft werden. Es war doch praktisch nie der Fall und kann auch in Zukunft schwer auftreten, daß ein Meeresraum in seiner Ganzheit (z. B. das ganze Territoriale Meer oder die ganze zukünftige Wirtschaftszone) in einem Streitfall in Frage gestellt, bzw. verlangt oder aberkannt wird. Der Streit wird sich immer nur auf einen Teil des betreffenden Meeresraumes beziehen. Sein Substrat ist die Abgrenzung (Delimitation), und wie die Benennung andeutet, handelt es sich nicht um ein gegenseitiges verweigern von verschiedenen Zonen überhaupt und in ihrer Ganzheit, sondern um das Ziehen umstrittener Trennungslinien zwischen gegenüberliegenden Staaten und seitlichen Nachbarn. Obwohl besonders in der Gegenwart die ökonomischen Interessen auch sehr groß sein können und es sich auch um größere Flächen, bzw. Räume handeln könnte, so dürften die Behauptungen, daß es sich um vitale Interessen, also lebenswichtige und sogar um überlebenswichtige Interessen handelt, auch übertrieben sein. Man kann ernsthaft bezweifeln - selbstverständlich kann es auch Ausnahmen geben- ob die in Frage stehenden Interessen wirklich lebenswichtig sind. Wenn wir aber auch annehmen, daß die Interessen, die in Frage stehenden Werte, wirklich von allergrößtem, lebenswichtigem Interesse sind, so sollte man doch meinen, daß dieselben weit mehr durch keine oder durch einseitige Lösungen bedroht sind als durch richterliche Urteile oder schiedsrichterliche Entscheidungen. Und während bekanntlich in unbereinigten Abgrenzungsstreitigkeiten, die, z. B. durch FischereiKonflikte kritische Ausmaße erreichten und es auch zur Anwendung von Gewalt und Waffen kam, kann man andererseits nicht einmal auf wenige unzweifelhaft ungerechte und dem positiven Völkerrecht evident zuwiderlaufende Urteile oder Schiedssprüche internationaler Gremien hinweisen. Es ist bekannt, daß man mit Urteilen und Entscheidungen nicht immer beide Seiten zufriedenstellen und daß auch objektiv mancher Rechtsspruch mit guten Gründen kritisiert werden kann. Doch rung zum "äußeren Staatsrecht", wie bei der Darstellung der Lehre Hegels gezeigt wurde." (S. 46). "Zeichen der Souveränität eines Staates sei es somit, daß dieser keiner höheren ,potestas', also keiner höheren Instanz unterworfen ist. Doch hat keiner dieser Schriftsteller daran gezweifelt, daß die Staaten dem VR untergeordnet sind und einvernehmlich ein Schiedsgericht zur Entscheidung ihrer Streitigkeiten einsetzen können." (S. 47). (Verdross I Simma, Universelles Völkerrecht, Berlin 1976.)

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scheint uns, daß der mögliche Rahmen für richterliche und schiedsrichterliche - besonders der universellen Instanzen - Verirrungen jeder Art und aller Motive verhältnismäßig sehr eng ist im Vergleich zu einseitigen "Lösungen". Wenn man sich in die Gedankengänge der Gegner internationaler Gerichtsbarkeit, besonders bezüglich der Abgrenzungsstreitigkeiten, einfühlt, die angegebenen Argumente abwägt, und sich mit Verständnis ihren Standpunkt aneignen will, muß man ihnen so manches zugestehen. Die internationale Gerichtsbarkeit hat bestimmt ihre erkennbaren und verhältnismäßig engen Grenzen. Diese Grenzen liegen nicht nur in der Unvollkommenheit des Völkerrechts, sondern müssen auch in den moralischen und den intellektuellen Unzulänglichkeiten der Individuen, bzw. der Mitglieder der betreffenden Instanzen bestehen. Als die weithin wichtigste Schwäche dabei muß die unbewußte - die bewußte kann natürlich nicht als unmöglich betrachtet werden - Parteilichkeit, das Fehlen idealer Unparteilichkeit, kombiniert mit politischen mannigfaltigen Realitäten angesehen und erwartet werden. Es wäre unrealistisch und weltfremd, das Bestehen eines - wenn auch nicht notwendigerweise immer - möglichen und erfolgreichen Druckes schlechthin auszuschließen. Ebenso kann man nicht leugnen, daß die umgekehrte Maxime der Römer, De maximis non curat praetor, eine Wahrheit des Völkerrechts in Vergangenheit und Gegenwart widerspiegelt. Die Angst, vitale Interessen - wenn sie wirklich vital sind, was unserer Meinung nach meistens nicht der Fall ist und auch nicht sein wird- einem Rechtsspruch, dessen Inhalt nicht mit Sicherheit vorgesehen werden kann, auszuliefern, kann man gut verstehen. Was aber die Angst selbst betrifft, so kann man leider einen Eindruck gewinnen, auf den unseres Erachtens die Theorie der Internationalen Beziehungen und des Völkerrechts das Recht und die Pflicht hat hinzuweisen. Der Eindruck besteht darin, daß es den Staaten bei den Problemen der Streiterledigung - und daß gilt besonders auch für die Abgrenzungsstreitigkeiten, wo eine noch stärkere Abneigung gegen richterliche Streitbeilegung zum Vorschein kommt - nicht gut gelingen will, genügend aufrichtig zu sein. Ihre Wortführer reden von ihrer Angst, die darin bestehe, daß die Gerichte und Schiedsgerichte ihren Aufgaben aus verschiedenen Gründen - nicht gewachsen wären. Man kann es auch als Angst vor der Abwesenheit der Unparteilichkeit beschreiben. So wird es wenigstens mehr oder weniger offen angegeben. Der Eindruck, den man aber oft gewinnen kann, ist der, daß die Staaten zwar in Wahrheit Angst fühlen, aber oft eine Angst, die darin besteht, daß das Gericht oder das Schiedsgericht wirklich unparteiisch sein wird. Vor Unparteilichkeit kann man auch Angst haben. Es scheint uns, daß in der Doktrin der Internationalen Beziehungen und des Völkerrechts

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die Aufmerksamkeit offen darauf gelenkt werden soll, und als Hypothese einer zu beweisenden Tatsache oder einer Gesetzmäßigkeit der zwischenstaatlichen Beziehungen geprüft werden sollte, ob und unter welchen Umständen, mit welchen Folgen u. dgl. die Staaten Angst vor Unparteilichkeit und, folglich, vielleicht auch vor Gerechtigkeit haben? Darüber hinaus könnte man auch untersuchen, ob und wie durch diese besondere Art von Angst auch die Bemühungen der Staaten bei diplomatischen Konferenzen nicht dadurch, wenigstens teilweise, zu erklären wären. Kommt nun diese These einem Truismus gleich? Mag sein. Aber man kann auch bezweifeln, ob sich Politologen, Völkerrechtler und Diplomaten manchmal darüber doch im unklaren sind. Die Behauptung eines Teilnehmers, Angst vor Unzulänglichkeiten, Unvollkommenheiten der internationalen Gerichtshöfe (wenn diese universellen Charakter haben, weniger wenn sie einen regionalen oder einen anderen, nicht universellen Charakter besitzen?) zu haben, kann man auf diplomatischen Konferenzen verständlicherweise nicht versuchen als Unwahrheit zu verdächtigen. Dagegen dürfen aber nicht wissenschaftliche Versuche, die Wahrheit zu erforschen, durch politische Rücksichten gehemmt werden. Wenn man Abgrenzungsstreitigkeiten als ungeeignet für richterliche Streitbeilegung darzustellen versucht, dürfte man dabei nicht vergessen, daß internationale Gerichtsinstanzen eben solche Streitigkeiten in der Vergangenheit schon öfters ausgetragen haben. Wohl waren Kompromisse notwendig, um die Zuständigkeit dieser Instanzen zu schaffen. Eine institutionalisierte Zuständigkeit, die mittels eines obligatorischen Systems, in dem die potentiellen Streitparteien ihre Abgrenzungsstreitigkeiten - einbegriffen jedenfalls auch bezüglich der Seegrenzen - einem endgültigen und verbindlichen Urteil in vorhinein unterworfen hätten, gab es nicht. Aber nichtsdestoweniger steht es, daß das Streitigkeitssubstrat selbst für richterliche, und schon besonders für schiedsrichterliche Streitbeilegung, grundsätzlich nicht weniger geeignet ist als andere Streitsubstrate. Und da es bei Abgrenzungsstreitigkeiten oft um geographische und technische Tatsachen und Fragen der Abgrenzung geht, wobei Experten-Wissen und Experten-Urteil vonnöten sind, so kann ein schiedsrichterliches Verfahren, gestützt durch Experten-Kommissionen, für die verbindliche Streitentscheidung besser geeignet sein als dies diejenigen, die dieses Mittel ablehnen, einsehen wollen. In die Abgrenzungsstreitigkeiten - obwohl politische Interessen immer, oder beinahe immer präsent sind - können auch unpolitische Elemente (z. B. Vermessungsmethoden und Vermessungsergebnisse) einbezogen sein, die auf unpolitische und fachmännische Art zu behandeln sind.

Zur Beilegung der Abgrenzungsstreitigkeiten im ICNT

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Bekannte schiedsrichterliche Entscheidungen, z. B. im schwedischnorwegischen Streit um Grisbadarna, sowie Urteile des IGH, z. B. im Streitfall Großbritanniens mit Norwegen, der Bundesrepublik Deutschland mit den Niederlanden und Dänemark, Großbritanniens und Frankreichs, und eine Reihe weiterer schiedsrichterlicher und richterlicher Rechtsprüche, bei denen es sich unmittelbar oder mittelbar um Abgrenzung der Meereszonen handelte, sprechen für die "Justiziabilität" eben solcher Streitsubstanzen. Die Voraussage, die hier gewagt wird, hält es für wahrscheinlicher, daß das Streitschlichtungssystem der Konvention in beträchtlichem Maße unvollkommen sein wird, als daß ein effektives System integraler Teil der Konvention werden könnte und dadurch eine obligatorische und endgültige Streitschlichtung vertraglich gesichert wäre. Abgrenzungsstreitigkeiten dürfen schon gar durch Art. 297, aus dem System der Konvention ziemlich leicht ausgenommen werden, besonders wenn nicht nur universelle, sondern auch regionale und "andere" Verfahren ausbleiben können. Nun kann das Völkerrecht von sich aus selbstverständlich nicht zwischenstaatliche Realitäten, Beziehungen und Sachverhalte ändern und - im Gegensatz zu der gegenwärtigen internationalen politischen Situation - ein Streiterledigungssystem schaffen, das zu sehr entwickelt, zu vollkommen und zu gut ist, um der Beschaffenheit der bestehenden Staatengemeinschaft zu entsprechen. Das wenige und sehr Bescheidene, das seitens der Doktrin des Völkerrechts gesagt werden sollte, besteht lediglich darin, die Gründe, die seitens mancher Staaten, bzw. ihrer Delegationen in der Konferenz suggeriert werden - nämlich ihre quasi-juristische Begründungen und Berufungen auf die Staatliche Souveränität, die nicht, ohne sich in Gefahr zu bringen, eine "third party adjudication" zulassen kann- als unberechtigt und unrichtig festzustellen. Das positive Völkerrecht und der rechtliche Begriff der Souveränität sind keine und schon gar keine unüberwindbaren Hindernisse für das Errichten und Annehmen einer institutionalisierten universellen Gerichtsbarkeit und Schiedssprechung. Nur das politische Ermessen allein ist ausschlaggebend. Keine Gründe sind aus dem Völkerrecht oder der Rechtsnatur der Staaten zu holen, die das Ablehnen eines umfassenden und wirksamen Streitbeilegungssystems berechtigen könnten. Das Plädieren für eine institutionalisierte richterliche oder schiedsrichterliche Bereinigung der Abgrenzungsstreitigkeiten scheint seitens vieler Regierungen gegenwärtig noch als unverantwortlich und gefährlich angesehen zu werden. Das Unterwerfen solcher Streitfälle unter verbindliche internationale Gerichtsbarkeit wird deswegen als eine mehr oder weniger utopische und naive Idee, unter Berufung auf die

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Realität, abgelehnt. Nachdem wir hier, zwar nur kurz, daran erinnert haben, daß Abgrenzungsstreitigkeiten schon mit Erfolg durch richterliche Urteile und schiedsrichterliche Entscheidungen bereinigt wurden, scheint es uns, daß der notwendige Sprung von nichtinstitutionalisierter, auf Kompromissen beruhender, von Fall zu Fall angenommener Zuständigkeit der Gerichtshöfe und der Schiedsgerichte weniger in der Beschaffenheit des Streitsubstrats (Abgrenzung, Delimitation) und mehr in der Zusammenstellung der betreffenden Instanzen besteht. Man sollte die Schwierigkeiten und Hindernisse der Institutionalisierung gerichtlicher Streiterledigung nicht unterschätzen, aber sie nicht ausschließlich oder überwiegend im Streitsubstrat allein suchen und sehen. Der ICNT bietet im Art. 287 eine Auswahl an Streiterledigungsinstanzen, was wir als positiv einschätzen. Die Zusammenstellung dieser Instanzen ist entweder bekannt (z. B. der IGH), oder diskussionsreifer Entwurf (Anhänge V, VI, VII der ICNT). Es wäre vielleicht angebracht, im Bereiche der Zusammenstellung (Composition of the Tribunal, List of arbitrators, experts) der in Betracht kommenden Instanzen ihre schwachen Seiten zu suchen, um sie durch Bestimmungen zu ersetzen, die den zukünftigen Streitparteien mehr Vertrauen in die moralischen, politischen, rechtlichen, fachmännischen und in andere notwendige Eigenschaften der Richter, bzw. der Schiedsrichter, einflößen würden, also der Instanz als Einheit die größtmögliche Qualität und Kompetenz sichern würden. In dieser Richtung scheinen u. E. die Anstrengungen der Konferenzteilnehmer nicht das zu erwartende Maß erreicht zu haben. Es wäre zu erwarten, daß in dieser Hinsicht besonders aktiv diejenigen Staaten, bzw. Delegationen sein würden und sein sollten, die das stärkste und tiefste Mißtrauen gegen die third party adjudication hegen. Man sollte es doch nicht als unmöglich und nicht der Mühe wert halten, eben die Unparteilichkeit, samt den anderen, schon erwähnten Eigenschaften (Qualität, Kompetenz) der betreffenden Instanzen, durch hohe Ansprüche an ihre 'Zusammenstellung weiter zu heben. In Abgrenzungsstreitigkeiten könnte vielleicht noch zusätzlich die zuständige Instanz die Hilfe besonders qualifizierter Personen oder auch wissenschaftlicher Institutionen anfordern. Und es käme möglicherweise auch in Betracht, daß die Instanz nur Grundsätze (Prinzipien) für die Erledigung des konkreten Falles verbindlich festsetzt, es dann aber den Streitparteien überläßt, selbst durch Vereinbarung die Trennungslinie zu ziehen; wobei dem nichts im Wege stünde, im Einvernehmen praktisch notwendige Abweichungen abzumachen. Abschließend summieren wir unsere Bemerkungen in folgender Behauptung: Die im Art. 297 der ICNT gegebene Möglichkeit, die Abgren-

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zungsstreitigkeiten aus dem System der Streiterledigung der zukünftigen Konvention auszuschließen, ist unberechtigt; die bekannten Argumente für ein besonderes Behandeln - eigentlich Nichtbehandeln dieser Streitfälle ist nicht glaubwürdig und überzeugend begründet worden.

ÜBERLEGUNGEN ÜBER EINEN EINHEITLICHEN BEGRIFF DER INLÄNDISCHEN GERICHTSBARKEIT IN ZIVILRECHTSSACHEN Von Franz Matscher

I. Begriff und Wesen der Gerichtsbarkeit im Sinne des Völkerrechts Gerichtsbarkeit als der Inbegriff der Kompetenz zur Setzung von Vollziehungsakten durch die Gerichte eines bestimmten Staates ist einmal ein Institut des Völkerrechts. Die Setzung von Vollziehungsakten beinhaltet Entscheidung und Anordnung sowie auch die zwangsweise Durchsetzung von gerichtlichen Entscheidungen und Anordnungen. Es handelt sich dabei also um die Entfaltung von Gerichtstätigkeit im weitesten Sinn: es gehören dazu sowohl die Inanspruchnahme wie die Verneinung von Zuständigkeit zur Rechtsprechung, die Beweisaufnahme (einschließlich der Ladung von Zeugen und Parteien, der Bestellung von Sachverständigen usw.) die Vornahme von mit Rechtsfolgen ausgestatteten Zustellungen, die Verhängung von Strafen aller Art, die Fällung verbindlicher Entscheidungen und der Erlaß verbindlicher Anordnungen sowie deren zwangsweise Durchsetzung usw. Diese Kompetenz kann sich ferner sowohl als Berechtigung wie als Verpflichtung, solche Vollziehungsakte zu setzen, darstellen. Schon aus dieser kursorischen Definition ergibt sich, daß Gerichtsbarkeit, gern. dem deutschen Sprachgebrauch, hier im engeren Sinn, eben als Entscheidungs-, Anordnungs- und Durchsetzungskompetenz verstanden wird. Dagegen verwendet der englische Sprachgebrauch den - etymologisch auf eine gemeinsame Wurzel zurückgehenden Terminus "jurisdiction" bekanntlich in einem weiteren, die Kompetenz zur Rechtssetzung und zur Rechtsdurchsetzung einschließenden Sinn1 • 1 Freilich wird auch im englischen Sprachgebrauch zu differenzieren versucht. Die Terminologie ist aber nicht einheitlich. Üblicherweise wird zwischen legislative (descriptive) und enforcement jurisdiction unterschieden, aber auch unter diesen beiden Begriffen nicht immer gleiches verstanden. Vgl. dazu Mann, The Doctrine of Jurisdiction in International Law RdC 1964/I, 13 ff. Ähnliches gilt für die - von einem anderen Ansatz ausgehende, wenn auch im Ergebnis gleiches anpeilende - Unterscheidung zwischen dem "Anwendungsbereich" und dem "Geltungsbereich" staatlicher

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Gewiß nimmt das Völkerrecht, hier wie auch anderswo, auf Gewaltenteilung und Behördenorganisation, also auf Institute des Staatsrechts, im allgemeinen keinen Einfluß und differenziert daher auch nicht durchgehend zwischen Kompetenz zur Rechtssetzung und zur Rechtsdurchsetzung und, innerhalb der letzteren, zwischen gerichtlicher Tätigkeit und Verwaltungstätigkeit2, zwischen Zivil- und Strafgerichtsbarkeit usw. Da die Grenzlinien der "jurisdiction" aber nicht in allen Aspekten gleich verlaufen, empfiehlt sich schon aus systematischen Gründen eine Differenzierung zwischen Kompetenz zur Rechtssetzung und zur Rechtsdurchsetzung, da nur auf diese Weise ein in Voraussetzungen und Wirkungen im wesentlichen einheitlicher Begriff der Gerichtsbarkeit im oben vorgezeichneten Sinn erarbeitet werden kann. Gerichtsbarkeit idS ist ein Attribut oder, wenn man will, ein Teilaspekt der Gebietshoheit und daher innerhalb von deren Grenzen in thesi absolut, d. h. nur insoweit eingeschränkt, als ihr vom Völkergewohnheitsrecht oder vom Völkervertragsrecht im Einzelfall Schranken gesetzt werden (Prinzip der potentiellen Universalität der inländischen Gerichtsbarkeit). Als Attribut der Gebietshoheit beruht die Gerichtsbarkeit der einzelnen Staaten auch auf keiner spezifischen Verleihung durch das Völkerrecht, sie ist vielmehr dem Wesen des Staates immanent; sie bedarf also keiner völkerrechtlichen Permissivnormen. Diesen Gedanken brachte der StiG im Lotus-Fall3 sehr klar zum Ausdruck, indem er sagte: " .. . le titre ä la juridiction qu'il (sei!., l'Etat) exerce se trouve dans sa souverainete". Gleichlautend resümiert Kaiser, die staatliche Zuständigkeit werde "nicht durch das Völkerrecht begründet, sondern ist von ihm anerkannt" 4 • Als Attribut oder Ausfluß der Gerichtshoheit findet die Gerichtsbarkeit (wenn wir von der Möglichkeit ihrer Ausdehnung auf die Hohe See und in den Weltraum hier absehen) an den Staatsgrenzen ihr Ende. Nur mit Zustimmung eines anderen Staates kann sie im beschränkten Umfang auch auf dessen Gebiet ausgedehnt werden5 • Lediglich in diesem Hoheitsakte. Dazu bes. ausführlich Meesen, Völkerrechtliche Grundsätze des internationalen Kartellrechts (1975), 15 ff. Es sei allerdings festgehalten, daß Gerichtsbarkeit im hier verstandenen Sinn Elemente sowohl der legislative (Anwendungsbereich) als auch der enforcement jurisdiction (Geltungsbereich) enthält. Zur ersteren gehört die Entscheidungs- und Anordnungskompetenz, zur letzteren die Durchsetzungskompetenz. 2 Im Bereich des Völkervertragsrechts wird aber bisweilen differenziert und die Entscheidungskompetenz bzw. die Entscheidungsverpflichtung durch bestimmte staatliche Vollzugsorgane angeordnet. Vgl. etwa den in Art. 6 Abs. 1 EMRK normierten Anspruch auf Entscheidung durch ein Gericht. 3 Urteil vom 7. 9. 1927 Serie A Nr. 9, 19. 4 Internationale und nationale Zuständigkeit im Völkerrecht der Gegenwart, Berichte 7 (1967), 12.

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Zusammenhang kann von (völkervertragsrechtlichen) Permissivnormen über Gerichtsbarkeit gesprochen werden. Das gilt vornehmlich für den einen Aspekt der Gerichtsbarkeit, nämlich für die Durchsetzungskompetenz, während die Entscheidungs- und Anordnungskompetenz im Prinzip unbeschränkt, d. h. universell ist, m . a. W., sie kann Sachverhalte erfassen, wo immer sie sich zugetragen haben6 • Bis vor wenigen Jahren hat man mit dieser relativ groben Abgrenzung das Auslangen gefunden. Erst in jüngster Zeit wird - vornehmlich im Internationalen Kartellrecht und im Internationalen Steuerrecht - die Frage nach einer Begrenzung auch der Entscheidungs- und Anordnungskompetenz aufgeworfen. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Erkenntnis, daß angesichts der weltweiten wirtschaftlichen Verflechtung eine territoriale Beschränkung der Durchsetzungskompetenz wenig nützt, wenn durch die Entscheidungs- und Anordnungskompetenz Vorgänge erfaßt werden können, die sich ganz oder teilweise im Ausland zugetragen haben, weil auch durch die Durchsetzungskompetenz im Inland (über Sanktionen) eine mittelbare Auslandwirkung erzielt werden kann, so daß im Ergebnis der faktische Durchsetzungsbereich über die Gebietshoheit weit hinausreicht7. Die Rechtslehre sucht daher nach "Anknüpfungsbegriffen", als Ausdruck einer "ausreichenden Binnenbeziehung", deren Vorhandensein allein auch die Ausübung von Entscheidungs- und Anordnungskompetenz rechtfertigen würde. Gibt es aber "objective standards of internationallaw" als Maß einer solchen Binnenbeziehung? Mann8 , der sich wohl am eingehendsten mit der Frage auseinandergesetzt hat, kann nicht viel mehr als ein paar vage Anhaltspunkte bieten: das Verbot des Rechtsmißbrauchs und der Willkür, das Gebot der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten; er erinnert ferner an das schon von Neuner beschworene Kant'sche Prinzip9 • Schließlich räumt er aber ein: "In the 5 Die in früherer Zeit bedeutendsten Fälle waren die der Konsulargerichtsbarkeit aufgrund der "Kapitulationen" im Bereich des ottomanischen Reichs und aufgrund der "Konzessionen" im fernen Osten. Zu den heute aktuellen Aspekten des Problems siehe das grundlegende Werk von Pocar, L'esercizio non autorizzato del potere statale in territorio straniero (1974); dazu Matscher, Über die Grenzen der territorialen Souveränität, deren Verletzung und deren befugte Überschreitung, ÖZöRVR 28 (1977), 131. 8 Daher ist in diesem Zusammenhang auch von einer "Ubiquitätstheorie" die Rede; vgl. Kaiser (Fn. 4), 14. 1 Meesen (Fn. 1), 17 ff. s (Fn. 1), 44 ff., 73 ff. (mit weiteren Hinweisen). 9 Internationale Zuständigkeit (1929), 14: Der einzelne Staat müsse die Aufgabe seiner Zuständigkeitsabgrenzung so erfüllen, "daß Kantisch gesprochen, die Maxime seiner Zuständigkeitsordnung als Prinzip einer völkerrechtlichen Gesetzgebung dienen könnte".

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last resort it is good faith and raisonableness in international relations that will be the rule of decision." Auch für die Zivilgerichtsbarkeit werden Überlegungen dieser Art angestellt, doch münden auch sie in den Satz, daß kein Staat einen Sachverhalt seiner Gerichtsbarkeit unterstellen darf, wenn nicht ein Minimum an "Binnenbeziehung" vorhanden ist. Dieser Satz bleibt aber inhaltsleer- oder er hat höchstens programmatischen Wert- solange es nicht gelingt, klare Kriterien für die Bestimmung dieses Minimums anzugeben. Kriterien, die als Ausdruck eines anerkannten Völkerrechtssatzes angesehen werden können, sind aber zumindest für die Zivilgerichtsbarkeit nirgends feststellbar10• Zusammenfassend läßt sich also sagen, daß der Satz von der potentiellen Universalität der staatlichen Gerichtsbarkeit, die nur in Einzelfällen völkergewohnheitsrechtliehen Schranken unterliegt, geltendes Völkerrecht darstellt. Eine völkerrechtlich verbindliche Abgrenzung der Gerichtsbarkeit der einzelnen Staaten untereinander kann somit nur durch das Völkervertragsrecht vorgenommen werden. Das Interesse an einer solchen Abgrenzung bedarf heute keiner besonderen Begründung mehr. Es überzieht daher auch ein Netz von Verträgen dieser Art immer mehrere Staaten und erfaßt {sachlich gesehen) immer weitere Bereiche. Der Charakter der auf Völkergewohnheitsrecht und auf Völkervertragsrecht beruhenden Grenzen der staatlichen Gerichtsbarkeit - beschränkt auf Zivilrechtssachen - soll im folgenden näher untersucht werden.

U. Die Abgrenzung der Zivilgerichtsbarkeit auf Grund Völkergewohnheitsrechts und auf Grund Völkervertragsrechts Völkergewohnheitsrechtliche Normen über Gerichtsbarkeit entfalten i. a. R. nur Negativwirkungen; sie sind im wesentlichen also Prohibitivnormen. Da sie auf bestimmte Eigenschaften des Beklagten abstellen, wird im Zusammenhang mit ihnen auch von Immunität oder von Exemption von der staatlichen Gerichtsbarkeit gesprochen {diplomatische Immunität, Immunität von Staatsoberhäuptern, von fremden Staaten, Truppenkörpern, militärischen Luft- und Wasserfahrzeugen usw.). Die völkerrechtlichen Regelungen über die Immunität werden in zunehmendem Maße kodifiziert. Beispiel: das Wiener Übereinkommen to Lediglich für den Bereich der Strafgerichtsbarkeit liegen relativ gesicherte Erkenntnisse vor; vgl. etwa Oehler, Internationales Strafrecht (1973), 127 ff.

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über diplomatische Beziehungen vom 18. 4. 1961, BGBL 1966/66, insbes. dessen Art. 31; das Europäische Übereinkommen über Staatenimmunität vom 16. 5. 1972, BGBl. 1976/432; andere staatsvertragliche Regelungen über Immunität von der inländischen Gerichtsbarkeit gehen über eine bloße Kodifikation und Weiterentwicklung des geltenden Völkergewohnheitsrechts weit hinaus, so die zahlreichen Übereinkommen über die Immunität von internationalen Organisationen und deren Funktionären, die Amtssitz- und Konferenzabkommen usw. Weitere Übereinkommen dieser Art stehen in Vorbereitung. Völkergewohnheitsrechtliche und völkervertragsrechtliche Regelungen über Immunität haben gemeinsam, daß sie die Gerichtsbarkeit der betreffenden Staaten nicht zugunsten der Gerichtsbarkeit anderer Staaten, sondern absolut ausschließen. Sie entfalten also eine reine Negativwirkung. Die Regelungen über Immunitäten - seien sie gewohnheitsrechtlicher oder vertragsrechtlicher Natur- sind aber bei weitem nicht die einzigen, auf die Abgrenzung der staatlichen Gerichtsbarkeit bezughabenden Völkerrechtsnormen, was von einem Teil der Rechtslehre, welche die völkerrechtlichen Regeln über Gerichtsbarkeit mit den Immunitäten gleichsetzt, vielfach verkannt wird11 • Es gibt nämlich, darüber hinaus, zahlreiche andere völkervertragsrechtliche Regelungen über Gerichtsbarkeit, deren quantitative und qualitiative Bedeutung, wie schon oben angedeutet wurde, immer mehr zunimmt. Sie erfassen als multilaterale Regelungen weite Bereiche des internationalen Verkehrsrechts [vgl. etwa Art. 28 Abs. 1 und 32 des Warschauer Abkommens vom 12. 10.1929 zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, BGBl. 1961/286; Art. 31 Abs. 1 des Übereinkommens vom 19. 5. 1956 über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR), BGBL 1961/138; die internationalen Eisenbahnverkehrsübereinkommen: Art. 44, 52 CIM und Art. 40, 48 CIV vom 7. 2. 1970, BGBl. 1974/744] und als bilaterale Regelungen Fragen des Straßen- und Eisenbahndurchgangsverkehrs und des Grenzübergangs (vgl. etwa Art. 9 Abs. 3 des österr.-italienischen Übereinkommens vom 9.11. 1948 zur Regelung des erleichterten Straßendurchgangsverkehrs zwischen Nord- und Osttirol über italienisches Gebiet, BGBl. 1949/227; Art. 15 des österr.-deutschen Abkommens vom 14. 9. 1955 über den erleichterten Eisenbahndurchgangsverkehr auf den Strecken Mittenwald-Griesen und Ehrwald-Vils, BGBl. 1957/242; Art. 4 des österr.-deutschen Amtshaftungsabkommens vom 11 Nur selten wird in den einschlägigen Lehrbüchern der Behandlung von völkervertragsrechtliehen Regelungen über Gerichtsbarkeit ein breiterer Raum gewidmet. Als Ausnahmen wären hervorzuheben Niboyet, Traite de droit international prive fran~ais Vl/1 (1949), 256 f., 470 ff.; Morelli, Diritto processuale civile internazionale2 (1954), 187 ff.; vor allem aber Giuliano I Pocar, La giurisdizione civile italiana e lo straniero2 (1970), 8, 199 ff.

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14. 9. 1955, BGBl. 1957/245; Art. 13 Abs. 8 des österr.-italienischen Abkommens vom 19. 3. 1974 über die Regelung des Grenzübergangs der Eisenbahnen, BGBl. 1976/473). Auch die internationale Zusammenarbeit im Bereich des Personen- und Familienrechts bedient sich immer mehr der Technik, primär nicht das anwendbare Recht zu regeln, sondern die gerichtliche Zuständigkeit zwischenstaatlich abzugrenzen (so für die neueren Tendenzen auf diesem Gebiet typisch, das Raager Minderjährigenschutzabkommen vom 5. 10. 1961, 1975/446). Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Als Modell einer geschlossenen Abgrenzung der Gerichtsbarkeit in Zivil- und Handelssachen (vornehmlich in Vermögenssachen) in einem regionalen Rahmen sei noch das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVü) vom 27. 9. 1968, dBGBl. 1972 II 774, erwähnt. Aber auch die vertraglichen Regelungen über die Anerkennung von Gerichtsstandsvereinbarungen [Art. 6 des von der Raager Privatrechtskonferenz ausgearbeiteten, bisher nicht in Kraft getretenen Übereinkommens vom 25. 11. 1965 über den vertraglichen Gerichtsstand; Text in Actes et Documents 10 (1964) I, 68], von Schiedsverträgen und Schiedsklauseln (Art. II des New Yorker Übereinkommens vom 10. 6. 1958, BGBl. 1961/200), die üblicherweise in Vollstreckungsverträgen mitenthaltenen Bestimmungen über die Berücksichtigung fremder Streitanhängigkeit (Art. 17 des österr.-deutschen Vollstreckungsvertrags vom 6. 6. 1959, BGBI. 1960/105) und indirekt auch alle bi- und multilateralen Regelungen und die gegenseitige Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen, bewirken eine Einschränkung der Gerichtsbarkeit der betreffenden Staaten in den von der Regelung anvisierten Punkten12 • Bei der Mehrzahl der vorhin beispielhaft erwähnten völkervertragsrechtlichen Regelungen über die Gerichtsbarkeit steht gleichfalls die Negativwirkung im Vordergrund. Insofern erfüllen diese Regelungen eine gleiche, die Gerichtsbarkeit im Einzelfall ausschließende Funktion, wie die Völkerrechtsnormen über Immunitäten. Diese Negativwirkung ist unbestritten, mögen sich auch die entsprechenden vertraglichen Bestimmungen üblicherweise einer positiven Formulierung bedienen. Wenn daher etwa Art. 28 Abs. 1 des Warschauer Abkommens anordnet, daß die Klage auf Schadensersatz betreffend einen dem Abkommen unterliegenden internationalen Lufttransport "in dem Gebiet eines der Hohen Vertragsschließenden Teile erhoben werden (muß), und zwar nach Wahl des Klägers entweder bei dem Gericht des Ortes, wo der Luftfrachtführer seinen Wohnsitz hat oder wo sich seine Hauptbetriebsleitung oder diejenige seiner Geschäftsstellen befindet, durch die 12 Dazu im einzelnen Matscher, Der Vorbehalt ausschließlicher Zuständigkeit im österr. Recht - Systemfragen der Anerkennung ausländischer Entscheidungen, JBl. 1979, 243, Text zu Fn. 90, 91; 249, Text nach Fn. 131; Fn. 137.

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der Vertrag abgeschlossen worden ist, oder bei dem Gericht des Bestimmungsortes", ist damit klargestellt, daß nur die konkurrierende 13 Gerichtsbarkeit derjenigen Vertragsstaaten gegeben ist, auf deren Gebiet eines der genannten Kriterien verwirklicht erscheint und daß die Gerichtsbarkeit aller anderen Vertragsstaaten ausgeschlossen ist. Völkervertragsrechtliche Normen können darüber hinaus auch eine Positivwirkung entfalten14 • Sie besteht darin, daß der Staat, auf den eines der vertraglichen Kriterien zutrifft, völkerrechtlich verpflichtet ist, Gerichtsbarkeit auszuüben, d. h. seine Gerichte zur Erfüllung beantragten Rechtsschutzes zur Verfügung zu stellen. Fehlt es im innerstaatlichen Recht an einem entsprechenden Gerichtsstand, so ist ein solcher zu schaffen. In diesem Sinn hat Art. 31 Abs. 1 CMR, der für Streitigkeiten aus einem dem Übereinkommen unterliegenden internationalen Straßengütertransport, die Zuständigkeit u. a. der Gerichte des Staates vorsieht, auf dessen Gebiet der Ort der Übernahme oder der vorgesehenen Ablieferung des Guts liegt - beide Kriterien finden in dem an sich weit gefächerten Katalog von Gerichtsständen der JN keine Entsprechung- häufigen Anlaß zur Ordination nach§ 28 JN gegeben15 • Einzelne völkervertragsrechtliche Normen besitzen überhaupt nur eine Positivwirkung. So ist Art. 16 im Zusammenhang mit Art. 12 der Flüchtlingskonvention vom 28. 7.1951, BGBL 1955/55 dahingehend zu verstehen, daß die im autonomen Recht der Vertragsstaaten begründeten, auf die Ausländereigenschaft der Parteien abstellenden Beschränkungen der inländischen Gerichtsbarkeit, auf Flüchtlinge mit Wohnsitz im betreffenden Staat nicht angewendet werden dürfen16• Auch Art. 6 Abs. 1 EMRK bietet einen Anspruch auf gerichtlichen Rechtsschutz und enthält i. d. S. ein positives, zur Rechtsschutzgewährung, d. h. zur Ausübung von Gerichtsbarkeit, verpflichtendes Element1 7 • 13 Über die Begriffe der ausschließlichen, konkurrierenden (relativ ausschließlichen) und fakultativen (dispositiven) Gerichtsbarkeit siehe MatscheT, Zuständigkeitsvereinbarungen im österr. und im internationalen Zivilprozeßrecht (1967), 58 ff. 14 Ob es auch völkergewohnheitsrechtliche Normen über Gerichtsbarkeit mit Positivwirkung gibt, die also Staaten verpflichten, in gewissen Fällen Gerichtsbarkeit auszuüben, erscheint mir zweifelhaft. Ch. de VisscheT, Le deni de justice en droit international, RdC 1935/II, 395 f., scheint ein solches Gebot zu bejahen, um einer sonstigen Rechtsverweigerung vorzubeugen. Kritisch dazu Miaja de la Muela, Les principes directeurs des regles de competence territoriale des tribunaux internes en matiere de litiges comportant un element international, RdC 1972/I, 31 ff. 15 MatscheT, Zur Funktion und Tragweite der Bestimmung des § 28 JN, FS Schwind (1978), 179 f. u Es ist aber zumindest irreführend, hier von einer "Erweiterung" der inländischen Gerichtsbarkeit zu sprechen; so Fasching, Kommentar I (1959), 21, 220; MoseT, ÖJZ 1957, 58 ff. 17 Dazu MatscheT, Die Verfahrensgarantien der EMRK in Zivilrechtssachen, ÖZöRuVR 1980 (in Druck); siehe auch Fn. 2.

20 Festschrift für Stephan Verosta

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Die hier behandelte Negativ- und Positivwirkung von völkerrechtlichen Normen über Gerichtsbarkeit kann als die jeweils primäre bezeichnet werden. Darüber hinaus können diese Normen aber auch sekundäre Wirkungen entfalten, die auf die Anerkennung und Vollstrekkung ausländischer Entscheidungen Bezug haben und daher für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung nicht von unmittelbarem Interesse sind18• Worauf es mir hier ankommt ist allein die Feststellung, daß das geltende Völkerrecht sowohl hinsichtlich der Negativwirkungen wie hinsichtlich der Positivwirkungen zwischen gewohnheitsrechtliehen und vertragsrechtliehen Normen über Gerichtsbarkeit nicht differenziert und daß auch eine Verletzung der einen wie der anderen die gleichen Rechtsfolgen auslöst, daß also im völkerrechtlichen Bereich von einem einheitlichen Begriff der Gerichtsbarkeit im oben dargestellten Sinn gesprochen werden kann.

m.

Der Begriff der inländischen Gerichtsbarkeit im Sinne des innerstaatlichen Rechts

Im Bereich des innerstaatlichen Rechts ist die Abgrenzung der Gerichtsbarkeit des Inlands gegenüber der gerichtlichen Tätigkeit des Auslands eine Aufgabe des Internationalen Zivilprozeßrechts (IZPR). Dabei sind einmal die in den beiden vorangehenden Abschnitten behandelten, vom Völkergewohnheitsrecht und vom Völkervertragsrecht gezogenen Schranken zu beachten, gleich ob die entsprechenden Völkerrechtsnormen i. S. der generellen Transformation von den innerstaatlichen Organen unmittelbar oder i. S. der speziellen Transformation erst nach Umsetzung in formal innerstaatliche Normen angewendet werden können. Innerhalb der so vom Völkerrecht gezogenen Schranken kann der Staat Gerichtsbarkeit ausüben, er muß es aber nicht, soweit nicht völkervertragsrechtliche Positivnormen ihn dazu verpflichten. Beispiele von solchen Völkerrechtsnormen mit Positivwirkung wurden oben aufgezeigt. Es steht dem Staat vielmehr frei, den Tätigkeitsbereich seiner Gerichte autonom weiter einzuengen und von einer Entfaltung von Gerichtsbarkeit dort abzusehen, wo keine staatlichen Interessen dazu bestehen. Beispiele autonomer Einschränkungen der inländischen Gerichtsbarkeit im österr. Recht wären etwa § 76 Abs. 3 JN, §§ 21 - 25 AußStrG, § 13 EntmO, § 12 TEG usw.19• 18 Näheres darüber bei MatscheT, Der Vorbehalt (Fn. 12); 245 ff. und, besonders ausführlich demnächst in "Etude des regles de competence judiciaire dans certaines conventions internationales", RdC 1979 (in Druck).

Begriff der inländischen Gerichtsbarkeit in Zivilrechtssachen

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IV. Die prozessuale Behandlung der inländischen Gerichtsbarkeit Wie i. a. R., so überläßt das Völkerrecht auch hier die Modalitäten seiner Vollziehung dem innerstaatlichen Recht2o, 21 • Es bleibt daher diesem freigestellt, wie es die Völkerrechtsnormen über Gerichtsbarkeit prozessual behandelt (ob es eine Wahrnehmung der vom Völkerrecht der inländischen Gerichtsbarkeit gezogenen Schranken nur über Parteirüge oder von amtswegen vorsieht; ob eine Parteiendisposition über die inländische Gerichtsbarkeit zulässig ist; ob eine perpetuatio jurisdictionis stattfinden kann; ob ein allfälliger Mangel der inländischen Gerichtsbarkeit mit Rechtskraft der Entscheidung heilt oder durch Einschaltung eines außerordentlichen Rechtsbehelfs auch nachher noch berücksichtigt werden kann; welche Rechtsmittel gegen eine die inländische Gerichtsbarkeit bejahende oder sie verneinende Entscheidung vorgesehen sind), ob es diesbezüglich zwischen völkergewohnheitsrechtlichen und völkervertragsrechtliehen Grenzen der inländischen Gerichtsbarkeit differenziert, welche prozessual-organisatorischen Maßnahmen es zur Erfüllung der Verpflichtung aus einer Völkerrechtsnorm mit Positivwirkung anbietet usw. Eine rechtsvergleichende Übersicht zeigt als Grundtendenz auf, daß die Staaten die Prüfung der auf Völkerrecht beruhenden Schranken der inländischen Gerichtsbarkeit vielfach aufwendiger gestalten als die anderer Prozeßvoraussetzungen, so namentlich der örtlichen Zuständigkeit, und daß sie für die prozessuale Behandlung der inländischen 19 Darüber hinaus wird der Tätigkeitsbereich der Gerichte gegenüber dem Ausland indirekt auch durch die Normen über die örtliche Zuständigkeit eingeschränkt, und zwar in dem Sinn, daß dann, wenn kein von einer Gerichtsstandbestimmung anvisierter Tatbestand im Inland verwirklicht ist, eine Rechtssache faktisch ebenfalls nicht vor ein inländisches Gericht gebracht werden kann. Es liegt hier - zumindest für den Bereich des österr. Rechts- aber kein Marigel der inländischen Gerichtsbarkeit, sondern nur ein solcher der örtlichen Zuständigkeit vor, was schon aus der verschiedenen prozessualen Behandlung der einen und der anderen Prozeßvoraussetzung resultiert. Näheres darüber bei Matscher, Zur Funktion (Fn. 15),

176 f . 20 Verdross I Simma, Universelles Völkerrecht (1976), 430 f.

Theorie und Praxis

21 Gelegentlich gibt ein Staatsvertrag aber auch detaillierte Anweisungen hinsichtlich der Modalitäten seiner Durchführung. So enthalen z. B. Art. 11 des schweizerisch-französischen Vertrags über den Gerichtsstand und die Vollziehung von Urtheilen in Civilsachen vom 15. 6. 1869, AS IX (1869), 1002 [Text auch bei Jellinek, Die zweiseitigen Staatsverträge über Anerkennung ausländischer Zivilurteile (1953), 316] und die Art. 19 und 20 EuGVü, Bestimmungen über die verfahrensrechtliche Behandlung der Unzuständigkeit eines Gerichts i. S. des Übereinkommens. Bezüglich der prozeduralen Behandlung der Streitanhängigkeit vgl. etwa Art. 14 Abs. 1 österr.-französischer Vollstreckungsvertrag vom 15. 7. 1966, BGBl. 1967/288; Art. 12 österr.italienischer Vollstreckungsvertrag vom 16. 11. 1971, BGBl. 1974/521.

20°

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Franz Matscher

Gerichtsbarkeit im allgemeinen einen größeren Apparat zur Verfügung stellen22 • Darin kommt die erhöhte Bedeutung, die der korrekten Einhaltung völkerrechtlicher Gebote zugewiesen wird, zum Ausdruck. Innerhalb dieser beiden hier angezeigten Grundtendenzen variieren die Detailregelungen aber von einem Staat zum anderen. Ob eine staatliche Rechtsordnung für die prozessuale Behandlung der völkergewohnheitsrechtliehen und der völkervertragsrechtliehen Normen über Gerichtsbarkeit eine gemeinsame oder eine getrennte Regelung vorsieht, bleibt, wie oben erwähnt wurde, dieser überlassen. Da aber das Völkerrecht hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Normen selbst nicht unterscheidet, erscheint mir auch eine differenzierte Behandlung im innerstaatlichen Recht nicht einsichtig. Wenn nun bezüglich dieser Frage in den staatlichen Rechtsordnungen häufig eine gewisse Unsicherheit anzutreffen ist, so ist diese m. E. darauf zurückzuführen, daß das Wesen der staatsvertragliehen Regelungen über Gerichtsbarkeit vielfach nicht richtig erkannt wird. Ausdruck dieses Zustandes ist auch die Tatsache, daß selbst neuere Kodifikationen spezifische Vorsorge nur für die prozessuale Behandlung der völkerrechtlichen Immunitäten treffen23 oder die völkervertragsrechtliehen Regelungen über die inländische Gerichtsbarkeit überhaupt nicht ausdrücklich erwähnen24 • Zum besseren Verständnis gerade der letzteren einen Beitrag zu leisten, soll mit ein Anliegen dieser Abhandlung sein. Selbstverständlich steht die prozessuale Behandlung der vom autonomen Recht gezogenen Schranken der inländischen Gerichtsbarkeit dem innerstaatlichen Recht frei. Da es aber von seinem Standpunkt als gleichwertig angesehen werden kann, ob Gerichtsbarkeit wegen eines entgegenstehenden völkerrechtlichen Gebots nicht ausgeübt werden darf oder aus autonomen Erwägungen nicht ausgeübt werden soll, besteht m. E. auch rechtspolitisch kein Grund, in der prozessualen Behandlung zwischen der einen und der anderen Hypothese zu differenzieren. Vielmehr sprechen systematische Überlegungen (so vor allem das Argument der Vermeidung überflüssiger Distinktionen) auch hier für eine Gleichbehandlung. Das Ergebnis ist dann ein einheitlicher Be22 Matscher, Zuständigkeitsvereinbarungen (Fn. 13), 127 f. (an den im damaligen Zusammenhang angestellten rechtspolitischen Erwägungen möchte ich heute nicht mehr festhalten). 23 Vgl. etwa Art. 1111- 1116 des polnischen Zivilverfahrensgesetzbuchs von 1964; dazu Gralla, Das polnische internationale Zivilverfahrensrecht, Jahrb. f. Ostrecht X/1 (1969), 180, 198 ff. 24 So spricht etwa Art. 92 Abs. 2 des neuen französischen Code de procedure civile von 1975 nur davon, daß eine Rechtssache der französischen Gerichtsbarkeit entzogen ist; dazu Huet, Le nouveau Code de Procedure civile du 5 decembre 1975 et la competence internationale des tribunaux francais, Journal1976, 362 ff.

Begriff der inländischen Gerichtsbarkeit in Zivilrechtssachen

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griff der inländischen Gerichtsbarkeit, auch i. S. des IZPR, so wie er bereits geltendem österr. Recht entspricht25, was in der anstehenden Reform des IZPR aber vielleicht noch klarer herausgearbeitet werden sollte. Diese Betrachtungen widme ich meinem Freund und akademischen Kollegen, Herrn ao. und bev. Botschafter a. D. Univ. Prof. Dr. Stephan Verosta, mit dem mich nicht nur gemeinsame wissenschaftliche Interessen, sondern auch die Erinnerung an viele Jahre gemeinsamer Arbeit im Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten verbinden, und der, neben einer rechtsphilosophischen und rechtsdogmatischen Betrachtung des Völkerrechts, auch dessen Handhabung in der Staatenpraxis stets mit Aufmerksamkeit verfolgt hat.

25 Nur am Rande sei erwähnt, daß nach dem österr. IZPR die inländische Gerichtsbarkeit prozessual auch als ein Teilaspekt der Rechtswegszulässigkeit zu betrachten ist. Darüber Matscher, Zuständigkeitsvereinbarung (Fn. 13), 11, insbes. Fn. 27.

V. Neutralität und Neutralismus

STÄNDIGE NEUTRALITÄT UND NEUTRALISMUS (BLOCKFREIHEIT) Von Rudolf L. Bindschedler Vorbemerkung: Diese Arbeit wurde vor der Konferenz in Havanna 1979 abgeschlossen, behält jedoch ihre Gültigkeit. 1. Neben der auf alten Traditionen beruhenden Ständigen Neutrali~ tät hat sich seit den 50er Jahren eine politische Haltung entwickelt, die Neutralismus, Blockfreiheit, Nonalignment genannt wird1 • Eine große Zahl von Staaten bekennt sich zu dieser außenpolitischen Linie; an der letzten Gipfelkonferenz dieser Gruppe in Colombo 1976 waren deren 86 vertreten2 • Die Gruppe besteht vor allem aus asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten; aus Europagehören ihr Jugoslawien, Zypern und Malta an.

Erstmals an der Gipfelkonferenz von Algier 1973 nahmen auch die ständig neutralen Staaten Österreich, Finnland und Schweden teil, allerdings nur als "Gäste". Nach einigem Zögern folgte die Schweiz 1976 in Colombo; sie beteiligte sich auch an der Außenministerkonferenz in Belgrad 1978. "Gast" bedeutet hier eine stumme Beobachterrolle, im Gegensatz zum eigentlichen Beobachter. Die Frage stellt sich, ob mit der Zeit sich eine Konvergenz zwischen Ständiger Neutralität und Neutralismus entwickeln könnte und ob das wünschbar wäre. Vorerst sind jedoch die Unterschiede zwischen beiden3 und deren Voraussetzungen zu untersuchen. 1 Uber Geschichte und Problematik des Nonalignment D. Colard, Les Relations internationales, Paris 1977, S. 126- 142; H. Fiedler, Ungebundene Staaten, Evangelisches Staatslexikon, 2. Auflage, Stuttgart 1975, S. 2655 bis 2665. Siehe auch R. L. Bindschedler, Neutralismus und Neutralität, ebenda, S. 1626- 1632. R. Aron, Paix et Guerre entre les nations, Paris 1962, S. 499 -506, 521- 526; P. Jankowitsch, Neutrality and Nonalignement, in: Truth and Tragedy, Festschrift H. Morgenthau, Washington D. C. 1977, S. 237-258. Von einem extremen und einseitigen antiwestlichen Standpunkt aus M. Bedjaoui, Non-alignement et Droit international, Academie de Droit international, Recueil des cours, 151 (III/1976), S. 337 - 456. 2 Dazu 23 Beobachter (10 Organisationen und 13 Befreiungsbewegungen) und 7 eingeladene Staaten ("Gäste"). Die OLP gehört zu den Vollmitgliedern. M. Sahovic, L'institutionnalisation des Non-alignes, Annuaire francais de Droit international XXIII, 1977, S. 195.

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Rudolf L. Bindschedler

2. Die Ständige Neutralität ist im Völkerrecht verankert und beruht entweder auf Vertrag oder einem einseitigen Akt des Neutralen und dessen Anerkennung durch die andern Staaten (für Österreich gilt das letztere, für die Schweiz beides). Daraus ergeben sich Rechte und Pflichten der beteiligten Staaten. Allerdings kann ein Staat auch ohne völkerrechtliche Grundlage eine Politik der Ständigen Neutralität verfolgen, wie das für Schweden zutrifft. Sofern sie über längere Zeit eingehalten wird, kommt ihr erhebliches politisches Gewicht und eine ähnliche Wirkung wie die der völkerrechtlichen Ständigen Neutralität zu. Rechte und Pflichten ergeben sich aber daraus nicht. Mit Recht zieht man daher in Schweden den Begriff der Allianzfreiheit für die Haltung dieses Landes vor. Der Hauptgrundsatz der Ständigen Neutralität besteht in der Verpflichtung, keinen bewaffneten Konflikt zu beginnen oder nicht in einen solchen einzugreifen und die entsprechende Politik zu führen. Die Neutralitätspolitik hat zum Ziel, jede Verwicklung in eine bewaffnete Auseinandersetzung zu verhindern, positiv, alles zu tun, damit dieser Fall nicht eintritt, und negativ, alles zu unterlassen, was dazu führen könnte. Dazu kommt die Pflicht, die Neutralität oder besser die Unabhängigkeit mit allen Mitteln, auch militärischen, zu verteidigen. Dem steht das Recht auf Achtung der Unabhändigkeit und Neutralität durch die andern Staaten gegenüber. Einerseits bildet die Unabhängigkeit die Voraussetzung der Neutralität, andererseits besteht der Zweck der letzteren in der Aufrechterhaltung der ersteren. Unter den ständig Neutralen herrscht eine weitgehende Interessengemeinschaft, die gegenüber den Verschiedenheiten der einzelnen Neutralitätspolitiken überwiegt. Hingegen ist eine institutionelle Bindung zwischen ihnen rechtlich und politisch nicht möglich. Die Ständige Neutralität bedeutet nicht Passivität in der Außenpolitik. Sie verlangt auch keineswegs, angesichts von Konflikten zwischen andern Staaten, Kompromißlösungen zu befürworten oder herbeizuführen, die willkürlichen oder extremen Forderungen auf halbem Wege entgegenkommen. "Das läuft darauf hinaus, daß man es als eine faire Lösung betrachtet, wenn man dazu rät, einem Erpresser die Hälfte des Betrages zu geben, den er verlangt4 ." Sinn und Ergebnis der Ständigen Neutralität liegen in der Befriedung, der Ausklammerung des Neutralen aus bewaffneten Konflikten. 3 Dazu die ausgezeichnete Abhandlung von Bojana Tadic, Blockfreiheit und Neutralität in der zeitgenössischen Welt, Internationale Politik (Belgrad) Nr. 653 vom 20. 6. 1977, S. 37-42. • W. Grewe, Spiel der Kräfte, Düsseldorf 1970, S. 145; H . Kissinger, The New Cult of Neutralism, The Reporter vom 24. 11. 1960, S. 28.

Ständige Neutralität und Neutralismus (Blockfreiheit)

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Dieser enthält sich einer expansiven Außenpolitik, er ist saturiert. Damit verkörpert er einen Faktor der Stabilität im weltpolitischen System. Seine Außenpolitik zeichnet sich durch Berechenbarkeit aus. In diesem Sinne trägt er zur Verminderung der Zahl von Konflikten und zur Erhaltung des Friedens bei. 3. Neutralismus, Blockfreiheit stellen eine rein politische Haltung dar und sind nicht im Völkerrecht verankert. Das Hauptziel besteht in der Nichtverwicklung in den Ost-WestKonflikt und der Wahrung der Unabhängigkeit gegenüber den Großmächten. Daraus ergibt sich die Unzulässigkeit von Bündnissen und bündnisähnlichen Verpflichtungen ihnen gegenüber und der Einräumung von Stützpunkten. Es gibt aber Ausnahmen5 • Die jugoslawische Autorin Bojana Tadic führt vier Zielgruppen der Blockfreiheit auf: Aufrechterhaltung des Friedens und der Sicherheit, wozu Überwinden der Blöcke, Beendung lokaler Konflikte und Abrüstung gehören, Festigung der nationalen Unabhängigkeit und Sicherheit, vor allem Kampf gegen koloniale und neo-koloniale Unterordnung, Sicherung einer adäquateren und beschleunigten wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und schließlich Kampf für die Demokratisierung der internationalen Beziehungen8 • Blockfreiheit bedeutet jedoch nicht Neutralität gegenüber allen Konflikten. Die meisten Staaten dieser Gruppe wollen sich zwar vom OstWest-Konflikt fernhalten, bekämpfen jedoch aktiv Kolonialismus und "Imperialismus". Zahlreiche von ihnen sind in lokale Auseinandersetzungen mit ihren Nachbarn verwickelt und machen Gebietsforderungen geltend. Es sei nur auf die Komplexe Indien -Pakistan, Südafrika, arabische Staaten -Israel, Somalia- Äthiopien, Marokko - Algerien hinge~ wiesen. Es bestehen auch mehr oder weniger starke Gegensätze zu einzelnen Supermächten wie zur Zeit im Verhältnis von Ägypten zur 5 Nach M. Sahovic sind die Kriterien der Blockfreiheit "1. Le pays nonaligne doit poursuivre une politique de l'independance, fondee sur la coexistence des Etats avec les systemes politiques et sociaux differents et le non-alignement et manifester le desir de pratiquer une telle politique; 2. il doit appuyer continuellement les mouvements de Iiberation; 3. il ne peut pas etre membre des alliances multilaterales conclues dans le contexte du conflit entre les grandes puissances; 4. si le pays en question a un accord militaire bilateral avec une grande puissance ou s'il est membre d'un acte defensif regional, ils ne doivent pas etre conclus expressement dans le contexte du conflit entre les grandes puissances; 5. si le pays a concede a une grande puissance etrangere des bases militaires, cette concession ne doit pas etre dans le contexte du conflit entre les grandes puissances." Diese Kriterien wurden von der Konferenz in Kairo 1964 ausgearbeitet. L'institutionnalisation des Non-alignes, Annuaire fran~ais de Droit international, XXIII, 1977, S. 195, 195, Anm. 16. Siehe auch S. 187 - 189. - Bedjaoui, S. 363 - 369. 8

s. 40.

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USSR oder von Pakistan zur USA. Andererseits lehnen sich einige blockfreie Staaten derart an eine Supermacht an, daß man praktisch von ihrer Zugehörigkeit zu einem Block sprechen kann, was die Prinzipien des Nonalignement ohne 'Zweifel verletzt. Das gilt für Kuba, Vietnam und Äthiopien - die man als "non-alignes alignes" bezeichnen könnte - gegenüber der Sowjetunion. Letztere möchte die Bewegung der Blockfreien ihren eigenen weltpolitischen Zielen dienstbar machen. Der Neutralismus zahlreicher blockfreien Staaten stellt deshalb keine Garantie für den Verzicht auf eine Expansionspolitik und für die konsequente Durchführung einer Friedenspolitik dar. Im übrigen greifen die neutralistischen Staaten aktiv in die internationalen Auseinandersetzungen, vor allem in den Vereinigten Nationen, ein7 • Sie sind praktisch mit den Entwicklungsländern identisch. Ihre Aktionen bezwecken deshalb vor allem die hartnäckige Verfechtung ihrer Interessen gegenüber den "Imperialisten" und "Kolonialisten". Daraus folgt allgemein eine gewisse Nachsicht gegenüber dem Ostblock, ja Neigung zu dieser Seite, und eine antiwestliche Haltung, mit Ausnahmen. In diesem 'Zusammenhang zeichnet sich ein Hang zum Opportunismus ab. Die Stellung zwischen den Großmächten und ihren Allianzen führt immer wieder zu Bestrebungen, von beiden Seiten das Maximum an Vorteilen herauszuholen und die eine gegen die andere auszuspielen. Damit sollen auch die eigene politische Bedeutung und Rolle erhöht werden. Das gibt umgekehrt den Großmächten die Gelegenheit zu mehr oder weniger ausgedehnten Interventionen, verdeckt oder auch offen. Die Konstellationen wechseln. Mit Neutralitätspolitik hat das wenig zu tun8 • Versuche, eine gewisse Gemeinschaft unter den Blockfreien herzustellen, sind nicht über die Einigung auf wenige allgemeine Grundsätze hinaus gediehen. Dazu sind die Interessen der einzelnen Staaten zu verschieden; ihre Politik widerspricht sich in zahlreichen Fällen. Sie sind nicht in der Lage, einen neuen Block zu bilden, beabsichtigen das 7 Hierin sieht Jankowitsch den Hauptunterschied zur Ständigen Neutralität "an active perception of its (d. h. des Nonalignement) role in world politics", S. 250. -Nach B . Tadic erfordert die Konzeption der Blockfreiheit eine aktive Stellungnahme wie Verurteilung der Aggression und Solidarität mit deren Opfer, während der Status der Neutralität, seiner Definition nach, eine neutrale Position aufnötigt. S. 41. 8 Siehe auch die kritische Beurteilung des Nonalignement von H. Kissinger, Reflections on Power and Diplomacy, in: The Dimensions of Diplomacy, Baltimore 1964, S. 34 - 36, die nichts von ihrer Aktualität verloren hat, ferner The New Cult of Neutralism, The Reporter, vom 24.11. 1960, über die-negative- Rolle der Neutralisten in der Weltpolitik. Ähnlich R. Aron, S. 525/526, 679.

Ständige Neutralität und Neutralismus (Blockfreiheit)

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aber auch nicht. Vielmehr verurteilen sie die Blockpolitik9 • Wir haben es mit einer sehr heterogenen Gruppe zu tun, wobei die Aufspaltung in eine "progressive", moskauhörige Untergruppe und eine solche mehr auf eine unabhängige Haltung bedachter Staaten neben den regionalen Gegensätzen in den Vordergrund tritt. Gegenüber den Streitigkeiten unter ihren Mitgliedern zeigt sie sich als weitgehend hilflos. Immerhin besteht eine gewisse faktische Institutionalisierung. Eine Konferenz der Staats- oder Regierungschefs und eine solche der Außenminister tritt periodisch zusammen. In der Zwischenzeit wird ein permanentes Koordinierungsbureau tätig, das aber in Wirklichkeit auch nur eine mehr oder weniger regelmäßige Konferenz staatlicher Delegierter aus einer beschränkten Anzahl Staaten (zur Zeit 25) darstellt. Zusammensetzung und Befugnisse des Bureaus sind übrigens umstritten. Für die Beschlüsse der Konferenzen gilt das Consensprinzip, wobei die Mitglieder das Recht haben, Vorbehalte anzubringen oder an der Beschlußfassung nicht teilzunehmen 10 • Politisch erweist sich als bedeutsam, daß der Blockfreiheit die Berechenbarkeit und damit das Vertrauen der andern Mächte fehlt. Da kein Rechtsstatut zu Grunde liegt, besteht ein viel größerer außenpolitischer Spielraum. Wechsel in der außenpolitischen Haltung sind jederzeit möglich. Es muß damit gerechnet werden, daß neutralistische Staaten aus reinen Zweckmäßigkeitserwägungen in einen fremden Konflikt eingreifen, um sich bestimmte Vorteile zu sichern und eine günstige Gelegenheit auszunützen, oder daß sie infolge ihrer Schwäche gar nicht in der Lage sind, ihre unabhängige Stellung aufrecht zu erhalten. Zu den Ambitionen der Bewegung der Blockfreien, ein unersetzlicher Faktor der Friedenssicherung zu sein, ist deshalb ein Fragezeichen zu setzen. Nur wenn sie eine wirklich neutrale Politik über eine längere Dauer konstant befolgen würden, könnten sie Anspruch auf Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit erheben. 4. Die tiefgehenden Unterschiede zwischen Ständiger Neutralität und Blockfreiheit liegen auf der Hand. Immerhin sind beiden das Grundziel: die Wahrung der Unabhängigkeit, und ein Grundsatz als Mittel hiezu: Enthaltung von Bündnissen und Verbot der Überlassung von Stützpunkten an fremde Mächte, gemeinsam11 • Zu fragen ist, ob der Neutralismus allmählich zu einer Politik der Ständigen Neutralität e Sahovic, S. 187.

10 Siehe die Darstellung in der zitierten Abhandlung von Sahovic. u Was Jankowitsch mit Recht betont, S. 249. Auf manche Berührungspunkte, Annäherungen, Übereinstimmung in der Mehrzahl der Zielsetzungen und gemeinsame Merkmale - neben Unterschieden - weist auch B. Tadic hin, S. 38, 39, 40, 41, 42.

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gelangen könnte und letzten Endes sich in einem völkerrechtlichen Statut verankern ließe. Eine solche Entwicklung würde einen erheblichen Beitrag an die weltpolitische Stabilität leisten und das System viel berechenbarer machen. Die Handlungsfreiheit der Hauptantagonisten und der Großmächte würde eingeschränkt, die Ausnützung lokaler Konflikte und die Führung von Stellvertreterkriegen verhindert. Dies würde eine Friedenspolitik par excellence darstellen. Je größer dieZahl der Neutralen, desto geringer die der Konflikte und desto eingeschränkter die "Konfliktsräume" und die allfälligen Kriegsschauplätze. Desto größer wäre auch das Gewicht der Neutralen und ihr Einfluß auf die Großmächte mit dem Ziel, diese zu einer ausgeglichenen Politik anzuhalten, und desto geringer die Gefahr von Übergriffen der Großen und Einmischung in Belange der Kleineren12 • Das entspricht dem Interesse sowohl zahlreicher Blockfreier wie auch der ständig Neutralen. 5. Die Ständige Neutralität ist an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft, ohne derer Vorliegen sie nicht realistisch erscheint und auf die Dauer nicht aufrecht erhalten werden kann: a) Kleinheit des Staates. Eine Großmacht ist zu sehr in die Zusammenhänge der Weltpolitik verstrickt und hat zu ausgedehnte und vielfältige Interessen, als daß sie .nicht eine aktive, die Neutralität auf die Dauer sprengende Außenpolitik führen müßte. Sie wird notgedrungen in Konflikte mit andern Staaten verwickelt werden. Allerdings wäre denkbar, daß eine Großmacht eine Politik der Autarkie und des Isolationismus führt, mit andern Worten, der Welt den Rücken kehrt, was mit einer dauernden Neutralität zu vereinbaren wäre; der Fall ist jedoch wenig wahrscheinlich. Ein großer Staat ist auch den Versuchungen zu Interventionen nach außen zu sehr ausgesetzt. Dem steht das Risiko der andern Staaten und vor allem der Nachbarn gegenüber, da immer mit einem Kurswechsel des Großen zu rechnen sein wird. Ein solches Abgehen von der Neutralität hätte viel größere Auswirkungen als der gleiche Wechsel in der Politik eines Kleinstaates. Die damit verbundenen Risiken sind · zu groß, als daß die Ständige Neutralität glaubwürdig wäre. Die Ständige Neutralität muß eine bewaffnete sein. Die Armee einer Großmacht, auch wenn sie auf das strategische Ziel der Verteidigung ausgerichtet würde, wäre jedoch zu stark, als daß sie nicht auch offensiv eingesetzt werden könnte, sei es auch nur beschränkt. Ohne Armee je12 Dazu St. Verosta, Der Bund der Neutralen. Heinrich Lammasch zum Gedächtnis. Anzeiger der phil.-hist. Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 106 (1969), S. 175-197.

Ständige Neutralität und Neutralismus (Blockfreiheit)

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doch würde der Staat ein politisches und militärisches Vakuum darstellen und die Intervention von außen provozieren, sei es auch nur um dem Eingreifen eines Dritten zuvorzukommen. Das Problem der Bewaffnung in Vereinbarung mit der Permanenten Neutralität ist kaum befriedigend zu lösen. Die Ständige Neutralität eines Großstaates würde damit das Element der Unstabilität nicht beseitigen, im Gegensatz zu derjenigen eines mittleren oder kleinen Staates. Wenn diese Überlegungen auf das Problem Deutschland übertragen werden, zeigt sich, daß eine Neutralisierung eines Gesamtdeutschlands kaum zu realisieren ist13• b) Der neutrale Staat darf kein Hauptobjekt der Politik anderer Staaten sein. Er muß in der "zone marginale" der Weltpolitik liegen. Das traf weder bei Belgien 1914 noch bei Laos zu14 • c) Die Ständige Neutralität kann nur eine bewaffnete sein. Der neutrale Staat muß befähigt sein, sich gegen alle Übergriffe zur Wehr zu setzen. Dabei ist nicht das absolute, sondern das relative Kräfteverhältnis im Gesamtzusammenhang maßgebend15 • Von besonderer Bedeutung erweist sich die durch militärische Abwehr zu gewinnende Zeit. Hätte Belgien 1914 längeren Widerstand leisten können und wäre das vorher glaubhaft gemacht worden, hätte vielleicht die Aussicht auf Wahrung seiner Neutralität und damit auf einen völlig anderen Verlauf des Ersten Weltkrieges bestanden. d) Selbstverständlich ist die außenpolitische Saturiertheit. Der neutrale Staat kann keine expansiven Ziele verfolgen. Er hat sich auf die Wahrung des Bestehenden zu beschränken. e) Innere Konsolidierung16• Liegt diese Voraussetzung nicht vor, ist der neutrale Staat durch tiefgehende Divergenzen innerhalb seines Volkes gespalten, kommt es früher oder später zu Einmischungen von außen, wie das Experiment Laos gezeigt hat.

Dazu Aron, S. 493. Erklärung über die Neutralität von Laos vom 23. 7. 1962 und dazugehörendes Protokoll, bestätigt durch das Abkommen zwischen der Regierung von Vientiane und den "patriotischen Kräften" über die Wiederherstellung des Friedens und der nationalen Einheit in Laos vom 21. 2. 1973. Der Freundschafts- und Zusammenarbeitsvertrag zwischen Laos und Vietnam vom 18. 7. 1977 bedeutet das formelle Ende der nie verwirklichten Neutralität. ts Dazu Aron, S. 400/401. 1a 14

18

Aron, S . 548.

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f) Keine Parteinahme in ideologischen Konflikten. Der neutrale Staat kann keine ideologische Außenpolitik führen. Was für den Staat gilt, hindert nicht den Einzelnen an der Freiheit seiner Meinungsbildung. 6. Es zeigt sich sogleich, daß die Voraussetzungen der Ständigen Neutralität nur bei einer kleinen Zahl von Blockfreien vorliegen. Bei einer zweiten Kategorie könnten sie mit der Zeit geschaffen werden, während das bei einer dritten kaum als möglich erscheint. Der Übergang zur Ständigen Neutralität ist daher zur Zeit nur für gewisse blockfreie Staaten möglich; für andere könnte er als Fernziel aufgestellt werden. Das würde zwar zu einer Spaltung der Blockfreien führen, was aber ohnehin mit einiger Wahrscheinlichkeit in Aussicht steht1 7 • Auf die Dauer können der Gruppe nicht faktische Mitglieder einer Allianz mit einer Supermacht angehören. Andernfalls käme sie nicht über ein Minimum an oberflächlicher Einheit hinaus und wäre in ihrer Handlungsfähigkeit weitgehend gelähmt. Sie würde auch ihre Glaubwürdigkeit verlieren. 7. Die Ständig Neutralen sollten weiterhin an den Konferenzen der Blockfreien teilnehmen, vorerst als Gast oder Beobachter. Das Ziel ihrer Beteiligung wäre, diskret aber mit Geduld und Hartnäckigkeit die allgemeinen und besonderen Vorteile der Ständigen Neutralität darzulegen und eine Entwicklung in Richtung auf die Neutralität einzuleiten. Mit der Zeit würde dann vielleicht eine Gruppe der Neutralen entstehen. Sie könnte gemeinsame Interessen mit größerer Erfolgsaussicht vertreten und eigene Probleme durch Zusammenarbeit lösen18 • Mit dem Zusammenwirken der europäischen Neutralen und Nichtengagierten auf der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und ihren Nachfolgetreffen ist mit Erfolg ein erster Anfang gemacht worden. Eine solche Gruppe wäre weder ein Block noch gar ein Bündnis; die Zugehörigkeit hiezu ist mit der Ständigen Neutralität unvereinbar und den Neutralen verwehrt. Man könnt~ sich auch eine engere Gruppe von Neutralen innerhalb einer weiteren von Nichtengagierten vorstellen. Das Ganze mag angesichts der gegenwärtigen Lage als unrealistisch erscheinen; angesichts der zu erwartenden Vorteile sollte der Versuch gewagt werden. 17 Vor allem Jugoslawien möchte aber alles tun, um die drohende Spaltung ideologischer und machtpolitischer Natur zu verhindern. Siehe neuestens die Rede von Marschall Tito zum 60. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei Jugoslawiens, NZZ Nr. 91 vom 20. 4. 1979, S. 4. 18 über die Zusammenarbeit der Neutralen und die Idee eines Bundes der Neutralen die bereits zitierte Abhandlung von Verosta, ferner auch Theorie und Realität von Bündnissen, Wien 1971, S. 272 - 280.

Ständige Neutralität und Neutralismus (Blockfreiheit)

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Die Ständig Neutralen brauchen bei einer solchen Politik nicht zu befürchten, ihre Neutralität zu schwächen oder die Unterschiede zu den Blockfreien zu verwischen19• Sie haben es weiterhin in der Hand, eine konsequente Neutralitätspolitik zu führen und sich an die Rechte und Pflichten der Ständigen Neutralität zu halten und diese Richtlinien immer wieder klarzustellen.

19 Nach der Auffassung des schweizerischen Bundesrates ist die Befürchtung, eine zu enge Zusammenarbeit mit blockfreien Staaten und Organisationen könnte die schweizerische Neutralitätskonzeption verwässern oder ihre Glaubwürdigkeit beeinträchtigen, in keiner Weise gerechtfertigt. Eine Kooperation der Schweiz mit den blockfreien Staaten müsse zwangsläufig ihre Grenzen am Status der dauernden Neutralität finden. Vor allem gelte dies dort, wo es sich um eine einseitige Stellungnahme in internationalen Konflikten handle, darüber hinaus aber auch in jenen Fällen, in denen ein einseitiges Engagement der Schweiz die Glaubwürdigkeit ihrer Neutralitätspolitik in Frage stellen könnte. Die Kontakte mit den blockfreien Staaten hätten es nicht zuletzt auch ermöglicht, ihnen die Besonderheiten der Neutralitätspolitik eingehend darzulegen und um ein besseres Verständnis dafür zu werben. Schriftliche Antwort vom 27. 11. 1978 auf die Interpellation von Nationalrat Walther Hofer.

