Liebesbriefe. Heroides epistulae. Lateinisch - Deutsch.
 3760816851, 9783760816852

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SAMMLUNG TUSCULUM

Wissenschaftliche Beratung: Gerhard Fink, Manfred Fuhrmann, Erik Hornung, Joachim Latacz, Rainer Nickel

PUBLIUS OVIDIUS

NASO

LIEBESBRIEFE H E R O I D E S - EPISTULAE

Lateinisch - deutsch

Herausgegeben, übersetzt und erläutert von Bruno W. Häuptli

ARTEMIS & WINKLER

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ovidius Naso, Publius: Liebesbriefe : lateinisch und deutsch Heroides epistulae / Publius Ovidius N a s o Hrsg. und übers, von Bruno W. Häuptli. 2. Aufl. - Düsseldorf ; Zürich : Artemis und Winkler, 2001 (Sammlung Tusculum) Einheitssacht.: Heroides ISBN 3 - 7 6 0 8 - 1 6 8 5 - 1

N E : Häuptli, Bruno W. [Hrsg.]

2., überarbeitete Auflage 2001 © Patmos Verlag G m b H & C o . K G Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf und Zürich Alle Rechte, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks, der fotomechanischen und elektronischen Wiedergabe, vorbehalten. Satz: Jung Satzcentrum, Lahnau Druck und Bindung: Pustet, Regensburg I S B N 3-7608-1685-1

INHALT

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ι 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Ii 12 13 14 15 (21) 16 (15) 17 (16) 18 (17) 19 (18) 20 (19) 21(20)

Penelope an Ulixes Phyllis an Demophoon Briseis an Achilles Phaedra an Hippolytus Oenone an Paris Hypsipyle an Jason Dido an Aeneas Hermione an Orestes Deianira an Hercules Ariadne an Theseus Canace an Macareus Medea an Jason Laodamia an Protesilaus Hypermestra an Lynceus Sappho an Phaon Paris an Helena Helena an Paris Leander an Hero Hero an Leander Acontius an Cydippe Cydippe an Acontius

Einführung Zeittafel Textgeschichte und Textgestalt Metrik Textvarianten Konkordanz Verszahlen Erläuterungen Literaturhinweise Namenregister

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UXORI F I L I O Q U E CARIS A D I U T O R I B U S

PUBLI OVIDI NASONIS H E R O I D E S VEL E P I S T U L A E

I PENELOPE

ULIXI

Haec tua Penelope lento tibi mittit, Ulixe nil mihi rescribas tu tarnen - ipse veni! Troia iacet certe Danais invisa puellis; vix Priamus tanti totaque Troia fuit, o utinam tum, cum Lacedaemona classe petebat, obrutus insanis esset adulter aquis! non ego deserto iacuissem frigida lecto, non quererer tardos ire relicta dies; nec mihi quaerenti spatiosam fallere noctem lassaret viduas pendula tela manus. quando ego non timui graviora pericula veris ? res est solliciti piena timoris amor, in te fingebam violentos Troas ituros; nomine in Hectoreo pallida semper eram. sive quis Antilochum narrabat ab Hectore victum, Antilochus nostri causa timoris erat; sive Menoetiaden falsis cecidisse sub armis, flebam successu posse carere dolos, sanguine Tlepolemus Lyciam tepefecerat hastam; Tlepolemi leto cura novata mea est. denique, quisquís erat castris iugulatus Achivis, frigidius glacie pectus amantis erat, sed bene consuluit casto deus aequus amori. versa est in ciñeres sospite Troia viro. Argolici rediere duces, altaría fumant; ponitur ad patrios barbara praeda deos. grata ferunt nymphae pro salvis dona maritis; illi vieta suis Troica fata canunt. mirantur iustique senes trepidaeque puellae; narrantis coniunx pendet ab ore viri, atque aliquis posita monstrat fera proelia mensa, pingit et exiguo Pergama tota mero: «hac ibat Simois; haec est Sigeïa tellus; hic steterat Priami regia celsa senis.

BRIEF 1 P E N E L O P E AN U L I X E S Dies schickt deine Penelope dir, saumseiger Ulixes. Doch schreib nichts mir zurück - komm vielmehr lieber gleich selbst! Troja fiel ja bereits, das den Danaertöchtern verhaßte; so viel war Priamus kaum, so viel ganz Troja kaum wert. Wäre, als Lacedaemon sein Fahrtziel war, der Verführer damals ertrunken im Meer, in einem rasenden Sturm ! Nicht in verlassenem Bett hätt ich dann frierend gelegen, klagte nicht einsam, daß nur träge die Tage vergehn, noch wenn ich nachts am Webstuhl die endlosen Stunden verkürze, würde vom Weben schlaff meine verwitwete Hand. Wann übertrieb ich nicht die Angst vor den echten Gefahren? Liebe bedeutet doch stets Zittern und Bangen zugleich. Auf dich sah ich im Geist schon die wütenden Troer sich stürzen; wurde Hector erwähnt, wurde ich allemal bleich. Sagte mir einer, Antilochus sei von Hector bezwungen, schon gab Antilochus mir Anlaß zu Sorge und Angst. Hört ich, Menoetius' Sohn sei in fremder Rüstung gefallen, weint ich und dachte, der List fehle es auch an Erfolg. Des Tiepolemus Blut erwärmte die lycische Lanze; bei des Tiepolemus Tod war ich schon wieder besorgt. Schließlich, wenn einer umkam im achivischen Lager, wer es auch war, wurde stets kälter als Eis meine Brust. Doch der gerechte Gott nahm die keusche Liebe in Obhut: Troja verfiel zu Staub, aber mein Mann kam davon. Argolis' Fürsten kehrten zurück, es raucht von Altären; was man Barbaren entriß, weiht man dem heimischen Gott. Gaben bringen die Frauen voll Dank für die Rettung der Männer; diese besingen, wie sie Trojas Geschicke besiegt. Staunend vernehmen's die redlichen Greise, die ängstlichen Mädchen, und die Gemahlin hängt an des Erzählenden Mund. Einer erklärt am Tisch, den man hinstellt, die schrecklichen Schlachten, und mit wenigem Wein malt er ganz Pergama hin: «Hier verlief der Simois, hier ist die sigeische Landschaft, hier stand die hohe Burg, die dem Greis Priamus war.

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Epistula I

illic Aeacides, illic tendebat Ulixes; hic lacer admissos terruit H e c t o r equos.» omnia namque t u o senior te quaerere misso rettulerat nato Nestor, at ille mihi, rettulit et ferro R h e s u m q u e D o l o n a q u e caesos, u t q u e sit hic s o m n o proditus, ille lucro. ausus es - o nimium nimiumque oblite t u o r u m ! Thracia n o c t u r n o tangere castra dolo totque simul mactare viros, adiutus ab u n o ! at bene cautus eras et m e m o r ante mei! usque metu micuere sinus, d u m victor amicum dictus es Ismariis isse per agmen equis, sed mihi quid prodest vestris disiecta lacertis Ilios et, m u r u s q u o d fuit, esse solum, si maneo, qualis Troia durante manebam, virque mihi d e m p t o fine carendus abest? diruta sunt aliis, uni mihi Pergama restant, accola captivo quae bove victor arat. iam seges est, ubi Troia fuit, resecandaque falce luxuriat Phrygio sanguine pinguis humus; semisepulta virum curvis feriuntur aratris ossa, ruinosas occulit herba domos, victor abes, nec scire mihi, quae causa morandi, aut in q u o lateas ferreus orbe, licet! quisquís ad haec vertit peregrinam litora puppim, ille mihi de te multa rogatus abit, q u a m q u e tibi reddat, si te m o d o viderit usquam, traditur huic digitis charta notata meis. nos Pylon, antiqui Neleïa Nestoris arva, misimus; incerta est fama remissa Pylo. misimus et Sparten; Sparte q u o q u e nescia veri. quas habitas terras aut ubi lentus abes ? utilius starent etiamnunc moenia Phoebi irascor votis, heu, levis ipsa meis! scirem, ubi pugnares, et tantum bella timerem et mea cum multis iuncta querela foret. quid timeam, ignoro; timeo tamen omnia demens et patet in curas area lata meas.

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P e n e l o p e an U l i x e s Hier war das Zelt des Aeaciden, hier das des Ulixes; hier war's, wo Hector zerfetzt hurtige Pferde gescheucht.» Denn deinem Sohn, gesandt, dich zu suchen, hatte der alte Nestor das alles erzählt, jener erzählte es mir; teilte auch mit, wie du Rhesus und Dolon erschlugst mit dem Schwerte, jener ein Opfer des Schlafs, dieser des schnöden Gewinns. Tollkühn - o, wie wenig dachtest du noch an die Deinen! drangst du bei Nacht mit List ein in der Thracer Gezelt, mordetest so viele Männer aufs Mal, nur von einem begleitet! Ja, du warst wirklich schlau, dachtest zuvor nur an mich ! Ständig bebte mein Busen vor Angst, bis ich hörte, als Sieger kamst auf ismarischem Pferd du in dein Lager zurück. Doch was hilft's mir, wenn Ilios unterging dank eurer Streitmacht, wenn, was Mauer einst war, gleich nun dem Erdboden ist, ich aber bleibe genau wie, als Troja noch stand, ich gewesen, fern ist mein Mann, und ich soll ewig verzichten auf ihn? Pergama ist für andre geschleift, es steht nur für mich noch, siegreich ziehn Siedler den Pflug dort mit erbeutetem Rind. Schon sproßt die Saat, wo Troja einst war; mit der Sense zu mähen strotzt das Gelände dort üppig dank phrygischem Blut. Auf der Männer halbbegrabnes Gebein stößt die krumme Pflugschar, das Gras verbirgt Häuserruinen dem Blick. Du, der Sieger, bleibst aus, und ich kann nicht erfahren, weshalb du säumst und wo in der Welt, eiserner Mann, du verweilst. Wenn aus der Fremde an unsere Küste einer sein Schiff lenkt, frag ich ihn vieles nach dir, sonst kommt er nicht von hier fort, und ein Papier, das er dir, falls er irgendwo jemals dich antrifft, geben soll, geb ich ihm mit, das ich mit eigner Hand schrieb. Pylos fragte ich an, des greisen Nestor Gefilde, Erbgut des Neleus - Gerücht kam nur aus Pylos zurück. Sparte fragte ich an; auch Sparte wußte nichts Rechtes. Wo ist dein Wohnsitz jetzt oder wo säumst du so lang? Besser, es stünden noch jetzt die Mauern, die Phoebus erbaute leichtsinnig bin ich, o weh, Ärgernis ist mir mein Wunsch! Wüßt ich doch sonst, wo du kämpfst, den Krieg nur müßte ich fürchten, und meine Klage um dich wäre mit vielen vereint. Was ich nun fürchten soll, weiß ich nicht; alles befürchte ich sinnlos; weit ist das Feld, auf das sich meine Sorge erstreckt.

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Epistula I

quaecumque aequor habet, quaecumque pericula tellus, tam longae causas suspicor esse morae. haec ego dum stulte metuo, quae vestra libido est, esse peregrino captus amore potes, forsitan et narres, quam sit tibi rustica coniunx, quae tantum lanas non sinat esse rudes, fallar et hoc crimen tenues vanescat in auras, neve, revertendi liber, abesse velis! me pater Icarius viduo discedere lecto cogit et inmensas increpat usque moras, increpet usque licet - tua sum, tua dicar oportet; Penelope coniunx semper Ulixis ero. ille tamen pietate mea precibusque pudicis frangitur et vires temperat ipse suas. Dulichii Samiique et quos tulit alta Zacynthos, turba ruunt in me luxuriosa proci inque tua regnant nullis prohibentibus aula; viscera nostra, tuae dilacerantur opes. quid tibi Pisandrum Polybum Amphimedontaque dirum Eurymachique avidas Antinoique manus atque alios referam, quos omnis turpiter absens ipse tuo partis sanguine rebus alis ? Irus egens pecorisque Melanthius actor edendi ultimus accedunt in tua damna pudor, tres sumus inbelles numero, sine viribus uxor Laertesque senex Telemachusque puer, ille per insidias paene est mihi nuper ademptus, dum parat invitis omnibus ire Pylon. di, precor, hoc iubeant, ut euntibus ordine fatis ille meos oculos conprimat, ille tuos! hac faciunt custosque boum longaevaque nutrix, tertius inmundae cura fidelis harae; sed ñeque Laertes, ut qui sit inutilis armis, hostibus in mediis regna tenere potest. Telemacho veniet, vivat modo, fortior aetas; nunc erat auxiliis illa tuenda patris. nec mihi sunt vires inimicos pellere tectis. tu citius venias, portus et ara tuis!

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P e n e l o p e an U l i x e s

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Was das Meer, was das Land an Gefahren alles nur bietet, alles vermut ich als Grund, daß du so lange verweilst. Während ich töricht mich fürchte vor dem, was euch Männer gelüstet, hältst du vielleicht verliebt schon eine Fremde im Arm. Auch erzählst du vielleicht, so bäurisch sei deine Gemahlin, daß sie die Wolle nicht roh lasse, sonst könne sie nichts. Möcht ich mich irren, der Vorwurf in zarten Lüften verwehen, möchtest du fern nicht mehr sein, wenn du zurückkehren kannst! Mich drängt mein Vater Icarius, daß ich nicht länger als Witwe schlafe, und schimpft schon lang, daß schon so lange nichts geht. Mag er noch ewig schimpfen - dein bin ich und dein soll ich heißen, stets des Ulixes Frau werd ich, Penelope, sein. Dennoch, er läßt sich von meiner Liebe erweichen und meinen sittsamen Bitten, er hält mit seinem Drängen zurück. Doch die von Samos, Dulichion, vom hohen Zacynthos gebornen Freier bedrängen mich arg, dieses verschwendrische Pack. An deinem Hof, wo niemand sie hindert, sind sie die Herren; sie zerreißen mein Herz und sie verpraßen dein Gut. Wozu Pisander, den schlimmen Amphimedon, Polybus ferner, auch des Eurymachus und des Antinous Gier, wozu die andern dir nennen, die alle, es ist eine Schande, jetzt, wo du fort bist, dein Gut, blutig erworben, ernährt? Irus, der Bettler, Melanthius, welcher das Schlachtvieh herantreibt zu deinem Schaden hinzu sind sie die Krönung der Schmach. Drei wehrlose Leute sind wir, machtlos deine Gattin, dann Laertes, ein Greis, Telemach aber noch jung. Kürzlich wurde er mir aus dem Hinterhalt beinah entrissen, als er nach Pylos die Fahrt allen zum Trotz unternahm. Geben's die Götter, so bet ich, - das Schicksal erfülle sich gnädig daß er die Augen mir schließt, daß er die deinen auch schließt. Mit uns halten's der Hüter der Rinder, die uralte Amme, drittens der Sauhirt, der treu sorgt für den dreckigen Stall. Doch Laertes, jetzt nicht mehr imstande, die Waffen zu führen, kann hier die Herrschaft ja nicht halten, von Feinden umringt. Telemach kommt mit den Jahren zu Kräften, bleibt er am Leben; Hilfe des Vaters und Schutz wären jetzt nötig für ihn. Auch mir fehlt es an Kraft, aus dem Hause die Feinde zu jagen; komm zu den Deinen denn bald, Hafen für uns und Altar!

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Epistula I

est tibi sitque, precor, natus, qui mollibus annis in patrias artes erudiendus erat, respice Laerten; ut tu sua lumina condas, extremum fati sustinet ille diem, certe ego, quae fueram te discedente puella, protinus ut redeas, facta videbor anus.

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Hier lebt dein Sohn, - daß Gott ihn erhalte! - der, zart noch an Jahren, zu seines Vaters Kunst noch der Erziehung bedarf. Denk an Laertes auch; daß du die Lider ihm schließest, dieser Gedanke noch hält ihn am Leben allein. Eines ist sicher, bei deinem Abschied war ich blutjung noch, kehrst du sogleich auch zurück, komm ich als Greisin dir vor.

II PHYLLIS

DEMOPHOONTI

Hospita, Demophoon, tua te Rhodopeïa Phyllis ultra promissum tempus abesse queror. cornua cum lunae pieno semel orbe coissent, litoribus nostris ancora pacta tua est. luna quater latuit, toto quater orbe recrevit; nec vehit Actaeas Sithonis unda rates, tempora si numeres - bene nos numeramus amantes non venit ante suam nostra querela diem, spes quoque lenta fuit; tarde, quae eredita laedunt, credimus. invitam nunc et amare nocet, saepe fui mendax pro te mihi, saepe notavi alba procellosos vela referre Notos. Thesea devovi, quia te dimittere nollet; nec tenuit cursus forsitan ille tuos. interdum timui, ne, dum vada tendis ad Hebri, mersa foret cana naufraga puppis aqua, saepe deos supplex, ut tu, scelerate, valeres, cum prece turicremis sum venerata sacris; saepe, videns ventos cáelo pelagoque faventes, ipsa mihi dixi: «si valet ille, venit.» denique fidus amor, quidquid properantibus obstat, finxit et ad causas ingeniosa fui. at tu lentus abes; nec te iurata reducunt numina nec nostro motus amore redis. Demophoon, ventis et vela et verba dedisti; vela queror reditu, verba carere fide, die mihi, quid feci, nisi non sapienter amavi ? crimine te potui demeruisse meo. unum in me scelus est, quod te, scelerate, recepì; sed scelus hoc meriti pondus et instar habet, iura, fides ubi nunc commissaque dextera dextrae, quique erat in falso plurimus ore deus ? promissus socios ubi nunc Hymenaeus in annos, qui mihi coniugii sponsor et obses erat?

BRIEF 2 P H Y L L I S AN D E M O P H O O N Ich, mein Demophoon, klage, die rhodopeische Phyllis, daß du länger, mein Gast, fortbleibst, als du mir versprachst. Wenn die Hörner des Mondes zum Kreise sich einmal vereinten, werdest du, wie du's gesagt, ankern an unserem Strand. Viermal verbarg sich der Mond, wuchs viermal zum vollen Kreis wieder; doch kein actaeisches Schiff bringt die sithonische See. Wolltest die Zeit du berechnen, - wer liebt, berechnet sie gerne! keine Stunde zu früh kommt meine Klage zu dir. Auch meine Hoffnung war zäh. Was schmerzt, wenn man's glaubt, kann man glauben. Schade, daß stets ich noch verliebt bin in dich! [spät erst Oft belog ich mich selbst für dich, oft meint ich, die weißen Segel bringe der Süd mit seinen Stürmen zurück. Theseus verfluchte ich oft, er lasse dich, dacht ich, nicht gehen, doch vielleicht hält er dich ja von deiner Reise nicht ab. Bald wieder fürchtete ich, auf der Fahrt zu den Wassern des Hebrus gehe dein Schiff zerschellt unter im grauweißen Gischt. Oft auch flehte die Götter ich an für dein Leben, Verruchter, ehrte sie im Gebet, opferte Weihrauch dazu. Oft, wenn von günstigen Winden ich Meer und Himmel geklärt sah, sagte ich zu mir selbst: «Lebt er noch, trifft er bald ein.» Schließlich ersann meine treue Liebe, was Eilende hindert; immer fand sich ein Grund, welchen ich geistreich erfand. Du aber säumst und bleibst fort; weder Götter, die du beschworen, führen dich her noch bringt dich meine Liebe zurück. Demophoon, dem Wind überließest du Segel und Worte. Segel und Worte, o weh - Rückkehr und Treue gibt's nicht. Sag mir, was hab ich getan, außer unvernünftig zu lieben? Damit, so falsch es auch war, hätt ich bereits dich verdient. Das nur ist meine Schuld, daß ich dich, Verruchter, einst aufnahm; doch an Gehalt und Gewicht ist diese Schuld ein Verdienst. Wo ist der Treueschwur nun, den du in die Hand mir geleistet, wo der Gott, der so oft falsch auf der Zunge dir lag? Wo Hymenaeus, dem du gemeinsame Jahre versprochen, der für den Ehebund Zeuge und Bürge mir war?

