Satiren. Briefe. Sermones. Epistulae. Lateinisch - Deutsch 3760817211, 9783760817217

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Satiren. Briefe. Sermones. Epistulae. Lateinisch - Deutsch
 3760817211, 9783760817217

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SAMMLUNG TUSCULUM

Wissenschaftliche Beratung: Gerhard Fink, Manfred Fuhrmann, Erik Hornung, Joachim Latacz, Rainer Nickel

Q. H O R A T I U S F L A C C U S

SATIREN · BRIEFE SERMONES · EPISTULAE

Lateinisch-deutsch

Ubersetzt von Gerd Herrmann, herausgegeben von Gerhard Fink

ARTEMIS & WINKLER

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Horatius Flaccus, Quintus: Satiren = Sermones. Briefe = Epistulae. Lateinisch/deutsch. Quintus Horatius Flaccus. Ubers, von Gerd Herrmann, hrsg. von Gerhard Fink. Düsseldorf ; Zürich : Artemis und Winkler, 2000 (Sammlung Tusculum) Einheitssacht.: Sermones I S B N 3-7608-1721-1 © 2000 Patmos Verlag G m b H & C o . K G Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf/Zürich Alle Rechte, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks sowie der fotomechanischen und elektronischen Wiedergabe, vorbehalten. Satz: Offizin Wissenbach, Höchberg bei Würzburg Druck und Verarbeitung: Pustet, Regensburg I S B N 3-7608-1721-1

Meiner lieben Frau

INHALT Text und Übersetzung Sermones · Satiren Liber primus · Erstes Buch Liber secundus · Zweites Buch

10 74

Epistulae · Briefe Liber primus · Erstes Buch Liber secundus · Zweites Buch

146 222

De arte poetica · Das Buch von der Dichtkunst

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Anhang Zur Textgestalt Erläuterungen Einführung Geflügelte Worte Literaturhinweise Nachwort

283 289 391 399 402 406

SATIREN SERMONES

Liber

Qui fit, Maecenas, ut nemo, quam sibi sortem seu ratio dederit seu fors obiecerit, ilia contentus vivat, laudet diversa sequentis ? 'o fortunati mercatores' gravis annis miles ait, multo iam fractus membra labore; contra mercator navim iactantibus Austris: 'militia est potior, quid enim? concurritur: horae momento cita mors venit aut victoria laeta.' agricolam laudat iuris legumque peritus, sub galli cantum consultor ubi ostia puisât, ille, datis vadibus qui rure extractus in urbem est, solos felicis viventis clamat in urbe, cetera de genere hoc - adeo sunt multa - loquacem delassare valent Fabium. ne te morer, audi, quo rem deducam. si quis deus 'en ego' dicat 'iam faciam quod voltis: eris tu, qui modo miles, mercator; tu, consultus modo, rusticus: hinc vos, vos hinc mutatis discedite partibus. eia; quid statis?' nolint, atqui licet esse beatis. quid causae est, merito quin illis Iuppiter ambas iratus buccas inflet neque se fore posthac tam facilem dicat, votis ut praebeat aurem? praeterea, ne sic, ut qui iocularia, ridens percurram - quamquam ridentem dicere verum quid vetat? ut pueris olim dant crustula blandi doctores, elementa velint ut discere prima sed tamen amoto quaeramus seria ludo: ille gravem duro terram qui vertit aratro, perfidus hic caupo, miles nautaeque, per omne audaces mare qui currunt, hac mente laborem sese ferre, senes ut in otia tuta recedant,

Erstes Buch ι Wie nur, Maecenas, erklärt sich, daß keiner jemals zufrieden Ist mit dem Los, das er wählte, oder der Fügung des Schicksals Nein, daß er stets nur verherrlicht, was sich ein andrer erkoren? »Kaufleute, ihr seid doch glücklich!« stöhnt der Soldat, den die Jahre Beugten und dem so manche Strapazen die Glieder entkräftet. Dem entgegnet der Kaufmann, dess' Schiff die Südwinde schütteln: »Kriegsdienst ist besser. Was ist's schon? Man stößt auf den Feind und es Rasch sich die Stunde des Todes oder des herrlichsten Sieges.«

[nähert

Preist nicht der rechts- und gesetzeskundige Anwalt den Bauern, Wenn beim Frühruf der Hähne schon ein Klient an die Tür pocht? Wer einer Bürgschaft wegen vom Land in die Großstadt geladen Wurde, der ruft überwältigt: »Nur in der Stadt lebt man glücklich.« Überall hört man ja derlei Redensarten, so daß es Selbst dem geschwätzigen Fabius zuviel wird. Du aber höre Bitte, worauf ich hinaus will! Würde ein Gott denen sagen: »Gut, was ihr wollt, soll geschehen: du hier, bislang noch ein Krieger, Wirst jetzt zum Kaufmann, und du, der Anwalt, wirst Bauer; nun geht doch, Wechselt die Plätze, vertauscht eure Rollen! Sieh an, ihr bleibt stehen?« Ach, sie würden's nicht wollen - und hielten ihr Glück doch in Händen! Hätte da Jupiter nicht ganz recht, in stürmischem Unmut Ihnen voll ins Gesicht zu blasen, er werde nach all dem Nicht mehr geneigt sein, ihren Gebeten sein O h r noch zu leihen? Übrigens, daß es nicht scheine, ich flöge wie einer, der Spaß macht, Lachend darüber hinweg (aber wär's denn verboten, die Wahrheit Lachend zu sagen - schenken doch auch die Lehrer den Knaben Honigplätzchen, das A B C ihnen schmackhaft zu machen?): Lassen wir trotzdem die Scherze und müh'n uns um ernsthafte Dinge! Der dort, mit scharfer Pflugschar wendend die saftigen Schollen, Hier der durchtriebene Wirt, der Kriegsmann, die Schiffer, die Meerflut Kühn befahrend: sie alle versichern, all diese Mühen Nähmen sie auf sich allein, um die Altersruh' zu genießen,

SERMONES · L I B E R I

aiunt, cum sibi sint congesta cibaria: sicut parvola - nam exemplo est - magni formica laboris ore trahit quodcumque potest atque addit acervo quem struit, haud ignara ac non incauta futuri, quae, simul inversum contristat Aquarius annum, non usquam prorepit et illis utitur ante quaesitis sapiens, cum te ñeque fervidus aestus demoveat lucro ñeque hiems, ignis mare ferrum, nil obstet tibi, dum ne sit te ditior alter. quid iuvat inmensum te argenti pondus et auri furtim defossa timidum deponere terra, quod, si conminuas, vilem redigatur ad assem? at ni id fit - quid habet pulcri constructus a c e m a s ? milia frumenti tua triverit area centum: non tuus hoc capiet venter plus ac meus: ut, si reticulum pañis venalis inter onusto forte vehas umero, nihilo plus accipias quam qui nil portarit. vel die quid referat intra naturae finis viventi, iugera centum an mille aret? 'at suave est ex magno tollere acervo.' dum ex parvo nobis tantundem haurire relinquas, cur tua plus laudes cumeris granaria nostris? ut tibi si sit opus liquidi non amplius urna vel cyatho et dicas 'magno de flumine malim quam ex hoc fonticulo tantundem sumere.' eo fit, plenior ut siquos delectet copia iusto, cum ripa simul avolsos ferat Aufidus acer. at qui tantuli eget quanto est opus, is ñeque limo turbatam haurit aquam neque vitam amittit in undis. at bona pars h o m i n u m decepta cupidine falso 'nil satis est', inquit, 'quia tanti quantum habeas sis.' quid facias illi? iubeas miserum esse, libenter quatenus id facit: ut quidam memoratur Athenis sordidus ac dives, populi contemnere voces sic solitus: 'populus me sibilat, at mihi plaudo ipse domi, simul ac nummos contemplor in arca.'

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SATIREN • ERSTES BUCH



Wenn sie für sich dereinst genügend an Vorrat gesammelt G a n z so, wie, als ihr Vorbild, die winzige Ameise mühsam Mit ihren Zangen nach Kräften alles herbeischleppt, den Vorrat Auffüllt, den sie gesammelt, und klug schon sorgt für die Zukunft. Wenn der Wassermann aber die Jahreswende verdüstert, Krabbelt sie nicht mehr hervor, genießt, was sie weise gehortet. D i c h aber hindert nicht H i t z e des Sommers, nicht Kälte im Winter, Auch kein Feuer, kein M e e r und kein Krieg, dem G e w i n n nachzujagen: Nichts hält dich auf, wenn nur kein anderer reicher als du wird. Was ist so reizvoll an Riesenmengen Silbers und Goldes, Heimlich vergraben und ängstlich bewacht? Sobald du sie angreifst, Bleibt dir zum Schluß nicht mehr als ein billiges, wertloses Geldstück! Rührst du ihn aber nicht an - was bringt so ein Haufen dir Gutes? Drischt deine Tenne auch hunderttausend Scheffel Getreide: Fassen kann dein Bauch nicht mehr als der meine - wie, wenn du U n t e r Sklaven den Brotsack zu Markt trägst, beladen die Schulter, Auch um nichts mehr b e k o m m s t als jener, der gar nichts getragen. Wenn einer nur der N a t u r gehorcht, was macht es dann, sag mir, O b er bloß hundert oder auch tausend M o r g e n beackert? »Aber es ist doch so köstlich, stets aus dem Vollen zu schöpfen!« Läßt du uns gleich viel nehmen aus unserm bescheidenen Vorrat, Weshalb lobst deine Speicher du mehr als unsere K ö r b e ? Das ist, als wenn du Wasser holtest, nicht mehr als ein Krug faßt O d e r ein Becher, und sprächest: »Lieber aus mächtigem Flusse M ö c h t ' ich das Gleiche mir schöpfen als aus bescheidener Quelle.« So ist schon mancher, an maßloser Fülle sich labend, vom wilden, Reißenden Aufidus fortgeschwemmt worden, zugleich mit dem Ufer. A b e r wer mehr nicht begehrt, als er wirklich benötigt, schöpft weder Schlammgetrübtes Wasser noch läßt in der Flut er sein Leben. D e n n o c h , es meint ein Gutteil der Menschen in falschem Begehren: »Nichts ist genug; nur so viel giltst du, wieviel du besitzest.« So einem ist nicht zu helfen. L a ß ihn doch unglücklich leben, Wenn es ihm Spaß macht. Erzählt wird von einem geizigen, reichen M a n n in Athen, er verachte notorisch die Stimme des Volkes, Sage sich: »Wohl zischt das Volk mich aus, doch ich klatsche Selber mir Beifall daheim beim Blick auf mein Geld in der Truhe.«

SERMONES · L I B E R I

Tantalus a labris sitiens fugientia captat ilumina - quid rides? mutato nomine de te fabula narratur: congestis undique saccis indormis inhians et tamquam parcere sacris cogeris aut pictis tamquam gaudere tabellis. nescis, quo valeat nummus, quem praebeat usum? pañis ematur, holus, vini sextarius, adde quis humana sibi doleat natura negatis. an vigilare metu exanimem, noctesque diesque formidare malos fures, incendia, servos, ne te conpilent fugientes, hoc iuvat? horum semper ego optarim pauperrimus esse bonorum. at si condoluit temptatum frigore corpus aut alius casus lecto te adflixit, habes qui adsideat, fomenta paret, medicum roget, ut te suscitet ac reddat gnatis carisque propinquis? non uxor salvum te volt, non filius; omnes vicini oderunt, noti, pueri atque puellae. miraris, cum tu argento post omnia ponas, si nemo praestet, quem non merearis, amorem? an si cognatos, nullo natura labore quos tibi dat, retiñere velis servareque amicos, infelix operam perdas, ut siquis asellum in campo doceat parentem currere frenis ? denique sit finis quaerendi, cumque habeas plus, pauperiem metuas minus et finire laborem incipias, parto quod avebas, ne facias quod Ummidius quidam; non longa est fabula: dives ut metiretur nummos, ita sordidus, ut se non umquam servo melius vestiret, ad usque supremum tempus, ne se penuria victus opprimerei, metuebat. at hunc liberta securi divisit medium, fortissima Tyndaridarum. 'quid mi igitur suades? ut vivam Naevius aut sic ut Nomentanus?' pergis pugnantia secum frontibus adversis conponere: non ego avarum

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SATIREN · ERSTES B U C H

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Tantalos schnappt nach den Wassern, die vor seinen Lippen entweichen Lachst du? Nur unter anderem Namen spricht diese Fabel Doch auch von dir jetzt: auf Säcken, die du von weither geschleppt hast, Schläfst du, keuchend vor Gier, als ob du heilige Schätze Hüten müßtest - oder auch Wandgemälde bestaunen. Weißt du denn nicht, wozu das Geld gut ist und sinnvoll zu nutzen? Brot kannst du kaufen, Gemüse, ein Viertelchen Wein, dazu alles, Was wir Menschen sonst brauchen und was wir nur ungern entbehren. Oder freut es dich denn, in Todesängsten zu wachen, Tag und Nacht dich vor bösen Dieben zu fürchten, vor Bränden, Flüchtenden Sklaven, die dich beraubten? An all diesen »Gaben«, Möcht' ich wohl wünschen, fürs ganze Leben der Ärmste zu bleiben! Bist du aber von einer rauhen Erkältung befallen Oder fesselt ans Bett dich ein anderes Leiden, so frag' ich: Pflegt dich dann jemand, macht einen Umschlag dir, ruft einen Arzt her, Der dich heilt und zurückgibt den Kindern, den lieben Verwandten? Nein, nicht die Gattin, kein Sohn will, daß du gesund wirst, und allen Nachbarn, Bekannten, Jungen und Mädchen bist du ein Greuel. Wundert's dich, da doch letztlich das Geld dir geht über alles, Daß dir niemand die Liebe schenkt, die du nie dir verdient hast? Wär' es verschwendete Mühe, wenn du dir Freunde, Verwandte Gaben des Schicksals ohne dein Zutun - treu zu erhalten Suchtest? Meinst du, das wäre, wie wenn auf dem Marsfelde einer Lehren wollt' einen Esel, dem Zügel gehorchend zu traben? Setz dem Erwerbstrieb ein Ende! Da du dein Eigen gemehrt hast, Mindre die Furcht vor der Armut, hör auf, dich endlos zu plagen Hast doch, was du begehrtest - , daß es dir ja nicht ergehe Wie dem Ummidius! Rasch ist berichtet sein Schicksal: als Reicher Maß er sein Geld nur mit Scheffeln; er war zu geizig, sich jemals Besser zu kleiden als irgendein Sklave; bis an sein Ende Lebte er ständig in Furcht, die Not könnt' ihn jäh überkommen. Ihm aber hat eine Freigelassne den Schädel gespalten Mit einem Beilhieb, mit aller Gewalt, wie einst Klytämnestra! »Was also rätst du mir? Soll ich leben wie Naevius oder Wie Nomentanus?« Schon wieder stellst du nebeneinander Schroff Entgegengesetztes: wenn ich dir Habsucht verbiete,

SERMONES · LIBER I

cum veto te fieri, vappam iubeo ac nebulonem: est inter Tanain quiddam socerumque Viselli: est modus in rebus, sunt certi denique fines, quos ultra citraque nequit consistere rectum. illuc, unde abii, redeo. nemon ut avarus, se probet ac potius laudet diversa sequentis? q u o d q u e aliena capella gerat distentius über, tabescat? neque se maiori pauperiorum turbae conparet? hune atque hune superare laboret? sic festinanti semper locupletior obstat, ut, cum carceribus missos rapit ungula currus, instat equis auriga suos vincentibus, illum praeteritum temnens extremos inter euntem. inde fit, ut raro, qui se vixisse beatum dicat et exacto contentus tempore vita cedat uti conviva satur, reperire queamus. iam satis est. ne me Crispini scrinia lippi conpilasse putes, verbum non amplius addam.

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SATIREN · ERSTES BUCH

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Sollst du nicht gleich ein Nichtsnutz oder ein Windbeutel werden! Zwei Extreme sind Tanais und des Visellius Schwäher. D o c h in der Welt gibt's ein M a ß und streng gezogene Grenzen: Jenseits wie diesseits von ihnen wird nie etwas Rechtes gedeihen. K e h r ' n wir zum Anfang noch einmal zurück: wie k o m m t es, daß niemand In seiner G i e r mit sich auskommt und lieber das G l ü c k des andren Preist und vor G r a m sich verzehrt, wenn mal ein pralleres Euter Trägt die Ziege des N a c h b a r n , und, statt mit Armeren lieber Sich zu vergleichen, den und jenen noch ausstechen möchte. Solch ein rastloser Raffer wird stets noch auf Reichere stoßen, Ebenso ist's, wenn die Pferde beim Rennen v o m Start weg den Wagen Mit sich reißen: ihr L e n k e r verfolgt die Gespanne, die schneller Sind und verachtet den U b e r h o l t e n wie einen der Letzten. Deshalb finden wir selten nur einen, der glücklich sein L e b e n N e n n e n mag und der, am Ziel seiner Jahre, zufrieden Abschied nimmt, ein gesättigter Gast nach beendetem Mahle. N u n sei's genug. D e n k nicht, ich hätte des trüben Crispinus Schreine etwa geplündert. D a r u m nun kein weiteres Wort mehr!

SERMONES ' L I B E R I

2 A m b u b a i a r a m collegia, pharmacopolae, mendici, mimae, balatrones, hoc genus omne raaestum ac sollicitum est cantoris m o r t e Tigelli: quippe benignus erat, contra hic, ne prodigus esse dicatur metuens, inopi dare nolit amico, frigus q u o duramque famem propellere possit. hune si perconteris, avi cur atque parentis praeclaram ingrata stringat malus ingluvie rem, omnia conductis coemens obsonia nummis, sordidus atque animi quod parvi nolit haberi, respondet. laudatur ab his, culpatur ab illis. Fufidius vappae famam timet ac nebulonis, [dives agris, dives positis in fenore nummis]: quinas hic capiti mercedes exsecat atque quanto perditior quisque est, tanto acrius urget; nomina sectatur m o d o sumpta veste virili sub patribus duris tironum. 'maxime' quis non 'Juppiter' exclamat simul atque audivit? 'at in se pro quaestu sumptum facit?' hic? vix credere possis, quam sibi non sit amicus, ita ut pater ille, Terenti fabula quem miserum gnato vixisse fugato inducit, non se peius cruciaverit atque hic. si quis nunc quaerat ' q u o res haec pertinet?' illuc: dum vitant stulti vitia, in contraria currunt. Maltinus tunicis demissis ambulat, est qui inguen ad obscaenum subductis usque; facetus pastillos Rufillus olet, Gargonius hircum: nil medium est. sunt qui nolint tetigisse nisi illas quarum subsuta talos tegat instita veste, contra alius nullam nisi olenti in fornice stantem. quidam notus h o m o cum exiret fornice, 'macte virtute esto' inquit sententia dia Catonis; 'nam simul ac venas inflavit taetra libido, hue iuvenes aequom est descendere, non alienas

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SATIREN · ERSTES BUCH

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Zunft der flötenspielenden Mädchen, Quacksalber, Bettler, Mimen, Possenreißer, das ganze Gelichter, es trauert Tief bekümmert über den Tod des Sängers Tigellius, War er doch freigebig stets. Manch andrer hingegen, um ja nicht Als Verschwender zu gelten, gibt selbst dem darbenden Freunde Keinerlei Hilfe zum Kampf gegen Kälte und quälenden Hunger. Fragst du den einen hier, warum er des Ahnen, des Vaters Stattliches Erbe verprasse, als unersättlicher Schlemmer Mit geliehenem Geld die köstlichsten Speisen sich kaufe, Gibt er zur Antwort: »Mich soll niemand für schäbig und kleinlich Halten!« Mancher lobt ihn dafür, während andre ihn tadeln. Anders Fufidius: der fürchtet, als windiger Nichtsnutz zu gelten Trotz seines Reichtums an Grund und Boden und Geld, das er ausleiht, U m aus den Darlehen monatlich fünf Prozent Zinsen zu ziehen; Wem es besonders schlecht geht, den schindet er nur um so härter; Junge Leute, eben mündig geworden, vom Vater Knapp gehalten, sind ihm die liebsten Schuldner. » O großer Jupiter!« ruft da jeder, der's hört, »wie wird der genießen All den Reichtum, den er so einsackt!« Du wirst es nicht glauben: Der ist sich selber nicht gut, wie in des Terentius Lustspiel Jener Vater, der seinen Sohn verjagte, nun elend Weiterlebt und sich selbst nicht weniger peinigt als dieser. »Was ist der Sinn von all dem?« mag einer nun fragen. N u r dieser: Meidet der Dummkopf ein Laster, verfällt er ins Gegenteil schließlich. Da geht Maltinus, die Tunika reicht ihm bis auf die Füße; Schamlos geschürzt bis zur Hüfte trägt sie ein andrer; Rufillus, Hochelegant, riecht stets nach Pastillen, nach Bock der Gargonius. Maß und Mitte - sie fehlen. Den einen reizen die feinen Damen, deren Gewand mit der Borte verdeckt ihre Knöchel, Andre hingegen nur die Dirnen im Dunst der Bordelle. Als ein allseits Bekannter aus einem Bordell kam, vernahm er Jenen berühmten Ausspruch des Cato: »Bravo, ganz recht so! Wenn so gierige Lüste die Adern ihm schwellen, da ist's nur Gut, wenn ein junger Mann dort absteigt, anstatt zu verführen

SERMONES · L I B E R I

permolere uxores.' 'nolira laudarier' inquit 'sic me' mirator cunni Cupiennius albi. audire est operae pretium, procedere recte qui moechis non voltis, ut omni parte laborent utque lilis multo corrupta dolore voluptas atque haec rara cadat dura inter saepe pericia, hic se praecipitem tecto dedit, ille flagellis ad mortem caesus, fugiens hic decidit acrem praedonum in turbam, dedit hic pro corpore nummos, hunc perminxerunt calones; quin etiam illud accidit, ut cuidam testis caudamque salacem demeterent ferro, 'iure' omnes: Galba negabat. tutior at quanto merx est in classe secunda, libertinarum dico - Sallustius in quas non minus insanit quam qui moechatur. at hic si, qua res, qua ratio suaderet quaque modeste munifico esse licet, vellet bonus atque benignus esse, daret quantum satis esset nec sibi damno dedecorique foret, verum hoc se amplectitur uno, hoc amat et laudat: 'matronam nullam ego tango', ut quondam Marsaeus, amator Originis ille, qui patrium mimae donat fundumque laremque, 'nil fuerit mi' inquit 'cum uxoribus umquam alienis.' verum est cum mimis, est cum meretricibus, unde fama malum gravius quam res trahit, an tibi abunde personam satis est, non illud, quidquid ubique officit, evitare? bonam deperdere famam, rem patris oblimare malum est ubicumque. quid interest in matrona, ancilla peccesne togata? Villius in Fausta Sullae gener, hoc miser uno nomine deceptus, poenas dedit usque superque quam satis est, pugnis caesus ferroque petitus, exclusus fore, cum Longarenus foret intus, huic si muttonis verbis mala tanta videnti diceret haec animus 'quid vis tibi? numquid ego a te magno prognatum deposco consule cunnum

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SATIREN · ERSTES B U C H

Andere Frauen.« - »So aber möcht' ich niemals gelobt sein«, Meint Cupiennius, der weiß gekleidete Frauen bewundert. Die ihr nicht wollt, daß ihr Ziel die Ehebrecher erreichen, Hört nun - es lohnt sich die Mühe - , wie allenthalben sie leiden, Wie ihre zuchtlose Lust, mit vielfachem Ärger verbunden, Selten ans Ziel nur gelangt - und oft unter großen Gefahren: Der stürzt vom Hausdach sich in die Tiefe; jener, verprügelt, Kommt fast zu Tode; dieser gerät in die Hände von wilden Räubern; ein anderer zahlt für sein Leben ein halbes Vermögen; Diesen bepissen die Pferdeknechte; und manchem schon hat man Abgeschnitten das geile Glied und die Hoden. »Ganz recht so!« Sagen da alle. Galba aber war anderer Meinung. Wieviel sichrer ist da in der niederen Klasse die Ware! Freigelassene Mädchen mein' ich. In sie ist Sallustius So vernarrt, wie sonst kein Ehebrecher es sein kann. Schaden und Schande könnt' er sich sparen, ließ' er sich raten Von der Vernunft, vom Vermögen: wie man spendet mit Maßen, Nobel als Gönner sich zeigt, doch stets nur gibt, was genug ist. Er aber schmeichelt sich und gefällt sich bloß in dem einen, Dies allein preist er: »Niemals verführe ich ehrbare Frauen!« So sprach einst auch Marsaeus, Liebhaber jener Origo, Einer Tänzerin, als er sein Erbe samt Landgut ihr schenkte: »Nichts hab ich je mit fremden Ehefrauen zu schaffen!« Aber sehr wohl mit Tänzerinnen und Dirnen, was noch mehr Schadet dem guten Ruf als dem eigenen Beutel! Glaubst du denn, Mehr als genug sei's schon, bestimmte Personen zu meiden, Nicht auch alles, was schadet? Eigenes Ansehn zerstören, Vaters Erbgut verprassen bleibt übel. Ist's denn was andres, Ehrbare Frauen dreist zu betören statt niedere Dirnen? Villius, Hausfreund der Fausta, »Schwiegersohn Sullas«, der Arme Hatte, durch einen Namen geblendet, erbärmlich zu leiden: Mit dem Messer bedroht, mit Fäusten zusammengeschlagen, Wurde er ausgesperrt, wenn Longarenus zu Gast war. Würde angesichts so vieler trauriger Leiden sein Penis Warnend ihn fragen: »Was willst du denn nur? Verlange ich etwa Für mich ein Weib, das ein großer Konsul erzeugte, in eine

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SERMONES · LIBER I

velatumque stola, mea cum conferbuit ira?' quid responderet? 'magno patre nata puella est.' at quanto meliora monet pugnantiaque istis dives opis natura suae, tu si modo recte dispensare velis ac non fugienda petendis inmiscere. tuo vitio rerumne labores, nil referre putas ? quare, ne paeniteat te, desine matronas sectarier, unde laboris plus haurire mali est quam ex re decerpere fructus. nec magis huic inter niveos viridisque lapillos, sit licet, hoc, Cerinthe, tuo tenerum est femur aut crus rectius, atque etiam melius persaepe togatae. adde hue, quod mercem sine fucis gestat, aperte quod venale habet ostendit nec, siquid honesti est, iactat habetque palam, quaerit, quo turpia celet. regibus hic mos est, ubi equos mercantur: opertos inspiciunt, ne si facies, ut saepe, decora molli fulta pede est, emptorem inducat hiantem, quod pulcrae clunes, breve quod caput, ardua cervix, hoc illi recte: ne corporis optima Lyncei contemplere oculis, Hypsaea caecior illa, quae mala sunt, spectes. 'o crus, o bracchia.' verum depugis, nasuta, brevi latere ac pede longo est. matronae praeter faciem nil cernere possis, cetera, ni Catia est, demissa veste tegentis. si interdicta petes, vallo circumdata - nam te hoc facit insanum - , multae tibi tum officient res, custodes, lectica, ciniflones, parasitae, ad talos stola demissa et circumdata palla, plurima, quae invideant, pure adparere tibi rem. altera, nil obstat: Cois tibi paene videre est ut nudam, ne crure malo, ne sit pede turpi; metiri possis oculo latus, an tibi mavis insidias fieri pretiumque avellier ante quam mercem ostendi? leporem venator ut alta in nive sectetur, positum sic tangere nolit,

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SATIREN • ERSTES B U C H

Stola gehüllt, wenn meine Leidenschaft prall mich geschwellt hat?« Was war' die Antwort? »Sie ist doch die Tochter bedeutenden Vaters!« Aber zu wieviel Besserem, ganz Entgegengesetztem Treibt die reiche Natur dich an, wofern du nur sorgsam Umgehst damit und nicht, was zu meiden ist, mit dem Erstrebten Unziemlich mischst. Oder glaubst du, es spielt keine Rolle, ob eigner Fehler dich quält oder sonstiger Mangel? Von ehrbaren Frauen Halte dich fern, damit dich's nicht reue, wenn mehr du an Leiden Dadurch erfährst, als Früchte auf diesem Felde dir reifen. Sieh doch, auch die da, geschmückt mit Smaragden und Perlen, hat dennoch Keine zarteren Schenkel, Cerinthus, kein schlankeres Bein als Du, und wesentlich besser ist's oft auch bei einer Dirne. Dazu kommt: sie stellt ohne Schminke zur Schau ihre Ware, Offen zeigt sie, was sie zu bieten hat. Was an ihr hübsch ist, Preist sie nicht an und versucht nicht, was unschön an ihr, zu verbergen. Vornehme halten es so, wenn sie Pferde sich kaufen: sie schauen Sie in Decken sich an, damit nicht ein rassiger Tierleib O f t auf zu schwachen Füßen - den Käufer verlockt, nur zu seh'n, wie Stattlich die Kruppe, wie schmal der Kopf, hoch ragend der Nacken. Darin haben sie recht: betrachte niemals des Körpers Schönste Partien wie Lynkeus, während du sämtliche Mängel Blind übersiehst wie Hypsaea: »O dieses Bein, diese Arme!« Aber die Nase! Kein Hintern! Zwergwuchs! Die riesigen Füße! Nichts ist zu sehen bei ehrbaren Frauen außer dem Antlitz, Alles übrige hüllt die Gewandung - nur nicht bei Catia. Suchst du Verbotnes, von Sitte behütet? Bringt grade dies dich U m den Verstand? Da stellt so manches dir sich entgegen: Wächter, die Sänfte, Friseure, Schmarotzer und dann auch die Stola, Bis zu den Knöcheln reichend, der Umhang, die Schultern verbergend All das will neidisch dir den reinen Anblick verwehren. Nichts von alledem stört bei der andern: im seidenen Kleidchen Zeigt sie sich dir, fast nackt, kein Mangel am Bein, an den Füßen, Abtasten kannst mit dem Blick du die Taille. Wär' es dir lieber, In eine Falle zu gehn und den Preis zu bezahlen, bevor du Noch die Ware gesehn hast? »Wie der Jäger dem Hasen Nachstellt im Tiefschnee, doch einen, der daliegt, nicht einmal anrührt«,

S E R M O N E S · LIBER I

cantat et adponit 'meus est amor huic similis; nam transvolat in medio posita et fugientia captat.' hiscine versiculis speras tibi posse dolores atque aestus curasque gravis e pectore pelli? nonne, cupidinibus statuat natura modum quem, quid latura sibi, quid sit dolitura negatum, quaerere plus prodest et inane abscindere soldo? num, tibi cum faucis urit sitis, aurea quaeris pocula? num esuriens fastidis omnia praeter pavonem rhombumque? tument tibi cum inguina, num ancilla aut verna est praesto puer, impetus in quem continuo fiat, malis tentigine rumpi ? non ego; namque parabilem amo venerem facilemque. illam 'post paulo', 'sed pluris', 'si exierit vir' Gallis, hanc Philodemus ait sibi, quae ñeque magno stet pretio ñeque cunctetur, cum est iussa venire, candida rectaque sit, munda hactenus, ut neque longa nec magis alba velit quam dat natura videri. haec ubi supposuit dextro corpus mihi laevom, Ilia et Egeria est; do nomen quodlibet illi nec vereor, ne, dum futuo, vir rure recurrat, ianua frangatur, latret canis, undique magno pulsa domus strepitu resonet, vepallida lecto desiliat mulier, miseram se conscia clamet, cruribus haec metuat, doti deprensa, egomet mi. discincta tunica fugiendum est et pede nudo, ne nummi pereant aut puga aut denique fama, deprendi miserum est: Fabio vel iudice vincam.

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SATIREN · ERSTES BUCH

Hebt er an und setzt noch hinzu: »So ergeht's meiner Liebe: Was bequem daliegt, verschmäht sie, aber was flieht, danach greift sie.« Hoffst du etwa, mit solchen Sprüchen könntest du Schmerzen, Glut der Liebe und drückende Sorgen der Seele vertreiben? Bringt es nicht mehr, wenn man fragt, welches Maß die Natur den Begierden Festsetzt, was sie erträgt, was zu ihrem Schmerz ihr versagt wird, Und dabei abgrenzt nichtigen Wahn vom wirklichen Wesen? Suchst du bei brennendem Durst etwa erst die goldenen Becher? Wirst du bei quälendem Hunger alles andre verschmähen Außer dem Pfau und dem Steinbutt? Schwillt dir das Glied und erspähst du Dort eine Magd, einen taufrischen Knaben, auf die dein Begehren Prompt sich richtet, möchtest du lieber dann bersten vor Geilheit? Nein, ich schätze die Liebe, die leicht und willig sich hingibt. Eine, die sage: »Erst später«, »Gib mehr«, »Wenn mein Mann aus dem Haus Gönnt Philodemos den Galloi, sich selbst jedoch eine, die nicht so

[ist«,

Hoch steht im Preis, nicht zögert, wenn man ihr winkt, daß sie komme. Hellhäutig, schlank und so schmuck soll sie sein, daß nie sie den Wunsch hat, Größer zu sein oder heller, als die Natur sie geschaffen. Liege ich rechts und schmiegt sie sich an mich von links, oh, dann ist sie Ilia, Egeria, vielerlei Kosenamen empfängt sie. Wenn wir uns lieben, fürchte ich nicht, daß der Mann schon vom Landgut Heimkehrt, aufstößt das Tor und der Hund bellt, bis dann das ganze Haus erdröhnt von lautem Getöse, die Frau von dem Lager Totenblaß aufspringt, die Freundin, ihr Unglück bejammernd: sie fürchtet Um ihre Knochen, die Frau um die Mitgift und ich um mein Leben. Barfuß müßte ich dann ja mit flatterndem Hemde entfliehen, Sonst wär's geschehn um mein Geld, um den Hintern, um meinen Ruf gar. Schlimm wär's, ertappt zu werden. Selbst Fabius kann das nicht bestreiten.

SERMONES ' L I B E R I

3 O m n i b u s hoc vitium est cantoribus, inter araicos ut numquam inducant animum cantare rogati, iniussi numquam désistant. Sardus habebat ille Tigellius hoc. Caesar, qui cogéré posset, si peteret per amicitiam patris atque suam, non quicquam proficeret; si conlibuisset, ab ovo usque ad mala citaret 'io Bacchae' m o d o summa voce, mode hac, resonat quae chordis quattuor ima. nil aequale homini fuit í Ili : saepe velut qui currebat fugiens hostem, persaepe velut qui Iunonis sacra ferret; habebat saepe ducentos, saepe decern servos; m o d o reges atque tetrarchas, omnia magna loquens, m o d o 'sit mihi mensa tripes et concha salis puri et toga, quae defendere frigus quamvis crassa queat.' deciens centena dedisses huic parco, paucis contento, quinqué diebus nil erat in loculis; noctes vigilabat ad ipsum mane, diem totum stertebat; nil fuit unquam sic inpar sibi. nunc aliquis dicat mihi 'quid? tu nullane habes vitia?' i m m o alia et f o n a s s e minora. Maenius absentem N o v i u m cum carperei, 'heus tu' quidam ait 'ignoras te an ut ignotum dare nobis verba putas?' 'egomet mi ignosco' Maenius inquit. stultus et inprobus hic amor est dignusque notari. cum tua pervideas oculis mala lippus inunctis, cur in amicorum vitiis tarn cernis acutum quam aut aquila aut serpens Epidaurius? at tibi contra evenit, inquirant vitia ut tua rursus et illi. iracundior est paulo, minus aptus acutis naribus horum hominum; rideri possit eo quod rusticius tonso toga defluit et male laxus in pede calceus haeret: at est bonus, ut melior vir non alius quisquam, at tibi amicus, at ingenium ingens inculto latet h o c sub corpore, denique te ipsum

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3 Allen Sängern ist diese Unart ja eigen: vor Freunden Weigern sie sich, zu singen, wie sehr man sie auch darum bittet, Ungebeten aber, da finden sie niemals ein Ende. Sieh doch Tigellius, den Sarden: zwingen könnt' ihn der Kaiser, Doch seine Freundschaft mit ihm und die seines Vaters anmahnend, Würde er nichts erreichen! Wenn's dem so gefiele, er sänge Von der Vorspeise bis zum Dessert: »Ihr Bacchen« - in höchsten Tönen schwelgend und dann wieder tief wie die unterste Saite. Keinerlei Gleichmaß besaß dieser Mensch: oft lief er wie fliehend Vor einem Feinde, doch ebenso oft, als trüg' er zur Feier Heiligtümer der Juno; oft hatt' er zweihundert Sklaven, Oft auch nur zehn; recht großspurig sprach er manchmal von Fürsten Oder von Königen, mal klang's bescheidner: »Mir reicht ein schlichter Dreifüß'ger Tisch, ein Salzfaß, ein Wollhemd gegen die Kälte, Sei's auch ein grobes.« Gäbst 'ne Million du dem ach so Bescheidnen, Der mit Geringem zufrieden: nach nur fünf Tagen, da hätt' er Nichts mehr in seinem Beutel! Manchmal durchwacht' er die Nächte Bis in den Morgen, den Tag über schnarcht' er. So uneins war niemand Je mit sich selbst. Nun könnte ja einer mich fragen: »Hast du denn Gar keine Fehler?« - »Natürlich; nur andre, vielleicht nicht so schlimme.« Maenius, als er Novius, der nicht zugegen ist, tadelt, Wurde gefragt: »Na, kennst du dich selbst nicht und meinst gar, du könntest Uns übertölpeln, als kennten wir dich nicht?« - »Mir selber verzeih' ich«, Sagt unser Mann, so viel Dünkel ist tadelnswert, schamlos und töricht! Ist dein Auge so trüb beim Blick auf die eigenen Mängel, Warum erspähst du dann gar so scharfsichtig Fehler bei Freunden Wie ein Adler oder in Epidauros die Schlange? Leicht kann's geschehn, daß die auch mal deine Fehler erspähen! Etwas zu hitzig mag einer sein und nicht nach der Nase Vornehmer Leute geartet, wird auch womöglich belächelt O b seines bäurischen Haarschnitts, der schlottrigen Toga, der klobig Wirkenden Schuhe - und ist doch von einer Art, die man selten Findet, ein echter Freund, dessen geistige Größe sich birgt in Unansehnlicher Hülle. Prüfe doch einmal dich selber,

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concute, numqua tibi vitiorum inseverit olim natura aut etiam consuetudo mala; namque neglectis urenda filix innascitur agris. illuc praevertamur, amatorem quod amicae turpia decipiunt caecum vitia aut etiam ipsa haec delectant, veluti Balbinum polypus Hagnae. vellem in amicitia sic erraremus et isti errori nomen virtus posuisset honestum. ac pater ut gnati, sic nos debemus amici siquod sit vitium non fastidire, strabonem appellat paetum pater, et pullum, maie parvos sicui filius est, ut abortivus fuit olim Sisyphus; hune varum distortis cruribus, illum balbutit scaurum pravis fultum male talis. parcius hic vivit: frugi dicatur; ineptus et iactantior hic paulo est: concinnus amicis postulat ut videatur; at est truculentior atque plus aequo liber: simplex fortisque habeatur; caldior est: acris inter numeretur. opinor, haec res et iungit iunctos et servat amicos. at nos virtutes ipsas invertimus atque sincerum furimus vas incrustare, probus quis nobiscum vivit, multum demissus h o m o : illi tardo cognomen, pingui damus. hic fugit omnis insidias nullique malo latus obdit apertum, cum genus hoc inter vitae versemur, ubi acris invidia atque vigent ubi crimina: pro bene sano ac non incauto fictum astutumque vocamus. simplicior quis et est, qualem me saepe libenter obtulerim tibi, Maecenas, ut forte legentem aut taciturn inpellat quovis sermone: 'molestus, c o m m u n i sensu plane caret' inquimus. eheu, quam temere in nosmet legem sancimus iniquam. nam vitiis nemo sine nascitur; optimus ille est, qui minimis urgetur. amicus dulcís, ut aequum est, c u m mea conpenset vitiis bona, pluribus hisce,

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O b nicht Geburt oder schlechte Gewohnheit mancherlei Fehler Dir auch eingepflanzt haben! Wenn man sich nicht um den Acker Kümmert, gedeiht dort nichts andres als Unkraut: das muß man verbrennen. Sehn wir uns doch mal den Liebhaber an, der blind für die Mängel Seiner Geliebten ist, dem sie womöglich gar noch gefallen Ahnlich wie dem Balbinus der Nasenpolyp seiner Hagna. Ach, ich wünschte, daß in der Freundschaft wir ebenso irrten, Und einen respektablen Namen dem Irrtum verliehen. Wie der Vater dem Sohne, sollten auch wir unserm Freunde Seiner Fehler wegen nicht gram sein. Nennt doch ein Vater Seinen Sohn, wenn er schielt, »mein Silberblick«; nennt ihn »mein Küken«, Wenn er zu klein ihm erscheint - wie einst der zu zeitig geborne Sisyphus; und wenn er O-Beine hat, da nennt er ihn »Dackel«; »Humpelbein« heißt er ihn zärtlich, wenn allzu schwach seine Knöchel. Knausrig lebt der hier: »solide« könnte man's nennen. Ein Prahlhans, Extravagant ist jener: »gefällig« will er den Freunden Doch nur erscheinen. Ein Poltrer ist der da und über die Maßen Freimütig: könnte man ihn nicht als »tapfer und ehrlich« bezeichnen? Und einen Hitzkopf zähle man halt zu den »streitbaren Geistern«! So, mein' ich, kann man Verbindungen knüpfen und Freundschaft bewahren. Wir aber, wir entstellen das Gute und kennen nichts Bessres, Als ein reines Gefäß zu beschmutzen! Da lebt unter uns hier Einer, bescheiden und rechtschaffen - wir aber nennen ihn spöttisch: »Schwerfällig, geistlos«! Ein andrer vermeidet alle Intrigen, Bietet auch keinem listigen Schurken die offene Flanke (Leben wir doch in einer Gesellschaft, wo gieriger Neid herrscht Und das Verbrechen) - den nennen wir dann statt »durchaus vernünftig« Und statt »vorsichtig«: »alter verschlagner, durchtriebener Heuchler«! Ist einer etwas zu familiär - wie manchmal auch ich wohl Dir gegenüber, Maecenas - und stört den anderen, wenn er Liest oder nachdenken will, indem er ihn anspricht, dann heißt es: »Der hat ja gar keinen Takt, was geht uns der auf die Nerven!« Blindlings schaffen wir da eine Regel gegen uns selber: Ohne Mängel kommt keiner zur Welt, und gut ist noch der dran, Den die wenigsten plagen. Will ein Freund meine Fehler Aufrechnen gegen die guten Seiten, dann lass' er die Anzahl

SERMONES · LIBER I

si modo plura mihi bona sunt, inclinet, amari si volet: hac lege in trutina ponetur eadem. qui, ne tuberibus propriis offendat amicum, postulat, ignoscet verrucis illius: aequum est peccatis veniam poscentem reddere rursus. denique, quatenus excidi penitus vitium irae, cetera item nequeunt stultis haerentia, cur non ponderibus modulisque suis ratio utitur ac res ut quaeque est, ita suppliciis delieta coercet? siquis eum servum, patinam qui tollere iussus semesos piscis tepidumque ligurrierit ius, in cruce suffigat, Labeone insanior inter sanos dicatur. quanto hoc furiosius atque maius peccatum est: paulum deliquit amicus, quod nisi concedas, habeare insuavis: acerbus odisti et fugis ut Rusonem debitor aeris, qui nisi, cum tristes misero venere kalendae, mercedem aut nummos unde unde extricat, amaras porrecto iugulo historias captivus ut audit, conminxit lectum potus mensave catillum Euandri manibus tritum deiecit: ob hanc rem, aut positum ante mea quia pullum in parte catini sustulit esuriens, minus hoc iucundus amicus sit mihi? quid faciam, si furtum fecerit aut si prodiderit conmissa fide sponsumve negarit? quis paria esse fere placuit peccata, laborant, cum ventum ad verum est: sensus moresque repugnant atque ipsa utilitas, iusti prope mater et aequi, cum prorepserunt primis animalia terris, mutum et turpe pecus, glandem atque cubilia propter unguibus et pugnis, dein fustibus atque ita porro pugnabant armis, quae post fabricaverat usus, donee verba, quibus voces sensusque notarent, nominaque invenere; dehinc absistere bello, oppida coeperunt munire et ponere leges, ne quis fur esset neu latro neu quis adulter.

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Siegen, falls ich mehr gute besitze und ihm meine Freundschaft Wertvoll genug ist; auf gleicher Waage wird er dann gewogen. Wer für die eigenen Beulen Nachsicht fordert v o m Freunde, Der darf nicht nur auf die Pickel des anderen starren; Verzeihung Fordern für eigne Vergehen darf nur, wer selber verzeihn kann. Letztlich ist ja nicht auszurotten das Laster des Zornes, Auch nicht die andren uns Toren angeborenen Mängel Warum gebraucht nicht Vernunft ihren Einfluß, ihr Richtmaß und findet Angemessene Strafen für jede Art von Vergehen? Wer einen Sklaven, der die Tafel abräumen sollte U n d v o m übriggebliebenen Fisch, der erkalteten Brühe, Naschte, ans K r e u z schlagen will, muß der nicht vernünftigen Leuten Toller noch scheinen als Labeo? Wieviel abscheulicher aber Ist es, wenn du einem Freund, dem ein kleines Versehen passierte, Niemals verzeihen kannst - lieblos muß man dich dann ja wohl nennen. Haßerfüllt meidest du ihn - wie jenen R u s o ein Schuldner: Kann dieser nicht zum leidigen Monatsersten die Zinsen Oder die Gelder beschaffen, wird er gezwungen, als Häftling Fade Historien sich anzuhören mit hängendem Kopfe. In seiner Trunkenheit hat mein Freund das Lager bepinkelt O d e r ein Schüsselchen fallen lassen, das noch aus Euanders Zeit stammt, oder er nahm sich in seinem Hunger von meiner Seite das Hähnchen: soll ich ihn darum weniger lieben? Was soll ich tun, wenn er mich bestahl, ein gegebnes Versprechen Nicht erfüllte oder mir eine Bürgschaft verweigert? Meint einer, fast würden alle Vergehen sich gleichen, gerät er Mit der Wirklichkeit schnell aneinander: Empfindung und Sitte, Selbst der Nutzen, Ursprung von »recht« und »billig«, bestreiten's. Als einst die Lebewesen der jungen Erde entkrochen, Unschöne stumme Geschöpfe, und kämpften um Eicheln und Schlafplatz, D a gebrauchten sie Krallen und Pranken, dann Knüppel und Waffen, Die die Erfahrung kunstvoll geschmiedet - bis sie die Wörter U n d auch die N a m e n erfanden, mit denen sie Sinn und Empfindung Auszudrücken vermochten; von da an vermieden sie Kriege, Gründeten feste Städte, erließen strenge Gesetze Gegen Diebe und Räuber und die, die die Ehe gebrochen.

SERMONES · LIBER I

nam fuit ante Helenam cunnus taeterrima belli causa, sed ignotis perierunt mortibus illi, quos venerem incertam rapientis more ferarum viribus editior caedebat ut in grege taurus. iura inventa metu iniusti fateare necesse est, tempora si fastosque velis evolvere mundi, nec natura potest iusto secernere iniquum, dividit ut bona diversis, fugienda petendis, nec vincet ratio hoc, tantundem ut peccet idemque, qui teneros caules alieni fregerit horti et qui nocturnus sacra divum legerit. adsit regula, peccatis quae poenas inroget aequas, ne scutica dignum horribili sectere flagello, nam ut ferula caedas meritum maiora subire verbera, non vereor, cum dicas esse paris res furta latrocinis et magnis parva mineris falce recisurum simili te, si tibi regnum permittant homines, si dives, qui sapiens est, et sutor bonus et solus formosus et est rex, cur optas quod habes? 'non nosti, quid pater' inquit 'Chrysippus dicat: sapiens crepidas sibi numquam nec soleas fecit; sutor tamen est sapiens.' qui? 'ut quamvis tacet Hermogenes, cantor tamen atque optumus est modulator; ut Alfenus vafer omni abiecto instrumento artis clausaque taberna sutor erat: sapiens operis sic optimus omnis est opifex, solus sic rex.' vellunt tibi barbam lascivi pueri; quos tu nisi fuste coerces, urgeris turba circum te stante miserque rumperis et latras, magnorum maxime regum. ne longum faciam: dum tu quadrante lavatum rex ibis neque te quisquam stipator ineptum praeter Crispinum sectabitur, et mihi dulces ignoscent, siquid peccaro stultus, amici inque vicem illorum patiar delieta libenter privatusque magis vivam te rege beatus.

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Längst schon vor Helena war ja das Weib der erbärmlichste Anlaß Für einen Krieg! Doch ein ruhmloser Tod ereilte all jene, Die wie die Tiere flüchtige Liebeswonnen sich raubten, Denn ein Stärkerer schlug, wie der Stier in der Herde, sie nieder. Recht ward ersonnen aus Furcht vor dem Unrecht, mußt du gestehen, Wenn du die Zeiten und die Geschicke der Menschheit betrachtest. Unsre Natur kann das Recht vom Unrecht nicht so unterscheiden, Wie sie Gutes vom Bösen, zu Meidendes auch vom Erwünschten Trennt: und kein Vernunftgrund beweist, daß ebenso sündigt, Wer einen frischen Kohl in fremdem Garten gebrochen, Wie der nächtliche Dieb, der heilige Tempel beraubte. Regeln braucht man, jedes Vergehen gerecht zu bestrafen, Daß nicht die Geißel erleide, wer nur die Rute verdiente. Denn ich fürchte ja nicht, du würdest die Rute nur geben, Einem, der Härtres verdiente - behauptest doch du, völlig gleich sei Diebstahl dem Raubmord, und drohst, die Vergehen, große wie kleine, Alle mit gleichem Messer zu stutzen, falls man die Herrschaft Dir übertragen würde. Reich ist einzig der Weise, Er nur ein guter Schuster, er allein schön und ein König: Warum begehrst du, was du schon hast? »Du weißt nicht, was dazu Vater Chrysippos sagt: >Der Weise hat niemals sich Schuhe Oder Sandalen gefertigt; dennoch ist er ein Schuster.*« »Wie denn?« - »Hermogenes, selbst wenn er schweigt, bleibt immer ein Sänger Und unser bester Musiker; auch der schlaue Alfenus Blieb, obwohl er sein Handwerkszeug wegwarf und Schloß seine Werkstatt, Doch stets ein Schuster. So ist in jedem Gewerbe der beste Meister der Weise und er allein König.« Mutwillig zupfen Buben an deinem Bart; verjagst du sie nicht mit dem Stocke, Wirst du bedrängt von der Bande: du Armer, im Zorne Belferst und schimpfst du dann, aller großen Könige größter! Daß ich es kurz mache: wenn du für einen Groschen zum Bade Gehst, o König, dann zählt zu deinem Gefolge wohl niemand Außer Crispinus, dem albernen Schwätzer. Mir aber verzeihen Stets liebe Freunde, wenn ich mal töricht etwas verpatze, Wie ja auch ich ihre Schwächen gerne ertrage. So werd' ich Glücklicher leben - ein Mann ohne Amt - als du, hoher König.

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4 Eupolis atque Cratinus Aristophanesque poetae atque alii, quorum comoedia prisca virorum est, siquis erat dignus describi, quod malus ac fur, quod moechus foret aut sicarius aut alioqui famosus, multa cum übertäte notabant. hinc omnis pendet Lucilius, hosce secutus, mutatis tantum pedibus numerisque, facetus, emunctae naris, durus conponere versus, nam fuit hoc vitiosus: in hora saepe ducentos, ut magnum, versus dictabat stans pede in uno; cum flueret lutulentus, erat quod tollere velles; garrulus atque piger scribendi ferre laborem, scribendi recte: nam ut multum, nil moror. ecce, Crispinus minimo me provocai 'accipe, si vis, accipiam tabulas; detur nobis locus, hora, custodes; videamus, uter plus scribere possit.' di bene fecerunt, inopis me quodque pusilli finxerunt animi, raro et perpauca loquentis; at tu conclusas hircinis follibus auras usque laborantis, dum ferrum molliat ignis, ut mavis, imitare, beatus Fannius ultro delatis capsis et imagine, cum mea nemo scripta legat, volgo recitare timentis ob hanc rem, quod sunt quos genus hoc minime iuvat, utpote pluris culpari dignos, quemvis media elige turba: aut ob avaritiam aut misera ambitione laborat. hic nuptarum insanit amoribus, hic puerorum; hunc capit argenti splendor; stupet Albius aere; hic mutat merces surgente a sole ad eum, quo vespertina tepet regio, quin per mala praeceps fertur uti pulvis collectus turbine, nequid summa deperdat metuens aut ampliet ut rem. omnes hi metuunt versus, odere poetas, 'faenum habet in cornu, longe fuge; dummodo risum

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Eupolis und Aristophanes, auch Kratinos und andre Glorreiche Dichter der alten Komödie, sie packten beim Kragen Ohne Schonung, wer es verdiente, verspottet zu werden: Diebe, Gauner und Mörder, auch wer die Ehe gebrochen Oder wen man sonst eines Fehltritts verdächtigen konnte. Diese Art der Dichtung wählte in allem Lucilius Sich zum Vorbild, nur ändert' er Versfuß und Rhythmus. Ein kluger, Witziger Bursche, doch holprig und hart sind oft seine Verse. Seine Untugend war es, in einer einzigen Stunde Stehenden Fußes oft zu diktieren zweihundert Verse Er sah's als Großtat! Zähflüssig manches - man sollte es tilgen. Schwatzhaft war er, zu faul, zu ertragen die Mühe des Schreibens Richtigen Schreibens! Nämlich wieviel er schreibt, kann mir ja gleich sein. Sieh, schon fordert Crispinus mich auf mit niedrigstem Einsatz: »Nimm wie ich deine Tafel, man gebe den Raum uns, die Stunde, Aufseher auch, daß wir prüfen, wer mehr zu dichten imstand ist.« Ach, wie gut, daß die Götter bescheid'nes Talent mir gegeben, Das sich selten nur äußert und stets nur mit wenigen Worten! Du ahme ruhig den Blasebalg nach, ohn' Unterlaß fauchend, So lange, bis in des Feuers Glut das Eisen geschmolzen, Wie es dir Freude macht! Glücklicher Fannius: bietest am Markte Deine Werke mit Bild in der Kapsel feil! Aber meine Werke liest niemand, und vor Publikum lese ich ungern, Weil ja die meisten Tadel verdienen und drum diese Dichtart Manch einem keineswegs zusagt. Du kannst, wen immer, dir anschaun: Der müht sich ab aus Habgier oder kläglichem Ehrgeiz; Der ist in Ehefrauen vernarrt und dieser liebt Knaben; Zauber des Silbers packt jenen; verzückt auf Bronzen starrt Albius; Mancher tauscht seine Waren von da, wo die Sonne heraufsteigt, Bis in das liebliche Abendland: ständig am Rande des Abgrunds Treibt er dahin wie der Staub im Wirbelwind, immer in Sorge, O b er sein Gut verliere oder doch glücklich vermehre. All diese hassen die Dichter und fürchten sich vor ihren Versen: »Meide die Hörner des wütenden Stiers! Er schont nicht sich selber

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excutiat, sibi non, non cuiquam parcet amico et quodcumque semel chartis inleverit, omnis gestiet a furno redeuntis scire lacuque et pueros et anus.' agedum pauca accipe contra. primum ego me illorum, dederim quibus esse poetis, excerpam numero: neque enim concludere versum dixeris esse satis neque, siqui scribat uti nos sermoni propiora, putes hunc esse poetam. ingenium cui sit, cui mens divinior atque os magna sonaturum, des nominis huius honorem, idcirco quidam comoedia necne poema esset, quaesivere, quod acer spiritus ac vis nec verbis nec rebus inest, nisi quod pede certo differì sermoni, sermo merus. 'at pater ardens saevit, quod meretrice nepos insanus amica filius uxorem grandi cum dote recuset, ebrius et, magnum quod dedecus, ambulet ante noctem cum facibus.' numquid Pomponius istis audiret leviora, pater si viveret? ergo non satis est puris versum perscribere verbis, quem si dissolvas, quivis stomachetur eodem quo personatus pacto pater, his, ego quae nunc, olim quae scripsit Lucilius, eripias si tempora certa modosque, et quod prius ordine verbum posterius facias praeponens ultima primis, non, ut si solvas 'postquam Discordia taetra belli ferratos postis portasque refregit', invenías etiam disiecti membra poetae. hactenus haec: alias, iustum sit necne poema, nunc illud tantum quaeram, ineritone tibi sit suspectum genus hoc scribendi. Sulgius acer ambulat et Caprius, rauci male cumque libellis, magnus uterque timor latronibus; at bene siquis et vivat puris manibus, contemnat utrumque. ut sis tu similis Caeli Birrique latronum, non ego sim Capri neque Sulgi: cur metuas me?

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Noch seine Freunde, kann er den Leser zum Lachen nur bringen. Und was er einmal auf den Papyrus geschmiert hat, das müssen Alle, die vom Backofen heimkommen oder vom Brunnen, Anhören, Junge wie Alte.« Laß hierzu mich kurz etwas sagen. Dies vor allem: ich zähle mich nicht zur Reihe der Dichter, Die diesen Namen wirklich verdienen; denn Verse zu schmieden, Reicht nicht, das sagst du doch auch, und wer wie ich im Gesprächston Schreibt, den hältst wohl auch du noch lange nicht für einen Dichter. Nur wer, selbst ein Genie, von göttlichem Hauche erfüllt ist, Großes groß zu künden vermag, verdient diesen Namen. Deshalb auch hat man bezweifelt, ob die Komödie echte Dichtung sei, weil doch der feurige Geist in der Sprache Und in den Stoffen ihr mangle, sie also bloßes Geplauder Sei, vom Gespräch nur durchs Versmaß geschieden. »Aber da tobt doch Wütend der Vater, wenn ihm der Sohn, der Verschwender, versessen Auf eine Dirne, die Braut glatt verschmäht mit der stattlichen Mitgift Und - welche Schande - früh schon am Abend trunken mit Fackeln In den Straßen umherzieht.« Würde denn sanftere Worte, Wenn sein Vater noch lebte, Pomponius hören? Ich meine, Nicht genügt's, mit alltäglichen Worten Verse zu zimmern: Löst du sie auf in gewöhnliche Rede, glaub', jeder Vater Tobt dann so wie der auf der Bühne. Entfernst du aus meinen Versen oder aus denen, die einst Lucilius geschrieben, Versmaß und Rhythmus, veränderst auch wohl die Stellung der Worte, Rückst nach vorn, was sich hinten befand, so wirst du doch niemals, O b auch in Stücke zerrissen, einen Dichter entdecken, Wie in den folgenden Versen: »Als die verheerende Zwietracht Sprengte die eisenbewehrten Tore, die Pforten des Krieges.« Doch nun genug davon! O b die Satire wahrhafte Dichtung, Woll'n wir ein andermal prüfen - heute nur, ob diese Sprachform Wirklich verdächtig dir sein muß. Sulcius und Caprius kommen Großspurig mit ihren Akten daher, schon heiser die Kehle, Beide für Räuber ein wahrhafter Schrecken; wenn jedoch jemand Ehrlich und rechtschaffen lebt, dann brauchen sie ihn nicht zu kümmern. Selbst wenn du solchen Räubern wie Birrus und Caelius glichest, Bin ich doch Caprius nicht und nicht Sulcius; was macht dir Sorge?

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nulla taberna meos habeat ñeque pila libellos, quis manus insudet volgi Hermogenisque Tigelli, nec recito cuiquam nisi amicis idque coactus, non ubivis coramve quibuslibet. in medio qui scripta foro recitent, sunt multi quique lavantes: suave locus voci resonat conclusus. inanis hoc iuvat, haud illud quaerentis, num sine sensu, tempore num faciant alieno, 'laedere gaudes' inquit 'et hoc studio pravus facis.' unde petitum hoc in me iacis? est auctor quis denique eorum, vixi cum quibus? absentem qui rodit, amicum qui non defendit alio culpante, solutos qui captat risus hominum famamque dicacis, fingere qui non visa potest, conmissa tacere qui nequit: hic niger est, hune tu, Romane, caveto. saepe tribus lectis videas cenare quaternos, e quibus unus amet quavis aspergere cunctos praeter eum qui praebet aquam; post hune quoque potus, condita cum verax aperit praecordia Liber: hic tibi comis et urbanus liberque videtur infesto nigris: ego si risi, quod ineptus pastillos Rufillus olet, Gargonius hircum, lividus et mordax videor tibi? mentio siquae de Capitolini furtis iniecta Petilli te coram fuerit, defendas, ut tuus est mos: 'me Capitolinus convictore usus amicoque a puero est causaque mea permulta rogatus fecit et incolumis laetor quod vivit in urbe; sed tarnen admiror, quo pacto iudicium illud fugerit': hic nigrae sucus lolliginis, haec est aerugo mera; quod vitium procul afore chartis, atque animo prius, ut siquid promittere de me possum aliud vere, promitto. liberius si dixero quid, si forte iocosius, hoc mihi iuris cum venia dabis: insuevit pater optimus hoc me, ut fugerem exemplis vitiorum quaeque notando.

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Nie soll ein Laden, ein Aushang je meine Schriften empfehlen, Wo die Hand des Volks sie beschmutzt und des Sängers Tigellius; Nur meinen Freunden les' ich sie vor - auch das nur gezwungen - , Nicht überall und nicht einem jeden. Doch wie viele geben Uns ihre Werke zum besten auf offenem Markt und im Bade! Wunderbar hallt ihre Stimme im Raum - das gefällt diesen Narren, Und sie fragen sich nicht, ob es hierher gehört oder besser Passen würde zu anderer Stunde. »Dich freut's zu verletzen«, Sagt man, »du tust es mit böser Absicht!« Woher solch ein Vorwurf Mir gegenüber? Ist sein Urheber etwa gar einer Aus meinem Kreise? Wer hinterm Rücken jemanden schlecht macht, Wer den Freund nicht verteidigt, den ein andrer beschuldigt, Wer nur auf Lachlust der Menschen, den Ruf eines Spaßvogels ausgeht, Nie Geseh'nes erfindet, von Anvertrautem nicht schweigen Kann, ist ein Schuft: vor dem, ihr Römer, müßt ihr euch hüten! Unter den zwölf Geladnen, die speisen auf gastlichem Lager, Siehst du oft einen, den freut es, andre nach Laune zu hänseln Außer dem Hausherrn, der das Wasser uns reicht; doch im Weinrausch Wird bald auch der ein Opfer des wahrheitkündenden Bacchus. So einer scheint dir freimütig, geistreich - dir, der die schwarzen Seelen so haßt! Wenn ich einmal lachte, weil nach Pastillen Riecht jener fade Rufillus und nach Bock der Gargonius, Hältst du mich gleich für boshaft und hämisch? Kommt man in deiner Gegenwart aber auf des Petillius Diebstahl zu sprechen, Dann verteidigst du ihn vielleicht noch, wie's deine Art ist: »Capitolinus ist mir Freund und Gefährte von Kind an, Viel, sehr viel hat er für mich getan, sooft ich's erbeten, Und ich freue mich sehr, daß er ungestört in der Stadt lebt; Wundern muß ich mich nur, wie der vor Gericht so davonkam.« Das ist schwarzer Saft des Tintenfisches, ist reinstes Gift! Solche Niedertracht soll verbannt sein aus all meinen Schriften, Mehr noch: aus meinem Herzen! Wenn je ich etwas versprechen Kann für mich selber, dann dieses! Ich gelob' es ausdrücklich. Hab' ich mich je zu freimütig oder zu spöttisch geäußert, Sieh es gnädig mir nach! Mein Vater, der gute, wies stets mich Auf die Verstöße anderer hin, damit ich sie meide.