21 Festschrift für Stephan Verosta

DIE BEWERTUNG DER ÖSTERREICHISCHEN NEUTRALITÄT DURCH DIE VR CHINA Von Gerd Kaminski

I. Die chinesische Neutralitätskonzeption In der chinesischen Geschichte sind eigenständige Neutralitätsformen feststellbar, welche den Chinesen heute die Neutralität des modernen Völkerrechts verständlicher und akzeptabler machen sollten. Während der Zeit der "Frühlings- und Herbstperiode" und der "Kämpfenden Staaten" (770- 475; 475- 221 v. Chr.) gab es im Rahmen des damaligen chinesischen Staatenbundes ein ausgeprägtes Gleichgewichtsdenken, welches- wie später auch in Europa-dieEntstehung der Neutralität begünstigte1 • Tatsächlich war die chinesische Einstellung zum europäischen Neutralitätsrecht im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert eher positiv bis sie sich aufgrund schlechter Erfahrungen bei der praktischen Anwendung ins Gegenteil verkehrte. Im russisch-japanischen Krieg und bei Ausbruch des 1. Weltkriegs hatte China streng nach europäischem Muster Neutralitätserklärungen abgegeben, konnte sich damit aber keinen großen Respekt für die Neutralität seines Territoriums verschaffen. Der russisch-japanische Krieg spielte sich weitgehend auf chinesischem Gebiet ab und Japan landete seine Truppen, welche Tsingtau nehmen sollten, gleich 100 km oberhalb des Pachtgebietes auf neutralem chinesischen Territorium. Dem britischen Botschafter der deswegen Vorstellungen erhob, erwiederte der japanische Außenminister trocken: "China ist nicht Belgien2 ." Zu diesen Traumata der chinesischen Geschichte kam zu Beginn der chinesischen Volksrepublik ein wichtiger ideologischer Aspekt. Mao Zedong meinte damals, jedes Land müsse eindeutig seine Wahl zwischen dem imperialistischen und dem sozialistischen Lager treffen: "Nicht nur in China, sondern in der ganzen Welt schlägt man sich entweder zum Imperialismus oder zum Sozialismus. Neutralität ist Tar1 W. A. P. Martin, "The Lore of Cathay", London 1912 (Neudruck Taipei 1971), S. 445, 448; Gerd Kaminski, "Chinas Völkerrecht und Außenpolitik: historische Grundlagen", Wien 1972, S. 94 ff. 2 Madeleine Chi, "China Diplomacy 1914- 1918, Cambridge (Mass.) 1970, s. 19.

21°

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Gerd Kaminski

nung und einen dritten Weg gibt es nicht 3." In gleicher Weise äußerte sich Liu Shaoqi anläßlich des Bruches zwischen Jugoslawien und dem Kominform4 • Diese neutralitätsfeindliche Haltung fand auch vorerst in den chinesischen völkerrechtlichen Lehrmaterialien ihren Niederschlag 5 • Allmählich überzeugte sich China jedoch davon, daß es Staatsmänner wie Nehru, U Nu oder Sukarno mit ihrer unabhängigen Position ernst meinten6 • China begann an die Möglichkeit einer dritten Kraft zu glauben und stellte dies außenpolitisch in Rechnung. Auf der Konferenz von Bandung im Jahre 1955 unterstrich Zhou Enlai den positiven Charakter der auf der Genfer Indochina-Konferenz unter seiner Mitwirkung erreichten Bestimmungen, daß die indochinesischen Staaten keinem Militärbündnis beitreten und auf ihrem Territorium keine Militärbasen errichten würden. Dies seien günstige Bedingungen für die Errichtung einer 'Zone des Friedens7 • Eine solche Friedenszone war seitens Chinas als Ergänzung und zusätzliche Absicherung des sozialistischen Lagers konzipiert. Gewisse antiimperialistische friedenserhaltende Aktivitäten der Neutralen waren erwünscht, aber nicht unumgängliche Bedingung, um damals von China als neutral angesehen zu werden. Dies änderte sich, als die Spannungen zwischen China und der Führungsmacht des sozialistischen Lagers, der Sowjetunion, immer stärker wurden. Die Neutralen aus der Dritten Welt, auf welche China seit 1955 zunehmend seine Aufmerksamkeit gerichtet hatte, waren für China nun nicht mehr bloß ein bloßer Zusatz zum sozialistischen Lager, sondern bildeten die zentralen Elemente, aus denen sich China eine neue Plattform zimmern wollte. Dementsprechend erhöhte sich der chinesische Forderungskatalog gegenüber den Neutralen. Die antiimperialistischen Aktivitäten waren nunmehr nicht bloß erwünscht, sondern für die von China typisierten 3 Mao Zedong, "Über die demokratische Diktatur des Volkes", in: "Über die demokratische Diktatur des Volkes und Rede auf der Vorbereitungstagung der Politischen Konsultativkonferenz", englisch-chinesische Ausgabe, Beiping ca. Juli 1949, S. 7; "Über die demokratische Diktatur des Volkes", chinesisch, Peking 1949, NachdruckShanghai 1951, S. 8; die Übersetzung folgt der 1950 vom Verlag für fremdsprachige Literatur herausgegebenen deutschen Ausgabe, S. 9 f. Der hier zitierte Passus wurde nach der Konferenz von Bandung aus den neuen Ausgaben der Werke Mao Zedongs gestrichen! 4 Liu Shaoqi, "Internationalism and Nationalism" (November 1, 1948), in: "Collected Works of Liu Shao-Ch'i 1945- 1957", hrsg. vom Union Research Institute, Hongkong, S. 140. a Vgl. z. B. den 1955 herausgegebenen Band 8 des Völkerrechtskurses der Pekinger Volksuniversität. Eine Ablichtung dieses Rarums verdankt der Autor der Freundlichkeit von Herrn Stephan Jaschek, Bonn. • Show Kuo-kong, "Communist China's Foreign Policy Toward the NonAligned States with Special Reference to India and Burma, 1949 -1962" (Diss.), University of Pennsylvania 1972, S. 66. 7 Zhou Enlai, "Reden und Schriften 1949- 1976", Köln 1976, S. 118.

Die Bewertung der Österreichischen Neutralität durch die VR China

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Neutralen ein unbedingtes Erfordernis. China setzte auf eine militante Solidargemeinschaft afroasiatischer Staaten8 • Von der Neutralität hätten solche Staaten nur den Namen übrigbehalten und auch der wurde ab Beginn der sechziger Jahre von China bewußt abgewertet. Neutralität und Blockfreiheit wurden als "Tarnkappen" und "Hausiererware" bezeichnet, mit denen Leute wie Tito oder Nehru die nationalen Befreiungsbewegungen zu schwächen und zu zersetzen trachteten9 • Am deutlichsten manifestierte sich die Ablehnung von neutralem Verhalten während der von der Kulturrevolution geprägten zweiten Hälfte der sechziger Jahre, als man sich getreu einem Ausspruch Mao Zedongs das Ziel setzte, die Imperialisten, Revisionisten und Reaktionäre jedes Landes zu stürzen to. Die beiden Paukenschläge des Einmarsches der Warschauer Pakt Truppen in die Tschechoslowakei und des Grenzkonflikts am Ussuri führten in China eine Ernüchterung herbei. Man besann sich darauf, daß China international eigentlich auf keinen starken Rückhalt zählen konnte. Die Konzeption der revolutionären Gemeinschaft afro-asiatischer Staaten hatte Schiffbruch erlitten. Chinesische Verbündete, wie Sukarno, waren gestürzt worden und andere Führer der Dritten Welt reagierten auf die radikalen außenpolitischen Parolen eher reserviert. Also schickte sich China ab Beginn der siebziger Jahre an, aus dem Exklusivklub einer revolutionären Solidargemeinschaft eine Massenorganisation von Staaten zu machen, die der gemeinsame Widerstandswille gegen die Hegemoniebestrebungen der Supermächte verband. Begründet wurde diese außenpolitische Reorientierung damit, daß angesichts des Hegemoniestrebens der beiden Supermächte - insbesondere der nach chinesischer Ansicht vergleichsweise gefährlicheren Sowjetunion - der Kampf vor allem auf internationaler Ebene gegen die Unterdrückungsversuche der Supermächte von allen diesen Bestrebungen der Supermächte ausgesetzten Staaten - ungeachtet ihrer Regierungs- und Gesellschaftsform - ausgetragen werden müsse und daß diesem Primärziel gegenüber die nationalen Klassenkämpfe gewissermaßen "mediatisiert" seien. Diese neue außenpolitische Konzeption Chinas, welche auch heute noch gültig ist, begünstigt Neutralitätslösungen von vorneherein nicht, 8 Vgl. dazu "Afro-Asian Solidarity Against Imperialism" a collection of documents, speeches and press interviews from the visits of Chinese leaders to thirteen African and Asian countries, Foreign Languages Press, Peking 1964. u Vgl. den Artikel der Pekinger Volkszeitung vom 15. November 1962 (gegen Tito) sowie Shijie Zhishi (Weltwissen) Nr. 10 vom 25. Mai 1963, zitiert nach SCMM, Nr. 370, S. 1 - 5. 10 Vgl. die entsprechende Schlagzeile in dem von der All China Students' Federation zu Peking im März 1967 herausgegebenen Flugblatt.

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denn es geht ja darum, daß möglichst viele Staaten gegen die Supermächte, - insbesondere gegen die Sowjetunion - Partei ergreifen. Strategisch wird also kein Gleichgewicht, sondern ein Ungleichgewicht, d. h. die Isolierung vornehmlich der Sowjetunion angestrebt. Als die Konturen dieser in der Drei-Welten-Theorie verankerten chinesischen Auffassung immer stärker hervortraten, begannen die Chinesen im Vergleich zu ihrem während der ersten siebziger Jahre gezeigten Verhalten, mit dem Lob für die Neutralität sparsamer umzugehen. Sie ließen keinen Zweifel darüber, daß ihrer Meinung nach ein Staat allein gegenüber den Supermächten weniger ausrichten könne und eine gemeinschaftliche militärische Absicherung daher dem auf sich allein gestellten Verteidigungspotential des Neutralen vorzuziehen sei. Allerdings war die chinesische Führung realistisch genug, um zu wissen, daß ihr strategisches Ziel, wenn überhaupt, nur unter größeren Schwierigkeiten und sehr langfristig zu erreichen ist. Sie stellte auch in Rechnung, daß eine Reihe von Staaten Allianzen der einen oder anderen Art aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen oder außenpolitischer Überlegungen aus dem Weg gehen will. Für diese Fälle zeigte sich Peking nach wie vor bereit, die Neutralität als zweitbeste Lösung zu akzeptieren, da sie zumindest geeignet ist, Gleichgewichtsverschiebungen zuungunsten Chinas zu verhindern. Seit spätestens Mitte der siebziger Jahre stellt China in diesem Zusammenhang allerdings klar, daß es die Neutralität nur dann positiv sieht, wenn sie bewaffnet ist. China hat die Befürchtung geäußert, die Sowjetunion könne sich unter dem Mantel der Entspannungsbemühungen einen so großen Rüstungsvorteil sichern, der es ihr ermögliche die Welt zu dominieren. Als die westlichen Staaten nach chinesischer Ansicht diesen Mahnungen gegenüber taub blieben, versuchte man es mit einer Schocktherapie. Bis Ende 1977 wurde westlichen Besuchern in China immer wieder erklärt, der neue Weltkrieg sei unausweichlich und man müsse froh sein, wenn er noch fünf Jahre hinauszuzögern sei. Parallel dazu wurde den Vertretern neutraler Staaten, wie der Schweiz oder Österreich bedeutet, man glaube nicht daran, daß ihre Neutralität in einer künftigen Auseinandersetzung seitens der Supermächte geachtet würde. - Eine Erklärung, die nicht als chinesische Absage zur Neutralität, sondern als Roßkur zwecks Kräftigung der neutralen Verteidigungsbereitschaft zu verstehen ist. Erst 1978 gaben sich die Chinesen wieder flexibler und vertraten die optimistischere Position, so wie ein Weltkrieg bei entsprechender Wachsamkeit vermieden werden könne, vermögen die Neutralen bei entsprechender Vorsorge ihren Status zu bewahren. Etwa gleichzeitig hat China mit bis dahin noch nie gezeigter Deutlichkeit erkennen lassen, daß es sich bei der Beurteilung der Neutralität die traditionellen europäischen Maßstäbe zu eigen gemacht hat. Die

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Neutralitätsplän e der Gruppe der ASEAN-Staaten (Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur, Thailand) wurden von China ab 1974175 unterstützt, doch hatte China 1978 in Vietnam bei seiner Befürwortung einer südostasiatische n Neutralität einen unbequemen Konkurrenten bekommen. Im Rahmen des Wettstreites zwischen China und Vietnam, welcher von beiden der bessere Freund einer Neutralität Südostasiens sei, setzte sich China von den vietnamesischen Positionen dadurch ab, daß es sich uneingeschränk t zu der- für die Neutralen günstigerenklassisch-europä ischen Völkerrechtskon zeption bekannte. Im November 1978 beleuchtete die chinesische Nachrichtenage ntur zweimal das Spannungsverhältnis zwischen der Orientierung Vietnams nach dem von der Sowjetunion geführten Lager und seinen neutralitätsfreu ndlichen Beteuerungen gegenüber den ASEAN-Staaten . Ein chinesischer Kommentar vom 12. November kritisierte die Darstellung der vietnamesischen Armeezeitung, die Imperialisten und Reaktionäre (gemeint sind die Chinesen) versuchten, "die bündnisfreien Staaten von den sozialistischen Staaten zu entfremden", welche doch ihre natürlichen Verbündeten darstellten. Sarkastisch wurde von chinesischer Seite die Frage nach der Logik dieser Behauptung gestellt, da sich doch Bündnisfreiheit und ein Bündnis mit einer bestimmten Staatengruppe kaum vertrügen11 • Auf das konkrete Problem der Neutralitätsplän e der ASEAN-Staaten bezogen, meinte die chinesische Nachrichtenage ntur in Weiterführung ihrer Argumentations kette, Vietnams Präferenz, den im ASEAN-Plan enthaltenen Ausdruck "liberty" durch "genuine independence" zu ersetzen, sei leicht zu durchschauen, habe doch die vietnamesische Zeitung "Quan Dai Nhan Dan" am 17. November zum Ausdruck gebracht, daß durch Neutralität internationale Solidarität nicht ausgeschlossen, sondern geradezu bedingt sei. Vorher schon sei von der Zeitung die falsche Meinung vertreten worden, ohne Bündnis mit dem sozialistischen Lager sei Neutralität einer Isolation bzw. einem Bündnis mit Imperialismus und Reaktion gleichzusetzen12• China steht also auf dem Standpunkt, daß Neutralität ohne Bindung an ein bestimmtes Lager verwirklicht werden muß. Geschieht dies nicht, so ist sie für China wertlos. Dies ist allerdings nicht nur chinesische Ansicht, sondern auch die Auffassung der allgemeinen Neutralitätspraxis und Doktrin, der sich China in verschiedenen wichtigen Positionen während der letzten Jahre angeschlossen hat. Wie nahe China klassischen europäischen Gleichgewichtsd enken steht, beweisen die Ausführungen des stellvertr. chinesischen Ministerpräside nten Deng Xiaoping während seiner im Herbst 1978 absolvierten Reise durch ASEAN-Staaten . Sie kreisten immer wieder um einen Kernsatz: "The 11 12

Summary of World Broadcasts, FE/5968/A2/1, 14. November 1978. Summary of World Broadcasts, FE/5977/A3/1, 24. November 1978.

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Chinese government and people are firmly opposed to the efforts of any country to seek hegemony in any part of the world." Von da bis zur Definition des politischen Gleichgewichtes durch Friedrich von Gentz ist kein weiter Weg13• Womit auch die Brücke zu Europa und zu Österreich geschlagen wäre, das hinsichtlich der Bewertung seiner Neutralität durch China im folgenden Teil behandelt werden soll.

ll. Die chinesische Haltung zur Österreichischen Neutralität 1. Die Zeit des Abschlusses des Staatsvertrages und der Österreichischen N eutralitätserklärnng

1955 hatte China seine Sympathien für die Neutralität bereits entdeckt. Im Vordergrund stand dabei allerdings das chinesische Interesse, die Förderung der Neutralität vor allem zur Verbesserung der eigenen Position in dem von Paktorganisationen durchsetzten ost- und südostasiatischen Raum anzuwenden. Europa lag weitgehend außerhalb der chinesischen Interessenssphäre und den dortigen Verhältnissen gewidmete chinesische Kommentare gaben im wesentlichen ohne eigenständigen Ansatz die sowjetischen Standpunkte wieder. Am 16. Mai 1955 brachte die Pekinger Volkszeitigung anläßlich der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages eine Reportage über das Geschehen in Wien sowie einen Leitartikel. Die Reportage folgte, wie auch von der Volkszeitung angegeben, den Meldungen der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS. In den Mittelpunkt gestellt wurde dabei die Verlesung des Moskauer Memorandums durch den sowjetischen Außenminister Molotov im Rahmen der Konferenz der Außenminister am 14. Mai, dem Tag vor der Unterzeichnung des Staatsvertrags. Als Tendenz ergab sich dabei, die nach Abschluß des Staatsvertrages seitens Österreichs zu erklärende dauernde Neutralität als Ergebnis sowjetischer Initiativen zu unterstreichen. Dies trifft ebenfalls auf den Leitartikel zu, welcher mit "Wir begrüßen die Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages" übertitelt ist: "Daß Österreich diesen Status erlangen konnte, wurde durch die Bemühungen der Sowjetunion ermöglicht." Und dann kommt genau im Nachvollzug des sowjetischen Modells der berühmte sowjetische Schienbeintritt gegen Adenauers NATO-Sympathie: "Die glückliche Lösung der Österreichischen Frage deutet an, daß andere ungelöste internationale Probleme auch durch friedliche Verhandlungen gelöst werden können. Vor allem das deutsche Volk kann daraus sehen, daß es keinen Grund gibt, den von den amerikanischen Aggressoren gezeigten Weg zu gehen. Die u

er,

Stephan Verosta, "Europäisches Gleichgewicht", in: Strupp I Schlochau"Wörterbuch des Völkerrechts", Berlin 1960, Bd. 1, S. 488.

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Sache ist sehr klar, wenn Westdeutschland die amerikanische Politik der Wiederbelebung des deutschen Militarismus ablehnt und an keinem westlichen Militärpakt teilnimmt, dann hat Deutschland eine friedliche und unabhängige Zukunft ... Nach der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages wird sich der Kampf in ganz Deutschland gegen die Wiederbelebung des westdeutschen Militarismus und für die friedliche Wiedervereinigung zweifellos noch mehr intensivieren." Der Leitartikel der Tientsiner Da Gong Bao vom 15. Mai 1955 "Die wichtige Bedeutung der Lösung des Österreichproblems" ist länger und bietet mehr Details. Am Anfang wird ebenfalls auf die Meriten der Sowjetunion eingegangen, deren "Ernsthaftigkeit und Tatkraft" die erfolgreichen Gespräche über Österreich ermöglicht hätten. Dann wird aber auch der strategische Wert des Österreichischen Territoriums hervorgehoben, welche nach den Worten des früheren Oberkommandierenden der amerikanischen Besatzungstruppen in Österreich einem "Schloß, das den Verbindungsweg nach dem Ostblock sperrt" gleichkomme. Ein weiterer Schwerpunkt ist dem Vorwurf gewidmet, der deutsche "Militarismus und Revanchismus" wolle im Umweg über den Europagedanken Österreich wiederum seiner Unabhängigkeit berauben und leiste dazu bereits durch enge Wirtschaftsbeziehungen und die starke Präsenz deutscher Firmen in Österreich, gewisse Vorarbeiten. Schließlich kommt auch wieder der Schienbeintritt gegen Adenauer: " ... Viele 'Zeitungen in Westdeutschland haben es als besonders wichtig erachtet, daß die Gespräche zwischen der Sowjetunion und Österreich ein Vorbild für die Lösung des Deutschlandproblems sein können ... . . . Das chinesische Volk muß gemeinsam mit den Völkern der verschiedenen Staaten Europas die von der Regierung der Sowjetunion unternommenen wichtigen Maßnahmen zur friedlichen Lösung der Österreichfrage unterstützen, sich über den Abschluß des Österreichischen Friedensvertrages freuen und weiter unermüdlich gegen die Durchführung des Pariser Abkommens der Wiederaufrüstung Westdeutschlands kämpfen." Ähnliche Berichte, welche z. T. Auszüge aus den oben zitierten Artikeln wiedergeben finden sich in den Meldungen der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua14 sowie in der für das Ausland bestimmten englischsprachigen chinesischen Monatszeitschrift "People's China"15. 14

Vgl. die Meldungen der New China News Agency (NCNA) vom 15. und

16. Mai 1955.

15 Bericht in People's China, Nr. 12, 1955, S. 41: "The Austrian State Treaty was formally signed on May 15. Public opinion in China considers that this settlement of a ten-year-old problern is an important step in relaxing inter-

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China vertrat also damals gegenüber der Österreichischen Neutralität im wesentlichen sowjetische Positionen. Mangels diplomatischer Beziehungen waren die damaligen chinesischen Kontakte nach Österreich spärlich und konzentrierten sich vor allem auf die KPÖ, welche natürlich ebenfalls die sowjetische Auffassung vertrat. Vor dem 8. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas hielt der Leiter der Delegation der KPÖ Friedl Fürnberg eine Begrüßungsansprache, in der er abschließend auch auf die Österreichische Neutralität einging: "Unser Land hat seine dauernde Neutralität erklärt. Wir Kommunisten verteidigen die Neutralität Österreichs, weil wir wissen, daß wir damit einen Schlag gegen die Kriegspolitik der Imperialisten führen. Wir machen alle Anstrengungen, um die Einheit der Arbeiterklasse und unseres Volkes zum Schutze der Unabhängigkeit unseres Landes zu schaffen. Gleichzeitig sind wir untrennbar verbunden mit der großen Armee des Kommunismus, an deren Spitze das ruhmreiche Banner der Sowjetunion weht. So kämpfen wir auch mit Euch Genossen, wenn wir auch ein kleines Land sind, das viele tausend Kilometer von Eurem Land entfernt ist11." Damit wurde zum Wissensstand der Chinesen über das allgemeine europäische und insbesondere Österreichische Neutralitätsverständnis nicht wesentlich beigetragen und es kann daher nicht verwundern, wenn populärwissenschaftliche Abhandlungen, welche damals in China erschienen, hinsichtlich der Information über die Österreichische Neutralität Mängel aufwiesen. So etwa führte Dong Zheng in seiner in der Zeitschrift "Weltwissen" erschienenen Abhandlung über "Neutrale Staaten" die Österreichische Neutralität fälschlicherweise auf Bestimmungen des Österreichischen Staatsvertrages zurück17• Österreich lag eben damals am Rande der Sphäre chinesischen Interesses und war außenpolitisch für China konkret nur insoweit interessant, als es geeignet gewesen wäre, die Bilanz der Anerkennungen der Regierung in Peking durch andere Staaten zu verbessern. Vor alnational tension. It also confirms once again that all international disputes can be settled through peaceful negotiations. The Tientsin Ta Kung Pao wrote editorially on May 17: ,The conditions that bring independence and freedom to Austria are als applicable in the case of Germany. There is every reason to believe that the German question can be settled quickly provided the Paris Agreements are abrogated, and provided that Germany is not allowed to enter into any military treaty or have military bases set up in her territory. The fact that Austria had promised not to join any military bloc, the newspaper pointed out, was in full conformity with her national interests. This entitles her to the happy prospect of long-term peaceful development. Her national independence is to be maintained. She is in a position to establish economic and political relations with all countries." 16 "Der VIII. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas- Begrüßungsansprachen und Grußadressen der Bruderparteien", Band 3, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1956, S. 236. 17 Dong Zheng, "Zhongli guo", in: Shijie Zhishi, Nr. 12/6,/1955, S. 33.

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lern in diesem Sinne ist wohl Zhou Enlais Erklärung zu verstehen, die er am 30. Januar 1956 vor der Politischen Konsultativkonferenz abgab: "Austria's decision to maintain permanent neutrality has paved the way for Austria's peaceful development. We respect Austria's neutral status and would like to see the establishment of relations of peaceful cooperation between China and Austria18 ." Tatsächlich war dann die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Österreich und der VR China der nächste Anlaß, bei dem es wiederum zu chinesischen Stellungnahmen zur Österreichischen Neutralität kam. 2. Die Zeit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Osterreich und China

Infolge der Absenz diplomatischer Beziehungen beeinflußte die Verhärtung und Radikalisierung der chinesischen Neutralitätskonzeption während der sechziger Jahre das Verhältnis zu Österreieh kaum. Als die Verhandlungen über die Anerkennung und die Aufnahme diplomatisch Beziehungen zwischen dem Österreichischen Botschafter Dr. Eduard Tschöp und dem chinesischen Botschafter Chang Haifeng in Rumänien begannen, befand sich China bereits in einem Stadium der Verbesserung seiner Beziehungen zu den westlichen Industriestaaten und in einem "Auf" der Neutralitätsbewertung. Im Rahmen der kurzen und friktionslosen Verhandlungen kam die chinesische Seite dem neutralen Österreich nicht nur durch eine im Vergleich zu Kanada oder Italien bessere Formel entgegen, welche Taiwan nicht ausdrücklich erwähnte19 , sondern bot laut der Erklärung vom 27. 5. mit welcher der damalige Außenminister Dr. Rudolf Kirchschläger die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen bekanntgab, von sich aus an, die Anerkennung der dauernden Neutralität Österreichs durch China in das gemeinsame Kommunique aufzunehmen2o. Die Österreichische Seite hatte im Verlaufe der Verhandlungen wohl wiederholt auf den neutralen Status Österreichs hingewiesen, ohne aber die Aufnahme eines entsprechenden Passus zu verlangen. Es waren die Chinesen, welche diesen Vorschlag - offenbar als Austausch für die Österreichische Anerkennung - gemacht haben21 • 18 "Excerpt from Political Report by Premier Chou En-lai at the Second Session of the Second National Committee of the People's Political Consultative Conference of China", January 30, 1956 - Aussendung der chinesischen Botschaft in Wien vom 21. Januar 1976. 18 Gerd Kaminski, "Rechtliche und politische Aspekte der Anerkennung der Pekinger Regierung durch Österreich", in: China-Report Nr. 1, 1971, S. 6 f. zo Wiener Zeitung, 28. Mai 1971. u Interview des Autors mit Herrn Botschafter Dr. Eduard Tschöp am 20. Dezember 1976.

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So kam es zu Absatz 2 des gemeinsamen Kommuniques vom 26. Mai 1971, welcher folgenden Wortlaut hat: "Die chinesische Regierung respektiert den Status der Neutralität der Republik Österreich22 ." Der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Österreich wurde von der Pekinger Volkszeitung am 29. Mai 1971 ein Leitartikel gewidmet, welcher in seinem letzten Teil auch in positiver Weise auf die Österreichische Neutralität Bezug nimmt: "Seitdem das Österreichische Volk von der Aggression und Unterdrückung von seiten der deutschen Faschisten befreit ist, kämpft es unermüdlich für die Wahrung der Unabhängigkeit und des Status des Friedens und der Neutralität seines eigenen Landes. Im Jahre 1955 proklamierte Österreich seine ständige Neutralität. Die chinesische Regierung und das chinesische Volk sympathisieren stets mit dem Österreichischen Volk in seinem gerechten Kampf, unterstützen es immer und respektieren Österreichs Status der Neutralität23." An diese grundsätzliche Erklärung schlossen während der ersten siebziger Jahre weitere ähnlich positive chinesische Aussagen an. Dabei waren noch in gewissem Ausmaß Elemente des chinesischen Neutralitätsverständnisses aus den fünfziger Jahren zu spüren. Der Neutrale - das klingt auch in dem oben wiedergegebenen Kommentar der Pekinger Volkszeitung durch- müsse sein wertvolles Gut gegen die Mißgunst und Annäherungsbestrebungen der Militärblöcke verteidigen, womit damals bereits in erster Linie die Sowjetunion, jedoch teilweise auch noch die USA und die NATO gemeint waren. So wird etwa in einem chinesischen Handbuch über die Staaten der Welt der Freiheitlichen Partei Österreichs vorgeworfen, Österreichs Neutralität aufgeben und ein Naheverhältnis zu NATO-Staaten, wie der Bundesrepublik Deutschland, eingehen zu wollen24 • Wohl speziell aus Anlaß der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Österreich wurde, um die Bevölkerung über diesen Staat zu informieren in einem der mit "Internationales Wissen" übertitelten Informationsheftchen Österreich vorgestellt. Nach einem historischen Überblick findet sich über den heutigen Status von Österreich folgender Passus: "Im Mai 1955 schlossen die Sowjetunion, die USA, England und Frankreich den die Souveränität und Demokratie wiederherstellenden 22

s.

23

China-Report Nr. 1, 1971, S. 26. Der Artikel ist vollständig abgedruckt in China-Report, Nr. 1, 1971,

25.

"Shijie geguo gaikuang shouce", Hongkong 1975, S. 637; es handelt sich dabei um einen Nachdruck der einige Jahre zuvor in der chinesischen Volksrepublik erschienenen Ausgabe. 24

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Österreichischen Staatsvertrag, der festlegt, daß Österreich keine wie immer gearteten politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland eingehen dürfe. Im Oktober nahm das Parlament das Verfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität an, das erklärt, Österreich werde an der immerwährenden Neutralität festhalten, an keinen militärischen Bündnissen teilnehmen und nicht erlauben, daß auf seinem Territorium militärische Stützpunkte errichtet werden. Im gleichen Monat zogen alle Besatzungstruppen ab25." Freundliche Erklärungen zur Neutralität, die sich im wesentlichen an den oben zitierten Kommentar der Pekinger Volkszeitung halten, wurden vom chinesischen Botschafter Wang Yueyi aus Anlaß des chinesischen Nationalfeiertages im Oktober 1971 sowie von einer chinesischen Journalistendelegation, welche im Februar 1972 nach Österreich kam, abgegeben26 • Sehr stark auf die Souveränität und Handlungsfreiheit des neutralen Österreich stellte die Rede ab, welche der chinesische Außenminister Chi Pengfei am 26. Oktober 1972 in der Österreichischen Botschaft in Peking hielt: "Austria, situated in the heart of Europe, is a country with a long history and cultural tradition. After World War Il, the industrious and talented Austrian people rapidly healed the war wounds and rehabilitated and developed their national economy. In 1955 in accordance with their own will, they chose the road of permanent neutrality. The Chinese Government has consistently supported the Austrian people in their efforts to safeguard national independence and state sovereignty. As early as January 1956, Premier Chou En-lai officially stated, on behalf of the Chinese Government, that we 'respect Austria's neutral status'. The Guoji Zhishi, 28. Mai 1971, S. 112. Die Grußbotschaft Wang Yueyis enthält folgenden Passus: ".. . Die chinesische Regierung und das chinesische Volk unterstützen konsequent das Österreichische Volk in seinem gerechten Kampf zur Wahrung der Unabhängigkeit und Neutralität seines Landes. ... In dem gemeinsamen Kommunique über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen China und Österreich wird ausdrücklich darauf hingewiesen: ,Die chinesische Regierung respektiert den Status der Neutralität der Republik Österreich'; ,Die Österreichische Regierung anerkennt die Regierung der Volksrepublik China als die einzige rechtmäßige Regierung Chinas.' Das ist ein Kennzeichen dafür, daß die freundschaftlichen Beziehungen zwischen China und Österreich bereits in eine neue Phase getreten sind .. .''; China-Report Nr. 2, 25

28

1971,

s. 25.

Zu Beginn ihres Reiseberichtes über Österreich schrieb die chinesische Journalistengruppe: "The Chinese people have consistently respected the neutral policy of Austria and have supported the Austrian people's just struggle to safeguard national independence and national rights.'' Außerdem wurde aus dem Gespräch der Delegation mit dem damaligen Österreichischen Außenminister Dr. Kirchschläger dieser mit folgender Feststellung zitiert: "Austria highly evaluates China's respect for her neutraliy status as stated in the communique. This is of great significance to us.'' - "New Friendship between Chinese and Austrian People" (by Chinese Journalist's Delegation), in: China-Report, Nr. 6, 1972, S. 17.

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Chinese Government reaffirmed this position last year in the Joint Communique on the establishment of diplomatic relations between our two countries. The Chinese Government always holds that all nations, big or small, should be equal. The internal affairs of a given country must be handled by that country themselves and no other country has the right to interfere ...27."

Eine freundliche, mehr die Rechte als die Pflichten des Neutralen herausstellende Haltung konnte der Verfasser auch bei den chinesischen Völkerrechtsspezialisten feststellen, als er im April 1972 in Peking völkerrechtliche Fachgespräche führte. An vorderster Stelle seines Fragekataloges bezüglich der Neutralität stand das Problem, ob die für das gemeinsame Kommunique gewählte Formel "respektiert den Status der Neutralität" für die chinesische Seite bloß ein politischer Programmsatz, oder aber das völkerrechtliche Rechtsgeschäft der Anerkennung einer erklärten dauernden Neutralität mit allen für beide Teile daraus entstehenden Rechte und Pflichten bedeutet. Der Direktor des Völkerrechtsbüros im chinesischen Außenministerium Shen Weiliang und die Völkerrechtsexperten Lin Qing und Huang Jiahua erklärten dazu, politisch habe man die Österreichische Neutralität schon 1955 anerkannt, mit völkerrechtlicher Wirksamkeit dann im Jahre 1971. Die Formel, daß China den Status Österreichs respektiere, sei als Anerkennung zu werten. Dadurch sei auf Seite Chinas die Pflicht entstanden, den neutralen Status Österreichs nicht zu verletzen. Dies sei striktest durchzuführen. Auf sonstige Inhalte des durch die Anerkennung der Neutralität zwischen China und Österreich entstandenen Verpflichtungsverhältnisse wollte man damals chinesischerseits nicht sehr konkret eingehen. Die Frage der militärischen Absicherung der Neutralität sei ebenso ausschließlich innere Angelegenheit Österreichs wie die, ob Österreich an Sanktionen der Vereinten Nationen teilnehmen solle. Allerdings wollte man auch nichts von der Österreichischen auf Prof. Verdross zurückgehenden Konstruktion28 wissen, daß die ständigen Sicherheitsratsmitglieder- also auch China- ihr Veto einlegen müßten, falls man seitens der Vereinten Nationen versuchen sollte, Österreich zu der mit seinem Status nicht vereinbaren Teilnahme an Sanktionen zu verhalten. "Der Neutrale bestimmt selbst, was er tut- die anderen Mächte mischen sich nicht ein"- etwa so könnte man aus den damals von chinesischen Völkerrechtlern zur Neutralität abgegebenen Stellungnahmen die Summe ziehen. Interessant war, daß die chinesischen Völkerrechtler einer ideologischen Neutralität eine Absage erChina-Report Nr. 7/8, 1972, S. 37. Siehe z. B. Alfred Verdross, "Austria's Permanent Neutrality and the United Nations Organization", in: American Journal of International Law, Bd. 50, 1956, S. 67 f. sowie Ulrich Scheuner, "Die Neutralität im modernen Völkerrecht", Köln- Opladen 1969, S. 35. 27

!8

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teilten und schließlich ist noch festzuhalten, daß der Status Österreichs ausdrücklich begrüßt wurde: "Es ist gut, daß Österreich in Europa neutral ist." Bei seinem damaligen Besuch in Peking und auch in späteren Jahren hatte der Verfasser Gelegenheit, mit dem ersten Österreichischen Botschafter in China, Dr. Hans Thalberg, über die ihm gegenüber gezeigte chinesische Haltung zur Neutralität zu sprechen. Botschafter Thaiberg hob hervor, daß sich die chinesische Seite über Charakter und Entstehung der Österreichischen Neutralität erstaunlich gut informiert erwies und auf den besonderen Status Österreichs immer freundlich Bezug nahm. Dazu gab Botschafter Thaiberg folgendes Resume: "Zusammenfassend möchte ich sagen: Die Volksrepublik China hat für die immerwährende Neutralität Österreichs stets größtes Verständnis gezeigt und bei jeder Gelegenheit, bei offiziellen wie auch bei privaten Anlässen, deutlich gemacht, daß man unseren neutralen Status aber auch die Neutralitätspolitik, die wir seit 1955 verfolgt haben, zu schätzen weiß. Ich glaube sogar, daß die Neutralität bei der Zustimmung Pekings zur Wahl Waldheims als Generalsekretär der Vereinten Na.., tionen eine beträchtliche Rolle gespielt hat .... Nach anfänglichem Zögern - Peking hätte gewiß einem Kandidaten der Dritten Welt den Vorzug gegeben- und einer Gegenstimme im ersten Wahlgang, Stimmenthaltung wahrscheinlich im zweiten Wahlgang hat China im letzten Wahlgang für Waldheim gestimmt. Knapp vorher ließ man mich ins Außenministerium rufen und Botschafter Chang Wen-chin teilte mir offiziell mit, daß Außenminister Chi Peng-fei nun nach New York Weisung gegeben habe, für Waldheim zu stimmen ... Auf meinen Dank für die Unterstützung Chinas sagte Tschou En-lai wörtlich: ,Wir haben eine gute Sache unterstützt' 29." Auch auf sonstige Weise zollte China der Österreichischen Neutralität und Neutralitätspolitik Anerkennung. Österreich bekam als einer der wenigen Staaten Europas die große Ausstellung archäologischer Funde nach Wien, es war unter den ersten, welche in Peking eine Industrieausstellung abhalten, Ärzte zum Studium der Akkupunktur, bzw. Austauschstudenten entsenden konnten. Als eines der ersten westlichen Orchester wurden die Wiener Philharmoniker nach Peking eingeladen. 3. Die Zwischenperiode chinesischer Neutralitätsskepsis

Noch unter der Amtsperiode Botschafter Thaibergs in Peking wurde die immer intensiver werdende Forderung der Vereinigten-Front-Politik und die chinesische Besorgnis spürbar, die Sowjetunion könnte die westliche Entspannungsbereitschaft ausnützen, um zur Welthegemonie 29

Schreiben von Botschafter Thaiberg an den Verfasser vom 15. Juli 1977.

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zu gelangen. Botschafter Thaiberg bemerkte, daß angesichts des sich immer weiter zuspitzenden Antagonismus Chinas zur Sowjetunion, die Neutralen zwar nach wie vor geschätzt waren, unter den gegebenen Umständen den NATO-Ländern aber eine höhere Bedeutung zugemessen wurde. Die auf Botschafter Thaiberg folgenden Botschafter Dr. Franz Helmut Leitner und Dr. Eduard Tschöp mußten dann die Feststellung machen, daß China dem Staat Österreich mit gleicher, seinem neutralen Status aber mit verminderter Sympathie gegenüberstand. Gleichzeitig wurde deutlich, daß China von seinem Standpunkt: "Alles nach Belieben des Neutralen" abgegangen war und von Österreich höflich, aber immer deutlicher werdend, eine entsprechende militärische Absicherung seiner Neutralität erwartete. Unter Verweis auf die eigenen chinesischen Erfahrungen während des russisch-japanischen Krieges und das Schicksal von Dänemark und Norwegen warnte der stellvertr. Vorsitzende des Nationalen Volkskongresses Dong Biwu, als ihm im April 1973 von Botschafter Leitner das Beglaubigungsschreiben überreicht wurde, davor, sich allzu sehr auf die Neutralität zu verlassen, da die Geschichte zeige, daß die Neutralität von Kriegführenden bei Bedarf willkürlich verletzt werde. Botschafter Tschöp wurde bei seinem Antrittsbesuch beim Leiter der Westeuropaabteilung des chinesischen Außenamtes Xu Weichin Anfang Februar 1975 vorgehalten, daß die Schweiz eine Politik der bewaffneten Neutralität verfolge und große Opfer für die Landesverteidigung bringe, was in China große Bewunderung hervorrufe. In der Schweiz werde, ebenso wie in China, ein ausgedehntes unterirdisches Luftschutzsystem errichtet und der Vorsitzende Mao Zedong habe ausdrücklich angeordnet: "tiefe Tunnels graben". Ein chinesisches Sprichwort besage, wenn man vorbereitet ist, brauche man keine Angst zu haben, ansonsten sei man verloren. In dieselbe Kerbe schlug der damalige Präsident der Gesellschaft des chinesischen Volkes für Freundschaft mit dem Ausland Chai Zeming. Er wandte Botschafter Tschöp gegenüber die allgemeine Formel an, mit welcher damals China meinte, die europäischen Mächte von Entspannungsillusionen kurieren zu können. Er betonte, beide Supermächte betrieben sehr aktive Vorbereitungen für einen Krieg. Ein künftiger Konflikt sei daher unvermeidlich. Das Hauptkampfgebiet werde in Europa liegen und auch Österreich werde davon betroffen sein. Die chinesische Regierung respektiere den Status der Neutralität Österreichs. Von den Supermächten sei jedoch keine Vertragstreue zu erwarten, man müsse daher auf der Hut und vorbereitet sein. Der Österreichische Wunsch, die Neutralität zu bewahren, dürfe nicht in eine "Idee der friedlichen Illusionen" übergehen. Auch der damalige chinesische Außenminister Qiao Guanhua brachte damals bei einem zu Ehren Bot-

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schafter Tschöps Ende Februar 1975 gegebenen Abendessen das Thema der Absicherung der Österreichischen Neutralität zur Sprache. Die VR China habe die Österreichische Neutralität stets unterstützt, sei aber besorgt, daß sie von anderer Seite verletzt werden könnte. Jeder Staat müsse genügend Verteidigungskraft besitzen. In der Schweiz sei diesbezüglich die Lage besser, in Österreich dagegen eine zu starke Friedensstimmung vorherrschend. Selbst bei einer Besetzung müsse Widerstand geleistet werden. In diesem Zusammenhang brachte der chinesische Außenminister den Vergleich zwischen einem Elefanten und einer Fliege und stellte fest, daß es auch der Fliege möglich sei, durch hartnäckige Anstrengungen den Elefanten zu bezwingen. Die öffentliche Meinung in Österreich "Wozu braucht man als neutrales Land entsprechende Verteidigungskräfte?" sei sehr problematisch. In ähnlicher Weise äußerte sich Qiao Guanhua wenig später gegenüber einer von Minister a. D. Dr. Alois Mock geführten Delegation der Österreichischen China-Gesellschaft ÖGCF3o. Diese direkten chinesischen Aussagen wurden durch indirekte Hinweise in den Meldungen der chinesischen Nachrichtenagentur flankiert31 • Geschickt wurden Aussagen von Bundeskanzler Kreisky und General Emil Spanocchi so montiert, daß sie genau in das erwünschte Bild eines verteidigungsbereiten und verteidigungswilligen Österreichs paßten und durch die Gestaltung der Zwischentitel stellte die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua zusätzlich noch in subtiler Weise klar, wie das chinesische Anliegen - gleichlautend mit einem der von Xinhua gewählten Zwischentitel - beschaffen ist: "Neutrality must be safeguarded by force 32 ." Selbstverständlich hat diese Position auch in den - damals spärlich vorhandenen - chinesischen wissenschaftlichen Werken über internationale Beziehungen ihren Niederschlag gefunden. Ein Forschungskollektiv hat in der im Mai 1976 zu Shanghai erschienenen Broschüre "Grundlagenwissen über internationale Probleme" die Bedrohung der Welt und insbesondere Europas durch die Sowjetunion herausgestellt. In diesem Zusammenhang wurde auch Österreich erwähnt: "Sogar einige neutrale Staaten wie Österreich, Schweden und Schweiz haben 3o Alois Mock, "Chinesischer Kornmunismus ,Mit Konsequenz und Härte"', Freiheit Nr. 4, April1975, S. 37. 31 Siehe Chronik der österreichisch-Chinesischen Beziehungen, China Report Nr. 26/27, 1975, S. 50. 32 Vgl. dazu auch die Berichte von Xinhua (London) vorn 8. und 25. Oktober 1976. Im ersten Bericht werden Österreichische Offiziere zitiert, die gegenüber dem chinesischen Korrespondenten betont hatten, daß eine Neutralität ohne Verteidigungsrückhalt nicht existieren könne und im zweiten der damalige Österreichische Verteidigungsminister Lütgendorf, welcher hinsichtlich des Problems der Verstärkung der Luftverteidigung der "Presse" ein Interview gegeben hatte.

22 Festschrift für Stephan verosta

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angesichts der militärischen Bedrohung, die von Tag zu Tag schwerer wird, Maßnahmen getroffen, um ihre Landesverteidig ung zu verstärken. Sie haben die allgemeine Wehrpflicht, trainieren ihre Staatsbürger und reformieren die Ausbildung. Sie legen in großem Maßstab unterirdische Verteidigungsa nlagen an33." Als dann die chinesische Führung zur Ansicht kam, daß subtile und weniger subtile Warnungen bei den westlichen Industriestaaten nichts fruchteten griff man zu der Schocktherapie der Ankündigung eines bald bevorstehenden Weltkrieges. Offenbar hielt man es für notwendig, einen neuen Krieg so drastisch und nah an die Wand zu malen, damit möglichst viele Staaten das ihre täten, um eine weitere Verschiebung des Machtschwergew ichtes zugunsten der Sowjetunion, durch eigene Rüstungsanstre ngungen zu verhindern. Erstes Objekt chinesischer Schocktherapie wurde die von Bundesminister Dr. Christian Broda geleitete Delegation der ÖGCF Anfang 1977. Der stellvertr. Vorsitzende des ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresse s Tan Zhen-lin teilte der Delegation unverblümt im Rahmen von Ausführungen über die "Viererbande" mit: "Wenn die Machenschaften der Viererbande realisiert worden wären, so hätte dies nicht nur für das chinesische Volk, sondern für die ganze Welt eine Katastrophe bedeutet. Wäre die Viererbande mit der Sowjetunion ein Bündnis eingegangen, so hätte sie der Sowjetunion als Handlanger gedient. Unter diesen Bedingungen hätte es dramatische Änderungen gegeben. Die Sowjetunion wäre nach Westen vorgerückt und die erste Station wäre Österreich gewesen. Österreich ist neutral, doch hätte die Sowjetunion davon keine Notiz genommen. Die Sowjetunion hätte versucht, Deutschland unter ihrer Einflußsphäre wiederzuvereinigen und dabei wäre sie auf jeden Fall durch Österreich marschiert34." Wang Bingnan der alte erfahrene Diplomat und heutige Präsident der chinesischen Gesellschaft für Freundschaft mit dem Ausland drückte sich in etwas diplomatischere n Wendungen aus. Zuerst sparte Wang nicht mit verbindlichen Worten über die Österreichische Neutralität. Er meinte, es sei gut, daß Österreich eine Neutralitätspoli tik betreibe und es wäre auch gut, wenn alle Staaten einer ähnlichen Politik wie Österreich folgten. Dann kamen aber der bereits früher erwähnte Wink mit dem Zaunpfahl nach dem Beispiel der Schweiz und schließlich Betrachtungen über die Möglichkeit, den neutralen Status im Kriegsfall auch tatsächlich beibehalten zu können: 33

s. 78 f.

Tan Zhenlin, "Über innen- und außenpolitische Probleme", in: ChinaReport, Nr. 32/33, 1977, S. 61. 34

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" ... So zum Beispiel ist die Schweiz ein typisches neutrales Land. Sie ist von zwei Weltkriegen nicht erfaßt worden. Aber auch die Schweiz hat erkannt, daß die Welt nicht so sicher ist. Sie wissen, daß die Schweiz sehr intensiv Luftschutzanlagen baut und heuer hat sie großangelegte Manöver durchgeführt. Die Schweiz ist nicht ganz sicher, ob sie in einem Dritten Weltkrieg ihre Neutralität bewahren könnte. Deswegen haben wir den europäischen Freunden immer vorgeschlagen, die Wachsamkeit zu erhöhen und Vorbereitungen zu treffen. Vorbereitet zu sein ist bessers6 ." Selbstverständlich war den Österreichischen Zuhörern die Skepsis Wang Bingnans hinsichtlich des Schicksals der dauernd neutralen Staaten in einem Dritten Weltkrieg "unter die Haut gegangen", doch war auch Wang Bingnan nicht bereit, von seinem Standpunkt abzurücken, was er bei seiner Antwort auf Zusatzfragen klarstellte: "1. China ist für den Frieden und gegen den Krieg. 2. Da es in der Welt zwei Supermächte gibt, ist ein neuer Weltkrieg, der durch ihre Rivalität entstehen wird, unvermeidlich. Es ist fraglich, ob die neutralen Staaten in einem neuen Weltkrieg ihre Neutralität bewahren werden. Es ist gut, wenn sie ihre Neutralität bewahren können, doch ist dies ein subjektiver Wunsch36 ." Dem Vernehmen nach ist es den Schweizern nicht besser gegangen37 • - Es handelte sich also nicht, um eine gegenüber Österreich zum Ausdruck gekommene bilaterale Modifizierung chinesischer Neutralitätsauffassung, sondern offenbar um einen Teil der damaligen chinesischen Gesamtstrategie. Dies zeigen auch die Gespräche, welche eine Österreichische Bundesratsdelegation unter Leitung von Prof. Dr. Herbert Schamheck im Sommer 1977 zu Peking geführt hat. Der europäischen Einigung wurde von chinesischer Seite ein höherer Stellenwert zugemessen, als dem "Fürsichbleiben" der dauernd Neutralen. Der stellvertr. chinesische Ministerpräsident Li Xiennian meinte dazu: "Seit Anfang dieses Jahrhunderts hat Europa zweimal Weltkriege erlebt. Die europäischen Völker wünschen Entspannung. Die rauhe Wirklichkeit sieht aber anders aus. An die Probleme soll man daher Aufzeichnungen des Verfassers. Aufzeichnungen des Verfassers. 37 Der ehemaligen Legationsrat an der schweizerischen Botschaft in Peking und heutige Leiter des politischen Sekretariats im schweizerischen Bundesrat, Botschafter Cuendet, bestätigte dem Verfasser in einem Interview am 3. Juni 1977, daß zu jener Zeit von chinesischer Seite auch gegenüber Diplomaten seines Landes Skepsis hinsichtlich des Schicksals der Neutralen im Kriegsfall geäußert worden ist. 3s

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Cerd Kaminski nicht von subjektiven Wünschen aus herangehen, sondern von den Tatsachen. Das hat die Geschichte gelehrt. Wenn man die Tatsachen erkennt, kann man den Frieden besser sichern." In diesem Zusammenhang rief Li Xiennian zur europäischen Einigung auf: "Man sollte die großen Gemeinsamkeiten suchen und die kleinen Verschiedenheiten behalten. Wir hoffen, daß sich die europäischen Länder einigen können ...38." In einem Bericht über die Gespräche der Österreichischen Abgeordneten zum Bundesrat sind außerdem noch folgende bedeutsame Passagen enthalten: "Die mit der Außenpolitik befaßten Funktionäre der Volksrepublik China sind gegen den Rückzug der Amerikaner aus Europa. Sie vertreten heute den Standpunkt, daß sich ,Westeuropa von den USA nicht loslösen kann'." Dies gelte aber auch umgekehrt. Begründung ",Ein Land allein kann dem Sowjetimperialismus nicht widerstehen'." (Vgl. die Positionen, die China noch Anfang der siebziger Jahre zur NATO eingenommen hat!) In diesem Zusammenhang betonte der stellvertretende Ministerpräsident, daß sein Land "die neutrale Position Österreichs respektiere" und die "österreichische Politik verstehe". In den Gesprächen am Rande wurde aber erneut deutlich, daß man Österreich eine verstärkte Landesverteidigungs politik empfiehlt. Hao Deping (Präsident des Institutes für Außenpoliik des chinesischen Volkes, meinte: "Es ist gut, wenn Sie an der Neutralitätspolitik festha:lten, aber gleichzeitig wehrmäßig Maßnahmen treffen, um Ihr Territorium zu verteidigen." In Fortsetzung dieser Erklärung war von einem kompetenten hohen Beamten zu hören, daß die Volksrepublik China nicht verstehen könne, daß der Staatsvertrag Österreich den Besitz von Raketenwaffen zu Verteidigungszwecke n untersage. Wörtlich meinte er: "Wir persönlich sind der Meinung, daß alle Staaten die Waffen besitzen sollten, die sie benötigen3D." Aus der Tatsache, daß bei vielen dieser Gesprächen der Neutralität gleichzeitig noch immer Lob gespendet wurde, läßt sich allerdings der Schluß ziehen, daß die skeptischen chinesischen Bemerkungen hinsichtlich der Möglichkeit, die Neutralität im Ernstfall aufrechtzuerhalten, keine grundsätzliche Abwertung der Neutralität durch China, sondern die chinesische Gesamtstrategie der Warnung der Welt vor dem Vordringen des "Sozialimperialismus " als Hintergrund hatten. Nach wie vor war die Neutralität- nach der NATO-Mitgliedsch aft- als zweitbeste Lösung wiUkommen und als positiver Beitrag zur FriedenssicheEuropa aus chinesischer Per38 Herbert Vytiska, "Gespräche in Peking spektive", in: Freiheit, Nr. 9, September 1977, S. 16. 39 lbid.

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rung von chinesischer Seite anerkannt. Als weiterer Beweis dafür kann angeführt werden, daß offenbar auch im chinesischen Schulunterricht der neutrale Status Österreiclls positiv hervorgehoben wurde. Im Archiv der ÖGCF befindet sich das im Juli 1977 aufgenommene Photo einer Zeichnung, die auf dem schwarzen Brett einer Volks- und Mittelschule in Xian zu finden war. Es handelt sich dabei um eine Landkarte Österreichs, die mit einer kurzen Legende mit den wichtigsten kennzeichnenden Fakten versehen ist. Zentrale Stelle nimmt dabei die Österreichische Neutralitätserklärung ein. 4. Ein neues "Hoch" in der Bewertung der Österreichischen Neutralität durch China?

Seit Anfang 1978 fehlen in den chinesischen Erklärungen die vorher energisch gegebenen Hinweise, daß der Ausbruch eines Weltkrieges in absehbarer Zeit unvermeidlich sei, sondern man hat sich wieder auf die Position eingependelt, die im Bericht Zhou Enlais an den 10. Parteitag im Jahre 1973 zu finden ist: "ein solcller Krieg kann verhindert werden, solange die mit jedem Tag mehr erwachenden Völker aller Länder die Richtung klar erkennen, ihre Wachsamkeit erhöhen, ihre Geschlossenheit festigen und im Kampf ausharren40." Möglicherweise hat man chinesischerseits feststellen müssen, daß der von China erwünschte Effekt einer stärkeren Abwehrbereitschaft eher dann zu erzielen ist, wenn die Möglichkeit der Abwendung des Kriegs betont wird, als wenn er als unvermeidbar hingestel'lt wird. Vielleicht hat man auch in China das konstatiert, was europäische Fachleute feststellen, nämlich, daß "die Konferenz von Helsinki, zumindest vorerst, keinen Beginn, sondern einen Höhepunkt darstellte" 41 • In diesem Sinne nahm man davon Abstand, Vertretern Österreich weiterhin zu sagen, daß man auf ihre Chance, die Neutralität zu bewahren wenig gibt. Als Botschafter Dr. Willfried Gredler sein Amt in Peking antrat, stellte er fest, daß die hohen chinesischen Funktionäre von der Weltlage immer noch mit großer Besorgnis sprachen, gleichzeitig aber meinten, die "Imperialisten und Sozialimperialisten" würden es nicht wagen, einen Krieg vom Zaun zu brechen, wenn man ideologisch und militärisch gut vorbereitet sei. Illusionen und eine Beschwichtigungspolitik würden jedoch zu einer Katastrophe führen.

Als im August 1978 eine Delegation der ÖGCF unter Leitung von Bundesminister Otto Rösch die Volksrepublik China besuchte, wurde 40 "Der X. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas", Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1973, S. 33. 41 WilheZm Kuntner, "Die strategische Lage in Europa", in: Gerd Kaminski (Hrsg.), "Sicherheit, Neutralität und Prosperität in Europa und Südostasien", Bonn 1979.

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vom Präsidenten der Gesellschaft des chinesischen Volkes für Freundschaft mit dem Ausland Wang Bingnan auf eine Frage des Autors die besondere Stellung des neutralen Österreichs innerhalb der Gruppe der westlichen Industriestaaten betont, wobei er sowohl den Status Österreichs wie auch den Umstand, daß Österreich keine Kolonien besaß, hervorhob. Dies sei eine gute Grundlage, um echte freundschaftliche Beziehungen zu pflegen. Selbstverständlich ließen die chinesischen Gastgeber den Besuch eines Österreichischen Verteidigungsministe rs nicht vergehen, ohne ihre Vorstellungen von einer militärisch abgesicherten Neutralität zu bekräftigen. Diesmal geschah es allerdings wieder in subtiler und zum ersten Mal in literarischer Form. Der Westeuropadirektor der chinesischen Freundschaftsgesells chaft Zhu Ziqi, nebenbei ein bekannter chinesischer Lyriker, widmete dem IgelSymbol des Österreichischen Bundesheeres ein Gedicht, das in künstlerischer Form den chinesischen Idealtyp des dauernd neutralen Österreich wiedergibt: engagierte friedenserhaltende Außenpolitik, die durch ein ebenso großes Engagement in der Landesverteidigung abgesichert ist. LIED EINES IGELS Ich bin ein kleiner Igel und sehr lustig. Meine Heimat an der Donau habe ich verlassen, um das weit entfernte China zu besuchen. Oberall begrüßen mich Freunde, die meine Schönheit und Stärke loben und gerne möchten, daß ich ihnen das Igellied singe. Ich wohne in einer Höhle, die ich mir selbst gegraben habe; mit Fleiß und Schweiß kann ich mich aus eigener Kraft versorgen. Ich giere nicht nach fremdem Land und will kein fremdes Nest besetzen. Wenn meine Augen auch klein sind, so sind sie doch hell und können sehr wohl Freund und Feind unterscheiden. Ich bin sanft und mild, aber ich kann auch zornig werden. Wenn die böse Schlange wagt, mich anzugreifen, zerreiße ich ihr giftiges Maul und durchbohre ihr schwarzes Herz! Gemeinsam mit anderen schütze ich Freiheit und Frieden, und die bösartige Schlange wird ihr Ziel nicht erreichen. Guilin, am 17. August 1978 von Zhu Zi-qi

VI. Internationales Wirtschaftsrecht

DAS TRANSNATIONALE UNTERNEHMEN ALS PHÄNOMEN IN DER VÖLKERRECHTSGESCHICHTE Von Peter Fischer I. Allgemeines

Der vielleicht unpopuläre1, aber bahnbrechende Schiedsspruch des Einzelschiedsrichters Rene-Jean Dupuy im Falle Texaco Overseas Petroleum Company I California Asiatic Oil Company versus Government of the Libyan Arab Republic2 , in welchem erstmals in der internationalen und der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Judikatur expressis verbis die beschränkte Völkerrechtsfähigkeit von privaten Wirtschaftskörpern anerkannt wurde 3, gibt Anlaß zu der Überlegung, ob die vielfach vorherrschende Meinung, die sogenannten "Multis" seien eine erst im Zuge des Kapitalismus des 19. Jahrhunderts entstandene Erscheinung, nicht revidiert werden müßte. In Anbetracht der großen Verdienste des Jubilars um die Erforschung historischer völkerrechtlicher 1 Vgl. dazu die zum Teil unsachliche Kritik bei Francais Rigaux, Des dieux et des heros. Reflexions sur une senten~:e arbitrale, in: LXVII Revue critique de droit international (1978), S. 435 ff., insbesondere 443, 445. 2 Ergangen am 19. Jänner 1977. Abgedruckt in: XVII International Legal Materials (January 1978), S. 3 ff.; dazu vgl. Ignaz Seidt-Hohenvetdern, Schiedsspruch über die Nationalisierung von Erdölkonzessionen der Texaco und der Calasiatic durch Libyen, in: 8 Recht der Internationalen Wirtschaft. Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters (August 1977), S. 502 ff.; J. F. Lative, Un grand arbitrage petroHer entre un Governement et deux societes privees etrangeres, in: Clunet (1977), S. 319 ff.; Peter Fischer, Die Verdross'sche Theorie über den "quasi-völkerrechtlichen" Vertrag, in: Festschrift für Alfred Verdross, Berlin 1980, S. 379 ff. 3 Der am 10. Oktober 1973 vom Schiedsrichter Gunnar Lagergren im Falle British Petroleum Co. v. Government of Libya gefällte Schiedsspruch, der zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte, ist bislang in seinem Wortlaut geheimgehalten. Dazu Fischer, Die internationale Konzession, Wien- New York 1974, S. 437. Die entscheidenden Stellen im gegenständlichen Schiedsspruch von 1977 lauten: " ... contracts between States and private persons can, under certain conditions, come within the ambit of a particular and new branch of international law: the international law of contracts ... " (§ 32 des Schiedsspruchs). Op. cit., S. 13 " ... It does not seem therefore that one can establish a distinction in this respect between a treaty and an internationalized contract." Op. cit., S. 23. Ob das völkerrechtliche Kontraktsrecht in der Tat ein neuer Zweig des Völkerrechts ist, möge dahingestellt bleiben.

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Erscheinungsformen~ und deren Inbeziehungsetzung mit Rechtsproblemen der heutigen Welt erscheint es ebenfalls angebracht, dieser Frage in den folgenden Ausführungen näheres Augenmerk zu schenken.

Zunächst zum Begriff des "transnationalen" Unternehmens, der zumindest in der von der Organisation der Vereinigten Nationen (in der Folge: OVN) seit 1974 verwendeten Terminologie jenen des "multinationalen" Unternehmens abgelöst hat: auch wenn eine Fülle von Definitionsversuchen im Rahmen der Arbeit der OVN-Kommission über Transnationale Unternehmen (in der Folge: TNU) angestellt wurden5 , so wird die von der OVN-Expertengruppe "Group of Eminent Persons" 1974 vorgeschlagene Definition heute zumindest als Arbeitsmittel im allgemeinen anerkannt. Demgemäß sind TNU solche Unternehmen, "die Produktions- oder Dienstleistungsbetriebe außerhalb ihres Stammlandes im Eigentum haben oder über sie die Kontrolle ausüben" 6• Unter diese relativ weite Definition fallen also nicht nur Unternehmen der Privatwirtschaft, sondern auch Staatsbetriebe der sozialistischen Wirtschaftssysteme, sowie Unternehmen der verstaatlichten Industrie, wie jene Österreichs. Die heutige Bedeutung dieser Unternehmen für die internationale Wirtschaft und Entwicklung bedarf keiner näheren Erläuterung7 und ist auch zuletzt in der eben in Wien zu Ende gegangenen bisher größten Konferenz der OVN, nämlich der "Konferenz über Wissenschaft und Forschung im Dienste der Entwicklung", erneut bestätigt worden8 • Geht man in Beantwortung der eingangs gestellten Frage von der genannten Definition aus, so ist entscheidendes Kriterium zunächst die 4 Vgl. dazu die an die Spitze dieser Festschrift gestellte Würdigung sowie das Schriftenverzeichnis des Jubilars. 5 Durch die Resolutionen 1908 (LVII) und 1913 (LVIII) des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen wurde der Begriff "multinational" durch "transnational" ersetzt. Zu dieser Problematik und den weiteren Definitionsversuchen vgl. UN. DOC. EIC. 10/38 vom 20. März 1978. Commission on Transnational Corporations: Transnational Corporations in World Development: A Re-Examination, S. 158 ff.; ebenso UN. DOC. E/C. 10/AC. 2/3 vom 26. Januar 1978. Commission on Transnational Corporations: Transnational Corporations. Texts Relevant to an Annoted Outline Suggested by the Chairman of the Intergovernmental Working Group of the Code of Conduct. Report of the Secretariat, S. 10 ff. 8 "Enterprises which own or control production or service facilities outside the conutry in which they are based." UN. DOC. E/C. 10/AC. 2/3, S. 11. 7 Die Literatur über die Rolle der TNU in der heutigen Weltwirtschaft ist für den einzelnen Forscher unübersehbar geworden. Abhilfe in diesem Wirtschafts- und Rechtsbereich könnte nur der Computer schaffen. Dennoch eine wertvolle von der OVN durchgeführten Studie stellt UN. DOC. ST/LIB/SER. B/17 dar: Transnational Corporations. A select bibliography, 1975. 8 UN. DOC. A/CONF. 81/L. 1 vom 19. August 1979. United Nations Conference on Science and Technology for Development. Vienna, Austria, August 1979, S. 12 ff.

Das transnationale Unternehmen in der Völkerrechtsgeschichte

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grenzüberschreitende Tätigkeit des Unternehmens. "Grenzüberschreitend" setzt aber das Vorhandensein von zumindest zwei Staaten oder staatsähnlichen Gebilden voraus. Diese Voraussetzung teilt das TNU im übrigen mit dem allgemein anerkannten Begriff des Völkerrechts überhaupt9. Historische Wurzeln solcher Unternehmen können daher nur dort zu suchen sein, wo Staaten oder staatsähnliche Gebilde vorhanden sind, die miteinander direkt, d. h. auf zwischenstaatlicher Ebene, oder indirekt, durch deren Staatsangehörige, in Beziehung treten. Sieht man von vereinzelten antiken und spätantiken1o Erscheinungsformen völkerrechtlicher Institutionen ab, so ist es vor allem das europäische Mittelalter, das völkerrechtliche Institute ausgebildet hat, die eine nahtlose Verbindung mit heutigen herstellen lassen11 • Es erscheint daher pertinent, in dieser Periode der Entwicklung der internationalen Beziehungen die Untersuchung nach historischen Vorläufer von TNU und deren Rolle in den Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen anzusetzen.

II. Das europäische Mittelalter Die rechtliche Situation für die Aufnahme grenzüberschreitender Handelstätigkeit war zu dieser 'Zeit nicht gerade einladend: zunächst war der Fremde überhaupt rechtlos und mußte, wollte er nicht den Verlust seines Lebens oder seiner Ware riskieren, unter den Schutz etwa des lokalen Souveräns gestellt werden. Auch das Strandrecht (right to wreck, jus litoris), das dem Souverän des Küstenstaates das Recht über alle gestrandeten, von einem Schiffsbruch herrührenden und geretteten Waren gab, förderte ebenfalls in Anbetracht der damaligen Entwicklungsstufe der Navigationskunst und der Schiffbautechnologie nicht gerade den internationalen HandeP2 • Schließlich war häufig der Heimatstaat des Kaufmannes, der in der Fremde einen Schaden erlitt, nur selten bereit, auf zwischenstaatlicher Ebene zu intervenieren13. Handel in fremden Staaten zu treiben, war somit eine riskante 9 Dazu eingehend Alfred Verdross I Bruno Simma, Universelles Völkerrecht. Theorie und Praxis, Duncker & Humblot, Berlin 1976, S. 23 ff. 10 Stephan Verosta, International Law in Europe and Western Asia between 100 and 650 A. D., in: 111 Recueil des Cours (1964), 491 ff.; ders., Territorial Asylum in Antiquity. Argos v . Egypt: The case of the Suppliant Maidens, in: IV Human Rights Journal (1971), S. 627 ff. 1.1 Vgl. auch dazu den Beitrag von Roberto Ago in dieser Festschrift, oben, s. 13 ff. 12 Vgl. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 271 ff.; Planitz-Eckhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, 2. Aufl., S. 176 ff. 13 Ernst Reibstein, Das Völkerrecht der deutschen Hanse, in: 17 Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (1956/57), S 40 f. erwähnt jedoch einige interessante Ausnahmefälle solcher Interventionen: so intervenierte der Staufer Konrad III. beim Kaiser von Byzanz mehrfach wegen der in Konstantinopel sich aufhaltenden deutschen Ritter. Karl der Große und seine Nachfolger "desinteressierten" sich keineswegs an dem Schicksal ihrer Untertanen im Ausland.

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Same, die 'ein Einzelunternehmen (=Kaufmann) kaum unternahm: Zusammenschlüsse nach Art von Kaufmannsgilden oder Genossenschaften waren die Antwort auf das ungünstige Investitionsklima in fremden Staaten. Markantestes Beispiel hiefür ist die deutsche Hanse. 1. Der Kaufmannsbund der deutschen Hanse als Vorläufer moderner TNU

Daß die Hanse erst im 14. Jahrhundert aus einem Bund von Kaufleuten zu einem Städtebund unter der Führung Lübecks wurde, ist eine bekannte und weitgehend erforschte Tatsache14 , auf die hier nicht näher eingegangen zu werden braucht. Hier interessiert jene Periode, in welcher der Zusammenschluß von Privatpersonen, der Kaufmannsbund, international aufgetreten ist, ehe er von dem Zusammenschluß von praktisch souveränen staatsähnlichen Gebilden, dem Städtebund, abgelöst wurde. Eine Urkunde des englischen Königs Heinrich II. aus dem Jahre 1157 nimmt die "Männer und Bürger von Köln" 15 wie seine "eigenen Mannen und Freunde" 16 unter den königlichen Schutz. Dieser Schutz umschließt auch alle Güter und Waren (omnes res et mercaturas) und ihre anderen Besitztümer (possessiones) in der Weise,

daß den Behörden, an die die Urkunde gerichtet ist, aufgetragen wird, "kein Unrecht" (iniuriam aliquam) "ihrem Haus in London", ihren Besitztümern etc. zuzufügen oder zu dulden, daß es zugefügt werde 17 • Aus diesem sehr frühen Dokument ergibt sich somit, daß die Kölner Kaufleute in London bereits einen Handelshof (domus sua London.), die Gildhalla, die später zum Stahlhof erweitert wurde, besaßen. Das Recht zum ungestörten (ne ... disturbentur) Verkauf von Wein wurde im selben Jahr in einer weiteren Urkunde verliehen18 • Im Jahre 1175 bestätigte König Heinrich Il. ihre Privilegien und erklärte ausdrücklich, daß die Kölner Kaufleute in ganz England (terram meam) königlichen Schutz genießen sollten111• Am 16. Februar 1194 erweiterte König Ri14 J. M. Lappenberg, Urkundliche Geschichte des Hansischen Stahlhofes zu London, Harnburg 1851, S. XI; Konstantin Höhlbaum, Hansisches Urkundenbuch, Bd. I, Halle 1876, S. III ff.; Peter Fischer, A Collection of International Concessions and Related Instruments, Bd. I., Oceana Dobbs Ferry 1976, S. xxiii (in der Folge: International Concessions). 15 "hornines et ciues Colonienses". Abgedruckt bei Fischer, International Concessions, Bd. I, S. 163. 18 "sicut hornines rneos et arnicos." Fischer, Concessions, S. 163; ebenso Reibstein, Völkerrecht, S. 44. 17 "neque de domo sua London, neque de rebus ... iniuriam aliquarn vel contumeliam eis faciatis, neque fieri perrnittatis ... ". Ibid. ts Abgedruckt bei J. M. Lappenberg, Urkundliche Geschichte des Hansischen Stahlhofes zu London, Harnburg 1851, S. 3; ebenso bei Fischer, Concessions, Bd. I, S. 163.

bas iransnationaie Unternehmen in der VÖlkerrechtsgeschichte

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chard I. von England in Löwen ihre Privilegien. Nach Lappenberg ist dieses Instrument die erste von Richard Löwenherz nach seiner Freilassung aus der Reichsgefangenenschaft ausgestellte Urkunde20 • Die Kaufleute - bezeichnet hier als "geliebte kölnische Bürger" 21 - werden von der von ihrer GiZdhalla in London zu entrichtenden Steuer und allen anderen dem König zustehenden Leistungen befreit, genießen nunmehr Handelsfreiheit und -freizügigkeit in ganz England, einschließlich jene zum Zwecke des Besuches von Handelsmessen (ire ad ferias). Damit wird auf die der Stadt London zustehenden Vorrechte verzieh tet22 • Während sich die frühen der Hanse von den englischen Königen erteilten Konzessionen23 auf allgemeine Regelungen beschränkten, daher relativ kurz waren, maChte die daraus sich entwickelnde Praxis in der Folge eingehendere normative Regelungen des Verhältnisses zwischen Staat und ausländischer Kaufmannsorganisation notwendig, wobei auch manchmal das rechtstechnische Instrument des Vertrages verwendet wurde24 • Spätere Privilegien enthielten eine modernen Handelsverträgen ähnliche detaillierte Aufzählung der zum Import und Verkauf zugelassenen Waren, Bestimmungen über einheitliche Maße und Gewichte25, den Verzicht des Monarchien auf das right to wreck, über Zölle und andere Abgaben26 und schließlich über die Beilegung von Streitigkeiten. Die Generelle Handelskonzession König Eduard I. vom 1. Februar 1303 an deutsche und andere ausländische Kaufleute möge hier als Beispiel dienen. Für Streitigkeiten der Kaufleute untereinander sieht Absatz 6 dieses Instrumentes folgendes vor27: 19 " ••• ipsi et omnia sua sunt in manu et custodia et protectione mea ... ". Fischer, Concessions, S. 163. 2o Urkundliche Geschichte, S. 5. 21 "dilectos nostros ciues de Colonia". Reibstein, Völkerrecht, S. 44; Fischer, Concessions, Bd. I, S. 283. 22 So auch Reibstein, Völkerrecht, S. 45. 23 Als "internationale Konzession" verstehe ich jenen "synallagmatischen Rechtsakt, durch welchen ein Staat an eine fremde Privatperson die Ausübung eines vorbehaltenen Rechtes überträgt, welche damit an der Verwirklichung staatlicher Verwaltungszwecke teilnimmt, wobei sie eine gegenüber anderen Privatrechtssubjekten privilegierte Stellung innehat". Die internationale Konzession, S. 101. 24 So etwa das Abkommen zwischen der Stadt London, den Kaufleuten aus London, Deutschland, der Lombardei und der Provence vom 10. November 1309 über die Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten. Fischer, Concessions, Bd. III, S. 89. Ebenso das Abkommen vom Juni 1282. Ibid., Bd. rr, s. 423. 25 Vgl. vorhergehende Fußnote. 2 6 So die Generelle Handelskonzession (vgl. nachstehende Fußnote) sowie deren Erneuerung durch König Richard li. vom 6. November 1377. Concessions, Bd. IV, S. ll .ff.