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E p i s t u l a II

per mare, quod totum ventis agitatur et undis, per quod saepe ieras, per quod iturus eras, perque tuum mihi iurasti - nisi fictus et ille est concita qui ventis aequora mulcet, avum, per Venerem nimiumque mihi facientia tela altera tela arcus, altera tela faces Iunonemque, toris quae praesidet alma maritis, et per taediferae mystica sacra deae. si de tot laesis sua numina quisque deorum vindicet, in poenas non satis unus eris. at laceras etiam puppes furiosa refeci ut, qua desererer, firma carina foret! remigiumque dedi - quod me fugiturus haberes. heu! patior telis vulnera facta meis! credidimus blandís, quorum tibi copia, verbis; credidimus generi nominibusque tuis; credidimus lacrimis - an et hae simulare docentur? hae quoque habent artes, quaque iubentur, eunt? dis quoque credidimus. quo iam tot pignora nobis? parte satis potui qualibet inde capi, nec moveor, quod te iuvi portuque locoque debuit haec meriti summa fuisse mei. turpiter hospitium lecto cumulasse iugali paenitet et lateri conseruisse latus, quae fuit ante illam, mallem suprema fuisset nox mihi, dum potui Phyllis honesta mori. speravi melius, quia me meruisse putavi; quaecumque ex merito spes venit, aequa venit. fallere credentem non est operosa puellam gloria, simplicitas digna favore fuit, sum decepta tuis et amans et femina verbis. di faciant, laudis summa sit ista tuae! inter et Aegidas media statuaris in urbe; magnificus titulis stet pater ante suis, cum fuerit Sciron lectus torvusque Procrustes et Sinis et tauri mixtaque forma viri et domitae bello Thebae fusique bimembres et pulsata nigri regia caeca dei -

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P h y l l i s an

Demophoon

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Bei dem Meere, das überall tost bei Winden und Wellen, das du häufig befuhrst und zu befahren gedenkst, bei deinem Großvater schworst du mir - ist auch der nicht erlogen - , ihm, der die See wieder stillt, war sie von Winden erregt, schworst mir bei Venus und ihren allzu wirksamen Waffen hier setzt den B o g e n sie ein, dort sind die Fackeln zur Hand schworst mir bei J u n o , der gütigen Schirmerin ehlichen Lagers, und bei dem mystischen Kult kienfackelschwingender Frau. Wenn von so vielen beleidigten G ö t t e r n ein jeder den Frevel rächt, dann genügst du allein nicht als das Ziel ihres Zorns. U n d ich ließ gar im Wahn die zertrümmerten Schiffe dir richten daß du ein sicheres Schiff hattest zur treulosen Fahrt! G a b dir Ruder mit - daß du hattest, um mir zu e n t k o m m e n ! Weh, mit dem eignen Gefährt bracht ich die Wunden mir bei! Glauben schenkt ich den schmeichelnden Worten, woran dir's nicht man Glauben dem edlen Geschlecht und deinem R u h m e als Held, Glauben den Tränen - lernen denn diese etwa auch heucheln? Kennen auch die ihren Kniff, laufen, sobald man sie heißt? Glaubte den G ö t t e r n auch - w o sind diese Bürgen nun alle? Leicht betörte man mich mit einem Bruchteil davon. D o c h ich zürne nicht, weil ich dir half mit Hafen und Wohnung; nur darüber hinaus durfte die Hilfe nicht gehn. D a ß ich, o Schande, zum Gastbett das bräutliche Lager geboten, reut mich, und daß ich mich dir Seite an Seite geschmiegt. Wäre die N a c h t davor nur meine letzte gewesen, konnte ich, Phyllis, doch noch sterben als ehrbare Frau! Beßres erhoffte ich mir, denn ich hab es verdient, wie ich meinte. H o f f t man, wenn man's verdient, ist doch die H o f f n u n g gerecht! U n s c h w e r erwirbt man den R u h m , gutgläubige Mädchen zu täuschen. Mein einfaches G e m ü t war deiner G u n s t doch wohl wert. Mit deinen Worten betrogst du mich, eine Frau, die dich liebte. G e b e n die Götter, für dich sei dies die K r o n e des R u h m s ! U n t e r des Aegeus' Geschlecht inmitten der Stadt steh dein D e n k m a l ; mit seiner Taten R u h m glanzvoll der Vater zuerst: Wenn man von Sciron liest, v o m grimmen Procrustes, von Sinis, von jener Mischgestalt, welche halb Stier war, halb Mann, von dem im Krieg bezwungenen T h e b e n , vom E n d e der Zwitter, wie an des dunklen Herrn düstere Burg er gepocht -

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Epistula

II

hoc tua post illos titulo signetur imago: « H i c EST, C U I U S A M A N S H O S P I T A C A P T A D O L O E S T . »

de tanta rerum turba factisque parentis sedit in ingenio Cressa relieta tuo. quod solum excusat, solum miraris in ilio; heredem patriae, perfide, fraudis agis, illa - nec invideo - fruitur meliore marito inque capistratis tigribus alta sedet. at mea despecti fugiunt conubia Thraces, quod ferar externum praeposuisse meis. atque aliquis iam nunc «doctas eat», inquit, «Athenas; armiferam Thracen qui regat, alter erit.» exitus acta probat: careat successibus, opto, quisquís ab eventu facta notanda putat! at si nostra tuo spumescant aequora remo, iam mihi, iam dicar consuluisse meis. sed ñeque consului nec te mea regia tanget fessaque Bistonia membra lavabis aqua. illa meis oculis species abeuntis inhaeret, cum premeret portus classis itura meos. ausus es amplecti colloque infusus amantis oscula per longas iungere pressa moras cumque tuis lacrimis lacrimas confundere nostras, quodque foret velis aura secunda, queri et mihi discedens suprema dicere voce: «Phylli, fac expectes Demophoonta tuum!» exspectem, qui me numquam visurus abisti? exspectem pelago vela negata meo? et tamen exspecto - redeas modo serus amanti, ut tua sit solo tempore lapsa fides! quid precor infelix? te iam tenet altera coniunx, forsitan et, nobis qui male favit, Amor; iamque tibi excidimus, nullam, puto, Phyllida nosti. ei mihi! si, quae sim Phyllis et unde, rogas quae tibi, Demophoon, longis erroribus acto Threicios portus hospitiumque dedi, cuius opes auxere meae, cui dives egenti muñera multa dedi, multa datura fui;

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soll man danach dein Bild mit folgender Inschrift verzieren: » D I E S IST DER L Ü G E N G A S T , DER DIE V E R L I E B T E

BETROG.«

Von der riesigen Menge der Heldentaten des Vaters blieb die Creterin nur, die er verließ, dir im Sinn. Das, was ihn nur entschuldigt, nur das ists's, was du bewunderst; wie du's vom Vater geerbt, Treuloser, schwindelst auch du. Sie, ohne Neid sei's gesagt, genießt einen besseren Gatten; stolz auf dem Tigergespann sitzt sie, den Zaum in der Hand. A b e r die Thracer, verschmäht einst, schließen mit mir keine Ehe, weil mir ein Fremder ja mehr gelte als einer von hier. J e t z t schon sagt mancher: «So gehe sie doch nach Athen, dem gelehrten; Thracien, an Waffen gewöhnt, findet dann schon einen H e r r n ! » N u r der Erfolg gibt uns recht: Ach, Mißerfolg wünsche ich jedem, der nur nach dem Erfolg Taten beurteilen will! Ja, wenn das M e e r aufschäumte bei uns v o m Schlag deiner Ruder, hieß' es, ich sorgte nun gut, sowohl für mich wie mein Land. A b e r ich sorgte ja nicht - nie wirst um mein Reich du dich kümmern, nie in bistonischer See baden den todmüden Leib. I m m e r noch steht mir deutlich das Bild deiner Abfahrt vor Augen, als deine Flotte bereit dicht sich im Hafen gedrängt. O h n e Scheu umarmtest du mich, hingst am Hals der Verliebten, küßtest mich lange und fest, rissest dich nicht von mir los, scheutest dich nicht, deine Tränen mit meinen Tränen zu mischen, jammertest, daß der Wind günstig zum Segeln jetzt sei, und beim Abschied sagtest du mir mit ersterbender Stimme: «Phyllis, erwarte nur brav deinen D e m o p h o o n hier!» Warten soll ich auf dich, der du gingst, um mich nie mehr zu sehen ? Warten auf Segel, die nie aufkreuzen hier auf dem M e e r ? D e n n o c h wart ich auf dich! K e h r zurück, wenn auch spät, zur Verliebten, daß deine U n t r e u e dann nur in der Säumnis besteht! Ach, was wünsche ich mir? D i c h fesselt wohl schon eine andre! A m o r fesselt dich wohl, welcher mir übel gewollt! D u vergaßt mich ja schon, willst wohl keine Phyllis mehr kennen. Weh mir! D u fragst, wer ich bin! Phyllis? Woher ist denn die? Ich, D e m o p h o o n , war's, die dir einst nach mühsamer Irrfahrt Zuflucht in Thracien bot, gastfreundlich hier dich empfing, die deine Schätze vermehrte, vom Reichtum, als du in N o t warst, viele Geschenke dir gab, viele zu geben bereit,

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Epistula

II

quae tibi subieci latissima regna Lycurgi, nomine femíneo vix satis apta regi, qua patet u m b r o s u m R h o d o p e glacialis ad H a e m u m et sacer admissas exigit H e b r u s aquas, cui mea virginitas avibus libata sinistris

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castaque fallaci z o n a recincta manu! p r o n u b a Tisiphone thalamis ululavit in illis et cecinit maestum devia carmen avis; adfuit Allecto brevibus torquata colubris suntque sepulcrali lumina mota face.

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maesta tamen scopulos fruticosaque litora calco quaque patent oculis aequora lata meis. sive die laxatur humus, seu frigida lucent sidera, prospicio, quis fréta ventus agat; et quaecumque procul venientia lintea vidi,

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protinus ilia meos auguror esse deos. in fréta p r o c u r r o , vix me retinentibus undis, mobile qua primas porrigit aequor aquas, q u o magis accedunt, minus et minus utilis adsto; linquor et ancillis excipienda cado.

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est sinus adductos modice falcatus in arcus; ultima praerupta cornua mole rigent. hinc mihi suppositas inmittere corpus in undas mens fuit; et, quoniam fallere pergis, erit. ad tua me fluctus proiectam litora portent

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o c c u r r a m q u e oculis intumulata tuis ! duritia ferrum ut superes adamantaque teque, «non tibi sic», dices, «Phylli, sequendus e r a m ! » saepe venenorum sitis est mihi; saepe cruenta traiectam gladio morte perire iuvat. colla quoque, infidis quia se nectenda lacertis praebuerunt, laqueis inplicuisse iuvat. stat nece matura tenerum pensare pudorem. in necis electu parva futura m o r a est. inscribere m e o causa invidiosa sepulcro. aut hoc aut simili carmine notus eris:

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« P H Y L L I D A D E M O P H O O N L E T O D E D I T H O S P E S AMANTEM. I L L E NECIS CAUSAM P R A E B U I T , IPSA M A N U M . »

P h y l l i s an

Demophoon

die des Lycurgus weitläufiges Reich zu Füßen dir legte, das sonst von weiblicher Macht schwerlich regiert werden kann, dort, w o vereist sich die R h o d o p e hinzieht zum schattigen Haemus, w o der heilige Strom Hebrus ins Meer fließt voll Schwung. U n d dir gab ich mich hin trotz unheilkündenden Zeichen, als du den keuschen Gurt löstest mit tückischer H a n d ! Als Brautjungfer heulte Tisiphone neben dem Brautbett, und ein einsamer Kauz sang sein betrübliches Lied. A u c h Allecto war da, mit kleinen Nattern als Halsband, und statt zum Hochzeitsfest schwang man die Fackeln zum Grab. Traurig stapf ich umher auf Klippen, durch Strauchwerk am Strande, w o sich das weite M e e r vor meinen Augen erstreckt. Sei's daß am Tag die Erde erschlafft, sei's daß kalte Gestirne leuchten, ich schaue hinaus, was für ein Wind weht zur See. Sehe ich aus der Ferne irgendein Segel sich nähern, denk ich voll Ahnung sogleich, endlich erscheine mein G o t t , laufe ins Wasser hinein, kaum können die Wogen mich hindern, dort, w o die schwankende Flut ständig die Küste benetzt. D o c h je näher es k o m m t , desto sinnloser steh ich und steh ich; ohnmächtig falle ich hin, Dienstmägde fangen mich auf. Sanft zum Bogen gekrümmt liegt die B u c h t hier gleich einer Sichel, schroff ragt beidseits der Fels dort an den Enden empor. M i c h von hier in die unten sich breitenden Wogen zu werfen, hatt ich im Sinn - und so bleibt's, da du mich noch und noch täuschst. An deine Küste sollen die Fluten mich werfen als Strandgut, daß ich erscheine vor dir, ohne begraben zu sein. U m die Härte von Eisen, von Stahl und die deine zu steigern, sagst du dann: «Unnötig war's, Phyllis, daß so du mir folgst.» Manchmal dürst ich nach Gift, oft reizt mich ein blutiges Ende, mit dem tödlichen Schwert mir zu durchbohren den Leib. A u c h den Hals in die Schlinge zu stecken, der von deinen Armen tückisch umschlingen sich ließ, hat mich schon manchmal gereizt. Fest steht, daß ich mit frühem Tod mein Zartgefühl sühne; für meiner Todesart Wahl brauch ich nur wenig noch Zeit. A u f meinem G r a b wirst du als verhaßte Ursache stehen. So oder ähnlich der Vers, der dich bekannt machen wird: « P H Y L L I S WAR D E M O P H O O N S O P F E R , D E S G A S T S , DEN S I E

LIEBTE;

E R GAB ZU S T E R B E N I H R G R U N D , S I E L I E H ZUM T O D I H R E

HAND.»

III BRISEIS A C H I L L I Quam legis, a rapta Briseide littera venit, vix bene barbarica Graeca notata manu, quascumque adspicies, lacrimae fecere lituras; sed tarnen et lacrimae pondera vocis habent. si mihi pauca queri de te dominoque viroque fas est, de domino pauca viroque querar. non, ego poscenti quod sum cito tradita regi, culpa tua est - quamvis haec quoque culpa tua est; nam simul Eurybates me Talthybiusque vocarunt, Eurybati data sum Talthybioque comes, alter in alterius lactantes lumina vultum quaerebant taciti, noster ubi esset amor, differri potui; poenae mora grata fuisset. ei mihi! discedens oscula nulla dedi; at lacrimas sine fine dedi rupique capillos; infelix iterum sum mihi visa capi! saepe ego decepto volui custode revertí, sed, me qui timidam prenderet, hostis erat, si progressa forem, caperer ne nocte timebam quamlibet ad Priami munus itura nurum. sed data sim, quia danda fui - tot noctibus absum nec repetor; cessas iraque lenta tua est. ipse Menoetiades tum, cum tradebar, in aurem «quid fies? hic parvo tempore», dixit, «eris.» nec repetisse parum; pugnas, ne reddar, Achille! i nunc et cupidi nomen amantis habe! venerum ad te Telamone et Amyntore nati ille gradu propior sanguinis, ille comes Laertaque satus, per quos comitata redirem. auxerunt blandas grandia dona preces: viginti fulvos operoso ex aere lebetas et trípodas Septem pondere et arte pares; addita sunt illis auri bis quinqué talenta, bis sex adsueti vincere semper equi,

BRIEF 3 BRISEIS A N A C H I L L E S Dieser Brief, den du liest, k o m m t von der geraubten Briseis, die mit barbarischer Hand Griechisch mit M ü h e nur schreibt. Was du an Flecken hier siehst, das sind die Spuren von Tränen; diese Tränen jedoch haben der Worte Gewicht. Ist's mir erlaubt, dich, den Mann und H e r r n , ein wenig zu tadeln, klag ich ein wenig nun über den Herrn und den Mann. D a ß man so rasch an den König, der es verlangte, mich abgab, ist deine Schuld nicht, obschon dies doch auch deine Schuld ist. D e n n sobald mich Eurybates und Talthybius riefen, gab man Eurybates mich und dem Talthybius mit. Einer blickte den anderen an, um Blicke zu tauschen, fragten sich schweigend, w o denn unsere Liebe wohl sei. Aufschub war möglich. G e r n hätt ich das qualvolle Leben verzögert. Weh mir! Kein einziger K u ß war mir beim Abschied vergönnt. Tränen vergoß ich jedoch ohne E n d e und raufte das Haar mir; glücklos zum zweitenmal glaubt ich gefangen zu sein. O f t beschloß ich den Wärter zu täuschen, um zu dir zu k o m m e n , doch war ein Feind da, bestimmt nähm er mich Ängstliche fest. Wagt ich bei N a c h t mich hinaus, man hätte mich sicher ergriffen, hätte an Priamus' H o f mich einer Sohnsfrau geschenkt. G a b s t du mich weg, weil du mußtest - fort bin ich nun so viele Nächte, und du holst mich nicht ab, säumst in verbissenem Zorn. Selbst des Menoetius' Sohn sprach ins O h r mir, als er mich abgab: «Weshalb weinst du denn? Bald wirst du zurück sein bei uns.» M i c h nicht zu holen, nun gut - doch, Achill, du verhinderst die R ü c k k e h r ! G e h nun und sag, du verspürst heiße Begierde nach mir! Zu dir kamen die Söhne des Telamón und des A m y n t o r jener ist näher verwandt, der war dabei als dein Freund und des Laertes' Sohn, bereit mich zurückzubegleiten. Prunk der G a b e n verlieh schmeichelnden Bitten Gewicht. Zwanzig golden schimmernde Becken aus kunstreicher B r o n z e , sieben Dreifüße auch, gleich an G e w i c h t und an Kunst. Zweimal fünfzig Talente an G o l d , die kamen hinzu noch, sechsmal ein Rossepaar, immer zu siegen gewohnt,

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Epistula

III

quodque supervacuum est, forma praestante puellae

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Lesbides, eversa corpora capta domo, cumque tot his - sed non opus est tibi coniuge - coniunx ex Agamemnoniis una puella tribus, si tibi ab Atride pretio redimenda fuissem, quae dare debueras, accipere illa negasi qua merui culpa fieri tibi vilis, Achille? quo levis a nobis tam cito fugit amor? an miseros tristis fortuna tenaciter urget, nec venit inceptis mollior hora meis? diruta Marte tuo Lyrnesia moenia vidi et fueram patriae pars ego magna meae; vidi consortes pariter generisque necisque tres cecidisse - tribus, quae mihi, mater erat; vidi, quantus erat, fusum tellure cruenta pectora iactantem sanguinolenta virum. tot tarnen amissis te conpensavimus unum; tu dominus, tu vir, tu mihi frater eras, tu mihi, iuratus per numina matris aquosae, utile dicebas ipse fuisse capi scilicet ut, quamvis veniam dotata, repellas et mecum fugias quae tibi dantur opes! quin etiam fama est, cum crastina fulserit Eos, te dare nubiferis lintea velie Notis. quod scelus ut pavidas miserae mihi contigit aures, sanguinis atque animi pectus inane fuit. ibis et - o miserami - cui me, violente, relinquis? quis mihi desertae mite levamen erit? devorer ante, precor, subito telluris hiatu aut rutilo missi fulminis igne cremer, quam sine me Phthiis canescant aequora remis et videam puppes ire relieta tuas ! si tibi iam reditusque placent patriique Penates, non ego sum classi sarcina magna tuae. victorem captiva sequar, non nupta maritum; est mihi, quae lanas molliat, apta manus. inter Achaeïadas longe pulcherrima matres in thalamos coniunx ibit eatque tuos,