SERMONES · LIBER I

cum me hortaretur, parce frugaliter atque viverem uti contentus eo quod mi ipse parasset: 'nonne vides, Albi ut male vivat filius utque Baius inops? magnum documentum, ne patriam rem perdere quis velit.' a turpi meretricis amore cum deterreret: 'Scetani dissimilis sis.' ne sequerer moechas, concessa cum venere uti possem: 'deprensi non bella est fama Treboni' aiebat. 'sapiens, vitatu quidque petitu sit melius, causas reddet tibi; mi satis est, si traditum ab antiquis morem servare tuamque, dum custodii eges, vitam famamque tueri incolumem possum; simul ac duraverit aetas membra animumque tuum, nabis sine cortice.' sic me formabat puerum dictis et, sive iubebat ut facerem quid, 'habes auctorem, quo facias hoc' unum ex iudicibus selectis obiciebat, sive vetabat, 'an hoc inhonestum et inutile factu necne sit addubites, flagret rumore malo cum hic atque ille?' ávidos vicinum funus ut aegros exanimat mortisque metu sibi parcere cogit, sic teneros ánimos aliena opprobria saepe absterrent vitiis. ex hoc ego sanus ab illis perniciem quaecumque ferunt, mediocribus et quis ignoscas vitiis teneor. fortassis et istinc largiter abstulerit longa aetas, liber amicus, consilium proprium; ñeque enim, cum lectulus aut me porticus excepit, desum mihi, 'rectius hoc est; hoc faciens vivam melius; sie dulcís amicis occurram; hoc quidam non belle: numquid ego illi inprudens olim faciam simile?' haec ego mecum conpressis agito labris; ubi quid datur oti, inludo chartis. hoc est mediocribus illis ex vitiis unum; cui si concedere nolis, multa poetarum veniet manus, auxilio quae sit mihi - nam multo plures sumus - , ac veluti te Iudaei cogemus in hanc concedere turbam.

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SATIREN · ERSTES BUCH

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Wenn er mich mahnte, sparsam und einfach zu leben, zufrieden N u r zu genießen, was selbst er für mich erworben, so sprach er: »Siehst du denn nicht, welch elendes L e b e n des Albius Sohn führt, Wurde nicht Baius zum Bettler? G i b acht, daß des Vaters Vermögen D u nicht verschleuderst!« A u c h vor der schändlichen Liebe zu Dirnen Wollte er mich bewahren: »Werde mir nicht wie Scetanus!« N i c h t sollt' ich Ehebrechern es gleichtun, sollt' nur erlaubte Liebe genießen. » D e r R u f des Trebonius, den man ertappt hat, Ist für immer dahin! - Ein Weiser begründet ausführlich, Was man meiden, was suchen soll; mir erscheint es genügend, Wenn ich die altüberlieferte Sitte für dich zu bewahren U n d , solang du des Hüters bedarfst, deinen R u f und dein Leben Unversehrt zu erhalten vermag; und hat dann das Alter K ö r p e r und Geist gestählt, kannst ohne Gürtel du schwimmen.« Solche Reden formten mich schon als Knaben; auch sagt' er: »Such dir ein Vorbild, nach welchem all dein Handeln sich richte!« U n d wies mich hin auf einen der auserlesenen Richter, O d e r er warnte mich wohl: »Bezweifelst du etwa, daß dieses Unehrenhaft und verderblich ist, w o doch dieser und jener In so abscheulichem R u f steht?« Wie der Tod eines N a c h b a r n Krankhafte Schlemmer erschreckt, daß sie angstvoll Enthaltsamkeit üben, So hält oftmals fremde Schande schwächliche Seelen Von einer Unsitte ab. D r u m bin ich jetzt frei von so manchen Fehlern, die ins Verderben führen. Kleinere Schwächen Machen mir noch zu schaffen; verzeih sie mir bitte. Befreien Wird mich auch davon vielleicht das Alter, das W o r t eines Freundes O d e r eigene Einsicht - denn daran soll es nicht fehlen, Wenn auf dem Lager ich ruhe oder die Hallen durchwandle: »So ist's wohl richtiger; glücklicher lebte ich, täte ich dieses; So gefall' ich den Freunden; der da hat unschön gehandelt O b ich bisweilen mich ähnlich verhalte?« So überleg' ich Ernst, mit geschlossenen Lippen. D o c h habe ich dann einmal M u ß e , Schreibe ich flugs es auf - das ist ja so eine von jenen Kleineren Schwächen. Willst du die mir nicht durchgehen lassen,

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K o m m t mir alsbald die stattliche Schar der D i c h t e r zu Hilfe: Zwingen werden wir dich - denn an Zahl sind wir weit überlegen - , Unsrer Gemeinschaft beizutreten, ganz wie die Juden!

SERMONES • L I B E R I

5 Egressum magna me accepit Aricia R o m a hospitio modico; rhetor comes Heliodorus, G r a e c o r u m longe doctissimus; inde F o r u m Appi differtum nautis cauponibus atque malignis. h o c iter ignavi divisimus, altius ac nos praecinctis unum: minus est gravis Appia tardis. hic ego propter aquam, quod erat deterrima, ventri indico bellum, cenantis haud animo aequo exspectans comités, iam nox inducere terris umbras et cáelo diffundere signa parabat: tum pueri nautis, pueris convicia nautae ingerere: 'hue adpelle'; 'trecentos inserís'; 'ohe, iam satis est.' dum aes exigitur, dum mula ligatur, tota abit hora, mali culices ranaeque palustres avertunt somnos; absentem cantat amicam multa prolutus vappa nauta atque viator certatim; tandem fessus dormire viator incipit ac missae pastum retinacula mulae nauta piger saxo religat stertitque supinus. iamque dies aderat, nil cum procedere lintrem sentimus, donee cerebrosus prosilit unus ac mulae nautaeque caput lumbosque saligno fuste dolat: quarta vix demum exponimur hora, ora manusque tua lavimus, Feronia, lympha. milia tum pransi tria repimus atque subimus inpositum saxis late candentibus Anxur. hue venturas erat Maecenas optimus atque Cocceius, missi magnis de rebus uterque legati, aversos soliti conponere amicos. hic oculis ego nigra meis collyria lippus inlinere. interea Maecenas advenit atque Cocceius Capitoque simul Fonteius, ad unguem factus h o m o , A n t o n i , non ut magis alter, amicus. F u n d o s Aufidio L u s c o praetore libenter

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SATIREN · ERSTES B U C H

5 Nach dem Abschied vom großen Rom empfängt uns Aricia Mit bescheidener Unterkunft. Heliodoros, vielleicht der Größte Rhetor der Griechen, reist mit uns. Von da geht's nach Forum Appi, voll von Schiffern und listig berechnenden Wirten. Hat's einer eilig, so kommt er an einem Tage bis hierher; Wir - gemächlicher - teilen's uns ein, denn geruhsam geht's leichter. Hier muß ich wegen des ekligen Wassers dem streikenden Bauch den Krieg erklären. Die Freunde speisen! Nicht eben heiter Wart' ich auf sie. Schon bald schickt die Nacht sich an, ihre Schatten Uber das Land zu breiten; am Himmel erscheinen die Sterne. Lauthals beschimpfen unsere Sklaven die Schiffer und diese Wieder die Sklaven: »Hier leg an!« - »Willst du denn dreihundert laden?« »Halt da, genug jetzt!« Fahrgeld entrichten, das Maultier anspannen Braucht eine Stunde. Sirrende Mücken, quakende Frösche Rauben den Schlaf; sein fernes Liebchen besingt unser Schiffer, Trunken vom reichlichen Fusel; ein Reisender will um die Wette Singen mit ihm - bis er endlich dann doch ermüdet in Schlaf sinkt. Träge läßt der Schiffer sein Maultier grasen und bindet An einen Stein die Leine, liegt schnarchend sodann auf dem Rücken. Bald schon wird's wieder Tag, und wir sehen, das Boot kommt nicht Bis einer wütend sich aufrafft, herausspringt, mit einer Rute

[vorwärts -

Eindrischt auf Kopf und Lenden des Maultiers, sogar auf den Schiffer. Trotzdem wird es zehn Uhr, bis wir endlich aussteigen können. In deiner Quelle, Feronia, waschen wir Antlitz und Hände. Nach dem Frühstück zieh'n wir gemächlich weiter: drei Meilen Sind's noch bis Anxur, das hoch auf den schimmernden Felsen gebaut ist. Hier soll der edle Maecenas uns nun treffen und mit ihm Auch Cocceius - beide betraut mit dem wichtigen Auftrag, Wie schon gewohnt, entfremdete Freunde erneut zu versöhnen. Hier mußt' ich meine entzündeten Augen mit grauschwarzer Salbe Einreihen. Da traf Maecenas ein und mit ihm Cocceius, Ferner Fonteius Capito, vornehm in höchstem Maße, Mit Antonius enger befreundet als irgendein andrer. Fundi - mit seinem »Prätor« Aufidius Luscus - verlassen

SERMONES · L I B E R I

linquimus, insani ridentes praemia scribae, praetextam et latum clavum prunaeque vatillum. in Mamurrarum lassi deinde urbe manemus, Murena praebente domura, Capitone culinam. postera lux oritur multo gratissima; namque Plotius et Varius Sinuessae Vergiliusque occurrunt, animae, qualis ñeque candidiores terra tulit ñeque quis me sit devinctior alter, o qui conplexus et gaudia quanta fuerunt. nil ego contulerim iucundo sanus amico, próxima C a m p a n o ponti quae villula, tectum praebuit et parochi, quae debent, ligna salemque. hinc muli Capuae clitellas tempore ponunt. lusum it Maecenas, dormitum ego Vergiliusque; namque pila lippis inimicum et ludere crudis. hinc nos C o c c e i recipit pienissima villa, quae super est Caudi cauponas. nunc mihi paucis Sarmenti scurrae pugnam Messique Cicirri, Musa, velim memores et quo patre natus uterque contulerit litis. Messi clarum genus Osci; Sarmenti domina exstat: ab his maioribus orti ad pugnam venere, prior Sarmentus 'equi te esse feri similem dico.' ridemus et ipse Messius 'accipio', caput et movet. ' o tua cornu ni foret exsecto frons', inquit, 'quid faceres, cum sic mutilus minitaris?' at illi foeda cicatrix saetosam laevi frontem turpaverat oris. C a m p a n u m in m o r b u m , in faciem permulta iocatus, pastorem saltaret uti C y c l o p a rogabat: nil illi larva aut tragicis opus esse cothurnis. multa Cicirrus ad haec: donasset iamne catenam ex voto Laribus, quaerebat; scriba quod esset, nilo deterius dominae ius esse; rogabat denique, cur u m q u a m fugisset, cui satis una farris libra foret, gracili sic tamque pusillo, prorsus iucunde cenam producimus illam.

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Gern wir und lachen über den Prunk des närrischen Schreibers: Purpurgesäumte Toga und Becken mit glühenden Kohlen! Müde verweilen wir dann in der Stadt des obskuren Mamurra; Unterkunft bietet Murena uns, Capito sorgt für Bewirtung. Aber den herrlichsten Tag beschert uns der folgende Morgen: In Sinuessa treffen wir Plotius, Varius, Vergilius, Edle Seelen - nie hat die Erde bessre getragen, Und kein andrer ist so wie ich ihnen dankbar verbunden. Welch ein Umarmen gibt's da, welch freudenreiche Begrüßung! Recht besehen, kann nichts einen guten Freund uns ersetzen. An der kampanischen Brücke bietet uns Obdach ein Landhaus, Pflichtgemäß liefert Holz und Salz uns der freundliche Gastwirt. Schließlich in Capua nimmt man den Maultieren ab ihre Sättel. Prompt geht zum Spielplatz Maecenas, zum Schlafen Vergil und ich selber; Ballspiel paßt nicht zu entzündeten Augen und Magenverstimmung. Bald nimmt Cocceius uns auf in seinem prächtigen Landgut, Hoch über Caudiums Schenken gelegen. Sprich mir, o Muse, Kurz nun vom Kampf des Witzbolds Sarmentus gegen den Streithahn Messius, sag auch, von welchen Vätern sie stammen, die nun sich Rüsten zum Wettkampf! Messius' Ahnen sind die berühmten Osker; Sarmentus' Herrin lebt noch; aus solchen Geschlechtern Kommen die tapferen Streiter. Zuerst spricht Sarmentus: »Dem rohen Wildpferd ähnelst du, Bursche!« Wir lachen, und Messius selber Sagt: »Es geht los!« und reckt drohend sein Haupt. »War' nicht an der Stirne Abgeschnitten dein Horn, wie würdest du - jetzt so verstümmelt Schrecklich mit ihm uns bedrohen!« Verunstaltet nämlich ist jener Durch eine häßliche Narbe links auf der struppigen Stirne. Das durch Kampaniens Krankheit entstellte Antlitz verspottend, Bittet er ihn, als Kyklop den Hirtentanz vor uns zu tanzen; Weder der Maske bedürfe er ja noch hoher Kothurne. Reichlich zahlt Cicirrus ihm heim: ob er seine Kette Schon, wie gelobt, den Laren gestiftet habe? Und sei er Jetzt auch ein Schreiber, die Herrin behalte auf ihn alle Rechte; Schließlich fragt er, warum er entlaufen: ein einzig Pfund Weizen Müsse ihm doch genügen, da er so schmächtig und dürr sei. Köstlich erheitert genießen wir lang noch die festliche Mahlzeit.

SERMONES · L I B E R I

tendimus hinc recta Beneventum, ubi sedulus hospes paene macros arsit dum turdos versât in igni, nam vaga per veterem dilapso fiamma culinam Volcano summum properabat lambere tectum, convivas ávidos cenam servosque timentis tum rapere atque omnis restinguere velie videres. incipit ex ilio montis Apulia notos ostentare mihi, quos torret Atabulus et quos nunquam erepsemus, nisi nos vicina Trivici villa recepisset lacrimoso non sine fumo, udos cum foliis ramos urente camino, hic ego mendacem stultissimus usque puellam ad mediam noctem exspecto; somnus tarnen aufert internum veneri; tum inmundo somnia visu nocturnam vestem maculant ventremque supinum. quattuor hinc rapimur viginti et milia raedis, mansuri oppidulo, quod versu dicere non est, signis perfacile est: venit vilissima rerum hic aqua, sed pañis longe pulcherrimus, ultra callidus ut soleat umeris portare viator, nam Canusi lapidosus, aquae non ditior urna: qui locus a forti Diomede est conditus olim. flentibus hinc Varius discedit maestus amicis. inde Rubos fessi pervenimus, utpote longum carpentes iter et factum corruptius imbri. postera tempestas melior, via peior ad usque Bari moenia piscosi; dein Gnatia Lymphis iratis exstructa dedit risusque iocosque, dum fiamma sine tura liquescere limine sacro persuadere cupit. credat Iudaeus Apella, non ego; namque deos didici securum agere aevom nec, siquid miri faciat natura, deos id tristis ex alto caeli demittere tecto, Brundisium longae finis chartaeque viaeque est.

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Nächstes Ziel: Benevent, wo der eifrige Wirt, der am Feuer Drehte die mageren Drosseln, beinahe abgebrannt wäre. Denn in der alten Küche hatte die Glut des Vulcanus Schon begonnen, gierig züngelnd das Dach zu belecken. Sieh nur, wie die verschreckten Sklaven, die hungrigen Gäste Eilig die Speisen zu retten, das Feuer zu löschen versuchen! Bald schon zeigen sich mir die vertrauten apulischen Berge, Ausgedörrt vom Scirocco. Wir hätten sie niemals bezwungen, Hätte uns nicht in der Nähe des Städtchens Trivicum ein Landhaus Aufgenommen, das freilich mit beißendem Rauch uns die Tränen Treibt in die Augen, denn tropfnasses Reisig schwelt im Kamine. Töricht warte ich hier bis um Mitternacht auf eine Schöne, Die mich versetzt hat. Doch schließlich läßt der Schlaf mich vergessen Meine Gelüste; unreine Träume indessen und wüste Nachtgesichte beflecken das Nachthemd und auch noch den Leib mir. Vierundzwanzig Meilen fahren wir rasch mit den Wagen, Nächtigen in einer Stadt, deren Name dem Vers sich nicht einfügt, Den aber leicht du errätst, denn hier wird die billigste Ware Wasser - verkauft! Das Brot aber ist vorzüglich, und kluge Wanderer laden davon auf die Schultern, soviel sie nur können. Hart ist das Brot in Canusium, der Krug dort an Wasser nicht reicher; Gründer des Orts war einst Diomedes, der tapfere Heros. Traurig verläßt hier Varius seine weinenden Freunde. Müde erreichen wir Rubi; hinter uns liegt eine lange Strecke Wegs, die völlig durchweicht war von strömendem Regen. Tags drauf ist besseres Wetter, der Weg aber schlimmer noch bis an Bariums Mauern, der fischreichen Stadt. Hernach gibt uns Gnatia, Zürnenden Nymphen zum Trotz erbaut, viel Anlaß zum Lachen, Da man uns weismachen will, im Tempel verzehre sich ohne Flamme der Weihrauch. Der Jude Apelles mag das noch glauben, Ich aber niemals! Ich lernte: sorglos leben die Götter; Wenn die Natur etwas Seltsames tut - nicht sind es die Götter, Die es im Zorne uns senden aus ihrer himmlischen Höhe. Hier nun Brundisium: Ende des langen Wegs und Berichtes.

S E R M O N E S • LIBER I

6 N o n quia, Maecenas, Lydorum quidquid Etruscos incoluit finis, nemo generosior est te, nec quod avus tibi maternus fuit atque paternus olim qui magnis legionibus imperitarent, ut plerique soient, naso suspendis adunco ignotos, ut me libertino patre natum. cum referre negas, quali sit quisque parente natus, dum ingenuus, persuades hoc tibi vere, ante potestatem Tulli atque ignobile regnum multos saepe viros nullis maioribus ortos et vixisse probos amplis et honoribus auctos; contra Laevinum, Valeri genus, unde Superbus Tarquinius regno pulsus fugit, unius assis non umquam pretio pluris licuisse, notante iudice quo nosti, populo, qui stultus honores saepe dat indignis et famae servit ineptus, qui stupet in titulis et imaginibus. quid oportet nos facere a volgo longe longeque remotos? namque esto: populus Laevino mallet honorem quam Decio mandare novo censorque moveret Appius, ingenuo si non essem patre natus: vel merito, quoniam in propria non pelle quiessem. sed fulgente trahit constrictos Gloria curru non minus ignotos generosis. quo tibi, Tilli, sumere depositum clavom fierique tribuno? invidia adcrevit, privato quae minor esset. nam ut quisque insanus nigris medium impediit crus pellibus et latum demisit pectore clavom, audit continuo 'quis homo hic est? quo patre natus?' ut siqui aegrotet quo morbo Barrus, haberi et cupiat formosus, eat quacumque, puellis iniciat curam quaerendi singula, quali sit facie, sura, quali pede, dente, capillo: sic qui promittit civis, urbem sibi curae,

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SATIREN · ERSTES BUCH

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6 Unter den Lydern, die einst etruskische Fluren besiedelt, Findet kein edlerer sich als du, Maecenas, du hattest Ahnen ja schon von Mutters und Vaters Seite, die große Heere befehligt; und dennoch schaust du nicht wie die meisten Naserümpfend herab auf Menschen niederer Herkunft, Etwa auf einen wie mich, eines Freigelassenen Sprößling. Unwichtig ist es für dich, von welchem Vater man abstammt, Ist man nur frei geboren. Da urteilst du sicherlich richtig: Ehe noch Tullius, von niederer Herkunft, zur Herrschaft gelangte, Gab es schon oft viele Männer ohne bedeutende Ahnen, Die höchst ehrenwert lebten und hohe Würden erlangten; Andrerseits galt Laevinus - vom Stamm des Valerius, der einst den König Tarquinius Superbus vom Thron stieß - darum nicht einen Heller mehr nach dem Urteil jenes Richters, des Volkes, Das du ja kennst: wie oft verleiht die törichte Menge Ungeeigneten Ämter, dienert vor glanzvollen Namen Und steht staunend vor Ahnenbildern und Titeln. Was ziemt da Unsereinem, die wir der Menge so weit schon entrückt sind? Zugegeben: das Volk würde lieber ein Amt dem Laevinus Als dem Emporkömmling Decius geben. Appius, der Zensor, Stieße mich aus dem Senat, wäre unfrei geboren mein Vater Recht so - dort fand' ich in meiner Haut ja doch keine Ruhe. Aber am strahlenden Wagen schleppt die Göttin des Ruhmes Ebenso niedre wie edle Gefangne. Was nützt es dir, Tillius, Wieder den Pupur zu tragen und Volkstribun jetzt zu werden? Mißgunst verfolgt dich weit schlimmer als jeden andren Privatmann. Wenn einer - töricht genug - seine Beine umschnürt mit den schwarzen Riemen, herabhängen läßt von der Brust den Purpur, den breiten, Hört er nur immer: »Wer ist der Mann? Und was ist sein Vater?« Wer wie Barrus krankhaft bemüht ist, als Schönheit zu gelten, Wird, wo immer er geht und steht, die Neugier der Mädchen Reizen, jede Einzelheit, nicht das Gesicht nur zu prüfen, Auch die Waden und Füße, die Zähne und auch das Haupthaar. Wer den Bürgern verspricht, er werde ums Stadtwohl sich kümmern

SERMONES • LIBER I

imperium fore et Italiani, delubra deorum, quo patre sit natus, num ignota matre inhonestus, omnis mortalis curare et quaerere cogit. 'tune, Syri Damae aut Dionysi filius, audes deicere de saxo civis aut tradere Cadmo?' 'at Novius collega gradu post me sedet uno; namque est ille, pater quod erat meus.' 'hoc tibi Paulus et Messalla videris? at hic, si plostra ducenta concurrantque foro tria fuñera magna, sonabit cornua quod vincatque tubas: saltern tenet hoc nos.' nunc ad me redeo libertino patre natum, quem rodunt omnes libertino patre natum, nunc, quia sim tibi, Maecenas, convictor, at olim, quod mihi pareret legio Romana tribuno, dissimile hoc illi est, quia non, ut forsit honorem iure mihi invideat quivis, ita te quoque amicum, praesertim cautum dignos adsumere, prava ambitione procul. felicem dicere non hoc me possim, casu quod te sortitus amicum; nulla etenim mihi te fors obtulit: optimus olim Vergilius, post hunc Varius dixere, quid essem. ut veni coram, singultim pauca locutus infans namque pudor prohibebat plura profari non ego me claro natum patre, non ego circum me Satureiano vectari rura caballo, sed quod eram narro, respondes, ut tuus est mos, pauca; abeo, et revocas nono post mense iubesque esse in amicorum numero, magnum hoc ego duco, quod placui tibi, qui turpi secemis honestum non patre praeclaro, sed vita et pectore puro. atqui si vitiis mediocribus ac mea paucis mendosa est natura, alioqui recta, velut si egregio inspersos reprendas corpore naevos, si ñeque avaritiam ñeque sordes nec mala lustra obiciet vere quisquam mihi, purus et insons, ut me collaudem, si et vivo carus amicis,

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SATIREN · ERSTES BUCH

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Und um das Reich, um Italien und um die Tempel der Götter, Zwingt alle Welt, zu forschen, zu fragen: »Wer ist sein Vater? Ist er auch würdig, da seine Mutter niedrig geboren? »Sohn eines Dionysius oder Dama, du wagst es, Bürger vom Felsen zu stürzen, sie auszuliefern dem Cadmus?« »Mein Kollege Novius sitzt aber einen Rang tiefer, Er ist jetzt das, was mein Vater einst war.« - »Ach, glaubst du, du wärst ein Paulus oder Messalla? Er wird, wenn am Forum zweihundert Lastwagen und drei große Leichenzüge sich treffen, Lauter tönen als Hörner und Tuben: und das macht uns Eindruck!« Wieder zu mir nun als eines Freigelassenen Sprößling, Den alle schmähen als eines Freigelassenen Sprößling: Jetzt, weil ich Tischgenosse dir bin, Maecenas, und damals, Weil ich Tribun war und eine Römer-Legion mir gehorchte. Diesmal freilich ist's anders. Mit Recht mag mir mancher mißgönnen Meinen Rang als Tribun, doch nicht, daß mein Freund du geworden, Du nämlich wählst mit Umsicht, wen deiner Freundschaft du würdigst; Schönrednerei verfängt nicht bei dir. Ich nenn' mich nicht glücklich, Weil ein glücklicher Zufall dich mir zum Freunde gemacht hat; Nicht blindes Glück hat zu dir mich geführt: der edle Vergilius, Sagte dir einst und später auch Varius, was ich denn wert sei. Vor deinem Antlitz vermocht' ich nur weniges stockend zu sagen: Kindliche Scheu verwehrte mir längere Rede: ich gab mich Nicht als Sohn eines ruhmreichen Vaters aus, sagte nicht, daß Ich auf apulischem Pferde um meinen Grundbesitz reite, Sagte nur kurz, wer ich war. Und knapp, wie es so deine Art ist, Sprichst du. Ich gehe. Neun Monate später lädst du zu Gast mich, Nimmst mich auf in den Kreis deiner Freunde. Wie groß dünkt mich dieses: Dir zu gefallen, der du zu trennen weißt ehrlos und achtbar. Nichts gilt dir Vaters Ruhm, nur Reinheit des Lebens und Herzens. Wenn ich nur mit einigen kleineren Mängeln gestraft bin, Fehlern meiner Natur, die im übrigen grad ist und redlich - Wie auch auf schönstem Körper sich manchmal ein Muttermal findet Und wenn keiner mir Habsucht, Geiz oder lottriges Leben Vorwerfen kann, da ich frei von Schuld und anständig lebe, Von meinen Freunden geschätzt (um mich mal selber zu loben):

SERMONES · LIBER I

causa fuit pater his; qui macro pauper agello noluit in Flavi ludum me mittere, magni q u o pueri magnis e centurionibus orti laevo suspensi loculos tabulamque lacerto ibant octonos referentes idibus aeris, sed puerum est ausus R o m a m portare docendum artis quas doceat quivis eques atque senator semet prognatos, vestem servosque sequentis, in magno ut populo, siqui vidisset, avita ex re praeberi sumptus mihi crederet illos. ipse mihi custos incorruptissimus omnis circum doctores aderat. quid multa? pudicum, qui primus virtutis honos, servavit ab omni non solum facto, verum opprobrio quoque turpi nec timuit, sibi ne vitio quis verteret, olim si praeco parvas aut, ut fuit ipse, coactor mercedes sequerer; ñeque ego essem questus. at hoc nunc laus illi debetur et a me gratia maior. nil me paeniteat sanum patris huius, eoque non, ut magna dolo factum negat esse suo pars, quod non ingenuos habeat clarosque parentes, sic me defendam. longe mea discrepat istis et vox et ratio, nam si natura iuberet a certis annis aevum remeare peractum atque alios legere, ad fastum quoscumque parentes optaret sibi quisque, meis contentus honestos fascibus et sellis nollem mihi sumere, demens iudicio volgi, sanus f o n a s s e tuo, quod nollem onus haud u m q u a m solitus portare molestum. nam mihi continuo maior quaerenda foret res atque salutandi plures, ducendus et unus et comes alter, uti ne solus rusve peregre exirem, plures calones atque caballi pascendi, ducenda petorrita. nunc mihi curto ire licet mulo vel si libet usque Tarentum, mantica cui lumbos onere ulceret atque eques armos.

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SATIREN · ERSTES BUCH

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Danke ich das meinem Vater, der arm, auf kärglichem Landgut, Nicht in die Schule des Flavius mich schicken wollte, wohin die Stolzen Söhne der ebenso stolzen Zenturionen Griffelkasten und Tafel baumelten ihnen am linken A r m - für eine Gebühr von acht Assen im Monat sich drängten. Vielmehr wagt' er's, den Sohn nach R o m zur Schule zu schicken, Daß er das gleiche Wissen erwerbe wie eines Ritters O d e r Senators Söhne. H ä t t ' einer gesehn im Getriebe R o m s mein Gewand, die begleitenden Sklaven, der musste wohl denken, Solcher Aufwand stamme aus altererbtem Vermögen. Unbestechlicher Hüter war mir der Vater bei allen Gängen zu meinen Lehrern. Mit einem Wort: jene Reinheit, Vornehmste männliche Tugend, erhielt er mir und bewahrte So mich vor jedem Fehltritt und auch vor schimpflichem Tadel. N i e befürchtete er einen Vorwurf, wenn ich in Zukunft Bei Verkäufen als Werber oder, wie er, als ein Makler Kargen Lohn nur verdiente. Auch ich hätte nie mich beklagt, doch U m so mehr bin ich jetzt ihm L o b und Dankbarkeit schuldig. Wenn ich's bedenke: nie könnte ich solchen Vaters mich schämen, N i e auch vorbringen wie so viele, es sei ja nicht meine Schuld, nicht edle, hoch angesehene Eltern zu haben. Himmelweit unterscheidet mein Wort sich und meine Denkart Wahrlich von solchen Leuten. Denn wenn die Natur es so fügte, Daß wir nach vorbestimmter Anzahl von Jahren das Leben Nochmals durchliefen und nach Belieben uns andere Eltern Wünschen könnten: ich wäre mit meinen zufrieden und wollte Keine mir wählen, die nur hohen Amtern ihr Ansehn verdanken. »Töricht«, spräche das Volk, doch du vielleicht: »So ist es richtig.« Mir wäre solche Bürde beschwerlich, ich wollt' sie nicht tragen. Ständig hätte ich damit zu tun, mein Vermögen zu mehren, Hätte viel öfter Besuche zu machen und diesen und jenen Als Begleiter zu nehmen, dürfte allein nicht mehr reisen, Sei es aufs Land oder weiter, müßte mehr Knechte und Pferde Halten, auch Kutschen mir mieten. Jetzt darf ich schlicht auf dem Maultier Reiten, wie's mir beliebt, vielleicht gar bis nach Tarent hin, Mag auch der Sack die Lenden, der Reiter die Flanken ihm drücken.

S E R M O N E S • LIBER I

obiciet nemo sordis mihi, quas tibi, Tilli, cum Tiburte via praetorem quinqué secuntur te pueri, lasanum portantes oenophorumque. hoc ego commodius quam tu, praeclare senator, milibus atque aliis vivo, quacumque libido est, incedo solus, percontor quanti holus ac far, fallacem circum vespertinumque pererro saepe forum, adsisto divinis; inde domum me ad porri et ciceris refero laganique catinum; cena ministratur pueris tribus et lapis albus pocula cum cyatho duo sustinet, adstat echinus vilis, cum patera guttus, Campana supellex. deinde eo dormitum, non sollicitus, mihi quod eras surgendum sit mane, obeundus Marsya, qui se voltum ferre negat Noviorum posse minoris. ad quartam iaceo; post hanc vagor aut ego lecto aut scripto quod me taciturn iuvet unguor olivo, non quo fraudatis inmundus Natta lucernis. ast ubi me fessum sol acrior ire lavatum admonuit, fugio campum lusumque trigonem. pransus non avide, quantum interpellet inani ventre diem durare, domesticus otior. haec est vita solutorum misera ambitione gravique; his me consolor victurum suavius ac si quaestor avus pater atque meus patruusque fuisset.

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Niemand wird schäbig mich nennen wie dich, o Tillius, den Prätor, Wenn auf dem Wege nach Tibur nicht mehr als fünf Diener dir folgen, Die dir beflissen den Weinkorb tragen, zugleich mit dem Nachtstuhl. Hierin leb' ich bequemer als du, erlauchter Senator, U n d noch in tausend anderen Dingen. Wenn's mich gelüstet, G e h ' ich allein aus, frag' nach dem Preis von Mehl und Gemüse, Schlendre durch die berüchtigte Rennbahn, oft auch am Abend Uber das Forum, steh' bei den Wahrsagern, geh' dann nach H a u s e Zu einer Schüssel mit Lauch und Erbsen und schmackhaften Fladen. Aufgetragen wird von drei Dienern; auf weißgrauem Steintisch Stehen zwei Becher mit Schöpfmaß, ein einfacher K r u g für das Mischen, Auch eine Schale, ein Kännchen, nur schlichter kampanischer Hausrat. Dann geh' ich schlafen, frei von der Sorge, ich müßte am Morgen Frühzeitig aufstehn, dem Marsyas begegnen, der seinen Abscheu Zeigt, als grause ihm vor der Miene des jüngeren Novius. Etwa bis neun bleib ich liegen, mach' einen G a n g oder lese, Schreibe in aller Ruhe und salbe mich dann mit OlivenÖ l - doch ja nicht mit Lampenöl wie der schmutzige Natta. Bin ich dann müde und mahnt mich die heißere Sonne, zum Baden N u n zu gehen, verlaß ich das Marsfeld, das Ballspiel zu dreien. N a c h einem nicht zu reichlichen Mahl, das grad meinem Magen Kraft genug gibt, den Tag zu bestehen, gönn' ich mir Muße. So bleibt das Leben frei von kläglichem, drückendem Ehrgeiz. Und mein Trost ist: ergötzlicher lebe ich stets doch, als wären Großvater, Vater und Onkel von mir Q u ä s t o r e n gewesen.

SERMONES · LIBER I

7 Proscripti Regis Rupili pus atque venenum hybrida q u o pacto sit Persius ultus, opinor omnibus et lippis notum et tonsoribus esse. Persius hic permagna negotia dives habebat Clazomenis et iam litis cum Rege molestas, durus h o m o atque odio qui posset vincere Regem, confidens, tumidus, adeo sermonis amari, Sisennas, Barros ut equis praecurreret albis. ad Regem redeo. postquam nihil inter utrumque convenit - hoc etenim sunt omnes iure molesti, q u o fortes, quibus adversum bellum incidit: inter Hectora Priamiden, animosum atque inter Achillem ira fuit capitalis, ut ultima divideret mors, non aliam ob causam, nisi quod virtus in utroque summa fuit: d u o si Discordia vexet inertis aut si disparibus bellum incidat, ut Diomedi cum Lycio Glauco, discedat pigrior, ultro muneribus missis - : Bruto praetore tenente ditem Asiam, Rupili et Persi par pugnat, uti non conpositum melius cum Bitho Bacchius. in ius acres procurrunt, magnum spectaculum uterque, Persius exponit causam; ridetur ab omni conventu; laudat Brutum laudatque cohortem, solem Asiae Brutum appellat stellasque salubris appellat comités excepto Rege; C a n e m ilium, invisum agricolis sidus, venisse: ruebat flumen ut hibernum, fertur quo rara securis. tum Praenestinus salso multoque fluenti expressa arbusto regerit convida, durus vindemiator et invictus, cui saepe viator cessisset magna conpellans voce cuculum. at Graecus, postquam est Italo perfusus aceto, Persius exclamat: 'per magnos, Brute, deos te oro, qui reges consueris tollere, cur non hunc Regem iugulasi operum hoc, mihi crede, tuorum est.'

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Wie sich Persius, der Bastard, an dem verfemten Rupilius Rex für dessen Gift und Geifer gerächt hat, das dürfte Jedem Klatschmaul und jedem Barbier inzwischen bekannt sein. Persius, ein steinreicher Mann, betrieb in Klazomenai große Handelsgeschäfte und führte mit Rex manch erbitterten Rechtsstreit: Frech und gehässigen Wesens, war er dem Rex überlegen, Dreist auch, von Hochmut geschwellt, so verletzend mit beißendem Spotte, Daß er auf diesem Feld Sisenna und Barrus noch ausstach. Doch nun zurück zu Rex: Nachdem sich die beiden rein gar nicht Einigen konnten (in solchem Machtkampf ist ja mit gleichem Recht ein jeder ebenso unversöhnlich wie tapfer: Zwischen Hektor, dem stolzen Priamossohn, und Achilles Brannte tödlicher Haß, den nur der Tod schließlich löschte, Nicht aus anderem Grunde, als weil in beiden die höchste Tapferkeit wohnte; wenn freilich Zwietracht zwei Schwächlingen zusetzt Oder zum Kampf sich zwei Ungleiche treffen, wie Diomedes Und der Lykier Glaukos, dann weiche der Schwächre und schicke Ihm sogar noch Geschenke) - vor Brutus, dem Richter des reichen Asien, stritt da das hochedle Paar, Rupilius und Persius, Gar nicht schlechter als Bacchius und Bithus, die Gladiatoren. Kampfbereit stürmen sie in das Gericht, ein herrliches Schauspiel. Persius legt den Fall dar - es lacht die ganze Versammlung: Brutus preist er, preist sein Gefolge und nennt gar den Brutus Asiens Sonne, seine Begleiter die rettenden Sterne, Ausgenommen nur Rex, denn der sei erschienen als Hundsstern, Ein den Bauern verhaßtes Gestirn; und er überstürzt sich, Gleich einem tosenden Fluß im Winter, wo selten die Axt schallt. Dann spricht der Mann aus Praeneste und wirft dem sprudelnden Witzbold Schimpfworte aus seinem Weinberg hin, so unüberwindlich Grob wie ein Winzer, vor dem schon so mancher Wandrer das Weite Suchte, wenn er ihn lauthals schimpfend als Kuckuck verhöhnte. Aber der Grieche, vom scharf-italischen Essig begossen, Ruft: »Bei den Göttern, o Brutus, ich bitte dich, der du gewohnt bist, Könige niederzustrecken: warum denn nicht dann auch den Rex hier? Das wäre, glaub mir, von all deinen ruhmreichen Taten die schönste.«

SERMONES · L I B E R I

8 Olim truncus eram ficulnus, inutile lignum, cum faber, incertus scamnum faceretne Priapum, maluit esse deum. deus inde ego, furum aviumque maxima formido; nam fures dextra coercet obscaenoque ruber porrectus ab inguine palus, ast inportunas volucres in vertice harundo terret fixa vetatque novis considere in hortis. hue prius angustis eiecta cadavera cellis conservus vili portanda locabat in arca; hoc miserae plebi stabat commune sepulcrum; Pantolabo scurrae Nomentanoque nepoti mille pedes in fronte, trecentos eippus in agrum hic dabat, heredes monumentum ne sequeretur. nunc licet Esquiliis habitare salubribus atque aggere in aprico spatiari, qua modo tristes albis informem spectabant ossibus agrum, cum mihi non tantum furesque feraeque suetae hunc vexare locum curae sunt atque labori quantum carminibus quae versant atque venenis humanos ánimos: has nullo perdere possum nec prohibere modo, simul ac vaga luna decorum protulit os, quin ossa legant herbasque nocentis. vidi egomet nigra succinctam vadere palla Canidiam pedibus nudis passoque capillo, cum Sagana maiore ululantem: pallor utrasque fecerat horrendas adspectu. scalpere terram unguibus et pullam divellere mordicus agnam coeperunt; cruor in fossam confusus, ut inde manis elicerent animas responsa daturas, lanea et effigies erat altera cerea: maior lanea, quae poenis conpesceret inferiorem; cerea suppliciter stabat, servilibus ut quae iam peritura modis. Hecaten vocat altera, saevam altera Tisiphonen: serpentes atque videres

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SATIREN · ERSTES BUCH

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8 Stamm eines Feigenbaums war ich, nutzloses H o l z , und der Schnitzer Sann, ob er draus eine Bank oder lieber den Priapos schaffen Solle, den Gott. Jetzt bin ich also ein G o t t - und ein Schrecken Aller Diebe und Vögel. Die Diebe verjagt meine Rechte U n d der rot aufragende Pfahl meiner schamlosen Lenden. Freche Vögel verscheucht das am Scheitel befestigte Schilfrohr, Schreckt und hindert sie, hier in den neuen Gärten zu nisten. Hierher trugen früher die Sklaven in ärmlichen Särgen Ihre Toten, hinausgeworfen aus stickigen Kammern; Das war fürs elende Volk der gemeinsame Friedhof und auch für Pantolabus, den Nichtsnutz, und Nomentan, den Verschwender: Tausend Fuß breit und dreihundert tief, Schloß ab ihn ein Grenzstein: Niemals sollte der Ort des Gedenkens an Erben gelangen. Jetzt darf man wohnen auf Esquilins erfrischenden Höhen, Wandeln auf sonnigem Stadtwall, w o vordem nur fahle Gebeine Einen traurigen Anblick boten auf grausigem Felde. Diebe und wilde Tiere, gewohnt, den Platz zu verwüsten, Machen mir nicht so viel Sorge und K u m m e r wie all diese Weiber, Die durch Zaubersprüche und giftige Tränke den Geist der Menschen verhexen. Auf keinerlei Weise kann ich verhindern, Daß sie, sobald der wandelnde M o n d sein schimmerndes Antlitz Zeigt, sich hier Totengebeine sammeln und giftige Kräuter. Leibhaftig sah ich Canidia kommen im tiefschwarzen Mantel, Barfüßig schritt sie einher mit aufgelöst wehenden Haaren, Heulte laut mit Sagana, der älteren, totenblaß beide, Gräßlich zu schauen. Den Boden begannen sie mit ihren Nägeln Aufzukratzen, zerrissen ein schwarzes L a m m mit den Zähnen, Ließen sein Blut in die G r u b e rinnen, die Seelen der Toten Herzulocken, daß Auskunft sie ihnen und Weissagung gäben. Eine Figur war aus Wolle, die andre aus Wachs; aber größer War die aus Wolle: sie sollte durch Strafen die Schwächre bezwingen. Flehend stand die aus Wachs geformte, als sollte sie gleich den Sklaventod leiden. Canidia rief Hekate an und die andre Flehte zur grimmen Tisiphone: jetzt sah man stygische H u n d e

SERMONES · L I B E R I

infernas errare canes Lunaraque rubentem, ne foret his testis, post magna latere sepulcra. mentior at siquid, raerdis caput inquiner albis corvorum atque in me veniat mictum atque cacatum "flulius et fragilis Pediatia furque Voranus. singula quid m e m o r e m , quo pacto alterna loquentes umbrae cum Sagana resonarint triste et acutum utque lupi barbam variae cum dente colubrae abdiderint furtim terris et imagine cerea largior arserit ignis et ut non testis inultus horruerim voces furiarum et facta duarum? nam displosa sonat quantum vesica, pepedi diffissa nate ficus; at illae currere in urbem. Canidiae dentis, altum Saganae caliendrum excidere atque herbas atque incantata lacertis vincula cum magno risuque iocoque videres.

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Laufen und Schlangen kriechen, sah auch den M o n d wohl erröten, D a ß er nicht Zeuge sei, sich hinter hohen Gräbern verbergen. L ü g ' ich ein bißchen nur, soll der weißliche Klacks eines R a b e n Fallen aufs H a u p t mir, soll'n mich bepissen und mich bekacken Julius, der Weichling Pediatia und der Gauner Voranus. Was soll ich einzeln noch schildern, wie mit Sagana die Schatten Abwechselnd Zwiesprache hielten in traurig-schrecklichen T ö n e n ; Wie sie den Bart eines Wolfs und den Zahn einer schimmernden Natter Heimlich im Erdreich vergruben; wie durch die wächserne Puppe Wilder der Feuerschein lohte. A b e r auch ich blieb nicht straflos: Schaudernder Zeuge wurd' ich der Stimmen, des Tuns dieser Furien. Wie eine Blase platzt, so knallte ich los aus geborstnen Hinterbacken, ich Feigenstrunk! D a rannten sie stadtwärts: Ach, die Canidia verlor ihr G e b i ß , ihre hohe Perücke G a r die Sagana - und beide die Kräuter, die magischen Bänder. Das war ein Spaß - und ein Riesengelächter, hättst du's gesehen!

SERMONES · LIBER I

9 Ibam forte via sacra, sicut meus est mos, nescio quid meditans nugarum, totus in illis: accurrit quidam notus mihi nomine tantum arreptaque manu 'quid agis, dulcissime rerum?' 'suaviter, ut nunc est,' inquam 'et cupio omnia quae vis cum adsectaretur, 'numquid vis?' occupo, at ille 'noris nos' inquit; 'docti sumus.' hic ego 'pluris hoc' inquam 'mihi eris.' misere discedere quaerens ire modo ocius, interdum consistere, in aurem dicere nescio quid puero, cum sudor ad imos manaret talos, 'o te, Bolane, cerebri felicem' aiebam tacitus, cum quidlibet ille garriret, vicos, urbem laudaret. ut illi nil respondebam, 'misere cupis' inquit 'abire: iamdudum video; sed nil agis: usque tenebo; persequar hinc quo nunc iter est tibi.' 'nil opus est te circumagi: quendam volo visere non tibi notum; trans Tiberim longe cubat is, prope Caesaris hortos.' 'nil habeo quod agam et non sum piger: usque sequar ti demitto auriculas, ut iniquae mentis asellus, cum gravius dorso subiit onus, incipit ille: 'si bene me novi, non Viscum pluris amicum, non Varium facies; nam quis me scribere pluris aut citius possit versus? quis membra movere mollius? invideat quod et Hermogenes, ego canto.' interpellandi locus hic erat 'est tibi mater, cognati, quis te salvo est opus?' 'haud mihi quisquam. omnis conposui.' felices, nunc ego resto, confice; namque instat fatum mihi triste, Sabella quod puero cecinit divina mota anus urna: 'hunc ñeque dira venena nec hosticus auferet ensis nec laterum dolor aut tussis nec tarda podagra: garrulus hunc quando consumet cumque: loquaces, si sapiat, vitet, simul atque adoleverit aetas.'

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SATIREN · ERSTES B U C H

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9 Ganz wie gewohnt ging ich neulich die Via Sacra hinunter, Hatte gerade im Kopf ein paar lustig-belanglose Zeilen, Stürmt da ein Mensch auf mich zu, den ich kaum dem Namen nach kenne, Packt meine Hand mit den Worten: »Wie geht's denn, verehrtester Meister?« »Na«, sag' ich, »soweit ganz gut, und ich wünsche auch dir alles Gute.« Als er mir folgen will, frage ich schnell: »Womit kann ich dienen?« Er drauf: »Du kennst mich doch, bin sehr belesen.« - »Na, um so höher Schätze ich dich.« Verzweifelt müh' ich mich, ihm zu entkommen, Bald geh' ich rasch, bald bleibe ich stehn und flüstre dem Sklaven Leise was zu, indes mir der Angstschweiß bis zu den Knöcheln Rinnt. » O Bolanus, wie bist du mit deinem Jähzorn gesegnet!« Spreche ich leise zu mir, als jener hemmungslos plappert, Voll des Lobes über die Straßen, die Stadt. Als ich schweige, Sagt er schließlich: »Sehnlichst begehrst du, mir zu entwischen, Lange schon seh' ich's. Du wirst es nicht schaffen, denn ich bleibe bei dir, Werde dich weiter begleiten, wohin du auch gehn magst.« - »Ach, bitte, Spar dir den Umweg! Ich will einen Kranken besuchen, du kennst ihn Nicht, dort jenseits des Tiber, nicht weit von den Gärten des Caesar.« »Ich bin nicht gehfaul, hab' auch nichts vor, ich werde dir folgen.« Hängen laß' ich die Ohren, verdrießlich gestimmt wie ein Esel, Dem seine Last zu schwer wird. Jener beginnt jetzt von neuem: »Kenn' ich mich recht, so wirst du den Viscus, den Varius nicht höher Schätzen als mich: wer kann denn in größerer Fülle und schneller Verse schreiben als ich, wer biegsamer wohl seine Glieder Wiegen? U m meinen Gesang muß Hermogenes selbst mich beneiden!« Rasch unterbrech' ich sein Schwafeln: »Hast du vielleicht eine Mutter, Oder Verwandte, die deiner bedürfen?« - »Niemanden, alle Bracht' ich ins Grab schon.« - »Die Glücklichen! Jetzt bin ich an der Reihe! Gib mir den Rest! Mir droht das traurige Los, das die Alte Mir als Knaben einst zog, die Sabellerin, aus ihrer Urne: >Den wird nicht töten verderbliches Gift noch das Schwert eines Feindes, Auch kein Seitenstechen, kein Husten, kein lähmender Gichtschmerz; Ihn bringt dereinst ein Schwätzer ums Leben. Drum geh' er den Schwaflern Wenn er gescheit ist, fein aus dem Wege, sobald er erwachsene«

SERMONES · L I B E R I

ventum erat ad Vestae, quarta iam parte diei praeterita, et casu tum respondere vadato debebat, quod ni fecisset, perdere litem, 'si me amas,' inquit 'paulum hic ades.' 'inteream, si aut valeo stare aut novi civilia iura; et propero q u o scis.' 'dubius sum, quid faciam', inquit, 'tene relinquam an rem.' 'me, sodes.' ' n o n faciam' ille, et praecedere coepit. ego, ut contendere durum c u m victore, sequor. 'Maecenas q u o m o d o tecum?' hinc repetit, 'paucorum hominum et mentis bene sanae.' ' n e m o dexterius fortuna est usus, haberes magnum adiutorem, posset qui ferre secundas, hunc hominem velles si tradere: dispeream, ni summosses omnis.' ' n o n isto vivimus illic, q u o tu rere, modo; domus hac nec purior ulla est nec magis his aliena malis; nil mi officit, inquam, ditior hic aut est quia doctior; est locus uni cuique suus.' 'magnum narras, vix credibile.' 'atqui sic habet.' 'accendis quare cupiam magis illi proximus esse.' 'velis tantummodo: quae tua virtus, expugnabis: et est qui vinci possit eoque difficilis aditus primos habet.' 'haud mihi dero: muneribus servos corrumpam; non, hodie si exclusus fuero, desistam; tempora quaeram, occurram in triviis, deducam. nil sine magno vita labore dedit mortalibus.' haec dum agit, ecce Fuscus Aristius occurrit, mihi carus et illum qui pulchre nosset. consistimus. 'unde venis et quo tendis?' rogat et respondet. veliere coepi et pressare manu lentissima bracchia, nutans, distorquens oculos, ut me eriperet. male salsus ridens dissimulare; m e u m iecur urere bilis, 'certe nescio quid secreto velie loqui te aiebas mecum.' 'memini bene, sed meliore tempore dicam; hodie tricensima sabbata: vin tu curtis Iudaeis oppedere?' 'nulla mihi' inquam

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SATIREN • ERSTES BUCH

Vestas Tempel liegt vor uns, ein Viertel des Tags ist vorüber; Zufällig muß mein Begleiter wegen geleisteter Bürgschaft Vor das Gericht: versäumte er's, ginge sein Rechtsstreit verloren. » K o m m mit hinein, bitte, mir zuliebe!« - »Mich hole der Teufel, Wenn ich das Stehen vertrage, mich auskenne mit den Gesetzen; Eile treibt mich, du weißt doch, wohin.« - »Was soll ich nun machen? Dich im Stich lassen oder mein G e l d ? « - »Ach, mich bitte!« - » N e i n doch!« Sagt er und geht voran. Ich folge, denn hart ist's zu streiten Mit einem Sieger. »Wie«, drängt er, »steht Maecenas zu dir?« - » E r Duldet nur wenige um sich und hat ein treffendes Urteil.« »Keiner nutzte gewandter sein Glück. D u hättest einen starken Helfer in mir, der auch mit dem zweiten Platz gern sich beschiede, Wolltest du mich ihm empfehlen; ich wette mein Leben, du hättst bald Allen den Rang abgelaufen.« » D u irrst. Wir leben dort nicht so, Wie du dir's vorstellst; es gibt kein reineres H a u s hier als dieses, Fremd sind ihm alle Intrigen; was kümmert es mich denn«, so sag' ich, » O b ein anderer reicher ist oder gelehrter; ein jeder Hat seinen Rang hier.« - »Wie großartig! K a u m zu glauben!« - » E s ist so.« »Damit entfachst du in mir noch stärker den Wunsch, diesem Manne N a h e zu sein.« - » D u brauchst nur zu wollen! Mit deiner Begabung N i m m s t du ihn ein: man kann ihn bezwingen; doch ist eben darum Näherer Zugang zu ihm nicht einfach.« - » A n mir soll's nicht fehlen: Freundliche Gaben machen die Sklaven geneigt mir, und wenn er Heute mich abweist, so geb' ich's nicht auf: die günstige Stunde Such' ich, den Kreuzweg, ihm zu begegnen. Denn nichts schenkt das Leben Ohne Mühe den Sterblichen.« Während er noch so palavert, Sieh, da kommt Fuscus des Weges, mein Freund, der ihn schon seit langem Gründlich durchschaut. Wir halten an. »Woher?« und »Wohin denn?«, Fragt man und gibt man Bescheid. D a beginne ich ihn an den Armen Merkt er denn nichts? - mit der H a n d zu zupfen und kräftig zu drücken, Winke, die Augen verdrehend, er soll mich befreien. Der Schurke Lacht und verstellt sich, rasender Zorn versengt mir die Leber. »Wolltest du unter vier Augen nicht etwas mit mir noch besprechen?« »Stimmt, doch ich möchte es dir zu besser passender Stunde Sagen; heut' ist der Dreißigste, Sabbat: du willst doch nicht etwa Bei den beschnittenen Juden Anstoß erregen?« - »Ich habe

S E R M O N E S • LIBER I

'religio est.' 'at mi: sum paulo infirmior, unus multorum. ignosces; alias loquar.' huncine solem tam nigrum surrexe mihi! fugit inprobus ac me sub cultro linquit. casu venit obvius illi adversarius et 'quo tu, turpissime?' magna inclamat voce, et 'licet antestari?' ego vero oppono auriculam. rapit in ius; clamor utrimque, undique concursus, sic me servavit Apollo.

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SATIREN · ERSTES BUCH

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Keine Bedenken.« - » D a bin ich schwächer, ein Kind nur der Menge. Deshalb verzeih: ich sag's dir ein andermal.« O h , daß sich solch ein Schwarzer Tag mir erhob! E s flieht dieser Unmensch und läßt mich Unter dem Messer! Zufällig kommt da der Gegner des Quälgeists: »Wo willst du hin, alter Gauner?« schreit er mit dröhnender Stimme. » D u bist doch bitte mein Zeuge?« Ich halt ihm mein O h r hin. Er schleppt ihn Fort z u m Gericht, Geschrei erhebt sich bei beiden Parteien, Gaffer strömen herbei. So hat mich Apollon gerettet.

SERMONES · L I B E R I

10 Nempe inconposito dixi pede currere versus Lucili, quis tam Lucili fautor inepte est, ut non hoc fateatur? at idem, quod sale multo urbem defricuit, charta laudatur eadem. nec tamen hoc tribuens dederim quoque cetera; nam sic et Laberi mimos ut pulchra poemata mirer. ergo non satis est risu diducere rictum auditoris; et est quaedam tamen hic quoque virtus, est brevitate opus, ut currat sententia neu se inpediat verbis lassas onerantibus auris, et sermone opus est modo tristi, saepe iocoso, defendente vicem modo rhetoris atque poetae, interdum urbani, parcentis viribus atque extenuantis eas consulto, ridiculum acri fortius et melius magnas plerumque secat res. illi, scripta quibus comoedia prisca viris est, hoc stabant, hoc sunt imitandi; quos neque pulcher Hermogenes umquam legit neque simius iste nil praeter Calvum et doctus cantare Catullum. 'at magnum fecit, quod verbis Graeca Latinis miscuit.' o seri studiorum, quine putetis difficile et mirum, Rhodio quod Pitholeonti contigit? 'at sermo lingua concinnus utraque suavior, ut Chio nota si conmixta Falerni est.' cum versus facias, te ipsum percontor, an et cum dura tibi peragenda rei sit causa Petilli? scilicet oblitus patriaeque patrisque Latini, cum Pedius causas exsudet Poplicola atque Corvinus, patriis intermiscere petita verba foris malis, Canusini more bilinguis. atque ego cum Graecos facerem, natus mare citra, versículos, vetuit me tali voce Quirinus post mediam noctem visus, cum somnia vera:

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SATIREN • ERSTES BUCH

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io Freilich hab' ich gesagt, es stolpre der Vers des Lucillus. Selbst seine Gönner sind nicht so töricht, das schlankweg zu leugnen. Aber da er mit scharfem Witz die Stadt zu verspotten Wußte, galt ihm mein hohes L o b in jener Satire. Darin zwar spend' ich ihm Beifall, doch nicht in allem; ich müßt' ja Sonst des Laberius Possen als rühmliche Dichtung bewundern. D a r u m genügt's nicht, den Hörer zu brüllendem Lachen zu reizen Immerhin ist auch das in gewissem Sinn ein Leistung. Kürze tut not, damit der Gedanke frei sich entfalte, Statt durch der Worte Schwall das ermattende O h r zu betäuben. Ernst sei bisweilen der Ausdruck, oft auch humorvoll. Man sollte Bald in der Weise des Redners sprechen, bald wie ein Dichter, Dann wieder wie ein Weltmann, der, seine Kräfte zu schonen, G a n z bewußt sich zurückhält. Ein Scherzwort entscheidet die großen Fragen zumeist viel wirksamer, besser als bittere Schärfe. Jene Männer, die einst die Alte K o m ö d i e gedichtet, Hielten dies fest; sie seien uns Vorbild! D o c h die las ja weder Jemals der schöne Hermogenes noch jener alberne Affe, Der nur den Calvus und den Catullus nachleiern konnte. »Aber das war eine Tat doch, in die lateinischen Worte Griechische einzuflechten.« Seid ihr so wenig gebildet? Haltet ihr das für Kunst, was dem Rhodier Pitholeon glückte? »Kunstvolle Rede klingt aber süßer durch Mischung der beiden Sprachen, wie wenn der Falerner mit Wein aus Chios gemischt wird.« Gilt dies nur, wenn du Verse schmiedest - so frag' ich dich ernstlich Oder auch, wenn du den heiklen Prozeß des Petillius zu führen Hättest? Denk doch, wenn Pedius oder Corvinus Prozesse Mühevoll führen, sollen sie Heimat und Vater Latinus Gänzlich vergessen und fremde Laute mit heimischen mischen, Zweisprachig Kauderwelsch reden, wie's in Canusium Brauch ist? Als ich, geborener Italer, einstmals griechische Verslein Machte, erschien mir zur Stunde der wahren Träume Q u i r i n u s Bald nach Mitternacht und verbot mir's mit folgenden Worten:

SERMONES · L I B E R I

'in silvam non ligna feras insanius ac si magnas Graecorum malis inplere catervas.' turgidus Alpinus iugulat dum Memnona dumque diffingit Rheni luteum caput, haec ego ludo, quae ñeque in aede sonent certantia iudice Tarpa nec redeant iterum atque iterum spectanda theatris. arguta meretrice potes Davoque Chremeta eludente senem comis garrire libellos unus vivorum, Fundani, Pollio regum facta canit pede ter percusso; forte epos acer ut nemo Varius ducit, molle atque facetum Vergilio adnuerunt gaudentes rare Camenae: hoc erat, experto frustra Varrone Atacino atque quibusdam aliis, melius quod scribere possem, inventore minor; neque ego illi detrahere ausim haerentem capiti cum multa laude coronam. at dixi fluere hunc lutulentum, saepe ferentem plura quidem tollenda relinquendis. age quaeso, tu nihil in magno doctus reprehendis Homero? nil comis tragici mutât Lucilius Acci? non ridet versus Enni gravitate minores, cum de se loquitur non ut maiore reprensis? quid vetat et nosmet Lucili scripta legends quaerere, num illius, num rerum dura negarit versículos natura magis factos et euntis mollius ac siquis pedibus quid claudere senis, hoc tantum contentus, amet scripsisse ducentos ante cibum versus, totidem cenatus, Etrusci quale fuit Cassi rapido ferventius amni ingenium, capsis quem fama est esse librisque ambustum propriis? fuerit Lucilius, inquam, comis et urbanus, fuerit limatior idem quam rudis et Graecis intacti carminis auctor quamque poetarum seniorum turba; sed ille, si foret hoc nostrum fato dilatus in aevum, detereret sibi multa, recideret omne quod ultra

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SATIREN · ERSTES B U C H

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»Törichter wär's, als weiteres Holz in die Wälder zu tragen, Wolltest du noch die Schar der griechischen Dichter vermehren.« Soll doch Alpinus pathetisch den Memnon schlachten und soll er Doch das lehmige Haupt des Rheingotts verschandeln - ich schreibe Spielerisch hin, was weder im Tempel das Urteil des Richters Tarpa erheischt noch oft wiederholt werden soll im Theater. Du, Fundanius, kannst wie kein andrer in heiteren Spielen Darstellen, wie die durchtriebene Dirne, der listige Davus Chremes, den Griesgram, zum besten halten; wogegen uns Pollio Taten der Könige preist im tragischen Jambus; und keiner Dichtet so kraftvolle Epen wie Varius; Zartheit und Anmut Schenkten Vergil die Musen, die Freundinnen unserer Fluren. Hier aber, wo schon Varrò vom Atax sich glücklos versuchte Und auch manch anderer, hier vermocht' ich wohl Bessres zu leisten, Auch wenn ich kleiner als jener bin, der diese Kunst einst begründet: Nie würd' ich ihm den Ruhmeskranz, Zier seines Hauptes, entreißen. Mit einem trüben Strom verglich ich ja oft seine Dichtung, Der weit mehr zu Tilgendes mit sich führe als Gutes. Hast du als Kenner denn nie am großen Homer was zu tadeln? Wünscht sich der heitre Lucilius den Tragiker Accius nicht anders ? Lacht er nicht über des Ennius Verse als minder erhaben, Mag er auch selbst sich nicht höher dünken als die Gerügten? Was könnte, wenn wir Lucilius lesen, uns hindern zu fragen, O b seine eigene Art oder nur der schlechte Geschmack der Zeit ihm verwehrten, bessre, charmantere Verse zu schreiben? Was auch, wenn einer, der in Hexameter etwas gebracht hat, Damit allein zufrieden, vor Tisch schon an zweihundert Verse Schreibt und ebenso viele danach? So einer war Cassius: Brausend, ein reißender Strom, ergoß sich sein Geist, und man sagte, Ihn zu verbrennen, genügten die eigenen Bücher und Kisten. Heiter, von städtischem Witz, so sagt' ich, mag ja Lucilius Durchaus gewesen sein, feiner im Stil auch als der Begründer Jener rauheren Dichtart, die einst den Griechen noch fremd war, Und als die große Schar der älteren Dichter. Doch jener, Wär' er durchs Schicksal in unserm Jahrhundert geboren, er würde Vieles noch feilen und alles stutzen, was jenseits der Grenzen

SERMONES ' L I B E R I

perfectum traheretur, et in versu faciendo saepe caput scaberet, vivos et roderet unguis. saepe stilum vertas, iterum quae digna legi sint scripturus, ñeque te ut miretur turba labores, contentus paucis lectoribus. an tua demens vilibus in ludis dictari carmina malis? non ego; nam satis est equitem mihi plaudere, ut contemptis aliis, explosa Arbuscula dixit, men moveat cimex Pantilius aut cruciet quod vellicet absentem Demetrius aut quod ineptus Fannius Hermogenis laedat conviva Tigelli? Plotius et Varius, Maecenas Vergiliusque, Valgius et probet haec Octavius optimus atque Fuscus et haec utinam Viscorum laudet uterque ambitione relegata, te dicere possum, Pollio, te, Messala, tuo c u m fratre, simulque vos, Bibule et Servi, simul his te, candide F u m i , conpluris alios, doctos ego quos et amicos prudens praetereo: quibus haec, sint qualiacumqi adridere velim, doliturus, si placeant spe deterius nostra. Demetri, teque, Tigelli, discipularum inter iubeo plorare cathedras. i, puer, atque m e o citus haec subscribe libello.