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"Item, that in al maner of pleas, sauing in case where punishment of death is to be inflicted, where a marchant is impleaded, or sueth another, of what condition souer hee bee which is sued, whether stranger or home borne, in fayres, cities, or boroghs, where sufficient numbers of marchants of the foresayd countries 28 are, and where the triall ought to bee made, let the one halfe of the Jurie be of the sayd marchants, and the other halfe of good and lawfull men of the place where the suite shall out to bee: and if sufficient nurober of marchants of the sayd countries cannot be found, those which shall be found fit in that place shall be put upon the iurie, and the rest shall be chosen of good and fit men of the places where such suit shall chance to be."

Die paritätische Besetzung des Schiedsgerichtes findet sich in der Völkerrechtsgeschichte der Neuzeit wieder in den Mixed Claims Commissions, den Gemischten Kommissionen in Ägypten, den Gemischten Schiedsgerichten nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg 29, und zeigt bereits deutlich den internationalen Charakter, begründet auf dem Personalitätsprinzip30, des Verhältnisses von- nach der heutigen Terminologie- Gastland und ausländischem Investor. Noch deutlicher kommt der internationale Charakter des Rechtsverhältnisses in den Beziehungen der hanseatischen Kaufleuten zu den russischen Fürsten zum Ausdruck. Zunächst ist - im Gegensatz zur vorherrschenden Praxis mit England - der Vertrag das rechtliche Instrument, durch welches das Rechtsverhältnis zwischen den Kaufleuten und dem Gastgeber geregelt wird. Bereits sehr frühe Abkommen enthalten im Gegensatz zu den frühen englischen Konzessionen an die Hanse häufig detaillierte Regelungen über die gegenseitigen Rechte und Pflichten. In dem zwischen 1189 und 1199 vom Fürsten Jaroslav Wladimirowitsch von Nowgorod und den deutschen Kaufleuten aus Riga und Gotland abgeschlossenen Abkommen (die Kaufleute werden hier als "Kaufleute der lateinischen Zunge" bezeichnet) werden diesen u. a. das Recht auf freien und ungehinderten Handel im Fürstentum, 27 Ibid., Bd. III, S. 18. Das Original ist in lateinischer Sprache ausgefertigt, das im Lübecker Staatsarchiv aufbewahrt wird. Die hier wiedergegebene Übersetzung ist Hakluyt, The Principal Navigations, 2. Auflage 1599, S. 133 entnommen, der dieses Instrument als "The great Charter granted vnto forreine marchants by King Edward the first, in the 31 yeare of his reigne commonly called Carta mercatoria" bezeichnet. 28 Nämlich von "Almaine, France, Spaine, Portugal, Nauarre, Lombardie, Florence, Prouence, Catalonia, of our duchie of Aquitaine, Tholosa, Caturlune, Flandres, Brabant". Concessions, Bd. III, S. 17. 29 Dazu eingehend Carl Friedrich Ophüls, Schiedsgerichte, Gemischte, in: Strupp-Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, Bd. III, S. 173 ff. 30 So auch Reibstein, Völkerrecht, S. 40, der hier meint: "Maßgebend war jedenfalls in der Zeit des Aufstiegs und der Blüte der deutschen Hanse nicht das Territorialprinzip, sondern das viel ältere, aus römischen wie aus germanischen Traditionen stammende Personalprinzip, oft auch, aber unzulänglich definiert als "das Prinzip der Personalität des Rechts".

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sowie Durchfuhrrechte eingeräumt. Sie werden im weiteren unter einen besonderen Schutz gestellt: ungerechtfertigte Inhaftierung wird verboten, der Mord an Kaufleuten steht unter besonderer Strafsanktion. Im Verfahren vor russischen Gerichten genießen sie ähnliche Vorrechte wie Gesandte fremder Nationen31 • Spätere Verträge, wie das Abkommen vom März I Mai 1229 mit dem Fürsten Mstislav Davydowitsch von Smolensk, enthalten detaillierte Vorschriften hinsichtlich jener Angelegenheiten, in welchen die hanseatischen Kaufleute der Straf- und Zivilgerichtsbarkeit des Gaststaates unterworfen32, während sie in allen anderen von der lokalen Jurisdiktion eximiert sind. Diese Exemption erstreckt sich sehr häufig auch auf Abgabenpflichten, wie Zölle, Flußabgaben, Steuern etc. 33• Ähnlich dem Stahlhof in London besaß die Hanse einen Kontor in Nowgorod, den "Deutschen Hof". Diese in der Vertrags- und (formal-unilateralen)34 Konzessionspraxis erkennbaren Vorrechte der hanseatischen Kaufleute, die sich auch in den Instrumenten mit anderen Staaten, wie Norwegen, Flandern etc. finden35, lassen die Frage erheben, aus welchen Gründen der mittelDie russische Fassung ist abgedruckt in meinen Concessions, Bd. I, S. 265. Zu diesen zählen schwere strafrechtliche Delikte wie Mord, Körperverletzung und Notzucht (Art. 1-3, 11 und 12). Concessions, Bd. I, S. 497 ff. 33 Vgl. auch das zwischen 1230 und 1270 zwischen Smolensk und den deutschen Kaufleuten geschlossene Abkommen. Ibid., Bd. II, S. 1 ff., sowie das zwischen Fürst Fedor Rostislawowitsch Kerinyi von Smolensk und diesen am 18. Mai 1284 unterzeichnete Instrument. Ibid., S. 449. 34 Wenn auch die äußere Form eine solchen Rechtsakts einen hohen Stellenwert zur Bestimmung des Rechtsverhältnisses - Koordination oder Subordination - besitzt, so muß aber dennoch jeder einzelne Fall auf seine Umstände hin geprüft werden: wenn etwa das Rechtsverhältnis zwar durch Gesetz, Verordnung etc. unilateral geregelt ist, aber der Inhalt das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Souverän und Kaufleuten ist, so liegt, wie Salzwedel, Die Grenzen der Zulässigkeit des öffentlich-rechtlichen Vertrages, Berlin 1958, S. 50, es modern formuliert, "eine vertragsfordernde Austauschlage" vor. Zur Gesamtproblematik vgl. meine Internationale Konzession, S. 94 f. und 120 ff. 35 So das Instrument des Dänenkönigs Waldemar II. vom 12. Juni 1220, in welchem er gegenüber den Lübecker Kaufleuten auf das Strandrecht verzichtet. Concessions, Bd. I, S. 407; jenes des Fürstes Winceslaus I. von Rügen vom 14. September 1224, in welchem denselben Kaufleuten zahlreiche Privilegien, darunter das Recht auf Schadenersatz für gestohlene Waren auch bei Nichtergreifung des Diebes, eingeräumt werden. lbid., S. 457; im weiteren die Konzession des Herzogs Birger von Schweden vom 20. Juli 1261 an die Hamburger Kaufleute. lbid., Bd. II, S. 233; jene des Grafen Guido von Flandern vom 26. August 1280 an die spanischen und deutschen Kaufleute. Ibid., S. 413; jene des norwegischen Königs Erik vom 31. Juli 1296 an die Hamburger Kaufleute. lbid., S. 483; jene des französischen Königs Philipp IV. vom 11. Juli 1298 an die Lübecker Kaufleute, die u. a. diesen die Meistbegünstigung gegenüber anderen ausländischen Kaufleuten und Schutz auch im Falle eines Krieges mit dem Reich gewährt. lbid., S. 505; jene des Grafen Johann II. vom Hennegau, Holland und Seeland vom 7. Juli 1303 an dieselben Kaufleute, die diesen u. a. freies Geleit (vrie geleyde) und Schutz auf der Straße nach Vlaardingen einräumt. Ibid., Bd. III, S. 27; die umfang31

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alterliehe Souverän bereit war, solche weitestgehenden Privilegien einer ausländischen Unternehmungsorganisation zu gewähren und damit das völkerrechtliche Fremdenrecht in einem Wirtschaftsraum, der sich von den russischen Fürstentümern über die skandinavischen Staaten, Holland, Flandern, Frankreich bis England erstreckte, auf eine völlig neue Grundlage zu stellen. Eine Antwort darauf gibt vielleicht die Präambel zum Privileg des norwegischen Königs Erik vom 31. Juli 1296 an die Hamburger Bürger, d. h. Kaufleute: "Ericus Dei gracia rex Norvegiae etc. Cum burgenses de Harnburg ad eorum regnum nostrum actenus frequentare consueverint et incolas nostros in districtibus eorum dicti burgenses de Harnburg promoverint in eorum negociis et agendis, volumus obinde facere graciam specialem, videlicet quot dicti burgenses exempti sint a ... " (Hervorhebung von mir)ss. meliorandam terram nostram cum mercaturis

Entscheidendes Motiv für die Sonderstellung der hanseatischen Kaufleute ist somit in diesem Fall die - in moderner Terminologie - wirtschaftliche Entwicklung des Gastlandes, der Vorteil des Handels für Souverän und Untertanen: für ersteren, wie es später in einer Urkunde Kaiser Karl V. auch ausdrücklich gesagt wurde37 , durch die Erhöhung der Einnahmen durch Steuern und andere Abgaben, von welchen keine Befreiung ausgesprochen wurde; für letztere durch die Versorgung von Konsum- und anderen Gütern, die sonst nicht erhältlich wären. Ein zweites hier deutlich werdendes Motiv liegt im Element der Reziprozität38, da eben auch die norwegischen Kaufleute in Harnburg gefördert werden. Dieser positive Effekt der Tätigkeit solcher Unternehmen ist auch für das TNU der heutigen Weltwirtschaft anerkannt39• Die Gemeinsamkeiten der Hanse und heutiger TNU liegen somit zunächst darin, daß, wie Reibstein es richtig formuliert hatte 40, die Hanse "keine Ländergrenzen" kannte, also wie moderne TNU über nationale Grenzen hinweg operierte. Nicht der einzelne Kaufmann trat jedoch reiche Konzession des Grafen Robert III. von Flandern vom 1. Dezember 1307 an die Kaufleute des Römischen Reiches (Romani imperii mercatores), die u. a. die subsidiäre Geltung flandrischen Rechts gegenüber den Bestimmungen dieses Instruments enthält (Art. 15). Ibid., S. 63. Zahlreiche weitere Privilegien an die hanseatischen Kaufleute sind abgedruckt in den Bänden III, IV und V einer "International Concessions". 38 Abgedruckt in meinen Concessions, Bd. II, S. 483. 37 Dazu unten S. 124 ff. 38 Dazu grundlegend Bruno Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge, Duncker & Humblot, Berlin 1972. 39 Wie die umfangreiche nationale Gesetzgebung zur Förderung von Auslandsinvestitionen beweist. Dazu vgl. die ausführliche Zusammenstellung in "National Legislation and Regulations Relating to Transnational Corporations", New York 1978, UN. DOC. ST/CTC/6 des Centre on Transnational Corpora tions. 40 Völkerrecht, S. 50.

bas transnationaie Unternehmen in der Völkerrechtsgeschichte

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den fremden Staaten gegenüber4 1, sondern aufgrund der ungünstigen fremdenrechtliehen Situation des Mittelalters die "Genossenschaft im Sinne des mittelalterlichen deutschen Rechts" (Reibstein) 42 , dezentralisiert nach geographischen Gesichtspunkten, doch getragen vom Gedanken der standesgebundenen Zusammengehörigkeit; durch ihre in praktisch ganz Nordeuropa und Nordwestasien sich entfaltende Tätigkeit entwickelte die Hanse eine eigene interne Rechtsordnung, beruhend auf gesamthansischen Rechtsgrundsätzen, die durch eigene hanseatische Rechtsprechungsinstanzen, wie dem Justitiar des deutschen Hofes in Nowgorod, vollzogen wurde43 . Gegenüber fremden Staaten besaßen die einzelnen hanseatischen Kaufleute, wie die eingangs untersuchten Urkunden ergeben haben, Vorrechte, wie sie den Gesandten der damaligen Zeit zugestanden sind. Die Hanse hatte keine untergeordneten Beziehungen zu den territorialstaatlichen Mächten des Reiches, von denen sie in ihrer besten Zeit "weder gehemmt noch gefördert" wurde44 . Sie stand vielmehr diesen unabhängig und gleichgeordnet gegenüber: diese Gleichordnung ergibt sich nicht nur aus den den Konzessionen, wie wir gesehen halben, entnommenen Indizien, sondern auch aus der Tatsache, daß Konzessionsverletz.ungen, etwa Verweigerung des Schutzes an einen hanseatischen Kaufmann, Sanktionen seitens der Organisation nach sich zogen45 . So verhängte die Hanse sehr häufig Handels- und Verkehrssperren gegen Territorialstaaten, um diese zur Rücknahme eines rechtswidrigen Aktes und/oder Wiedergutmachung eines durch einen ihrer Angehörigen erlittenen Schadens zu zwingen46 • Dadurch schließlich, daß die Hanse Zweigniederlassungen (Kontore) in allen Staaten, auf deren Gebiet sie ihre Tätigkeit entfaltete, errichtete, erfüllt sie ebenfalls das für TNU von der OVN geforderte Definitionsmerkmal47 und kann daher sehr wohl als Vorläuferio und besondere durch die mittelalterlichen Verhältnisse bedingte Ausprägung solcher Unternehmungen angesehen werden. Neben dem Kaufmannsbund der Hanse, die für Jahrhunderte einen einheitlichen Wirtschaftsraum im Norden Europas schaffte und damit der bedeutsamste Vorläufer transnationalen Unternehmertums des 41 Aus den Urkunden kommt das in den Formulierungen "Kaufleute aus Köln, "Bürger von Hamburg", "Kaufleute des Reiches" etc. zum Ausdruck. Vgl. oben S. 110 ff. 42 Völkerrecht, S. 45. 43 Reibstein, op. cit., S. 50. 44

Ibid., S. 52.

Wiederholt wurden etwa Handelssperren gegen Rußland verhängt. Reibstein, op. cit., S. 69. 46 Vgl. etwa den Fall des Greifswalder Kaufmanns Gerhard Robenoghe, über den Reibstein, op. cit., S. 69, berichtet. 47 Oben S. 108 ff. 45

23 Festschrift für Stephan verosta

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Mittelalters wurde, entwickelte sich gleichzeitig im Süden Europas eine rege Handelstätigkeit, deren Hauptträger die Kaufleute Venedigs48 und Genuas waren. Auch in diesem das Mittelmeer umfassenden Wirtschaftsraum entfaltete sich die Tätigkeit dieser Kaufleute nicht im rechtsleeren Raum, sondern wurde zunächst durch einseitig erteilte Konzessionen, sodann durch Verträge geregelt: Im März des Jahres 991 49 gewährten die oströmischen Kaiser Basilius und Constantinus in einer Chrysobulle den Kaufleuten von Venedig das Recht, in allen Häfen Byzanz' unbeschränkt Handel zu treiben, wobei sie für jedes Schiff lediglich eine Abgabe von zwei Solidi zu entrichten hätten; sie, sowie deren Schiffe werden von der allgemeinen Jurisdiktion von Byzanz ausgenommen und unter die Sonderkompetenz einer hohen Behörde, dem Logotheta de domo gestellt. Im Mai 1082 bestätigte Kaiser Alexius I. diese Privilegien und gewährte den Venezianern volle Handelsfreiheit im ganzen Reich und Freiheit von allen Abgaben50• Ihre konzessionären Rechte besitzen Vorrang vor allen anderen Rechten, "sei es kirchliche, private oder öffentliche". Damit wird den fremden Kaufleuten ein Sonderstatus in der innerstaatlichen Rechtsordnung eingeräumt. Als Motiv für solche weitgehenden Privilegien führt die Urkunde an, daß die Venezianer durch ihre Flotte dem oströmischen Reich tapfer gedient hätten und daher belohnt werden müßten51 • Im März 1148 bestätigt Kaiser Emanuelis die Konzessionen seiner Vorgänger an die Venezianer52 und gewährt den Kaufleuten einen Handelsdistrikt, d. h. ein genau umgrenztes Gebiet der Stadt Konstantinopel für venezianische Handelshäuser und Wohnungen für die inzwischen etablierte Kolonie der Kaufleute. Ähnliche Rechte wurden diesen Kaufleuten auch von anderen Mächten des Mittelmeerraumes eingeräumt53• Was die Kaufleute Genuas betrifft, so erstreckte sich ihre Handelstätigkeit primär auf die Kreuzfahrerstaaten Antiochien, das Königreich Jerusalem und Tripolis, aber auch ihnen wurde von Ostrom das Recht zur Errichtung einer Enklave (embolum) zur Durchführung ihrer Han48 Von William Shakespeare in seinem "Kaufmann von Venedig" verewigt. 49 Abgedruckt in meinen Concessions, Bd. I, S. 17.

50

51

Ibid., S. 41.

Ibid., S. 39.

Ibid., S. 43. ;a So von Antiochien im Mai 1153. Ibid., S. 143; von Sizilien im September 1175. Ibid., S. 227; vom Herrn von Beiruth im Dezember 1221. Ibid., S. 437; vgl. auch das umfangreiche Abkommen vom 14. November 1238 zwischen dem Sultan Melecheladen von Ägypten und den Venezianern. Ibid., Bd. II, S. 83. 52

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delstätigkeit gewährt54 • Im Verhältnis zu den Kreuzfahrerstaaten war für die Erteilung von Handelsprivilegien ebenfalls ihre militärische Hilfe ausschlaggebend. Neben früheren Privilegien55 , auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, ist das Instrument des Fürsten Bohemund II. (dem Großen) von Antiochien vom Dezember 1127 von Bedeutung56 , durch welches den genuesischen Kaufleuten die Verwaltung von Häfen, wie Porto Sudino und Laodicea, sowie weitgehende Handelsprivilegien in "allen jenen Städten und Gebieten, die der Fürst mit Hilfe der Genueser in Zukunft erobern sollte" eingeräumt wurden. Wie im Falle der Hanse 57 , war auch im Süden Europas das mittelalterliche transnationale Unternehmertum in seiner auswärtigen Wirtschaftstätigkeit bewaffnet, wobei in den letztgenannten Fällen die Waffen nicht nur zu defensiven, sondern auch zu offensiven Zwecken eingesetzt wurden. Weitere Phänomene der Völkerrechtsgeschichte des Mittelalters, die mit modernen TNU durchaus vergleichbar wären, sind schließlich die geistlichen Ritterorden, die neben ihren karitativen, spirituellen und militärischen Aufgaben auch eine rege wirtschaftliche Tätigkeit entfalteten. Aus dem in Akkon am 3. Oktober 1233 zwischen der Stadt Marseille einerseits und den Ritterorden der Templer und der Johanniter andererseits geschlossenen Abkommen58 geht beispielsweise hervor, daß die Johanniter eine Handelsflotte besaßen, die unter Beteiligung der Templer den Transport von Pilgern und Kaufleuten von Frankreich in das Heilige Land besorgte. Der Templerorden kontrollierte gegen Ende des 13. Jahrhunderts das gesamte Geld- und Kreditwesen Frankreichs. Sein Reichtum und seine Macht erregten Neid und Mißgunst und führten schließlich zu seiner Auflösung durch die Bulle Papst Clemens V. "Vox in excelso" vom 22. März 1312 59 • Durch die Bulle "Ad providam" 60 vom 2. Mai 1312 wurde das Vermögen des Templerordens auf den Johanniterorden übertragen, was vielleicht den ersten bedeutDurch das Instrument vom 10. April (Mai?) 1170.Ibid., Bd. I, S. 193. Vgl. die Urkunden vom 14. Juli 1098, ibid., Bd. I, S. 51 und vom 22. November 1101. Ibid., S. 59. 54

55

56

lbid.,

s. 81.

Im Gotischen und Althochdeutschen bedeutet hansa die Schar von bewaffneten Männern. Dazu im weiteren Reibstein, Völkerrecht, S. 46 und S. 47, Fußnote 26. 58 Concessions, Bd. II, S. 36; in deutscher Übersetzung abgedruckt bei Adam Wienand (Herausgeber), Der Johanniter-Orden I Der Malteser Orden. Der ritterliche Orden des hl. Johannes vom Spital zu Jerusalem. Seine Aufgaben, seine Geschichte, Köln 1970, S. 592. 59 Concessions, Bd. 11, S. 115. Eingehend dazu Prutz, Die geistlichen Ritterorden. Ihre Stellung zur kirchlichen, politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung des Mittelalters, Berlin 1908, S. 366 ff. so Concessions, Bd. II, S. 131. 57

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samen Fall einer Enteignung eines TNU in der Völkerrechtsgeschichte darstellt.

111. Die europäische Neuzeit In seiner "Geschichte des Völkerrechts" betont der Jubilar den "Aufbruch und die Entfaltung des Individuums im Abendland seit dem 15. Jahrhundert" 61 • Wiewohl diese Aussage vor fast zwei Dekaden gemacht wurde, als die Problematik der TNU in den internationalen Beziehungen praktisch unerkannt und daher unerforscht war, hat sie vielleicht ungewollt für die gegenständliche Untersuchung besondere Bedeutung. Wie in der gebotenen Kürze gezeigt werden konnte, war im Mittelalter nicht sosehr das individuelle Unternehmen, der Kaufmann, als internationaler Akteur identifizierbar, sondern die Organisation, sei es der Hanse, der Venezianischen oder Genuesischen Kaufleute, oder auch der Ordensgemeinschaft, spielte als wirtschaftliche und politische Macht die entscheidende Rolle. Mit dem Anbruch der Neuzeit änderte sich jedoch dieses Bild schlagartig: einzelne Unternehmen traten auf den Plan, deren wirtschaftliche Macht und politischer Einfluß mit dem der größten TNU der Gegenwart62 durchaus verglichen werden können. Neben anderen Augsburger Großunternehmen, wie der Paumgartner63 oder Höchstetter, waren es vor allem die Weltunternehmen der Fugger und der W elser, sowie später das Postunternehmen Thurn und Taxis, dessen Sitz im Laufe der Geschichte von Brüssel nach Frankfurt und schließlich nach Regensburg verlegt wurde. Diese drei TNU der Geschichte sollen in diesem Teil dieser Untersuchung eine nähere rechtliche Betrachtung erfahren. 1. Das transnationale Fugger-Unternehmen

Die ältesten Fugger erscheinen Ende des 14. Jahrhunderts als angesehene Webermeister in Augsburg. Jakob I. (gest. 1469) begründet die Fugger'sche Handelsgesellschaft; dessen Sohn Jakob II. (der Reiche) 64

In: Altred Verdross, Völkerrecht, Wien 1964, S. 63. Die fünf größten (in Rangfolge ihres Jahresumsatzes 1977) Konzerne der Welt sind die General Motors (54,96 Milliarden US Dollars), die Exxon Corporation (54,13), die Shell Group of Companies (39), die Ford Motor Company (37,84) und die Mobil Oil (32). Quelle: Der Fischer Welt-Almanach '79, S. 639. 83 Dazu Karl Otto Müller, Quellen zur Handelsgeschichte der Paumgartner von Augsburg (1480 - 1570), Wiesbaden 1955. 84 Dazu Max Jansen, Jakob Fugger der Reiche. Studien und Quellen I., Leipzig 1910; Freiherr von Pölnitz, Jakob Fugger. Kaiser, Kirche und Kapital in der oberdeutschen Renaissance, Bd. I, Tübingen 1949; Bd. II, Quellen und Erläuterungen, Tübingen 1951. 81

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ist der eigentliche Begründer des "Internationalismus" des Unternehmens, indem er durch gigantische Auslandsinvestitionen ebensolche Gewinne erzielte, die das Unternehmen zu einem Weltunternehmen, das kurze Zeit hindurch das Weltmonopol für den wichtigsten strategischen Rohstoff, nämlich Kupfer, besaß, werden ließ. Ehrenberg6 5 nennt das 16. Jahrhundert zurecht "Le siecle des Fugger". Jakob Fugger begnügte sich dabei nicht mit dem auswärtigen Handel, sondern verlegte sich auf den wegen seiner hohen Kapitalintensität risikoreichsten Industriebereich des Bergbaus66 , wobei die (damaligen) Schätze der Tiroler Bergwelt den entscheidenden Ansatz für seinen späteren Reichtum boten. Die Fuggersche Produktion, Vermarktung und Export der Tiroler "Silber und Kupfer" erfolgte jedoch keineswegs im rechtsleeren Raum, sondern ist in hunderten Metallverträgen mit den Landesherren Sigismund, Maximilian I., Ferdinand I und Karl V. detailliert geregelt; diese Verträge sind in den Copialbüchern des Tiroler LandesArchivs in Innsbruck für die Nachwelt erhalten geblieben und werden - zum Großteil als Erstpublikation - in meinen "International Concessions" samt wissenschaftlichem Kommentar veröffentlicht. Wenn auch in der sich weiterentwickelnden Vertragspraxis Verfeinerungen, wie die Verwendung von vis major-Klauseln67, Kiauseln zur Lösung des Konfliktes zwischen Vertrag und anderen Verträgen88 • 69 65 Richard Ehrenberg, Le siecle des Fugger, Paris 1957. Nicht zugestimmt kann jedoch Günter Ogger, Kauf dir einen Kaiser. Die Geschichte der Fugger, München 1978, S. 169 werden, wenn er meint, das Fuggerunternehmen sei der "erste multinationale Konzern der Weltgeschichte". Abgesehen von den untersuchten Erscheinungsformen im Mittelalter war das Unternehmen sicher das größte, aber nicht das einzige und erste seiner Zeit. 8 8 So schreibt im Jahre 1541 Jakob Fuggers Neffe Anton an seinen Faktor (Repräsentant, Leiter der Zweigniederlassung) in Schwaz in Tirol: "Kain hanndlung zerget ee als perkhwerch; verderben alwegen 10, ee ainer reich wird." Fugger-Archiv Dillingen, F. A. 2, 4, 2. 87 So etwa typisch für spätere Verträge Absatz 3 des Abkommens zwischen Kaiser Maximilian I. und Jakob Fugger: "Ob sich aber durch Abfall des Perckwerchs, kriegsleuff, oder in annder weg, das der allmechtig got verhuetten wolle, zutragen wurde, das die bemelten Fugger der obbestimbten Sybenundzwainzigtausentzwayhundert guldein auf obberurt Sannt Jorigen ... nicht Volligelich entricht unnd bezalt werden mochten, so sollen wir ... dieselben Fugger . . . in annder weg on lenngern verzug vergnuegen unnd bezalen ... " Abgedruckt in meinen Concessions, Band VIII, S. 64. Manchmal wird die unbestimmte Formulierung "in annder weg" durch den Hinweis auf die landesfürstlichen "Einkomen der Grafschafft Tirol, Rennten unnd gulten" näher präzisiert. So im Abkommen mit Erzherzog Ferdinand I. vom 18. August 1520. Ibid., S. 195. Über solche Klauseln in modernen Abkommen zwischen Staaten und TNU siehe George Delaume, Excuse for Non-Performance and Force Majeure in Economic Development Agreements, in: 10 Columbia Journal of Transnational Law (1971), S. 242 ff. 88 So etwa die Klausel des Vorrangs des gegenständlichen Vertrages gegenüber diesen widersprechenden (mit Ausnahme der Verträge Maximilians I., deren Auslaufen abgewartet werden muß), wie sie im Abkommen zwischen Ferdinand I. und den Fuggern vom 11. Juli 1526, Abs. 11 enthalten ist: "Ob

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etc., zu beobachten sind, so blieb die Grundstrukt ur der Tiroler Metallverträge doch im wesentlichen die gleiche. Der vor allem für die Kriegführung (gegen die Republik Venedig, die Türken etc.) bestehende hohe Finanzbedar f der genannten Herrscher wurde durch Anleihen in der Weise gedeckt, daß die Fugger bei Abschluß des Vertrages eine bestimmte Summe, zumeist in Bargeld, manchmal aber zum Teil auch in Waren (Uniformtüch er, etc.)1°, zur Verfügung stellten. Die Rückzahlung der Anleihe konnte nun entweder in bar mit Zinsen nach einem im Vertrag vereinbarten Tilgungsplan erfolgen, - was allerdings aufgrund des notorischen Geldmangels der Schuldner selten der Fall war -, oder der Gläubiger wurde auf den dem Landesherrn zustehenden "Wechsel" verwiesen. Dieser Wechsel ist die Differenz zwischen dem im Vertrag festgesetzten Preis für eine Gewichtsein heit Silber bzw. Kupfer und jenem (Vorzugs)pre is, den der Landesherr den Gewerken zahlte und die demgemäß einen Teil der landesherrlic hen Einnahmen darstellte. Der Gläubiger trat nun bis zur Tilgung der Anleihe in die Stellung des Landesherrn und übernahm durch seinen Faktor (Leiter der Zweignieder lassung) in Tirol für diese Zeit das Siiber bzw. Kupfer. Ein Beispiel soll dieses System anschaulich machen: der festgesetzte Preis für eine Mark71 Silber betrug lange Zeit hindurch acht Reinische Gulden, der Landesherr bekam die Mark Silber von den Gewerken aber um fünf Gulden. Wurden die Fugger bei einer Anleihe von beispielsweis e 3000 Gulden 72 auf den gesamten "Wechsel" (=drei Gulden) verwiesen, so lösten sie 1000 Mark Silber um fünf Mark ein, d. h. sie übernahmen das Silber solange, bis eben diese Menge in Schwaz produziert werden konnte. In der Regel konnten sich die Fugger jedoch nicht den gesamten Wechsel, sondern nur einen Teil, zumeist einen Gulden, "einbehalten " (innebehalten ), der übrige Teil auch aus ainichem ubersehen unnd vergessenhait diz vertrags ainicherlay vertrag oder verschreibung en so wider disen der Fugger vertrag unnd verschreibung sein möchten ... So sollen doch dieselbn den ... Fuggern ... an diesem . . . vertrag . . . kainen nachtail, abbruch noch verhinndrung bringen ... " Concessions, Bd. IX unter dem Datum (in Vorbereitung) . Siehe auch das Abkommen vom 1. Juni 1520. Ibid., Bd. VIII, S. 149. 69 Bemerkenswe rt ist in diesem Zusammenha ng die Erklärung Kaiser Karl V. vom 26. Oktober 1525, in welcher der Vorrang der Fugger- und Höchstetter-Verträ ge gegenüber widerspreche ndem Reichsrecht normiert wurde. Ibid., Bd. IX unter dem Datum (in Vorbereitung) . 70 So etwa "Lindisch (Londoner) tuech, unnd annder wullin gewandt". Abkommen vom 13. Oktober 1518 zwischen Maximilian I. und den Fuggern. Ibid., Bd. VIII, S. 33. 71 276,89 Gramm. 72 Durch die fortschreitend e Inflation betrug 1521 der vertraglich festgesetzte Preis pro Mark 8 Gulden 27 Kreuzer (vgl. den Vertrag vom 8. März 1521. Ibid., Bd. VIII, S. 212) und 1526 bereits 9 Gulden (vgl. den Vertrag vom 11. Juli 1526, Bd. IX unter dem Datum).

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wurde an die Kammer entrichtet. In diesem Fall übernahmen die

Fugger demgemäß 3000 Mark, die Tilgungsfrist erstreckte sich dement-

sprechend. In allen Fällen konnte das Metall exportiert werden73 und brachte den Fuggern im Ausland, vor allem an der Metallbörse von Venedig dadurch, daß der Weltmarktpreis des Metalls über dem im Vertrag festgesetzten "Listenpreis" lag, gigantische Gewinne. Während einerseits die Fugger durch diese Anleihen einen beträchtlichen Beitrag zum Staatshaushalt lieferten - zeitweise betrugen ihre Zahlungen an die Tiroler Kammer mehr als 50 0/o der Einnahmen des Tiroler Regiments74 -wuchs andererseits ihre wirtschaftliche Macht und ihr politischer Einfluß. Seit dem Vertrag vom 30. Oktober 1515 mit Kaiser Maximilian I. ist praktisch die gesamte Tiroler Metallproduktion in ihren Händen75 . Sie übernehmen das Hüttenwerk von Rattenberg in Eigenregie76. Sie "finanzieren" die Wahl Karl V. zum römischen König deutscher Nation am 28. Juni 1519: in den Verträgen vom 4. Mai 1521 bestätigt Karl V. eine diesbezügliche Schuld in der Höhe von 400 000 Gulden und verspricht Rückzahlung aus den spanischen und tiroler Einkünften77 . Sie "finanzieren" 1526 die Wahl Erzherzog Ferdinand I. zum König von Böhmen und Ungarn. Im Vertrag vom 1. November 1530 zwischen Ferdinand I. und Hieronimus, Raimund und Anton Fugger bekennt ersterer, daß die Fugger "auf sein hochfleyssig und gnedigist ansynnen und begern Zuerlangung der Romischen Khunigclichen Cron . . . ain treffliche Summa gelts" aufgebracht und sie den drei Kurfürsten "als dem Cardinal und Erzbischof zu Mennz, Phalzgraf Ludwigen, und Marggraf Joachim von Branndenburg" bezahlt haben78 . 73 Diese Exportklausel ist wesentlicher Bestandteil der Metallverträge, wobei aber sich der Landesherr das Recht auf Einhebung von Ausfuhrzöllen und Straßenbenützungsabgaben vorbehält. Für viele Absatz 16 des Abkommens zwischen Maximilian I. und den Fuggern und Höchstettern vom 30. Oktober 1515: "Es sollen und mugen auch die Fugger unnd Hochsteter Ir vorbestimbt Annzal Silber unnd Kupher Irem willen unnd gefallen nach verlmuffen unnd verfuren, von unns ... unverhindert. Doch daz Sy die Fugger unnd Hochsteter die gewondlichen Zoll unnd Mewt von den vorgeschriben Kupher volligelich bezalen ... " Ibid., Bd. VII, S. 237. 74 So betrugen im Jahre 1517 die Gesamteinnahmen der Tiroler Kammer 233 055 Gulden, von denen die Fugger allein 120 200 Gulden leisteten. Jansen, Jakob Fugger, S. 130. 75 Vgl. oben Fußnote 73. 76 Nach Jansen, op. cit., S. 128, war "im November 1522 die Hütte bereits in den Händen Jakob Fuggers". Vgl. die Instrumente vom 4. Dezember 1522. Concessions, Bd. VIII, S. 429. 77 Ibid., S. 249. Die Gesamtkosten der Wahl beliefen sich nach der Fugger'schen Endabrechnung auf 851 918 Gulden, von denen die Fugger 543 585 Gulden aufbrachten. Nimmt man mit Ogger, op. cit., S. 16, den Reinischen Goldgulden mit einem heutigen Wert von DM 30,- oder öS 213,60 an, so kostete den Fuggern die Wahl Karl V. 16 307 550,- DM oder 116 109 756,- öS. 78 Ibid., Bd. X unter dem Datum (in Vorbereitung).

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Die Fugger'sche Tätigkeit in der Montanindustrie erstreckte sich jedoch nicht allein auf Tirol, sondern auch mit Ungarn und später mit Spanien79 wurden Bergbauabkommen geschlossen. In Ungarn trat das Unternehmen zunächst nicht allein, sondern gemeinsam mit dem Krakauer Unternehmen der Thurzos als Konzessionär der reichen slowakischen Kupferminen auf80• In diese Zeit fä'llt ein Fall, der vielleicht die erste internationale Investitionsstreitigkeit darstellt, die auf schiedsgerichtlichem Weg beigelegt wurde: der Fall der Stadt Biestritz gegen das Thurzo-Unternehmen. Durch Schiedsspruch des Königs Ludwig von Ungarn II. vom 4. Oktober 1519 wurde rechtlich dieser Streit beendet, dessen Anfänge wahrscheinlich bereits auf den Beginn der Thurzo I Fugger'schen bergbauliehen Tätigkeit in den sieben Bergstädten81 zurückzuführen ist. Hauptursache des Vorgehens der Stadt gegen das nun etablierte Großunternehmen war die Tatsache, daß die Mittel zum Lebensunterhalt für die von ihm nun abhängig gewordenen kleinen Gewerken und Arbeiter nicht auf dem Markte der Stadt besorgt, sondern teils von auswärts hergebracht, und teils, wie Bier, in eigenen Brauereien erzeugt wurde. Darüber hinaus eröffnete das Unternehmen in der Stadt selbst zwei Bierschenken, was ganz und gar - wie behauptet wurde - "contra consuetudinem et Jura predicte Civitatis Bistriciensis" sei82• Weiters hinderten Thurzo und seine Beamten die städtischen Untertanen an der Entrichtung der herrschaftlichen Abgaben an die Stadt83, wodurch dieser großer Schaden entstanden sei. Schließlich gewährte Thurzo Personen, die in der Stadt ein Verbrechen begangen haben und in der Folge in die außerhalb der Stadt gelegenen Bergbaubetriebe geflohen waren, Asyl und Immunität84 • Diesen Vorwürfen trat Alex Thurzo im Namen seiner Brüder Georg und Johann mit folgenden Argumenten entgegen: nach allgemein gültigem Bergrecht85 könne er seine Arbeiter entlohnen wo immer und 79 Dazu eingehend Hermann Ketlenbenz, Die Fuggersche Maestrazgopacht 1525 - 1542, Tübingen 1967. 80 Dazu Peter Fischer, Das internationale Bergrecht im Lichte historischer, gegenwärtiger und zukünftiger vertraglicher Rechtsgestaltung, in: 117 Zeitschrift für Bergrecht (März 1976), S. 78 ff. mit weiteren Hinweisen. 81 Jansen, op. cit., S. 161, findet erste Nachweise über eine gehässige Stimmung gegen das Fremdunternehmen bereits im Jahre 1501. 82 Concessions, Bd. VIII, S. 109. 83 " ••• ab aliquo autem iam annis, prefati Georgius, Alexius et Johannes Thurzo, eorumque Offitiales, predictos colones villarum presscriptarum, ab omni obedientia Civitati prestanda avertissent ... ". Ibid., S. 110. 84 " • • • malefactores retinerent, et per hoc licentia malefactorum, cum magna Civitatis oppressione, augeretur". Ibid., S. 111. 85 "Alexius Thurzo . . . viva voce respondit: ... Jure montium quod tarn in hoc Regno nostro quam in alijs omnibus Regnis exteris observatur, licuisse

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womit er wolle; nach demselben in allen Reichen gültigem Bergrecht könne er Rinder schlachten und Lebensmittel und Getränke für seine Leute einführen, woher er wolle86 ; wegen der Höhe der Preise und der weiten Entfernung zum städtischen Markt könnten die Arbeiter sich ihren Lebensunterhalt selbst besorgen87 ; es wäre "wahnsinnig und allem Bergrecht fremd", wolle man Dinge, die man um einen geringeren Preis in der Nähe haben kann, um einen höheren aus der Ferne besorgen; was die Weißbierausschank in der Stadt anlange, so besitze er in Biestritz ein Haus, für welches er wie jeder andere Bürger Abgaben leiste88 ; hinsichtlich der städtischen Untertanen machte Thurzo geltend, daß sie gleichzeitig auch Untertanen des Edelherrn Johann Ernst von Chaktornya seien und daher von den Abgaben befreit wären 89 ; hinsichtlich der Verbrecher stünde es der Stadt nicht zu, die Auslieferung zu begehren, denn er sei Herr der Grafschaft Neusohl und besitze daher die strafrechtliche Jurisdiktion ebenso wie ein Richter der Stadt90 • Nach Konsultation der Prälaten und Edlen des Reiches sowie seiner Räte gelangte der König zur Entscheidung, daß die Sache des Bergbauunternehmens "eine viel gerechtere sei als die der Stadt" 91 • Der überzeugendste Grund (potissima causa) hiefür ist, daß die Thurzos nicht allein im eigenen Interesse, sondern im Interesse aller Bergbauunternehmer unter hohem Kapitaleinsatz (cum larga facultatum suarum profusione) für des Reiches Nutzen handeln und Bergwerke betreiben, sowie jene bergrechtliehen Normen beobachten, die nicht nur in allen christlichen, sondern auch in den heidnischen Staaten gelten92 • Die Biestritzer verfolgen hingegen nur ihre eigenen Interessen und wollen die Rechte der Bergbauunternehmer beschränken. Der König stimmte fast in allen Punkten93 der Argumentation des Beklagten zu und wies demgemäß die Klage der Stadt ab. semper et licere sibi, suos laboratores solvere undecumque ... posset Ibid., S. 112. 86 " ••• Eodem Iure montium, facultatem se habuisse et habere mactandi boves et pecora ... ". Ibid., S. 112. 87 " ••• magnitudinem precij ... et distancia plusque duorum miliarum ... ". Ibid., S. 112. 88 " ••• essetque illud extreme dementie, et ab omni Jure presertim montium alienum, et quod prope minore precio habere posset, id a remotis cum maiore ductitaret ... ". Ibid. 80 Ibid., S. 113. 90 Ibid., S. 114. 91 " ••• Thurzonem causam multis ex causis, esse iustiorem ... ". Ibid., S. 114. 92 " ••• quod Thurzones ipsi, non tarn suam quam Montanistarum omnium causam agere, et non tarn pro sua quam pro publica tocius Regni utilitate et commodo montana ipsa, cum larga facultatum suarum profusione colere, et non tarn sua quam montium Jura, que in toto orbe non solum Christiano, sed etiam gentilij, amplissima semper extiterunt, tutarj ... ". Ibid., S. 115.

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Dieser Schiedsspruch ist nicht nur deshalb bemerkenswert, daß er das vielleicht früheste Beispiel einer internationalen Investitionsstreitigkeit, die auf diesem Wege eine Lösung fand, darstellt, sondern daß darin wohl erstmalig materiellrechtliche Aussagen über den Bestand eines universell geltenden Bergrechts gemacht wurden, in welchem die Prinzipien des Gemeinwohls und des öffentlichen Interesses im Mittelpunkt der juristischen Überlegungen standen. Er kann somit als Präzedenzfall für die Anwendbarkeit allgemeiner Rechtsgrundsätze zur rechtlichen Beilegung von Streitfällen zwischen Staaten und transnationalen Unternehmen angesehen werden. Mit der Kontrolle auch über die ungarische Kupferproduktion, die ab 1525 von den Fuggern allein betrieben wurde 94 , erlangte dieses Unternehmen eine Monopolstellung für diesen strategisch heute mit Erdöl vergleichbaren Rohstoff, was wiederum der am Kölner Reichstag 1512 beschlossenen "Monopolienordnung" widersprach. Die gegen die Fugger und andere Großunternehmer95 vom "kaiserlichen procurator fiscalgeneral" Kaspar Marth eingeleiteten "Anti-Trust-Verfahren" wurden von Kaiser Karl V. am 15. Sept. 152396 niedergeschlagen. Zwei Jahre später nahm dieser Monarch in einer allgemeinen Verfügung den Bergbau und die diesem zugrundeliegenden "keuf, auch contract" von dem Verbot der "monopolischen hendel" heraus. Diese bedeutsame Urkunde vom 13. Mai 1525, deren Original hier in Faksimile wiedergegeben ist97, begründet diesen Schritt, der vor allem dem Fugger-Unternehmen rechtlich eine besondere Stellung einräumte, wie folgt: "Dieweyl nu ... die bergwerck fur ein stuck die groszt gab und nuzbarkeit ist, so der almechtig teutschen landen mitgetailt hat, nit allain des grossen schatz halben, so daraus durch vil gold, silber, kupfer, zin, quecksilber, blei, eisen und ander mer meta! (welches sich dan ungeferlich und ehe mer dan minder ierlich auf zwaintzig mal hunderttausent guldin erstreckt) erbaut und gearbeit wirdet, sonder dass sich auch in teutschen landen etlich hundert tausent menschen, alt und jung, auch weib und kinder und sunst vil ir notturftige narung nit haben mochten, allain aus dem bauen, arbaiten und schmeltzen und darzu auch sunst durch verfuerung derselben meta! in vil ua Lediglich die Errichtung von Bierschenken in Biestritz wurde dem Unternehmen verboten. 9 ' Dazu F. Dobel, Der Fugger-Bergbau in Ungarn, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben und Neuburg IV (1897), S. 33 ff.; Jakob Strieder, Studien zur Geschichte kapitalistischer Organisationsformen, 2. Aufl. 1925, s. 10. us So im weiteren die Firmen Andreas Grander, Christoph Herwart, Ambrosius Höchstetter, Bartholomäus Weiser und Andreas General. 98 Abgedruckt in meinen Concessions, Bd. VIII, S. 471. 97 Mit freundlicher Genehmigung des Haus-, Hof- und Staatsarchives, Wien, Allgemeine Urkundenreihe 1525 05 13, hier wiedergegeben.

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Verfügung Kaiser Karls V. vom 13. Mai 1525 zur Ausnahme des Bergbaus und der damit verbundenen Verträge von der Anti-Monopolgesetzgebung des Reiches. Original, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien.

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Das transnationale Unternehmen in der Völkerrechtsgeschichte

363

land in einer gemein vil ander leut als der fuerman, wirt, burger, baur und gemein handtwerksman allenthalben auf den strassen, dem landt und in steten, daraus menigfaltigklichen erneren. Deszgleichen die fursten und herren ir einkomen an fronen und wexeln, zollen und meuten groszlieh meren, auch erhohen mer dan aus kainem ainigen handel oder gewerb in gantzer teutscher nation und dem hailigen romischen reich. Also dass die bergkwergk auch derselben erbauungen und wesentlich bestendige, auch guete underhaltungen zum hochsten durch alle weg und mittel, die zu solhem imer dienstlich zu befinden sein, gefurdert werden sollen98." Der große Ertrag der Montanindustrie (2 Mio. Rheinische Gulden pro Jahr), der "job-creating-Effekt" und die zusätzliche Einnahmsquelle für die Landesherren bestimmten den Kaiser im weiteren zur Erklärung, daß nur die Metallproduzenten auch den Transport und die Vermarktung, die "in ein oder wenig hendt am besten beschehen kan", übernehmen sollten99 • Die vertikale Integration eines Industriezweiges, wie sie etwa in diesem Jahrhundert in der Erdölindustrie zu finden ist, wurde somit durch kaiserlichen Befehl angeordnet! Wenn man abschließend die Frage nach der internationalen Stellung der Fugger stellt, so ergeben die der Analyse zugrunde liegenden Metallverträge primär zwar keine direkten Indizien für eine Internationalisierung des Rechtsverhältnisses100• Solche Klauseln waren aber aufgrund der wirtschaftlichen Macht dieses Unternehmens auch gar nicht notwendig: ein Finanzboykott seitens dieses Unternehmens hätte, z. B. in Anbetracht des Türkensturms vor Wien 1529, das Rad der Geschichte in eine andere Richtung gelenkt. Daß das Unternehmen über erfolgreiche Sanktionen gegen Staaten verfügte und sie auch in Anwendung brachte, zeigt die Enteignung der Fugger'schen Bergbauunternehmen in Ungarn 1525 durch König Ludwig 11., die im selben Jahr aufgrund des wirtschaftlichen und diplomatischen Druckes wieder rückgängig gemacht werden mußte101 • Die Fugger pachteten die slowakischen Kupferminen für weitere 15 Jahre102• Nimmt man das Wilhelm Wengler'sche Kriterium der Sanktionsmöglichkeit 103 als entscheidend für die Vöikerrechtssubjektivität einer international tätigen Einheit an, so erfüllte sicherlich dieses Unternehmen diese Voraussetzung. 98 99

Entnommen der gedruckten Fassung bei Strieder, op. cit., S. 376.

Ibid., S. 378.

Dazu allgemein Fischer, Die internationale Konzession, S. 438 ff. Jansen, op. cit., S. 179 ff.; PöZnitz, op. cit. Bd. I. 1°2 Durch Vertrag vom 19. Juli 1525, abgedruckt in Horvath MihaZy, Brüsseli okmanytar, Bd. I, S. 27, und Bd. IX meiner Concessions, unter dem Datum. toa In seiner Stellungnahme zum Georges van Hecke Bericht des Institut de Droit International "Les accords entre un :Etat et une personne privee etrangere" lehnt er für die Gegenwart die Ansiedlung solcher Verträge im Völkerrecht ab, gesteht aber zu, daß im Mittelalter durch die Möglichkeit der Aufbringung von Staatsschiffen durch Privatpersonen die Sache anders war. Rapport provisoire, S. 58. 3. Oktober 1975. 100

to.l

364

Peter Fischer 2. Das transnationale Welser-Unternehmen

Auch dieses Unternehmen war grenzüberschreitend u. a. im Bergbau Tirols tätig und schloß dem Fugger-Unternehmen ähnliche Verträge mit den Tiroler Landesherren104 • Seine international entscheidende Tätigkeit vollzog sich jedoch in Übersee: durch die Verträge seiner Vertreter Seiler und Ehinger mit Karl V. und dem Gouverneur der Provinz Santa Marta vom 22. März 105 bzw. 1. April 1528 106 wurde ihm die Verwaltung des (heutigen) Staates Venezu~la übertragen, die sie bis 1546 innehatten 107 • Als territorialer Konzessionär ist dieses Unternehmen somit Vorbild für die späteren Kolonialgesellschaften, wie der British East bzw. West India Company 108 oder der Dutch East lndia Company, auf die, wenngleich ebenfalls Vorläufer moderner TNU, hier nicht näher eingegangen werden kann109• 3. Das transnationale Postunternehmen Thurn und Taxis

Dieses Unternehmen ist vielleicht das bedeutendste der Völkerrechtsgeschichte: ungestört von der wechselhaften europäischen Geschichte entfaltete es seine Tätigkeit durch fast vier Jahrhunderte und unterhie'l t im Laufe dieser Zeit Vertragsbeziehungen mit mehr als 50 Staaten. Mehr als 1000 bi- und multilaterale Verträge, die zum Großteil noch im Regensburger Zentralarchiv erhalten geblieben sind und bis 1806 jüngst von Martin Dallmeier 110 regestenmäßig erfaßt wurden, sind im Laufe seiner transnationalen Tätigkeit mit Staaten abgeschlossen worden, ehees-wohl gegen Entschädigung- 1867 von Preußen enteignet wurdeut. Der Beginn des Taxis-Unternehmens fällt in jene Zeit, in der sich auch der Aufstieg der großen Augsburger Ges~llschaft vollzog, ist aber 104 So etwa die Abkommen vom 21. Dezember 1515 (Concessions, Bd. VII, S. 263), 21. Dezember 1517 (Ibid., S. 449) und 15. August 1524 (Ibid., Bd. IX unter dem Datum). 105 Abgedruckt in der "Colecci6n de documentos ineditos relativos al descubrimiento, conquista y organizaci6n de las antiguas posesiones espaiiolas de America y Oceanfa", Bd. XXII, Madrid 1874, S. 251 und in meinen Concessions, Bd. IX unter dem Datum. 106 Abgedruckt in Panhorst, Deutschland und Amerika, S. 197 und in meinen Concessions, Bd. IX unter dem Datum. 107 Dazu im weiteren eingehend Panhorst, op. cit., S. 133 ff. 108 Dazu Verzijl, International Law in Historical Perspective, Bd. II, S. 39 ff.; Fischer, Historie Aspects of International Concessions Agreements, in: Grotian Society Papers 1972, S. 255 f. 109 Dazu vgl. 110 Quellen zur Geschichte des europäischen Postwesens 1501 - 1806, Kalimünz 1977. 111 Dazu im weiteren unten S. 130 ff.

bas transnationaie Unternehmen in der VÖlkerrechtsgeschichte

365

dazu im Gegensatz primär von den politischen Ereignissen bestimmt 112 • Mit dem Tode Isabellas von Kastilien 1504 fällt das spanische Erbe an den Sohn Maximilians I., an Philipp I. (den Schönen), den Verwalter der burgundischen Lande. Die Vergrößerung seines Reiches erforderte die Errichtung eines geeigneten Nachrichtensystems zwischen seiner Residenz in Brüssel und Spanien und Innsbruck, dem Regierungssitz seines Vaters Maximilian I. Wegen der Unrentabilität früherer Versuche im Postwesen113 konnte und wollte der Staat die Errichtung eines solchen Nachrichtensystems nicht übernehmen und übertrug diese Aufgabe dem privaten Unternehmertum. Die Wahl fiel auf einen Sproß der Famifie Taxis 114 aus dem (damals) venezianischen Bergamo, die, wie berichtet wird 115 , das "Botenhandwerk" bereits im Mittelalter perfekt beherrschte. Francesco de Taxis stand bereits als Hauptpostmeister in Philipps Diensten. Rechtsgrundlage für die spätere praktisch europaweite Tätigkeit des Postunternehmens bildet der am 18. Jänner 1505 zwischen Philipp I. von Spanien und Francesco de Taxis in Brüssel abgeschlossenen Vertrag, in welchem sich letzterer zur Errichtung einer Nachrichtenverbindung zwischen den "Städten Brüssel, Mecheln oder anderen Orten unserer Niederlande" und jenem Ort, "wo mein sehr verehrter Herr und Vater der König in Deutschland sein wird" 116 ; ferner zu jenem Ort, wo sich der König von Frankreich aufhält, solange diplomatische Beziehungen zwischen beiden Höfen bestehen 117 ; und schließlich nach Spanien, "wo der König von Aragonien sein wird". Gleichzeitig wird im Vertrag die maximale Beförderungsdauer von Postsendungen zwischen Brüssel und den genannten Orten festgelegt 118 • Zur Errichtung und Erhaltung dieses Systems bekommt Taxis jährlich 12 000 Livres, 112 Dazu im weiteren Joseph Rübsam, Johann Baptista von Taxis. Ein Staatsmann und Militär unter Philipp III. 1530- 1610, Freiburg 1889; Ohmann, Die Anfänge des Postwesens und die Taxis, Leipzig 1909; Kalmus, Weltgeschichte der Post. Mit besonderer Berücksichtigung des deutschen Sprachgebiets, Wien 1937, S. 83 ff. 11s Kalmus, op. cit., S. 23 ff. 114 Nicht weniger als 14 verschiedene Versionen des Namens von Tassis, Tasso bis zu Targo - erscheinen in den von Rübsam, op. cit., S. 96, untersuchten Dokumenten. 11 5 Ohmann, op. cit., S. 45. 11& Concessions, Bd. VI, S. 55. 117

Ibid.

Die Strecke Brüssel- Innsbruck mußte im Sommer in 51/2, im Winter in 61/2 Tagen, jene nach Paris in 44 bzw. 54 Stunden, jene nach Lyon in 4 bzw. 5 Tagen, jene nach Granada in 15 bzw. 18 Tagen und jene nach Toledo in 12 bzw. 14 Tagen zurückgelegt werden. Ibid., S. 56. Die heutige Postbeförderung zeigt demgegenüber nur eine geringfügige zeitliche Verbesserung. Diese Bedingungen wurden in Abkommen vom 20. Dezember 1517 noch verschärft. Vgl. Fußnota 116. 118

366

Peter Fischer

haftet aber "mit Leib und Leben ... und seiner Habe" für dessen ordnungsgemäßes Funktionieren. Von dieser Summe ist sein Beamtenapparat zu bezahlen, über den er im weiteren Vertrag von 1516 119 volle - auch strafgerichtliche - Jurisdiktion erhält. Die Bestimmungen dieses Vertrages sollen Vorrang gegenüber allen anderen "Anordnungen, Vorbehalte, Befehle oder Verbote" des Königs besitzen 120 • Die Abkommen von 1516 121, 1517 122 und 1520 123 dehnen das Taxis'sche Postnetz nach Rom und Neapel aus 124 , stärken dessen Unabhängigkeit von der übrigen staatlichen Verwaltung 125 und geben dieser nunmehr fast ganz Mittel- und Westeuropa umspannenden Organisation das NachrichtenmonopoP 26 • Vor allem durch die Beförderung auch der Privatpost bewies das Unternehmen, daß, im Gegensatz zu allen bisherigen Versuchen, ein solcher Dienstleistungsbetrieb sehr wohi - und zwar beträchtliche - Gewinne abwerfen konnte: Taxis wurde zum "Erfinder des Postwesens" 127 • Durch zahlreiche kaiserliche Akte der Folgezeit wurde das Unternehmen in seinen Rechten bestätigtl 28 und gegenüber fremden Staaten geschützt. Was die internationale Stellung des Hauses Thurn und Taxis, wie das Unternehmen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts durch das Hinzukom119 Dieses Revisionsabkommen wurde zwischen dem nunmehrigen spanischen König Karl I. (später Kaiser Karl V.) einerseits und Franz von Taxis und seinem Neffen Baptista andererseits am 12. November 1516 abgeschlossen. Abgedruckt in: Concessions, Bd. VII, S. 342. Art. XII (nach der Vertragswiedergabe von Rübsam) gibt den Unternehmern das Recht, die Beamten "mit Verweis und Strafe zu belegen". Ibid., S. 348. 12o Ibid., Bd. VI, S. 61. 121 Vgl. Fußnote (119). 122 Abkommen zwischen Karl I. von Spanien und Baptista und Maffeo von Taxis vom 20.Dezember 1517. Ibid., Bd. VII, S. 437. Dieses Abkommen verschärft die Beförderungsbedingungen für die Dauer des Postlaufes (vgl. oben Fußnote 118). So muß im Sommer die Strecke Brüssel- Paris in 36, im Winter in 40 Stunden, jene nach Blois in 50 bzw. 60 Stunden, jene nach Lyon in 31/2 bzw. 4 Tagen, jene von Burgos nach Brüssel in 7 bzw. 8 Tagen, von Brüssel nach Innsbruck in 5 bzw. 6 Tagen zurückgelegt werden. 123 Abkommen zwischen Kaiser Karl V. (Karl I. von Spanien) und Johann Baptista von Taxis vom 14. Juni 1520. Ibid., Bd. VIII, S. 157 ff. 124 Ibid., Bd. VII, S. 348. 12s Fischer, Historie Aspects, S. 239 ff. 126 Art. XIII des Abkommens vom 12. November 1516: "Item wird ebenjener König und Herr durch alle seine Königreiche, Länder und Herrschaften hin das Verbot ergehen lassen, daß niemand, wer es auch sein möge, Postpferde halten, noch Postdienst betreiben darf, ohne Wissen und förmliche Erlaubnis der genannten Postmeister ..." Ibid., S. 348. 127 Max Piendl, Thurn und Taxis 1517 - 1867. Zur Geschichte des fürstlichen Hauses und der Thurn und Taxis'schen Post, in: Archiv für Deutsche Postgeschichte (1967), Heft 1, S. 87. 128 Fischer, Historie Aspects, S. 244 und die dortselbst gegebenen weiteren literarischen Hinweise.

Das transnationale Unternehmen in der Völkerrechtsgeschichte

36'7

men der italienischen Linie der Torre (deutsch: Thurn) hieß, betrifft, so hatte im Verhältnis zu Kaiser und Reich der Konzernherr das Amt des Reichspostgeneralats als Reichslehen inne. 'Zwar war dieses Amt, wie etwa der Reichshofrat oder das Reichskammergericht, ein Organ des Reiches, doch unterschied es sich im Zuge seiner internationalen Tätigkeit von diesen dadurch, daß das Postunternehmen einen zunehmend autonomen Status erwarb. So unterhielt der "Postfürst" einen ständigen Gesandten am Wiener Hof. 1748 wurde ihm die Vertretung von Reichsangelegenheiten am "Ewigen" Reichstag zur Regensburg übertragen129 • Dieser Prozeß der Ablösung des Unternehmens von der Organisationsstruktur des Reiches scheint von den Kaisern, die selbst gegen die zentrifugalen Kräfte der Landesherrn im Reich zu kämpfen hatten und daher lediglich bemüht waren, das "Postregal" überhaupt als Reichslehen zu erhalten130 , stillschweigend geduldet worden zu sein. Diese Bemühungen beschränkten sich auf den Schutz des Unternehmens durch das Verbot der Errichtung privater Postbetriebe in den einzelnen Mitgliedstaaten131 des Reichs132 • Die "intern" langsam deutlich werdende autonome Stellung des Unternehmens tritt auch im Außenverhältnis, d. h. im Verhältnis zu ausländischen Staaten, spätestens mit dem Ende des 17. Jahrhunderts voll hervor. Der Streitfall zwischen dem Kaiser und Brandenburg über die Taxis'schen Rechte zur Aufnahme eines Postdienstes im letztgenannten Staat zeigt das deutlich. Während am Anbeginn das Unternehmen übergangen und eine Regelung direkt mit dem Kaiser gesucht wurde, änderte sich die Haltung Brandenburgs gegen Ende des 17. Jahrhunderts und wurde mit dem Vertrag von Wesel vom 22. Mai 1722 vollständig aufgegeben133 • In diesem Vertrag zwischen König Friedrich Wilhelm I. von Preußen und Fürst Anselm Franz von Thurn und Taxis anerkannten beide Parteien ihre gegenseitigen Postsysteme, womit gleichzeitig das Unternehmen auf seinen Anspruch auf Errichtung eines eigenen Systems in Preußen zugunsten der preußischen Landespost verzichtete. Spätere Streitigkeiten wurden durch direkte Verhandlungen beigelegt 134 • Anerkannte zwar der "Postfürst" Preußens Recht auf eine Landespost in Preußen selbst, so galt das aber nicht für das von Preußen konop. cit., S. 89 ff. Vgl. die in Fußnote 114 meiner Historie Aspects, S. 246, angeführten kaiserlichen Patente. 129

Piendl,

130

131

lbid.,

s. 246.

Daß das "Heilige Römische Reich Deutscher Nation" ein staatenbundsähnliches Gebilde darstellt, hat der Jubilar immer wieder betont. Geschichte des Völkerrechts, op. cit., S. 64 ff. 133 Stephan, Geschichte der Preussischen Post, Berlin 1928, S. 168. 132

134

Ibid., S. 216 ff.

Peter Fischer trollierte Herzogtum Kleve. Nachdem Österreich im Siebenjährigen Krieg dieses Herzogtum besetzt hatte, vertrieben die Taxis'schen Postbeamten unter Anwendung von Gewalt die preußischen "Postler" und setzten sich in Besitz der dortselbst befindlichen Postämter. Völkerrechtlich interessant ist die Tatsache, daß die darauffolgende Protestnote Friedrich's des Großen nicht an die Kaiserin, sondern an Fürst Alexander Ferdinand von Taxis gerichtet wurde 135 , dem also völkerrechtlich die Verantwortlichkeit zugerechnet wurde. A.'ls Repressalie gegen diesen Akt besetzte Preußen seinerseits die Taxis'schen Postämter in Bamberg und bemächtigte sich der dort vorhandenen Gelder 136 • Für die internationale Stellung des Unternehmens ist im weiteren die umfangreiche - bereits erwähnte - Vertragspraxis charakteristisch, wobei diese Verträge vom Fürst- manchmal auch gegen den Willen des Kaisers 137 - ratifiziert wurden. Auch "ohne Herrschaft über Land und Leute" 138, nur aufgrund seiner Funktionen in der internationalen Gemeinschaft, wurde der Fürst 1754 vom Reichstag als Vollmitglied in den Reichsfürstenrat aufgenommen139 • Art. XVII der Deutschen Bundesakte 1815 schützt die Rechte des Unternehmens "bis zum Zeitpunkt frei vereinbarter neuer Verträge" 140 • Sollten bereits Taxis'sche Posten durch Landesposten ersetzt sein, so hat das Unternehmen Anspruch auf "gerechte" Entschädigung 14t. Der Schlußstrich unter seine internationale Rolle als Postunternehmen wurde durch den am 28. Jänner 1867 zwischen der Königlichen Preußischen Staatsregierung und dem Fürsten Maximilian Karl von Thurn und Taxis abgeschlossenen "Vertrag, betreffend die Übertragung des gesamten Fürstlich Thurn und Taxis'schen Postwesens auf den Preußischen Staat" 14 2 gesetzt. Gegen eine Globalentschädigung ssumme von "drei Millionen Thaiern Preussisch Courant" 143 geht das dem Unternehmen noch verbliebene "Postwesen" in 19 deutschen Staaten144 t3o 13 6

Ibid., S. 221 ff. Ibid., S. 222.

13 7 So der Vertrag von Rotbenburg mit Braunschweig-Lünebu rg vom 19. Mai 1668. Kalmus, op. cit., S. 277. ISS Randelzhofer, Völkerrechtliche Aspekte des Heiligen Römischen Reiches nach 1648, Berlin 1967, S. 252. 139 K. Ulrichs, Das Deutsche Postfürstentum, sonst reichsunmittelbar: jetzt bundesunmittelbar. Gemeinrechtliche Darstellung des öffentlichen Rechts der Fürsten Thurn und Taxis als Inhaber der gemeinen Deutschen Post, Giessen 1861, s. 88 ff. 14° Fischer, Historie Aspects, S. 248. 141 "une juste indemnite". Martens, Nouveau Recueil de Traites, Bd. II

(1887),

s. 377.

Das Staatsarchiv. Sammlung der oificiellen Actenstücke zur Geschichte der Gegenwart. Bd. 11, Harnburg 1866, S. 408. 143 Art. 15. Ibid., S. 412. 142

bas transnationale Unternehmen in der Völkerrechtsgeschichte

369

auf Preußen über, das auch in alle Postverträge der Fürstlichen Verwaltung mit deutschen und anderen Staaten eintritt 145 • Viel leichter als in den bisher untersuchten Fällen historischer TNU ist im Falle dieses Unternehmens die Frage nach der internationalen Stellung zu beantworten. Die hier gedrängt vorgebrachten Indizien, die ich an anderer Stelle näher behandelt habe 146, lassen das Unternehmen Thurn und Taxis in seiner späteren Phase als selbständige Handlungseinheit auf internationaler Ebene erkennen, als funktionales Völkerrechtssubjekt, das in dieser Hinsicht mit den späteren Internationalen Organisationen147 verglichen werden kann. In der Tat übernahm ja bekanntlich sieben Jahre nach der Enteignung der Weltpostverein die auf regionaler Ebene ausgeübten Funktionen des Privatunternehmens148 • Die Verträge des Unternehmens waren daher völkerrechtliche, und nicht, wie es 1872 Bluntschli in seinem berühmten "Modernen Völkerrecht der zivilisierten Staten als Rechtsbuch dargestellt" 149 verschämt nannte, "uneigentliche völkerrechtliche Verträge, weil nicht beiderseits durch Staten geschützt". Wie unrichtig schon damals seine Auffassung war, zeigt sich darin, daß er die Taxis'schen Verträge den Konkordaten zwischen Kirche und Staaten gleichsetzt, die, wie Köck überzeugend und endgültig nachweisen konnte 150 , seit jeher völkerrechtliche "im eigentlichen Sinn" waren.

IV. Zusammenfassung Die hier untersuchten historischen Fälle transnationalen Unternehmertums stellen nur die Spitze des Eisberges dar; der Großteil harrt noch seiner rechtshistorischen Erforscllung. Nichtsdestoweniger sollen aber diese Beispiele bereits zeigen, daß nicht, wie es der Positivismus des 19. Jahrhunderts annahm, der Staat einzig und allein der bestimmende Akteur in den internationalen Rechtsbeziehungen der Vergangenheit war. Gewiß der wichtigste, aber nicht der einzige. Im weiteren soll mit dieser Untersuchung die These, "TNU seien ein Produkt des Angeführt in Art. 1. Ibid., S. 408. Art. 5. Ibid., S. 410. ua Historie Aspects, S. 245 ff. 147 Dazu Karl Zemanek, Internationale Organisationen als Handlungseinheiten in der Völkerrechtsgemeinschaft, in: 7 Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht (1956), S. 335 ff. 148 Allerdings mit dem Unterschied, daß die letzte Entscheidung beim Territorialstaat liegt, während der "Postfürst" unmittelbare Anordnungen, die auch auf fremdem Staatsterritorium durchgeführt werden mußten, treffen konnte. uv Nördlingen 1872, S. 249. 150 Die völkerrechtliche Stellung des Heiligen Stuhls, Berlin 1975, S. 332 ff. 14 4

t45

24 Festschrift für Stephan verosta

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Peter Fischer

Kapitalismus des 19. Jahrhunderts", ein für alle Mal zurückgewiesen werden. Und schließlich soll mit dem nun hervorkommenden Rechtsmaterial die Wissenschaft zu neuen Forschungen über die Vorläufer eines Phänomens, das in der heutigen Weltwirtschaft eine solch' zentrale Rolle spielt, angeregt werden.

DIE ZOLLUNIONSAUSNAHME"' Von Endre Ustor Im Laufe der Kodifikationsbemühungen über die die Meistbegünstigungsklausel betreffenden Völkerrechtsnormen war und ist die Zollunionsausnahme1 eine umstrittene Frage, und zwar sowohl in der Völkerrechtskommission2 der Vereinten Nationen wie auch in der Sechsten Kommission der Generalversammlung der Vereinten Nationen3.

I. Die geschriebene Ausnahme In Handelsverträgen ist es des öfteren der Fall, daß die vertragschließenden Parteien das gegenseitige Einräumen der Meistbegünstigung durch die Zollunionsausnahme beschränken. Aus der Vertragsfreiheit der Staaten folgt, daß diese Formulierung der Ausnahme viele Varianten aufweist. Für den Zweck dieses Artikels wird es genügen, einige Typen der Ausnahme vorzustellen.

Viele bilaterale Handelsverträge bestimmen diese Ausnahme in einer sehr einfachen und allgemeinen Form: .,. . . die Bestimmungen des Artikels 2, d. h. die Meistbegünstigungsklausel, beziehen sich nicht auf die Begünstigungen, die aus einer Zollunion resultieren4."

* Aus dem Ungarischen übertragen von

Geza Herczegh und Peter Fischer. Wir lassen hier die sogenannte Freihandelszone deshalb außer acht, weil sich der der Völkerrechtskommission unterbreitete Vorschlag (siehe unten) auf die Zollunionsausnahme beschränkt, auch wenn die GATT-Regel (Art. XXIV) die Freihandelszonenausnahme im wesentlichen unter denselben Bedingungen ebenfalls umfaßt. Vgl. dazu die scharfe Kritik bei F. A. Haight, .,Customs Unions and Free Trade Areas under GATT, A Reappraisal", Journal of World Trade Law, 1972, S. 391. 2 Vgl. Ustors Sechsten Bericht über die Meistbegünstigungsklausel für die Völkerrechtskommission in: Yearbook of the International Law Commission, 1975, Bd. II, S. 9- 20; die darauffolgenden Beratungen der Kommission in: Yearbook, 1975, Bd. I, S. 154- 164, S. 184, den Siebenten Bericht in: Yearbook, 1976, Bd. II, Part one, S. 119; die Debatte, in: Yearbook, 1976, Bd. I, S. 114 -133; den Ersten Bericht von N. A. Uschnakov, in: A/CN. 4/309 Add. 1; die Berichte der Kommission von 1975, 1976 und 1978 an die Generalversammlung in: Yearbook, 1975, Bd. II, Yearbook, 1976, Bd. II, Part one und Yearbook, 1978, Bd. II, Part one. 3 Siehe den zusammenfassenden Bericht über die Diskussion in den Dokumenten A/31/370 und A/33/419. 1

24°

372

EndreUstor

"... die Bestimmungen des vorigen Absatzes berühren nicht ... die Begünstigungen, die aus einer solchen Zollunion resultieren, in welcher irgendeine vertragschließende Partei Mitglied ist5." "... die Bestimmungen des 2. und 3. Artikels berühren nicht die Vorteile und Erleichterungen, welche irgendeine Partei einem Staat oder einer Gruppe von Staaten aufgrund einer Zollunion gibt oder geben wird 8." Ein anderer Typus kommt seltener hervor, aber seine Formulierung ist sehr beachtenswert: "... die vorliegenden Bestimmungen haben keinen Einfluß auf die Vorteile, die irgendeine Partei ... aus einer Zollunion gibt, deren Mitglied sie wird, vorausgesetzt, daß sie die andere Partei von ihren Plänen unterrichtet und ihr eine angemessene Möglichkeit zu Konsultationen gibt7." Die dritte Erscheinung der Zollunionsausnahme ist kein Typus, sondern ein Einzelfall. Es handelt sich um Artikel XXIV des Allgemeine~ Zoll- und Handelsabkommens (GATT), die die Zollunionsausnahme sehr eingehend regelt und von detaillierten Bedingungen abhängig macht. Die Erörterung dieser atypischen Einzelausnahme ist dadurch begründet, daß 83 Staaten Mitglieder dieses Abkommens sind und daß weitere 22 Staaten das Abkommen tatsächlich anwenden; so wickeln sich fast 80 OJo des Welthandels nach den Regeln des GATT ab. Das Abkommen unter (Außerachtlassung von sein Wesen nicht berührenden Einzelheiten) bestimmt, was vom Standpunkt seiner Anwendung aus unter einer "Zollunion" zu verstehen ist. Nach Artikel XXIV des Abkommens bezieht sich die Zollunionsausnahme nur auf die Vorteile aus einer solchen Zollunion, in der: ". . . die Zölle und beschränkenden Handelsvorschriften . . . für annähernd den gesamten Handel oder wenigstens den gesamten Handel mit den aus den teilnehmenden Gebieten der Union stammenden Waren beseitigt werden kann, und " ... die Mitglieder der Zollunion ... im Handel mit nichtteilnehmenden Gebieten im wesentlichen dieselben Zölle und Handelsvorschriften anwenden 8 ." 4 Sowjetunion und Somalien, Handels- und Zahlungsabkommen, UNTS, Bd. 493, No. 7214. 5 Sowjetunion und Tanganyika, Handelsabkommen, UNTS, Bd. 493, No. 7215. 6 Volksrepublik Ungarn und Argentinien, Handelsabkommen, UNTS, 1969, No. 9561. 7 Japan und Pakistan, Freundschafts- und Handelsvertrag, UNTS, Bd. 423, No. 6093. Die Formel der Notwendigkeit von Konsultationen ist häufig in den Handelsverträgen der USA verankert, z. B. im Vertrag mit der BRD vom 29. Oktober 1954, UNTS, Bd. 273, Art. 14; zitiert von E. Sauvignon, La clause de la nation la plus favorisee, Grenoble, 1972, S. 239. 8 Art. XXIV, Absatz 8.