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B r i s e i s an A c h i l l e s ferner zum Ü b e r f l u ß noch von prachtvoller Schönheit aus Lesbos Mädchen, die man geraubt bei der Zerstörung der Stadt, mit all diesen - du brauchst keine Gattin indes - eine Gattin, aus Agamemnons Geschlecht eine von dreien als Braut. Hättest du mich vom Atriden um Geld zurückkaufen müssen: Was der Preis dafür war, lehnst du ja ab als G e s c h e n k ! Worin besteht meine Schuld, daß ich dir so feil bin, Achilles? Wohin verflog denn nur unsere Liebe so rasch ? O d e r verfolgt die Bedrängten hartnäckig das traurige Schicksal, und für mein Trachten k o m m t wohl nie eine bessere Zeit? Von deinem H e e r sah ich Lyrnesus' Mauern verwüstet, ich, die für unsere Stadt selber so wichtig auch war, sah drei im Tod wie in Herkunft durchs Schicksal verbundene Männer fallen; die Mutter der drei war auch die meine zugleich; sah meinen Gatten - wie groß er war! - auf den blutigen Boden hingestreckt, blutüberströmt h o b sich die keuchende Brust. D o c h bei all den Verlusten warst du mir Ersatz für sie alle, du warst Gebieter und Mann, du warst mein Bruder dazu. D u selbst schworst mir bei deiner Mutter, der Gottheit des Wassers, sagtest, wie nützlich es sei, deine Gefangne zu sein ja, um mich, die mit reichlicher Mitgift kam, zu verstoßen, mich zu verschmähn und dazu, was man an Schätzen dir b o t ! Ja, es geht das Gerücht, wenn morgen E o s erglänze, wollest die Segel du setzen bei wolkigem Süd. Als dieser ruchlose Plan mir A r m e n ans furchtsame O h r drang, stand mir der Atem still, wich aus dem Herzen das Blut. D u gehst fort - weh mir! Bei wem soll ich, Grausamer, bleiben? Wer wird, wenn du mich verläßt, Trost mir und Linderung sein? E h e r verschlinge mich, wünsch ich, die Erde in klaffendem Schlunde oder in rötlichem Brand sei ich vom Blitzschlag versengt, ehe das Meer ohne mich aufschäumt von den phthiischen Rudern und deine Schiffe ich dann ohne mich ausfahren seh! Wenn du dich jetzt zur Heimkehr entschließt zu den heimischen Göttern, bin ich geringe Last für deine Flotte ja nur. Als Gefangene folg ich dem Sieger, dem Mann nicht als Gattin, und es ist meine Hand, Wolle zu spinnen, geschickt. D i r wird die weitaus schönste von allen achaeischen Frauen folgen ins Ehegemach, - richtig, so soll es auch sein! -

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Epistula

III

digna nurus socero, Iovis Aeginaeque nepote, cuique senex Nereus prosocer esse velit. nos humiles famulaeque tuae data pensa trahemus et minuent plenos stamina nostra colos. exagitet ne me tantum tua, deprecor, uxor quae mihi nescio quo non erit aequa m o d o neve meos coram scindi patiare capillos et leviter dicas: «haec quoque nostra fuit.» vel patiare licet, dum ne contempta relinquar hic mihi vae! miserae concutit ossa metus. quid tarnen expectas ? Agamemnona paenitet irae

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et iacet ante tuos Graecia maesta pedes, vince ánimos iramque tuam, qui cetera vincis ! quid lacerat Danaas inpiger Hector opes ? arma cape, Aeacide, sed me tamen ante recepta et preme turbatos Marte favente viros ! propter me mota est, propter me desinat ira simque ego tristitiae causa modusque tuae. nec tibi turpe puta precibus succumbere nostris; coniugis Oenides versus in arma prece est. res audita mihi, nota est tibi, fratribus orba devovit nati spemque caputque parens, bellum erat; ille ferox positis secessit ab armis et patriae rigida mente negavit opem. sola virum coniunx flexit. felicior illa! at mea, pro! nullo pondere verba cadunt. nec tamen indignor nec me pro coniuge gessi saepius in domini serva vocata torum. me quaedam, memini, dominam captiva vocabat. «servitio», dixi, «nominis addis onus.» per tamen ossa viri subito male tecta sepulcro semper iudiciis ossa verenda meis; perque trium fortes animas, mea numina, fratrum,

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qui bene pro patria cum patriaque iacent; perque tuum nostrumque caput, quae iunximus una, perque tuos enses, cognita tela meis nulla Mycenaeum sociasse cubilia mecum iuro; fallentem deseruisse velis!

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B r i s e i s an A c h i l l e s würdig als Braut, wenn Jupiters, Aeginas Enkel ihr Schwäher, sie, der auch Nereus, der Greis, Schwiegergroßvater sein will. Ich bin bescheiden, ich will als Magd mein Tagwerk verspinnen, und mein Rocken wird schmal, zieh ich die Wolle zu Garn. Eines verbitt ich mir nur: Deine Gattin soll mich nicht plagen; irgendwie ist sie ja dann doch nicht zufrieden mit mir! Du aber laß nicht zu, daß vor dir sie mich zerrt an den Haaren; sag dann nicht leichthin vor ihr: «Die hab ich auch mal gehabt!» Doch, laß es zu, wenn du nur nicht verachtet hier mich zurückläßt dies ist die Angst, weh mir! welche mich quält bis ins Mark. Doch was wartest du noch? Agamemnon bedauert dein Zürnen, Griechenland liegt betrübt zu deinen Füßen dir schon. Siege über dein zorniges Herz, du besiegst ja sonst alles! Warum zerfleischt ohne Rast Hector das Danaerheer? Greif zu den Waffen, doch vorher hol mich zurück, Aeacide, schlag den verwirrten Feind - helfe dir Mars! - in die Flucht! Ich entflammte den Zorn, ich möchte ihn auch wieder löschen; war ich schon Grund deines Grimms, will ich das Ende auch sein. Halte es nicht für schmählich, wenn meinen Bitten du nachgibst; Oeneus' Sohn zog zum Kampf, als seine Frau darum bat. Ich vernahm es nur, dir ist's bekannt: Beraubt ihrer Brüder fluchte die Mutter dem Sohn, raubte ihm Hoffnung und Haupt. Krieg war's. Jener legte die Waffen nieder im Trotze, lehnte mit störrischem Sinn Hilfe fürs Vaterland ab. Einzig die Gattin erweichte den Gatten. Glücklicher war sie! Doch meine Worte, ach, fallen, als wären sie nichts. Aber ich zürne dir nicht, ich spielte ja nie deine Gattin, war ich zum Bett des Herrn oft doch als Sklavin bestellt. Eine Gefangene nannte, ich weiß es noch, einmal mich Herrin. «Nenn mich nicht so, du erschwerst», sagt ich, «der Sklaverei Last. Bei den Gebeinen des Gatten, die schlecht ein flüchtiges Grab deckt, jenen Gebeinen, die stets meiner Verehrung gewiß, bei der drei Brüder tapferen Seelen, nun meinen Göttern, die für das Vaterland und mit ihm fielen zugleich, bei deinem Haupt und dem meinen, die wir miteinander verbanden, bei deinem Schwert, deinem Speer, beides den Meinen bekannt, schwöre ich, daß der Mycener niemals das Bett mit mir teilte; schwöre ich falsch, so sollst du mich verlassen sogleich.



Ep is tu la III

si tibi nunc dicam: «fortissime, tu quoque iura nulla tibi sine me gaudia facta!» neges. at Danai maerere putant - tibi plectra moventur, te tenet in tepido mollis amica sinu! si quisquam quaerit, quare pugnare recuses: pugna nocet, citharae noxque Venusque iuvant. tutius est ¡acuisse toro, tenuisse puellam, Threiciam digitis increpuisse lyram, quam manibus clipeos et acutae cuspidis hastam et galeam pressa sustinuisse coma. sed tibi pro tutis insignia facta placebant partaque bellando gloria dulcís erat, an tantum dum me caperes, fera bella probabas •cumque mea patria laus tua vieta iacet? di melius ! validoque, precor, vibrata lacerto transeat Hectoreum Pelias hasta latus ! mittite me, Danai! dominum legata rogabo multaque mandatis oscula mixta feram. plus ego quam Phoenix, plus quam facundus Ulixes, plus ego quam Teucri, crédité, frater agam. est aliquid, collum solitis tetigisse lacertis praesentisque oculos admonuisse sui. sis licet inmitis matrisque ferocior undis, ut taceam, lacrimis conminuere meis. nunc quoque - sic omnes Peleus pater inpleat annos, sic eat auspiciis Pyrrhus ad arma tuis! respice sollicitam Briseida, fortis Achille, nec miseram lenta ferreus ure mora! aut, si versus amor tuus est in taedia nostri, quam sine te cogis vivere, coge mori! utque facis, coges, abiit corpusque colorque; sustinet hoc animae spes tamen una tui. qua si destituor, repetam fratresque virumque nec tibi magnificum femina iussa mori, cur autem iubeas? stricto pete corpora ferro; est mihi qui fosso pectore sanguis eat. me petat ille tuus, qui, si dea passa fuisset, ensis in Atridae pectus iturus erat!

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B r i s e i s an A c h i l l e s

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Sagte ich jetzt zu dir: « D u Tapferster, schwöre auch du mir, daß ohne mich du nicht Lust hattest!» so sagtest du nein. D o c h die Danaer glauben, du trauerst - du zupfst nur die Saiten, eine Freundin drückt weich dich an die wärmende Brust. Wenn überhaupt jemand fragt, warum du zu kämpfen dich weigerst: K a m p f ist gefährlich, doch N a c h t , Laute und Liebe ist schön. Sicherer ist es, du liegst auf dem Bett, umarmst die Geliebte, rührst mit den Fingern dabei thracische Saiten zum Klang, als einen Schild zu tragen und Lanzen mit schneidendem Speerblatt und einen H e l m auf dem Kopf, welcher das H a a r dir zerdrückt. Sonst gefielen statt sicherem Leben dir heldische Taten; süß erschien dir der R u h m , den du im Kriege erwarbst. O d e r gefielen dir wilde Kriege nur, bis du mich raubtest? Mit meiner Vaterstadt war's mit deinem Ehrgeiz vorbei? G o t t bewahre! Von starkem Arme, so bet ich, geschleudert mitten durch H e c t o r s Leib fahre der pelische Speer. Danaer, schickt doch mich! Ich bitte den Herrn als Gesandte, bringe, zum Auftrag gemischt, zahlreiche Küsse ihm mit. M e h r als Phoenix und mehr als selbst der beredte Ulixes, mehr als der Bruder - glaubt mir's! - Teucers erreiche ich dann. Viel bedeutet's, wenn die gewohnten A r m e den N a c k e n umschlingen, wenn man Auge in Aug sich in Erinnerung ruft. Magst du so grausam, noch wilder gar sein als die Wellen der Mutter, selbst wenn ich schweige, du wirst von meinen Tränen gerührt. A b e r auch so - dann lebe dein Vater Peleus noch lange, ziehe Pyrrhus dann auch glücklich wie du in den Krieg! kümmre dich um die besorgte Briseis, tapfrer Achilles, quäle mich A r m e nicht mehr, warte nicht länger voll Trotz! Oder, hat deine Liebe zu mir sich in Ekel gewandelt, die du zu leben zwingst ohne dich, zwinge zum Tod ! Bleibst du so, zwingst du mich. H i n ist mein Leib und hin meine Farbe; einzig die Hoffnung auf dich hält mich am Leben noch schwach. Wird mir auch die noch genommen, dann folg ich den Brüdern, dem Gatten Keine Heldentat ist's, treibst du ein Weib in den Tod! D o c h warum treiben? Zücke die Klinge, mich niederzustechen! Blut hab ich noch, daß es strömt, wenn du die Brust mir durchbohrst. Richte dein Schwert auf mich, das, hätt es die G ö t t i n gestattet, in des Atriden Brust wäre gedrungen beinah!

Epistula III

a, potius serves nostrani, tua muñera, vitam! quod dederas hosti victor, arnica rogo, perdere quos melius possis, Neptunia praebent Pergama; materiam caedis ab hoste pete, me modo, sive paras inpellere remige classem, sive manes, domini iure venire iube!

B r i s e i s an A c h i l l e s Ach, viel eher rette mein Leben, es war deine G a b e ! Was du der Feindin beim Sieg gabst, will als Freundin ich jetzt. Die, die es besser war zu vernichten, bietet Neptuns Stadt Pergama dar; beim Feind such deine Opfer dir aus ! Mich nur - sei's daß du vorhast, die Ruderflotte zu starten, sei's daß du bleibst, - ruf herbei; das ist das Recht eines Herrn.

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IV PHAEDRA

HIPPOLYTO

Q u a m nisi tu dederis, caritura est ipsa, salutem mittit Amazonio Cressa puella viro, perlege, quodcumque est - quid epistula lecta nocebit te quoque in hac aliquid quod iuvet esse potest; his arcana notis terra pelagoque feruntur. inspicit acceptas hostis ab hoste notas, ter tecum conata loqui ter inutilis haesit lingua, ter in primo destitit ore sonus. qua licet et sequitur, pudor est miscendus amori; dicere quae puduit, scribere iussit Amor, quidquid A m o r iussit, non est contemnere tutum; regnat et in dominos ius habet ille deos. ille mihi primo dubitanti scribere dixit: «scribe! dabit victas ferreus ille manus.» adsit et, ut nostras avido fovet igne medullas, figat sic ánimos in mea vota tuos! non ego nequitia socialia foedera rumpam; fama - velim quaeras - crimine nostra vacat. venit amor gravius, quo serius - urimur intus; urimur et caecum pectora vulnus habent. scilicet ut teneros laedunt iuga prima iuvencos frenaque vix patitur de grege captus equus, sic male vixque subit primos rude pectus amores sarcinaque haec animo non sedet apta meo. ars fit, ubi a teneris crimen condiscitur annis; cui venit exacto tempore, peius amat. tu nova servatae carpes libamina famae et pariter nostrum fiet uterque nocens. est aliquid, plenis pomaria carpere ramis et tenui primam deligere ungue rosam. si tamen ille prior, quo me sine crimine gessi, candor ab insolita labe notandus erat, at bene successit, digno quod adurimur igni; peius adulterio turpis adulter obest.

BRIEF 4 PHAEDRA AN HIPPOLYTUS Wenn du das Glück nicht gewährst, entbehrt sie's, das Mädchen aus Creta, dir Amazonensohn wünscht sie es mit diesem Brief. Lies nur, was es auch ist - was schadet das Lesen des Briefes? Etwas, was dich auch erfreut, könnte vielleicht darin stehn. Briefe bringen Geheimnisse hin über Länder und Meere. Auch ein Feind liest den Brief, den er vom Feinde bekam. Dreimal versuchte ich mit dir zu reden, doch wortlos versagte dreimal die Zunge, dreimal stockte das Wort zu Beginn. Wo man es kann und sich's gibt, soll Scham sich zur Liebe gesellen. Was ich verschwieg aus Scham - Amor befahl mir: Schreib's auf! Was auch Amor befahl, empfiehlt es sich nicht zu mißachten. Er ist der Herr, er beherrscht Götter, die Herren der Welt. Er sprach zu mir, als ich anfangs zu schreiben noch säumte: «Schreib! Auch der Eiserne reicht bald dir besiegt seine Hand.» Steh er mir bei! Wie mein Mark er erhitzt mit gierigem Feuer, so durchbohr' er dein Herz, daß meinem Wunsch es sich fügt. Nicht aus Verderbtheit will ich die Bande der Ehe zerreißen, denn mein Ruf - frag nur nach! - ist nicht von Lastern beschmutzt. Liebe befiel mich, je später, je schlimmer, ich brenne zuinnerst, brenne, doch bleibt in der Brust heimlich die Wunde bewahrt. So wie das erste Joch die jungen Stiere verwundet, wie sich das Pferd dem Zaum, frisch aus der Koppel, kaum fügt, so erträgt mühsam mein Herz, das nie geliebt, erstmals die Liebe, doch dieses Bündel sitzt schlecht auf meiner Seele als Last. Kunst wird's, wenn man in zarten Jahren in Lastern sich einübt; kommt man erst spät dazu, liebt man mit weniger Glück. Du wirst das erste Opfer behüteter Ehre genießen, und in gleichem Maß sündigt ein jeder von uns. Schön ist's, wenn man die Früchte sich pflückt von üppigen Zweigen, wenn man mit zarter Hand früheste Rosen sich bricht! Wenn schon die Reinheit, in der ich bisher ohne Fehltritt stets lebte, von einem Fleck, wie ich's nie kannte, besudelt sein muß, ist's doch ein Glück, daß die Liebesglut einem würdigen Mann gilt. Schlimmer ist Ehebruch, übt ihn ein Schändlicher aus.

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E p i s t u l a IV

si mihi concédât I u n o f r a t r e m q u e v i r u m q u e ,

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H i p p o l y t u m v i d e o r praepositura I o v i ! iam q u o q u e - v i x credes - ignotas m u t o r in artes; est mihi per saevas impetus ire feras, iam mihi p r i m a dea est arcu praesignis a d u n c o D e l i a ; iudicium s u b s e q u o r ipsa tuum.

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in nemus ire libet pressisque in retia cervis hortari celeris p e r iuga s u m m a canes, aut t r e m u l u m excusso iaculum vibrare lacerto, aut in gramínea p o n e r e corpus h u m o , saepe iuvat versare leves in pulvere currus

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torquentem frenis ora fugacis equi; nunc feror, ut B a c c h i furiis Eleleides actae, q u a e q u e sub Idaeo t y m p a n a colle m o v e n t aut quas semideae D r y a d e s F a u n i q u e bicornes numine contactas attonuere suo. n a m q u e mihi referunt, c u m se f u r o r ille remisit, omnia; m e tacitam conscius urit a m o r , forsitan hunc generis fato reddamus a m o r e m et Venus ex tota gente tributa petat. Iuppiter E u r o p e n - prima est ea gentis o r i g o dilexit, tauro dissimulante d e u m . Pasiphae mater, decepto subdita tauro, enixa est utero crimen o n u s q u e suo.

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p e r f i d u s A e g i d e s , ducentia fila secutus, c u r v a meae f u g i t tecta sororis ope. en, ego nunc, ne f o r t e p a r u m M i n o ï a credar, in socias leges ultima gentis eo! h o c q u o q u e fatale est: placuit d o m u s una d u a b u s ; me tua f o r m a capit, capta parente soror. Thesides T h e s e u s q u e duas rapuere sorores -

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ponite de nostra bina tropaea d o m o ! t e m p o r e q u o nobis inita est Cerealis Eleusin, G n o s i a me vellem detinuisset h u m u s ! tunc mihi praecipue, nec n o n tamen ante, placebas; acer in extremis ossibus haesit amor. candida vestis erat, praecincti f l o r e capilli, flava verecundus tinxerat ora rubor,

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P h a e d r a an H i p p o l y t u s

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Würde mir Juno sogar den Bruder und Mann überlassen, zog ich Hippolytus wohl doch noch dem Jupiter vor. Schon auch - du glaubst es kaum - seh ich mich um nach neuen Gebieten, habe plötzlich den Drang, Raubtiere vor mir zu sehn. Schon ist die Delierin mir mit dem krummen Bogen die liebste Göttin, und deinem Geschmack schließ ich mich selber nun an. In den Wald geh ich gern, und um Hirsche in Netze zu treiben, hetz ich durchs hohe Gebirg Hunde in hurtigem Lauf, schleudere gern mit gespanntem Arm den zitternden Wurfspieß, oder ich lege zur Ruh mich auf den Boden ins Gras. Oft macht's mir Spaß, den leichten Wagen im Sande zu wenden und des eiligen Pferds Haupt mit dem Zaume zu drehn. Bald wieder treibt's mich wie Eleleïden in bacchischem Schwärmen, bald wie an Idas Gebirg trommelt der weibische Mann, bald als hätten gottgleiche Dryaden und Faune, gehörnte, mit ihrem Geist uns berührt und uns zu Göttern entrückt. Denn das erzählt man mir, wenn ich aus der Verzückung erwache, alles; im Stillen verzehrt Liebe mich, die davon weiß. Diese Liebe schulde ich wohl dem Geschick meiner Sippe, von meinem ganzen Geschlecht fordert wohl Venus Tribut. Jupiter liebte Europa; da nahm mein Geschlecht seinen Ursprung, als eines Stieres Gestalt damals die Gottheit verbarg. Pasiphaë, meine Mutter, gepaart mit dem Stier, den sie täuschte, preßte aus ihrem Bauch jenes verfluchte Geschöpf. Aegeus' treuloser Sohn, geführt vom leitenden Faden dank meiner Schwester, entkam aus dem verwinkelten Haus. Siehe, auch ich, um selbst als Tochter des Minos zu gelten, trete als letzte nun ein in meiner Sippe Gesetz. Schicksalshaft ist auch dies, daß ein Haus zwei Schwestern betörte; ich bin von deiner Gestalt, sie war vom Vater entzückt. Theseus und Theseus' Sohn, sie haben zwei Schwestern erbeutet. Stellt für den Sieg über uns doch ein Trophäenpaar auf! Als ich damals der Ceres Stadt Eleusin besuchte hätte das gnosische Land mich doch gehindert zu gehn! damals gefielst du mir, wenn auch schon lange zuvor, ganz besonders; heftige Liebe befiel mich bis ins innerste Mark. Weiß war damals dein Gewand, das Haar mit Blumen umwunden, und ein schüchternes Rot färbte dein braunes Gesicht.