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Des Vollkommenen läge, würde beim Schmieden der Verse Öfters sich kratzen am Kopf, die Fingernägel benagen. O f t mußt du einiges streichen, soll etwas entstehen, das wert ist, Mehrmals gelesen zu werden. Meide Bewundrung der Menge, Wenige Leser genügen! O d e r möchtest du etwa, Töricht genug, deine Lieder in Klippschulen aufsagen hören? Ich nie und nimmer! » D e r Beifall der Ritter genügt mir«, so sprach die Ausgepfiffne Arbuscula, dreist die andern verlachend. Regt mich die Wanze Pantilius denn auf? O d e r kränkt es mich etwa, Daß mich Demetrius hinterrücks schlechtmacht und daß der fade Fannius, Hermogenes' Zechgenosse, mich ständig beleidigt? Anerkennung erhoff ich von Plotius, von Varius, Maecenas, Auch von Vergil und Valgius und von Octavius, dem Kenner, Beifall auch von Fuscus, von beiden Visci nicht minder. Frei von falschem Ehrgeiz möcht' ich dich, Pollio nennen, Dich auch, Messalla, mit deinem Bruder und dazu euch beide, Servius und Bibulus und auch du, mein redlicher Furnius, Ferner manch andre, befreundet mir, hochgebildete Menschen, Die ich bewußt jetzt nicht nenne. Sie alle mögen dies Büchlein Wohlwollend aufnehmen, wie es auch sei. Es würde mich schmerzen, War' diese H o f f n u n g vergeblich. Demetrius, du und Tigellius Mögt vor den Stühlen der Schulmädchen ruhig weiterhin plappern. « K o m m , mein Junge, schreib rasch noch dies als Abschluß des Büchleins!

Liber II

'Sunt quibus in satura videor nimis acer et ultra legem tendere opus; sine nervis altera quidquid conposui pars esse putat similisque meorum mille die versus deduci posse. Trebati, quid faciam? praescribe.' 'quiescas.' 'ne faciam, inquis, omnino versus?' 'aio.' 'peream male, si non optimum erat; verum nequeo dormire.' 'ter uncti transnanto Tiberim, somno quibus est opus alto, inriguumque mero sub noctem corpus habento. aut si tantus amor scribendi te rapit, aude Caesaris invicti res dicere, multa laborum praemia laturus.' 'cupidum, pater optime, vires deficiunt; neque enim quivis horrentia pilis agmina nec fracta pereuntis cuspide Gallos aut labentis equo describit volnera Parthi.' 'attamen et iustum poteras et scribere fortem, Scipiadam ut sapiens Lucilius.' 'haud mihi dero, cum res ipsa feret: nisi dextro tempore, Flacci verba per attentam non ibunt Caesaris aurem: cui male si palpere, recalcitrat undique tutus.' 'quanto rectius hoc quam tristi laedere versu Pantolabum scurram Nomentanumque nepotem, cum sibi quisque timet, quamquam est intactus, et odit.' 'quid faciam? saltat Milonius, ut semel icto accessit fervor capiti numerusque lucernis; Castor gaudet equis, ovo prognatus eodem pugnis: quot capitum vivunt, totidem studiorum milia. me pedibus delectat claudere verba Lucili ritu, nostrum melioris utroque. ille velut fidis arcana sodalibus olim credebat libris neque, si male cesserat, usquam

Zweites Buch ι »Allzu bissig, meint mancher, sei meine Satire, der Bogen Ubermäßig gespannt; aber andere sagen, ich habe Saftlose Verse geschrieben von solcher Art, wie man leichthin Tausend am Tage verfertigen könne. Trebatius, rat mir: Was soll ich tun?« - »Gib Ruhe!« - »Du meinst wohl, ich solle nicht einen Vers mehr verfassen?« - »So ist es.« - »Verdammt sein will ich, wenn das nicht Weitaus das Beste wäre. Aber ich kann doch nicht ruhen!« »Dreimal soll, gut gesalbt, den Tiber durchschwimmen, wer Schlaf braucht, Und zur Nacht mit ungemischtem Wein sich befeuchten. Oder wenn so große Lust dich gepackt hat, zu schreiben, dann wag es, Taten des unüberwindlichen Kaisers zu preisen: mit reichem Lohn kannst du rechnen.« - »Das möcht' ich schon. Verehrter, doch dafür Fehlt mir die Gabe: nicht jeder kann Heere schildern, von Spießen Starrend, noch sterbende Gallier, die Lanze im Leibe, den Parther, Wie er, schwer verwundet, vom Pferde herabsinkt zu Boden.« »Aber du kannst ihn als gerecht und tapfer besingen, Wie der gescheite Lucilius einst einen Scipio gepriesen.« »Gibt es sich, bin ich zur Stelle; doch nur zu passender Stunde Findet des Flaccus Wort ein offenes O h r bei dem Kaiser: Streichelt man ihn zur Unzeit, schlägt er aus, sich zu sichern.« »Immer noch besser, als wenn ein allzu bitterer Spottvers Schmäht den Narren Pantolabus und Nomentan, den Verschwender! Bangt doch jeder um sich und grollt dir, obschon nicht betroffen.« »Was soll ich tun? Milonius tanzt, sobald ihm die Hitze Seines Rausches zu Kopf steigt, die Zahl der Lampen verdoppelnd; Kastor hat Freude an Pferden, sein Zwillingsbruder am Faustkampf; Wieviel Menschen es gibt, so viel tausend Liebhabereien; Meine Freude ist's eben, Worte in Verse zu fügen, Ganz wie Lucilius - der soviel fähiger war als wir beide. Wie einem treuen Freund vertraute er einst seinen Büchern Seine Geheimnisse an; und ob es ihm schlecht oder gut ging -

S E R M O N E S ' LIBER II

decurrens alio ñeque, si bene; quo fit ut omnis votiva pateat veluti descripta tabella vita senis. sequor hunc, Lucanus an Apulus anceps; nam Venusinus arat finem sub utrumque colonus, missus ad hoc pulsis, vetus est ut fama, Sabellis, quo ne per vacuum Romano incurreret hostis, sive quod Apula gens seu quod Lucania bellum incuteret violenta, sed hic stilus haud petet ultro quemquam animantem et me veluti custodiet ensis vagina tectus: quem cur destringere coner tutus ab infestis latronibus? o pater et rex Iuppiter, ut pereat positum robigine telum nec quisquam noceat cupido mihi pads! at ille, qui me conmorit - melius non tangere, clamo flebit et insignis tota cantabitur urbe. Cervius iratus leges minitatur et urnam, Canidia Albuci, quibus est inimica, venenum, grande malum Turius, siquid se iudice certes, ut quo quisque valet suspectos terreat utque imperet hoc natura potens, sic collige mecum: dente lupus, cornu taurus petit: unde nisi intus monstratum? Scaevae vivacem crede nepoti matrem: nil faciet sceleris pia dextera - mirum, ut ñeque calce lupus quemquam ñeque dente petit bos sed mala tollet anum vitiato melle cicuta, ne longum faciam: seu me tranquilla senectus exspectat seu mors atris circumvolat alis, dives, inops, Romae, seu fors ita iusserit, exsul, quisquís erit vitae scribam color.' 'o puer, ut sis vitalis metuo et maiorum nequis amicus frigore te feriat.' 'quid? cum est Lucilius ausus primus in hunc operis conponere carmina morem detrahere et pellem, nitidus qua quisque per ora cederei, introrsum turpis: num Laelius aut qui duxit ab oppressa meritum Karthagine nomen ingenio offensi aut laeso doluere Metello

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SATIREN • ZWEITES BUCH

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Keinem andern verriet er's. So kommt's, daß das Leben des greisen Dichters wie ein Gedenkbild vor unsern Augen sich auftut, I h m streb' ich nach, egal, o b Apuler oder Lukaner; D e n n Venusias Bauer pflügt an der G r e n z e zu beiden Ländern, dorthin entsandt, heißt's, nach der Sabeller Vertreibung, D a ß kein Feind mehr durch offne Gebiete die R ö m e r bestürme. Sei's, daß Apuliens Stämme oder das wilde Lukanien Kriege erregen. Mein Griffel aber soll nie einen Menschen Grundlos verletzen, soll wie ein Schwert mich bewachen, das ruhig Steckt in der Scheide! Warum denn sollt' ich's zu zücken versuchen, D a doch kein Feind mich bedroht? O Jupiter, Vater und König, Ruhen soll meine Waffe, mag ruhig der R o s t sie zerfressen, Niemand soll im Verlangen nach Frieden mich übertreffen! D o c h wer mir quer k o m m t : >Rühr mich nicht an!< werd' ich rufen. Schon Bloßstellen wird ihn mein Lied und die ganze Stadt ihn verspotten, [weint er: Cervius droht voller Wut mit Gesetz und Strafe; Canidia Setzt ihre Gegner in Schrecken mit dem Gift des Albucius; Schlimmes droht dir von Turius, wenn du vor ihm um dein R e c h t kämpfst. Jeder bekämpft mit den eigenen Waffen, wen er verdächtigt, Wie die N a t u r es gebietet. Laß uns das jetzt einmal anschaun: Kämpft mit den Zähnen der Wolf, der Stier mit den H ö r n e r n , ist das nicht Innerstes Wesen? Vertrau dem verschwendrischen Scaeva die alte Mutter an: seine saubere Rechte begeht kein Verbrechen Wundert's dich? Stößt denn der Wolf mit der Pfote, der Stier mit den Nein, er beseitigt die Greisin mit Schierling-vergiftetem H o n i g .

[Zähnen ? - ,

K u r z gefaßt, höre: ob mich ein ruhiges Alter erwartet, O b schon der Tod mich umrauscht mit finsteren Schwingen, ob reich, ob Arm, o b in R o m , o b verbannt, wenn das Schicksal es so mir bestimmt hat, Wie sich mein Leben auch wandelt: ich dichte.« - »Mein Junge, da fürcht' ich Sehr um dein Leben: o b da nicht einer der mächtigen Freunde Eiseskälte dir zeigen möchte.« - »Was? Schon Lucilius H a t doch gewagt, mit solcher A r t Versen Gleisnern ihr Prunkfell Abzuziehen, mit dem sie, wurmstichig innen, vor aller Augen posierten. War Laelius etwa oder war der gar, D e r Karthagos Fall seinen N a m e n verdankt, je verärgert D u r c h sein Genie, seinen Witz, oder nahmen sie's etwa ihm übel,

SERMONES · L I B E R II

famosisque Lupo cooperto versibus ? atqui primores populi arripuit populumque tributim, scilicet uni aequos virtuti atque eius amicis. quin ubi se a volgo et scaena in secreta remorant virtus Scipiadae et mitis sapientia Laeli, nugari cum ilio et discincti ludere, donee decoqueretur holus, soliti, quidquid sum ego, quamvis infra Lucili censum ingeniumque, tamen me cum magnis vixisse invita fatebitur usque invidia et fragili quaerens inlidere dentem offendet solido - nisi quid tu, docte Trebati, dissentis.' 'equidem nihil hinc diffindere possum, sed tamen ut monitus caveas, ne forte negoti incutiat tibi quid sanctarum inscitia legum: si mala condiderit in quem quis carmina, ius est iudiciumque.' 'esto, siquis mala; sed bona siquis iudice condiderit laudatus Caesare? siquis opprobriis dignum latraverit, integer ipse?' 'solventur risu tabulae, tu missus abibis.'

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Wenn er Metellus angriff und Lupus verachtungsvoll schmähte? Angepackt hat er die Großen so gut wie das Volk in den Zünften, Freilich nur Anwalt standhafter Haltung - und ihrer Freunde. Ja, und wenn Scipio, der Held, und Laelius, der weise, gereifte, Sich vor der Menge, dem Forum in einsame Stille geflüchtet, Pflegten sie zwanglos mit jenem Dichter zu plaudern, zu scherzen, Bis das Gemüse serviert war. Was ich auch bin, ach, ich kann nicht Rang und Talent des Lucilius erreichen, doch müssen die Neider, Wenn auch ungern, gestehen: ich war mit Großen befreundet. Wer seine Zähne bei mir in mürbes Fleisch schlagen möchte, Wird auf Granit nur beißen - oder bist du, mein Trebatius, Anderer Ansicht?« - »Nein, hier teile ich ganz deine Meinung. Aber ich mahne zur Vorsicht: Kennst du die heiigen Gesetze Nicht, so wirst du in ernste Schwierigkeiten geraten: Wer mit üblen Gedichten jemand verunglimpft, dem drohen Klage und Urteil!« - »Ja, wenn sie übel sind. Doch wenn sie gut sind, Lobenswert auch nach dem Urteil des Kaisers? Und wenn einer anbellt, Was an den Pranger gehört, er selber untadligen Rufes?« »Lachen löscht dann die Gesetze, und straflos gehst du nach Hause.«

SERMONES · L I B E R I

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Q u a e virtus et quanta, boni, sit vivere parvo - nec meus hic sermo est, sed quae praecepit Ofellus rusticus, abnormis sapiens crassaque Minerva - , discite non inter lances mensasque nitentis, cum stupet insanis acies fulgoribus et cum adclinis falsis animus meliora récusât, verum hic inpransi mecum disquirite, cur hoc? dicam, si potero. male verum examinât omnis corruptus iudex, leporem sectatus equove lassus ab indomito vel, si R o m a n a fatigat militia adsuetum graecari - seu pila velox molliter austerum studio fallente laborem, seu te discus agit, pete cedentem aera disco: cum labor extuderit fastidia, siccus, inanis s p e m e cibum vilem; nisi Hymettia mella Falerno ne biberis diluta. foris est promus, et atrum defendens piscis hiemat mare: cum sale panis latrantem stomachum bene leniet. unde putas aut qui partum? non in caro nidore voluptas summa, sed in te ipso est. tu pulmentaria quaere sudando: pinguem vitiis albumque neque ostrea nec scarus aut poterit peregrina iuvare lagois. vix tamen eripiam, posito pavone velis quin h o c potius quam gallina tergere palatum, corruptus vanis rerum, quia veneat auro rara avis et pietà pandat spectacula cauda: tamquam ad rem attineat quidquam. num vesceris ista, quam laudas, pluma? c o c t o num adest h o n o r idem? carne tamen quamvis distat nil, hac magis illam inparibus formis deceptum te petere esto: unde datum sentis, lupus hic Tiberinus an alto captus hiet? pontisne inter iactatus an amnis ostia sub Tusci? laudas, insane, trilibrem mullum, in singula quem minuas pulmenta necesse est.

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Einfach zu leben - welch ein Vorzug ist's doch, ihr Freunde! Das ist nicht meine Rede, das lehrt uns der Bauer Ofellus, Keiner Schule verpflichtet, von schlichtem Menschenverstände. Niemals lernt ihr dergleichen vor schimmernden Schüsseln und Tischen, Wo das Auge, vom tollen Gefunkel geblendet, der Geist auch, Irregeführt vom täuschenden Schein, sich Bessrem verweigert. Nein, vor dem Frühstück noch wollen wir's ernsthaft erörtern. Warum wohl? Laßt's euch sagen, so gut ich's vermag. Ein bestochener Richter Dient nicht der Wahrheit. Hat dich die Hasenjagd zu sehr ermüdet Oder ein störrisches Pferd und fällt dir der römische Kampfsport Schwer, weil du es nur griechisch gewöhnt bist, so lockt dich womöglich Schnelles Ballspiel, bei dem man vor Eifer nicht merkt, wie es anstrengt, Oder der Diskus: durchschneide mit ihm die geschmeidigen Lüfte! Ist nun durch Sport die Unlust vertrieben, hast Hunger und Durst du: Pfeif dann auf billige Kost, trink nichts als Falerner, mit Honig Vom Hymettos gesüßt! Ging aus dein Koch und verwehrt das Schwarzgraue Meer im Winter den Fischfang und knurrt dir der Magen: Brot mit Salz beschwichtigt ihn bestens! Woher wohl, was meinst du, Mag das kommen? Nicht im Duft eines köstlichen Bratens Liegt höchste Lust, nein, allein in dir selber. Durch eigene Mühsal Schaff dir die Würze! Den blassen, aufgedunsenen Schlemmer Freuen nicht Austern, kein Zander und auch kein nordisches Schneehuhn. Aber wie soll ich's verhindern, daß du bei Tische viel lieber Mit einem Pfau anstatt einem Hühnchen den Gaumen dir kitzelst? Läßt dich vom Schein ja betören, da dieser seltene Vogel, N u r mit Gold zu bezahlen, so prächtig den Schweif vor uns breitet. Kommt es denn darauf an? Verzehrst du die Federn, die du so Anstaunst? Zeigt der gebratene Pfau noch die nämliche Schönheit? Schmeckt auch das Fleisch womöglich nicht besser, so ist's doch die äußre Schönheit allein, die dich so besticht. N u n , sei's drum. Doch woher Weißt du, ob der schnappende Barsch im Tiber gefangen Wurde oder draußen im Meer, ob unter den Brücken, O b an der Mündung des Flusses? Töricht lobst du die Barbe, Dreipfündig, die man in Stücke doch schneiden muß für eine Mahlzeit.

S E R M O N E S · L I B E R II

ducit te species, video: quo pertinet ergo proceros odisse lupos? quia scilicet lilis maiorem natura m o d u m dedit, his breve pondus: ieiunus raro stomachus volgaria temnit. 'porrectum magno magnum spectare catino vellem' ait Harpyiis gula digna rapacibus. at vos praesentes, Austri, coquite horum obsonia. quamquam putet aper rhombusque recens, mala copia quando aegrum sollicitât stomachum, cum rapula plenus atque acidas mavolt Ínulas, necdum omnis abacta pauperies epulis regum: nam vilibus ovis nigrisque est oléis hodie locus, haud ita pridem Galloni praeconis erat acipensere mensa infamis. quid? tunc rhombos minus aequor alebat? tutus erat rhombus tutoque ciconia nido, doñee vos auctor docuit praetorius. ergo siquis nunc mergos suavis edixerit assos, parebit pravi docilis Romana iuventus. sordidus a tenui victu distabit Ofello iudice: nam frustra vitium vitaveris illud, si te alio pravum detorseris. Avidienus, cui Canis ex vero ductum cognomen adhaeret, quinquennis oleas est et silvestria corna ac nisi mutatum parcit defundere vinum et cuius odorem olei nequeas perferre, licebit ille repotia, natalis aliosve dierum festos albatus celebret, cornu ipse bilibri caulibus instillât, veteris non parcus aceti, quali igitur victu sapiens utetur et horum utrum imitabitur? hac urget lupus, hac canis, aiunt. mundus erit, qua non offendat sordibus atque in neutram partem cultus miser, hic ñeque servis, Albuci senis exemplo, dum munia didit, saevus erit, nec sic ut simplex Naevius unctam convivís praebebit aquam: vitium hoc quoque magnum, accipe nunc, victus tenuis quae quantaque secum

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SATIREN · ZWEITES BUCH

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Dich verführt ja, ich seh's doch, das Äußre. Was hast du dann aber Gegen die großen Barsche? Freilich, sie sind von Natur aus Groß gewachsen, während die Barben viel weniger wiegen. Alltagsgerichte verachtet ein Magen, der selten nur hungrig. »Ausgebreitet auf großer Platte will ich ihn sehen«, Spricht der harpyien-gierige Feinschmeckergaumen. O Südwind, Komm und dörr ihre Speisen! Schon riecht der Eber, der frische Steinbutt euch ranzig, schon kränkelt der übersättigte Magen; Will nur sauren Alant und scharfen Rettich noch haben. Noch ist nicht ganz alle schlichte Kost den Tischen der Reichen Fremd geworden: billige Eier und schwarze Oliven Schätzt man auch heut noch. Stand doch kürzlich auf der berühmten Tafel des Maklers Gallonius ein Stör für die Gäste! Was meinst du, Nährte damals das Meer geringere Schwärme des Steinbutts ? Sicher fühlte der Butt sich und sicher im Neste der Storch auch, Bis ihn zu speisen euch lehrte ein durchgefallener Prätor. Preist uns jemand gebratene Taucher als köstliches Festmahl, Gleich wird die römische Jugend - geneigt jedem Unfug - ihm folgen. Schlichtem Leben liegt fern alles Knausern, so lehrt uns Ofellus. Aber vergebens wäre es, diesen Fehler zu meiden, Wolltest du dich, verdreht genug, in einen anderen stürzen. Avidienus, der seinen Beinamen »Hund« wohl zu Recht trägt, Nährt sich von fünf Jahre alten Oliven, dazu wilden Kirschen, Schenkt, um zu sparen, sich nur schon längst verdorbenen Wein ein; Mag er auch Hochzeitsfeiern, Geburtstags- und sonstige Feste Weißgekleidet begehen - sparsam beträufelt aus schwerem Krug er den Kohl sich mit einem Öl, dessen Duft man kaum aushält; Dazu gibt er dann reichlich uralten Essig! - Ja, welche Lebensart soll sich der Weise nun wählen, welche von beiden? »Hier droht der Wolf und dort der Hund«, so sagt uns das Sprichwort. Frei von Tadel wird sein, wer niemand durch Knausern beleidigt Und in keiner Richtung Anstoß erregt. Denn er wird nicht Wie der greise Albucius die Sklaven anbrüllen, wenn er Arbeit verteilt, er wird auch nicht wie Naevius, der Simpel, Fettiges Wasser den Gästen reichen - welch peinlicher Mißgriff ! Höre nun, was und wieviel dir an Fülle das einfache Leben

SERMONES • LIBER II

adferat. in primis valeas bene; nam variae res ut noceant homini credas, memor illius escae, quae simplex olim tibi sederit. at simul assis miscueris elixa, simul conchylia turdis, dulcia se in bilem vertent stomachoque tumultum lenta feret pitvita. vides, ut pallidus omnis cena desurgat dubia? quin corpus onustum hesternis vitiis animum quoque praegravat una atque adfigit humo divinae particulam aurae. alter ubi dicto citius curata sopori membra dedit, vegetus praescripta ad munia surgit, hic tamen ad melius poterit transcurrere quondam, sive diem festum rediens advexerit annus, seu recreare volet tenuatum corpus, ubique accedent anni, tractari mollius aetas imbecilla volet: tibi quidnam accedei ad istam quam puer et validus praesumis mollitiem, seu dura valetudo inciderit seu tarda senectus? rancidum aprum antiqui laudabant, non quia nasus illis nullus erat, sed, credo, hac mente, quod hospes tardius adveniens vitiatum commodius quam integrum edax dominus consumerei, hos utinam inter heroas natum tellus me prima tulisset. das aliquid famae, quae carmine gratior aurem occupet humanam? grandes rhombi patinaeque grande ferunt una cum damno dedecus. adde iratum patruum, vicinos, te tibi iniquum et frustra mortis cupidum, cum derit egenti as, laquei pretium. 'iure' inquit 'Trausius istis iurgatur verbis: ego vectigalia magna divitiasque habeo tribus ampias regibus.' ergo, quod superat non est melius quo insumere possis? cur eget indignus quisquam te divite? quare tempia ruunt antiqua deum? cur, inprobe, carae non aliquid patriae tanto emetiris acervo? uni nimirum recte tibi semper erunt res,

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SATIREN · ZWEITES BUCH

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Bietet: vor allem Gesundheit; denn allzu verschiedene Speisen, Glaub mir, schaden dem Menschen; erinnre dich nur mal, wie gut einst Einfache Nahrung dir stets bekam! Doch mischst du Gebratnes Mit dem Gesottnen und dazu Austern mit Drosseln, so wird sich Süßes in Galle verwandeln, und zäher Schleim wird im Magen Aufruhr erregen. Siehst du, wie jeder Gast sich vom Mahle, Dem bedenklichen, bleich erhebt, der beladene Körper Nach den gestrigen Sünden nun auch den Geist tief hinabdrückt Und ein Teilchen des göttlichen Hauchs in den Erdboden eingräbt? Aber der andre, im Nu gestärkt und in Schlaf bald versunken, Der kann erfrischt das aufgetragene Tagwerk beginnen. Später mag er sich Besseres gönnen, sei's, daß das Jahr ihm In seinem Lauf einen Festtag beschert, oder sei es, er möchte Seinem erschöpften Körper Erholung verschaffen, wenn einmal Seine Jahre sich mehren und das kraftlose Alter Sanftere Pflege begehrt. Doch wie kannst du die je erreichen - Sei's, daß dich Krankheit befällt oder lähmendes Alter herankommt - , Wenn du Verzärtelung schon in der kraftvollen Jugend vorwegnimmst? Ranzigen Duft des Ebers priesen die Alten, nicht weil sie Feinen Geruchssinn nicht kannten, vielmehr in der Absicht, dem späten Gast den angegangenen Braten zu gönnen, statt daß ihn Frisch mit Genußgier der Hausherr verzehre. Ach, hätte mich doch schon Damals im Heldenalter die junge Erde getragen! Lockt dich der gute Ruf nicht, der angenehmer als Lieder Menschliche Ohren erfreut? Auf Riesenschüsseln die Butte Bringen zugleich mit dem Schaden dir auch gewaltige Schande. Denk an den Zorn deines Onkels, die Nachbarn, dich selber: am Ende Wünschst du den Tod dir - vergeblich, da dann die Groschen dir fehlen Für den Kauf eines Strickes. »Mit Recht«, sagt einer, »beschimpft man Trausius wegen der Äußerung: >Ich besitze ja Renten Und ein Vermögen, das reicht, drei Könige gut zu versorgen.«« Sag mal, kannst du dein Geld denn wirklich nicht besser verwenden? Warum darbt mancher schuldlos, und du schwelgst im Reichtum? Warum wohl Stürzen alte Tempel der Götter? Warum nur, du Gauner, Schenkst du der teuren Heimat kein Bißchen von all deinen Schätzen? Recht so: natürlich muß alles für immer allein dir gehören!

SERMONES ' L I B E R II

o magnus posthac inimicis risus. uterne ad casus dubios fidet sibi certius ? hic qui pluribus adsuerit mentem corpusque superbum, an qui contentus parvo metuensque futuri in pace, ut sapiens, aptarit idonea bello? q u o magis his credas, puer hune ego parvus O f e l l u m integris opibus novi non latius usum quam nunc accisis. videas metato in agello cum pecore et gnatis fortem mercede colonum ' n o n ego' narrantem 'temere edi luce profesta quiequam praeter holus fumosae c u m pede pernae. ac mihi seu longum post tempus venerat hospes sive operum vacuo gratus conviva per imbrem vicinus, bene erat non piseibus urbe petitis, sed pullo atque haedo; tum pensilis uva secundas et nux ornabat mensas cum duplice ficu. post hoc ludus erat culpa potare magistra ac venerata Ceres, ita culmo surgeret alto, explieuit vino contractae seria frontis, saeviat atque novos moveat Fortuna tumultus: quantum hinc inminuet? quanto aut ego parcius aut vos, o pueri, nituistis, ut hue novus incola venit? nam propriae telluris erum natura nec ilium nec me nec quemquam statuii: nos expulit ille, ilium aut nequities aut vafri inscitia iuris, postremum expellet certe vivacior heres. nunc ager U m b r e n i sub nomine, nuper Ofelli dictus, erit nulli proprius, sed cedet in usum nunc mihi, nunc alii, quocirca vivite fortes fortiaque adversis opponite pectora rebus.'

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Hörst du den Spott deiner Feinde hernach? Sag, wer von den beiden Ist seiner sichrer in mißlicher Lage? Ist's vielleicht jener, Der seinen dummstolzen Geist und den Körper durch Fülle verwöhnte, Oder, wer, mit wenig zufrieden, besorgt um die Zukunft, Schon im Frieden, was not tut im Kriegsfall, weise bereithält? Glaub mir, ich kannte als kleiner Junge schon diesen Ofellus: Damals, im vollen Besitz seines Gutes, lebt' er nicht üpp'ger Als er nach der Enteignung jetzt lebt. Man sieht ihn als Pächter Auf seinem Gütchen mit Vieh und Söhnen tapfer sich plagen. »Niemals hab' ich«, erzählt er, »an Werktagen leichtsinnig andres Als meinen Kohl mit geräuchertem Schinkenknochen gegessen. Kam mal nach längerer Pause ein Gast zu Besuch oder kam auch, Wenn beim Regen die Arbeit ruhte, ein Nachbar zu Tische, Dann ging es hoch her, doch nicht mit Fisch, den man nur in der Stadt kauft, Sondern mit Huhn oder Böckchen, zum Nachtisch getrocknete Trauben, Schön garniert mit Nüssen und zweifach geschnittenen Feigen; Nachher erfreuten wir uns am Spiel und am zwanglosen Trinken; Ceres wurde verehrt: so ersteh' sie im fruchtbaren Halme; Sorgenfalten hat sie beim Wein aus der Stirn uns gestrichen. Mag Fortuna auch wüten und neue Tumulte erregen Was kann sie uns denn nehmen? Was verlor ich an Freude, Was auch ihr, meine Kinder, seit hier ein neuer Herr einzog? Denn zum Eigentümer des Landes bestimmt die Natur ja Weder ihn noch mich noch sonst einen. Jener vertrieb uns; Ihn vertreibt vielleicht Leichtsinn oder fehlende Kenntnis Unsrer Gesetze - und schließlich ein überlebender Erbe. Jetzt trägt das Gut des Umbrenus Namen, zuvor des Ofellus; Niemandem ist es ganz zu eigen, aber sein Nutzen Liegt heut bei mir und morgen bei anderen. Deshalb lebt tapfer, Stellt jedem Ungemach eure tapferen Herzen entgegen!

SERMONES · LIBER II

3 'Sic raro scribis, ut toto non quater anno membranam poseas, scriptorum quaeque retexens, iratus tibi, quod vini somnique benignus nil dignum sermone canas, quid fiet? at ipsis Saturnalibus hue fugisti sobrius. ergo die aliquid dignum promissis. incipe. ni] est? culpantur frustra calami inmeritusque laborat iratis natus paries dis atque poetis. atqui voltus erat multa et praeclara minantis, si vacuum tepido cepisset villula tecto. quorsum pertinuit stipare Platona Menandro? Eupolin, Archilochum, comités educere tantos? invidiam placare paras virtute relicta? contemnere miser, vitanda est inproba Siren desidia, aut quidquid vita meliore parasti ponendum aequo animo.' 'di te, Damasippe, deaeque verum ob consilium donent tonsore. sed unde tam bene me nosti?' 'postquam omnis res mea Ianum ad medium fracta est, aliena negotia curo excussus propriis. olim nam quaerere amabam, q u o vafer ille pedes lavisset Sisyphus aere, quid scalptum infabre, quid fusum durius esset, callidus huic signo ponebam milia centum; hortos egregiasque d o m o s mercarier unus cum lucro noram; unde frequentia Mercuriale inposuere mihi cognomen compita.' 'novi et miror morbi purgatum te illius. atqui emovit veterem mire novus, ut solet, in cor traiecto lateris miseri capitisve dolore, ut lethargicus hie cum fit púgil et medicum urget. dum nequid simile huic, esto ut übet.' 'o bone, ne te frustrerei insanis et tu stultique prope omnes, siquid Stertinius veri crepat, unde ego mira descripsi docilis praecepta haec, tempore q u o me

SATIREN · ZWEITES BUCH

3 »Selten nur schreibst du, nimmst zur Hand kaum viermal im Jahre Ein Pergament und streichst auch noch aus, was du eben geschrieben, Zürnst dir selber, weil du, dem Wein und dem Schlaf hingegeben, Keine gute Satire mehr schreibst. Wie soll denn das enden? Gut, den Saturnalien bist du entflohen. Nun schaffe Etwas, das deiner Verheißungen würdig! Fang an! Doch es kommt nichts. Grundlos tadelst du deine Feder und unverdient leiden Unter dem Zorn der Götter und Dichter deine vier Wände. Deine Miene versprach uns doch viele und herrliche Dinge, Wenn du erst sorgenfrei lebst unterm warmen Dach deines Gütchens. Wozu häufst du hier Piatons Schriften auf die des Menander: Eupolis, Archilochos, so bedeutende Reisebegleiter? Willst du mildern den Neid durch Verzicht auf eigenes Schaffen? Armer, du erntest Verachtung nur! Meiden mußt du die Trägheit - Lockenden Sang der Sirene - , oder laß gleichmütig fahren, Was dir ein besseres Leben schon eintrug.« - »O Damasippus, Götterlohn für deinen Ratschlag sei ein Barbier dir! Doch woher Kennst du so gut mich?« - »Seit ich mein ganzes Vermögen verloren Dort am Bogen des Janus, besorge ich fremde Geschäfte, Nicht mehr die eignen. Einst aber liebt' ich zu forschen, in welchem Kupfernen Becken der schlaue Sisyphos wusch seine Füße, Auch, was zu klobig gemeißelt oder zu grob sei gegossen, Legte als Kenner Hunderttausende an für ein Kunstwerk, Gärten und herrliche Häuser verstand ich wie keiner zu kaufen, Und mit Gewinn. >Ein Schützling Merkurs< so raunten die Leute An jeder Ecke, wo ich vorbeikam.« - »Staunend vernahm ich, Daß du von jener Krankheit geheilt bist, doch eine neue Scheint, wie so oft, überraschend die alte vertrieben zu haben: Herzweh statt Seitenstechen und Kopfweh - wie wenn man aus Schlafsucht Plötzlich zu Tobsucht erwacht und dem Doktor stracks auf den Leib rückt. Ist's aber nichts dergleichen, so soll es mir recht sein.« - »Mein Bester, Täusche dich nicht: ein Narr bist du, und Toren fast alle, Wenn Stertinius die Wahrheit uns kündet. Vernahm ich von ihm doch Wunderbare Lehren - damals, als er mich tröstend



SERMONES · LIBER II

solatus iussit sapientem pascere barbarti

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atque a Fabricio non tristem ponte revertí. nam male re gesta c u m vellem mittere operto me capite in (lumen, dexter stetit et „cave faxis te quicquam indignum. p u d o r " inquit „te malus angit, insanos qui inter vereare insanus haberi.

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p r i m u m nam inquiram, quid sit furere: hoc si erit in te solo, nil verbi, pereas quin fortiter, addam. quem mala stultitia et quemcumque inscitia veri caecum agit, insanum C h r y s i p p i porticus et grex autumat. haec populos, haec magnos formula reges,

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excepto sapiente, tenet, nunc accipe, quare desipiant omnes aeque ac tu, qui tibi nomen insano posuere. velut silvis, ubi passim palantis error certo de tramite pellit, ille sinistrórsum, hic dextrorsum abit, unus utrique

;o

error, sed variis inludit partibus: hoc te crede m o d o insanum, nihilo ut sapientior ille qui te deridet caudam trahat. est genus unum stultitiae nihilum metuenda timentis, ut ignis, ut rupes fluviosque in campo obstare queratur;

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alterum et huic varum et nihilo sapientius ignis per medios fluviosque ruentis: clamet amica, mater, honesta soror cum cognatis, pater, uxor: 'hie fossa est ingens, hic rupes maxima: serva!' non magis audierit, quam Fufius, ebrius olim,

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cum Ilionam edormit, Catienis mille ducentis 'mater, te appello' clamantibus. huic ego volgus errori similem cunctum insanire d o c e b o . insanit veteres statuas Damasippus emendo: integer est mentis Damasippi creditor? esto.

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'accipe quod n u m q u a m reddas mihi' si tibi dicam: tune insanus eris, si acceperis, an magis excors reiecta praeda, q u a m praesens Mercurius fert? scribe decern a N e r i o : non est satis; adde Cicutae nodosi tabulas, centum, mille adde catenas:

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SATIREN · ZWEITES BUCH

Hieß, einen Weisheitsbart mir wachsen zu lassen und ruhig Von der Fabricius-Brücke nach Hause zu gehen. Denn als ich Nach dem Verlust des Vermögens daranging, mich mit verhülltem Haupt in den Strom zu stürzen, stand er ja zu meiner Rechten: >Nichts tu, was deiner nicht würdig! Törichte Scham nur bedrängt dich, Wenn es dich schreckt, von Narren für närrisch gehalten zu werden. Prüfen wir mal: Was ist Narrheit? Steckt sie in dir nur alleine, Braucht's keines Worts der Erklärung, ich lasse dich tapfer zugrund' gehn. Wer die Wahrheit nicht kennt und als blinder Tor durch das Leben Tappt, den halten Chrysipp, der Stoiker, und seine Schule Für einen Toren. Das trifft ganze Völker, trifft ihre Herrscher, Nur nicht den Weisen. Laß dir nun sagen, warum sie wohl alle Ebenso töricht wie du sind, die dich als Narren verspotten. Wenn in den Wäldern einsame Wandrer durch einen Irrtum Abgekommen sind vom richtigen Weg und es geht nun Einer nach links, der andre nach rechts, da zieht doch der gleiche Irrtum sie beide, nur in verschiedene Richtung. Halt du dich Ruhig für einen Narren; kein bißchen weiser ist aber, Wer dich verhöhnt: er trägt wie du das Schwänzchen des Narren. Eine Art Tor hat Angst, wo nichts zu befürchten: er jammert, Feuer, Felsen, Flüsse versperrten den Weg ihm. Der andre, Völlig verschieden, ist auch nicht gescheiter: mitten durchs Feuer Will er sich stürzen, durch Wasserfluten. Da mag seine Liebste Schreien, die Mutter, die Schwester, Verwandte, der Vater, die Gattin: „Sieh dort den schrecklichen Graben, den riesigen Felsen! Paß auf doch!" Ebenso wenig hört er wie Fufius, als er betrunken Seinen Part der Iliona verschlief, wie laut auch Catienus Schrie mit der Menge: „Mutter, ich rufe dich!" Daß alle Welt an Derlei Verirrungen krankt, das werde ich nun dir beweisen. Du, Damasipp, bist ein Narr, solch alte Figuren zu kaufen. Ist dein Gläubiger aber bei bessrem Verstände? Laß sehen. Sag' ich zu dir: „Nimm dies, du kannst es behalten!", was ist da Törichter: anzunehmen oder von dir zu weisen Solche Beute, wie sie Merkurius gnädig dir bietet? Laß dir Zehntausend buchen bei Nerius: es nützt nichts; dazu noch Stempel Cicutas und hundert, tausend andere Klauseln;

SERMONES · L I B E R II

effugiet tamen haec sceleratus vincula Proteus, cum rapies in ius malis ridentem alienis, fiet aper, modo avis, modo saxum et, cum volet, arbor, si male rem gerere insani est, contra bene sani: putidius multo cerebrum est, mihi crede, Perelli dictantis, quod tu numquam rescribere possis. audire atque togam iubeo conponere, quisquís ambitione mala aut argenti pallet amore, quisquís luxuria tristive superstitione aut alio mentis morbo calet: hue propius me, dum doceo insanire omnis vos ordine, adite. danda est ellebori multo pars maxima avaris: nescio an Anticyram ratio illis destinet omnem. heredes Staberi summam incidere sepulcro, ni sic fecissent, gladiatorum dare centum damnati populo paria atque epulum arbitrio Arri, frumenti quantum metit Africa, 'sive ego prave seu recte hoc volui, ne sis patruus mihi': credo, hoc Staberi prudentem animum vidisse. quid ergo sensit, cum summam patrimoni insculpere saxo heredes voluit? quoad vixit, credidit ingens pauperiem vitium et cavit nihil acrius, ut, si forte minus locuples uno quadrante perisset, ipse videretur sibi nequior. 'omnis enim res, virtus, fama, decus, divina humanaque pulchris divitiis parent; quas qui construxerit, ille clarus erit, fortis, iustus.' 'sapiensne?' 'etiam, et rex et quidquid volet.' hoc veluti virtute paratum speravit magnae laudi fore, quid simile isti Graecus Aristippus? qui servos proicere aurum in media iussit Libya, quia tardius irent propter onus segnes. uter est insanior horum? nil agit exemplum, litem quod lite resolvit. siquis emat citharas, emptas conportet in unum, nec studio citharae nec Musae deditus ulli, si scalpra et formas non sutor, nautica vela

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SATIREN • ZWEITES BUCH

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Dennoch: leichthin entkommt solchen Fesseln ein ruchloser Proteus: Zerrst du ihn vor Gericht, da lacht er sich doch nur ins Fäustchen, Wird jetzt zum Eber, zum Vogel, zum Stein, nach Belieben zum Baume. Halten wir gute Verwaltung für klug und schlechte für unklug: Glaub mir, dann ist das Hirn des Perellius gehörig verbrannt schon, Wenn er dir Gelder leiht, die nie du zurückzahlen könntest. Ordnet jetzt eure Toga und hört, was zu hören euch gut tut: Alle, die ihr von falschem Ehrgeiz und Geldgier geplagt seid, Von Genußsucht und finsterem Aberglauben zerfressen Oder von anderen Qualen der Seele, kommt näher, ich will's euch Streng nach der Reihe beweisen: ihr alle gehört zu den Narren. Geizhälsen muß man die größte Dosis Nieswurz verordnen, Fast schon die ganze Menge, die Antikyra hervorbringt. Auf des Staberius Grabstein schrieben die Erben die Summe, Die sie geerbt. Mit hundert Fechterpaaren ein Kampfspiel Hätt' sonst die Buße betragen, dazu wie bei Arrius ein Prunkmahl Und die Ernte ganz Afrikas. „War es denn schlecht oder recht doch, Was ich verlangte? Spielt IHR nicht den Vormund!" Ich könnte mir denken, Das war recht klug von Staberius. Was wollt' er denn damit erreichen, Daß seine Erben die Nachlaß-Summe dem Grabstein einschnitten? Zeit seines Lebens hielt er die Armut für einen der größten Fehler, und keinen vermied er so peinlich: er hätte als Nichtsnutz Sich betrachtet, hätte er nur einen einzigen Groschen Weniger bei seinem Tode besessen. „Denn all diese Dinge, Tugend, Ruhm und Ehre, göttliche, menschliche Güter, Stehen dem Reichtum nach; und wer ihn erworben, nur der wird Ruhmreich, tapfer, gerecht sein." - „Auch weise?" - „Auch dies, sogar König, Alles, was er sich wünscht." Drum, was er so tüchtig erworben, Sollte, so hofft' er, ihm Nachruhm verschaffen. Aristippos freilich, Jener Grieche, befahl seinen Dienern mitten in Libyen, Alles Gold fortzuwerfen, weil diese, unter der Bürde Ächzend, zu langsam ihm gingen. Wer ist der größere Narr nun? Nicht sehr gut ist dies Beispiel, ersetzt ja nur Frage durch Frage. Wenn einer Zithern sich kauft und dann sie stapelt in Mengen, Der weder Zither spielt noch mit anderer Kunst sich beschäftigt, Wenn er - kein Schuster - Ahlen und Leisten, oder - kein Händler -

SERMONES · L I B E R II

aversus mercaturis: deliras et amens undique dicatur merito, qui discrepat istis, qui nummos aurumque recondit, nescius uti conpositis metuensque velut contingere sacrum? siquis ad ingentem frumenti semper acervum porrectus vigilet c u m longo fuste ñeque illinc audeat esuriens dominus contingere granum ac potius foliis parcus vescatur amaris; si positis intus Chii veterisque Falerni mille cadis - nihil est: tercentum milibus, acre potet acetum; age si et stramentis incubet undeoctoginta annos natus, cui stragula vestis, blattarum ac tinearam epulae, putrescat in area: nimirum insanus paucis videatur, eo quod maxima pars h o m i n u m m o r b o iactatur eodem. filius aut etiam haec libertus ut ebibat heres, dis inimice senex, custodis? ne tibi desit? quantulum enim summae curtabit quisque dierum, unguere si caules oleo meliore caputque coeperis inpexa foedum porrigine? quare, si quidvis satis est, peiuras, surripis, aufers undique? tun sanus? populum si caedere saxis incipias servosve tuos, quos aere pararis, insanum te omnes pueri clamentque puellae; c u m laqueo uxorem interimis matremque veneno, incolumi capite es? quid enim? neque tu hoc facis Argis nec ferro ut demens genetricem occidis Orestes, an tu reris eum occisa insanisse parente ac non ante malis dementem actum Furiis quam in matris iugulo ferrum tepefecit acutum? quin, ex quo est habitus male tutae mentis Orestes, nil sane fecit quod tu reprehendere possis: non Pyladen ferro violare aususve sororem Electran, tantum maledicit utrique vocando hanc Furiam, hunc aliud, iussit quod splendida bilis, pauper Opimius argenti positi intus et auri,

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SATIREN · ZWEITES BUCH

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Segel sich anschafft, wird er mit Recht für verrückt und von Sinnen Allenthalben erklärt. D o c h tut denn der etwas andres, Der seine Taler, sein G o l d verwahrt und nicht weiß zu genießen All das Ersparte, nicht wagt dran zu rühren, als wäre es heilig? Wenn einer unausgesetzt vor dem riesigen Haufen Getreide Wache hält mit langem Knüppel und trotz seines Hungers - Er ist der Herr doch! - kein Körnchen wagt anzurühren, nein lieber Kümmerlich fristet ein kärgliches Leben mit bitteren Kräutern; Wenn im Keller ihm lagern tausend Krüge von ChiosO d e r Falerner-Weinen - was sag' ich: dreihundert tausend! - , Er aber sauren nur trinkt; oder wenn er auf Stroh liegt, ein Greis von Neunundsiebzig Jahren, während ihm Teppich und Kleider, Schmaus für Schaben und Motten, langsam im Kasten vermodern: N u r die wenigsten halten ihn dann für närrisch, es ist ja Von dieser Krankheit der größte Teil der Menschheit befallen. Soll denn, du gottverlassener Alter, dein Sohn dieses Erbe O d e r ein Freigelassner verprassen? D u fürchtest die Armut? Ach, wie wenig verkürzte ein jeder Tag deinen Reichtum, N ä h m s t du für deinen Kohl ein besseres O l , für das Haar auch, Das dir so ungepflegt um den grindigen K o p f hängt? Warum denn, D a du genug hast, schwörst du falsch noch, stiehlst auch und plünderst? Ist das vernünftig? Wenn du auf andere, auf deine Sklaven - Teuer erworben - mit Steinen anfängst zu schmeißen, dann schreien Alle Jungen und Mädchen vereint: „Der ist wohl von Sinnen!" Bringst du jedoch mit dem Strick deine Frau, die Mutter mit Gift um, Dann wärst du heil im K o p f e ? D u tust es ja weder in Argos, N o c h erschlägst du die Mutter - wie im Wahn einst Orestes. Glaubst du, erst nach dem Muttermord sei der dem Wahnsinn verfallen, Nicht schon früher von den Furien verwirrt, noch bevor er In seiner Mutter warmes Blut die Schwertspitze tauchte? Nein, seitdem Orestes als sinnverwirrt angesehn wurde, Hat er niemals mehr Tadelnswertes begangen, hat weder Pylades noch auch Elektra mit seinem Schwert zu bedrohen Jemals gewagt, nur beide beleidigt: die eine gescholten Als eine Furie, den andren, wie es die Galle ihm eingab. A r m war Opimius, trotz allem Silber und G o l d in den Truhen:

SERMONES • L I B E R II

qui Veientanum festis potare diebus Campana solitus trulla vappamque profestis, quondam lethargo grandi est oppressus, ut heres iam circum loculos et clavis laetus ovansque curreret. hune medicus multum celer atque fidelis excitât hoc pacto: mensam poni iubet atque effundi saccos n u m m o r u m , accedere pluris ad numerandum: hominem sic erigit; addit et illud: 'ni tua custodis, avidus iam haec auferet heres.' 'men vivo?' 'ut vivas igitur, vigila, h o c age.' 'quid vis?' 'deficient inopem venae te, ni cibus atque ingens accedit stomacho fultura nienti. tu cessas? agedum sume hoc tisanarium oryzae.' 'quanti emptae?' 'parvo.' 'quanti ergo?' 'octussibus.' 'eheu, quid refert, m o r b o an furtis pereamque rapinis ?' quisnam igitur sanus? qui non stultus. quid avarus? stultus et insanus. quid, siquis non sit avarus, continuo sanus? minime, cur, Stoice? dicam. ' n o n est cardiacus' Craterum dixisse putato 'hic aeger'. recte est igitur surgetque? negabit, quod latus aut renes m o r b o temptentur acuto, non est periurus neque sordidus: inmolet aequis hic porcum Laribus; verum ambitiosus et audax: naviget Anticyram. quid enim? differì, barathrone dones quidquid habes an numquam utare paratis ? Servius Oppidius Canusi duo praedia, dives antiquo censu, gnatis divisse duobus fertur et hoc moriens pueris dixisse vocatis ad lectum: 'postquam te talos, Aule, nucesque ferre sinu laxo, donare et ludere vidi, te, Tiberi, numerare, cavis abscondere tristem, extimui, ne vos ageret vesania discors, tu N o m e n t a n u m , tu ne sequerere Cicutam. quare per divos oratus uterque Penatis tu cave ne minuas, tu ne maius facias id quod satis esse putat pater et natura coercet.

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SATIREN · ZWEITES BUCH

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N u r Vejentanerwein pflegt' er an Feiertagen zu trinken Aus dem kampanischen Krug, und werktags gar nur verdorbnen. Einst lag er krank, von Schlafsucht niedergestreckt, und der Erbe Läuft schon frohlockend herum und sucht die Schatullen und Schlüssel. Schnell aber ist zur Stelle sein treuer Arzt und erweckt ihn Folgendermaßen: einen Tisch läßt er bringen und Säcke, Voll von Münzen, darauf entleeren, holt dazu Leute, Sie zu zählen, richtet den Menschen so auf und erklärt ihm: „Wenn du dein Geld nicht bewachst, dann raubt's dir dein gieriger Erbe." „Wo ich noch lebe?" - „Sei wachsam, dein Leben zu hüten!" „Was also?" „Kraftlos wirst du bald sein, wenn du dem verdorbenen Magen Keine Speise mehr gönnst und ganz gewaltige Stärkung. Zögerst du noch? Sei brav und laß diesen Reisbrei dir schmecken!" „Wieviel kostet er?" - „Wenig." - „Wieviel denn?" - „Acht Groschen." - „Dann ist's Gleich, ob Krankheit oder ob Diebstahl und Raub mich vernichtet!"< [doch Wer ist nun geistig gesund? >Wer kein Tor ist.< Wie steht's mit dem Geizhals? >Der ist ein törichter Narr.< Ist also, wer ganz frei von Geiz ist, Geistig gesund? >Keineswegs.< Warum nicht, mein Stoiker? >Höre: Nehmen wir an, des Craterus Spruch sei: „Dieser Patient hier Magenkrank ist er nicht." - „Er kann also aufstehn?" - „Mitnichten! Schwer erkrankt sind nämlich die Nieren, vielleicht auch die Lunge." Eidbrüchig nicht und kein Geizhals: da mag einer dankbar ein Ferkel Opfern den freundlichen Laren; doch sein vermessener Ehrgeiz Bringt ihn nach Antikyra. Ist's denn was anderes, sinnlos Geld und Gut zu verschleudern, als nie es genießen zu können? Servius Oppidius, ein Mann mit Vermögen, hat in Canusium Seinen zwei Söhnen zwei Güter vermacht. Es heißt, noch im Sterben Habe er sie an sein Lager gerufen und also gesprochen: „Sorglos sah ich dich, Aulus, deine Würfel und Nüsse Bergen im Bausch deiner Toga, auch sie verschenken, verspielen. Du, Tiberius, dagegen zählst und versteckst sie verdrießlich. Und da fürchtete ich, daß euch ungleicher Wahnsinn befalle: Du nimm nicht Nomentan dir zum Vorbild, du nicht Cicuta. Darum bitt' ich euch beide bei den Göttern des Hauses: Hüte du dich, zu mindern, und du, zu vermehren, was eurem Vater genügend erschien und was die Natur hält in Grenzen.

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SERMONES · LIBER II

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praeterea ne v o s titillet gloria, iure iurando obstringam ambo: uter aedilis fueritve

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vestrum praetor, is intestabilis et sacer esto.' in cicere atque faba bona tu perdasque lupinis, latus ut in circo spatiere et aeneus ut stes, nudus agris, nudus nummis, insane, paternis? scilicet ut plausus quos fert A g r i p p a feras tu,

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astuta ingenuum volpes imitata leonem. nequis humasse velit Aiacem, Atrida, vetas cur? 'rex sum - ' nil ultra quaero plebeius. ' - et aequam rem imperito; at sicui videor non iustus, inulto dicere q u o d sentit permitto.' maxime regum,

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di tibi dent capta classem redducere Troia, ergo consulere et m o x respondere licebit? 'consule.' cur A i a x , heros ab Achille secundus, putescit, totiens servatis clarus A c h i v i s ? gaudeat ut populus Priami Priamusque inhumato,

19;

per quem tot iuvenes patrio caruere sepulcro? 'mille ovium insanus morti dedit, inclitum Ulixen et Menelaum una m e c u m se occidere clamans.' tu c u m pro vitula statuis dulcem A u l i d e natam ante aras spargisque mola caput, inprobe, salsa,

200

rectum animi servas? 'quorsum?' insanus quid enim A i a x fecit? c u m stravit ferro pecus, abstinuit v i m uxore et gnato; mala multa precatus Atridis non ille aut Teucrum aut ipsum violavit Ulixen. ' v e r u m ego, ut haerentis adverso litore navis

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eriperem, prudens placavi sanguine divos.' nempe tuo, furiose, 'meo, sed non furiosus.' qui species alias veris scelerisque tumultu permixtas capiet, c o m m o t u s habebitur atque stultitiane erret nihilum distabit in ira. A i a x inméritos cum occidit desipit agnos: cum prudens scelus ob títulos admittis inanis, stas animo et p u r u m est vitio tibi c u m tumidum est cor? siquis lectica nitidam gestare amet agnam,

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SATIREN · ZWEITES BUCH

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Daß euch der Ruhm nicht verlocke, will ich euch beide verpflichten Durch einen heiligen Eid: wird einer von euch einmal Prätor Oder Adii, dann soll er vor Menschen und Göttern verflucht sein." Erbsen, Bohnen, Lupinen spendend verspielst du dein Erbe, U m dich zu brüsten im Circus, in Erz dich gießen zu lassen. Schnell bist du los das Land und das Geld deines Vaters, du Dummkopf! Ach, du gierst nach Applaus, wie einst ihn Agrippa geerntet? Schlaues Füchslein, willst wohl dem edlen Löwen es gleichtun? „Sag mir, Atride, warum du des Ajax Bestattung verbietest?" „Ich bin der König." - „Da schweig' ich als Mann aus dem Volke." - „In Ist, was ich regle; wer mich für ungerecht hält, der soll straffrei

[Ordnung

Sagen, wie er's sieht." - „O mächtiger König, wenn Troja gefallen, Mögen die Götter gnädig die Flotte dich heimführen lassen! Also, ich darf dich fragen und auch dir entgegnen?" - „Ja, frag nur!" „Warum soll Ajax unbegraben vermodern, der stärkste Held nach Achill, der ruhmvoll so oft die Achiver gerettet? Sollen darob frohlocken Priamos und die Trojaner? Viele Jünglinge fanden durch ihn ja kein Grab in der Heimat." „Tausend Schafe erschlug er im Wahnsinn und rief noch, er töte Jetzt den berühmten Odysseus, dazu Menelaos und mich gar." „Als du in Aulis statt eines Kalbes die liebliche Tochter Vor den Altar gestellt und Gerste aufs Haupt ihr gestreut hast, Frevler du, warst du da recht bei Sinnen?" - „Was soll das?" - „Was tat denn Ajax in all seinem Wahn? Die Tiere tötete er, doch Gattin und Sohn verschont' er, verfluchte zwar die Atriden, Aber weder an Teukros vergriff er sich noch an Odysseus." „Wohlbedacht hab' ich mit Blut die Götter zur Milde bewogen, U m die an widrige Küste gebannten Schiffe zu lösen." „Etwa mit deinem, du Unmensch?" - „Mit meinem, doch niemals als Unmensch!" Wer falsche Ansichten hegt, vermischt mit schlimmen Gelüsten, Ist als verrückt zu bezeichnen. Da spielt es gar keine Rolle, O b er aus Torheit sich irrt oder ob ihn Jähzorn gepackt hat. Wohl war Ajax von Sinnen beim Morden der schuldlosen Lämmer, Doch wenn um eitlen Ruhm du bewußt begehst ein Verbrechen, Bist du bei Sinnen, ist rein dein stolzes Herz dann von Frevel? Führte jemand in einer Sänfte ein Lämmchen spazieren,

SERMONES · L I B E R II

huic vestem ut gnatae paret, ancillas paret, aurum, Rufam aut Pusillam appellet fortique marito destinet uxorem: interdicto huic omne adimat ius praetor et ad sanos abeat tutela propinquos. quid, siquis gnatam pro muta devovet agna, integer est animi? ne dixeris. ergo ubi prava stultitia, hic summa est insania; qui sceleratus, et furiosus erit; quem cepit vitrea fama, hunc circumtonuit gaudens Bellona cruentis. nunc age luxuriam et Nomentanum arripe mecum. vincet enim stultos ratio insanire nepotes, hic simul accepit patrimoni mille talenta, edicit, piscator uti, pomarius, auceps, unguentarius ac Tusci turba inpia vici, cum scurris fartor, cum Velabro omne macellum mane domum veniant. quid tum? venere frequentes, verba facit leno: 'quidquid mihi, quidquid et horum cuique domi est, id crede tuum et vel nunc pete vel eras accipe quid contra haec iuvenis responderit aequus. 'in nive Lucana dormis ocreatus, ut aprum cenem ego; tu piscis hiberno ex aequore verris. segnis ego, indignus qui tantum possideam; aufer, sume tibi deciens; tibi tantundem; tibi triplex, unde uxor media currit de nocte vocata.' filius Aesopi detractam ex aure Metellae, scilicet ut deciens solidum absorberet, aceto diluit insignem bacam: qui sanior ac si illud idem in rapidum flumen iaceretve cloacam? Quinti progenies Arri, par nobile fratrum, nequitia et nugis pravorum et amore gemellum luscinias soliti inpenso prandere coemptas, quorsum abeant? sani ut creta, an carbone notati? aedificare casas, plostello adiungere muris, ludere par inpar, equitare in harundine longa siquem delectet barbatum, amentia verset, si puerilius his ratio esse evincet amare

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SATIREN · ZWEITES BUCH

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Gäbe ihm Kleider wie seiner Tochter, auch Mägde und Goldschmuck, Riefe es Rufa oder Pusilla, bestimmte zum Gatten Ihm einen tüchtigen Mann: der würde vom Prätor entmündigt, Käme gewiß unter Vormundschaft seiner vernünft'gen Verwandten. Opfert aber einer die Tochter statt eines Lammes, Ist er da recht bei Sinnen? Niemals! Denn frevelnde Torheit Ist doch der Gipfel des Irrsinns! Wer sich dem Frevel verschrieben, Ist schon vom Wahnsinn gepackt; und wen die Ruhmsucht verblendet, Den hat verführt Bellona, die ihre Lust hat am Blutrausch. Laß nun den Luxus uns prüfen und Nomentanus betrachten! Leicht wird Vernunft uns beweisen: Verschwender sind törichte Narren. Als von des Vaters Vermögen er tausend Talente geerbt hat, Läßt er verkünden, ihn sollten am nächsten Morgen besuchen Fischer und Obstverkäufer, Vogelfänger und SalbenHändler, das ganze Gesindel des tuskischen Viertels und dazu Possenreißer, auch Hühnermäster vom Brot- und vom Fleischmarkt. Alle kommen. Ein Kuppler spricht: „Was mir und was diesen Leuten gehört, das nimm als das Deine, ob heut' oder morgen!" Höre nun, was der naive Junge ihm darauf erwidert: „In Lukaniens Schnee in Schaftstiefeln schläfst du, damit ich Eberfleisch speise, fängst für mich Fische aus eisigem Meere; Träge sitz' ich daheim, nicht würdig, so viel zu besitzen. Nimm die Million hier, du dir das Gleiche, dreifaches du dir, Dessen Frau zu mir eilt, wenn um Mitternacht ich nach ihr rufe." Von Metellas Ohr nahm der Sohn des Aesop eine Perle, Löste in Essig auf das kostbare Stück, denn er wollte Eine Million auf einmal schlürfen. War das gescheiter, Als sie ins Wasser oder in eine Kloake zu werfen? Quintus Arrius' Söhne, ein edles Brüderpaar, zwillingsGleich in Liederlichkeit und üblen Gelüsten, zum Frühstück Speisten sie teure Nachtigallen: wie stuft man sie richtig Ein? Als besonnen - mit Kreide, oder mit Kohle - als Narren? Häuserchen bauen, Mäuse an Wägelchen anschirren, Grade, Ungrade spielen, reiten auf langen Stangen von Bambus: Wen als Erwachsenen das noch erfreut, der muß wohl ein Narr sein. Wenn deine Einsicht dir sagt, noch kindischer sei doch Verliebtsein

SERMONES · L I B E R II

nec quicquam differre, utrumne in pulvere, trimus quale prius, ludas opus, an meretricis amore sollicitus plores: quaero, faciasne quod olim mutatus Polemon? ponas insignia morbi, fasciolas, cubital, focalia, potus ut ille dicitur ex collo furtim carpsisse coronas, postquam est inpransi correptus voce magistri? porrigis ¡rato puero cum poma, récusât; 'sume, catelle': negat; si non des, optet. amator exclusus qui distat, agit ubi secum, eat an non, quo rediturus erat non arcessitus, et haeret invisis foribus? 'nec nunc, cum me vocet ultro, accedam? an potius mediter finire dolores? exclusit; revocat: redeam? non, si obsecret.' ecce servos, non paulo sapientior 'o ere, quae res nec modum habet ñeque consilium, ratione modoque tractari non volt, in amore haec sunt mala, bellum, pax rursum: haec siquis tempestatis prope ritu mobilia et caeca fluitantia sorte laboret reddere certa sibi, nihilo plus explicet ac si insanire paret certa ratione modoque.' quid? cum Picenis excerpens semina pomis gaudes, si cameram percusti forte, penes te es ? quid? cum balba feris annoso verba palato, aedificante casas qui sanior? adde cruorem stultitiae atque ignem gladio scrutare, modo, inquam, Hellade percussa Marius cum praecipitat se, cerritus fuit? an commotae crimine mentis absolves hominem et sceleris damnabis eundem ex more inponens cognata vocabula rebus? libertinus erat, qui circum compita siccus lauris mane senex manibus currebat et 'unum', - 'quid tam magnum?' addens - , 'unum me surpite morti! dis etenim facile est' orabat, sanus utrisque auribus atque oculis; mentem, nisi litigiosus,

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SATIREN · ZWEITES BUCH

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Als diese Spiele, gleichgültig, ob du, wie einst mit drei Jahren Burgen im Sand baust oder verzweifelt um einer Dirne Willen dich ausweinst - da frag' ich dich: willst du nicht handeln wie einst der Plötzlich bekehrte Polemon, abtun die Zeichen der Schwäche, Halstücher, Binden und Polster? Hat er doch damals, noch trunken, Heimlich den Kranz sich v o m K o p f genommen, als in der Frühe Ihn, so sagt man, des nüchternen Meisters Stimme getroffen? Bietest du O b s t einem trotzigen Knaben, da will er's nicht nehmen. „ N i m m doch, mein Häschen!" Er will nicht. Nimmst du es fort, schon begehrt Ist einer abgeblitzt, denkt er: „Soll ich jetzt gehn oder nicht gehn?"