Die Zollunionsausnahme

373

Nach der programmartigen Bestimmung des Artikels XXIV " ... (soll der) Zweck von Zollunionen ... (sein), den Handel zwischen den teilnehmenden Gebieten zu erleichtern, nicht aber dem Handel anderer Vertragsparteien mit diesen Gebieten Schranken zu setzen9 ." In der Literatur wird diese Bestimmung so verstanden, daß die Zollunion einen handelsschaffenden (trade creating) und keinen handelsablenkenden (trade diverting) Charakter haben soll. Neben der Beschränkung des Wirkungskreises der Ausnahme durch die Definition der Zollunion wird das Abkommen auf der anderen Seite ausgedehnt, weil es für die Zollunionsausnahme auch eine zu einer Zollunion (das heißt zu einer dem Abkommen entsprechenden Zollunion) führende vorläufige Vereinbarung für zulässig erklärt; damit wird die Möglichkeit eines diesbezüglichen Rechtsstreites, der aus den traditionellen einfachen Formulierungen häufig entstand, vermieden unter der Bedingung, daß die vorläufige Vereinbarung einen Plan und ein Programm zur Bildung der betreffenden Zollunion innerhalb einer angemessenen Zeitspanne enthält1o. Eine weitere wesentliche Beschränkung besteht darin, daß sich die Zollunionsausnahme des GATT nur unter der Voraussetzung auf solche Zollunionen oder zu ihr führenden vorläufigen Vereinbarung bezieht, daß "... die bei der Bildung der Union oder beim Abschluß der vorläufigen Vereinbarung eingeführten Zölle und Handelsvorschriften für den Handel mit den an der Union oder Vereinbarung nicht teilnehmenden Vertragsparteien in ihrer Gesamtheit nicht höher oder einschränkender sind, als die allgemeine Belastung durch Zölle und Handelsvorschriften, die in den teilnehmenden Gebieten vor der Bildung der Union oder dem Abschluß der vorläufigen Vereinbarung bestand11 ." Das Abkommen schreibt noch zum Schluß vor, daß die Partei, die die Absicht hat, in eine Zollunion einzutreten oder eine vorläufige Vereinbarung zu schließen, die anderen Vertragsparteien benachrichtigen und ihrem Wunsch gemäß eingehend informieren muß; wenn diese vermuten, daß die zu schaffende Zollunion oder die vorläufige Vereinbarung irgendeiner Bestimmung des GATT widerspricht, sind sie berechtigt, diese Frage zu erörtern und entsprechende Vorschläge zu machen. Nur eine Zweidrittelmehrheit der Vertragsparteien kann solche Vorschläge annehmen, die zwar nicht vollständig dem Wortlaut der Bestimmungen des Artikels XXIV entsprechen, aber doch den Geist dieser Bestimmungen nicht verletzen 12. Absatz 4. Absatz 5. 11 Ebenda. 12 Absatz 10.

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Endre Ustor

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Das sind in der Tat sehr strenge Bedingungen. Keine einzige 'Zollunion, keine einzige vorläufige Vereinbarung, die den Mitgliedern des GATT, den Vertragsparteien unterbreitet wurde, entsprach allen vorgeschriebenen. Die Parteien haben im allgemeinen pragmatische Lösungen angenommen und von den Vorschriften kleinere oder größere Zugeständnisse gemacht. II. Die Frage der stillschweigenden Ausnahme (implied exception)

De lege lata: Der Verfasser dieser Zeilen hat keinen Zweifel darüber, daß im heutigen Stand des Völkerrechts eine Meistbegünstigungsklausel, die nicht durch eine Zollunionsausnahme beschränkt ist, den durch die Klausel berechtigten Staaten Meistbegünstigungsbehandlung einräumt, das heißt, daß diese prinzipiell auf jene Vorteile Anspruch haben, die der durch die Klausel Verpflichtete einem dritten Staat im Rahmen einer 'Zollunion anbietet. Diese These wird prima facie in positiver Weise durch die einfache grammatische Interpretierung der von einer Ausnahme nicht gebrochenen Klausel unterstütztt3- und in negativer Weise durch die sehr verbreitete Praxis der Staaten, welche die Zollunionsausnahme in den verschiedenen Formen in ihre Handelsverträge einfügen. Gegen diese einfachen Argumente mußte man klar beweisen, daß die stillschweigende Zollunionsausnahme in irgendwelcher Weise schon Bestandteil des heutigen Völkerrechts geworden ist. Dies ist aber bis jetzt noch niemandem gelungen. Im Gegenteil: Das Gewicht der Beweise zeigt uns, daß ohne einen ausdrücklichen Ausnahmsvorbehalt die Zollunions-Mitgliedschaft nicht den Staat von seiner Pflicht befreit, eine meistbegünstigte Behandlung anzubieten. Die Fälle in der Geschichte beweisen, daß in der Zwischenkriegszeit die mit dieser Frage zusammenhängenden Rechtsstreitigkeiten zugunsten derjeniger entschieden wurden, die auf ihre die Meistbegünstigungsbehandlung ohne Ausnahme zusichernden vertraglichen Rechte beharrten14 • 13 Zum Wesen der einem Drittstaat eingeräumten Meistbegünstigung gehört nämlich auch jene Begünstigung, die man einem Zollunionspartner gibt, wenn der Vertrag selbst davon keine Ausnahme macht. Es ist noch eindeutiger, wenn die Meistbegünstigungsklausel keine Zollunionsausnahme, aber eine andersartige Präferenz z. B. zu Gunsten der Nachbarstaaten im Falle des Grenzhandels enthält. In solchem Fall spricht auch die alte Regel der inclusio unius est exclusio alterius gegen die stillschweigende Ausnahme. 14 L. G. Jahnke, "The European Economic Community and the MostFavoured-Nation Clause", Canadian Yearbook of International Law, 1963,

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Die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) und Frankreich hatten die Möglichkeit, vor dem Völkerbund ihre Meinung zu dieser Frage zu äußern15 ; in ihren Erklärungen bestritten sie mit großem Nachdruck die These der stillschweigenden Ausnahme. In England beruhte derselbe, konsequent vertretene Standpunkt auf der Tradition des vorigen Jahrhunderts, auch wenn er gegen die eigenen Interessen vertreten wurde 18 • Auch die Sowjetunion befürwortete in Verfolg ihrer konsequenten Antidiskriminierungspolitik in der bezeichneten Zeitspanne eine derart breite Anwendung der Meistbegünstigung 17 • Auch nach dem zweiten Weltkrieg änderte sich die Auffassung oder die Praxis der Staaten nicht. Die mit einer Meistbegünstigungsklausel ausgestatteten Handelsverträge enthalten auch seither sehr häufig und zwar in ihrer überwiegenden Mehrheit - irgendeine Form der Zollunionsausnahme als Beweis dafür, daß die Staaten eine schriftliche Niederlegung weiterhin als notwendig erachten. Darüber hinaus rechnen die Zollunion bildenden Staaten damit, daß ihre gegenseitigen Pflichten mit ihren früheren Verträgen (und besonders mit jenen mit Meistbegünstigungsklausel) in Konflikt geraten könnten; deshalb ordnen sie vorzeitig Maßnahmen für die Lösung künftig entstehender Konflikte an. Es genügt in dieser Hinsicht, Art. 234 18 des Römer Vertrages vom 25. Jänner 1957 über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Art. 20 19 des Pariser Abkommens vom 18. April 1951 S. 252, sowie UstoT, Sechster Bericht, Yearbook of the ILC, 1975, Bd. II, S. 14, Abs. 36-37. 16 Yearbook of the ILC, 1975, vol. II, S. 14; par. 33- 35. 18 Report on the proposed South African Customs Union. Report by the Law Officers to the Colonial Office, March 14, 1889, McNaiT, The Law of Treaties, Oxford, 1961, pp. 284- 6, zitiert von Jahnke, op. cit., p. 254. 17 UstoT, Sechster Bericht, Yearbook, 1975, Vol. II, p. 15, par. 18. 18 Art. 234: "Die Rechte und Pflichten aus Übereinkünften, die vor Inkrafttreten dieses Vertrages zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten einerseits und einem oder mehreren dritten Ländern andererseits geschlossen wurden, werden durch diesen Vertrag nicht berührt. Soweit diese Übereinkünfte mit diesem Vertrag nicht vereinbar sind, wenden der oder die betreffenden Mitgliedstaaten alle geeigneten Mittel an, um die festgestellten Unvereinbarkeiten zu beheben. Erforderlichenfalls leisten die Mitgliedstaaten zu diesem Zweck einander Hilfe; sie nehmen gegebenenfalls eine gemeinsame Haltung ein. Bei Anwendund der in Abs. 1 bezeichneten Übereinkünfte tragen die Mitgliedstaaten dem Umstand Rechnung, daß die in diesem Vertrag von jedem Mitgliedstaat gewährten Vorteile Bestandteil der Errichtung der Gemeinschaft sind und daher in untrennbarem Zusammenhang stehen mit der Schaffung gemeinsamer Organe, der Übertragung von Zuständigkeiten auf diese und der Gewährung der gleichen Vorteile durch alle anderen Mitgliedstaaten."

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über die Übergangsbestimmungen in Bezug auf die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in Erinnerung zu rufen. Auch die Mehrheit der Literatur bestreitet, daß die stillschweigende Zollunionsausnahme Bestandteil des modernen Völkerrechts wäre20 • Es gibt aber Autoren, die eben das zu beweisen versuchen. Ihr Hauptargument besteht darin, daß die geschriebene Ausnahme von der zahlenmäßigen Mehrheit der Staaten durch ihre Beteiligung am Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) angenommen wurde; immerhin wickelt sich etwa 80 Ofo des Welthandels nach diesem Abkommen ab21 • Dieses Argument ist aber im Spiegel des Völkerrechts keineswegs überzeugend. Die Bestimmungen eines Vertrages können auch für dritte Länder durch Völkergewohnheitsrecht verpflichtend werden - wie Art. 38 des Wiener Übereinkommens über das Vertragsrecht bestätigt. Auch der Internationale Gerichtshof hat festgestellt, daß ein solcher Prozeß durchaus möglich sei und daß es von Zeit zu Zeit auch vorkommt: es ist eine der Methoden, durch welche neue völkergewohnheitsrechtliche Normen entstehen können22• 19

Abweichend von der Meistbegünstigungsklausel§ 20:

"1. Hinsichtlich der Länder, die in Anwendung des Art. 1 des Allgemeinen

Zoll- und Handelsabkommens im Genuß der Meistbegünstigungsklausel sind, haben die Mitgliedstaaten bei den an dem genannten Abkommen beteiligten Partnern gemeinsam Schritte zu unternehmen, um zu erreichen, daß der vorerwähnte Art. 1 auf die Vorschriften des Vertrages keine Anwendung findet. Zu diesem Zweck ist, soweit erforderlich, die Einberufung einer Sondertagung des GATT zu beantragen. 2. Soweit es sich um die Länder handelt, die zwar nicht Partner des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens sind, denen aber aufgrund zweiseitiger Abkommen die Meistbegünstigung eingeräumt ist, sind sogleich nach Unterzeichnung des Vertrages Verhandlungen einzuleiten. Wird die Zustimmung der beteiligten Länder nicht erreicht, so hat die Änderung oder Kündigung der Abkommen nach Maßgabe der in ihnen festgelegten Bedingungen zu erfolgen. Sollte ein Land den Mitgliedstaaten oder einem von ihnen seine Zustimmung verweigern, so verpflichten sich die übrigen Mitgliedstaaten zu wirksamer Unterstützung, die sich bis zur Kündigung der mit dem in Betracht kommenden Land geschlossenen Abkommen durch alle Mitgliedstaaten steigern kann." 20 Jahnke, op. cit., p. 254 et seq.; E. T. Usenko, in: Kurs mezhdunarodnogo prava; redigiert von F. I. Kozhevnikow und anderen, Bd. IV, Moskau, Nauka, 1968, p. 268 ; M. GiuZiano, Recueil des Cours 1968, II, Bd. 124, p. 601 f.; G. Schwarzenberger, British Yearbook of International Law, 1945, p . 109, Fußnote 5. 21 Sauvignon, op. cit., S. 241; D. Vignes, Recueil des Cours, 1970, Bd. II, s. 278. 22 Der Kontinentalsockel-Fall, 1969, Abs. 71, S. 41.

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Wenn wir beweisen wollen, daß Artikel XXIV des GATT Bestandteil des allgemeinen Völkergewohnheitsrechts geworden ist, müssen wir gemäß der Rechtsauffassung des IGH zeigen, daß die etwa 50 bis 60 Staaten, die de jure oder de facto nicht Mitglieder des GATT sind, dessen Normen und insbesondere die Regeln des Art. XXIV tatsächlich anwenden. Aber davon gibt es überhaupt keine Spur: Nichts tut dar, daß die Nicht-Mitgliedstaaten in Bezug auf die Anwendung der bestrittenen Anordnung "eine ständige und einheitliche Praxis" hätten und noch weniger kann man diese Praxis "als die allgemeine Anerkennung der in Frage stehenden Rechtsnorm oder Rechtspflicht" bezeichnen. Ganz im Gegenteil: auch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die in ihren schriftlichen Stellungnahmen und auch in der VI. Kommission der Generalversammlung konsequent den Standpunkt vertrat, daß die stillschweigende Ausnahme de lege lata Gewohnheitsrecht wäre - nach dem Beweis ihrer eigenen Praxis - in dieser Norm kein Vertrauen besitzt, und wo sie es nötig findet, bindet sie die Zollunionsausnahme in ihre Verträge sorgfältig ein. Von den vielen sich anbietenden Beispielen nehmen wir das zweite Assoziierungsabkommen von Yaounde, unterzeichnet am 20. Juli 1969, in welchem als vertragschließende Parteien einerseits die Mitgliedstaaten der EWG und der Rat der EWG, andererseits die assoziierten afrikanisch-malgassisehen Länder zu finden sind. Artikel 13 dieses Abkommens ermöglicht grundsätzlich jedem assoziierten Mitgliedstaat, daß er mit einem oder mit mehreren afrikanischen Drittstaaten eine Zollunion bildet "falls die Anwendung des Abkommens keine Änderung der die Herkunft der Waren betreffenden Bestimmungen bewirkt". Über einen solchen Schritt muß man den (aus allen Vertragsparteien bestehenden) Assoziationsrat verständigen. Auf Wunsch der Gemeinschaft soll man im Rat über den Schritt beraten. Falls diese Beratungen - so der 3. Absatz des Art. 13 - ergeben, daß die gegenüber den Zollunionspartnern übernommenen Verpflichtungen der assoziierten Staaten mit den Grundsätzen und Bestimmungen des Vertrages im Gegensatz stehen, kann der Assoziierungsrat, wenn er es für nötig erachtet, alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um das ungestörte Funktionieren der Assoziation zu gewährleisten. Er kann auch von ihm als nützlich erscheinende Empfehlungen erlassen. Nach den oben ausgeführten Überlegungen besteht meiner Meinung nach kein Zweifel, daß im heutigen Entwicklungsstand des Völkerrechts noch keine gewohnheitsrechtliche Norm entstanden ist, nach der die Zollunionsausnahme entweder in ihrer ausgedehnteren Form, oder in

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ihrer nach Art. XXIV des GATT beschränkten Form in jene Handelsverträge interpretierbar wäre, die diese Ausnahme expressis verbis nicht enthalten2a. Das Argument, die stillschweigende Zollunionsausnahme sei durch die vielen bilateralen Verträge, die sie enthalten, zum Gewohnheitsrecht geworden, ist ebenfalls unhaltbar. Auf diese Weise könnte man sagen, daß die in zahlreichen Handelsverträgen verankerte Meistbegünstigungsklausel die Meistbegünstigungsbehandlung gewohnheitsrechtlieh auch ohne die Klausel begründen. Aber so etwas zu unterstützen, hat noch niemand gewagt. De lege ferenda: Die Nichtexistenz de lege lata der Regel der stillschweigenden Ausnahme, beziehungsweise der Anerkennung seiner Nichtexistenz, wird indirekt auch durch jene Stimmen bewiesen, die in der Völkerrechtskommission und in der Sechsten Kommission der Generalversammlung die Ansicht vertraten, daß die Regel der stillschweigenden Ausnahme nicht als Kodifikation des Völkerrechts, sondern als Aspekt seiner fortschreitenden Entwicklung von der Völkerrechtsgemeinschaft angenommen werden sollte 24 • Diejenigen, die diesen Standpunkt einnahmen, berufen sich darauf, daß neben der Kodifikation bereits existierender Völkerrechtsnormen die Schaffung neuer Normen, das heißt: die Ver23 Auch die anderen wohlbekannten Argumente sind kein hinreichender Beweis dafür, daß die stillschweigende Ausnahme Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts wäre. So hat z. B. die Wirtschaftskommission des Völkerbundes in einem Bericht niedergelegt, daß " ... Zollunionen traditionell anerkannte Ausnahmen vom Meistbegünstigungsprinzip bilden". Aus dem Wortlaut geht aber klar hervor, daß der Bericht die traditionelle "vertragliche" (und nicht stillschweigende) Ausnahme vor Augen hat. Demzufolge enthält der darin vorgeschlagene Wortlaut zur Meistbegünstigungsklausel eine entsprechende Zollunionsausnahme. In einem Beschluß des Instituts de Droit International wurde im Jahre 1936 festgelegt, daß die Meistbegünstigungsklausel "kein Recht auf solche Behandlung gibt, die einer bereits bestehenden oder später errichteten Zollunion entspringt". Aber gegenüber damaligen Erklärungen und der Praxis einer ganzen Reihe von Staaten kann man diesem Beschluß keine größere Bedeutung zuerkennen. Siehe Yearbook of the ILC, 1975, Bd. II, S. 13. Das Institut hat sich auch 1969 mit der Meistbegünstigungsklausel beschäftigt. Der englische Text des Beschlusses hat folgenden Wortlaut: " ... states benefitting from the clause should (Hervorhebung durch den Verfasser) not be able to invoke it in order to claim a treatment identical with that which States participating in an integrated regional system concede to one another... " Das ist ein vernünftiger Wunsch, nicht aber die Bestätigung der stillschweigenden Ausnahme, um so weniger als der Beschluß - der auf die GATT- EEC Konfrontation anspielt - mit folgendem Satz endet: "Derogations from the clause should be linked with appropriate institutional and prozedural guarantees such as those provided by multilateral systems." Siehe: Annuaire de !'Institut de droit international, Edinburgh 1969, Bd. 53, II. Teil, s. 379. 24 General Assembly Doc. A/33/419, Abs. 45, 47 u. 48.

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änderung bestehender, eine ganz legitime Form jenes Prozesses sei, der gemäß Art. 13/1/a der UNO Satzung abläuft. Sie stützen sich dabei auf die Tatsache, daß der Entwurf der Völkerrechtskommission über die Meistbegünstigungsklausel mehrere Elemente enthält, die sich in die Kategorie der fortschreitenden Entwicklung des Völkerrechts eingliedern lassen. Diese sind folgende: Art. 23 des Entwurfes von 1978 über das allgemeine Präferenzsystem, Art. 24 über die Vereinbarung der Entwicklungsländer, Art. 25 über den kleinen Grenzverkehr und Art. 26 über die Verbesserung der Situation der Binnenstaaten. Natürlich ist es richtig, daß man im Rahmen der fortschreitenden Entwicklung des Völkerrechts auch solche Vorschläge unterbreiten kann, deren Ziel die Abänderung der bestehenden Rechtstage ist: aber man darf nicht vergessen, daß eine Abänderung nur in Richtung Verbesserung vorgeschlagen werden sollte.

Koreczki hat während der Beratungen über die Errichtung der Völkerrechtskommission eine allgemeine Erklärung des Inhalts abgegeben, daß die Kodifikation (und er verstand unter diesem Begriff zweifellos auch die fortschreitende Entwicklung) die Ideen des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Gleichheit usw. widerspiegeln sollte, also diejenigen Grundsätze, die jede wahre Demokratie a'ls ihre eigenen betrachtet25 • Tammes hat in der jüngsten Diskussion über die Zollunionsausnahme die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, daß die Völkerrechtskommission nur dann der Methode der fortschreitenden Entwicklung folgte, wenn " . . . es im Interesse der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit war" 28 • Es ist überflüssig zu betonen, daß die im Interesse der Entwicklungsländer vorgeschlagenen Artikel (Art. 23 und 24), sowie die Regelung zugunsten der Binnenstaaten (Art. 26) dem Ziel der austeilenden Gerechtigkeit dienen. Daß die im kleinen Grenzverkehr gebotenen Vorteile eine Ausnahme von der Meistbegünstigungsklausel bilden, ist im Grunde wohl keine neue Regelung, weil die im kleinen Grenzverkehr angebotenen Vorteile nach dem Grundsatz des ejusdem generis wahrscheinlich auch de lege lata ausgenommen sind27 • 25 H. W. Briggs, The International Law Commission, Cornell University Press, lthaca, N. Y. 1965, S. 134. 28 Yearbook of the ILC, 1976, Bd. I, S. 119. 1382. Sitzung, Abs. 29. 27 Es gibt auch einen solchen Autor, der unter Berufung auf die ejusdem generis-Regel behauptet, daß die in Handelsverträgen eingeräumte Meistbegünstigung deshalb nicht auf die von einem Zollunionsmitglied einem anderen gegebenen Vorteile ausgedehnt wird, weil "zwischen dem einfachen Handelsvertrag und den die Zollunion gründenden Vertrag ... kein gemeinsames Maß zu finden sei". P. Pescatore, Annuaire de !'Institut de Droit International, 1969, Bd. 53, erster Teil, S. 209. Dieser willkürlichen Auffassung

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Gibt es irgendeinen moralischen oder anderen Grund dazu, daß· man die Norm der stillschweigenden 'Zo'llunionsausnahme als Ausdruck einer fortschreitenden Entwicklung ins Völkerrecht einfügen sollte? Suchen wir doch die Antwort auf diese Frage in der Analyse des in der Völkerrechtskommission zwar eingebrachten, aber dort selbst nicht behandelten Vorschlages, der sodann der Entscheidung der Staaten unterbreitet wurde. Der Text dieses Vorschlages lautet: Die Meistbegünstigungsklausel in Hinblick auf die Behandlung eines Mitglieds der Zollunion durch ein anderes. Der [durch die Meistbegünstigungsklausel] begünstigte Staat, der nicht Mitglied einer Zollunion ist, kann nach dieser Klausel nicht jene Behandlung, die der begünstigende Staat als Mitglied der Zollunion einem Drittstaat, der auch Mitglied ist, anbietet, beanspruchen28." Zu diesem Vorschlag sind folgende Bemerkungen zu machen: 1. Der Text des Vorschlages beschränkt sich nicht auf die Ausnahme von der im Handel und insbesondere im Warenverkehr ausbedungenen Meistbegünstigungsklauseln.

Es ergibt sich aus der Natur der Sache, daß die Zollunionsausnahme nur solche Vorteile (Begünstigungen) ausschließen kann, welche sich die Zollunionsmitglieder gegenseitig im Warenverkehr einräumen. So auch Art. XXIV des GATT. Die Zollunionsausnahme kann man begrifflich nicht auf Begünstigungen anderer Natur anwenden, z. B. auf solche, die sich die Zollunionsmitglieder gegenseitig auf dem Gebiet der Schiffahrt, der konsularischen Immunitäten, der Freizügigkeit oder der Nieder'lassung einräumen. Der Vorschlag geht deshalb - vielleicht nur wegen seiner unvollkommenen Formulierung- weit über die Vorschriften des Art. XXIV des GATT hinaus29 • 2. Der Vorschlag würde zu einem ungerechten Ergebnis führen. Analysieren wir an Hand eines einfachen Beispiels seine möglichen Folgen. Wenn sich zwei Staaten, A und B, in Hinblick auf ihren Warenexport gegenseitig die Meistbegünstigungsbehandlung einräumen, dann werden die Waren des Staates A unter gleichen Bedingungen mit den wurde allgemein entgegengetreten. Siehe Sauvignon, op. cit., S. 53, 73 u. 234; Vignes, op. cit., S. 282; Yearbook of the ILC, 1975, Bd. II, S. 17. 2s Report of the ILC on the work of its thirtieth session, 1978, S. 21. 29 Siehe Peter Hay, "The European Common Market and the Most-favoured-Nations Clause", University of Pittsburgh Law Review, Bd. 23, 1962, s. 661.

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Waren aller Drittländer auf den Märkten des Staates B erscheinen und vice-versa. Das ist eben jenes Gleichgewicht, das die sich gegenseitig die Meistbegünstigungsbehandlung einräumenden Staaten erreichen wollen. Wenn aber später30 Staat A mit Staat C oder mit anderen Staaten eine Zollunion gründet und Staat B die Zollbegünstigungen verweigert, die er Staat C, D, E usw. einräumt, dann verschwindet das vorher bestandene Gleichgewicht, da ja die Waren des Staates B auf den Märkten des Staates A die gemäß der Meistbegünstigungsklausel bisher genossene Gleichbehadnlung und damit auch ihre Konkurrenzfähigkeit verlieren, obwohl Staat A auf den Märkten des Staates B sich weiterhin gleichen Behandlung erfreut. Falls die Parteien in dem zwischen ihnen geschlossenen Handelsvertrag die Zollunionsausnahme ausbedungen haben, kann Staat B nicht reklamieren, denn es erfolgte nur, was beide Parteien bereits vorausgesehen haben. Wenn aber diese Ausnahme nicht in den Vertrag verankert worden wäre, dann bedeutet der Schritt des Staates A - nämlich daß er in Hinblick auf die Waren des Staates B den Vorteil der jedem Drittstaat gegebenen Meistbegünstigung verweigert - einen klaren Vertragsbruch. Die Folgen eines solchen Bruches sind durch das Vertragsrecht und das Recht der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit geregelt. Zu diesen zählt der Grundsatz, daß die Verletzung eines bilateralen Vertrages durch eine Partei die andere ermächtigt, Gegenmaßnahmen zu ergreifen31 • Der Vorschlag würde- unter anderem- der verletzten Partei dieses Recht nehmen. In unserem Beispiel: Staat B, dessen Warenexport Staat A die Gleichbehandlung und so seine Konkurrenzfähigkeit raubt, würde dennoch verpflichtet sein, den Waren des Staates A weiterhin die Meistbegünstigungsbehandlung zu sichern. Finden wir in diesem Zusammenhang irgendwo den für die fortschreitende Entwicklung unentbehrlichen Grundsatz der Gerechtigkeit? Es wird oft gesagt, daß die Erleichterung der Gründung von Zollunionen im Interesse der kleineren Staaten steht und die Anerkennung der stillschweigenden Ausnahme die Großmächte daran hindern wird, diesen wünschenswerten Prozeß zum Stillstand zu bringen. Dieses Argument ist aber nicht stichhaltig, weil der Erfahrung nach auch wirtschaftlich hochentwickelte Länder Zollunionen bilden, und 30 Das Problem taucht nur bei einem solchen Tatbestand auf. Der Fall, daß der begünstigende Staat bereits Mitglied einer Zollunion ist und in der Folge eine Meistbegünstigung ohne Zollunionsausnahme einräumt, erscheint ohne praktische Bedeutung. 31 Wiener übereinkommen über das Vertragsrecht, Art. 60, Abs. 1.

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dadurch die Lage der schwächeren oder weniger entwickelten Länder möglicherweise erschweren. 3. Der Vorschlag hat die primitivste Form der Zollunionsausnahme vor Augen. Er enthält kein Wort über die Konsultationspflicht des in die Zollunion eintretenden Staates gegenüber seinen Handelspartnern oder über Kriterien, wie man sie in Art. XXIV des GATT findet. Nach dem Vorschlag muß die 'Zollunion keine handelsfördernde sein, sie kann auch den Handel ablenken, und die Außenzol'lschranken können in ihrer Gesamtheit auch höher sein als zuvor usw. Gibt es Gründe für die Änderung des heutigen Rechtszustandes und für die Anerkennung der stillschweigenden Zollunionsausnahme als Ausdruck einer fortschreitenden Entwicklung des Völkerrechts? Vor Beantwortung dieser Frage müssen wir uns mit ihrer praktischen Bedeutung im Klaren sein. Wir haben schon die allgemein bekannte Tatsache erwähnt, daß sich ungefähr 80 °/o des Welthandels nach den Regeln des AUgemeinen Zollund Handelsabkommens (GATT) abspielen. In diesen Verhältnissen, für die die Regeln des GATT maßgebend sind, hat die Frage gar keine praktische Bedeutung. Die Zollunionsausnahme und ihre Bedingungen sind durch Art. XXIV des GATT bis ins Detail geregelt und diese Regelung wird als lex specialis auch dann weiter gelten, würde die These der stil'lschweigenden Zollunionsausnahme im Rahmen der Kodifikation und der fortschreitenden Entwicklung des Völkerrechts als lex generalis in einer anderen Fassung angenommen. Es bleiben also die 20 °/o des Welthandels, die durch zweiseitige Handelsverträge geregelt sind. Eine große Zahl - wahrscheinlich die Mehrheit dieser Verträge- enthalten die Zollunionsausnahme in einer einfacheren oder auch komplizierteren Form. Wenn wir von dieser Tatsache ausgehen, dann kommen wir zum Ergebnis, daß nur 5 bis 10 °/o oder noch weniger des Welthandels von solchen bilateralen Handelsverträgen bestimmt werden, in denen die Parteien sich gegenseitig eine Meistbegünstigungsbehandlung eingeräumt haben, ohne allerdings zu bestimmen, was geschehen soll, wenn eine von ihnen einer Zollunion beitritt. Soviel, um die eigentliche Größenordnung der Frage zu messen. Natürlich stimmt das nur dann, wenn wir bona fide sind und voraussetzen, daß sich der obenerwähnte Vorschlag nur auf die echte Zollunionsausnahme bezieht- daß heißt, nur auf die im Warenverkehr bestehenden Zoll- und anderen Begünstigungen - und nicht auch solche Vorteile von der Wirkung der Meistbegünstigungsklausel ausnehmen will,

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die die bloße Tatsache der 'Zollunion nicht berührt (Schiffahrt, Konsularfragen, Niederlassung, Übersiedlung usw .). Verlassen wir aber nun die Fragen der Größenordnung und bleiben wir beim Grundsätzlichen. Von jenen Staaten, die zum Entwurf 1976 der Völkerrechtskommission schriftliche Stellungnahmen abgegeben haben, hat Luxemburg die umfangreichste verfaßt. In dieser heißt es unter anderem: " ... es ist kein Präzedenzfall bekannt, in welchem ein Staat auf Grund der Klausel die Vorteile einer Zollunion ... in welcher es kein Mitglied ist, verlangt oder erhalten hätte ... "32 . Dieses Argument ist teilweise ["kein Staat ... (hat) verlangt"] falsch (siehe Fußnote 14), teilweise spricht es dafür, daß keine Notwendigkeit für die Annahme der vorgeschlagenen Regel besteht, weil die bestehende Rechtslage den Erfordernissen vollständig Rechnung trägt. Auch ist der Gedanke, daß die stillschweigende Ausnahme in das Kodifikationswerk deshalb aufgenommen werden müsse, weil die Staaten bei der Formulierung ihrer Handelsverträge vergessen könnten, die Zollunionsausnahme in den Text zu verankern, unbegründet. Das Argument ist tatsächlich unhaltbar. Einerseits erinnert es an den vielzitierten Spruch Gilberto Amados33 , andererseits ist es ein Seitenhieb auf die Entwicklungsländer. Diese Staaten sind zwar wirtschaftlich, aber nicht politisch unterentwickelt. Die Gestaltung ihres Schicksals kann man ihnen ruhig überlassen. Welches Verfahren soll nun ein Staat, der einer Zollunion beitreten will und der mit einem oder mit mehreren Staaten Handelsverträge mit Meistbegünstigungsklausel ohne Zollunionsausnahme abgeschlossen hat, durchführen? Dieser Fall untersteht den generellen Normen des Völkerrechts und insbesondere den Regeln des völkerrechtlichen Vertragsrechts. Ohne sie detailliert darzulegen, verweisen wir nur auf einige ihrer Grundsätze. Jener Staat, der durch eine Meistbegünstigungsklausel mit seinem Vertragspartner gebunden ist und der mit einem dritten Staat eine 'Zollunion gründen will, erkennt deutlich, daß seine Zo:tlunionspflicht im Widerspruch zu seinen früheren, der Meistbegünstigungsklausel entspringenden Verpflichtung steht. Diesen Konflikt kann er durch Verhandlungen und Verträge lösen3 4 • 32 Report of the ILC on the work of its thirtieth session, 1978, Annex, p. 167, par. 15. 33 "Les Etats ne sont pasdes bebes." 3 4 Uschakov, Bericht, Abs. 116.

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Wenn ein solcher Verhandlungsweg jedoch nicht von Erfolg gekrönt ist, so kann dieser Konflikt auch durch Kündigung des vorhergehenden Vertrages gelöst werden. Die Handelsverträge enthalten gewöhnlich Kündigungsklauseln; aber auch in den seltenen Fällen, in denen solche Klauseln fehlen, kann man den Vertrag nicht so ansehen, als wäre er auf ewig geschlossen worden. Über den Stand des heutigen Völkerrechts in Hinblick auf die Endigung solcher Verträge gibt es unterschiedliche Auffassungen 35, aber die konservative Theorie 36, dergemäß nur jene Verträge gekündigt werden können, in denen solches expressis verbis vorgesehen ist, ist schon längst überholt. Eine große Zahl der Autoren vertritt die Ansicht, daß sich insbesondere aus der Natur der Handelsverträge ergibt, daß sie auch ohne Kündigungsklausel kündbar sind37 • Art. 56 des Wiener Übereinkommens über des Vertragsrechts, der diese einschlägige Völkerrechtsnorm kodifiziert, schließt eine solche Auslegung nicht aus.

111. Schlußfolgerungen Der Verfasser dieser Zeilen ist im Jahre 1975 hinsichtlich der erörterten Frage zu folgendem Ergebnis gekommen: "Weil das Völkerrecht keine gewohnheitsrechtliche Norm bezüglich der Anerkennung der stillschweigenden Zollunionsausnahme kennt und weil die ständige Staatenpraxis solche Ausnahmen in Verträge mit Meistbegünstigungsklauseln verankert und weil im weiteren kein überzeugender Beweis dafür geliefert wird, daß die Ersetzung der von den Parteien von Fall zu Fall geschlossenen Abkommen durch eine generelle Norm wünschenswert wäre, scheint es uns das beste zu sein, daß in dieser Frage alles so bleibt, wie es heute ist38." Die Ansicht des Verfassers hat sich in dieser Hinsicht keineswegs geändert, aber zu dem bereits Ausgeführten sei noch folgendes zugefügt: Die Befürworter der stillschweigenden Ausnahme berufen sich darauf, daß die Gründung von 'Zollunionen und ähnlicher regionaler Zu35 Nach der Meinung von Haraszti, wenn der Vertrag über eine Kündigungsmöglichkeit schweigt; wenn man auch die Absicht der Vertragsparteien nicht durch die Auslegung des Vertrages erkennen kann, dann muß man ein Kündigungsrecht anerkennen. Some Fundamental Problems of the Law of Treaties, Budapest 1973, S. 264. 36 Harvard Research in International Law. Draft Convention on the Law of Treaties, Art. 34. 37 Fitzmaurice, Yearbook of the ILC, 1957, Bd. II, S. 39, Abs. 16; McNair, The Law of Treaties, 1961, S. 493 and 504; Waldock, Yearbook of the ILC, 1963, Bd. II, S. 64, Art. 17. as Sixth report on the most-favoured-nation clause, Abs. 62, Yearbook of the ILC, 1975, Bd. II, S. 19.

bie Zollunionsausnahme sa:mmenschlüsse im allgemeinen Interesse liegt, weil ja solche Unionen die Entwicklung des Handels fördern. Wenn das im Fa'll einiger Zollunionen auch richtig wäre (es gibt allerdings Ökonomen, die das bezweifeln)39, so liegt es doch auf der Hand, daß andere Zusammenschlüsse diese Voraussetzung nicht erfüllen. In diesen Fällen ist nun der erörterte Vorschlag keineswegs der Entwicklung des Welthandels förderlich. Dieses Ziel wird - wenigstens dem Wortlaute nach - besser durch die detaillierten Vorschriften des GATT erreicht, die aber gerade wegen ihrer Ausführlichkeit nicht geeignet sind, Bestandteil eines Kodifikationsvertrages zu bilden; um so weniger, da die in die GATTRegelung eingebauten verfahrensrechtlichen Garantien keinen Platz in einem Kodifikationsvertrag finden können. Die Anhänger der stillschweigenden Ausnahme argumentieren damit, daß auch die Interessen der Entwicklungsländer für die Förderung der Errichtung von Zollunionen sprechen. Es ist aber so, daß die Völkerrechtskommission in ihrem Entwurf 1978 eine besondere Regelung über zwischen Entwicklungsländern abgeschlossene Abkommen angenommen hat. Diese Regelung lautet: "Ein entwickelter meistbegünstigter Staat hat aufgrund der Meistbegünstigungsklausel kein Recht auf jene Behandlung, die ein Entwicklungsland auf dem Gebiete des Handels einem dritten Entwicklungsland nach den Normen und dem Verfahren der zuständigen internationalen Organisation gewährt, dessen Mitglieder die in Frage stehenden Staaten sind40." Die Ausdehnung dieser Ausnahme auf die von Industriestaaten gebildeten Zollunionen wäre völlig unbegründet und stünde im Widerspruch zu den Interessen der Entwicklungsländer. Ebenso unbegründet wäre die Ausdehnung dieser Ausnahme auf solchen Zollunionen, deren Mitglieder Industriestaaten und Entwicklungsländer sind, weil solches seinem Wesen nach die Förderung der sogenannten speziellen Präferenzen bedeuten würde, die doch gerade die Entwicklungsländer abschaffen wollen4 1• Zum Schluß noch eine allgemeine Bemerkung, die durch den leidenschaftlichen Ton begründet ist, mit welchem die Anhänger der stillschweigenden Ausnahme hie und da ihren Standpunkt in der Debatte vertreten. 39 " ••• on purely economic grounds at least, one of the great attractions or regional economic groupings to their members in precisely that they divert trade away from non members." G. Patterson, "The Most-favouredNation clause and Economic Integration", Annuaire europeen, 1965, The Hague, Bd. XIII, S. 149. 40 Art. 24. 41 Siehe den VIII. Allgemeinen Grundsatz und die Empfehlung A. II. 1., die auf der I. UNCTAD-Konferenz angenommen wurden.

25 Festschrift für Stephan Verosta

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Die Frage der stillschweigenden Ausnahme ist keine ideologische Frage, keine Ost-Westliche und keine Nord-Südliche Frage. Wer die in den Jahrbüchern der Völkerrechtskommission veröffentlichten Protokolle über die Debatten der Jahre 1975 und 1976 liest, wird bemerken, daß vielleicht die Mehrzahl, aber zumindest die Hälfte der Mitglieder der Kommission die Meinung des Verfassers unterstüzte, und daß diese die verschiedensten Erdteile und politischen Auffassungen vertraten. Diese Meinung entspricht der allgemein anerkannten Regel, wonach die Vermutung für eine unbedingte und unbeschränkte Klausel spricht. Sie hat keineswegs zum Ziel, die Bildund zukünftiger Zollunioen zu verhindern. Ihr 'Ziel ist es, in dieser Frage von mehr prinzipieller als praktischer Bedeutung in den Kodifizierungsarbeiten diejenige Tendenz zu unterstützen, welche im Einklang mit den aUgemeinen Grundsätzen des völkerrechtlichen Vertragsrechts eine sowohl einfache als gerechte Lösung sucht.

VII. Die Vereinten Nationen

THE DECISION-MAKING POWERSAND THE JUDICIARY WITHIN THE UNITED NATIONS By Manfred Lachs In contributing to this collective work intended to honour my old friend Professor Dr. Stephan Verosta, I have chosen a topic in which he has shown a special interest1 . The right of decision-making is, of course, a specific aspect of the whole issue of power, its wise conferment and exercise, its restraint and Iimits. The use of power may be a subject of pride and achievement, but also one of lamentation. However, it was once remarked that wise men never sit and wail but take steps to prevent the causes of wailing. In this context may I recall Montesquieu's words: "c'est une experience eternelle que tout homme qui a du pouvoir est porte a en abuser. Pour qu'on n'ait plus a abuser du pouvoir, il faut que par la disposition des choses le pouvoir arrete le pouvoir2 ." On the municipal plane such constitutional checks and balances have been a matter of course, so much so that they have in many cases become a mere formal gauze cast over modern realities. By contrast, international organizations, generally speaking, are still testing and tuning the constitutional instruments which they have given themselves for the dual purpose of effective decision-making and guarding against imbalance or abuse as between the members or the component organs. It is against this background that I offer some reflections on the decision-making powers within the United Nations, and on the relationship between the Organization's judicial organ and its other principal organs. At the outset, areminder may be useful as to the typical functioning of the United Nations before the question of decision-making arises. 1 Cf. inter alia bis Ordnung, Recht und Macht, Oest. Zeitschrift für Öffentliches Recht 24, 1973 (pp. 245 and ff.). 2 Montesquieu, in De l'esprit des loix, follows it up by bis tbougbts on tbe balance between the various branches of power and develops bis well-known tbeory on the subject, Paris 1748 (1950 edn.), v. II, p. 59. Cf., bowever, Th. M. Franck, Comparative Constitutional Process, London, 1968, p. xxxii; cf. ibidem pp. 16, 37, ibid. Western Law in Non-Western Nations, Introduction, pp. xxix and ff.; Nyali v. Attorney-General (1956), 1, Q.B. 1.

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Though this has been dealt with in so many studies, and may therefore be viewed as common knowledge, I feel it may be helpful as an introduction to the essential subject of these reflections. Through their representatives attending meetings, Governments exchange views - they hear those of others but above all express their own - on the many issues confronting States in their mutual relations. In no other forum would Governments be so well able to express their views on the many aspects of their policy and activities on specific subjects, while confronting those of others. And sometimes this exchange- whatever its outcome- is both the beginning and the end; the dialogue, or series of policy statements, serving in itself a very useful purpose. Decision-making is only the second stage. lt is the stage at which States act in a dual capacity: first as individual States with individual viewpoints; second as participants in the shaping of the common will of the Organization as a whole. lt is a premise of any corporate gathering that there should be no conflict between those two roles, even in the case of a member whose view is contradicted by the decision. However, in practice some problems arise. Butthereis also a third element which ought tobebornein mind: i. e., the addressee of the decision; this may be the Organization as a whole or only some member States, or just one individual State. This is where a dichotomy may arise: a member State acts as a decision-maker and at the same time may be the adressee of the decision in question. 1t becomes the one as part of the collective body - the United Nations as a whole - and individually may become the other, i. e., the object of its action. Thus it may find itself among those having voted against a decision addressed to a group of States to which it belongs, or even to itself alone. Yet, by virtue of the constitutional provisions of the Charter and the powers of the organ in question, it may be bound by that decision qua member of the Organization. Moreover, as a member of the Organization it may be called upon to seek to ensure that States which are not its members "act in accordance" with certain of its decisions3 • This is because, even though a non-rnernher State may not be bound by specific decisions, yet these may be held "opposable" to it4 • Of course, there is a multitude of forms by which States express their wishes, desires, make exhortations, and recommendations, and Cf. also the special implications of Art. 2, para. 6, of the Charter. They may be opposable to all States: "The Mandate having been terminated by decision of the international organization in which the supervisory authority over its administration was vested, and South Africa's continued presence in Namibia having been declared illegal, it is for non-member States to act in accordance with those decisions." ICJ Reports, 1971, p. 56, para. 126. 3

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finaily binding decisions. Clearly, the character of the measure depends on the constitutional powers of the organ in question. There are, of course, borderline cases, depending on both the nature of the organ and the subject-matter of the decision. The different principal organs of the United Nations differ in fact considerably in their powers as weil as in their functions. There is no need to go into the details as defined by the Charter. First, in the order listed, comes the General Assembly, vested with very wide powers in the sphere of deliberations and recommendations5 ; it may "initiate studies and make recommendations" in specific areas6 and exercise special rights in regard to two other principal organs7 • The question as to whether and which decisions of the General Assembly are or are not binding has received ample attention in theory and is illustrated by much practice. Some resolutions have a binding character by virtue of the provisions of the Charter8 • The Assembly may decide questions concerning the internal structure of the United Nations and, by so doing, is shaping what I described many years ago as the "law of the United Nations". However, it is weil known that, though in principle its resolutions are recommendatory only, this does not preclude other resolutions from becoming binding owing to special circumstances. This is where the question of the scope and substance of the decision-making power arises. As to the Security Council, need I recail that as the Charter conferred upon it "primary responsibility for the maintenance of international peace and security", the Member States agreed "that in carrying out its duties under this responsibility" it acts on their behalf9• It is in this area that its powers are of paramount importance. It may obviously make mere recommendations, but is also empowered to adopt decisions binding upon States Members of the Organization10• The decision-making powers of other organs are more limited. The Economic and Social Council may, inter alia, "make or initiate studies and reports", "make recommendations", "draft conventions"; enter into 5

Art. 10; cf. also Arts. 11, 12, 14, 15 and 16.

e Cf. Art. 13.

7 Cf. Art. 13, para. 2; Art. 16; it shall also receive reports from other organs of the United Nations (Art. 15). 8 Cf. Art. 17 of the Charter; cf. Arts. 18 and 19; also Arts. 4, 5 and 6 (jointly with the Security Council); also Art. 63. 9 Cf. Art. 24, para. 1, linking the powers of the Security Council with its duties as laid down in Chapters VI, VII, VIII and XII. Special functions have been entrusted to the Security Council in the sphere of disarmament (the Charter uses the words "regulation of armaments" (Art. 16)). 1° Cf. Arts. 41 and 52 of the Charter; cf. also Art. 25 and Arts. 4, 5 and 6 (jointly with the Assembly).

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agreements with specialized agencies and thus bring them into relationship with the United Nations; co-ordinate the activities of those agencies; obtain reports from them. It is called upon to assist the Security Council upon its request, carry out recommendations of the General Assembly and perform other functions assigned to it by the latter11 • On the Trusteeship Council, there remains little to be said 12 : it was from its inception actingunder the authority of the General Assembly or Security Council. With the rapid progress of decolonization, out of the original trust territories, only one has remained, the others having become independent States or parts of other States. The object and purposes of the Council having thus largely been fulfilled, its significance has become drastically reduced. Thus the functions and decision-making powers of all these four principal organs of the United Nations may take various forms, from desires and appeals to binding decisions. The other two principal organs are the International Court of Justice and the Secretariat. The Secretariat is no corporate forum of debate and lacks every attribute of collegiality, and is responsible to the Secretary-General, the United Nations' "chief administrative officer" 13. The SecretaryGeneral, apart from acting as such, is called upon to "perform such other functions as are entrusted to him" by the above four principal organs14 • Moreover, the Secretary-General may take various initiatives such as bringing to the attention of the Security Council any matter which, in his opinion, may threaten the maintenance of international peace and security 1s. As to whether the Secretary-General has any decision-making powers, while he can make no binding determination (except in personne} matters), he has decision-taking powers of considerable scope, flowing from the specific functions entrusted to him. Moreover, within the United Nations system he has a very wide potential for initiative, apart from the possibilities explicitly opened to him by the Charter. Thus throughout the years, Secretaries-General have developed a special type of activity in the field of peaceful resolution of disputes. This 11 Cf. Arts. 62, 63, 64 and 66 of the Charter. It shall also assist the Security Council upon its request (Art. 65). On the whole, the recommendatory powers are largely subordinated to the General Assembly, but also to the Security Council. 12 Cf. Art. 87 of the Charter. Cf. the functions of the Security Council under Arts. 82, 83 and 84 of the Charter. ta Cf. Arts. 97-101 of the Charter. 14 Cf. Art. 98 of the Charter. ts Cf. Art. 99 of the Charter.

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"quiet diplomacy" through "good offices" is particularly valuable in seeking to bring about the consent of the States concerned on the procedure to be followed or a solution to be adopted. Such initiatives have been taken on many occasions by the present Secretary-General, Kurt Waldheim. Against this background, it is a matter of no small importance to ask: what are the limits of the decision-making powers of the particular organs of the United Nations, whatever these decisions may be and whatever character they may have? One cannot proceed far along the road to answering this question without realizing its link with the problern of Charter interpretation. It is only natural that: "In the course of the operations from day to day of the various organs of the Organization, ... each organ will interpret such parts of the Charter as are applicable to its particular function." This was established in the well-known statement laid down at the very birth of the United Nations. "This process is inherent in the functioning of any body which operates under an instrument defining its functions and powers 16 ." Thus the interrelationship between the application and the interpretation of the Charter was made clear from the outset. Nobody will doubt that the relationship is a subtle one or deny that it has grown steadily more complex as the work and operations of the Organization have expanded and ramified. On the other hand, one has to bear in mind that a special procedure is envisaged: " ... if an interpretation made by any organ of the Organization or by a committee of jurists is not generally acceptable it will be without binding force. In such circumstances, or in cases where it is desired to establish an authoritative interpretation as a precedent for the future, it may be necessary to embody the interpretation in an amendment of the Charter17." Thus at the very cradle of the United Nations it was revealed how complex is the question of determining "the power" of interpretation and the determination of "frontiers" in decision-making. To examine these questions in depth is beyond my present scope. Before proceeding, however, I would like to point out that, in the 18 17

13 VNCIO, Doc. 933, IV/2/42(2), p. 709. 13 VNCIO, loc. cit. Cf. also I UN GAOR, Plenary Meeting, pp. 344 & 710.

The question of defining the term "generally acceptable" arose already at the first session of the General Assembly. Did it imply "unanimity"?, cf. the statement of the Representative of France, I, GAOR, Sixth Committee, p. 75; it was later suggested that it "probably means from a strictly technical point of view" (an interpretation) "acceptable to the majority of the members of the organ in question in accordance with the voting majority applicable to that organ and to the nature of the matter being treated" (Castaneda, Legal Effects of the United Nations Resolutions, New York 1969, p. 123).

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light of the foregoing, one may discem that there is, reflected in the structure of the United Nations, a kind of inverse relationship between decision-making powers and initiative. The more solemn the determinations of which an organ is capable, the greater the difficulty it will have in taking an initiative. This is, on the whole, as it should be -in a well-ordered "going concern" of a State- for it lessens the risk of abuse of power. Moreover, inasmuch as this, in the case of the United Nations, is a consequence of the Charter, it shows that that instrument is a well-devised constitution. But not everything in that garden is so completely lovely, for two reasons: the first is that the difficulty which the most powerful organs experience in taking an initiative stems as much, if not more, from the mutually countervailing effects of political power and tacit convention than from the written safeguards of the Charter; the second is that a set of checks and balances can be so effective as seriously to inhibit desirable movement. That the United Nations should be a "going concern" is no less important than that it should be so structured as to guard against going beyond the powers vested in it. I now turn to the second element in the theme of my title: the judiciary - and thereby also to the one principal organ which I have not discussed: the International Court of Justice. The tasks of the Court have been so thoroughly explored that there is no special reason to go over the field again. Its "decision-making powers" are immense, though whether they are comparable in kind to those of the General Assembly or Security Council is a question calling for analysis. Its decisions are of course judicial in character: that means that some impose an obligation to observe a particular line of conduct. This may also be said of a limited range of decisions of the other two organs, especially the Security Council. But at the same time the Court's decisions in contentious cases declare the law between the parties, so that the obligation imposed is different in nature from those flowing from directives of the other organs. On the other hand, if ever any common binding obligation of Member States happens to flow from the Court's decisions, it will do so as a result of their membership and its consequences, rather than on account of the scope ratione personae of the decisions. There are two simple reasons for this, residing in the Court's Statute. The first is that only individual States may be parties in contentious cases, and the second is that the decisions taken by the Court in advisory cases which alone can (andin fact necessarily do) relate to the work of international organizations - are ex hypothesi not binding, even though they do state the law as the Courtsees it.

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If the Court's "decision-making powers" remain nevertheless great, we find that the situation of the Court well exemplifies the inverse relationship of decision and initiative. For in fact the Court has virtually no initiative: it must wait to be "seised". If the Court is not "seised", therefore, the mechanism stops, it "fusts in us unused" as Harnlet said.

Where does the Court stand in relation to interpretation of the Charter? I suggested above that the United Nations was still testing and tuning that instrument. Where better to put it to the test than in The Hague? But the Court has merely its Statute - itself part of that instrument - and nowhere does it specifically provide that the Court may interpret the Charter. However, the Charter is a treaty and it is open to any two or more States to refer a dispute on the interpretation of a treaty to the Court (Statute, Art. 36, paras. 1 and 2). That much was made clear at the San Francisco Conference, when it was stated that: "If two Member States are at variance concerning the correct interpretation of the Charter ... " this way alone was open to them18 • The position in such an event (which has never occurred) would be complicated by the restriction of the binding nature of the judgement to the parties concerned and the right of intervention in the proceedings which could be exercised by every single member of the United Nations (Statute, Arts. 34, para. 3, and 63). Nor was its assistenance visualized in arequest of a party to a dispute pending before the Security Council to advise: "whether a recommendation or decision made by the Council or proposed in it infringes on its essential rights 19 (for the simple reason that no such request can be made by a State). The possibility, nevertheless, remains of the Court being requested to give an advisory opinion interpreting the Charter. The Court has certainly been given adequate powers to respond to such a request. There is no need to recall the road from Dumbarton Oaks to San Francisco; from the original proposallimiting the functions of the Court torender Advisory Opinions at the request of the Security Council and on some legal questions only to the final decision reflected in the Charter (Article 96). There was no doubt that the term "any legal question" covered issues relating to the interpretation of the Charter. This was made clear at San Francisco: 13 UNCIO, op. cit. Cf. the Belgian proposal rejected at San Francisco, Docs. 336, 3, UNCIO (1945), Docs. 2, G/7 (K) (1); cf. also M. Virally, !'Organisation Mondiale, Paris 1972, p. 214, para. 3. 18 19

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it would always be open to the General Assembly or the Security Council, in appropriate circumstances, to ask the International Court of Justice for an advisory opinion concerning the meaning of a provision of the Charter20."

Moreover, in 1947 and 1974 the General Assembly itself accepted recommendations to the effect that organs of the United Nations and specia1ized agencies should seek the Court's assistance in this respect21 • This has been the view of the Court from the first days of its existence: it considers that it has an interpretative function which falls within the normal exercise of its judicial powers22, and it has manifested it in most of its Advisory Opinions. True, interpretation is "inherent" in the functioning of all United Nations organs, and is necessary for their operations "from day to day". But situations may occur in which an organ, before adopting a decision, has doubts as to the meaning of a provision of the Charter; or, having adopted a decision, it may have doubts as to its legal consequences; it may seek legal advice and guidance as to a situation that has arisen in the course of its activities; may seek clarification of the state of the law and the rights or obligations flowing from it. These are typically situations for which the Court's advisory functions can be effective and should be sought. There is thus no conflict between the competence of other United Nations organs and the Court in this respect: indeed the Court's powers are a needed complement. Moreover, there is a crucial distinction to be made between the ad hoc interpretation of a provision for the purpose of instant action and the task of patiently construing the text as part of the whole with a view to a fulllegal determination. Among the hundreds of issues placed on the agenda of United Nations organs there are bound to be many which, for their proper solution, would, notwithstanding the presence of distinguished jurists, the existence of a Legal Committee in the General Assembly, and the assistance of the Legal Counsel, require an advisory opinion by the Court. It is here that its status as the "principal judicial organ" of the Organization must be given a constructive meaning. Naturally enough, the Court's advisory functions, where they relate to the interpretation of the Charter, cannot but cover questions concerning the structure of the Organization and the decision-making powers of its organs. Thus the Court, whenever so requested, has not shrunk from giving Advisory Opinions in order to "guide the United Nations in 2o 21 22

Cf. UNCIO, op. cit. Cf. GA Res. 171 (II), 1947 and also Res. 3232 (XXIX), 1974. ICJ Reports, 1948, p. 61.

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respect of its own action23 ". In so doing it has had to shoulder its responsibilities both as "a court of law" and as "the principal judicial organ of the United Nations" 24• Within this context it has fallen to the Court to enunciate some necessary defining truths which, coming from other sources, would have looked merely theoretical or inconsequential. Thus it has found that "the Organization is an international person" 26, that the "Organization is a political body, charged with political tasks of an important character . . . and in dealing with its Members it employs political means"26• Then again, a dieturn of fundamental importance, albeit one to be handled with discretion: "Under international law, the Organi· zation must be deemed to have those powers which, though not expressly provided in the Charter, are conferred upon it by necessary implication as being essential to the performance of its duties27 ." The Court has been fully aware of the political dimensions built into the structure of the Organization and inherent in many decisions of its organs. This was once clearly expressed by some Members of the Court: "The main function of a political organ is to examine questions in their political aspect, which means examining them from every point of view28." Political considerations, however, could not mean that these organs were above the law created for the Organization or may ignore the obligation to apply it. This brings me to another important question in the area of the Court's relationship to other organs of the United Nations. Since the decision-making powers of these organs are subject to limitations, it is, as I indicated, essential to guard that each of them acts within the powers vested in it, that they do not exceed them. If such a case arises, who is to decide? This is both a very delicate and interesting issue in view of the specific character of an international organization such as the United Nations and in particular the growing complexities of its work and operations. While the powers of the Court to interpret the ICJ Reports, 1950, pp. 131 ff., 1951, p. 19, 1971, p. 23. In the exercise of its functions, the Court may also, as it is known, render Advisory Opinions "upon a legal question actually pending between two or more States. Cf. Art. 102, para. 3, of the 1978 Rules of Court. Cf. also on these and other issues my article in Studi in onore di Gaetano Morelli, "Perspectives pour la fonction consultative de la Cour internationale de Justice", Milano, 1975, pp. 423 ff. Also "The International Court of Justice Principal Judicial Organ of the United Nations", Melanges Schnitzer, Geneva 1979. 2s ICJ Reports, 1949, pp. 175 ff. 20 ICJ Reports, 1949, p. 179. 2 7 ICJ Reports, 1949, p. 182. 2s ICJ Reports, 1947-1948, p. 85. 23

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Manfred Lachs Charter have been established beyond any doubt (ut supra), can it be assumed to possess the power of judicial control over the acts of other organs of the United Nations in the absence of a clear authority to this effect? If not, the alternative question arises: is the Court barred altogether from entertaining related questions? The fact that so far the Court has never faced a direct question concerning a possible ultra vires decision of an organ cannot be decisive as to its competence to consider it29• However, such issues did arise in the course of the proceedings on other issues placed before it. Thus on more than one occasion it was able to deal with the problern in its reasoning. In one case, it reserved for itself " ... full liberty to consider all relevant data available to it in forming an opinion30." Not having been requested to pronounce on the question of the legality of a General Assembly Resolution31 , it only touched upon it. When it was contended that the relevant Resolution of the Security Council which requested the Advisory Opinion was invalid and that the Court was therefore not competent to deliver the Opinion, the Court limited itself to the formal aspects of the request: "A resolution of a properly constituted organ of the United Nations which is passed in accordance with that organ's rules of procedure, and is declared by its President to have been so passed, must be presumed to have been validly adopted32. " When the Court was asked whether the requirements of the Charter were meant to qualify a situation as provided by it, as consequence of a series of Security Council and General Assembly Resolutions, the question did not concern the legality of these Resolutions but the "obligations of Member States under the Charter ... ". Yet, whatever the question put to it, during the proceedings, it was sometimes faced with the challenge that the General Assembly Resolution in question was adopted ultra vires 33 ; The Court replied unambiguously that it did not "possess powers of judicial review or appeal in respect of the decisions taken by the United Nations organs 29 Some writers use the term "illegal acts". Cf. E. Lauterpacht, "The Legal Effect of Illegal Acts of International Organizations", Cambridge Essays in International Law, London 1965, pp. 88 ff. Cf. also the suggestions made in this context by Louis Sohn, 69, AJIL (1975) pp. 852-854, and comments on it by Dan Ciobanu, AJIL (1976), pp. 328-338. 3o ICJ Reports, 1962, p. 157. 31 It was suggested that the Court be asked whether the expenditures in question were decided 'in conformity with the provisions of the Charter'; this proposal, submitted as an amendment, was, however, rejected. Cf. ICJ Reports, 1962, p. 156. 32 ICJ Reports, 1971, pp. 21-22. 33 ICJ Reports, 1971, p. 45, para. 87.

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concerned3 4 ". However, it made an important reservation: " ... in the exercise of its judicial function and since objections have been advanced the Court, in the course of its reasoning, will consider these objections before determining any legal consequences arising from those resolutions35." The practice recited above indicates how reluctant the Court has been to assume the functions of controlling the powers of United Nation organs, to pronounce upon their possible incompatibility with the Charter, thus legality. The problern is not a new one. When a decision taken by the Council of the League was contested by a party who requested an Advisory Opinion of the Permanent Court of International Justice, the Council, having appointed a rapporteur and having heard his views, adopted a most significant Resolution. It stated: "It was incontestable that the Council was competent to make its recommendation ... and there was no need to request the opinion of the Permanent Court of International Justice on the matter36." Thus the Council of the League found that it was empowered to determine its competence with no appeal from this decision. The question has attracted the attention of scholars and not infrequently the desire has been expressed that a judicial control be established. It i obvious, however, that this can be done only by vesting a judicial organ with specific powers to this effect37 • Yet even in the present state of the law of the United Nations, the relationship between the International Court of Justice and the other organs of the Organization does not preclude the possibility of requests being made to this effect. This could be the case if an organ, before adopting a decision, or having adopted one, feit some doubts as to its powers, the validity or legality of such a decision, and therefore addressed to the Court the request to clarify the situation. Accepting ex hypothesi 34

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ICJ Reports, 1971, p. 45, para. 89. Loc. cit., p. 45, para. 89. 4 League of Nations Official Journal, 1923, p. 586.

Cf. Resolutions adopted by the Institut de Droit International in 1957: (I) "Estime que l'opportunite et les possibilites d'instituer un contröle judiciaire des decisions d'organes internationaux dependent essentiellement de la nature, de la structure et des pouvoirs des organes ou des organisations considerees. En consequence, la reglementation de ce contröle, des voies de recours qu'il implique, et des effets qu'il comporte, ne parait, dans l'etat actuel des choses, realisable que par la voie de dispositions conventionnelles ou autres instruments, particuliers a chaque Organe OU Organisation." (III) (2) "Estime que, sous reserve des cas ou serait prevu un regime juridictionnel special, il est desirable que la Cour internationale de Justice puisse etre appelee a se prononcer sur les griefs tires de l'incompetence ..." Cf. Annuaire de l'institut de droit International, Session d'Amsterdam 1957, pp. 477, 478. 37

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such a situation, the competence of the Court to pronounce would be based on a request of the very same organ which made the decision. In making such a request it would remain the judge of its own decision. There is, however, one domain the International Court of Justice is expressly authorized to review. It does so by Advisory Opinions on judgements of the Administrative Tribunal of the United Nations, established to resolve disputes between the Secretary-General and members of his staff3S. Similar powers were vested in the International Court of Justice in regard to the Administrative Tribunal of the International Labour Organization39• It carries out this function through Advisory Opinions. Thus the Secretary-General, heading the Secretariat, one of the principal organs of the United Nations, constitutes (within the framework laid down) an exception as to the right to recourse to the Administrative Tribunal and further to the International Court of Justice4o. This brief summary was intended to indicate the relationship of the decision-making powers of the United Nationsorgans within the structure of the Organization. Each organ is called upon to act within the framework of functions and powers assigned to it by the Charter and as understood and interpreted by it. The Court on its part is called upon to assist them in giving advice on legal questions submitted to it. This assistance was not refused. It cannot be denied that the Court rendered invaluable assistance to a better understanding, interpretation and - even more - the progressive development of the law of the United Nations' Charter. While it is true that the Court cannot replace any other organ in the performance of its functions, nor can it be replaced by any of them. In various forms and decisions the Court has been careful to remain within the boundaries of its judicial power, hence its reluctance to assume the functions of a constitutional court, which were not clearly vested in it. Nevertheless, throughout its activity it has dealt with questions relating to the competence of ss Cf. G. A. Res. 957 (X), 8 Nov. 1955. The Administrative Tribunal of the United Nations, Art. 2 of its Statute; appeals from this Tribunal reach the Court after having obtained the consent of the review body of the General Assembly. The Court follows, as is weil known, a special procedure in this respect. 39 ILO Administrative Tribunal Statute, Art. XII. 40 It is within the framework of this competence that the Court made an important pronouncement: " ... that the General Assembly has not the right on any grounds to refuse to give effect to an award of compensation made by the Administrative Tribunal of the United Nations in favour of a staff member of the United Nations whose contract of service has been terminated without bis assent." ICJ Reports, 1954, p. 62.

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particular argans in the course of its deliberations, whenever it found it necessary for the performance of its judicial functions. When the Greeks once asked their sage, Solon: "What is the best constitution?" he replied: "Tell me for which people and at what time." The Charter as drafted in 1945 was the only acceptable and agreed upon constitution of the international community. Within this existing framework, and the more so in the light of evolution in the course of the last decades, it has become clear that the advisory functions of the Court have great potentialites. Other principal organs of the United Nations, by resorting more frequently to the International Court, would be aided not only in the consideration and solution of the many issues with legal aspects placed before them, it could also assist them in clarifying many issues in the field of decision-making powers, which are in need of clarification for a better functioning of the United Nations. Needless to say, advance on this road is delicate. The gap in the relationship and co-operation between the Court and other argans of the United Nations has tobe bridged so as to weave the Courtmore closely into the fabric of the Organization. The Court would be able to clarify the situation not only in the light of the Charter, but the subsequent practice of the United Nations which has had an important impact on the interpretation of the Charter. By its so doing, the other organs of the United Nations would also be less exposed to criticisms inter alia as to the exercise of their decisionmaking powers and at the same time strengthen the legal structure in which - in the final resort - their powers have their roots. As to the review of Judgements of Administrative Tribunals, significantly enough the powers of the Court have been used on very rare occasions, even much rarer than those in advisory proceedings in general. In fact, the procedure leaves much room for improvement. Moreover, some time ago I found it "regrettable that divergences should exist in the nature of the protection afforded" to members of the staff of international organizations. I suggested that "the procedures in question should be uniform41 ." I am gratified to note that efforts are now being made to remedy the situation 42 • In the last thirty years, the law of the United Nations, owing to the speed of its development and important codification, has expanded its realm and covered many new areas. This should inevitably have its ICJ Reports, 1973, my Declaration at p. 214. Cf. G.A. Res. A/33/119 of 19 Dec. 1978, requesting " the SecretaryGeneral and his colleagues on the Administrative Committee on Co-ordination to study the feasibility of establishing a single administrative tribunal for the entire common system and to report to the General Assembly at its thirty-fourth session". 41

42

26 Festschrift für Stephan Verosta

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Manfred Lachs

impact on the Court's role. Indeed, the United Nations, as an international organization, is founded on law, and its "principal judicial organ" has a pervasive and essential role to play in the strengthening of that law. For the Court is an integral and essential component in the structure of the United Nations, and not only was this integration intended by the authors of the Charter, but developments ever since 1945 have, in gathering measure, rendered it even more imperative for proper decision-making, i.e., the exercise of powers and functions of each organ of the Organization and the United Nations as a whole.

THE UNITED NATIONSAND THE UNITED STATES By Leo Gross I. The direction and the process of United Nations activities since the late '60s have been a matter of concern to the United States. A good deal has been written about the circumstances which resulted in the loss of United States leadership in the United Nations and about the new "tyrannica:l" majority, its ideological motivationsl, its scant regard for the law of the Charter and the accepted rules of procedure, the desire of the Third World, in particular, for a greater share in the decision-making process and for real, not merely nominal, equality. There are also prescriptions for adapting United States policy to the changed circumstances and building a new world order2 • They range from suggestions, based presumably on the old adage: vox populi vox dei, that the United States should get along with the Third World to suggestions that the United States should go into Opposition and take its stand on the rule of law and in defense of the values of liberal democracy against totalitarianism3 • It is not the purpose of this essay to evaluate any particular analysis of the present condition or any specific policies. Rather it is to suggest some points for consideration about the course of events which, in the view of some authors, transformed the United Nations into "a dangeraus place" 4 • 1 Thus, for instance, Stanley Hoffmann, in his recent book Primacy or World Order (New York: McGraw I Hill, 1978) observed that since about 1967/68 "Washington has lost control of the General Assembly. The resolutions adopted by it under the leadership of the Group of 77 underdeveloped conutries are more remarkable for their ideological effervescence than for their capacity to create a balanced world order." Ibid., p. 86. 2 See for example David A. Kay (ed.), The Changing United Nations. Options for the United States (New York: Praeger, 1977); Seymour M. Finger and Joseph R. Habert (eds.), U. S. Policy in International Institutions: Defining Reasonable Options in an Unreasonable World (Boulder, Col., Westview Press, 1978); Cyrit E. Black and Richard A. Falk (eds.), The Future of the International Legal Order, Volume IV, The Structure of the International Environment (Princeton, N. J ., Princeton University Press, 1972). 3 D. P. Moynihan, with Suzanne Weaver, A Dangerous Place (Boston: Little Brown & Co., 1978). 4 A . Y eselson and A. Gaglione, A Dangerous Place: The United Nations as a Weapon in World Politics (New York: Grossmann Publishers, 1974).

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Leo Gross II.

In preparing for the future international organization, the overriding concern of the United States was to prevent the debacle of 1919. Accordingly, the restrictive provisions which characterized the League of Nations Govenant and to which the Senate objected had tobe omitted5 • Thus, automatic military and political commitments had tobe avoided, the domestic jurisdiction exception had to be clarified, the functions of the assembly and the council had to be separated, and since some sort of majority vote in these organs seemed unavoidable, it was necessary that all politically and militarily relevant action be concentrated in the council where the United States, along with some other great powers, would have the right to veto any action inimical to its interests. Thus, unlike Article 15 (8) of the Covenant of the League, Article 2 (7) of the Charter contains no reference to international law, it refers to matters "essentially" and not "solely" within domestic jurisdiction, it was made applicable to the whole Charter by being placed among the "Purposes and Principles" and above all, contrary to the Covenant, it omitted to designate an organ as qualified to decide whether the exception was well-founded in law. Instead, it indudes the qualification that "nothing contained in the present Charter ... shall require the Members to submit such matters to settlement under the present Charter". The interpretation of these words by the United States was promptly made explicit in the so-called Connally amendment to the Declaration of August 14, 1946, whereby the United States accepted the compulsory jurisdiction of the I. C. J. The Declaration shall not apply to matters essentially within the domestic jurisdiction of the United States "as determined by the United States of America". Clearly the United States assumed that it could unilaterally and peremptorily determine which matters feil essentially into its reserved domain6• Finally, Article 2 (7) exempts from its scope "the application of enforcement measures under Chapter VII". This text originated in an Australian proposal. Its purpose was, and still is, to prevent the Security Council from making recommendatio ns regarding a dispute under the pretext or in the guise of a threat to the peace7• 5 For more detailed analysis, see Leo Gross, "The Charter of the United Nations and the Lodge Reservations", AJIL, Vol. 41 (1947), pp. 531-554. 8 For more detailed analysis, see Leo Gross, "Bulgaria Invokes the Connally Amendment", AJIL, Vol. 56 (April1962), pp. 357-382. 7 As stated by the Australian Delegation, the aim was to discourage States from using or threatening force "in any dispute arising out of a matter of domestic jurisdiction, in the hope of inducing the Security Council to extort concessions from the state that is threatened". Doc. 969, I/1/39, June 14, 1945, UNCIO Documents, Vol. 6, p. 438.

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The Charter is quite consistent in separating the functions of the General Assembly and the Security Council. Chapter VII "Action with Respect to Threats to the Peace, Breaches of the Peace, and Acts of Aggression" was entrusted exclusively to the Security Council. And it is the Council's primary responsibility to take "prompt and effective action", as stated in Article 24 (1) for the maintenance of international peace and security. The scope of the Assembly's competence is as wide as the Charter, but when questions relating to the maintenance of international peace and security are concerned "on which action is necessary", such questions shall be referred to the Council in accordance with Article 11 (2). The separation of functions is also recognized in Article 12 (1) which enjoins the Assembly from making any recommendation with regard to disputes or situations of which the Council is seized unless requested to do so by the Council. It seems that the Council has never exercized this option. Quite clearly, there is nothing "automatic" about the Council's action. There must be an appropriate resolution or decision and this requires, in accordance with Article 27 (3), as amended in 1965, the vote of a qualified majority of 9 members, including the concurring votes of the permanent members on all non-procedural matters. It follows from the wording of this clause that the question whether a matter is procedural requires the same qualified majority. Ex abundante cautela this was made explicit in the Four Power Statement on voting in the Security Council with which France associated itself8 • Thus the voting requirement is as stringent as the action of the Council is politically important. This is as it should be because in Article 25 the Members of the United Nations undertook the unprecedented commitment "to accept and carry out the decisions of the Security Council in accordance with the present Charter". However, it was "safe" for the United States to accept this commitment because there could be no decision to which it objected. The practice not to regard the abstention by a permanent member as contrary to Article 27 {3) was certainly unconstitutional but has become no threat to the United States, although it may have weakened the prestige and effectiveness of the Council9 • By contrast, the voting requirement for the General Assembly is relatively easy and is in keeping with its functions to discuss any matter and make recommendations thereto. Article 18 (2) provides for a two-thirds majority of the Members present and voting for important Doc. 852, III/1/37/(1) in UNCIO Documents, Vol. 11, June 8, 1945, p. 714. Leo Gross, "Voting in the Security Council: Abstention in the Post-1965 Amendment Phase and Its Impact on Article 25 of the Charter". AJIL, Vol. 62 (1968), pp. 315 - 334. 8

9

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Leo Gross

questions generally and for certain specifically listed questions. Unlike in the Council the question whether a two-thirds majority is required may be decided in accordance with Article 18 (3) by a majority of the Members present and voting. To be sure, in some matters - such as admission, suspension and expulsion of members - the resolution of the Assembly is legally conclusive but in all these matters a recommendation by the Council is required as a prior condition. The recommendation in turn demands a qualified majority. The most significant exception to this general arrangement is the decision in the budget, and this was to lead to a serious crisis in the '60s. It is indicative of the spirit in which the United Nations embarked on its career of majoritarianism that even the easy voting rules in Article 18 paragraphs 2 and 3 were found too confining. Accordingly, in order to make the adoption of resolutions even easier, the Assembly included in its Rules of Procedure of 1947, Rule 88, which reads: "For the purpose of these rules, the phrase 'Members present and voting' means Members casting an affirmative or negative vote. Members which abstain from voting are considered as not voting." There can be no question that this rule is unconstitutional, being clearly contrary to the text of Article 18 (1): "Each member of the General Assembly shall have one vote." By not counting the votes of the abstaining members, Rule 88 deprives them of their vote. In practice, this did not make any difference since the resolutions were not binding in any event and most frequently were adopted by more than a two-thirds majority. However, Rule 88 could make a difference in marginal cases. Thus in two recent cases in which the United States made efforts of Homeric proportians to prevent the adoption of the resO'lutions, they were adopted only because of Rule 88. Thus resolution 2758 (XXVI) of October 21, 1971 on the "Restoration of the lawful rights of the People's Republic of China" which ended 21 years of American maneuvers to keep it out of the United Nations, was adopted by a vote of 76 in favor, 35 against, and 17 abstentions. If the abstentions had been counted as provided for in the Charter, the necessary two-thirds majority would have been 84 and not 76.