Epistula

IV

quemque vocant aliae vultum rigidumque trucemque, pro rigido Phaedra iudice fortis erat, sint procul a nobis iuvenes ut femina compti! fine coli modico forma virilis amat. te tuus iste rigor positique sine arte capilli et levis egregio pulvis in ore decet. sive ferocis equi luctantia colla recurvas, exiguo flexos miror in orbe pedes; seu lentum valido torques hastile lacerto, ora ferox in se versa lacertus habet, sive tenes lato venabula cornea ferro: denique nostra iuvat lumina, quidquid agis, tu m o d o duritiam silvis depone iugosis; non sum duritia digna perire tua. quid iuvat incinctae studia exercere Dianae et Veneri numéros eripuisse suos ? quod caret alterna requie, durabile non est; haec reparat vires fessaque membra novat. arcus - et arma tuae tibi sunt imitanda Dianae si numquam cesses tendere, mollis erit. clarus erat silvis Cephalus multaeque per herbas conciderant ilio percutiente ferae; nec tarnen A u r o r a e male se praebebat amandum. ibat ad hune sapiens a sene diva viro, saepe sub ilicibus Venerem C i n y r a q u e creatum sustinuit positos quaelibet herba duos, arsit et Oenides in Maenalia Atalanta; illa ferae spolium pignus amoris habet. nos quoque quam primum turba numeremur in ista! si Venerem tollas, rustica silva tua est. ipsa comes veniam, nec me latebrosa movebunt saxa neque obliquo dente timendus aper. aequora bina suis obpugnant fluctibus Isthmon et tenuis tellus audit utrumque mare, hie tecum Troezena colam, Pittheïa regna; iam nunc est patria carior illa mea. tempore abest aberitque diu Neptunius heros; illum Pirithoi detinet ora sui.

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Deine Miene, trotzig und streng bezeichnen sie andre, war, wenn du Phaedra fragst, tapfer und keineswegs streng. Ferne seien mir junge Männer geschmückt wie die Frauen! Männliche Schönheit verlangt, daß man sie maßvoll nur pflegt. D i r aber steht jene Strenge, die kunstlos fallenden Haare und der leichte Staub auf deinem schönen Gesicht. Wenn du des feurigen Pferdes sich sträubenden Nacken herumbiegst, wundre ich mich, wie's im Kreis eng mit den Füßen sich dreht, wenn mit kraftvollem A r m die biegsame Lanze du schleuderst, zieht der kräftige A r m gleich meine Blicke auf sich, wenn du den Jagdspieß aus Hartholz hältst mit dem eisernen Speerblatt kurz, mein Auge erfreut alles, was immer du tust. Laß deine harte Gesinnung zurück in gebirgigen Wäldern! D a ß mich dein harter Sinn umbringt, verdiene ich nicht. In der geschürzten Diana Stapfen zu treten, was freut's dich, und der Venus den Rang streitig zu machen dabei ? Was nicht zuweilen auch Ruhe sich gönnt, das ist nicht von Dauer; sie erneuert die Kraft, stärkt, sind die Glieder erschöpft. Auch in den Waffen sei dir Diana ein Vorbild - der Bogen, wenn du ihn niemals aufhörst zu spannen, wird schlaff. Cephalus war berühmt in den Wäldern und zahllose Tiere stürzten getroffen ins Gras von seinen Pfeilen durchbohrt. D e n n o c h behagte es ihm nicht schlecht, daß Aurora ihn liebte, klug schlich die G ö t t i n zu ihm von ihrem greisen Gemahl. O f t lag Venus unter den Eichen mit Cinyras' Sprößling, beide, w o immer es ging, waren gebettet ins Gras. O e n e u s ' Sohn war verliebt ins maenalische Kind Atalanta, und das erlegte Tier nahm sie als Liebespfand an. A u c h wir wollen recht bald zu dieser Gesellschaft uns zählen. Wiesest du Venus aus, wäre dein Wald ohne Reiz. Ich k o m m selber mit dir, mich schrecken nicht Felsen noch H ö h l e n noch der Eber, der droht mit seinem krummen Gewehr. Mit ihren Fluten schlagen zwei Meere zugleich an den Isthmos; beiderseits hört man das M e e r auf einem schmalen Streif Land. H i e r will Troezen ich mit dir, das Reich des Pittheus, bewohnen; lieber ist mir dies Land als meine Heimat schon jetzt. Neptuns heldischer Sohn ist fort und wird's lange noch bleiben, seines Pirithous' Strand hält ihn noch lange zurück.

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E p i s t u l a IV

praeposuit Theseus - nisi si manifesta negemus Pirithoum Phaedrae Pirithoumque tibi, sola nec haec ad nos iniuria venit ab ilio; in magnis laesi rebus uterque sumus. ossa mei fratris clava perfracta trinodi sparsit humi; soror est praeda relicta feris. prima securigeras inter virtute puellas te peperit, nati digna vigore parens; si quaeras, ubi sit - Theseus latus ense peregit nec tanto mater pignore tuta fuit, at ne nupta quidem taedaque accepta iugali cur, nisi ne caperes regna paterna nothus? addidit et fratres ex me tibi, quos tamen omnis n o n ego tollendi causa, sed ille fuit. 0 utinam nocitura tibi, pulcherrime rerum, in medio nisu viscera rupta forent! 1 nunc et meriti lectum reverere parentis, quem fugit et factis abdicat ipse suis! nec, quia privigno videar coitura noverca, terruerint ánimos nomina vana tuos. ista vetus pietas, aevo moritura futuro, rustica Saturno regna tenente fuit. Iuppiter esse pium statuit, q u o d c u m q u e iuvaret et fas o m n e facit fratre marita soror. illa coit firma generis iunctura catena, inposuit nodos cui Venus ipsa suos. nec labor est celare, licet peccemus, amorem; cognato poterit nomine culpa tegi. viderit amplexos aliquis, laudabimur ambo; dicar privigno fida noverca meo. n o n tibi per tenebras duri reseranda mariti ianua, non custos decipiendus erit; ut tenuit d o m u s una duos, d o m u s una tenebit; oscula aperta dabas, oscula aperta dabis; tutus eris mecum laudemque merebere culpa, tu licet in lecto conspiciare meo. tolle moras t a n t u m properataque foedera iunge qui mihi nunc saevit, sic tibi parcat A m o r !

P h a e d r a an

Hippolytus

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Theseus zieht - man müßte ja blind sein, dieses zu leugnen Phaedra Pirithous vor, dir den Pirithous vor. Dies ist nicht das einzige Unrecht, das er uns antat; nicht gering ist die Schuld, welche uns beide gekränkt, brach mit dreiknotiger Keule er doch meinem Bruder die K n o c h e n , streute sie ringsum und ließ Tieren die Schwester zum Fraß. Von der tapfersten unter den Äxte schwingenden Mädchen stammst du; des kraftvollen Sohns würdig war, die dich gebar. Fragtest du, w o die denn ist - in die Brust stieß ihr Theseus die Klinge; nicht einmal solch ein Pfand bot seiner Mutter ja Schutz. D o c h auch vermählt war sie nicht, empfing nicht die Weihen der Ehe, wohl daß des Vaters Reich ja nicht als Bastard du erbst! Brüder bekamst du durch ihn geschenkt von mir; diese alle wurden von ihm anerkannt; schuld war nicht ich, sondern er. Wären doch deinen künftigen Feinden, du Schönster der Menschheit, gleich bei ihrer G e b u r t ihre Gedärme geplatzt! G e h nun und ehre das Bett deines Vaters, wie er's verdiente, welches er selber verschmäht, dem in der Tat er entsagt! Stellst du dir vor, mit dem Stiefsohn wolle die Stiefmutter schlafen laß dich nicht schrecken davon, hohle Begriffe sind das! Abergläubische Scheu, die abstirbt in künftigen Zeiten, galt noch zur Zeit des Saturn in jener bäurischen Welt. Jupiter aber erklärte für heilig, was Freude uns bringe; alles erhebt sie zum Recht, sie, die dem Bruder vermählt. D a n n wächst das Band der Geschlechter in fester Verkettung zusammen, wenn dafür Venus selbst fest ihre K n o t e n geknüpft. Leicht ist es, sollte es Sünde sein, zu verbergen die Liebe; mit der Verwandtschaft Schein läßt sich verdecken die Schuld. Sieht jemand unsre Umarmung, wird man uns beide nur loben; Welch gute Stiefmutter, heißt's, ich meinem Stiefsohn nur bin! N i c h t erst im Dunkeln mußt du entriegeln die T ü r eines strengen Gatten; kein Wächter ist da, den du zu täuschen erst brauchst. Wie wir zusammen ein Haus bewohnten, wird's weiterhin bleiben. O f f e n küßtest du mich, offen küßt weiter du mich. Sicher bleibst du mit mir, mit der Schuld wirst du L o b noch verdienen, mag man in meinem Bett dich gar erblicken bei mir. G i b deine H e m m u n g nur auf und beeil dich, den Bund zu vollziehen! So wie er gegen mich tobt, sei dir nun A m o r geneigt!

Epistula

IV

non ego dedignor supplex humilisque precari. heu! ubi nunc fastus altaque verba? iacent! et pugnare diu nec me submittere culpae certa fui - certi siquid haberet amor; vieta precor genibusque tuis regalia tendo bracchia! quid deceat, non videt ullus amans, depuduit profugusque pudor sua signa reliquit. da veniam fassae duraque corda doma! quod mihi sit genitor, qui possidet aequora, Minos, quod veniant proavi fulmina torta manu, quod sit avus radiis frontem vallatus acutis, purpureo tepidum qui movet axe diem nobilitas sub amore iacet! miserere priorum et, mihi si non vis parcere, parce meis! est mihi dotalis tellus Iovis insula, Crete serviat H i p p o l y t o regia tota meo! flecte, ferox, ánimos! potuit corrumpere taurum mater; eris tauro saevior ipse truci ? per Venerem, parcas, oro, quae plurima mecum est! sic numquam, quae te spernere possit, ames; sic tibi secretis agilis dea saltibus adsit silvaque perdendas praebeat alta feras; sic faveant Satyri montanaque numina Panes et cadat adversa cuspide fossus aper; sic tibi dent N y m p h a e , quamvis odisse puellas diceris, arentem quae levet unda sitim! addimus his precibus lacrimas quoque; verba precantis perlegis; et lacrimas finge videre meas!

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Ich verschmähe es nicht, in D e m u t auf Knien zu bitten. W e h ! Wo ist nun mein Stolz, w o große Worte? D a h i n ! Lange zu kämpfen und der Versuchung nicht zu erliegen, war mein Entschluß. Entschluß? - Liebe hat hier keine Macht. Ich bin besiegt, strecke flehend die fürstlichen Arme zu deinen Knien hin. Was sich ziemt, achtet ein Liebender nicht. Schamlos die Scham - die Scham hat mich fahnenflüchtig verlassen. Mein Geständnis verzeih! Zähme dein hartes G e m ü t ! Ist mein Vater auch Minos, der Herrscher über die Meere, fliegt auch geschleudert der Blitz aus des Urgroßvaters Hand, ist des Urgroßvaters Stirn auch umkränzt von blitzenden Strahlen, wenn er den milden Tag antreibt im Purpurgespann Liebe besiegt die adlige Herkunft. E r b a r m dich der Ahnen, und wenn du nicht mich schonen willst, schone dann sie! Crete hab ich als Mitgift, das Land ist Jupiters Insel; meinem Hippolytus diene mein Hofstaat nun ganz! Beuge, du Wilder, den Sinn! Einen Stier betörte die Mutter. Willst du trotziger noch sein als ein grimmiger Stier? Bitte, sei gnädig, bei Venus, welche mir alles bedeutet! D a n n seist du niemals verschmäht, bist du in eine verliebt; dann steh die flinke G ö t t i n dir bei im verschwiegenen Talgrund, gebe der hohe Wald frei dir zum A b s c h u ß das Wild, seien dir Satyrn geneigt und Pane, die G ö t t e r der Berge, falle der E b e r durchbohrt, wenn ihn die Speerspitze traf, reiche der N y m p h e n Schar dann, o b s c h o n du die Mädchen, so sagt man, hassest, Wasser dir dar, lösche den brennenden D u r s t ! Zu diesen Bitten gesellen sich Tränen; der Bittenden Worte liest du nun. Stell dir auch vor, daß meine Tränen du siehst!

ν Ο Ε Ν Ο Ν Ε

PARIDI

[Nympha suo Paridi, quamvis suus esse recuset, mittit ab Idaeis verba legenda iugis.] Perlegis? an coniunx prohibet nova? perlege - non est ista Mycenaea littera facta manu! Pegasis Oenone, Phrygiis celeberrima silvis, laesa queror de te, si sinis, ipsa meo. quis deus opposuit nostris sua numina votis? ne tua permaneam, quod mihi crimen obest? leniter, ex merito quidquid patiare, ferendum est; quae venit indigno poena, dolenda venit. nondum tantus eras, cum te contenta marito edita de magno ilumine nympha fui. qui nunc Priamides - absit reverenda vero! servus eras; servo nubere nympha tuli! saepe greges inter requievimus arbore tecti mixtaque cum foliis praebuit herba torum; saepe super stramen faenoque iacentibus alto defensa est humili cana pruina casa, quis tibi monstrabat saltus venatibus aptos, et tegeret catulos qua fera rupe suos ? retia saepe comes maculis distincta tetendi; saepe citos egi per iuga longa canes, incisae servant a te mea nomina fagi et legor OENONE falce notata tua, et quantum tranci, tantum mea nomina crescunt. crescite et in títulos surgite recta meos ! populus est, memini, pluviali consita rivo, est in qua nostri littera scripta memor. popule, vive, precor, quae consita margine ripae hoc in rugoso cortice carmen habes: « C U M PARIS O E N O N E POTERIT SPIRARE RELICTA, AD F O N T E M X A N T H I VERSA R E C U R R E T A Q U A . »

Xanthe, retro propera versaeque recurri te lymphae! sustinet Oenonen deseruisse Paris.

BRIEF OENONE

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5 PARIS

[Ihrem Paris, auch wenn er sich weigert, der Ihre zu heißen, sendet die Nymphe den Brief, hoch aus des Idas Gebirg.] Liest du das? Oder verbietet's die neue Gattin? Ach, lies nur! Nicht von mycenischer Hand wurde der Brief hier verfaßt. Ich, Oenone aus Pegasa, ruhmreich in Phrygiens Wäldern, klage gekränkt über dich, denn, mit Verlaub, du bist mein. Welcher Gott stand meinen Wünschen machtvoll entgegen? Was denn wirft man mir vor, daß ich die Deine nicht bleib ? Was man erleidet zu Recht, das hat man gelassen zu tragen; doch die Strafe ist schwer, welche zu Unrecht uns trifft. Unberühmt warst du noch, als ich mit dir mich als Gatten begnügte, ich, eine Nymphe, die stammt von einem mächtigen Strom. Du, jetzt Priamus' Sohn, - man sollte die Wahrheit nicht scheuen! warst ein Knecht; einen Knecht nahm ich als Nymphe zum Mann! Neben der Herde ruhten wir oft im Schatten der Bäume, Blätter und Gras vermengt boten ein Lager uns dar. Oft auch, wenn wir auf Stroh und tief ins Heu uns gebettet, schützte vor weißem Reif uns ein bescheidener Stall. Wer war's, der die zum Jagen geeigneten Gründe dir zeigte, wo seine Jungen das Wild unter dem Felsen verbarg? Oftmals half ich dir, weitmaschige Netze zu spannen, hetzte die hurtigen Hunde durchs weite Gebirg. Eingeschnitten bewahren die Buchen von dir meinen Namen, und OENONE heißt's da, von deinem Messer geritzt. Wie die Bäume wachsen, so wachsen auch mit meine Namen. Wachst nur, reckt euch empor, aufrecht, und dient meinem Ruhm! Eine Pappel, ich weiß noch, am Regenbache gewachsen, weist eine Inschrift auf, welche uns beide erwähnt. Lebe du, Pappel, nur fort, an der Uferböschung gewachsen, welche auf rissigem Stamm folgende Verse du trägst: « W I R D E I N S T P A R I S O E N O N E VERLASSEN UND L Ä N G E R N O C H A T M E N , K E H R T DES X A N T H U S S T R O M W I E D E R ZUR Q U E L L E Z U R Ü C K . »

Xanthus, kehre zurück, ihr Wasser, kehrt euren Lauf um! Paris bringt's übers Herz, läßt die Oenone im Stich!

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Epistula V

illa dies fatum miserae mihi dixit, ab illa pessima mutati coepit amoris hiems, qua Venus et I u n o sumptisque decentior armis venit in arbitrium nuda Minerva tuum. attoniti micuere sinus gelidusque cucurrit, ut mihi narrasti, dura per ossa tremor, consului - ñeque enim modice terrebar - añusque longaevosque senes, constitit esse nefas. caesa abies sectaeque trabes et classe parata caerula ceratas accipit unda rates, flesti discedens - hoc saltim parce negare! praeterito magis est iste p u d e n d u s amor, et flesti et nostros vidisti flentis ocellos. miscuimus lacrimas maestus uterque suas; n o n sic adpositis vincitur vitibus ulmus, ut tua sunt collo bracchia nexa meo. a, quotiens, cum te vento quererere teneri, riserunt comités - ille secundus erat! oscula dimissae quotiens repetita dedisti! q u a m vix sustinuit dicere lingua «vale»! aura levis rigido pendentia lintea malo suscitât et remis eruta canet aqua, prosequor infelix oculis abeuntia vela, qua licet, et lacrimis umet harena meis, u t q u e celer venias, virides Nereidas oro scilicet ut venias in mea damna celer! votis ergo meis alii rediture redisti? ei mihi, p r o dira paelice blanda fui! adspicit inmensum moles nativa p r o f u n d u m mons fuit; aequoreis illa resistit aquis. hinc ego vela tuae cognovi prima carinae et mihi per fluctus impetus ire fuit, d u m moror, in summa fulsit mihi p u r p u r a prora pertimui; cultus n o n erat ille tuus. fit p r o p i o r terrasque cita ratis attigit aura; femíneas vidi corde tremente genas, non satis id fuerat, - quid enim furiosa morabar? haerebat gremio turpis amica tuo!

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Jener Zeitpunkt verkündete, ach, mir mein Schicksal, und damals brach über unser Glück grausam der Winter herein: Venus und Juno kamen und - mit ihren Waffen zwar schöner nackt Minerva daher, stellten sich deinem Gericht. Voll Entsetzen wogte mein Busen, ein eisiger Schauer lief mir durch Mark und Bein damals bei deinem Bericht. Greisinnen fragte ich aus, denn nicht gering war mein Schrecken, uralte Männer dazu. Frevelhaft war's, das stand fest. Fichten schlug man, schnitt Balken, die Flotte wurde gerüstet, Schiffe, gedichtet mit Pech, fuhren aufs tiefblaue Meer. Bei deinem Abschied weintest du - leugne wenigstens das nicht! Peinlicher ist doch für dich jetzt deine Liebe als einst. Ja, du weintest und sahst meine Augen mit Tränen sich füllen. Traurig vermengten wir zwei unsere Tränen voll Schmerz. So wird die Ulme nicht von rankenden Reben umschlungen, wie um meinen Hals du deine Arme mir schlangst. Ach, wie oft, wenn du klagtest, du werdest vom Winde behindert, lachte der Freunde Schar - günstig für mich war der Wind! Wie oft kamst du zurück nach dem Abschied, um mich zu küssen! Mühsam, sie konnte es kaum, sagte die Zunge «Ade!» Leichte Brise läßt am starren Schiffsmast die Segel flattern und weißer Gischt schäumt von der Ruderer Schlag. Mit den Augen verfolg ich betrübt die verschwindenden Segel, wie ich nur kann, und benetzt ist von den Tränen der Sand. Daß du rasch kommst, darum bitt ich die grünen Töchter des Nereus, ja, daß du rasch wieder kommst, daß du ins Elend mich stößt! Auf meine Bitten kamst du zurück, einer andern zuliebe? Weh mir, ich hatte Erfolg für dieses schändliche Weib! Uber die endlose Tiefe blickt ein urhafter Felsklotz, eher ein Berg, der sich stemmt gegen die salzige Flut. Von hier oben sah ich zuerst nur die Segel des Schiffes, und ich hatte den Drang, über das Wasser zu gehn. Wie ich noch warte, sehe ich Purpur am Heck oben leuchten ich erschrecke zutiefst, denn das war sonst nicht dein Stil. Näher kam das Gefährt, fuhr an Land bei munterer Brise; bebenden Herzens sah ich das Gesicht einer Frau. Doch das war noch nicht genug - was harrte ich aus wie von Sinnen? zärtlich auf deinem Schoß saß eine Freundin, o Schmach!