[er's.

Ungerufen wollt' er ja hingehn - er kann sich nicht lösen Von der verwünschten Türe. „Soll ich nicht jetzt sie besuchen, D a sie mich herruft? O d e r wär's besser, die Pein zu beenden? Sie wies mich ab! Jetzt ruft sie. Geh ich? Nein, nimmermehr, selbst wenn Flehend sie bäte." Ach, wieviel klüger spricht da der Sklave: „Herr, was nicht Maß noch Einsicht kennt, das will ja auch gar nicht Maßvoll, vernünftig behandelt werden. Liebe bringt Unheil: Krieg jetzt, dann wieder Frieden. Wollt' einer, was wie das Wetter Wankelmütig und ziellos sich ändert, für sich so gestalten, Daß es verläßlich wird, nun, das würde nichts andres bedeuten, Als verrückt sein zu wollen mit rechtem Maß und mit Einsicht." Wählst du dir einen Kern aus Picenums Äpfeln und schnippst ihn H o c h an die Decke und freust dich des Treffers: ist das nicht Wahnsinn? Wenn du als Hochbetagter Liebesworte noch stammelst, Bist du da klüger als Häuschen bauende Kinder? F ü g nur noch Mord und Totschlag zur Torheit und schür mit dem Schwerte das Feuer! Marius erstach seine Hellas und stürzte sich dann in den Abgrund: War der kein N a r r ? O d e r sprichst du ihn frei v o m Vorwurf des Irrsinns U n d bezichtigst ihn lieber eines schlimmen Verbrechens Wie es ja Brauch ist, den Dingen verwandte N a m e n zu geben? D a war ein alter Freigelassener: morgens schon lief er Uber die Straßen, die H ä n d e gewaschen, noch nüchtern, und flehte: „Mich allein, Götter - ist's denn so Großes? - bewahrt vor dem Tode! Euch ist's ein Leichtes." Er war gesund an Augen und Ohren, D o c h für die geist'ge Gesundheit könnte der Herr beim Verkaufe

SERMONES · LIBER II

exciperet dominus, cum venderet. hoc quoque volgus Chrysippus ponit fecunda in gente Meneni. 'Iuppiter, ingentis qui das adimisque dolores,' mater ait pueri mensis iam quinqué cubantis, 'frigida si puerum quartana reliquerit, ilio mane die, quo tu indicis ieiunia, nudus in Tiberi stabit.' casus medicusve levarit aegrum ex praecipiti: mater delira necabit in gelida fixum ripa febrimque reducet, quone malo mentem concussa? timore deorum." haec mihi Stertinius, sapientum octavos, amico arma dedit, posthac ne conpellarer inultus. dixerit insanum qui me, totidem audiet atque respicere ignoto discet pendentia tergo.' 'Stoice, post damnum sic vendas omnia pluris, qua me stultitia, quoniam non est genus unum, insanire putas? ego nam videor mihi sanus.' 'quid, caput abscissum manibus cum portât Agaue gnati infelicis, sibi tunc furiosa videtur?' 'stultum me fateor - liceat concedere veris atque etiam insanum; tantum hoc edissere, quo me aegrotare pûtes animi vitio.' 'accipe: primum aedificas, hoc est longos imitaris, ab imo ad summum totus moduli bipedalis, et idem corpore maiorem rides Turbonis in armis spiritum et incessum: qui ridiculus minus ilio? an, quodcumque facit Maecenas, te quoque verum est, tanto dissimilem et tanto cenare minorem? absentis ranae pullis vituli pede pressis unus ubi effugit, matri denarrat, ut ingens belua cognatos eliserit: illa rogare, quantane? num tantum, sufflans se, magna fuisset? 'maior dimidio.' 'num tantum?' cum magis atque se magis inflaret, 'non, si te ruperis,' inquit 'par eris.' haec a te non multum abludit imago, adde poemata nunc, hoc est, oleum adde camino;

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Dieses Manns vor Gericht kaum einstehn. Wisse, auch diese Sorte rechnet Chrysipp zum fruchtbaren Stamm des Menenius. „Jupiter, der du uns gibst und nimmst unsägliche Schmerzen", Fleht' eines Knaben Mutter, der schon fünf Monate krank lag, „Wenn mein Junge vom Wechselfieber geheilt wird, dann soll er Früh am Morgen des Tages, an dem du uns Fasten gebietest, Nackt stehn im Tiber." Ein Zufall, vielleicht auch der Doktor, sie holten Aus der Krise den Kranken. Ihn tötet die törichte Mutter: Wenn er im eiskalten Fluß steht, kommt das Fieber doch wieder! Was für ein Wahnsinn? Vom Aberglauben war sie geschlagen!< Dies gab mir freundlich als Rüstzeug Stertinius, der achte der Weisen, Daß man es künftig nicht wage, straflos mich zu beschimpfen. Wer mich noch Narr nennt, bekommt von mir ein Gleiches zu hören, Soll auf dem eigenen Rücken den Sack voller Fehler erkennen!« »Nach dem Bankrott verkaufe doch, Stoiker, alles noch teurer! Mir aber sag jetzt, von welcher Torheit - es gibt ja so viele Meinst du, bin ich befallen? Mir selbst erschein' ich vernünftig.« »Wenn Agaue das Haupt ihres Unglückssohnes in Händen Trägt, das sie selber ihm abriß, dünkt sie sich da vielleicht rasend?« »Schön, ich geb's zu, ich bin töricht, ein Narr auch - der Wahrheit die Ehre. Nur, bitte, sag mir jetzt noch: von welchem Gebrechen des Geistes Meinst du, bin ich befallen?« - »Also, vernimm denn als erstes: Großer Herren Stil äffst du nach beim Bauen. Bist selber Doch nur zwei Fuß hoch im ganzen vom Scheitel zur Sohle, und dabei Lachst du, wie großspurig Turbo daherkommt in seiner Rüstung, Für seinen Wuchs viel zu groß! Bist du denn weniger albern? Nimmst du, was dein Maecenas tut, für dich auch als Maßstab, Wo du so anders als er bist, im Wettstreit mit ihm so viel kleiner? Einst zertrat ein Kalb junge Fröschlein, als ihre Mutter Abwesend war. Nur einer entkam und erzählte der Mutter, Was für ein riesiges Untier die Brüder zermalmte. Sie fragt ihn: >War es sehr groß ?< und bläht sich auf und fragt: >Etwa so groß ?< >Nein, um die Hälfte größer.< >Dann vielleicht so groß?< und bläht sich Noch viel mehr auf. Da sagt er: >Niemals wirst du ihm gleichen, Selbst wenn du platzt.< Diese Fabel könnte recht gut auf dich passen. Und die Gedichte! Das heißt doch, Öl ins Feuer noch gießen!

SERMONES · LIBER II

quae siquis sanus fecit, sanus facis et tu. non dico horrendam rabiem - ' 'iam desine.' - 'cultum maiorem censu - ' 'teneas, Damasippe, tuis te.' ' - mille puellarum, puerorum mille furores - ' 'o maior tandem parcas, insane, minori.'

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SATIREN · ZWEITES B U C H

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Ist, wer das tut, bei Verstände, magst auch du bei Verstand sein. Von deinem heillosen Zorn will ich schweigen - « - »Hör auf jetzt! « - » - von Aufwand auch - « - »Damasipp, kehr du vor der eigenen Türe!«

[deinem

» - Und von dem Liebestaumel mit tausend Mädchen und Knaben - « »Größerer Narr du, verschone doch endlich den kleineren Narren!«

SERMONES ' L I B E R II

4 'Unde et quo Catius?' 'non est mihi tempus, aventi ponere signa novis praeceptis, qualia vincent Pythagoran Anytique reum doctumque Platona.' 'peccatum fateor, cum te sic tempore laevo interpellarim; sed des veniam bonus, oro. quodsi interciderit tibi nunc aliquid, répétés mox, sive est naturae hoc sive artis, mirus utroque.' 'quin id erat curae, quo pacto cuncta tenerem utpote res tenuis, tenui sermone peractas.' 'ede hominis nomen, simul et, Romanus an hospes.' 'ipsa memor praecepta canam, celabitur auctor. longa quibus facies ovis erit, ilia memento, ut suci melioris et ut magis alba rotundis, ponere: namque marem cohibent callosa vitellum. cole surbano qui siccis crevit in agris dulcior: inriguo nihil est elutius horto. si vespertinus subito te oppressent hospes, ne gallina malum responset dura palato, doctus eris vivam musto mersare Falerno: hoc teneram faciet. pratensibus optima fungís natura est; aliis male creditur. ille salubris aestates peraget, qui nigris prandia morís finiet, ante gravem quae legerit arbore solem. Aufidius forti miscebat mella Falerno: mendose, quoniam vacuis conmittere venis nil nisi lene decet: leni praecordia mulso prolueris melius, si dura morabitur alvus, mitulus et viles pellent obstantia conchae et lapathi brevis herba, sed albo non sine Coo. lubrica nascentes inplent conchylia lunae; sed non omne mare est generosae fertile testae: murice Baiano melior Lucrina peloris, ostrea Circeis, Miseno oriuntur echini, pectinibus patulis iactat se molle Tarentum.

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SATIREN · ZWEITES BUCH

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4 »Catius, woher und wohin?« - »Ich hab' keine Zeit, muß die neue Lehre mir einverleiben, die so viel mehr ist als alles, Was Pythagoras, Sokrates auch und Piaton je lehrten.« » O h , ich gesteh' meinen Fehler: zu ungelegener Stunde H a b ' ich gestört; verzeih mir gütigst, ich bitt' um Vergebung. Falls dir jetzt irgend etwas entfallen: bald findest du's wieder, Durch dein Genie oder mit deinem Können, erstaunlich ja beides.« » D a s war grad meine Sorge: wie kann ich das alles behalten, Diese köstlichen Dinge, in köstlicher Rede entwickelt!« »Sag mir, wie heißt der Mann! Ist's ein Römer oder ein Fremder?« »Gerne verkünd' ich die Lehre, den Lehrer aber verschweig' ich. Bietest du Eier zur Mahlzeit, bedenke vor allem: die langen Schmecken viel besser und haben helleres Eiweiß als runde; In der härteren Schale verbirgt sich ein künftiges Hähnchen. Kohl von trockenen Feldern ist schmackhafter als aus der Vorstadt: Nichts ist so ausgelaugt wie Gemüse aus wässrigen Gärten. Wenn dich unvermutet ein Gast am Abend noch heimsucht U n d es soll sich das H u h n seinem Gaumen nicht zäh widersetzen, Dann empfehle ich, es zu ertränken im Most des Falemers: So wird es zarter. Die besten Pilze gedeihen auf Wiesen, Andren mißtraut man. Wer sein zweites Frühstück mit schwarzen Maulbeeren abschließt, die er noch vor der sengenden Sonne Pflückte, der bleibt gesund sogar in der Hitze des Sommers. Honigtrank mischte Aufidius meist mit schwerem Falerner: Falsch, ganz falsch! D e m leeren Magen soll man nur Mildes Zuführen: mit einem milden Honigwein kannst du viel besser Die Gedärme dir spülen. Leidest du mal an Verstopfung: Miesmuscheln, niedriger Sauerampfer, selbst billige Schnecken Räumen die Stauung dir aus - doch nur mit koischem Weißwein. Unter dem wachsenden M o n d gedeihen die feucht-glatten Austern, D o c h nicht in jedem Meere lebt dieses edelste Schaltier. Höher als Bajäs Purpurschnecke schätzt man die Muscheln Aus dem Lucrinus, Misenums Seeigel, Austern Circejis; Kammuscheln, offen serviert, sind der Stolz des verwöhnten Tarentum.

SERMONES · L I B E R II

nec sibi cenarum quivis temere arroget artera, non prius exacta tenui ratione saporum. nec satis est cara piscis averrere mensa ignarum, quibus est ius aptius et quibus assis languidus in cubitum iam se conviva reponit. U m b e r et iligna nutritus glande rotundas curvat aper lances carnem vitantis inertem; nam Laurens malus est, ulvis et harundine pinguis. vinea submittit capreas non semper edulis. fecundae leporis sapiens sectabitur armos. piscibus atque avibus quae natura et foret aetas, ante meum nulli patuit quaesita palatum. sunt quorum ingenium nova tantum crustula promit, nequaquara satis in re una consumere curam, ut siquis solum hoc, mala ne sint vina, laboret, quali perfundat piscis securas olivo. Massica si cáelo suppones vina sereno, nocturna siquid crassi est tenuabitur aura et decedet odor nervis inimicus; at illa integrum perdunt lino vitiata saporem. Surrentina vafer qui miscet faece Falerna vina, columbino limum bene colligit ovo, quatenus ima petit volvens aliena vitellus. tostis marcentem squillis recreabis et Afra p o t o r e m coclea; nam lactuca innatat acri post vinum stomacho; perna magis et magis hillis flagitat inmorsus refici, quin omnia malit quaecumque inmundis fervent aliata popinis. est operae pretium duplicis pernoscere iuris naturam. simplex e dulci constat olivo, quod pingui miscere mero muriaque decebit non alia quam qua Byzantia putuit orca, hoc ubi confusum sectis inferbuit herbis C o r y c i o q u e c r o c o sparsum stetit, insuper addes pressa Venafranae quod baca remisit olivae. Picenis cedunt pomis Tiburtia suco:

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S A T I R E N · ZWEITES B U C H

III

Niemand sollte sich rühmen, daß er die Kochkunst beherrsche, Der sie nicht vorher studierte mit feinem Gespür und Geschmackssinn. Nicht genügt's, an teurer Marktbank Fische zu ramschen, Ohne zu wissen, welche mit Soße, welche gebraten Besser munden dem Gast, der schon satt auf dem Lager sich ausstreckt. Umbrischer Eber, von Eicheln genährt, läßt gewaltig die runde Schüssel sich biegen vor Gästen, die fades Fleisch nicht mehr mögen. Schlechter schmeckt der aus Laurentum, zu fett vom Sumpfgras und Schilfrohr. Rehe werden nicht immer schmackhaft durch Weinreben-Futter. Trächtiger Häsinnen Schulterstücke nimmt gern sich der Kenner. Welcher Art und wie alt Geflügel und Fische sein müssen, Das hat vor meinem Gaumen noch keinem je sich erschlossen. Leute gibt's, deren Genius nur neues Naschwerk hervorbringt. Aber es reicht nicht, nur auf eins seine Sorgfalt zu wenden Wie wenn einer sich abmüht, daß ihm der Wein nicht verderbe, D o c h sich nicht sorgt, mit welchem O l er die Fische beträufle. Stellst du den Massikerwein bei klarem Himmel ins Freie Löst der nächtliche Lufthauch jegliche Trübe, es schwindet Auch der herbe Geruch, der den Nerven so schadet; dahin ist Aber die feine Blume, wenn man durch Leinen ihn filtert. Wer mit Falernerhefe klug den Wein aus Sorrent mischt, Bindet die Trübung am besten mit dem Ei einer Taube, Denn der Dotter zieht sämtliche Fremdkörper mit sich zu Boden. Müde Trinker belebst du neu mit gerösteten Krabben U n d afrikanischen Schnecken - Kopfsalat schwimmt nur im Magen, Der von allzu viel Wein überreizt ist: mehr Schinken, mehr Würstchen Will er als Anreiz und Stärkung, und mehr noch giert er nach allem, Was man ihm siedendheiß aus schmutziger Kneipe herbeischleppt. Wahrlich, es lohnt, das Rezept der doppelten Soße zu kennen: N i m m die einfache aus dem süßen Ö l der Olive, Misch sie mit schwerem, kräftigen Wein und Salzwasser-Lake Byzantinische Herkunft verrät das A r o m a des Fasses - , Bring sie, verrührt mit fein geschnittenen Kräutern, zum Kochen, Laß sie, bestreut mit korykischem Safran, stehen und gieße Schließlich noch Ol, gepreßt aus Venafrums Oliven, darüber. Aus Picenum die Äpfel sind saftiger als die nur außen

S E R M O N E S · L I B E R II

nam facie praestant, venucula convenit ollis; rectius Albanam f u m o duraveris uvam. hanc ego cum malis, ego faecem primus et allée, primus et invenior piper album cum sale nigro incretum puris circumposuisse catillis. inmane est vitium dare milia terna macello angustoque vagos piscis urgere catino, magna movet stomacho fastidia, seu puer unctis tractavit calicem manibus, dum furta ligurrit, sive gravis veteri creterrae limus adhaesit. vilibus in scopis, in mappis, in scobe quantus consistit sumptus? neglectis flagitium ingens, ten lapides varios lutulenta radere palma et Tyrias dare circum inlota toralia vestís, oblitum, quanto curam sumptumque minorem haec habeant, tanto reprehendí iustius illis, quae nisi divitibus nequeunt contingere mensis?' 'docte Cati, per amicitiam divosque rogatus ducere me auditum, perges quocumque, memento, nam quamvis memori referas mihi pectore cuncta, non tamen interpres tantundem iuveris. adde voltum habitumque hominis, quem tu vidisse beatus non magni pendis, quia contigit; at mihi cura non mediocris inest, fontis ut adire remotos atque haurire queam vitae praecepta beatae.'

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SATIREN · ZWEITES BUCH

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Schönen aus Tibur. Venucula-Trauben bewahrt man im Topf auf, Die v o m Albanerberg aber dörrt man besser im Rauchfang; Diese serviert' ich mit Äpfeln z u m Nachtisch, erfand auch als erster, Fischpastete, mit Weinstein, weißem Pfeffer und schwarzem Salz bestreut, der Runde in reinlichen Schalen zu bieten. Unverzeihlich, Tausende auszugeben am Markt und Dann die zappelnden Fische in enge Schüsseln zu zwängen! Heftiger Ekel regt sich im Magen, wenn dir der Sklave - Heimlich hat er genascht! - den Becher mit schmieriger H a n d reicht Oder wenn häßlicher Schmutz am altertümlichen K r u g klebt. Sind denn billige Besen, Sägespäne und Tücher Wirklich so teuer? Sich darum nicht kümmern: welch riesige Schande! Wer Mosaiksteine säubert mit schmutzigem Besen und wer gar Tyrischen Purpur über die fleckige Tischdecke breitet, Nicht bedenkend, wie wenig Sorge und Aufwand dies fordert, Der wird mit größerem Recht getadelt als wenn etwas fehlte, D a s nur Reiche an ihrer Tafel zu bieten vermögen.« »Bei unsrer Freundschaft, gelehrter Catius, und bei den Göttern Bitt' ich dich: bring mich zu ihm - wohin auch - als Hörer! Vergiß nicht! Wohl kannst du aus dem Gedächtnis mir alles berichten, doch niemals Wirst du als Dolmetsch es so weit bringen, daß ich auch sehe Miene und Gesten des Mannes, den du, o Glücklicher, selbst sahst. Gilt's dir auch wenig, weil du's schon genössest, ist doch um so größer Meine Begierde, zu dem verborgenen Q u e l l zu gelangen, U m daraus schöpfen zu können die Lehre v o m glücklichen Leben.«

SERMONES · L I B E R II

5 ' H o c quoque, Tiresia, praeter narrata petenti responde, quibus amissas reparare queam res artibus atque modis. quid rides?' 'iamne doloso non satis est Ithacam revehi patriosque penatis adspicere?' 'o nulli quicquam mentite, vides ut nudus inopsque d o m u m redeam te vate, neque illic aut apotheca procis intacta est aut pecus: atqui et genus et virtus, nisi c u m re, vilior alga est.' 'quando pauperiem missis ambagibus horres, accipe qua ratione queas ditescere. turdus sive aliud privum dabitur tibi, devolet illuc, res ubi magna nitet domino sene; dulcía p o m a et quoscumque feret cultus tibi fundus honores ante Larem gustet venerabilior Lare dives, qui quamvis periurus erit, sine gente, cruentus sanguine fraterno, fugitivus, ne tamen illi tu comes exterior, si postulet, ire recuses.' 'utne tegam spurco D a m a e latus? haud ita Troiae me gessi, certans semper melioribus.' 'ergo pauper eris.' 'fortem hoc animum tolerare iubebo; et quondam maiora tuli, tu protinus, unde divitias aerisque ruam, die, augur, acervos.' 'dixi equidem et dico: captes astutus ubique testamenta senum neu, si vafer unus et alter insidiatorem praeroso fugerit hamo, aut spem deponas aut artem inlusus omittas. magna minorve foro si res certabitur olim, vivet uter locuples sine gnatis, inprobus, ultro qui meliorem audax vocet in ius, illius esto defensor; fama civem causaque priorem speme, domi si gnatus erit fecundave coniux. „ Q u i n t e " puta aut „Publi" - gaudent praenomine molles auriculae - „tibi me virtus tua fecit amicum. ius anceps novi, causas defendere possum;

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5 »Sag mir, Tiresias, nach allem, was du verkündet, jetzt bitte Auch noch, auf welche Weise könnt' ich wohl wiederbekommen All mein verlorenes G u t ? Was lachst d u ? « - » G e n ü g t es dir, Schlaukopf, Nicht, nach Ithaka heimzukehren, das H a u s deiner Väter Endlich wiederzusehen?« - » D e r du noch keinen belogen, Sieh doch, o Seher: nackt und mittellos k o m m ' ich nach Hause, Weder das Lager mit Wein noch das Vieh verschonten die Freier. Ohne Vermögen sind Tugend und Herkunft doch wertlos wie Algen.« »Wenn du die Armut scheust und zu allem bereit bist, dann höre, Wie du reich werden könntest. Wird dir vielleicht eine Drossel O d e r sonst was Besondres geschenkt: sogleich laß es dorthin Fliegen, wo üppiger Reichtum winkt in der H a n d eines Greises! Süßes O b s t und was immer dein Garten hervorgebracht, koste Dieser Reiche noch vor den Laren: ihn ehre vor allen! Mag er auch meineidig sein, ohne achtbare Ahnen, befleckt mit Blut seines Bruders, entlaufener Sklave: weigre dich niemals, Wenn er es wünscht, auf der Straßenseite ihn zu begleiten!« »Soll ich denn Flankenschutz sein für den schmutzigen D a m a ? Vor Troja Tat ich niemals dergleichen, ich maß mich nur mit den Besten.« » D a n n bleibst du immer arm.« - »So will ich's denn tapfer ertragen, Schlimmres hab' einst ich erduldet. Unverzüglich, o Seher, Sage mir, wie ich Reichtum erwerbe und Gelder in Massen!« »Sagt' ich's doch schon! Also nochmals: Angle dir schlau, wo auch immer, Testamente von Greisen! Wenn dann der ein' oder andre Listig den Köder nur abnagt und so entschlüpft deiner Falle, Gib nicht enttäuscht deine H o f f n u n g auf und all deine Künste! Gibt's auf dem F o r u m bisweilen, ob groß oder klein, einen Rechtsstreit U n d ist von beiden der eine reich, ohne Kinder, ein Schurke, Der einen Ehrenmann grundlos verklagte, sei Anwalt des Schurken; Weise den Bürger mit besserem Ruf, mit den besseren Gründen Ab, sofern er ein Kind hat oder die Frau eins erwartet! Sprich sie mit >QuintusPublius< an - der Vorname schmeichelt Sehr ihren Ohren - , sag: >Deine Tugend macht dich zum Freund mir. Das verfängliche Recht, ich kenn's, weiß Prozesse zu führen.

SERMONES · L I B E R II

eripiet quivis oculos citius mihi quam te contemptum cassa nuce pauperet; haec mea cura est, nequid tu perdas neu sis iocus." ire d o m u m atque pelliculam curare iube; fi cognitor ipse, persta atque obdura: seu rubra Canícula findet infantis statuas, seu pingui tentus omaso Furius hibernas cana nive conspuet Alpis. „nonne vides" aliquis cubito stantem prope tangens inquiet, „ut patiens, ut amicis aptus, ut acer?" plures adnabunt thynni et cetaria crescent, sicui praeterea validus male filius in re praeclara sublatus aletur, ne manifestum caelibis obsequium nudet te, leniter in spem adrepe officiosus, ut et scribare secundus heres et, siquis casus puerum egerit O r c o , in vacuom venias: perraro haec alea fallit. qui testamentum tradet tibi cumque legendum, abnuere et tabulas a te removere memento, sie tarnen, ut limis rapias, quid prima secundo cera velit versu; solus multisne coheres, veloci percurre oculo. plerumque recoctus scriba ex quinqueviro corvum deludet hiantem captatorque dabit risus Nasica C o r a n o . ' ' n u m furis? an prudens ludis me obscura canendo?' ' o Laertiade, quidquid dicam, aut erit aut non: divinare etenim magnus mihi donat Apollo.' 'quid tamen ista velit sibi fabula, si licet, ede.' 'tempore quo iuvenis Parthis horrendus, ab alto demissum genus Aenea, tellure marique magnus erit, forti nubet procera C o r a n o filia Nasicae, metuentis reddere soldum. tum gener hoc faciet: tabulas socero dabit atque ut legat orabit; multum Nasica negatas accipiet tandem et tacitus leget invenietque nil sibi legatum praeter plorare suisque. illud ad haec iubeo: mulier si forte dolosa

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Eher reiß' man die Augen mir aus, als daß du verlörest N u r eine taube N u ß durch mich; laß mich dafür sorgen: Kein Verlust, kein Spott soll dich treffen.« U n d dann laß ihn heimgehn, Daß er sich's Wohlsein lasse! D u , als sein Anwalt, sei standfest, Niemals gib auf, bleib hart - ganz gleich, ob die Gluten des Hundssterns Bersten lassen die stummen Statuen, ob, mit Kaidaunen Vollgestopft, Furius bespeit mit Schnee die Alpen im Winter! >Siehst du Wieviel Geduld und Tatkraft Freunden zuliebe der aufbringt?« Viele Thunfische strömen herbei, und es lohnt sich der Fischzug. Wächst mal heran in reichem Hause ein kränklicher Sprößling, Dann, um dich nicht zu verraten durch gar zu offnes Umwerben Kinderloser, schlängle dich an, sei beflissen und halte H o c h die H o f f n u n g , daß man dich einst als Nacherben einsetzt. Und, wenn der Tod den Knaben hinabreißt zum Orkus, du nachrückst An dessen Stelle! Höchst selten täuscht im Leben dies Wagnis. Wenn dich jemand sein Testament will einsehen lassen, Dann paß auf: lehne ab und weise das Schriftstück weit von dir, Aber sieh, daß mit einem Blick du erspähst, was das Hauptblatt In der zweiten Zeile verfügt! D u brauchst nur zu sehen, O b du allein erbst oder mit andren. Ein früherer Büttel, Nunmehr Schreiber geworden, verhöhnt den gierigen Raben: Ausgelacht wird der Erbschleicher Nasica frech von Coranus.« »Bist du denn toll oder foppst mich bewußt mit unklaren Sprüchen?« »Sohn des Laertes, was immer ich sage, tritt ein oder nicht ein, Göttliche Eingebung nämlich verlieh mir der große Apollo.« »Sage mir wenigstens, bitte, was soll diese Fabel bedeuten!« »Wenn einst ein Jüngling, der Schrecken der Panher, des großen Aeneas Edlem Geschlechte entstammend, zu Land und zu Wasser die Macht hat, Wird mit dem wackren Coranus die schlanke Tochter Nasicas Sich gehorsam vermählen - dem bangt vor der Tilgung der Schulden. Was tut der Schwiegersohn? Gibt dem Schwiegervater zu lesen Sein Testament. N a c h langem Sträuben nimmt er es endlich An, liest's schweigend, doch gar nichts findet er drin als Vermächtnis Für sich selbst und die Seinen: nichts bleibt ihm übrig als Jammern. Eins noch empfehl' ich: Falls ein listiges Weib oder gar ein

SERMONES · L I B E R II

libertusve señera delirum temperet, illis accedas socius: laudes, lauderis ut absens. adiuvat hoc quoque, sed vincit longe prius ipsum expugnare caput, scribet mala carmina vecors: laudato, scortator erit: cave te roget; ultro Penelopam facilis potiori trade.' 'putasne perduci poterit tam frugi tamque pudica, quam nequiere proci recto depellere cursu?' 'venit enim magnum donandi parca iuventus nec tantum veneris quantum studiosa culinae. sic tibi Penelope frugi est; quae si semel uno de sene gustarit tecum partita lucellum, ut canis a corio numquam absterrebitur uncto. me sene quod dicam factum est. anus inproba Thebis ex testamento sic est elata: cadaver unctum oleo largo nudis umeris tulit heres, scilicet elabi si posset mortua; credo, quod nimium institerat viventi, cautus adito neu desis operae neve immoderatus abundes, difficilem et m o r o s u m offendet garrulus: ultra ' n o n ' 'etiam' sileas; Davus sis comicus atque stes capite obstipo, multum similis metuenti. obsequio grassare; mone, si increbruit aura, cautus uti velet carum caput; extrahe turba oppositis umeris; aurem substringe loquaci, inportunus amat laudari: donec 'ohe iam' ad caelum manibus sublatis dixerit, urge: crescentem tumidis infla sermonibus utrem. cum te servitio longo curaque levant, et certum vigilans „quartae sit partis U l i x e s " audieris „heres": „ergo nunc D a m a sodalis nusquam est? unde mihi tam fortem tamque fidelem?" sparge subinde et, si paulum potes inlacrimare, est gaudia prodentem voltum celare, sepulcrum permissum arbitrio sine sordibus exstrue: funus egregie factum laudet vicinia. siquis

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SATIREN · ZWEITES BUCH

II?

Freigelassener einen närrischen Alten betreuen, Denen verbünde dich, lob sie! Dann werden vor ihm sie dich loben. Hilfreich ist's freilich; doch kannst du die Hauptperson selber erobern, Bist du am Ziel. Schreibt so ein N a r r miserable Gedichte, L o b ihn! Ist er ein Weiberheld, laß ihn nicht bitten und führ ihm Willfährig deine Penelope z u ! « - »Ja, meinst du, sie würde D a z u sich hergeben, die doch so sittenstreng lebt und so züchtig, Daß kein Freier vom rechten Wege sie abbringen konnte?« » D a s waren junge Männer, knausrig mit ihren Geschenken, Nicht so sehr auf Liebe begierig wie auf Bewirtung. So blieb brav dir deine Penelope, doch wenn sie einmal An einem Alten genascht und den Liebeslohn mit dir geteilt hat, Läßt sie nicht mehr davon ab - wie der H u n d v o m gefetteten Leder. Höre, was einst als Greis ich gesehn: eine boshafte Alte, Eine Thebanerin, ließ sich auf folgende Weise bestatten: Ihren geölten Leichnam mußte der Erbe auf nackten Schultern tragen, als wollt' sie ihm tot noch entwischen. Er hat ihr, Als sie noch lebte, wohl allzu sehr zugesetzt. D r u m sei behutsam, Zeige dich eifrig bemüht, doch treib's nicht zu weit, sei nicht maßlos! Schwätzer sind einem Eigenwilligen gänzlich zuwider. Sage >nein< oder >jaEin Viertel bekommt O d y s s e u s als Erbe.< Sag immer wieder dann: >Ach, mein Dama, mein teurer Gefährte, Ist nicht mehr! Wo find' ich einen so lieben, so treuen Freund jemals wieder?« U n d kannst du ein bißchen weinen, so wird's dir Hinter der traurigen Miene die heimliche Freude verbergen. Bau' ihm das ausbedungene Grabmal, ohne zu knausern! Alle Nachbarn sollen den P o m p beim Begräbnis bewundern!

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SERMONES ' L I B E R II

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forte coheredum senior male tussiet, huic tu die, ex parte tua seu fundi sive domus sit emptor, gaudentem n u m m o te addicere. sed me imperiosa trahit Proserpina: vive valeque.'

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SATIREN · ZWEITES BUCH

Sollte ein älterer Miterbe bös dabei husten, dann sag ihm, Von deinem Erbteil könne er Land, ein H a u s auch erwerben, Billig würdst du's ihm lassen! Aber gebieterisch ruft mich Jetzt Proserpina zu sich. Leb wohl, ich wünsch' dir Gesundheit.«

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S E R M O N E S ' LIBER II

6 H o c erat in votis: modus agri non ita magnus, hortus ubi et tecto vicinus iugis aquae fons et paulum silvae super his foret, auctius atque di melius fecere. bene est. nil amplius oro, Maia nate, nisi ut propria haec mihi muñera faxis. si neque maiorem feci ratione mala rem nec sum facturus vitio culpave minorem, si veneror stultus nihil horum 'o si angulus ille proximus accedat, qui nunc denormat agellum! o si urnam argenti fors quae mihi monstret, ut illi, thesauro invento qui mercennarius agrum ilium ipsum mercatus aravit, dives amico Hercule!', si quod adest gratum iuvat, hac prece te oro: pingue pecus domino facias et cetera praeter ingenium, utque soles, custos mihi maximus adsis. ergo ubi me in montes et in arcem ex urbe removi, quid prius inlustrem saturis musaque pedestri? nec mala me ambitio perdit nec plumbeus Auster autumnusque gravis, Libitinae quaestus acerbae. Matutine pater, seu lane libentius audis, unde homines operum primos vitaeque labores instituunt - sic dis placitum - , tu carminis esto principium. Romae sponsorem me rapis: 'eia, ne prior officio quisquam respondeat, urge.' sive Aquilo radit terras seu bruma nivalem interiore diem gyro trahit, ire necesse est. postmodo quod mi obsit clare certumque locuto luctandum in turba et facienda iniuria tardis. 'quid tibi vis, insane?' et 'quam rem agis?' inprobus urget iratis precibus, 'tu pulses omne quod obstat, ad Maecenatem memori si mente recurras?' hoc iuvat et melli est, non mentiar. at simul atras ventum est Esquilias, aliena negotia centum per caput et circa saliunt latus, 'ante secundam

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SATIREN · ZWEITES BUCH

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6 Immer schon war dies mein Wunsch: ein G u t von bescheidener Größe Mit einem Garten und nah am H a u s eine sprudelnde Quelle, Drüber ein Wäldchen am Hang. D o c h wieviel reicher und schöner Haben's die Götter gefügt, wie herrlich! Nichts weiter erbitt' ich, Majas Sohn, als daß du mir ganz überläßt diese Gabe. H a b ' ich das Meine doch weder vergrößert durch listige Täuschung, Will's auch durch eignes Verschulden und Fehler gewiß nicht verkleinern, Bete ja nicht so töricht: » O , daß mir doch auch noch gehörte Jenes Eckchen, das grad zur Abrundung fehlt meinem Grundstück! Wenn mir der Zufall doch auch einen Silberschatz zeigte wie jenem Arbeiter, der, als der Fund ihm geglückt war, den Acker sich kaufte U n d ihn mit eigener H a n d nun bestellte, durch Hercules' Güte Reich geworden!« Nein, was ich habe, macht froh mich und dankbar. Darum nur bitt' ich: mach fett mir das Vieh und auch alles andre, N u r nicht den Geist, steh hilfreich mir bei und bleib mein Beschützer! D a ich, der Großstadt entronnen, hier Zuflucht fand in den Bergen, Was besing' ich zuerst in Satiren, in kunstlosen Versen? Hier plagt kein falscher Ehrgeiz mich mehr, kein bleierner Südwind, Kein bedrückender Herbst, die bittere Zeit Libitinas. Vater der Frühe - oder, falls du das lieber hörst - Janus, D u , mit dem die Menschen, dem Ratschluß der Götter gehorchend, All ihre Arbeit beginnen, sei du auch Beginn meines Liedes! Wenn ich in R o m bin, drängst du mich, Bürgschaft zu leisten: »Beeil dich, Daß dir bei dieser Freundespflicht kein andrer zuvorkommt!« Selbst wenn ein eisiger N o r d w i n d pfeift und wenn auch der Winter Schneetreiben bringt und kürzere Tage: ich muß aus dem Hause. H a b ' ich dann - zu meinem Schaden womöglich - gesprochen die Formel, Muß durch's Gewühl ich mich kämpfen, unsanft die Langsamen drängend. »Was fällt dir ein, du Narr, was soll das?« poltert ein Hitzkopf. Wütend schimpft er: »Alles rempelst du an, was dich hindert, Zu Maecenas zu rennen, hast ja sonst nichts im K o p f e ! « Das geht mir ein wie Honig, ich kann es nicht leugnen. D o c h oben Angekommen am düsteren Esquilin, da umschwirren Hundert fremde Geschäfte den Kopf mir. »Dein alter Bekannter

SERMONES · LIBER II

Roscius orabat sibi adesses ad Puteal eras.' 'de re communi scribae magna atque nova te orabant hodie meminisses, Quinte, revertí.' 'inprimat his cura Maecenas signa tabellis.' dixeris: 'experiar': 'si vis, potes,' addit et instat. septimus octavo propior iam fugerit annus, ex quo Maecenas me coepit habere suorum in numero, dumtaxat ad hoc, quem tollere raeda vellet iter faciens et cui concredere nugas hoc genus: 'hora quota est?' 'Thraex est Gallina Syro 'matutina parum cautos iam frigora mordent', et quae rimosa bene deponuntur in aure, per totum hoc tempus subiectior in diem et horam invidiae noster. ludos spectaverat, una luserat in campo: 'fortunae filius' omnes. frigidus a rostris manat per compita rumor: quicumque obvius est, me consulit: 'o bone - nam te scire, deos quoniam propius contingis, oportet - , numquid de Dacis audisti?' 'nil equidem.' 'ut tu semper eris derisor.' 'at omnes di exagitent me, si quicquam.' 'quid? militibus promissa Triquetra praedia Caesar an est Itala tellure daturus?' iurantem me scire nihil mirantur ut unum scilicet egregii mortalem altique silenti. perditur haec inter misero lux, non sine votis: o rus, quando ego te adspiciam quandoque licebit nunc veterum libris, nunc somno et inertibus horis ducere sollicitae iucunda oblivia vitae? o quando faba Pythagorae cognata simulque uñeta satis pingui ponentur holuscula lardo? o noctes cenaeque deum, quibus ipse meique ante Larem proprium vescor vernasque procacis pasco libatis dapibus. prout cuique libido est, siccat inaequalis calices conviva solutus legibus insanis, seu quis capit acria fortis pocula seu modicis uvescit laetius. ergo

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SATIREN · ZWEITES B U C H

Roscius bittet um Beistand dich, morgen vor acht U h r beim Richter.« »Quintus« , mahnen die Sekretäre, »bitte vergiß nicht: Wichtige Standesfragen sind heute bei uns zu besprechen!« »Bitte besorg mir für dies D o k u m e n t von Maecenas ein Siegel!« Sagst du: »Ich will's versuchen«, beharrt er: » D u kannst, wenn du willst, Sieben J a h r e ist's her, es naht schon der achte Gedenktag,

[Freund.«

D a ß Maecenas mich aufnahm in die R u n d e der Seinen, Freilich nur zu dem Zweck, auf Reisen Belanglosigkeiten Auszutauschen mit einem Begleiter, etwa: »Wie spät ist's?« Oder: »Ist der T h r a k e r Gallina dem Syrer gewachsen?« »Wenn man nicht aufpaßt, beißt die Morgenkälte empfindlich.« O d e r was sonst man so hinsagt vor dem O h r eines Schwätzers. Tag für Tag, die ganze Zeit über war ich dem Neide Ausgesetzt. Gemeinsam sahn wir die Spiele, gemeinsam Spielten wir Ball auf dem Marsfeld. »Welch Glückskind!«, raunten sie alle. Von der Rednertribüne breiten sich aus in den Straßen Wilde Gerüchte; ein jeder am Wege befragt mich: »Mein Bester, D u weißt gewiß - bist näher den G r o ß e n auf Erden - sag, hast du Neues über die D a k e r gehört?« - »Rein gar nichts.« - » D u bist halt I m m e r der gleiche Spötter.« - »Die G ö t t e r mögen mich strafen, Wenn das Geringste ich weiß.« - » H a t der Caesar seinen Soldaten Landbesitz auf sizilischem oder italischem B o d e n Zugesagt?« Wenn ich beteure, gar nichts zu wissen, bestaunt man Mich als einen, der tatsächlich standhaft zu schweigen verstehe. So zerrinnt mir der Tag, ach ich Armer, und sehnsüchtig seufz' ich: O mein Land, wann seh' ich dich wieder, wann wird mir's vergönnt sein, J e t z t mit Büchern der Alten, jetzt in Schlaf oder M u ß e Friedlich den Tag zu genießen, die Sorgen all zu vergessen? Wann wird endlich die pythagoräische B o h n e mir wieder Aufgetragen und K o h l mit fettem Speck aus dem Rauchfang? O ihr Nächte, ihr Göttermahle, w o ich mit Freunden Tafle am eigenen H e r d und füttre meine verwöhnten Sklaven mit allem, was Übriggeblieben. G a n z nach Belieben Leeren die Gäste ungleiche Becher, befreit von den blöden Trinkgesetzen: mancher wählt tapfer den feurigen Tropfen, Andere lieben leichtere Mischung. Daraus entspringen

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SERMONES · LIBER II

sermo oritur, non de villis domibusve alienis, nec male necne Lepos saltet; sed, quod magis ad nos pertinet et nescire malum est, agitamus: utrumne divitiis homines an sint virtute beati, quidve ad amicitias, usus rectumne, trahat nos

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et quae sit natura boni summumque quid eius. Cervius haec inter vicinus garrit anilis ex re fabellas. siquis nam laudat Arelli sollicitas ignaras opes, sic incipit: 'olim rusticus urbanum murem mus paupere fertur

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accepisse cavo, veterem vetus hospes amicum, asper et attentus quaesitis, ut tamen artum solverei hospitiis animum. quid multa? neque ille sepositi ciceris nec longae invidit avenae, aridum et ore ferens acinum semesaque lardi

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frusta dedit, cupiens varia fastidia cena vincere tangentis male singula dente superbo, cum pater ipse domus palea porrectus in horna esset ador loliumque, dapis meliora relinquens. tandem urbanus ad hunc „quid te iuvat", inquit, „amice,

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praerupti nemoris patientem vivere dorso? vis tu homines urbemque feris praeponere silvis? carpe viam, mihi crede, comes, terrestria quando mortalis animas vivunt sortita neque ulla est aut magno aut parvo leti fuga: quo, bone, circa,

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dum licet, in rebus iucundis vive beatus, vive memor, quam sis aevi brevis." haec ubi dieta agrestem pepulere, domo levis exsilit; inde ambo propositum peragunt iter, urbis aventes moenia nocturni subrepere. iamque tenebat

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nox medium caeli spatium, cum ponit uterque in locuplete domo vestigia, rubro ubi cocco tincta super lectos canderet vestís eburnos multaque de magna superessent fercula cena, quae procul exstructis inerant hesterna canistris. ergo ubi purpurea porrectum in veste locavit

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SATIREN • ZWEITES B U C H

Gute Gespräche: nicht über Villen, Paläste der andren, Auch nicht, ob Lepos gut oder schlecht tanzt; nein, über Dinge, Die uns viel näher betreffen, wo sicheres Wissen uns nottut: O b der Mensch glücklich werde durch Reichtum oder durch Tugend; Was uns zur Freundschaft hinzieht - Rechtschaffenheit oder nur Vorteil; Was das Gute denn sei und was das höchste der Güter. Cervius, ein Nachbar, erzählt uns dazu Altweibergeschichten: Rühmt etwa jemand Arellius' Reichtum, ohne zu ahnen, Wieviel Sorgen dran hängen, läßt er sogleich sich vernehmen: »Einstmals, so heißt es, empfing eine Feldmaus in ihrem Erdloch Eine Stadtmaus, mit der sie in alter Freundschaft verbunden. Karg, mit Erworbnem sparsam im Umgang, lockert sie dennoch Ihre Strenge durch gute Bewirtung. Und weiter? Von Herzen Gönnt sie ihr die gehorteten Erbsen, den länglichen Hafer, Bringt im Schnäuzchen Rosinen, das angebissene Speckstück, Will durch Vielfalt der Speisen die Unlust der Freundin besiegen, Die mit verwöhntem Zahn die Häppchen kaum einmal anrührt Während die Hausfrau selber bequem auf der heurigen Spreu liegt, Dinkel und Lolch verzehrt und die besten Bissen dem Gast läßt. Schließlich bemerkt die Stadtmaus: >Behagt es dir denn, meine Beste, So genügsam am Steilhang der schroffen Waldschlucht zu leben? Willst du nicht Menschen und Großstadt den öden Waldungen vorziehn? Komm, wir gehen zusammen! Glaub mir, die irdischen Wesen Sind doch allesamt sterblich, es gibt vor dem Tod kein Entrinnen, Weder für Große noch für die Kleinen. Drum, meine Liebe, Lebe glücklich in Freuden, solang dir's vergönnt ist. Bedenke, Daß dir nur kurzes Leben beschieden.< Im O h r diese Worte Läßt sich die Feldmaus betören, schlüpft hurtig aus ihrem Erdloch. Beide machen sich auf den Weg, begierig, zur Nacht noch An die Mauern der Stadt sich zu schleichen. Nächtliches Dunkel Hüllt schon die Weite des Himmels, da setzen sie still ihre Füßchen In ein prachtvolles Haus, wo auf elfenbeinernen Lagern Scharlachgefärbte leuchtend rote Decken sich breiten Und wo vielerlei Speisen vom üppigen Mahle noch übrig, Aufgehoben von gestern in vollbeladenen Körben. Auf eine purpurne Decke wird jetzt die Feldmaus gebettet,

SERMONES · L I B E R II

agrestem, veluti succinctus cursitat hospes continuatque dapes nec non verniliter ipsis fungitur officiis, praelambens o m n e quod adfert. ille Cubans gaudet mutata sorte bonisque rebus agit laetum convivam, cum subito ingens valvarum strepitus lectis excussit utrumque. currere per totum pavidi conclave magisque exanimes trepidare, simul domus alta Molossis personuit canibus. tum rusticus: „haud mihi vita est opus h a c " ait et „valeas: me silva cavosque tutus ab insidiis tenui solabitur e r v o . " '

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SATIREN · ZWEITES BUCH

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Und, als hätte ihr Kleid sie gerafft, läuft eifrig die Wirtin Hin und her und bringt ihr Speise um Speise, bedient sie Wie eine Sklavin, alles beleckend, was sie ihr vorlegt. U b e r die Wendung des Schicksals erfreut, ruht wohlig die Feldmaus, Nascht, ein zufriedener Gast, von den guten Dingen - als plötzlich Furchtbares Türenschlagen die beiden von ihrem Lager Aufscheucht. Sie huschen verstört durch den Raum, und Todesangst packt sie, Weil das ganze H a u s erdröhnt v o m Gebell der MolosserHunde. - D a sagt die Feldmaus: >Für solch ein Leben, da dank' ich, Hab's auch nicht nötig. L e b wohl! Mein Wald und mein Erdloch beschützen Mich vor Verfolgern, und mir genügen die Samen der Wicke.««

SERMONES · L I B E R II

7 'Iamdudum ausculto et cupiens tibi dicere servos pauca reformido.' 'Davusne?' 'ita. Davus, amicum mancipium domino et frugi quod sit saris, hoc est, ut vitale putes.' 'age übertäte D e c e m b r i , quando ita maiores voluerunt, utere: narra.' 'pars hominum vitiis gaudet constanter et urget propositum; pars multa natat, m o d o recta capessens, interdum pravis obnoxia, saepe notatus cum tribus anellis, modo laeva Priscus inani vixit inaequalis, clavum ut mutaret in horas, aedibus ex magnis subito se conderet unde mundior exiret vix libertinus honeste; iam moechus R o m a e , iam mallet doctus Athenis vivere, Vortumnis q u o t q u o t sunt natus iniquis. scurra Volanerius, postquam illi iusta cheragra contudit artículos, qui pro se tolleret atque mitteret in phimum talos, mercede diurna conductum pavit: quanto constantior isdem in vitiis, tanto levius miser ac prior ilio qui iam contento, iam laxo fune laborat.' ' n o n dices hodie, quorsum haec tam putida tendant, furcifer?' 'ad te, inquam.' ' q u o pacto, pessime?' 'laudas fortunam et mores antiquae plebis, et idem, siquis ad illa deus subito te agat, usque recuses, aut quia non sentis, quod clamas, rectius esse, aut quia non firmus rectum defendis et haeres nequiquam caeno cupiens evellere plantam. R o m a e rus optas; absentem rusticus urbem tollis ad astra levis, si nusquam es forte vocatus ad cenam, laudas securum holus ac, velut usquam vinctus eas, ita te felicem dicis amasque, quod nusquam tibi sit potandum. iusserit ad se Maecenas serum sub lumina prima venire convivam: „nemon oleum fert ocius? ecquis

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SATIREN · ZWEITES BUCH

7 »Lange schon wartet dein Sklave darauf, dir etwas zu sagen, Traut sich aber nicht recht.« - » D u , Davus?« - »Ja, Davus, dein treuer Diener, ein wackerer Bursche, wenn freilich auch nur in dem Maße, Wie es dir recht zu sein scheint.« - »Erzähl mir, nutze die Freiheit Dieses Dezembers, ganz so wie einst die Alten es wollten.« »Manche lieben standhaft ihr Laster, beharren auf ihrem Vorsatz; andere schwanken, halten sich mal an das Rechte U n d dann wieder an's Schlechte. D e n Priscus rügte man häufig: Manchmal trug er drei Ringe, dann wieder nichts an der Linken; Unstet lebte er, wechselte stündlich den Streifen aus Purpur; Plötzlich verließ er sein prächtiges H a u s und verkroch in ein L o c h sich, W o kaum ein Freigelassener aus- und eingehen mochte; Ehebrecher heute in R o m , in Athen dann Gelehrter, Scheint er unter dem Fluch aller Wandlungsgötter geboren. N i m m Volanerius dagegen: als ihm die G i c h t , die verdiente, Lähmte die Glieder, suchte er sich gegen tägliche L ö h n u n g Einen, der ihm die Würfel aufhob und gab in den Becher. Wieviel folgerichtiger lebte doch der seinem Laster, Wieviel leichter fiel ihm sein Elend als jenem andren, D e r bald am straffen, bald am lockeren Zügel sich abmüht!« »Willst du nicht gleich mir sagen, auf wen dies Geschwafel gemünzt ist, Schurke?« - »Auf dich natürlich.« - »Wieso denn, Halunke?« - »Du lobst doch Sitten und Lebensweise der Alten, würdest dich aber Sträuben, wollte plötzlich ein G o t t dich dorthin versetzen: Entweder glaubst du nicht, was du da predigst, sei wirklich das Bessre, O d e r du kämpfst nicht standhaft genug für das Rechte, bleibst hängen U n d versuchst dann vergeblich, den F u ß aus dem Sumpfe zu ziehen. Weilst du in R o m , so willst du aufs Land; auf dem Lande erhebst du Leichten Herzens die Stadt zu den Sternen. H a t dich mal niemand Eingeladen, dann lobst du die einfache K o s t , und als gingst du Stets nur genötigt irgendwohin, so preist du dich glücklich, D a ß dir kein Zechgelage heut drohe. D o c h ruft dich Maecenas Spät noch beim ersten Lampenschimmer zu sich als Tischgast, Polterst du los mit großem Geschrei: >Macht schnell! Bringt denn niemand

SERMONES · L I B E R II

audit?" cum magno blateras clamore fugisque. Mulvius et scurrae, tibi non referenda precati, discedunt. „etenim fateor m e " dixerit ille „duci ventre levem, nasum nidore supinor, inbecillus, iners, siquid vis, adde, popino. tu cum sis quod ego et fortassis nequior, ultro insectere velut melior verbisque decoris obvolvas vitium?" quid, si me stultior ipso quingentis empto drachmis deprenderis? aufer me voltu terrere; manum stomachumque teneto, dum quae Crispini docuit me ianitor edo. te coniunx aliena capit, meretricula Davum: peccat uter nostrum cruce dignius? acris ubi me natura intendit, sub clara nuda lucerna quaecumque excepit turgentis verbera caudae clunibus aut agitavit equum lasciva supinum, dimittit ñeque famosum ñeque sollicitum, ne ditior aut formae melioris meiat eodem. tu c u m proiectis insignibus, anulo equestri R o m a n o q u e habitu, prodis ex iudice D a m a , turpis, odoratum caput obscurante lacerna, non es quod simulas? metuens induceris atque altercante libidinibus tremis ossa pavore. quid refert, uri virgis ferroque necari auctoratus eas, an turpi clausus in arca, q u o te demisit peccati conscia erilis, contractum genibus tangas caput? estne marito matronae peccantis in ambo iusta potestas? in corruptorem vel iustior: illa tamen se non habitu mutatve loco peccatve superne, c u m te formidet mulier neque credat amanti, ibis sub furcam prudens dominoque furenti c o n m i n e s rem o m n e m et vitam et c u m corpore famam. evasti: credo, metues doctusque cavebis: quaeres, quando iterum paveas iterumque perire

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SATIREN · ZWEITES BUCH

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Ö l für die Lampe? Seid ihr denn taub?< und schon rennst du zu ihm. Mulvius und die andren Schmarotzer verziehn sich und

fluchen

Lästerlich. >Ja doch, ich geb's ja zu, bin ein LeichtfußBin doch kein Ehebrecher!Falls dir Albaner oder Falerner Besser munden als diese, Maecenas: wir haben sie beide.Balatro, Wenn wir nicht mordsmäßig zechen jetzt, werden wir ungerächt sterben!«,

SERMONES · L I B E R II

et calices poscit maiores. vertere pallor tum parochi faciem nil sic metuentis ut acris potores, vel quod maledicunt liberius vel fervida quod subtile exsurdant vina palatum. invertunt Allifanis vinaria tota Vibidius Balatroque secutis omnibus: imi convivae lecti nihilum nocuere lagoenis. adfertur squillas inter murena natantis in patina porrecta. sub hoc erus „haec gravida" inquit „capta est, deterior post partum carne futura. his mixtum ius est: oleo, quod prima Venafri pressit cella; garo de sucis piscis Hiberi; vino quinquenni, verum citra mare nato, dum coquitur - c o c t o C h i u m sic convenit, ut non hoc magis ullum aliud - ; pipere albo, non sine aceto, quod Methymnaeam vitio mutaverit uvam. erucas viridis, Ínulas ego primus amaras monstravi incoquere; inlutos Curtillus echinos, ut melius muria quod testa marina remittat." interea suspensa gravis aulaea ruinas in patinam fecere, trahentia pulveris atri quantum non Aquilo Campanis excitât agris. nos maius veriti, postquam nihil esse perieli sensimus, erigimur; Rufus posito capite, ut si filius inmaturas obisset, Aere, quis esset finis, ni sapiens sic Nomentanus amicum tolleret: „heu, Fortuna, quis est crudelior in nos te deus? ut semper gaudes inludere rebus humanis." Varius mappa conpescere risum vix poterat. Balatro suspendens omnia naso „haec est condicio vivendi" aiebat, „eoque responsura tuo numquam est par fama labori, tene, ut ego accipiar laute, torquerier omni sollicitudine districtum, ne panis adustus, ne male conditum ius adponatur, ut omnes praecincti recte pueri comptique ministrent.

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Fordert sogleich auch größere Becher. Wie blaß wird da plötzlich Das Gesicht unsres Wirtes, der nichts so fürchtet wie wilde Zecher - teils, weil man frecher dann spottet, zum anderen aber, Weil durch die feurigen Weine leicht der Geschmackssinn sich abstumpft. Ganze Weinkrüge aus Allifae leeren Balatro Und Vibidius; die anderen folgen; nur auf dem unt'ren Lager sprechen die Gäste maßvoller zu ihren Krügen. Auf einer Schüssel kommt nun, umgeben von schwimmenden Krabben, Eine Muräne. Dazu bemerkt der Hausherr: >Noch trächtig Ward sie gefangen, weil nach dem Laichen der Fisch nicht mehr gut schmeckt. Hier das Rezept für die Sauce: Ol, in den Kellern Venafrums Sorgsam gepreßt; dazu von Spaniens Makrelen ein Fischsud; Wein, aus hiesigen Trauben gekeltert, fünf Jahre gelagert, Den man gleich mitkocht - Chierwein kommt dann zur fertigen Brühe, Keiner paßt besser - , auch weißer Pfeffer und etwas Essig, Den man aus Trauben Methymnas behutsam durch Gärung gewonnen. Frischen grünen Wirsing und bittren Alant mitzukochen, Das war mein Einfall; Curtillus nimmt Seeigel, die nicht gewässert, Weil dieses Schaltier, so meint er, besser als Salzlake würze.< Da stürzt plötzlich der schwebende Baldachin plumpsend hernieder Auf unsre Schüssel, dunkle Staubwolken himmelan wirbelnd, Wie sie kein Nordwind in den kampanischen Feldern emporjagt. Als wir, auf Schlimmres gefaßt, dann sehen, daß nicht viel passiert ist, Atmen wir auf. Nur Rufus verhüllt, als wäre ein Sohn ihm Allzu früh gestorben, sein Haupt und jammert. Kein Ende Wollte er finden, hätt' nicht sein Freund Nomentan, der Weise, Ihn getröstet: >Fortuna, kein Gott zeigt wie du sich so grausam Uns gegenüber! Immer erfreut es dich, all unser MenschenWerk zu verspottenl· Varius kann kaum das Lachen verbeißen, Aber Balatro, der stets über alles die Nase rümpft, äußert: >Ja, so ist das Leben nun mal, und darum wird niemals Deine Mühe die angemessene Ehrung erfahren. Sieh doch, wie du bedacht bist, so vornehm mich zu bewirten, Von der Sorge gefoltert, ob das Brot wohl verbrannt ist, O b eine Soße zu schwach gewürzt auf den Tisch kommt, ob alle Sklaven richtig gegürtet und sauber gekämmt uns bedienen!

SERMONES · L I B E R II

adde hos praeterea casus, aulaea ruant si, ut m o d o , si patinarti pede lapsus frangat agaso, sed convivatoris, uti ducis, ingenium res adversae nudare soient, celare secundae." Nasidienus ad haec „tibi di, quaecumque preceris, c o m m o d a dent: ita vir bonus es convivaque c o m i s " et soleas poscit. tum in lecto quoque videres stridere secreta divisos aure susurros.' 'nullos his mallem ludos spectasse; sed illa redde age quae deinceps risisti.' 'Vibidius dum quaerit de pueris, num sit quoque fracta lagoena, quod sibi poscenti non dentur pocula, dumque ridetur fictis rerum Balatrone secundo, Nasidiene, redis mutatae frontis, ut arte emendaturus fortunam; deinde secuti m a z o n o m o pueri magno discerpta ferentes membra gruis sparsi sale multo non sine farre, pinguibus et ficis pastum iecur anseris albae et leporum avolsos, ut multo suavius, armos, quam si cum lumbis quis edit, tum pectore adusto vidimus et merulas poni et sine clune palumbis, suavis res, si non causas narraret earum et naturas dominus; quem nos sic fugimus ulti, ut nihil omnino gustaremus, velut illis Canidia adflasset, peior serpentibus Afris.'