The other, and more recent case, occurred on November 10, 1975, when the Assembly adopted resolution 3379 (XXX) in which it determined "that 'Zionism is a form of racism and racial discrimination" 10 • The vote on this resolution was 72 in favor, 35 against, and 32 abstentions. If the abstentions had been counted, the required majority would have been 92 and the resolution would have been declared rejected. 10

On the diplomatic background of this resolution, see Moynihan and

Weaver, loc. cit., pp. 169-200.

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However, no matter how the voting rules are manipulated there can be no doubt that, first, there is no trace in the Charter apart from the above mentioned exceptions, of any intention to depart from or modify the principle of international law that a State cannot be bound without its consent. If any confirmation were needed for this proposition, it is provided for in Article 2 (1). Second, there is nothing in the Charter to support the attribution of legislative authority to the General Assembly. A proposal to this effect was made and rejected at the San Francisco Conference. The practice of the United Nations in this realm has been altogether too controversial and too issue-oriented to warrant the proposition that some kind of rule of customary international law developed in this matter11 • Genera'lly speaking, the resolutions of the Assembly - over four thousand - received from the variegated audiences to which they were addressed, the consideration which they deserved.

111. The Charter was certainly a blueprint for action but its scope and procedures were circumscribed not merely because it was necessary to protect the minority against the majority but because it was imperative not to encroach upon the sovereign equality of any Members. If the Charter had been applied the Organization might well have become more static than dynamic, but the United States and its allies were determined to make it work in order to achieve its purposes, even at the expense of its principles. To understand the process fully, it would be necessary to discuss the legal training of American representatives and their peculiar experience with the evolution of the American Constitution and the New Deal. This is not possible here and it must simply be posited that they transferred this experience from the domestic to the international arena without much thought to the profound difference 11 The above may seem to be contradicted by certain dicta of the International Court of Justice in the Namibia, and recalled in the Western Sahara cases. I. C. J. Reports 1971, p. 31, 1975, p. 32, para. 56. Referring to the development of international law in regard to non-self-governing territories since the League of Nations, the Court declared in the Namibia case that it "must take into consideration the changes which have occurred in the supervening half-century, and its interpretation cannot remain unaffected by the subsequent development of law, through the Charter of the United Nations and by way of customary law". In his Separate Opinion in the Western Sahara case, Judge Dillard called "attention to the fact that the present Opinion is forthright in proclaiming the existence of the 'right' (to selfdetermination) in so far as the present proceedings are concerned". Reports 1975, p. 121. See also Separate Opinion of Judge de Castro ibid., pp. 169 - 171. Whether these dicta have resolved the difficult problern of self-determination cannot be discussed any further in this essay. They certainly are indicative of the degree to which the Court acclimatized itself to the rhetoric prevailing in the political organs of the United Nations.

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between them. The Charter was not to be interpreted as a multilateral treaty, which it still is, but as the constitution of an institution designed to accomplish lofty purposes 12 • Of these, the maintenance of international peace and security was the most important and was invoked in the Iranian question, the first case to come before the Security Council. It was brought before the Council on March 18, 1946, pursuant to Article 35 (1) as "a dispute between Iran and the USSR, the continuance of which was likely to endanger the maintenance of international peace and security". The Soviet representative stated that the situation in Iran could not be regarded as a threat of this nature, and that the conditions "necessary for the inclusion of the Iranian question in the agenda had not been satisfied" 13 • The Soviet representative thus seemed to call for a decision on the preliminary question whether the Council was competent to deal with the Iranian complaint. Moreover, in order to reso'lve this question, it would have been necessary to resolve the pre-preliminary question whether the mandatory abstention provision in Article 27 (3) applied to the vote on the preliminary question14 • The Council, neither then nor in subsequent cases, was inclined to resolve preliminary, Iet alone the pre-preliminary, questions. A Soviet request to postpone consideration of the matter was rejected and the Soviet representative "left the Council Chamber". The Council proceeded to adopt some temporizing resolutions, thus implicitly affirming its competence. On April 15, 1946, the Iranian Government informed the Council that in view of Soviet assurances for unconditional evacuation of Iranian territory, it "withdraws its complaint from the Security Council" 15 • Normally this should have put an end to the matter. Instead, a major constitutional debate ensued on the question whether the Council, under the Charter, could keep an item on the Agenda without exercizing its authority. The Secretary-General argued that it could not but the majority of the Council thought it could. Here was the first clash between a strict and liberal method of interpretation. This 12 It was natural, therefore, for Americans to invoke the great landmark cases, such as McCulloch v. Maryland, 3 Wheaton 406 (1819) and Missouri v. Holland, 252 U. S. 430, 433 (1920). In the former, the opinion was written by Chief Justice Marshall, the great architect of the Constitution, and in the latter by Mr. Justice Oliver Wendeil Holmes, regarded as a great liberal jurist. Typically, both cases were cited by the Legal Adviser in the Department of State, Professor A. Chayes, in his oral statement in the Expenses case. I. C. J. Pleadings (1962), June 21, 1962, p. 425, 426. See also Leo Gross, The United Nations and The International Court of Justice, Recueil des Cours, Vol. 120 (I-1967), pp. 319- 439, at pp. 401- 404. 13 Yearbook of the United Nations 1946- 1947, p. 330. 14 This reads as follows: "provided that, in decisions under Chapter VI, and under paragraph 3 of Article 52, a party to a dispute shall abstain from voting". 15 Yearbook, loc. cit., p. 332.

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became clear from the discussion in the Committee of Experts in which two arguments were put forward which came to dominate Council debates to this day: the first is that the Council was not a court of justice and the second that the "problem should not be regarded from a purely legalistic point of view" 16 • Thus the barrier between legality and arbitrariness, so vital in an international institution, was broken down. But this was not the end of the matter. A French proposal to remove the item from the agenda was rejected, the Soviet representative walked out again, and the Council adopted, on May 22, 1946, a reso'lution whereby it adjourned, but remained seized of, the lranian question. The Iranian question became No. 1 on the list of matters of which the Security Council was seized from 1946 to 1976, when, at the request of Iran, dated September 16, 1976, it was at long last removed from the list1 7 • As stated earlier, a strong protection of the reserved domain was a conditio sine qua non for the United States as wen as for other Members of the Organization. However, the process of dismantling the procedural safeguards built into the Charter, which started with the Iranian question, continued with the Article 2 (7). Of an the articles of the Charter, 111 in an, Article 2 (7) was probably more often invoked than any other and usuany, unless backed up by the veto, without success. On June 22, 1946, lndia introduced in the Assembly the question of the treatment of Indians in the Union of South Africa. lndia complained that, contrary to the Capetown Agreement concluded in 1927 between lndia and South Africa, which was renewed in 1932, an Act of the South African Government passed in 1946 "the result of which was the complete segregation of Indians as regards both trade and residence" 18 • This was the first time that the issue of apartheid was raised in the United Nations. South Africa responded that the Indians were subjects of South Africa, that the Charter imposed no specific Obligations regarding fundamental human rights, and that, in any event, the matter was within its domestic jurisdiction. "In view of the fact that the present case would form a precedent for the future" 19 , South Africa proposed that the Assembly request the I. C. J. for an advisory opinion on the question whether the matter was, under Article 2 (7}, essentiany within the domestic jurisdiction of South Africa. 16

Ibid., p. 333.

See Summary Statement by the Secretary-General on Matters of which the Security Council is seized ... Doc. S/12269, January 5, 1977, para. 4. 18 Yearbook, loc. cit., p. 144. 17

19

Ibid., p. 146.

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Those who opposed this proposal argued then, as was to be argued many times in future debates, that the political aspects of the question were weightier than the legal ones, that Members were obligated by the Charter to refrain from discrimination on grounds of race and, to clinch the argument that "to treat the Indian question as a legal matter would weaken the prestige of the United Nations, one of whose noblest tasks it was to promote respect for human rights and fundamental freedoms" 2o. Those who supported the proposal "stressed the importance of the preliminary legal question of the General Assembly's competence" 21 • No doubt, in any organization based on the principle of sovereign equality and endowed with broad yet limited competences, the question of competence must be decided prior to any action on the merits. The United States, France, the United Kingdom, Sweden and Mexico were among the members which favored a judicial ruling on the preliminary question. After a lengthy debate the proposal for a judicial ruling was not adopted. The Assembly adopted instead a resolution in which the Assembly expressed its opinion that the treatment of Indians should be in accordance with existing agreements and the relevant provisions of the Charter22. From a constitutional point, the adoption of the resolution meant first, that the Assembly resolved the preliminary question of competence in its favor and, second, that the Charter contained provisions applicable to the case. The question of Indians in South Africa remained on the Agenda of the General Assembly for several years. An item entitled "Treatment of People of Indian and Indo-Pakistan origin in the Republic of South Africa" appeared on every General Assembly agenda from 1946 until 1961. In 1962 it was replaced by a more general item entitled "The policies of apartheid of the Government of the Republic of South Africa" which has appeared on every General Assembly agenda since then. In the Indonesian question, Article 2 (7) appeared for the first time in the Security Council in the context of decolonization and its handling set a precedent. In July 1947, Australia and India informed the Council 2o

Ibid., italics supplied.

u Ibid.

22 Resolution 44 (I) of December 6, 1946. The vote was 32 : 15 : 7. If all votes were counted the necessary majority would have been 36 and the resolution would not have been adopted.

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of the hostilities in Java between the Netherlands and the Republic of Indonesia. Australia introduced a resolution calling for a cease-fire under Article 40 of the Charter and argued that the matter was "one of international concern" 23 • Having invoked Article 2 (7), without avail and after the Council invited an Indonesian representative, the Netherlands declared that "the Council (is) being led step by step toward an assertion of full jurisdiction which it so manifestly does not possess" 24 • In spite of the challenge to its competence, the Council on August 1, 1947, adopted a cease-fire resolution without reference to any article of the Charter and called upon the "parties" to settle their dispute by peaceful means. Thus, without resolving the preliminary question, the Council proceeded on its way and the Republic of Indonesia was elevated to the status of a "party" to the dispute on a footing of equality with the Netherlands. As the President of the Counci'l stated: "The vote on that (Australian-USSR draft) proposal will, after all, reveal the views of the members on the question of competence25 ". In the debate on the Indonesian question in the Council, as in the debate on the question of Indians in South Africa, the proposal was made to ask the International Court of Justice for an advisory opinion on the question of competence. The United States was prepared to support such a request but, in its view, such a request "must not prevent or delay action by the Securiy Conucil and the question should be referred to the Court only when hostilities had ceased, the status quo ante had been restored, and the peaceful methods which the Charter enjoined had been resumed" 26 • This is a very curious reasoning: if that procedure had been followed it would have assumed competence by the Council and put the Court in the difficult position of either ratifying what had already been done or declaring that the Council lacked competence to do what it did. But how could then the Netherlands be restored to the status quo ante the cease-fire resolution? At a later stage of the Indonesian question, in 1949, the question of the competence of the Council to deal with the matter was raised again by the Netherlands and again the Council was urged to submit the 23 Security Council Official Records II, No. 67, p. 1622. The phrase that a matter is of international concern acquired widespread acceptance in the United Nations and served to override objections based on dornestic jurisdiction. It is elernentary, of course, that rnany rnatters essentially within dornestic jurisdiction, e. g. arrnarnents, rnay be, and often are, of international concern. 24 Ibid., No. 77, p. 2012. 25 Ibid., No. 68, p. 1667. 26 Philip C. Jessup, The Birth of Nations (New York: Colurnbia University Press, 1974), p. 80.

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question of competence to the Court for an advisory opinion27 . This was not done and another resolution on substance (S/1234) was submitted. In that context the Netherlands representative declared: If this Resolution (S/1234) is adopted this provision (Article 2 (7)), which is

one of the Cornerstones of the United Nations Charter, will from now on be a dead letter2s. As it turned out, these were prophetic words. An essentia:l part of the Charter system was dismantled improvidently. The Charter was never given a chance to prove itself as the cold war became a dominant factor29. The veto provision, without which there would have been no Charter, has not become a victim of the cold war, though attempts were made to Iimit its scope through manipulations of the double veto without which the veto itself would be in jeopardy. The question of the double veto has been debated since 1946. The principal issue was whether the result of a vote in the Security Council was subject to a ruling of the President which stands unless overruled by a procedural vote under Rule 30 of the Provisional Rules of Procedure of the Security Council30 • The practice of the Council with the possible exception of one case31 , shows instances of rulings or statements by the President but, by and large, the veto and the double veto survived all attacks until 1959 when the Council decided to send a sub-committee to carry out inquires in Laos regarding Communist, that is, North-Vietnamese activities. Although the establishment of a sub-committee is C'learly a matter of procedure under Rule 29 of the Council's Rules of Procedure, the terms of reference when they involve an investigation, are clearly not procedural. But as the United States argued strongly that the whole resolution was procedural and not subject to the veto, the Soviet dele27 Security Council Official Records, IV, No. 9, p. 11. Ibid. 29 See Jessup, loc. cit., p. 50: "Throughout (the Indonesian question), the cold war was a dominant factor, and one of the principal motivations was the felt need to 'contain' communism". Jessup concludes as follows: "The United Nations proved its value. It would have been inconceivable for the United States to have promoted the evolution of Indonesian independence through unilateral diplomacy. It was only with the aid of United Nations mechanism that Indonesia was born in 1949." Ibid., p. 92. 30 Rule 30 reads as follows: "If a representative raises a point of order, the President shall immediately state his ruling. If it is challenged, the President shall immediately submit his ruling to the Security Council for immediate decision and it shall stand unless overruled." 31 The case concerned the proposal to invite representative of Communist China in 1950. For a discussion of this incident see Leo Gross, "The Double Veto and the Four-Power Statement on Voting in the Security Council", Harvard Law Review Vol. 67 (1953), pp. 259 ff. and 275 f. 28

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gate asked for a vote on the preliminary question: "Should the vote on the draft resolution submitted in Doe. S/4214 be eonsidered a proeedural one32 ?" The vote on the pr~liminary question was 10 to 1. Sinee the negative vote was east by the Soviet Union, the non-proeedural charaeter of the proposal was established and the President (the representative of Italy) should have so stated. However, the President declared that the resolution eould be considered procedural and was therefore adopted. The Soviet delegate declared his interpretation illegal, null and void 33 • He did not, wis~ly, challenge the ruling of the President, thus earefully avoiding a precedent which might become undesirable in the future in eonneetion with more important matters. As it turned out, 15 years later, the United States had set a precedent which prevented it from taking a stand on the double veto in eonneetion with the PLO, which will be discussed below. It remains to review briefly what happened to the separation of functions between the General Assembly and the Seeurity Council. Here, too, the dismantling process started in 1946. When the Security Couneil failed to reach agreement on the question of Franeo Spain, it dropped the matter from its agenda to clear the way for the General Assembly. After a wide-ranging debate, the Assembly, in resolution 39 (I), adopted on Deeember 12, 1946, reeommended "that all Members of the United Nations immediately reeall from Madrid their ambassadors and ministers plenipotentiary aecredited there". The praetieal impaet of the resolution was minimal, as most Members either had no ambassadors (19) or had no diplomatic relations with Franeo Spain (30) 34 • But did the resolution eonstitute an invasion of the exelusive eompetenee of the Seeurity Couneil under Article 41 of the Charter? This article ineludes among the measures short of foree "the severanee of diplomatic relations" which is usually aceomplished by the reeall of chiefs of mission. On the other hand, if Article 41 was not violated, did the Assembly disregard the injunetion against "aetion" in Artiele 11 (2)? Surely some aetion was taken even if one argues that it would have been pointless to refer the question back to the Seeurity Council which had already shown its incapacity for action. Be that as it may, a preeedent was established which was recalled in 1950 in connection with the eonstitutional debate on the Uniting for Peace resolution. That resolutionwas the brain-child of the United States which, on the one handwas gratified by the voluntary response of many Members to the nonbinding resolution of the Security Couneil of June 27, 195035 , and Security Council Official Records, Vol. 14 (1959), 848th meeting, p. 12. aa Ibid., pp. 13- 14. 34 Yearbook of the United Nations 1946- 1947, p. 130. 32

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on the other was exasperated by the liberal use of the veto by the Soviet Union. Resolution 377 (V) was adopted on November 3, 1950, and, in the view of some commentators, had the effect of shifting the center of gravity from the veto-ridden Security Council to the veto-free Assembly. This resolution is too well-known to require elaboration. But the debate about its constitutionality still continues. The essence of the controversy is whether the Charter confers upon the Council in Article 24 primary but not exclusive authority for the maintenance of international peace and security, and whether the General Assembly may exercise secondary or residual authority in case the Council is paralyzed by a veto. The United States denies and the Soviet Union affirms that the Council's responsibility is exclusive. The American interpretation of the Charter was supported by the International Court of Justice in the Expenses case. Without referring to the Uniting for Peace Resolution, the Court found that the responsibility of the Council was "primary" but not exclusive; that the action prohibited to the Assembly was "coercive or enforcement action" which only the Council may take; and that, accordingly, the Assembly may by way of recommendations organize peacekeeping operations with the consent or at the request of the States concerned36• This was a major victory for the United States and its efforts over time to enhance the stature of the Assembly beyond the intention of the founding fathers of the United Nations. But it turned out to be a Pyrrhic victory as soon as the majority support on which the United States had come to rely disappeared37• The General Assembly accepted the Advisory Opinion of the Court but was unwilling for Article 19 of the Chartertobe applied against the Soviet Union whose refusai to pay its assessed share of the peacekeeping operations in the Sinai and the Congo had brought it within the ambit of this article. There followed the non-voting session of the Assembly and in 1965 the U. S. drew the consequences from the fact that it had lost control of the majority, that it had become the minority and that some protection of its unwonted status had become necessary. This was the reason for the so-called 35 The Council recommended "that Members furnish such assistance to the Republic of Korea as may be necessary to repel the armed attack (by North Korea) and torestoreinternational peace and security in the area". 36 I. c. J. Reports 1962, pp. 163, 164. 37 Reliance on majority votes rather than on the law of the Charter was the gist of Professor Chayes' oral statement before the Court in the Expenses case when he said: "Member States do not find their protection ... - if protection is needed - in legal strictures of the Charter, but in the political requirement of a two-thirds majority in the General Assembly both to initiate the action and to make the necessary financial arrangements."

I. C. J. Pleadings 1962, p. 424.

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Goldberg reservation38 • It will be noted that the United States reserved its position not merely with respect to peacekeeping operations but "any activities" of which it disapproved. This was necessary because the Court had placed no limits on the budgetary power other than to declare that the expenses must serve the purposes of the Charter which are very comprehensive indeed 39 • The White House has, so far, made no use of the Goldberg reservation but the Congress of the United States did by adopting the so-called Helms amendment which prohibits the use of any funds appropriated for international organizations "for the furnishing of technical assistance by the United Nations or any of its specialized agencies" 40 • Unless the Helms amendment is repealed, there may be another financial crisis in the offing for there can be no doubt that technical assistance to developing countries serves the purposes of the United Nations. It would serve no useful purpose to try to determine precisely when the leadership of the majority passed from the United States to the Third World but the transition certainly occurred on the heels of the financial crisis and the June 1967 war between Israel and Arab States.

38 At the meeting of the Special Committee on Peace-keeping Operations held on August 16, 1965, the representative of the United States (Ambassador Goldberg) referred to the Advisory Opinion of the ICJ on the Expenses case and declared: "... on the basis of the entire history of the problern of the financing of peace-keeping operations, the United States had regretfully concluded that, at the present stage in the development of the United Nations, the General Assembly was not prepared to carry out the relevant provisions of the Charter, that is, to apply the loss-of-vote sanction in Article 19 ... It is agreed that the Assembly must proceed with its work. At the same time, if any Member State could make an exception to the principle of collective financial responsibility with respect to certain United Nations activities, the United States reserved the same option to make exception if, in its view, there were strong and compelling reasons to do so. There could be no double standard among the Members of the Organization". GAOR: 19th Sess., Annexes, Annex 21, Doc. A/5916/Add. 1, Annex, P. 86, para. 7. 3 ~ I. C. J. Report 1962, p. 167. The Court declared that "such expenditures must be tested by their relationship to the purposes of the United Nations in the sense that if an expenditure were made for a purpose which is not one of the purposes of the United Nations, it could not be considered an 'expense of the Organization"'. 40 Appropriation Act, 1979, Public Law 95 - 431, 92 Stat. 1021 - 1022. According to a Bill pending in Congress, H. R. 3363, 96th Congress, Ist Session, section 102 (b), no funds appropriated by the United States may be used for the Committee on the Exercise of the Inalienable Rights of the Palestinian People and the Special Unit on Palestinian Rights established pursuant to Part B of General Assembly Resolution 32/40 adopted on December 2, 1977.

416

Leo Gross IV.

The new .majority took over a severely damaged Charter, an enfeebled veto and a greatly enhanced General Assemblyo Whether conciously or not, the last limitation on the Assembly's competence derived from Article 12 was rernovedo The Security Council resolution 242 (1967) laid down the frarnework for the solution of the Palestine questiono On Decernber 10, 1969, the Assembly adopted resolution 2535 B (1967) which clearly encroached on Council resolution 242 (1967) in reaffirming "the inalienable rights of the people of Palestine" 0 Subsequent resolutions, some of which would have failed of adoption if Article 18 (2) of the Charter, instead of Rule 88 of the Rules of Procedure, had been followed, made increasingly clear that the Assembly had becorne an advocate of the Arabs against Israel and, since Israel was supported by and !arge by the United States, against the United Stateso In 1974, the General Assembly in open defiance of the Security Council and of Article 12, placed "The Question of Palestine" on its Agenda, and adopted on November 22, 1974, resolution 3236 (XXIX) setting forth its own plan for the solution of the problern which totally departed frorn resolution 242 (1967)0 The "legal strictures of the Charter", already weakened, were now cornpletely disregardedo One or two examples will illustrate the pointo By resolution 3210 (XXIX) of October 14, 1974, the Assembly invited "the Palestine Liberation Organization, the representative of the Palestinian people, to participate in the deliberation of the General Assernb'ly on the question of Palestine in plenary meetings" 0 According to Article 9 (1) the Assernbly consists of Members of the United Nations and they, through their representatives, participate in its deliberationso There is no constitutional basis for an invitation of this sorto It may be recalled that Pope Paul IV was invited to address the General Assernbly but not to participate in its deliberations41 o Acting perhaps on the rnotto that nothing succeeds like success, the Third World rnajority, including the two members frorn the socialist bloc, proposed in 1975 that the PoLo Oo be invited to the discussion of the Middle East problern in the Security Counci:l. The President insisted that the invitation would not be under Rule 39 of the Council's Provisional Rules of Procedure42 which would be legally unobjection41 GAOR: 20th sesso, 1347th Plenary Mtgo, October 4, 1965, Po 2, parao 140 Non-statal entities and individuals have been granted the opportunity to state their views in committees of the Assemblyo 42 This reads as follows: "The Security Council may invite members of the Secretariat or other persons, whom it considers competent for the purpose, to supply it with information or to give other assistance in examining matters within its competenceo"

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able but that "the invitation to the P. L. 0. to participate in this debate will confer on it the same rights of participation as are conferred when a Member State is invited to participate under Rule 37" 43 which applies to Members of the United Nations which are not members of the Council. Despite strenuous objections of a procedura'l and even constitutional character, the resolution was adopted on December 4, 1975 4 4, by a vote of 9 in favor, 3 against (Costa Rica, the United Kingdom, the United States), and 3 abstentions (France, Italy, Japan). On January 12, 1976, an invitation in identical termswas extended to the P. L. 0., but this time the United States, in splendid isolation, cast the only negative vote whereas the United Kingdom switched to abstention. The United States could, and in the present submission, should have challenged the declaration of the President of the Council that the two resolutions were adopted, and invoked the double veto procedure. For if anything was clear, it was that the resolutions were not procedural and raised a constitutional issue. But having scuttled the double veto in the Laotian question, the Department of State feit it could not call it to its rescue now45 • However, the question of Palestine apart, the Third World was primarily active in advancing its own interest through resolutions establishing a Charter of the Economic Rights and Duties of States46 and the New International Economic Order which, whatever their objectives and effectiveness, raise no constitutional issues. The activities of the Third World and its sympathizers devoted to the eradication of apartheid, racism, and the remnants of colonialism by endorsing Iiberation movements may be briefly mentioned because they do seem to involve such issues. The resolution equating zionism and racism has been mentioned already, and the less said about it the better. It speaks for itself and Members who voted for it. Resolution 32 (40) of December 2, 1977, has also been mentioned. It is surely an illustration of the excessive politicization of the United Nations. It requested the Secretary-General "to establish within the Secretariat of the United Nations a Special Unit on Palestinian Rights" which would undertake certain tasks on behalf of the Palestinian people and thus on behalf of the P. L. 0. which was recognized by the Assembly as the representative of the Palesti43 44

Doc. S/PV.1859, December 4, 1975, p. 3.

Ibid., p. 41.

45 For a more detailed analysis, see Leo Grass, "Voting in the Security Council and the PLO", The American Journal of International Law, Val. 70 (1976), pp. 470 - 491. 46 But the new majority, no more than the old majority, is interested in reviving the Draft Declaration of the Rights and Duties of States of the International Law Commission which has been gathering dust since 1949.

27 Festschrift für Stephan Verosta

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nian People. Never before has the Secretariat been asked to perform what may best be described as a public relations job on behaif of an organization which is bent on the destruction of a Member of the United Nations47 , and is in the meantime engaged in terrorist attacks on Israel and moderate Arabs 4s. Apartheid has for many years been a focal point of interest of the Third World and particularly of the African Members. The legal issues involved here are well-known; the Assembly adopts even more strident resolutions and South Africa continues to seek shelter behind Article

2 (7)49.

Of interest are more recent efforts of the Third World to drive South Africa from the United Nations and bring apartheid to an end by violent means. At its 1970 session, an attempt was made to suspend South Africa from participation in the work of the General Assembly by refusing to accept the credentials of the South African delegation. This attempt came to naught when the President of the Assembly, the late Edvard Hambro (Norway), relying on a statement by the United Nations Legal Counsel, on the scope of the "credentials" in Rule 27 of the Assembly's Rules of Procedure, considered that such a suspension would be unconstitutional50. The Legal Counsel cited the requirements for suspension of the rights and privileges of membership in the General Assembly (preventive or enforcement action against a Member, recommendation by the Security Council, and a two-thirds vote in the Assembly in accordance with Article 18, para. 2) and concluded: 47 The Palestinian National Charter, 1968, in: J. N. Moore, The Arab-Israel Conflict. Readings and Documents (Princeton: Princeton University Press, 1977), pp. 1086 - 1091. 48 Resolution 32 (40) is to be distinguished from General Assembly resolution 32 (43) of December 7, 1977, which was adopted without a vote and requested the Secretary-General to disseminate information about the work of the United Nations in the field of decolonization. 49 Judge Sir Percy Spencer in his Separate Opinion in the Expenses case made a statement which lends legal support to the position of South Africa. He said: "So, if the General Assembly were to 'intervene in matters which are essentially within the domestic jurisdiction of any State' within the meaning of Article 2 (7) of the Charter, whatever be the meaning to be given to these words, that intervention would be the entering into a field prohibited to it under the Charter and be beyond the authority of the General Assembly. This would continue to be so, no matter how frequently and consistently the General Assembly had construed its authority to permit it to make intervention in matters essentially within the domestic jurisdiction of any States. The majority has no power to extend, alter or disregard the Charter." I. C. J. Reports 1962, pp. 196- 197. so For a brief summary of the discussion, see Yearbook oj the United Nations 1970, pp. 143- 145.

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The participation in meetings of the General Assembly is quite clearly one of the important rights and privileges of membership. Suspension of this right through the rejection of credentials would not satisfy the foregoing requirements and would therefore be contrary to the Charter51• The Third World, undaunted by this failure, made a fresh approach, this time aiming at the expulsion of South Africa, was made in the Security Council in accordancee with Assembly Rsolution 3207 (XXIX) of September 30, 1974. However, this effort failed as the draft resolution recommending the expulsion in accordance with Article 6 of the Charter was not adopted. In the voting on October 30, 1974, the draft resolution received 10 votes in favor, 3 against (France, the United Kingdom, the United States), and 2 abstentions (Austria, Costa Rica). As legal grounds for expulsion, the draft resolution cited violations by South Africa of Articles 1, 2, 6, 55 and 56 52 • The matter returned to the General Assembly whose President was the representative of Algeria, a leading and radical Third World Member. The device used on this occasion was a ruling by the President, a device used by the old majority on other occasions. The President was asked to give a ruling on the meaning of the repeated rejection of the credentials of South Africa. Predictably, he gave the ruling in the following words: On the basis of the consistency with which the General Assembly has regularly refused to accept the credentials of the delegation of South Africa, one may legitimately infer that the General Assembly would in the same way reject the credentials of any other delegation authorized by the Government of the Republic of South Africa to represent it, which is tantamount to saying in explicit terms that the General Assembly refuses to allow the delegation of South Africa to participate in its work53 • As under Rule 73 of the Rules of Procedure of the General Assembly, a Presidential ruling (on a point of order) stands unless overruled and as the opposing States lacked the votes to overrule, the ruling was allowed to stand. It matters little to the new majority if the Charter is violated, provided it accomplishes its higher aims. Under Rules 27 and 28, the Credentials Committee has authority to examine only the formal validity of credentials (whether issued by the Head of State or Government or by the Minister for Foreign Affairs) and has no authority to inquire into the legitimacy of the Government54 • 61 Doc. A/8160, November 11, 1970, GAOR: 25th session, Annexes, Agenda item 3, pp. 3-4. 52 Yearbook of the United Nations 1974, pp. 111, 115. 53 Doc. A/PV. 2281, November 12, 1974, p. 76. 64 At the resumed 33rd session of the Assembly on May 23, 1979, South African delegates were present. Their presence was challenged and they

27•

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Much as the violation of the Charter in the credentials issue is to be deplored, the persistent advocacy of wars of national Iiberation and recent incitement to civil war in a Member State are not merely unconstitutional but constitute retrogressive steps in international law as it developed in the last 300 or 400 years. Contrary to its primordial purpose of maintaining peace through collective action, the Organization has become committed to promote a new kind of "just war" to a degree that some of the resolutions read like communiques from the battlefront55• One or two examples will illustrate the point. In resolution 33/44 of December 13, 1978, entitled "Implementatio n of the Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples", the Assembly, in operative paragraph 4, "affirms once again its recognition of the legitimacy of the struggle of the peoples under colonial and alien domination to exercise their right to selfdetermination and independence by all the necessary means at their disposal". In the operative paragraph 2, the Assembly goes on to urge "all States, directly or through their action in the specialized agencies and other organizations within the United Nations system, to provide all moral and material assistance to the oppressed peoples of Namibia and Zimbabwe ... " 56• The adoption of resolutions under this title has been an annual rite for a long time and it is unnecessary to cite them as their text has remained virtually identical57• However, resolution 32/105J of December 14, 1977, one of fifteen resolutions adopted at that session on the subject of apartheid, is rather unique in the annals of the United Nations, for it addresses itself not merely to the Iiberation movement but directly to the people of South Africa. For this reason it may be worthwhile to quote the four operative paragraphs of this resolution entitled "Assistance to the National Liberation Movement of South Africa". After recognizing in the Preamble "that the policies and action of the racist regime of South Africa have aggravated a threat to the peace in southern Africa and that their continuation would Iead to a wider conflict", the Assembly: were again excluded. UN Press Release WS/920, May 25, 1979, p. 1. Western delegates again questioned the legal basis for rejecting the credentials of the South African delegation. Ibid. 55 Thus, in paragraph 4 of resolution 393 (1976) adopted on July 30, 1976, by 14 votes to none, with 1 abstention (the United States), the Security Council "commends the Republic of Zambia and other 'front-line' States for their steadfast support of the people of Namibia in their legitimate struggle for the liberation of their country from illegal occupation by the racist regime of South Africa". 56 See also companion resolution 33/41 of December 13, 1978. 57 See e. g. resolution 32/42 of December 7, 1977.

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1. Strongly reaffirms the inalienable right of the people of South Africa as a whole, irrespective of race, colour or creed, to determine, on the basis of majority rule, the future of South Africa;

2. Further reaffirms the legitimacy of the struggle of the oppressed people of South Africa and their national Iiberation movement for the eradication of apartheid and the exercise of the right of self-determination by the people of South Africa as a whole; 3. Declares that, in view of the intransigence of the racist regime, its defiance of resolutions of the United Nations and its continued imposition of the criminal policy of apartheid, the national Iiberation movement has an inalienable right to continue its struggle for the seizure of power by all available and appropriate means of its choice, including armed struggle; 4. Further declares that the international community should provide all assistance to the nationalliberation movement of South Africa in its legitimate struggle and exercise all its authority, under the provisions of the Charter of the United Nations, including Chapter VII, to facilitate the transfer of power from the minority racist regime to the genuine representatives of all the people of South Africa.

In order to appreciate the gravity of such pronouncements, which, if heeded, are bound to "lead to a wider conflict" it may be helpful to recall that under the Charter's prohibition of the use of force, force can only be used in self-defense under Article 51 or pursuant to appropriate action by the Security Council under Chapter VII. Moreover, the 1970 resolution 2525 (XXV) on Peaceful Coexistence5S which has been hailed by some as a codification of modern international law, provides in connection with decolonization that certain peoples in their resistance to forcible action aimed at depriving them of their right to self-determination, "are entitled to seek and to receive support in accordance with the purposes and principles of the Charter". Recent resolutions, including the one cited above, do not contain this restriction. The Charter, as the standard of legality, is thus eliminated, although in its General Part the Coexistence resolution unambiguously recognized the primacy of the Charter. Furthermore, the Coexistence resolution provides that "every State has the duty to refrain from organizing or encouraging the organization of irregular forces or armed bands, including mercenaries, for invasion 58 Its full title is: Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations among States in accordance with the Charter of the United Nations. It was adopted by consensus on October 24, 1970, the 25th anniversary of the coming into force of the Charter.

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into the territory of another State". It is fair to suggest that what is illicit for States cannot, by means of Assembly resolutions, be made licit for the Organization. Incursions of this kind have always been illegal under international law. In fact, it is so fundamental a principle that without it we would lapse into a state of anarchy. In international law, States victims of armed bands could and did resort to self-help, usually in the form of reprisals, admittedly crude and somewhat controversial measures to vindicate respect for law in a decentralized legal order59 • However, this carefully balanced system of rights and obligations has been upset by the inclusion in the Coexistence resolution of the principle: "States have a duty to refrain from acts of reprisal involving the use of force." Of course, if States would respect their duty to prevent incursions into another State's territory, there would be no need for reprisals. But if States do not - and some of them particularly in the Middle East and in southern Africa do not - then what can the victim State do seeing that consitutionally the Security Council has no authority to enforce international Iaw and that politically it is supportive of such States and condemns self-help action on the part of the victim State60 • Is it seriously expected by the Third World for the target state to suffer armed attacks passively and forego the right of selfdefense, vim vi repellere61 ? The consensus Definition of Aggression adopted by Assembly resolution 3314 (XXIX) of December 14, 1974 is so ambiguous as to permit a variety of interpretations62 • On the one hand it qualifies as an act of 59 Reference should be made to the Naulilaa case which confirmed the right of reprisal. Recueil des Decisions des Tribunaux Arbitraux Mixtes,

Vol. 8, p. 409.

80 Suffice it to cite Security Council resolution 403 (1977) of January 14, 1977, concerning a complaint by Botswana of violations of its sovereignty by

Rhodesia. Instead of condemming Botswana for giving succor to national liberation movements operating from its territory, the Council strongly condemned "all acts of provocation and harrassment ... committed against Botswana by the illegal regime in Southern Rhodesia". As further evidence for the loss of contact with the real world, one may refer to the statement in the Preamble in which the Council reaffirmed "the legal responsibility of the Government of the United Kingdom . . . over Southern Rhodesia, in accordance with the relevant resolutions". 81 It has been suggested that this is indeed a consequence of the recognition of a right to self-determinatio n. Traditionally, internal rebellion for whatever cause was not a matter with which international law concerned itself. But if there is now in international law "a right to rebel for certain specified 'causes', racial in nature" then "such a 'right' in international law places a cerrelative 'duty' upon the State concerned not to resist the exercise of such right of self-determinatio n by force". This would be contrary to Articles 2 (4) and 51 of the Charter and would imply an amendment of the Charter "in a manner which had no vestige of legality". See G. I. A. D. Draper, "Wars of National Liberation and War Criminality", in Michael Howard (ed.), Restraints on War (Oxford University Press, 1979), p. 157 f.

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aggression "the sending by or on behalf of a State of armed bands ... which carry out acts of armed force against another State of such gravity as to amount" to the other acts listed in Article 3. On the other hand, it exempts from this definition the right of peoples forcibly deprived of the right to self-determination "to struggle ... and receive support, in accordance with the principles of the Charter and in conformity" with the 1970 Coexistence resolution. Surely, liberation forces are not sent "on behalf of a State" unless one regards the "frontline" Members of the United Nations as such States. But how can Iiberation struggles "receive support" in accordance with the Charter unless the Security Council, and not individual States, takes enforcement measures under Chapter VII and pursuant to the exemption in Article 2 (7)? One of the most significant stages in the pacification of Europe has been the elimination of private wars waged by feudal barons and princes and of privateering at sea and the acceptance of public war waged by sovereign States as the only permissible armed contest. Legal positivism put an end to the doctrine of just war and the law of war governed exclusively wars between States63 • Tobe sure it would have been better, if it were possible, to abolish war altogether. Attempts in that direction were made at the 1899 and 1907 Hague Peace Conferences, in the 1919 Covenant of the League of Nations, in the 1928 Kellogg-Briand Pact, and the Charter of the United Nations. But the practical results were meager. All the same, however restricted, public war remained an attribute of sovereignty, a right of last resort or, in the words of Article 51 of the Charter, a right "of individual or collective self-defense if an armed attack occurs against a Member of the United Nations". By calling upon all and sundry to aid and abet wars of national liberation64 and by affirming their "legitimacy" the political argans of the United Nations, impelled by the Third World, seem determined to 82 See Julius Stone, "Hopes and Loopholes in the Definition of Aggression", American Journal of International Law, Vol 71 (1977), pp. 224-246, parti-

cularly pp. 233 and 238. es See Draper, loc. cit., p. 136. 64 On the discriminatory character of such wars which in itself is a throwback to earlier times, Draper writes: "There has been during the last decade a modified recrudescence of the idea that the 'cause' for which an armed struggle has been initiated by one participant ought to determine whether such stuggle is an international armed conflict to which the modern jus in bello i. e. the Humanitarian Law of Armed Conflicts, is applicable. This movement is, upon analysis, not towards a discrimination in the application of that law of armed conflict. It is a move for a discriminatory basis upon which struggles for selective 'causes' should be considered as international armed conflicts. It is, in effect, a double discrimination, as to the identity of a new belligerent 'entity', and as to the 'cause' for which it resorts to armed force." Ibid., p. 139.

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turn the clock back to the turbulence of the Middle Ages and nullify the modest progress that international law has achieved in the pacification of the world. In a short span of time the legal securities of the Charter were largely dismantled to the point where the will of the majority reigns supreme and undermines the very foundations of international law without which neither the traditionallegal nor the new economic order, so dear to the Third World, is possible. What Mr. Justice Holmes said in Missouri v. Holland about the constitution of the United States applies, grosso modo, to the Charter of the United Nations: the Charter called into life a being, the development of which could not have been foreseen by the most gifted of its American founders.

VIII. Europäische Sicherheit

VON HELSINKI ÜBER BELGRAD NACH MADRID

Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa aus der Sicht eines Österreichischen Konferenzteilnehmers Von Helmut Liedermann•

I. Rückblick Mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), deren Schlußakte am 1. August 1975 auf höchster Ebene der Staats- bzw. Regierungschefs in Helsinki unterzeichnet wurde, war die Absicht verbunden, dem Entspannungsprozeß neue Dimensionen zu verleihen. Teilgenommen haben an dieser Konferenz mit Ausnahme Albaniens alle europäischen Staaten sowie die Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada. Alle diese Teilnehmer waren als souveräne und unabhängige Staaten unter den Bedingungen voller Gleichheit an der Konferenz beteiligt, weil auf Grund der Verfahrensregeln alle Beschlüsse nur durch Konsens gefaßt werden konnten und die Konferenz außerhalb der militärischen Bündnisse stattfand. Dennoch war wegen ihres großen politischen Gewichts und militärischen Potentials die Einbindung der beiden Supermächte USA und UdSSR von besonderer Bedeutung. Österreich hat sich nicht nur von Anbeginn für eine solche Konferenz ausgesprochen, sondern auch keine Anstrengungen gescheut, bei dieser Konferenz aktiv mitzuarbeiten. Die Österreichische Delegation hat eine ganze Reihe von Vorschlägen- insbesondere im humanitären Bereich des Korbes III - eingebracht, die ihren Niederschlag in der Schlußakte gefunden haben. Dabei ist Österreich ohne Illusionen und ohne Euphorie in die Verhandlungen gegangen und hat das Ergebnis der Konferenz von einer realistischen Basis aus bewertet, ohne sich von Wunschdenken leiten zu lassen, weil Illusionen von heute leicht zu Enttäuschungen von morgen werden können. Niemand konnte von der KSZE erwarten, daß die eine

* Der Verfasser war von 1971 - 1977 Leiter der im Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten in Wien für die KSZE zuständigen Abteilung und als solcher amtierender Leiter der Österreichischen Delegation während der Redaktionsphase der KSZE in Genf und Leiter der Österreichischen Delegation beim Belgrader Treffen der Teilnehmerstaaten der KSZE.

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oder andere Seite prinzipiell e Zugeständ nisse macht, die zu einer Änderung ihrer Gesellscha fts- oder Wirtschaft sordnung führen könnten. Missionari sche Absichten hat Österreich mit der Konferenz nicht verfolgt, sondern versucht, trotz des Bestehens verschiede ner Gesellschafts- und Wirtschaft sordnunge n unter Wahrung seiner nationalen Interessen Brücken zu schlagen, um damit bessere Grundlage n für mehr Sicherheit und mehr Zusammen arbeit zu schaffen und auch den Menschen in Europa fühlbare Erleichteru ngen zu bringen. Die Menschen in den Teilnehme rstaaten wollen den Entspannu ngsprozeß nicht nur als abstrakten politischen Begriff verstehen, sondern erwarten mit Recht, als Ergebnis der Konferenz für jedermann sichtbare und fühlbare Früchte des Entspannu ngsprozess es genießen zu können. Was nach langen und mühsamen Verhandlu ngen erreicht wurde, bleibt hinter den Erwartung en derjenigen zurück, die nicht berücksichtigen, daß auch diese Konferenz von den Realitäten in Europa ausgehen mußte. Die Konferenz hat die Möglichke iten, aber auch die Grenzen der Entspannu ngspolitik deutlich gemacht, neue Hoffnunge n erweckt, aber auch Illusionen erkennen lassen. Schlußakte der KSZE Die in Helsinki unterzeich nete Schlußakte der KSZE umfaßt vier Hauptabsc hnitte (Körbe): -

Fragen der Sicherheit in Europa Zusammen arbeit in den Bereichen der Wirtschaft , der Wissensch aft und der Technik sowie der Umwelt Zusammen arbeit in humanitär en und anderen Bereichen Folgen der Konferenz

Erster Korb Der erste Hauptabsc hnitt (Korb), der sich mit Fragen der Sicherheit in Europa beschäftigt , enthält zehn Prinzipien , die jeder Teilnehme rstaat in seinen Beziehung en zu den anderen Teilnehme rstaaten, ungeachtet ihrer politischen , wirtschaftl ichen oder sozialen Systeme sowie ihrer Größe, ihrer geographis chen Lage oder ihres wirtschaftl ichen Entwicklun gsstandes anzuwende n hat. Es handelt sich hiebei um nachstehende zehn Prinzipien , deren Titel folgenderm aßen lauten: I. Souveräne Gleichheit, Achtung der der Souveräni tät innewohnenden Rechte II. Enthaltung von der Androhung oder Anwendun g von Gewalt

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III. Unverletzlichkeit der Grenzen IV. Territoriale Integrität der Staaten V. Friedliche Regelung von Streitfällen VI. Nichteinmischung in innere Angelegenheiten VII. Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit VIII. Gleichberechtigung und Selbstbestimmungsrecht der Völker IX. Zusammenarbeit zwischen den Staaten X. Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben Alle diese Prinzipien, die im Text der Schlußakte konkretisiert worden sind, bilden ein einheitliches Ganzes - keines ist dem anderen übergeordnet; sie sind alle gleichermaßen von grundlegender Bedeutung. Es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, wollte man sich mit jedem einzelnen der zehn Prinzipien befassen. Man kann sie insoferne mit den sieben Prinzipien, die in der Charter der Vereinten Nationen enthalten sind, nicht vergleichen, als es sich bei der Charter der Vereinten Nationen um einen Vertrag und somit um eine Rechtsquelle handelt, während sich die Schlußakte der KSZE nicht als Vertrag, sondern als eine politische Absichtserklärung präsentiert. Somit kann der Schlußakte auch nicht der Charakter eines Friedensvertrages zugesprochen werden. Regionales Völkerrecht wurde durch diee Konfrenz nicht geschaffen, doch hat die Schlußakte - auf höchster Ebene unterzeichnet - ein sehr erhebliches politisches Gewicht. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß gerade die bedeutendsten Bestimmungen der Schlußakte unmittelbar anwendbar sind und keiner bilateralen oder multilateralen Ausführungsverträge bedürfen. In der Schlußakte der KSZE wurde erstmals die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit, als Prinzip anerkannt. Damit hat die Konferenz auf internationaler Ebene eine Neuerung eingeführt. Die weltweit geltenden Texte, wie etwa die Charter der Vereinten Nationen, bezeichnen die Menschenrechte nicht als Prinzip und stellen sie somit auf eine niedrigere Stufe als die Prinzipien, welche die Beziehungen zwischen den Staaten in der Schlußakte der KS'ZE bestimmen. Dies ist sehr wichtig in dem Sinne, als eine Intervention aus humanitären Gründen, die ein Teilnehmerstaat bei einem anderen zu

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unternehmen als opportun erachtet, nicht mehr a priori als Einmischung in innere Angelegenheiten dieses Staates angesehen werden kann. Wenn man die anderen, klassischen Prinzipien betrachtet, hat Österreich seit jeher dem Prinzip der Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt besondere Bedeutung beigemessen. Dieses Prinzip wird erst dann wirklich glaubwürdig sein, wenn es von echten Abrüstungsmaßnahmen begleitet wird, die auf das für die Sicherheit Europas nach wie vor sehr maßgebliche Gleichgewicht der Kräfte Bedacht nehmen und so die Sicherheit keines Staates beeinträchtigen. Es ist insbesondere der Initiative der neutralen und paktungebundenen Teilnehmerstaaten der Konferenz zu danken, daß die KSZE den offenkundigen Zusammenhang zwischen dem politischen und dem militärischen Aspekt der Sicherheit nicht übersehen konnte und sich daher mit einschlägigen Fragen befaßt hat. Nach langen und schwierigen Verhandlungen wurden in der Schlußakte der KSZE sogenannte "Vertrauensbildende Maßnahmen" vorgesehen, deren Bedeutung nicht zuletzt auf politisch-psychologischem Gebiet liegt. Dennoch sollten sie nicht unterschätzt werden, weil sie Mißtrauen abbauen helfen können. Das betrifft insbesondere die Ankündigung größerer militärischer Manöver. Gerade solche Manöver sind es, die in bestimmten Situationen von kleineren Staaten als Manifestation der Gewalt und potentielle Bedrohung ihrer Sicherheit aufgefaßt werden könnten. Schon lange vor Beginn der KSZE hat Österreich die Auffassung vertreten, daß es nicht möglich ist, über Sicherheit und 'Zusammenarbeit in Europa zu sprechen und dabei einen brisanten Krisenherd in der europäischen Nachbarschaft außer acht zu lassen. Daher hat Österreich im Verlauf der multilateralen Vorbereitung der KSZE in Helsinki vorgeschlagen, bei der Konferenz auch darüber zu beraten, welchen Beitrag die Teilnehmerstaaten zur Lösung des Nahostproblems leisten könnten. Leider war es nicht möglich, in Helsinki einen Konsens über diesen Österreichischen Tagesordnungsvorschlag zu erzielen. Immerhin ist es gelungen, in die Schlußakte der KSZE eine Erklärung aufzunehmen, die sich auf die ersten beiden Hauptabschnitte bezieht und eine Absichtserklärung zu Fragen der Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittelmeerraum enthält.

Zweiter Korb Der zweite Hauptabschnitt (Korb) der Schlußakte der KS'ZE beschäftigt sich mit der Zusammenarbeit in den Bereichen der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Technik sowie der Umwelt. Es besteht hier insofern ein Unterschied zum dritten Korb, der sich mit humanitären

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und anderen Fragen beschäftigt, als dort im Gegensatz zum wirtschaftlichen Bereich viel Neuland beschritten worden ist. Mit der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (ECE) besteht schon seit Jahren eine Organisation, die sich mit WestOst-Handelsproblemen beschäftigt. Außerdem gibt es bereits eine große Zahl von bilateralen und multilateralen Abkommen zur Regelung des West-Ost-Handels. Ausgehend davon, daß für die Förderung des West-Ost-Handels vor allem eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Geschäftsmöglichkeiten für die Firmen aus den Ländern mit freier Marktwirtschaft notwendig wäre, hat sich die Österreichische Delegation auf der Konferenz besonders für die Ausarbeitung von Texten betreffend die Handelsförderung, die Verbesserung der Information über Handel und Wirtschaft sowie für die Verbesserung der Geschäftskontakte eingesetzt. Die Hauptschwierigkeiten bei den Verhandlungen im wirtschaftlichen Bereich lagen einerseits bei der Behandlung des Wunsches der COMECON-Staaten, einen möglichst starken Hinweis auf die Einräumung der Meistbegünstigung im Handel zu erhalten und andererseits bei der Behandlung des Wunsches der marktwirtschaftlich orientierten Staaten, zu dokumentieren, daß die Wirtschaftsbeziehungen auf der Grundlage einer Gegenseitigkeit basieren sollen, welche den Partnern ein Gleichgewicht von Vorteilen und Verpflichtungen bringt. Das Ergebnis ist in beiden Fällen eine Kompromißlösung.

Dritter Korb Österreich ist ein im Zentrum Europas gelegener Staat, dessen Bevölkerung seit Generationen verwandtschaftliche und andere persönliche Beziehungen über die Grenzen des Landes hinaus unterhält. Daher war und ist Österreich an dem dritten Hauptabschnitt (Korb) sehr interessiert, der sich mit der Lösung humanitärer Probleme und mit der Schaffung besserer Bedingungen für Kontakte zwischen den Menschen sowie für eine freiere Verbreitung von Informationen und für Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kultur und Bildung beschäftigt. So wie es die vornehmste Aufgabe des Staates ist, für das Wohl seiner Bürger zu sorgen, soll auch der Mensch im Mittelpunkt des Sicherheitsbedürfnisses der Staaten in der internationalen Staatengemeinschaft stehen, weshalb Österreich die Rolle des Menschen im Konzept der Konferenz stark hervorgehoben hat. Vor allem scheint es mir eine der großen Aufgaben eines immerwährend neutralen Staates zu sein, nicht müde zu werden, die dem Menschen zugewandte Seite der Politik immer wieder zu unterstreichen.

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Wenn wir den Entspannu ngsprozeß fördern und weiterentw ickeln wollen, müssen wir auch auf der menschlich en Ebene näher zueinande rfinden und uns besser kennenlern en können, damit wir mehr Vertrauen zueinande r gewinnen, was wiederum Voraussetz ung für das friedliche Nebeneina nder und Miteinand er sowie für jede Art von Zusammen arbeit ist, die ihrerseits ein ganz wesentlich es Element für die Gewährlei stung der Sicherheit in Europa darstellt. Osterreich verfolgt dabei rein praktische , seiner eigenen Interessen lage entspreche nde und auch der Entspannu ng förderliche Ziele. Die geographis che Lage und die historische Entwicklu ng Osterreich s bedingen es, daß unser Volk mannigfac he familiäre und andere persönlich e Beziehung en über unsere Grenzen hinaus unterhält und daher ein ganz konkretes Interesse an der Schaffung besserer Bedingung en für Kontakte zwischen den Menschen in allen ihren Erscheinun gsformen und für die Lösung humanitär er Probleme hat. Es geht hier um die Erleichteru ng von Familienbe suchen, Zusammen führung getrennter Familien und Erleichteru ng von Eheschließ ungen von Bürgern verschiede ner Staaten. Auch Möglichke iten für umfassenderes Reisen sollen geschaffen werden, um den Menschen Gelegenhe it zu geben, andere Länder zu besuchen und einander besser kennenlernen zu können. Es ist ein großer Fortschritt , daß sich die KSZE als bedeutend e internationale Konferenz zum ersten Male ganz bewußt und konkret mit Fragen dieser Art befaßt hat. Die Unterkomm ission, die sich mit der Redaktion des Textes betreffend die Schaffung besserer Bedingung en für Kontakte zwischen den Menschen zu beschäftig en hatte, ist mit ihrer Arbeit zunächst nur langsam vorangeko mmen. Auf einstimmig en Wunsch sämtlicher Delegationen der Teilnehme rstaaten hat es daraufhin die Österreichische Delegation übernomm en, durch fast eineinhalb Jahre informelle Gespräche zu koordinier en, an denen Vertreter des Westens und des Ostens teilgenomm en haben. Zweck dieser informelle n Gespräche, die in den Räumen der Österreichi schen Delegation stattgefun den haben, war es, nach Formulier ungen zu suchen, die von allen Teilnehme rstaaten akzeptiert werden können. Diese Gespräche konnten zu einem guten Abschluß gebracht werden. Sämtliche Texte in der Schlußakte der Konferenz , die die Schaffung besserer Kontakte zwischen den Menschen zum Ziele haben, wurden von der Österreichi schen Delegation eingebrach t. Der gleiche Grundgeda nke lag auch der Arbeit an den Texten zugrunde, die Erleichteru ngen für die Verbreitun g von Informatio nen

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aller Art zum 'Ziele haben. Je mehr die Menschen und Völker voneinander wissen, desto besser werden sie ihre Probleme verstehen und desto mehr Verständnis werden sie für die Interessenlage der anderen aufbringen können. Daher ist im Sinne der Schlußakte der KSZE die Absicht der Teilnehmerstaaten zu begrüßen, eine Erhöhung der Menge sowie der Anzahl von Zeitungen und sonstigen Veröffentlichungen, die aus anderen Teilnehmerstaaten eingeführt werden, zu fördern und zur Verbesserung des Zuganges der Öffentlichkeit zu diesen Publikationen beizutragen. Die Konferenz hat auch richtig erkannt, daß Austausch und Zusammenarbeit im Bereich der Kultur und Bildung zu einem besseren Verständnis zwischen den Völkern und Menschen beitragen und so eine dauerhafte Verständigung zwischen den Staaten fördern. In der Absicht, die Bemühungen der Teilnehmerstaaten um Fortschritt in diesem Bereich fortzusetzen und zu verstärken, befaßt sich die Schlußakte der KSZE auch mit Fragen solcher Art. Auch hier haben Österreichische Vorschläge Eingang in die Schlußakte gefunden.

Vierter Korb Der vierte Hauptabschnitt (Korb) der Schlußakte ist den "Folgen der Konferenz" gewidmet, also der Frage, was geschehen soll, um die Ergebnisse der Konferenz nicht im Sande verlaufen zu lassen. In der Absicht, die Bestimmungen der Schlußakte der Konferenz durchzuführen, um deren Ergebnissen volle Wirksamkeit zu verleihen und so den Prozeß der Verbesserung der Sicherheit und der Entwicklung der Zusammenarbeit in Europa zu fördern, haben sich die Teilnehmerstaaten der KSZE darauf geeinigt, Zusammenkünfte zwischen ihren Vertretern zu organisieren, mit der Aufgabe, einen vertieften Meinungsaustausch vorzunehmen, sowohl über die Durchführung der Bestimmungen der Schlußakte und die Ausführung der von der Konferenz definierten Aufgaben als auch, im Zusammenhang mit den von ihr behandelten Fragen, über die Vertiefung ihrer gegenseitigen Beziehungen, die Verbesserung der Sicherheit und die Entwicklung der Zusammenarbeit in Europa und die Entwicklung des Entspannungsprozesses in der Zukunft.

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II. Belgrader Treffen der Vertreter der Teilnehmerstaaten der KSZE Verlauf

Die erste dieser Zusammenkü nfte hat nach Abhaltung eines Vorbereitungstreff ens vom 4. Oktober 1977 bis 9. März 1978 in Belgrad stattgefunde n. Dem Mandat der Schlußakte der KSZE entsprechend , wurde nach den Begrüßungsa nsprachen und einführenden Erklärungen ein Meinungsaustau sch über den Stand der Durchführun g der Bestimmung en der Schlußakte seit ihrer Unterzeichnu ng abgehalten, an dem die Öffentlichke it in den Teilnehmers taaten großen Anteil genommen hat, insbesondere , soweit er sich auf die humanitären Bestimmung en der Schlußakte der KSZE bezog. Auch die Österreichische Delegation hat sich aktiv an der Diskussion beteiligt, was in den Jahren seit dem Gipfeltreffen von Helsinki geschehen ist bzw. noch zu geschehen hat, um alle Bestimmung en der Schlußakte vorbehaltlos zu verwirkliche n. Das gilt auch für das Prinzip der Menschenrec hte und Grundfreihe iten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreihei t, das heute mehr denn je auch für die zwischenstaa tlichen Beziehungen von maßgebliche r Bedeutung ist. Die vorbehaltslo se Anwendung des Prinzips der Menschenrec hte und Grundfreihe iten ist als unabdingbar es Element des Entspannung sprozesses nicht nur im unmittelbaren Interesse der Menschen selbst, sondern im hohen Maße auch im Interesse der Staaten gelegen. Dieser Meinungsaus tausch, der die ersten Wochen des Belgrader Treffens in Anspruch genommen hat, war zweifellos notwendig und nützlich, weil die Bedeutung der Schlußakte auf längere Sicht davon abhängen wird, wieviel Wirklichkeit wir den in der Schlußakte enthaltenen Absichtserkl ärungen der Teilnehmers taaten der Konferenz zu verleihen vermögen. Die Schlußakte der KSZE ist nicht nur für die Archive der Außenminist erien bestimmt. Erst die vorbehaltlos e Durchführung des gesamten Konferenzer gebnisses wird einen echten und wirkungsvol len Beitrag zum Entspannung sprozeß leisten. Im Ergebnis der Diskussion konnten zwar Erfolge festgestellt werden, doch war es nicht zu übersehen, daß noch große Anstrengung en der Teilnehmers taaten der KSZE erforderlich sind, um alle Bestimmungen der Schlußakte in die Tat umzusetzen. Das Mandat für das Beldrader Treffen enthielt auch ein dynamisches Element, welches der Auffassung Rechnung trägt, daß neue Anstrengung en erforderlich sind, um weitere Fortschritte auf der Basis des Gipfeltreffen s von Helsinki zu ermöglichen.

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Auf dieser Grundlage wurden von Teilnehmerstaaten des Treffens über 100 Vorschläge eingebracht. Auch Österreich hat sich daran mit einer Reihe von Vorschlägen beteiligt, um damit seinen Beitrag zur Eröffnung breiterer Perspektiven für die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu leisten. Diese Vorschläge erstreckten sich auf alle Körbe der Schlußakte der KSZE. Im Rahmen des ersten Korbes, der sich mit Fragen der Sicherheit in Europa befaßt, hat Österreich zusammen mit anderen neutralen und paktungebundenen Teilnehmerstaaten der KSZE, und zwar mit Finnland, Jugoslawien, Liechtenstein, Schweden, der Schweiz und Zypern einen gemeinsamen Vorschlag betreffend die vertrauensbildenden Maßnahmen im militärischen Bereich der Sicherheit eingebracht. Dieser Vorschlag befaßte sich mit der vorherigen Ankündigung militärischer Manöver, mit dem Austausch von Manöverbeobachtern und mit der vorherigen Ankündigung militärischer Bewegungen. Er zielte ferner darauf ab, eine größere Informationsbereitschaft in anderen militärischen Bereichen zu erwirken. Ein zweiter Vorschlag dieser Staaten im militärischen Bereich der Sicherheit befaßte sich mit Fragen des Truppen- und Rüstungsabbaues. Dabei geht es vor allem darum, die Verhandlungen derjenigen Gremien zu stimulieren, die sich mit Fragen der Abrüstung beschäftigen, weil Abrüstungsrethorik allein keinen Ersatz für konkrete Schritte darstellen kann. Mit diesen Vorschlägen haben die neutralen und paktungebundenen Teilnehmerstaaten eine Tradition fortgesetzt, die schon im Rahmen der KSZE in Genf erfolgreich begonnen wurde. Die fruchtbare und erfolgreiche Zusammenarbeit dieser Staaten, die nicht nur in Belangen ihrer eigenen Interessenssphären tätig geworden sind, sondern im gesamten Konzept der Konferenz eine bedeutende Rolle gespielt haben, hat es nicht selten allen 35 Teilnehmerstaaten der Konferenz ermöglicht, Schwierigkeiten zu überwinden und den größtmöglichen gemeinsamen Nenner zu finden. Im Rahmen des zweiten Korbes, der sich auf die Zusammenarbeit im Bereich der Wirtschaft bezieht, hat die Österreichische Delegation auf drei bedeutenden Gebieten Initiativen ergriffen und folgende Vorschläge unterbreitet: Einen Vorschlag betreffend ein gesamteuropäisches Binnenwasserstraßenkonzept, der eine gesamteuropäische Koordination bei der Planung, dem weiteren Ausbau und der Verbindung des Binnenwasserstraßennetzes Europas herbeiführen soll. In einem weiteren Vorschlag hat Österreich die Verstärkung der gesamteuropäischen Zusammenarbeit auf dem Energiesektor vorgeschlagen. Ziel dieses Vorschlages ist eine bessere und gesicherte Ver28°

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sorgung aller Teilnehmerstaaten der KSZE mit Primär- sowie Sekundärenergie und als Folge davon eine Ausweitung des Handels sowie überhaupt die Förderung der Ost-West-Wirtschaftsbeziehungen auf breiter Ebene. Die weltweite Energiekrise beweist die besondere Aktualität dieses Vorschlages. Der dritte Österreichische Vorschlag betraf die Abschnitte der Schlußakte der KSZE, die sich mit der Verbesserung der Geschäftskontakte und -möglichkeiten, Information über Handel und Wirtschaft sowie Handelsförderung befassen und enthält Gedanken, wie diese Abschnitte sinnvoll in die Praxis umgesetzt werden sollten. Bei der Formulierung dieses Vorschlages hat Österreich eng mit den Interessensvertretungen der Österreichischen Wirtschaft zusammengearbeitet, um den praktischen Erfordernissen Rechnung zu tragen. Die geographische Lage Österreichs und die vielen verwandtschaftlichen und sonstigen persönlichen Beziehungen, die über die Grenzen des Landes hinaus bestehen, bringen es mit sich, daß die Öffentlichkeit in Österreich besonders großen Wert auf die Verwirklichung der Bestimmungen der Schlußakte legt, die sich mit der Schaffung immer besserer Bedingungen für Kontakte zwischen den Menschen sowie für die freiere Verbreitung von Information aller Art und mit der Zusammenarbeit und dem Austausch im Bereich der Kultur und Bildung befassen. Daher hat sich die Österreichische Delegation in Belgrad um die weitere Erleichterung von Familienbesuchen, Zusammenführung getrennter Familien und Erleichterung der Eheschließung von Bürgern der Teilnehmerstaaten der KSZE sowie größere Freizügigkeit bemüht. Außerdem hat die Österreichische Delegation zwei Vorschläge eingebracht, die darauf abzielten, die Rolle des Individuums als Kulturträger und -empfänger besonders zur Geltung zu bringen und den Zugang des Individuums zu den Kulturgütern der Teilnehmerstaaten weiter zu verbessern. Ergebnis Leider war die Zeit anscheinend noch nicht reif für einen Konsens über viele von den Teilnehmerstaaten präsentierte Vorschläge, weshalb das abschließende Dokument des Belgrader Treffens keine substantiellen Fortschritte gebracht und insoweit ein enttäuschendes Ergebnis gezeitigt hat. Auch ein gemeinsamer Kompromißvorschlag der neutralen und paktungebundenen Teilnehmerstaaten vom 1. 2. 1978 konnte die bestehenden Meinungsverschiedenheiten nicht überbrücken. Nicht nur in Österreich hatten wir gehofft, daß sich alle Teilnehmerstaaten auf Grund der präsentierten Vorschläge auf weitere Schritte

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zur Stimulierung der Durchführung der Schlußakte und damit zur Intensivierung des Entspannungsprozesses einigen würden und bedauern, daß dies nicht gelungen ist. Das abschließende Dokument des Belgrader Treffens gibt auch keine Auskunft über den Verlauf des Meinungsaustausches betreffend den Stand der Durchführung der Schlußakte der KS'ZE seit ihrer Unterzeichnung. Einer der entscheidenden Unterschiede zwischen Helsinki und Belgrad liegt jedenfalls darin, daß sich in Helsinki die 35 Teilnehmerstaaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unter Mühen und nach langen Verhandlungen auf das Maximum ihrer Gemeinsamkeiten besonnen haben, in Belgrad - jedenfalls in dem abschließenden Dokument - leider nur auf das Minimum. Allerdings soll man nicht alles durch die Brille eines eher bescheidenen Konferenzpapieres sehen, weil das Belgrader Treffen wichtige Aufgaben erfüllen konnte: -

Bekräftigung der Entschlossenheit der Teilnehmerstaaten der KSZE, alle Bestimmungen der Schlußakte unilateral, bilateral und multilateral durchzuführen.

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Ausdrücklich wurde die große Bedeutung des Meinungsaustausches über die Durchführung der Bestimmungen der Schlußakte anerkannt, dessen wesentliche Funktion auch bei späteren Folgetreffen darin bestehen wird, daß die Bestimmungen der Schlußakte nicht in Vergessenheit geraten, sondern weiterhin an ihrer immer vollkommeneren Implementierung gearbeitet wird.

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In Übereinstimmung mit den einschlägigen Bestimmungen der Schlußakte und ihrer Entschlossenheit, den durch die KSZE eingeleiteten multilateralen Prozeß fortzusetzen, werden die Teilnehmerstaaten weitere Zusammenkünfte zwischen ihren Vertretern abhalten, womit die Kontinuität des KS'ZE-Prozesses gewährleistet ist. Das zweite dieser Treffen wird am 11. November 1980 in Madrid beginnen.