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Epistula V

tunc vero rupique sinus et pectora planxi et secui madidas ungue rigente genas inplevique sacram querulis ululatibus Iden; illuc has lacrimas in mea saxa tuli, sic Helene doleat desertaque coniuge ploret, quaeque prior nobis intulit, ipsa ferat! nunc tibi conveniunt, quae te per aperta sequantur aequora legítimos destituantque viros; at cum pauper eras armentaque pastor agebas, nulla nisi Oenone pauperis u x o r erat. non ego miror opes nec me tua regia tangit nec de tot Priami dicar ut una nurus non tarnen ut Priamus nymphae socer esse recuset aut Hecubae fuerim dissimulanda nurus; dignaque sum regis fieri matrona potentis; sunt mihi, quas possint sceptra decere, manus. nec me, faginea quod tecum fronde iacebam, despice; purpureo sum magis apta toro, denique tutus amor meus est; tibi nulla parantur bella nec ultrices advehit unda rates. Tyndaris infestis fugitiva reposcitur armis; hac venit in thalamos dote superba tuos. quae si sit Danais reddenda, vel Hectora fratrem vel cum D e ï p h o b o Polydamanta roga; quid gravis Antenor, Priamus quid suadeat ipse, consule, quis aetas longa magistra fuit! turpe rudimentum, patriae praeponere raptam. causa pudenda tua est; iusta vir arma movet. nec tibi, si sapias, fidam promitte Lacaenam, quae sit in amplexus tarn cito versa tuos. ut minor Atrides temerati foedera lecti clamai et externo laesus amore dolet, tu quoque clamabis. nulla reparabilis arte laesa pudicitia est; deperit ilia semel, ardet amore tui? sic et Menelaon amavit. nunc iacet in viduo credulus ille toro, felix A n d r o m a c h e certo bene nupta marito! uxor ad exemplum fratris habenda fui;

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D a aber riß ich mein Kleid entzwei und schlug meine Brüste, schnitt mit den Nägeln mich scharf in das verweinte Gesicht und erfüllte mit Klagen und Heulen den heiligen Ide; dorthin, in mein Gebirg, trug meine Tränen ich hin. So soll Helene leiden und weinen, vom Gatten verlassen! Was sie mir antat zuvor, leide sie selber dann einst! N u n sind Frauen dir recht, die über die Weite der See dir folgen, den M a n n im Stich lassen, der's rechtmäßig ist. D o c h als du, arm noch, als Hirte die Herden triebst auf die Weide, hattest O e n o n e du nur in deiner Armut zur Frau. Schätze bewundre ich nicht noch macht mir dein Königshaus Eindruck, möchte an Priamus' H o f eine der vielen nicht sein. N i c h t daß sich Priamus wehrte, die N y m p h e als Braut zu empfangen, Hecuba müßte sich auch meiner nicht schämen als Braut, bin ich doch würdig, die Frau eines mächtigen Fürsten zu werden, auch ein Szepter läßt wohl in meinen Händen sich sehn. U n d verachte mich nicht, weil mit dir ich auf Buchenlaub ruhte, passen würde zu mir eher ein purpurnes Bett. Schließlich ist meine Liebe gefahrlos für dich: Keine Kriege drohen noch führt das Meer rächende Schiffe heran. Tyndareus' flüchtige Tochter verlangt man mit feindlichen Waffen mit solcher Mitgift k o m m t dir diese Prachtsfrau ins H a u s ! O b du den Danaern die wieder geben sollst? - Hector, den Bruder, frage, Deiphobus frag oder Polydamas an ! Was der ernste A n t e n o r rät, was Priamus selber, frag sie: Das Leben war ja lang ihre Lehrmeisterin! Schändliches Musterstück - statt der Heimat eine G e r a u b t e ! Schämen solltest du dich; rechtmäßig rüstet ihr Mann. Hast du Verstand, so versprich dir nicht von der Laconerin Treue, wenn sie untreu so schnell dir in die A r m e sich warf. Wie des Atreus jüngerer Sohn, daß der Ehbund geschändet, klagt und sich härmt, daß ein Gast ihn mit der Liebe gekränkt, so klagst auch du einst. Mit keiner Kunst kann man Scham je erneuern, ist sie einmal verletzt. Einmal verliert man sie nur. H e i ß ist in dich sie verliebt; so liebte sie auch Menelaus. Auf dem verwaisten Bett liegt, der so leichtgläubig war. Glücklich Andromache, glücklich vermählt einem treuen Gemahle! So wie der Bruder es war, mußtest als Gatte du sein.

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tu levior foliis, tum cum sine pondere suci mobilibus ventis arida facta volant; et minus est in te quam summa pondus arista, quae levis adsiduis solibus usta riget. hoc tua - nam recolo - quondam germana canebat, sic mihi diffusis vaticinata comis: «quid facis, Oenone ? quid harenae semina mandas ? non profecturis litora bubus aras. Graia iuvenca venit, quae te patriamque d o m u m q u e perdati io prohibe! Graia iuvenca venit! dum licet, obscenam ponto demergite puppim! heu! quantum Phrygii sanguinis illa vehit!» vox erat in cursu, famulae rapuere furentem; at mihi flaventes diriguere comae, a, nimium miserae vates mihi vera fuisti possidet, en, saltus Graia iuvenca meos! sit facie quamvis insignis, adultera certe est; deseruit socios hospite capta deos. illam de patria Theseus - nisi nomine fallor nescio quis Theseus abstulit ante sua. a iuvene et cupido credatur reddita virgo ? unde hoc conpererim tam bene, quaeris? amo. vim licet adpelles et culpam nomine veles; quae totiens rapta est, praebuit ipsa rapi, at manet Oenone fallenti casta marito et poteras falli legibus ipse tuis! me Satyri celeres - silvis ego tecta latebam quaesierunt rapido, turba proterva, pede cornigerumque caput pinu praecinctus acuta Faunus in inmensis, qua turnet Ida, iugis. me fide conspicuus Troiae munitor amavit, ille meae spolium virginitatis habet, id quoque lucrando; rupi tarnen ungue capillos, oraque sunt digitis aspera facta meis; nec pretium stupri gemmas aurumque poposci: turpiter ingenuum muñera corpus emunt; ipse, ratus dignam, medicas mihi tradidit artes admisitque meas ad sua dona manus.

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D o c h du bist leichter als Blätter, wenn sie gewichtlos und saftlos ausgetrocknet und dürr wirbeln im launischen Wind. Weniger standfest noch bist du als die Spitze der Ähre, die, in der Sonne stets, schwerelos dorrt und erstarrt. Dies weissagte mir einst, ich erinnere mich, deine Schwester, als sie mit wehendem Haar mir meine Zukunft verriet: «Was unternimmst du, O e n o n e ? Was streust in den Sand du den Samen? N u t z l o s pflügst du den Strand, treibst deine O c h s e n für nichts. D a k o m m t die grajische K u h , die dich und dein Haus und die Heimat umbringt! I - o ! Halt, halt! D a k o m m t die grajische K u h ! Wenn ihr noch könnt, versenkt das schamlose Schiff in der Tiefe! Weh! Wieviel phrygisches Blut bringt es auf D e c k mit sich her!» Mitten im Wort ergriffen die Mägde die göttlich Beseßne, mir stand mein blondes Haar aber vor Schrecken zu Berg. Ach, nur allzu wahr weissagtest du mir mein Verderben! Sieh, eine grajische Kuh hält meinen Jagdgrund besetzt! Sieht sie auch noch so schön aus, eine Ehebrecherin bleibt sie, die vom Gastfreund betört G ö t t e r der Ehe verließ. Vorher hatte sie Theseus, sofern ich im Namen nicht irre, irgendein Theseus war's, aus ihrer Heimat entführt. J u n g und verliebt - soll man's glauben? - gab er zurück sie als Jungfrau? Wie so genau ich dies weiß, fragst du? Auch ich bin verliebt. N e n n e es ruhig Gewalt, mit dem Wort ihre Schuld zu verschleiern: D i e man so häufig geraubt, bot selbst als Beute sich an. D o c h O e n o n e bleibt treu dem Gatten, von dem sie betrogen! U n d ich konnte dich doch, ging es nach dir, hintergehn! Schnelle Satyrn verfolgten - im Walde lag ich verborgen mich mit hurtigem Fuß, diese verwegene Schar, und, das gehörnte Haupt mit stachligen Fichten umwunden, Faunus im Riesengebirg, w o sich der Ida erhebt. Mich hat, durch Saitenspiel ruhmreich, geliebt, der Troja verschanzte, meine Jungfräulichkeit nahm er als Beute mir weg, dies erst nach langem Ringen, doch rauft ich das Haar mit den Nägeln, und das Antlitz war von meinen Fingern zerkratzt. D o c h weder G o l d noch G e m m e n forderte ich für die Schändung; schändlich ein freier Leib, der mit Geschenken gekauft! Vielmehr hielt er selbst mich für würdig, die Heilkunst zu lernen, und er ließ meine H a n d an seine G a b e n heran.

Epistula V

quaecumque herba potens ad opem radixque medendo utilis in toto nascitur orbe, mea est. me miseram, quod amor non est medicabilis herbis! deficior prudens artis ab arte mea. ipse repertor opis vaccas pavisse Pheraeas fertur et e nostro saucius igne fuit, quod nec graminibus tellus fecunda creandis nec deus, auxilium tu mihi ferre potes, et potes et merui - dignae miserere puellae ! non ego cum Danais arma cruenta fero et tua sum tecumque fui puerilibus annis et tua, quod superest temporis, esse precor!

O e n o n e an P a r i s

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Was an wirksamen Kräutern und was an Wurzeln zum Heilen wächst in der weiten Welt, hilfreich und nützlich, ist mein. Weh mir Armen, warum ist kein Kraut der Liebe gewachsen! Mich, die die Kunst beherrscht, läßt meine Kunst da im Stich. Selbst der Erfinder der Heilkunst habe die Kühe in Pherae, heißt es, gehütet und wund war er von Sehnsucht nach mir. Was die Erde nicht kann, die reich ist an sprießenden Kräutern, noch auch ein G o t t , das kannst du - Hilfe mir bringen in N o t . Ich hab's verdient und du kannst's - erbarm dich des Mädchens, wert ist sie's! Danaer bring ich nicht mit, blutige Waffen auch nicht. U n d ich bin dein, ich lebte mit dir in den Jahren der Jugend und für die Zeit, die uns bleibt, wünsch ich die Deine zu sein!

VI HYPSIPYLE

IASONI

[Lemnias Hypsipyle Bacchi genus Aesone nato dici:: et in verbis pars quota mentis erat?] Litora Thessaliae reduci tetigisse carina diceris auratae veliere dives ovis. gratulor incolumi, q u a n t u m sinis; hoc tarnen ipsa debueram scripto certior esse tuo. nam ne pacta tibi praeter mea regna redires, cum cuperes, ventos non habuisse potes; quamlibet adverso signetur epistula vento. Hypsipyle missa digna salute fui. cur mihi fama prior de te q u a m littera venit: isse sacros Martis sub iuga panda boves, seminibus iactis segetes adolesse virorum inque necem dextra non eguisse tua, pervigilem spolium pecudis servasse draconem, rapta tarnen forti vellera fulva manu? haec ego si possem timide credentibus «ista ipse mihi scripsit» dicere, quanta f o r e m ! quid queror officium lenti cessasse mariti? obsequium, maneo si tua, grande tuli! barbara narratur venisse venefica tecum, in mihi promissi parte recepta tori, credula res amor est; utinam temeraria dicar criminibus falsis insimulasse virum! nuper ab Haemoniis hospes mihi Thessalus oris venit, et ut tactum vix bene limen erat, «Aesonides», dixi, «quid agit meus?» ille p u d o r e haesit in opposita lumina fixus humo, protinus exilui tunicisque a pectore ruptis «vivit? an», exclamo, «me q u o q u e fata vocant?» «vivit», ait timidus; timidum iurare coegi. vix mihi teste deo eredita vita tua est. ut rediit animus, tua facta requirere coepi. narrat aënipedes Martis arasse boves,

BRIEF 6 H Y P S I P Y L E AN J A S O N [Hypsipyle aus Lemnos von Bacchus' Geschlecht spricht zu Aesons Sohn, doch bei dem, was sie sprach: War sie da noch bei Verstand?] An Thessaliens Strand, in der Heimat seist du gelandet, reich dank dem goldenen Vlies, das von dem Widder stammt, heißt's. Wenn du's erlaubst, meinen Glückwunsch, daß du noch heil bist, doch hättest du mir das besser gleich selbst in einem Brief mitgeteilt. D e n n daß du mein Land, das dir zugesagt war, nicht betratest, wenn du's auch wünschtest, das lag wohl an der Flaute zur See. D o c h einen Brief kann man siegeln bei noch so widrigen Winden. Ich, Hypsipyle, war doch einen G r u ß wohl noch wert! Weshalb gelangte zu mir das Gerücht von dir vor dem Schreiben? U n t e r gebogenem J o c h gingen die Stiere des Mars. Saaten von Männern wuchsen heran, als die Samen geworfen; zu ihrem Tode, so heißt's, war deine Hand nicht gefragt; schlaflos hatte der Drache die Hülle des Widders gehütet, doch mit tapferer Hand hast du das Goldvlies geraubt. K ö n n t e ich denen, die's nicht recht glauben, entgegnen: » D a seht, dies schrieb er mit eigener Hand, mir selbst!« Wie stolz wär ich da! D o c h was beklag ich mich über den pflichtvergessenen G a t t e n ? Bleib ich die Deine nur, ist deine Gunst groß genug. Eine barbarische Zauberin, sagt man, sei mit dir gekommen, teile mit dir jetzt das Bett, das du mir vormals versprachst. Liebe ist leichtgläubig: K ö n n t e man mich doch voreilig nennen, daß ich zu Unrecht die Schuld dir unterschob, meinem M a n n ! Kürzlich traf hier vom haemonischen Strand ein thessalischer Gast ein. Kaum hatte dieser den Fuß auf meine Schwelle gesetzt, fragt ich: «Wie geht's meinem Mann, des Aeson S o h n ? » D e m war's peinlich, sprachlos heftete er starr auf den Boden den Blick. Sogleich sprang ich empor und riß das H e m d mir vom Busen. «Lebt er noch» schreie ich laut, «oder ruft mich auch das L o s ? » «Ja, er lebt!» sprach er scheu. D e n Scheuen zwang ich zu schwören; hätte ein G o t t mir's bezeugt, glaubt ich doch kaum, daß du lebst. Als ich mich faßte, begann ich nach deinen Taten zu fragen: Erzfüßge Stiere des Mars hätten, erzählt er, gepflügt,

E p i s t u l a VI

vipereos denies in h u m u m p r o semine iactos et subito natos arma müsse viros terrigenas populos civili Marte peremptos inplesse aetatis fata diurna suae, «devictus serpens.» - iterum, si vivat Iason, quaerimus; alternant spesque timorque vices, singula d u m narrat, studio cursuque loquendi detegit ingenio vulnera nostra suo. heu! ubi pacta fides? ubi conubialia iura faxque sub arsuros dignior ire rogos ? n o n ego sum f u r t o tibi cognita; p r o n u b a I u n o adfuit et sertis tempora vinctus H y m e n , at mihi nec I u n o nec H y m e n , sed tristis Erinys praetulit infaustas sanguinolenta faces, quid mihi cum Minyis, quid cum Tritonide pinu? quid tibi cum patria, navita Tiphy, mea ? non erat hic aries villo spectabilis aureo nec senis Aeetae regia Lemnos erat. certa fui p r i m o - sed me mala fata trahebant hospita femínea pellere castra manu; Lemniadesque viros, nimium quoque, vincere norunt. milite tam forti ripa tuenda fuit! urbe virum vidua tectoque animoque recepì, hic tibi bisque aestas bisque cucurrit hiems. tertia messis erat, cum tu dare vela coactus inplesti lacrimis talia verba tuis: «abstrahor, Hypsipyle; sed dent m o d o fata recursus, vir tuus hinc abeo, vir tibi semper ero. q u o d tarnen e nobis gravida celatur in alvo, vivat et eiusdem simus uterque parens!» hactenus, et lacrimis in falsa cadentibus ora cetera te memini n o n potuisse loqui. ultimus e sociis sacram conscendis in Argon. illa volat; ventus concava vela tenet; caerula propulsae subducitur unda carinae; terra tibi, nobis adspiciuntur aquae, in latus omne patens turris circumspicit undas; hue feror et lacrimis osque sinusque madent.

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Vipernzähne wurden als Saat in die Furchen geworfen, plötzlich wuchsen daraus Männer mit Waffen empor, erdgeborenes Volk, im Kampf miteinander erschlagen, habe sein Schicksal erfüllt an einem einzigen Tag. «Auch ist der Drache besiegt.» - U n d wiederum frag ich nach Jason, o b er noch lebe, mein H e r z schwankt zwischen H o f f n u n g und Angst. Wie er das einzeln erzählt, deckt im eifrigen Laufe des Redens er meine Wunden mir auf mit seinem lebhaften Geist. Ach, w o ist das gegebene W o r t ? W o die Schwüre der E h e ? W o die Fackel ? Sie facht besser den Scheiterbrand an. N i c h t im geheimen lernt ich dich kennen, es stiftete J u n o unseren Bund und mit ihr H y m e n , die Schläfen bekränzt. D o c h mir trug nicht J u n o , nicht H y m e n , sondern Erinys, grausig und triefend von Blut, Fackeln des Unheils voran. Was gehn die Minyer mich an und was die tritonische Fichte? Seemann Tiphys, was geht dich denn mein Vaterland an? Keinen Widder gab's hier, berühmt durch sein goldenes Wollvlies, noch war Aeetes, der Greis, in der Burg Lemnos der Herr. Anfangs entschied ich - doch trieb mich das widrige Schicksal - das fremde Kriegsvolk jage man fort mit unsrem weiblichen Trupp. Lemnische Frauen wissen nur zu gut, Männer zu schlagen. H ä t t ich die Küste geschützt mit dieser wehrhaften Schar! D i c h nahm ich herzlich als Mann in verwaister Stadt in mein Haus auf. Zweimal verbrachtest du dann S o m m e r und Winter bei mir. Schon war zum drittenmal Ernte, da warst du zur Seefahrt gezwungen, weinend brachtest du noch folgende Worte hervor: «Mich zieht's, Hypsipyle, fort. Gewährt das Geschick mir die Rückkehr, gehe ich fort als dein Mann, bleibe auch immer dein Mann. Was jedoch von mir in schwangerem Mutterleib schlummert, bleibe am Leben und wir wollen die Eltern ihm sein.» So weit - vor Tränen, die über das falsche Antlitz dir rannen, konntest du weiter kein Wort reden, ich weiß es noch gut. Von den Gefährten bestiegst du als letzter die heilige Argo. D i e fliegt davon; der Wind hält eure Segel geschwellt. U n t e r dem eiligen Kiel zog die tiefblaue Woge vorüber; du sahst zurück zum Land, ich auf das Wasser hinaus. Ringsum auf alle Seiten blickt hin ein Turm auf die Wellen; eilends steig ich hinauf, Tränen auf Wangen und Brust,



Epistula

VI

per lacrimas specto cupidaeque faventia menti longius adsueto lumina nostra vident, adde preces castas inmixtaque vota timori nunc quoque te salvo persoluenda mihi, vota ego persolvam? votis Medea fruetur! cor dolet atque ira mixtus abundat amor, dona feram templis, vivum quod Iasona perdo? hostia pro damnis concidat icta meis ? non equidem secura fui semperque verebar, ne pater Argolica sumeret urbe nurum. Argolidas timui - nocuit mihi barbara paelex! non expectata vulnus ab hoste tuli, nec facie meritisque placet, sed carmina novit diraque cantata pabula falce metit. illa reluctantem cursu deducere lunam nititur et tenebris abdere solis equos; illa réfrénât aquas obliquaque ilumina sistit; illa loco silvas vivaque saxa movet. per tumulos errat passis discincta capillis certaque de tepidis colligit ossa rogis. devovet absentis simulacraque cerea figit et miserum tenuis in iecur urget acus et quae nescierim melius, male quaeritur herbis moribus et forma conciliandus amor, hanc potes amplecti thalamoque relictus in uno inpavidus somno nocte silente fruí? scilicet ut tauros, ita te iuga ferre coegit quaque feros anguis, te quoque mulcet ope. adde, quod adscribí factis procerumque tuisque se facit et titulo coniugis u x o r obest. atque aliquis Peliae de partibus acta venenis inputat et populum, qui sibi credat, habet: «non haec Aesonides, sed Phasias Aeetaea aurea Phrixeae terga revellit ovis.» non probat Alcimede mater tua - consule matrem non pater, a gelido cui venit axe nurus. illa sibi a Tanai Scythiaeque paludibus udae quaerat et a ripis Phasidis usque virum!