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SATIREN · ZWEITES BUCH

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N i m m dazu so ein Pech, daß wie hier der Baldachin einstürzt, O d e r einem Tölpel beim Stolpern die Schüssel mal hinfällt! A b e r des Wirtes, des Feldherrn wahrhafte G r ö ß e wird sichtbar Erst, wenn irgendwas schiefgeht: im Glücksfall bleibt sie verborgene Fröhlich spricht Nasidienus: >Dir mögen die G ö t t e r erfüllen All deine Wünsche, bist ein trefflicher Mann und mein Gastfreund!< U n d geht hinaus. D a konntest du sehn, wie auf allen drei Lagern Heimliches Tuscheln anhebt und in's O h r man sich flüstert.« »Ah, kein schöneres Schauspiel k ö n n t ' ich mir denken! Erzähl doch, Was da sonst noch zum Lachen euch reizte!« - »Vibidius fragte Sämtliche Sklaven, ob auch der Weinkrug etwa zu B r u c h ging, D a er trotz aller Bitten nichts mehr zu trinken b e k o m m e . Alles belacht die gelungenen Späße des Spötters Balatro. D a , Nasidien, k o m m s t du wieder, bemüht, mit heiterer Miene Kunstreich das Mißgeschick auszubügeln! Es folgen die Sklaven, Bringen auf einer Riesenschüssel, in Stücke geschnitten, Schön paniert und gesalzen, als nächsten G a n g einen Kranich, Von einer weißen Gans, mit Feigen gemästet, die Leber, Schulterstücke v o m Hasen - sie schmecken einzeln viel feiner Als mit den Lenden zusammen - , dann Amseln mit knusprig gebratner Brust und ohne Bürzel die Tauben - wie köstlich das alles, Hätte der Hausherr nicht H e r k u n f t und Zubereitung so gründlich Jeweils erläutert! Gründlich war auch unsre Rache: wir rührten Nichts mehr an und entflohen, als hätte Canidias Pesthauch Alle Speisen vergiftet, schlimmer als punische Schlangen.«

BRIEFE EPISTULAE

Liber I

Prima dicte mihi, summa dicende Camena, spectatum satis et donatum iam rude quaeris, Maecenas, iterum antiquo me includere ludo? non eadem est aetas, non mens. Veianius armis Herculis ad postem fixis latet abditus agro, ne populum extrema totiens exoret harena. est mihi purgatam crebro qui personet aurem: 'solve senescentem mature sanus equum, ne peccet ad extremum ridendus et ilia ducat.' nunc itaque et versus et cetera ludiera pono; quid verum atque decens, curo et rogo et omnis in hoc condo et conpono quae mox depromere possim. ac ne forte roges, quo me duce, quo lare tuter: nullius addictus iurare in verba magistri, quo me cumque rapit tempestas, deferor hospes. nunc agilis fio et mersor civilibus undis virtutis verae custos rigidusque satelles, nunc in Aristippi furtim praecepta relabor et mihi res, non me rebus subiungere conor. ut nox longa quibus mentitur amica diesque longa videtur opus debentibus, ut piger annus pupillis quos dura premit custodia matrum: sic mihi tarda fluunt ingrataque tempora quae spem consiliumque morantur agendi naviter id quod aeque pauperibus prodest, locupletibus aeque, aeque neglectum pueris senibusque nocebit. restât ut his ego me ipse regam solerque elementis. non possis oculo quantum contendere Lynceus: non tamen idcirco contemnas lippus inungui; nec quia desperes invicti membra Glyconis,

Erstes Buch

An Maecenas Dir galt mein erstes, soll auch mein letztes Musenlied gelten. Mich, der ich oft genug auftrat, das Ehrenrapier schon besitze, Drängst du, Maecenas, wieder zurück zu den früheren Spielen? Alter verändert das Denken: Vejanius im Herkulestempel Hängt an den Pfeiler die Waffen, verbirgt sich in ländlicher Stille, U m nicht - wie oft auf dem Kampfplatz - um Publikumsbeifall zu bitten. Immer wieder vernimmt mein empfängliches O h r eine Stimme: »Spanne das alternde Rennpferd jetzt aus, sei klug und erspar ihm Straucheln, Keuchen und Stöhnen, sonst werden es alle verspotten!« Darum geb' ich jetzt auf die Verse und andere Kurzweil. »Was ist denn wahr, was ziemt sich?«, so frag' ich, und dafür nur leb' ich: Alles zu bergen, zu ordnen, damit es nächstens mir diene. Frag mich nicht, wer mich geleite, in welches Nest ich mich flüchte! Bin nicht verpflichtet, auf eines Meisters Worte zu schwören. Wohin der Sturmwind mich reißt, dort weil' ich als Gast in der Fremde. Manchmal tauch' ich geschäftig noch ein in die wogende Menge, Mentor von wahrer Haltung, strenger Freund und Begleiter, Manchmal kehr' ich zurück zu Aristippos' freundlicher Lehre: Dienen soll mir die Welt, nicht denk' ich der Welt nur zu dienen. Lang wird die Nacht für einen, wenn ihm die Liebste nicht Wort hielt; Lang wird der Tag den Knechten; träge schleichen die Jahre Waisenkindern unter der strengen Aufsicht der Frauen: Ganz so geh'n meine Tage dahin, so langsam und freudlos, Halten auf im Hoffen und Planen das regsame Schaffen, Das doch Armen wie Reichen gleichermaßen Gewinn bringt, Das aber Junge wie Alte nicht ohne Schaden versäumen. Künftig nehm ich mir Trost und Weisung aus solcher Erkenntnis: Niemals kann dein Auge mit dem des Lynkeus sich messen; Dennoch: Hat sich entzündet dein Lid, verschmäh nicht die Salbe! Darfst du auch nicht auf die Glieder des unüberwindlichen Glykon

EPISTULAE · LIBER I nodosa corpus nolis prohibere cheragra. est quadam prodire tenus, si non datur ultra, fervet avaritia miseroque cupidine pectus: sunt verba et voces, quibus hune lenire dolorem possis et magnam morbi deponere partem, laudis amore tûmes: sunt certa piacula, quae te ter pure lecto poterunt recreare libello, invidus, iracundus, iners, vinosus, amator: nemo adeo férus est, ut non mitescere possit, si m o d o culturae patientem commodet aurem. virtus est vitium fugere et sapientia prima stultitia caruisse. vides, quae maxima credis esse mala, exiguum censum turpemque repulsam, quanto devites animi capitisque labore: inpiger extremos curris mercator ad Indos, per mare pauperiem fugiens, per saxa, per ignis: ne cures ea quae stulte miraris et optas, discere et audire et meliori credere non vis? quis circum pagos et circum compita pugnax magna coronari contemnat Olympia, cui spes, cui sit condicio dulcís sine pulvere palmae? vilius argentum est auro, virtutibus aurum. 'o cives, cives, quaerenda pecunia primum est; virtus post nummos': haec Ianus summus ab imo prodocet, haec recinunt iuvenes dictata senesque laevo suspensi loculos tabulamque lacerto, est animus tibi, sunt mores, est lingua fidesque, sed quadringentis sex Septem milia desunt: plebs eris. at pueri ludentes 'rex eris' aiunt, 'si recte facies.' hic murus aeneus esto: nil conscire sibi, nulla pallescere culpa. Roscia, die sodes, melior lex an puerorum est nenia, quae regnum recte facientibus offert, et maribus Curiis et decantata Camillis? isne tibi melius suadet, qui, 'rem facias, rem, si possis, recte, si non, quocumque modo, rem'

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BRIEFE ' ERSTES B U C H

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Hoffen, möchtest du doch von knotiger Gicht gern verschont sein. Geh nur ruhig ein Stückchen, auch wenn mehr dir versagt ist! Fiebert vor Habsucht dein H e r z und in elender Gier deine Seele, Gibt es doch Worte und Zaubersprüche, womit diesen Schmerz du Lindern kannst und Qualen bei vielerlei Krankheiten dämpfen. Strotzt du von Ehrgeiz, helfen gewisse Sühnegebete, Wenn du dich dreimal gereinigt und dreimal die Schriften gelesen. Neider, Faule, Trinker, Erzürnte, der Liebe Verfall'ne: Keiner ist so voller Wildheit, daß er zu zähmen nicht wäre, Wenn er nur sorgsamer Pflege gern und willig Gehör schenkt. Tugend heißt: Laster meiden. Anfang der Weisheit bedeutet: Frei sein von Torheit. - Du siehst, welche Übel am schlimmsten dich dünken: Arm zu sein und bei Ämterbewerbungen schmählich zu scheitern. Wieviel an Geist und Lebenskraft hast du dem schon geopfert! Rastlos machst du als Kaufmann dich auf ins hinterste Indien, Fliehst zu Schiff vor der Armut durch Felsen und glühende Hitze! Willst du nicht lernen und hören und besseren Rat nun befolgen? Laß diese wertlosen Dinge, töricht ersehnt und bewundert! Welcher Jahrmarktskämpfer, der rings in den Dörfern schon auftrat, Würde den hehren Kranz Olympias verschmähen, vermocht' er Ohne den Staub der Kampfbahn die Palme des Siegs zu erringen? Gold ist mehr wert als Silber, doch hoch über'm Gold steht die Tugend. »Bürger, zu Geld zu kommen sei euer erstes Bestreben, Dann erst kommt Tugend!« Also lehrt Janus beim ersten, beim letzten Torgang, und so schallt's zurück von Jungen und Alten im Chore Ganz als gingen sie noch mit Griffeln und Tafel zur Schule. Zwar hast du Geist und Charakter, findest auch Glauben beim Volke, Doch an vierhunderttausend fehlen dir sechs oder sieben: Deshalb bist du nur Bürger. Beim Spiel aber sagen die Knaben: »König wird der, der's recht macht.« Ehern sei hier diese Schranke: Rein soll sein das Gewissen und nicht beladen mit Frevel. Sag bitte, ist das Gesetz des Roscius oder der Knaben Kinderlied weiser, das rechtem Tun das Königtum zuspricht? Trällern es doch des Camillus' und auch des Curius' Söhne! Gibt einer besseren Rat, wenn er sagt: » N u r Geld mußt du machen, Geld, nach Möglichkeit redlich, wenn nicht, dann auf andere Weise«,

EPISTULAE · LIBER I

ut propius spectes lacrumosa poemata Pupi, an qui Fortunae te responsare superbae liberum et erectum praesens hortatur et aptat? quodsi me populus Romanus forte roget, cur non ut porticibus sic iudiciis fruar isdem nec sequar aut fugiam quae diligit ipse vel odit: olim quod volpes aegroto cauta leoni respondit, referam: 'quia me vestigia terrent, omnia te adversum spectantia, nulla retrorsum.' belua multorum es capitum. nam quid sequar aut pars hominum gestit conducere publica; sunt qui frustis et pomis viduas venentur avaras excipiantque senes, quos in vivaria mittant; multis occulto crescit res fenore. verum esto aliis alios rebus studiisque teneri: idem eadem possunt horam durare probantes? 'nullus in orbe sinus Bais praelucet amoenis' si dixit dives, lacus et mare sentit amorem festinantis eri; cui si vitiosa libido fecerit auspicium: 'eras ferramenta Teanum tolletis, fabri.' lectus genialis in aula est: nil ait esse prius, melius nil caelibe vita; si non est, iurat bene solis esse maritis. quo teneam voltus mutantem Protea nodo? quid pauper? ride: mutat cenacula, lectos, balnea, tonsores, conducto navigio aeque nauseat ac locuples, quem ducit priva triremis. si curatus inaequali tonsore capillos occuri rides; si forte subucula pexae trita subest tunicae vel si toga dissidet inpar, rides: quid? mea cum pugnat sententia secum, quod petiit spernit, repetit quod nuper omisit, aestuat et vitae disconvenit ordine toto, diruit, aedificat, mutat quadrata rotundis ? insanire putas sollemnia me neque rides nec medici credis nec curatoris egere

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B R I E F E · ERSTES B U C H

Daß du des Pupius' Schnulzen im vordersten Rang dir beseh'n kannst, Oder gibt besseren Rat, wer dich mahnt und hilfreich ermutigt, Aufrecht und frei der stolzen Fortuna die Stirne zu bieten? Fragt mich das Volk von Rom, warum ich so gern in den Hallen Weile bei ihm, doch nicht seine Meinung zu teilen bereit bin, Dem, was es liebt und haßt, weder folgen noch ausweichen möchte, Sag' ich, wie einstmals der Fuchs - so die Sage - dem kränkelnden Löwen Schlau zur Antwort gegeben: »Weil mich die Fußspuren schrecken; Alle führen hinein, doch keine weist wieder nach draußen.« Volk, du vielköpfig Untier! Doch was oder wer ist mir Vorbild? Staatspächter möchte mancher gern werden; and're umgarnen Geizige Witwen mit süßem Backwerk und Früchten; noch and're Fangen sich Greise ein und treiben sie in ihr Gehege; Vielen wächst ihr Vermögen durch heimlichen Wucher; man sagt ja, Mancher fröne diesen, ein anderer jenen Passionen. Kann man denn da für eine Stunde im Gleichklang sich fühlen? »Keine Meerbucht der Welt überstrahlt das liebliche Baiae«, Sagte der Reiche; See und Meer empfinden die Gunst des Eifrigen Hausherrn. Bringt ihn jedoch eine krankhafte Laune Auf eine and're Idee, dann heißt's: »Nach Teanum, schon morgen, Bauleute, schafft die Geräte!« Sein Ehebett steht in der Halle: »Ledig zu bleiben«, sagt er, »ist doch das Beste und Schönste.« Starrt jedoch Leere ihn an, dann preist er den Ehemann glücklich. Wie nur gelingt's mir, den ewig sich wandelnden Proteus zu fesseln? Was tut der Arme? Ja, lache! Er wechselt die Klause, das Lager, Bäder, Friseure; in seinem gemieteten Boote befällt ihn Seekrankheit ganz wie den Reichen in seiner Luxus-Trireme. Hat der Barbier ins Haar mir Stufen geschnitten, so lachst du; Zeigt sich unter der Tunika fadenscheinig das Wollhemd Oder sitzt meine Toga mal schief, so lachst du genau so. Was aber, wenn mein Sinn, in ewigem Streit mit sich selber, Eben Erstrebtes verschmäht, zurückwünscht das unlängst Verworfne, Uneins mit sich, nicht fähig, das Leben sinnvoll zu ordnen, Niederreißt, aufbaut, gar einen Quader noch ändert zum Rundbau ? Das sei'n gewöhnliche Grillen, meinst du dann, ohne zu lachen, Schickst mich zu keinem Arzt, bestellst mir auch nicht einen Vormund.

EPISTULAE • LIBER I

a praetore dati, rerum tutela mearum cum sis et prave sectum stomacheris ob unguem de te pendentis, te respicientis amici. ad summam: sapiens uno minor est love, dives, liber, honoratus, pulcher, rex denique regum, praecipue sanus - nisi cum pitvita molesta est.

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B R I E F E · ERSTES BUCH

Trotzdem bist du mein Schutzgeist in allen Dingen des Lebens, D e n schon ärgert der unschön geschnittene Nagel des Freundes, Des dir ergebenen Freundes, der stets an dich sich erinnert. K u r z : es steht der Weise nur wenig unter den G ö t t e r n , Reich und frei, geehrt und schön, aller Könige König, Ständig bei bester Gesundheit - es sei denn, er leidet am Schnupfen

EPISTULAE • LIBER I

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Troiani belli scriptorem, Maxime Lolli, dum tu declamas Romae, Praeneste relegi; qui, quid sit pulcrum, quid turpe, quid utile, quid η planius ac melius Chrysippo et Crantore dicit. cur ita crediderim, nisi quid te detinet, audi. fabula qua Paridis propter narratur amorem Graecia barbariae lento conlisa duello, stultorum regum et populorum continet aestus. Antenor censet belli praecidere causam: quid Paris? ut salvus regnet vivatque beatus, cogi posse negat. Nestor conponere litis inter Peliden festinat et inter Atriden: hunc amor, ira quidem communiter urit utrumque. quidquid délirant reges, plectuntur Achivi. seditione, dolis, scelere atque libidine et ira Iliacos intra muros peccatur et extra. rursus, quid virtus et quid sapientia possit, utile proposuit nobis exemplar Ulixen, qui domitor Troiae multorum providus urbes et mores hominum inspexit latumque per aequor, dum sibi, dum sociis reditum parat, aspera multa pertulit, adversis rerum inmersabilis undis. Sirenum voces et Circae pocula nosti; quae si cum sociis stultus cupidusque bibisset, sub domina meretrice fuisset: turpis et excors vixisset canis inmundus vel amica luto sus. nos numerus sumus et fruges consumere nati, sponsi Penelopae nebulones Alcinoique in cute curanda plus aequo operata iuventus, cui pulchrum fuit in medios dormire dies et ad strepitum citharae cessatum ducere somnum. ut iugulent hominem, surgunt de nocte latrones: ut te ipsum serves, non expergisceris ? atqui si noies sanus, curres hydropicus; et ni

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B R I E F E · ERSTES BUCH

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An Lollius Maximus Während in Rom du dich übst als Redner, Maximus Lollius, Las in Praeneste ich wieder den Sänger des Kampfes um Troja; Sagt er uns doch, was schön ist, was schändlich, was dienlich, was nutzlos, Vielfach klarer und treffender als ein Chrysippos, ein Krantor. Höre, wieso mir dies aufging - falls dich nichts anderes abhält. Seine Fabel erzählt von Paris' Liebschaft und wie sich Griechen darob und Barbaren in langem Zweikampfe maßen, Schildert die Leidenschaften törichter Herrscher und Völker. Wohl rät Antenor, auszureißen die Wurzel des Krieges. Was aber sagt dazu Paris? Keiner könne ihn zwingen, Selbstlos zu herrschen, wunschlos zu leben. Nestor will eilends Schlichten den Streit, beschwört den Peliden wie den Atriden Glühend in Liebe der eine, in rasendem Zorn alle beide. Jeglicher Wahn, dem die Herrscher verfallen, ihn büßen die Griechen. O b durch Zwietracht, List und Verbrechen, Wollust und Zürnen: Drinnen in Trojas Mauern wird so gefrevelt wie draußen. Weiter schildert Homer, was Tatkraft und Weisheit vermögen, Rückt uns vor Augen als leuchtendes Vorbild Odysseus, der endlich Troja bezwang und vieler Menschen Städte und Bräuche Wachen Auges erschaute, auf weiten Flächen der Meere Vieles an Drangsal erduldend, für sich und seine Gefährten Planend die Rückkehr und niemals verschlungen von widrigen Wogen. Sang der Sirenen und Kirkes Zaubertränke - du weißt ja: Hätt' er wie die Gefährten, ein gieriger Narr, sie gekostet, Schmählich und töricht wär' er der Herrschaft der Dirne verfallen, Wie ein räudiger Hund, wie ein Schwein im Schlamme sich wälzend. Wir, die Menschen des Alltags, geschaffen, von Früchten zu leben, Sind wie Penelopes windige Freier und wie die Jugend An Alkinoos' Hof: sie kennen nur eins, sich zu pflegen, Bis in den Mittag zu schlafen - Schöneres gibt es für sie nicht Und mit den Klängen der Laute den fliehenden Schlaf zu beschwören. Schon in der Nacht erhebt sich der Räuber, um Menschen zu töten. Willst nicht auch du, um dich selber zu retten, endlich erwachen? Bist doch gesund und magst nicht? Wasserdrang lehrt dich dann laufen!

EPISTULAE ' LIBER I

posees ante diem librum cum lumine, si non intendes animum studiis et rebus honestis, invidia vel amore vigil torquebere. nam cur quae laedunt oculum, festinas demere: siquid est animum, differs curandi tempus in annum? dimidium facti, qui coepit, habet: sapere aude, incipe. vivendi qui recte prorogai horam, rusticus exspectat, d u m defluat amnis; at ille labitur et labetur in omne volubilis aevum. quaeritur argentum puerisque beata creandis uxor et incultae pacantur vomere silvae: quod satis est cui contingit, nihil amplius optet. non domus et fundus, non aeris acervus et auri aegroto domini deduxit corpore febris, non animo curas; valeat possessor oportet, si conportatis rebus bene cogitat uti. qui cupit aut metuit, iuvat ilium sic domus et res ut lippum pictae tabulae, fomenta podagram, auriculas citharae collecta sorde dolentis. sincerum est nisi vas, quodcumque infundís acescit. s p e m e voluptates: nocet empta dolore voluptas. semper avarus eget: certum voto pete finem. invidus alterius macrescit rebus opimis; invidia Siculi non invenere tyranni maius tormentum. qui non moderabitur irae, infectum volet esse, dolor quod suaserit et mens, dum poenas odio per vim festinat inulto, ira furor brevis est: animum rege; qui nisi paret, imperat; hunc frenis, hunc tu conpesce catena. fingit equum tenera docilem cervice magister ire, viam qua monstret eques; venaticus, ex quo tempore cervinam pellem latravit in aula, militât in silvis catulus. nunc adbibe puro pectore verba, puer, nunc te melioribus offer, q u o semel est inbuta recens servabit odorem testa diu. quodsi cessas aut strenuos anteis, nec tardum opperior nec praecedentibus insto.

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BRIEFE · ERSTES BUCH

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Läßt du nicht schon vor Tag ein Buch und den Leuchter dir bringen, Deinen Geist auf würdige Stoffe und Dinge zu richten, Wirst du von Neid oder Wollust geplagt und am Schlafen gehindert. Ist dir ins Aug' was geflogen, entfernst du es schleunigst, doch wenn dir Etwas am Herzen nagt, verschiebst du die Kur auf das nächste Jahr? Wer beginnt, hat halb schon gewonnen; du wage die Weisheit! JETZT fang an! Wer die Stunde versäumt für's richtige Leben, Ist wie der Bauer, der wartet, bis abfließt der Strom, aber dieser Gleitet und flutet im Wirbel in alle Ewigkeit weiter. Jeder müht sich um Geld, um eine begüterte Gattin Für seinen Nachwuchs, und Wälder sind zu roden, zu pflügen: Wem zuteil ward, was ihm genug ist, soll mehr sich nicht wünschen. Nicht sein Haus noch sein Garten, nicht Fülle des G e l d s oder Goldes Heilen den kranken Hausherrn von seiner fiebrigen Krankheit, Auch nicht von seelischem Kummer; was not tut, ist die Gesundheit, Wenn er sich wünscht, erworbene Güter bedachtsam zu nutzen. Packen ihn Gier oder Furcht, erfreuen ihn Haus und Vermögen N u r wie den Augenkranken Gemälde, den Gichtigen Binden Oder wie reicher Lautenklang die schmerzenden Ohren. Ist nicht rein das Gefäß, wird sauer, was immer du einfüllst. Meide die Lüste: Gekaufte Wollust rächt sich durch Leiden. Habsucht fühlt stets nur Mangel: Halt deine Wünsche in Grenzen! Immer magerer wird, wer dem Nachbarn sein Wohlleben neidet. Keine schlimmere Folter ersannen Siziliens Tyrannen Als diesen Neid. Und wer seinen Zorn nicht zu zügeln vermochte, Wünscht, er hätt' niemals getan, was Ärger und Kränkung ihm rieten, Als er, glühend von Haß, gewaltsam Rache genommen. Zorn ist ein Anfall von Wahnsinn: Beherrsch ihn! Wenn du es nicht schaffst, Schwingt er statt deiner das Zepter; drum halt ihn im Zaum, an der Kette! Junge Pferde lassen sich willig dressieren, zu gehen, Wohin der Reiter sie lenkt; der junge Jagdhund nicht anders, Der in der Halle das Hirschfell tüchtig verbellte: ihn kannst du Brauchen im Walde. - JETZT, mein Freund, nimm auf diese Worte Reinen und lauteren Herzens, jetzt suche den Umgang mit Bess'ren! Ist der Tonkrug einmal gefüllt - den Duft wird er lange Speichern! O b du nun zögerst oder entschlossen vorangehst Weder wart' ich auf Träge noch dräng' ich, die mir voraus sind.

EPISTULAE • LIBER I

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Iuli Flore, quibus terrarum militet oris Claudius Augusti privignus, scire laboro. Thracane vos Hebrusque nivali compede vinctus an fréta vicinas inter currentia turris an pingues Asiae campi collesque morantur? quid studiosa cohors operum struit? hoc quoque curo, quis sibi res gestas Augusti scribere sumit? bella quis et paces longum diffundit in aevum? quid Titius? Romana brevi venturas in ora, Pindarici fontis qui non expalluit haustus, fastidire lacus et rivos ausus apertos. ut valet? ut meminit nostri? fidibusne Latinis Thebanos aptare modos studet auspice Musa, an tragica desaevit et ampullatur in arte? quid mihi Celsus agit - monitus multumque monendus, privatas ut quaerat opes et tangere vitet scripta, Palatinus quaecumque recepit Apollo, ne, si forte suas repetitum venerit olim grex avium plumas, moveat cornicula risum furtivis nudata coloribus - ? ipse quid audes? quae circumvolitas agilis thyma? non tibi parvum ingenium, non incultum est et turpiter hirtum: seu linguam causis acuis seu civica iura respondere paras seu condis amabile carmen, prima feres hederae victricis praemia. quodsi frigida curarum fomenta relinquere posses, quo te caelestis sapientia duceret, ires, hoc opus, hoc Studium parvi properemus et ampli, si patriae volumus, si nobis vivere cari. debes hoc etiam rescribere, sit tibi curae quantae conveniat Munatius. an male sarta gratia nequiquam coit et rescinditur ac vos seu calidus sanguis seu rerum inscitia vexat

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BRIEFE · ERSTES B U C H

3 An Julius Florus Julius Florus, mich drängt's zu erfahren, an welch fernen Küsten Dient wohl Claudius, Augustus' Stiefsohn, im Truppenverbande? N o c h in Thrakien, am Hebrus, der starrt in eisiger Kälte? O d e r am Hellespont, mit Türmen hüben und drüben, G a r schon an Asiens üppig prangenden Feldern und Hügeln? Was führt die eifrige G r u p p e im Schilde? Auch dies macht mir Sorge: Wer nimmt es auf sich, Augustus' Taten würdig zu schildern, Wer die Kriege, die Friedensschlüsse für spätere Zeiten? Was macht denn Titius? R o m wird in Bälde ein Loblied ihm singen: Mutig trank er aus Pindars Quelle, weil er verschmähte Wasser gewöhnlicher Seen und Bäche, für jedermann offen. Geht es ihm gut? Entsinnt er sich meiner? Will er Gesänge Thebens für Latiums Leier gewinnen, ein Schützling der Muse, Tönt er gewaltig in tragischer Kunst, in schwellendem Pathos? Was treibt mein Celsus - oftmals ermahnt - ich rat' ihm aufs neue, Eigene Leistung zu mehren, nichts zu entlehnen aus Büchern, Die man am Palatin, Apollo zu Ehren, gesammelt, Daß nicht dereinst die Schar der Vögel erscheine, um ihre Federn zurückzufordern: verspottet wird dann die Krähe, Nackt, der gestohlenen Farben beraubt. - Was planst du denn selber? Welche duftenden Blüten umschwirrst du? Ja, glaub mir, kein kleiner Geist, kein ungebildeter, roher, ward dir verliehen: O b du die Zunge wetzt vor Gericht, Bescheid gibst im Rechtsfall, O d e r ob du ein liebenswertes Gedicht gar verfaßtest, Immer wirst du den Siegeskranz dir erringen, und könntest Vollends das starre Eis deiner Sorgen du hinter dir lassen, Wärst du schon auf dem Weg zur höchsten, zur göttlichen Weisheit. Darum müssen wir ja, ob hoch, ob niedrig, uns mühen, Soll unser Leben dem Vaterland und uns selbst etwas wert sein. Gib mir zum Schluß noch Antwort: Hast du dich auch um Munatius, Wie du solltest, bemüht? O d e r hat sich womöglich die Wunde Euerer Freundschaft noch nicht geschlossen? Reißt sie erneut auf, Sei's, weil ihr heißen Blutes, sei's, weil ihr weltunerfahren

EPISTULAE · LIBER I

indomita cervice feros? ubicumque locorum vivitis, indigni fraternum rumpere foedus, pascitur in vestrum reditum votiva iuvenca.

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B R I E F E · ERSTES BUCH

Trotzig den Nacken erhebt? - Wohin auch das Leben euch sende: Niemals zerreißet das Band, das euch als Freunde verbunden! Opfern will ich die weidende Färse, sobald ihr zurückkehrt.

EPISTULAE • LIBER I

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Albi, nostrorum sermonum candide iudex, quid nunc te dicam facere in regione Pedana? scribere quod Cassi Parmensis opuscula vincat an taciturn silvas inter reptare salubris curantem quidquid dignum sapiente bonoque est? non tu corpus eras sine pectore: di tibi formam, di tibi divitias dederunt artemque fruendi. quid voveat dulci nutricula maius alumno, qui sapere et fari possit quae sentiat et cui gratia fama valetudo contingat abunde et mundus victus non deficiente crumina? inter spem curamque, timorés inter et iras omnem crede diem tibi diluxisse supremum: grata superveniet quae non sperabitur hora. me pinguem et nitidum bene curata cute vises, cum ridere voles, Epicuri de grege porcum.

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BRIEFE · ERSTES BUCH

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4 A n Albius Tibullus Albius, ehrlicher Kritiker all meiner heit'ren Satiren, Was magst du jetzt wohl treiben dort in der Gegend von Pedum? Schreibst du zierliche Verse, schöner als Cassius aus Parma, O d e r schlenderst du schweigsam durch die erfrischenden Wälder, Sorgsam bedenkend, was dem Weisen, dem Guten gezieme? H o h e Gesinnung und Schönheit ward dir von Göttern verliehen, Reichtümer gaben sie dir und die Kunst des Lebensgenusses: Was wohl könnte die A m m e Schön'res dem Zögling erflehen, Der zu verstehen, zu sagen imstand ist, was er empfindet, D e m ein untadliger Ruf und Gesundheit in Fülle zuteil ward, Auch ein gepflegtes H a u s , eine nie versiegende Barschaft? Zwischen H o f f n u n g und Sorge, Angst und wütendem Ärger N i m m einen jeden Tag, der dir aufgeht, als war' es dein letzter: Freundlich gesellt sich ihm dann eine nie erwartete Stunde! Willst du mal herzhaft lachen, besuch mich, das wohlgenährt-runde Lebensfreudige Schweinchen aus Epikureischer Herde!

EPISTULAE · LIBER I

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Si potes Archiacis conviva recumbere lectis nec modica cenare times holus omne patella, supremo te sole domi, Torquate, manebo. vina bibes iterum Tauro diffusa palustris inter Minturnas Sinuessanumque Petrinum. si melius quid habes, arcesse, vel imperium fer. iamdudum splendet focus et tibi munda supellex: mitte levis spes et certamina divitiarum et Moschi causam: eras nato Caesare festus dat veniam somnumque dies; inpune licebit aestivam sermone benigno tendere noctem. quo mihi fortunam, si non conceditur uti? parcus ob heredis curam nimiumque severas adsidet insano: potare et spargere flores incipiam patiarque vel inconsultus haberi. quid non ebrietas dissignat? operta recludit, spes iubet esse ratas, ad proelia trudit inertem, sollicitis animis onus eximit, addocet artis. fecundi calices quem non fecere disertum, contracta quem non in paupertate solutum? haec ego procurare et idoneus imperar et non invitus, ne turpe toral, ne sordida mappa corruget naris, ne non et cantharas et lanx ostendat tibi te, ne fidos inter amicos sit qui dicta foras eliminet, ut coeat par iungaturque pari: Butram tibi Septiciumque et nisi cena prior potiorque puella Sabinum detinet adsumam; locus est et pluribus umbris; sed nimis arta premunì olidae convivía caprae. tu quotus esse velis rescribe et rebus omissis atria servantem postico falle clientem.

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BRIEFE · ERSTES BUCH

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5 A n Torquatus K o m m s t du zurecht mit des Archias schmalem Polster beim Gastmahl, N i m m s t du nicht Anstoß, nur Grünkost zu speisen aus einfacher Schüssel, Dann, Torquatus, erwarte ich dich bei sinkender Sonne. Weine gibt's, sorglich gekeltert, als Taurus zum zweiten Mal Konsul, Zwischen Minturnaes Sumpf und Petrinum bei Sinuessa. Hast du was Bess'res, bring's mit, doch sonst nimm an meine Gaben! Lange schon glänzt mein Herd, sind sauber geputzt die Geräte. Laß das flüchtige Hoffen, die Streitigkeiten um Reichtum, Auch den Prozeß des Moschus! Morgen an Caesars Geburtstag Schlafen wir aus nach Belieben: ungestraft können wir darum Uns die milde Sommernacht angenehm plaudernd verlängern. All mein Glück - was hilft es, wenn sein Genuß mir verwehrt ist? Wer für den Erben nur spart, in zu großer Strenge sich einschränkt, Gleicht einem Narren - ich möchte trinken und Blumen verstreuen, Werde es gerne ertragen, als Anwalt des Leichtsinns zu gelten. Was vermag nicht alles der Rausch! Geheimes erschließt er, H o f f n u n g erfüllt er, den Mutlosen treibt er zum Kampfplatz, befreit auch Kummerbelad'ne von ihrer Schwermut, lehrt neue Künste. Wen macht nicht redegewandt die schenkende Fülle des Bechers U n d schafft Freiheit dem in drückender Armut Gefang'nen? Meinen Teil will ich gerne und zuverlässig besorgen: Daß keine unschöne Decke, auch kein schmutziges Mundtuch Anlaß gibt, die N a s e zu rümpfen; daß K r u g auch und Schale Makellos spiegeln dein Bild; daß keiner, was unter Freunden O f f e n gesprochen, hinausträgt, gleich und gleich sich hier treffen. Butra und den Septicius lad' ich dazu, auch Sabinus, Falls ihn nicht besseres Essen, gar eine reizende Freundin Abhält zu kommen. Platz ist auch für mehrere »Schatten« N u r schafft zu große Enge bei Tisch leicht Ziegen-Gerüche. D u gib mir Nachricht, mit wieviel Leuten du kommst! Deine Arbeit Soll dich nicht halten: Entwisch durch die Hintertür allen Klienten!

EPISTULAE · L I B E R I

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N i l admirari prope res est una, Numici, solaque, quae possit facere et servare beatum. hune solem et stellas et decedentia certis tempora momentis sunt qui formidine nulla inbuti spectent: quid censes muñera terrae, quid maris extremos Arabas ditantis et Indos ludiera, quid plausus et amici dona Quiritis, q u o spectanda modo, quo sensu credis et ore? qui timet his adversa, fere miratur eodem q u o cupiens pacto; pavor est utrubique molestus, inprovisa simul species exterret utrumque. gaudeat an doleat, cupiat metuatne, quid ad rem, si, quidquid vidit melius peiusve sua spe, defixis oculis animoque et corpore torpet? insani sapiens n o m e n ferat, aequus iniqui, ultra quam satis est virtutem si petat ipsam. i nunc, argentum et marmor vetus aeraque et artis suspice, cum gemmis Tyrios mirare colores; gaude quod spectant oculi te mille loquentem; navus mane forum et vespertinus pete tectum, ne plus frumenti dotalibus emetat agris Mutus et - indignum, quod sit peioribus ortus hic tibi sit potius quam tu mirabilis illi. quidquid sub terra est, in apricum proferet aetas, defodiet condetque nitentia. cum bene notum porticus Agrippae, via te conspexerit Appi, ire tamen restât, N u m a quo devenit et Ancus. si latus aut renes m o r b o temptantur acuto, quaere fugam morbi, vis recte vivere - quis non? si virtus hoc una potest dare, fortis omissis h o c age deliciis. virtutem verba putas et lucum ligna: cave ne portus occupet alter, ne Cibyratica, ne B i t h y n a negotia perdas;

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B R I E F E · ERSTES BUCH

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6 An Numicius Nie etwas blind bewundern, Numicius! Dies allein kann den Menschen zum Glück verhelfen, ihnen ihr Glück auch bewahren. Ohne Scheu können Eingeweihte die Sonne betrachten, Sterne auch und der Jahreszeiten geordneten Ablauf. Wie ist denn deine Meinung über die Gaben der Erde, Tand aus dem Meere, der fernste Araber, Inder bereichert? Was bedeuten dir Beifall und Stimmen gewogener Wähler: Wie beurteilst du das, mit welchen Gefühlen und Blicken? Wer alles dies zu verlieren fürchtet, bewundert's nicht anders Als der Begehrliche auch, und Furcht bedrückt alle beide: Kommt etwas unvermutet, verlieren sie beide die Fassung. O b einer Gier oder Furcht, ob Schmerz oder Freude empfindet: Sieht er was Besseres oder was Schlimmeres, als er erwartet Starrt er da nicht gebannt, gelähmt an Leib und an Seele? Närrisch hieß' man den Weisen, ungerecht auch den Gerechten, Mühten sie sich im Ubermaß, sei's auch um löbliche Tugend. Geh nur, bewund're die Kunst an Silber-, Marmor- und Erzbild, Schalen, mit Edelsteinen verziert, und Purpur aus Tyros! Freu dich, wenn tausend Augenpaare als Redner dich anschau'n, Früh sei tätig am Forum und spät erst begib dich nach Hause, Daß nicht Mutus aus seiner Mitgift mehr an Getreide Ernte und du ihn eher bewundern müßtest als er dich Oh, welche Schande, ist er doch weit geringerer Herkunft! Was unter'm Boden liegt, der Zeitlauf fördert's zutage, Und was heute glänzt, vergräbt und bedeckt er. Auch wenn dich Hochgeachtet Agrippas Halle, die Appische Straße Sah, bleibt doch dir der gleiche Weg nur wie Numa und Ancus. Sind dir die Lunge, die Nieren von schlimmer Krankheit befallen, Tu was dagegen! Willst ja doch richtig leben - wer will's nicht? Kann nur die Tugend dies dir gewähren, dann handle entschlossen: Laß die Genüsse! Ist dir denn Tugend nur leeres Geschwätz, ein Heiliger Hain nur Gehölz? Behalte im Aug', daß kein and'rer Dir den Handel verdirbt in Phrygiens, Bithyniens Häfen!

EPISTULAE · LIBER I mille talenta rotundentur, totidem altera p o r r o et tertia succédant et quae pars quadret acervum. scilicet uxorem cum dote fidemque et amicos et genus et f o r m a m regina Pecunia donat ac bene n u m m a t u m decorat Suadela Venusque. mancupiis locuples eget aeris C a p p a d o c u m rex: ne fueris hic tu. chlamydes Lucullus, ut aiunt, si posset centum scaenae praebere rogatus, 'qui possum tot?' ait; 'tarnen et quaeram et quot habebo mittam'; post paulo scribit sibi milia quinqué esse domi chlamydum; partem vel tolleret omnis. exilis domus est, ubi n o n et multa supersunt et d o m i n u m fallunt et prosunt furibus. ergo si res sola potest facere et servare beatum, hoc primus répétas opus, hoc postremus omittas. si fortunatum species et gratia praestat, mercemur servum, qui dictet nomina, laevum qui fodicet latus et cogat trans pondera dextram porrigere: 'hic multum in Fabia valet, ille Velina; cui übet hic fascis dabit eripietque curule cui volet inportunus ebur.' 'frater', 'pater' adde; ut cuique est aetas, ita quemque facetus adopta. si bene qui cenat bene vivit: lucet, eamus quo ducit gula, piscemur, venemur, ut o h m Gargilius - qui mane plagas, venabula, servos differtum transiré f o r u m p o p u l u m q u e iubebat, unus ut e multis p o p u l o spectante referret e m p t u m mulus aprum - , crudi tumidique lavemur, quid deceat, quid non, obliti, Caerite cera digni, remigium vitiosum Ithacensis Ulixei, cui potior patria fuit interdicta voluptas. si, Mimnermus uti censet, sine amore iocisque nil est iucundum, vivas in amore iocisque. vive, vale, siquid novisti rectius istis, Candidus inperti; si nil, his utere mecum.

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B R I E F E · ERSTES BUCH

Tausend Talente mußt du gewinnen, ein zweites, ein drittes Tausend muß folgen, und immer noch eins, das den Haufen dir auffüllt. Dann freilich schenkt König Mammon dir Gattin und Mitgift, Kredite, Freunde und vornehme Abkunft und Schönheit; und wer mit Moneten Reichlich bedacht, den schmückt Eloquenz und die Göttin der Liebe. Reich ist an Sklaven, doch knapp an Geld Kappadoziens König: Werd nicht wie er! Lucullus, heißt es, gebeten um hundert Mäntel für eine Theateraufführung, habe erwidert: »Wirklich, so viele? Nun, ich frag' nach und send', was ich habe.« Kurz darauf schrieb er, von solchen Mänteln besaß' er fünftausend: O b einen Teil nur oder ob alle er zusenden solle. Arm ist das Haus, wo nicht vieles überzählig vorhanden Das dem Herrn zwar entgeht, doch den Dieben zupaß kommt. Drum höre: Kann allein Geld dich glücklich machen und willst du's auch bleiben, Dann geh als erster an dieses Geschäft, hör auf erst als letzter! Wenn dir äußerer Glanz und Beliebtheit das Glück nur verbürgen, Kauf einen Sklaven, der die Namen dir zuraunt und der dich Links in die Seite stößt und dich nötigt, die Rechte zum Gruße Uber die Straße zu strecken: »Der da gilt viel in der Fabia, In der Velina der and're. Der gibt ein Amt, wem er will, und Nimmt, wem er gram ist, den schimmernden Sessel.« Mit »Bruder« und J e nach dem Alter, mach wohlbedacht sie zu lieben Verwandten.

[»Vater«,

Sagst du: »Gut lebt, wer gut speist«: wohlan, es tagt, also geh'n wir, Wohin der Gaumen uns lockt, zum Fischen, zur Jagd - wie Gargilius Einst seinen Sklaven befahl, mit Jägerspießen und Netzen Quer durch die wimmelnde Menge über das Forum zu traben, Nur damit ein einziges Maultier den eben gekauften Eber vor aller Augen nach Hause trage. - Mit vollem Magen geh'n wir ins Bad, vergessen, was ziemt und was nicht ziemt, Reif bald für Caere, verrucht wie die Rudererschar des Odysseus, Der ein verbot'ner Genuß weit wichtiger war als die Heimat. Wenn, wie Mimnermos urteilt, nichts ohne Liebe und Kurzweil Angenehm ist - nun denn, so lebe in Liebe und Kurzweil! Bleib gesund und leb wohl! Und weißt du bessere Weisheit, Teil sie mir aufrichtig mit; wenn nicht, befolg mit mir diese!

EPISTULAE · L I B E R I

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Q u i n q u é dies tibi pollicitus me rure futurum Sextilem t o t u m mendax desideror. atqui si me vivere vis sanum recteque valentem, quam mihi das aegro, dabis aegrotare timenti, Maecenas, veniam, dum ficus prima calorque dissignatorem decorat lictoribus atris, dum pueris omnis pater et matercula pallet officiosaque sedulitas et opella forensis adducit febris et testamenta résignât, quodsi bruma nives Albanis inlinet agris, ad mare descendet vates tuus et sibi parcet contractusque leget: te, dulcís amice, reviset cum Zephyris, si concedes, et hirundine prima. non q u o more piris vesci Calaber iubet hospes tu me fecisti locupletem: 'vescere sodes.' 'iam satis est.' 'at tu, quantum vis, tolle.' 'benigne.' ' n o n invisa feres pueris munuscula parvis.' 'tam teneor d o n o , quam si dimittar onustus.' 'ut libet: haec porcis hodie comedenda relinques.' prodigus et stultus donat quae spernit et odit: haec seges ingratos tulit et feret omnibus annis. vir bonus et sapiens dignis ait esse paratus,

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nec tamen ignorât, quid distent aera lupinis: dignum praestabo me etiam pro laude merentis. quodsi me noles usquam discedere, reddes forte latus, nigros angusta fronte capillos, reddes dulce loqui, reddes ridere decorum et inter vina fugam Cinarae maerere protervae. forte per angustam tenuis vulpécula rimam repserat in cumeram frumenti, pastaque rursus ire foras pleno tendebat corpore frustra, cui mustela procul 'si vis' ait 'effugere instine, macra cavum répétés artum, quem macra subisti.'

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BRIEFE · ERSTES BUCH

7 A n Maecenas Trotz des Versprechens, fünf Tage nur auf dem Lande zu bleiben, Blieb ich den ganzen August, so daß ich als treulos vermißt ward. D a du Gesundheit mir wünschst und ein blühendes Leben, Gönne, Maecenas, wie doch dem Kranken schon, nun auch die Ruhe Langsam Genesendem! Reift ja bereits die schwellende Feige, Glüht die Hitze beim düsteren P o m p des Leichenbestatters, D a alle Väter und Mütter sich ängstigen um ihre Kinder, U n d geschäftiger Eifer und allerlei Mühen am Markte Fieber erzeugen und Testamente sich öffnen den Erben. Wenn dann im Winter Schnee auf albanischen Feldern sich breitet, Wandert dein Dichter hinab zum Meer, um dort zu gesunden, Ungestört auch zu lesen. Wir, lieber Freund, seh'n uns wieder Mit dem Zephyr, den ersten Schwalben - wenn es dir recht ist. Wohlhabend machtest du mich - doch nicht wie den Gast die Calabrer Nötigen, reife Birnen zu kosten: »So nimm dir doch bitte!« »Danke, ich hab' schon.« - » N i m m doch, soviel du willst.« - »Ach, zu gütig! « »Bring auch den Kleinen noch mit solch nie gesehene G a b e n ! « »Ach, die G a b e verpflichtet, als ging' ich beladen nach Hause.« »Wie's dir beliebt! Was du hier läßt, das gibt man heut' noch den Schweinen.« Toren, Verschwender verschenken, was sie mißachten, nicht mögen: Solche Aussaat brachte und bringt uns allezeit Undank. Würdigen Menschen nur widmet der weise, der treffliche Mann sich, Kann dabei wohl unterscheiden echte Münze von Spielgeld. Würdig will drum auch ich mich erweisen der Wohltat des Spenders. Wenn du nicht willst, daß ich irgendwo mich verkrieche, dann gib mir Leibesstärke zurück, über schmaler Stirne mein Schwarzhaar, Süße Lust am Plaudern, dazu mein strahlendes Lachen, Wehmut beim Gastmahl, wenn mir die kecke Kinara davonlief. Einst drang ein schmales Füchslein durch einen Spalt in die Kiste, Voller Getreide und wollte, als es sich reichlich gesättigt, Wieder hinaus mit gefülltem Bauch - ach, leider vergeblich. D a spricht das Wiesel von draußen: »Möchtest wohl wieder ins Freie? K o m m s t aus dem engen L o c h so mager nur, wie du hineinkrochst!«

EPISTULAE · L I B E R I

hac ego si conpellor imagine, cuneta resigno: nec somnum plebis laudo satur altilium nec otia divitiis Arabum libérrima muto, saepe verecundum laudasti, rexque paterque audisti coram, nec verbo parcius absens: inspice, si possum donata reponere laetus. haud male Telemachus, proles patientis Ulixei: 'non est aptus equis Ithace locus, ut ñeque planis porrectus spatiis nec multae prodigus herbae: Atride, magis apta tibi tua dona relinquam.' parvum parva decent: mihi iam non regia Roma, sed vacuum Tibur placet aut inbelle Tarentum. strenuus et fortis causisque Philippus agendis clarus ab officiis octavam circiter horam dum redit atque foro nimium distare Carinas iam grandis natu queritur, conspexit, ut aiunt, adrasum quendam vacua tonsoris in umbra cultello proprios purgantem leniter unguis. 'Demetri' - puer hic non laeve iussa Philippi accipiebat - 'abi, quaere et refer, unde domo, quis, cuius fortunae, quo sit patre quove patrono.' it redit et narrat, Volteium nomine Menam, praeconem, tenui censu, sine crimine, notum et properare loco et cessare et quaerere et uti, gaudentem parvisque sodalibus et lare certo et ludis et post decisa negotia campo, 'scitari übet ex ipso quodcumque refers: die ad cenam veniat.' non sane credere Mena, mirari secum tacitus. quid multa? 'benigne' respondet. 'neget ille mihi?' 'negat inprobus et te neglegit aut horret.' Volteium mane Philippus vilia vendentem tunicato scruta popello occupât et salvere iubet prior; ille Philippo excusare laborem et mercennaria vincla, quod non mane domum venisset, denique quod non providisset eum. 'sic ignovisse putato

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BRIEFE · ERSTES BUCH

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Wenn dieses Gleichnis mich ansprechen sollte, verzieht' ich auf alles: Nicht mehr lobe ich, satt von Geflügel, den Schlaf der Plebejer N o c h geb' ich hin meine Muße für alle Schätze Arabiens. O f t hast du mich als bescheiden gelobt, oft sprach ich dich an als Meinen Freund und Beschützer, auch dann noch, wenn ich dir fern war! Prüfe mich, ob mir's gelingt, auf Geschenktes froh zu verzichten! Wie sprach doch Telemach weise, der Sohn des Dulders Odysseus: »Ungeeignet für Rosse ist unser Ithaka: weder Dehnt es sich weiträumig aus noch besitzt es üppige Wiesen; Deine Geschenke, Atride, dienen dir besser, behalt sie.« Schlichten Menschen ziemt Schlichtes: Nicht R o m mehr, das prächtige, lockt N u r noch das ruhige Tibur oder Tarent, das so friedvoll.

[mich,

Konsul Philippus, kühn und voll Tatkraft, berühmt auch als Anwalt, K o m m t um die zweite Nachmittagsstunde zurück von der Arbeit, Seufzend und stöhnend - er war schon recht alt - , daß sein Stadtteil Carinae G a r zu weit vom F o r u m entfernt sei. D a sieht er, wie einer, Frisch rasiert, in der schattigen Leere eines Barbier-Raums G a n z gemütlich mit seinem Messer die Nägel sich säubert. Gleich ruft er da Demetrius zu sich, den findigen Diener: »Lauf mal, forsche, berichte, aus welchem H a u s dieser Mann stammt! Wer ist es, hat er Vermögen, wer ist sein Vater, sein Schutzherr?« Der kehrt zurück, berichtet, er heiße Voltejüs Mena, Makler sei er, gering seine Habe, achtbar, im Rufe, Schaffen und feiern, erwerben und auch genießen zu können, Schlichte Gesellschaft genießt er, seinen geordneten Hausstand, D a z u die Spiele und nach seiner Arbeit den Sport auf dem Marsfeld. »Was du mir da erzählt hast, das will von ihm selber ich hören; Lad ihn zum Essen ein!« D e r Mena kann's nicht recht glauben, Staunt und verfällt in Schweigen, sagt schließlich: »Zu gütig, nein danke.« »Mir wagt er abzusagen?« - »Sagt dreist dir ab mit Verachtung; O d e r ob er sich scheut?« Philippus sieht den Voltejus Anderntags wohlfeilen K r a m verkaufen an Leute im Wollhemd. Er begrüßt ihn als erster. Der aber bittet Philippus, Ihm zu verzeihen - da Arbeit und Zwang der Geschäfte ihn bänden - , Daß er des Morgens ihn nicht besucht und daß er ihn jetzt nicht Gleich bemerkte. » D u darfst dich von mir als entschuldigt betrachten,

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EPISTULAE · LIBER I

me tibi, si cenas hodie mecum.' 'ut libet.' 'ergo

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post nonam venies; nunc i, rem strenuus auge.' ut ventum ad cenam est, dicenda tacenda locutus tandem dormitum dimittitur. hie ubi saepe occultum visus decurrere piscis ad hamum, mane cliens et iam certus conviva, iubetur

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rura suburbana indictis comes ire Latinis. inpositus mannis arvum caelumque Sabinum non cessât laudare, videt ridetque Philippus, et sibi dum requiem, dum risus undique quaerit, d u m Septem donat sestertia, mutua Septem

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promittit, persuadet uti mercetur agellum. mercatur. ne te longis ambagibus ultra quam satis est morer: ex nitido fit rusticus atque sulcos et viñeta crepat mera, praeparat ulmos, inmoritur studiis et amore senescit habendi.

8;

verum ubi oves furto, morbo periere capellae, spem mentita seges, bos est enectus arando: offensus damnis media de nocte caballum arripit iratusque Philippi tendit ad aedis. quem simul adspexit scabrum intonsumque Philippus,

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'duras', ait, 'Voltei, nimis attentusque videris esse mihi.' 'pol me miserum, patrone, vocares, si velles' inquit 'verum mihi ponere nomen. quod te per Genium dextramque deosque Penatis obsecro et obtestor: vitae me redde priori.' qui semel adspexit, quantum dimissa petitis praestent, mature redeat repetatque relieta, metiri se quemque suo modulo ac pede verum est.

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B R I E F E · ERSTES BUCH

Wenn du heute das Mahl mit mir teilst.« - »Wann soll ich denn kommen?« »Komm nach drei Uhr, doch jetzt halt dich ran, dein Geld zu verdienen!« Als man beim Essen sitzt, schwatzt er das Blaue vom Himmel herunter, Bis man zum Schlafen ihn fortschickt. Seitdem ist er oft dort zu sehen, Ganz wie ein Fisch zum verborgenen Köder hurtig heranschwimmt, Morgens als Schützling, zu Mittag als ständiger Gastfreund des Hauses; Wird auch auf's Landgut gebeten zu den Latinischen Festen. Hoch auf dem Rücken des Pferdchens preist er die Fluren, den Himmel Über'm Sabinerlande. Philippus hört zu, und er lächelt, Denn er liebt zwar die Ruhe, doch Spaße nicht minder. Deswegen Schenkt er ihm siebenmal tausend Sesterzen; zu leihen verspricht er Weitere sieben und redet ihm zu, sich ein Gütchen zu kaufen. Also geschieht es. Ohne ins einzelne mich zu verlieren: Aus dem gepflegten Städter wird unversehens ein Bauer, Der sich nur noch ums Pflügen, um Weinberge kümmert, der Ulmen Stutzt und vor Arbeit fast umkommt, vor Habgier auch vorzeitig altert. Doch als man Schafe ihm stiehlt und Ziegen durch Krankheit verderben, Aussaat die Hoffnungen trügt, der Ochse beim Pflügen verendet, Zerrt er - ergrimmt durch die Schäden - zur Nachtzeit sein Pferd aus dem Reitet in höchstem Zorn stadteinwärts zum Haus des Philippus.

[Stalle,

Wie der ihn sieht, so schäbig, mit ungeschorenen Haaren, Meint da Philippus: »Gar hart und verbiestert erscheinst du mir heute.« »Ach, beim Pollux, Ärmster nur solltest du, Herr, mich jetzt nennen«, Sagt er, »wenn dir's beliebt, mir den rechten Namen zu geben. Bei deinem Schutzgeist, bei deiner Schwurhand, den Göttern des Hauses Fleh' ich, beschwör' ich dich: Gib mich zurück meinem vorigen Leben!« Wer mal erkennt: was er aufgab, war mehr wert als alles Erstrebte, Kehre beizeiten zurück zu dem, was er leichthin verlassen. Messen möge sich jeder nach eigenem Maß, spricht die Weisheit.

EPISTULAE · LIBER I

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Celso gaudere et bene rem gerere Albinovano Musa rogata refer, corniti scribaeque Neronis. si quaret quid agam, die multa et pulcra minantem vivere nec recte nec suaviter, haud quia grando contuderit vitis oleamve momorderit aestus, nec quia longinquis armentum aegrotet in agris; sed quia mente minus validus quam corpore toto nil audire velim, nil discere, quod levet aegrum, fidis offendar medicis, irascar amicis, cur me funesto properent arcere veterno, quae nocuere sequar, fugiam quae profore credam, Romae Tibur amem, ventosus Tibure Romam. post haec, ut valeat, quo pacto rem gerat et se, ut placeat iuveni percontare utque cohorti. si dicet 'recte', primum gaudere, subinde praeceptum auriculis hoc instillare memento: ut tu fortunam, sic nos te, Celse, feremus.

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B R I E F E · ERSTES B U C H

t/7

8 An Albinovanus Celsus Bring meinen G r u ß , meine W ü n s c h e dem Celsus Albinovanus, Muse, ich bitt' dich, dem Sekretär und Begleiter des N e r o ! Sag, wenn er fragt, was ich treibe, ich hätt' zwar viel Schönes verheißen, Lebte jedoch weder glücklich noch angenehm, nicht weil der Hagel M i r die Trauben zerschlug, die Hitze den Ö l b a u m versengte, A u c h nicht, weil Rinder auf fernen Weiden der Seuche verfielen, Nein, weil mein Geist noch kränker ist als der K ö r p e r im G a n z e n , Weil ich nicht hören, nicht lernen will, was die Krankheit mir lindre: Treue Ä r z t e ärgern mich nur, und ich zürne den Freunden, Die sich bemühen, der tödlichen Dumpfheit mich zu entreißen, Mich, der nur tun will, was schadet, und scheut, was ihm heilsam zu sein D e r in R o m nach Tibur sich sehnt, in T i b u r nach R o m drängt,

[scheint:

Frag ihn dann, wie es ihm geht, wie er im Dienst sich behauptet, Wie er dem Prinzen gefällt und wie das Gefolge ihn einschätzt. Sagt er: » G a n z gut«, dann freu dich erst mal mit ihm, aber später D e n k dran, dem Celsus ins O h r noch folgende Weisung zu flüstern: »So, wie dein G l ü c k du empfängst, so werden auch wir dich empfangen.«

EPISTULAE · L I B E R I

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Septimius, Claudi, nimirum intellegit unus, quanti me facias; nam cum rogat et prece cogit, scilicet ut tibi se laudare et tradere coner, dignum mente d o m o q u e legends honesta Neronis, muñere cum fungi propioris censet amici: quid possim videt ac novit me valdius ipso, multa quidem dixi, cur excusatus abirem, sed timui, mea ne finxisse minora putarer, dissimulator opis propriae, mihi c o m m o d u s uni. sic ego maioris fugiens opprobria culpae frontis ad urbanae descendi praemia. quodsi depositum laudas ob amici iussa pudorem, scribe tui gregis hunc et fortem crede bonumque.

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BRIEFE · ERSTES BUCH

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9 A n Claudius Tiberius N e r o Offenbar weiß nur Septimius, wie du mich einstufst, o Claudius, Bittet er doch und bedrängt mich immerfort flehentlich, daß ich Ihn dir empfehlen und ihn dir vorstellen solle als würdig Deines Geistes und Hauses, N e r o , der Edle nur auswählt. Leicht, meint er, könnt' als dein Freund ich ihm den Gefallen erweisen; Was ich vermag, das sieht und erkennt er da besser als ich wohl! Manche Entschuldigung führte ich an, um dem zu entkommen, Fürchtete aber den Anschein, mich absichtlich kleiner zu machen U n d meinen Einfluß zu leugnen, um einzig mir selber zu dienen. U m zu entgehen dem Vorwurf größ'rer Verfehlung, beruf ich Dreist mich aufs übliche Vorrecht urbaner Offenheit. - Falls du Gutheißt, daß ich - v o m Freunde gedrängt - meine Scheu überwunden: N i m m ihn in deinen Kreis auf! Vertrau: Er ist ehrbar und tüchtig.

EPISTULAE ' LIBER I

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Urbis amatorem Fuscum salvere iubemus ruris amatores. hac in re scilicet una multum dissimiles, at cetera paene gemelli fraternis animis: quidquid negat alter, et alter, adnuimus pariter. vetuli notique columbi tu nidum servas, ego laudo ruris amoeni rivos et musco circumlita saxa nemusque. quid quaeris? vivo et regno, simul ista reliqui, quae vos ad caelum fertis rumore secundo, utque sacerdotis fugitivus liba recuso; pane egeo iam mellitis potiore placentis. vivere naturae si convenienter oportet ponendaeque domo quaerenda est area primum: novistine locum potiorem rure beato? est ubi plus tepeant hiemes, ubi gratior aura leniat et rabiem Canis et momenta Leonis, cum semel accepit solem furibundus acutum? est ubi divellat somnos minus invida cura? deterius Libycis olet aut nitet herba lapillis? purior in vicis aqua tendit rumpere plumbum quam quae per pronum trépidât cum murmure rivum? nempe inter varias nutritur silva columnas laudaturque domus, longos quae prospicit agros: naturam expelles furca, tamen usque recurret et mala perrumpet furtim fastidia victrix. non qui Sidonio contendere callidus ostro nescit Aquinatem potantia vellera fucum certius accipiet damnum propiusve medullis quam qui non poterit vero distinguere falsum. quem res plus nimio delectavere secundae, mutatae quatient. siquid mirabere, pones invitus. fuge magna: licet sub paupere tecto reges et regum vita praecurrere amicos.

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BRIEFE · ERSTES BUCH

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IO An Aristius Fuscus Beste Grüße dem Fuscus: Liebhaber er ja der Großstadt, Liebhaber ich des Landes. In diesem einzigen Punkte Sind wir wohl sehr verschieden, sonst aber Zwillinge beinah, Brüder im Geiste: Was einer nicht mag, lehnt ab auch der and're, Einmütig nicken wir beide. Wie lang befreundete Tauben: Du behütest das Nest, und ich, ich preise die Bäche, Moosüberzogene Felsen und Haine des lieblichen Landes. Fragst du, warum? Ich lebe als König, seit alles ich aufgab, Was in den Himmel ihr hebt mit überschwenglichem Lärmen: Wie eines Priesters entlaufener Sklave verschmäh' ich den Kuchen, Brot brauch' ich eher als euer honigduftendes Backwerk. Wenn uns bestimmt ist, mit der Natur im Einklang zu leben, Drum auch für unser Haus den geeigneten Baugrund zu suchen: Kennst einen besseren Ort du als das gesegnete Land hier? Wo gibt es mildere Winter, kühlt ein willkommener Windhauch Rascher die Glut des Hundssterns und das Wüten des Löwen, Wenn er voll Ingrimm verspürt den glühenden Stachel der Sonne? Wo stört seltener deinen Schlaf die neidische Sorge? Glanz hier und Duft unsrer Wiesen, dort Mosaiken aus Libyen: Was ist geringer? Dringt das Wasser durchs städtische Bleirohr Reiner, als es vom Berghang im murmelnden Bache zu Tal fließt? Pflanzt man nicht zwischen die bunten Säulen noch allerlei Bäume, Preisen wir nicht das Haus, das uns Fernsicht gewährt auf die Felder? Treib die Natur mit der Heugabel aus: Sie kehrt immer wieder, Still und siegreich durchbricht sie unser'n verblendeten Hochmut. Wer sidonischen Purpurstoff nicht zu scheiden imstand ist Von der Wolle, die nur mit dem Rot aus Aquinum gefärbt ward, Den trifft kein solcher Schaden, der ins innerste Mark reicht, Wie jenen and'ren, der Wahres und Falsches nicht unterscheidet. Wem der äuß're Erfolg weit mehr, als ihm zukommt, bedeutet, Den verstört jeder Wandel. Was du bewunderst, das gibst du Ungern nur auf. Vermeide den Prunk: Unter ärmlichem Dache Lebt es sich besser oft als bei Königen und deren Freunden.

EPISTULAE · LIBER I

cervus equum pugna melior communibus herbis pellebat, donee minor in certamine longo inploravit opes hominis frenumque recepit. sed postquam victor violens discessit ab hoste, non equitem dorso, non frenum depulit ore. sic, qui pauperiem veritus potiore metallis libertate caret, dominum vehet inprobus atque serviet aeternum, quia parvo nesciet uti. cui non conveniet sua res, ut calceus olim, si pede maior erit, subvertet, si minor, uret. laetus sorte tua vives sapienter, Aristi, nec me dimittes incastigatum, ubi plura cogere quam satis est ac non cessare videbor. imperat aut servit collecta pecunia cuique, tortum digna sequi potius quam ducere funem. haec tibi dictabam post fanum putre Vacunae, excepto quod non simul esses, cetera laetus.

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BRIEFE • ERSTES B U C H

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Stärker im Kampf als das Pferd war der Hirsch: von gemeinsamer Weide Scheuchte er's, bis es - besiegt nach endlosem Streit - eines Menschen Hilfe erflehte und sich gefallen ließ Zaumzeug und Zügel. Aber nachdem es als streitbarer Sieger dem Gegner entronnen, Sitzt auf dem Rücken der Reiter, und im Maul hat's die Trense. So muß die goldwerte Freiheit entbehren, wer Armut befürchtet, Muß seinen Herrn im Wagen ziehen und ewig ihm dienen, Weil er es nicht versteht, mit wenigem sich zu begnügen. Wem seine Lage mißfällt, dem geht es wie mit dem Schuhwerk: Ist es zu weit, kann man stolpern, ist es zu eng, wird es drücken. Mit deinem Lose zufrieden, wirst weise du leben, Aristius. Laß auch du mich bitte nicht ohne Mahnung, sobald es Scheint, als häufte ich rastlos mehr, als ich eigentlich brauche. Herr oder dienstbar kann sein das erworbene Geld dem Erwerber, Würdig soll es ihm dienen, statt dreist ihn lenken zu wollen. Dies diktiert' ich für dich am verfallenen Tempel Vacunas. Du nur fehlst mir, ansonsten bin ich zufrieden und heiter.

EPISTULAE · L I B E R I

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Q u i d tibi visa C h i o s , Bullati, notaque Lesbos, quid concinna Samos, quid Croesi regia Sardis, Z m y r n a quid et C o l o p h o n , maiora minorane fama? cunctane prae campo et Tiberino ilumine sordent? an venit in votum Attalicis ex urbibus una? an L e b e d u m laudas odio maris atque viarum? 'seis, Lebedus quid sit: Gabiis desertior atque Fidenis vicus; tamen illic vivere vellem oblitusque meorum, obliviscendus et illis, N e p t u n u m procul e terra spectare furentem.' sed ñeque qui Capua R o m a m petit, imbre lutoque adspersus volet in caupona vivere; nec qui frigus collegit, furnos et balnea laudat ut fortunatam piene praestantia vitam; nec si te validus iactaverit Auster in alto, idcirco navem trans Aegaeum mare vendas, incolumi R h o d o s et Mytilene pulchra facit quod paenula solstitio, campestre nivalibus auris, per brumam Tiberis, Sextili mense caminus. dum licet ac voltum servat Fortuna benignum, R o m a e laudetur Samos et C h i o s et R h o d o s absens. tu quameumque deus tibi fortunaverit horam grata sume manu neu dulcía differ in annum, ut quocumque loco fueris, vixisse libenter te dicas: nam si ratio et prudentia curas, non locus effusi late maris arbiter aufert, caelum, non animum mutant, qui trans mare currunt. strenua nos exercet inertia: navibus atque quadrigis petimus bene vivere, quod petis, hie est, est Ulubris, animus si te non deficit aequus.