-

Es wurde ferner vereinbart, im Rahmen der Folgen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa die nachstehend aufgeführten Treffen von Experten der Teilnehmerstaaten abzuhalten:

a) In Übereinstimmung mit dem in der Schlußakte enthaltenen Auftrag und gemäß dem von der Regierung der Schweiz hierzu eingebrachten Vorschlag wurde für den 31. Oktober 1978 ein Expertentreffen nach Montreux einberufen, um die Prüfung und Ausarbeitung einer allge-

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mein annehmbare n Methode der friedlichen Regelung von Streitfällen mit dem Ziel fortzuführen , bestehende Methoden zu ergänzen. Österreich hat den schweizerisc hen Vorschlag stets unterstützt, weil die friedliche Regelung von Streitfällen eine logische Konsequenz des Prinzips der Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt ist. Wenn auf Gewalt bzw. deren Androhung als Mittel zur Lösung von Streitfällen verzichtet wird, bedarf es anderer, und zwar friedlicher Mittel, um eine Lösung für solche Streitfälle zu finden. Auch ist die friedliche Regelung von Streitfällen ebenfalls eines der zehn Prinzipien, auf die sich die Teilnehmers taaten der KSZE in der Schlußakte geeinigt haben. Versuche, den Gedanken einer obligatorisch en Schiedsgerichtsbark eit durch eine Konsultation spflicht politischer Natur zu ersetzen, wären allerdings nicht geeignet, dem Prinzip der friedlichen Streitbeilegu ng zu dienen, weil dies besonders kleinere, allianzfreie Staaten in Schwierigke iten bringen könnte. b) Auf Einladung der Regierung der Bundesrepub lik Deutschland wurde das in der Schlußakte zur Vorbereitung eines "Wissenscha ftlichen Forums" vorgesehene Expertentref fen für 20. Juni 1978 in Bonn vorgesehen. Vertreter der UNESCO und der Wirtschaftsk ommission der Vereinten Nationen für Europa wurden eingeladen, ihre Ansichten darzulegen. c) Auf Einladung der Regierung Maltas wurde ein Expertentref fen zum Mittelmeerra um für 13. Februar 1979 nach Valletta einberufen. Sein Auftrag war, im Rahmen des Kapitels der Schlußakte betreffend den Mittelmeerra um, die Prüfung von Möglichkeite n und Mitteln zur Förderung konkreter Initiativen für eine gegenseitig nutzbringend e Zusammenar beit in verschiedene n wirtschaftlic hen, wissenschaft lichen und kulturellen Bereichen, in Ergänzung anderer laufender Initiativen zu obigen Themen. Die nichtteilnehm enden Mittelmeerst aaten wurden eingeladen, Beiträge zur Arbeit dieses Treffens zu leisten. Die Sicherheit betreffende Fragen werden auf dem Madrider Treffen erörtert. Diese Expertentref fen, die wie vorgesehen bereits stattgefunde n haben, waren ein wertvoller Beitrag für die Fortsetzung des KSZEProzesses in den dort behandelten spezifischen Bereichen, obwohl deren Ergebnisse bescheiden sind, weil begründete Hoffnung dafür besteht, daß der einmal aufgenomme ne Dialog in Madrid fortgesetzt wird und wieder Expertentref fen einberufen werden, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Auch ein anderer Aspekt sollte nicht übersehen werden: Seit Helsinki und auch während der Vorbereitung sphase des Belgrader Treffens erfolgte eine Intensivieru ng der bilateralen Kontakte auf zahlreichen

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Gebieten, die den Gehalt der Schlußakte betreffen, und diese Kontakte können auch in der Zukunft fruchtbar sein. Bei aller Verschiedenheit der Ausgangspositionen und des Herangehens an die anstehenden Fragen hat der Meinungsaustausch über die bisherige Durchführung der Schlußakte neuerlich klar gemacht, daß durch Helsinki ein langfristiger Prozeß eingeleitet wurde, bei dem jeder Teilnehmerstaat sich dem anderen gegenüber für die Realisierung der Schlußakte im eigenen Bereich verantwortlich fühlen muß. Die Beratungen haben weiters gezeigt, daß die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die Verwirklichung der Schlußakte essentielle Elemente des Entspannungsprozesses sind und daß die volle Implementierung der Schlußakte von Helsinki in allen ihren Teilen von größter Bedeutung für die Weiterentwicklung des Entspannungsprozesses ist. Der Meinungsaustausch hat die Komplementarität aller in der Schlußakte festgehaltenen Prinzipien unterstrichen. Wir sind in unserer Auffassung bestärkt worden, daß keines der zehn zwischenstaatlichen Prinzipien der Geltendmachung eines anderen entgegengehalten werden kann und daß wir durch die Schlußakte legitimiert sind, zur Verwirklichung aller ihrer Bestimmungen, einschließlich der Prinzipien, auch in anderen Teilnehmerstaaten Stellung zu nehmen. Dementsprechend akzeptieren wir auch solche Stellungnahmen der anderen, die uns selbst betreffen. Dies gilt auch für das Prinzip VII betreffend die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions- oder Überzeugungsfreiheit. Unserer Forderung nach mehr menschlichen Kontakten hält man oft entgegen, das höchste Menschenrecht sei das Recht, in Frieden zu leben. Dem können wir voll beipflichten. Aber dies enthebt uns nicht von der Verpflichtung, dem Individuum auch andere, grundlegende Menschenrechte effektiv zu gewähren, ohne die es sich nicht entwickeln kann. Wir sind immer von der Überzeugung ausgegangen, daß die Entspannung nur dann effektiv und dauerhaft sein kann, wenn sie von wirksamen Maßnahmen auf dem Gebiet der Reduzierung der militärischen Potentiale begleitet wird. Wir bedauern es daher, daß sich verschiedene Teilnehmerstaaten nicht einmal in der Lage sahen, auch nur bescheidenste Aussagen betreffend weitere Bemühungen zur Entwicklung und Erweiterung der vertrauensbildenden Maßnahmen im militärischen Bereich der Sicherheit zu treffen, obwohl die Delegationen neutraler und paktungebundener Staaten ihr Möglichstes versucht haben, einen gemeinsamen Nenner finden zu helfen. Das Argument, wonach es sich dabei um Nebensächlichkeiten handelt und man zuerst die großen Fragen der Nuklearabrüstung lösen müsse,

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kann nicht überzeugen. Gerade im militärischen Bereich ist das Bessere oft der Feind des Guten und die mangelnde Bereitschaft, bei den die Sicherheit der Teilnehmers taaten in keiner Weise beeinträchtig enden vertrauensbi ldenden Maßnahmen Zeichen zu setzen, die doch gerade angesichts des ungezügelten Rüstungswet tlaufes politisch so bedeutsam wären, ist unverständli ch. Die Zusammenar beit in humanitären und verwandten Bereichen war für Österreich stets ein Schlüssel für die Zukunft und für die Wertung des Entspannung sprozesses. Nur wenn die Menschen und Völker einander näher kommen, sich kennenlerne n und verstehen, werden sie auch Verständnis für die Interessensla ge der anderen aufbringen. Die Achtung der Lebensintere ssen der Menschen durch die Staaten ist für die Weiterführu ng der Entspannung spolitik essentiell. Der Erfolg oder Mißerfolg des Belgrader Treffens im humanitären Bereich wird von der Öffentlichke it in den Teilnehmers taaten vor allem daran gemessen werden, was heute möglich ist und vor Unterzeichnung der Schlußakte der KSZE noch nicht möglich war. Auch in Belgrad waren die Vertreter der Teilnehmers taaten zutiefst davon überzeugt, daß die Entspannung den fundamental en Interessen der Völker entspricht. Sie ist keine nur als taktischen Erwägungen heraus konzipierte außenpolitisc he Verhaltensw eise, sondern ein Gesamtprozeß, der politische, wirtschaftlich e, soziale, humanitäre sowie ideologische Komponente n umfaßt und eine starke Eigendynam ik entwickelt hat. Für Österreich ist die Weiterführu ng des Entspannung sprozesses von vitaler, existentielle r Bedeutung. In diesem Prozeß und seiner Weiterentwi cklung wird Belgrad, davon bin ich überzeugt, seinen Platz haben. Ausblick auf Madrid

Der großen Bedeutung des KSZE-Proze sses entsprechend , beginnen bereits die Vorbereitung en für das Madrider Treffen. Damit die Impulse für die Weiterentwic klung des Entspannung sprozesses verstärkt werden können, hat Österreich vorgeschlage n, das Madrider Treffen auf Regierungse bene abzuhalten. Auch in Madrid wird die Schlußakte der KSZE als ein hervorragen der Wegweiser für die Fortsetzung des Entspannung sprozesses dienen, um den Frieden in Europa sicherer und das Leben der Menschen humaner zu machen. Je mehr Menschen die Entspannung mittragen, weil sie deren Vorteile im täglichen Leben zu spüren bekommen, um so stärker wird dieser Prozeß in der internationa len Politik verankert werden können. Die Verbesserun g und Vertiefung der Beziehungen sowie verstärkte Zusammena rbeit zwischen den Teilnehmers taaten und die

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Schaffung besserer Bedingungen für Kontakte ihrer Bürger über die Grenzen hinweg, aber auch mehr Freizügigkeit muß ein kontinuierlicher Vorgang sein, der von einem immer wieder zu erneuernden Konsens getragen wird. Wenn auch die Bestimmungen der Schlußakte der KSZE ein einheitliches Ganzes bilden und in ihrer Wertigkeit auf gleicher Ebene stehen, werden voraussichtlich auch in Madrid Schlüsselfragen in den Vordergrund rücken, die schon während der Redaktionsphase der Konferenz in Genf und beim ersten Folgetreffen in Belgrad im Zentrum der Aufmerksamkeit standen. Sie alle hier aufzuzählen, wäre im Rahmen dieses Beitrages nicht möglich und heute auch noch verfrüht. Nach den Rückschlägen, die der Entspannungsprozeß seit Unterzeichnung der Schlußakte der KSZE erlitten hat, wird das Erfordernis seiner Neubelebung zweifellos eine besonders bedeutende Aufgabe des Madrider Treffens bilden. Wie schon bei der KSZE selbst, werden viele Teilnehmerstaaten auch den militärischen Aspekten der Sicherheit, so der Weiterentwicklung der vertrauensbildenden Maßnahmen, große Bedeutung beimessen. Wichtig wird es sein, eine Trennung dieser Fragen vom KSZE-Prozeß zu vermeiden, weil ihm dadurch eine wesentliche dynamische Komponente genommen würde. Die weltweite Energiekrise wird aller Voraussicht nach auch das Madrider Treffen beschäftigen. Ebenso werden Fragen des Mittelmeerraumes für viele Teilnehmerstaaten von großem Interesse sein. Auch im humanitären Bereich, dem sogenannten dritten Korb, wird auf Fortschritte hingearbeitet werden. Schon heute läßt sich voraussagen, daß bei den anderen Schlüsselfragen ohne Fortschritte im humanitären Bereich kein greifbares Ergebnis zu erwarten wäre. Auf die Ausgewogenheit des abschließenden Dokumentes wird auch in Madrid zu achten sein. An das Madrider Treffen wird also die Erwartung geknüpft, daß alle Teilnehmerstaaten bereit sind, das schon in der Schlußakte der KSZE enthaltene dynamische Element des Mandats für alle Folgetreffen zu berücksichtigen, nämlich ausgehend von der Schlußakte neue Anstrengungen zu unternehmen und substantielle Fortschritte zu erzielen. In Entsprechung des schon in der Schlußakte umrissenen Mandates für die KSZE-Folgetreffen wird sich das Madrider Treffen aber nicht

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nur mit der Behandlun g von Vorschläge n befassen müssen, sondern wie schon in Belgrad auch einen - eingehend en - Meinungsa ustausch über den Stand der Durchführ ung der Bestimmu ngen der Schlußakte der KS'ZE vorzunehm en haben, der in ruhiger und sachlicher Atmosphä re geführt werden muß, wenn er Ausgangsp unkt für Verbesseru ngen und Fortschritt e sein soll. Diesem Meinungsa ustausch kommt zweifellos eine sehr wichtige Funktion zu, weil er Gelegenhe it zu einer nüchternen Zwischenb ilanz und einer kritischen, aber unpoiemisc hen Überprüfu ng dessen bieten soll, was bisher erreicht worden ist, wo noch Mängel bestehen und was noch zu tun bleibt, um eine umfassend e Implementierung der Schlußakte zu gewährleis ten. Auch das Madrider Treffen darf nicht Endstation , sondern nur Zwischens tation im multilatera len KSZE-Pro zeß sein, von dem neue Impulse zu seiner Fortsetzun g und Vertiefung erwartet werden. Den neutralen und paktungeb undenen Teilnehme rstaaten wird wohl wieder eine bedeutend e Rolle zukommen . Ihre Aufgabe wird es sein, unter Wahrung ihrer nationalen Interessen Schwierigk eiten überwinden und nach einem gemeinsam en Nenner suchen zu helfen. Der KSZE-Pro zeß ist zwar nicht ident mit dem gesamten Entspannungsproze ß, sodaß die internation ale Lage im Jahre 1980 einen maßgeblichen Einfluß auf den Verlauf und das Ergebnis des Madrider Treffens ausüben wird. Der KSZE-Pro zeß ist aber zu einem wesentlichen Bestandtei l der Entspannu ngspolitik geworden, der nicht nur erhebliche politisch-p sychologisc he Auswirkun gen hat. Es kommt ihm auch eine sehr praktische Bedeutung zu, weil die Schlußakte der KSZE viele sehr wichtige und empfindlic he Elemente der Beziehung en zwischen den Teilnehme rstaaten abdeckt. Nicht zuletzt die Bedeutung der Bestimmu ngen der Schlußakte im humanitär en Bereich wurde auch von der öffentliche n Meinung erkannt. Wenig internation alen Dokumenten wurde in den letzten Jahren soviel Aufmerksa mkeit gewidmet, wie der Schlußakte der KSZE. Es ließ die Öffentlichk eit aufhorchen , daß die Teilnehme rstaaten der Konferenz , trotz ideologisch er Gegensätze und Machtrival itäten, im humanitär en Bereich gemeinsam e Absichtserklä rungen formuliere n und auf höchster Ebene verabschie den konnten. Auch wenn die Absichtser klärungen der Schlußakte in ihrer Gesamtheit nicht den Idealvorste llungen entspreche n, hat sich die nach deren Unterzeich nung laut gewordene Kritik als voreilig erwiesen. Mehr und mehr sah die Weltöffent lichkeit in der Schlußakte der KSZE einen bedeutenden Schritt zu neuen Dimension en der Entspannu ngspolitik. Viele Hoffnunge n der Menschen in Europa fanden in der Schlußakte von Helsinki einen Katalysato r.

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Die Tragweite der Konferenzbeschlüsse ist beschränkt, weil sie auf Kompromissen beruhen. Aber gerade darin liegt die Chance, daß die mit dem Konsens aller Teilnehmerstaaten gefaßten Beschlüsse nach und nach ungeschmälert in die Praxis umgesetzt werden. Nur wenn dies gelingt, hat die KSZE ihre Aufgabe erfüllt. Auf diesem Weg soll Madrid ein neuer Meilenstein sein, mit dem sich viele Hoffnungen und Erwartungen verbinden.

INTERSYSTEMISCH E KOOPERATION EUROPAS WEG ZUM FRIEDEN? Von Manfred Rotter

I. Vorbemerkung Die durch die KSZE-Schlußakte ausgelöste Kooperations-Eupho rie scheint den Blick auf die Tatsache zu verstellen, daß das Problem der sogenannten "Europäischen Sicherheit" im Grunde genommen dem Zusammenbruch eines der wohl umfassendsten Kooperationsprogram me zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftssysteme in der Geschichte der internationalen Beziehungen entspringt, nämlich der Anti-Hitler-Koalitio n zwischen den USA, Großbritannien und der UdSSR. Es soll Gegenstand dieses Beitrages sein, den Bogen von dieser Allianz zur Europäischen Sicherheitskonferenz herzustellen und gleichzeitig die abstrakten Rahmenbedingungen für eine inter-systemische Kooperation sowie in einem Ausblick ihre möglichen und/oder erstrebenswerten Auswirkungen auf das europäische System zu beleuchten.

II. Die Anti-Hitler-Allianz Die historischen Bedingungen der Entstehung dieser Allianz sind bekannt und bedürfen an dieser Stelle keiner weiteren Erläuterung. Die institutionelle Grundlage der Kooperation zwischen den USA, der UdSSR und dem Vereinigten Königreich wurde in einer Reihe von Abkommen zwischen den Hauptmächten gelegt, die dann auch mit den anderen Alliierten abgeschlossen wurden. Die wichtigsten seien hier chronologisch in Erinnerung gebracht. Am 12. Juli 1941 schließen die UdSSR und Großbritannien in Moskau ein Regierungsübereinko mmen über gemeinsames Vorgehen im Kampf gegen Hitler-Deutschland1 . Am 15. August 1941, also noch Monate vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, wird Stalin eine gemeinsame Botschaft des Präsidenten der USA und des britischen Premierminister überreicht, in welcher ihm beide Staatsmänner versichern, wie sehr sie die Anstrengungen des sowjetischen Volkes im 1

Text in AJIL 36 (1942), Suppl. S. 58.

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Kampfe gegen das nationalsozialistische Deutschland würdigen und gleichzeitig zusagen, daß sie alles in der Macht der von ihnen vertretenen Völker Stehende tun werden, um die UdSSR zu unterstützen. Allerdings weisen sie darauf hin, daß es dabei darauf ankäme, längerfristige Strategien zu entwickeln, da ihre Resourcen zwar enorm aber nicht unbegrenzt seien. Es käme vor allem darauf an, den optimalen Einsatz dieser Mittel zu prüfen. Zu diesem 'Zweck werden direkte Kontakte auf höchster Führungsebene zwischen den drei Staaten vorgeschlagen2• Am 1. Jänner 1942 wurde in Washington die auf Vorschlag Roosevelts so genannte Erklärung der Vereinten Nationen von 26 Staaten unterzeichnet, denen sich im Laufe des Krieges noch eine Reihe anderer Staaten anschlossen3 • In dieser Erklärung verpflichten sich die Signatarstaaten, ihre gesamte Kraft gegen die Partner des Dreierpaktes und ihm angeschlossene Staaten einzusetzen und sich jedes separaten Waffenstillstandes oder Separatfriedens mit diesen Staaten zu enthalten. Am 29. Jänner 1942 kommt es zur Errichtung eines Bündnisses zwischen dem Vereinigten Königreich, der UdSSR und dem Iran, welches im wesentlichen die Stationierung britischer und sowjetischer Truppen auf dem Territorium des Kaiserreiches zum Gegenstand hat4 • Am 23. Februar 1942 schließen die USA und das Vereinigte Königreich ein Abkommen über gegenseitigen Beistand ab5 • Am 26. Mai 1942 schließen das Vereinigte Königreich und die UdSSR einen Bündnisvertrag6. Am 11. Juni 1942 schließen die USA und die UdSSR einen Vertrag über gegenseitigen Beistand7 • Solche Verträge werden in der Folge noch mit einer Reihe anderer Staaten geschlossen. In Erfüllung dieser Verträge entwickelte sich dann jenes in der Literatur bereits ausführlich dargestellte engmaschige Gewebe von oft bis ins Detail gehender ökonomischer und militärischer Kooperation zwischen den Alliierten, welche sehr bald nach dem Ende des zweiten Weltkrieges in die als Kalter Krieg bekannt gewordenen Phase der Konfrontation zwischen der UdSSR und ihren früheren Verbündeten übergehen sollte. Die über das Pragmatische hinausgehende ideologische Basis dieser Kooperation war die von Roosevelt und Churchill am 12. August 1941 verfaßte Atlantic Charter. Sie wurde anläßlich der zweiten Sitzung des interalliierten Ratesam 24. September 1941 von den Vertretern der an2

Text ebenda S. 59 f.

a Text ebenda S. 191.

Text ebenda S. Text ebenda S. e Text ebenda S. 7 Text ebendaS.

4 6

175. 170. 216. 187.

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deren Alliierten mit Entschließung angenommen und damit zur umfassenden Deklaration ihrer Kriegsziele im Kampf gegen das nationalsozialistische Deutsche Reich und seine Verbündeten8 • Die Atlantic Charter enthält 8 Punkte: 1. Die Alliierten verzichten auf territoriale Erweiterungen. 2. Territoriale Veränderungen bedürfen der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung. 3. Anerkennung des Rechtes aller Völker, die Form ihrer Regierung selbst zu bestimmen und die Wiederherstellung von autonomen Regierungen, dort wo sie gewaltsam beseitigt wurden. 4. Internationaler Freihandel 5. Internationale wirtschaftliche Kooperation 6. Hoffnung auf einen Frieden, der allen Menschen ein Leben frei von Furcht und Not ermöglicht. 7. Freie Nutzung der Meere 8. Aufruf zum Gewaltverzicht und Errichtung eines internationalen Sicherheitssystems bis zu dessen Verwirklichung aggressive Staaten entwaffnet werden sollten.

Selbst wenn man den manifesten Gegensatz zwischen Kommunismus und den Prinzipien der pluralistischen Demokratie hintanstellt, wird bei einer Analyse der Atlantic Charter in ihrem vollen Wortlaut deut~ lieh, daß sie tatsächlich nur das Minimum, den kleinsten gemeinsamen Nenner, unterschiedlicher Zielvorstellungen von Staaten darstellt, wo~ bei freilich zu berücksichtigen ist, daß es sich bei der Atlantic Charter ja nicht um das Ergebnis eines Aushandeins divergierender Interessen, sondern im Grunde genommen lediglich um die Einigung zweier auf dem Boden der pluralistischen, kapitalistischen Demokratie stehenden Staatsmänner auf gemeinsame Prinzipien handelt, die den angesprochenen ideologischen Gegensatz naturgemäß außer Betracht läßt. Die anderen Alliierten, insbesondere die Sowjetunion, hatten anders als bei der oben zitierten Erklärung der Vereinten Nationen keinen Anteil an ihrem Zustandekommen. So überrascht es auch nicht, daß der sowjetische Vertreter im interalliierten Rat anläßlich ihrer Annahme keinen 'Zweifel über ihre Vorläufigkeit aufkommen ließ9• Aber selbst die beiden Autoren der Atlantic Charter waren nicht völlig einer Meinung über ihre Bedeutung. So ging Roosevelt von ihrer universellen Geltung aus, während Churchill im Unterhaus darauf hinwies, daß 8 Text in AJIL 35 (1941), Suppl. S. 191; Deutsch in Stephan Verost a, Die internationale Stellung Österreichs 1938- 1947, Wien 1947, S. 42. 9 H erbert Feis, Churchill, Roosevelt, StaUn, Princeton 1957, S. 24.

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sie grundsätzlich nur für die Gestaltung des Nachkriegs-Europas gedacht sei. Aber abgesehen davon, zeigt ein Vergleich des Inhaltes der Charter allein schon mit der Fülle der der Nachkriegsordnung Europas oder gar der Welt zur Lösung aufgegebenen territorialen Probleme bereits für das Jahr 1941 den Keim der späteren immer ernster werdenden Konflikte zwischen den Alliierten an. Dies wurde sogleich Ende 1941 deutlich, als Stalin anläßlich eines Besuches von Außenminister Eden in Moskau die Nachkriegsgrenzen der UdSSR zur Sprache brachte und von Eden eine ausweichende Antwort erhielt. Stalin sparte damals nicht mit zynischen Bemerkungen, etwa des Inhaltes, er hätte immer geglaubt, die Atlantic Charter richte sich gegen die Nazis, nunmehr könne er sich des Eindrucks nicht erwehren, sie sei gegen die UdSSR gerichtet10• So zieht sich denn auch die Frage der territorialen Neuord~ nung, insbesondere die der Westgrenze der UdSSR und Polens wie ein roter Faden durch die Verhandlungen zwischen den Alliierten, bis hin zur Konferenz von Potsdam. Neben Problemen der gesamtstrategischen Planung, wie etwa der ständigen Forderung der UdSSR nach Errichtung einer zweiten Front in Europa zur Entlastung der sowjetischen Truppen, wurde das Verhältnis zwischen den Alliierten vor allem durch die eigenmächtigen Maßnahmen der sowjetischen Führung in den von der Roten Armee besetzten Gebieten belastet, mit denen sie ihre beiden westlichen Alliierten durchwegs vor vollendete Tatsachen stellte11• Es kam nie zu vorhergehenden Konsultationen. Die Vertreter Großbritanniens und der USA in den Kontrollkommissionen in Rumänien und Bulgarien genossen nicht einmal entsprechende Bewegungsfreiheit, um sich ein eigenes Bild von der Lage in diesen Ländern zu machen. In Polen waren überhaupt keine westlichen Vertreter anwesend. Zwar protestierten Großbritannien und die USA wiederholt gegen die Mißachtung ihrer Kontrollrechte, konnten aber im Effekt nicht verhindern, daß in den von der Sowjetunion befreiten Ländern Volksfrontregierungen eingesetzt wurden, die weitgehendst unter kommunistischem Einfluß standen. Wenn man nun bedenkt, daß der Erfolg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg hauptsächlich dem Wirtschaftspotential der Vereinigten Staaten zu danken war, ist es erstaunlich, daß zunächst über den diplomatischen Protest hinaus kein massiver Druck auf die Sowjetunion ausgeübt wurde, um sie zu einer mäßigeren Politik zu veranlassen. Ja selbst als die amerikanischen und britischen Truppen infolge des Zusammenbruches der deutschen Westfront wesentlich schneller in das Weichbild Deutschlands vorstießen, als ursprünglich angenommen wurde, und solcherart die Grenzen der den Westmächten zugesproche1° Feis, S. 267. 'it Feis, S. 409 f. und S. 564 f.

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nen Besatzungszonen weit überschritten hatten und bereits knapp vor Berlin standen, konnten sich die USA nicht entschließen, dem Rat Churchills zu folgen, sich erst dann auf die ihnen zukommenden Gebiete zurückzuziehen, wenn mit der Sowjetunion wesentliche Dinge, die eine echte Grundlage des Weltfriedens darstellen, geregelt sind12 • Truman befürchtete neue Schwierigkeiten in den Beziehungen mit der Sowjetunion, falls die ursprünglichen Vereinbarungen nicht eingehalten würden13• Gerade in der Haltung der Sowjetunion gegenüber zeigten sich wesentliche Unterschiede in der Einschätzung der Lage in Europa und damit auch in der Zielsetzung der Europapolitik Großbritanniens und der USA in der letzten Phase des 'Zweiten Weltkrieges. Eines der wesentlichsten Bestimmungskriterien für die amerikanische Außenpolitik war das Bestreben, die UdSSR zu einem Eintritt in den Krieg gegen Japan zu bewegen. Bereits auf der Konferenz von Jalta kam es zu entsprechenden Vereinbarungen, die sich Truman dann noch während der Konferenz von Potsdam bestätigen ließ. Die Ordnung in Europa nach der Niederringung Deutschlands sollte entsprechend den Vereinbarungen von Jalta vor sich gehen. Die nach der Kapitulation des Deutschen Reiches nicht mehr unbedingt notwendigen amerikanischen Truppen sollten so schnell wie möglich abgezogen und auf den fernöstlichen Kriegsschauplatz verlegt werden14• In reduzierter Stärke sollten zwar Besatzungstruppen in Europa bleiben, aber nicht länger als zwei Jahre16• Die Organisation der Vereinten Nationen sollte der Garant für den künftigen Weltfrieden sein. Schwierigkeiten mit der Sowjetführung wollte man eher unterspielen. Nach der notdürftigen Beilegung der wohl schwersten Vertrauenskrise zwischen der Sowjetunion einerseits und den westlichen Alliierten andererseits anläßlich des sogenannten Bernzwischenfalles16 telegraphierte Roosevelt an Churchill: "Ich würde dem ganzen Sowjetproblem so wenig Bedeutung wie möglich zumessen, weil diese Probleme täglich in der einen oder anderen Form auftauchen und wie im Fall der Berner Zusammenkünfte meistens geklärt werden. Unsere Haltung ist bis jetzt korrekt gewesen, und wir müssen nur fest bleiben17. " Zu dieser "Beschwichtigungshaltung" kam noch die Überzeugung der obersten politischen 12 Churchill in einem Telegramm an Präsident Truman; Winston Churchill, Der Zweite Weltkrieg, 6. Bd., 2. Buch, Stuttgart 1954, S. 296. 13 Harry Truman, Memoiren, Bd. 1, Bern 1955 (dtsch. übersetzung), S. 286 f. 14 Siehe Dwight Eisenhower, Crusade in Europe, New York 1952, S. 473 ff. 15 Die offiziellen Jaltadokumente des US States Department, Göttingen 1947, (von jetzt an: Jalta Dokumente) S. 93 ff. 16 Churchill, Bd. 6, 2. Buch, S. 116 ff. 17 Churchill, ebenda S. 132.

29 Festsehr1ft für Stephan Verosta

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Führung der USA, die Sowjets würden unverbrüchlich zu den von ihnen getroffenen Vereinbarungen stehen. Erst nach der Konferenz von Potsdam gibt Truman zu, daß man sich diesbezüglich keinen Illusionen hingeben darf18. Ganz anders war die Haltung Großbritanniens unter der Führung Churchills. War er nach der Konferenz von Jalta noch überzeugt, daß "Marschall Stalin und die sowjetische Führung mit den Demokratien des Westens auf dem Fuß der Gleichheit und ehrenhafter Freundschaft zu leben wünschen" 19, so erkannte er doch bald, daß die Sowjetunion eigene Vorstellungen von den Neuordnungen Europas hatte. Unermüdlich versuchte er die amerikanische Regierung von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß man den Sowjetführern gegenüber härter auftreten müsse, aber ohne Erfolg20 •

111. Der Zusammenbruch der Kooperation Ob Stalin tatsächlich von Anfang an die Teilung Europas als Ziel der sowjetischen Außenpolitik vorschwebte21 erscheint im Lichte der Ereignisse der unmittelbaren Nachkriegszeit zweifelhaft. Mindestens ebenso plausibel ist die These, wonach Stalins Politik gegenüber den Anrainerstaaten der Sowjetunion nur dann verständlich sei, wenn er davon ausging, daß sie kapitalistisch bleiben würden22. Sei dem wie immer. Die Verhandlungen auf der Moskauer Außenministerkonferenz vom 10. März bis 24. April 1947 zeigen deutlich das Auseinanderklaffen der Zielsetzungen für die europäische Nachkriegspolitik. Zentraler Punkt der Meinungsverschiedenheiten waren die Frage der deutschen Ostgrenzen und die deutschen Reparationen an die Sowjetunion, die übrigens auch die Lösung der Österreich-Frage behinderte23. Gleich zu Beginn der Moskauer Konferenz signalisierte die Truman-Doktrinvom 12. März 1947, wie sehr sich die früheren Alliierten auseinandergelebt hatten. Sie signalisiert mit aller Deutlichkeit die grundlegende Änderung der Haltung der USA gegenüber der Sowjetunion, obwohl diese in der Erklärung nicht ausdrücklich erwähnt wird24 . Die letzte Möglichkeit, das Steuer der europäischen Nachkriegs~ 18 19

20 21

ebenda S. 343 und S. 421 f. Aus einer Rede vor dem Unterhaus, Churchill, ebenda S. 70. Siehe Churchill, Der Zweite Weltkrieg, Bd. 6, loc. mult. So etwa John Lukacs, Konflikte der Weltpolitik nach 1945, München Truman,

1970, s. 41. 22 David Horowitz, From Yalta to Vietnam, 1971, S. 86 ff.

23 Siehe dazu den ausführlichen Bericht in Europa Archiv 2 (1947), S. 641 bis 758. 24 Text in Europa Archiv 2 (1947), S. 819.

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politik herumzureißen, wäre die Einbeziehung Gesamteuropas in den Geltungsbereich des Marshall Planes gewesen. Auf einer Konferenz der Außenminister der UdSSR, Großbritanniens und Frankreichs in Paris vom 27. Juni bis 2. Juli 1947 werden die organisatorischen Voraussetzungen für einen Wiederaufbau Europas mit amerikanischer Hilfe diskutiert. Zwei Gründe sind es im wesentlichen, die die Sowjetunion daran hindern, sich an dem Marshall Plan zu beteiligen. Zum einen stößt sie sich an dem planwirtschaftliehen Element in den vorgelegten Plänen, die ihrer Meinung nach den einzelnen Staaten weitgehendst die Autonomie bei der Gestaltung ihrer Wiederaufbauprogramme nehmen. Zum anderen war es abermals die Frage der deutschen Reparationen. Für die Sowjetunion war es unannehmbar, daß deutsches Wirtschaftspotential nicht primär zur Wiedergutmachung der Kriegsschäden, vor allem in der UdSSR herangezogen, sondern in ein europäisches Wiederaufbauprogra mm einbezogen werden sollte25 • Es scheint, daß das Scheitern dieser letzten Bemühung der UdSSR, zu annehmbaren Bedingungen westliche Wirtschaftshilfe für den Wiederaufbau zu erhalten, den Ausschlag gegeben hat, sich auf die Möglichkeiten des eigenen Einflußbereiches zurückzuziehen26 • Im September 1947 kommt es zu einer Informationskonfere nz von Vertretern der kommunistischen Parteien im Einflußbereich der UdSSR, auf welcher in einer Erklärung zur internationalen Lage der Bruch zwischen Ost und West formell festgestellt wird27 • Sie stellt das Gegenstück und gleichzeitig die Antwort auf die Truman Doktrin dar. Der Bruch der Anti-Hitler-Koalition war vollzogen; Osteuropa und Westeuropa machten sich auf, auf getrennten Wegen die Nachkriegsprobleme unter Wahrung ihrer jeweiligen Interessen zu lösen. Unter der Führung der USA und der UdSSR begannen die westeuropäischen und die osteuropäischen Staaten sich jeweils zu Blöcken zu formiern und gleichzeitig gegeneinander abzuschotten. Der Ablauf der weiteren Ereignisse ist bekannt und bedarf an dieser Stelle keiner näheren Darstellung2s. Eines sei allerdings hervorgehoben: Der Zusammenbruch der Anti-Hitler-Koalition und der daraus später resultierende Kalte Krieg hatte zunächst keine ideologische Dimension. Es ging nach wie vor um die zwei wesentlichen Faktoren, nämlich die 25

Wortlaut der Schlußerklärung Molotows, in: Europa Archiv 2 (1947),

s. 822.

28 Dazu kommen noch die erfolglosen Bemühungen der UdSSR um die Erlangung eines umfangreichen, langfristigen Wiederaufbaukredits von den USA. Jo Rodejohann, Zum Beginn des Kalten Krieges, in: Durch Kooperation zum Frieden?, München 1974, S. 55 ff. 27 Europa Archiv 2 (1947), S. 935. 28 Kurt Gasteyger, Einigung und Spaltung Europas, Frankfurt/Main 1965, S. 81 ff. mit den entsprechenden Dokumenten.

29"

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territoriale n Interessen der UdSSR, insbesonde re um die Frage der Westgrenz en Polens, und um die Lösung der enormen wirtschaftl ichen Probleme im Zusammen hang mit dem Wiederauf bau. Als die Sowjetunion zur Kenntnis nehmen mußte, daß sie in beiden Fragen von den USA und ihren Verbündet en keine Unterstütz ung erhielt, sondern auf zunehmen den Widerstan d stieß, begann sie das bereits auf der Konferenz von Jalta von Stalin formuliert e Ziel, dafür zu sorgen, daß in den Staaten Osteuropas sowjetfreu ndliche Regierung en etabliert werden, ab 1947 in der bekannten drastisch brutalen Art zu verwirklic hen29• Damit sollte wohl auch verhindert werden, daß die noch nicht fest in kommunis tischer Hand befindliche n Staaten Osteuropas einzeln via Marshall Plan in die Einflußsph äre der USA gerieten. Die Sowjetuni on wollte sich damit jenen Sicherheit sraum schaffen, der es ihr ermöglicht , auch ohne Unterstütz ung der USA die enormen Verluste an Menschen und Material durch den Zweiten Weltkrieg zu bewältigen und darüber hinaus die weitere ökonomisc he Entwicklu ng im Sinne eigener Zielsetzungen zu gestalten. Im Gegensatz dazu ging es den USA um die Sicherung eines möglichst großen Bereiches kapitalistis cher Marktwirtschaft, der seinerseits als Grundlage für eine freie Weltwirtsc haft dienen sollte, die naturgemä ß von den USA wegen ihres enormen ökonomischen Übergewic htes dominiert wäre, was sich ja in der weiteren Folge der Ereignisse bewahrhei ten sollte. In Europa trafen nun diese unterschied lichen Interessen aufeinande r und mußten notwendig erweise zu einem Konflikt führen. Dieser Konflikt war allerdings zunächst rein pragmatisc her Natur, wie wir es von den europäisch en Konflikten des 19. Jahrhunde rts her gewohnt sind. Seine ideologisch e Überhöhung erhielt er in der Folge dadurch, daß beide Seiten ihr Verhalten unter Hinweis auf die Notwendig keit der Verteidigu ng der Prinzipien des eigenen Gesellscha ftssystems zu legitimiere n begannen. Diese Ideologisierung hatte schließlich auch zur Folge, daß die Konflikte als Prinzipien -Konflikte nicht mehr oder nur kaum verhandel bar waren30• IV. Die KSZE-Schlußakte von Helsinki 1975 Die eigentliche historische Bedeutung der Schlußakte von Helsinki liegt nicht so sehr in ihrem Inhalt als vielmehr in der Tatsache begründet, daß sie das Ergebnis einer Konferenz ist, welches seit langem alle europäisch en Staaten (einschließ lich der USA und Canada) an einem Tisch brachte. Was ihren Inhalt anlangt, so geht dieser in seinem opeJalta Dokumente, loc. mult. Annemarie Grosse-Jütt e, Friede und Konflikt im Ost-West Verhältnis, in: Groß-Jütte /Jütte (Hrsg.), Entspannung ohne Frieden, Frankfurt/M ain 2v

so

1977,

s. 68 ff.

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rativen Teil nur in wenigen Punkten substantiell über andere bereits bestehende internationale Dokumente, wie etwa die Satzung der Vereinten Nationen oder zum Beispiel die Deklaration über die Prinzipien des Völkerrechtes betreffend die freundschaftlichen Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen den Staaten in Übereinstimmung mit der Charta der Vereinten Nationen31 hinaus. Einer dieser Punkte ist die in Korb 1 Abschnitt 1 a Punkt III ausgesprochene Anerkennung aller bestehenden Grenzen in Europa. Damit wurde eine Forderung der kommunistischen Staaten erfüllt, die in dem von ihnen auf der Konferenz von Prag 1969 erarbeiteten Verhandlungspapier für die Sicherheitskonferenzeine bedeutende Rolle einnimmt32• Die besondere Bedeutung dieser Bestimmung in der Schlußakte von Helsinki wird um so deutlicher, wenn man bedenkt, daß im Jahre 1969 die sogenannten Ost-Verträge der Bundesrepublik Deutschland mit Polen, der CSSR und der Sowjetunion sowie der Grundvertrag mit der DDR noch nicht abgeschlossen waren. Die ebenfalls in Korb 1 Abschnitt 1 a Punkt VII verankerte Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten bleibt in ihrer Auflistung weit hinter den beiden seit 1976 in Kraft stehenden Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen zurück33. Dessen ungeachtet haben sie eine gewisse spektakuläre Prominenz in der Weltöffentlichlteit erhalten. Freilich wäre es naiv gewesen, zu erwarten, daß es über den Weg der Aufnahme dieser Prinzipien in die Schlußakte möglich wäre, die kommunistischen Staaten zu einer Übernahme des westlichen Verständnisses der Grund- und Freiheitsrechte bewegen zu können34 • Auch darf nicht übersehen werden, daß, so wie auch bei anderen Prinzipien der Schlußakte, auch hier der Grundsatz gilt, daß alle Prinzipien einander gleichwertig seien, was in dem konkreten Fall der Einhaltung der Menschenrechte bedeutet, daß ihre Einforderung mit dem Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten, wie er in Korb 1 Abschnitt 1 a Punkt VI, also vor den Menschenrechten, niedergelegt ist, ltonkurriert. Ähnlich relativiert sind auch die in Korb IV (ursprünglich Korb III) unter der 'Oberschrift: Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen, zusammengefaßten Prinzipien. Die Notwendigkeit, die Zielvorstellungen sowohl der kommunistischen als auch der nichtkommuUN-Res (GA) A 2625 (XXV) vom 24. Oktober 1970. Schramm I Riegert I Friedel (Hrsg.), Sicherheitskonferenz in Europa, Dokumentation 1954 - 1972, S. 476. 3t

32

33 Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte; Konvention über bürgerliche und politische Rechte. 3 4 Zu den unterschiedlichen Auffassungen der Grund- und Freiheitsrechte: Manfred Rotter, Mensch und Gesellschaft aus staatlicher und zwischenstaatlicher Sicht, in: Ordnung im sozialen Wandel, Festschrift für Johannes Messner, Berlin 1976, S. 527.

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nistischen Staaten in der Schlußerklär ung zu verankern, führte zu einer sorgfältig balancierten , für die konkrete Anwendung aber nicht immer förderlichen Formulierun g35 • Der Grund dafür liegt darin, daß die klassischen Konfliktspos itionen zwischen Ost und West mehr oder minder in der Schlußakte nebeneinand er gestellt aber nicht gelöst werden. Gemessen an der Konfrontatio nsphase des Kalten Kriegs aber dennoch ein Fortschritt, nämlich Entspannung , wenn auch eine unvollkom~ mene36 • Der Korb 2 der Schlußerklär ung ist der Kooperation gewidmet. Von Handel über industrielle Kooperation, Wissenschaf t und Technik, Umwelt, bis hin zu Tourismus wird eine breite Palette von Sachgebieten angesprochen , die für die internationa le Kooperation in Frage kommen. Aber auch hier wird kaum ein Thema angeführt, welches nicht bereits in der einen oder anderen Form Gegenstand der Tätigkeit internationa ler Organisation en oder bilateraler oder multilaterale r zwischenstaatlicher Abkommen ist. Es stellt sich daher die Frage, welcher Stellenwert dem breiten Raum zukommt, der der internationa len Kooperation in der Schlußakte eingeräumt ist.

V. Anatomie der Kooperation Konflikt und Kooperation lassen sich vergleichswe ise einfach gegeneinander abgrenzen. Konflikt ist ein Interaktionsv erhältnis in welchem die betroffenen Akteure sich bemühen, einander aus welchem Grund immer und auf welche Art immer zu schaden. Kooperation ist ein Interaktions verhältnis in welchem die betroffenen Akteure zum gegenseitigen Nutzen tätig sind37 • Diese klare Gegenüberst ellung darf aber nicht zu dem Schluß verleiten, Konflikt und Kooperation seien strikt voneinander zu trennende Aggregatzus tände sozialen Verhaltens, die einander ausschließen. Versucht man die beiden Phänomene aus der Sicht der Akteure zu erklären, so stellt sich der Unterschied vor allem in der Wertung des anderen Akteurs auf dem Kontinuum von negativer Relevanz über Indifferenz zur positiven Relevanz dar. Im Konflikt befindet sich der andere Akteur im Bereich der negativen Relevanz im Falle der Kooperation im Bereich der positiven Relevanz. Auf der Ost-West Kooperation angewendet, wird dann allerdings die Frage akut, ob intersystemis che Kooperation überhaupt denkbar ist, 35 Karl Birnbaum, Zur Problematik von Entspannungs politik und intersystemarer Kommunikati on im Ost-West-Ver hältnis, in: Delbrück u. a. (Hrsg.), Grünbuch zu den Folgewirkung en der KSZE, Köln 1977, S. 383. 38 Rüdiger Jütte, Europäische Friedensstruk tur; Kriterien und Prozesse, in: Große-Jütte I Jütte (Hrsg.), S. 152 ff. 37 Nach Lothar Brack, Problemlösun g und Interessenpol itik, in: Durch Kooperation zum Frieden?, München 1974, S. 14.

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wenn nach wie vor von Systemkonkurrenz, ja vom internationalen Klassenkampf gesprochen wird38 • Die Antwort auf diese Frage und damit die Chance für intersystemische Kooperation liegt in dem Umstand begründet, daß, so wie im nationalen, gesellschaftlichen und politischen System auch, die Akteure des internationalen Systems nicht nur eine, sondern eine Vielzahl von Rollen aufweisen. Daß führt dazu, daß die wechselseitige Einschätzung des anderen Akteurs orts-, zeit- und sachspezifisch determiniert ist. Diese, wie ich es nennen möchte, Atomisierung der wechselseitigen Einschätzungen der Akteure auf dem genannten Kontinuum ist eine der wesentlichsten Voraussetzungen für das Funktionieren intersystemischer Kooperation, gleichzeitig aber auch der wichtigste Grund, keine übertrieben großen Erwartungen in ihre friedensfördernde oder gar friedensgarantierende Wirkung zu setzen. Das wurde eingangs am Beispiel der Anti-Hitler-Koalition gezeigt. Ein weiteres Wesensmerkmal von Kooperation ist, daß sie sach-spezifisch die Integration von Willensbildungsprozessen und der entsprechenden Einrichtungen zur Voraussetzung hat. Das bedeutet aus der Sicht der Akteure, daß die Frage der Systemerhaltung bzw. der Systemabgrenzung im Zusammenhang mit der intersystemischen Kooperation von großer Wichtigkeit ist. Läßt man die philosophische Komponente dieses Problems außer acht39 , so läßt sich auch hier wiederum ein Kontinuum zur Verdeutlichung der Alternativen aufstellen. An seinem einen Ende liegt als absoluter Endpunkt die eigene Systemidentität und am anderen die Erlangung der Dominanz über das andere System, also dessen Verlust der Systemidentität. Als Beispiel kann hier die oben skizzierte Besatzungspolitik der Sowjetunion in den osteuropäischen Staaten angesehen werden. Formell trat die UdSSR im Namen aller Alliierten auf, de facto aber dominierte sie die Systeme (USA, Großbritannien) bis zur Grenze deren orts- und sachspezifischen Verlustes der Systemidentität. Versuche der beiden anderen Systeme, ihre Position auf dem Kontinuum zu verbessern, wurden mit dem Hinweis darauf vereitelt, daß die Situation beispielsweise in Italien nicht anders sei. Allerdings bestand der wesentliche Unterschied dieser beiden Kooperationsfälle darin, daß die Sowjetunion sich mit ihrer Position auf dem Kontinuum im Falle Italiens abfand und nichts unternahm, um diese aus ihrer Sicht zu verbessern. Es liegt auf der Hand, daß die Einschätzung der eigenen Position auf dem zuletzt genannten Kontinuum vom Kooperationsgegenstand abhängig ist, allerdings auch in Form einer Rückkoppelung die Auswahl 38 39

Birnbaum, S. 388 f. Bernhard WilZms, Die Dialektik von Kooperation und Abgrenzung in den

Ost-West-Beziehungen im europäischen System, in: Große-Jütte I Jütte (Hrsg.), S. 131.

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des Kooperation sgegenstande s oder den Zeitpunkt der Kooperation bestimmt. Von großer Bedeutung ist hier die Einschätzung der eigenen sachspezifisc hen Potenz. Kooperation mit einem extrem überlegenen Akteur wird wohl nur unter besonders zwingenden Umständen angestrebt werden, wie etwa im Verhältnis zwischen Industriestaa ten und Ländern der Dritten oder Vierten Welt, wo sich ja das Problem der Systemabgre nzung, um nicht zu sagen Systemerhal tung, bei den Entwicklungssta aten mit dramatischer Deutlichkeit stellt. Darüber hinaus wird natürlich die Wahl des Kooperation sgegenstandes davon dominiert sein, wie weit er geeignet ist, zur Verwirklichung gemeinsame r und damit auch zur Optimierung individueller Interessen beizutragen. Wiederum läßt sich ein Kontinuum aufstellen. An seinem maximalen Ende werden jene Sachbereiche einzuordnen sein, die gemeinsame Werte zu optimieren oder gemeinsame Unwerte zu minimieren in der Lage sind. Am Minimum-En de werden sich jene Sachbereiche finden, die lediglich jene Werte maximieren, die nur einer Seite bedeutsam sind, bzw. solche Unwerte minimieren, wobei vor allem auch der ideologischen Relevanz des Sachbereiche s eine entscheidende Bedeutung zukommt. Lassen Sie mich zwei drastische Beispiele geben: Die Beseitigung der Kinderlähmu ng ist ohne Zweifel ein Kooperation sgegenstand, der sowohl gemeinsame Werte zu maximieren als auch gemeinsame Unwerte zu minimieren in der Lage ist. Der gemeinsame Schutz des Privateigent ums an den Produktions mitteln ist ebenso ohne Zweifel ein Kooperation sgegenstand, der keineswegs geeignet ist, gemeinsame Werte zu maximieren oder gemeinsame Unwerte zu minimieren. Es wird Aufgabe der Wissenschaft von den Internationa len Beziehungen sein, durch sorgfältige Analyse, unter Berücksichti gung der hier angesprochen en Parameter kooperations geeignete Sachbereiche zu finden und den Entscheidun gsträgern vorzulegen. Man kann dabei zu durchaus interessanten Ergebnissen kommen, wie zum Beispiel auch auf dem an sich sehr heiklen Bereich des internationalen Schutzes der Grund- und Freiheitsrech te. Bei sorgfältigem Analysieren der Strukturelem ente der jeweiligen politischen Systeme, zeigt sich nämlich, daß der Bereich der sogenannten Persönlichke itsrechte, wie etwa Recht auf Schutz vor Willkürliche r Verhaftung, Gleichberech tigung von Mann und Frau, Verbot der Folter, Verbot der Sklaverei, in beiden Systemen grundsätzlic h verwirklichb ar sind40 •

40

Rotter, S. 567.

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VI. Ausblick Kooperation ist kein Selbstzweck. Sie kann mannigfaltige Zielsetzungen und damit mannigfaltige Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Systeme der Akteure und damit auf das internationale System Europas haben. Auch darf nicht übersehen werden, daß Kooperation Kommunikation voraussetzt, die ihrerseits ein Konfliktspotential darstellt. Nur Akteure, die miteinander nicht kommunizieren, können miteinander nicht in Konflikt geraten. Wie oben gezeigt wurde, setzt Kooperation voraus, daß die beteiligten Akteure zumindest sachspezifisch füreinander im Bereich der positiven Relevanz liegen. Das bedeutet, daß sachspezifisch zwischen Ihnen kein Konflikt besteht. Kooperation ist also kein Mittel zur Konfliktslösung sondern hat den Nichtbestand bzw. die erfolgte Lösung eines Konflikts sachspezifisch zur Voraussetzung. Sie kann aber in ihrem Verlauf zu Kooperationsfolgekonflikten führen4 t, wie am Beispiel der Anti-Hitler-Koalition gezeigt wurde. Es darf, um es verkürzt auszudrücken, keine Automatik zwischen Kooperation und Stabilisierung des Friedens42 in Europa angenommen werden43. Alles in allem ist nicht die Frage zu stellen: Was leistet intersystemische Kooperation?, sondern: Was soll bzw. kann sie leisten?. Dazu seien abschließend folgende Überlegungen zur Diskussion gestellt. Allem voran sollte und könnte intersystemische Kooperation die Lebensverhältnisse der Individuen in den beiden Gesellschaftssystemen materiell verbessern. Dies ist ja nicht zuletzt das Ziel, zu dessen Verwirklichung beide Seiten angetreten sind. Darüber hinaus könnte intersystemischer Kooperation die Funktion des Mediums für die Austragung der so oft angesprochenen Systemkonkurrenz sein. Bislang war das Medium für diese Konkurrenz das Militärsystem, welches es beiden Seiten ermöglichte, mit ihren Errungenschaften gegeneinander wechselseitig Imponier- und Drohhaltungen einzunehmen. Für die friedliche (zivile) Systemkonkurrenz fehlt es eigentlich an einem adäquaten Medium. Mit Hilfe der intersystematischen Kooperation könnte ein solches für die zivilen Eliten geschaffen und solcherart den militärischen Eliten das Konkurrenzmonopol entzogen werden. Das würde freilich dazu führen, daß die Auseinandersetzung über das Für und Wider des jeweils als Ziel vertretenen Gesellschaftsmodells in das je41 Brock, S. 15 ff. u Ich gehe hier vom negativen Frieden aus, den ich zwar nicht für das Ideal schlechthin, wohl aber für eine unabdingbare Voraussetzung des zu erstrebenden positiven Friedens halte. Ernst-Otto Czempiel, Alternative Friedensbegriffe, in Große-Jütte I Jütte (Hrsg.), S. 27. 48 Siehe dazu die von Jütte angestellte detaillierte Untersuchung, S. 158 ff.

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weilige System hineingetr agen wird, was da wie dort einen Lernproze ß bei den Leiteinrich tungen auslösen wird. Hier liegt natürlich ein starkes Potential für die oben bereits erwähnten Folgekonfl ikte. Allerdings muß man davon ausgehen, daß keines der beiden Systeme den Status quo ein für alle Mal festschreib en und innovatori sche gesellschaftliche Prozesse langfristig unterdrück en kann. Freilich darf man bei diesen Überlegun gen nicht im Zeithorizo nt der Lebenserw artung einer Generation denken. Aber auch kurzfristig hat die Intersystem ische Kooperatio n eine bedeutsam e Wirkung auf das internation ale System Europas; und zwar nicht so sehr in ihrer tatsächlich en Durchführung als vielmehr in ihrer grundsätzl ichen Anerkennu ng durch die Teilnehme rstaaten der KSZE. Das bedeutet aber auch die prinzipiell e Anerkennu ng der Existenzbe rechtigung des jeweils anderen Gesellschaftssyst ems. Daraus ergibt sich aber in weiterer Konsequen z, daß wir das Bedürfnis jedes Akteurs im europäisch en System, seinen believes, seinen Wertvorste llungen und seinen materielle n Interessen zum Durchbruc h verhelfen zu wollen, als gegeben annehmen müssen. Es bringt keine positiven Ergebnisse , immer auf Indizien dafür zu lauern, daß die andere Seite, zu ihren Prinzipien und zu dem Wunsch sie zu verwirklic hen steht, um dann beleidigt darauf zu reagieren. Das wäre naiv. Mehr noch: gefährlich! Denn dadurch würden Verhaltens erwartung en erzeugt und gefestigt, die der Verhinder ung der Anwendun g physischer Gewalt sicherlich nicht förderlich wären. Vielmehr müssen wir uns gerade dazu bekennen, unterschied liche Ideale von der Organisati on der Gesellscha ft zu vertreten. Das bedeutet konsequen terweise, daß wir auf der internationalen Ebene von einem Pluralismu s von Wertvorste llungen und materielle n Interessen ausgehen müssen. Anders ausgedrück t: bei aller Einigkeit über Uneinigkei t, setzt das Bekenntni s zur Zusammen arbeit auf den verschiede nen Gebieten, die Einigkeit über den Bestand und die Notwendig keit eines pluralistisc hen internation alen Systems in Europa voraus. Genauso wie die parlamenta rische Demokrati e von der grundsätzl ichen Gleichwer tigkeit der in ihr vertretene n Wertvorste llungen und Ideologien ausgeht und die optimale Lösung gesellschaf tlicher Probleme geradezu aus der Konkurren z der Vertreter dieser Wertvorste llungen und Interessen erwartet, so muß auch für das internationale System die grundsätzl iche Gleichwer tigkeit der in ihm vertretenen Idealvorste llungen akzeptiert werden. Das bedeutet keineswegs, daß die jeweils andere Seite nicht kritisiert oder zu Innovation en aufgeforde rt werden darf.

IX. Rechtsphilosophisches

HÖHEPUNKT UND ABSCHLUSS DER ABENDLÄNDISCHEN RECHTSMETAPHYSIK BEI LEIBNIZ Von Alfred Verdross I. Ihre ontologische Grundlage Diese letzte große Rechtsmetaphysik wurzelt in der klassischen Metaphysik (philosophia perennis), die auch die natürliche Theologie (theologia naturalis) umfaßt, während die Offenbarungstheologie nur zur Bestätigung ihrer Ergebnisse herangezogen wird. Wir befinden uns also in ihr in einer, durch die göttliche Weisheit geordneten Welt. Um die Rechtsphilosophie dieses letzten universellen Denkers verstehen zu können, müssen wir daher von seiner Ontologie ausgehen. Beide liegen aber nicht in einem umfassenden System vor, sondern müssen erst aus zahlreichen Schriften herausgearbeitet werden. Doch liefert uns dazu Leibniz selbst den Schlüssel in der "praefatio" seines "codes iuris gentium diplomaticus" (1693), wo er seine rechtsphilosophischen Gedanken zusammenfaßt Unsere Aufgabe wird uns auch dadurch wesentlich erleichtert, daß erst vor kurzem Hans Peter Schneider die chronologische Entfaltung dieser Rechtsphilosophie an der Hand zahlreicher, neu entdeckter Quellen herausgearbeitet! und Hartmut Schiedermeier ihre Hauptprobleme systematisch dargestellt hat2 • Wir beschränken uns aber hier darauf, die Grundgedanken der in Rede stehenden Rechtsphilosophie in ihrer endgültigen Gestalt vorzuführen. Den methodischen Ausgangspunkt dieser Philosophie bildet die Unterscheidung zwischen Tatsachenwahrheiten (verites de fait) und Vernunftwahrheiten (verites de raison). Jene beruhen auf einer "unmittelbaren Perzeption" 3, während diese "von den Sinnen unabhängig" 1 Justitia universalis. Quellenstudien zur Geschichte des "christlichen Naturrechts" bei Gottfried Wilhelm Leibniz. Klostermann, Frankfurt a. M. 1967. 2 Das Phänomen der Macht und die Idee des Rechts bei Gottfried Wilhelm Leibniz. Studia Libnitiana Supplementa (hrsg. v. K. Müller und W. Totok). 1970. Fr. Steiner Verlag, Wiesbaden. Da die meisten der verarbeiteten Schriften nur in wenigen Fachbibliotheken vorhanden sind, fügen wir bei ihrer Zitation die Seiten aus den beiden, in den vorigen und dieser Anmerkung angeführten Werken hinzu, auf denen die Belegstellen abgedruckt sind. a Die Theodicee, Philosophische Bibliothek (2. Aufl. 1968), S. 446.

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sind\ da sie "aus unserem geistigen Vermögen" stammen5 • Leibniz ergänzt also die empiristische erkenntnistheoretische Formel "nihil est in intellectu quod prius non fuerit in sensu" durch den Nachsatz "nisi intellectus ipse". Er vertritt somit die Auffassung, daß in unserer Vernunft ein Licht als "ein Strahl der göttlichen Vernunft" leuchtet8 , mit dessen Hilfe wir durch Vernunftschlüsse zu Erkenntnissen "a priori" gelangen können7 • Diese Schlußfolgerungen führen allerdings teilweise nur zu Wahrscheinlichkeitsaussagen nach Analogie der juristischen Vermutungen. So können wir vor allem durch das Licht der Vernunft die Existenz Gottes als "die erste Ursache der Dinge" erkennen, da "die beschränkten Dinge, wie alles, was wir sehen und erfahren", zufällig sind. "Es gilt also den Grund für die Existenz der Welt" aufzusuchen und zwar in der Substanz, die den Grund ihrer Existenz in sich selbst trägt und die darum notwendig und ewig ist8."

II. Die Idee der Gerechtigkeit Aus dieser Erkenntnis folgert Leibniz, daß die erste Ursache "mit Verstand begabt sein" muß, da sie die existierende Welt aus vielen anderen möglichen Welten ausgewählt hat. Diese Auswahl setzt auch einen Willensakt voraus. "Die Macht dieser Substanz gibt dem Willen Wirksamkeit. Die Macht geht auf ein Sein, die Weisheit oder der Verstand auf das Wahre, der Wille auf das Gute. Diese mit Verstand begabte Ursache muß außerdem in jeder Weise unendlich sein, denn sie umfaßt jede Möglichkeit 9 ." Diese "überlegene Weisheit konnte in Verbindung mit einer nicht weniger unendlichen Güte einzig und allein das Beste wählen" 1o. Zu dieser Erkenntnis bedürfe es keiner Offenbarung. Die Vernunft sagt es uns "mit unfehlbaren Beweisen" 11 • Da nun Gott gerecht handelt, weil sein Wille von seiner Weisheit und seiner Güte geleitet wird, bezeichnet Leibniz die Gerechtigkeit als "Güte des Weisen" (caritas sapientis)1 2 • Dortselbst, S. 447. Dortselbst, S. 448. 8 Dortselbst, S. 34 f. 7 Dortselbst, S. 37, 57, 60; dazu Schiedermeier (Anm. 2), S. 285 f. s Dortselbst, S. 100. 8 Dortselbst, S. 100. to Dortselbst, S. 101. u Dortselbst, S. 64. 12 Dortselbst, S. 239, 471; Codex iuris gentium diplomaticus, praefatio (künftighin zitiert "Praefatio"), Schiedermair (Anm. 2), S. 1'08, Anmerkung 100 bis 102. 4

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Höhepunkt und Abschluß der Rechtsmetaphysik bei Leibniz

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Diese, für die Rechtsphilosophie grundlegende Idee entsteht durch eine Verbindung der einfachen Ideen von Weisheit und Güte, die wir in unserer Vernunft unmittelbar vorfinden13. Zur göttlichen Weisheit und Güte haben wir allerdings keinen unmittelbaren Zugang. Wir können sie aber per analogiam aus der menschlichen Weisheit und Güte erschließen, da sich jene von unserer nur dadurch unterscheiden, "daß sie unendlich vollkommener sind"14 • Da Leibniz die Gerechtigkeit aus bestimmten personalen Eigenschaften ableitet, ist seine Rechtsphilosophie streng personalistisch konzipiert. Sie geht aber über die klassische Formulierung Ulpians "honeste vivere" hinaus, da Leibniz ein "pie vivere" mit der Begründung fordert, daß jene Formel nur das Leben in der bürgerlichen Gesellschaft im Auge hat, während die Unsterblichkeit der Seele eine Kontinuität der menschlichen Persönlichkeit über diese Welt hinaus begründe und daher "ein frommes und gottesfürchtiges Leben fordert" 15 • Der Mensch bewegt sich also in einer "moralischen Welt", die aber nicht, wie bei Kant, über der realen Welt schwebt, sondern in diese eingeordnet ist16• Diese Ausführungen zeigen uns, daß die Gerechtigkeit bei Leibniz alle Tugenden umfaßt und sich daher mit der Idee des Guten deckt17, die im göttlichen Sein wurzelt18 • Leibniz bezeichnet sie auch als (absolutes) Naturrecht: "existentia (Dei) ... est iuris naturae fundamenturn ultimum19."

111. Naturrecht und positives Recht Da sich die aus der Idee der Gerechtigkeit ergebenden Grundsätze mit dem absoluten Naturrecht decken (praecepta iuris perpetui quod et naturale appellamus) decken, bildet dieses das Gesetz der besten Gemeinschaft (optimae rei publicae) 20, das allen irdischen Gemeinschaften als Vorbild dienen soll21. Das Naturrecht ist daher die Seele des positiven Rechts, die dessen Körper enthält22 . Daher bilden Naturrecht Theodicee (Anmerkung 3), S. 445. Dortselbst, S. 35. 15 Praefatio, Schiedermair (Anm. 2), S. 228, Anm. 103, auch 104 (De legum interpretatione). 18 Monalodologie, Schiedermair (Anm. 2), S. 208, Anm. 19 u. 20. 17 Praefatio, Schiedermair (Anm. 2), S. 229, Anm. 105 und 107 (Fragment). 18 Dortselbst, Schiedermair (Anm. 2), S. 136, Anm. 19. 19 Nova methodus, II § 75, Schneider (Anmerkung 1), S. 355 (Anm. 94). 2° Fragment, Schiedermair (Anmerkung 2), S. 345 (Anm. 101). 21 Fragment, Schiedermair (Anmerkung 2), S. 345 (Anm. 101). 22 Belegstellen bei Schiedermair (Anm. 2), S. 155. 13

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und positives Recht eine Einheit23, da jenes die Zuständi gkeit des irdischen Gesetzge bers regelt, indem es ihm aufträgt, Normen zu erlassen, die dem allgemein en Wohle dienen. Darunter versteht Leibniz die allgemeine Verpflich tung zur Betätigun g einer selbstlose n, menschen freundlic hen Liebe (benevole ntia universal is) 24, da nur auf diese Weise das allgemein e Wohl des Menschen geschlech ts (generis humani) erreicht werden kann25 , das in der Vervollk ommnung (perfectio ) aller Menschen (bonum autem cuiusque est quod perficit sive juvat)28 besteht. Nur so kann das positive Recht von der Moralord nung nicht getrennt werden27 • Ja die Politik ist selbst Ethik (Politica non est disciplina ab Ethica separata, sed ipsa Ethica agit) 28• Auch sie hat ihre Grundlag e in der wahren Liebe, sich am Glück der anderen zu erfreuen (amare autem sive diligere est felicitati alterius delectari) 29• Eine richtige Liebe ist aber nur jene, die "recte ordinata" ist30 , also eine solche, die auf der Klugheit (prudenti a) und Weisheit (sapeintia ) beruht30 • Die Liebe kennt daher verschied ene Grade 31 • Eine vollständ ige Harmoni e kann allerding s nur in der "civitas sub Deo" erreicht werden32 , da die Gerechtig keit Gottes die Guten belohnt und die Bösen bestraft, wodurch die normativ e Ordnung mit der Kausalordnu ngverknü pft wird 33 • Hingegen bestehe in allen weltliche n Gemeinscha ften immer eine Spannun g zwischen der Gerechtig keit und der lex humana. Recht und Macht decken sich also in ihnen nicht; ja diese Spannun g kann so weit gehen, daß auch Unrechts staaten möglich sind. So gelten die Piratenst aaten als "hostes generis humani" 34 • Grundsät zlich sind aber auch die menschlic hen Gesetze zu beachten, sofern sie nicht "manifes te absurda et rationi contraria " sind 35 • Hartmann , Leibniz als Jurist und Rechtsphi losoph (1892), S. 88 ff. Praefatio, Schiederm air (Anm. 2), S. 108, Anm. 99 und 100; Schneider (Anm. 1), S. 392 Anm. 257 und 260. 25 Schneider (Anm. 1), S. 226, Anm. 535. u De jure et justitia, Schiederm air (Anm. 2), S. 82 (von mir hervorgeh oben). 2 7 Fragment , Schiederm air (Anm. 2), S. 107, Anm. 97. 2s Schiederm air (Anm. 2), S. 107 (Anm. 98). Dazu Erik Wolf, Leibniz als Rechtsphi losoph, in: Rechtsphi losophisch e Studien (1972), S. 246 ff., 261. 28 Praefatio, Schiederm air (Anm. 2), S. 226 (Anm. 96). ao Schneider (Anm. 1), S. 366. 81 De justitia, Schneider (Anm. 1), S. 387, Anm. 237. 32 Praefatio, Schneider (Anm. 1), S. 416, Anm. 348. 33 Moraltheo logie, Schneider (Anm. 2), S. 450. 84 Schiederm air (Anm. 2), S. 172, Anm. 166. 35 De legum interpreta tione, dortselbst , S. 157, Anm. 101. 23

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Höhepunkt und Abschluß der Rechtsmetaphysik bei Leibniz

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IV. Absolutes und relatives Naturrecht Leibniz unterscheidet zwischen dem unveränderlichen und veränderlichem Naturrecht. Jenes bezeichnet er auch als "jus divinum naturale" und als "justitia naturalis" 36 • Sie gilt aber nur in der "civitas perfectissima Dei" 37 • Hingegen gelten in den weltlichen Gemeinschaften nur wenige unveränderliche naturrechtliche Grundsätze, wie: "Deum esse colendum, magistratus et parentes honorandos" 38, sowie: "dem allgemeinen Wohle (in bereits angeführtem Sinne) dienen", da im Bereich der geschichtlichen Welt auch die veränderlichen Umstände (rationes status) berücksichtigt werden müssen39 • Bei Leibniz finden wir also kein entfaltetes Naturrechtssystem, wie bei dem auf ihn aufbauenden Philosophen Christian Wolff 40 . Jener weist dem Gesetzgeber und Richter die Aufgabe zu, das Recht jeweils im Lichte der ewigen Grundsätze nach Zeit und Ort zu gestalten. Er stimmt also im wesentlichen mit der einschlägigen Lehre des hl. Thomas von Aquino überein41 • Er unterscheidet sich aber von ihm vor allem dadurch, daß Leibniz auch das Verhältnis zwischen Gott und Menschen als ein Rechtsverhältnis betrachtet, so daß die natürliche Theologie als "jurisprudentia quaedam specialis" 42 erfaßt wird. Damit wird auch die in ihr verankerte moralische Ordnung zu einem Gliede der "justitia universalis" 43 . V. Die Aufgabe der Rechtswissenschaft Auch die Rechtswissenschaft darf sich nicht darauf beschränken, das positive Recht darzustellen, sondern sie muß eine "scientia nomothetica"44 sein, die dem Gesetzgeber und Richter bei der Gestaltung und Anwendung des positiven Rechts hilft. Die Rechtswissenschaft steht also ebenfalls im Dienste der universellen Gerechtigkeit. Daher kann Leibniz sagen: "scientiam juris naturalis docere, est tradere leges optimae rei publicae45 ." Praefatio, Schneider (Anm. 1), S. 416, Anm. 348. Dortselbst. ss De legum interpretatione, Schiedermair (Anm. s), S. 155 Anm. 98. 39 Dortselbst. 40 Verdross, Abendländische Rechtsphilosophie (2. Aufl. 1963), S. 138 ff. und: Statisches und dynamisches Naturrecht (1971), S. 30. 41 Dortselbst, S. 77. 42 Ars combinatoria, Schneider (Anm. 1), S. 347, Anm. 50; auch Erik Wolf (Anm. 28), S. 249. •a Schneider (Anm. 1), S. 421. " Brief an Hermann Conring vom 13. Jänner 1670, Schneider (Anm. 1), S. 357, Anmerkung 98. u De scientia juris naturalis, Schneider (Anm. 1), S. 410, S. 328. 36

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30 Festschrift für Stephan verosta

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VI. Abschließende Bemerkungen Bald nach Leibniz wird jede Rechtsmetaphysik abgelehnt. Zwar knüpft noch Christian Wolffan sie an, doch hat er durch seine, ins Detail gehenden Deduktionen, welche die veränderlichen Umstände übersehen, seinem groß·en Magister mehr geschadet als genützt46 • Jene zerbricht dann mit Kant, da er das Reich der Natur und das Reich der Sittlichkeit nicht mehr einheitlich erfassen konnte. Sie wird ferner bei Hegel durch eine Geschichtsphilosophie abgelöst und schließlich durch die große Revolte gegen die Transzendenz bei Nietzsche und Marx radikal verneint. Zugleich mit diesen Strömungen versinkt auch die materiale Rechtsphilosophie, um durch formale Rechtstheorien und die Rechtssoziologie abgelöst zu werden, wodurch alle inhaltlichen rechtlichen Konstanten47 verloren gehen. Da es gerade Leibniz war, der diese als letzter großer Denker verteidigt hat, wird daher jeder Versuch, diese neu zu entdekken, sich auch mit ihm auseinandersetzen müssen48 •

u Verdross (Anm. 40). 41 Verdross, Statisches und dynamisches Naturrecht (1971), S. 92 f!. 's Dazu Erik Wolf (Anm. 28).

NATURRECHT IN EVOLUTION Von J ohannes Messner Die scholastische Naturrechtslehre ist heute nicht mehr das, was sie vor dem Zweiten Weltkrieg war. Nicht nur hat die Naturrechtsdiskussion der Nachkriegszeit auf die scholastische Naturrechtslehre eingewirkt, diese selbst hat von ihren eigenen Positionen aus den Zugang zu Erkenntnissen gefunden, die für die wissenschaftliche Fundierung erst die ganze Tragfähigkeit geben, außerdem anthropologisch und philosophisch einen weltweiten Horizont eröffneten, der die weltpolitisch neuen Wirklichkeiten zu fassen vermag. Keine Wissenschaft darf, wenn sie Wissenschaft sein und bleiben will, auf der Stelle treten. Dies am allerwenigsten die Naturrechtslehre, deren Gegenstand die gesellschaftliche Ordnungsproblematik des Menschen bildet. Die Evolution in Sein und Denken des homo sapiens dürfte unbestritten sein. Daß man diese Evolution zu wenig bedacht hat, scheint die Ursache zu sein, daß man im Naturrecht zu einseitig das Absolute suchte. Dies war vor allem im 19. Jahrhundert der Fall, wo man sich genötigt sah, gegenüber dem Rechtspositivismus die Existenz eines übergesetzlichen Rechts zu verteidigen und die Relativierung aller Wahrheiten und Werte abzuwehren. Für diese Situation war folgende Erfahrung kennzeichnend: Gleich nach Kriegsende erhielt ich das Schreiben des hochangesehenen Herausgebers einer Zeitschrift des deutschen Sprachraumes mit dem Ersuchen um eine Stellungnahme zu dem aufkommenden Streit über die Wandelbarkeit des Naturrechts. Ich sandte ihm einen Artikel mit der Unterscheidung zwischen absolutem und relativem Naturrecht, welch letzteres zeitbedingt sei. Ich erhielt den Artikel postwendend zurück mit der Bemerkung, wohin wir kämen, wenn das Naturrecht nicht absolut und zeitunabhängig wäre. Nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus und seiner Mißachtung wichtigster Menschenrechte war es klar, daß eine wissenschaftliche Neubesinnung auf das Naturrecht erfolgen mußte. 1938 nach England verschlagen, begann ich daher mit der Arbeit an der Naturrechtsidee. Meinem bisherigen Studiengang gemäß versuchte ich von einer metaphysischen Grundlegung auszugehen. Nachdem ich mich in die englische Rechtsliteratur eingelesen hatte, war ich überzeugt, daß 30•

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eine so begründe te Naturrec htslehre im englische n Sprachra um nicht akzeptier t werden würde. Das Denken des Englände rs und Amerika ners ist vielmehr als das kontinent al-europä ische von der unmittelb aren Erfahrun g bestimmt . Es kam daher darauf an, die Möglichk eit eines Zugangs zur Naturrec htslehre von der unmittelb aren Erfahrun g her zu finden. Bei solchem Vorgehen waren damals von theologis cher Seite im deutschen Sprachra um stärkste Angriffe zu fürchten. Wo ich mich daher vor neuen Wegen fand, suchte ich mich auf ansatzwe ise bei Thomas v. Aquin gegebene Einsichte n zu stützen. Als ich das "Naturre cht" (1950) einem meiner engsten Freunde, dem bekannte n kritischen Thomisten Professor Albert Mitterer (Wien) gegeben hatte, fuhr er mich beim ersten darauf folgenden Besuch an: "Du benützt den hl. Thomas als Paravant ." Er hatte richtig gesehen, daß ich nicht bei Thomas stehen bleiben wollte, aber wenn nötig mich der Rückende ckung durch Thomas zu versicher n suchte. Denn damals in der Zeit vor dem li. Vatikanis chen Konzil war das Abgehen von Thomas etwas Gefährliches. Nach dem li. Vatikanis chen Konzil (1962 -1965) war bekanntli ch die Lage beinahe ins Gegentei l verkehrt: Abgehen von Thomas oder Gegensatz zu ihm galt bei nicht wenigen fast als wissensch aftliche Legitimation. Ich bin nach wie vor überzeug t, daß Thomas einer der scharfsinnigste n Geister ist, aber nicht das Ende der wissensch aftlichen Forschung in der Naturrec htslehre sein kann. Bei der sorgsame n Lektüre von Thomas war ich indessen immer wieder überrasch t, wieviel dem Schultho mismus von der gewaltige n Fülle und der lebendige n Farbigkeit seiner besten Gedanke n verloren gegangen war. Das Naturrec ht war reduziert worden auf allgemein ste, abstrakte Sätze der apriorischen, also erfahrung sunabhän gigen Vernunft einsicht. Das neue Interesse am Naturrec ht nach Kriegsen de hielt mehrere Jahre an. In deren Verlauf erfolgte eindringe nde Kritik, besonder s auch an der scholastis chen Auffassu ng. Daraufhi n stellte sich eine weitreichende Distanzie rung vom Naturrec ht ein, als wäre es etwas wissenschaftlich Fragwürd iges. Man hielt es für das Beste, vom Naturrec ht zu schweige n. Es dauerte Jahre, bis man sah, daß die "Allgeme ine Erklärung der Menschen rechte" durch die Vereinte n Nationen (1948) eine vertiefte ausgewei tete Idee des Naturrec hts bedeutete . Gelegentl ich war mit der Kritik am Naturrec ht aber auch das Bekenntn is zu ihm verbunde n, so etwa bei Franz Böckle, der auf die Frage, ob die Moraltheologie "möglich erweise das Naturrec ht entbehre n könne", antwortete, "sie kann dies wohl auch gerade als theologis che Ethik weniger denn je tun" (Literatu rangaben am Ende). Mit den folgenden Überle-

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gungenhoffe ich, eine neue Naturrechtsbeg ründung zu bieten, sowie zu zeigen, daß sich das scholastische Naturrecht heute vor dem Forum der Wissenschaft sehr wohl sehen lassen kann.

I. Die naturreclltliche Grundnorm Der entscheidende Schritt in der jüngsten Periode der Evolution des Naturrechts erfolgte durch die weltöffentliche Anerkennung der Würde der menschlichen Person. Für Thomas bestand die Grundnorm des Rechts im ewigen Gesetz, das ist in der Weisheit und dem Willen des Schöpfers. Dem säkularisierten Denken der Gegenwart ist eine solche Grundlegung der Ethik nicht leicht zugänglich. In der Evolution des sittlich-rechtlich en Bewußtseins der Menschheit rückte seit dem Ende des 'Zweiten Weltkrieges die Idee in den Mittelpunkt, die die natürlich-sittliche Grundnorm allen Rechts und auch des Naturrechts zu sein berufen ist. Dies ist die Idee der Menschenwürde . Die Grundnorm bedeutet für die Einzelnormen des Rechts Inhaltskriterium und Verpflichtungsgrun d. Die Menschenwürde wurde seit dem Eintritt des Christentums in die Welt immer wieder erwähnt, jedoch erst im 16. Jahrhundert (F. Vasquez) und im 17. (S. Pufendorf) wurde sie zu einer Grundidee der Naturrechtslehre. Ausdrücklich von der Würde des Menschen spricht die Präambel der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen 1948 mit der Begründung, daß alle Menschen mit Vernunft und Gewissen begabt sind. Die Erklärung der Menschenrechte stellt keine Rechtssetzung dar. Sie läßt aber einen Schluß auf den Stand der Entwicklung des menschheitliche n Rechtsbewußtse ins zu. An der einzigen Stelle, an der Thomas ausdrücklich von der Menschenwürde spricht, leitet er diese nicht aus der Gottesebenbildl ichkeit des Menschen ab, sondern sieht mit einer überraschend modernen Definition "die Menschenwürde darin, daß der Mensch natürlicherweis e frei ist und um seiner selbst willen existiert" (1) (die Anmerkungszif fern weisen auf die Fundstellen bei Thomas hin, die am Schluß unter Literatur erwähnt sind). Ihr sittliches Wesen macht die Würde der menschlichen Person aus. Vernunft und Gewissen sagen dem Menschen von Verpflichtungen , an deren Erfüllung seine Selbstverwirkli chung geknüpft ist. Die notwendigen Voraussetzunge n der Selbstverwirkli chung für alle zu schaffen, ist die Gemeinwohlauf gabe des Staates, daher die Menschenwürde auch die Grundnorm der gesellschaftliche n und staatlichen Ordnung. Daß diese Grundnorm alles Rechts mit der Idee der Gottesebenbildl ichkeit den eigentlichen Gehalt empfängt, nimmt anderen Begründungswe isen in der weltanschaulich -pluralistischen Ge-

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sellschaft nicht ihr Gewicht, macht vielmehr diese deshalb unerläßlich , weil die säkularisie rte Gesellscha ft sonst nicht zu einer einheitlich en Sinngrund lage zu kommen vermöchte.

n.