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schaue durch Tränen dir nach; geschärft von der Sehnsucht der Seele, weiter als ich's gewohnt, sehn meine Augen dich noch. Dazu die frommen Gebete, die angsterfüllten Gelübde, die ich erfüllen muß, da du am Leben ja bist! Ich soll Gelübde erfüllen? Medea wird davon zehren! Innerlich leid ich, zu sehr quälen mich Liebe und Zorn. Spenden soll ich im Tempel und Jason lebend verlieren, soll die Geschädigte sein, wenn mir das Schlachtopfer fällt? Sicher zwar fühlt ich mich nie und fürchtete immer, der Vater wähle dir eine Frau aus in argolischer Stadt. Angst vor Argolerinnen - und nun die barbarische Hure! Unerwarteter Feind brachte die Wunde mir bei. Schön ist sie nicht noch hat sie Verdienste, doch Zaubergesänge kennt sie; die Sichel, verhext, mäht ihr das giftige Kraut. Die kann den Mond, auch wenn er sich noch so sehr sträubt, von der Bahn das ist ihr Werk, und in Nacht hüllt sie das Sonnengespann.

[ziehn,

Die hemmt des Wassers Lauf, bringt gewundene Flüsse zum Stehen, rückt von der Stelle den Wald und den gewachsenen Fels, schlendert an Gräbern vorbei, mit offenem Haar, ohne Gürtel, liest aus der lauwarmen Glut allerlei Totengebein. Auch aus der Ferne verhext sie, formt Wachsfigürchen als Abbild, bohrt feine Nadeln dort, ach, tief in die Leber hinein und was ich lieber nicht wüßte! Schlecht wirbt man mit Kräutern um Liebe; diese gewinne allein Schönheit an Seele und Leib! Die Frau kannst du umarmen, in einer Schlafkammer weilen und in schweigender Nacht furchtlos genießen den Schlaf? Wie sie die Stiere zwang, das Joch zu tragen, so dich nun, und wie das Schlangengezücht lullt sie dich selber auch ein. Dazu kommt, daß sie sich deine Taten und die deiner Helden anrechnen läßt und als Frau schmälert des Gatten Verdienst. Mancher von Pelias' Kreis schreibt die Taten alle dem Gift zu, und hat genügend Volk hinter sich, welches ihm glaubt: «Nicht des Aeson Sohn, nein, Aeetes' Tochter vom Phasis trug des phrixeischen Bocks goldenes Vlies mit sich weg.» Nicht deine Mutter Alcimede, - frag sie doch selbst! - nicht der Vater billigt es, daß deine Frau herkommt vom eisigen Pol. Hole sich die doch am Tanais und und in den Sümpfen des nassen Scythien den Mann, überhaupt besser am Phasis daheim!

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Epistula

VI

mobilis Aesonide vernaque incertior aura, cur tua pollici ti pondere verba carent ? vir meus hinc ieras, vir non meus inde redisti. sim reducís coniunx, sicut euntis eram! si te nobilitas generosaque nomina tangunt en, ego Minoo nata Thoante feror! Bacchus avus; Bacchi coniunx redimita corona praeradiat stellis signa minora suis, dos tibi Lemnos erit, terra ingeniosa colenti; me quoque res tales inter habere potes, nunc edam peperi; gratare ambobus, Iason! dulce mihi gravidae fecerat auctor onus. felix in numero quoque sum prolemque gemellarti, pignora Lucina bina favente dedi. si quaeris, cui sint similes: cognosceris illis. fallere non norunt; cetera patris habent, legatos quos paene dedi pro matre ferendos; sed tenuit coeptas saeva noverca vias. Medeam timui: plus est Medea noverca; Medeae faciunt ad scelus omne manus. spargere quae fratris potuit lacerata per agros corpora, pignoribus parceret ilia meis? hanc tamen, o demens Colchisque ablate venenis, diceris Hypsipyles praeposuisse toro! turpiter ilia virum cognovit adultera virgo; me tibi teque mihi taeda pudica dédit, prodidit illa patrem; rapui de caede Thoanta. deseruit Colchos; me mea Lemnos habet, quid refert, scelerata piam si vincet et ipso crimine dotata est emeruitque virum ? Lemniadum facinus culpo, non miror, Iason; quamlibet infirmis ipse dat arma dolor. die age, si ventis, ut oportuit, actus iniquis intrasses portus tuque comesque meos obviaque exissem fetu comitante gemello hiscere nempe tibi terra roganda fuit? quo vultu natos, quo me, scelerate, videres ? perfidiae pretio qua nece dignus eras ?

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Launischer Aesonsohn, so launisch wie Brisen des Frühlings, weshalb hat das kein Gewicht, was du mir heilig versprachst? Als mein Mann fuhrst du weg, doch nicht als mein Mann kehrst du wieder: W a r ich des Heimkehrers Frau, wie ich's des Scheidenden war! Sollten dir Adel und vornehme N a m e n etwas bedeuten: Sieh, mich hat T h o a s gezeugt, heißt es, aus M i n o s ' Geschlecht. Mein Großvater war Bacchus; die G ö t t i n mit ihren Sternen strahlt, um die Schläfen den Kranz, mindern Gestirnen voran. Lemnos wird deine Mitgift, zum Ackerbau bestens geeignet; haben kannst du auch mich zu diesen Gütern hinzu. N u n hab ich auch noch geboren; beglückwünsche, Jason, uns beide! Süß war die Last mir von dir, der du mich schwängertest einst. A u c h in der Zahl hab ich G l ü c k : Zwillinge nämlich gebar ich, schenkte dir doppeltes Pfand, stand doch Lucina mir bei. Wenn du mich fragst, wem sie ähnlich sind: Man erkennt dich in ihnen. Lügen können sie nicht, sind sonst dem Vater ganz gleich. Fast hätt ich dir sie gesandt als Vertreter der Mutter, die böse Stiefmutter hielt mich dann ab von dem beschrittenen Weg. Angst vor Medea bewog mich, Medea, der Stiefmütter ärgsten, einer Medea Hand fügt sich zu jedem Vergehn. Wer seines Bruders zerstückelten Leib auf den Feldern zerstreuen konnte, der hätte dann wohl grad meine Kinder verschont? D i e aber, o du verblendetes O p f e r der colchischen Gifte, zogst du Hypsipyle vor und ihrem Lager, so scheint's. Schamlos gab sich als Jungfrau im E h e b r u c h die einem M a n n hin; keusch war die Fackel, die uns, mich dir und dich mir, verband. D i e verriet ihren Vater; ich rettete T h o a s vom Blutbad. Sie ließ die C o l c h e r im Stich; ich blieb in Lemnos daheim. D o c h was soll's: Das Verbrecherweib siegt ja doch über die Brave, holt sich, an Untaten reich, damit genau einen Mann. Ich verdamme, Jason, der lemnischen Frauen Verbrechen, doch auch den Schwächsten verleiht Waffen gerade der Schmerz. Sag doch, fuhrst du, zu Recht von widrigen Winden getrieben, in unsren Hafen ein, du und die Freundin mit dir, und ich wär mit den Zwillingen dir entgegengekommen, hättest du doch wohl gewünscht, daß dich die Erde verschlang?! Welcher Blick, du Verruchter, traf wohl dann mich und die Kinder? Welcher Tod war als Preis für deine Untreue recht?

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Epistula VI

ipse q u i d e m per m e tutus sospesque fuisses n o n quia tu dignus, sed quia mitis ego. paelicis ipsa meos inplessem sanguine vultus, q u o s q u e veneficiis abstulit illa suis,

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M e d e a e M e d e a f o r e m ! quodsi q u i d ab alto iustus adest votis Iuppiter ipse meis, q u o d gemit H y p s i p y l e , lecti q u o q u e s u b n u b a nostri maereat et leges sentiat ipsa suas; u t q u e ego destituor c o n i u n x materque d u o r u m ,

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a totidem natis o r b a sit atque v i r o ! nec male parta diu teneat peiusque relinquat exulet et toto quaerat in o r b e f u g a m ! q u a m fratri germana fuit m i s e r o q u e parenti filia, tam natis, tam sit acerba v i r o ! c u m mare, c u m terras consumpserit, aëra temptet; erret inops, exspes, caede cruenta sua! haec ego, coniugio fraudata T h o a n t i a s o r o . vivite, d e v o t o nuptaque v i r q u e t o r o !

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D u selbst wärst dank mir zwar noch heil und sicher geblieben was du nicht deinem Verdienst, nur meiner Milde verdankst, doch mit dem Blut deines Weibsbilds hätt ich mein Antlitz besudelt und das deine dazu, das mir ihr Zauber verhext, war der Medea Medea gewesen! Wenn aber von oben Jupiter etwa gerecht selbst meine Bitten erhört, soll, weil Hypsipyle seufzt, auch meines Bettes Rivalin klagen; sie fühle dann selbst, was sie mir angetan hat. Wie sie mich jetzt als Gattin verdrängt, als der Zwillinge Mutter, sei beider Kinder sie und ihres Mannes beraubt! Was sie schändlich erwarb, soll sie bald und noch schlimmer verlieren, und in der ganzen Welt suche sie O b d a c h , verbannt. Wie sie als Schwester dem Bruder, dem armen Vater als Tochter war, sei sie grausam dem Mann, sei sie den Kindern es auch! Wenn sie das M e e r und die Länder durchquert hat, versuch sie's in Lüften, irre verzweifelt und arm, blutig v o m eigenen Mord. Dies wünsch ich euch, um die E h e betrogen, ich, Tochter des T h o a s : Lebt nur als Mann und Frau, doch euer Bett sei verflucht!

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VII AENEAE

[Accipe, Dardanide, moriturae carmen Elissae; quae legis a nobis, ultima verba legis.] Sic ubi fata vocant, udis abiectus in herbis ad vada Maeandri concinit albus olor, nec quia te nostra sperem prece posse moveri, adloquor - adverso movimus ista deo; sed meriti famam corpusque a n i m u m q u e pudicum cum male perdiderim, perdere verba leve est. certus es ire tarnen miseramque relinquere D i d o n atque idem venti vela fidemque ferent? certus es, Aenea, cum foedere solvere naves, quaeque ubi sint nescis, Itala regna sequi? nec nova Carthago nec te crescentia tangunt moenia nec sceptro tradita summa tuo ? facta fugis, facienda petis; quaerenda per orbem altera, quaesita est altera terra tibi, ut terram invenías, quis earn tibi tradet habendam? quis sua n o n notis arva tenenda dabit? alter amor tibi erit quaerendus et altera D i d o ; q u a m q u e iterum fallas, altera danda fides, q u a n d o erit, ut condas instar Carthaginis u r b e m et videas populos altus ab arce tuos? omnia ut eveniant nec te tua vota morentur, unde tibi, quae te sic amet, uxor erit? uror, ut inducto ceratae sulpure taedae, ut pia fumosis addita tura focis. Aeneas oculis semper vigilantis inhaeret; Aenean animo noxque diesque refert. ille quidem male gratus et ad mea muñera surdus, et quo, si n o n sim stulta, carere velim; n o n tarnen Aenean, quamvis male cogitat, o M 0 · 39-40 Waffen der Venus: Pfeile (Amors) und Hochzeitsfackeln (des Hymenaeus), s. 2, 120.

Erläuterungen

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42 Anspielung auf die Mysterien der Ceres (Demeter) in Eleusis. Ceres und ihre Tochter Proserpina (Persephone) werden mit Kienfackeln dargestellt. 48 Gerät: Das Ruder, das Phyllis dem Schiffbrüchigen zur Verfügung stellt. 67-68 Aegeus hatte als einzigen Nachkommen, der für ein heroisches Denkmal in Frage kommt, Theseus; dessen Söhne von Antiope sind Hippolytus, von Phaedra (Brief 4) Acamas und Demophoon. 69-70 Jugendtaten des Theseus auf seiner Heimkehr von Troezen nach Athen (in Auswahl): Sinis, der Fichtenbeuger (bei Corinth), Sciron mit dem Waschbecken, der die Gäste über die scironischen Felsen stürzt, Procrustes mit dem Streckbett oder dem Beil (in Attika), der Minotaurus auf Creta. 7 1 - 7 2 Kampf der Sieben vor Theben: Nach den des Aischylos und den des Euripides erreicht Theseus durch Verhandlungen, daß die gefallenen Argiver bestattet werden dürfen. Nach älterer Version erreicht er das nur im Kampf (Plutarch, Theseus 29). Zwitter («Doppelgliedrige»): Die Centauren, die Theseus seinem Freund Pirithous vertreiben hilft, nachdem sie dessen Hochzeitsfest gestört haben. - des dunklen Herrn: Plutons, des Herrschers der Unterwelt. Anspielung auf die Unterweltsfahrt des Theseus mit seinem Freund Pirithous, dem er verspricht, bei der Entführung der Unterweltsgöttin Proserpina zu helfen. 74 Weihinschrift für eine Statue als Schmähschrift. Epigramme und andere Inschriften als «realistische» Zitate sind ein beliebtes und vielfältig variiertes Stilmittel in den : Grabepigramme mit Schuldzuweisung verfassen Phyllis (V. 147 f.), Dido (7, 195 f., in Marmor gemeißelt) und Hypermestra (14, 129 f.); Paris ritzt Liebesbekenntnis (5, 22) und Treueschwur (5, 29 f.) in Baumrinden; Sappho verfaßt eine Weihinschrift an Phoebus (15, 183 f.); Paris schreibt mit dem mit Wein benetzten Finger auf den Eßtisch (17, 88); Acontius weiht einen goldenen Apfel mit Votivinschrift als Votivgabe (20, 239 f.). 75-78 Ariadne (Brief 10) aus Creta, Tochter des Minos, hilft Theseus beim Kampf gegen den Minotaurus, zieht mit Theseus fort, wird aber auf Naxus verlassen; darauf wird sie die Geliebte des Bacchus. Nach der einen Version wird Theseus von Bacchus dazu gezwungen, Ariadne zu verlassen; damit ist sein Verhalten anders als bei Demophoon entschuldbar. 79-80 Bacchus kommt von seiner Welteroberung mit Panthern («Tigern»: Verwechslung der gefleckten Panther - so jeweils die bildlichen Darstellungen - mit den gestreiften Tigern, s. zu 10, 83-87) und Elefanten

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Erläuterungen

aus Indien zurück. Auf dem Triumphwagen, vor den die Panther gespannt sind, fährt nun auch Ariadne mit. 90 bistonisch: thracisch, nach dem thracischen Volk der Bistoner. 108 Thracien, «threi'cische Häfen»: Ovid verwendet gelegentlich wie hier die jonische maskuline Form threïcisch (3, 118; 9, 89) oder die feminine thre(i)ssisch (19, 100). 1 1 1 Lycurgus, König von Thracien, der sich dem Bacchuskult widersetzt und dafür bestraft wird, mit Blendung (Horn. II. 6, 130 ff.) oder Wahnsinn. 1 1 3 - 1 1 4 Die geographischen Grenzen von Phyllis' Herrschaftsgebiet sind großzügig abgesteckt: von der Rhodope am westlichen Ende Thraciens über den Haemus (Balkan) bis zum Hebrus im östlichen Thracien. 1 1 7 - 1 2 0 Von den Furien werden meist drei mit Namen genannt: Al(l)ecto, Megaera und Tisiphone. 120 Fackeln wurden sowohl beim Begräbnis wie beim feierlichen Hochzeitszug am Abend gebraucht. Der Vergleich der beiden Fackelzüge ist besonders häufig in der Liebeselegie. 131 Typischer Anfang einer Ortsbeschreibung (sog. ekphrasis topu) mit est (sinus); so auch 5,25 (populus); 12, 67 (nemus); 15, 157 (fons)\ 16,53 (1locus) und oft in Met., ζ. B. 4, 432 (est via), 9, 334 (est lacus). 147-148 Grabepigramm als Schmähschrift, s. V. 74. - Ovid erzählt Phyllis' Tod später in Remedia amoris 591-604: Phyllis erhängt sich mit ihrem Gürtel im Wald auf dem Weg zum Strand, worauf der Wald aus Trauer sein Laub verliert. Anspielungen: Ars 2, 353. 3, 37.

Brief 3: Briseis an Achilles Briefsituation: Während des trojanischen Krieges wird Briséis, Beute eines grausamen Krieges Achills gegen ihre Vaterstadt Lyrnesus und dann Achills Geliebte im Lager vor Troja, vom griechischen Heerführer Agamemnon beansprucht, weil dieser seine Geliebte Chryse'is deren Vater zurückgeben muß. Eine Gesandtschaft griechischer Fürsten hat Briséis bereits abgeholt. Im Zorn darüber - dies das Eingangsmotiv der Ilias bleibt Achill dem Kampf fern und droht gar abzureisen. Briséis versucht mit ihrem Brief, nicht ohne Hinweis auf ihre Reize, Achills Zorn zu besänftigen und seine Liebe zurückzugewinnen. Quellen: Homer, Ilias 1. 2. 9. 19. 1-2 Reizvolles Spiel mit der «dokumentarischen Echtheit» des Briefs: Briséis schreibt barbarisches Griechisch in eleganten lateinischen Versen. 3 Beschreibung der Situation des Schreibens: Tränenflecken auf dem Brief

Erläuterungen

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wie 15, 97-98 (so schon Properz 4, 3, 4), vgl. 10, 140 (zitternde Hand); I i , 1 - 2 (hypothetische Blutflecken). 1 6 - 2 0 Unklare Situation: Briséis befürchtet zwischen Agamemnons Zelt, w o sie jetzt ist, und dem Achills auf einen Feind zu stoßen, obschon beide Zelte im Lager der Griechen stehen. 23 Menoetius' Sohn: Patroclus. 25-26 Nach Homer bietet Agamemnon auch die Rückgabe der Briseis an, was Achill ablehnt (s. V. 3 1 - 3 8 ) . Die Liebe der Briséis ist bei H o mer nur Nebenmotiv (Horn. II. 9, 340-343), beliebt dagegen in der römischen Liebeselegie: Ov. Am. 1, 9; 2, 8 (Spoth 64). - Agamemnons Methode, die eine Geliebte mit einer anderen zu vertauschen, empfiehlt Ovid als «Heilmittel»: Rem. 467-484. 27-28 Telamons Sohn ist Ajas, Amyntors Sohn Phoenix. - Peleus und Telamón waren Brüder, Achill und Ajas also Vettern. 29 Sohn des Laertes: Ulixes. 3 1 - 3 8 Die angebotenen Geschenke genau nach Horn. II. 9, 122 ff. 264 ff. - Talent: griechisches Gewichtsmaß, in klassischer Zeit rund 26 kg, in homerischer Zeit von ziemlich geringem Gewicht, wie die Reihe der Kampfpreise Horn. II. 23, 262 ff. zeigt: Als vierter Preis folgen dort auf einen nëuen Bronzekessel zwei Talente Gold. Für römische Verhältnisse wäre das ein horrendes Vermögen gewesen (2,4 Millionen Sesterzen). 38 Agamemnons Töchter: Chrysothemis, Laodice, Iphianassa (Horn. II. 9,145.287). 45-52 Das Schicksal der Briséis - Ermordung der drei Brüder und ihres Mannes, Eroberung der Stadt Lyrnesos in Mysien an der Grenze der Troas - folgt teils wörtlich Horn. Ii. 2, 689 ff. 19, 290 ff. Den blutigen Hintergrund glaubt Briséis hier verdrängen zu können. Ein ganz anderes Bild gibt Ovid von Briséis später, gleichsam verständnislos, in Ars 2 , 7 1 1 - 7 1 6 : «Von jenen Händen ließest du dich, Briséis, betasten, / welche immer befleckt waren von phrygischem Blut?/ Oder war es grad das, was dich, du Lüsterne (lasciva), r e i z t e . . . ? » - N a c h II. 9, 328 erobert Achill während des Trojakrieges nebenbei zwölf Städte zur See, elf zu Land. 53 Gottheit des Wassers: Achills Mutter, die Nereide Thetis. 55-56 Achill bleibt unversöhnlich, obwohl ihm die Griechen mit der Rückgabe der Briséis noch Geschenke anbieten: Horn. II. 9, 307 ff. 65 phthiisch: Achills Geburtsort ist Phthia in Thessalien. 69-82 Elegisches Motiv: Die/der Geliebte verzichtet auf jeden Anspruch, wenn er nur bei ihm/ihr sein darf. 71 Achaeer: dichterische Bezeichnung für die nach Troja ziehenden Griechen, vg. 8, 13.