II

B R I E F E · ERSTES B U C H

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II

An Bullatius Wie gefiel dir denn Chios, Bullatius, und das berühmte Lesbos, das reizende Samos, des Krösus Königsstadt Sardes, Smyrna und Kolophon? Wuchs ihr strahlender Ruhm oder schwand er? Blaßt ihrer aller Bild vor dem Marsfeld und vor dem Tiber? Oder ward eine der Attalos-Städte zum Ziel deiner Wünsche? Oder lobst du dir Lebedos - müde des Meers und der Straßen? Lebedos kennst du ja gut: noch einsamer ist dieses Dörfchen Als Fidenae und Gabii. Dennoch möcht' ich dort leben, Meine Freunde vergessend, vergessen bald auch von ihnen, Und vom Land aus betrachten, wie in der Ferne Neptun rast. Keiner, der reist von Capua nach Rom und vom Regen durchfeuchtet Gar vom Kot auch bespritzt wird, will darum schon leben im Wirtshaus; Keiner rühmt, wie durchfroren auch, Öfen und Bäder, als ob sie Schon das glückliche Leben in ganzer Fülle verbürgten. Ebenso wenig wirst du, hat dich ein heftiger Südwind Auf der Aegaeis geschüttelt, nur deshalb dein Schiff schon verkaufen. Wenn's einem gut geht, sind Mytilene und Rhodos so wertvoll Wie ein Mantel im Juli, ein Lendenschurz bei einem Schneesturm, Wie ein Schwimmbad im eisigen Tiber, ein Ofen im Sommer! Wem Fortuna gütig gewährend lächelt, der mag wohl Preisen in Rom das ferne Samos und Chios und Rhodos. Alles, was Gott dir schenken mag an beglückenden Stunden, Nimm es mit dankbarer Hand, verschieb übers Jahr nicht das Schöne Daß du, wo immer du lebst, dir sagen kannst einst: »Ja, ich habe Gerne gelebt.« Wenn Vernunft und Klugheit die Sorgen beseitigt, Nicht jener Ort mit dem Fernblick über die Küsten, so weiß man: Wer übers Meer fährt, wechselt das Klima, doch nimmer sein Wesen. Rastloses Nichtstun treibt uns: Wir suchen das glückliche Leben Auf unser'n Schiffen, im Viergespann. - Hier aber ist, was dir vorschwebt, Hier in Ulubrae, wenn's nur an Gleichmut niemals dir mangelt.

EPISTULAE · L I B E R I

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Fructibus Agrippae Siculis, quos colligis, Icci, si recte frueris, non est ut copia maior ab l o v e donari possit tibi, tolle querellas; pauper enim non est, cui rerum suppetit usus, si ventri bene, si lateri est pedibusque tuis, nil divitiae poterunt regales addere maius. si forte in medio positorum abstemius herbis vivis et urtica, sic vives protinus, ut te confestim liquidus Fortunae rivus inauret, vel quia naturam mutare pecunia nescit, vel quia cuncta putas una virtute minora. miramur, si D e m o c r i t i pecus edit agellos cultaque, dum peregre est animus sine corpore velox, cum tu inter scabiem tantam et contagia lucri nil parvum sapias et adhuc sublimia cures: quae mare conpescant causae, quid temperet annum, stellae sponte sua iussaene vagentur et errent, quid premat obscurum lunae, quid proférât orbem, quid velit et possit rerum concordia discors, Empedocles an Stertinium deliret acumen. verum seu piscis seu porrum et caepe trucidas, utere Pompeio G r o s p h o et, siquid petet, ultro defer: nil Grosphus nisi verum orabit et aequum. vilis amicorum est annona, bonis ubi quid dest. ne tamen ignores, q u o sit R o m a n a loco res: Cantaber Agrippae, Claudi virtute Neronis Armenius cecidit; ius imperiumque Phraates Caesaris accepit genibus minor; aurea fruges Italiae pleno defudit C o p i a cornu.

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12 An Iccius Wenn in Sizilien, Iccius, du des Agrippa Erträge Einziehst und rechten G e b r a u c h davon machst: Selbst Jupiter kann dir Keinen größeren Reichtum schenken. D r u m laß deine Klagen: Lebt doch niemand in A r m u t , der zum L e b e n genug hat! Sind dein Magen, die Lunge, die Füße in O r d n u n g , so können Keines Königs Schätze noch irgend etwas dazutun. Lebst du trotz allem, was sich dir bietet, genügsam von Kräutern U n d von Nesseln, wirst du auch weiter so leben, selbst wenn die Fluten Fortunas dich plötzlich mit reinem G o l d überschütten Sei's, weil das Geld dein Wesen niemals zu wandeln vermöchte, Sei's, weil du weißt, daß alles geringeren Wert hat als - Tugend. Sollen wir staunen, wie das Vieh D e m o k r i t s seine Felder Kahl fraß, während sein rascher Geist dem K ö r p e r entschwebte, D a doch auch du inmitten der wachsenden Seuche Gewinnsucht Nichts an Niederem kennst und immer noch H o h e s im Sinn hast? Welche U r k r a f t bändigt das M e e r ? Was ordnet den Jahrlauf? Kreisen die Sterne von selber oder auf höheren Ratschluß? Was verdunkelt den M o n d , was bringt ihn wieder zum Leuchten? Einklang im Widerstreit aller Dinge: was will, was vermag er? Irrt sich Empedokles oder Stertinius mit all seinem Scharfsinn? O b du nun Fisch oder Schnittlauch und Zwiebeln zum Mahl dir zerK ü m m ' r e dich um Pompejus Grosphus! W ü n s c h t er sich etwas,

[stückelst -

K o m m ihm zuvor! N u r um Maßvolles, Rechtes bittet ja Grosphus. Leicht zu erringen ist Freundschaft, hilft man bedürftigen Guten. Laß dir berichten noch, wie es jetzt steht um das römische Weltreich: Die Cantabrer besiegte Agrippa, und Claudius N e r o s Streitmacht Armenien; Caesars Recht und G e b o t unterwarf sich Kniefällig auch Phraates; aus ihrem Füllhorn ergießt jetzt U b e r Italien all ihre Früchte die G ö t t i n der Fülle.

EPISTULAE · L I B E R I

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U t proficiscentem docui te saepe diuque, Augusto reddes signata volumina, Vinni, si validus, si laetus erit, si denique poscet; ne studio nostri pecces odiumque libellis sedulus inportes opera vehemente minister, si te forte meae gravis uret sarcina chartae, abicito potius, quam quo perferre iuberis clitellas ferus inpingas Asinaeque paternum c o g n o m e n vertas in risum et fabula fias, viribus uteris per clivos ilumina lamas. victor propositi simul ac perveneris illuc, sic positum servabis onus, ne forte sub ala fasciculum portes librorum, ut rusticus agnum, ut vinosa glomus furtivae Pirria lanae, ut cum pilleolo soleas conviva tribulis. neu volgo narres te sudavisse ferendo carmina quae possint oculos aurisque morari Caesaris. oratus multa prece nitere porro; vade, vale; cave ne titubes mandataque frangas.

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13 A n Vinnius Asina Vinnius, wie ich beim A u f b r u c h dir oft und lange erklärte: Uberreich dem Augustus nur dann die versiegelten Schriften, Wenn er sich wohlfühlt, bei Laune ist oder sogar darum bittet! D a ß du mir ja nicht durch Übereifer ihn gegen die Bücher Aufbringst - als allzu leidenschaftlich-geschäftiger Helfer! Sollte dich aber die schwere Last meiner Werke bedrücken, Wirf sie doch lieber gleich fort, statt erst am gebotenen Ziele Hinzuschmeißen den Packen und so den N a m e n des Vaters, Asina, »Eselin«, preiszugeben dem Stadtklatsch, den Spöttern! Brauch deine Kräfte besser bei Hügeln, Flüssen und Sümpfen! Bist du schließlich wohlbehalten am Ziel angekommen, H ü t e sorgsam die Fracht und trag mir nicht etwa das Bündel Bücher unter dem A r m wie jeder Bauer sein L ä m m c h e n , Wie die trunkene Pirria ihr Knäuel gestohlener Wolle, Wie ein D ö r f l e r beim Gastmahl: in Händen Sandalen und Käppchen! Bitte erzähl' auch nicht aller Welt, mit äußerster M ü h e Habest du Verse gebracht, die die Augen und O h r e n des Kaisers Fesseln k ö n n t e n ! - So viele Bitten! D o c h nun reise glücklich, N i m m dich in acht und bewahre die Sendung vor ernsthaftem Schaden!

EPISTULAE ' LIBER I

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Vilice silvarum et mihi me reddentis agelli, quem tu fastidis, habitatum quinqué focis et quinqué bonos solitum Variam dimittere patres, certemus, spinas animone ego fortius an tu evellas agro, et melior sit Horatius an res. me quamvis Lamiae pietas et cura moratur fratrem maerentis, rapto de fratre dolentis insolabiliter, tamen istuc mens animusque fert et avet spatiis obstantia rumpere claustra, rure ego viventem, tu dicis in urbe beatum: cui placet alterius, sua nimirum est odio sors, stultus uterque locum inmeritum causatur inique: in culpa est animus, qui se non effugit umquam. tu mediastinus tacita prece rura petebas, nunc urbem et ludos et balnea vilicus optas: me constare mihi seis et discedere tristem, quandocumque trahunt invisa negotia R o m a m . non eadem miramur; eo disconvenit inter meque et te; nam quae deserta et inhóspita tesqua credis, amoena vocat mecum qui sentit, et odit quae tu pulchra putas, fornix tibi et uñeta popina incutiunt urbis desiderium, video, et quod angulus iste feret piper et tus ocius uva nec vicina subest vinum praebere taberna quae possit tibi, nec meretrix tibicina, cuius ad strepitum salias terrae gravis; et tamen urges iampridem non tacta ligonibus arva bovemque disiunctum curas et strictis frondibus expies; addit opus pigro rivus, si decidit imber, multa mole docendus aprico parcere prato. nunc age quid nostrum concentum dividat audi, quem tenues decuere togae nitidique capilli, quem seis inmunem Cinarae placuisse rapaci,

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BRIEFE · ERSTES BUCH

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M A n den Gutsverwalter Landgut und Wälder, w o ich mein Selbst wiederfinde, betreust du, Wenn auch nur ungern: fünf häusliche Herde und fünf gute Väter, Die ihre Waren gewöhnlich zum Markt nach Varia bringen. Wer aber rodet besser die Dornen, ich aus dem Kopfe, D u aus dem Acker: siegt da Horatius oder das Landgut? Mitleid und Sorge um meinen Lamia halten in R o m mich, Trauert er doch um den Bruder, untröstlich in bitterem K u m m e r U m den Entriss'nen. Gleichwohl drängen mein Geist, meine Seele Wieder zu euch und möchten der drückenden Enge entweichen. Mich beglückt das ländliche, dich nur das städtische Leben. Wer nach dem L o s des anderen schielt, mißachtet das eig'ne; Töricht, zu Unrecht beschuldigen beide den schuldlosen Wohnort: Schuld trägt der eigene Geist, der nie noch sich selber entflohen. Vordem als Hausknecht galt deine Sehnsucht dem Dienst auf dem Lande, Jetzt als Verwalter zieht's in die Stadt dich, zu Spielen und Bädern. Ich blieb mir treu, wie du weißt; betrübt nur zieh' ich von dannen, Wenn mich nach R o m verschleppen die ungeliebten Geschäfte. Nicht das Gleiche lieben wir ja, und daher der Zwiespalt Zwischen uns beiden: was du als unwirtlich-einsame Wildnis Ansiehst, nennt lieblich, wer so wie ich fühlt, und ablehnen wird er, Was du für schön hältst; dich reizt ein Bordell, eine schmierige Kneipe, Weckt deine Sehnsucht nach R o m , ich seh's wohl, und daß dieser Winkel Eher noch Pfeffer und Weihrauch hervorbringt als Trauben, das stört dich, U n d es fehlt dir die nahe Taverne, die dir den Weintrunk Bieten könnte, ja auch ein Flötenmädchen, nach dessen Tönen du kraftvoll stampfen könntest den Boden. Statt dessen Schaffst du auf lang nicht gehackten Feldern, sorgst für den Ochsen, Spannst ihn aus und füllst ihm den Bauch mit baumfrischen Blättern; Arbeit macht auch der Bach dem Faulpelz nach einem Regen: Starker D a m m soll ihn lehren, die sonnige Wiese zu schonen. Laß dir nun ganz genau sagen, was unserm Einklang im Weg steht: Einst trug ich feine Kleider und hielt auf gefällige Haartracht, Einst gefiel ich auch ohne Präsent der verwöhnten Kinara,

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EPISTULAE ' LIBER I

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quem bibulum liquidi media de luce Falerni, cena brevis iuvat et p r o p e rivum somnus in herba;

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nec lusisse pudet, sed non incidere ludum. non istic obliquo oculo mea c o m m o d a quisquam limat, non odio obscuro morsuque venenat: rident vicini glaebas et saxa moventem. cum servis urbana diaria rodere mavis, h o r u m tu in numerum v o t o ruis: invidet usum lignorum et pecoris tibi calo argutus et horti. optât ephippia bos piger, optat arare caballus: quam seit uterque, libens, censebo, exerceat artem.

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Einstmals schlürft' ich schon mitten am Tage den klaren Falerner, J e t z t erfreut mich ein Imbiß, ein Schlummer im Grase am Bachrand. Spielen ist ja nichts Schlimmes; schlimm war's, ihm ganz zu verfallen. Keiner schmälert dort draußen mit neidischem A u g ' meine Freuden, Keiner vergiftet sie mir mit dem B i ß seines heimlichen Hasses; Lächelnd sehen die N a c h b a r n mich Schollen und Steine bewegen. D u ziehst es vor, mit Sklaven an kärglicher Stadtkost zu nagen, Sehnst dich in ihren Kreis. D e r Stallknecht aber, der schlaue, Neidet dir Nutzung von H o l z und Vieh und Früchten des Gartens. Zaumzeug wünscht sich verdrossen der Ochse, das Pferd wünscht zu Ich meine, jeder soll freudig sein eigenes H a n d w e r k betreiben!

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EPISTULAE · L I B E R I

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Q u a e sit hiems Veliae, quod caelum, Vaia, Salerni, quorum hominum regio et qualis via - nam mihi Baias Musa supervacuas Antonius, et tarnen illis me facit invisum, gelida cum perluor unda per medium frigus. sane murteta relinqui dictaque cessantem nervis elidere m o r b u m sulpura contemni vicus gemit, invidus aegris qui caput et stomachum supponere fontibus audent Clusinis Gabiosque petunt et frigida rura. mutandus locus est et deversoria nota praeteragendus equus. 'quo tendis? non mihi Cumas est iter aut Baias' laeva stomachosus habena dicet eques; sed equi frenato est auris in ore. maior utrum populum frumenti copia pascat, collectosne bibant imbris puteosne perennis iugis aquae - nam vina nihil m o r o r illius orae. rure meo possum quidvis perferre patique: ad mare cum veni, generosum et lene requiro, quod curas abigat, quod cum spe divite manet in venas animumque meum, quod verba ministret, quod me Lucanae iuvenem commendet amicae - ; tractus uter pluris lepores, uter educet apros; utra magis piscis et echinos aequora celent, pinguis ut inde d o m u m possim Phaeaxque revertí, scribere te nobis, tibi nos adcredere par est. Maenius, ut rebus maternis atque paternis fortiter absumptis urbanus coepit haberi, scurra vagus, non qui certum praesepe teneret, inpransus non qui civem dignosceret hoste, quaelibet in quemvis opprobria fingere saevus, pernicies et tempestas barathrumque macelli, quidquid quaesierat ventri donabat avaro, hic ubi nequitiae fautoribus et timidis nil

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15 An Numonius Vaia Wie ist der Winter in Velia und wie in Salerno das Klima, Wie sind die Menschen dort, Vaia, und wie ist der Zustand der Straßen? Baiae verbot mir Antonius Musa - er macht mich bei diesen Leuten unmöglich! - jetzt werd' ich mitten im Winter mit kalten Güssen behandelt. Natürlich seufzt Baiae über die leeren Myrtenhaine und daß man die Schwefelbäder geringschätzt Die, wie es heißt, selbst zäheste Krankheit vertreiben; den Kranken Grollt man, die dreist ihren Kopf und Leib den Quellen von Clusium Anvertrauen, nach Gabii reisen, in kühle Gefilde. Ändern muß ich mein Ziel, vorübertreiben mein Reittier An den gewohnten Tavernen. »Was zerrst du? Weder nach Cumae Geht's noch nach Baiae!« so ruft verdrießlich der Reiter und zieht den Zügel nach links: hört das Pferd doch nur mit der Trense im Maule. Welche der beiden Städte ernährt ihre Menschen am besten? Trinkt man dort Wasser nur aus Zisternen oder auch frisches Quellwasser? Nach den Weinen dort will ich gar nicht erst fragen: Auf meinem Landgut bin ich mit jeder Sorte zufrieden, Komm' ich aber ans Meer, da will ich ihn edel und milde, Daß er die Sorgen vertreibe, daß er mit mächtiger Hoffnung Adern und Geist mir durchströme, neue Worte mir schenke, Und mich, aufs Schönste verjüngt, der lukanischen Freundin empfehle. Schreib mir auch, welche Gegend mehr Hasen, mehr Eber hervorbringt, Welche Meerestiefen mehr Fische und Seeigel bergen, Daß ich wohlgenährt komme nach Haus, ein rechter Phäake! All das mußt du mir schreiben, und alles werd' ich dir glauben. Maenius hatte sein mütterlich und sein väterlich Erbe Wacker verpraßt und begann nun, den geistreichen Frechdachs zu spielen, Hielt sich, ein unsteter Geck, an keine ständige Krippe, Schied, wenn der Magen ihm knurrte, nicht zwischen Bürgern und Fremden, Wild darauf, jedermann nachzusagen die schmählichsten Dinge. Unheilbringer, Vertilger, gefräßiger Schlund auf dem Fleischmarkt, Gab seinem gierigen Bauch er alles, was der grad begehrte. Hatte der Nichtsnutz bei Gönnern oder bei Angsthasen gar nichts

EPISTULAE · LIBER I

aut paulum abstulerat, patinas cenabat omasi vilis et agninae - tribus ursis quod satis esset - , scilicet ut ventres lamna candente nepotum diceret urendos correctus Bestius. idem, quidquid erat nactus praedae maioris, ubi omne verterat in fumum et cinerem: 'non hercule miror,' aiebat, 'siqui comedunt bona, cum sit obeso nil melius turdo, nil volva pulchrius ampia.' nimirum hie ego sum; nam tuta et parvola laudo, cum res deficiunt, satis inter vilia fortis; verum ubi quid melius contingit et unetius, idem vos sapere et solos aio bene vivere, quorum conspicitur nitidis fundata pecunia villis.

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O d e r nur wenig b e k o m m e n , verschlang er Rinderkaidaunen Schüsselweise und billiges Lammfleisch, genug für drei Bären Wohlgemerkt, um dann zu fordern, man müsse die Bäuche der Schlemmer Sengen mit glühendem Eisen - sieh da, ein Gefolgsmann des Bestius! Hatte er aber doch einmal reichere Beute ergattert, Die ihm zu Rauch und Asche zerronnen, so sprach er: »Wen wundert's, D a ß so viele den Reichtum verprassen; gibt es denn Bess'res Als ein Bauchstück v o m Schwein, als eine gemästete Drossel?« Ähnlich geht es auch mir: Ich preise das Sich're, Bescheid'ne. Wenn mir's an Geld fehlt, begnüg' ich mich tapfer mit einfacher Nahrung, G i b t es aber was Feineres, lecker bereitet, so sag' ich: Ihr nur, so scheint mir, versteht es, richtig zu leben; man sieht's ja An den stattlichen Villen, die euer Geld euch bescherte.

EPISTULAE · L I B E R I

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N e perconteris, fundus meus, optime Quincti, arvo pascat erum an bacis opulentet olivae, pomisne an pratis an amicta vitibus ulmo, scribetur tibi forma loquaciter et situs agri. continui montes si dissocientur opaca valle, sed ut veniens dextrum latus adspiciat sol, laevum discedens curru fugiente vaporet, temperiem laudes, quid si rubicunda benigni corna vepres et pruna ferant? si quercus et ilex multa fruge pecus, multa dominum iuvet umbra? dicas adductum propius frondere Tarentum. fons etiam rivo dare n o m e n idoneus, ut nec frigidior Thraecam nec purior ambiat Hebrus, infirmo capiti fluit utilis, utilis alvo, hae latebrae dulces et, iam si credis, amoenae incolumen tibi me praestant septembribus horis. tu recte vivis, si curas esse quod audis. iactamus iam pridem omnis te R o m a beatum; sed vereor, ne cui de te plus quam tibi credas neve putes alium sapiente b o n o q u e beatum neu, si te populus sanum recteque valentem dictitet, occultam febrem sub tempus edendi dissimules, donee manibus tremor incidat unctis. stultorum incurata pudor malus ulcera celat. siquis bella tibi terra pugnata marique dicat et his verbis vacuas permulceat auris: 'tene magis salvum populus velit an populum tu, servet in ambiguo qui consulit et tibi et urbi Iuppiter', Augusti laudes agnoscere possis: cum pateris sapiens emendatusque vocari, respondesne tuo, die sodes, nomine? 'nempe vir bonus et prudens dici delector ego ac tu.' qui dedit hoc hodie, eras, si volet, auferet, ut, si

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16 An Quinctius Liebster Quinctius, daß du nicht fragen mußt, ob denn mein Grundstück Mit seinem Acker den Herrn wohl ernährt, durch Oliven ihn reich macht Oder durch Obstbäume, Wiesen und Ulmen umrankende Reben, Sei dir beredsam geschildert Gestalt und Lage des Gutes. Lange Höhenzüge, geschieden durch schattige Täler, Siehst du, wo morgens die Sonne schaut auf den Berghang zur Rechten, Scheidend aber läßt sie zur Linken den Abenddunst steigen Loben wirst du dies Klima. Was aber sagst du, wenn Sträucher Rote Kirschen und Pflaumen tragen, Eiche und Ilex Früchte spenden für's Vieh und Schatten, dem Gutsherrn zur Freude? Sagst vielleicht, hier scheint das grüne Tarent dir nähergerückt schon. Reich genug auch die Quelle, dem Bach ihren Namen zu geben Kühler nicht, reiner nicht fließt durch Thrakiens Gefilde der Hebros - : Kopfweh spült sie dir fort, tut gut auch verdorbenem Magen. Glaub mir nur, diese süße, liebliche Stätte der Zuflucht Hält mich gesund und frisch, sogar noch im schwülen September. Richtig lebst du, wenn du versuchst, deinem Ruf zu entsprechen: Lange schon preisen wir dich - wie ganz Rom - als glücklichen Menschen, Aber ich fürchte, du glaubst manch anderen mehr als dir selber, Hältst gar and're für glücklich als eben die Guten und Weisen. Wenn man ständig Gesundheit und Wohlbefinden dir nachsagt, Wirst du womöglich zur Tischzeit ein heimliches Fieber verschweigen, Bis dann ein Zittern befällt die vom Bratensaft fettigen Hände. Törichte Scham verbirgt allzu oft ein noch heilbares Leiden. Spräche einer zu dir von Kriegen zu Land und zu Wasser, Etwa, sanft in dein O h r sich schmeichelnd, mit folgenden Worten: »Wünscht vielleicht dir das Volk mehr Segen als du deinem Volke? Das bewahre im Dunkel, der dich beschützt und die Stadt hier, Jupiter« - gleich würdest du das Lob auf Augustus erkennen. Duldest du's aber, als klug und untadlig bezeichnet zu werden: Sag mir, hast du dann wirklich Anspruch darauf? »Selbstverständlich Freute mich's, wie ja auch dich, als klug und ehrbar zu gelten.« Was das Volk heute dir gibt, kann's morgen wieder dir nehmen,

EPISTULAE • LIBER I detulerit fasces indigno, detrahet idem. 'pone, meum est', inquit: p o n o tristisque recedo. idem si clamet furem, neget esse pudicum, contendat laqueo Collum pressisse paternum, mordear opprobriis falsis mutemque colores? falsus honor iuvat et mendax infamia terret quem nisi mendosum et medicandum? vir bonus est quis? 'qui consulta patrum, qui leges iuraque servat, quo multae magnaeque secantur iudice lites, quo res sponsore et quo causae teste tenentur.' sed videt hunc omnis domus et vicinia tota introrsum turpem, speciosum pelle decora, 'nec f u r t u m feci nec fugi' si mihi dicit servus, 'habes pretium, loris non ureris,' aio. ' n o n hominem occidi.' 'non pasees in cruce corvos.' 'sum bonus et frugi.' renuit negitatque Sabellus. cautus enim metuit foveam lupus accipiterque suspectos laqueos et o p e r t u m miluus hamum: oderunt peccare boni virtutis amore, tu nihil admittes in te formidine poenae: sit spes fallendi, miscebis sacra profanis. nam de mille fabae modiis cum surripis u n u m , d a m n u m est, non facinus mihi pacto lenius isto. Vir bonus, omne f o r u m quem spectat et omne tribunal, q u a n d o c u m q u e deos vel porco vel bove placat, 'lane pater' clare, clare cum dixit 'Apollo', labra movet metuens audiri: 'pulchra Laverna, da mihi fallere, da iusto sanctoque videri, noctem peccatis et fraudibus obice nubem.' qui melior servo, qui liberior sit avaras, in triviis fixum cum se demittit ob assem, n o n video, nam qui cupiet, metuet quoque; porro qui metuens vivet, liber mihi non erit u m q u a m . perdidit arma, locum virtutis deseruit, qui semper in augenda festinat et obruitur re. 'vendere cum possis captivum, occidere noli:

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Wie es ja auch einem N i c h t s n u t z die Amtsgewalt gleich wieder abnimmt: »Mein ist's, leg's nieder«, so spricht es; ich füge mich traurig und gehe. Wenn einer » D i e b « mir nachschreit oder die Ehre mir abspricht, Glatt behauptet, ich hätt' meinen eigenen Vater erdrosselt, Soll ich, gekränkt von dem falschen Vorwurf, erblassen, erröten? Wen erfreut falsche Ehre, wen schreckt erlogene Schande? Fehlerbehaftete, Bess'rungsbedürftige! - Wer ist der Gute? »Wer die Satzung der Väter, wer Recht und Gesetz immer hochhält, Wer als Richter manch großen Streitfall entscheidet, als Bürge Eigentum rettet, als Zeuge auch hilft, den P r o z e ß zu gewinnen.« So einen aber kennt jedes Haus und kennt jeder N a c h b a r Als zuinnerst verdorb'nen Charakter, nur äußerlich blendend. »Niemals stahl ich noch lief ich davon!« Sagt dies mir ein Sklave, Ist meine Antwort: »Dafür verschont dich die Peitsche.« - »Auch keinen Menschen erschlug ich!« - » D r u m wirst du kein Rabenfutter am Kreuze.« »Bin doch ehrlich und brav!« D o c h wieder winkt ab der Sabeller. Vorsichtig meidet der Wolf die G r u b e , meidet der Falke Schlingen verdächtiger Art, der Raubfisch verborgene Angel. G u t e hassen die Sünde aus echter Liebe zur Tugend, D u begehst keine Sünde aus bloßer F u r c h t vor der Strafe, U n e n t d e c k t möchtest du Heiliges und Gemeines vermengen. Stiehlst du von tausend Scheffeln B o h n e n lediglich einen, Ist der Schaden für mich zwar geringer, doch nicht dein Vergehen. Manch einer, hoch geachtet im F o r u m und im Gerichtshof, Sucht die G ö t t e r mit einem Schwein oder Rind zu versöhnen U n d ruft laut: »Vater J a n u s ! « oder noch lauter »Apollon!« Flüstert dann aber ganz leise, daß niemand es höre: »Laverna, Holde, leih mir den Anschein des F r o m m e n und des Gerechten, Hülle in N a c h t meine Sünden, und meine Schliche in N e b e l ! « N i c h t seh' ich ein, daß ein Geizhals besser oder gar freier Sei als ein Sklave, wenn er am Kreuzweg sich bückt wegen eines As, der im Schmutz dort liegt. Wer begehrt, wird auch fürchten, und weiter: Wer in der F u r c h t lebt, ist für mich nie und nimmer ein Freier. Waffenlos ist, wer das Lager der Tugend im Stich ließ, wer immer Jagt nach größerem R e i c h t u m und geht daran schließlich zugrunde. Ist der Gefang'ne verkäuflich, solltest du ihn nicht erschlagen.

EPISTULAE • LIBER I

serviet utiliter; sine pascat durus aretque, naviget ac mediis hiemet mercator in undis, annonae prosit, portet frumenta penusque.' vir bonus et sapiens audebit dicere: 'Pentheu, rector Thebarum, quid me perferre patique indignum coges?' 'adirnara bona.' 'nempe pecus, lectos, argentum: tollas licet.' 'in manicis et compedibus saevo te sub custode tenebo.' 'ipse deus, simulatque volam, me solvet.' opinor, hoc sentit 'moriar'. mors ultima linea rerum est.

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»Dienen kann er, falls kräftig genug, als Hirt und beim Pflügen, Kann auch als Händler die stürmische See und den Winter bestehen, Kann der Versorgung nützen, Getreide und Nahrung befördern. Aber der Gute und Weise, der wagt es, zu sagen: »O Pentheus, Herrscher von Theben, was für Schändlichkeit wirst du mich zwingen Noch zu erleiden?« - »Ich nehm' deine Habe.« - »Also Vermögen, Vieh und Hausrat und Silber - das nimm nur!« - »Ich werf dich, in Fesseln Hände und Füße, in ein Verlies mit grausamem Wächter.« »Selber wird mich befreien der Gott, wenn ich's wünsche.« - Das heißt doch: »Sterben werd' ich.« - Der Tod ist das letzte Ziel aller Dinge.

EPISTULAE ' LIBER I

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Q u a m v i s , Scaeva, satis per te tibi consulis et seis, q u o tandem pacto deceat maioribus uti, disce, docendus adhuc quae censet amiculus, ut si caecus iter monstrare velit; tamen adspice, siquid et nos, quod cures proprium fecisse, loquamur. si te grata quies et primam somnus in horam delectat, si te pulvis strepitusque rotarum, si laedit caupona, Ferentinum ire iubebo; nam neque divitibus contingunt gaudia solis nec vixit male, qui natus moriensque fefellit: si prodesse tuis pauloque benignius ipsum te tractare voles, accedes siccus ad unctum. 'si pranderet holus patienter, regibus uti nollet Aristippus.' 'si sciret regibus uti, fastidiret holus, qui me notât.' utrius horum verba probes et facta, doce, vel iunior audi, cur sit Aristippi potior sententia. namque mordacem Cynicum sic eludebat, ut aiunt: 'scurror ego ipse mihi, populo tu; rectius hoc et splendidius multo est. equos ut me portet, alat rex, officium fació: tu poscis vilia - verum es dante minor, quamvis fers te nullius egentem.' omnis Aristippum decuit color et status et res, temptantem maiora, fere praesentibus aequum. contra, quem duplici panno patientia velat, mirabor, vitae via si conversa decebit. alter purpureum non exspectabit amictum, quidlibet indutus celeberrima per loca vadet personamque feret non inconcinnus utramque; alter Mileti textam cane peius et angui vitabit chlanidem, morietur frigore, si non rettuleris pannum. refer et sine vivat ineptus.

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17 An Scaeva Du gehst genügend zu Rate mit dir, mein Scaeva, und weißt auch, Wie man den Umgang mit Mächtigen schicklich und würdig gestaltet, Hör aber, was dein bescheidener Freund dir rät! Wie ein Blinder Sucht er zwar nur den Weg dir zu zeigen. Trotzdem bedenke, O b meine Worte dir womöglich von Nutzen sein können. Sollen dich Ruhe und Schlaf bis zur ersten Stunde erquicken, Sind dir Staub und Wagengerassel zuwider und magst du Nie ein Wirtshaus betreten, so wähl Ferentinum als Wohnsitz. Nicht allein nur den Reichen werden zuteil alle Freuden, Freuden gibt's auch für den, der unbemerkt lebt und dahingeht. Wünschst du den Deinen und dir ein etwas besseres Leben, Mußt du - arm, wie du bist - einen Reichen als Freund dir gewinnen. »Würd' Aristippos zum Frühstück geduldig sein Kohlgericht kauen, Brauchte er keiner Könige Freundschaft.« - »Würde mein Tadler Freundschaft mit Königen pflegen, dürfte den Kohl er verschmähen.« Sprich, wessen Reden und Tun sagt dir zu? - Oder hör als der Jüng're, Warum das Wort Aristipps den Vorzug verdient! Er hat's dem Bissigen Kyniker, heißt es, auf folgende Weise gegeben: »Ich halt' mich selber zum besten, du aber das Volk. Mein Verhalten Ist doch viel klarer und würdiger: darum nur leiste ich Dienste, Daß mich ein Pferd trägt, ein König mich nähre. Du willst nur wenig Kriechst vor dem Geber - und tust doch stets, als brauchtest du niemand.« Außeres, Stellung, Besitz, Aristippos schmückte dies alles, Höheres reizte ihn wohl, doch schickt' er sich auch ins Gegeb'ne. Anders, wer sich asketisch in doppelte Tuchfetzen einhüllt: Wissen möcht' ich, ob der sich fügt' einer Wende im Leben. Purpur zu tragen nähme Aristippos niemals in Anspruch; Jedes Gewand ist ihm recht, sogar auf belebtesten Plätzen, Kann er doch eine Rolle so gut wie die andere spielen. Jener wird die milesische Chlamys wie Schlangen und Hunde Scheuen, wird sterben vor Kälte, gibst du ihm nicht seine Fetzen Wieder. Auch ohne sie bleibt er ein Narr, so gib sie ihm ruhig!

EPISTULAE · LIBER I

res gerere et captos ostendere civibus hostis attingit solium Iovis et caelestia temptat: principibus placuisse viris non ultima laus est. 'non cuivis homini contingit adire Corinthum.' sedit qui timuit, ne non succederet. 'esto, quid? qui pervenit, fecitne viriliter?' atqui hie est aut nusquam, quod quaerimus. hie onus horret, ut parvis animis et parvo corpore maius, hic subit et perfert. aut virtus nomen inane est, aut decus et pretium recte petit experiens vir. coram rege suo de paupertate tacentes plus poscente ferent - distat, sumasne pudenter an rapias - : atqui rerum caput hoc erat, hic fons. 'indotata mihi soror est, paupercula mater et fundus nec vendibilis nec pascere firmus' qui dicit, clamai: 'victum date.' succinit alter: 'et mihi.' dividuo findetur muñere quadra, sed tacitus pasci si posset corvus, haberet plus dapis et rixae multo minus invidiaeque. Brundisium comes aut Surrentum ductus amoenum qui queritur salebras et acerbum frigus et imbris aut cistam effractam et subducta viatica plorat, nota refert meretricis acumina, saepe catellam, saepe periscelidem raptam sibi flentis, uti mox nulla fides damnis verisque doloribus adsit. nec semel inrisus triviis attollere curat fracto crure planum, licet illi plurima manet lacrima, per sanctum iuratus dicat Osirim: 'crédité, non ludo; crudeles, tollite claudum': 'quaere peregrinum' vicinia rauca reclamat.

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BRIEFE • ERSTES BUCH

Taten vollbringen, gefangene Feinde glorreich den Bürgern Zeigen: das reicht an Jupiters Thron, das greift nach den Sternen. Herrschern auch zu gefallen, ist nicht die geringste der Ehren. »Nicht einem jedem ist es vergönnt, nach Korinth zu gelangen.« D a r u m bleibt lieber zu H a u s , wer den Mißerfolg fürchtet. » N u n , soll er! Wenn's aber einem gelingt, ist das keine mannhafte Leistung?« Hier oder nirgends steckt unsere Frage: Dieser entsetzt sich Vor einer Last, die zu schwer ist für matte Seelen und Schultern, Jener packt an und schafft es. Entweder: Tatkraft ist sinnlos, Oder: der tätige Mann strebt mit Recht nach Ehr' und Belohnung. Schweigt man vor seinem Gönner über die eigene Armut, Erntet man mehr als durch Betteln - ob du mit Anstand es annimmst O d e r voll Raffgier, ist nicht dasselbe - : das ist der Kernpunkt. »Meine Schwester ist ohne Mitgift, die Mutter lebt ärmlich, Unser Grundstück ist nicht verkäuflich noch kann's uns ernähren.« So spricht, wer meint: » O gebt mir zu essen!« Schon tönt da der Nächste: »Mir bitte auch!« und so teilt man die Gabe, die Brote halbierend. Könnte der Rabe schweigend picken, mit Sicherheit hätt' er Weit mehr Futter für sich, weit weniger N e i d auch und Kämpfe. Reist einer mit nach Brundisium oder zum schönen Surrentum, Klagt jedoch über holprige Straßen, Kälte und Regen, Über erbrochene Koffer, gestohlenes Zehrgeld, so klingt das Ähnlich wie die bekannte Masche der jammernden Dirne: » H a t man mir doch schon wieder ein Kettchen, ein Knieband gestohlen!« D a will dann wahren Verlusten und Schmerzen keiner mehr glauben. Einmal genasführt, wird keiner dem Gaukler mehr aufhelfen wollen, Der sich ein Bein brach an einer Kreuzung. M a g er auch heulen, Mag er flehend beim heil'gen Osiris noch so laut schwören: »Glaubt mir, ich spiel' euch nichts vor, ihr Grausamen, helft doch dem [Lahmen!« »Such dir 'nen D u m m e n ! « so tönt's von den Nachbarn kalt ihm entgegen.

EPISTULAE · LIBER I

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Si bene te novi, metues, liberrime Lolli, scurrantis speciem praebere, professus amicum. ut matrona meretrici dispar erit atque discolor, infido scurrae distabit amicus, est huic diversum vitio vitium prope maius, asperitas agrestis et inconcinna gravisque, quae se commendai tonsa cute, dentibus atris, d u m volt libertas dici mera veraque virtus, virtus est medium vitiorum et utrimque reductum. alter in obsequium plus aequo pronus et imi derisor lecti sic nutum divitis horret, sic itérât voces et verba cadentia tollit, ut puerum saevo credas dictata magistro reddere vel partis mimum tractare secundas; alter rixatur de lana saepe caprina, propugnat nugis armatus: 'scilicet ut non sit mihi prima fides?' et 'vere quod placet ut non acriter elatrem? pretium aetas altera sordet.' ambigitur quid enim? Castor sciat an Docilis plus; Brundisium Minuci melius via ducat an Appi. quem damnosa venus, quem praeceps alea nudat, gloria quem supra vires et vestit et unguit, quem tenet argenti sitis inportuna famesque, quem paupertatis pudor et fuga, dives amicus, saepe decern vitiis instruction odit et horret, aut, si non odit, regit ac veluti pia mater plus quam se sapere et virtutibus esse priorem volt et ait prope vera: 'meae - contendere noli stultitiam patiuntur opes, tibi parvola res est. arta decet sanum comitem toga: desine mecum cenare.' Eutrapelus cuicumque nocere volebat vestimenta dabat pretiosa; beatus enim iam cum pulchris tunicis sumet nova Consilia et spes,

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18 An Lollius Maximus K e n n ' ich dich recht, mein freiheitbesessener Lollius: D u fürchtest, Wenn du als Freund dich bekennst, als Speichellecker zu gelten? Wie eine D a m e sich abhebt durch andersfarbige Kleidung Von einer Dirne, so auch der Freund v o m verlogenen Schmeichler. Schwerer als dieser Fehler wiegt beinah der andere Makel: Bäurische Rauhbeinigkeit und ungeschliffene Plumpheit, Die sich kahlgeschoren empfiehlt, mit schwärzlichen Zähnen, U n d dabei echte Freiheit und Tugend genannt werden möchte. Tugend liegt in der Mitte, hält gleichen Abstand von beiden. Einer verneigt sich untertänigst, treibt seine Possen U n t e n am E n d e des Tischs, er zittert v o r ' m W i n k e des Reichen; Jedes flüchtig hingeworfene Wort wiederholt er, Grad wie ein Schüler des strengen Lehrers Weisheiten nachspricht O d e r wie der Statist imitiert den Protagonisten. U m des Kaisers Bart aber streitet oftmals der and're, Wappnet sich gerne mit leeren Phrasen: »Sollte man mir nicht Wirklich vertrauen?« U n d : » D a r f ich denn nicht ganz klar meine Meinung Sagen? N i c h t für ein zweites Leben verzichte ich darauf.« W o r u m geht es denn? Leistet C a s t o r mehr als Docilis? N i m m t man nach Brindisi besser die Appia oder Minucia? Wen verschwend'rische Liebschaft, verwegenes Glücksspiel beraubt hat, Wen Prahlerei verleitet, mit Kleidung und Salben zu prunken, Wen ein maßlos Verlangen und krankhafte Geldgier im Griff hält, Wer sich der A r m u t schämt, wer sie flieht, den wird ja der reiche Freund, ob auch zehnmal reicher an Lastern, verachten und meiden, Oder, wenn nicht, dann will er als sorgende Mutter ihn lenken, U m ihn gescheiter und tüchtiger als sich selber zu machen, Sagt, was ja beinahe stimmt: »Meine Mittel erlauben mir Leichtsinn, D u aber denk nicht an Wettstreit mit mir! D u hast ja zu wenig. Knappe Toga ziemt dem verständigen Freunde. Versuch nicht, D i c h zu messen mit mir! Wenn Eutrapelus jemandem schaden Wollte, schenkt' er ihm kostbare Kleider: Mit schönen Gewändern Schmiedet der Glückliche neue Pläne und schöpft neue Hoffnung,

EPISTULAE · LIBER I

dormiet in lucerti, scorto postponet honestum officium, nuramos alíenos pascet, ad imum Thraex erit aut holitoris aget mercede caballum. arcanum ñeque tu scrutaberis illius umquam, conmissumque teges et vino tortus et ira. nec tua laudabis studia aut aliena reprendes, nec, cum venari volet ille, poemata panges. gratia sic fratrum geminorum Amphionis atque Zethi dissiluit, donee suspecta severo conticuit lyra. fraternis cessisse putatur moribus Amphion: tu cede potentis amici lenibus imperils, quotiensque educet in agros Aetolis onerata plagis iumenta canesque, surge et inhumanae senium depone Camenae, cenes ut pariter pulmenta laboribus empta: Romanis sollemne viris opus, utile famae vitaeque et membris, praesertim cum valeas et vel cursu superare canem vel viribus aprum possis. adde, virilia quod speciosius arma non est qui tractet: scis, quo clamore coronae proelia sustineas campestria. denique saevam militiam puer et Cantabrica bella tulisti sub duce, qui templis Parthorum signa refigit nunc et, siquid abest, Italis adiudicat armis. ac ne te retrahas et inexcusabilis absis: quamvis nil extra numerum fecisse modumque curas, interdum nugaris rure paterno: partitur lintres exercitus, Actia pugna te duce per pueros hostili more refertur; adversarius est frater, lacus Hadria, donee alterutrum velox Victoria fronde coronet, consentire suis studiis qui crediderit te, fautor utroque tuum laudabit pollice ludum. protinus ut moneam - siquid monitoris eges - tu, quid de quoque viro et cui dicas, saepe videto. percontatorem fugito; nam garrulus idem est

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Schläft bis zum Mittag, versäumt sein Amt einer Dirne zuliebe, Macht große Schulden, muß schließlich in der Arena noch fechten Oder im Taglohn des Krauthändlers Klepper zum Markte hin treiben.« Frage niemals nach den Geheimnissen deines Beschützers! Wird dir eins anvertraut, wahre es auch beim Wein und im Zorne! Preis nicht dein Lieblingsvergnügen noch rüge die Neigung des and'ren: Wenn's ihn zu jagen gelüstet, versteife dich nicht auf das Dichten! So ging zu Bruch schon die Eintracht der Brüder Amphion und Zethos, Bis die Leier, vom rauhen Bruder mit Argwohn betrachtet, Schließlich verstummte: Amphion, glaubt man, hab' sich dem Willen Seines Bruders gefügt. Auch du folg den milden Befehlen Deines höhergestellten Freundes: Sooft er auf's Land fährt Mit den schweren Gespannen, den Netzen der Jäger, der Meute, Raffe dich auf, vergiß den Ernst der göttlichen Muse, Laß dir schmecken, was ihr gemeinschaftlich mühsam erjagt habt! Römische Männer jagen seit alters, es fördert das Anseh'n; Auch deinem Leib, deinen Gliedern tut's wohl, zumal du gesund bist, Schneller im Lauf als der Jagdhund, stärker auch als der Eber. Keiner führt so glänzend wie du die Waffen des Mannes; Weißt du doch selbst, mit welchem Beifall die Zuschauerreihen Jubeln, wenn auf dem Marsfeld du antrittst zum Kampfe. Und schließlich Standst du als Jüngling im Kriegsdienst, ertrugst den Cantabrischen Feldzug Unter dem Feldherrn, der uns're Standarten den Parthern entrissen Und, was sich sträubt, mit Macht unterwirft der italischen Herrschaft. Zieh dich auch nicht zurück, um unentschuldigt zu fehlen! Zwar willst du nie gegen Takt und gute Sitte verstoßen, Treibst aber fern auf dem Landgut des Vaters noch gern deine Spiele: Kähne werden zu Flotten versammelt, die Seeschlacht von Actium Spielen die Jungen wie richtige Feinde, und du bist ihr Führer; Da wird der Bruder zum Gegner, ein Teich wird zur Adria, bis dann Den oder jenen die Siegesgöttin krönt mit dem Kranze. Wer von dir annimmt, du werdest seine Neigungen teilen, Lobt auch dein Spiel und drückt als dein Gönner dir gern beide Daumen. Weiterhin rate ich dir - sofern es noch nötig sein sollte: Prüfe genau, was du sagst über and're und wem du es mitteilst! Meide die ewigen Frager, denn grade die sind auch Schwätzer:

EPISTULAE ' LIBER I

nec retinent patulae conmissa fideliter aures et semel emissum volat inrevocabile verbum. non anelila tuum iecur ulceret ulla puerve intra marmoreum venerandi limen amici, ne dominus pueri pulchri caraeve puellae muñere te parvo beet aut incommodus angat. qualem commendes, etiam atque etiam aspice, incutiant aliena tibi peccata pudorem. fallimur et quondam non dignum tradimus; erj quem sua culpa premet, deceptus omitte tueri, ut penitus notum, si temptent crimina, serves tuterisque tuo fidentem praesidio: qui dente Theonino cum circumroditur, ecquid ad te post paulo ventura pericula sentis? nam tua res agitur, paries cum proximus ardet, et neglecta soient incendia sumere vires. dulcís inexpertis cultura potentis amici: expertus metuit. tu, dum tua navis in alto est, hoc age, ne mutata retrorsum te ferat aura, oderunt hilarem tristes tristemque iocosi, sedatum celeres, agilem navumque remissi, potores [bibuli media de nocte Falerni] oderunt porrecta negantem pocula, quamvis nocturnos iures te formidare tepores. deme supercilio nubem: plerumque modestus occupât obscuri speciem, taciturnus acerbi. inter cuncta leges et percontabere doctos, qua ratione queas traducere leniter aevum, num te semper inops agitet vexetque cupido, num pavor et rerum mediocriter utilium spes, virtutem doctrina paret naturane donet, quid minuat curas, quid te tibi reddat amicum, quid pure tranquillet, honos an dulce lucellum an secretum iter et fallentis semita vitae. me quotiens reficit gelidus Digentia rivus, quem Mandela bibit, rugosus frigore pagus,

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Nicht bewahrt ihr offenes O h r vertraulich Gesagtes; Einmal gesprochenes Wort ist unwiderruflich entflogen! Laß in deines verehrten Freundes marmornem Landhaus Keine Magd, keinen Knaben je deine Sinne entflammen, Daß nicht der Herr dir den schönen Knaben, das reizende Mägdlein Schenke als kleine Gabe - oder verärgert dir zürne! Wen du empfiehlst, besieh ihn dir wieder und wieder, damit nicht Eines ander'n Verfehlung dir nachher zur Schande gereiche! Manchmal täuschen wir uns und empfehlen den Falschen. Da heißt's dann: Gib deinen Irrtum zu und schütze nicht, wen eine Schuld drückt! So nur kannst du dem wirklich Bewährten, will man ans Zeug ihm, Rettung und Schutz gewähren, den er von dir doch erwartet. Wenn eines Theon Zahn an ihm nagt und ihn schmählich verleumdet, Spürst du da nicht, daß alsbald auch dir schon drohen Gefahren? Geht's doch um dich auch, steht deines Nachbarn Hauswand in Flammen; Schnell breitet Feuer sich aus, wenn niemand recht darauf achtet. Süß dünkt's den Ahnungslosen, mit Mächtigen Freundschaft zu pflegen, Doch der Erfahr'ne bleibt wachsam. Du gib acht auf dem Meere, Daß nicht der Wind sich dreht und dein Schiff an das Ufer zurücktreibt! Traurige grollen dem Heit'ren und dem Betrübten die Frohen, Eilige dem Gelass'nen, Träge dem eifrig Bemühten. Zechkumpane, die spät in der Nacht den Falerner genießen, Können's nicht leiden, daß du den vollen Becher zurückweist, Selbst wenn du schwörst, du fürchtetest nächtliche Fieberanfälle. Jag von der Stirn das Gewölk, denn häufig gilt der Bescheid'ne Als ein verschlossener Typ, der Schweigsame gar als verbittert. Doch bei all diesem Treiben lies und befrag die Gelehrten, Welches Prinzip dich befähigt zu ausgeglichenem Leben, O b vielleicht nie zu stillende Gier dich umtreibt und heimsucht, Oder ängstliche Hoffnung auf Dinge von mäßigem Nutzen, O b die Bildung uns Tatkraft verleiht, ob Geburt sie uns mitgibt, Was deine Sorgen vertreibt und was dich versöhnt mit dir selber, Auch was uns Ruhe verschafft - ein hübscher Gewinn oder Ehre Oder ein stiller Pfad, der Weg des verborgenen Lebens. Wenn mich mit seiner Kühle erfrischt der Wildbach Digentia, Der auch Mandela tränkt, jenes Dorf, das vom Frost so zernagt ist:

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quid sentire putas, quid credis, amice, precari? 'sit mihi quod nunc est, etiam minus, ut mihi vivam quod superest aevi, siquid superesse volunt di; sit bona librorum et provisae frugis in annum copia neu fluitem dubiae spe pendulus horae.' sed satis est orare Iovem, qui ponit et aufert det vitam, det opes: aequum mi animum ipse parabo.

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Freund, errätst du, was ich dann fühle und was ich erbete? »Bleibe mir, was heute mein, auch weniger, für dieses Leben, Und noch ein wenig Zeit, soviel mir die Götter gewähren, Gute Bücher in Fülle, Nahrung genug für ein Jahr auch, Daß ich nie hange und bange in ungewisser Erwartung.« Jupiter gibt und nimmt. Genug ist's, zu ihm stets zu beten: Leben und Speise schenk' er, um Gleichmut müh' ich mich selber.

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Prisco si credis, Maecenas docte, Cratino, nulla piacere diu nec vivere carmina possunt, quae scribuntur aquae potoribus. ut male sanos adscripsit Liber Satyris Faunisque poetas, vina fere dulces oluerunt mane Camenae. laudibus arguitur vini vinosus Homerus: Ennius ipse pater numquam nisi potus ad arma prosiluit dicenda. 'forum putealque Libonis mandabo siccis, adimam cantare sevens', hoc simul edixi, non cessavere poetae nocturno certare mero, putere diurno. quid? siquis voltu torvo férus et pede nudo exiguaeque togae simulet textore Catonem, virtutemne repraesentet moresque Catonis? rupit Iarbitam Timagenis aemula lingua, dum studet urbanus tenditque disertus haberi. decipit exemplar vitiis imitabile: quodsi pallerem casu, biberent exsangue cuminum. o imitatores, servom pecus, ut mihi saepe bilem, saepe iocum vestri movere tumultus! libera per vacuum posui vestigia princeps, non aliena meo pressi pede, qui sibi fidet, dux reget examen. Parios ego primus iambos ostendi Latio, numéros animosque secutus Archilochi, non res et agentia verba Lycamben. ac ne me foliis ideo brevioribus ornes, quod timui mutare modos et carminis artem: temperai Archilochi musam pede mascula Sappho, temperat Alcaeus, sed rebus et ordine dispar, nec socerum quaerit, quem versibus oblinat atris, nec sponsae laqueum famoso carmine nectit. hunc ego, non alio dictum prius ore, Latinus

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19 An Maecenas Schenkst du Glauben, gelehrter Maecenas, dem alten Kratinos, K ö n n e n Gedichte nicht lange gefallen, kein L e b e n gewinnen, Wenn sie von Wassertrinkern verfaßt. D e n n trunkene Dichter G a b ja D i o n y s o s als Begleiter den Satyrn und Faunen. Morgens schon duften seither nach Wein die lieblichen Musen, U n d durch sein L o b auf den Wein verrät auch H o m e r sich als Zecher. O h n e getrunken zu haben, ging selbst Vater Ennius niemals An seine Heldengesänge. » F o r u m und Brunnen des L i b o Lass' ich den nüchternen Händlern, doch singen soll uns kein Spießer!« K a u m hatt' ich dieses verkündet, sangen nächtens die D i c h t e r Eifrig beim Wein um die Wette, bei Tage noch D ü f t e verbreitend. Meinst du, wenn einer nur ungeschlacht, finsterer Miene und barfuß C a t o geschickt imitierte mit ärmlich geschnittener Toga, K ö n n e er männliche Haltung und Sitte des C a t o verkörpern? Bracht' doch Timagenes' Zunge Jarbita im Wettstreit zur Strecke, D e r sich bemühte, als geistreich und redegewandt zu erscheinen. L o c k t ' ein Idol mit Fehlern zur Nachäfferei und ich wäre Zufällig blaß, man tränke gewiß sogar K ü m m e l zum Bleichen. Ach, ihr N a c h a h m e r alle, ihr Herdengetier, das mir oft schon D u r c h sein Lärmen die Galle, doch auch meine Lachlust erregt hat! Freien Fußes durchschritt ich als erster neue Gebiete, Keine fremde Fährte betrat ich. Vertraust du dir selber, Lenkst du die Schar. Ich führte A r c h i l o c h o s ' J a m b e n in Latium Erstmals ein, nur folgend des Pariers Versmaß und Wohlklang, N i c h t seinem Stoff und dem Spott, der Lykambes ins G r a b einst getrieben. D a r u m - so bitt' ich - schmücke mich nicht mit minderem Lorbeer, Weil ich mich scheute, Regeln und R h y t h m u s der Dichtkunst zu ändern. Folgt doch dem Vers des Archilochos auch die kraftvolle Sappho, J a selbst Alkaios, wenn auch mit anderem Inhalt und Aufbau: D e n n er schmäht nicht den Schwiegervater mit boshaften Versen, Will auch mit schlüpfrigen Liedern der Braut keine Fallstricke legen. Ihn, den noch keiner gewürdigt, hab' ich, der lateinische Dichter,

EPISTULAE · LIBER I

volgavi fidicen. iuvat inmemorata ferentem ingenuis oculisque legi manibusque teneri. scire velis, mea cur ingratus opuscula lector laudet ametque domi, premat extra limen iniquus: non ego ventosae plebis suffragia venor inpensis cenarum et tritae muñere vestís; non ego nobilium scriptorum auditor et ultor grammaticas ambire tribus et pulpita dignor, hinc illae lacrimae. 'spissis indigna theatris scripta pudet recitare et nugis addere pondus' si dixi, 'rides' ait 'et Iovis auribus ¡sta servas; fidis enim manare poetica mella te solum, tibi pulcher.' ad haec ego naribus uti formido et, luctantis acuto ne secer ungui, 'displicet iste locus' clamo et diludia poseo, ludus enim genuit trepidum certamen et iram, ira truces inimicitias et funebre bellum.

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Allen bekannt gemacht. Freude erfüllt mich, ein Neues zu bringen: Kenner werden es lesen, würdige Hände es halten! Möchtest du wissen, warum mein bescheidenes Opus vom Leser Zwar zu Hause geschätzt, auch gelobt, doch draußen geschmäht wird? Nicht mag ich jagen nach Stimmen des wetterwendischen Pöbels, Etwa mit üppigen Mählern, mit abgetrag'nen Gewändern, Bin auch kein Hörer gepries'ner Autoren, denk' nicht an Vergeltung, Meide die Kritiker-Zunft und ihr tonangebendes Urteil. Daher wohl ihr Verdruß. Jedoch wenn ich sage: »In vollen Sälen möcht' ich nicht lesen, meine traumleichten Spiele Weniger wichtig nehmen«, erwidert man: »Nur für die Ohren Jupiters willst du sie sparen? Meinst wohl, poetischer Honig Fließe nur dir? So selbstgefällig?« Die Nase zu rümpfen Scheue ich mich: der Nagel des Ringers könnt' mich zerkratzen. »Dieser Kampfplatz mißfällt mir«, ruf' ich und bitte um Pause. Solches Spiel erzeugt nur Zorn und gefahrvollen Wettstreit, Zorn aber grimmige Feindschaft und unheilschwangere Fehde.

EPISTULAE · LIBER I

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Vortumnum Ianumque, liber, spectare videris, scilicet ut prostes Sosiorum pumice mundus; odisti clavis et grata sigilla pudico, paucis ostendi gémis et communia laudas, non ita nutritus: fuge quo descendere gestis. non erit emisso reditus tibi, 'quid miser egi? quid volui?' dices, ubi quid te laeserit; et scis in breve te cogi, cum plenus languet amator. quodsi non odio peccantis desipit augur, carus eris Romae, doñee te deserat aetas: contrectatus ubi manibus sordescere volgi coeperis, aut tineas pasees taciturnus inertis aut fugies Uticam aut vinetus mitteris Ilerdam. ridebit monitor non exauditus, ut ille qui male parentem in rupis protrusit asellum iratus; quis enim invitum servare laboret? hoc quoque te manet, ut pueros elementa docentem occupet extremis in vicis balba senectus. cum tibi sol tepidus pluris admoverit auris, me libertino natum patre et in tenui re maiores pinnas nido extendisse loqueris, ut, quantum generi demás, virtutibus addas; me primis urbis belli placuisse domique, corporis exigui, praecanum, solibus aptum, irasci celerem, tamen ut placabilis essem. forte meum siquis te percontabitur aevum, me quater undenos sciat inplevisse Decembris, conlegam Lepidum quo duxit Lollius anno.

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BRIEFE • ERSTES BUCH

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20 A n mein Buch Ausschau scheinst du zu halten, mein Buch, nach dem Markt und dem Fein geglättet, versteht sich, v o m Bimsstein der Sosier für Käufer; [Handel: Magst nicht Schlüssel noch Siegel, beliebt bei gesitteten Menschen, Klagst, daß dich wenige kennen, und rühmst die große Gesellschaft, O b auch für sie nicht geschaffen: So geh nur, wohin dich's gelüstet! Draußen aber gibt's keine Rückkehr. »Ich Ärmster! Was tat ich? Wollt' ich denn das?« So sprichst du, trifft dich die Kränkung, und weißt Hat dich der Liebhaber satt, so legt er schnell dich beiseite.

[nun:

Wenn sich der Augur nicht täuscht, verstimmt über deine Verirrung, Wird man dich schätzen in R o m , solang dich nicht zeichnet das Alter, D o c h von den Händen der Menge abgegriffen und schmutzig, Wirst du - ein stummes Opfer - unnütze Motten ernähren O d e r nach Utica flieh'n oder wohlverschnürt nach Herda. Lachen wird dann der Mahner, auf den du nicht hörtest - wie jener, Der seinen störrischen Esel im Zorn in den felsigen Abgrund Stieß. Wer müht sich denn, den zu retten, der's gar nicht sich wünschte? Dies auch steht dir bevor: dereinst im gebrechlichen Alter Lesen und Schreiben zu lehren die Knaben in elenden Gassen. Schafft dir die milde Sonne größere Zuhörerscharen, Sprich auch von mir, eines Freigelassenen Sohn, von geringer Herkunft, der aus dem N e s t sich emporschwang mit kräftigen Schwingen! Was meinen Vorfahren mangelt, ergänze durch meine Verdienste: Daß mich die Ersten des Reichs geschätzt in Krieg und in Frieden, Klein von Gestalt und früh schon ergraut, Genießer der Sonne, Jäh überwältigt vom Zorn, doch stets auch leicht zu versöhnen. Fragt dich mal einer neugierig aus, wie alt ich wohl sein mag, Sag ihm, ich hätte schon vier mal elf Dezember durchschritten, Als in sein A m t als Kollegen Lollius den Lepidus nachzog.

Liber II

C u m tot sustineas et tanta negotia solus, res Italas armis tuteris, moribus ornes, legibus emendes, in publica commoda peccem, si longo sermone morer tua tempora, Caesar. Romulus et Liber pater et cum Castore Pollux, post ingentia facta deorum in templa recepti, dum terras hominumque colunt genus, aspera bella conponunt, agros adsignant, oppida condunt, ploravere suis non respondere favorem speratum meritis. diram qui contudit hydram notaque fatali portenta labore subegit, comperit invidiam supremo fine domari. urit enim fulgore suo qui praegravat artis infra se positas; exstinctus amabitur idem: praesenti tibi maturos largimur honores iurandasque tuum per numen ponimus aras, nil oriturum alias, nil ortum tale fatentes. sed tuus hie populus sapiens et iustus in uno te nostris ducibus, te Grais anteferendo, cetera nequaquam simili ratione modoque aestimat et, nisi quae terris semota suisque temporibus defuncta videt, fastidit et odit, sic fautor veterum, ut tabulas peccare vetantis, quas bis quinqué viri sanxerunt, foedera regum vel Gabiis vel cum rigidis aequata Sabinis, pontificum libros, annosa volumina vatum dictitet Albano Musas in monte locutas. si, quia Graiorum sunt antiquissima quaeque scripta vel optima, Romani pensantur eadem scriptores trutina, non est quod multa loquamur:

Zweites Buch

An Augustus Da du allein so viele, so große Pflichten dir auflädst, Schützest Italien mit Waffen, förderst und hebst seine Sitten, Besserst es durch Gesetze: da wär's fürs Gemeinwohl nur schädlich, Wollt' ich durch lange Rede die Zeit dir stehlen, o Caesar. Romulus und Vater Bacchus, auch Kastor im Bunde mit Pollux Wurden nach großen Taten entrückt zu den Tempeln der Götter. Während sie sich um die Welt und die Menschheit sorgten und rauhe Kriege beendeten, Städte gründeten, Acker verteilten, Klagten sie laut, die ihren Verdiensten gebührende Ehre Werd' ihnen vorenthalten. Der die schreckliche Hydra Tötete, Ungeheuer bezwang, wie das Schicksal befohlen, Er mußt' erfahren: Eifersucht ist nur vom Tod zu besiegen. Einen, der mit seinem Glanz überstrahlt die bescheid'nen Talente Minder Begabter, den wird man nach seinem Tode erst lieben. Dir aber bieten wir hier und jetzt schon Ehren in Fülle, Bauen Altäre dir, schwören bei deiner Gottheit, bekennen: Niemals wird Gleiches erstehen, niemals gab's Solches auf Erden. Aber dein Volk, das darin so weise und auch so gerecht ist, Dir den Vorzug zu geben vor Roms, ja vor Griechenlands Großen Es bewertet andere Dinge nicht auf die gleiche Art und Weise, sondern verurteilt und schmäht sie, es sei denn, Sie, schon der Erde entschwunden, hätten den Zeitlauf vollendet. Seine Gunst gilt dem Alten, gilt dem Verbote der Tafeln, Unrecht zu tun, das einst die Decemvirn erließen, dem KönigsBündnis, besiegelt mit Gabii oder den rauhen Sabinern, Büchern der Priester, verstaubten Rollen der Seher, es glaubt gar, Musen hätten auf dem Albanerberg sie verkündet. Weil von den Schriften der Griechen die ältesten stets auch die besten, Sollen die römischen Dichter auf gleicher Waage gewogen Werden. Ja, dann ist kein Anlaß, noch lange darüber zu reden.

EPISTULAE · L I B E R II

nil intra est olea, nil extra in nuce duri; venimus ad s u m m u m fortunae: pingimus atque psallimus et luctamur Achivis doctius unctis. si meliora dies, ut vina, poemata reddit, scire velim, chartis pretium quotus adroget annus, scriptor abhinc annos centum qui decidit, inter perfectos veteresque referri debet an inter vilis atque novos? excludat iurgia finis, 'est vetus atque probus, centum qui perficit annos.' quid? qui deperiit minor uno mense vel anno, inter quos referendus erit? veteresne poetas an quos et praesens et postera respuat aetas? 'iste quidem veteres inter ponetur honeste, qui vel mense brevi vel toto est iunior anno.' utor permisso caudaeque pilos ut equinae paulatim vello et demo unum, demo etiam unum, dum cadat elusus ratione mentis acervi qui redit ad fastus et virtutem aestimat annis miraturque nihil nisi quod Libitina sacravit. Ennius, et sapiens et fortis et alter H o m e r u s , ut critici dicunt, leviter curare videtur q u o promissa cadant et somnia Pythagorea; Naevius in manibus non est et mentibus haeret paene recens? adeo sanctum est vetus omne poema, ambigitur quotiens, uter utro sit prior, aufert Pacuvius docti famam senis, Accius alti, dicitur Afrani toga convenisse Menandro, Plautus ad exemplar Siculi properare Epicharmi, vincere Caecilius gravitate, Terentius arte, hos ediscit et hos arto stipata theatro spectat R o m a potens; habet hos numeratque poetas ad nostrum tempus Livi scriptoris ab aevo. interdum volgus rectum videt, est ubi peccat: si veteres ita miratur laudatque poetas, ut nihil anteferat, nihil illis conparet, errat; si quaedam nimis antique, si pleraque dure

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B R I E F E · ZWEITES BUCH

D a n n hat keinerlei K e r n die Olive, die N u ß keine Schale; D a n n stehen wir auf dem Gipfel des Glücks, wir malen, wir singen, Ringen doch viel geschickter als die gesalbten Hellenen! Wenn die Zeit, wie den Wein, so auch die Gedichte veredelt, W ü ß t e ich gern, wieviel Jahre den Schriften zu Anseh'n verhelfen. Starb ein A u t o r vor hundert Jahren, sollte man ihn dann Zu den vollkommenen Alten zählen oder doch lieber Zu den wertlosen N e u e n ? Setzt eine G r e n z e dem Streitfall! »Alt ist und hoch zu verehren, wer hundert J a h r e vollendet.« Wie aber, wenn ein M o n a t , ein J a h r noch fehlt am Jahrhundert? Wohin gehört er denn dann? Zu jenen älteren Dichtern O d e r zum Kreise der Jüng'ren - von Mitwelt und Nachwelt verachtet? »Wem ein kurzer Monat, ein J a h r noch fehlt am Jahrhundert, D e r gehört zu den Alten, der ist auch wert aller Ehren.« Das paßt mir gut, und wie v o m Pferdeschwanz einzeln die Haare Zieh' ich allmählich ein J a h r ab und noch eins und immer so weiter Bis v o r ' m Kornhaufen-Rätsel vergeblich um Lösung sich abmüht, Wer dem Kalender folgt, die Leistung nach Jahren bewertet, Nichts auch bewundert, das keine Totenfeier geweiht hat. Ennius, der weise, der t a p f r e , der gar ein zweiter H o m e r ist, Wie uns're Kritiker meinen, scheint sich ja kaum drum zu kümmern, Wie sich erfülle, was er verheißt: des Pythagoras' Träume. Ist nicht Naevius in Händen der Leser, beschäftigt ihr D e n k e n , Als ob er lebte? So heilig ist jedes D i c h t w e r k , das alt ist! O f t herrscht Streit, wem der höhere Rang gebühre: dann gilt als Alter Weiser Pacuvius, Accius als Mann hohen Stiles, Des Afranius Toga stehe wohl an auch Menander; Plautus folge dem leichten T o n Epicharms des Siziliers; Siege Caecilius durch Würde, Terenz durch geschliffene Rede. Auswendig lernt sie das mächtige R o m und drängt sich in Massen Ins überfüllte Theater, die »wahren Dichter« zu sehen Seit den Zeiten des Livius bis auf unsere Tage. Manchmal hat die Menge den richtigen Blick, doch zuweilen Irrt sie, wenn sie die alten D i c h t e r so preist und bewundert, Wähnend, es könne nichts Höheres, gar nichts Vergleichbares geben. Findet sie manches veraltet, manches zu hart in der Fügung,

EPISTULAE • LIBER II

dicere credit eos, ignave multa fatetur, et sapit et mecum facit et love iudicat aequo, non equidem insector delendave carmina Livi esse reor, memini quae plagosum mihi parvo Orbilium dictare; sed emendata videri pulchraque et exactis minimum distantia miror. inter quae verbum emicuit si forte decorum, si versus paulo concinnior unus et alter, iniuste totum ducit venditque poema, indignor quicquam reprendi, non quia crasse conpositum inlepideve putetur, sed quia nuper, nec veniam antiquis, sed honorem et praemia posci. recte necne crocum floresque perambulet Attae fabula si dubitem, clament periisse pudorem cuncti paene patres, ea cum reprendere coner, quae gravis Aesopus, quae doctus Roscius egit: vel quia nil rectum, nisi quod placuit sibi, ducunt, vel quia turpe putant parere minoribus et quae inberbes didicere, senes perdenda fateri. iam Saliare Numae carmen qui laudat et illud, quod mecum ignorât, solus volt scire videri, ingeniis non ille favet plauditque sepultis, nostra sed inpugnat, nos nostraque lividus odit. quod si tam Graecis novitas invisa fuisset quam nobis, quid nunc esset vetus? aut quid haberet quod legeret tereretque viritim publicus usus? ut primum positis nugari Graecia bellis coepit et in vitium fortuna labier aequa, nunc athletarum studiis, nunc arsit equorum, marmoris aut eboris fabros aut aeris amavit, suspendit pietà voltum mentemque tabella, nunc tibicinibus, nunc est gavisa tragoedis; sub nutrice puella velut si luderet infans, quod cupide petiit, mature plena reliquit. hoc paces habuere bonae ventique secundi.

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BRIEFE · ZWEITES BUCH

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Mutet vieles sie kraftlos an, dann urteilt sie richtig, G a n z im Einklang mit mir und auch in Jupiters Sinne. Ich bin zwar nicht der Meinung, man solle des Livius' Gedichte Gänzlich vernichten, obwohl ich noch gut weiß, wie einst ein Orbilius Sie mir als Knaben mit Stockhieben beibringen wollte. D o c h daß sie Schön, untadlig und fast schon vollkommen sein sollen, erstaunt mich. Wenn auch mitunter ein reizvolles Wort hervorblitzt, wenn ferner Ein und der andere Vers sich ein wenig gefälliger rundet, Kann doch niemand dem Leser das ganze O p u s empfehlen. Mich empört's, wenn etwas getadelt wird, nicht weil's geschmacklos Oder zu plump sich darstellt, sondern weil's jüngst erst geschaffen, Wenn man statt Nachsicht nur Ehre und Lobpreis für Frühere fordert. Wollt' ich bezweifeln, ob Attas Lustspiel zu recht sich in BlumenDüften und Safran ergeht, so würden die Väter wohl alle Schreien, dahin sei die Ehrfurcht, daß ich es wage, zu tadeln, Was der gemess'ne Aesop, der witzige Roscius uns zeigten. Denn sie lassen nur gelten, was ihnen selbst je gefallen, O d e r sie halten's für Schimpf, auf Jüng're zu hören und etwas, Das sie als Knaben einst lernten, im Alter verwerfen zu müssen. Wer das seit N u m a gesungene Salierlied preist, sich als Kenner Aufspielt, doch es so wenig versteht wie ich selber, dem geht es Bei seinem Beifall nicht um die Großen, die lang schon im G r a b ruh'n: U n s bekämpft er, beneidet er, haßt doch nur unsere Werke. Wäre das N e u e den Griechen so sehr zuwider gewesen, Wie es uns heut ist, was gäb's jetzt Bewährtes, was hätte der Leser, D a s er zu immer neuer Freude sich vornehmen könnte? Als nach beendeten Kriegen die Griechen, dem leichteren Leben Zugewandt und v o m Glück begünstigt, in Schwäche versanken, D a entbrannten die Herzen für die Athleten, die Pferde, Für die Schöpfer von Werken in Elfenbein, E r z oder Marmor, Hingen Auge und Sinn an schönen, bunten Gemälden, Jetzt von Flötenspielern und jetzt v o m Schauspiel begeistert G a n z wie ein kleines Kindlein beim Spiel zu Füßen der Amme: Was es begierig ergriff, läßt bald gesättigt es fallen. All das bringen zuwege Frieden und günstige Winde.

EPISTULAE · L I B E R II

R o m a e dulce diu fuit et sollemne reclusa mane d o m o vigilare, clienti promere iura, cautos nominibus rectis expendere nummos, maiores audire, minori dicere, per quae crescere res posset, minui damnosa libido, [quid placet aut odio est, quod non mutabile credas?] mutavit mentem populus levis et calet uno scribendi studio: pueri patresque severi fronde comas vincti cenant et carmina dictant, ipse ego, qui nullos me adfirmo scribere versus, invenior Parthis mendacior et prius orto sole vigil calamum et chartas et scrinia poseo, navem agere ignarus navis timet, habrotonum aegro non audet nisi qui didicit dare; quod medicorum est promittunt medici, tractant fabrilia fabri: scribimus indocti doctique poemata passim. hic error tarnen et levis haec insania quantas virtutes habeat, sic collige: vatis avaras non temere est animus: versus amat, hoc studet unum; detrimenta, fugas servorum, incendia ridet; non fraudem socio puerove incogitat ullam pupillo; vivit siliquis et pane secundo, militiae quamquam piger et malus, utilis urbi, si das hoc, parvis quoque rebus magna iuvari. os tenerum pueri balbumque poeta figurât, torquet ab obscaenis iam nunc sermonibus aurem, m o x etiam pectus praeceptis format amicis; asperitatis et invidiae corrector et irae; recte facta refert, orientia tempora notis instruit exemplis, inopem solatur et aegrum. castis cum pueris ignara puella mariti disceret unde preces, vatem ni Musa dedisset? poscit opem chorus et praesentia numina sentit, caelestis inplorat aquas docta prece blandus, avertit morbos, metuenda pericula pellit, inpetrat et pacem et locupletem frugibus annum: carmine di superi placantur, carmine Manes.

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B R I E F E • ZWEITES BUCH

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Lang galt in Rom der gute geheiligte Brauch, schon früh morgens Wach, das Haus zu öffnen, Klienten ihr Recht zu erläutern, Umsichtig Geld zu leihen Personen von lauterem Wandel, Auf die Alten zu hören, den Jungen zu raten, wie's möglich Sei, das Seine zu mehren, verderblichen Lüsten zu wehren. Was findet Anklang, was haßt man, was kann dem Wandel noch trotzen? Leichtes Völkchen ändert den Sinn und kennt nur den einen Eifer: zu schreiben. Knaben und strenge Väter, sie speisen, Efeubekränzt das Haar, diktieren dabei noch Gedichte. Und der erklärt hat, nicht Verse mehr schreiben zu wollen - ich selber - , Bin nun ertappt, noch schöner zu lügen als Parther: vorm SonnenAufgang schon munter, ruf' ich nach Schreibrohr, Papyros und Mappe! Ungeübt scheut man sich, Schiffe zu steuern; dem Kranken Arzneien Wagt nur zu geben, wer es gelernt hat; Heilung des Leibes Steht nur dem Arzt zu; Arbeit am Bau ist des Handwerkers Sache. Wir aber, ob gebildet, ob nicht, wir schreiben Gedichte! Doch dieser irre, harmlose Wahn, er hat auch manch gute Seiten. Faß sie ins Auge: Des Dichters Geist ist nicht blindlings Gierig; er liebt seine Verse und müht sich nur um dies eine; Heiter erträgt er Verluste, Flucht von Sklaven und Brände; Niemals betrügt er den Partner oder sein kindliches Mündel; Einfach lebt er von Hülsenfrüchten und billigem Schwarzbrot; Wenn auch müßig, nicht tauglich zum Kriegsdienst - auch er nützt dem Wenn man sein Scherflein für's große Ganze als hilfreich betrachtet. [Staate, Zarten, stammelnden Mund des Knaben formt schon der Dichter, Lenkt das kindliche Ohr früh ab von üblem Gerede, Bildet auch bald das junge Herz durch freundliche Lehre, Schleift zum Besseren ab den Neid und den Zorn und die Schroffheit, Schildert große Taten und unterweist durch berühmte Vorbilder spät're Geschlechter, tröstet auch Arme und Kranke. Woher nähmen Gebete die reinen Knaben und Mädchen Vor ihrer Heirat, hätt' nicht die Muse den Dichter geschaffen? Beistand erfleht der Chor, er spürt die Nähe der Gottheit. Mit den erlernten Gebeten erbittet er Wasser vom Himmel, Seuchen wendet er ab, und düst're Gefahren verscheucht er, Reiche Jahre, gesegnet mit Früchten, erwirkt er und Frieden. Lieder versöhnen die Götter, Lieder die Seelen der Toten.

EPISTULAE · LIBER II

agricolae prisci, fortes parvoque beati, condita post frumenta levantes tempore festo corpus et ipsum animum spe finis dura ferentem cum sociis operum pueris et coniuge fida Tellurem porco, Silvanum lacté piabant, floribus et vino Genium memorem brevis aevi. Fescennina per hunc inventa licentia morem versibus alternis opprobria rustica fudit, libertasque recurrentis accepta per annos lusit amabiliter, donee iam saevos apertam in rabiem coepit verti iocus et per honestas ire domos inpune minax. doluere cruento dente lacessiti; fuit intactis quoque cura condicione super communi; quin etiam lex poenaque lata, malo quae nollet carmine quemquam describi: vertere modum, formidine fustis ad bene dicendum delectandumque redacti. Graecia capta ferum victorem cepit et artis intulit agresti Latio. sic horridus ille defluxit numerus Saturnius et grave virus munditiae pepulere; sed in longum tamen aevum manserunt hodieque manent vestigia ruris. serus enim Graecis admovit acumina chartis et post Punica bella quietus quaerere coepit, quid Sophocles et Thespis et Aeschylos utile ferrent, temptavit quoque rem si digne vertere posset, et placuit sibi, natura sublimis et acer; nam spirat tragicum satis et feliciter audet; sed turpem putat inscite metuitque lituram. creditur, ex medio quia res arcessit, habere sudoris minimum, sed habet comoedia tanto plus oneris, quanto veniae minus, adspice, Plautus quo pacto partis tutetur amantis ephebi, ut patris attenti, lenonis ut insidiosi, quantus sit Dossennus edacibus in parasitis, quam non adstricto percurrat pulpita socco.

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B R I E F E · ZWEITES B U C H

Einstmals die Bauern, tüchtig und schon mit Geringem zufrieden, Gönnten nach Bergung der Ernte in festlichen Stunden Erholung Geist und Leib, die in harter Arbeit aufs Ende stets hofften; Mit ihren Helfern, den Söhnen, der Gattin, brachten sie Opfer: Tellus, der Erde, ein Ferkel und Milch dem Waldgott Silvanus, Blumen und Wein dem Schutzgeist, der mahnt an's flüchtige Leben. Ungezwungen ging's zu: in Fescenninischen Versen Neckten sie wechselweise einander mit bäurischen Späßen, U n d die durch Jahre hindurch so oft bestätigte Freiheit Spielte man liebenswert weiter, bis die Scherze verrohten Und, zu offener Bosheit entartet, schließlich sogar die Achtbarsten Häuser straflos bedrohten: Beißende Schmerzen Brachten sie ihnen; auch Unbetroffene machten sich Sorgen: Allen konnte das Gleiche geschehen; Gesetze gar drohten Jedem nun Strafe an, der durch ein Spottlied and're verletzte. D a endlich änderten sie ihre Tonart aus Angst vor dem Knüppel, Kehrten zurück zu freundlicher Rede, heit'rem Vergnügen. Hellas, bezwungen, bezwang den barbarischen Sieger und brachte Latium, dem bäuerlich derben, die Künste. So wich jener grobe Vers, der Saturnier, verdrängten Reinheit und Eleganz die D u m p f e n Formen der Sprache; indessen für längere Zeit noch Blieben - und bleiben bis heut' - die Spuren des einfachen Landes. Spät erst widmete römischer Scharfsinn sich griechischen Schriften: N a c h den Punischen Kriegen begann er, in Ruhe zu forschen, Was wohl Sophokles, Thespis und Aischylos Brauchbares böten. Treffender Übersetzung galten auch seine Versuche, Denn an Erhabenheit, Leidenschaft fand er von jeher Gefallen. Ihn umweht nun der tragische Hauch, und es glückt ihm manch Wagnis; Leider jedoch verschmäht sein Unverstand stetiges Feilen. Jedermann meint, die K o m ö d i e erford're am wenigsten Mühe, D a sie dem Alltag die Stoffe entnehme, doch sie benötigt Desto mehr Arbeit, je weniger Nachsicht gewährt wird. Betrachte, Wie etwa Plautus die Rolle des liebenden griechischen Jünglings, Die des sparsamen Vaters und die des tückischen Kupplers Formt, wie Dossennus, der Vielfraß, unter Schmarotzern sich aufführt, Wie er mit lockerem Halbschuh schlurfend die Bühne durchwandert.

EPISTULAE · LIBER II

gestit enim nummum in loculos demittere, post hoc securas, cadat an recto stet fabula talo. quern tulit ad scaenam ventoso Gloria curru, exanimat lentus spectator, sedulus inflat: sic leve, sic parvum est, animum quod laudis avarum subruit aut reficit. valeat res ludiera, si me palma negata macrum, donata reducit opimum. saepe etiam audacem fugat hoc terretque poetam, quod numero plures, virtute et honore minores, indocti stolidique et depugnare parati, si discordet eques, media inter carmina poscunt aut ursum aut púgiles; his nam plebecula gaudet. verum equitis quoque iam migravit ab aure voluptas omnis ad incertos oculos et gaudia vana, quattuor aut pluris aulaea premuntur in horas, dum fugiunt equitum turmae peditumque catervae; mox trahitur manibus regum fortuna retortis, esseda festinant, pilenta, petorrita, naves, captivum portatur ebur, captiva Corinthus. si foret in terris, rideret Democritus, seu diversum confusa genus panthera camelo sive elephans albus volgi converteret ora; spectaret populum ludis attentius ipsis, ut sibi praebentem nimio spectacula plura; scriptores autem narrare putaret asello fabellam surdo. nam quae pervincere voces evaluere sonum, référant quem nostra theatra? Garganum mugiré putes nemus aut mare Tuscum: tanto cum strepitu ludi spectantur et artes divitiaeque peregrinae; quibus oblitus actor cum stetit in scaena, concurrit dextera laevae. 'dixit adhuc aliquid?' 'nil sane.' 'quid placet ergo?' 'lana Tarentino violas imitata veneno.' ac ne forte pûtes me, quae facere ipse recusem, cum recte tractent alii, laudare maligne: ille per extentum funem mihi posse videtur

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B R I E F E • ZWEITES BUCH

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Geld will der A u t o r im Kästchen: D a n n plagt ihn keinerlei Sorge, O b wohl sein Stück beim Publikum a n k o m m t oder ob's durchfällt. Wen der R u h m auf windschnellem Wagen zur Bühne getragen, D e n machen mutlos die lauen, doch stolz die e r g r i f f n e n Besucher. Solche Geringfügigkeiten können den Ruhmesbesess'nen U m w e r f e n oder erheben. L e b wohl denn, du kurzweilig Lustspiel, Wenn verweigerter Beifall mich mager, errung'ner mich üppig Macht. O f t verschüchtert's auch und verschreckt selbst den mutigsten D a ß der große Haufe, niedrer an Wert und an Würde,

[Dichter,

Ungebildet und plump, geneigt ist, mit Fäusten zu kämpfen, Falls der Ritterstand anderer Meinung. Mitten im Schauspiel Fordern sie Bären, auch Faustkampf - die Freuden des Pöbels. Aber auch bei den Rittern bemerkt im G e s c h m a c k man den Wandel, Weg vom Gesproch'nen, zu flüchtiger Schaulust, zu nichtigen Späßen: M e h r als vier volle Stunden bleibt der Vorhang jetzt offen, Während Reiterschwadronen und Rotten von F u ß v o l k vorbeizieh'n, Könige schleppt man, die Hände am R ü c k e n gefesselt, vorüber, Streitwagen jagen vorbei und Kutschen, Prunkwagen, Schiffe, Elfenbein zeigt man im Zug und die ganze korinthische Beute. W ä r ' D e m o k r i t noch auf Erden, dann lachte er wohl, wenn er sähe, Wie die Menge gespannt ein Tier, halb Kamel und halb Panther, O d e r den Elefanten bestaunt, den auffallend weißen. E r würde mehr auf die Leute schauen als auf die Spiele, D a nämlich böte sich ihm ein interessanteres Schauspiel, U n d ihm schiene, der A u t o r erzähle hier wohl einem tauben Esel das Stück; denn welche Stimme wäre imstande, Jenen Lärm zu durchdringen, der aufsteigt aus unser'n Theatern? Rauscht hier der Wald des Garganus, tobt die Tyrrhenische Meerflut? U n t e r solchem Getöse werden die Spiele betrachtet, Werke der Kunst und exotische Schätze! Prächtig gekleidet Steht auf der Bühne der M i m e : schon klatschen begeistert die Hände. »Hat er schon etwas gesagt?« - »Wohl nicht.« - »Wofür dann der Beifall?« »Wolle, prachtvoll gefärbt in Tarent, so blau wie die Veilchen!« D e n k aber bitte nicht, was ich als Stoff mir versage, L o b t ' ich bei andern nur zögernd, falls sie es fesselnd gestalten. Nein, auf hohem Seile scheint mir ein D i c h t e r zu schreiten,

EPISTULAE · L I B E R II

ire, poeta meum qui pectus inaniter angit, inritat, mulcet, falsis terroribus inplet, ut magus, et modo me Thebis, modo ponit Athenis. verum age et his, qui se lectori credere malunt quam spectatoris fastidia ferre superbi, curam redde brevem, si munus Apolline dignum vis conplere libris et vatibus addere calcar, ut studio maiore petant Helicona virentem. multa quidem nobis facimus mala saepe poetae - ut viñeta egomet caedam mea - , cum tibi librum sollicito damus aut fesso; cum laedimur, unum siquis amicorum est ausus reprehendere versum; cum loca iam recitata revolvimus inrevocati; cum lamentamur non adparere labores nostros et tenui deducta poemata filo; cum speramus eo rem venturam, ut simul atque carmina rescieris nos fingere, commodus ultro arcessas et egere vetes et scribere cogas. sed tarnen est operae pretium cognoscere, qualis aedituos habeat belli spectata domique virtus, indigno non committenda poetae. gratus Alexandro regi magno fuit ille Choerilus, incultis qui versibus et male natis rettulit acceptos, regale nomisma, Philippos. sed veluti tractata notam labemque remittunt atramenta, fere scriptores carmine foedo splendida facta linunt. idem rex ille, poema qui tarn ridiculum tam care prodigus emit, edicto vetuit, nequis se praeter Apellen pingeret aut alius Lysippo ducerei aera fortis Alexandri voltum simulantia. quodsi iudicium subtile videndis artibus illud ad libros et ad haec Musarum dona vocares, Boeotum in crasso jurares aere natum. at ñeque dedecorant tua de se iudicia atque muñera, quae multa dantis cum laude tulerunt,

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BRIEFE · ZWEITES BUCH

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Der mein Gemüt beängstigt, erregt und wieder besänftigt Durch den Trug seiner Kunst, mit erdichteten Schrecken es füllend, Mich wie ein Zaub'rer entführend, bald nach Athen, bald nach Theben. Du aber sorg dich um jene auch, die sich lieber dem Leser Anvertrauen, statt ständig ertragen zu müssen die eitlen Publikumslaunen - du, der dem Prachtbau, geweiht dem Apollon, So viele Bücher stiften und Mut machen willst unser'n Dichtern, Daß sie mit noch mehr Eifer zur Höhe des Helikon streben. Manchen Schaden freilich fügen wir Dichter uns selbst zu - Um auch an meinen Weinberg die Axt zu legen - , so, wenn wir Dir, von Sorgen erschöpft, wie du bist, ein Buch überreichen; Wenn wir verletzt sind, sobald ein Freund einen Vers von uns tadelt; Wenn wir längst Gehörtes unverlangt nochmals verlesen; Wenn wir beklagen, daß unsere Arbeit nicht anerkannt werde, Nicht einmal die aus feinstem Gespinst gewobenen Verse; Wenn wir hoffen, es kämen die Tage, wo du uns huldvoll Rufst zum Palast, sobald du erfährst, wir machen Gedichte, Schützt vor Entbehrung uns, ja, gebietest sogar uns, zu schreiben. Aber es lohnt doch die Mühe, zu prüfen, was denn für TempelHüter deine Tüchtigkeit braucht im Krieg und im Frieden Und sie nicht einem unwürd'gen Dichter anzuvertrauen. Viel galt einst Alexander, dem großen Könige, jener Choirilos, der für kunstlose, schlecht gedrechselte Verse Einstrich die Königswährung in Gold, Philippische Münzen. Aber wie Tinte, die man berührt, einen Schmutzfleck zurückläßt, Können Autoren mit einem mißlungenen Liede sogar die Glänzendsten Taten besudeln, und eben derselbe, der König, Der solche lachhaften Verse verschwenderisch teuer bezahlte, Hat durch Erlaß verboten: Niemand außer Apelles Dürfe ein Bild von ihm malen und keiner außer Lysippos Dürfe in Erz nachbilden die Heldengestalt Alexanders. Ungemein streng war sein Urteil in Fragen der bildenden Künste; Ging es aber um Bücher und andere Gaben der Musen, Könnte man schwören, er sei im Nebel Böotiens geboren. DEINEM Urteil jedoch gebührt Ehre - wie auch die Gaben, Die die Dichter Vergil und Varius, nicht unwürdig deiner

E P I S T U L A E • LIBER II

dilecti tibi Vergilius Variusque poetae, nec magis expressi voltus per aenea signa quam per vatis opus mores animique virorum clarorum adparent. nec sermones ego mallem repentis per humum quam res conponere gestas terrarumque situs et ilumina dicere et arces montibus inpositas et barbara regna tuisque auspiciis totum confecta duella per orbem claustraque custodem pacis cohibentia Ianum et formidatam Parthis te principe Romam, si quantum cuperem possem quoque; sed ñeque parvom carmen maiestas recipit tua nec meus audet rem temptare pudor quam vires ferre recusent. sedulitas autem, stulte quem diligit, urget, praecipue cum se numeris commendat et arte. discit enim citius meminitque libentius illud quod quis deridet quam quod probat et veneratur. nil moror officium quod me gravat ac ñeque ficto in peius voltu proponi cereus usquam nec prave factis decorari versibus opto, ne rubeam pingui donatus muñere et una cum scriptore meo capsa porrectus operta deferar in vicum vendentem tus et odores et piper et quidquid chartis amicitur ineptis.

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Gunst, empfingen, dem Spender zu hohem Lobe gereichen. Nie gibt ein Erzbild die Züge berühmter Männer so herrlich Wieder, wie eines Dichters Werk ihren Geist und Charakter Vor uns entfaltet. Drum möcht' ich anstelle servilen Geredes Lieber bedeutende Taten besingen, möchte auch preisen Weite Länder, rauschende Ströme, mächtige Burgen, Thronend auf Bergen, Reiche barbarischer Völker, die unter Deiner Herrschaft - sie endet die Kriege - den Erdkreis bewohnen, Und des Janus, des Friedenswächters geschlossene Tore Und auch Rom, das die Parther fürchten, seit DU hier gebietest. All das besänge ich, wenn ich's vermöchte; aber ein schwaches Lied würde nie deiner Hoheit gerecht, drum wagt meine Ehrfurcht Nicht, ein Werk zu versuchen, für das die Kräfte mir fehlen. Denn Beflissenheit, liebedienerisch-töricht bekundet, Wird ja zur Plage, besonders, wenn sie mit Versen daherkommt. Schneller erfassen wir doch, behalten im Geiste auch lieber, Was wir belächeln, als was wir billigen oder verehren. »Bleibt mir vom Leib mit Aufmerksamkeiten, die mich bedrücken! Weder will ich als Wachsbild irgendwo steh'n mit verzerrten Zügen, noch in gestelzten Versen mein Loblied vernehmen. Müßte ja dann erröten über so schwülstige Ehrung, Käme gar, aufgebahrt liegend in Kisten, samt meinem Dichter Auf jenen Markt, wo sie Weihrauch und Wohlgerüche verhökern, Pfeffer und allerlei Kleinkram, den man in Packpapier wickelt.«

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EPISTULAE · LIBER II

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Flore, b o n o claroque fidelis amice N e r o n i , siquis forte velit puerum tibi vendere natum Tibure vel Gabiis et tecum sic agat: 'hic et Candidus et talos a vertice pulcher ad imos fiet eritque tuus n u m m o r u m milibus octo, verna ministeriis ad nutus aptus erilis, litterulis Graecis imbutus, idoneus arti cuilibet: argilla quidvis imitaberis uda; quin etiam canet indoctum, sed dulce bibenti. multa fidem promissa levant, ubi plenius aequo laudat venalis qui volt extrudere merces: res urget me nulla; m e o sum pauper in aere, nemo hoc m a n g o n u m faceret tibi; non temere a me quivis ferret idem, semel hie cessavit et, ut fit, in scalis latuit metuens pendentis habenae' des nummos, excepta nihil te si fuga laedat: ille ferat pretium poenae securus, opinor. prudens emisti vitiosum, dieta tibi est lex: insequeris tamen hunc et lite moraris iniqua? dixi me pigrum proficiscenti tibi, dixi talibus officiis p r o p e mancum, ne mea saevus iurgares ad te q u o d epistula nulla rediret. quid tum profeci, m e c u m facientia iura si tamen attemptas? quereris super hoc etiam, q u o d exspectata tibi non mittam carmina mendax. Luculli miles collecta viatica multis aerumnis, lassus d u m noctu stertit, ad assem perdiderat. post hoc vehemens lupus et sibi et hosti iratus pariter, ieiunis dentibus acer, praesidium regale loco deiecit, ut aiunt, summe munito et multarum divite rerum, clarus o b id factum donis ornatur honestis accipit et bis dena super sestertia n u m m u m .

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A n Julius Florus Florus, treuer Gefährte des tüchtigen, ruhmreichen N e r o : Wollt' einer dir einen Sklaven verkaufen, geboren in Tibur O d e r in Gabii, und begänne so die Verhandlung: »Hier dieser prächtige Bursche, von Kopf bis Fuß herrlich gestaltet, Soll dir gehören und dein sein für achtmal tausend Sesterzen, Jedem Wink seines Herrn zu Diensten, im H a u s e geboren, Mit einem Anflug von griechischer Bildung und tauglich für jede Fertigkeit, fügsamer Ton in deinen gestaltenden Händen, Ungeschult zwar, doch lieblich singt er dir, sitzt du beim Trünke; Große Versprechungen mindern den Glauben, wenn ein Verkäufer Seine Ware allzu sehr preist, damit er sie loswird, Mir aber eilt es nicht, bin zwar arm, doch hab' keine Schulden; Sieh doch, kein Händler böte dir dies, auch erhielt' kaum ein and'rer Solchen Vertrag; nur einmal entlief er, wie's eben so vorkommt: Unter der Treppe versteckte er sich aus Furcht vor der Peitsche.« Ja, du zahlst wohl, falls dieser Mangel, die Flucht, dich nicht abhält. Der nimmt das Geld in E m p f a n g ohne Sorge um Haftung, so mein' ich: Wissentlich nahmst du den Nachteil in Kauf, Gesproch'nes ist bindend. Willst du ihn dennoch verklagen in zeitaufwendigem Rechtsstreit? Ich nun, der Schreibfaule, sagte beim Abschied, nicht sei ich fähig, Solcher Pflicht zu genügen - damit du nicht aus Enttäuschung Zürnend es übelnähmst, fände dein Brief keine baldige Antwort. Was aber hat mir die Warnung genützt, wenn du trotzdem mich angreifst? Bin ich denn hier nicht völlig im Recht? Auch klagst du, ich schickte, Wortbrüchig, dir die Gedichte nicht, die du so lang schon erwartest. Einst verlor ein Soldat des Lucullus sein mühsam Erspartes Bis auf den letzten Pfennig, als er schnarchend im Schlaf lag. Wild war er wie ein hungriger Wolf, auf sich und die Feinde Gleichermaßen erzürnt, und wütend, mit reißenden Zähnen, Hat er, so heißt es, eine Besatzung des Königs vertrieben Aus einem gut versorgten und bestens befestigten Platze. O b dieser Tat berühmt, empfängt er Ehrengeschenke, U n d dazu noch zwanzigtausend Sesterzen an Bargeld.

EPISTULAE · L I B E R II

forte sub hoc tempus castellum evertere praetor nescio quod cupiens hortari coepit eundem verbis quae timido quoque possent addere mentem: 'i bone, quo virtus tua te vocat, i pede fausto, grandia laturus meritorum praemia. quid stas?' post haec ille catus, quantumvis rusticus, 'ibit, ibit eo quo vis qui zonam perdidit' inquit. R o m a e nutriri mihi contigit atque doceri, iratus Grais quantum nocuisset Achilles, adiecere bonae paulo plus artis Athenae, scilicet ut vellem curvo dinoscere rectum atque inter silvas Academi quaerere verum, dura sed emovere loco me tempora grato civilisque rudem belli tulit aestus in arma, Caesaris Augusti non responsura lacertis. unde simul primum me dimisere Philippi, decisis humilem pinnis inopemque paterni et laris et fundi paupertas inpulit audax ut versus facerem; sed quod non desit habentem quae poterunt umquam satis expurgare cicutae, ni melius dormire putem quam scribere versus? singula de nobis anni praedantur euntes: eripuere iocos, venerem, convivía, ludum; tendunt extorquere poemata: quid faciam vis? denique non omnes eadem mirantur amantque: carmine tu gaudes, hic delectatur iambis, ille Bioneis sermonibus et sale nigro. tres mihi convivae prope dissentire videntur poscentes vario multum diversa palato: quid dem? quid non dem? renuis quod tu, iubet alter; quod petis, id sane est invisum acidumque duobus. praeter cetera me R o m a e n e poemata censes scribere posse inter tot curas totque labores? hic sponsum vocat, hic auditum scripta relictis omnibus officiis; cubat hic in colle Quirini, hic extremo in Aventino, visendus uterque;

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Bald danach nimmt der Feldherr sich vor, eine Festung zu stürmen, U n d beginnt, eben diesen M a n n zu bereden mit Worten, Die sogar einem Feigling M u t hätten einflößen können: » G e h , mein T a p f r e r , wohin dich dein M u t ruft, beflügelten Fußes, Üppiger L o h n wird danken deinen Verdiensten! Was säumst du?« J e n e r erwidert bauernschlau: »Wohin du auch wünschest, Dahin geht ja nur einer, der seinen Geldgurt verloren.« M i r ward das G l ü c k , heranzuwachsen in R o m , zu erfahren, Welchen Schaden der Z o r n des Achill den Griechen gebracht hat, Auch in Athen mehr aufzunehmen vom Schönen der Künste, D a z u den Drang, das R e c h t e scharf v o m U n r e c h t zu scheiden, U n d in Akádemos Hainen eifrig zu suchen das Wahre. Harte Zeiten entrissen mich dann dem herrlichen O r t e , Wogen des Bürgerkriegs trugen mich ungeschult zu den Waffen, Die doch denen des Caesar Augustus nicht standhalten konnten. Als bei Philippi ich schließlich davonkam, gestutzt meine Schwingen, G a n z erniedrigt, verloren H a u s und G r u n d meines Vaters, G a b mir die harte Armut die Kühnheit, Verse zu schreiben. Jetzt aber, da ich im sicheren Wohlstand nichts mehr entbehre: Welcher Schierlingssaft könnte jemals v o m Wahn mich befreien, Wenn ich nicht glaubte, Schlafen sei besser als Verse zu schmieden? Stück um Stück beraubten bis heut' uns die rollenden Jahre: N a h m e n uns Kurzweil und Liebe, fröhliches Gastmahl und Spiele, Wollen mir nun auch die Dichtung noch nehmen - was soll ich nur machen? Schließlich bewundern und lieben durchaus nicht alle das Gleiche: Dich erfreut lyrisches Lied, ein andrer schätzt jambische Verse, D o c h der dritte liebt Bions Satiren und bittere Spottlust. Beinah hab' ich den Eindruck, daß meine drei Gäste nicht eins sind: Fordern nach ihrem verschied'nen G e s c h m a c k die verschiedensten Speisen. Was soll ich geben? Was nicht? D e n n was du ablehnst, wünscht jener; Was du erbittest, grad das ist den anderen beiden zuwider. Übrigens, meinst du, ich k ö n n t e in R o m Gedichte verfassen, D o r t , unter so viel Plagen und all den Mühseligkeiten? D e r verlangt mich als Bürgen, und der, seiner Lesung zu lauschen, Trotz aller Pflichten; der liegt krank am quirinischen Hügel, J e n e r am Aventin, und beide muß ich besuchen.

E P I S T U L A E · L I B E R II

intervalla vides humane commoda, 'verum purae sunt plateae, nihil ut meditantibus obstet.' festinat calidus mulis gerulisque redemptor, torquet nunc lapidem, nunc ingens machina tignum, tristia robustis luctantur fuñera plaustris, hac rabiosa fugit canis, hac lutulenta ruit sus: i nunc et versus tecum meditare canoros, scriptorum chorus omnis amat nemus et fugit urbem, rite cliens Bacchi somno gaudentis et umbra: tu me inter strepitus nocturnos atque diurnos vis canere et contracta sequi vestigia vatum? ingenium, sibi quod vacuas desumpsit Athenas et studiis annos Septem dedit insenuitque libris et curis, statua taciturnius exit plerumque et risu populum quatit: hic ego rerum fluctibus in mediis et tempestatibus urbis verba lyrae motura sonum conectere digner? frater erat R o m a e consulti rhetor, ut alter alterius sermone meros audiret honores, Gracchus ut hic illi, foret huic ut Mucius ille. qui minus argutos vexât furor iste poetas? carmina compono, hic elegos: mirabile visu caelatumque novem Musis opus, adspice primum, quanto cum fastu, quanto molimine circumspectemus vacuam Romanis vatibus aedem; mox etiam, si forte vacas, sequere et procul audi, quid ferat et qua re sibi nectat uterque coronam: caedimur et totidem plagis consumimus hostem lento Samnites ad lumina prima duello, discedo Alcaeus puncto illius; ille meo quis? quis nisi Callimachus? si plus adposcere visus, fit Mimnermus et optivo cognomine crescit. multa fero, ut placem genus inritabile vatum, cum scribo et supplex populi suffragia capto; idem finitis studiis et mente recepta obturem patulas inpune legentibus auris.

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Sieh, wie menschlich bemessen sind diese Entfernungen! »Hör mal, Frei sind die Straßen doch wohl, daß nichts am Denken dich hindert!« Da eilt ein Bauführer, hetzt seine Maultiere und seine Träger, Jetzt hebt die Winde den Steinblock und nun den riesigen Balken, Hier kämpft ein Trauergeleit sich durch im Gedränge der Wagen, Da rast ein toller Hund und dort ein schmutziges Ferkel: Geh nur hin - und such' dann im Herzen nach klangschönen Versen! All die Dichterschar liebt doch den Wald und flieht aus der Großstadt, Schützling des Bacchus, der sich erfreut an Schlummer und Schatten! Tag und Nacht hallt tobender Lärm, da willst du, ich solle Lieder dichten und andächtig folgen den Spuren der Sänger? Einst hatt' ein kluger Mann das stille Athen sich erkoren, Sieben Jahre den Studien gewidmet, vom Lesen und Grübeln War er gealtert: trat der nun heraus, meist stumm wie ein Standbild, Konnte das Volk sich vor Lachen nicht halten. Wie sollte denn ich da Mitten im Fluten und Stürmen der Weltstadt die Worte so fügen, Daß mit dem Klang der Laute sie kunstvoll verknüpft werden könnten? Einstmals lebten in Rom zwei Brüder, ein Anwalt, ein Redner: Nichts als Lobreden hörte jeder der beiden vom and'ren; Einer sah Gracchus im Bruder, der and're im Bruder den Mucius. Leiden aber an minderem Wahn die klangreichen Dichter? Ich dichte Lieder und DER Elegien: »O, welch ein Wunder, Wie die neun Musen feilten an diesen Werken!« Und sieh nur, Wie wir stolzgeschwellt, selbstbewußt unsere Blicke zum Tempel Schweifen lassen, der allen römischen Dichtern sich auftut. Dann, wenn du Zeit hast, komm mit und höre dir an aus der Ferne, Was jeder bringt von uns und wie er sich flicht seine Krone. Schläge empfangen wir, teilen ebenso viele dem Gegner Aus im samnitisch-geschmeidigen Zweikampf bis weit in das Frühlicht. Macht der andere mich zum Alkaios, wie nenne dann ich ihn? Doch zumindest Kallimachos! Scheint er noch mehr zu erwarten, Schön, so wird er Mimnermos, kann stolz sein auf solch einen Namen. Vieles ertrug ich dem reizbaren Volk der Dichter zuliebe, Als ich noch, selber schreibend, um Beifall der Menge mich mühte; Jetzt, da mein Eifer erloschen, mein Geist wieder zu sich gekommen, Schließ' ich getrost meine Ohren, wenn sie mir vorlesen wollen.

EPISTULAE · LIBER II

ridentur mala qui conponunt carmina; verum gaudent scribentes et se venerantur et ultro, si taceas, laudant quidquid scripsere beati, at qui legitimum cupiet fecisse poema, cum tabulis animum censoris sumet honesti: audebit, quaecumque parum splendoris habebunt et sine pondere erunt et honore indigna ferentur verba movere loco, quamvis invita recedant et versentur adhuc inter penetralia Vestae; obscurata diu populo bonus eruet atque proferet in lucem speciosa vocabula rerum, quae priscis memorata Catonibus atque Cethegis nunc situs informis premit et deserta vetustas; adsciscet nova, quae genitor produxerit usus, vemens et liquidus puroque simillimus amni fundet opes Latiumque beabit divite lingua; luxuriantia conpescet, nimis aspera sano levabit cultu, virtute carentia tollet: ludentis speciem dabit et torquebitur, ut qui nunc Satyrum, nunc agrestem Cyclopa movetur. praetulerim scriptor delirus inersque videri, dum mea delectent mala me vel denique fallant, quam sapere et ringi. fuit haud ignobilis Argis, qui se credebat miros audire tragoedos in vacuo laetus sessor plausorque theatro; cetera qui vitae servaret munia recto more, bonus sane vicinus, amabilis hospes, comis in uxorem, posset qui ignoscere servis et signo laeso non insanire lagoenae, posset qui rupem et puteum vitare patentem, hic ubi cognatorum opibus curisque refectus expulit elleboro morbum bilemque meraco et redit ad sese, 'poi me occidistis, amici, non servastis,' ait, 'cui sic extorta voluptas et demptus per vim mentis gratissimus error.'

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Schlechte Dichter verlacht man, doch sie selber erfreu'n sich Ihres Geschreibsels, beten sich an, ja über die Maßen Loben sie, wenn du schweigst, verzückt, was immer sie schrieben. Aber wer ernsthaft wünscht, ein gutes Gedicht zu verfassen, Suche sich für seine Blätter den Geist eines ehrlichen Zensors: Dann wird er's wagen, Worte vom Platz zu verweisen, sofern sie Nicht genug Glanz besitzen, ohne Gewicht sind und wenn sie Unwürdig sind dieser Ehre - mögen sie ungern auch weichen, Und noch verweilen wollen, als wär'n sie am Herde der Vesta. Ausgraben wird er Worte, die lang schon vom Volke vergessen, Wird sie ans Tageslicht holen in klangreiner Fülle und Schönheit, Waren sie doch einem Cato, einem Cethegus geläufig, O b auch jetzt von Moder bedeckt und gänzlich veraltet. Neue auch greift er auf, die der Brauch erzeugt und geschaffen. Leidenschaftlich und klar, einem reinen Strome vergleichbar, Uberschüttet er Latium, beglückt es mit Schätzen der Sprache. Üppiges Schmuckwerk stutzend, allzu Derbes durch seine Maßvolle Pflege mildernd, entfernt er alles, was wertlos. Wie ein Spiel sieht es aus, doch fordert's unsägliche Mühe, Jetzt den Satyr, nun den plumpen Kyklopen zu spielen. »Ich zog' es vor, als läppischer, geistloser Autor zu gelten, Hätt' ich nur Freude - wie trügerisch immer - an meinen Gebilden, Statt als Kenner mich drüber zu ärgern.« Einst lebte in Argos Achtbar ein Mann, der glaubte, er höre im leeren Theater Wunderbare Tragödien, denen er Beifall gespendet. Sonst erfüllte er sorgsam all seine Pflichten im Leben, War ein freundlicher Nachbar, ein liebenswürdiger Gastfreund, Stets seiner Frau gefällig, er konnte den Sklaven verzeihen, Blieb gelassen, auch wenn am Weinkrug das Siegel erbrochen, Wußte sich vor einer Klippe, vor offnen Zisternen zu hüten. Als er jedoch unter sorgsamer Pflege seiner Verwandten Von seinem krankhaften Wahn durch reine Nieswurz geheilt war Und zu sich selber gefunden, rief er: »Beim Pollux, o Freunde, Nicht gerettet habt ihr mich, nein, getötet, entrissen All meinen Freuden und dem ergötzlichsten Wahn meines Herzens.

EPISTULAE • L I B E R II

nimirum sapere est abiectis utile nugis et tempestivum pueris concedere ludum ac non verba sequi fidibus modulanda Latinis, sed verae numerosque modosque ediscere vitae. quocirca mecum loquor haec tacitusque recordor: si tibi nulla sitim finiret copia lymphae, narrares medicis: quod quanto plura parasti, tanto plura cupis, nulline faterier audes? si volnus tibi monstrata radice vel herba non fieret levius, fugeres radice vel herba proficiente nihil curarier: audieras, cui rem di donarent, illi decedere pravam stultitiam, et, cum sis nihilo sapientior ex quo plenior es, tarnen uteris monitoribus isdem? at si divitiae prudentem reddere possent, si cupidum timidumque minus te, nempe ruberes, viveret in terris te siquis avarior uno. si proprium est, quod quis libra mercatus et aere est, quaedam, si credis consultis, mancipat usus: qui te pascit ager tuus est, et vilicus O r b i , cum segetes occat tibi m o x frumenta daturus, te dominum sentit, das nummos, accipis uvam, pullos, ova, cadum temeti: nempe m o d o isto paulatim mercaris agrum, fortasse trecentis aut etiam supra n u m m o r u m milibus emptum. quid refert, vivas numerato nuper an olim? emptor Aricini quondam Veientis et arvi emptum cenat holus, quamvis aliter putat; emptis sub noctem gelidam lignis calefactat aenum. sed vocat usque suum, qua populus adsita certis limitibus vicina refugit iurgia: tamquam sit proprium quicquam, puncto quod mobilis horae nunc prece, nunc pretio, nunc vi, nunc morte suprema permutet dominos et cedat in altera iura. sic quia perpetuus nulli datur usus et heres heredem alterius velut unda supervenit undam,

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Weisheit hilft uns, Nichtigkeiten den Rücken zu kehren, Und der Jugend die ihr gemäßen Spiele zu lassen, Nicht nach latinischem Saitenspiel die Worte zu stimmen, Sondern des wahren Lebens Maß und Einklang zu lernen. Deshalb geh ich mit mir zu Rat und bedenke im Stillen: Wenn keine Wassermenge genügte, den Durst dir zu stillen, Würd'st du die Arzte befragen. Doch jetzt: je mehr du erworben, Nach desto mehr verlangt dich's - und das willst du keinem gestehen? Wenn deine Wunde durch die verordneten Wurzeln und Kräuter Sich nicht bessert, würdest du doch die Wurzeln und Kräuter Liegen lassen, da sie nicht helfen. Du hörtest wohl sagen: Wem die Götter Reichtum schenken, von dem wird auch weichen Schändliche Torheit, und du, kein bißchen weiser geworden Durch deinen Reichtum, willst immer noch solchen Beratern vertrauen? Ja, wenn der Reichtum dich wirklich klüger zu machen vermöchte, Weniger gierig und ängstlich: wahrhaftig, du müßtest erröten, Wenn auf der Welt auch nur einer an Habgier dich überträfe. Nennt man Eigentum, was nach gesetzlicher Vorschrift gekauft ist, Oder - folgt man Juristen - durch lange Nutzung erworben, Dann ist das Feld, das dich nährt, dein eigen. Des Orbius Verwalter, Der dieses Land bestellt, um später das Korn dir zu liefern, Sieht dich als Herrn. Du bezahlst und erhältst von ihm dann die Trauben, Hühner, Eier, den Tonkrug mit Most. Allmählich erwirbst du Diesen Acker dir schließlich, der einst für dreihunderttausend Oder auch mehr Sesterzen von einem Bürger gekauft ward. Was macht's denn aus, ob du lebst vom jetzt oder früher Bezahlten? Wer sich einst Land erwarb in Aricia oder in Veji, Ißt gekauftes Gemüse, ob er's auch anders empfindet, Hat auch das Holz gekauft, das den Kessel erwärmt in der Frostnacht. Trotzdem nennt er sein eigen das Land bis dort, wo die Pappeln Wachsen als Grenze und Streit mit den Nachbarn verhindern - als könnte Je etwas Eigentum sein, das in EINER flüchtigen Stunde, Sei's durch Schenkung, durch Kauf, durch Gewalt, vielleicht durch den Tod Wechselt den Herrn und nun sich befindet in anderen Händen. Da also keinem ewige Nutzung gewährt wird und da auch Ein Erbe stets auf den anderen folgt wie Woge auf Woge:

[auch

EPISTULAE · L I B E R II

quid vici prosunt aut horrea, quidve Calabris sahibus adiecti Lucani, si metit O r c u s grandia c u m parvis, non exorabilis auro? gemmas, marmor, ebur, Tyrrhena sigilla, tabellas, argentum, vestís Gaetulo murice tinctas sunt qui non habeant, est qui non curat habere. cur alter fratrum cessare et ludere et ungui praeferat Herodis palmetis pinguibus, alter dives et inportunus ad umbram lucis ab ortu silvestrem flammis et ferro mitiget agrum, seit Genius, natale comes qui temperat astrum, naturae deus humanae mortalis, in unum quodque caput voltu mutabilis, albus et ater. utar et ex modico, quantum res poscet, acervo tollam nec metuam, quid de me iudicet heres, quod non plura datis invenerit; et tarnen idem scire volam, quantum simplex hilarisque nepoti discrepet et quantum discordet parcus avaro, distat enim, spargas tua prodigus an neque sumptum invitus facias neque plura parare labores ac potius, puer ut festis Quinquatribus olim, exiguo gratoque fruaris tempore raptim. pauperies inmunda domus proeul absit: ego utrum nave ferar magna an parva, ferar unus et idem, non agimur tumidis velis Aquilone secundo, non tarnen adversis aetatem dueimus Austris, viribus, ingenio, specie, virtute, loco, re extremi primorum, extremis usque priores. non es avarus: abi. quid? cetera iam simul isto c u m vitio fugere? caret tibi pectus inani ambitione? caret mortis formidine et ira? somnia, terrores mágicos, miracula, sagas, nocturnos lemures portentaque Thessala rides? natalis grate numeras? ignoscis amicis? lenior et melior fis accedente senecta? quid te exempta iuvat spinis de pluribus una?

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B R I E F E · ZWEITES BUCH

Was nützen da Gehöfte und Speicher, kalabrische Wälder, Auch um lukanische noch vermehrt, wenn Orcus doch abmäht Großes und Kleines, nicht zu erweichen durch schimmernden Goldglanz? Gemmen, Elfenbein, Marmor, tyrrhenische Bildchen, Gemälde, Silber und Kleider, gefärbt mit gätulischem Purpur: so manchen Gibt es, der das nicht besitzt - und einen, der's gar nicht erst anstrebt. Warum der eine Bruder Muße, Spiele und Salben Selbst des Herodes saftigen Datteln vorzieht, der and're Reich und doch rastlos, vom Sonnenaufgang bis in den Abend Seinen waldigen Boden rodet mit Feuer und Pflugschar, Weiß unser Schutzgeist nur, der unseren Stern der Geburt lenkt, Gottheit der Menschennatur, verscheidend mit ihm und bei jedem Menschen wechselnden Mienenspiels, bald ernsthaft, bald heiter. Ich möcht' genießen, vom maßvollen Vorrat soviel wie vonnöten Nehmen; nicht fürcht' ich, wie später der Erbe über mich urteilt, Wenn er mehr nicht findet, als was mir gegeben; und dennoch Möcht' ich wohl wissen, wodurch ein einfacher, freundlicher Geber Absticht von einem Verschwender, ein sparsamer Hauswirt vom Geizhals. Eines ist's, zu verschwenden das Deine, ein and'res, was nottut, Aufzuwenden mit Einsicht und nicht immer mehr zu erwerben, Sondern, wie ein Knabe am Frühlingsfest der Minerva, Kurze und schöne Tage im Fluge bewußt zu genießen. Niedrige Armut sei fern meinem Hause; ob ich auf großem Oder auf kleinem Schiff nur segle, ich bleibe derselbe. Weder treib' ich, die Segel geschwellt, vor'm günstigen Nordwind, Noch ist mein Leben erfüllt vom Kampf mit dem widrigen Südwind, Bin nach Kraft, nach Geist und Gestalt, nach Tüchtigkeit, Herkunft Und nach Vermögen der Besten Letzter, doch mehr als die Letzten. Du bist nicht habgierig - gut! Doch ich frage: Sind denn mit diesem Laster auch schon die and'ren entschwunden? Ist deine Seele Frei von törichtem Ehrgeiz, von Furcht vor dem Tod und von Jähzorn? Lächelst du über Träume, magische Schrecken und Wunder, Hexen, nächtlichen Spuk, thessalische Zaubergestalten? Feierst du dankbar deinen Geburtstag? Verzeihst du den Freunden? Wirst du bei nahendem Alter allmählich gelassener, sanfter? Aber was hilft der eine gezogene Dorn bei so vielen?

E P I S T U L A E · L I B E R II

vivere si recte nescis, decede peritis. lusisti satis, edisti satis atque bibisti: tempus abire tibi est, ne potum largius rideat et pulset lasciva decentius aetas.

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BRIEFE · ZWEITES BUCH

Weißt du nicht recht zu leben, mach Platz für den Lebenserfahr'nen. Sattsam hast du gespielt und sattsam gespeist und getrunken: Zeit ist's für dich, zu gehen, daß nicht, wenn zuviel du getrunken, Spottend die Jugend dich pufft, der der Ubermut besser wohl ansteht.

De arte poetica

Humano capiti cervicem pictor equinam iungere si velit et varias inducere plumas undique conlatis membris, ut turpiter atrum desinat in piscem mulier formosa superne, spectatum admissi risum teneatis, amici? crédité, Pisones, isti tabulae fore librum persimilem, cuius, velut aegri somnia, vanae fingentur species, ut nec pes nec caput uni reddatur formae. 'pictoribus atque poetis quidlibet audendi semper fuit aequa potestas.' scimus, et hanc veniam petimusque damusque vicissim; sed non ut placidis coeant inmitia, non ut serpentes avibus geminentur, tigribus agni. inceptis gravibus plerumque et magna professis purpureus, late qui splendeat, unus et alter adsuitur pannus, cum lucus et ara Dianae et properantis aquae per amoenos ambitus agros aut flumen Rhenum aut pluvius describitur arcus; sed nunc non erat his locus, et fonasse cupressum seis simulare: quid hoc, si fractis enatat exspes navibus, aere dato qui pingitur? amphora coepit instituí: cúrrente rota cur urceus exit? denique sit quodvis, simplex dumtaxat et unum. maxima pars vatum, pater et iuvenes patre digni, decipimur specie recti: brevis esse laboro, obscuras fio; sectantem levia nervi deficiunt animique; professus grandia turget; serpit humi tutus nimium timidusque procellae: qui variare cupit rem prodigialiter unam, delphinum silvis adpingit, fluctibus aprum: in vitium ducit culpae fuga, si caret arte.

An Piso und seine beiden Söhne Uber die Dichtkunst Haupt eines Menschen und Nacken des Pferdes zusammenzufügen: Tat' dies ein Maler, schiif' dazu Flügel mit schillernden Farben, Glieder von überall her, daß unten ein schwärzlicher Fischleib, Häßlich zu sehen, doch oben ein herrliches Weib sich uns zeige: Könntet ihr da beim Betrachten das Lachen verbeißen, o Freunde? Glaubt mir, solchem Gebilde gliche aufs Haar wohl ein Schriftwerk, Dessen Erzählungen wie eines Kranken fiebrige Träume Hirngespinste nur zeigten, daß weder der Kopf noch die Füße Jemals zu EINER Gestalt sich fügten. Nur, »Malern und Dichtern War doch jegliche Kühnheit im Werke schon immer gestattet!« Ja, diese Freiheit erbitten und schenken einander wir gerne; Nicht aber soll sich Zahmes mit Wildem verbinden, nicht sollen Schlangen mit Vögeln sich paaren und auch nicht Lämmer mit Tigern. Wuchtig schreitendem Anfang, der Großes zu künden versprochen, Wird als Glanzstück uns oft so mancher purpurne Fetzen Angeflickt, der beschreibt den Hain und Altar der Diana, Muntere Bäche dazu, die durch liebliche Felder sich schlängeln, Oder den Rheinstrom vielleicht, einen Regenbogen zuletzt noch. Schön, nur war's hier nicht am Platze! Zwar kannst Zypressen du malen; Sind die verwendbar, wenn einer für Geld sich malen läßt, wie er Nach einem Schiffbruch verzweifelt davonschwimmt? - Eine Amphore Sollte entstehn auf rotierender Scheibe - und wird nur ein Krüglein? Merke: Schaff, was du willst, doch einfach sei's und ein Ganzes! Ach, lieber Freund und würdige Söhne: Wir Dichter fast alle Lassen uns täuschen vom Anschein des Rechten: streb' ich nach Kürze, Werde ich dunkel; gelingt mir Glätte, so geht mir verloren Kraft und Feuer; schwülstig gerät das gewaltsam Erhab'ne. Mancher kriecht allzu behutsam und wagt nicht den stürmenden Angriff; Wer einen einfachen Stoff effektvoller wünscht zu gestalten, Malt den Delphin in den Wald und in stürmische Wellen ein Wildschwein: Scheu vor Fehlern verleitet zum Fehlgriff, wenn's mangelt am Können.

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Aemiliura circa ludum faber imus et unguis exprimet et mollis imitabitur aere capillos, infelix operis summa, quia ponere t o t u m nesciet: hunc ego me, si quid componere eurem, non magis esse velim quam naso vivere pravo, spectandum nigris oculis nigroque capillo. sumite materiam vestris, qui scribitis, aequam viribus et versate diu, quid ferre recusent, quid valeant umeri. cui lecta potenter erit res, nec facundia deseret hunc nec lucidus ordo, ordinis haec virtus erit et venus, aut ego fallor, ut iam nunc dicat iam nunc debentia dici, pleraque différât et praesens in tempus omittat. in verbis etiam tenuis cautusque serendis hoc amet, hoc spernat promissi carminis auctor. dixeris egregie, notum si callida verbum reddiderit iunctura novum, si forte necesse est indiciis monstrare recentibus abdita rerum et fingere cinctutis non exaudita Cethegis, continget dabiturque licentia sumpta pudenter, et nova fictaque nuper habebunt verba fidem, si G r a e c o fonte cadent parce detorta, quid autem Caecilio Plautoque dabit R o m a n u s ademptum Vergilio Varioque? ego cur, adquirere pauca si possum, invideor, cum lingua Catonis et Enni sermonem patrium ditaverit et nova rerum nomina protulerit? licuit semperque licebit signatum praesente nota producere nomen. ut silvae foliis pronos mutantur in annos, prima cadunt: ita verborum vetus interit aetas, et iuvenum ritu florent m o d o nata vigentque. debemur morti nos nostraque: sive receptus terra Neptunus classes Aquilonibus arcet, regis opus, sterilisve diu palus aptaque remis vicinas urbes alit et grave sentit aratrum, seu cursum mutavit iniquum frugibus amnis

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Neben Aemilius' Fechtplatz der letzte Erzgießer bosselt Scharf die Nägel der Finger, die weichen Linien des Haupthaars, Scheitert aber am Kunstwerk, versteht ja kein Ganzes zu schaffen. Nähm' ich ein Werk in Angriff, fürwahr, ich möchte doch DER wohl Ebenso wenig sein wie mit schiefer Nase umhergehn, Wenn auch schwarze Augen und schwarze Haare mich schmücken. Dichter, wählt euren Stoff nach den Kräften, die euch verliehen, Und erwäget von Grund auf, was euren Schultern zu schwer ist, Was sie zu tragen imstand sind. Wem das Gewählte vertraut ist, Dem wird nicht mangeln Gewandtheit der Rede und Klarheit im Aufbau. Reiz und Kraft dieses Aufbaus liegt darin, wenn ich nicht irre, Grade nur das zu sagen, was grade zu sagen jetzt nottut Und das meiste zu streichen und aufzuheben für später. Auch bei der Fügung der Worte feinfühlig stets und behutsam, Schätzt ein Verfasser dies, meidet jenes im Plan seiner Dichtung. Ausgezeichnet sein Stil, wenn kluge Verbindung bekannte Wörter als neu uns erscheinen läßt. Dennoch, ist's einmal geboten, Unbekannte Begriffe mit neuen Namen zu nennen Auch wenn sie unerhört einem Hinterwäldler erscheinen - , Dann wird uns diese maßvoll genutzte Freiheit gestattet: Neu geschaffene Wörter genießen künftig Vertrauen, Sparsam aus griechischen Quellen für unsere Sprache entliehen. Sollte Rom dem Vergil, dem Varius etwa versagen, Was es dem Plautus einst und auch dem Caecilius erlaubte? Warum mißgönnt man mir den Zugewinn einiger Worte, Haben doch Ennius und Cato den heimischen Wortschatz bereichert, Neuem neue Namen gegeben? Stets wird's erlaubt sein, Frisch vom Stempel der Zeit Geprägtes in Umlauf zu setzen. So wie die Wälder wechseln ihr Laub im Zuge der Jahre, Also stirbt - wie die Blätter - die Sippe veralteter Wörter, Aufblüh'n in Jugendfrische die jungen zu kraftvollem Leben. Wir und was unser ist, müssen vergehen; ob dort eine Mole, Werk eines Königs, ausgreift ins Meer und Flotten vor'm Nordsturm Schützt und ob hier ein Sumpf, lange nutzlos, von Booten befahren, Nachbarstädte ernährt und spürt nun die wuchtige Pflugschar; Oder ein Strom, dessen Lauf dem Ackerbau schadete, nunmehr

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doctus iter melius: mortalia facta peribunt, nedum sermonum stet honos et gratia vivax. multa renascentur quae iam cecidere cadentque quae nunc sunt in honore vocabula, si volet usus, quem penes arbitrium est et ius et norma loquendi. res gestae regumque ducumque et tristia bella quo scribi possent numero, monstravit Homerus; versibus inpariter iunctis querimonia primum, post etiam inclusa est voti sententia compos; quis tarnen exiguos elegos emiserit auctor, grammatici certant et adhuc sub iudice Iis est; Archilochum proprio rabies armavit iambo; hunc socci cepere pedem grandesque cothurni, alternis aptum sermonibus et popularis vincentem strepitus et natum rebus agendis; Musa dedit fidibus divos puerosque deorum et pugilem victorem et equum certamine primum et iuvenum curas et libera vina referre. descriptas servare vices operumque colores cur ego si nequeo ¡gnoroque poeta salutor? cur nescire pudens prave quam discere malo? versibus exponi tragicis res comica non volt; indignatur item privatis ac prope socco dignis carminibus narrari cena Thyestae: singula quaeque locum teneant sortita decentem. interdum tamen et vocem comoedia tollit iratusque Chremes tumido delitigat ore; et tragicus plerumque dolet sermone pedestri, Telephus et Peleus cum pauper et exsul uterque proicit ampullas et sesquipedalia verba, si curat cor spectantis tetigisse querella. non satis est pulchra esse poemata: dulcia sunto et quocumque volent animum auditoris agunto. ut ridentibus adrident, ita flentibus adflent humani voltus. si vis me fiere, dolendum est primum ipsi tibi: tum tua me infortunia laedent,

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Besseren Weg zieht: Werke der Menschen werden vergehen, Vollends wird nicht besteh'n die Pracht und Anmut der Sprache. Viele Wörter, die schon versanken, ersteh'n wieder auf und Heut noch geehrte versinken - wie es der Sprachgebrauch fordert; Er hat das Urteil, das Recht, die Gesetze der Sprache zu regeln. Welches Versmaß sich eigne, der Feldherrn und Könige Taten Recht zu beschreiben und traurige Kriege - Homer hat's bewiesen. Verspaare ungleicher Länge dienten erst Klagegesängen, Später dann auch dem Ausdruck des Danks für erhörte Gelübde. Wer als erster kurze elegische Lieder verfaßt hat, Darüber streiten Gelehrte; bis jetzt ist der Fall nicht entschieden. Des Archilochos Zorn gab ihm als eigene Waffe den Jambus; Den übernahm die Komödie und auch der Kothurn des Tragöden: Für Dialoge geeignet und sehr beliebt bei dem Volke, Bändigend sein Geschrei, wie gemacht für den Gang des Geschehens. Götter zu preisen verlieh die Muse der Lyra, auch Söhne Göttlichen Ursprungs, den Sieger im Faustkampf, das siegreiche Rennpferd Wie auch das Sehnen des Jünglings und lock're Gelage zu schildern. Festgelegt sind Vermaß und Stil im Wechsel der Stoffe: Faßte ich nicht ihr Wesen, wie dürfte man Dichter mich nennen? Unwissend bleiben aus Scham, anstatt aus Fehlern zu lernen? Eine Komödie wünscht nicht den tragisch umschatteten Verston. Unwürdig und empörend wär's aber, das Mahl des Thyestes, Fast schon im Stil der Komödie, mit Alltagsworten zu schildern. Jede Dichtart soll ihren Rang mit Anstand behaupten. Dennoch schwillt auch zuweilen in der Komödie die Stimme, Und der erzürnte Chremes rast in flammender Rede; Auch der tragische Held klagt oft in schlichtester Sprache; Peleus und Telephus selbst, verbannt und in Armut sie beide, Meiden hohlen Schwulst und ellenlange Tiraden, Soll doch die Klage die Herzen des Publikums wahrhaft bewegen. Wohllautend seien die Verse - denn schöne Fügung genügt nicht - , Mitreißend sollen sie sein, die Herzen der Hörer erschüttern, So wie des Menschen Miene fröhlich den Lachenden zulacht Und mit den Weinenden weint, mußt selber du leiden zuvor schon, Willst du zu Tränen mich rühren, daß mich dein Unglück ergreife,

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Telephe vel Peleu; male si mandata loqueris, aut dormitabo aut ridebo. tristia maestum voltum verba decent, iratum plena minarum, ludentem lasciva, severum seria dictu. format enim natura prius nos intus ad omnem fortunarum habitum: iuvat aut inpellit ad iram aut ad humum maerore gravi deducit et angit: post effert animi motus interprete lingua, si dicentis erunt fortunis absona dieta, Romani tollent équités peditesque cachinnum. intererit multum, Davosne loquatur an héros, maturusne senex an adhuc fiorente iuventa fervidus, et matrona potens an seduta nutrix, mercatorne vagus cuitóme virentis agelli, Colchus an Assyrius, Thebis nutritus an Argis. aut famam sequere aut sibi convenientia finge scriptor. honoratum si forte reponis Achillem, inpiger, iracundus, inexorabilis, acer iura neget sibi nata, nihil non adroget armis. sit Medea ferox invictaque, flebilis Ino, perfidus Ixion, Io vaga, tristis Orestes, siquid inexpertum scaenae conmittis et audes personam formare novam, servetur ad imum, qualis ab incepto processerit, et sibi constet. difficile est proprie communia dicere, tuque rectius Iliacum carmen deducís in actus quam si proferres ignota indictaque primus. publica materies privati iuris erit, si non circa vilem patulumque moraberis orbem nec verbum verbo curabis reddere fidus interpres nec desilies imitator in artum, unde pedem proferre pudor vetet aut operis lex, nec sic incipies, ut scriptor cyclicus olim: 'fortunam Priami cantabo et nobile bellum.' quid dignum tanto feret hic promissor hiatu? parturient montes, nascetur ridiculus mus.

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Telephos, du, und Peleus!; doch spielst du schlecht deine Rolle, Schlafe ich ein oder lache; traurige Worte gehören Zu dem betrübten Antlitz, drohende zu dem erzürnten, Lockere zu einem Schalk und strenge zu ernstlicher Rede. Denn es formt die Natur zuerst unser inneres Wesen Je nach der äußeren Lage: erfreut uns, treibt uns in Arger Oder auch drückt uns nieder in Wehmut und quälendes Bangen. Dann erst trägt, was wir fühlen, die Zunge als Dolmetsch nach außen. Klafft zwischen Worten und Leben des Sprechers erkennbar ein Abgrund: Erntet bei Rittern und Bürgern von Rom er Hohn und Gelächter. Groß ist der Unterschied, ob ein Gott, ob ein Held zu uns redet, Reifen Alters ein Greis, in Vollkraft ein glühender Jüngling, Oder die angeseh'ne Matrone, die emsige Amme, Weltbefahrener Kaufherr, ein Landmann, sein Gütchen bebauend, O b aus Kolchis, von Assur, in Argos, in Theben erzogen. Folge dem Mythos oder erfinde etwas, das mit sich Selbst übereinstimmt: Achill, der gerühmte, erneut auf der Bühne, Unerbittlich sei er, rastlos, wütend im Zorne, Recht und Gesetz mißachtend, alles ertrotzend mit Waffen; Wild sei die unüberwund'ne Medea, in Tränen die Ino, Treulos Ixion, Io gejagt, voll Schwermut Orestes. Führst etwa Unerprobtes du auf und wagst du es, eine Neue Gestalt zu erschaffen, so wahre ihr innerstes Wesen; Wie sie von Anbeginn auftrat, soll unbeirrbar sie bleiben. Schwierig ist's wohl, ein Alltagsgeschick uns glaubhaft zu zeigen, Leichter jedoch, Gesänge von Ilion weiter zu weben, Statt als Erster Fremdes, noch nie Besung'nes zu bieten. Auch ein Thema, schon auf dem Markt, ist rechtens das deine, Falls nicht auf vielbetreten-alltäglichem Weg du dich aufhältst, Und nicht Wort für Wort übersetzend als Dolmetsch dich abmühst, Nicht dich verrennst womöglich als Nachbeter anderen Kunstwerks, Scheu vor dem Urtext den Mut dir nimmt, eigene Schritte zu wagen. Fange auch ja nicht an wie einst ein Homer-Epigone: »Priamos' Schicksal und ruhmreichen Kriegszug will ich besingen.« Was verspricht der Prahlhans uns da, wenn den Mund er so vollnimmt? Berge kreißen - doch sieh: Zur Welt kommt ein lächerlich Mäuslein!

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quanto rectius hic, qui nil molitur inepte: 'die mihi, Musa, virum, captae post tempora Troiae qui mores hominum multorum vidit et urbes.' non f u m u m ex fulgore, sed ex f u m o dare lucem cogitai, ut speciosa dehinc miracula promat, Antiphaten Scyllamque et cum Cyclope Charybdim. nec reditum Diomedis ab interitu Meleagri nec gemino bellum Troianum orditur ab ovo: semper ad eventum festinat et in medias res non secus ac notas auditorem rapit et quae desperat tractata nitescere posse relinquit atque ita mentitur, sic veris falsa remiscet, primo ne medium, medio ne discrepet imum. tu, quid ego et populus mecum desideret, audi, si plausoris eges aulaea manentis et usque sessuri, donee cantor 'vos plaudite' dicat. aetatis cuiusque notandi sunt tibi mores, mobilibusque decor naturis dandus et annis. reddere qui voces iam seit puer et pede certo signât humum, gestit paribus conludere et iram colligit ac ponit temere et mutatur in horas, inberbis iuvenis, tandem custode remoto, gaudet equis canibusque et aprici gramine campi, cereus in vitium flecti, monitoribus asper, utilium tardus provisor, prodigus aeris, sublimis cupidusque et amata relinquere pernix. conversis studiis aetas animusque virilis quaerit opes et amicitias, inservit honori, conmisisse cavet quod mox mutare laboret. multa senem circumveniunt incommoda, vel quod quaerit et inventis miser abstinet ac timet uti, vel quod res omnis timide gelideque ministrai, dilator, spe longus, iners avidusque futuri, difficilis, querulus, laudator temporis acti se puero, castigator censorque minorum. multa ferunt anni venientes c o m m o d a secum,

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Trefflicher dünkt mich da jener, der nicht so bombastisch daherkommt: »Nenne mir, Muse, den Mann, der in Jahren nach Trojas Zerstörung Vieler Menschen Städte gesehen und Sitte erfahren.« Nicht will er Qualm nach Blitzen, nein, Helle nach Qualm uns beschreiben, U m uns so die leuchtenden Wunder der Welt zu enthüllen: Antiphates, die Skylla und mit dem Kyklopen Charybdis. Nicht beginnt Diomedes' Heimfahrt bei Meleagers Untergang, nicht der trojanische Krieg mit Ledas Geburten. Immer eilt er zum Schlußpunkt und reißt in das Herzstück der Handlung Seinen Hörer, als sei der mit allem vertraut, und läßt fallen, Was nicht als glänzende Fabel darzustellen sich lohnte; Also erfindet er frei, sein Blendwerk mit Wahrem vermischend, Sorgt auch, daß Mitte und Anfang, Ende und Mitte sich einen. Höre, mein Freund, mit jedermann weiß ich mich einig im Wunsche: Wenn du ein Publikum brauchst, das begeistert wartend am Vorhang Ausharrt, bis endlich der Mime, Beifall heischend, hervortritt: Achte genau auf die Eigenart jedweder Stufe des Alters, Gib Charakteren ihr Anseh'n entsprechend dem Wandel der Jahre. Kaum weiß der Knabe Worte zu formen, da spielt er alsbald schon Sicheren Gangs mit Gefährten; plötzlich vom Zorne befallen, Söhnt er sich schnell wieder aus, ist Stunden später ein and'rer. Bartloser Jüngling dann, der endlich dem Mentor entronnen: Ihn freuen Pferde und Hunde, der Rasen im sonnigen Stadion; Wachsweich verführbar zum Laster, ist taub er für jede Ermahnung, Spät erst denkt er an nützliche Dinge, verschwendet sein Geld gern, Nach Erhabenem strebend, gibt rasch er preis, was er liebte. Andere Ziele vor Augen hat Mannes Alter und Wesen: Anerkennung und Freundschaft sucht er und ehrende Dienste, Meidet, Schritte zu tun, die kaum ein Zurück mehr erlauben. Vieles Beschwerliche quält einen Greis: er will noch erwerben, Nutzt nicht - der Ärmste! - erworbene Güter, wagt nichts zu genießen; Angstlich und kalt überlegend, besorgt er, was auf ihn zukommt, Zaudernd, in stetigem Hoffen, und kraftlos auf's Künftige starrend, Schwer zu behandeln, ein Nörgler, nur lobend die früheren Zeiten, Da er ein Knabe noch war - heut kritischer Richter der Jungen. Viele Vorteile bringen uns kommende Jahre; doch scheidend

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multa recedentes adimunt: ne forte seniles mandentur iuveni partes pueroque viriles: semper in adiunctis aevoque morabimur aptis. aut agitur res in scaenis aut acta refertur. segnius inritant ánimos demissa per aurem quam quae sunt oculis subiecta fidelibus et quae ipse sibi tradit spectator: non tarnen intus digna geri promes in scaenam multaque tolles ex oculis, quae mox narret facundia praesens: ne pueros coram populo Medea trucidet aut humana palam coquat exta nefarius Atreus aut in avem Procne vertatur, C a d m u s in anguem. quodcumque ostendis mihi sic, incredulus odi. neve minor neu sit quinto produetior actu fabula quae posci volt et spectanda reponi, nec deus intersit, nisi dignus vindice nodus inciderit, nec quarta loqui persona laboret. actoris partis chorus officiumque virile defendat, neu quid medios intercinat actus quod non proposito conducat et haereat apte, ille bonis faveatque et consilietur amice et regat iratos et amet pacare timentis, ille dapes laudet mensae brevis, ille salubrem iustitiam legesque et apertis otia portis, ille tegat conmissa deosque precetur et oret, ut redeat miseris, abeat Fortuna superbis. tibia non ut nunc orichalco viñeta tubaeque aemula, sed tenuis simplexque foramine pauco adspirare et adesse choris erat utilis atque nondum spissa nimis compiere sedilia flatu; q u o sane populus numerabilis, utpote parvos, et frugi castusque verecundusque coibat. postquam coepit agros extendere victor et urbis latior amplecti murus vinoque diurno placari Genius festis inpune diebus, accessit numerisque modisque licentia maior.

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Rauben sie uns auch viel; nicht soll der Jüngling des Greises Rolle spielen und nicht der Knabe die Rolle des Mannes. Jeder soll seiner Altersstufe gemäß sich verhalten. Handlung rollt ab auf der Bühne, oder sie wird nur berichtet. Schwächer bewegt wohl die Herzen, was nur die Ohren vernehmen, Als das verläßliche Auge und was der Zuschauer selber Alles erfaßt. Bring trotzdem nie auf die Bühne Intimes, Das nur ins Haus gehört; halt vieles fern vom Betrachter Mag ein beredter Mund es dem Hörer lebendiger schildern: Nicht darf schlachten Medea vor allem Volk ihre Kinder, Auch nicht Menschenfleisch sichtbar kochen der ruchlose Atreus, Nicht darf Prokne dort werden zum Vogel noch Kadmos zur Schlange. Was man mir so zur Schau stellt, ekelt mich, mag ich nicht glauben. Fünf sei die Anzahl der Akte im Stück, nicht größer, nicht kleiner, Wenn es uns anrühren will, auf weitere Spielzeiten hoffend. Nur wenn ein Knoten der Lösung bedarf, greife hilfreich ein Gott ein. Auch soll keine vierte Person als Sprecher dabeisein. Auftreten soll der Chor in der Rolle eines der Spieler, Nicht aber zwischen den einzelnen Akten Gesänge uns bieten, Was dem Entwurf nicht entspräche und nicht sich fügte ins Ganze: Wohlgesonnen den Guten und allzeit als Freund sie beratend, Lenke er die Erzürnten, beruhige gern die Verzagten, Preise die schlichten Mahle, die heilsame Richter-Entscheidung, Auch die Gesetze des Staates, den Frieden bei offenen Toren, Hüte das Anvertraute, fleh' zu den Göttern und bete: Elenden leuchte das Glück, doch Stolze möge es meiden. Flöten, noch nicht mit Messing verstärkt wie die lautstarke Tuba, Zart noch im Ton und einfach gebaut mit wenigen Löchern, Dienten dazu, den Chor zu begleiten und hilfreich zu stützen, Mit ihrem Spiel die nicht allzu gedrängten Reihen erfreuend, Als noch das Volk zu zählen war, damals nur wenige Menschen, Die noch bescheiden, ehrbar lebten in guter Gemeinschaft. Als unsre Siege begannen, die Äcker des Landes zu weiten, Breitere Mauern die Städte umgaben und man bei Festen Ungerügt Wein schon am Tag trank, um seinen Schutzgeist zu ehren, Drang in Versmaß und Sang eine kaum noch gezügelte Freiheit.

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indoctus quid enim saperet liberque laborum rusticus urbano confusus, turpis honesto? sic priscae motumque et luxuriem addidit arti tibicen traxitque vagus per pulpita vestem; sic etiam fidibus voces crevere severis, et tulit eloquium insolitum facundia praeceps utiliumque sagax rerum et divina futuri sortilegis non discrepuit sententia Delphis. carmine qui tragico vilem certavit ob hircum, m o x etiam agrestis satyros nudavit et asper incolumi gravitate iocum temptavit eo quod inlecebris erat et grata novitate morandus spectator functusque sacris et potus et exlex, verum ita risores, ita commendare dicacis conveniet satyros, ita vertere seria ludo, ne, quicumque deus, quicumque adhibebitur heros, regali conspectus in auro nuper et ostro, migret in obscuras humili sermone tabernas aut, dum vitat humum, nubis et inania captet. effutire levis indigna tragoedia versus, ut festis matrona moveri iussa diebus, intererit satyris paulum pudibunda protervis. non ego inornata et dominantia nomina solum verbaque, Pisones, satyrorum scriptor amabo nec sic enitar tragico differre colori, ut nihil intersit, Davusne loquatur et audax Pythias, emuncto lucrata Simone talentum, an custos famulusque dei Silenus alumni, ex n o t o fictum carmen sequar, ut sibi quivis speret idem, sudet multum frustraque laboret ausus idem: tantum series iuncturaque pollet, tantum de medio sumptis accedit honoris, silvis deducti caveant me iudice Fauni, ne velut innati triviis ac paene forenses aut nimium teneris iuvenentur versibus umquam aut inmunda crepent ignominiosaque dieta.

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Was gewänne an Klugheit der ungebildete Bauer Nach seiner Arbeit vom Städter, vom Edlen gar der Gemeine? Jetzt blies der Flötenspieler Unruh und Prunk in der Väter Klänge und zog mit wehender Robe über die Bühne; Mit ihren ernsten Saiten tönte lauter die Leier, Allzu kühnes Gerede verstieg sich zu seltsamem Wortschwall, Wissen um nützliche Dinge und Ahnung von künftigem Schicksal, Kaum unterschied es sich noch von den dunklen Orakeln aus Delphi. In der Tragödie war anfangs ein wohlfeiler Bock nur der Kampfpreis; Bald traten auch die halbnackten Satyrn dort auf, jene derben; Die ihre Späße trieben, ohne der Würde zu schaden Zuschauern war's ein Anreiz und dankbar genossene Kurzweil, Wenn sie nach heiligen Opfern trunken sich fühlten im Festrausch. So nur ziemt sich's die Spötter und so die witzigen Satyrn Einzuführen und Ernstes in heiteres Spiel zu verwandeln. Welcher Gott auch immer und welcher Heros auch mitspielt, Anzuschau'n in goldenem Königsgewand und in Purpur: Niemals pfleg' er gemeines Geschwätz in düst'ren Tavernen, Nie auch, um Nied'res zu meiden, jag' er in Wolkengefilden. Leichter Verse Geplauder paßt nicht zur ernsten Tragödie, Wie die Matrone, zum Festtag geladen, scheu mittut beim Tanze, Doch nur errötend zuschaut dem lockeren Treiben der Satyrn. Freunde, als eines Satyrspiels Autor würd' ich zwar niemals Ausschließlich schmucklose, gängige Namen und Worte verwenden, Andrerseits auch nicht so weit von tragischer Tonart mich lösen, Daß gar kein Unterschied bliebe, ob Davus oder die freche Pythias spräche, die um ein Talent den Simon betrogen, Oder Silenos, der Mentor und Helfer des göttlichen Schülers. Nur aus vertrautem Wortschatz forme sich Dichtung, daß jeder Meine, er könne es selber, und schwitze doch dann vergeblich, Wenn er sich dranwagt: Nur kunstvoll sich fügende Folge vermag es, O b auch der Alltagssprache entnommen, die Worte zu adeln. Wäldern entstammend, sollen - mein' ich - die Faune sich hüten So zu spielen wie Pöbel oder wie vornehme Redner Oder wie Jugend zu tändeln mit allzu zierlichen Versen Oder gar schmutzige, schamlose Witze zum besten zu geben.

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offenduntur enim, quibus est equus et pater et res, nec, siquid fricti ciceris probat et nucis emptor, aequis accipiunt animis donantve corona. syllaba longa brevi subiecta vocatur iambus, pes citus: unde etiam trimetris adcrescere iussit nomen iambeis, cum senos redderet ictus, primus ad extremum similis sibi. non ita pridem, tardior ut paulo graviorque veniret ad auris, spondeos stabilis in iura paterna recepit commodus et patiens, non ut de sede secunda cederet aut quarta socialiter. hic et in Acci nobilibus trimetris adparet raras et Enni in scaenam missos cum magno pondere versus aut operae celeris nimium curaque carentis aut ignoratae premit artis crimine turpi. non quivis videt inmodulata poemata iudex et data Romanis venia est indigna poetis. idcircone vager scribamque licenter? an omnis visuros peccata putem mea, tutus et intra spem veniae cautus? vitavi denique culpam, non laudem merui. vos exemplaria Graeca nocturna versate manu, versate diurna, at vestri proavi Plautinos et numéros et laudavere sales, nimium patienter utrumque, ne dicam stulte, mirati, si m o d o ego et vos scimus inurbanum lepido seponere dicto legitimumque sonum digitis callemus et aure. ignotum tragicae genus invenisse Camenae dicitur et plaustris vexisse poemata Thespis, quae canerent agerentque peruncti faecibus ora. post hunc personae pallaeque repertor honestae Aeschylus et modicis instravit pulpita tignis et docuit magnumque loqui nitique cothurno. successit vetus his comoedia, non sine multa laude; sed in vitium libertas excidit et vim dignam lege regi: lex est accepta chorusque turpiter obticuit sublato iure nocendi.

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Anstoß nähmen daran Patrizier, Ritter und Reiche; Denn sie schätzen - anders als Käufer von Erbsen und Nüssen Solche Dinge durchaus nicht, verweigern Beifall und Ehrung. Lange Silbe mit kurzer Silbe davor ist des Jambus Hurtiger Versfuß; er ließ den jambischen Trimeter wachsen, Gab ihm den Namen, obwohl doch jeweils sechs Hebungen zählend, Gleichgestaltet vom ersten zum letzten Takte. Erst kürzlich Hat er - bedächtiger klingend den Ohren und eher gemessen In sein Familienerbe den wankellosen Spondeus Aufgenommen, gefällig und fügsam, doch niemals gesonnen, Ander'n den zweiten oder den vierten Platz selbstlos zu gönnen. Selten erscheint er in Accius' berühmten Trimeter-Versen, Und des Ennius Bühnendichtung von mächtigem Schrittmaß Wird mit dem Vorwurf gerügt, das Werk sei zu eilig gefertigt, Oder dem Tadel, das Wesen der Kunst nicht begriffen zu haben. Unmelodische Verse erkennt nicht sogleich jeder Richter; Unwürdig ist die römischen Dichtern gestattete Willkür. Sollte ich deshalb schranken- und zügellos schreiben? Und meinen, Jeder werde ja meine Fehler entdecken, selbst wenn ich Vorsichtig mich in den Grenzen vermeintlichen Spielraums bewege? Anstoß zu meiden verdient noch kein Lob! Das griechische Vorbild Nehmt euch zum Muster bei Tag und bei Nacht! Ich weiß, eure Ahnen Schätzten die Verse und priesen sehr die Witze des Plautus, Allzu genügsam - harmlos-naiv, so möchte ich sagen Beides bewundernd. Doch wenn wir - ihr so wie ich - zwischen einem Treffenden Witz und schamlosem Spaß den Unterschied kennen, Spüren wir auch den echten Vers am Rhythmus und Klang schon. Niemand kannte zunächst die tragische Muse Camena; Als ihr Entdecker gilt Thespis, auf Karren die Vorstellung bietend, Sänger und Mimen des Stückes geschminkt mit der Hefe des Weines. Aischylos, Schöpfer der Maske, des feierlich langen Gewandes, Hat aus einfachen Balken und Brettern die Bühne gezimmert, Lehrte gehobene Sprache und auf Kothurnen zu schreiten. Ihnen folgte die alte Komödie, nicht ohne Beifall, Aber ihr Freimut verführte zum Laster, ja, zur Gewalttat, Reif für den Arm des Gesetzes; es kam, und nun schweigen die Chöre, Schmählich verstummt, seit ihnen das Recht, zu verletzen, genommen.

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nil intemptatum nostri liquere poetae nec minimum meruere decus vestigia Graeca ausi deserere et celebrare domestica facta vel qui praetextas vel qui docuere togatas. nec virtute foret clarisve potentius armis quam lingua Latium, si non offenderet unum quemque poetarum limae labor et mora, vos, o Pompilius sanguis, carmen reprehendite, quod non multa dies et multa litura coercuit atque praesectum deciens non castigavit ad unguem. ingenium misera quia fortunatius arte credit et excludit sanos Helicone poetas Democritus, bona pars non unguis ponere curat, non barbam, secreta petit loca, balnea vitat. nanciscetur enim pretium nomenque poetae, si tribus Anticyris caput insanabile numquam tonsori Licino conmiserit. o ego laevus, qui purgor bilem sub verni temporis horam. non alius faceret meliora poemata; verum nil tanti est. ergo fungar vice cotis, acutum reddere quae ferrum valet, exsors ipsa secandi; munus et officium, nil scribens ipse, docebo, unde parentur opes, quid alat formetque poetam, quid deceat, quid non, quo virtus, quo ferat error. scribendi recte sapere est et principium et fons. rem tibi Socraticae poterunt ostendere chartae verbaque provisam rem non invita sequentur. qui didicit, patriae quid debeat et quid amicis, quo sit amore parens, quo frater amandus et hospes, quod sit conscripti, quod iudicis officium, quae partes in bellum missi ducis, ille profecto reddere personae seit convenientia cuique. respicere exemplar vitae morumque iubebo doctum imitatorem et vivas hinc ducere voces, interdum speciosa locis morataque recte fabula nullius veneris, sine pondere et arte,

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Nichts ließen unerprobt die Dichter unseres Landes, Und nicht unbeträchtlichen Ruhm errang sich ihr Wagnis, Griechische Spur zu verlassen und heimische Taten zu preisen, Sei's durch das römische Schauspiel oder durch uns're Komödie. Ebenso mächtig wär' Latium durch seine Sprache wie jetzt durch Glänzende Waffen und Mut seiner Männer, wenn nur nicht den Dichtern So sehr mißfiele die Mühsal des Feilens, des zeitlichen Aufwands. Freunde aus des Pompilius' Stamm, verwerft jedes Dichtwerk, Wenn nicht Tag um Tag dran gebessert, geschliffen und zehnmal Fügung und Form mit glattem Nagel tastend geprüft ward. Weit begnadeter sei das Genie als erbärmlicher Kunstfleiß, Meint Demokrit und verschließt prosaischen Dichtern den Tempel. Darum läßt mancher weder Nägel noch Barthaar sich stutzen, Zieht sich zurück in einsame Gegend und meidet die Bäder. Wert und Name als Dichter ist ja erreicht schon, wenn einer Niemals sein Haupt - unheilbar trotz dreifacher Nieswurzanwendung Seinem Barbier, dem Licinus, anheimgab! Ich bin doch ein Dummkopf, Daß ich seit Frühlingsbeginn mein Gallenleiden kuriere: Keiner schüf' bess're Gedichte; das aber lohnt nicht den Aufwand. Nun, so möcht' ich als Schleifstein wirken, der selber nicht schneidet, Aber imstand ist, dem Eisen neue Schärfe zu geben. Selbst nicht dichtend, lehre ich Amt und Pflichten des Dichters: Wo sich die Schätze finden, die ihn nähren und bilden, Was zu tun, was zu lassen, wohin Kunst, wohin Irrwahn ihn führen. Wahre Begabung, Worte zu fügen, ist Quelle und Anfang. Wesen der Wirklichkeit läßt des Sokrates Weisheit dich schauen; Hast du den Stoff erst bedacht, dann folgen auch willig die Worte. Wer es jemals erfuhr, was der Heimat, den Freunden er schuldet, Wieviel Liebe gebührt den Eltern, dem Bruder, dem Gastfreund, Welche Pflichten dem Richter und dem Senator obliegen, Welche dem Feldherrn im Kriegszug, versteht auch als deutender Dichter Jede Gestalt, die er schafft, harmonisch ins Ganze zu fügen. Schauen soll er auf's lebende Vorbild, auf Haltung und Sitte: Daraus als Bildner geschickt beseelte Sprache gestalten. Manchmal ergötzt eine lehrreiche Fabel mit treffender Zeichnung Ohne besondere Anmut, Bedeutung und Redegewandtheit

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valdius oblectat populum meliusque moratur quam versus inopes rerum nugaeque canorae. Grais ingenium, Grais dedit ore rotundo Musa loqui, praeter laudem nullius avaris. Romani pueri longis rationibus assem discunt in partis centum diducere, 'dicat filius Albini: si de quincunce remota est uncia, quid superat? poteras dixisse.' 'triens.' 'eu, rem poteris servare tuam. redit uncia, quid fit?' 'semis.' an, haec ánimos aerugo et cura peculi cum semel imbuerit, speremus carmina fingi posse linenda cedro et levi servanda cupresso? aut prodesse volunt aut delectare poetae aut simul et iucunda et idonea dicere vitae. quidquid praecipies, esto brevis, ut cito dieta percipiant animi dociles teneantque fideles: omne supervacuum pieno de pectore manat. ficta voluptatis causa sint próxima veris: ne quodeumque volet poscat sibi fabula credi neu pransae Lamiae vivum puerum extrahat alvo, centuriae seniorum agitant expertia frugis, celsi praetereunt austera poemata Ramnes: omne tulit punctum, qui miscuit utile dulci lectorem delectando pariterque monendo. hic meret aera liber Sosiis, hic et mare transit et longum noto scriptori prorogai aevum. sunt delicta tamen, quibus ignovisse velimus: nam ñeque chorda sonum reddit quem volt manus et poscentique gravem persaepe remittit acutum, nec semper feriet quodeumque minabitur arcus. verum ubi plura nitent in carmine, non ego paucis offendar maculis, quas aut incuria fudit aut humana parum cavit natura, quid ergo est? ut scriptor si peccat idem librarius usque, quamvis est monitus, venia caret, ut citharoedus ridetur, chorda qui semper oberrat eadem,

DAS BUCH VON DER DICHTKUNST

Mehr noch das Volk und fesselt die Herzen und Sinne viel stärker Als gehaltlose Verse und eitles Geklingel mit Worten. Griechen verlieh die Muse Genie, geschliffene Rede; Griechen kennen, außer der Ruhmsucht, keinerlei Ehrgeiz. Römische Knaben dagegen lernen, durch längeres Rechnen Asse in hundert Teile zu teilen. »Sag mir ganz schnell jetzt, Sohn des Albinus: nimmst von fünf Zwölfteln du eine Unze, Wieviel bleibt übrig?« - »Ein Drittel As doch!« - »Bravo, so hältst du Künftig das Deine zusammen. - Eine Unze dazu noch?« »Macht grad ein halbes As.« - Wenn diese Jagd nach dem Gelde Erst mal die Sinne erfaßt hat - kann da noch ein Dichtwerk entstehen, Das man mit Zedernöl schützt und bewahrt im Zypressenholzkästchen? Helfen wollen die Dichter oder doch uns erfreuen Oder beides: die Herzen erheitern und dienen dem Leben. Was auch immer du rätst, sag es knapp, daß rasch deine Leser Fassen im Geist deine Worte und treu ans Gesagte sich halten: Ist erst die Seele gesättigt, verrinnt, was unnütz, ins Leere. Was du zur Kurzweil ersannst, es bleibe nah bei der Wahrheit: Nicht für jede Idee darf die Fabel Glauben verlangen, Nicht aus der Lamia Magen lebend den Knaben herauszieh'n. Ält're vermissen im Dichtwerk häufig die sittlichen Werte, Junge vornehme Ritter verachten lehrhafte Dichtung; Beifall bei allen erringt, wer Nützliches mischt mit der Liebe, Freude dem Leser bereitend und gleichermaßen ihn mahnend. Weltweit verkauft sich dann ein Buch aus dem Laden der Brüder Sosius, und Dauer verschafft es dem Ruhm des gefeierten Autors. Doch es gibt auch Verstöße, die wir gern übersehen: Saiten erklingen nicht immer, wie Stimmung und Finger es wünschen: Möchte gedämpft man den Ton, da hört man gar oft einen schrillen, Keineswegs immer trifft jeder Schütze das Ziel, das er wählte. Zeigt das Gedicht aber insgesamt Klarheit, stören mich kaum noch Einzelne Flecken, wie sie wohl mangelnde Sorgfalt verschuldet Oder die Menschennatur - sie kann ja nicht alles verhüten! Keiner verzeiht dem Kopisten die gleichen Fehler trotz Mahnung, Auch den Zitherspieler verlacht man, der auf derselben Saite wiederum fehlgreift, und so erscheint mir ein Dichter,

DE A R T E POETICA

sic mihi, qui multum cessât, fit Choerilus ille, quem bis terve b o n u m c u m risu miror; et idem indignor, quandoque bonus dormitat H o m e r u s ; verum operi longo fas est obrepere somnum. ut pictura poesis: erit quae, si propius stes, te capiat magis, et quaedam, si longius abstes; haec amat obscurum, volet haec sub luce videri, iudicis argutum quae non formidat acumen; haec placuit semel, haec deciens repetita placebit. o maior iuvenum, quamvis et voce paterna fingeris ad rectum et per te sapis, hoc tibi dictum tolle memor, certis medium et tolerabile rebus recte concedi: consultus iuris et actor causarum mediocris abest virtute diserti Messallae nec seit quantum Cascellius Aulus, sed tarnen in pretio est: mediocribus esse poetis non homines, non di, non concessere columnae. ut gratas inter mensas symphonia discors et crassum unguentum et Sardo c u m melle papaver offendunt, poterai duci quia cena sine istis: sic animis natum inventumque poema iuvandis, si paulum summo decessit, vergit ad imum. ludere qui nescit, campestribus abstinet armis indoctusque pilae discive trochive quiescit, ne spissae risum tollant inpune coronae: qui nescit versus, tamen audet fingere, quidni? liber et ingenuus, praesertim census equestrem summam n u m m o r u m vitioque remotus ab omni. tu nihil invita dices faciesve Minerva: id tibi iudicium est, ea mens, siquid tamen olim scripseris, in Maeci descendat iudicis auris et patris et nostras nonumque prematur in annum membranis intus positis: delere licebit, quod non edideris, nescit vox missa revertí. silvestris homines sacer interpresque deorum caedibus et victu f o e d o deterruit O r p h e u s ,

DAS BUCH VON D E R DICHTKUNST

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D e r sich zu häufig vertut, so täppisch wie jener Choirilos: Lächelnd bewund're ich ihn, wenn's zwei- oder dreimal ihm glückte. D e n n o c h stört mich's, wenn selbst H o m e r gelegentlich einnickt; Freilich, bei so weitem Werk liegt's doch nah, daß der Schlaf sich mal Wie ein Gemälde wirkt Dichtung: Eines fesselt dich stärker,

[einschleicht!

Siehst du es ganz aus der Nähe, ein and'res aus größerem Abstand. Dies will im D ä m m e r und jenes im vollen Lichte sich zeigen, Scheut nicht den kritischen Blick und nicht den Scharfsinn des Kenners; Dieses gefällt nur beim ersten, beim zehnten Male noch jenes. Altester du meiner jungen Freunde, wenn auch vom Vater Schon zum Rechten erzogen und selbst verständigen Sinnes, Präg dir ein diesen Spruch: In bestimmten Bereichen genügt schon Mittlere Leistung: ein Rechtsberater und mäßig begabter Anwalt ist nie so redegewandt wie jener Messalla, Schöpft auch nie aus dem Wissen eines Cascellius Aulus, D e n n o c h gilt er etwas. D o c h unbedeutende D i c h t e r N i m m t kein Mensch und kein G o t t und kein Bücherverzeichnis zur [Kenntnis. Wie selbst die köstlichste Speise durch schlechte Musik oft gestört wird, D u r c h ordinäres Salböl, durch M o h n mit sardischem H o n i g Jedes Gastmahl kann ohne Schaden darauf verzichten - , So ist auch Dichtung geboren, geschaffen zur Freude der Menschen: Bleibt sie nur wenig unter dem Gipfel, so hat sie verloren. Fern hält vom Marsfeld sich jeder, der nicht geschult in den Waffen, Wer nicht den Diskus, das Reifen- und Ballspiel beherrscht, läßt es bleiben, D a ß nicht die Zuschauermenge ihn mit Gelächter bestrafe. Wer aber nichts von Versen versteht, greift dennoch zur Feder, D a er freigeboren sich weiß, v o m C e n s o r als Ritter H o h e n Vermögens veranlagt, enthoben jeglicher Schelte. D u wirst nichts sagen, nichts tun entgegen deiner Berufung, Dies sei dir Richtschnur und Sinn! D o c h hast du etwas geschrieben, Leg es dem Maecius vor, dem kritischen Kenner der Künste, U n d deinem Vater und mir und laß es neun J a h r e lang liegen! Was du noch nicht veröffentlicht hast, das kannst du noch tilgen; Ist erst das Wort in der Welt: zurück kannst du's nimmermehr holen. Waldbewohner hat O r p h e u s , der D e u t e r göttlichen Willens, Abgeschreckt von blutigen Taten und gräßlicher Speise;

DE ARTE POETICA

dictus ob hoc lenire tigres rabidosque leones; dictus et Amphion, Thebanae conditor urbis, saxa movere sono testudinis et prece blanda ducere q u o vellet. fuit haec sapientia quondam, publica privatis secernere, sacra profanis, concubitu prohibere vago, dare iura maritis, oppida moliri, leges incidere ligno. sic honor et nomen divinis vatibus atque carminibus venit. post hos insignis H o m e r u s Tyrtaeusque mares ánimos in Martia bella versibus exacuit; dictae per carmina sortes et vitae monstrata via est et gratia regum Pieriis temptata modis ludusque repertus et longorum operum finis: ne forte pudori sit tibi Musa lyrae sollers et cantor Apollo. natura fieret laudabile carmen an arte, quaesitum est; ego nec Studium sine divite vena nec rude quid prosit video ingenium: alterius sic altera poscit opem res et coniurat amice. qui studet optatam cursu contingere metam, multa tulit fecitque puer, sudavit et alsit, abstinuit venere et vino; qui Pythia cantat tibicen, didicit prius extimuitque magistrum. nunc satis est dixisse 'ego mira poemata pango; occupet extremum scabies; mihi turpe relinqui et quod non didici sane nescire fateri'. ut praeco, ad merces turbam qui cogit emendas, adsentatores iubet ad lucrum ire poeta dives agris, dives positis in fenore nummis. si vero est, unctum qui recte ponere possit et spondere levi pro paupere et eripere artis litibus inplicitum, mirabor, si seiet internoscere mendacem verumque beatus amicum. tu seu donaris seu quid donare voles cui, nolito ad versus tibi factos ducere plenum laetitiae; clamabit enim 'pulchre, bene, recte',

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Tiger soll er besänftigt haben und wütende Löwen; Auch Amphion, der Gründer von Theben, habe, die Laute Spielend, Felsen zu rücken vermocht und durch schmeichelnde Bitte Sie nach Belieben versetzt. Und einst galt als Kern aller Weisheit: Staats- und Privatgut zu scheiden, Heiliges auch vom Profanen, Wahllosen Lüsten zu wehren, Rechtsschutz der Ehe zu sichern, Städte zu gründen, auf Tafeln einzugraben Gesetze. So ward Ehre und Anseh'n den gottbegeisterten Sängern Und ihren Liedern. Nach ihnen spornte Homer, der erlauchte, Spornte Tyrtaios mannhafte Herzen zu heldischen Kämpfen Mit seinen Strophen. Schicksal wurde geweissagt in Versen, Weisung für's Leben erteilt, die Gunst des Königs erbeten Durch der Musen Gesang, auch Bühnenspiele ersonnen, Ende und Krönung der Arbeit; so schäme dich nicht, wenn die Muse Und der Sänger Apollon Lautenklänge dir schenken. Schafft, was Geburt uns verlieh, oder Kunst die großen Gesänge Fragt man. Nicht eifrigstes Üben ohne innere Fülle Noch das Genie ohne Schulung, meine ich, können's alleine; Jedes bedarf des andern, wie Freunde zum Bund sich vereinen. Will das ersehnte Ziel im Wettlauf einer erreichen, Tat und ertrug er vieles als Jüngling in Schweiß und in Kälte, Hielt sich zurück in Liebe und Wein; wer die pythische Weise Spielt, hat vorher geübt und des Meisters Tadel gefürchtet. Heute genügt's, zu sagen: »Ich schreibe die herrlichsten Verse; Hol der Henker den letzten; schlimm wär's, weit hinten zu bleiben, Nie Gelerntes als Mangel offen einzugestehen.« Wie der Händler am Markt seine Ware mitreißend anpreist, Käufer herbeizulocken, so wirkt auf Schmeichler ein Dichter, Wenn er Grund und Boden besitzt und verzinsliche Werte; Kann er vollends bei Tisch ein leck'res Gericht uns servieren, Bürgen für einen Verarmten, einen Beklagten entreißen Tücken des Rechtsstreits, so möcht' ich wohl wissen: weiß er die Grenze Zwischen dem falschen und einem wahrhaften Freunde zu ziehen? Hast du jemand beschenkt oder willst du vielleicht ihn beschenken, Lies ihm nie deine Verse, solange er noch voller Freude, Denn er wird rufen: »Wie schön, wie trefflich gefügt und wie richtig!«

DE A R T E POETICA

pallescet, super his etiam stillabit amicis ex oculis rorem, saliet, tundet pede terram. ut, qui conducti plorant in funere, dicunt et faciunt prope plura dolentibus ex animo, sic derisor vero plus laudatore movetur. reges dicuntur multis urgere culillis et torquere mero, quem perspexisse laborent an sit amicitia dignus; si carmina condes, numquam te fallent animi sub vulpe latentes. Quintilio siquid recitares, 'corrige sodes h o c ' aiebat 'et hoc', melius te posse negares bis terque expertum frustra: delere iubebat et male tornatos incudi reddere versus, si defendere delictum quam vertere malles, nullum ultra verbum aut operam insumebat inanem quin sine rivali teque et tua solus amares, vir bonus et prudens versus reprehendet inertis, culpabit duros, incomptis adlinet atrum transverso calamo signum, ambitiosa recidet ornamenta, parum claris lucem dare coget, arguet ambigue dictum, mutanda notabit: fiet Aristarchus; non dicet 'cur ego amicum offendam in nugis?' hae nugae seria ducent in mala derisum semel exceptumque sinistre. ut mala quem scabies aut morbus regius urget aut fanaticus error et iracunda Diana, vesanum tetigisse timent fugiuntque poetam qui sapiunt, agitant pueri incautique sequuntur. hic, dum sublimis versus ructatur et errat, si veluti merulis internus decidit auceps in puteum foveamve, licet 'succurrite' longum clamet, 'io cives', non sit qui tollere curet. si curet quis opem ferre et demittere funem, 'qui scis, an prudens hue se proiecerit atque servari nolit?' dicam Siculique poetae narrabo interitum. 'deus inmortalis haberi

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2

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Je nach Bedarf wird er blaß und vergießt gar Tränen der Freundschaft O d e r wird hüpfen vor Lust, mit Füßen stampfen die Erde. Die für Geld beim Leichenbegängnis weinen und reden, Zeigen fast schmerzlicher sich bewegt als die wahrhaft B e t r o f f n e n , Heuchler stärker erschüttert als ehrliche Spender des Lobes. Könige, sagt man, bedrängen fast quälend mit vielen Pokalen Starken Weines, wen sie ganz zu durchschauen gewillt sind, O b er verdient ihre Freundschaft. Dichte für dich deine Lieder, N i e täuscht falsche Gesinnung dich dann, unter'm Fuchspelz verborgen. Las man Quintilius vor, so sagt' er: »Bitte verbess're Dies noch und jenes!« Meintest du, nein, du könntest es nicht mehr, Weil du's schon zwei- oder dreimal vergebens versuchtest, gebot er: »Streiche das Ganze und schmiede neu die gedrechselten Verse!« Wolltest du lieber verteidigen deine Verstöße als ändern, Wandt' er kein Wort, keine Mühe mehr drauf, daß ohne Rivalen G a n z in dich allein und dein Werk du verliebt bleiben konntest. Schwache Verse geißelt der Kluge, will er dir helfen, Tadelt auch Härten, versieht dir holprige Zeilen mit schwarzem Querstrich der Feder, stutzt üppiges Schmuckwerk, das heimlich nach L o b [schielt, Zwingt zur Klarheit das Wort, das dem Leser sonst wenig verständlich, Rügt, was mehrfach deutbar, und fordert zu ändern, was nottut, Ist Aristarch dir und sagt nicht: »Soll meinen Freund ich verstimmen Mit solchem Kleinkram?« J a , solcher Kleinkram trüge dir sicher Arger und übles Gespött ein, käm' er dem Leser vor Augen. Wie den von Räude und Gelbsucht Befall'nen und wie den v o m Wahne Einer Verzückung, v o m rasenden Zorn der Diana Geplagten Meiden Gescheite beklommen den überkandidelten Dichter. Allenfalls ärgern die Buben den Kerl, verfolgen ihn furchtlos. Während er hehre Verse ausspeit, kommt er vom Weg ab, Fällt wie der eifrige Amselfänger in einen Brunnen O d e r in eine G r u b e und jammert dann, unüberhörbar: »Helft mir, Leute«, doch scheint es, keiner hilft ihm nach oben. Kümmert sich einer um Hilfe und läßt ihm ein Seil in die Tiefe, »Woher weißt du, ob der nicht mit Absicht hineinsprang und gar nicht Wünscht gerettet zu werden?« Vom Tod des sizilischen Dichters Würd' ich erzählen: »Empedokles, der sich göttergleich dünkte,

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dum cupit Empedocles, ardentem frigidus Aetnam insiluit. sit ius liceatque perire poetis: invitum qui servat, idem facit occidenti, nec semel hoc fecit nec, si retractus erit, iam fiet homo et ponet famosae mortis amorem. nec satis adparet, cur versus factitet, utrum minxerit in patrios ciñeres an triste bidental movent incestus: certe furit ac velut ursus, obiectos caveae valuit si frangere clatros, indoctum doctumque fugat recitator acerbus; quem vero arripuit, tenet occiditque legendo, non missura cutem nisi plena cruoris hirudo.'

DAS BUCH VON DER DICHTKUNST

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Warf sich kühlen Blutes hinab in die Gluten des Ätna. Dichtern sollte stets das Recht auf Freitod gewährt sein. Wer einen Selbstmörder rettet, der gleicht schon fast einem Mörder. Nicht zum ersten Mal tat der's, wird durch die Rettung kein and'rer, Nein, er bleibt bei der Liebe zu solch erhabenem Abgang. Wissen wir denn, warum er nur Verse immerfort schmiedet? O b er des Vaters Asche besudelt, ein Blitzmal entweiht hat, Unrein sich fühlt? Gewiß ist er närrisch, und wie ein Waldbär, Der die sperrigen Gitter des Käfigs zu brechen vermochte, Schreckt dieser unerträgliche Barde Kluge und Dumme; Wen er erwischt, den erschlägt er mit seinen Versen, denn Egel Lösen sich nie von der Haut, solang sie nicht voll sich gesogen.«

ANHANG

ZUR TEXTGESTALT Der lateinische Text entspricht dem der Ausgabe: Horaz, Sämtliche Werke, lateinisch-deutsch, Teil II: Sermones et Epistulae, übersetzt und zusammen mit Hans Färber bearbeitet von Wilhelm Schöne, München "1993. Färber/Schöne folgten bei der Textgestaltung im wesentlichen F. Klinger, Q. Horati Flacci Opera, Leipzig 31959. Abweichungen ergaben sich durch den Vergleich mit den Horaz-Ausgaben von. A. Kießling / R. Heinze, B. Wyss, W. Schöne u. a. Tabelle der Abweichungen vom Klingnertext: Sch = Schöne, K H o = Keller-Holder, Vo = Vollmer, H = Kießling-Heinze, W = Wyss.

mallem qui nemo tuum non hic veniat quo delapsus

serm. I malim Vo nemon Bentley, Fraenkel tuo Vo (Bentley) non, non KHo, Sch, H, W veniet H qua Vo (Bentley) dilatus Sch, H

4.39 8,4

videar dictum ac tanto reponet da

serm. II videor H duetum H at H tantum H reponit Sch, H die Sch, H

13,16 19,46

ne dicat

epist. / neu H, W dicit Sch, H

1.55 1,108 2,81 4,35 4.141 8,15 10,68

1,1 2,56 3.189 3,3i8

284

ZUR TEXTGESTALT

verum es Sch, Vo, H, W

17,21

verum

18,87

metuet

metuit H

18,111

quae

qui Sch, H

1,142

operum et

operum H

epist. II 1,168

accersit

arcessit Sch, H, W

2,167

quoniam

quondam Vo, H, W

178

morabitur

morabimur KHo,

197

tumentis

timentis KHo, Vo, Sch, H ut H, W

ars poetica

355

et

417

relinqui est

relinqui Sch, H

462

deiecerit

proiecerit Sch, H

H

Abweichungen bei der Interpunktion und Orthographie sind nicht aufgeführt.

ERLÄUTERUNGEN Vorbemerkung: Eigennamen, zu denen nichts weiter bekannt ist, als was im Text steht, werden nicht eigens erläutert (z. B. Ummidius in sat, 1 1 , 9 5 : Der Mann war reich und geizig. Naevius, Nomentanus in sat. I 1 , 1 0 1 f.: Beide werden als notorische Verschwender charakterisiert). Soweit in Zitaten antiker Quellen Abkürzungen verwendet wurden, entspre-

chen sie den im Kleinen Pauly, Bd. 1, S. XXI-XXVI zusammengestellten. Abweichend davon sind die Satiren des H o r a z mit sat. abgekürzt, die Episteln mit ep.

Satiren Satire 11 Thema ist die prinzipielle Unzufriedenheit der Menschen: Keiner fühlt sich an dem Platz wohl, an den ihn das Schicksal gestellt hat, jeder neidet dem anderen vermeintliche Vorteile - und doch wäre keiner, wenn ihm die Möglichkeit geboten würde, dazu bereit, seine Rolle zu tauschen. I Maecenas: der in der Einführung genannte Vertraute des Augustus und Gönner des Horaz aus etruskischem Hochadel. 4 Römische Legionäre dienten in der Regel 20 Jahre, manchmal noch länger. 9 Vornehme Römer waren als patroni (»Schutzherrn«) dazu verpflichtet, den von ihnen abhängigen Klienten (»Schutzbefohlenen«) unentgeltlich Rechtsauskunft zu erteilen und ihnen ggf. vor Gericht beizustehen; vgl. dazu ep. II 1,103 ffI I datis vadibus: Er hat Bürgen gestellt, die, falls er nicht erscheint, für ihn zahlen müssen. 14 Fabius: ein redseliger Moralapostel. 20 f. buccas inflet (daß er die Backen aufbläst): ein Zeichen der Entrüstung. 24 Das bereits in der Einführung genannte »Programm« des Horaz.

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ERLÄUTERUNGEN

25 crustula: vermutlich Gebäck in Buchstabenform, ähnlich unserem »Russischen Brot«. 33 Die Ameise steht in der Tierfabel für unermüdlichen Fleiß; vgl. dazu auch Vergil, Aen. IV 403 ff.:... velut ingentem formicae farris acervom / cum populant biemis memores tectoque reponunt, / it nigrum campis agmen praedamque per berbas / convectant calle angusto, pars grandia tmdunt / obnixae frumenta umeris, pars agmina cogunt / castigantque moras, opere omnis semita fervet. 36 Im Zeichen des Sternbilds Wassermann steht der Jahresanfang. 49 f. intra naturae finis vivere: Ein naturgemäßes Leben forderten vor allem die Philosophen der stoischen Schule. 58 Aufidus: Fluß in Apulien, der Heimat des Horaz, heute: Ofanto. 62 »Geld ist der Mann« war ein altes, schon bei den Griechen gebräuchliches Sprichwort; vgl. Alkaios frg. 101 D; Pindar, Isthmien 2,17. Seneca (epist. 115,14) zitiert in Ubersetzung einen griechischen Tragiker: ... Quid habeas, tantum rogant. / Ubique tanti quisque, quantum habuit, fuit. 68 Tantalus: ein Frevler gegen die Götter, der für seine Untaten in der untersten Unterwelt ewig büßen muß: Er steht in einem Teich und kann nicht trinken, weil das Wasser, sobald er danach schnappt, entflieht; die schönsten Früchte hängen über ihm, doch wenn er danach greift, treibt ein Windstoß die Zweige fort. 70 f. saccis - sacris: unübersetzbares Wortspiel. 74 sextarius: etwa ein halber Liter. 91 campus: das Marsfeld im Bereich der heutigen Altstadt Roms, lange Zeit unbebaut und als Reit- und Exerzierplatz genutzt. 95 f. »Geld mit dem Scheffel messen« ist noch heute sprichwörtlich; vgl. Petron. 37,2: ... quae nummos modio metitur. 100 Klytämnestra, die Tochter des spartanischen Königs Tyndareos, erschlug ihren Mann, König Agamemnon, als er aus dem Trojanischen Krieg nach Hause kam. 105 Tanais, nach Auskunft des Horaz-Kommentators Porphyrio wohl ein Freigelassener des Maecenas, war kastriert, der Schwiegervater des Visellius hatte einen Hodenbruch - d. h., er hatte an der Stelle, wo dem Tanais etwas fehlte, eindeutig zu viel. 119 Vgl. Lukrez III 938: Cur non utplenus vitae conviva recedisi 120 Crispinus: ein geschwätziger Moralapostel stoischer Provenienz, der sich auch als Dichter versuchte.

ZU SATIREN • ERSTES BUCH

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Satire 12 Die Menschen, meint H o r a z , sind rechte Narren: Sie wollen den einen Fehler meiden und fallen in den anderen, sind bald Knauser, bald Verschwender und lassen sich auch durch warnende Beispiele nicht von ihrem törichten Treiben abhalten. Als Beispiel nimmt der Dichter die Ehebrecher und zählt die Gefahren auf, die ihnen, wenn sie erwischt werden, drohen. 3 Tigellius: von Caesar und Augustus geschätzter, hochbezahlter Sänger, der bald das Geld mit vollen H ä n d e n ausgab, bald den Bedürfnislosen spielte. 13 Der Vers entspricht ep. II 3,421; vielleicht ist er dort ein Selbstzitat des Dichters. 14 quinas: je fünf (Prozent); da man die Zinsen in der Regel monatlich berechnete, sind das 60 % im Jahr. Der übliche Zinsfuß betrug 1 % pro Monat. 16 nomina sectatur: Er läßt sich die N a m e n junger Leute nennen, die mit Vollendung des sechzehnten Lebensjahrs mündig w u r d e n (das Zeichen dafür war die Männertoga, die toga virilis). Sie konnten nun Rechtsgeschäfte abschließen, also auch einen Kredit aufnehmen, hatten aber noch kein eigenes Vermögen. 20 Angespielt ist auf die Terenz-Komödie »Der Selbstquäler« (Heautontimorumenos), in der ein allzu strenger Vater seinen Sohn aus dem Haus jagt und sich danach die schwersten Vorwürfe macht. 29 instila ist ein Besatz (Volant) an der Kleidung vornehmer Damen. 32 Gemeint ist Marcus Porcius Cato der Ältere, ein Muster römischer Sittenstrenge, von dem man eigentlich nicht erwartet hätte, daß er den Bordellbesuch eines jungen Menschen billigte. 36 cunnus (Geschlechtsteil) steht hier metonymisch für die Frau; albus weist auf die weiße Stola der ehrbaren Matronen. 37 Parodie eines Verses des alten Nationalepikers Ennius (239-169 v. Chr.): Audire est operae pretium, procedere rede qui rem Romanam Latiumque augescere voltis (frg. 174 D.). 48 Sallustius: Nicht der Historiker, sondern sein Großneffe. 63 ancilla togata: Dirne, Flittchen.

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ERLÄUTERUNGEN

64 Lucius Cornelius Sulla, römischer General und Politiker (138-78 v. Chr.), stellte nach seinem Sieg im Bürgerkrieg über den Anhang des Marius als Diktator mit unumschränkten Vollmachten die Herrschaft der Adelspartei wieder her. 90 Lynkeus (»Luchsauge«), Gestalt der griechischen Mythologie, berühmt wegen seiner scharfen Augen. 101 Gewänder von der kleinen Insel Kos wurden aus Naturseide hergestellt, die man durch Aufwickeln von Kokons einer Nachtfalterart gewann. Sie waren fast durchsichtig und zeigten mehr als sie verhüllten. 105 ff. Anspielung auf ein Epigramm des hellenistischen Dichters Kallimachos (Anthologia Palatina XII 102): Epikydes, der Jägersmann, folgt im Gebirg einer jeden Spur eines Hasen und folgt jeglicher Spur eines Rehs. Rauhreif und Schneesturm nimmt er in Kauf, doch sagte ihm einer: »Schau, dort liegt ein Wild, 's ist schon erlegt!« nähm er's nicht. Mit meiner Liebe ist's ebenso: Fliehendem folgen, das kann sie, liegt aber etwas am Weg, flattert sie daran vorbei. 113 inane ist ein philosophischer Terminus und meint hier die bloße Einbildung, den eitlen Wahn; der Gegenbegriff dazu ist solidum, die feste Gewißheit. 121 Philodemus, ein epikureischer Philosoph des 1. Jh. v. Chr., trat auch als Verfasser erotischer Epigramme hervor. Das, worauf Horaz anspielt, ist nicht erhalten. 131 cruribus ... metuat: beim crurifragium, einer grausamen Strafe für Sklaven, wurden dem Delinquenten die Schienbeine zerschmettert. Beim Ehebruch ertappte Frauen mußten, wenn der Mann sie verstieß, ihm ein Sechstel ihrer Mitgift lassen; für jedes Kind war ein weiteres Sechstel fällig. Satire 13 Es ist eine allgemeine Schwäche der Menschen, daß sie, wie es in der Bibel heißt, den Splitter im Auge des Nächsten, nicht aber den Balken im eigenen Auge sehen. Diese Blindheit nimmt Horaz aufs Korn und rät zu Toleranz und Selbstkritik. Nebenher amüsiert er sich über einen Kernsatz der stoischen Philosophie, demzufolge jedes Fehlverhalten gleich schwer wiege und es also, wie Cicero in der Rede für Murena (61) sagt, keinen Unterschied macht,

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ob jemand seinen Vater erschlägt oder grundlos einem Hahn den Hals umdreht. Die Satire schließt mit einer Attacke auf die stoische These von der absoluten Vollkommenheit des Weisen. 5 Mit Caesar ist hier Kaiser Augustus gemeint, mit seinem Vater: C. Iulius Caesar, der ihn in seinem Testament adoptiert hatte. 6 ab ovo usque ad mala: von den Eiern (der Vorspeise) bis zu den Äpfeln (dem Nachtisch); noch heute wird in Italien als Nachtisch gern Obst gereicht. 7 io Bacchae (»juchhe, ihr Bacchusbrüder!«), ein Jubelruf der Verehrer des Weingottes, ist hier wohl als Anfang eines Preisliedes auf diesen zitiert. 8 quattuor choráis·, die Phorminx, die älteste Form der Lyra, hatte 4 Saiten; später waren es 7. 11 Iuno ist als Gemahlin Jupiters die Götterkönigin. 11 sacra ferre: Wer heilige Gegenstände trägt, tut dies mit gebotener Feierlichkeit, gleich den Mädchen, die bei griechischen Götterfesten Opfergaben in Körben auf dem Kopf trugen. 12 Ein Tetrarch herrschte über ein Viertel eines von den Römern geteilten Landes, z. B. über Galiläa als Teil des zerschlagenen Königreichs der Juden. 13 tripes: Tische mit drei Beinen galten als schlichter Hausrat; wer auf sich hielt, bevorzugte Konsoltischchen mit nur einem Fuß. 21 Maenius: eine Figur aus den Satiren des Lucilius; Typ des Verschwenders. - Novius: ein stadtbekannter Wucherer und Geizkragen. 27 Als Schlange erschien der Heilgott Asklepios den Kranken in seinem Heiligtum zu Epidauros; da er mit einem Blick die Ursache ihrer Leiden erkannte, mußte er ja wohl scharfe Augen haben. 39 Daß Liebe blind macht und Verliebte unübersehbare Mängel in scheinbare Vorzüge umdeuten, darüber spottete schon Lukrez in seinem Lehrgedicht De rerum natura IV 160 ff.: »Die Schwarze ist brünett, die Schmutzige, Unsaubere leger, eine mit wasserblauen Augen heißt >meine AtheneGazelleIrasci me tibi scito, quod non

scriptis mecum potissimum

perpe-

lectos nullam

sui inple-

loquaris. An vereris, ne apud

infame tibi sit, quod videaris familiaris

nobis

esse?