Die Menschenrechte

Thomas nennt das sittlich-rec htliche Grundwiss en des Menschen die "Teilnahm e" des vernunftbe gabten Geschöpfes am ewigen Gesetz (2). Von diesem Ausgangsp unkt aus konnte es ihm nicht gelingen, die Idee der Menschenr echte zu erreichen. An die Spitze von Teil 2 des 1. Buches seiner Theologisc hen Summe, worin er das Naturrech t behandelt, stellt er einen Prologus, in dem er von der Gotteseben bildlichkei t spricht, die er nun zu behandeln habe. Diese Ebenbildli chkeit sieht er darin, daß der Mensch ein intelligent es, mit Willensfre iheit ausgestatte tes und kreatives (per se potestativu m) Wesen sei. Jedoch das Individual prinzip als vorstaatlic hes Rechtsprin zip bleibt ihm fremd, so daß "Thomas niemals eingefallen wäre, auf Grund der Menschenw ürde ein Freiheitsrecht für den einzelnen zu behaupten "; A. F. Utz, der das feststellt, fährt fort mit dem Hinweis, daß die Zeit noch nicht reif war, das Individualprin zip und die Menschenw ürde zur Grundlage des Naturrecht s zu machen, es habe hiezu der sozialen Revolution bedurft, wie sie die Industriali sierung und der Liberalism us mit sich brachten. Bedenkt man, daß Thomas den Begriff Person nur im Zusammen hang mit der Trinität behandelt, dann ist der gewaltige Schritt der Evolution des Naturrecht s von seiner Zeit bis auf den heutigen Tag offensichtl ich. Zwei Beispiele zeigen das Fehlen der Idee der Menschenr echte zum Unterschie d von der heutigen Naturrecht sauffassun g in besonders drastischer Weise. Das eine ist Thomas' Haltung in der Frage der Sklaverei. Er nimmt sie als feststehend e Institution hin (3), allerdings will er dem Sklaven das natürliche Recht auf Nahrung und Kleidung, Ehe und Aufzucht der Kinder gewahrt wissen. Heute erscheint uns die Behandlung der Sklaven als "Sache" unvereinb ar mit der Würde des Menschen als Person. Den Millionen, die im Sklavenha ndel aus Afrika seit dem Entdeckun gszeitalter nach Amerika kamen, wäre ihr furchtbare s Schicksal erspart geblieben, wenn die Menschenr echte schon erkannt und geachtet gewesen wären. Das zweite Beispiel betrifft die Personwürde der Frau. Diese ist nach Thomas zwar wie der Mann ausgezeich net durch die Gotteseben bildlichkei t, da sie die Vernunftb egabung besitzt. Jedoch nach dem Apostel Paulus sei der Mann Grund und 'Zweck der Frau; denn die Frau sei des Mannes wegen erschaffen, nicht der Mann der Frau wegen (4). Mit der Einsicht in die gleiche Würde jeder menschlich en Person und die gleichen Menschenr echte aller war der Argumentati on von Thomas der Boden entzogen und der partnersch aft-

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liehen Eheauffassung der Weg gewiesen. Ging die Evolution auch langsam vor sich, das sich entwickelende Rechtsbewußtsein hat in den beiden Fällen sich als Kraft im Fortgang der Evolution erwiesen. Die erste Erklärung der Menschenrechte findet sich in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, die mit den Worten beginnt: "Wir halten es für unmittelbar einsichtig (self-evident), daß alle Menschen als gleich geschaffen und von ihrem Schöpfer mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind." Der Hinweis auf ihr moralisches Wesen erfolgt durch die Berufung auf den Schöpfer. Die französische Declaration des droits de l'homme von 1789 hatte die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung zum Vorbild. Den von der Aufklärung vertretenen Menschenrechten, die sie im Sinne des Rechtspositivismus nicht auf das sittliche Wesen des Menschen sondern auf den staatlichen Gesetzgeber zurückführte, begegneten die katholische Kirche und ihre Naturrechtslehre mit Skepsis. Die geschichtliche Entwicklung hat ihnen recht gegeben. Infolge des Fehlens des Bewußtseins der sittlichen Grundlage der Menschenrechte konnten der Faschismus, der Sowjetismus und der Nationalsozialismus so leicht ihre totalitäre Staatsidee verwirklichen. Menschenrechte, die vom Staat geschaffen worden waren, konnten von den Parteien, die im Besitz der Staatsmacht waren, beseitigt werden. Das sittliche Rechtsbewußtsein der Gesellschaft war nicht stark genug, um erfolgreich abwehrend zu reagieren. 1948 (10. 12.) erfolgte in der Allgemeinen Deklaration der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen die Anerkennung ihres sittlichen Wesens. Nach ihr beruhen die Menschenrechte auf der allen Menschen innewohnenden gleichen Würde, da sie mit Vernunft und Gewissen ausgestattet sind. Mit den zwei Pakten, beschlossen von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 16. 12. 1966 über die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Menschenrechte einerseits und die bürgerlichen und politischen Menschenrechte andererseits ist ein vorläufiger Höhepunkt der Evolution des Naturrechts erreicht, weil beide von den Vereinten Nationen einstimmig und ohne Stimmenthaltung angenommen wurden und beide hervorhoben, daß diese Rechte sich "aus der der menschlichen Person innewohnenden Würde herleiten". Daß zu ihrer innerstaatlichen und internationalen Verwirklichung noch viel zu geschehen hat, braucht nicht näher ausgeführt zu werden.

TII. Die Geschichtlichkeit des Naturrechts Die vergleichende Rechtsgeschichte sagt uns, daß das Recht dem Wandel unterliegt. Das betrifft in weitem Ausmaß das positive Recht, aber auch das Naturrecht. Die Geschichtlichkeit des Naturrechts wurde nach

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dem Zweiten Weltkrie g ein fester Bestandt eil der scholastis chen Naturrechts lehre. Schon allein die Allgemei ne Deklarat ion der Menschen rechte ließ ersehen, wie weit die römischre chtliche Hörigkei t von Ehefrau und Kindern, die Stellung der Sklaven, später die Lage der Leibeigenen und der Industrie arbeiter des 19. Jahrhund erts von den Forderungen der Mensche nwürde und der Menschen rechte abwich. Die Abhängigke itsverhält nisse in der Gesellsch aft, in der er lebte, nimmt Thomas als gegeben an. Er übte keine Kritik daran von einem naturrech tlieh weiterges pannten Freiheits begriff aus. Die nach seiner Zeit erfolgende Entwickl ung dieses Freiheits begriffs stellt eine eigentlich e Evolution des Naturrec hts dar, bezeugt eine wesentlic he Geschich tlichkeit des natürlich en Rechtsbe wußtseins . War die Idee der Evolution , wie sie heute vertreten wird, dem hl. Thomas fremd, so stellt er doch dem Fortschri tt in der Vernunft erkenntnis und die dadurch bedingte Rechtsen twicklung eindeutig fest: "Die menschlic he Vernunft ist veränder lich und unvollko mmen: daher ist ihr Recht veränderl ich (5)." Weil Teilnahm e am ewigen Gesetz, seien die elementaren Grundsät ze des natürlich en Rechts, stellt er sehr verallgemeinernd fest, unveränd erlich, ohne genauer zu beschreib en, was ihr Inhalt und deren Tragweit e ist. Das von Menschen geschaffe ne Recht sei von den besonder en zeitbedin gten Umständ en bestimmt und daher veränderl ich. Es sei "natürlic h", daß die Vernunft in der Erkenntn is auf dem Rechtsbe reich vom Unvollko mmenen zum Vollkomm eneren fortschrei te, wie dies auf dem Gebiet der Naturwis senschaft en der Fall sei. Das vom Menschen geschaffe ne Recht sei aber nicht leichtwill ig (de facili) zu ändern sondern nur auf gute Gründe hin wegen der den Gesetzesgeh orsam fordernde n, verbindli chen Kraft (vis constricti va) der Gewohnh eit. Er sieht einen doppelten Fortschri tt im Rechtsber eich: den Fortschritt des Rechtsbe wußtsein s und den Fortschri tt der Rechtsor dnung. Maßgebe nd für die Entwickl ung nach beiden Seiten ist der "Gemein nutzen" (utilitas communi s). Dieser Gemeinn utzen, das Gemeinw ohl, besteht nach Thomas hauptsäch lich in der Einheit und dem Frieden der staatlich geeinten Gesellsch aft, die durch die Ordnung der Gerechtig keit verwirkli cht werden. Die Gerechtig keit sieht er in der gesetzlich en, der austeilen den und der Verkehrs gerechtig keit. Was seit hundert Jahren als soziale Gerechtig keit gefordert wird, kennt er noch nicht. Das ist die verhältni smäßige Anteilnah me aller Gruppen der Gesellsch aft an dem durch Kooperat ion geschaffe nen Sozialpro dukt. Die soziale Gerechtig keit in diesem Sinne ist zweifello s eine Naturrec htsforder ung, ebenso die verhältni smäßige Anteilna hme aller Gruppen der Gesellschaft an dem jetzt erzielbar en Wohlstan d. Erst seit wenigen Jahrzehn ten werden die Probleme der sozialen Marktwir tschaft, der Verteilun g

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und der Umverteilung des Sozialprodukts als solche der Gerechtigkeit gesehen. Nicht zu sehen war zur Zeit von Thomas das Problem der Entwicklungshilfe, das heute an die vorderste Stelle der weltpolitischen Fragen des Rechtsgewissens gerückt ist. In all dem zeigt sich klar eine Geschichtlichkeit des Naturrechts. Gegenüber der heute gelegentlich vertretenen radikalen Theorie der Rechtsevolution, die den Ursprung der Rechtsidee wie den des Werkzeuges ausschließlich in den, Erfahrungsbereich verlegt, erhebt die scholastische Naturrechtslehre den Vorbehalt, daß das elementare Rechtsbewußtsein selbst nicht aus der Evolution stammt, sondern für jeden heranwachsenden Menschen Bestandteil der evidenten Vernunfteinsicht ist, allerdings zum Bewußtsein kommend und sich entwickelnd auf Grund von Erfahrung. Andererseits dürfte mit Recht gesagt werden, daß Thomas' Naturrechtslehre kein Faktor der Emanzipationsbewegung gewesen ist, die sich in der Befreiung der Sklaven, der Leibeigenen, der Lohnarbeiter, im Entstehen der modernen Demokratie ausgewirkt hat. IV. Soziologische Bedingtheit der Naturrechtsevolution Jede Rechtsordnung ist ein Kompromiß zwischen Gerechtigkeitsprinzip und Machtverhältnissen. Diese sind bestimmt durch Interessen von Gruppen, die auf Erhaltung oder Veränderung der bestehenden Ordnung bedacht sind, weil diese für sie mit Vorteilen oder Nachteilen behaftet ist. Soweit diese Gruppen Macht besitzen, sind sie auf deren Einsatz im eigenen Interesse und zum eigenen Vorteil geneigt. Das hat seine Grenzen im "wohlverstandenen" Eigeninteresse. Thomas' Denken ist mit der auf das Gemeinwohl abzielenden Friedensordnung der Gesellschaft beschäftigt. Diese Ordnung und das Gemeinwohl werden von den das Volk repräsentierenden Herrscher und der Elite ("Aristokratie") wahrgenommen, dem Volk steht ein Recht der Kontrolle zu (vgl. F. M. Schmölz). Das Problem der Macht wird von Thomas erörtert bei der Behandlung des Widerstandsrechts und des Notwehrrechts gegenüber dem rechtsbrechenden Gewalthaber (6). Die jeder bestehenden Rechtsordnung eigene Bedingtheit durch Machtverhältnisse bespricht er nicht. Er sieht sich aber genötigt, eine Erklärung dafür zu bieten, daß die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse mehr oder weniger weit von der Ordnung der Gerechtigkeit abliegen. Seine Erklärung: "Die Natur des Menschen ist veränderlich, daher kann das, was für den Menschen natürlich wäre, mangelhaft entwickelt sein." Vor allem könne der Wille des Menschen Fehlhaltungen und Fehlentwicklungen unterliegen. An zahlreichen Stellen legt er dar, daß das natürliche Sittengesetz nur

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"in der Mehrheit der Fälle" (ut in pluribus) voll wirksam sei, in anderen Fällen mangelhaft. Liest man recht, was er über den Hochmut (superbia) und über die Leidenschaft (passio) sagt, dann liegen die Gründe für die gerechtigkei tswidrige Machtstellun g von Gruppen auf der Hand. Durch die Erfahrungen mit der Sozialkrise des 19. Jahrhundert s und den Ergebnissen der sich mit ihren Ursachen beschäftigen den Wissenschaft der Rechtssoziologie (E. Ehrlich, M. Weber, G. Gurvitch, K. Marx, R. Girtler) war einem weiteren großen Schritt in der Erkenntnis der Evolution des Naturrechts der Weg offen für die Einsicht in die Stellung von Macht und "aewalt, von Interessen und Klassengege nsätzen als Formkräften des Rechts. Die Evolution des Naturrechts ist heute klarerweise auch darin sichtbar, daß sich in der Weltöffentlic hkeit ein drängendes Gerechtigkei tsbewußtsein bildet, das im sozialen und unternationa len Bereich (Dritte Welt) weitreichend e Bewegungen in Gang setzt und erhalten wird. V. Das sittlich-recht liche Grundwissen des Menschen Thomas war der Ansicht, daß das sittlich-recht liche Grundwissen allen Menschen als Teilnahme am ewigen Gesetz, der naturhaften Vernunfteinsieh t gegeben sei. Die darin natürlicherw eise erkannten, in sich selbst gewissen Prinzipien, sagt er, bedürfen keines Beweises, ja sie sind unbeweisbar , indemonstra bilia (7). Weil allgemein bekannt, seien sie auch nicht Gegenstand der Naturrechtsl ehre. Dagegen befaßte sich die nach dem Zweiten Weltkrieg rasch anwachsende Literatur über das übergesetzlic he Recht gerade mit den Grundlagen der Naturrechtsl ehre, der Begründung und der Tragweite des menschlichen Grundwissen s von Recht und Unrecht. Außerdem hatte sich ganz allgemein die Erkenntnislehr e, herausgeford ert durch die Entwicklung der Naturwissenschaften, intensiv mit den Fragen der Wahrheitser kenntnis und Erkenntnisgew ißheit zu beschäftigen begonnen und als Wissenschaf tstheorie eine für die Naturwissen schaften und für die Sozialwissen schaften unübergehba re Stellung zu erlangen gewußt. Die von Thomas unter Berufung auf Röm 2 angenommen e "vernunfteigene" sittlich-recht liche Grundeinsich t des Menschen (8), widerspricht seiner eigenen Betonung der wissenschaft stheoretische n Tatsache, daß alle Erkenntnis des Menschen, auch die der Existenz Gottes, durch die Sinneserfahr ung bedingt ist (9). Aus seiner Lehre, daß die logischen und ethischen Elementarpr inzipien nicht begründet werden können, folgert er selbst nicht, daß sie (Prinzip des Widerspruch s, der Kausalität, der sittliche und rechtliche Inhalt des natürlichen Sittengesetzes) nicht auf die Seinswirklic hkeit bezogen zu denken sind. In der

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Seinswirklichkeit des Menschen, sagt er, finden sich leibliche und seelische Triebe (inclinationes naturales): Selbsterhaltung, Geschlechtsverbindung, Aufzucht der Kinder, Erkenntnisstreben, Leben in der Gesellschaft, keinen Schaden zufügen denen, mit denen man zusammenleben muß. Der Ordnung dieser natürlichen Triebe entspreche die Ordnung des natürlichen Sittengesetzes (10). Ordnung der Triebe bedeutet, daß die Erfüllung einzelner nicht durch vereinseitigte Erfüllung anderer gehindert werde und daß ihre Befriedigung dem Geheiß der Vernunft folgt, die in der menschlichen Natur die Herrschaft führen muß (11). Weil sie die elementaren sittlich-rechtlichen Prinzipien als Teilnahme am ewigen Gesetz verstand, hat die scholastische Philosophie mit Thomas immer vertreten, daß diese Prinzipien "analytische", aus dem Inhalt der Begriffe sich ergebende evidente Urteile darstellen. Tatsächlich sind die elementaren logischen und die sittlich-rechtlichen Prinzipien "synthetische Urteile a priori", d. h. unmittelbar einsichtige Wahrheiten auf Grund von Erfahrung und einfacher Vernunftüberlegung. Was sagt die Erfahrung des Menschen selbst darüber? In ihr finden wir erstens, daß der Mensch wie alle Lebewesen nach Selbstverwirklichung strebt; der Mensch erkennt auch reflexiv, daß seine Selbstverwirklichung die Befriedigung seiner leiblichen und seelischen Grundbedürfnisse sowie die Entfaltung seiner Anlagen erfordert. Zweitens finden wir, daß er auf die Familiengemeinschaft zur Vollentfaltung seiner Anlagen und Eigenheiten als Mensch angewiesen ist und zwar viel länger als die höchstentwickelten Primaten (Menschenaffen), bis er sich selbständig zu erhalten und zu entfalten fähig ist (vgl. A. Portmann). Drittens sagt uns die Erfahrung, daß sich in der Familiengemeinschaft im Streben aller ihrer Glieder nach Selbstverwirklichung ein Verhaltensmuster bildet, an das gebunden zu sein alle einsehen, weil nur dann für alle die vollmenschliche Existenz möglich wird. In dieses Verhaltensmuster fallen gegenseitiges Wohlwollen (Liebe), Hilfsbereitschaft, Redlichkeit, Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit, einander nicht schädigen, Worthalten. Der Mensch wird sich beim Heranwachsen schon bald inne, daß er allein nicht fähig ist, die erwünschte Befriedigung seiner Bedürfnisse zu erreichen, er bedarf der Hilfe der anderen. Diese Hilfe sieht er in der Familie organisiert durch eine alle bindende äußere Ordnung, und durch geregelte Vorsorge für die Bedürfnisse des täglichen Lebens. So gewinnt er eine elementare Einsicht in das Gemeinwohl, zugleich in dessen Zusammenhang mit dem Interesse eines jeden ·Familienmitgliedes am vollmenschlichen Sein. Schließlich wird sich der heranwachsende Mensch bewußt, daß er eine Reihe von Verhaltensweisen nicht nur unterläßt, weil sie gegen das gewohnte Verhaltensmuster versto-

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ßen, sondern weil sie das Gewissen verbietet. Der Mensch erfährt das Gewissen mit seinem transzende nten Sollensans pruch. Wir legen nach dem Gesagten der Beantwort ung der Frage nach der Erkenntnis der naturrecht liehen Elementar prinzipien nicht einen vorgefaßten Begriff der Natur des Menschen zugrunde (man hat 12 verschiedene Begriffe der menschlich en Natur in den verschiede nen Naturrechtsle hren finden wollen). Wir gehen vielmehr von der Wirkweise der menschlichen Natur in der Familienge meinschaft aus, wie sie der unmittelba ren Erfahrung eines jeden Menschen zugänglich ist. Es ist die Erfahrung des Menschen von dem, was er braucht, um durch die Befriedigu ng der wichtigste n leiblichen und seelischen Bedürfniss e (Triebe) seine Selbstverw irklichung zu finden. Beim Heranwach sen sieht er dann ein, daß in der größeren Gesellscha ft die Selbstverw irklichung aller nur bei allgemeine r Geltung und Wirksamk eit des in der Familienge meinschaft erlernten und gelebten elementare n Verhaltens musters möglich ist. Die Erkenntnis der elementare n sittlich-rec htlichen Wahrheite n (Prinzipien ) ist demnach durch Erfahrung bedingt, sie erweisen sich der überlegend en Vernunft als evident in ihrer notwendig en und allgemeinen Gültigkeit als Voraussetz ung der Selbstverw irklichung der gesellschaftlich geeinten Menschen. Wegen ihrer Erfahrung sbedingthe it, aber dann ihrer unmittelba ren Evidenz, stellen diese Prinzipien synthetische Urteileapr iori dar. Die eben vorgetrage ne wissenscha ftstheoretis che Analyse geht nach zwei Richtunge n wesentlich über Thomas hinaus. Einmal erhält die Erfahrung , die für jede Erkenntnis die unerläßlich e Voraussetz ung bildet, ihre Stellung auch bei der Einsicht in die elementare n ethischen Prinzipien . Lange bevor der Mensch zur Bildung eines Begriffes der menschlich en Natur fähig ist, erfährt und erlernt er in der Familiengemeinsch aft ein Verhaltens muster, in dem er dann die sittlichen Verbote und Gebote erkennt. Zweitens ist in unserer wissenscha ftstheoretischen Analyse die Seinswirkl ichkeit voll gesehen, da der Ursprung dieses Verhaltens musters auf die Wirkweise der menschlich en Natur im Streben eines jeden Familienm itgliedes nach der Selbstverw irklichung zurückgefü hrt ist. Dieser Darlegung der Grundlage n heutiger scholastisc her Naturrechtslehre konnte nur einen Umriß bieten. Wer unvoreinge nommen unsere Studie überblickt, wird kaum bestreiten können, daß ihre Positionen auch für Mitglieder unserer weltanscha ulich pluralistisc hen Gesellschaft, die sich zu einer anderen Überzeugu ng als der christliche n bekennen, zugänglich sind.

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Verdross, A.: Statisches und dynamisches Naturrecht, rombach Hochschul paperback, 1971. - Kern, W., S. J.: Menschenrechte und christlicher Glaube, Stimmen der Zeit, 3/1979.- Kerber, W., S. J.: Positives Recht versus Naturrecht?, in: Handbuch der christlichen Ethik, 1978, Bd. II. - Böckle, Fr. und Böckenförde, E.-W. (Hrsg.): Naturrecht in der Kritik, 1973, dazu Messner, J.: Kritik der Kritik (Aktualität des Naturrechts) österr. Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. 27, 1976. - Böckle, Fr. (Hrsg.): Das Naturrecht in Disput, 1968, 121.- Utz, A .F.: Recht und Gerechtigkeit, 18. Bd. der Thomasausgabe lateinisch und deutsch mit Kommentar, 1953, 494, 500 - Schmölz, F. M.: Societas civilis sive Respublica sive Populus. (Wissenschaft von der Politik bei Thomas v. Aq.), in: österr. Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. XIV. 1964, 28- 50; ders., Der gesellschaftliche Mensch und die menschliche Gesellschaft bei Thomas v. Aq., in: österr. Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. XVIII. 1963, 52 - 59. - Portmann, A.: Biologische Fragmente zu einer Lehre vom Menschen 3 1969; ders., Versuche zu einer Wissenschaft vom Menschen, 1973.- Thomas v. Aquin: (1) 2.II.64.2. (2) l.II.91.2. (3) l.II.94.5.3; 2.II.57. 3. ad 2. - (4) !.93.4. - (5) l.II.97.1. - (6) 2.II.42.2; 2.II.69.4. - (7) l.II.91.3. (8) l.II.91.2. - (9) Summa contra gentiles, I.3. - (10) l.II.94.2. - (11) 2.II.118.1.

DIE NATÜRLICHEN RECHTSGRUNDSÄT ZE DES§ 7 ABGB Von Herbert Schamheck Jede Rechtsordnung besteht neben Gesetzen mit Detailregelungen, welche eine unmittelbare Rechtsanwendung ermöglichen, auch aus Gesetzen, die mit einem umfassenden Ordnungsansprucll vereinzelt Regelungen von mehr wertendem Charakter beinhalten. Zu letztgenannten Rechtsnormen ist seit nahezu hundertsiebzig Jahren in Österreich das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch zu zählen, welches viele Jahre, bevor Österreich mit der Märzrevolution 1848 den Weg zum Verfassungsstaat und mit der Konstitutierung auch der Demokratisierung seiner Staatsrechtsordnung eröffnete, den § 7 vorsieht: "Läßt sich ein Rechtsfall weder aus den Worten, noch aus dem natürlicllen Sinne eines Gesetzes entscheiden, so muß auf ähnliche, in den Gesetzen bestimmt entschiedene Fälle, und auf die Gründe anderer damit verwandten Gesetze Rücksicht genommen werden. Bleibt der Rechtsfall noch zweifelhaft; so muß solcher mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten und reiflich erwogenen Umstände nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen entschieden werden." Die natürlichen Rechtsgrundsätze haben ihren Geltungsanspruch in einer Zeit der absoluten Monarchie begründet erhalten und über alle Brüche der Rechtskontinuitätl und Wechsel der Staatsformen bis zur demokratischen Republik der Gegenwart fortgesetzt. Die Zeit ihrer Geltung reicht von der Spätzeit der Naturrechtslehre der Neuzeit 2 bis zur Wirksamkeit des Rechtspositivismus im heute noch geltenden Österreichischen Bundes-Verfassungsg esetz 19203 ; sie zählen - mehr oder weniger bewußt und deutlich - zum Kontinuierlichen im Österreichischen Rechtsdenken. 1 Siehe z. B. Adolf Merkt, Die Rechtseinheit des Österreichischen Staates, Archiv des öffentlichen Rechts 1917, S. 56 ff. 2 Beachte Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. Göttingen 1967. 3 Dazu Ernst C. Hellbling, Österreichische Verfassungsfragen im Lichte der Reinen Rechtslehre, Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht 1961, S. 346 ff. und Franz Bydlinski, Gesetzeslücke, § 7 ABGB und die "Reine Rechtslehre", in: Privatrechtliche Beiträge, Gedenkschrift Franz Gschnitzer, Innsbruck 1969, S. 101 ff.

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I. Das ABGB selbst ist der bleibende Ausdruck erfolgreich gewordene r österreichi scher Kodifikatio nsversuch e am ausgehend en 18. und beginnenden 19. Jahrhunde rt. In seiner Entwicklun g, vor allem in der seiner Rechtsque llenauffass ung zeigen sich deutlich die Stadien der damaligen Rechtspoli tik. Wie Stephan Verosta bereits festgestell t hat, reichen die ersten Kodifikatio nsversuche "tief in das Österreichi sche Barockzeit alter hinein. Der weltweite imperiale Zug, der die Politik beherrscht e, mochte sich mit den unsicheren Formen des gemeinen Rechts und den Spekulatio nen des individuali stischen Naturrecht s, die sich seit der Rezeption des römischen Rechts und seines Legisaktio nenverfahr ens zur Herrschaft aufgeschw ungen hatten, nicht zufrieden geben" 4 • Die Frühzeit der Kodifikati onen zeigt bereits das Nebeneina nder des Vernunfto ptimismus und eines eigenartige n Positivism us, nach dem das damals geltende Recht mit einem Absoluthei tsanspruch kodifiziert werden sollte. Die Landesrech te sollten "so weit als möglich zu einem einheitlich en Ganzen vereinigt und die Lücken aus dem Natur- und Völkerrech te ergänzt werden" 5 • Diese Fragestellu ng drückt sich in den 1753 erfolgten vorbereite nden Beratunge n der Kompilatio nskommission, den Richtlinien der Kaiserin Maria Theresia6 und den daraufhin von der Kommissio n ergehende n Kompilatio nsgrundsät zen aus7 • Der Codex Theresianu s erwies sich hernach selbst als ein Kompromi ß zwischen Naturrecht svorstellun gen und damals geltendem positivem Recht und als solcher als "ein Lehrbuch des gemeinen Rechts der damaligen Zeit" 8 , was etwa trotz der angeboren en Freiheit das Institut der Sklaverei erklären läßt für die im Kriege gefangene n Ungläubig en, "die in das Eigen des Überwinde rs gelangen und gleich anderen Sachen handelbar sind" (Nr. 8)'. Da der Einfluß der naturrecht liehen Ideen nur äußerlich und oberflächlich war10 und man durch den Entwurf, wie Staatskanz ler Fürst Kaunitz betonte, vom römischen Recht nicht emanzipie rt werde, fand er ' Stephan Verosta, Richterliches Gewohnheitsrecht in Österreich, ein Beitrag zur Rechtsquellenlehre, Zeitschrift für öffentliches Recht, Bd. XXII, Wien 1942, S. 97. 5 Moriz Wetrspache r, Das Naturrecht und das ABGB, in: Festschrift zur Jahrhunder tfeier des ABGB, 1. Teil, Wien 1911, S. 176; vgl. auch die Konstitution Friedrich II. vom 31. Dezember 1746. e Siehe Leopold Pfaff I Franz Hofmann, Commentar zum Österreichischen allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch, 1. Teil, Wien 1877, S. 9 f. 1 Beachte Beilage 2 zur Einleitung von Harras von Harrasowsk y, Codex Theresianu s I, Wien 1868, S. 16. 8

9

WeHspache r, S. 178.

Vgl. Harrasowsk y, S. 55 A. 4.

to WeHspache r, S. 178.

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keine positive Aufnahme. Maria Theresia hat daher schon am 4. August 1772 in ihren Richtlinien für die Umarbeitung betont: "in den Gesetzen soll sich nicht an die römischen Rechte gebunden, sondern überall die natürliche Billigkeit zum Grunde gelegt werden" 11 • Wenngleich der Codex Theresianus nicht die entsprechende Geltung erlangte, ist er für die Geschichte der Privatrechtskodifikation allein deshalb von nicht zu unterschätzender historischer Bedeutung, da er, wie Stephan Verosta hervorgehoben hat, mit Ausnahme der natürlichen Rechtsgrundsätze "alle Momente der Rechtsquellenlehre, die für die Kodifikation im ABGB bedeutsam werden" 12 , beinhaltet, und zwar die Abschaffung des Gewohnheitsrechtes, die Betonung des Kodifikationsgedankens als die Identität von positivem und kodifiziertem Recht und die Anfrage bei Hof. Das Josephinische Gesetzbuch 1786, das nur das Personenrecht umfaßte und auf den Entwurf Hortens zurückgeht, brachte keine wesentlichen Fortschritte in der Rechtsquellenlehre, stellt aber eine deutliche Hinwendung auf das Naturrecht dar. Am deutlichsten wird aber in der Folge der naturrechtliche Einfluß im Entwurf des Wiener Naturrechtslehrers Freiherr von Martini1 3, welcher die Leitung der Gesetzgebungsarbeiten übernimmt. Dieser Entwurf Martinis tritt 1797 als WestPfaff I Hofmann, I, S. 15 und Harrasowsky, S. 12. Verosta, S. 99. 13 Siehe über Martini Stintzing-Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft III 1, S. 383 f. und S. 521 ff. sowie Franz Klein-Bruckschwaiger, K. A. von Martini in der Zeit des späten Naturrechts, Festschrift für Karl Haff, Innsbruck 1950, S. 120 ff. Dieser Entwurf Martinis wurde noch 11

12

1797 den Landständen, Justizkollegien und Fakultäten zur Begutachtung vorgelegt. Das einzige Gutachten, das nach dem Brand des Justizpalastes im Jahre 1927 noch vorhanden ist, stammt von der Freiburger Rechtsfakultät, die den Entwurf in 12 Sitzungen beraten und ihre Stellungnahme am 29. September 1797 nach Wien abgesandt hat. Clausdieter Schott hat dieses Gutachten im Archiv der Universität Freiburg im Breisgau entdeckt und in seiner Schrift: "Rechtsgrundsätze" und Gesetzeskorrektur, ein Beitrag zur Geschichte gesetzlicher Rechtsfindungsquellen, Berlin 1975, behandelt. Bemerkenswert hebt Schott, S. 18, hervor: "Die Freiburger Juristenfakultät nahm die ,allgemeinen und natürlichen Rechtsgrundsätze' zum Anlaß, um einen noch weitergehenden Vorschlag anzufügen. Das Gutachten bemerkt zu dieser Subsidiärquelle: Da der Gesetzgeber ein Mensch ist, folglich unmöglich immer alle Umstände und deren unendliche Modifikation vorhersehen kann, so könnte am Ende dieses § noch füglieh hinzugesetzt werden: Dieses nämliche (gemeint ist der Rückgriff auf die ,allgemeinen und natürlichen Rechtsgrundsätze') hat auch der Richter zu tun, wenn aus der wörtlichen Auslegung eines an sich zwar klaren Gesetzes wegen vorkommender, ganz besonderer, vom Gesetzgeber nicht vorhergesehenen Umstände eine offenbare Ungerechtigkeit oder Ungereimtheit folgen sollte (S. 8 des Gutachtens). Dieser Zusatzantrag wurde von dem neuen Referenten der ,Hofkommission in Gesetzessachen', Franz von Zeiller, schlechthin ignoriert, obwohl er im übrigen die meisten, weniger bedeutsamen Redaktionsvorschläge der Freiburger Fakultät verarbeitete und getreulich vortrug. Zeiller wollte offensichtlich den Freiburger Vorschlag nicht mehr diskutieren." 31 Festschrift für Stephan Verosta

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galizisches Gesetzbuch probeweise in Geltung. Er enthält ebenfalls die Abschaffung des Gewohnheitsrechtes, ergänzt durch die Delegationsklausel des § 22: "Auf Landesgebräuche und Gewohnheiten kann zwar in Fällen, welche auf die Auslegung eines Gesetzes Bezug haben, Rücksicht genommen werden; allein sie sind nicht hinreichend, ein schon vorhandenes Gesetz aufzuheben oder ein neues zu begründen"; ebenfalls wieder die Betonung des Kodifikationsgedankens; es entfällt aber die Anfrage bei Hof und an ihre Stelle tritt die Verweisung des Richters auf Rechtsgrundsätze, die als allgemeine und natürliche noch zugleich eigenschaftswörtlich umschreiben werden: § 19 Findet aber ein Richter einen Rechtsfall durch die Worte des Gesetzes nicht geradezu entschieden, so muß er in seinem Urteile auf den natürlichen Sinn des Gesetzes, er muß ferner auf die Gründe anderer damit verwandter Gesetze und auf ähnliche im Gesetz bestimmt entschiedene Fälle Rücksicht nehmen; bleibt ihm der Rechtsfall nach all diesem noch zweifelhaft, so muß er ihn mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten und reiflich erwogenen Sachumstände "nach den allgemeinen und natürlichen Rechtsgrundsätzen entscheiden". Das ABGB hat in seinen Rechtsquellenbestimmungen den Umfang des Urentwurfes Martini nicht überschritten. In den Beratungen hat aber die Hofkommission14 dann beschlossen, die Worte "allgemeinen und" wegzulassen, um den Gedanken ganz zu entfernen, als ob die Richter in irgend einem Fall auf das römische, bisher auch sogenannte allgemeine Recht, Rücksicht zu nehmen hätten15 •

§ 7 ABGB ist ein Ausdruck des Bemühens um möglichste Vollständigkeit des kodifizierten Privatrechtes, dem in einer Zeit der absoluten Monarchie mangels eines umfassenden und durchgebildeten Staatsrechtes eine besondere Bedeutung zukam. Das dem Richter dazu eingeräumte Recht der Rechtsfindung aus den natürlichen Rechtsgrundsätzen ist eine besondere Akzentsetzung auf dem Weg zum Rechtsstaat. Diese Möglichkeit der richterlichen Rechtsfindung stellte für die Zeit des Absolutismus deshalb eine besonders zu beachtende Neuheit dar, weil bisher der Wille des Monarchen nach dem Fundamentalsatz "regis voluntas est suprema lex" der allein bestimmende war, was sich in der u Protokolle I, S. 24. 15 Wellspacher, S. 185, Fn. 30 betont: "Daß unter den natürlichen Rechtsgrundsätzen das Naturrecht ist, kann nicht dem geringsten Zweifel unterliegen." Vgl. Pfaff I Hofmann, I, S. 194 ff. und Lukas, Benthams Einfluß auf die Geschlossenheit der Kodifikation, Archiv für öffentliches Recht 1910, S 89 ff. Siehe Schott, S. 29: Wegen der Verweisung auf das Naturrecht mußte sich Martini bei den Beratungen 1793 von der Kommission vorhalten lassen, daß "die Lehrer des Naturrechts in gewissen Grundsätzen unter sich selbst nicht einig sind". (Harrasowsky V, 1886, S. 11, Anm. 6.)

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Regel des refere legislatif16 zeigt, wonach der Richter in zweifelhaften Fällen die Auskunft des Monarchen einzuholen hat. In diesem Sinne bestimmte auch § 437 der Allgemeinen Gerichtsordnun g von 1781 Joseph II.: " ... sollte aber über den Verstand des Gesetzes ein gegründeter Zweifel vorfallen, so wird solcher nach Hof anzuzeigen und die Entschließung darüber einzuholen sein" 17. Dieses neue Rechtsdenken, das insbesondere von Moriz Wellspacher 18 als natürlich bezeichnet wird, zeigt sich im ABGB neben den natürlichen Rechtsgrundsätz en des § 7 vor allem in § 16 als Anknüpfungspunkt privater Persönlichkeitsr echte19, der Gesellschaftsleh re, welche alle menschlichen Organisationsfo rmen auf den Grundtypus der Gesellschaft zurückführt und zum Prinzip der freien Körperschaftsbi ldung (§ 26 ABGB) gelangte20 , der Irrtumslehre und dem Gedanken der culpa in contrahendo 21 , der allgemeine Lehre von den Voraussetzunge n der Schadenersatzpf licht22 , der erlaubten Notwehr des § 19 ABGB 23, der direkten Stellvertretung24, dem Publizitätsgeda nken im Sachenrecht25, der Enteignung gegen Entschädigung, "wenn es das allgemeine Beste erheischt", nach§ 365 ABGB 26 , dem Eigentumserwe rb durch Verarbeitung27 und dem Parentelsystem im Erbrecht2s. Betrachtet man diesen sogenannten naturrechtliehen Einfluß auf das ABGB im Vergleich zu der Rolle, welche das Naturrecht im 17. und 18. Jahrhundert gespielt hat und der politischen Situation des beginnenden 19. Jahrhunderts, so zeigt sich, daß mit dem Begriff Naturrecht und natürlich nicht immer gleiches verstanden wurde. 16 Paul Koschaker, Europa und das Römische Recht, 3. Auf!., München und Berlin 1958, S. 183 f., Fn. 4. 17 Beachte auch das Kundmachungsp atent der Allgemeinen Gerichtsordnung 1781 und§ 26 des Josephinischen Gesetzbuches 1786 : "wenn dem Richter ein Zweifel vorfiele: ob ein vorkommender Fall in dem Gesetz begriffen sei oder nicht? Wenn ihm das Gesetz dunkel schiene oder falls besondere und sehr erhebliche Bedenken der Beobachtung desselben entgegenstünden , soll die Belehrung allzeit vor den Landesfürsten gesucht werden." Vgl. auch Lukas, Zur Lehre vom Willen des Gesetzgebers, in: Festschrift für Laband, s. 407 ff. 18 W ellspacher, S. 184 ff. 1e W ellspacher, S . 187 ff. 20 W ellspacher, S. 189 ff. 21 W ellspacher, S. 196 ff. 2 2 W ellspacher, S. 198 ff. 2s Wellspacher, S. 200 ff. 24 Wellspacher, S . 203 f. 2s Wellspacher, S. 204 ff. 2e Wellspacher, S. 206. 21 Wellspacher, S. 206 f. 28 Wellspacher, S. 207. 31*

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Das Naturrecht des 17. und 18. Jahrhundert s, wie es in den sogenannten Naturrechtsg esetzbüchern Ausdruck fand 29, ist positiv-recht licher Ausdruck eines Vernunftopti mismus, der glaubte, auf rationalem Weg die Idee des absolut Gültigen mit dem zeitgebunden en Landesrecht verbinden zu können. Rechtspolitis ch führte dieses Bemühen letztlich zu einer vermehrten Legitimation des Fürstenabsol utismus, wobei es interessant ist, daß dieser Weg zur Mehrung landesfürstli cher Autorität, vor allem von Protestanten , beigetragen hat, die auch in ihrem Glauben in Landesdimen sionen, wie der von Landeskirch en in ihren Glaubensgem einschaften dachten; eine Herrschaftso rientiertheit dieser Naturrechtsl ehre, die, von geringen Ausnahmen, wie dem katholischen Rechtslehrer Anselm Desing30 , abgesehen, größtenteils kritiklos geblieben ist. Das ABGB verdankt diesen sogenannten Naturrechtsg esetzbüchern formal viel, nämlich seine sprachliche und technische Vollendung 31 ; inhaltlich stand aber dieses Gesetzbuch im Widerspruch zu dem, was die klassische Zeit der Naturrechtsg esetzbücher wollte. Das ABGB ist nach der französischen Revolution und in einer Zeit beginnender demokratischer Besinnung, die wohl im Gegensatz zu dem Absolutismu s des Vormärz stand, entstanden. Franz Klein hat treffend festgestellt: "In dieser Zeit erlassen ist das bürgerliche Gesetzbuch ein Anachronism us. Das Niveau, auf das es die Person erhebt und die Selbständigk eit der Verfügung, mit der es sie ausstattet, sowie die Emanzipatio n der privatrechtlichen Beziehungen von Staat und Behörden standen zu dem Regierungssy stem im Gegensatze, unter dem es wirken sollte32 ." " ••• Das bürgerliche Gesetzbuch war eine Vision. Es zeichnete eine Zeit geistiger, politischer und wirtschaftlic her Entfaltung, die damals traumhaft fern lag, und es sah auch Gebilde und Organismen, in denen sich die Nachteile des Absolutismu s und der ständischen Verfassung vereinigten ... Noch wunderbarer war es dann, wie die Zeit vollständig in das Gesetz hineingewac hsen ist. Das war aber wieder nur möglich, weil das Gesetz an seine Zeit nicht gebunden und von dem historisch Wechselnden fast frei warten konnte, bis sein Recht richtiges Recht wurde" 33 • Wie weit gilt dieses für das ABGB allgemein positiv gefällte Urteil auch für die natürlichen Rechtsgrund sätze des § 7? Wieacker, S. 322 ff. Beachte AnseZm Desing, Iuris naturae larva detracta, 1753 und dazu Herbert Schambeck, Anselm Desings Kritik an der Vernunftsrech tslehre der Neuzeit, in: Internationale Festschrift für Alfred Verdroß, München- Salzburg 1971, S. 449 ff. 8t WeZZspacher, S. 182. 82 Franz Klein, Die Lebenskraft des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches, in: ABGB-Festsc hrift, 1. Teil, S. 17. aa Klein, S. 31. 29

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n. Stanislaus Dniestrzanski hat schon erklärt, daß die natürlichen Rechtsgrundsätze des § 7 ABGB mit dem Naturrecht der Redaktoren nicht identisch ist. "Letzteres weicht sogar von dem Begriffe des Naturrechts wesentlich ab, denn .das Naturrecht deckt sich nicht mit der Auffassung, welche die Redaktoren des ABGB von ihm gehabt haben34 ." Die Zeit des ABGB war auch nicht in ihren Entwicklungstendenzen ident mit den Zeitumständen, welche in einer Ära des Absolutismus zu den Naturrechtslehrbüchern geführt haben. "Und wolle man das Wort ,Naturrecht', um die Verwechslung mit der naturrechtliehen Schule zu vermeiden, lieber durch ein anderes ersetzt wissen, so wird man allerdings den Ausdruck ,natürliche Rechtsgrundsätze' für passend erachten. Der Gebrauch dieser Redewendung im § 7 ABGB ist gewiß nicht ohne Bedeutung. Wenigstens ist man befugt, über die Irrlehren der Naturrechtstheoretiker des 18. und 19. Jahrhunderts hinwegzugehen. Man darf aber nicht über den Kern des Naturrechts, nicht über den wahren Grundgedanken, der schon den Redaktoren geläufig war und nur durch irrige rechtspolitische Anschauungen getrübt wurde, hinweggehen35 ." In diesen nicht unbegründet kritischen Worten Dniestrzanskis drückt sich- mehr oder weniger deutlich- die Unterscheidung zwischen der Idee und den Lehren des Naturrechts aus36 ; Erstere ist Ausdruck des Absoluten im Recht und gehört in den Bereich der Metaphysik, Letztere sind Ausdruck des Relativen im Bemühen um die Darstellung dieser Idee, wobei öfters zeitbedingte Momente in dem jeweiligen Denken nicht zu übersehen und dem Bereich der Erkenntnistheorie zuzuzählen sind. Die natürlichen Rechtsgrundsätze des § 7 ABGB sind zu einer Zeit positiviert worden, als die Euphorie des früheren Naturrechtsdenkens langsam zu weichen begann, ohne allerdings in das Gegenteil eines bloß zeitbedingten Rechtspositivismus zu verfallen, wie er sich im späteren 19. Jahrhundert dann Platz machen wird37 • § 7 ABGB war Ausdruck eines Realismus, der jeden Optimismus ablehnte, mittels der Vernunft alles positiv geltende Recht ablesen zu können, er ist Ausdruck der eingestandenen Lückenhaftigkeit des posi34 Stanislaus Dniestrzanski, Die natürlichen Rechtsgrundsätze (§ 7 ABGB), in: ABGB-Festschrift, 2. Teil, S. 8.

ss Dniestrzanski, S. 8 f.

Siehe dazu näher Herbert Schambeck, Idee und Lehren des Naturrechts, in: Naturordnung, Festschrift für Johannes Messner, Innsbruck 1961, s. 437 ff. 37 Beachte Wieacker, S. 430 ff. und Schott, S. 97 ff. über Wandlungen im Verständnis der "Grundsätze". 38

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tiven Rechts. So erklärte bereits Zeiller: "Zwar sei er weit entfernt zu vermuten, daß selbst durch die sorgfältigste Anwendung dieser Regeln ein vollendetes, keiner Nachhilfe, keiner Erläuterung, keiner Verbesserung bedürfendes Gesetzbuch zustande kommen werde. Zu geschweigen, daß die Veränderung der Umstände bei einer in der Kultur, in dem Kommerze, in der Betriebsamk eit so sehr fortschreiten den und volkreichen Nation auch Veränderung en in der Gesetzgebun g nach sich ziehen müsse, so lasse sich, wenn man von Eigenliebe nicht verblendet ist, wohl vorsehen, daß man bei einem so großen Werke manche Lücke, die sich erst in der Folge aufdeckt, übergehen, daß so Manches, was doch noch einer genaueren Erörterung bedarf, als deutlich und bestimmt annehmen und daß man manche Neuerung versuchen werde, die in der Ausübung nicht Probe hält. Nur die Erfahrung mehrerer Jahrzehnte und die allgemeinen Verbesserun gen könnten ein solches Werk der Vollendung näher bringen. Immer aber verdiene der Gesetzgeber den segnenden Dank der Nachkommen schaft, der wenigstens den Grundstein zu dem Gebäude gelegt hat, unter dessen Schutz ihr bürgerliche Freiheit und Sicherheit der Rechte gewährt ist38 ." Wie die Worte "natürliche Rechtsgrund sätze" schon ausdrücken, werden in diesem Begriff des § 7 ABGB versuchtes Naturrechtsd enken auf positives Recht zur Anwendung gebracht und Vernunft mit Erfahrung verbunden39 ; diese Form richterlicher Rechtsfindun g findet gleichsam als ultimaratio nur in SubsidiärerB edeutung Anwendung und da auch in keiner Weise willkürliche Anwendung, sondern "mit Hinsicht auf die sorgfältig gesammelten und reiflich erwogenen Umstände". Diese Entscheidung für die natürlichen Rechtsgrund sätze ist 'Zeiller sicher nicht leicht gefallen. In Auseinander setzung mit diesem auf Martini zurückgehen den Gedanken, der erstmals im § 19 des Westganzischen Gesetzbuche s Aufnahme fand, erklärte noch Zeiller nach Abschaffung der Anfrage bei Hof in der Diskussion um das ABGB gleichsam vermittelnd und trotzdem wegweisend: "Wenn ein Gericht zufolge des§ 19 des Gesetzbuche s einen Rechtsfall nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen entscheidet und dieses Urteil keinem weiteren Rechtszuge unterliegt oder doch nicht unterzogen worden ist, so hat es einen solchen Rechtsfall in einem bündigen Auszuge sammt dem Urtheile und dem Entscheidun gsgrunde am Schlusse des Jahres der Hofkommiss ion in Gesetzessach en einzusenden.

38 Julius Ofner, Der Ur-Entwurf und die Beratungs-Pr otokolle des Österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches I, 1889, S. 10. aa Siehe Dniestrzanski , S. 9.

Die natürlichen Rechtsgrundsätze des§ 7 ABGB

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Die Ursachen dieser Anordnung wären: 1. Um die Gerichte sodann zu belehren, dafern sie einen Fall zu vor-

eilig nach den natürlichen Rechtsgrundsätzen entschieden hätten, welcher noch nach dem positiven Gesetze hätte entschieden werden können,

2. um dieselben eben durch diese Kontrolle zu beschränken, damit sie das Befugnis nicht mißbrauchen, 3. um die Lücken, welche auf solche Art am sichersten aufgedecket werden, allmälig in der Gesetzgebung zu ergänzen40 ."

Die dann docll dem Österreichischen Richter eingeräumte Vollmacht des § 7 ABGB war eine deutliche Absage an jede politische Willkür und Ausdruck des Strebens nach einem bestimmten Maß an Rechtssicherheit; wobei der Richter je nach dem Einzelfall an das positive Recht zur Füllung seiner Lücken anknüpfen kann, besonders, wenn im Gesetz allgemeine Prinzipien oder allgemein lautende Vorschriften angetroffen werden41 • Schon Unger hat erkannt: "Der Richter hat Recht zu finden, nicht zu erfinden" 42 ; und Stephan Verosta in bezug auf die §§ 7 und 12 ABGB "als vom Gesetzgeber gelöste Objektivation" gesprochen43. "§ 7 statuiert ein weitgehendes Rechtserzeugungsrec ht des Österreichischen Richters juris civilis adiurandi und supplendi gratia, in dem letztlich auch ein Rechtserzeugungsrec ht contra legem (legis corrigendae gratia) enthalten ist. Denn jedenfalls verweist es auf eine außerordentliche Entscheidungsgrundl age: Naturrecht libre recherche scientifique (Geny') usw. und das daraus durch steten gleichmäßigen Rechtsgebrauch resultierende richterliche Gewohnheitsrecht . .. Der nächste Richter, der einen gleichen Fall, der im Gesetz nicht ausdrücklich, unzulänglich oder überhaupt nicht geregelt ist, zu entscheiden hat, wird sich wahrscheinlich an die Vorentscheidung halten, insbesondere, wenn sie von der höheren Instanz stammt und um so mehr, wenn die höhere Instanz kontinuierlich in derselben Weise entscheidet44." Die jeweilige Bedeutung des § 7 ABGB wird daher von dem jeweiligen Maß an Bereitschaft zu eigenverantwortliche r richterlicher Rechtsfortbildung und 40 Ofner, S. 23. Beachte Schott, S. 30: ,.Zeiller hat die natürlichen Rechtsgrundsätze lustlos übernommen mit der Bemerkung: Ungezweifelt sei zwar das Befugnis, welches man den Richtern für die Zukunft einräumen wolle, besonders da die Richter oft eben keine gründlichen Rechtsphilosophen seien, ein Übel, aber ein Übel, das nicht ganz aufgehoben werden könne, ... es komme nur darauf an, dem besorgten Mißbrauche soviel wie möglich Grenzen zu setzen." (Ofner, Ur-Entwurf I, S. 23).

41 42 43 44

Dniestrzanski, S. 17.

Neue Freie Presse vom 22. Jänner 1911, Nr. 16.674.

Verosta, S. 106. Verosta, S. 106.

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der Fähigkeit sowie Möglichkeit, aus dem System des Rechtsdenke ns nötigenfalls das positive Recht ergänzend und verbessernd zu schöpfen, abhängen. Die natürlichen Rechtsgrund sätze können daher mehr oder weniger eine Qualifikation smarke für die jeweilige Rechtsentwic klung sein. Die natürlichen Rechtsgrund sätze verlangen in der obgenannten Sicht nach einer mehr offenen als geschlossene n Definition, denn sie sind "nicht abstrakte Gebilde, sie wurzeln vielmehr in den konkreten Schöpfungen einzelner Gemeinwese n, in den aus innerer Kraft und mit Autorität derselben geschaffenen Rechtsnorme n. Sie sind das Erzeugnis der Bedürfnisse des Gesellschafts lebens einzelner sozialer Verbände und unterliegen mit den ersteren einer stetigen Fluktuation" 45 • In welcher Weise hat sich diese Fluktuation in Literatur und Judikatur gezeigt? 111.

Es kann wohl kein Zweifel bestehen, daß die natürlichen Rechtsgrundsätze, wie sie von Martini in die Kodifikation sbestrebunge n eingeführt wurden, vom Gedanken des Naturrechts getragen waren. Bereits im Entwurf Martinis wird erklärt: Da die oberste Quelle aller Gesetzgebung das Naturrecht ist, so hat der Richter zur Ausfüllung von Lücken des Gesetzes auf diese Quelle zurückzugeh en (§ 12, I, 1). Auch Zeiller, der ja auch Autor eines natürlichen Privatrechts war4 6 , sah im Naturrecht eine Quelle der natürlichen Rechtsgrund sätze47 ; ein Fortschritt gegenüber der früheren Anfrage bei Hof und bemerkensw ert in einer 'Zeit des Polizeistaate s einem selbstverantw ortlichen Richterturn ein solches Tor zu öffnen. Josef Winiwarter erklärte zu dieser Ermittlungstät igkeit des Richters: "Unter den natürlichen Rechtsgrund sätzen sind hier jene zu verstehen, welche sich aus der Natur der Sache, mit Rücksicht auf den Begriff, den Ursprung und den Zweck der Verfügungen über einen gewissen Gegenstand ergeben. Man muß also, was man Natur der Sache nennt, nicht aus willkürlichen Ansichten zusammensetzen und dabei von abstrakten Begriffen ausgehen; sondern der Richter muß sich an die schon gegebenen halten, die einer Lehre zum Grunde dienenden Prinzipien auszuforsche n suchen, um nach denselben die Entscheidung so fällen, daß sie mit dem Systeme der positiven Gesetze übereinstimm t, und wie sie der Gesetzgeber selbst gemacht haben würde, wenn er den übergangene n Fall vorausgeseh en hätte 48 ." Dniestrzanski , S. 13. Siehe Franz Zeiller, Das natürliche Privatrecht, Wien 1808 und Theo Mayer-Maly, Zeiller, das ABGB und wir (im Druck). 47 Franz Zeiller, Kommentar über das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, 1. Band, Wien 1811, S. 62 ff. 45

46

Die natürlichen Rechtsgrundsätze des§ 7 ABGB

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Die Folge dieser Verbundenheit der natürlichen Rechtsgrundsätze mit dem Naturrecht ist, daß sie mit diesem im 19. Jahrhundert beginnend das Schicksal teilen mußten; zunächst von den Vertretern der historischen Schule und hernach des Rechtspositivismus angegriffen. So spricht Unger den natürlichen Rechtsgrundsätzen jede Bedeutung ab und meint, es könne sich niemals ein Fall ereignen, in dem der Richter auf die subsidiäre Quelle des Naturrechts zurückgreifen müßte, zumal nach seiner Auffassung die Rechtsanalogie vollkommen ausreicht49 • Betrachtet man die Judikatur zu § 7 ABGB der folgenden Zeit, so entspricht sie der dem Naturrecht distanzierten Haltung; das Wort Natur wird nicht im Zusammenhang mit einem präpositiven Recht, das als Regulativ gedacht wird, gebraucht, sondern im übertragenen, nämlich rechtslogischen Sinn. Einige Urteile seien hiefür als Beispiel angeführt: Die Entscheidung des OLG Venedig vom 3. Dezember 1857, Nr. 21 404 (GLU II, 573), deutet bei Auslegung des § 364 ABGB "auf jene Rechte hin, welche nach den auch im § 7 ABGB in Erinnerung gebrachten natürlichen Rechtsgrundsätzen aus der inneren Natur der Verhältnisse sich ergeben". In einer Entscheidung vom 9. Dezember 1891, Nr. 6312 (GLUNF XXX, 14 132) beruft sich das OLG Innsbruck auf die natürlichen Rechtsgrundsätze, um schließlich auf die Analogie zurückzukommen. Nach der Entscheidung des OLG Triest vom 21. Juli 1892, Nr. 2725 (GLUNF XXX, 14 528), "ermächtigt der § 7 ABGB wohl den Richter, auf die Gesetzesanalogie und auf die natürlichen Rechtsgrundsätze, nicht aber auf rein imaginäre, sogenannte natürliche Rechte Rücksicht zu nehmen". Der OGH beruft sich in einer Entscheidung vom 4. März 1902, Nr. 2511 (GLUNF V, 1795), bei der Erläuterung der §§ 6 und 7 ABGB auf das angebliche Prinzip der Vertragsrechte, "daß keine Partei vor der anderen begünstigt werde und daß der Schutz (der Gesetze) beiden und nicht bloß dem einen Kontrahenten zustatten komme". Aus der rechtlichen Natur einer Alpengenossenschaft schließt der OGH in einer Entscheidung vom 7. Jänner 1903, Nr. 16 746 (GLUNF VI, 2200). In einer Entscheidung vom 7. August 1900, Nr. 10 957 (GLUNF III, 1102) gebraucht der OGH die natürlichen Rechtsgrundsätze im 'Zusammenhang mit der Billigkeit und dem Geist der Gesetze. Die Ausdrücke "Natur", "natürlicll" und "natürliche Rechtsgrundsätze" werden in verschiedener Sinngebung vom OGH gebraucht, so wenn er in einem Erkenntnis vom 26. Juni 1901, Nr. 8512 (GLUNF IV, 1483), die Ersatzpflicht der Eltern für den der Erzieherin durch das anvertraute Kind gestifteten Schaden aus den natürlichen Rechtsgrundsätzen erklärt, oder in einem Erkenntnis vom 4. März 1902, Nr. 2511 (GLUNF V, 1795) '8

Josef Winiwarter, Das Österreichische bürgerliche Recht, I. Teil, Wien s. 81 f. Unger, System I,§ 11.

1838, 49

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aus den im § 7 ABGB aufgestellten Grundsätzen versucht wird, den Zeitpunkt zu bestimmen, von welchem an die Frist für die Gewährleistungsklag e zu laufen beginnt; oder es in einem Erkenntnis vom 22. Oktober 1903, Nr. 10 187 (GLUNF VI, 2473) als natürlich erklärt, daß ein Rechtsverhäl tnis der Herrschaft des Gesetzes des Ortes unterworfen bleibt, an dem die Tatsachen geschaffen wurden; in einem Erkenntnis vom 10. April 1906, Nr. 5996 (GLUNF IX, 3383) wird aus dem § 7 ABGB auf den Zweck eines Rechtsinstitu tes geschlossen und die Adoption der eigenen Enkel aus dem Wesen der Adoption für unzulässig erklärt; das "Wesen" der Bereicherung ist der Erkenntnisg rund für ein Erkenntnis nach§ 7 ABGB vom 17. April 1907, Nr. 2350 (GLUNF X, 3750), und die "Natur des zugrunde liegenden Rechtsverhäl tnisses" in einem Erkenntnis vom 14. November 1911, Nr. 560/10 (GLUNF XIV, 5637). Die angeführten Erkenntnisse zeigen deutlich, daß die natürlichen Rechtsgrund sätze nach § 7 ABGB Grundlage für Entscheidung en waren, die auf der "Zweckbesti mmung der positiven Regelung" (GLUNF VI, 2323) oder auf "dem Zweck des Rechtsinstitu tes" beruhten. Die "Natur der Sache" findet in der Judikatur einmal Erwähnung, und zwar in einem Erkenntnis des OGH vom 18. April 1903, Nr. 4234 (GLUNF VI, 2323), das dem Finder eines Sparkassenb uches aus der "Natur der Sache" heraus einen Finderlohn nach freiem Ermessen zuspricht. Inge Gampl kommt auch in ihrer Untersuchun g der "natürlichen Rechtsgrund sätze in der Judikatur der k. k . Höchstgerich te Österreichs" in Auswertung der untersuchten Entscheidung en zu dem Ergebnis, daß diese Gerichte diese Rechtsgrund sätze in keinem einzigen Fall dazu herangezoge n haben, um "irgendeinen extra- oder überpositive m (,Rechts'-)Gr undsatz zum Durchbruch zu verhelfen" 50 • In der Literatur ist es im Zusammenh ang mit der 100-Jahrfeie r des ABGB und der aus diesem Anlaß erschienenen zweibändige n Festschrift zu einer Neubesinnun g auf die natürlichen Rechtsgrund sätze gekommen. Moriz Wellspacher erklärt: "Die Frage der Ausfüllung von Lücken des Gesetzes hat meiner Ansicht nach bis heute noch keine bessere Lösung gefunden, als sie durch den Schlußsatz des § 7 gegeben ist. Es ist ein durchaus zutreffender Gedanke, daß über allem positiven Recht ein höheres Recht steht, ein Recht, aus dem der Gesetzgeber seine Weisheit nimmt und das den Maßstab bildet für die Kritik bestehender Gesetze. Ob man dieses Recht Naturrecht oder natürliche Rechtsgrund sätze oder richtiges Recht nennt, ist gleichgültig und ebenso 50 Inge Gampl, Die natürlichen Rechtsgrunds ätze in der Judikatur der k. k. Höchstgerichte Österreichs, in: Festschrift Heinrich Demelius zum 80. Geburtstag, Wien 1973, S. 59 f.

Die natürlichen Rechtsgrundsätze des § 7 ABGB

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gleichgültig, daß sich die Redaktoren ihr richtiges Recht als ein für alle Zeiten feststehendes gedacht haben61 ." Dniestrzanski62 sprach sich aus dem gleichen Anlaß der ABGB-Jahrhundertfeier im Zusammenhang mit dem § 7 ABGB nicht für ein präpositives Recht, etwa aus der Natur des Menschen, sondern vielmehr für einen Hinweis auf die Natur des Rechts aus; in diesem Sinne fallen nach ihm die natürlichen Rechtsgrundsätz e des § 7 ABGB mit dem Gewohnheitsrec ht zusammen; er sprach sich so für die Korrektur von Gesetzen durch den Richter aus63 und zieht sie zur Interpretation nicht hinlänglich bestimmter Gesetzesbegriff e heran54; Als ein Bemühen, die Negierung der natürlichen Rechtsgrundsätz e zu überwinden, kann die Erklärung von Heinrich Klang betrachtet werden: "Da aber eine Norm nicht entbehrt werden kann, welche dem Richter eine Anweisung auf jene Fälle gibt, für die eine Entscheidung durch Auslegung des Gesetzes nicht gewonnen werden kann, war die Rechtslehre bemüht, an die Stelle des Naturrechts eine andere Formel zu setzen, welche für die Entscheidung aus dem Gesetze nicht entscheidbarer Fälle Geltung haben sollte55." In dieser Richtung kann geradezu als vorweggenomm ene Präzisierung der Äußerung Klangs die Feststellung von Karl Wolff im Klang-Kommen tar angesehen werden; für ihn sind die natürlichen Rechtsgrundsätz e die "Anwendung des natürlichen Verstandes auf die Rechtsordnung als ganzes und ihre Auslegung"56. Entscheidend ist für Wolff immer die gesamte gegenwärtig geltende Rechtsordnung. "Alles also, was sich aus dem Begriff einer Rechtsordnung und aus logisch daraus abgeleiteten Sätzen ergibt, machte den Inbegriff der natürlichen Rechtsgrundsätz e aus57 ." In der Rechtsfindung aus den natürlichen Rechtsgrundsät zen soll daher die Gesamtheit der geltenden positiv-rechtlich en Rechtssätze zur Anwendung kommen. Diese Sinngebung der natürlichen Rechtsgrundsät ze läßt diese als die Ordnung des positiven Rechts erkennen58 ; für präpositive sx Wellspacher,

S. 186.

Dniestrzanski, S. 3 ff. n Dniestrzanski, S. 18: "Es besteht die faktische Möglichkeit veralteter 52

Gesetze desuetudo ... Soweit reicht die korrektive Tätigkeit des Richters, mit Worten der römischen Rechtsquellen corrigendi iuris civilis gratia. 5 4 Dniestrzanski, S. 22 ff. und S. 30 ff. 55 Heinrich Klang, Der Oberste Gerichtshof und die Entwicklung des bürgerlichen Rechts, in: Festschrift zur Hundertjahrfeier des Österreichischen Obersten Gerichtshofes, Wien 1950, S. 84 f. 58 Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, 2. neubearbeitete Auflage, 1. Band, hrsg. von Heinrich Klang, Wien 1948, S. 106. 57 Klang-Komment ar, S. 107. ss Siehe Karl Wolff, Grundriß des Österreichischen bürgerlichen Rechts, 4. Auf!., Wien 1948, S. 7.

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Gesichtspunk te und ontologische Bezüge ist in einer solchen Betrachtung kein Platz. Ähnlich meint Franz Gschnitzer, der Richter soll bei der Lückenfüllun g ebenso wie bei der Analogie "auf den hypothetischen Willen des Gesetzgebers und zwar des ,gegenwärtig en Gesetzgebers' gerichtet sein"59. Eine vermittelnde Stellung nimmt Adolf Ehrenzweig ein. Für ihn sind natürliche Rechtsgrund sätze "jene Grundsätze, die gegenwärtig in allen Kulturstaate n anerkannt sind und die gemeinsame Grundlage ihrer Gesetzgebun gen bilden" 60 • Er ist aber deutlich dagegen, die natürlichen Rechtsgrund sätze als a priori feststehende Regeln anzusehen. Ehrenzweig verweist etwa darauf, daß vereinzelte Entscheidung en, wie die Frage, wo ein Verstorbene r zu beerdigen ist, nach allgemeinen Rechtsgrund sätzen gelöst haben 61 und früher Fragen des internationa len Privatrechts mehrmals nach natürlichen Rechtsgrund sätzen beantwortet wurdeno2. Als Fundamenta lprinzipien des positiven Rechts sieht Franz Bydlinski die natürlichen Rechtsgrunds ätze, denn nach seiner Auffassung "sind natürliche Rechtsgrund sätze die in unserer Rechtsgemei nschaft praktisch unbestrittene n sowie jene weit verbreiteten Wertungen, die erkennbar unserer Rechtsordnu ng zugrunde liegen" 03 • Die natürlichen Rechtsgrund sätze positivrechtl ich und nicht präpositiv, aber regulativ sehen auch Helmut Koziol I Rudolf Welser, die in ihnen einen Verweis auf die allgemeinste n Wertprinzipi en, die unserer Rechtsordnu ng zugrunde liegen, annehmen, welche der Richter in einem neuen Rechtssatz zu entfalten hat 64 . Als Beispiele seien genannt: Werschuldh aft ein Kind verletzt, kann sich nicht seiner Schadenersa tzpflicht entziehen, indem er darauf verweist, daß der Vater des Kindes wegen seiner Unterhaltspf licht die Spitalskosten tragen müsse 65 ; auch wird die Gewährung der Exszindierun gsklage gern. § 37 EO für den Eigentumsvo rbehaltskäuf er im Konkurs des Verkäufers als Rückgriff auf die natürlichen Rechtsgrund sätze angesehen 66 . 59

Franz Gschnitzer,

s. 33.

Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, Wien 1966,

80 Adolf Ehrenzweig, System des Österreichischen Allgemeinen Privatrechts, 2. Aufl., 1. Band, Wien 1951, S. 83.

Ehrenzweig, S. 83. Ehrenzweig, S. 84. 83 Bydlinski, S. 107, Fn. 12, letzter Satz. 84 Siehe Helmut Koziol I Rudolf Welser; Grundriß des Band I, 4. Aufl., Wien 1976, S. 17 und S. 24. 65 OGH in SZ 35132 besprochen in Koziol I W elser, S. 24 86 Koziol I Welser, Band 11, 3. Aufl., S. 116. 81

62

bürgerlichen Rechts, f.

Die natürlichen Rechtsgrundsätze des§ 7 ABGB

493

Betrachtet man nach diesen skizzierten Hinweisen auf die Wertung der natürlichen Rechtsgrundsätze in der Literatur ihre Beachtung in der Judikatur, so hat bereits Inge Gampl darauf hingewiesen, daß für die Zeit nach 1918 der erhobene Befund in der Rechtssprechung des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes völlig negativ ist67 • Was den § 7 ABGB in der Rechtsprechung des OGH betrifft, so wird dieser vor allem zur Lösung von Analogieproblemen genutzt, um einer Unvollständigkeit des Gesetzes zu begegnen. Da die natürlichen Rechtsgrundsätze ultima ratio sind, werden sie verhältnismäßig wenig in dieser Rechtsprechung genannt68• In den wenigen Erkenntnissen des OGH, die auf die natürlichen Rechtsgrundsätze Bezug nehmen, ist ihre Wertung im Hinblick auf eine richterliche Rechtsfortbildung unterschiedlich. Während etwa in einem Erkenntnis 1972 dazu eine negative Einstellung anzutreffen ist69, zeichnet sich 1974 eine mehr positive ab 70 • Die Hinweise auf die Rechtsprechung des OGH zu § 7 zeigen, daß er zurückhaltend gegenüber den natürlichen Rechtsgrundsätzen ist und sie, wie sich aus dem letztgenannten Erkenntnis ergibt, zu den sittlichen Grundsätzen zählt, welche bei der Gesetzesanwendung immer zu berücksichtigen sind. Die natürlichen Rechtsgrundsätze werden aber in keinem einzigen Fall genützt, um einen extra- bzw. überpositiven Rechtsgrundsatz durchzusetzen oder gar einen ontologischen Bezug des positiven Rechts aufzudecken.

67

Gampl, S. 51.

Beachte: SZ 22/75, 81 und 214; SZ 23/57, 191, 207, 216 und 266; SZ 24/21, 190 und 278; SZ 25/124; SZ 35/97; SZ 38/56: SZ 39/130; SZ 40/150; SZ 41/3 und 119; SZ 44/48; SZ 45/41 und 90; SZ 46/123; SZ 47/65, 78, 104 und 145; sz 48/114. 89 SZ 45/41: "Es mag sein, daß die Regelung des Gesetzes unverständlich und unbefriedigend ist. Diese zu verändern ist aber nicht Sache der Rechtsprechung, sondern der Gesetzgebung; die Gerichte haben nur die bestehenden Gesetze anzuwenden; es ist hingegen keineswegs ihre Aufgabe, im Wege der Rechtsfortbildung oder einer allzu weitherzigen Interpretation möglicher Intentionen des Gesetzgebers Gedanken in ein Gesetz zu tragen, die darin nicht enthalten sind ... Als maßgebend kann vielmehr nur der objektive Sinn eines gehörig kundgemachten Gesetzeswortlautes angesehen werden." Vgl. auch SZ 45/90. 70 SZ 47/104 ebenso SZ 48/67, 48/79 (1975): "Die oft harten Konsequenzen des § 1502 ABGB müssen aber dort ihre Grenze finden, wo sie mit den tragenden und damit bei der Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen immer zu berücksichtigenden Grundsätzen des bürgerlichen Rechtes in Widerspruch geraten. Das Gesetz anerkennt nämlich sittliche Grundsätze (allgemeine Grundsätze der Gerechtigkeit: Abs. 1 des Kundmachungspatentes des ABGB vom 1. Juni 1811, PGS Nr. 946), die so allgemein anerkannt sind, daß es zu ihrer Anwendung keiner besonderen Gesetzesbestimmungen bedarf (.natürliche Rerhtsgrundsätze:' § 7 ABGB; ,gute Sitten': §§ 879, 1295 Abs. 2 ABGB ...) SZ 48/67 und 79. 88

494

Herbert Schambeck IV.

Nach Skizzierungen der Kodifikations- und Ideegeschichte der natürlichen Rechtsgrundsätze des § 7 ABGB sowie ihrer Wertung in Literatur und Judikatur sei abschließend ihre Bedeutung hervorgehoben. Es kann wohl eindeutig anerkannt werden, daß sich in ihrem Wortlaut, vor allem in der eigenschaftswörtlichen Verwendung des Wortes "Natur" in Verbundenheit mit den Rechtsgrundsätzen in über eineinhalb Jahrhunderte an Geltung ein Hauch dessen erhalten hat, was einst getragen vom Vernunftoptimismus die Naturrechtslehre der Neuzeit in den Privatrechtskodifikationen an Bemühen, den Traum des absolut Allgemeingültigen in und mit dem positiven Recht zu verwirklichen. In ihrer Geschichte ist es den natürlichen Rechtsgrundsätzen - von einzelnen Ansätzen abgesehen - nie gelungen, eine ständig genutzte Quelle gesetzesergänzender oder gesetzesändernder Rechtsfindung zu werden, durch welche präpositive und damit auch naturrechtliche Prinzipien Maßstab für die Rechtsfindung werden konnten. Der OGH hat dementsprechend auch einmal entschieden, daß § 7 den Richter nicht berechtigt, auf rein imaginäre, sogenannte natürliche Rechte Rücksicht zu nehmen71 , wohl aber waren die natürlichen Rechtsgrundsätze als allgemeine Wertprinzipien anerkannt, die sich aus der gesamten Rechtsordnung ergeben. So definierte schon der OGH 1915 die natürlichen Rechtsgrundsätze, indem er ausdrücklich "nicht auf ein nicht bestehendes Vernunftsrecht verwiesen" wissen wollte, "sondern das zu einer bestimmten Zeit herrschende, von den logischen Denkgesetzen getragene Rechtsbewußtsein des Volkes" 72 verstand. Ob mit Anerkennung eines präpositiven Rechts oder nicht war mit § 7 ABGB der richterlichen Rechtsfindung ein besonderer Bereich eröffnet und in Abwehr jeder Herrscherwillkür 1811 ein entscheidender Schritt am Weg vom Polizei- zum Rechtsstaat und so letztlich auch zum Verfassungsstaat gesetzt. Verdienstvoll hat diese Leistung österreichischer Rechtsentwicklung Stephan Verosta herausgestellt, als er zu einer Zeit als Österreich von der "politischen Landkarte" verschwunden war, nämlich 1942, seine schon 1936 abgeschlossene Hausarbeit zur Österreichischen Richteramtsprüfung in der Zeitschrift für öffentliches Recht veröffentlichte 73 und betonte: "So hat das ABGB fast 100 Jahre vor dem berühmten Art. 1 des Schweizer ZGB. andere Rechtsquellen des Privat71 Siehe Fundstelle Entsch. Slg. Nr. 14.528 zitiert bei Ehrenzweig, S. 83, Fn. 13; beachte dazu Armin Ehrenzweig, JBl. 1901, S. 102. 12 Erkenntnis vom 2. März 1915, GLUNF XVIII 7335. n Verosta, S. 89 ff.