Erläuterungen 73-74 Kompliziertes Rechenexempel: Schwiegereltern der fiktiven Braut sollen Achills Eltern werden, nämlich Peleus, als Sohn des Aeacus ein Enkel Jupiters und Aeginas, und Thetis, eine Tochter des Nereus. 83 dein Zürnen: von den Ubersetzern irrtümlich auf Agamemnon bezogen (vM. «reut A. sein Zürnen», Ge. «bereut seinen Zorn», Sh./Go. «repents him of his wrath»). 92-97 Geschichte von Meleager, Sohn des Oeneus und der Althaea. Die hier erzählte Version folgt im Ganzen Horn. II. 9, 543-599: Wie dort Phoinix benützt Briséis hier die Geschichte, um Achill von seinem Zorn abzubringen (allerdings mit einschneidenden Änderungen: keine Hinweise auf materielle Vorteile, sondern nur erotische Argumente): Meleager verschuldete den Tod von Althaeas Brüdern. Danach folgt auf den Kampf mit dem calydonischen Eber noch ein Krieg mit Oeneus' Nachbarn, den Kureten, an dem Meleager zunächst nicht teilnimmt, weil ihn die Mutter verflucht. Als die Stadt Kalydon von den Kureten immer mehr bedrängt wird, gibt er nicht den Bitten seiner Verwandten, aber schließlich denen seiner schönen Gattin Kleopatra-Alkyone nach und greift erfolgreich in den Kampf ein. Die bekannte Version (Althaea verbrennt das Scheit, an dem Meleagers Leben hängt, unmittelbar nach dem Kampf mit dem calydonischen Eber) erzählt Ovid dagegen in Met. 8, 268-546; Anspielung darauf in Brief 20, 1 0 1 - 1 0 2 . 101 «Herrin» mit dem Nebensinn «Geliebte». Die Unterwürfigkeit des Liebhabers ist ein Topos der Liebeselegie. 1 0 9 - 1 1 o Bei Homer leistet Agamemnon den Schwur, Briséis nicht berührt zu haben: Horn. II. 9, 131 ff. 273 ff. 19, 258 ff. 118 thracische Saiten: wie Orpheus, der Thracer war. 126 pelischer Speer: vom Gebirge Pelion in Thessalien, wie Ov. Ars 1, 696. Der Ausdruck ist homerisch, z.B. Horn. II. 16,143. Achill ist Thessalier, s. V. 6 5. 1 2 7 - 1 3 2 Perspektivenwechsel: Aufforderung an die (abwesenden) Griechen, Briseis mit ihren Reizen als Gesandte zu politischen Zwecken einzusetzen. 130 Teucer oder Teucrus: Halbbruder des Ajax. Mit Phoenix und Ulixes gehört Ajax zur Gesandtschaft der Griechen an Achilles. 133 Wellen der Mutter: der Meergöttin Thetis, s. V. 53. 1 3 5 - 1 3 6 Schwur beim Leben von Achills Familie. 136 Pyrrhus oder Neoptolemus, Sohn Achills und Deidamias. 138 quäle mich (ure)•. eig. brenne mich ( O L D 7 «an Eifersucht leiden lassen» u.ä.) Ausdruck der Liebeselegie, vgl. 7, 86. 147-148 Achills Plan eines Attentats auf den Atriden Agamemnon und dessen Verhinderung durch Athene bildet eine der ersten Szenen der Ilias (1, 188-221), die Ovid - für den wissenden Leser - in äußerster

Erläuterungen

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Knappheit zusammenfaßt. Achills Einstellung, von der Briséis nichts ahnt, - auch dies mit Blick auf den Homer-Leser konzipiert - wird bei seiner späteren Drohung deutlich (II. 1,298 ff.), wo er Agamemnon den Tod androht, falls er sich an seinem Vermögen vergreife, aber «um ein Mädchen werde ich nicht kämpfen». 1 5 1 - 1 5 2 Die Mauern von Troja (Pergamon, Pergama) wurden von Neptun (Poseidon) erbaut, s. zu 1, 67. 154 Von Briséis' späterem Schicksal erfährt man bei Homer ihre Trauer um Patroclus, II. 19, 287 ff. Achills Tod war im nachhomerischen Epos und in der erzählt.

Brief 4: Phaedra an Hippolytus Brief situation: Phaedra, Tochter des cretischen Königs Minos und der Pasiphaë, mit Theseus nach dem Tod der Amazone Antiope vermählt und Mutter von Demophoon (Brief 2) und Acamas, versucht ihren Stiefsohn Hippolytus mit Hilfe eines Briefs, den sie von Athen nach Troezen schickt, zu verführen. Quellen: Euripides, Hippolytos Kalyptomenos (verloren); Hippolytos Stephanephoros; ev. Sophokles, Phaidra (verloren). 1 - 2 Der Leser kannte Phaedra als Briefschreiberin aus den Tragödien des Euripides, wo sie vor ihrem Selbstmord den verhängnisvollen Abschiedsbrief schreibt. Sie erhängt sich, bezichtigt aber den Stiefsohn des Ehebruchs, den er voll Empörung verweigert hat (Potiphar-Motiv). Der verleumderische Brief veranlaßt Theseus, Hippolytus zu verfluchen. Der von Theseus' Vater Neptun gewährte Wunsch geht in Erfüllung: Das Pferdegespann, das Hippolytus lenkt, wird von einem Meeresungeheuer erschreckt und bringt dem Lenker tödliche Wunden bei (oder schleift ihn zu Tode). 9 sich's gibt (sequitur): vgl. Catos Spruch rem tene, verba sequuntur «Die Sache halte fest, die Worte ergeben sich von selbst» ( O L D 8b). 27 libamen bezeichnet das Abschneiden und Opfern der Stirnlocken beim Opfertier. 30 delegere: selten bezeugte Form statt deltgere (OLD). 3 5—36 Jupiter ist sowohl Bruder wie Gatte Junos. 37-46 Phaedras überspannte Wünsche - Jagd, Pferderennen (aber nicht die bacchantische Ekstase) - nach Euripides, Hippolytos 208 ff. 39-40 Diana (Artemis) ist auf Delos geboren, darum Delierin (Delia) oder Cynthia nach dem Berg Cynthus auf Delos, s. Brief 18, 74. 47-50 Ekstase im Gefolge des Bacchus. - Eleleiden: Bacchantinnen, nach

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Erläuterungen

dem begeisterten Ruf im Bacchuskult, eleleu. - Ida: Gebirge im SO von Troja, wichtigste Kultstätte der Muttergöttin Cybele. - Weibischer Mann: Die durch Selbstkastration verstümmelten Priester der Cybele, die sog. Galli oder Corybantes, werden hier zum Scherz (wie Catull. 63, 12 Galla) grammatikalisch als Feminina behandelt. - Dryaden: Baumnymphen. - Faune: Walddämonen in Bocksgestalt. 5 5-56 Jupiter verwandelt sich in einen Stier, um Europa zu entführen. 57—58 Pasiphaë («die allen Scheinende»), Tochter des Sonnengottes Phoebus-Sol (Helios), Gattin des cretischen Königs Minos, verliebt sich in einen von Neptun gesandten Stier, läßt sich von ihm in der hölzernen Attrappe einer Kuh begatten und gebiert den Minotaurus. 59-60 Aegeus' Sohn Theseus erhält von Phaedras Schwester Ariadne den Faden, der ihn aus dem Labyrinth führt. Er entführt sie, läßt sie aber auf Naxos zurück: Brief 10. 67-74 Vorgeschichte des Briefes: Phaedra besucht das Fest der Ceres (Demeter) in Eleusis (Ovid verwendet die griechische Form Eleusin), wo diese ihr Mysterienheiligtum hat. Dort erblickt sie erstmals ihren Stiefsohn Hippolytus, der sonst in Troezen lebt. - Gnosisch: cretisch, von Gnosus oder Gnossus (Knossos), wo die mythischen Könige Cretas regierten. Die Ruinen des labyrinthartigen Palastes zählen zu den ersten archäologischen Funden auf Creta, s. V. 1 1 3 - 1 1 6 . 93-96 Zwei ursprünglich verschiedene Mythen sind hier wie in Met. 7, 700 ff. vermengt: 1. Der Jäger Cephalus aus Phocis, Gatte der Procris, Schwiegersohn des Erechtheus, der mit dem unfehlbaren Speer irrtümlich seine geliebte Gattin umbringt - was hier von Phaedra bezeichnenderweise verdrängt wird. - 2. Der schöne Athener Cephalus, Sohn des Hermes, Enkel des Erechtheus, den Aurora entführt und mit dem sie ihren greisen Gatten Tithonus betrügt. 97-98 Venus verliebt sich in den jungen Adonis, Sohn des Königs Cinyras von Cypern; ausführlich Ov. Met. 10, 523 ff. 99 Maenalia Atalanta: Homerisierender Versschluß mit Hiat und viersilbigem Wort wie 9, 87; I i , 13; Kombinationen mit Hiat, Spondiacus oder viersilbigem Hexameterende auch 6, 103; 8, 71; 9, 131. 133. 141; von Ovid nur zusammen mit griechischen Namen verwendet. 99-100 Meleager, Sohn des Königs Oeneus von Calydon, zieht mit den griechischen Helden, darunter die Jägerin Atalanta von Arcadien (wo der Berg Maenalus liegt), aus zur Jagd auf den calydonischen Eber und teilt ihr aus Verliebtheit, unter Protest der übrigen Teilnehmer, Kopf und Rücken der Beute als Siegespreis zu: Ov. Met. 8, 317-436. Jägerin und Läuferin Atalanta wurden früh zu einer einzigen Gestalt, s. 16,26 5 ; 21, 123. 105-108 Die Szene hier spielt in Athen, wie im (verlorenen) «Hippolytos

Erläuterungen

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Kalyptomenos> des Euripides und in Senecas (im Gegensatz zum erhaltenen des Euripides). - In Troezen, w o Phaedra jetzt hinziehen will, hat Theseus bei seiner Mutter Aethra am Hof des Pittheus die Jugend verbracht. Hier lebt Hippolytus nach Theseus' Hochzeit mit Phaedra. - Troezen liegt nicht am Isthmos (Ovid braucht in den Briefen überall die griechische Form) von Corinth, sondern rund 50 km südöstlich davon. 1 0 9 - 1 1 0 Theseus' göttlicher Vater ist Neptun, sein irdischer ist Aegeus. Solche doppelte Vaterschaft ist im Mythos nicht ungewöhnlich (Hercules: Amphitryon und Jupiter usw.), s. zu 2, 35-38. - Der Grund von Theseus' Abwesenheit ist unklar. Pirithous Heimatstadt Larisa liegt im Landesinneren. Der erwähnte «Strand» deutet auf die Centauren, die aus Magnesia an der thessalischen Küste kommen. Im ist Theseus mit Pirithous in die Unterwelt gezogen, um Persephone zu rauben, und deshalb längere Zeit abwesend. 1 1 1 - 1 1 2 Die enge Freundschaft von Theseus und Pirithous war berühmt. 1 1 3 - 1 1 6 Der «Bruder» Phaedras ist der Minotaurus, Sohn Pasiphaës mit dem Stier (V. 57-58), die Schwester die verlassene Ariadne (V. 59-60), die den Tieren «zum Fraß» überlassen wird (Brief 10, a. 1. 83 ff.). Römische Darstellungen zeigen Theseus im Kampf mit dem Minotaurus gewöhnlich mit einer Keule statt mit dem Schwert bewaffnet (Kampf mit der Keule aber schon auf der Halsamphora des Affecter-Malers, um 540 v.Chr., Beazley, Paralipomena i n , 14 bis), s. Brief 10, 1 0 1 . 1 1 7 - 1 2 0 Theseus raubt in Themiscyra die Amazonenkönigin Antiope. Später ziehen die Amazonen gegen Athen, um Theseus wegen seiner Untreue gegenüber Antiope bei der Hochzeit mit Phaedra zu überfallen; dabei kommt Antiope um, hier durch die Hand von Theseus selbst. Das «Pfand» ist Hippolytus, Antiopes Sohn. In Athen zeigte man noch in historischer Zeit Amazonengräber. 1 2 1 Das Beharren auf rechtmäßiger Eheschließung ist anachronistisch. 123 Die «anerkannten» Söhne Phaedras, Stiefbrüder des Hippolytus, sind Acamas und Demophoon (s. Brief 2), die als Trojakämpfer bekannt sind. 132 Unter Saturn blühte das goldene Zeitalter mit idealen Rechtsverhältnissen, vgl. die berühmte Stelle Ov. Met. 1, 89 ff. «ohne Gesetz wahrte es Treue und Recht». 13 3 - 1 3 4 Juno als Schwester und Gattin Jupiters heiligt «alles». 1 4 3 - 1 4 4 Phaedra stellt sich vor, daß sie bereits jetzt schon lange in Troezen wohnt. 15 7 - 1 6 0 quod mit Konj. «angenommen, daß; obgleich» ( O L D 6c). - Stolz auf die Ahnenreihe wie 8,50; 17, 51. Phaedras Vater ist Minos, ein Sohn (nach Homer) oder Enkel (nach Diodor 4,60-62) Jupiters, dieser dem-

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Erläuterungen

nach der V. 158 erwähnte U r g r o ß v a t e r (Ahnenreihe nach Palmer: Jupiter, Phoebus-Sol= P h o e b u s - A p o l l o , Pasiphaë, Phaedra). Phaedras Mutter Pasiphaë ist eine Tochter des in V. 159-160 aufgeführten Sonnengottes Sol-Helios. 163 Jupiters Insel: Jupiter wird v o n seiner Mutter Rhea vor dem Vater K r o n o s , der ihn wie alle seine Kinder fressen will, in einer H ö h l e des cretischen Dicte-Gebirges versteckt und wächst bei Hirten auf dem cretischen Ida-Gebirge auf. O v . Met. 8,99 bezeichnet Creta darum als «Jupiters Wiege» (lovis incunabula).

- O v i d braucht stets die griechisch

F o r m Crete, vgl. Ida/Ide, 13, 53. 165 Pasiphaes Liebe z u m Stier: V. 57-58. 169 flinke Göttin: Diana. 171 Satyrn: bocksfüßige Begleiter des Bacchus. - Pan, der griechische Waldgott, hier in der Mehrzahl: gehörnte Wald- und Bergdämonen, o f t mit den römischen Faunen gleichgesetzt.

Brief ρ Oenone

an Paris

Brief situation: O e n o n e , Wassernymphe aus dem Ida-Gebirge im Hinterland v o n Troja, wird die Geliebte des Hirten Paris. Dieser ist als Säugling aufgrund eines Albtraums der Mutter (16,43-50) v o n seinen Eltern, dem trojanischen Königspaar Priamus und Hecuba, in den Bergen ausgesetzt w o r d e n , wird aber v o n einem Hirten gerettet und aufgezogen (vgl. O e dipus). Schiedsrichter im Wettstreit der Göttinnen Juno, Minerva und Venus u m die Schönheit wird Paris z u m A n l a ß des trojanischen Krieges: Paris verläßt O e n o n e und holt sich die ihm v o n Venus versprochene Helena. O e n o n e versucht ihn z u r R ü c k k e h r z u bewegen, bevor der Krieg mit den Griechen ausbricht, schätzt aber ihre Aussichten auf Erfolg nur gering ein. Z u ihrem Ende s. V. 145-152. Quellen: Hellenistische Erzählung, ursprünglich die nachhomerischen , die die Vorgeschichte des trojanischen Krieges enthielten, und die und die mit der Fortsetzung der Ilias. - Literarische Behandlung sonst nur in den (10, 259-489) des Q u i n t u s v o n Smyrna (3. Jh. n. Chr.) erhalten. Wie der Briseis-Brief (Brief 3) das Z o r n - M o t i v der Ilias enthält, liegt hier das den trojanischen Krieg auslösende Paris-Urteil zugrunde. a - b Z u den (unechten) Einleitungsversen der Briefe 5 - 1 2 , 17-18, 20-21 s. die Bemerkungen z u r Textgestalt. - Ida: Gebirge, an dessen F u ß Troja liegt. 1 - 2 D i e neue Gattin ist Helena (s. Brief 16-17). A u s Mycenae, w o A g a -

Erläuterungen

m

memnon regiert, hat Paris die Kriegserklärung zu erwarten. Oenone scheint anzunehmen, daß Paris den Brief ungelesen weglegt. 3 Pegasa (Steph. Byz.; sicher ein Eigenname, nicht mit «Quellnymphe» o.ä. Sh. Go. Ge. zu übersetzen) oder Pedasos (Horn. II. 20, 92; danach Micyllus u.a.): Stadt der Leleger in der Landschaft Troas, von Achill zerstört; Heimat Oenones. 9 - 1 2 Paris, Sohn von Priamus und Hecuba, wird als Säugling im Ida ausgesetzt, von einer Bärin gesäugt, von dem Hirten, der ihn ausgesetzt hat, gefunden und aufgezogen. Ein Wettkampf in Troja enthüllt seine königliche Herkunft. Eine ausführliche Schilderung gibt Ovid später im Paris-Brief, 16, 51 ff. - Oenone stammt vom Flußgott Kebren ab (Apollodor 3, 12, 6). 22 «Realistische» Ritzinschrift: s. V. 29 f. und die Ubersicht zu 2, 74. 25 Typische Ortsbeschreibung mit est, s. 2, 131. 29-3 2 Typische Schwurformel: Verknüpfung mit unmöglicher Bedingung (sog. Adynaton). Treueschwur als Epigramm s. 2, 7 4 - Xanthus oder Scamander: Fluß bei Troja. 35-36 Parisurteil. - Überraschende Pointe aus Oenones Perspektive, schlagend formuliert von Spoth 152 «Oenones Unmut über die nackte Minerva, die besser Waffen trüge»; oft mißverstanden: Ge. «schöner noch als in der Rüstung», vM. «ohn' ihre Rüstung viel schöner»; Sh./Go. nuda «unadorned»; richtig Palmer: «who would be more comely with armour on». 41-42 Verschwiegen ist, daß Helena Paris versprochen ist. - Der Schiffsbau ist ausführlich geschildert in Brief 16, 107-118. 16, 22 nennt Ovid den homerischen Namen des Schiffsbauers, Phereclus. 57 grüne Töchter des Nereus: Nereiden, bei der Seefahrt hilfreiche Meeresnymphen. 71-72 Trauerritual: Kleider zerreißen (vgl. Caiphas im NT, Matth. 26, 65 u.a.), Brüste entblößen und schlagen, Gesicht zerkratzen, Haare raufen, vgl. V. 141. Von hier ab häufiges Motiv: 6, 27; 7, 70; 10, 15. 37. 145; Ii, 57. 91. 116 (hier stilisiert als Haaropfer am Grab); 12, 157; 14, 51; 15, 121. Vorbild auch hier Homer, z. B. die Trauer der Briséis an der Leiche des Patroclus, II. 19, 284 ff. In epischer Tradition auch Vergil, Aeneis 4, 672. 73 Ovid verwendet gelegentlich die griechisch-jonische Form statt der dorisch-lateinischen Ida, vgl. Crete, 4, 163. 75 Helene: Ovid braucht (auch aus metrischen Gründen) die griechische Form (17, 134 dat. -ae doppeldeutig). Im Titel von Brief 17 schwankende Uberlieferung. 79-80 Paris als Hirt s. V. 9-12. 82 Die Nachkommen des Priamus waren sehr zahlreich.

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Erläuterungen

88 Bett mit kostspieligen Purpurdecken. 91 Tyndareus' Tochter: Helena, eigentlich Tochter Jupiters, vgl. zu V. 2, 35-38· 93-94 Deïphobus: Hectors Bruder, nach dessen Tod Helenas Gatte. Tapferer Kämpfer laut Ov. Met. 12,5 47. - Polydamas (mit metrischer Dehnung des -o-; von Go. zu Unrecht nach Homer in Puly- geändert, wovor Palmer schon warnte: einheitliche Überlieferung für Ov. Met. 12, 542; Pers. ι, 4; Sil. Pun. 12, 212): Hectors bester Freund und Ratgeber im Trojanischen Krieg. 9 5 Antenor: weiser, alter Troj aner, Ratgeber des Priamus, der für eine versöhnliche Lösung eintritt und Helena zurückzugeben rät: Horn. II. 3, 203-224; 7, 344-353. 98 Menelaus rüstet zum trojanischen Krieg. 99 Laconerin (Ovid verwendet die griech. Form Lacaena): Helena. 101-102 Von den beiden Söhnen des Atreus, Agamemnon und Menelaus, ist Helenas Gatte Menelaus der jüngere. - Gast: Paris. 107-108 Hectors Frau Andromache: schon bei Homer Musterbild einer Gattin. - Bruder des Paris: Hector. 1 1 3 - 1 2 0 Prophezeiung Cassandras, vgl. 16,121 f f . - Ι - ό : griechischer Ausruf für Freude oder Schmerz. - grajisch: griechisch. - iuvenca (Kuh) ist doppeldeutig: junges weibliches Tier oder junge Frau. 127-130 Die zwölfjährige Helena wird von Theseus aus Sparta nach Aphidnae (bei Athen) entführt, später von ihren Brüdern, den Dioscuren, befreit: Plutarch, Theseus 31; Brief 8, 71-72 (Helena als Mutter Iphigenies); 16,149-156. 259-260; 1 7 , 2 1 - 3 4 . 1 5 0 . - Irgendein Theseus: Die «ahnungslose» Formulierung soll verdeutlichen, wie wenig Oenone sich in der griechischen Welt auskennt. 135-138 Satyrn und der gehörnte Gott Faunus verkörpern die Sinnlichkeit. 139-140 Apollon erbaut mit Neptun Trojas Mauern, wird dann aber von König Laomedon um den Lohn betrogen, s. zu 1, 67. 140-145 von Merkel und Palmer («versus turpes totam sententiam evertentes») als Interpolation ausgeschieden, anscheinend aus moralischen Bedenken, danach Sh. Go., aber verteidigt von Jacobson 185. 1 4 1 - 1 4 2 Haare raufen und Gesicht zerkratzen als Ausdruck der Verzweiflung nach der Schändung, vgl. V. 71-72 (anders Ge. vM.: Oenone wehrt sich so gegen Apollo). 145-152 Der Leser weiß, daß die Verstoßung Oenones Paris später zum Verhängnis wird. Nach der wird Paris von einem Giftpfeil des Philoktetes getroffen. Oenone, die Paris hätte retten können, verweigert die Hilfe, gibt sich dann aber, als Paris stirbt, aus Reue selbst den Tod. Weder Paris, der den Brief nicht lesen wird, noch die Brief-

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schreiberin selbst ahnen die Rolle von Oenones hier geschilderten Fähigkeiten. 1 5 1 - 1 5 2 (del. Merkel: def. Palmer) Pherae: Apollo muß zur Strafe unter König Admet von Pherae (Thessalien) als Hirt dienen. Nachdem Jupiter Apollos Sohn Aesculapius wegen der Erweckung eines Toten mit dem Donnerkeil in den Hades geschleudert hatte, brachte Apollo aus Rache die Cyclopen um, die den Donnerkeil geschmiedet hatten: Eur. Ale. ι ff. Nach Kallim. Hy. Ap. 2, 49 verliebt sich Apoll in Admet und hütet dort Pferde, Ziegen, Rinder und Schafe; danach Tibull. 2 , 3 , 1 1 -36. Erwähnung auch bei Ovid, Ars 2, 239 f. 156 Krieg als Mitgift Helenas: s. V. 91-92.

Brief 6: Hypsipyle an Jason Briefsituation: Auf der Fahrt nach Colchis landen die Argonauten in Lemnos, wo die Frauen zuvor alle Männer umgebracht haben. Hypsipyle, die ihren Vater, den König Thoas, heimlich gerettet hat, hat die Herrschaft übernommen. Die Frauen lassen sich mit den Argonauten ein, Hypsipyle mit Jason, und erst im dritten Jahr ziehen die Argonauten weiter, noch bevor Hypsipyle Zwillinge zur Welt gebracht hat, was sie Jason hier mitteilt. Dieser ist inzwischen mit Medea nach Jolcus zurückgekehrt, was Hypsipyle bereits erfahren hat. Sie warnt ihn vor Medea, deren (dem Leser bekannte) weitere Mordtaten (an Pelias, an Creusa, Creo und an den Kindern) erst noch bevorstehen, versucht ihn aber nicht zur Rückkehr zu bewegen, sondern verflucht die beiden, wie sich zeigen wird, mit Erfolg. - Hypsipyles Brief ist das Gegenstück zum Medea-Brief (Brief 12): Beide sind an Jason gerichtet, aber aus völlig verschiedener Perspektive. Quellen: Apollonios von Rhodos, Argonautika, doch mit erheblichen Abweichungen. Pindar, 4. Pythie, die weitgehend der Argonautensage gilt. 1-2 Heimat Jasons: Jolcus in Thessalien. - Vlies: Ziel der Argonautenfahrt. Jason landet in Lemnos auf der Hinfahrt, laut Pindar erst auf der Rückfahrt. 10-12 Jasons Mutproben vor dem Kampf mit dem Drachen: 1. Bändigung der feuerschnaubenden Stiere des Mars. - 2. Kampf mit den «erdgeborenen», aus gesäten Drachenzähnen aufschießenden Kriegern, den sog. Sparten (den «Gesäten»), die sich gegenseitig umbringen, als Jason auf Medeas Rat einen Stein unter sie wirft. 14 mit tapferer Hand: aus der subjektiven Sicht der Verehrerin. Der Dra-

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che wird zuvor von Medea eingeschläfert, während Jason ängstlich folgt: Ap. Rhod. 4, 149 ff. 19 Medea kommt aus dem «barbarischen», d.h. nicht Griechisch sprechenden Colchis. 23 haemonisch: Haemonien ist der ältere, dichterische Name für Thessalien. 25 Aesons Sohn: Jason. 27 Trauergebärde: Entblößung des Busens, s. 5, 71. 32-37 Die Kämpfe in Colchis wie 10-12, jetzt ausführlicher (32-38 del. Merkel Palmer). 37 Jason: im lat. Vers jeweils nach griech. Metrik I-a-son. 42 Statt der Hochzeitsfackel der Scheiterhaufen für das eigene Begräbnis, s. 2, 120. 44 Hymen: Gott der Hochzeitsfeier, ursprünglich ein kultischer Segensruf, der zur Gottheit Hymen oder Hymenaeus personifiziert wurde, s. 12, 143; 14, 27. 45 Erinys (Furie) als Brautjungfer: 1 1 , 103. 47-48 Minyer: Boeoter. Im boeotischen Orchomenos zeigte man das Kuppelgrab des Stadtgründers Minyas (Paus. 9, 38, 2). «Minyer» wird oft verwendet für die Argonauten, die aus ganz Griechenland kamen. Dazu die genealogische Erklärung bei Ap. Rhod. 1, 229 ff. «Minyer, weil sich die meisten und besten rühmten, aus dem Blut von Minyas' Töchtern zu stammen. So auch hatte Alkimede, Klymenes Tochter, diese wieder des Minyas, Jason geboren». - tritonische Fichte:pinus (Fichte) steht oft metonymisch für das ganze Schiff: Verg. ecl. 4, 3 8; von der Argo: Hör. epod. 16, 57 Argoo remige pinus·, Sen. Med. 336 ThessaU pinus. - Tritonia oder Tritonis (bei Homer Tritogeneia, z.B. II. 4, 515) ist ein häufiger lateinischer Beiname Athenes, die den Bau der Argo leitete (Ap. Rhod. ι, 1 1 1 - 1 1 4 ) und einen Balken aus dodonischer Eiche (nicht Fichte; also nicht «Dodona's pine» Sh. Go.) einfügte, der weissagen konnte (Ap. Rhod. 4, 583). - Tiphys: Steuermann der Argo. 49 Metrik: Versende mit Synizese (aur-jo), vgl. 15, 29. 50 Aeetes: König von Colchis, Medeas Vater. - Lemnos: Ovid braucht immer die griechische Form. 5 3 Die Lemnierinnen hatten kurz vor der Ankunft der Argonauten alle Männer ermordet: Ap. Rhod. 1, 609-619. Hypsipyle versucht das bei Ap. Rhod. ι, 793-833 Jason zu verheimlichen. 61 Das Gedicht eines Eubius über Abtreibung erwähnt Ovid Trist. 2,415 f. Abtreibung und deren fatale medizinische und soziale Risiken behandelt er in einem eigenen Gedicht, Am. 2, 14 und kürzer in Brief 1 1 , 39-42. Spoth 122 weist auf den der Elegie eigentlich fremden Realismus hin.

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65 als letzter: wohl ein Wunschtraum, s. zu V. 14. Nach Ap. Rhod. 1 , 9 1 0 bestieg Jason die Argo als erster. 73-78 Paradoxe Situation: Von Hypsipyles kultischem Aufwand (Gebete, Gelübde, die zu erfüllen sind, Tempelspenden, Schlachtopfer) profitiert nur die Rivalin. 80-81 argolisch: hier allgemeiner «griechisch», s. 1, 25. 84 Medea als Sammlerin giftiger Kräuter Ov. Met. 7,222 ff. Sen. Med. 706 ff. 8 5 Medea kann, wie die thessalischen Hexen, den Mond herabziehen und in ein Futteral stecken: Ov. Met. 7, 207 (Medeas Gebet zu Hecate); 12, 263 f. (Mycale); Sen. Med. 790 ff. 87-88 Zauber über Flüsse, Wald und Fels: Met. 7, 199-205. Flüsse, die aufwärts fließen: Sen. Med. 762. 89-90 Holz vom warmen Scheiterhaufen bei der Leichenverbrennung gilt als zauberkräftig: Sen. Med. 798. 89 Binden im Haar oder Gürtel verhindern die Wirkung des Zaubers, wie man u.a. aus ägyptischen Zauberpapyri weiß. Darum trägt man das Haar offen (Met. 7, 257passis capillis) und ohne Binden (Met. 7, 183 nudos capillos). Zur üblichen Frisur für Frauen s. 10, 48-49. 91-92 Schadenzauber, hier der verbreitete sog. Sympathiezauber mit Wachsfiguren. Schon Piaton, leg. 1 1 , 932e ff. empfiehlt scharfe Strafen dagegen. 93-94 Von Zauberei rät Ovid auch Rem. 249-290 (mit Hinweis auf Medea) ab. 101-102 Jason wird von seinem Onkel Pelias, der Jasons Vater Aeson aus der Herrschaft über das thessalische Jolcus vertrieben hat, auf die Fahrt nach dem goldenen Vlies ausgesandt, in der Hoffnung, er werde nicht mehr zurückkommen. Die Anhänger des Pelias sind Jasons Gegner, die seine Taten herabsetzen, umgekehrt Hypsipyle, s. zu V. 14 u. 65. 103-104 Gerüchte der zuvor genannten Anhänger des Pelias. Dessen Ermordung durch Medea (erwähnt im Medea-Brief 12, 129) steht zum Zeitpunkt dieses Briefes noch bevor. 103 Phasis: der größte Fluß in Colchis (jetzt: Rioni in Georgien). - Aeetaea: homerisierendes Versende mit Spondiacus und viersilbigem Wort, s. 4, 99; hier Lautkombination mit komischer Absicht. 104 Auf dem goldenen Widder fliegt Phrixus nach Colchis. Hinweis auf die Vorgeschichte der Argonautenfahrt (vgl. Briefe 12, 18-19): König Athamas von Orchomenos holt sich neben seine rechtmäßige Gattin Nephele, Mutter von Helle und Phrixus, eine zweite Frau in den Palast, die thebanische Königstochter Ino. Den Intrigen der Stiefmutter fällt Phrixus beinahe zum Opfer: Er soll als Ursache einer Mißernte als Sühnopfer geschlachtet werden. Nephele entführt die beiden Kinder

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auf einem goldenen Widder. Helle stürzt in den nach ihr benannten Hellespont, Phrixus fliegt nach Colchis weiter, opfert den Widder dem Jupiter und hängt das goldene Fell im heiligen Bezirk des Mars auf, wo es von einem Drachen bewacht wird. 106 Alcimede: Jasons Mutter, Enkelin des Minyas, s. zu V. 47. 107 Tánais: der Fluß Don. 1 1 4 - 1 1 6 Die Eltern von Hypsipyles Vater Thoas sind Bacchus und Ariadne. Diese, eine Tochter des Minos, wird als Sternbild Corona an den Himmel versetzt. 1 2 1 - 1 2 2 Als Namen der Zwillinge werden angegeben Thoas Nebrophonos und Euneos, dieser als Kämpfer vor Troja (II. 7, 468). - Lucina: Göttin der Geburtshilfe (auch Juno Lucina). 128 Dämonisierung Medeas, Vorbereitung auf V. 151, vgl. Sen. Med. 910 Medea nunc sum - «jetzt bin ich (erst die wahre) Medea». 129 Absyrtus, Medeas Bruder, von ihr ermordet und zerstückelt; die Leichenteile werden von ihr auf dem Land (übliche Fassung: im Meer) zerstreut, angeblich um die Verfolger aufzuhalten; vgl. 12, 1 1 3 - 1 1 6 , wo Medea den Mord nicht auszusprechen wagt. Nach einer Version fand dieser Mord in Tomis statt, dem späteren Verbannungsort Ovids. Die Elegie Tristia 3, 9 ist ganz dieser blutrünstigen Geschichte gewidmet, die den Namen Tomis (von gre. tomein zerschneiden) erklären soll, «weil an diesem Ort die Schwester ihren Bruder Glied für Glied zerschnitten haben soll». 13 5 Die Rettung des lemnischen Königs Thoas durch seine Tochter Hypsipyle, die ihn in einem Boot übers Meer treiben läßt, erwähnt Ap. Rhod. ι, 620-623. 137 Das lat. pius bezeichnet Liebe und Ehrfurcht zwischen Eltern und Kindern, kommt also dem dt. «brav, lieb» nahe. 139 Verbrechen der Lemnierinnen: s. V. 53. 140 Ein aus Am. 1, 7, 66 aufgegriffener, populärphilosophischer Gedanke: Schmerz (dort Zorn) verleiht auch den Schwächsten Kraft. 141 doch wohl: nempe im Fragesatz (OLD 2). 151 Medea hier im prägnanten Sinn - eine blutige Mörderin. Pointierte Steigerung von V. 128. 15 2 sich zeigt (adest): Die Wirksamkeit des Gottes ist erst garantiert, wenn der Gott selbst erscheint (Epiphanie), darum der Anruf in Gebet und Zauberformel «Komm her!» (ades). Die Bitte um Epiphanie des Gottes ist für das antike Gebet geradezu konstituierend, besonders für den Hymnus: Soph. Aias 694 ff. Eur. Phoin. 681. Sen. Oed. 268. Med. 750 (veni). Oed. 405 {ades). Ov. Met. 7, 198 (dique omnes ... adeste). 160-162 Böse Prophezeiungen über Jasons Schicksal, von denen der Leser weiß, daß sie in Erfüllung gehen.

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Brief y: Dido an Aeneas Briefsituation: Didos Abschiedsbrief an den treulosen Aeneas. A l s Gründerin der Stadt Carthago hat sie auf die Hand des trojanischen Fürsten Aeneas gehofft, der bei ihr auf seinen Irrfahrten gelandet ist und mit dem sie ein Liebesverhältnis begonnen hat. Mit Aeneas' Abreise nach Italien, die auf göttlichen Befehl unmittelbar bevorsteht, gerät sie in Bedrängnis, weil Jarbas (Hiarbas), König der benachbarten Gaetuler, der um ihre Hand anhält, die Stadt zu erobern und zu zerstören droht, wenn D i d o nicht seine Frau werden will. D e n Entschluß z u m Selbstmord hat D i d o bereits zu Beginn gefaßt, aus Verzweiflung über die Untreue des Aeneas und um Hiarbas nicht in die Hände zu fallen, doch scheinen ihr die A r gumente, mit denen sie Aeneas im letzten Moment zu überreden sucht, für kurze Zeit H o f f n u n g zu geben. Während sie schreibt, hält sie das Schwert, mit dem sie sich umbringen wird, in der Hand (wie Canace, Brief II).

Quelle: Vergil, Aeneis 2 und 4 (Abweichungen s. V. 135-138, 183-186). Von O v i d , Fasti 3,545 ff. im Anschluß an Vergil nochmals behandelt (mit Wiederholung des Grabepigramms von V. 195 f.). a - b Dardanide: Trojaner, nach dem zweiten König von Troja, Dardanus, dem Schwiegersohn von Teucer. - Elissa: anderer N a m e Didos. 2 Maeander: Fluß in Karien mit sprichwörtlich vielen Windungen, s. 9, 5 5 . - Schwanengesang: Die Stimme des Schwans - gemeint ist der SingSchwan (cycnus musicus) - wird im ganzen Altertum seit Hesiod gerühmt (Hes. scut. 316. Eur. Iph. Taur. 1104). Vergil, ecl. 9, 29 bringt singende Schwäne in Zusammenhang mit Mantua und Cremona. Laut Pausanias (1, 30, 3) soll ein «musischer» ligurischer König in der Poebene bei seinem Tod von A p o l l o in einen Schwan verwandelt worden sein, daher gelte der Schwan als musisch; so ist er oft Sinnbild des Dichters überhaupt: Hör. carm. 2, 20. 4, 2, 25. D a ß der Schwan erst singe, wenn er seinen Tod ahnt, berichtet u.a. Piaton (Phaid. 84 e. Cie. Tusc. ι , 73. Sen. Phae. 302). Die Lokalisierung der Sage am Maeander erscheint nur hier. 11 Carthago ist bei der A n k u n f t des Aeneas bei D i d o noch im Bau: Verg. Aen. ι , 422 ff. 23-36 Selbstgespräch (ab V. 25 Aeneas in der 3. Person), das plötzlich in ein Gebet an Venus umschlägt, darauf Rückkehr zur Briefform (V. 37). Die Pentameter 32/34/36 sind durch ille an gleicher Versstelle verbunden. 27 Weiche Zäsur nach dem dritten Trochäus ist typisch homerisch. 31 Braut (eigentlich Schwiegertochter): Didos Wunschtraum, gleichzei-

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