Die natürlichen Rechtsgrundsätze des§ 7 ABGB

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rechts als das Gesetz anerkannt74." Das ABGB hat damit auch dem Richter die Möglichkeit zu einem richterlichen Gewohnheitsrecht eröffnet: "Dem § 12 zum Trotz äußert jede bewußt oder unbewußt auf § 7 zurückgehende Entscheidung, soweit sie nicht unter Auslegung des Gesetzes und unter die Analogie, somit unter das Gesetz fällt ... , zunächst faktisch über den Einzelfall hinausgehende Wirkungen. Der nächste Richter, der einen gleichen Fall, der im Gesetz nicht ausdrücklich, unzulänglich oder überhaupt nicht geregelt ist, zu entscheiden hat, wird sich wahrscheinlich an die Vorentscheidung halten, insbesondere wenn sie von der höheren Instanz stammt und um so mehr, wenn die höhere Instanz kontinuierlich in derselben Weise entscheidet75 ." Die Österreichische Rechtssprechung hätte dazu Gelegenheit gehabt, aber nur sehr zurückhaltend, wenn überhaupt davon Gebrauch gemacht76 • Ein auf § 7 ABGB basierendes richterliches Gewohnheitsrecht, das gleichsam einen Regulativcharakter gegenüber dem Gesetzesrecht annimmt, ist nicht zustandegekommen, wohl aber ein in der sonst mehr positivistischen Österreichischen Rechtsordnung nur selten anzutreffender Ausdruck für die Existenz von Grundformen wertorientierten Denkens77 und die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit für den Richter, davon Gebrauch zu machen. Die natürlichen Rechtsgrundsätze sind zu jenen Rechtsprinzipien zu zählen, von denen schon Karl Larenz schrieb, sie "sind Leitgedanken, die der gesetzlichen Regelung oder auch einer sich entwickelnden Rechtssprechung in der Weise zugrunde liegen, daß diese von ihnen her ihren spezifischen Sinn erhält. Sie sind also ,rationes legis'. Jene sinngebende Funktion aber beruht darauf, daß sie entweder einen als solchen einleuchtenden Gerechtigkeitsgehalt oder einen von der Rechtsordnung anerkannten Höchstwert zum Ausdruck bringen. Sie bedürfen, um in konkrete Entscheidungen umgesetzt zu werden, stets der Konkretisierung . . . Dieser Vorgang ist nie abgeschlossen, weil einerseits immer neue Situationen auftreten, die eine rechtliche Regelung erfordern, andererseits in der Gesetzgebung und in der Rechtsprechung jeweils auch neue Wertakzente gesetzt werden" 78 . Verosta, S. 108. Verosta, S. 106. 78 Verosta, S. 115: "Es ist darauf hinzuweisen, daß es sich bei der Zitierung der §§ 7 und 12 in der Entscheidung oft nur um ein obiter dieturn handelt; denn naturgemäß können die §§ 7 bis 13 nicht Inhalt des Urteilsspruches · sein. Manchmal mag der Rekurs auf die natürlichen Rechtsgrundsätze durch die besondere Lagerung des einzelnen Falles oder auch die Unmöglichkeit der Korrektur der unterinstanzliehen Beweiswürdigung durch den OGH beuingt sein." Siehe die dort auch von Verosta angegebenen Entscheidungen. 77 Siehe dazu Karl Larenz, Grundformen wertorientierten Denkens in der Jurisprudenz, in: Festschrift Walter Wilburg zum 70. Geburtstag, Graz 1975; 14

1s

s. 217 ff. 78

Larenz, S. 223 f.

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Die natürliche n Rechtsgrun dsätze des § 7 ABGB sind eine ständige Einladung an den Richter, als ultimarati obei einer Gesetzesan wendung auch vom Grundsätzl ichen im Recht her zu denken; eine Grundsätz lichkeit, die bei der Allgemein heit der Formulier ung im § 7 ABGB, wie sich aus den beispielsw eisen Stellen aus Literatur und Judikatur ergibt, sehr weit reicht, nämlich die Relevanz einer naturrecht lich begründet en Präpositiv ität ebenso erlaubt, wie eine positivrech tlich fundierte Grundsätzlichkeit. In der Sicht der heutigen Österreichi schen Staatsrech tsordnung, die in dem positivistis chen Bundes-Ve rfassungsg esetz 1920 ihre Fundamen talnorm hat, sind diese aus der Rechtsordn ung des Jahres 1811 kontinuierlich übernomm enen natürliche n Rechtsgrun dsätze eine der wenigen Bestimmu ngen im Österreichi schen Recht, welche zu grundsätzlichem Rechtsden ken aufrufen, was eine permanent prüfende und kritische Haltung in der Rechtsfind ung verlangt. Stanislaus Dniestrzan ski ging sogar soweit, in den natürlichen Rechtsgrun dsätzen "das große Geheimnis der steten Verjüngun g des Österreichi schen bürgerlich en Rechtes" 70 zu sehen. Die Geschichte des Österreichi schen Rechts zeigt, daß diese Möglichke it ständiger Rechtserne uerung aus den natürliche n Rechtsgrun dsätzen nicht genützt wurde, sie begleiten uns aber als permanent e Mahnung hiezu und erinnern uns, um abschließe nd die allgemein gültige Feststellun g von Franz Klein zu zitieren, "daß die Gesetzgeb ung kein Handwerk sein darf, zumindeste ns muß sie ein Kunstwerk bleiben. Prüfungen , platte Legistik und trockene Lebenskunde machen noch nicht zum Gesetzgebe r. Nur ein die Menschen ergreifend er, allgemeine r Gedanke kann die Massen dazu bringen, daß sie von selbst in ihre Tätigkeit Ordnung bringen, wie es das letzte Ziel jedes Gesetzes sein muß" 80.

79

8

Dniestrzans ki, S. 35.

° Klein, S. 32.

DIE SPIRITUALITÄT DES KIRCHENLEHRERS ST. HIERONYMUS - SEIN DIENST AM WORT Von Robert Prantner Der hohe geistige Bezug des Rechtsphilosophen in seiner unverwechselbar geschichtstheologischen Dimension wie des Völkerrechtsgelehrten mit der signifikanten Eigenheit des Interesses für humanitäre Völkerrechtssubjekte und Orientierung auf das Weltgemeinwohl läßt auf eine besondere Ehrfurcht vor jenem Worte schließen, das als Logos, Ewiges Wort aus dem Schoße des Vaters in die Welt hineingesprochen ist: in der Inkarnation bleibend unter den Völkern und Nationen. Darum seien Überlegungen aus dem Spiegel des Lebens des hl. Hieronymus dem Septuagenarier Stephan Verosta zugedacht und als Geburtstagsgabe präsentiert. Bemüht man für die Erschließung der Spiritualität des Kirchenlehrers St. Hieronymus eine menschliche Etikette, so ergibt sich aus dem Studium seiner Hagiographie- Sein Dienst am Wort. Das Engagement für einen Christen am Worte ist allemal ein Abenteuer, ein menschlich unzulänglicher Versuch letzter Hingabe und vollkommenen Dienstes an der Unaussprechlichkeit dessen, dem nachzufolgen nur unvollendetes Mühen bleiben kann. Größe und Elend des Menschen werden nirgendwo so profiliert wie im Spannungsfeld zwischen belastender Natur und emporführender Gnade, die im Leben des Heiligen die großen Fragezeichen der Nachfahren bedingen. Der "christliche Cicero", dessen nobilitäre Spiritualität auf einer vitalpochenden Lebenskraft nicht nur baute, sondern zugleich - gewissermaßen dialektisch - mit dieser zu ringen hatte, bleibt in der Geistesgeschichte des Gottesvolkes als säkularer Diener am inspirierten Worte der Schrift bestehen. Glaube, Hoffnung und Liebe prägen die Etappen der Schlacht seines Lebens, das im Herzen des abendländischen Raumes seinen Anfang nahm und an der Wiege des Erlösers enden sollte - als Tor zum himmlischen Jerusalem.

I. Glaube durch Hören, Gnade in der Verkündigung befreit den erdenschweren Nicht-Getauften ebenso wenig wie den zur Gotteskindschaft Berufenen von den Anfechtungen menschlichen Daseins: es scheint das 32 Festschrift für Stephan Verosta

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Spannung sfeld zwischen Natur und Übernatu r, zwischen der biophysischen und biopsychi schen Vitalität in ihrer anthropol ogisch begründeten Wechselw irkung und dem Anruf zur großen Heiligkei t Schicksal der Jünger Christi zu sein, das an den Wegkreu zungen und Gemarkungen des individue llen Lebens seine Verdichtu ng und seine erkennbaren Konturen erhält. Sophroni us Eusebius Hieronym us, einer der vier großen Kirchenlehrer im Abendlan de, stammt aus Stridon, einer kleinen Grenzsta dt Dalmatie ns und Pannonie ns. Er wird nach einigen Quellen im Jahre 3311, nach anderen frühesten s 340 geboren. Von der Wiege an, so lautet sein eigener Ausdruck2 ist er mit "katholis cher Milch genährt worden". Zu seiner wissensch aftlichen Ausbildu ng wird er als junger Mann von etwa 20 Jahren nach Rom geschickt . Mit glühende r Begeister ung lauscht er hier den Vorträge n des Aelius Donatus über lateinisch e Klassiker , insbesond ere Terenz und Virgil. Er lernt auch die griechisch e Sprache und liest manche Werke griechisc her Philosoph en. Von nachhalti gstem Einfluß auf sein ganzes späteres Auftreten als Autor und Schriftste ller wird der Eifer, ja die Besessen heit, mit der er sich auf das Studium der Rhetorik und ihrer Gesetze wirft. Als präsump tiver Gelehrte r im hervorrag enden Sinn des Begriffes zeichnet sich der junge Mann dadurch aus - und er "zeichnet " sich damit gegen den Ungeist auch seiner Epoche !- daß er mit größtem Fleiß und größter Mühe 3 die Ansammlun g einer Bibliothe k betreibt. Der Sinnenra usch, in dessen Bann ihn die elitäre Gesellsch aft der Weltstad t zieht, geht an Hieronym us nicht vorüber. Seine leidenschaftlich e Natur akkomod iert sich den Verlocku ngen und Träumen , indem er ihrem so süßen Zauber und ihren schier unwirklic hen Verheißunge n nachgibt. Aber er verliert nicht das Gehör für die Stimme seines Gewissen s. Verwund et, aber nicht erlegen, von sittlichen Narben gezeichne t, jedoch nicht zur charakter lichen Unkenntl ichkeit veränder t, findet er den Weg zurück: sein tiefverwu rzelter Hang, seine nahezu natürlich e Inklinati on zur Erhebung der Seele, in meditativ er Andacht und geistigem Bemühen , bewirkt mit Gottes Hilfe den größten Entschluß. Er empfäng t aus den Händen des Papstes Liberius die nach damals noch verbreite ter Sitte bis in ein vorgerüc ktes Alter verschob ene Taufe. Von Rom geht Hieronym us nach Trier, einer der blühends ten Hochschulen des Abendlan des, wo er sich erstmals mit theologis chen Studien beschäfti gt. Später erscheint er zu Aquileja, wo er in einem Kreise 1 I. Dank6, Divum Hieronym um Oppido Stridonis in regione interamna (Muraköz) Hungariae anno 331 p. Chr. natum esse, Moguntiae 1874. 2 Ep. 82 ad Theophilu m, c. 2, Migne, PP. lat. XXII, 737. 1 summo studio ac labore: Ep. 22 ad Eustochium, c. 30, Migne, XXII, 416.

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jüngerer, besonders kultivierter katholischer Priester sowohl für seine Neigung zur Frömmigkeit als auch für sein wissenschaftliches Streben vielfache Anregungen und Förderung findet. Wir kennen die Umstände nicht, die ihn nötigen Aquileja und Italien zu verlassen. Er bricht nach dem Griente auf, durchwandert mit einigen Freunden Thracien, Bithynien, Pontus, Galatien, Cappadocien und Cilicien und gelangt, etwa im Spätsommer 373, nach Antiochien. Hier erfährt er die Hand des Herrn. Eine Fieberseuche entreißt ihm einen besonders zugeneigten Freund4 ; ihn selbst bringen Krankheiten aller Art 5 "an den Rand des Grabes. Weltmüde und ruhebedürftig begibt er sich gegen Ende des Jahres 374 - anstatt nach Jerusalem weiter zu pilgern- von Antiochien ostwärts in die Wüste von Chalcis, die "syrische Thebais", um dort ein fünfjähriges Leben als Einsiedler zu führen. In den strengsten Bußübungen sucht und findet er jenen inneren Frieden, dessen leuchtende Helle biophysische Vitalität zu Rom, psychische Intensität zu Aquileja und körperlicher Verfall auf der Pilgerfahrt ihm entzogen hatten. Ihm wird die schöpferische Freiheit der Konsumaszese und das geheimnisvolle, mystische Licht der Selbstentäußerung zum Dreifaltigen Gotte hin zuteil. Durch Handarbeit gewinnt er seinen Unterhalt und wendet sich nach und nach wieder gelehrten Studien und schriftstellerischen Arbeiten zu. Insbesondere läßt er sich - vielleicht als erster Abendländer? durch einen christlichen Hebräer in die Anfangsgründe der Sprache des Alten Bundes einführen. "Welche Mühe mir dies gemacht hat", schreib' er im Jahre 411 6 , "welche Anstrengungen es mich gekostet, wie oft ich den Mut verlor, und wie oft ich aufgehört und aus Wißbegier doch wieder angefangen habe ... ich selbst, der ich es durchgemacht, weiß es, und auch diejenigen wissen es, in deren Gesellschaft ich damals lebte; und ich danke dem Herrn, daß ich von der bitteren Studiensaat süße Früchte pflücke". Seine Worte trösten die folgenden Generationen katholischer Theologiestudenten, die von der "veritas hebraica" geleitet, den dornigen Weg der Bibelgelehrsamkeit beschreiten. Die dogmatischen Streitigkeiten, welche damals die Kirche zu Antiochien mächtig bewegen und auch unter die Anachoreten der chalcidischen Wüste dringen, geben Hieronymus Anlaß, sich etwa im Jahre 378 an den Papst zu wenden: er bittet Papst Damasus um dessen Entscheidung über den Gebrauch der Ausdrücke "ousia" und "hypostasis" 7 • 4 ex duobus oculis unum ... partem animae meae: Ep. 3 ad Rufinum, c. 3, Migne, XXII, 333. 5 quidquid morborum esse poterat, 1. c. 8 Ep. 125 ad Rusticum, c. 12, Migne, XXII, 1079.

32•

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Aber die Antwort des Papstes läßt auf sich warten. Des unablässig en Streites der Einsiedlerm önche überdrüssi g, flieht er die Wüste der Landschaf t und des Geistes. Das Spannungs feld zwischen Natur und Übernatur gerät neuerdings in Bewegung. Er wird gerührt vom Anruf des Heiligen Geistes und faßt den Entschluß, das Weihesakr ament zu empfangen . Bischof Paulinus von Antiochien spendet ihm die Priesterweihe. Freilich hält ihn ein inneres Widerstreb en vor einer seelsorglichen Sendung, gewisserm aßen der "missio canonica" zurück. Er stellt dem Ordinarius die Bedingung , Mönch bleiben zu dürfen, um seine endgültige Sendung zu erfahren8 • Wie es scheint, erleuchtet ihn die Einsamkei t der Wüste: er wählt die schriftstell erische Arbeit zu seinem eigentliche n geistlichen Berufe. Von Antiochien zieht ihn ein Ruf Bischof Gregors von Nazianz- wahrscheinlich noch im Jahre 379 - nach Konstantin opel. Zu Füßen des Meisters vervollkom mnet er sich in der Kunst der Bibelexege se. Er lernt auch Gregor von Nyssa und andere berühmte Theologen kennen. Ihm erschließt sich die Welt der griechische n Kirche. Mit begeisterte r Energie wirft er sich auf das Studium der älteren griechische n Kirchenschriftstell er, insbesonde re auf jenes der Schriften des Origines und des Eusebius. Und er gerät erstmals in den übermächt igen Geistesstre it zwischen dem demütigen Akzept der geoffenbar ten Wahrheit durch den Akt des Glaubens und dem hybriden Bemühen menschlich er Rationalität nach übermensc hlichem Erkennen. II.

Hoffnung sei die kleine, schwache, unmündige , unselbstän dige Schwester zwischen den großen Gestalten des Glaubens und der Liebe, meint eine Allegorie auf mittelalter licher Kathedrale . Hoffnung vermag aber auch der größte Lebensimp uls auf der Suche nach seinem Selbst und dessen zu sein, was der begnadete Mensch mit Gottes vorherweisen dem Willen gleichzuse tzen vermeint. Das Spannungs feld menschlich er Lebenserw artung auf die Dimension neuer, größerer, bedeutender, räumlicher , zeitlicher, milieubedi ngter Lebensent faltung, beherrscht sein Gemüt und seinen Verstand, als er die Not der Kirche von Rom, der Weltkirche , zu erkennen glaubt. In Wahrhei t- so lehrt uns die Retrospekt ive - bedient sich die Kraft Gottes der Bildung, des Berufes, des Lebensstile s und der nobilitären Gesinnung des Hieronymus, seiner geheimen Triebfeder "im Namen Gottes" an die Zentren kirchlicher Macht zu gelangen, ihn freizumach en für den letzten und größten Dienste am Wort. 7 8

Ep. 15 et 16.

Contra Joan. Hieros., c. 41, Migne, XXIII, 393.

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Er spricht davon, daß ihn die Not der Kirche aus wissenschaftlicher Muße in die Ewige Stadt beruft9 • Hier tritt im Jahre 382 eine Synode zusammen, hauptsächlich zur Beilegung des meletianischen Schismas; Hieronymus wird zur Teilnahme an dieser Synode eingeladen. Er verbleibt auch in Rom, um den Papst in der Korrespondenz zu unterstützen. Seine Aufgabe ist es, Synodalanfragen aus dem Orient und Okzident zu beantworten. Sein Amt umfaßt jenes eines persönlichen Referenten des Bischofs von Rom und eines Generalsekretärs der BischofssynodeiD. Die Synode verläuft ohne eingreifende Resultate. Im Lebensgang des päpstlichen Familiaren mit der ungewöhnlichen Auszeichnung einer abgewogenen Fähigkeit, die hebräische Sprache handzuhaben, tritt der bedeutsame Wendepunkt ein. In Italien und insbesondere in Rom waren schon seit langer Zeit mancherlei Klagen laut geworden über die große Verschiedenheit der umlaufenden lateinischen Bibeltexte. Hieronymus wird vom Papst um Herstellung eines Textes ersucht, welcher als einheitliche Norm bestimmt werden sollte. Dies ist der Auftrag, welcher in weiterer Folge Jahrzehnte hindurch seiner literarischen Tätigkeit Ziel und Richtung verleiht. An der Seite des hl. Papstes Damasus, dessen unbeschränktes Vertrauen er gewinnt, nimmt er eine ebenso glänzende wie einflußreiche Stellung ein. Er gewinnt Sympathien in der römischen Gesellschaft, Sympathien in der geistlichen Umwelt des Nachfolgers des hl. Petrus, Sympathien unter den Christen der Kapitale am Tiber. Dem Ratgeber des Papstes, dem Gelehrten, der über eine für die damalige Zeit fast unerhörte Fülle von Kenntnissen verfügt, dem Aszeten, der auch in seinen Schriften (wie in seiner Lebensführung) als begeisterter Apostel eines weltentsagenden gottgeweihten Lebens auftritt, bringt ganz Rom Hochachtung und herzlichen Respekt entgegen. In dieser Phase seines irdischen geistigen und geistlichen Lebens begegnet er Menschen, deren Wesen zutiefst dem seinen konvenieren und ihm ein schicksalhaftes, gottbestimmtes Zueinander und Miteinander bescheren. Edle Frauen von hoher Herkunft - Aristokratinnen der römischen Oberklasse - und gleich vornehmer Herzensbildung scharen sich um ihn als Schülerinnen des spirituellen Lebens. Unter ihnen befinden sich Marcella und Paula, beide den vornehmsten Patriziergeschlechtern entsprossen und als Witwen ganz und gar dem Dienste Gottes in Nächstenliebe attachiert: beide zentrieren ihrerseits in gleichgesinnten Kreisen edler Damen. Marcella und Paula, deren fraulicher Liebreiz gemäß den Chronisten offenkundig in keiner Weise der Innig8

ecclesiastica necessitas: Ep. 127 ad Principiam, c. 7, Migne, XXII, 1091.

to Ep. 123 ad Ageruchiam, c. 10, Migne, XXII, 1052.

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keit ihrer Religiositä t nachsteht, finden im päpstlichen Sekretär und Gelehrten der Bibelwisse nschaft ihren gottgegebe nen Führer zum ewigen Leben. Natur und Übernatur , Physis und Psyche, biologisch begründba re Kraft und transzende nte Erfahrung en in der Einheit von Seelen vermag man nur schwerlich nach den Gesetzen des Wägbaren, Meßbaren, sinnlich Wahrnehm baren zu trennen. So erfährt Hieronymus die Fülle der Verleumdu ngen, des Spottes, des Hohnes, der Verdächtigung en - nicht nur aus dem entgegenge setzten Lager der römischen Gesellscha ft. Auch die invidia clericalis tut das Ihre. Ein großer Teil des stark verweltlich ten römischen Klerus fühlt sich durch die schonungsl ose Sittenkriti k, die der Heilige auch in Schriften ausübt, schwer getroffen. Anderseits muß sein Ansehen beim Papste Eifersucht erweckt und auch seine Verehrung für Origines Anstoß erregt haben. Sein Image als "successor papabilis" zerbricht wie eine Seifenblas e kühner Träume. Wenn er zu Anfang seines römischen Aufenthalt es fast einstimmig als der würdigste Nachfolger des hl. Damasus auf Petri Stuhl bezeichnet wird11, so ändert sich die öffentliche Meinung: nach dem Tode des Summus Pontifex erfährt Sophroniu s Eusebius Hieronymus kühle Zurückwei sung, unverkenn bare Distanzier ung und Absage seiner vermeintli chen oder vermuteten , seiner demütig akzeptierte n oder im Geheimen glücklich ersehnten Hoffnung. Das Urteil droht ihn zu vernichten . Auf den Stuhl des hl. Petrus aber wird Siricius erhoben. In Hiernoymu s reift nun der Entschluß, "von Babyion nach Jerusalem heimzukeh ren" 12 • Getreue werden ihm folgen. Und es beginnt die dritte Phase seines Lebens. Die Zeit der Erfüllung seiner eigentliche n Berufung zum Dienste am Ewigen Worte. Der Dienst an der Ewigen Liebe aber wird auch für den gedemütig ten, verkannten , verleumde ten Priester zum Nachvollzu g jener Liebe, die gemäß irdischen Perspektiven nach dem Vorbild des Gekreuzig ten allemal im Leiden ihre Chiffre findet. 111. Die Erkenntnis seiner eigentliche n Berufung verdichtet sich in der Spiritualit ät des Priesters Hieronymu s zu Selbstbesc heidung und zugleich neuem Mute, zur Überwindu ng der originesisc hen Geisteshyb ris und zugleich zur Kreuzeslie be des Herrn. Eintausend fünfhunde rt Jahre nach seinem irdischen Leben wird die kleine Heilige von Lisieux ihre Berufung umschreibe n: "Im Herzen der Kirche werde ich die Liebe sein" 13, seine Rolle aber könnte man benennen: "Im Herzen der Kirche werde ich seinem Worte dienen". Ep. 45 ad Asellam, c. 3, Migne, XXII, 481. 1. c. c. 6, Migne, XXII, 482; Ep. ad Marcellam, c. 11, Migne, XXII, 490. 13 Theresia vom K inde Jesu und vom Heiligen Antlitz, Geschichte einer Seele, Briefe, Tagebuchau fzeichnunge n, Lisieux. 11

12

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Im August 385 verläßt Hieronymus Rom für immer. Er tritt die Reise an, von "Babylon nach Jerusalem". Im Spätherbst desselben Jahres folgt Paula mit ihrer dritten Tochter ihm nach. Von Antiochien aus, wo Hieronymus und Paula gegen Einbruch des Winters zusammentreffen, reisen sie gemeinsam nach Palästina, um an den Gedenkstätten des Lebens und Leidens Jesu ihre Andacht zu verrichten. Von dort ziehen sie nach Ägypten, um Alexandrien und die Einöde des nitrischen Gebirges, den berühmtesten Sammelpunkt des damaligen ägyptischen Mönchtums, zu besuchen. Sie kehren sodann nach dem Heiligen Land zurück, wo sie sich im Herbst 386 in Bethlehem bleibend niederlassen. In wenigen Jahren ersteht neben der Krippe des Herrn ein Mönchskloster, welches Hieronymus als Vorsteher, ein Frauenkloster, das Paula als Superiorin leiten. Außerdem werden an den durch Bethlehem führenden Straßen mehrere Pilgerhospize errichtet. Hieronymus beginnt von Neuern mit vielen Mühen und ebensolchen Kosten seine wissenschaftliche Bibliothek zu erweitern. Mit noch größerem Fleiße und nicht geringeren finanziellen Aufwendungen widmet er sich der Vervollkommnung seiner orientalischen Sprachkenntnisse: er nimmt hebräischen und chaldäischen Sprachunterricht, den ihm hochgebildete Rabbinen, meist zur Nachtzeit, erteilen. Er selbst hinwieder unterweist andere, namentlich auch Paula und ihre Tochter Eustochium, in den Anfangsgründen der heiligen Sprache des Alten Testamentes. Er bietet den Mönchen seines Klosters theologische Lektionen an. Er verbindet mit dem Kloster eine Schule, vor allem für Söhne wohlhabender und gesellschaftlich höher stehender Eltern aus Nah und Fern, in welcher er persönlich auch Grammatik lehrt und die lateinischen klassischen Autoren, Virgil an der Spitze, interpretiert. Sulpicius Severus 14 schildert seine Lebensweise auf Grund eigener Augenzeugenschaft: "Er ist beständig ganz und gar ins Studium, ganz und gar in die Bücher vertieft; nicht bei Tag und nicht bei Nacht gönnt er sich Ruhe, er ist beständig entweder mit Lesen oder mit Schreiben beschäftigt." Hieronymus, am Ort der Fleischwerdung des Ewigen Wortes, war nun endgültig dem Worte verbunden. Er findet die ersehnte Ruhe, die ihm die Unrast seines Lebens versagte. Er selbst versteht diese Zeit zu Bethlehem als einen Hafen der Ruhe; er findet, was er in Rom vermißte. Seine Briefe aus dieser Zeit atmen herzlichste Zufriedenheit1 5 • Aber sein irdisches Geschick sollte nicht über dem seines göttlichen Meisters angesiedelt sein, der keinen Stein fand, um sein Haupt zur Ruhe zu betten. Die origenistischen Wirren sollten in den Jahren 398 14 15

Dial. 1, 9, Migne, XX, 190. cfr. Ep. 46 ad Marcellam, de sanctis locis.

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bis 404 den Frieden dieses klösterlichen Asyls in verheerende r Weise stören. Hieronymus hatte dem großen Alexandrine r bisher stets eine sehr weitgehende Hochachtung bekundet. Aber die Autorität des hl. Epiphanius brachte ihn dazu, sich von Origines loszusagen. Er tritt als der entschiedens te Anti-Origeni st in die Schranken und stellt seine frühere Verehrung gegen Origines als eine immer nur sehr beschränkte und bedingte Wertschätzu ng desselben dar16 • Er wechselt nicht bloß mit dem Bischof Johannes von Jerusalem, sondern auch mit seinem Jugendfreund Rufin in Sachen des Origenismus bittere und energische Streitschriften, in welchen die Frage, was Origines gelehrt und worin er von dem rechten Glauben abgewichen, ganz und gar hinter der Frage zurücktritt, wer von den Streitenden mit größerem Rechte des Origenismus beziehen werden dürfe. Die pelagianisch en Streitigkeite n sollten schließlich dem nimmermüden Vorkämpfer kirchlichen Glaubens auch die äußere Ruhe rauben. Seine literarische und wissenschaft liche Attacke wird von pelagianischer Seite handgreiflich erwidert. Eine Schar von Pelagianern, unter ihnen Mönche und Kleriker, dringt zu Anfang des Jahres 416 in die Klostergebäu de zu Bethlehem ein, steckt dieselben in Brand und mißhandelt ihre Insassen. Hieronymus selbst vermag sich in letzter Ausweglosigkeit nur durch Flucht den Angreifern zu entziehen. Die letzten Jahre seines Lebens entbehrten nicht der Erfüllung, ja der Sättigung. Immer noch erscheint er kampfesfroh und geistesfrisch, war auch sein Leib durch mannigfache Leiden, sein Geist durch Anfechtunge n verschiedenster Art bedrängt. Am 30. September 420 erfüllt sich sein Leben als Geburtstag für die ewigen Freuden, das himmlische Jerusalem, vor dessen Tempelzinne n und Mauern die Unrast der drei Phasen des irdischen Schicksals verblassen. Ein unruhiger Geist, ein Feuergeist, etwas vom Mute des Löwen, dem er gemäß einer Legende den Dorn aus der Pranke gezogen, - so ging er in die Geistesgesch ichte der Kirche ein. Sein Wort, die Bibelüberset zung der "Vulgata", galt über die Jahrtausendw ende noch ein langes Millenium bis zur Neige des 20. Jahrhundert s nach Jesu Geburt im Stalle der davidischen Königsstadt Bethlehem. Sein Dienst am Worte, seine Übersetzung der Heiligen Schrift bleibt als bedeutendste und verdienstvol lste seiner Leistungen bestehen, eine reife Frucht wissenschaft licher Studien. Mag nunmehr die Vulgata auch historischen Stellenwert beanspruchen , die beliebtesten Schriften des hl. Hieronymus bleiben unberührt: seine Briefe, die bereits im Mittel18 cfr. Ep. 84 ad Pammachium et Oceanum, c. 2: Laudavi interpretem, non dogmaticen, ingenium, non fidem, philosophum, non apostatum; c. 3: Si mihi creditis, Originestes numquam fui; si son creditis, nunc esse cessari, Migne,

744, 746.

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alter faszinierten. In der Tat bieten sie inhaltlich wie stilistisch besonders viel des Anziehenden und Fesselnden. Der Brief ist für Hieronymus gewissermaßen das nächstliegende Mittel der Gedankenentwi cklung, er verleiht gerne auch ganzen Traktaten die Form der Epistel. Viele von ihnen sind mit großer Sorgfalt ausgearbeitet. Sein Sinn für Schönheit und Eleganz, seine Originalität und Gewandheit im Ausdruck, seine schwungvolle und feurige Gabe der Darstellung feiert in seinen Briefen wahre Triumphe 17 • Zwei Gruppen von Briefen, jene exegetischen Inhalts und die Nekrologe in Briefform seien ebenso hervorgehoben wie die aszetischen Epistel: letztgenannte fanden bereits bei ihrer Veröffentlichun g in gesinnungsverw andten Adressatenkreisen bewundernden Beifall und zählen seitdem innerhalb der Kirche zur hochgeschätzten Lektüre geistlicher Lebensführung. Dahin zählen etwa Brief 14, in welchem Heliodor, ein vertrauter Freund des Verfassers, beschworen wird, in die Wüste von Chalcis, die er verlassen hatte, wieder zurückzukehren ; Brief 22, in welchem Eustochium gemahnt wird, dem Ideale einer jungfräulichen Gottesbraut nachzustreben ~ Brief 52, in welchem der junge Priester Nepotian auf seine Bitten hin eingehend unterwiesen wird, wie er standesmäßige Heiligkeit des Lebens erlangen und bewahren könne. Im Anschluß an diese Klasse sei auch noch die nicht lange nach Paula's Tod (26. Jänner 404) für Eustochium gefertigte Übersetzung der berühmten Mönchsregel des hl. Pachomius, neben einigen Briefen von Pachomius und Theodorus erwähnt.

IV. Hieronymus zählt zu jenen Kirchenvätern, welche die ecclesia universalis mit dem Namen "Doctor ecclesiae", Kirchenlehrer, schmückt. Insofern dieser Titel oder Rang einer hervorragenden Gelehrsamkeit die gebührende Anerkennung zollen will, dürfte unter den Kirchenvätern schwerlich jemand begründeteren Anspruch auf denselben erheben können. Wurde doch Hieronymus schon zeit seines Lebens als der größte Polyhistor seiner Gegenwart gefeiert. Nach Paulus Orosius 18 harrte das ganze Abendland nach dem Worte des Presbyters von Bethlehem, wie das trockene Vlies auf den Tau des Himmels; nach Johannes Cassianus 19 erstrahlten die Schriften dieses Presbyters durch die ganze Welt hin gleich göttlichen Leuchten. Den Grund gibt Sulpicius Severus20 an: Hieronymus ist nicht bloß in der lateinischen und in der griechischen, sondern überdies auch in der hebräischen Literatur 17

18 18 20

Vgl. dazuWetzerund WeUe's Kirchenlexikon, V, 2017 ff. Liber apolog. contra Pelagium, c. 4, Migne, XXXI, 1177. De incarnatione 7, 26, Migne L, 256. Dial. 1, 8, Migne, XX, 189.

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so bewande rt, daß sich ihm niemand in irgendwe lcher Wissensc haft gleichzus tellen wagt 21 • Der hl. Augustin us 22 kann bezeugen , daß Hieronymus alle oder doch fast alle theologis chen Schriftste ller (omnes vel pene omnes) gelesen hat, welche vor ihm in dem einen oder anderen Weltteile aufgetret en waren. Erschien Hieronym us auf vielen Gebieten der Theologie als erstrangi ge Autorität , so galt er doch vor allem als unübertro ffener und unerreich ter Meister auf dem Felde der biblische n Wissensc haften. Das Griechisc he ist kaum einem anderen Lateiner jener Zeit in gleichem Maße geläufig gewesen, und als Kenner der Sprachen des Alten Testamen tes steht Hieronym us im kirchliche n Altertum einzigart ig da. Es ist durchaus nicht schwer nachzuwe isen, daß seiner Ausbildu ng im Hebräisch en noch Unvollko mmenhei ten anhaften, allzumal er die Tradition seines zeitgenös sischen Judentum s fehlbewe rtete; aber es ist ungerecht, bei Würdigu ng seiner Kenntnis se die Zeitumst ände außer Acht zu lassen und den Maßstab der neuzeitlic hen Kritik anzulegen . Ein bemerken swerter Beweis für eine beachtlich e Geübthei t und Gewandheit des Heiligen im Hebräisch en liegt in seiner eigenen Mitteilung über die Art und Weise, wie er um 405 das Buch Tobias aus dem Chaldäisc hen ins Lateinisc he übersetzt e: "Da das Chaldäisc he dem Hebräisch en nahe verwand t ist, so suchte ich mir einen beider Sprachen völlig mächtige n Gelehrten auf (ohne Zweifel ein jüddische r Rabbi, Anm. d. V.) und verwand te nun in angestren gter Tätigkeit einen Tag darauf, das, was dieser mir hebräisch vorsagte, einem herbeigez ogenen Stenogra phen (Schnells chreiber) lateinisch zu diktieren 23 .'' Übrigens empfand Hieronym us das Chaldäisc he keineswe gs als fremde Sprache. Er hatte längst vorher, dem Buche Daniel zu Liebe, auch dem Studium des Chaldäisc hen Zeit gewidme t. Das Resultat seiner sicher nicht geringen Anstreng ungen durfte er um 391 mit den Worten andeuten : "Bis auf den heutigen Tag kann ich das Chaldäisc he besser lesen und verstehen , als aussprech en24 .'' Kurz, die sprachlic he Erudition des Hieronym us war eine solche, daß sie ihn ausschlie ßlich unter allen christlich en Gelehrte n der zweiten Hälfte des 4. Jahrhund erts zu dem ebenso wichtigen wie schwierig en Werke einer Übersetz ung der Heiligen Schrift befähigte und berufen erscheine n läßt. Mit dem Ruhme eines "Wunder s der Gelehrsa mkeit" verbinde t Hieronym us das Verdiens t, eine Säule der Rechtglä ubigkeit gewesen zu sein. Schon bei Johannes Cassianu s 25 heißt er "ein Mann von umu ut se illi in omni scientia nemo audeat comparar e. u Contra Julianum 1, 34, Migne, XLIV, 665. !a Prafatio in librum Tobiae, Migne, XXIX, 25 - 26. u Praefatio in librum Daniel, Migne, XXVIII, 1291.

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fassendstem Wissen und zugleich von bewährtester und reiner Lehre", und Sulpicius Severus28 berichtet: Es hassen ihn die Häretiker, weil er nicht aufhört, sie zu bekämpfen, und es hassen ihn die Kleriker, weil er ihr Leben befeindet und ihre Laster. Aber alle Guten samt und sonders bewundern und lieben ihn, denn diejenigen, welche ihn für einen Häretiker halten, sind verrückt (insani sunt oder insaniunt). Es ist Wahrheit, wenn ich sage, das Wissen dieses Mannes ist katholisch, seine Lehre ist gesund." Um die formelle Seite der Schriften des hl. Hieronymus zu berühren, so hat wohl keiner der christlichen Prosaiker des Altertums auf die Schönheit der Form so hohen Wert gelegt wie gerade er; wie denn auch keiner derselben, ausgenommen etwa Tertullian, seinem ganzen Ausdruck ein so individuelles Gepräge zu verleihen wußte. Sein Erbe lebt nicht nur in der Tradition der katholischen Bibelwissenschaften fort, sondem auch in Regulargemeinschaften, die auf sein Monasterium in Bethlehem zurückbefinden und seinen Namen tragen. Hieronymiten, so lautet der gemeinschaftliche Name für vier voneinander verschiedenen Eremiten-Kongregationen Spaniens und Italiens, welche den hl. Kirchenlehrer Hieronymus als Patron und Vorbild verehrten und verehren. An erster Stelle ragt unter ihnen die spanische Eremiten-Congregation vom hl. Hieronymus hervor. Sie verdankt ihre Entstehung einigen unter der Regierung des Königs Alfons XL von Castilien (1312- 1350) in die Halbinsel eingewanderten Jüngern des gottseligen Thomas von Siena (Tommasuccio), der in Oberitalien mehrere Einsiedeleien gegründet hatte und mit den Seinigen die Dritte Regel des hl. Franziskus beobachtete. Die Abkömmlinge bildeten zunächst zwei Niederlassungen in den Bergen von Toledo; ihre Zahl und Bedeutung wuchs, als sich Personen von Rang und Ansehen zu ihnen gesellten, unter diesen Ferdinand Pecha, Oberkammerherr des Königs Peter IV. des Grausamen von Castilien (1350- 1369), und dessen Bruder, Bischof Alfons von Jaen. Ferdinand Pecha, der mit Verschweigung seiner hochadeligen Abkunft sich stets nur nach seinem Geburtsorte Ferdinand von Guadalajara nannte, gilt als der eigentliche Gründer des Ordens, indem er 1373 dessen Bestätigung durch Gregor XI. zu A vignon erlangte. Der Papst schrieb dem neuen Orden die Regel des hl. Augustinus nebst zweckdienlichen Satzungen und die Ablegung feierlicher Gelübde vor: als Kleidung erhielten die Mitglieder eine weiße Kutte, ein braunes Skapulier und gleichfarbigen Mantel mit kleiner Kapuze. Späterhin wurde für Skapulier und Mantel die schwarze Farbe angenommen. Die in der Nähe der Bartholomäuskirche 25

2e

De Incarnatione 7, 26, Migne, L, 258. Dial. 1, 9, Migne, XX, 189.

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bei Lupiana im Erzbistum Toledo bereits vorhandenen Einsiedeleien sollten einem daselbst zu erbauenden förmlichen Kloster unterstellt werden. Der Orden verbreitete sich schon zu Lebzeiten des Stifters (gest. 1402) sehr rasch und zählte bei Abhaltung des ersten Generalkapitels (1415) bereits 25 Klöster, darunter einige in Portugal. Die oberste Leitung hatte ein General; als solcher fungierte der jeweilige Vorsteher (Prior) des Stammklosters bei Lupiana; sein Amt dauerte wie das aller übrigen Oberen drei Jahre, d. h. von einem Generalkapitel zum anderen. Unter den Klöstern gelangten mehrere zu großem Ansehen und Wohlstand, namentlich das von Unserer Lieben Frau von Guadalupe in Estremadura (berühmt durch seine Wallfahrt), das von S. Geromino de Yuste bei Plasencia in Estremadura, wo Kaiser Karl V. seine letzten Lebensjahre verbrachte, und das von König Philipp II. errichtete im Escorial. Unter den portugiesischen Klöstern ragt das von König Emanuel dem Großen 1497 zu Belern bei Lissabon gegründete hervor, die Begräbnisstätte der königlichen Familie. Der Orden der Hieronymiten zählt zu den kontemplativen Kommunitäten in der großen Familie der katholischen Religiosen, widmet sich aber auch der Pastoralarbeit und erhielt sich in guter Disziplin und Ordnung; die Matutin findet um Mitternacht statt, die Fasten sind noch immer lang und streng. Nebst den eigentlichen Religiosen gab es noch Oblaten und Oblatinnen. Auch bildete sich noch bei Lebzeiten des Stifters ein weiblicher Zweig der Hieronymiten durch Maria Garcias (gest. 1426)27 • Aus diesem Institut der Oblaten erwuchs aus dem Schoße von Freunden des Klosters S. Geromino de Yuste eine ritterliche Gemeinschaft elitären Charakters, die im Medaillon ihres Ordenszeichens die Insignien des Goldenen Vließes tragen. Die ritterliche Gemeinschaft der Caballeros des Monasterium von Yuste fand in Europanach dem zweiten Weltkrieg Verbreitung und nahm am Ende der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts auch im deutschen Sprachraum einen ungeahnten Aufschwung. Ihre Spiritualität orientiert sich an den Lebensidealen des hl. Priesters und Kirchenlehrers Hieronymus, insbesondere wissen sie sich dem Dienste am Ewigen Worte, an der Heiligen Schrift in der Gegenwart verpflichtet. Sie respektieren aber auch den Geist Kaiser Karl V., wie er in Yuste hochgehalten und tradiert wird, im Sinne einer christlichen Sendung "in Europa- nach Europa". Glaube, Hoffnung und Liebe durchwalten die drei Phasen des himmlischen Patrons der Hieronymiten und Caballeros von Yuste während seiner irdischen Pilgerschaft. Der Weg zur Übernatur, das Risiko im Vertrauen zum großen Wagnis zu leben und die Erfüllung in der Liebe 27

cfr. Helyot, Hist. des ordres relig., III, 423- 447 u. a.

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kennzeichnen die Wegstationen des sinnenden Heiligen mit dem Federkiel, dem roten Hute (der wohl an die Zeit als päpstlicher Familiare gemahnen soll) und dem kauernden Löwen zu seinen Füßen. Sie deuten auf den geistigen Bezug zu jenen Söhnen im weitesten Sinne, die ihr Herz zu Gott erheben und sich auf dieser Pilgerstrecke an St. Hieronymus orientieren, in dem sie ihr eigenes Schicksal zu erkennen glauben.

SCHRIFTENVE RZEICHNIS DES JUBILARS Les avis consultatifs de la Cour permanente de Justice internationale et le Regime douanier entre l'Allemagne et l'Autriche. Revue de Droit intemational, VI, 234 ff., 1932. Jean Dumont und seine Bedeutung für das Völkerrecht. ~ÖR, 14, 371 ff., 1934.

Liberale und planwirtschaftlic he Handelspolitik. In Gemeinschaft mit Prof. Gottfried Haberler. Berlin 1934. Rechtsstreitigkei ten und Interessenkonflik te. Jahrbuch der Konsularakademie, Wien 1935, 78 ff. Die Achte Internationale Studienkonferenz (London 3. - 8. Juni 1935). Jahrbuch der Konsularakadem ie, Wien 1936, 68 ff. Differends juridiques et conflits d'interets. Memorandum für die 8. Internationale Studienkonferen z (1935). In: "La Securite Collective", hrsg. von Prof. Maurice Bourquin, Institut de Cooperation Intellectuelle, Paris 1936, 204 ff. Der Unterricht in den Rechtswissenscha ften an der Konsularakadem ie. Jahrbuch der Konsularakadem ie, Wien 1936, 73 ff. Das Völkerrecht des Abendlandes und die spanischen Theologen Vitoria und Suarez. In: Schönere Zukunft", 11 (Wien 1936), 1163 f. und 1200 f. Österreich und das Kolonialproblem . Memorandum für die 9. Internationale Studienkonferen z in Paris (28. Juni- 3. Juli 1937). In: "Le Probleme des Changements Pacifiques dans les Relations Internationales", Institut de Cooperation Intellectuelle, S. 449 ff. Paris 1938. Heer und Staat in der deutschen Geschichte. Bemerkungen zu Ernst Rudolf Hubers gleichnamigem Buch. Zt. f. Öffentl. Recht, 41, 94 ff. 1941. Richterliches Gewohnheitsrech t in Österreich. Ein Beitrag zur Rechtsquellenlehre. WR, 42, 89 ff., 1942. Neue Wege zu Dante. ZuR. L . Johns "Uj Utak Dantehoz". ZÖR, 23,40 ff., 1943. Die Satzung der Vereinten Nationen und das Statut des Internationalen Gerichtshofes. Eingeleitet und übersetzt. Wien 1947. Die Internationale Stellung Österreichs. Eine Sammlung von Erklärungen und Verträgen aus den Jahren 1938 bis 1947. Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen. Wien 1947. Die allgemeinen Rechtsgrundsätze in der Staatenpraxis. österr. Juristenzeitung, 5, 5 ff., 1950. Die Gesellschaftsphil osophie des Templers Dante. Zu Robert L. Johns Werk Dante. ÖZÖR, 2, 444 ff., 1950. Österreich·, eine Übersicht 1918- 1949. In: Lexikon des Wissens, 32 ff., Wien 1950.

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Schriftenve rzeichnis des Jubilars

Die Organisatio n der Vereinten Nationen. In: Lexikon des Wissens, 54 ff., Wien 1950. Richter und richterliche s Gewohnhei tsrecht. In: Der Österreichis che Richter und Staatsanwa lt 1954, Nr. 18/19, 9 ff. Rechtsprob leme der internation alen Stellung Österreichs, In: Juristische Blätter, 1954, 258 ff. Gebietshoh eit und Gebietserw erb im Völkerrecht . In: österr. Juristenzeit ung, 9, 241 ff., 1954. Die Politik der vollendeten Tatsachen und ihre rechtlichen Grenzen. In: Wissenscha ft und Weltbild, 7, 331 ff., 1954. Die geschichtlic he Kontinuitä t des Österreichis chen Staates und seine europäische Funktion. In: Geschichte der Republik Österreich, hrsg. v. Heinrich Benedikt, 573 - 610, Wien 1954. Das Staatsnotre cht. Eine Untersuchu ng über sein Wesen und die Grundsätze seiner Anwendung . öZöR, 9, 1163 ff., Wien 1959. Johannes Chrysostom us, Staatsphilo soph und Geschichtsth eologe. Styria (Graz -Wien- Köln) 1960, 470 S. Europäische s Gleichgewic ht. In: Wörterbuch des Völkerrecht s, hrsg. v. HansJürgen Schlochauer , 1. Bd. (1960), 487 ff. Exterritoria lität. In: Wörterbuch des Völkerrecht s, 1. Bd., 499 ff., Berlin 1960.

Der Schutz der Menschenre chte im Strafprozeß . Zum Seminar der Vereinten Nationen in Wien (20. Juni bis 4. Juli 1960). In: Die Vereinten Nationen und Österreich, 9, Nr. 8/9, 18 f., Wien 1960. Staat und Kirche bei Nikolaus Gogol. ÖZÖR, 10, 480 ff. (Sonder-Nr . zu Ehren Adolf Merkls), W.ien 1960. Alfred Verdross - Leben und Werk. In: Völkerrech t und rechtliches Weltbild, Festschrift für Alfred Verdross, Wien 1960, 1 ff. Insull-Fall. In: Wörterbuch des Völkerrecht s, 2. Bd., 25 ff., Berlin 1961. Macartney- Fall. Ebenda, 448 ff. (1961). Magdalena Steam Navigation Company v. Martin-Fall . Ebenda, 454 ff. (1961). Marquis de Monti-Fall. Ebenda, 479 ff. (1961).

Rechtliche und politische Grenzen der Verfassung sgerichtsba rkeit. Referat am 1. Österreichis chen Juristentag . Verhandlun gen des 1. Österreichis chen Juristentages, Bd. II, 39 ff., Wien 1962. Salem-Fall. In: Wörterbuch des Völkerrecht s, 3. Bd. (1962), 154 ff.

Rechts- und Justizverwe igerung. In: Wörterbuch des Völkerrecht s, 3. Bd. (1962), 82 ff. Zur Geschichte der Menschenre chte: Die Gleichberec htigung der Frau. In: "Die Vereinten Nationen und Österreich" , 12, 1, 3 ff. (Wien 1963). Ansprache bei Eröffnung der Konferenz der Vereinten Nationen betreffend konsularisc he Beziehunge n (nach Wahl zu deren Präsidenten , 4. März 1963), United Nations Conference on Consular Relations, PR XV/4 (voller Text), auch Official Records United Nations Conference on Consular Relations (Vienna, 4 March- 22 April1963), Vol. I, 6 f. (gekürzte Fassung).

Schriftenverzeichnis des Jubilars

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Une contribution a l'etude de l'histoire des rapports consulaires. In: "United Nations World", Spec. Congr. Ed. No. 3, 1963. Zur Kodifikation des Rechtes der konsularischen Beziehungen auf der Staatenkonferenz in Wien 1963. In: "Die Vereinten Nationen und Österreich", 12, 3, 4 ff., 1963. Österreich und die Europäische Wirtschaftsgemeinscha ft. Das Salzburger Expertengespräch 7.- 9. November 1963. Diskussionsbeiträge 45 f., 48 f., 53, 55, 63, 65, 113, 121 f., 125, 129, 135. W:ien 1964. Droit international et Droit interne chez Jean Dumont (1666 -1727). In: Melanges Henri Rolin, 479 ff., Paris 1964. Die Geschichte des Völkerrechts. In: Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., 31-94, Wien 1964. Zum Konflikt um den Panama-Kanal. In: Die Presse Nr. 4718 v. 14. 1. 1964, Wien. Friedenssicherung. In: Katholisches Soziallexikon, Tyrolia Innsbruck- WienMünchen 1964, 283 f. Geschichtsphilosophie. Ebenda, 319 ff. Gewohnheitsrecht. Ebenda, 367 ff. Gleichgewicht. Ebenda, 371 f. Politische Integration. Ebenda, 447 ff. Krieg. Ebenda, 582 ff. Staatsphilosophie. Ebenda, 1175 ff. Vereinte Nationen. Ebenda, 1254 ff. Zum Austritt Indonesiens aus den Vereinten Nationen (Ein Vorgang ohne Beispiel). In: Die Presse Nr. 5120 v. 16./17. 1. 1965, S. 7. Alfred Verdross - Vita e Opere. In: Annuario di Diritto Internazionale 1965, 563 - 585 (Italienische Fassung der Studie von 1960), Neapel 1965. Zwanzig Jahre Wiederaufbau in Österreich. Sonderpublikation der Generalpostdirektion, Wien 1965. International Law in Europe and Western Asia between 100 and 650 A. D. (Haager Vorlesung) Recueil des Cours de 1' Academie de Droit Internationale, Den Haag, Bd. 111, 475- 620. Österreich zehn Jahre Mitglied der Vereinten Nationen. Sonderveröffentlichung der Generalpostdirektion, Wien 1965. Die oströmisch-persischen Verträge von 562 n. Chr. und ihre Bedeutung für das Völkerrecht. Anzeiger der österr. Akademie der Wissenschaften, phil.histor. Klasse, 102. Jg. (1965), S. 152 ff. Der Vatikan im zweiten Weltkrieg (Zu Bd. I der Vatikanischen Aktenpublihistor. Klasse, 102 (1965), S. 152 ff. Die Satzung der Vereinten Nationen (kommentierte Textausgabe). In: Das Österreichische Recht, Teil II, 1, 1 - 44, Wien 1966. Das Statut des Internationalen Gerichtshofes (kommentierte Textausgabe). In: Das Österreichische Recht, Teil II, 2, 1 - 21, Wien 1966. 33 Festschrift für Stephan Verosta

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Schriftenverzeich nis des Jubilars

Die historische Entwicklung des Asylrechtes in Österreich. Internationales Collegium Fridtjof Nansen: 4. Asylcolloquium, 28. Juni bis 2. Juli 1966 in Wien; hrsg. vom Bundesministeriu m für Inneres, Wien 1966, 12 ff. Der Vatikan und die Bischöfe im zweiten Weltkrieg (zu Bd. II der Vatikanischen Aktenpublikation ). In: Die Furche, 9. und 16. 4. 1966. Österreichs Rechte und Pflichten aus der dauernden Neutralität. Betrachtungen zum Nationalfeiertag 1966. Die Republik, Staatspolitische Blätter des Österreichischen Nationalinstituts , 1966, Heft 4, 13 ff. Vorwort zu Sigmund Frh. v. Herbersteins Bescllreibung Moskaus, der Haupt-: stadt in Rußland samt des moskowitischen Gebietes (1557), ausgewählt und übertragen von Bertold Picard (Reihe Österreichische Diplomaten), Styria, Graz - Wien - Köln, 1966, 9 ff. Zur Geschichte der Koexistenz. In: Koexistenz zwischen Ost und West, Konflikt, Kooperation, Konvergenz, Wien 1966, 19 ff. Byzanz und Österreich um 1150 n. Chr. Ein Beitrag zur Geschichte des Völkerrechts im Mittelalter. Festschrift (Aphieroma) für Charalampos Frangistas, Thessaloniki, 1966, 135 - 165. Erklärung über den Bericht der International Law Commission, insbesondere über das Jus Cogens (17. 10. 1966). In: Summary Records. In: Bericht des Bundesministers für Auswärtige Angelegenheiten über die XXI. Generalversammlung der Vereinten Nationen, 110 - 115, Wien 1966. Die dauernde Neutralität, Gutachten zum 3. Österreichischen Juristentag, Verhandlungen des 3. österr. Juristentages, Bd. I, 2. Teil, 1 - 133, Wien 1967. Weltpolitik und WeltpastoraL Bemerkungen zur vatikanischen Aktenpublikation, März 1939 -August 1940. Festschrift für Hans Schmitz, 382 ff., Wien 1967. Die dauernde Neutralität. Ein Grundriß. Wien, 143 S. 1967. Die Anfänge der Neutralität der Republik Österreich (1919- 1922). Recueil d'etudes de droit international en hommage a Paul Guggenheim, Genf 1968, 70-90. Die ersten Grundrechte in Österreich. In: Gemeinwirtschaf t 1/68, Wien 1968.

Der Primat des Völkerrechts und die Vereinten Nationen. (Zur Erörterung von Grundsätzen des Völkerrechts betreffend freundliche Beziehungen und Zusammenarbeit zwischen den Staaten in übereinstimmun gmit der Satzung der Vereinten Nationen.) Melanges offerts a Juraj Andrassy, Den Haag 1968, 351 ff. Gewaltverzicht und dauernde Neutralität. Estudios de derecho internacional, Homenaje a . D. Antonio de Luna, Madrid 1968, 538 ff. Die internationale Stellung der Republik Österreich seit 1918. In: 1918- 1968 Österreich - 50 Jahre Republik, Wien 1968, 59 - 80. Verzeichnisse und Sammlungen der Österreichischen Staatsverträge. Festschrift zum zwanzigjährigen Bestehen des Sammelwerkes "Das Österreichische Recht", Wien 1969, 27 ff. Der Bund der Neutralen. Heinrich Lammasch zum Gedächtnis. Anzeiger der österr. Akademie der Wissenschaften, phil.-historische Klasse, 106 (1969), 175 ff.

Schriftenverzeichnis des Jubilars

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Die Vertragsrechts-Konferenz der Vereinten Nationen 1968/69 und die Wiener Konvention über das Recht der Verträge. Zeitschrift für ausländ. öffentl. Recht und Völkerrecht, 29, 654 - 710, 1969. Marcus Leitmaier 90 Jahre alt. In: Wiener Zeitung v. 26. 7. 1970 (Nr. 171/1970); gekürzte Fassung auch in: Die Presse v. 28. 7. 1970 (Nr. 6691/1970). Naturrecht und Menschenrechte. Akten des XIV. Internationalen Kongresses für Philosophie (Wien, 2. - 9. September 1969), V. Band (1970), 255 ff. Ignaz Seipel und das Problem der Revolution. Festschrift für Adolf Merkl, 439 - 52, München - Salzburg 1970. Heinrich Lammasch (Biographie). In: österreichisches Biographisches Lexikon, IV. Band, 415 f. (mit Walter Goldinger), Wien 1970. Österreichs Auswärtige Beziehungen 1955 -1969. Staatslexikon, hrsg. v. d. Görres-Gesellschaft, Nachtragsband (1970), Sp. 831 ff. La ONU -

25 afios despues. In: Indice XXV, Nr. 274/75, 54 f., Madrid 1970.

Guerre et Neutralite permanente. In: La Guerre et ses Theories, Bd. 9 der Annales de Philosophie Politique, hrsg. v. Institut International de Philosophie Politique, 145 ff., Paris 1970. Alfred Verdross zum 80. Geburtstag. Almanach der österr. Akademie der Wissenschaften, 120, 90 ff., Wien 1970. 25 Jahre Vereinte Nationen. Vortrag anläßlich des Festaktes zur 25-Jahrfeier der Vereinten Nationen am 26. Oktober 1970. In: österr. Zeitschr. für Außenpolitik, 10, 400 ff. (1970); auch abgedruckt in Zeitschrift der österr. Liga für die Vereinten Nationen, 19, 5. Heft, 4 ff., W\ien 1970. Rechtsgeschichte und Reine Rechtslehre. Zugleich ein Beitrag zum Problem der Beziehung zwischen Faktizität und Normativität. In: Law, State, and International Legal Order, Essays in Honor of Hans Kelsen, University of Tennessee Press 1971. Territorial Asylum in Antiquity: Argos v. Egypt: The case of the Suppliant Maidens. In: Revue des Droits de l'homme (Human Rights Journal) -Festgabe für Egon Schwelb- Jg. IV, 627- 641, Paris 1971. Der Begriff der Internationalen Sicherheit in der Satzung der Vereinten Nationen. Festschrift für Alfred Verdross, 1971, 533-547. Rechtliche und politische Probleme des österreichisch-ungarisch-deutsche n Beistands- und Neutralitätsvertrages vom 7. Oktober 1879. Festschrift für Hans Kelsen zum 90. Geburtstag, 285 - 308, 1971. The Maintenance of International Security as a specific purpose of the United Nations. In: The University of Toledo Law Review, vol. 1971, Nr. 1 und 2 - in memoriam Prof. Josef L. Kunz, Toledo 1971. Theorie und Realität von Bündnissen. Heinrich Lammasch, Karl Renner und der Zweibund (1897 -1914). Europa-Verlag Wien 1971, XXVIII und 660 S. Die Österreichische Außenpolitik 1955-1970. In: Österreich, die Zweite Republik, Bd. 1, 295 - 345, Graz - Wien - Köln 1972. The Vatican and the World. In: World View, Juli 1972, 31 ff., New York. 33•

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Schriftenv erzeichnis des Jubilars

Albert Margutti und Kaiser Franz Joseph. In: Wissensch aft und Weltbild, 25, 215 ff., Wien 1972. Heinrich Lammasc h (1853 - 1920) als Wegberei ter einer internatio nalen Friedensordnu ng. In: Jahres- und Tagungsb ericht der Görres-Ge sellschaft, 1972, 21-35. Nachruf auf Gesandten Marcus Leitmaier . österr. Zeitschr. für Außenpol itik, 12 (1972), 365 ff.; auch in: Wiener Zeitung v. 14. 11. 1972 und in: Die Presse vom 15.11.1972 . Internatio nal Organisat ions and the Holy See. ÖZÖR, 23, 205 - 212, Wien 1972. L'histoire de l'Academi e de Droit Internatio nal de La Haye, etablie avec le concours de la Dotation Carnegie pour la paix internatio nale. In: Livre jubilaire 1923 - 1973 der Academie de droit internatio nal, Den Haag 1973, 9 -56. Albert Frhr. v. Margutti, General und Schriftste ller. In: österreich isches Biographisch es Lexikon, VI. Band, 85 f., Wien 1973. Die Definition des Angriffs und die Staatenpr axis. in: Multitudo legum Jus unum, Festschrif t für Wilhelm Wengler, Bd. I, 693 ff., Berlin 1973. Zehn Jahre Pacem in Terris. In: Wiener Kirchenze itung Nr. 125 (April 1973).

Nachruf auf Botschaft er Franz Matsch. österr. Zeitschr. f. Außenpol itik 13 (1973); auch in: Wiener Zeitung vom 28. 7.1973, 2 und in: Zeitschrif t der Österreich ischen Uga f. d. Vereinten Nationen 22 (1973), 3. Quartal, 24.

Politische und völkerrech tliche Aspekte der Besetzung Österreich s durch Deutschla nd. In: Österreich 1927 bis 1938, Veröffent lichungen der Wissenschaft!. Kommissi on z. Erforschu ng der österr. Geschicht e 1927 bis 1939, Bd. 1, 207 f. und 249 ff., Wien 1973. Organizza zioni intemazio nali e Santa Sede. In: L'Osserva tore Romane, 113, Nr. 72 v. 29. 3. 1973 (italienisc he Übersetzu ng des englischen Originals) . Zum Washingt oner Abkomme n zur Verhütun g von Atomkrieg en. In: Kurier vom 27. 6.1973, 5, Wien. Zum Begriff des Angriffsk rieges 1790 bis 1815. Anzeiger der österr. Akademie der Wissensch aften, phil.-histo rische Klasse, 110, 245 - 65, Wien 1973. The Holy See and the Internatio nal Organisat ions. In: L'Osserva tore Romano - Weekly Edition in Englisch, 6. Jg., Nr. 18, 3. Mai 1973, Rom. Ordnung, Recht und Macht. ÖZÖR, 24, 245-267, 1973. Die Völkerrec htswidrigk eit der Annexion Hannover s durch Preußen 1866. Festschrif t für Friedrich Berber, 523- 548, München 1974. Bemerkun gen zum Brief Otto Bauers an Jean Longuet vom 9. Januar 1919. In: Geschicht en und Gesellscha ft, Festschrif t für Karl R. Stadler, 99 f., W~en 1974. Die Beziehung en Österreich s zu den Sukzessio nsstaaten 1918-1938 . In: Die Österreich ische Nation, 1926, 88 ff., Salzburg 1974. Das Jahr 1934: 12. Februar. Beiträge zum Symposiu m der Wissensch aft!. Kommissi on zur Erforschu ng der österr. Geschicht e der Jahre 1927 bis 1938; Disku~onsbeiträge, 129, 134, 150 u. 159, Wlien 1975.

Schriftenverzeichnis des Jubilars

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Alfred Verdross- 85 Jahre. In: Die Presse vom 25. 2. 1975. Österreichs Weg zur dauernden Neutralität. In: Europäische Rundschau 1975/ 2, 19 - 32, Wien 1975. Das Völkerrecht und die Vereinten Nationen in der Enzyklika Pacem in Terris. In: Die Friedensenzyklika Johannes XXIII. Pacem in Terris, hrsg. v. Rudolf W-eiler u. Jakob Weinbacher, 72- 105, Wien 1974. Austria's Road to permanent neutrality. First suggested half a century ago now coming of age. In: Austria Today 2/1975, 8- 15, Wien 1975. Besprechung v. Stanislaw E. Nahlik - Narodziny nowozitnej Dyploacji (Naissance de la Diplomatie moderne), Krak6w 1971. In: öZöR, 26, 244 ff., Wien 1975. Politische und völkerrechtliche Aspekte der Besetzung Österreichs durch Deutschland. In: Vom Justizpalast zum Heldenplatz, Studien und Dokumentationen 1927 bis 1938, 182 - 92, Wien 1975. (Nachdruck des gleichnamigen Beitrages aus: "Österreich 1927 bis 1938", Wien 1973.) Ordnung, Recht und Macht. In: Proceedings of the XVth World Congress of Philosophy, Varna 1973, Bd. VI, 333 ff., Sofia 1975. Der dritte Koalitionskrieg (1805) als gerechtfertigter Krieg. In: Studi in onore di Manlio Udina, I. Bd., 8ß1 - 883, Milano 1975. La competance consultative de la Cour Internationale de Justice, la conciliation et le non liquet. In: Il Processo internazionale, Studi in onore de Gaetano Morelli, 979 - 1008, Milano 1975. Österreichs Außenpolitik (1945 - 1975). Das Neue Österreich, Geschichte der Zweiten Republik, 85 - 149, Graz- Wien- Köln 1975. Vertrauliche diplomatische Gespräche und das Recht auf ihre Geheimhaltung. Heft 43 der in der Jugoslawischen Akademie für Wissenschaft und Kunst gehaltenen Vorträge (mit Resurne in kroatischer Sprache), Zagreb 1975, 27 S. Le cheminement de l'Autriche vers la neutraUte permanente. In: Austriaca, Cahiers universitaires d'information sur l'Autriche de Universität Rouen, Nr. 1, 71 - 92, Rouen 1975. Joseph Schumpeter gegen das Zollbündnis der Donaumonarchie mit Deutschland und gegen die Anschlußpolitik Otto Bauers (1916- 1919). In: Festschrift für Christian Broda, 373 - 404, Wien 1976. Alfred H. Frieds Denkschrift (Juni 1917) an Ottokar Czernin über amerikanische Bemühungen zur Friedenssicherung und zur Gründung eines Völkerbundes. In: Beiträge zur Zeitgeschichte, Festschrift für Ludwig Jedlicka, 11 - 36, Wien 1976. Botschafter Emmanuel Treu zum Gedenken. In: Wiener Zeitung v. 19. 8. 1976, 2. Zum Verhältnis von Ordnung und Macht. In: Die Wahrheit des Ganzen, Festschrift für Leo Gabriel, 205 - 215, Wien 1976. Kolonialismus und Entkoloniasierung. In: Lexikon der christlichen Moral, hrsg. v. Karl Hörmann, Tyrolia, Innsbruck- Wien - München 1976, Sp. 895 ff. Völkergemeinschaft. Ebenda, Sp. 1674 ff.

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Schriftenverzeichnis des Jubilars

Zwangsmaßnahmen zwischen Repressalie und Krieg. In: Recueil des travaux aux Assises scientifiques internationales. Les grandes Puissances et la Serbie a la veille de la Premiere guerre mondiale, Academie Serbe des Seiences et des Arts, vol. IV, Classe des Seiences historiques, No. 1, 435 ff. (mit Resumee in serbischer Sprache), Belgrad 1976. Die Völkerrechtswidrigkeit der Annexion Kurhessens (1886) und die Denkschrift des Kurfürsten gegen Preußen (1868). In: Um Recht und Freiheit, Festschrift f. Friedr. August von der Heydte, Bd. II, 711- 726, München 1977. Das Juliabkommen von 1936. Beiträge zum Symposium der Wissenschaft!. Kommission zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938. Veröffentlichungen dieser Kommission, Bd. 4, 367, 4Hl f., 432, 452, Wien 1977. Die Bündnispolitik der Donaumonarchie vor dem Ersten Weltkrieg. In: Diplomatie und Außenpolitik Österreichs, hrsg. v. E. Zöllner, Schriften des Instituts für Österreichkunde 30, 124 ff., Wien 1977. The German concept of Mitteleuropa 1916- 1918 and its contemporary critics. In: The Habsburg Empire in World War I, Essays on the intellectuel, military, political and economic aspects of the Habsburg war effort, hrsg. v. R. A. Kann u. a., 203 ff., New Yovk 1977. Die geschichtliche Kontinuität des Österreichischen Staates und seine europäische Funktion. In: Geschichte der Republik Österreich, hrsg. v. Heinrich Benedikt, Neudruck der Ausgabe 1954, 573-610, Wien 1977. Einführung zu Kurt Schuschniggs Requiem in Rot-Weiß-Rot, Österreichische Erstausgabe, 5 - 18, Wien 1978. The Austrians and their State. In: Austria Today, Vol. IV, 8- 19, Wien 1978. L'Ideologie de la Securite Collective et le Principe de l'Equilibre politique. In: Revue europeenne des sciences sociales et Cahiers Vilfredo Pareto, Bd. XVII, No. 46, 257 - 269, Genf 1979. Die Aufnahme der Beziehungen zwischen der Türkischen Republik und der Republik Österreich nach dem Vertrag von Lausanne. In: Lozanin 50. Yilina Armagan (Festschrift zum 50. Jahrestages des Vertrages von Lausanne), 232 bis 250, mit vollständiger Übersetzung ins Türkische, ebenda, 250-267, Istanbul1979. Selig die Friedensstifter. In: Bergpredigt und Menschenrechte, hrsg. v. d. Österreichischen Kommission Justitia et Pax, 32 ff., Wien 1979. Regionen und Perioden der Geschichte des Völkerrechts. In: öZöR, 30, 1-21, Wien 1979. Der Heilige Stuhl, die Internationalen Organisationen und der Friede. In: Die Weltfriedensbotschaften Papst Paul VI., hrsg. v. De. Squicciarini, 255 ff., Berlin 1979. L'Autriche en 1918 et en 1945 (Comparaison d'un point de vue de droit international et politique). In: Austriaca, Cahiers universitaires d'information sur l'Autriche, der Universität Rouen, Actes du colloque de Rouen 8. -12. November 1977, Bd. 3, 469-489, Rouen 1979.

Schriftenverzeichnis des Jubilars

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Leben und Werk Juraj Andrassys (1896- 1977). In: ÖZÖRVt, 30, 169- 176, Wien 1979. Securite Internationale et le principe de l'Equilibre politique. In: Estudios de derecho internacional. Homenaje al professor Miaja de la Muela, 183- 196, Madrid 1979. Ferner etwa sechzig zum Teil längere Besprechungen wissenschaftlicher Bücher und Werke in Zeitschriften verschiedener Länder.

1 Die verwendete Abkürzung [Ö]ZÖR[V] steht für: Zeitschrift für öffentliches Recht [und Völkerrecht].

[Österreichische]

Autorenverzeichnis Ago, Roberto, Dr., Professor für Völkerrecht an der Universität Rom, Richter

am Internationalen Gerichtshof.

Bindschedler, Rudolf, Dr., Professor für Völkerrecht an der Universität von

Bern, Rechtsberater des Politischen Departements der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

Degan, V. D., Dr., Professor für Völkerrecht an der Universität von Sarajewo. Dominice, Christian, Dr., Professor für Völkerrecht an der Universität Genf,

Direktor des Institut universitaire de hautes etudes internationales.

Ermacora, Felix, Dr., Professor für öffentliches Recht an der Universität

Wien, Mitglied der Europäischen Kommission der Menschenrechte.

Fischer, Peter, Dr., Professor für Völkerrecht und internationales Wirt-

schaftsrecht an der Universität W.ien, Professor an der Wiener Diplomatischen Akademie.

Folz, Hans-Ernst, Dr., Professor für Völkerrecht und internationale Bezie-

hungen an der Universität Linz.

Gross, Leo, Dr., Professor für Völkerrecht an der Fleteher School of Law

and Diplomacy der Tufts University, U.S.A.

Haraszti, György, Dr., Professor für Völkerrecht an der Eötvös Lorand-

Universität in Budapest.

Ibler, Vladimir, Dr., Professor für Völkerrecht an der Universität Zagreb. Kaminski, Gerd, Dr., Dozent für Völkerrecht an der Universität Wien, Leiter

des Ludwig Boltzmann-Instituts für China- und Südostasienforschung, Wien.

Köck, Heribert Franz, Dr., M.C.L., Professor für Völkerrecht an der Univer-

sität Wien, Professor an der Wiener Diplomatischen Akademie und an der Pontificia Accademia Ecclesiastica in Rom.

Lachs, Manfred, Dr., Professor für Völkerrecht an der Universität von

Warschau, Richter und ehern. Präsident des Internationalen Gerichtshofes.

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Autorenverzeichnis

Liedermann, Helmut, Dr., ao. und bev. Botschafter der Republik Österreich

bei der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien.

Matscher, Franz, DDr., Professor für zivilgerichtliches Verfahren und Pro-

zessrechtsvergleichung an der Universität Salzburg, Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Messner, Johannes, DDDr., Dr. h. c. mult., emer. Professor für Ethik und

christliche Sozialwissenschaften an der Universität Wien.

Mosler, Hermann, Dr., ehern. Professor für Völkerrecht an der Universität

Heidelberg und Direktor des Max-Planck-Instituts für Völkerrecht und vergleichendes öffentliches Recht, Richter am Internationalen Gerichtshof.

Parry, Clive, LL. D., Professor für Völkerrecht an der Universität Cambridge,

England.

Prantner, Robert, DDr., Dozent, ao. Ges. und bev. Minister, Geschäftsträger

des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens in Österreich.

Reuter, Paul, Dr., Professor für Völkerrecht an der Universität Paris, Mit-

glied der Völkerrechtkommission der Vereinten Nationen.

Rotter, Manfred, Dr., Dozent für Völkerrecht und internationale Beziehungen

an der Universität Linz.

Schambeck, Herbert, Dr., Professor für öffentliches Recht und politische

Wissenschaften an der Universität Linz, Stv. Vorsitzender des Bundesrates der Republik Österreich.

Scheuner, Ulrich, Dr., emer. Professor für Völkerrecht und Kirchenrecht an

der Universität Bonn.

Seidl-Hohenveldern, Ignaz, Dr., Professor für Völkerrecht und internationales

Recht an der Universität zu Köln.

Steiner, Ludwdg, Dr. ao. und bev. Botschafter, Abg.

Republik Österreich, Staatssekretär ·a. D.

2lum

Nationalrat der

Tunkin, GrLgory J., Dr., emer. Professor für Völlrerrecht an der Universität

Moskau, ehern. Mitglied der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen und Richter am Internationalen Gerichtshof.

Udina, Manlio, Dr., Professor für Völkerrecht an der Universität Triest.

Autorenverzeichnis

523

Ustor, Endre, Dr., Botschafter der Volksrepublik Ungarn a. D., ehern. Mitglied der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen. Verdross, Alfred, Dr., Dr. h. c. mult., emer. Professor des Völkerrechts, des internationalen Privatrechts und der Rechtsphilosophie an der Universität Wien, ehern. Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und Mitglied der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen.