Grosse Griechen und Römer: Band 1 [3. revid. Aufl., Reprint 2021]
 9783112414286, 9783112414279

Citation preview

BIBLIOTHEK DER ALTEN WELT

Über dieses Buch Die vergleichenden Lebensbeschreibungen von Plutarch, entstanden vermutlich Anfang des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts, machten ihren Verfasser zu einem der meistgelesenen griechischen Autoren. Neben seiner farbigen und geistreichen Erzählkunst und der unübersehbaren Fülle interessanten Stoffes wurde er insbesondere durch seine Methode zum Klassiker der Biographie: »Denn ich schreibe nicht Geschichte, sondern zeichne Lebensbilder, und hervorragende Tüchtigkeit oder Verworfenheit offenbart sich nicht durchaus in den aufsehenerregendsten Taten, sondern oft wirft ein geringfügiger Vorgang, ein Wort oder ein Scherz ein bezeichnenderes Licht auf einen Charakter als Schlachten mit Tausenden von Toten ...« So überlieferte uns Plutarch Kenntnisse von Leben und Kultur der Antike wie kaum ein anderer antiker Autor. Band i enthält die vergleichenden Lebensbeschreibungen von Theseus und Romulus, Lykurgos und Numa, Solon und Poplicola, Aristeides und Marcus Cato, Themistokles und Camillus.

PLUTARCH

GROSSE G R I E C H E N UND RÖMER Band I Ubersetzt und mit Anmerkungen versehen von Konrat Ziegler und Walter Wuhrmann Mit einer Einfuhrung von Konrat Ziegler und Hans Jürgen Hillen

Artemis & Winkler

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 Patmos Verlag GmbH & Co. KG 3. revidierte Auflage 2010, 1. Auflage 1954-1965 Artemis & Winkler Verlag, Mannheim Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany ISBN 978-3-538-03525-6 (Kassette mit allen sechs Bänden) ISBN 978-3-538-03526-3 (Band 1 ) www.artemisundwinkler.de

EINLEITUNG

PLUTARCHOS, die bedeutendste Gestalt im griechischen Geistesleben des ausgehenden ersten und des beginnenden zweiten Jahrhunderts, ist bald nach 45 n. Chr. in Chaironeia, dem westlichsten Städtchen Boiotiens gegen Phokis hin, unter den Abhängen des mächtigen Parnassgebirges, geboren. Das Städtchen ist weniger durch sich selbst bekannt als durch die Entscheidungsschlacht, die am 1. September 338 dem König Philipp II. von Makedonien, dem Vater Alexanders des Großen, die Herrschaft über Griechenland in die Hand gab und das Zeitalter der hellenistischen Großreiche einleitete, zwischen und neben denen die alten griechischen Stadtstaaten fortan nur noch eine untergeordnete Rolle in der großen Politik gespielt haben. Der kolossale steinerne Löwe, den die Besiegten auf dem Schlachtfeld als Denkmal fiir ihre Gefallenen errichteten, ist, nachdem er erst im neugriechischen Befreiungskriege gestürzt und zerbrochen worden war, heute wieder am alten Platze aufgerichtet. Noch lebendiger freilich als das Gedenken an diesen welthistorischen Augenblick war zu Plutarchs Zeit die Erinnerung an den großen Sieg, den Sulla hier im Jahre 86 v.Chr. über die Feldherren des Mithridates erfochten hatte. Er entstammte einer seit alters dort ansässigen, angesehenen und wohlhabenden Familie. Besonders den Großvater Lamprias rühmt der Enkel Plutarch als einen vielseitig interessierten und gebildeten, geistig höchst lebendigen Mann und glänzenden Gesellschafter. Der Vater, Autobulos mit Namen, war mehr praktisch gerichtet, doch deswegen nicht minder auf eine sorgfältige Erziehung seiner begabten Söhne bedacht, die er zur Völlendung ihrer

F. T N I . F. I T T T N Cr

Ausbildung nach Athen schickte. Dort hat sich Plutarch zwar auch in den anderen Philosophenschulen umgetan, wenig Geschmack an den Lehren Epikurs gefunden (obschon er auch unter seinen Jüngern Freunde hatte), stärkeres Interesse für die Stoa gehabt, hauptsächlich aber sich Ammonios, dem gefeierten Haupt der platonischen Akademie, angeschlossen. Von ihm hat er offenbar die entscheidenden Anregungen für sein ganzes Leben empfangen, ist in die Mathematik und überhaupt in die platonische Philosophie eingeführt worden, und auch seine tiefe Religiosität ist, wenn auch gewiss seinem innersten Wesen entspringend, doch durch diesen Lehrer genährt und gepflegt worden; sicher ist durch ihn Plutarchs Interesse für die ägyptische Religion geweckt worden, dessen Frucht uns in seiner Schrift über Isis und Osiris vorliegt, welche auch nach der Entzifferung der Hieroglyphen und der Entstehung der eigentlichen Ägyptologie eine wichtige Quelle unserer Kenntnis der ägyptischen Religion geblieben ist. Denn Ammonios - er hat ja von dem großen G o t t der Oase Siva in der libyschen Wüste seinen Namen - stammte aus Ägypten, und sein Einfluss wird es auch gewesen sein, der Plutarch zu einer Reise nach Ägypten und Alexandrcia veranlasste. Denn sosehr Plutarch seine kleine Vaterstadt Chaironeia liebte und ihr zeit seines Lebens treu geblieben ist, obschon sie ihm für seine wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten bei weitem nicht die Bequemlichkeiten und die Anregungen bieten konnte wie eine große Stadt mit ihren reichen Bibliotheken und den Gelegenheiten zum Verkehr mit bedeutenden Männern, so ist er doch kein beschränkter Provinzler gewesen, sondern hat sich als junger Mann wie in den Jahren der Reife offenen Auges in der Welt umgesehen. Nicht nur ganz Griechenland hat er

EINLEITUNG

9

gut gekannt — natürlich die engere H e i m a t Boiotien, die Nachbarlandschaften Phokis und L o k r i s , die T h e r m o p y len, die Insel Euboia mit dem vornehmen Bad Aidepsos, A t t i k a mit Eleusis und A t h e n , das den b e r ü h m t gewordenen Z ö g l i n g der A k a d e m i e später zum E h r e n b ü r g e r machte, die Peloponnes mit Korinth, A r g o s und S p a r t a , Olympia und Patrai, Epirus mit Nikopolis, der »Siegstadt«, die Octavian nach seinem Siege über Antonius und Kleopatra gegenüber dem Vorgebirge Aktion gegründet hatte —; er ist, wie schon gesagt, in Ä g y p t e n und höchstwahrscheinlich auch in Kleinasien gewesen und vor allem mehrere M a l e und zu längeren Aufenthalten in Italien und R o m , das erste Mal noch zu Lebzeiten Vespasians ( 6 9 - 7 9 ) , dann wiederholt unter Domitian ( 8 1 - 9 6 ) , dessen großartige Palastbauten auf dem Palatium - so, nicht »der Palatin«, hieß der ältestbesiedelte Hügel R o m s im A l t e r t u m — mit ihren Hallen, Bädern und luxuriösen Boudoirs f ü r die kaiserlichen Mätressen er bewundert hat. Es war nicht nur die eigene Wissbegier (und e t w a auch das Vorbild des bewunderten Meisters Piaton, der einst dreimal in die damalige Metropole des Westens, Syrakus, gefahren war), was Plutarch in die H a u p t s t a d t des Römischen Reiches f ü h r t e , sondern politische A u f t r ä g e seiner Vaterstadt und vielleicht auch anderer griechischer G e m e i n d e n , über deren Inhalt wir nichts wissen. A b e r er war damals schon durch seine Schriften ein b e r ü h m t e r Mann, seine popularphilosophischen Vorträge waren überlaufen, und auch privatim konsultierte man ihn in allerlei Herzensnöten wie einen Beichtvater und Seelenarzt. So kam er in enge Verbindung mit zahlreichen römischen Größen. A m nächsten traten ihm M . Mestrius Florus, ein Freund des Kaisers Vespasian und auch unter Domitian noch mit hohen Ä m t e r n betraut - nach ihm als einer A r t Patron hat er als römischer B ü r g e r

10

EINLEITUNG

den Namen Mestrius Plutarchus geführt —, und Q. Sosius Senecio, einer der Männer des Vertrauens Traians, dreimal Konsul (99, 102, 107) und in den Dakerkriegen als Feldherr bewährt. Ihm hat Plutarch neben anderen Schriften die umfängliche Sammlung seiner vergleichenden Lebensbeschreibungen von Griechen und Römern gewidmet. O b er den Kaisern Traian und Hadrian auch persönlich nahegetreten ist, wissen wir nicht, da die späten Notizen, wonach ihm Rang und Abzeichen eines Konsuls verliehen und gewisse beratende Funktionen bei der Verwaltung der Provinz Achaia übertragen worden wären, von sehr zweifelhaftem Werte sind. Das genaue Todesjahr Plutarchs lässt sich nicht bestimmen; jedenfalls aber hat er über das Jahr 120 hinaus gelebt, noch im hohen Alter unermüdlich und vielseitig tätig, als verehrtes Haupt eines großen Kreises von Freunden und Schülern, die sich um ihn gesammelt hatten und eine Art von Akademie bildeten, als Priester in Delphi und als außerordentlich vielseitiger und fruchtbarer Schriftsteller. Was uns von ihm erhalten ist, füllt mehrere tausend Druckseiten — von keinem andern heidnischen griechischen Autor ist so viel auf uns gekommen — und ist doch nur etwa die Hälfte von allem, was er geschrieben hat. Begonnen hat Plutarch seine Schriftstellerei, wie es scheint, als junger Mann mit nicht sehr gehaltvollen, formal-literarischem Ehrgeiz entsprungenen Arbeiten rhetorischen Charakters, von denen uns auch einige erhalten sind. Aber bald hat er sich von solcher Eitelkeit abgewandt und mit Bewusstsein die bloße schöne Form (ohne doch auf sie zu verzichten) dem sachlichen Gehalt untergeordnet. Uber viele Gebiete hat sich seine Schriftstellerei erstreckt; es gab eigentlich nichts, was ihn nicht interes-

EINLEITUNG

II

sierte, und er ist wohl der belesenste und am vielseitigsten gebildete Mann seiner Zeit gewesen. Aber von der Masse seiner Schriften über antiquarische und literarhistorischexegetische Gegenstände sind uns nur ein paar Proben, von der großen Menge seiner wissenschaftlich-philosophischen Schriften nur ein Bruchteil erhalten; erheblich mehr dagegen von den popularphilosophischen, an ein größeres Publikum sich wendenden Arbeiten, denen auch die pädagogischen, die politischen und die theologischen oder religionsphilosophischen Schriften zuzurechnen sind. Nicht minder gehören zu ihnen die uns erhaltenen 48 Biographien, da es in ihnen dem Verfasser weniger auf das Historische ankommt als auf das sittliche Ziel, den Blick des Lesers auf große menschliche Vorbilder zu lenken und ihn so zum Guten zu fuhren. Herodot bat schon im Altertum den Ehrennamen des »Vaters der Geschichte« erhalten. So könnte man sich versucht fühlen, Plutarch den »Vater der Biographie« zu nennen. Denn von seinen Lebzeiten an durch die letzten Jahrhunderte des Altertums, das Mittelalter hindurch und bis in die neueste Zeit hat er allen Biographienschreibern als das große, bewunderte Vorbild, als der Klassiker der Biographie vor Augen gestanden. Das ist er ohne allen Zweifel; aber den Vater der Biographie kann man ihn im strengen Sinne doch nicht nennen, denn schon Jahrhunderte vor ihm ist in der griechischen Literatur diese Gattung entwickelt worden, und es ist gewiss, dass er auf den Schultern einer langen Reihe von Vorgängern steht. Aber so sehr hat er alle diese Vorgänger überstrahlt und in den Schatten gestellt, dass die Hunderte von Erzeugnissen dieser Art, die es sicherlich gegeben hat, bis auf die 150 Jahre vor Plutarch geschriebenen dürftigen Skizzen des Cornelius Nepos und

12

EINLEITUNG

ein paar zufällig erhaltene Bruchstücke und Notizen verlorengegangen sind. Wohl sehen wir, dass von der Zeit an, da der einzelne Mensch sich aus der engen Bindung an die Gemeinschaft zu lösen beginnt, sich als Einzelpersönlichkeit zu fühlen lernt und als solche erkannt und gern oder ungern anerkannt wird, alsbald auch in der bildenden Kunst das individuell gestaltete Porträt sich entwickelt und in der Geschichtsschreibung ein biographisches Element hervorzutreten beginnt. Um die Wende des 5. Jahrhunderts v. Chr. fühlt Thukydides sich schon gedrängt, sparsame Charakteristiken der bedeutendsten Staatsmänner in seine herbe, auf äußerste Knappheit bedachte Erzählung der militärischen und diplomatischen Ereignisse des Peloponnesischen Krieges einzuflechten, wobei er sich freilich streng auf die Behandlung der politisch bedeutsamen Züge beschränkt, nichts über das rein Persönliche, Private, den moralischen Charakter der Männer verrät, obschon er sie größerenteils — so sicherlich Perikles, Nikias, Kleon, Alkibiades, Antiphon — genau gekannt und bewundert oder aber gehasst und verachtet hat. Nicht lange danach verfassen Isokrates und andere Publizisten ausführliche Lobschriften auf verstorbene oder auch auf lebende Fürsten und Helden, und Xenophon legt längere Würdigungen historischer Persönlichkeiten in seine Geschichtswerke ein, schreibt ein dickes Buch über Leben und Taten des alten Königs Kyros, das man mit Recht einen Roman genannt hat, und einen enthusiastischen Nekrolog auf seinen Gönner, den spartanischen König Agesilaos, womit er den Grund zu der die Jahrtausende überdauernden Überschätzung dieses wackeren, aber als Politiker wenig bedeutenden Haudegens gelegt hat. Dass gleichzeitig in dem Maße, wie mit dem Macht-

EINLEITUNG

13

verfall der griechischen Freistaaten die großen Herrscherpersönlichkeiten — die Makedonen Philipp und Alexander und vorher schon der große Dionysios von Syrakus — hervortraten, auch in den uns verlorenen Geschichtswerken der Zeit die Einzelpersönlichkeit immer stärker berücksichtigt, ihre Rolle in der Geschichte betont, ihre Entwicklung, ihr Charakter betrachtet und mit Lob oder Tadel bedacht, also kritisch gesehen worden ist, das erkennen wir aus den immerhin ziemlich zahlreichen Bruchstücken der Werke des hellenistischen Zeitalters, die wir besitzen; und in dem einzigen Geschichtswerk der Zeit, von dem so umfängliche Teile auf uns gekommen sind, dass wir sagen dürfen, wir kennen es gut genug, der bis zur Zerstörung von Karthago und Korinth durch die Römer (146 v. Chr.) geführten Universalgeschichte des Polybios von Megalopolis, steht es deutlich vor unseren Augen. Aber nicht nur als wesentliche Teile ganzer Geschichtswerke, auch als selbständige literarische Erzeugnisse hat man seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. begonnen, mehr oder weniger ausführliche, nicht mehr nur als Lobschriften gedachte Lebensbilder bedeutender Männer zu entwerfen, und zwar sehr bald schon neben denen von Kriegshelden und Staatsmännern auch solche von Persönlichkeiten, deren Bedeutung auf dem geistigen Gebiete lag: Dichter, Philosophen, Redner — welch letztere (wie etwa Demosthenes) beiden Gebieten, der Politik und der Literatur, angehörten. Als die aus der Schule des Aristoteles hervorgegangenen literarhistorischen Forscher — gefördert von kulturfreundlichen Königen, den Ptolemäern in Alexandria an der Spitze - darangingen, die Schätze der alten Literatur planmäßig zu sammeln, ergab es sich ganz natürlich, dass sie auch, was sie über Leben und Persönlichkeit der alten Autoren noch in Erfahrung bringen konnten, sam-

T4

EINLEITUNG

melten und den entstehenden gereinigten Ausgaben ihrer Werke einleitend vorausschickten. So entstand ein gewisser T y p literarhistorisch-biographischer Skizzen, wovon uns zahlreiche Proben für griechische wie lateinische Autoren, wenn auch oft in starker Verdünnung, erhalten sind; Stücke freilich, die sich selbst nicht zur Literatur im höheren Sinne rechneten und nur notwendigen Wissensstoff in anspruchsloser Form vermitteln wollten. Dass neben diesen bescheidenen Produkten seit der Zeit des Aristoteles auch umfassendere Biographien mit dem Anspruch, selbst Literatur zu sein und um ihrer selbst willen gelesen zu werden, in nicht geringer Zahl geschrieben worden sind, ist gewiss, und wir kennen die Namen einiger solcher Schriftsteller - Chamaileon, Hermippos, Satyros, dem 3. vorchristlichen Jahrhundert angehörig, sind die meistgenannten - und die Titel ihrer Schriften. Aber was wir von diesen Schriften besitzen, reicht - auch nachdem auf einem 1 9 1 2 veröffentlichten Papyrus ein etwas größeres Stück aus Satyros' Leben des Euripides zum Vorschein gekommen ist - nicht aus, um uns von dem Aussehen und dem Charakter dieser älteren Biographien eine klare Vorstellung zu machen. Liegt der Grund ihres Unterganges darin, dass es keine Meisterwerke waren, deren Ruhm ihnen weiteste Verbreitung und die Unsterblichkeit gewann? Wie dem auch sei, für uns ist und schon fiir das nachhellenistische Altertum war Plutarch der einzige große, klassische Vertreter der Kunstform der Biographie, und die Frage, wie viel seine Vorgänger für die Entwicklung dieser Kunstform geleistet haben, wie viel er ihnen zu verdanken hat, bleibt unbeantwortet. Doch scheint es nicht, dass er als bloßer Epigone eine längst geschaffene Kunstform nur eben ein wenig modernisiert und unverdient den Ruhm des klassischen Biographen gewonnen hat.

EINLEITUNG

IJ

Zu diesem Ruhmestitel ist Plutarch erst in seinen späteren Jahren - als er die 50 überschritten hatte und das erste nachchristliche Jahrhundert zu Ende ging — fast durch einen Zufall gelangt. Die Anregung, sich mit biographischer Schriftstellerei zu befassen, so sagt er in der Einleitung zu dem Paar Aemilius/Timoleon, habe er von anderen empfangen; dass er dann dabei blieb und sich auf diesem Felde wohl fühlte, das freilich sei aus Eigenem geschehen. Diese erste Anregung mag in der Bitte eines Freundes bestanden haben, das Leben eines berühmten Ahnherrn zu schreiben, etwa das (uns erhaltene) des Aratos, des Gründers des Achäischen Bundes, für seinen Nachfahren, Freund Polykrates von Sikyon, als Vorbild für dessen junge Söhne, oder das (uns verlorene) des phokischen Nationalhelden Daiphantos für dessen Nachkommen, mit denen Plutarch selbst verwandtschaftlich verbunden war. Sicherlich ist der moralische Gesichtspunkt, die Absicht, ein Muster aufzustellen, schon für diesen ersten Ausflug ins Gebiet der Biographie bestimmend gewesen und ist es geblieben während der vielen Jahre (wo nicht Jahrzehnte), die er dann der biographischen Schriftstellerei gewidmet hat. Denn er war ja seinem innersten Wesen nach eine philosophisch-pädagogische Persönlichkeit; die Menschen zu bessern und zu bekehren, sie durch Belehrung und Überzeugung auf den Weg der Selbstbesinnung und Selbstbeherrschung und so zu dem einzigen wahren Glück, dem der Tugend, zu fuhren, war zeitlebens sein wesentlichstes Anliegen, und in den Dienst dieser Aufgabe hat er auch seine biographische Schriftstellerei gestellt. Die Einzelbiographien, die Plutarch aller Wahrscheinlichkeit nach zuerst geschrieben hat, sind bis auf diejenigen des (schon genannten) Aratos und des Perserkönigs Artaxerxes II. (404-360) sowie der Kaiser Galba und Otho

l6

EINLEITUNG

(68 n. Chr.) verloren. Wir wissen aber, dass er Lebensbilder des Herakles und der halbmythischen Heroen Daiphantos und Aristomenes, des Spartanerkönigs Leonidas, der in den Thermopylen fiel, der Dichter Hesiod, Pindar, Aratos, des thebanischen Philosophen Krates und — bei den Römern — des jüngeren Scipio Africanus, der Kaiser von Augustus bis Vitellius und vielleicht auch des Metellus Numidicus verfasst hat, die noch im ausgehenden Altertum gelesen wurden. Den großen schriftstellerischen Erfolg und den dauerhaften Ruhm aber haben Plutarch nicht diese Einzelbiographien gebracht, sondern ein großes Unternehmen, mit dem er sich, neben dem moralischen Zweck der sittlichen Förderung seiner Leser durch Vorführung erhabener Vorbilder, noch ein anderes, ein hochpolitisches und eminent zeitgemäßes Ziel gesetzt hatte: die innigere Zusammenfiihrung der beiden das Reich tragenden Nationen, der Griechen und der Römer. Obschon seit mehr als 200 Jahren Griechenland römische Provinz, seit mehr als 100 Jahren fast die ganze hellenistische Welt dem Römischen Reiche eingegliedert war, obschon vor mehr als 100 Jahren Horaz die berühmten Verse geschrieben hatte, dass das bezwungene Griechenland den rohen Sieger bezwungen und die Kultur in das bäurische Latium getragen habe, so schien das Ziel einer innigen Durchdringung beider Nationen und der gegenseitigen Anerkennung als Gleichtüchtige und Gleichberechtigte doch noch immer nicht erreicht. Noch immer gab es Römer, die auf die Griechen als begabte, aber leichtfertige, nicht ernst zu nehmende Bohémiens herabblickten, und Griechen, die zum Entgelt die Römer als kulturlose Barbaren verachteten. Dieses gegenseitige Missverstehen zu beseitigen, griechisches und römisches Wesen zu verschmelzen, war das Bestreben Kaiser

EINLEITUNG

17

Traians (98—117), und so mag es wohl mit der bewussten Absicht, diese Bestrebungen des Kaisers zu unterstützen, geschehen sein, dass Plutarch es unternahm, immer einen griechischen und einen römischen Helden zusammenzustellen und zu zeigen, wie sie doch, bei manchen Verschiedenheiten, letztlich von gleicher Artung, eines Geistes Kinder und einander wert seien. Wie eine literarische Propaganda für die kaiserliche Politik, aber eine Propaganda, die seiner Herzensmeinung entsprach, kann so das Unternehmen Plutarchs erscheinen. Dass es so gemeint ist, ist in den erhaltenen Biographien nirgends deutlich gesagt; es steht mehr zwischen den Zeilen, spricht sich aber vielleicht auch darin aus, dass die ganze lange Reihe der Parallelbiographien einem Mann zugeeignet ist, der ein vertrauter Helfer und Berater des Kaisers Traian gewesen ist, aber auch in dem bescheidenen Hause Plutarchs in Chaironeia verkehrt hat: der schon oben genannte Quintus Sosius Senecio. Das Fehlen einer programmatischen Vorrede zu dem ganzen Werk — in welcher vielleicht auch der eben besprochene Gesichtspunkt zu deutlichem Ausdruck kam — und einer ausführlicheren Widmung an den hochmögenden Freund, der nur in den Biographien des Theseus, Demosthenes und Dion kurz angeredet wird, hat zu der sehr ansprechenden Vermutung geführt, dass eine solche Einleitung am Anfang des einzigen uns verlorenen Biographienpaares gestanden hat, in dem Epameinondas und der ältere Scipio Africanus zusammengestellt waren, und dass dieses Paar das ganze Unternehmen eröffnet hat. Denn welcher Mann — darf man fragen — sollte dem Boioter Plutarch mehr ans Herz gewachsen und geeigneter erschienen sein, den Heldenreigen zu führen, als Epameinondas, an dessen Namen sich die kurzlebige Hegemonie Theben-

l8

EINLEITUNG

Boiotiens knüpfte und den die Legende längst zum Ritter ohne Furcht und Tadel, zum größten Sohne von Hellas verklärt hatte? Ihm, dem Retter des schwer bedrohten Vaterlandes Theben aus tödlicher Gefahr, hat Plutarch den Retter Roms aus dem Würgegriff Hannibals, den älteren Scipio Africanus, überzeugend zur Seite gestellt. Die übrigen Paare — 22 an der Zahl - sind uns vollständig erhalten. Gern wüssten wir genauer, in welcher Folge sie verfasst sind, wie Plutarch, vom rasch einsetzenden Beifall gespornt, von einem der großen Männer zum andern Griechen wie Römer — vorgeschritten ist und schließlich eine Heldengalerie geschaffen bat, die das Bild eines jeden der darin vertretenen Männer für die folgenden zwei Jahrtausende festgelegt hat - woran die moderne historische Kritik freilich mancherlei zu beanstanden gefunden hat. An der Geschichte des Ruhmes der von ihm behandelten Männer hat Plutarch mehr als irgendein anderer mitgewirkt. Will es uns scheinen, dass eigentlich so ziemlich alle bedeutenden Gestalten der griechisch-römischen Geschichte in seiner Heldenschau vertreten seien, so ist das ein Trugschluss und vielmehr die Wirkung und das stärkste Zeugnis für die Bedeutung seiner schriftstellerischen Leistung: Wen Plutarch behandelt hat, der ist in den antiken Heldenhimmel eingegangen; wen er wegließ, der ist der Vergessenheit oder doch minderer Wertung verfallen. Etwa schon seit der Z e i t des Augustus hatte sich in der griechisch-römischen Welt eine klassizistisch-romantische Gesinnung und Stimmung durchgesetzt, welche nur die Menschen und die Werke der Z e i t des freien Griechenland — bis zur Begründung der Makedonenherrschaft durch Philipp und Alexander — für vollkommen und nachahmenswürdig ansah, alles aber, was danach gekommen

EINLEITUNG

19

und geschaffen worden war, als nachklassisch, epigonenhaft, entartet, niedriger wertete. Diese Anschauung hat zum Untergang des weitaus größten Teiles der gewaltigen, in diesen rund drei Jahrhunderten entstandenen Literatur geführt (ein tief zu beklagender, unersetzlicher Verlust), und sie haftet, obgleich ihre Schiefheit und Einseitigkeit längst erkannt worden ist, noch immer in vielen Köpfen. Von dieser klassizistischen Anschauung beherrscht, hat Plutarch sich die meisten seiner Helden — soweit es sich um Griechen handelt — aus der Frühzeit oder der sogenannten klassischen Zeit geholt: die 10 Athener Theseus, Solon, Aristeides, Themistokles, Kimon, Perildes, Nikias, Alkibiades, Demosthenes, Phokion, die Spartaner Lykurg, Lysander, Agesilaos, die Thebaner Epameinondas und Pelopidas, die Befreier von Syrakus Dion und Timoleon, endlich den großen Alexander; nur fünf von dreiundzwanzig - die Diadochen Eumenes, Demetrios, Pyrrhos, der »letzte Hellene« Philopoimen und das um der Gracchen willen herangezogene Gespann der spartanischen Reformkönige Agis und Kleomenes - entstammen der hellenistischen Epoche. Für die Römer kam der klassizistische Gesichtspunkt ja nicht in Betracht. So werden die Könige Romulus und Numa, aus der noch halbmythischen Frühzeit der Republik Poplicola, Coriolan und Camillus, aus der Zeit des Zweiten Punischen Krieges Fabius Maximus, Marcellus und Scipio, aus dem halben Jahrhundert der Gewinnung der Weltherrschaft Flamininus, der alte Cato und Aetnilius Paulus behandelt. Am stärksten ist das Jahrhundert der Bürgerkriege vertreten: zuerst die beiden Gracchen, dann Marius und Sulla, Sertorius und Lucullus, die (erst in der Neuzeit so benannten) »Triumvirn« Crassus, Pompeius und Caesar, als ihre Gegenspieler Cicero und der Cato von Utica, endlich Brutus und Antonius. Von

20

EINLEITUNG

den römischen Kaisern hat Plutarch keinen in den Z y k l u s der parallelen Biographien hineingenommen; übrigens waren ihre Vitae aller Wahrscheinlichkeit nach schon geschrieben, als Plutarch den Plan der vergleichenden Betrachtung von Griechen und Römern fasste. Für einen griechischen Autor, dem die griechische Geschichte in den Hauptzügen von jeher vertraut war, während er sich in die der Römer erst einarbeiten musste, lag es nahe, dass er in der Regel von einem Griechen ausging der ja meistens auch der zeitlich Frühere war — und einen ähnlich gearteten Römer als Partner für ihn suchte. In einigen Fällen jedoch war es der Römer, den Plutarch zuerst als geeignetes Objekt ins Auge fasste und sich dann nach einer griechischen Entsprechung umsah. So ausgesprochcnermaßen bei den Gracchen, denen er aber dann doch aus chronologischen Gründen die spartanischen Reformkönige voranstellte; so bei Romulus, den er nach Numa zur Behandlung sich vornimmt und ihm, dem Gründer Roms, den mythischen Gründer von Athen, Theseus, zur Seite stellt; so auch bei Lucullus, dem er zum Dank dafür, dass er einst seine Heimatstadt Chaironeia vor schwerstem Unheil bewahrte, das literarische Denkmal — in Wahrheit aere perennius — errichtet und ihm Kimon beigeordnet, aber doch um der Zeitfolge willen vorangestellt hat. Warum er bei Coriolan und Sertorius, wo der Fall ähnlich liegt, von dieser Praxis abgewichen ist, lässt sich schwer sagen; im Falle Coriolan könnte die Chronologie bestimmend gewesen sein, doch darf man zweifeln, ob der in diesem Punkte höchst sorglose Plutarch sich das klargemacht bat; jedenfalls sagt er nichts davon. Bei Aemilius Paulus/Timoleon vollends ist der Grund der Voranstellung des jüngeren Römers überhaupt nicht zu erkennen, zumal auch nicht irgendwie zum Ausdruck kommt, dass Plutarch den Römer

EINLEITUNG

21

zuerst zur Behandlung ausersehen und dann Timoleon als Partner dazu erwählt hätte. Doch wie dem auch sei, wir haben in allen diesen Fällen die klaren Tatsachen der Überlieferung zu respektieren und nicht — wie es die Herausgeber bis vor kurzem getan haben - aus eigener Willkür die Reihenfolge zu ändern. Der Gedanke der vergleichenden Behandlung griechischer und römischer Helden war ohne Zweifel glücklich und zeitgemäß, und bei der Suche nach Persönlichkeiten, die sich für eine derartige Zusammenstellung eigneten, sind unserm Autor mehrere glückliche und überzeugende Paarungen gelungen: Theseus und Romulus, Lykurg und Numa, Alkibiades und Coriolan, Demosthenes und Cicero, Demetrios und Antonius, Agis/Kleomenes und die (iracchen boten tatsächlich in die Augen springende Ähnlichkeiten der historischen Situationen, der persönlichen Schicksale und der Charaktere, die die vergleichende Betrachtung reizvoll und fruchtbar werden ließen. Aber als leitender Gesichtspunkt auf je zwei Dutzend Männer beider Nationen angewandt, musste die vergleichende Betrachtung bald zu Willkürlichkeiten und Gewaltsamkeiten führen, und so sind denn auch die Zusammenstellungen in einer Reihe von Fällen recht äußerlich und in einigen Fällen schief und unglücklich. Was haben Aristeides und der alte Cato, Perikles und Fabius Maximus, Timoleon und Acmilius Paulus in Wahrheit - von gewissen, das Wesentliche nicht berührenden Beziehungen, die man mit einigem guten Willen zwischen allen Menschen finden kann miteinander gemein? Nur mittels rhetorisch-advokatischer Künste konnten Ähnlichkeiten zwischen solchen Männern konstruiert werden, und so sind die schematischen Vergleichungen, mit denen Plutarch die Mehrzahl seiner Biographienpaare beschlossen bat, sicherlich nicht ihr wertvolls-

22

EINLEITUNG

ter Teil - obwohl man zu gewissen Zeiten (und nicht nur kritiklose Enthusiasten, sondern Männer wie Montaigne) gerade sie bewundert hat. Die Frage, wann und in welcher Reihenfolge die erhaltenen 22 Biographienpaare von Plutarch geschrieben worden sind, ist ein seit fünfviertel Jahrhunderten eifrig behandeltes, doch zu keiner endgültigen Lösung geführtes philologisches Problem. Immerhin darf als feststehend gelten, dass sie alle in den zwei letzten Lebensjahrzehnten unseres Autors, also etwa zwischen 100 und 120 n. Chr., verfasst worden sind. Die Biographie Sullas ist (nach Kap. 21) »annähernd 200 Jahre« nach der im Jahre 86 v. Chr. geschlagenen Schlacht bei Orchomenos in Boiotien, also nicht lange vor 115 n. Chr. geschrieben — das einzige absolute Zeitindiz, das sich gewinnen lässt. Bemerkungen in den einleitenden Kapiteln belehren uns darüber, dass das Paar Demosthenes/Cicero das fünfte, Perikles/Fabius Maximus das zehnte und Dion/Brutus das zwölfte Paar der ganzen Reihe ist. Aus der Bemerkung Plutarchs im Anfang des Theseus, er habe nun den historisch erhellten Zeitraum durchmessen und wolle jetzt ins mythische Zeitalter hinübergreifen, ergibt sich, dass das Paar Theseus/Romulus, wo nicht das letzte, so doch jedenfalls eines der letzten Paare ist. Und wenn der Autor in der Einleitung zu Demetrios/Antonius sagt, es sei wohl pädagogisch wertvoll, in die Reihe der Vorbilder auch ein oder zwei Paare schlechter Beispiele als Kontrast und zur Abschreckung einzufügen, so darf man schließen, dass dieses Paar (und die ebenfalls alles andere als vorbildlichen Lebensläufe des Coriolan und des Alkibiades) zu den verhältnismäßig spät geschriebenen Biographien gehören. Ein wertvolles, aber doch etwas fragwürdiges Hilfsmit-

EINLEITUNG

23

tel für die Bestimmung der relativen Chronologie der Biographien sind die zahlreichen (drei bis vier Dutzend) Selbstzitate, die sich in ihnen finden und aus denen sich jeweils die frühere Entstehung der zitierten Biographie vor der zitierenden oder aber die spätere Abfassung einer erst in Aussicht gestellten ergibt. Leider wird die Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit dieses kritischen Hilfsmittels dadurch einigermaßen beeinträchtigt, dass in einigen Fällen Wechselzitate vorliegen. So zitiert Dion Kap. 58 den Timoleon, dieser 13 und 33 den Dion; Brutus 9 zitiert den Caesar, dieser 62 und 68 den Brutus; Camillus 33 zitiert den Romulus, dieser 21 und Theseus 1 den L y k u r g / N u m a , Numa 9 und 12 wiederum den Camillus. Das ergäbe jeweils im einen Falle die Folge Timoleon/Dion, Caesar/Brutus, Romulus/Camillus, im andern Falle die Folge Dion/ Timoleon, Brutus/Caesar, Camillus/Numa/Romulus. Da nur jeweils das eine richtig sein kann, so müssen die Zeugnisse für die jeweils andere Folge falsch sein, womit auch die Glaubwürdigkeit der anderen Selbstzitate einigermaßen erschüttert wird. Kann man sich überhaupt auf sie verlassen, das heißt, sie als Argument für die Entstehungszeit der Biographien im Verhältnis zueinander verwerten? Dies ist die schwierige Frage, um deren Lösung die Philologen so lange schon ringen. Teils hat man (etwas radikal) gemeint, dass die Z i t a t e - einige oder gar alle - unecht, das heißt von späteren Lesern beigeschrieben und so in den Text unserer Handschriften eingedrungen seien (deren älteste ja fast 900 Jahre jünger sind als Plutarchs Originalmanuskript); teils hat man die Lösung in der (zunächst bestechend klingenden) Vermutung gesucht, Plutarch habe die Biographienpaare nicht einzeln nacheinander herausgegeben — worauf die Zählung als fünftes, zehntes, zwölftes Paar im Demosthenes, Perikles, Dion weist - , sondern

24

EINLEITUNG

jeweils mehrere in Gruppen zusammengefasst, wonach Vor- und Rückverweise (wie in den Kapiteln eines größeren Buches) als eine höchst natürliche Sache erscheinen; teils endlich hat man daran gedacht, dass Plutarch vielleicht selbst nachträglich in früher geschriebene Biographien Verweise auf später herausgegebene eingetragen habe, da ja in der Zeit vor Einfuhrung des Buchdrucks überhaupt alle Texte in einem flüssigeren Zustande waren als in der Neuzeit, wo ein Text in fester Form in einem Augenblick in Hunderten oder Tausenden von Exemplaren die Druckpresse verlässt und in Umlauf gebracht wird, sodass Änderungen erst in einer neuen Auflage möglich sind - und von einer solchen überarbeiteten Neuausgabe, einer retractatio, ist in Plutarchs Biographien sonst allerdings nichts zu spüren, wobei auch zu bedenken ist, dass er sie ja in der letzten Periode seines Lebens geschrieben hat. - Eine zusammenfassende Behandlung dieses vielumstrittenen Problems findet man in meinem Buch Plutarchos von Chaironeia, Waldsee 1949, S. 262 ff (auch in Pauly/Kroll/Ziegler, Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft, Bd. XXI, S. 899 ff.). Gesichert ist immerhin — abgesehen von den vier festen Punkten Epameinondas/Scipio, Demosthenes/Cicero, Perikles/Fabius Maximus, Dion/Brutus als 1., 5., 10., 12. Paar —, dass die Paare Kimon/Lucullus, Lysander/Sulla, Lykurg/Numa, Themistokles/Camillus und Pelopidas/ Marcellus unter die ersten zwölf, die Paare Aemilius/ Timoleon, Agesilaos/Pompeius, Phokion/Cato der Jüngere, Alexander/Caesar, Pyrrhos/Marius, Demetrios/Antonius, Coriolan/Alkibiades und Theseus/Romulus in die Reihe der später entstandenen Biographien gehören. Uber die zeitliche Einordnung der übrigen Biographienpaare in das Œuvre Plutarchs lässt sich nichts Sicheres sagen.

EINLEITUNG

2$

Oben wurde bemerkt, dass eine der Triebfedern, die Plutarch zur Abfassung der langen Reihe vergleichender Lebensbeschreibungen von Griechen und Römern führte, sicherlich die Absicht war, die Gleichwertigkeit beider Nationen hervorzuheben, dass aber eine Äußerung des Autors über dieses Motiv seiner Schriftstellerei sich in den Biographien nicht findet — es sei denn, dass etwas Derartiges in der verlorenen Behandlung des Epameinondas und Scipio Africanus gestanden hat. Um so klarer und entschiedener hat er sich über ein anderes, das wesentlichste Motiv geäußert, das ihn bei dieser Beschäftigung leitete. Begonnen habe er mit dem Biographienschreiben, so sagt er am Anfang des Aemilius, auf Anregung von anderer Seite; dass er aber dabei blieb und sich alsbald wohl fühlte, dazu sei er von selbst gekommen, indem er nun versuchte, gleichsam vor dem Spiegel der Geschichte sein Leben zu gestalten und jenen großen Vorbildern nachzuformen. »Denn nichts anderes«, fährt er fort, »als ein inniges Zusammenleben ist doch das, was vor sich geht, wenn wir mittels der geschichtlichen Betrachtung jeden von ihnen der Reihe nach als Gast empfangen, bei uns aufnehmen und ihn anschauen, wie gewaltig er war, wie trefflich, und das Gewichtigste und Bedeutsamste für die Erkenntnis seines Wesens aus seinen Taten entnehmen. >Ach, welche größre Wonne kann man wohl erleben*, die zugleich wirkungskräftiger wäre für die Veredelung des Charakters? Demokrit sagt ja, wir sollten wünschen, dass wir erfreulichen Bildern begegnen und dass lieber die uns wesensgemäßen und heilsamen als die schlechten und schädlichen aus dem umgebenden Luftraum auf uns treffen - womit er eine falsche und zu unabsehbarem Aberglauben verführende Lehre in die Philosophie hineinträgt.

26

EINLEITUNG

Wir hingegen bereiten uns durch das Studium der Geschichte und das ständige Schreiben über sie dafüir, das Andenken an die edelsten und bewährtesten Männer immer in unsere Seelen aufzunehmen und, wenn der unvermeidliche Verkehr mit unserer Umgebung etwas Schlechtes, Übelgeartetes oder Unedles an uns heranbringt, es abzustoßen und von uns zu weisen, indem wir unsern Sinn ruhig und unbeirrt auf die edelsten Vorbilder richten.« Also nicht so sehr um des Interesses an der Sache und um ihrer Taten willen werden die Helden betrachtet als zu dem Zweck, dass sich bei dem Verkehr mit ihnen im Leser (wie zuvor im Verfasser) die Begeisterung für das Hohe und Edle entzünde und der Drang, es den großen Vorbildern nachzutun. Dass er nicht Geschichte schreiben wolle, sondern Lebensbilder, Menschenbilder geben, sagt Plutarch noch deutlicher in der Vorrede zu Alexander/Caesar: »Wenn ich daran gehe, in diesem Buch das Leben des Königs Alexander und das Caesars, von dem Pompeius bezwungen wurde, zu schreiben, so will ich wegen der Fülle der vorliegenden Taten nichts anderes vorausschicken, als dass ich die Leser bitte, wenn ich nicht alles und nicht jede einzelne der hochberühmten Taten in aller Ausführlichkeit erzähle, sondern das meiste kurz zusammenfasse, mir daraus keinen Vorwurf zu machen. Denn ich schreibe nicht Geschichte, sondern Lebensbilder, und nicht durchaus tut sich in den glänzendsten Taten Wert oder Unwert eines Menschen kund, sondern oft wirft eine unbedeutende Handlung, ein Wort oder ein Scherz ein schärferes Licht auf den Charakter als Schlachten mit zahllosen Gefallenen, Zusammenstöße der größten Heere und Belagerungskriege um die größten Städte. Wie nun die Maler die Ähnlichkeit eines Porträts aus dem Antlitz und aus den Ge-

EINLEITUNG

27

sichtszügen gewinnen, in denen der Charakter zum Ausdruck kommt, und die übrigen Körperteile wenig beachten, so muss man es mir gestatten, mehr auf die Merkmale des Seelischen einzugehen und mit ihrer Hilfe das Lebensbild eines jeden zu gestalten, und die großen Taten und Schlachten anderen zu überlassen.« Ahnlich distanziert sich Plutarch in der Einleitung zu dem Paar Nikias/Crassus von den großen Geschichtsschreibern — nicht ohne heftige Angriffe gegen den Historiker Timaios und seinen törichten Ehrgeiz, die Klassiker übertreffen zu wollen — und hebt wieder die von den Aufgaben des Historikers verschiedenen Sonderaufgaben des Biographen hervor: »Wenn ich, wie ich glaube, nicht unpassend dem Nikias den Crassus und die parthische Katastrophe der sizilischen zur Seite stelle, so ist es an der Zeit, dass ich in eigener Sache die Leser der vorliegenden Schrift bitte und ermahne, dass sie bei einer Erzählung von Ereignissen, die Thukydides — hierbei an leidenschaftlicher Kraft, Anschaulichkeit und Fülle der Farben sich selbst übertreffend — in unnachahmlicher Weise dargestellt hat, nicht glauben mögen, es sei mir so gegangen wie Timaios, der in der Hoffnung, Thukydides an Wucht zu übertreffen und Philistos als völligen Stümper und Laien hinzustellen, sich mit seiner Erzählung in die von jenen Historikern mit höchster Meisterschaft geschilderten Landkämpfe, See- und Redeschlachten hineindrängt, wobei er nicht nur, mit Pindar zu reden, >mit dem lydischen Rennwagen zu Fuße Schritt zu halten< sich bemüht, sondern als vollkommen begriffsstutzig und kindisch-eitel erweist und, nach einem Wort des Diphilos, >feist, aufgemästet mit sizilischem Speckso muss man flöten< und wiederum >so muss man nicht flöten. Die Frauen trugen nach einem Beschluß, den sie eigens unter sich faßten, ein ganzes Jahr Trauer um ihn, eine besondere, vielbeneidete Ehre. Begraben wurde er, auch dies nach einem Beschluß der Bürger, innerhalb der Stadt bei der sogenannten Velia mit der Bestimmung, daß dies der Begräbnisplatz für das ganze Geschlecht sein sollte. Jetzt wird aber niemand mehr aus dem

VERGLEICHUNG

303

Geschlecht dort beerdigt, sondern man trägt nur den Leichnam hin und setzt ihn nieder; dann nimmt einer eine brennende Fackel und hält sie daran, zieht sie aber gleich wieder hinweg, um anzudeuten, daß man es wohl dürfte, aber auf die Ehre verzichtete; und so tragen sie den Leichnam hinweg. 24 (1). Ist es nicht etwas ganz Besonderes an der jetzt zu gebenden Vergleichung, etwas, das noch bei keiner der bisher von mir geschriebenen in Betracht kam: daß der eine ein Nachahmer des anderen, der andere ein Zeuge fiir den ersten, mit ihm Verglichenen ist? Denn man sehe doch, ob die Aussage über das Glück, die Solon Kroisos gegenüber tat, nicht besser auf Poplicola als auf Tellos paßt. Denn Tellos, den er wegen seines Wohlstandes, seiner Tüchtigkeit und seiner wohlgeratenen Kinder als den Glücklichsten gepriesen hat, ist weder selbst in seinen Gedichten als ein wackerer Mann erwähnt, noch haben ihn seine Kinder oder eine führende Stellung berühmt gemacht. Poplicola dagegen war im Leben dank seiner Tüchtigkeit einer der ersten an Macht und Ehre unter den Römern, und nachdem er tot ist, erhalten noch heute, nach sechshundert Jahren, unter den vornehmsten Geschlechtern die Poplicolae, die Messalae, die Valerii, den Ruhm seines edlen Namens. Und Tellos fand von der Hand der Feinde, als ein tapferer Mann auf seinem Posten verharrend und kämpfend, den Heldentod; Poplicola aber schlug die Feinde - was ein noch größeres Glück ist als zu fallen - , sah sein Vaterland siegreich unter seiner Leitung und Führung und fand nach Ehren und Triumphen das von Solon glücklich und selig gepriesene Ende. Und auch was er im Widerspruch gegen Mimnermos über die Lebenszeit gesagt h a t 1 : «Unbeweint nicht nahe der T o d mir, sondern den Freunden Schaffen möge mein T o d Klagen und bitteres Leid»,

304

SOLON UND POPLICOLA

macht Poplicola zu einem glücklichen Menschen, denn er hat sterbend nicht den Freunden und Verwandten allein, sondern der ganzen Stadt, vielen Zehntausenden, Tränen, Sehnsucht und Kummer bereitet. Trauerten doch die römischen Frauen um ihn, wie wenn sie einen gemeinsamen Sohn oder Bruder oder Vater verloren hätten. «Reichtum begehre ich wohl, doch unrechtmäßig erwerben Will ich ihn nicht», spricht Solon, denn es folge die Strafe: Poplicola ward es zuteil, nicht nur nicht ungerecht reich zu sein, sondern auch seinen Reichtum auf eine edle Art zu brauchen, indem er den Bedürftigen half. Wenn darum Solon der Weiseste war von allen, so war Poplicola der Glücklichste. Denn die Güter, welche Solon sich wünschte als die schönsten und größten, die war es Poplicola vergönnt zu erwerben und zu behalten und zu genießen bis zu seinem Ende. 25 (2). So ist Solon gleichsam ein Lobredner Poplicolas gewesen; umgekehrt aber auch dieser ein Lobredner Solons, indem er mit seiner Politik das schönste Beispiel ftir einen Mann, der eine Demokratie errichten will, aufstellte. Denn er nahm dem höchsten Amt das Überhebliche und machte es umgänglich fiir alle und nicht verletzend, übernahm auch viele Gesetze Solons: er gab dem Volke das Recht, die Beamten zu bestellen, und den Beklagten das Recht, an das Volk (wie Solon an die Volksrichter) zu appellieren. Einen neuen Rat schuf er nicht wie Solon, vergrößerte aber den bestehenden zahlenmäßig, indem er ihn fast verdoppelte. Auch die Einrichtung des Amtes der Schatzmeister hatte dort seinen Ursprung, damit der Oberbeamte, wenn er ein ehrlicher Mann wäre, nicht von seinen größeren Aufgaben abgezogen würde, und wenn er unredlich wäre, nicht noch mehr Gelegenheiten zu unrechtem Handeln hätte, wenn er zum Herrn nicht

VERGLEICHUNG

305

nur über das Handeln, sondern auch über das Geld gemacht würde. Der Haß gegen die Tyrannen ist bei Poplicola stärker. Denn Solon setzt erstauf den erwiesenen Versuch, sichzumTyrannen aufzuwerfen, die Strafe, Poplicola gestattet, ihn schon vor der Untersuchung zu töten. Rühmt sich Solon mit Fug und Recht, daß er, obgleich die Umstände es ihm gestatteten, sich zum Tyrannen zu machen, und die Bürger sich nicht ungern damit abgefunden hätten, darauf verzichtete, so ist es für Poplicola kein geringerer Ruhm, daß er ein monarchenartiges Amt, das er übernahm, demokratischer gestaltete und auch von den Rechten, die er hatte, keinen Gebrauch machte. Doch scheint Solon auch dies schon vorher erkannt zu haben; sagt er doch 1 : «Seinen Führern wird dann das Volk am willigsten folgen, Wenn man es weder zu frei läßt noch es zu sehr bedrückt.» 26 (3). Eine besondere Leistung Solons ist der Erlaß der Schulden, durch den er die Freiheit der Bürger am meisten sicherte. Denn ohne jeden Nutzen sind Gesetze, welche eine Gleichheit einfuhren, die den Armen durch ihre Schulden wieder genommen wird. Gerade da, wo sie am meisten die Freiheit zu genießen scheinen, sind sie am meisten Sklaven der Reichen, wenn sie beim Richten, beim Führen eines Amtes und beim Reden Befehle empfangen und dienen müssen. Noch bedeutsamer ist, daß, während sonst jeder Schuldenaufhebung Bürgerzwist zu folgen pflegt, Solon allein durch diese Maßnahme, die er wie ein gefährliches, aber wirksames Heilmittel in Anwendung brachte, den schon bestehenden Zwist beseitigte, da er dank seiner Tüchtigkeit und seines Ansehens über die der Sache anhaftende Anrüchigkeit triumphierte. Betrachtet man die gesamte Politik beider, so war sie im Anfang bei Solon glänzender. Denn er folgte keinem andern, sondern führte und vollbrachte allein, nicht mit anderen, die mei-

306

SOLON U N D P O P L I C O L A

sten und bedeutendsten politischen Taten. Bei dem andern aber war das Ende glücklicher und ruhmvoller. Denn Solons Verfassung sah Solon selbst wieder aufgehoben, während die Poplicolas die Stadt bis zu den Bürgerkriegen in guter Ordnung erhielt. Denn Solon ließ seine Gesetze, kaum daß er sie gegeben hatte, nur in Buchstaben und auf Holz ohne einen Beschützer zurück und entfernte sich von Athen; Poplicola blieb, fiihrte das höchste Amt und die Geschäfte des Staates und schuf damit der Verfassung einen festen Grund. Zudem war es Solon nicht beschieden, obschon er sie voraussah, die Pläne des Peisistratos zu durchkreuzen, sondern er unterlag der sich bildenden Tyrannis. Poplicola dagegen stürzte und vernichtete eine seit langer Zeit bestehende, mächtige Monarchie, wobei er ebensoviel Mut und Entschlossenheit bewies wie Solon, dazu aber über mehr Glück und Macht zum Handeln verfügte. 27 (4). Was kriegerische Taten angeht, so hat Daimachos von Plataiai 1 nicht einmal das Unternehmen gegen dieMegarer, so wie wir es erzählt haben, Solon zuschreiben wollen; Poplicola aber hat selbst als Kämpfer und als Feldherr die größten Siege erfochten. Blickt man auf ihr politisches Handeln, so ist Solon gleichsam spielerisch und mit vorgetäuschtem Wahnsinn aufgetreten, um über Salamis zu sprechen, Poplicola aber stellte sich geradeswegs der äußersten Gefahr, trat den Tarquiniern entgegen und enthüllte den Verrat. Sein war das Hauptverdienst, daß die Verbrecher ihrer Strafe nicht entgingen, und er vertrieb nicht nur die Tyrannen als Personen aus der Stadt, sondern vernichtete auch ihre Hoffnungen. Wenn er sich so in allen Fällen, wo Kampf, Mut und Widerstandskraft am Platze war, kraftvoll und unerschütterlich zeigte, so wußte er sich noch besser da zu benehmen, wo friedliches Unterhandeln und nachgiebige Überredungskunst erfordert wurde, wie er denn den unbesieglichen, furchtbaren Porsinna auf geschickte Weise gewann und zum Freunde der Römer machte. Hier könnte

VERGLEICHUNG

307

man freilich umgekehrt sagen, Solon habe doch den Athenern Salamis, das sie schon aufgegeben hatten, zurückgewonnen, Poplicola hingegen Land, das die Römer schon besaßen, abgetreten. Aber man muß die Handlungen nach den jeweils vorliegenden Umständen betrachten. Ein gewandter Politiker, der jegliches Ding so anzufassen weiß, wie ihm am besten beizukommen ist, hat schon oft durch Preisgabe eines Teiles das Ganze gerettet und durch einen kleinen Verzicht Größeres gewonnen, wie denn jener Mann dadurch, daß er das anderen gehörige Land abtrat, den Besitz des eigenen Landes im vollen Umfang sicherte, dazu fiir seine Mitbürger, für die es schon ein Glück war, ihre Stadt zu behalten, noch das Lager der ehemaligen Feinde bekam und dadurch, daß er den Feind Richter sein ließ und den Prozeß gewann, noch soviel dazu erhielt, wie man gern gegeben hätte, um obzusiegen. Denn Porsinna machte dem Krieg ein Ende und hinterließ ihnen seine Vorräte im Vertrauen auf die Redlichkeit und hohe Gesinnung, die er nach dem Verhalten ihres Führers bei ihnen allen annahm.

ARISTEIDES UND

CATO

ARISTEIDES

i. Aristeides, der Sohn des Lysimachos, stammte aus der Antiochischen Phyle und der Gemeinde Alopeke1. Über sein Vermögen gibt es verschiedene Überlieferungen, die eine, daß er sein ganzes Leben in großer Armut verbracht und nach seinem Tode zwei Töchter hinterlassen habe, die wegen ihrer Mittellosigkeit lange Zeit unverheiratet blieben. Dieser Überlieferung, die bei vielen zu lesen ist, widerspricht Demetrios von Phaleron* und sagt in seinem «Sokrates», er kenne in Phaleron ein Grundstück, das Aristeides gehört habe und auf dem er auch begraben sei, und für die Wohlhabenheit der Familie meint er zwei Beweise anfuhren zu können, erstens die Würde als erster Archon, die ihm durch das Los als Angehörigem der begütertsten Familien - die sie Fünfhundertscheffler nannten - zufiel, zweitens seine Verbannung durch das Scherbengericht; denn über keinen Armen, sondern nur über Männer aus großen, durch ihren Adelsstolz verhaßten Häusern habe man dieses Gericht gehalten. Ein dritter und letzter Beweis sei, daß er als Weihgaben für einen Sieg mit einem tragischen Chor im heiligen Bezirk des Dionysos Dreifüße hinterlassen habe, die noch zu meiner Zeit gezeigt wurden und auf denen die Inschrift zu lesen ist 3: « Die Antiochische Phyle siegte, Aristeides trug die Kosten, Archestratos war Dichter und Regisseur.» Dieser Beweis allerdings, scheinbar der stärkste, ist in Wahrheit der schwächste. Denn auch Epameinondas, der, wie jedermann weiß, in großer Armut aufgewachsen ist und gelebt hat, und der Philosoph Piaton haben die Leistung des Aufwandes für kostspielige Aufführungen übernommen, der eine für Flötenspieler, der andere für einen Reigentanz von Kna-

312

A R I S T E I D E S U N D CATO

ben, und für Piaton hat der Syrakusier Dion, für Epameinondas Felopidas die Mittel zur Verfügung gestellt. Denn edle Männer fuhren gegen Geschenke von Freunden keinen ganz und gar unversöhnlichen Krieg, sondern Gaben, die dem Aufsparen und der persönlichen Bereicherung dienen sollen, anzunehmen halten sie allerdings für unanständig und niedrig, aber solche um der Ehre ohne Gewinn und um des Ruhmes willen lehnen sie nicht ab. Übrigens sagt Panaitiosdaß hinsichtlich des Dreifußes Demetrios sich durch Namensgleichheit habe täuschen lassen; denn von den Perserkriegen an bis zum Ende des Peloponnesischen Krieges seien nur zwei Männer des Namens Aristeides als Kostenträger für siegreiche Chöre aufgezeichnet, von denen keiner mit dem Sohne des Lysimachos identisch sei, sondern der eine sei ein Sohn des Xenophilos und der andere viel jünger, wie die Schreibweise, welche der Alphabetreförm des EukleidesJ folge, beweise und ebenso der dabeistehende Archestratos; denn ein solcher sei für die Zeit der Perserkriege nirgends, für die Zeit des Peloponnesischen Krieges mehrfach als Chordichter bezeugt. Wie es mit dieser Beweisführung des Panaitios steht, wäre noch genauer zu untersuchen. Dem Scherbengericht verfiel jeder, der sich durch Ruhm, Adel oder Beredsamkeit über die Menge zu erheben schien; ist doch auch Dämon, der Lehrer des Perikles3, weil er als außerordentlich klug galt, auf diese Weise verbannt worden. Die Archonwürde endlich, sagt Idomencus 4, habe Aristeides nicht durch das Los, sondern durch Wahl von den Athenern erhalten, und wenn er dieses Amt erst nach der Schlacht bei Plataiai geführt hat, wie Demetrios selbst bezeugt, so ist es sogar sehr wahrscheinlich, daß er nach so hohem Ruhm und so großen Erfolgen um seines Verdienstes willen des Amtes gewürdigt worden ist, das sonst die Reichen durch das Los erhielten. Aber Demetrios hat ja offenbar den Ehrgeiz, nicht nur Aristeides, sondern auch So-

ARISTEIDES

313

krates von dem Ruf der Armut zu befreien, als ob sie ein großes Übel wäre; denn auch von ihm behauptet er, daß er nicht nur ein eigenes Grundstück besessen habe, sondern auch siebzig Minen, die bei Kriton auf Zinsen angelegt waren. 2. Aristeides war zwar ein Anhänger des Kleisthenes gewesen, der nach der Vertreibung der Tyrannen den Staat der Athener geordnet hatte 1 , verehrte und bewunderte aber am meisten von allen Staatsmännern den Lakedaimonier Lykurg und führte daher eine aristokratische Politik, und sein demokratischer Gegner war Themistokles, der Sohn des Neokles. Manche sagen nun, sie seien schon als Knaben, da sie miteinander aufwuchsen, von Anfang an bei allem, was sie in Ernst und Scherz trieben und sagten, im Streit miteinander gewesen, und gleich bei diesem Wetteifer hätten ihre Charaktere sich offenbart, der eine gewandt, kühn, wendig, leicht und energisch auf alles losfahrend, der andere fest gegründet in einer standhaften Wesensart, das Rechte beharrlich verfolgend, Lüge, Possen und Betrug auch nicht zum Scherze sich erlaubend. Ariston von Keos 1 freilich behauptet, ihre Feindschaft habe ihren Ursprung in einer Liebesaffäre gehabt und sei dann so heftig angewachsen. Sie hätten nämlich beide den Stesileos, einen Keer von Geburt, den schönsten Knaben von Antlitz und Gestalt, geliebt und sich in Leidenschaft verzehrt, und auch als seine Jugendblüte vergangen war, hätten sie ihre Eifersucht nicht abgelegt, sondern wie festgefahren in dieser Stimmung seien sie auch in der Politik gleich als glühende Feinde gegeneinander aufgetreten. Themistokles trat einem politischen Klub bei und hatte dadurch einen nicht zu unterschätzenden Schutz und Macht, sodaß er einem Manne, der einmal zu ihm sagte, er werde den Athenern ein guter Führer sein, wenn er gegen alle gleich gerecht sei, die Antwort gab: «Niemals möchte ich auf einem Amtsstuhl sitzen, vor dem meine Freunde nicht mehr gelten sollten als Fremde!» Aristei-

314 ARISTEIDES UND CATO des aber wandelte in der Politik gleichsam seine eigene Straße, weil er erstens nicht gewillt war, Freunden zuliebe Unrecht zu tun oder ihr Mißfallen zu erregen, wenn er ihnen nicht willfahrte, und zweitens scheute er die Macht, die man durch Freunde hat, weil er sah, daß sie nicht wenige zum Unrechttun verleitete, und glaubte, daß der gute Bürger sich allein darauf zu verlassen habe, daß er das Anständige und Gerechte tue und sage. 3. Da indes Themistokles vielerlei verwegen ins Werk setzte und alle seine politischen Pläne zu hindern oder zu durchkreuzen suchte, so sah sich Aristeides schließlich ebenfalls gezwungen, teils in der Abwehr, teils um die durch seine Beliebtheit beim Volke immer mehr steigende Macht des Themistokles zu beschränken, wider eigene Überzeugung dessen Absichten entgegenzutreten, weil er es fiir besser hielt, daß das Volk hin und wieder etwas Nützliches sich entgehen ließ, als daß Themistokles durch ständiges Durchdringen mit seinen Anträgen allzu mächtig würde. Als er schließlich einmal einen vernünftigen Antrag des Themistokles bekämpft und den Sieg davongetragen hatte, konnte er sich nicht enthalten, beim Weggehen aus der Volksversammlung zu sagen, es gebe kein Heil ftir die Athener, wenn sie nicht Themistokles und ihn in den Abgrund stürzten. Ein andermal, als er einen Antrag beim Volke einbrachte, setzte er sich trotz heftigen Widerspruches durch. Als aber der Versammlungsleiter zur Abstimmungschreiten wollte, hatte er inzwischen aus den Verhandlungen das Unvorteilhafte der Sache eingesehen und trat von seinem Antrag zurück. Oft brachte er seine Anträge auch durch andere ein, damit Themistokles nicht aus Eifersucht gegen ihn das Nützliche zu verhindern suche. Bewundernswert erwies sich bei politischen Umschlägen seine Festigkeit, da er durch Ehren nicht überheblich wurde, Mißerfolge ruhig und gelassen ertrug und der Meinung war, daß er dem Vaterlande seine Kraft immer in

ARISTEIDES

315

gleicher Weise widmen und unter Verzicht nicht nur auf Geld, sondern auch auf Ruhm, ohne jeden Lohn seine Bürgerpflicht erfüllen müsse. Als daher - so wird berichtet - die Verse des Aischylos auf Amphiaraos 1 im Theater vorgetragen wurden: «Nicht scheinen will er nur gerecht, er will es sein, Einerntend Frucht vom tiefen Saatfeld seines Herzens, Aus dem der weise Ratschlag sprießt hervor», blickten alle auf Aristeides, da ihm vor allen diese Tugend eigen sei. 4. Doch nicht nur, wo er Neigung und Freundschaft fühlte, sondern auch im Zorn, Feinden gegenüber, trat er mit größter Entschiedenheit für das Recht ein. So wird erzählt, daß er, als er einst als Kläger gegen einen Feind vor Gericht stand und die Richter nach seiner Anklagerede den Beklagten nicht hören, sondern gleich abstimmen wollten, aufgesprungen sei und gemeinsam mit dem Gegner gebeten habe, diesen anzuhören und ihm sein Recht zuteil werden zu lassen. Ein andermal, da er einen Rechtsstreit zwischen zwei Bürgern als Richter zu entscheiden hatte und der eine sagte, sein Gegner habe Aristeides viel Böses getan, erwiderte er: «Sag lieber, mein Bester, ob er dir etwas Böses getan hat. Denn über deine Sache, nicht über meine, habe ich zu richten.» Als er zum Verwalter der öffentlichen Einkünfte gewählt worden war, wies er nach, daß nicht nur diejenigen, die zu seiner Zeit, sondern auch, die früher das Amt innegehabt hatten, große Unterschlagungen begangen hatten, vor allem Themistokles, «Ein kluger Mann, doch Herr nicht seiner H a n d » 1 . Daher brachte dieser viele gegen Aristeides zusammen, klagte ihn bei der Rechenschaftslegung wegen Unterschlagung an und erwirkte seine Verurteilung, wie Idomeneus behauptet.

3 16

A R I S T E I D E S UND CATO

Als aber die ersten und vornehmsten Bürger sich darüber empörten, wurde ihm nicht nur die Strafe erlassen, sondern auch wiederum dasselbe Amt übertragen. Nun tat er so, als ob er sein früheres Verfahren bereue, zeigte sich weniger streng und machte sich so bei den Dieben am öffentlichen Eigentum beliebt, weil er sie nicht kontrollierte und genau nachrechnete, sodaß sie sich an der Staatskrippe mästeten und nun Aristeides in den Himmel hoben und sich bei dem Volk mit Eifer dafür einsetzten, ihn wieder in das Amt zu wählen. Als aber die Athener zur Wahl schritten, hielt er ihnen eine Scheltrede: «Als ich mein Amt treu und ehrlich fiir euch führte», sagte er, «wurde ich beschimpft. Nachdem ich aber große Teile des Staatsgutes den Dieben preisgegeben habe, gelte ich für einen bewundernswerten Bürger. Ich selber schäme mich mehr über die jetzige Ehrung als über die neuliche Verurteilung, und es tut mir leid um euch, daß es bei euch mehr Ehre einbringt, wenn man den Schurken gefällig ist, als wenn man das Staatsgut zu erhalten sucht.» Nach diesen Worten deckte er die Unterschlagungen auf und stopfte denen, die eben noch sein Lob gesungen und ihn angepriesen hatten, den Mund, trug aber das wahre und berechtigte Lob der Besten davon. 5. Als Datis, von Dareios ausgesandt, angeblich um die Athener dafür zu bestrafen, daß sie Sardes eingeäschert hatten 1 , in Wahrheit, um die Griechen zu unterwerfen, mit seiner ganzen Flotte bei Marathon gelandet war und das Land verheerte, besaß unter den zehn Feldherren, die von den Athenern für den Krieg eingesetzt waren, Miltiades das größte Ansehen, aber der zweite an Ruhm und Einfluß war Aristeides. Daß er jetzt der Meinung des Miltiades über die zu liefernde Schlacht beitrat, fiel erheblich ins Gewicht, und als der Oberbefehl, den jeder der Feldherren abwechselnd einen Tag zu führen hatte, an ihn kam, überließ er ihn dem Miltiades, um seine Kollegen zu lehren, daß Gehorsam und Unterwerfung unter die über-

ARISTEIDES

317

legene Einsicht nicht schimpflich, sondern ehrenvoll und heilsam ist. So dämpfte er ihre Eifersucht und brachte sie dazu, sich darein zu fugen, daß man einem Rat, dem klügsten, folgte, und stärkte damit den Miltiades, der so eine unumschränkte Machtvollkommenheit erhielt. Denn jeder verzichtete nunmehr auf die abwechselnde Befehlsfiihrung und ordnete sich Miltiades unter. In der Schlacht, in der das Zentrum der Athener am meisten litt, weil hier die Barbaren gegenüber der Leontischen und der Antiochischen Phyle am längsten Widerstand leisteten, kämpften auf benachbarten Posten Themistokles und Aristeides mit glänzender Tapferkeit; denn jener gehörte der Leontischen, dieser der Antiochischen Phyle an. Als sie die Barbaren geschlagen und in die Schiffe geworfen hatten und nun gewahrten, daß sie nicht Kurs auf die Inseln nahmen, sondern von Wind und Wellen an der attischen Küste entlanggetrieben wurden, fürchteten sie, daß sie die Stadt von Verteidigern entblößt antreffen könnten. Sie eilten daher mit neun Phylen zur Stadt und legten den Weg noch am selben Tage z u r ü c k B e i Marathon wurde Aristeides mit seiner Phyle als Wächter über die Gefangenen und die Beute zurückgelassen, und er machte seinem Ruf keine Unehre, sondern obschon Silber und Gold in Massen da war und allerlei Gewänder und sonstige Güter in unbeschreiblicher Fülle in den Zelten und den eroberten Schiffen lagen, verlangte er doch weder selbst, etwas zu berühren, noch gestattete er es anderen, außer wenn manche sich hinter seinem Rücken bereicherten. Zu ihnen gehörte Kallias, der Fackelträger'. Ihm fiel, so heißt es, ein Barbar zu Füßen, weil er ihn wegen seines langen Haares und seiner Stirnbinde Rheinen König hielt. Er küßte den Boden vor seinen Füßen, faßte seine Rechte und zeigte ihm eine Menge Gold, das in eine Grube versenkt war. Da zeigte sich Kallias als der grausamste und ruchloseste Mensch: er nahm das Gold und tötete den

318

A R I S T E I D E S U N D CATO

Mann, damit er es nicht anderen verriete. Daher, sagt man, sind die Mitglieder seiner Familie von den Komikern die Grubenreichen genannt worden mit spöttischer Anspielung auf den Ort, an dem Kallias das Gold gefunden hatte. Gleich danach bekleidete Aristeides das Amt des ersten Archonten, nach dem das Jahr benannt wird. Demetrios von Phaleron sagt allerdings, er habe das Amt erst kurz vor seinem Tode nach der Schlacht bei Plataiai geführt. In den Archontenlisten ist aber nach Xanthippides, unter dem Mardonios bei Plataiai besiegt wurde 1 , in einer sehr langen Reihe nicht einmal ein Namensbruder des Aristeides zu finden; hingegen ist nach Phainippos, unter dem sie den Sieg bei Marathon gewannen, Aristeides als Archon verzeichnet. 6. Unter allen Tugenden, die ihn auszeichneten, fiel der Menge am meisten seine Gerechtigkeit auf, weil ihre Betätigung am meisten dem allgemeinen Wohl zugute kommt. Daher gewann er, ein armer Mann aus dem Volk, den königlichsten und göttlichsten Beinamen: der Gerechte. Ihn hat keiner der Könige und Tyrannen angestrebt, sondern Städtebelagerer, Donnerkeil, Sieger oder auch Adler und Falke 1 haben sie gem heißen wollen, weil sie ofTenbar auf den Ruhm der Gewalt und Macht größeren Wert legten als auf den der Tugend. Dabei ist doch die Gottheit, der sie zu gleichen und nahezutreten begehren, durch dreierlei ausgezeichnet: Ewigkeit, Macht und Tugend, und von diesen Eigenschaften ist die ehrwürdigste und göttlichste die Tugend. Denn Ewigkeit ist auch dem leeren Raum und den Elementen eigen, und große Gewalt besitzen auch Erdbeben und Blitze, Sturmesbrausen und Wasserstürze. Aber an Recht und Gerechtigkeit hat nichts einen Anteil, als was durch Vernunft und Denken göttlich ist. Dreierlei sind die Gefühle, die die meisten Menschen gegenüber der Gottheit hegen: Bewunderung, Furcht und Verehrung. Sie bewundern sie und preisen sie glücklich wegen ihrer

ARISTEIDES

319

Unvergänglichkcit und Ewigkeit, sie erschauern und fiirchten sie wegen ihrer Herrschaft und Macht, und sie lieben und ehren sie wegen ihrer Gerechtigkeit. Aber obwohl es so mit ihnen steht, verlangen sie nach der Unsterblichkeit, die mit unserm Wesen unverträglich ist, und nach der Macht, die zumeist dem Zufall unterworfen ist; aber die Tugend, die allein von den göttlichen Gütern uns erreichbar ist, die setzen sie hintan und handeln damit höchst töricht, da doch ein Leben in Macht, Glück und Herrschaft durch Gerechtigkeit göttlich, durch Ungerechtigkeit aber tierisch wird. 7. Dem Aristeides geschah es, daß er, der zuerst beliebt gewesen war, später wegen seines Beinamens Gegenstand der Mißgunst wurde, hauptsächlich durch die Schuld des Thcmistokles, der unter der Menge das Gerede verbreitete, Aristeides habe dadurch, daß er alles, richte und entscheide, die Gerichtshöfe aufgehoben und so unvermerkt eine Alleinherrschaft ohne Leibwachen für sich errichtet; doch nahm auch wohl schon das Volk, stolz geworden durch den Sieg und gewillt, alle Ehre fiir sich in Anspruch zu nehmen, an dem Beinamen Anstoß, der ihn über die Menge erhob. So kamen sie von allen Seiten in der Stadt zusammen und verbannten Aristeides durch das Scherbengericht, indem sie ihrem Neid auf seinen Ruhm den Namen der Furcht vor tyrannischer Herrschaft beilegten. Denn nicht Strafe fiir ein Verbrechen war diese Form des Bannes, sondern man nannte ihn beschönigend Demütigung und Beschneidung des Stolzes und drückender Gewalt, während er tatsächlich eine gemäßigte Form der Befriedigung des Neides war, sofern er nicht auf Vernichtung, sondern nur auf Entfernung des Mißliebigen, gegen den der Haß sich richtete, für zehn Jahre hinauslief. Nachdem aber gewisse Leute begonnen hatten, dieses Verfahren auch auf unwürdige und schlechte Menschen auszudehnen, nahm es schließlich mit der Verbannung des Hyperbolos sein Ende 1 . Diese geschah aus fol-

320

A R I S T E I D E S UND CATO

gender Ursache. Alkibiades und Nikias, die mächtigsten Männer in der Stadt, waren miteinander im Streit. Als nun das Volk zum Scherbengericht schreiten und offenkundig einen von beiden verbannen wollte, traten sie miteinander in Unterhandlung, vereinigten ihre Parteien und erreichten, daß Hyperbolos verbannt wurde. Daraufhin nahm aber das Volk diese Verächtlichmachung und Verhöhnung des Verfahrens so übel, daß es dasselbe fortan ganz aufgab. Der Hergang war in Kürze folgender. Jeder Bürger nahm einen Scherben, schrieb darauf den Namen des Mannes, den er verbannen wollte, und brachte ihn an einen Ort auf dem Markt, der rings mit Schranken umschlossen war. Die Beamten zählten zuerst die gesamten abgelieferten Scherben durch; denn wenn die Abstimmenden weniger als sechstausend waren, dann war das Verfahren ungültig; dann ordneten sie die Scherben nach den Namen und verbannten den von der Mehrzahl Aufgeschriebenen auf zehn Jahre, doch so, daß er im Genüsse seines Vermögens blieb. Während nun damals die Scherben beschrieben wurden, soll ein ganz schlichter Bauer, der nicht schreiben konnte, seinen Scherben dem Aristeides als einem ersten besten hingereicht und ihn gebeten haben, Aristeides draufzuschreiben, und als dieser ihn verwundert fragte, ob Aristeides ihm etwas zuleide getan habe, geantwortet haben: «Nein, ich kenne den Mann gar nicht, aber ich ärgere mich, wenn ich immer von ,dem Gerechten' höre.» Als er das hörte, habe Aristeides kein Wort erwidert, sondern nur den Namen auf die Scherbe geschrieben und sie ihm zurückgegeben. Als er dann die Stadt verließ, hob er die Hände zum Himmel und betete um das Gegenteil von dem, was einst Achilleus erfleht hattenämlich, die Athener möchten nicht in eine Lage kommen, die das Volk nötigte, des Aristeides zu gedenken. 8. Als im dritten Jahre danach Xerxes durch Thessalien und

ARISTEIDES

321

Boiotien gegen Attika zog, hoben die Athener das Gesetz auf und beschlossen die Rückkehr für die Verbannten, hauptsächlich in der Furcht, Aristeides könnte sich den Feinden anschließen und durch sein Beispiel und seinen Zuspruch viele Bürger zu den Barbaren hinüberziehen, womit sie den Mann ganz falsch beurteilten, der vielmehr schon vor diesem Beschluß unablässig die Griechen zur Freiheit aufrief und mahnte und nach dem Beschluß, als Themistokles den unbeschränkten Oberbefehl führte, ihm in allem mit Rat und Tat beistand, sodaß er um der Rettung des Ganzen willen seinem ärgsten Feinde dazu verhalf, den höchsten Ruhm zu erwerben*. Als nämlich Eurybiades Salamis zu verlassen plante und die Dreiruderer der Barbaren nachts ausliefen, den Sund rings umstellten und die Inseln besetzten, da schlug sich Aristeides, ehe noch jemand von der Umzingelung wußte, tollkühn durch die feindlichen Schiffe, kam des Nachts zum Zelt des Themistokles, ließ ihn allein herausrufen und sagte: «Wenn wir Vernunft haben, Themistokles, wollen wir jetzt den eitlen und kindischen Zwist fahren lassen und einen heilsamen und edlen Streit beginnen, indem wir miteinander wetteifern, Griechenland zu retten, du als Führer und Feldherr und ich als dein Helfer und Ratgeber. Denn ich höre, daß du allein jetzt den besten Gedanken vertrittst und dazu rätst, schnellstens in der Enge die Seeschlacht zu wagen. Und es scheint, daß, während die Bundesgenossen sich dagegen stemmen, die Feinde dir in die Hände arbeiten. Denn die See ist ringsum, auch im Rücken, bereits von feindlichen Schiffen bedeckt, sodaß, auch wer nicht will, gezwungen ist, ein tapferer Mann zu sein und zu kämpfen. Denn ein Weg zur Flucht ist nicht mehr frei.» Darauf erwiderte Themistokles: «Ich hätte nicht gewollt, Aristeides, daß du diesen Sieg über mich gewönnest. Nun will ich aber versuchen, im Wetteifer mit einem so schönen Anfang, ihn durch Taten zu übertreffen.» Zugleich eröffnete er ihm die Kriegs-

322

A R I S T E I D E S U N D CATO

Eise, die er gegen den Barbaren gebrauche hatte, und bat ihn, Eurybiades zu überreden und ihm klarzumachen, daß es ohne Seeschlacht keine Rettung gebe; denn Eurybiades hatte mehr Vertrauen zu Aristeides. Als nun im Kriegsrat der Feldherren der Korinther Kleokritos gegen Themistokles geltend machte, auch Aristeides teile seine Meinung nicht, denn er sitze, ja da und schweige, da widersprach Aristeides: er würde nicht schweigen, wenn der Rat des Themistokles nicht der beste wäre; nun aber schweige er, nicht aus freundlicher Gesinnung für den Mann, sondern weil er seine Meinung gutheiße. 9. So beratschlagten die Admirale der Griechen. Indessen ließ Aristeides, als er erfuhr, daß Psyttaleia - eine kleine Insel, die vor Salamis im Sunde liegt - von feindlichen Kriegern besetzt sei, die mutigsten und streitbarsten Bürger in Beiboote steigen, landete auf Psyttaleia, griff die Barbaren an und tötete sie alle bis auf einige Vornehme, die lebend gefangen wurden. Unter ihnen befanden sich drei Söhne der Schwester des Großkönigs namens Sandake 1 , die er sogleich zu Themistokles sandte, und es heißt, daß sie gemäß einem Orakel auf Weisung des Sehers Euphrantides Dionysos dem Rohverschlinger ( = Omestes) geopfert worden sind. Das Inselchen umstellte Aristeides rings mit Bewaffneten und ließ sie auf alle achten, die an den Strand getrieben würden, damit kein Freund umkomme und kein Feind entrinne. Denn das stärkste Gedränge der Schiffe und der härteste Kampf hat offenbar in jener Gegend stattgefunden. Daher steht auch das Siegeszeichen auf Psyttaleia. Nach der Schlacht suchte Themistokles den Aristeides auszuforschen *, indem er sagte, man habe zwar ein rühmliches Werk vollbracht, aber ein größeres sei noch zu vollbringen: Asien in Europa zu fangen, indem man schnellstens zum Heilespont segle und die Brücken abbreche. Als aber Aristeides aufschrie und sagte, er solle diesen Gedanken fallen lassen und

ARISTEIDES

323

vielmehr auf Mittel und Wege sinnen, wie man den Meder schnellstens aus Griechenland hinauswürfe, damit er nicht abgeschnitten und ohne Möglichkeit zur Flucht mit einem so großen Heer sich zum Verzweiflungskampf stelle, so schickte Themistokles wiederum den Eunuchen Amakes, einen der Gefangenen, ab mit dem Auftrag, dem König heimlich zu sagen, die Griechen seien entschlossen gewesen, zu den Brücken zu fahren, er habe sie aber davon abgebracht, weil er wollte, daß der König sich rette. 10. Hierdurch wurde Xerxes in große Furcht versetzt und eilte sofort zum Hellcspont, aber Mardonios blieb an der Spitze des besten Teiles des Heeres, an dreihunderttausend Mann, zurück, und furchtbar war er, wenn er im festen Vertrauen auf sein Landheer den Griechen drohte und ihnen folgendermaßen schrieb: «Ihr habt mit euren Seehölzern Landratten besiegt, die kein Ruder zu fuhren wissen. Aber jetzt ist das weite Land der Thessalier und die boiotische Ebene ein schöner Kampfplatz für tapfere Streiter zu Fuß und zu Roß.» An die Athener aber schickte er insbesondere ein Schreiben und eine Botschaft des Königs, worin er versprach, die Stadt wieder aufzubauen, ihnen viel Geld zu geben und sie zu Herren der Griechen zu machen, wenn sie sich außerhalb des Krieges hielten. Als das die Lakedaimonier erfuhren, schickten sie voll Angst Gesandte nach Athen und forderten die Athener auf, ihre Frauen und Kinder nach Sparta zu schicken und für die alten Leute den Lebensunterhalt von ihnen anzunehmen. Denn die N o t im Volk war groß, da es das Land und die Stadt verloren hatte. Dessenungeachtet gaben sie nach Anhörung der Gesandten auf Grund eines von Aristeides gestellten Antrages die bewunderungswürdige Antwort: sie verziehen es den Feinden, wenn sie alles für Reichtum und Geld für käuflich hielten, da sie ja nichts Höheres kennten; aber sie zürnten den Lakedaimoniern, daß sie allein auf die augenblickliche Armut und N o t

324

A R I S T E I D E S U N D CATO

der Athener blickten und ihrer Tapferkeit und ihres Ehrgefühls nicht gedächten, da sie ihnen zumuteten, um Brot für Griechenland zu kämpfen. Diesen Antrag stellte Aristeides, ließ dann die Gesandten wieder in die Versammlung fuhren und hieß sie den Lakedaimoniern melden, es gebe keine so große Masse Goldes, weder über der Erde noch unter der Erde, die die Athener nehmen würden als Preis für die Freiheit der Griechen. Und zu den Gesandten des Mardonios sagte er, indem er auf die Sonne zeigte: «Solange diese ihre Bahn wandelt, werden die Athener gegen die Perser kämpfen für ihr verheertes Land und die geschändeten und verbrannten Heiligtümer.» Ferner erwirkte er den Beschluß, daß die Priester Flüche aussprachen über jeden, der mit den Medern Verhandlungen aufnähme oder den Bund mit den Griechen verließe. Als nun Mardonios zum zweiten Male in Attika einfiel, setzten sie wieder nach Salamis über. Aristeides wurde nach Lakedaimon geschickt und machte ihnen Vorwürfe wegen ihrer Langsamkeit und Achtlosigkeit, daß sie abermals Athen dem Barbaren preisgäben, und forderte, sie sollten dem, was noch übrig sei von Griechenland, Hilfe bringen. Die Ephoren hörten sich das an, gaben sich aber den Tag über scheinbar sorglos dem Scherz und der Lust des Festes hin; denn es waren gerade die Hyakinthien». Nachts aber entsandten sie fünftausend auserlesene Spartiaten, von denen jeder sieben Heloten bei sich hatte, ohne Wissen der Athener. Als darauf wieder Aristoteles erschien und ihnen Vorwürfe machte, sagten sie lachend, er schwätze und schlafe wohl, denn das Heer sei auf dem Marsch gegen die Fremden - Fremde nannten sie die Perser - schon bei Oresteion*. Darauf erwiderte Aristeides, sie scherzten sehr zur Unzeit, wenn sie statt der Feinde die Freunde hinters Licht führten. Das steht bei Idomeneus; in dem Beschluß des Aristeides ist aber als Gesandter nicht er selbst, sondern Kimon, Xanthippos und Myronides genannt.

ARISTEIDES

325

11. Für die Schlacht wurde Aristeidcs zum Oberbefehlshaber gewählt, nahm die achttausend schwerbewaffneten Athener und zog nach Plataiai. Dort stieß Pausanias, der Führer des gesamten griechischen Aufgebots, zu ihm, und auch die Masse der übrigen Griechen strömte herbei. Das gesamte Lager der Barbaren erstreckte sich längs des Asoposflusses in so gewaltiger Ausdehnung, daß es keine festen Grenzen hatte, nur um das Gepäck und die wertvollsten Sachen hatten sie eine viereckige Mauer gebaut, jede Seite zehn Stadien ( = etwa 1800 m) lang. Für Pausanias und die Griechen insgesamt wirkte Teisamenos von Elis als Seher, und er verhieß den Sieg, wenn sie sich nur verteidigten und nicht zuerst angriffen. Aristeides sandte nach Delphi und erhielt von dem Gott den Bescheid, die Athener würden ihre Gegner überwinden, wenn sie zu Zeus beteten, zur Hera vom Kithairon, zu Pan und den Sphragitischen Nymphen, wenn sie den Heroen Androkrates, Leukon, Peisandros, Damokrates, Hypsion, Aktaion, Polyeidos opferten und wenn sie die Schlacht im eigenen Lande in der Ebene der Eleusinischen Damater und der Kora lieferten. Als dieser Orakelspruch gebracht wurde, setzte er Aristeides in Verlegenheit. Denn die Heroen, denen er zu opfern befahl, waren Stammesheroen der Plataier, und die Grotte der Sphragitischen Nymphen liegt auf einem Gipfel des Kithairon, gegen den sommerlichen Sonnenuntergang gewendet, und darin befand sich früher ein Orakel, wie es heißt, und viele der Landesbewohner waren nicht recht bei Sinnen; man nannte sie nymphenbesessen. Die Ebene der Eleusinischen Demeter dagegen, und daß den Athenern der Sieg verheißen wurde, wenn sie die Schlacht im eigenen Lande lieferten, bedingte eine Verlegung des Krieges und rief ihn nach Attika. Da träumte dem Feldherrn der Plataier, Arimnestos, er würde von Zeus Sotcr ( = Retter) gefragt, was die Griechen zu tun beschlossen hätten, und er hätte geantwortet: «Morgen, o Herr, werden wir das

326

ARISTEIDES UND CATO

Heer nach Eleusis führen und dort mit den Barbaren kämpfen nach der Weisung des pythischen Orakels.» Hierauf habe der Gott gesagt, sie täuschten sich durchaus: hier im Gebiet von Plataiai sei der vom Orakel bezeichnete Ort, und wenn sie suchten, würden sie ihn finden. Nachdem Arimnestos das ganz deutlich geträumt hatte, rief er beim Erwachen schnellstens die ältesten und erfahrensten Bürger zusammen, besprach und beriet die Sache mit ihnen und ermittelte, daß nahe bei Hysiai 1 am Fuße des Kithairon ein uralter Tempel liege, genannt Tempel der Eleusinischen Demeter und der Kore. Sofort holte er Aristeides und führte ihn an den Ort, der sich als äußerst günstig erwies, ein Infanterieheer dort gegen überlegene Kavallerie aufzustellen, weil die Hänge des Kithairon die auslaufende Ebene, wo sie das Heiligtum erreichte, fiir Kavalleriebewegungen ungeeignet machten. Nahe dabei war auch die Kapelle des Androkrates, von einem dichten, schattigen Hain umstanden. Damit nun für die Siegesaussicht kein Teil des Orakels unbeachtet bliebe, beschlossen die Plataier auf Antrag des Arimnestos, die Grenzen ihres Gebietes gegen Attika aufzuheben und das Land den Athenern zu überlassen, damit sie gemäß dem Orakel auf dem eigenen Boden für Griechenland kämpfen könnten. Diese großmütige Gesinnung der Plataier ist so berühmt geworden, daß noch viele Jahre später Alexandras, als er schon über Asien herrschte, Plataiai befestigen und in Olympia durch den Herold ausrufen ließ, der König erweise damit den Plataiern seinen Dank für ihre Mannhaftigkeit und ihren Großmut, daß sie den Griechen im Mederkrieg ihr Land zur Verfugung gestellt und ihren hingebenden Eifer bewiesen hätten. 12. Nun begannen die Tegeaten 2 einen Streit mit den Athenern um den Platz in der Schlachtordnung. Sie verlangten, wenn die Lakedaimonier wie immer den rechten Flügel hielten, ihrerseits den linken zu erhalten, und sangen dazu große

ARISTEIDES

327

Loblieder auf ihre Vorfahren. Die Athener ereiferten sich dagegen, Aristeides aber trat auf und sagte: «Mit den Tegeaten um Adel und Waffenruhm zu streiten, erlaubt der Augenblick nicht. Euch, ihr Spartiaten, und den anderen Griechen sagen wir hiermit, daß es nicht der Ort ist, der die Tapferkeit nimmt oder gibt. Welchen Platz ihr uns auch anweist, dem wollen wir versuchen Ehre zu machen und ihn zu halten und den Ruhm unserer früher ausgefochtenen Kämpfe nicht zu schänden. Wir sind gekommen, nicht um mit den Bundesgenossen zu streiten, sondern um gegen die Feinde zu kämpfen, nicht um die Väter zu loben, sondern um uns selbst als tapfere Männer im Kampf fiir Griechenland zu bewähren. Dieser Kampf wird zeigen, wieviel jede Stadt, jeder Offizier und jeder einfache Soldat für Griechenland wert ist.» Auf diese Worte entschieden die Feldherren und die Beisitzer des Kriegsrates fiir die Athener und übergaben ihnen den andern Flügel. 13. Während so Griechenland in höchster Spannung und besonders die Lage der Athener höchst gefährdet war, traten einige Männer aus vornehmen und wohlhabenden Häusern, die durch den Krieg arm geworden waren und mit dem Reichtum auch all ihre Macht und ihr Ansehen in der Stadt schwinden sahen, während andere Ehren und Ämter gewannen, heimlich in einem Hause in Plataiai zusammen und verschworen sich, die Demokratie zu stürzen, und wenn das nicht gelänge, alles zu vernichten und an die Barbaren zu verraten. Während dies im Lager betrieben wurde und schon viele verführt waren, erfuhr Aristeides davon und war in Sorge wegen des kritischen Zeitpunktes, beschloß daher, die Sache weder unbeachtet zu lassen noch ganz aufzudecken, da man nicht wissen konnte, auf wie viele die Untersuchung sich erstrecken würde, wenn sie sich nur das Recht und nicht den Nutzen zum Ziel setzte. Er ließ also von vielen nur acht verhaften. Zwei von diesen, denen zuerst der Prozeß gemacht wurde und die auch am schwersten

328

A R I S T E I D E S U N D CATO

belastet waren, Aischines von Lamptrai und Agasias von Acharnaientflohen aus dem Lager, und die anderen ließ er wieder frei, womit er denen, die unbemerkt geblieben zu sein glaubten, die Möglichkeit gab, aufzuatmen und zu bereuen, indem er das Wort sprach, fiir sie sei der Krieg ein großes Gericht, vor dem sie, wenn sie wollten, sich von ihrer Schuld dem Vaterlande gegenüber nach Recht und Treue reinigen könnten. 14. Hierauf setzte Mardonios die Waffe gegen die Griechen ein, mit der er sich besonders überlegen fühlte, und ließ seine Reiterei in Massen gegen sie ansprengen, die am Fuße des Kithairon in festen, durch felsige Abhänge geschützten Stellungen saßen, außer den Megarem. Diese lagerten, dreitausend an der Zahl, in mehr ebenem Gelände. Daher litten sie schwer unter der Reiterei, die gegen sie anstürmte und von allen Seiten die Möglichkeit zur Attacke hatte. Sie schickten also eilends einen Boten zu Pausanias mit der Bitte um Hilfe, da sie allein nicht imstande seien, der Masse der Barbaren zu widerstehen. Pausanias, der das hörte und auch schon sehen konnte, wie das Lager der Megarer von der Masse der Wurfspeere und Pfeile verdeckt und sie auf einen engen Raum zusammengedrängt waren, war selbst nicht in der Lage, mit seiner schwergerüsteten Spartiatenphalanx Reiter zurückzuschlagen, und stellte daher den anderen, um ihn versammelten Ober- und Unterführern der Griechen die Aufgabe, ihre Tapferkeit und ihren Ehrgeiz zu beweisen, wenn sie sich freiwillig zum Vorkampf erbieten und den Megarern Hilfe bringen wollten. Während die anderen zögerten, übernahm Aristeides namens der Athener die Aufgabe und entsandte den mutigsten der Hauptleute, Olympiodoros, mit der ihm unterstellten Elitetruppe von dreihundert Mann und unter sie verteilten Bogenschützen. Als diese sich schnell gerüstet hatten und im Lauf anrückten, wandte Masistios, der Führer der persischen Reiter, ein Mann

ARISTEIDES

329

von hervorragender Tapferkeit und besonderer Körpergröße und -Schönheit, sowie er sie gewahrte, sein Roß gegen sie und stürmte an. Sie empfingen ihn, und es entbrannte ein heftiger Kampf, den beide Parteien für eine Vorprobe der großen Entscheidung nahmen. Als jetzt das Roß des Masistios, von einem Pfeil getroffen, ihn abwarf und er, gestürzt, unter der Last seiner Waffen unfähig war, sich zu rühren und wieder hochzukommen, aber auch die Athener, die über ihn herfielen und auf ihn einschlugen, ihm nicht beikommen konnten, weil er nicht nur an Kopf und Brust, sondern auch an den Gliedern mit Gold, Bronze und Eisen gepanzert war, tötete ihn schließlich einer durch einen Stoß mit dem Fußende der Lanze in den Sehschlitz des Helmes, und nun ließen die anderen Perser den Toten im Stich und flohen. Die Größe dieses Erfolges wurde den Griechen nicht durch die Menge der Toten deutlich, denn der Gefallenen waren wenige, sondern durch die Trauer der Barbaren. Denn sie Schoren sich selbst wegen Masistios und die Pferde und die Maultiere und erfüllten die Ebene mit Heulen und Wehklagen um den Verlust eines Mannes, der an Tapferkeit und Ansehen nächst Mardonios selbst bei weitem der erste war. 15. Nach der Reiterschlacht enthielten sich beide Teile lange Zeit des Kampfes. Denn Persern wie Griechen verkündeten die Seher nach den Opfern gleicherweise Sieg bei der Verteidigung und Niederlage, wenn sie angriffen. Endlich beschloß Mardonios, da er nur noch für wenige Tage Lebensmittel hatte und die Griechen durch ständig neu zuströmende Scharen immer mehr wurden, ungeduldig, nicht länger zu warten, sondern bei Tagesanbruch den Asopos zu überschreiten und die Griechen unvermutet anzugreifen, und gab am Abend den Offizieren die entsprechenden Befehle. Da näherte sich etwa um Mitternacht ein Berittener leise dem Lager der Griechen, und als er auf die Wachen stieß, bat er, der Athener

330

ARISTEIDES UND CATO

Arisleides möchtc zu ilun kommen. Als er schnell zur Steile war, sagte er: «Ich bin Alexandras, der König der Makedonen, und ich bin gekommen und habe aus Freundschaft fiir euch die schwerste Gefahr auf mich genommen, damit euch nicht die Überraschung so erschreckt, daß ihr schlechter kämpft. Denn Mardonios wird euch morgen angreifen, nicht in Hoffnung und Siegeszuversicht, sondern aus Mangel am Nötigsten, da doch auch die Seher ihm wegen ungünstiger Opfer und Orakel vom Kampf abraten und im Heere Mutlosigkeit und Bestürzung herrscht. Doch er ist in der Zwangslage, zu wagen und das Schicksal zu versuchen oder die äußerste Not gewärtigen zu mUssen, wenn er ruhig sitzenbleibt.» Dies sagte Alexandras und bat Aristeides, es selbst zur Kenntnis zu nehmen und im Gedächtnis zu behalten, aber keinem andern weiterzusagen. Doch Aristeides erwiderte, es gehe nicht an, dies dem Pausanias zu verheimlichen, da bei ihm der Oberbefehl liege; allen anderen solle es vor der Schlacht verborgen bleiben; aber wenn Griechenland siege, dann solle niemand über den guten Willen des Alexandras und seinen Edelmut in Unkenntnis bleiben. Nach dieser Unterredung ritt der König der Makedonen wieder zurück, und Aristeides ging zum Zelte des Pausanias und berichtete ihm über das Gespräch. Darauf riefen sie auch die übrigen Offiziere und gaben den Befehl, das Heer in Bereitschaft zu halten, da es zur Schlacht kommen werde. 16. Inzwischen machte, wie Herodot erzählt (IX 46), Pausanias dem Aristeides den Vorschlag, er möchte die Athener auf den rechten Flügel hinüberfuhren und den Persern entgegenstellen; denn sie würden dort besser kämpfen, weil sie diesen Feind schon kennengelernt und von ihren früheren Siegen her großes Selbstvertrauen hätten; ihm sollten sie den linken Flügel überlassen, wo die auf persischer Seite stehenden Griechen kämpfen sollten. Die anderen Feldherren der Athener fanden das Verhalten des Pausanias unbillig und ungehörig,

ARISTEIDES

331

wenn er, während er die übrige Schlachtordnung unverändert ließ, nur sie wie Sklaven hin- und herkommandierte und sie jetzt der kampfkräftigsten Truppe der Feinde gegenüberstelle. Aristeides aber sagte, es sei ganz verfehlt, wenn sie, nachdem sie unlängst mit den Tegeaten darum gestritten hätten, den linken Flügel zu bekommen, und stolz daraufgewesen wären, daß sie ihnen vorgezogen wurden, jetzt, da die Lakedaimonier ihnen freiwillig den rechten Flügel abträten und ihnen so gewissermaßen die Führung überließen, diese Ehre nicht freudig annähmen und es nicht als einen Gewinn ansähen, statt gegen Stammesgenossen und Verwandte gegen Barbaren, ihre natürlichen Feinde, kämpfen zu können. Hierauf tauschten die Athener wohlgemut die Stellung mit den Spartiaten, und es ging das Wort durch ihre Reihen, und sie riefen einander zu, die Feinde rückten ja nicht mit besseren Waffen und mutigeren Herzen an als die bei Marathon, sondern sie trügen noch dieselben Bogen wie jene und dieselben Prunkkleider, dasselbe Gold über weichlichen Körpern und unmännlichen Herzen. Wir aber haben wohl noch dieselben Waffen und Körper, aber unser Mut ist stärker durch unsere Siege, und der Kampf geht nicht nur um Land und Stadt wie damals, sondern auch um die Siegesmale von Marathon und Salamis, daß man sie nicht nur Miltiades und dem Glück, sondern den Athenern zuschreibt. Sie waren also eilends dabei, die Stellung zu wechseln. Das erfuhren die Thebaner durch Überläufer und meldeten es Mardonios, und er führte sofort, sei es aus Furcht vor den Athenern, sei es, weil er den Ehrgeiz hatte, mit den Lakedaimoniern zusammenzutreffen, seine Perser auf den rechten Flügel und befahl den ihm verbündeten Griechen, gegenüber den Athenern Stellung zu nehmen. Sobald ihm diese Umgruppierung kenntlich wurde, machte Pausanias kehrt und stellte sich wieder auf den rechten Flügel, und Mardonios bezog wieder seinen linken Flügel, wo er am Anfang gestanden hatte,

332

ARISTEIDES UND CATO

gegenüber den Lakedaimoniern. So ging der T a g zu Ende, ohne daß es zum Schlagen kam. Darauf beschlossen die Griechen im Kriegsrat, das Lager weiter fort zu verlegen und eine wasserreiche Gegend zu besetzen, weil die Gewässer in der Nähe von den Barbaren kraft ihrer kavalleristischen Überlegenheit verunreinigt und verseucht waren. 17. Als die Nacht hereinbrach und die Feldherren zu dem vorgesehenen neuen Lagerplatz fuhren wollten, war die Menge nicht sehr geneigt, ihnen zu folgen und zusammenzubleiben, sondern sobald man aus den ersten Verschanzungen aufgebrochen war, eilten die meisten auf die Stadt der Plataier zu, und es gab ein Getümmel, als sie sich dort zerstreuten und ohne jede Ordnung nun ihre Zelte aufschlugen. Dabei blieben die Lakedaimonier wider ihren Willen hinter den anderen zurück. Denn Amompharetos, ein hitziger und wagemutiger Mann, der längst schon nach dem Kampf dürstete und über die vielen Aufschübe und Zögerungen entrüstet war, nannte jetzt die Verlegung der Stellung geradezu eine Flucht und ein Ausreißen und erklärte, er werde die Stellung nicht verlassen, sondern mit seinen Leuten dort bleiben und Mardonios standhalten. Als Pausanias herzukam und sagte, er handle so nach Beschluß und Anordnung der Griechen, da erhob Amompharetos mit beiden Händen einen großen Stein, warf ihn Pausanias vor die Füße und sagte, so gebe er seine Stimme» über die Schlacht ab, und die feigen Beschlüsse und Befehle der anderen seien ihm gleichgültig. In der augenblicklichen Verlegenheit schickte Pausanias zu den Athenern, die schon im Abmarsch begriffen waren, und bat sie, zu warten und gemeinsam mit ihm zu marschieren, und er selbst führte das übrige Heer auf Plataiai zu, um so Amompharetos zum Aufbruch zu bewegen. Indessen brach der T a g an, und Mardonios, dem es nicht entgangen war, daß die Griechen ihr Lager verlassen hatten, rückte in Schlachtordnung gegen die Lakedaimonier an unter

ARISTEIDES

333

lautem Geschrei und Wafiengeklirr der Barbaren, die schon glaubten, daß es gar keine Schlacht mehr geben werde, sondern daß sie die Griechen nur noch auf der Flucht zusammenzuhauen brauchten. Und es hing an einem Haar, daß das geschehen wäre. Denn Pausanias, als er sah, was vorging, ließ zwar haltmachen und die Schlachtordnung einnehmen, vergaß aber, sei es aus Zorn gegen Amompharetos, sei es kopflos geworden durch die Schnelligkeit der Feinde, den anderen Griechen einen Befehl zu geben, daher sie denn nicht sofort noch in dichter Masse, sondern in kleinen Gruppen und vereinzelt, als der Kampf schon im Gange war, zu Hilfe eilten. Da nun Pausanias beim Opfern keine günstigen Zeichen erzielte, befahl er den Lakedaimoniern, die Schilde vor die Füße zu setzen, still zu sitzen und auf ihn zu achten, ohne sich gegen die Feinde zu wehren, und er selbst brachte ein neues Opfer. Inzwischen brandeten die Reiter heran, schon war man in Schußweite und der eine und andere Spartiat bereits getroffen. Da erhielt auch Kallikrates, der für den schönsten und größten der Griechen im Heere galt, einen Pfeilschuß und sagte sterbend, er klage nicht um seinen Tod, denn er sei ja von Hause hierher gekommen, um für Griechenland zu sterben; aber daß er sterben müsse, ohne seinen Arm gebraucht zu haben. Schlimm war, was die Männer da auszustehen hatten, und ihre Selbstbeherrschung bewundernswert; denn sie erwehrten sich nicht der anrückenden Feinde, sondern harrten auf die Weisung von dem Gott und von dem Feldherrn und hielten an ihren Posten aus, während sie getroffen wurden und fielen. Manche sagen auch, daß, während Pausanias in einiger Entfernung von der Front opferte und betete, einige Lyder ihn plötzlich überfallen und das Opfergerät geraubt und durcheinandergeworfen hätten, und Pausanias und seine Leute hätten, da sie keine Waffen hatten, mit Stöcken und Peitschen auf sie eingeschlagen. Zur Erinnerung an diesen Überfäll fanden noch

334

A R I S T E I D E S UND CATO

jetzt die Geißelung der Jünglinge am Altar der Artemis in Sparta 1 und der Aufzug der Lyder statt. 18. Während jetzt der Seher ein Opfertier nach dem andern schlachtete, wandte sich Pausanias tiefbetrübt über das Mißgeschick und mit Tränen in den Augen dem Heraheiligtum zu, erhob die Hände und betete zur Hera vom Kithairon und den anderen Göttern, die das Land von Plataiai hüten: wenn es den Griechen nicht zu siegen bestimmt sei, so wollten sie doch nicht fallen, ohne etwas geleistet und mit der Tat den Feinden gezeigt zu haben, daß sie gegen tapfere Männer, die zu kämpfen gelernt hätten, ausgezogen seien. Während Pausanias so zu den Göttern flehte, erschienen zugleich mit dem Gebet die günstigen Opferzeichen, und der Seher verkündete Sieg. Als jetzt allen der Befehl gegeben wurde, gegen die Feinde anzutreten, bot die Phalanx plötzlich den Anblick eines einzigen muterfüllten Lebewesens, das sich mit gesträubten Stacheln zum Angriff wendet, den Barbaren aber wurde jetzt klar, daß sie es mit Männern zu tun hätten, die bis zum Tode kämpfen würden. Daher setzten sie ihre geflochtenen Schilde in dichter Reihe vor sich hin und schössen ihre Pfeile auf die Lakedaimonier. Diese aber rückten Schild an Schild gedrängt heran, fielen über sie her, warfen die Schilde um, stießen mit den Speeren nach Gesicht und Brust der Perser und töteten viele. Doch fielen sie nicht tatenlos und feige, sondern sie griffen mit den bloßen Händen nach den Speeren und zerbrachen die meisten, und als es zum Schwertkampf kam, brauchten sie wacker ihre Messer und Dolche, zogen den Gegnern die Schilde weg, faßten sie um den Leib und leisteten lange Zeit Widerstand. Die Athener hielten eine Weile still und warteten auf die Lakedaimonier. Als aber lautes Kampfgeschrei zu ihnen drang und auch, wie es heißt, ein Bote von Pausanias kam, der das Geschehende meldete, eilten sie schleunigst zu Hilfe, und als sie durch die Ebene zogen in der Richtung nach dem Geschrei,

ARISTEIDES

33$

warfen sich ihnen die auf persischer Seite kämpfenden Griechen entgegen. Sobald Aristeides sie sah, lief er weit voraus, rief sie an und beschwor sie bei den hellenischen Göttern, sich des Kampfes zu enthalten, ihnen nicht im Wege zu sein und sie nicht zu hindern, den Vorkämpfern für Griechenland zu Hilfe zu eilen. Als er aber sah, daß sie nicht auf ihn achteten und zum Kampf gerüstet waren, gab er die Hilfeleistung für die Lakedaimonier auf und begann den Kampf mit den Griechen, die an fiinfzigtausend zählten. Der größte Teil von ihnen wich sofort und zog sich zurück, da auch die Barbaren schon abgezogen waren, und der Hauptkampf soll mit den Thebanern stattgefunden haben, da die ersten und mächtigsten Männer bei ihnen damals mit Eifer der persischen Sache anhingen und die oligarchisch regierte Menge wider ihren Willen mit sich zogen. 19. In dieser an zwei Stellen geführten Schlacht drängten zuerst die Lakedaimonier die Perser zurück, und den Mardonios erschlug ein Spartiat namens Aeimncstos, indem er ihm mit einem Stein den Kopf zerschmetterte, wie es ihm das Orakel des Amphiareos vorausgesagt hatte. Denn Mardonios hatte einen Lyder dorthin und einen Karer zum Ptoon 1 geschickt, und zu diesem hatte der Prophet in karischer Sprache gesprochen, der Lyder hatte sich im Heiligtum des Amphiareos schlafen gelegt und geträumt, ein Diener des Gottes trete zu ihm und befehle ihm davonzugehen, und da er sich weigerte, habe er ihm einen großen Stein an den Kopf geworfen, so daß der Mann glaubte, von dem Schlage getötet zu sein. So wird das berichtet. Die fliehenden Perser schlössen die Lakedaimonier in den hölzernen Verschanzungen ein. Wenig später schlugen die Athener die Thebaner in die Flucht und töteten die dreihundert vornehmsten und angesehensten Männer während der Schlacht selbst. Denn eben als die Verfolgung begonnen hatte,

336

A R I S T E I D E S U N D CATO

kam ein Bote mit der Meldung, das Barbarenheer sei in seiner Verschanzung eingeschlossen und werde da belagert. So ließen sie die Griechen sich retten, eilten nach den Verschanzungen, erschienen bei den Lakedaimoniern, die, im Belagerungskrieg unerfahren, ganz untätig dastanden, und nahmen das Lager unter schwersten blutigen Verlusten der Feinde. Denn es sollen von den dreihunderttausend nur vierzigtausend unter Artabazos entronnen sein. Von den Kämpfern fiir Griechenland fielen insgesamt tausenddreihundertsechzig. Davon waren Athener zweiundfiinfzig, sämtlich aus der Aiantischen Phyle, wie Kleidemos1 berichtet, die am tapfersten gefochten hatte. Daher brachten auch die Aiantiden den Sphragitischen Nymphen das vom Delphischen Orakel angeordnete Opfer fiir den Sieg dar, wofür sie die Kosten aus der Staatskasse erhielten. Lakedaimonier fielen einundneunzig, Tegeaten sechzehn. Staunen muß man daher über Herodot, wie er behaupten kann (IX 85), allein diese seien mit den Feinden ins Handgemenge gekommen, von den übrigen Griechen keiner. Denn die Menge der Gefallenen und die Denkmäler bezeugen, daß der Sieg eine gemeinsame Leistung war. Auch den Altar hätten sie wohl nicht mit folgender Inschrift versehen, wenn nur drei Gemeinden gekämpft und die anderen stillgesessen hätten: «Als mit siegender Kraft hellenische Männer in Ares' Kampfe, dem mutigen Drang ihrer Seele getreu, Persiens Scharen verjagt, da erbauten sie Zeus, dem Befreier, Dankbar diesen Altar, Hellas dem freien gemein 2.» Diese Schlacht schlugen sie am vierten Boedromion nach athenischem, am siebenundzwanzigsten Panemos nach boiotischem Kalender 3, an welchem Tage noch jetzt die gemeingriechische Zusammenkunft in Plataiai stattfindet und die Plataier Zeus dem Befreier das Opfer für den Sieg darbringen. Über die Unstimmigkeit der Tage darf man sich nicht wundern, wo noch

ARISTEIDES

337

jetzt bei sehr viel verbesserten astronomischen Kenntnissen die verschiedenen Völker die Monate verschieden beginnen und schließen lassen. 20. Als hierauf die Athener den Spartiaten den Tapferkeitspreis nicht zugestehen und ihnen auch nicht die Errichtung eines Siegeszeichens gestatten wollten, so hätte nicht viel gefehlt, daß es zu einer Katastrophe kam, indem die Griechen die Waffen gegeneinander kehrten, wenn nicht Aristeides durch vieles Zureden und Belehren seine Mitfeldherren, besonders Leokrates und Myronides, beruhigt und dahin gebracht hätte, die Entscheidung den Griechen zu überlassen. Hier erklärte bei der Beratung der Griechen der Megarer Theogeiton, man müsse den Preis einer andern Stadt geben, wenn man nicht einen Bruderkrieg entfachen wolle. Als danach der Korinther Kleokritos aufstand, erwartete man, er werde den Preis für die Korinther fordern; denn nächst Sparta und Athen genoß Korinth das höchste Ansehen. Er hielt aber eine allgemein mit Beifall und Bewunderung aufgenommene Rede für die Plataier und riet, den Streit beizulegen, indem man ihnen den Preis zuerkenne, da an ihrer Auszeichnung keine der streitenden Parteien Anstoß nehmen werde. Mit diesem Vorschlag erklärte sich zuerst Aristeides namens der Athener einverstanden, dann Pausanias namens der Lakedaimonier. So ausgesöhnt, bewilligten sie den Plataiern achtzig Talente, von denen diese den Tempel der Athena wieder aufbauten, die Statue errichteten und die Cella mit Gemälden schmückten, die noch jetzt in voller Frische erhalten sind. Außerdem errichteten die Lakedaimonier und die Athener besondere Siegesmäler fiir sich. Auf eine Anfrage wegen des Opfers antwortete ihnen der Pythische Gott, sie sollten einen Altar des Befreiers Zeus errichten, aber nicht eher opfern, als bis sie das Feuer im Lande, das von den Barbaren befleckt sei, verlöscht und neues, reines aus Delphi von dem gemeinschaftlichen Herd entzündet hät-

338

ARISTEIDES UND CATO

Ccn. Daraufgingen die Führer der Griechen sofort herum und zwangen alle, die ein Feuer brannten, es zu löschen, und der Plataier Euchidas erbot sich, so schnell als möglich das Feuer von dem Gott zu bringen, und kam nach Delphi. Er reinigte seinen Leib, besprengte sich mit Weihwasser, bekränzte sich mit Lorbeer, nahm das Feuer vom Altar, eilte im Lauf wieder nach Plataiai und kam vor Sonnenuntergang an, so daß er am selben T a g e tausend Stadien 1 zurücklegte. Er begrüßte seine Mitbürger, übergab das Feuer, und dann stürzte er sofort nieder und hauchte nach kurzem seinen Geist aus. Voll Bewunderung bestatteten ihn die Plataier in dem Heiligtum der Artemis Eukleia ( = die Ruhmreiche) und setzten ihm als Inschrift den Tetrameter : «Euchidas nach Pytho rannte, kehrte gleichen T a g s zurück.» Eukleia halten die meisten für einen Beinamen der Artemis; einige aber sagen, sie sei eine Tochter des Herakles und der Myrto, der Tochter des Menoitios und Schwester des Patroklos, gewesen; sie sei als Jungfrau gestorben und habe bei den Boiotern und Lokrern göttliche Ehren erhalten. Denn ein Altar und Bild ist ihr auf jedem Markt errichtet, und vor der Hochzeit opfern ihr Braut und Bräutigam. 21. Hierauf fand eine allgemeine Versammlung der Griechen statt, und Aristeides stellte den Antrag, es sollten alljährlich in Plataiai von ganz Griechenland Vertreter und Festgesandte zusammenkommen, und es sollten alle vier Jahre Kampfspiele, die Eleutherien ( = Freiheitsspiele), gefeiert werden; es sollte ein griechisches Bundesheer, zehntausend Schilde, tausend Reiter und hundert Schiffe, für den Krieg gegen die Barbaren aufgestellt werden, und die Plataier sollten für unverletzlich und heilig erklärt werden, um dem Gott für Griechenland zu opfern. Nachdem das beschlossen war, übernahmen es die Plataier, für die gefallenen und in ihrem Lande liegenden Grie-

ARISTEIDES

339

chen alljährlich eine Totenfeier zu begehen. Das tun sie noch heute auf folgende Weise. Im Monat Maimakterion, der bei den Boiotern der Alalkomenios ist 1 , am sechzehnten veranstalten sie eine Prozession, die früh morgens ein Trompeter mit kriegerischen Signalen eröffnet. Es folgen Wagen voll von Myrtenzweigen und Kränzen, ein schwarzer Stier und freie Jünglinge, die Opfergaben an Milch und Wein in Krügen und Gefäße mit Öl und Salben tragen; denn kein Sklave darf mit irgend etwas, das zu diesem Dienst gehört, zu tun haben, weil die Männer für die Freiheit gefallen sind. Zuletzt kommt der Archon der Plataier,dem es zu anderer Zeit nicht gestattet ist, Eisen zu berühren oder ein anderes als ein weißes Kleid zu tragen, jetzt aber ein Purpurgewand angelegt hat. Er holt einen Wasserkrug aus dem Archiv und schreitet schwertumgürtet durch die Stadt zu den Gräbern. Dann schöpft er Wasser aus der Quelle und wäscht selbst die Grabpfeiler ab und salbt sie mit Myrrhenöl, schlachtet den Stier über dem Opferherd, betet zu Zeus und Hermes, den Göttern der Erdtiefe 1 , und ruft die tapferen Männer, die für Griechenland gefallen sind, zum Mahl und zum Blutschmaus. Zuletzt mischt er einen Krug Wein, gießt ihn aus und spricht dazu: «Ich trinke den Männern zu, die für die Freiheit der Griechen gestorben sind.» Dies halten die Plataier bis heutigentags aufrecht. 22. Als die Athener in die Stadt zurückgekehrt waren und Aristeides sah, daß sie die volle Demokratie erhalten wollten, stellte er, teils weil er das Volk der bewiesenen Tapferkeit wegen für würdig des Entgegenkommens hielt, teils es für nicht mehr leicht ansah, es bei seiner Waffentüchtigkeit und seinem Stolz auf die gewonnenen Siege noch gewaltsam zurückzuhalten, den Antrag, die politische Betätigung allen zugänglich zu machen und die Archonten aus allen zu wählen. Als Themistokles vor dem Volke erklärte, er habe einen geheimen Plan und Anschlag, der für die Stadt nützlich und heil-

340

ARISTEIDES UND CATO

sam sei, ordneten sie an, Aristeides allein solle ihn anhören und mit beurteilen. Als nunThemistokles dem Aristeides eröffnete, er habe im Sinne, das Schiffslager der Griechen in Brand zu stecken, denn so würden die Athener am mächtigsten und Herren über alles werden, trat Aristeides wieder vor das Volk und sagte, es gebe nichts, was nutzbringender, aber auch ruchloser sei als der Anschlag, den Themistokles im Sinne habe. Nachdem sie das gehört hatten, befahlen die Athener Themistokles, den Plan fallen zu lassen. So sehr liebte das Volk die Gerechtigkeit, und als so zuverlässig und vertrauenswürdig galt ihm Aristeides. 23. Als er, mit Kimon als Feldherr zur Kriegführung ausgesandt, beobachtete, daß Pausanias und die anderen Befehlshaber der Spartiaten bei den Bundesgenossen wegen ihrer Schroffheit verhaßt waren, verkehrte er selber mild und gütig mit ihnen, sorgte auch dafiir, daß Kimon sich im Felde freundlich und zugänglich zeigte, und entzog so unmerklich, nicht durch Waffen, Schiffe und Rosse, sondern durch Sanftmut und kluge Politik, den Lakedaimoniern die führende Stellung. Waren die Athener nämlich schon durch die Gerechtigkeit des Aristeides und durch die Milde Kimons bei den Griechen beliebt, so wurde die Zuneigung zu ihnen noch verstärkt durch die Habsucht und Härte des Pausanias. Denn er begegnete den Führern der Bundesgenossen stets zornig und herrisch, und die Gemeinen strafte er mit Schlägen oder ließ ihnen einen eisernen Anker auf die Schultern legen und sie so einen ganzen T a g stehen. Streu zum Lager oder Futter holen oder zur Quelle gehen, um Wasser zu schöpfen, durfte niemand vor den Spartiaten, sondern Knechte mit Peitschen in der Hand jagten jeden, der herankam, weg. Als hierüber Aristeides einmal sich beklagen und ihm Vorhaltungen machen wollte, zog Pausanias die Stirn in Falten, sagte, er habe keine Zeit, und hörte ihn gar nicht an. Daher traten die Führer der Griechen zu Land und

ARISTEIDES

341

zur See, besonders die Chier, Samier und Lesbier, an Aristeides heran und suchten ihn zu bereden, den Oberbefehl zu übernehmen und die Bundesgenossen an sich zu ziehen, die schon lange von den Spartiaten loszukommen und sich statt dessen den Athenern anzuschließen wünschten. Als er ihnen antwortete, er erkenne wohl die Notwendigkeit und die Berechtigung dessen, was sie sagten; um sich aber darauf verlassen zu können, bedürfe es einer Tat, die es der Menge unmöglich mache, wieder umzuschwenken, so verschworen sich der Samier Uliades und der Chier Antagoras miteinander und liefen bei Byzantion gegen die voranfahrende Triere des Pausanias von beiden Seiten an. Als er bei diesem Anblick aufsprang und zornig drohte, er würde den Männern sehr bald zeigen, daß sie nicht sein Schiff, sondern ihr eigenes Vaterland angegriffen hätten, erwiderten sie ihm, er solle nur abziehen und dem Glück dankbar sein, das ihm bei Plataiai beigestanden habe; denn nur noch aus Scheu vor diesem verzichteten die Griechen darauf, ihm die verdiente Strafe aufzuerlegen. Endlich fielen sie ab und gingen zu den Athenern über. Hier zeigte sich nun die Gesinnung Spartas in bewunderungswürdiger Weise. Als sie nämlich bemerkten, daß ihre Feldherren durch die Größe ihrer Machtfiille verdorben wurden, verzichteten sie freiwillig auf den Oberbefehl und entsandten keine Führer mehr für den Krieg, sondern zogen es vor, Bürger zu haben, die Maß hielten und sich in die alten Sitten fugten, als über ganz Griechenland zu herrschen. 24. Die Griechen leisteten auch schon, als die Lakedaimonier die Führung hatten, Beiträge fiir den Krieg, wünschten nun aber, daß diese Stadt fiir Stadt nach Billigkeit festgesetzt würden, und erbaten daher von den Athenern den Aristeides, den sie nun beauftragten, überall das Land und seine Einkünfte zu besichtigen und danach den Beitrag gerecht nach dem Können eines jeden zu bestimmen. Zu so großer Machtvollkom-

342

ARISTEIDES UND CATO

mcnheit gelangt und gewissermaßen zum alleinigen Herrn über Griechenland gesetzt, zog er arm aus und kehrte noch ärmer zurück, nachdem er nicht nur unantastbar und gerecht, sondern auch zur Zufriedenheit aller und mit der rechten Abstimmung die Einschätzung der Beiträge vorgenommen hatte. Denn wie die Alten das Zeitalter des Kronos, so priesen die Bundesgenossen der Athener die Abgabenliste des Aristeides und nannten diese Zeit die Glückszeit Griechenlands, vor allem, als nach nicht langer Zeit der Betrag verdoppelt und dann gar verdreifacht wurde. Die Summe, die Aristeides festgesetzt hatte, belief sich nämlich auf vierhundertsechzig Talente 1 . Ihr setzte Perikles beinahe ein Drittel zu, denn sechshundert Talente, sagt Thukydides (II 13,3), flössen bei Beginn des Krieges den Athenern von den Bundesgenossen zu, und als Perikles gestorben war, trieben die Volksfiihrer die Summe allmählich auf tausenddreihundert Talente, nicht sowohl weil der Krieg durch seine Länge und mancherlei Rückschläge sehr kostspielig wurde, als weil sie das Volk zu Ausgaben fiir Spenden, Schauspielgelder und Errichtung von Tempeln und Bildsäulen verleiteten. Als also Aristeides wegen der Verteilung der Abgaben einen großen und bewunderten Namen hatte, soll Themistokles darüber gespottet haben: das sei nicht ein Lob für einen Mann, sondern für einen Geldsack, womit er sich auf ungleiche Weise gegen die Offenheit des Aristeides wehrte. Denn dieser hatte, als Themistokles einmal zu ihm sagte, fiir die größte Tugend eines Feldherrn halte er die Fähigkeit, die Pläne der Feinde zu erkennen und vorauszusehen, geantwortet: «Das ist eine Notwendigkeit, Themistokles; aber schön und wahrhaft eines Feldherrn würdig ist es, seine Hände rein zu halten.» 25. Aristeides nahm den Griechen den Eid ab und leistete ihn seinerseits fiir die Athener, wobei er zu den Verwünschungen Metallklumpen ins Meer versenkte 1 . Als nun später die

ARISTEIDES

343

Verhältnisse dazu nötigten, die Zügel der Regierung fester anzuziehen, mahnte er die Athener, den Eidbruch auf ihn zu schieben und so zu verfahren, wie es ihnen nützlich sei. Überhaupt, sagt Theophrast 1 , sei dieser Mann in seinem privaten Leben und den Mitbürgern gegenüber von strengster Gerechtigkeit gewesen, in den allgemeinen Angelegenheiten aber habe er vieles zum Vorteil seiner Vaterstadt getan, wobei auch viel Unrecht unvermeidbar gewesen sei. Denn auch als die Athener die Bundeskasse dem Vertrage zuwider nach Athen zu bringen gedachten und die Samier dies beantragten, habe er gesagt, gerecht sei das nicht, aber nützlich 1 . Am Ende blieb er, der die Stadt zur Herrschaft über so viele Menschen geführt hatte, persönlich arm und legte auf den Ruhm, arm zu sein, nicht weniger Wert als auf den seiner Siege. Dafür ist folgendes ein Beweis. Der Fackelträger Kallias war mit ihm verwandt. Gegen diesen erhoben seine Feinde eine Klage auf Tod und Leben, und nachdem sie die eigentlichen Klagepunkte gehörig abgehandelt hatten, trugen sie außerhalb derselben den Richtern noch folgendes vor: «Ihr kennt Aristeides, den Sohn des Lysimachos», sagten sie, «der bei allen Griechen bewundert wird. Wie, meint ihr, mag es bei ihm zu Hause aussehen, wo er mit so einem schäbigen Mantel in der Öffentlichkeit erscheint? Ist nicht anzunehmen, daß einer, der draußen friert, auch zu Hause hungern muß und nichts zu leben hat? Und ihn, seinen Vetter, läßt Kallias, der reichste Mann von Athen, mit Weib und Kindern darben, nachdem er den Mann oft gebraucht und Nutzen aus dem Einfluß gezogen hat, den er bei euch hat!» Als Kallias sah, daß daraufhin die Richter besonders aufgeregt und zornig auf ihn waren, rief er Aristeides und bat ihn, vor den Richtern zu bezeugen, daß er, obwohl er, Kallias, ihm oft große Unterstützungen angeboten und sie anzunehmen gebeten habe, es abgelehnt und geantwortet habe, daß er mehr Grund habe, auf

344

A R I S T E I D E S U N D CATO

seine Armut stolz zu sein, als Kallias auf seinen Reichtum. Denn man könne viele finden, die von ihrem Reichtum einen guten oder auch schlechten Gebrauch machten; aber einer, der die Armut würdig trüge, sei nicht leicht anzutreffen, und der Armut schäme sich nur, wer wider seinen Willen arm sei. Nachdem Aristeides dem Kallias dies bezeugt hatte, war keiner unter den Hörern, der nicht mit dem Gefühl davonging, er möchte lieber arm sein wie Aristeides als reich wie Kallias. Dies hat der Sokratiker Aischines aufgezeichnet, und Piaton erklärt von den Männern, die in Athen für groß und namhaft galten, diesen Mann allein für nennenswert. Denn Themistokles, Kimon und Perikles hätten die Stadt mit Hallen, Reichtümern und viel eitlem Tand angefüllt, Aristeides aber habe die Tugend zum Ziel seiner Politik gemacht 1 . Stark sind auch die Beweise seiner Rechtlichkeit Themistokles gegenüber. Er hatte ihn während seiner ganzen politischen Tätigkeit zum Feinde gehabt und war durch ihn dem Scherbengericht verfallen, aber als der Mann ihm dieselbe Handhabe bot und vor dem Volke als Angeklagter stand, dachte er nicht an das erlittene Böse, sondern während Alkmaion, Kimon und viele andere hinter ihm her waren und ihn verklagten, war Aristeides der einzige, der weder etwas Böses tat noch sagte und sich nicht an dem UnglUck des Feindes weidete, wie er ihn früher, als es ihm gut ging, nicht beneidet hatte. 26. Gestorben ist Aristeides nach einigen am Pontos ( = Schwarzen Meer), wohin er in staatlichem Auftrage gesegelt war, nach anderen in hohem Alter in Athen, geehrt und bewundert von seinen Mitbürgern. Krateros der Makedone 1 jedoch hat folgende Geschichte über den Tod des Mannes erzählt. Nach der Verbannung des Themistokles habe das Volk in seinem Übermut eine Masse von Sykophanten hervorgebracht, welche die vornehmsten und angesehensten Männer

ARISTEIDES

345

verklagten und sie dem Neid der durch Glück und Macht überheblich gewordenen Masse auslieferten. Unter ihnen sei auch Aristeides wegen Bestechung verurteilt worden auf Anklage des Diophantos vom Amphitrope daß er, als er die Tribute festsetzte, von den Ioniern Geld angenommen habe. Da er die Strafsumme von fünfzig Minen nicht zahlen konnte, habe er Athen verlassen und sei in Ionien gestorben. Ein schriftliches Zeugnis hieriiir hat Krateros nicht beigebracht, weder Anklage noch Urteil, obwohl er sonst derartiges mitzuteilen und auch die Gewährsmänner anzuführen pflegt. Die anderen aber, man darf sagen alle, die von den Verfehlungen des Volkes gegen seine Feldherren berichten, erzählen zwar von der Verbannung des Themistokles, dem Gefängnis des Miltiades, der Geldstrafe des Perikles, dem Tode des Paches im Gericht der sich, als er verurteilt wurde, auf der Rednerbühne das Leben nahm1 - und von vielen anderen solchen Geschichten ein Langes und Breites; von Aristeides aber erwähnen sie wohl das Scherbenurteil, gedenken aber nirgends einer derartigen Verurteilung. 27. Zeigt man doch sein Grabmal in Phaleron, das, wie es heißt, die Stadt erbauen ließ, weil er nicht einmal die Kosten für die Beerdigung hinterlassen hatte. Seine Töchter wurden, so lautet der Bericht, vom Prytaneion aus mit ihren Männern verheiratet, indem die Stadt die Verlobung vermittelte und jeder von beiden dreitausend Drachmen Mitgift bewilligte. Seinem Sohn Lysimachos gab das Volk hundert Minen Silber und ebenso viele Morgen bebauten Landes und setzte ihm dazu noch vier Drachmen täglich aus, und zwar auf Antrag des Alkibiades. Als sodann Lysimachos eine Tochter Polykrite hinterließ - wie Kallisthenes3 sagt - , beschloß das Volk auch für sie die öffentliche Speisung wie für die Sieger in den olympischen Spielen. Demetrios von Phaleron, Hieronymos von Rhodos, Aristoxenos der Musiker« und Aristoteles - voraus-

346

ARISTEIDES UND CATO

gesetzt, daß das Buch vom Adel zu den echten Schriften des Aristoteles zu zählen ist - erzählen, Myrto, eine Enkelin des Aristeides, habe mit dem weisen Sokrates zusammengelebt, der zwar eine andere Frau hatte, aber diese Frau, als sie wegen ihrer Armut Witwe blieb und nichts zu leben hatte, zu sich genommen habe. Doch diese Behauptung hat Panaitios in seiner Schrift über Sokrates zur Genüge widerlegt. Der Phalereer sagt noch in seinem «Sokrates», er erinnere sich eines Tochtersohnes des Aristeides namens Lysimachos, eines sehr armen Menschen, der immer am Iakchostempel saß und sich mit Hilfe eines Traumbüchleins ernährte und für seine Mutter und deren Schwester durch einen Antrag an das Volk Bewilligung einer Rente von drei Obolen täglich erwirkte. Er selbst jedoch, sagt Demetrios, habe als Gesetzgeber eine Drachme statt der drei Obolen für jede der Frauen festgesetzt. Und es ist nicht zu verwundern, daß das Volk so fiir die Leute in der Stadt sorgte, da es doch sogar, als es erfuhr, daß eine Enkelin des Aristogeiton in Lemnos sehr dürftig lebte und wegen ihrer Armut keinen Mann bekommen konnte, sie nach Athen kommen ließ, mit einem Mann von guter Abkunft verheiratete und ihr das Gut in Potamos1 als Aussteuer gab. Auch heute noch liefert die Stadt häufig Proben solch menschenfreundlicher und großzügiger Gesinnung und wird deshalb mit Recht bewundert und hoch gepriesen.

M A R C U S CATO

i. Marcus Cato soll aus Tusculum1 stammen und vor seinem Kriegsdienst und seiner politischen Tätigkeit aufeinem väterlichen Gute im Sabinerlande gelebt haben. Seine Vorfahren waren gänzlich unbekannt geblieben; Cato selbst aber lobt seinen Vater Marcus als einen wackeren und kriegstüchtigen Mann und berichtet von seinem Urgroßvater Cato, er habe oft Auszeichnungen erhalten und in Schlachten iunfStTeitrosse verloren, deren Preis er zum Lohne seiner Tapferkeit aus der Staatskasse ersetzt bekommen habe. Da die Römer diejenigen, welche noch nicht von ihren Vorfähren her Ansehen besaßen, sondern erst durch sich selbst bekannt zu werden begannen, «neue Männer» zu nennen pflegten - wie sie auch Cato nannten - , so sagte er selbst, im Hinblick auf Ämter und Ruhm sei er ein Neuer, nach Taten und Leistungen der Vorfahren aber ein Uralter. Sein dritter Name war zuerst nicht Cato, sondern Priscus; erst später bekam er den Beinamen Cato von seiner hervorstechendsten Eigenschaft. Denn bei den Römern heißt klug catus. Was seine äußere Erscheinung angeht, so war er ziemlich rothaarig und blauäugig, wie der Verfasser des folgenden Epigramms - nicht gerade freundlich - andeutet: «Porcius, den bissigen, den blauäugigen Rotkopf, Nimmt Persephone selbst tot in den Hades nicht auf.» Die Beschaffenheit seines Körpers, den er von Kind auf durch Arbeit, vernünftiges Leben und Kriegsdienst gestählt hatte, war vorzüglich, ausdauernd gleichermaßen durch Kraft und Gesundheit. Die Beredsamkeit - gleichsam nach dem Körper ein zweites Organ, um höhere Ziele, nicht nur das Notwen-

348

ARISTEIDES UND CATO

dige, zu erreichen, für einen Mann, der nicht in Niedrigkeit und tatenlos leben will - bildete und übte er dadurch, daß er in den umliegenden Dörfern und Städtchen jederzeit jedem, der es wünschte, Rechtsbeistand leistete und sich zuerst den Ruf eines eifrigen Anwalts, dann auch den eines tüchtigen Redners erwarb. Hiernach kam denen, mit welchen er zu tun hatte, noch mehr an ihm eine gewisse Würde und eine Größe der Gesinnung zum Bewußtsein, die nach großen Verhältnissen und Betätigung in einem mächtigen Staate verlangte. Denn er stellte sich, wie es scheint, nicht nur frei von Gewinnsucht für die Tätigkeit und den Kampf vor Gericht zur Verfügung, sah auch offenbar nicht in dem Ruhm, den er durch solche Kämpfe erwarb, das höchste Ziel, sondern viel mehr suchte er sich in den Schlachten gegen die Feinde und in den Feldzügen auszuzeichnen und trug schon in früher Jugend die Brust voll Wunden. Er sagt nämlich selbst, daß er schon im Alter von siebzehn Jahren seinen ersten Feldzug mitgemacht habe 1 , zu der Zeit, als Hannibal auf der Höhe seiner Erfolge Italien in Brand setzte. In den Schlachten zeigte er sich wohl befähigt, mit dem Arm dreinzuschlagen, mit dem Fuße festzustehen und auszuharren, und das Antlitz blickte trotzig drein. Auch wußte er die Feinde mit lauter Stimme kräftig zu bedrohen, indem er richtig erkannte und anderen klarmachte, daß derartiges den Gegner oft stärker erschreckt als das Schwert. Auf den Märschen trug er selbst seine Waffen, und nur ein Diener folgte ihm, der ihm die Lebensmittel trug. Mit ihm soll er niemals gezürnt und gezankt haben, wenn er ihm das Mittag- oder Abendessen vorsetzte, sondern ihm sogar meistens noch bei der Zubereitung geholfen haben, wenn er von der militärischen Tätigkeit frei war. Im Felde trank er nur Wasser, außer daß er zuweilen, wenn er sehr heftigen Durst hatte, Essig verlangte oder bei großer Erschöpfung einen Schluck Wein nahm. 2. In der Nähe seines Gutes lag das Häuschen, wo einst Ma-

CATO

349 1

nius Curius, der dreifache Triumphstor , gewohnt hatte. Da ging er oft hin, betrachtete den geringen Umfang des Gutes und die Bescheidenheit der Wohnung und vergegenwärtigte sich, wie dieser Mann, der der Größte unter den Römern war, die streitbarsten Völker unterworfen und Pyrrhos aus Italien verjagt hatte, nach drei Triumphen dieses Gütchen selbst umgrub und diese Hütte bewohnte. Hier war es, wo die Gesandten der Sabiner ihn trafen, wie er am Herde saß und Rüben kochte, und ihm eine große Geldsumme boten. Aber er schickte sie weg mit den Worten, wem ein solches Essen genüge, der brauche kein Geld, und rühmlicher als Geld zu haben schiene es ihm, die zu besiegen, die Geld hätten. Mit solchen Gedanken ging Cato zurück, und wenn er dann wieder sein Haus, sein Gut, die Diener und den Haushalt überwachte, steigerte er noch seine eigene Tätigkeit und schränkte den Aufwand ein. Als Fabius Maximus die Stadt der Tarentiner genommen hatte», diente Cato als ganz junger Mensch unter ihm, und da er bei einem Pythagoreer namens Nearchos im Quartier war, bemühte er sich, diese Lehren kennenzulernen. Als er nun den Mann Gedanken vortragen hörte, die auch bei Piaton 3 stehen, wenn er die Lust die stärkste Lockspeise des Bösen, den Körper das erste Unglück der Seele nennt und ihre Erlösung und Reinigung das Denken, durch welches sie sich am meisten von den körperlichen Leidenschaften sondert und abzieht, so stärkte das seine Liebe zur Einfachheit und Enthaltsamkeit. Sonst soll er erst spät sich mit griechischer Bildung beschäftigt und erst in hohem Alter griechische Bücher zur Hand genommen haben, wobei er etwas bei Thukydides, mehr bei Demosthenes für die Beredsamkeit profitierte. Seine Schriften indes sind reichlich mit griechischen Gedanken und Geschichten ausgeschmückt, und viel wörtlich Übersetztes ist in seine Denksprüche und Sentenzensammlungen eingefügt.

350

A R I S T E I D E S U N D CATO

3. Nun lebte damals ein Mann, nach Abkunft und Ansehen zu den ersten in Rom gehörig, befähigt, aufkeimende Tüchtigkeit zu gewahren, und gewillt, sie zu fördern und zum Ruhm zu führen: Valerius Flaccus. Dieser hatte ein Gut in der Nachbarschaft Catos. Als er durch seine Sklaven von der Arbeitsamkeit und der ganzen Lebensweise Catos erfuhr und sie mit Staunen erzählen hörte, daß er frühmorgens auf den Markt gehe und denen, die es brauchten, vor Gericht beistehe, aufs Gut zurückgekehrt, wenn es Winter sei, im ärmellosen Kittel, im Sommer nackt mit den Knechten arbeite, dann mit ihnen zusammen niedersitze und dasselbe Brot esse, denselben Wein trinke wie sie, als sie weiter vielerlei von seiner Einfachheit und Mäßigkeit und manche seiner treffenden Aussprüche berichteten, ließ er ihn zum Essen zu sich laden. Hierauf lernte er durch den Verkehr ihn als einen klugen und feinen Kopf kennen, der wie eine Pflanze der Pflege und eines günstigen Bodens bedurfte, und ermunterte und beredete ihn daher, sich in Rom der Politik zu widmen. Er zog also dorthin und erwarb sich schnell sowohl selbst Bewunderer und Freunde durch seine Gerichtsreden, wie auch Valerius ihm Ehre und Ansehen in reichem Maße verschaffte, so daß er zuerst das Kriegstribunat, dann die Quaestur erlangte. Hierdurch schon bekannt und berühmt geworden, stieg er gemeinsam mit Valerius zu den höchsten Ämtern auf, wurde mit ihm Konsul und dann auch Censor1. Unter den älteren Bürgern schloß er sich an Fabius Maximus an, weil er im höchsten Ruhme stand und das größte Ansehen genoß, noch mehr aber, weil er seinen Charakter und seine Lebensführung sich zum schönsten Vorbild gesetzt hatte. Daher trug er auch kein Bedenken, gegen den großen Scipio, der, obschon damals noch jung, sich gegen die Macht des Fabius erhob und dessen Neid zu erregen schien, als Gegner aufzutreten. Als er als Quaestor mit ihm zum Kriege in Afrika

CATO

351

ausgesandt wurde und beobachtete, wie der Mann mit der ihm gewohnten Großzügigkeit verfuhr und die Gelder ohne Sparsamkeit fiir die ihm unterstellten Truppen verwirtschaftete, machte er ihm ganz offen Vorhaltungen, wobei er betonte, nicht die zu großen Ausgaben seien die Hauptsache, sondern daß er die hergebrachte Einfachheit bei den Soldaten untergrabe, die durch das, was sie über die Notdurft hinaus hätten, zu Genußsucht und Schwelgerei verleitet würden. Als darauf Scipio sagte, er brauche keinen pedantischen Quaestor jetzt, da er mit vollen Segeln in den Krieg fahre, denn über Taten, nicht über Geld, sei er dem Staate Rechenschaft schuldig, verließ Cato Sizilien, und indem er mit Fabius im Senat ein großes Geschrei erhob über Verschleuderung unermeßlicher Geldsummen durch Scipio und kindische Belustigungen in Ringschulen und Theatern, als ob er nicht Krieg zu fuhren, sondern Feste zu veranstalten habe, erreichte er, daß Volkstribunen nach ihm ausgesandt wurden, um ihn nach Rom zu bringen, wenn die Anklagen sich bewahrheiteten. Da aber Scipio in der Vorbereitung des Krieges den künftigen Sieg erkennen ließ und es sich zeigte, daß er zwar in Mußestunden mit seinen Freunden liebenswürdigen Verkehr pflegte, nirgends aber bei aller Gemächlichkeit der Lebensfiihrung in ernsthaften und wichtigen Dingen lässig war, so durfte er ungehindert zum Kriege hinaussegeln. 4. Catos Ansehen war schon durch seine Beredsamkeit mächtig gestiegen, und man nannte ihn den römischen Demosthenes; noch mehr aber wurde seine Lebensweise bewundert und war in aller Munde. Denn die Kunst der Rede galt bereits allgemein bei der Jugend als ein hohes, heißbegehrtes Ziel; ein Mann aber, der nach der Väterweise mit eigener Hand arbeitete, mit einer einfachen Mahlzeit, einem kalten Morgenimbiß, mit schlichter Kleidung und einer schmucklosen Wohnung zufrieden war und mehr davon hielt, das Überflüssige

352

ARISTEIDES UND CATO

nicht zu bedürfen als es zu besitzen, war eine Seltenheit, da der Staat damals wegen seiner Größe seine Reinheit nicht mehr wahrte, sondern mit der Herrschaft über viele Länder und Menschen mit vielerlei Sitten in Berührung kam und Einflüsse von mancherlei Lebensformen in sich aufnahm. Begreiflicherweise also bewunderte man Cato, wenn man sah, wie die anderen durch Anstrengungen erschöpft wurden und durch Genüsse erschlafften, ihm aber beides nichts anhaben konnte, nicht nur solange er jung und ehrgeizig war, sondern wie er auch als Greis im grauen Haar, nach Konsulat und Triumph, gleich einem Preisringer die Ordnung seines Trainings weiter innehielt und sich dabei gleich blieb bis zum Tode. Denn niemals, so sagt er, habe er ein Kleid getragen, das mehr als hundert Denare 1 gekostet hatte, auch als Prätor und Konsul habe er denselben Wein getrunken wie seine Landarbeiter und Zukost zum Mahl für dreißig Asse vom Markte kaufen lassen, und zwar dem Vaterlande zuliebe, damit sein Körper kräftig bleibe zum Kriegsdienst; als er einen kostbaren Perserteppich geerbt hatte, habe er ihn sofort verkauft, keins seiner Landhäuser sei getüncht, und noch niemals habe er einen Sklaven für mehr als tausendfiinfhundert Denare gekauft, weil er keine verwöhnten schönen Burschen, sondern kräftige, arbeitsharte Männer als Pferdeknechte und Ochsentreiber brauche. Und auch diese meinte er, wenn sie älter wurden, verkaufen zu sollen, um sie nicht unnütz zu futtern. Überhaupt sei nichts Überflüssiges billig, sondern was man nicht brauche, das sei zu teuer, selbst wenn man nur einen As dafür bezahlte; auch kaufe er lieber Land zum Anbauen und Weiden als zum Begießen und Rechen 5. Dies legten manche dem Manne als Knickerei aus, andere aber ließen es gelten, weil er offenbar, um die anderen zu bessern und zu bekehren, sich selbst einschränkte. Freilich, das Verfahren, die Sklaven wie Zugtiere auszunützen und sie dann

CATO

353

im Alter wegzujagen und zu verkaufen, muß ich als Kennzeichen eines allzu harten Sinnes ansehen, der kein anderes Verhältnis zwischen Mensch und Mensch anerkennen will als das des Nutzens. Dabei sehen wir doch, daß die Güte sich über ein weiteres Feld erstreckt als die Gerechtigkeit. Denn Gesetz und Recht üben wir naturgemäß nur Menschen gegenüber; Wohltun und Dank aber strömt gleichsam aus dem reichen Quell eines sanften Gemüts bis hin zu den unvernünftigen Tieren. Denn alt gewordenen Pferden das Gnadenbrot zu geben und Hunden nicht nur, wenn sie jung sind, sondern auch im Alter Pflege angedeihen zu lassen, ist Ehrenpflicht eines guten Menschen. So befreite das Volk von Athen, als es den Hekatompedos 1 baute, die Maulesel, die es am ausdauerndsten hatte arbeiten sehen, schließlich von dem Dienst und ließ sie ungehindert weiden; einer von ihnen, so wird erzählt, kam von selbst wieder zu den Arbeiten gelaufen und lief mit den Zugtieren, die die Wagen zur Akropolis hinaufzogen, mit oder ihnen voran, als wollte er sie anfeuern und antreiben, weshalb man ihn auf öffentliche Kosten bis zum Tode zu futtern beschloß. Die Rennpferde Kimons, mit denen er dreimal in Olympia siegte, haben sogar Gräber dicht bei seiner Gruft. Hunde, die ihnen durch langes Zusammenleben lieb geworden waren, haben viele bestattet; so auch der alte Xanthippos den Hund, der neben seiner Triere nach Salamis mitschwamm, als das Volk die Stadt verließ, bei der Landspitze, die noch jetzt Hundsmal 2 heißt. Denn man darf mit lebenden Wesen nicht wie mit Schuhen oder Geräten umgehen, die man, wenn sie zerbrochen oder durch den Gebrauch verschlissen sind, wegwirft, sondern wenn aus keinem andern Grunde, dann um sich in der Menschenfreundlichkeit zu üben, muß man sich gewöhnen, gütig und mild mit ihnen zu sein. Ich möchte nicht einmal einen Zugochsen seines Alters wegen verkaufen, viel weniger einen alt gewordenen Menschen aus seiner langjährigen

354

ARISTEIDES UND CATO

Umgebung und seiner gewohnten Lebensweise wie aus seinem Vaterlande verstoßen um ein paar Groschen, zumal er doch auch für die Käufer ebenso unnütz werden muß wie für die Verkäufer. Cato hingegen sagt - als ob er sich damit brüsten wollte - , er habe sogar das Pferd, das er bei seinen Feldzügen als Konsul geritten hatte, in Spanien zurückgelassen, um nicht dem Staate die Kosten für seinen Transport anrechnen zu müssen. Ob man das als eine großzügige oder eine kleinliche Denkweise werten soll, darüber mag jeder denken, wie es ihm richtig erscheint. 6. Sonst aber ist die Enthaltsamkeit des Mannes höchlich zu bewundern, der als Prätor für sich und seine Leute nicht mehr als drei attische Scheffel 1 Weizen nahm auf den Monat und fiir die Zugtiere weniger als drei halbe Scheffel Gerste auf den Tag. Als er Sardinien als Provinz bekam 1 , war der Unterschied seiner Schlichtheit gegenüber den Vorgängern geradezu unglaubhaft. Während diese sich Zelte, Ruhebetten und Decken auf Staatskosten stellen ließen und durch ihre zahlreiche Dienerschaft, die Menge ihrer Freunde und die Kosten ihrer verschwenderischen Tafel einen schweren Druck ausübten, nahm er fiir nichts irgendwelche öffentlichen Mittel in Anspruch, bereiste die Städte zu Fuß, ohne ein Gefährt, und nur ein Amtsdiener folgte ihm, der ihm Kleidung und eine Trankopferschale nachtrug. So leutselig und einfach er hierin seinen Untergebenen entgegentrat, so sehr wahrte er andererseits Würde und Hoheit, war unerbittlich bei der Rechtsprechung und streng und gebieterisch bei der Durchsetzung seiner amtlichen Anordnungen, so daß den Untertanen die römische Herrschaft niemals zugleich furchterregender und liebenswürdiger erschien. 7. Von ähnlicher Art war offenbar auch die Beredsamkeit des Mannes: zugleich anmutig und kraftvoll, einschmeichelnd und erschütternd, spöttisch und ernsthaft, sentenzenreich und

CATO

355 1

kämpferisch, so wie Piaton von Sokrates sagt , daß er äußerlich denen, die mit ihm zusammenkamen, als gewöhnlich, satyrhaft und als ein Spötter erschienen sei, innerlich aber voll von Ernst gewesen sei und von Lehren, die die Hörer zu Tränen rührten und ihnen das Herz im Leibe umkehrten. Daher weiß ich nicht, wie die Leute daraufgekommen sind zu sagen, daß die Redekunst Catos am ehesten der des Lysias geähnelt habe. Doch mögen darüber diejenigen urteilen, die besser befähigt sind, die verschiedenen Stile römischer Beredsamkeit zu verstehen; ich will nur weniges von seinen Aussprüchen erzählen, da ich meine, daß in den Reden eines Menschen viel mehr als in seinem Gesicht - wie einige glauben - sein Charakter zum Ausdruck kommt. 8. Als er einmal dem römischen Volk davon abraten wollte, zur Unzeit zu einer Getreideverteilung zu schreiten, begann er seine Rede folgendermaßen: «Es ist schwer, liebe Mitbürger, zum Bauch zu reden, der doch keine Ohren hat.» In einer scharfen Rede gegen den Luxus sagte er, es sei schwer, eine Stadt zu erhalten, in der ein Fisch teurer verkauft werde als ein Ochse. Die Römer, sagte er ein andermal, seien wie die Schafe; denn wie diese einzeln nicht gehorchten, alle zusammen aber den Leithammeln folgten, «so laßt auch ihr euch», sagte er, «wenn ihr alle beisammen seid, von Leuten fuhren, die ihr jeder einzeln nicht zu Ratgebern nehmen würdet». In einer Unterhaltung über Weiberregiment sagte er: «Alle Menschen regieren ihre Weiber, wir regieren alle Menschen, und uns die Weiber.» Dies ist freilich aus den Aussprüchen desThemistokles übernommen. Denn der sagte einmal, als sein Sohn durch die Mutter vielerlei von ihm verlangte: «Frau, die Athener regieren die Griechen, ich die Athener, du mich, und dich unser Sohn; darum möge er einen bescheidenen Gebrauch von der Gewalt machen, durch die er mit seinem Unverstand der mächtigste Mann in Griechenland ist 1 .»

356

A R I S T E I D E S U N D CATO

Das römische Volk, sagte Caco, schreibe nicht nur flir die verschiedenen Purpurarten, sondern auch flir alle Tätigkeiten die Preise vor. «Denn wie die Färber», sagte er, «diejenigen Farben am meisten verwenden, die die Leute gern haben, so lernen und treiben die jungen Leute vor allem das, was euren Beifall findet.» Auch mahnte er die Römer, wenn sie durch Tapferkeit und Mäßigung groß geworden seien, nicht zum Schlechteren überzugehen; wenn durch Zügellosigkeit und Laster, zum Besseren überzugehen; denn durch diese Eigenschaften seien sie schon groß genug geworden. Von denen, die sich oft um Ämter bewarben, sagte er, sie wüßten wohl den Weg nicht, daß sie sich immer von Amtsdienern begleiten lassen wollten, um sich nicht zu verlaufen. Er tadelte auch die Bürger, daß sie so oft dieselben Männer zu Beamten wählten. «Entweder wird man denken», sagte er, «daß ihr das Amt für nicht viel wert, oder, daß ihr nicht viele für des Amtes wert achtet.» Über einen seiner Feinde, der in dem Rufe stand, ein sehr sittenloses Leben zu fuhren, sagte er: «Dieses Mannes Mutter hält das Gebet, ihren Sohn lebend zu hinterlassen, für einen Fluch, nicht für einen Segenswunsch.» Als ihm ein Mann gezeigt wurde, der seine ererbten Güter an der See verkauft hatte, tat er so, als bewunderte er ihn, weil er stärker sei als die See. «Denn was die See nur eben beleckte, das hat er mit Leichtigkeit aufgefressen.» Als der König Eumenes nach Rom k a m d e r Senat ihn mit hohen Ehren empfing und die ersten Männer sich wetteifernd um ihn bemühten, ließ Cato deutlich sein Mißtrauen erkennen und mied ihn, und als jemand zu ihm sagte: «Aber er ist doch ein braver Mann und Freund der Römer!» erwiderte er:« Mag sein, aber von Natur ist dieses Tier ein Fleischfresser.» Keiner von den hochgepriesenen Königen, sagte er, verdiene es, Epameinondas, Perikles, Themistokles oder Manius Curius oder Hamilkar mit dem Beinamen Barkas an die Seite gestellt zu

CATO

357

werden. Auf ihn selbst, sagte er, seien seine Feinde neidisch, weil er täglich am frühen Morgen aufstehe und sich unter Vernachlässigung seiner eigenen Geschäfte denen des Staates widme. Er wolle, sagte er auch, lieber auf den Dank für eine gute Tat verzichten als für eine schlechte ohne Strafe bleiben, und er sei bereit, allen ihre Fehler zu verzeihen, nur nicht sich selber. 9. Als die Römer nach Bithynien drei Gesandte wählten, von denen der eine die Gicht im Fuß, der andere infolge einer Operation eine Höhlung im Kopf hatte, der dritte für beschränkt galt, sagte Cato spottend, die Römer schickten eine Gesandtschaft, die weder Füße noch Kopf noch Herz habe 1 . Als er Polybios 1 zuliebe vonScipio wegen der Verbannten aus Achaia angesprochen wurde und eine lange Verhandlung im Senat stattfand, da die einen ihnen die Rückkehr bewilligen wollten, die anderen dagegen waren, stand Cato auf und sagte: «Als ob wir nichts zu tun hätten, sitzen wir den ganzen Tag und streiten um ein paar griechische Wackel greise, ob sie von unsern oder von den Leichenträgern in Achaia beerdigt werden sollen.» Als darauf die Rückkehr für die Männer beschlossen war, ließ Polybios ein paar Tage vergehen und wollte dann versuchen, noch einmal im Senat vorzukommen, um zu erreichen, daß die Verbannten auch die Stellungen, die sie in Achaia innegehabt hatten, wiederbekämen, sondierte aber zuerst die Meinung Catos. Doch der sagte lachend, Polybios komme ihm vor wie ein Odysseus, der ein zweites Mal in die Höhle des Kyklopen gehen wolle, weil er seine Kappe und seinen Gürtel dort vergessen hätte. Die Gescheiten, sagte er, hätten mehr Nutzen von den Toren als die Toren von den Gescheiten; denn diese hüteten sich vor den Fehlern der Toren, aber die Toren folgten nicht dem guten Beispiel der Gescheiten. Von den jungen Leuten, meinte er, seien ihm diejenigen, die erröteten, lieber als die blassen,

358

A R I S T E I D E S U N D CATO

und er könnte keinen Soldaten brauchen, der die Hände auf dem Marsche und die Füße in der Schlacht flink zu rühren wüßte und der lauter schnarchte, als er Hurra riefe. Einen übermäßig Dicken schalt er: «Wo kann ein solcher Körper dem Staate nützlich sein, an dem zwischen Hals und Hoden alles Bauch ist?» Einen Genußsüchtigen, der mit ihm zu verkehren wünschte, lehnte er ab mit den Worten, er könne nicht mit einem Menschen leben, bei dem der Gaumen feiner empfindlich sei als das Herz. Die Seele des Liebenden, meinte er, wohne im Körper eines andern. Dreierlei habe er selbst in seinem ganzen Leben zu bereuen gehabt: erstens, daß er seiner Frau ein Geheimnis anvertraut habe; zweitens, daß er zu Schiff an einen Ort gefahren sei, wo er zu Fuß hätte hinkommen können, und drittens, daß er einen Tag habe vergehen lassen, ohne sein Testament gemacht zu haben. Zu einem schlechten alten Mann sagte er: «Mensch, füge zu den vielen Übeln des Alters nicht noch dieses, daß du dich deiner Schlechtigkeit schämen mußt!» Z u einem Volkstribunen, dem man Giftmischerei nachsagte und der einen schlechten Antrag einbrachte und durchsetzen wollte, sagte er: «Junger Mann, ich weiß nicht, was schlimmer ist: zu trinken, was du mischest, oder anzunehmen, was du beantragst.» Als er von einem Menschen, der ein lästerliches Leben führte, beschimpft wurde, sagte er: «Wenn ich mit dir streite, steht die Sache nicht gleich. Du nimmst es leicht, Böses anzuhören, und sagst es ungehemmt; mir ist das Sagen wie das Hören zuwider.» Von solcher Art waren seine Aussprüche. 10. Nachdem er mit seinem vertrauten Freunde Valerius Flaccus zum Konsul ernannt war, erhielt er die Provinz, welche die Römer das diesseitige Spanien nennen1. Während er hier einige Völker unterwarf, andere auf gütlichem Wege zu sich herüberzog, griff ihn ein großes Barbarenheer an, und er war in Gefahr, schimpflich überwältigt zu werden. Daher rief

CATO

359

er den Beistand der benachbarten Keltiberer an. Als diese als Sold für die Hilfeleistung zweihundert Talente verlangten, hielten es alle anderen für untragbar, daß Römer Barbaren Sold für Waffenhilfe zubilligen sollten; Cato aber sagte, dabei sei nichts Schlimmes, denn wenn sie siegten, würden sie das Geld aus der Tasche der Feinde, nicht der ihrigen, bezahlen, und wenn sie besiegt würden, so würden weder Leute da sein, denen es abgefordert würde, noch solche, die es abforderten. Er gewann aber sowohl in dieser Schlacht einen vollständigen Sieg, als auch gingen seine weiteren Unternehmungen erfolgreich vonstatten. Polybios wenigstens sagt (XIX i), auf seinen Befehl seien an einem Tage die Mauern aller Städte diesseits des Baetis 1 niedergelegt worden, und er selbst sagt, er habe mehr Städte eingenommen, als er Tage in Spanien verbracht habe; und das ist keine Prahlerei, wenn es wirklich vierhundert waren. An die Soldaten ließ er, obgleich sie schon während des Feldzuges große Beute gemacht hatten, noch Mann für Mann ein Pfund Silber verteilen und sagte dazu, es sei besser, daß viele Römer im Besitz von Silber als daß wenige im Besitz von Gold zurückkehrten; auf ihn selbst, sagt er, sei von der Beute nichts gefallen, als was er getrunken und gegessen habe. «Und ich mache denen keinen Vorwurf», sagt er, «die sich bei solchen Gelegenheiten zu bereichern suchen, aber ich will lieber um den Preis der Tugend mit den Besten als um Geld mit den Reichsten und um Geldgier mit den Geldgierigsten wetteifern.» Aber nicht nur sich selbst, sondern auch seine Leute bewahrte er rein von unerlaubtem Gewinn. Fünf Diener begleiteten ihn auf dem Feldzug. Einer von ihnen namens Paccius kaufte drei der gefangenen Knaben, und als Cato das erfuhr, erhängte er sich, bevor er ihm unter die Augen kam. Die Knaben verkaufte Cato und lieferte den Erlös an die Staatskasse ab. i i . Während er noch in Spanien weilte, wußte der große

3Ö0

A R I S T E I D E S U N D CATO

Scipio - sein Feind, der seine weiteren Erfolge aufhalten und den Ruhm der Taten in Spanien für sich einheimsen wollte es durchzusetzen, daß er zu Catos Nachfolger in dieser Provinz ernannt wurde. Er begab sich mit möglichster Eile dorthin und machte Catos Kommando ein Ende. Doch dieser nahm noch fünf Kohorten Fußvolk und fünfhundert Reiter als Geleit mit und unterwarf das Volk der Lacetaner, brachte auch sechshundert Überläufer in seine Hand und ließ sie hinrichten. Als Scipio sich darüber entrüstete, sagte er spottend, so werde Rom am größten werden, wenn die großen und vornehmen Herren den Geringeren den Preis der Tapferkeit nicht einräumen wollten und wenn die kleinen Leute, wie er einer sei, mit den ihnen an Adel und Ansehen Überlegenen in der Tapferkeit wetteiferten. Da übrigens der Senat beschloß, keine der Anordnungen Catos zu ändern oder aufzuheben, so verlief die Amtszeit Scipios in Ruhe und Untätigkeit ohne Ergebnis und tat so mehr seinem Ruhme als dem Catos Abbruch. Cato aber machte es, nachdem er seinen Triumph gefeiert hatte, nicht so wie die meisten, deren Ziel nicht die Leistung, sondern nur der Ruhm ist, und die, wenn sie zu den höchsten Ämtern aufgestiegen sind, Konsulat und Triumph erreicht haben, den Rest ihres Lebens nur noch der Ruhe und dem Genuß widmen und sich von der Politik zurückziehen, sondern er ließ nicht im mindesten in seinem Streben nach, nahm vielmehr gleich denen, die zum ersten Male ins öffentliche Leben treten und nach Ruhm und Ehre dürsten, erneut alle Kräfte zusammen und stellte sich Freunden und Mitbürgern zur Verfügung, versagte sich weder für Prozesse noch fiir Feldzüge. 12. Dem Konsul Tiberius Sempronius stand er in Thrakien und an der unteren Donau als Legat zur Seite und zog mit Manius Acilius als Kriegstribun nach Griechenland gegen Antiochos den Großen, der den Römern wie kein zweiter nach Hannibal Schrecken eingejagt hatte 1 . Denn er hatte nahezu

CATO

361

ganz Asien in dem Umfang, wie Seleukos Nikator es beherrscht h a t t e e r n e u t unterworfen, zahlreiche waffentüchtige Barbarenvölker sich untertänig gemacht und hatte nun den Ehrgeiz, sich mit den Römern zu messen als den einzigen Feinden, die seiner noch wert wären. Zum wohlklingenden Vorwand, den Krieg zu beginnen, nahm er die Befreiung der Griechen - die deren gar nicht bedurften, sondern dank den Römern vor kurzem frei von Philipp und den Makedonen und selbständig geworden waren - und ging mit Heeresmacht hinüber. Das brachte sofort eine Erschütterung in Griechenland hervor, das von den Demagogen durch Hoffnungen auf den König in Spannung versetzt wurde. Manius schickte daher Gesandtschaften an die Städte, und die meisten der zum Abfall Geneigten hielt Titus Flamininus ohne gewaltsamen Druck im Zaume und begütigte sie, wie in seinem Leben erzählt i s t 1 ; Cato aber hielt die Bürger von Korinth und Patrai, auch die von Aigion3, auf römischer Seite fest, und die längste Zeit verweilte er in Athen. Es heißt, es sei noch eine Rede vorhanden, die er auf griechisch vor dem Volk gehalten habe des Inhalts, daß er aus Bewunderung für die Tapferkeit der alten Athener und wegen der Schönheit und Größe der Stadt sie mit Freuden betrachtet habe. Aber das ist nicht wahr, sondern er hat nur durch einen Dolmetscher mit den Athenern verkehrt, weil er zwar wohl imstande gewesen wäre, selbst zu sprechen, aber bei den väterlichen Sitten bleiben wollte und die Bewunderer griechischen Wesens zu verlachen pflegte. So verspottete er Postumius Albinus, der eine Geschichte in griechischer Sprache geschrieben hatte 4 und dafür um Verzeihung bat, mit den Worten, man müsse ihm wohl Verzeihung gewähren, wenn er, durch einen Beschluß der Amphiktyonen genötigt, sich der Arbeit unterzogen habe. Er sagt ferner, die Athener hätten die Knappheit und Schärfe seines Ausdrucks bewundert: was er selbst kurz gesagt hätte, das habe der Dolmetscher umstand-

362

A R I S T E I D E S UND CATO

lieh und mit vielen Worten wiedergegeben. Uberhaupt glaube er, daß den Griechen die Worte von den Lippen, den Römern aus dem Herzen kämen. 13. Als Antiochos den Engpaß der Thermopylen mit seinem Heere gesperrt, die natürliche Festigkeit des Geländes durch Mauern und Schanzwerk verstärkt hatte und nun da saß und glaubte, er habe dem' Kriege das Tor verschlossen, da gaben die Römer zwar den Gedanken an einen Frontalangriff völlig auf, doch Cato erinnerte sich jenes Umgehungsmarsches der Perser in den Rücken der Griechen und machte sich nachts mit einem Teil des Heeres auf den Weg. Als sie schon hinaufgekommen waren und nun der Gefangene, der sie führte, den Weg verlor, in ungangbarem Gelände voll von Abstürzen umherirrte und die Soldaten in schwere Mutlosigkeit und Furcht versetzte, da befahl Cato in Erkenntnis der Gefahr allen anderen, anzuhalten und zu warten, und er ging allein, nur in Begleitung des Lucius Manlius, eines tüchtigen Bergsteigers, weiter mit schwerer Mühe und Gefahr in mondloser, tiefer Nacht, während die Sicht durch Ölbäume und aufragende Felsen vielfach versperrt und unsicher gemacht wurde, bis sie auf einen Pfad trafen, der, wie sie meinten, zum Lager der Feinde hinabführte, und Merkzeichen auf einigen weithin sichtbaren Klippen, die sich über das Kallidromon1 erhoben, errichteten. Hierauf kehrten sie wieder zurück, holten das Heer, erreichten, den Merkzeichen folgend, jenen Pfad und nahmen den Marsch auf, aber kaum waren sie ein kleines Stück vorwärtsgekommen, da lief der Pfad gegen einen Abgrund aus, und wieder herrschte Ratlosigkeit und Furcht, da man noch nicht wußte noch sehen konnte, daß man sich bereits in der Nähe der Feinde befand. Schon graute der Tag, da glaubte einer einen Ruf zu hören, bald auch ein griechisches Lager und Vorposten unter dem Felsabsturz zu erblicken. Cato ließ also hier das Heer haltmachen und nur die Leute von Firmum 1 zu sich

CATO

363

rufen, die er immer als treu und mutig erprobt hatte. Als sie gelaufen kamen und ihn dicht umdrängten, sagte er: «Ich wünsche einen Feind lebendig in die Hand zu bekommen, um zu erfahren, welche Leute hier die Vorhut bilden, wie viele sie sind und wie die Aufstellung der anderen ist und die Vorkehrungen, mit denen sie uns empfangen wollen. Die Tat erfordert größte Geschwindigkeit und Kühnheit, so wie die Löwen sich mutig ohne Waffen auf die furchtsamen Tiere stürzen.» Kaum hatte er das gesagt, so stürmten die Firmaner auf der Stelle, so wie sie waren, den Berg hinab auf die Vorposten los, brachten durch den unvermuteten Überfall alle durcheinander und zersprengten sie, und einen ergriffen sie mitsamt seinen Waffen und übergaben ihn dem Cato. Als er von diesem erfuhr, daß die Hauptmacht unter dem König in dem Engpaß saß und daß diese Leute, die den Übergang besetzt hielten, nur sechshundert auserlesene Aitoler waren, rückte er voll Verachtung für ihre geringe Zahl und ihre Sorglosigkeit sofort gegen sie an mit Trompeten geschmetter und Feldgeschrei, er selbst mit gezogenem Schwert an der Spitze. Als die Leute die Römer von den Höhen herunter anstürmen sahen, flohen sie auf das große Lager zu und erfüllten alle mit Verwirrung. 14. Da zur gleichen Zeit auch Manius von unten her den Angriff gegen die Verschanzungen eröffnete und seine gesamte Macht gegen den Engpaß ansetzte, wendete Antiochos, von einem Stein gegen den Mund getroffen, so daß ihm die Zähne ausgeschlagen wurden, in heftigem Schmerz sein Roß, und von seinem Heer hielt kein Teil den Römern mehr stand, sondern, obgleich sich für die Flucht nur ungangbare, gefährliche Pfade und Irrwege boten und tiefe Sümpfe und abschüssige Felsen die Stürzenden und Gleitenden bedrohten, ergossen sie sich doch in Scharen durch die Engen dahinein, drängten einander und bereiteten aus Furcht vor Schlag und Eisen der Feinde sich selber das Verderben.

364

A R I S T E I D E S UND CATO

Cato ist, wie es scheint, niemals mit Eigenlob sparsam gewesen und hat die offene Ruhmredigkeit als notwendige Begleitmusik zu rühmlichen Taten nicht gescheut; von dieser Tat aber hat er am meisten hergemacht, und er sagt, wer ihn damals habe die Feinde verfolgen und auf sie einschlagen sehen, dem sei der Gedanke gekommen, Cato schulde dem Volke nicht soviel wie das Volk Cato, und der Konsul Manius selbst habe, heiß vom Siege, ihn, der auch noch heiß war, lange Zeit umschlungen gehalten und vor Freude laut gerufen, weder er selbst noch das ganze Volk werde Cato den gebührenden Dank für seine Taten abstatten können. Nach der Schlacht wurde er unverzüglich nach Rom entsandt als persönlicher Überbringer der Siegesbotschaft. Er setzte glücklich nach Brundisium über, ritt an einem Tage nach Tarent und kam nach einer Reise von weiteren vier Tagen am fünften nach der Landung in Rom an und meldete als erster den Sieg. Er erfüllte die Stadt mit Frohsinn und Opferfesten und das Volk mit dem stolzen Bewußtsein, daß es jedes Land und jedes Meer zu bezwingen imstande sei. 1$. Von den kriegerischen Taten Catos sind dies wohl die bedeutendsten. Auf dem Gebiet der Politik hat er offenbar Anklage und Überführung der Frevler für eine nicht geringen Eifers würdige Aufgabe angesehen. Denn er hat selbst viele verklagt, anderen Klägern beigestanden oder sie zur Klage veranlaßt, wie die des Petilius gegen Scipio. Diesem, der dank der Macht seines Hauses und seiner echten Größe alle Anklagen unter die Füße trat, vermochte er nicht beizukommen und ließ von ihm ab. Gegen seinen Bruder Lucius aber setzte er im Verein mit den Anklägern die Verurteilung zu einer hohen, in die Staatskasse zu zahlenden Geldstrafe durch, und da er sie nicht bezahlen konnte und schon in Gefahr war, in Haft genommen zu werden, kam er mit Not durch Anrufung der Volkstribunen f r e i E s wird auch berichtet, daß, als ein junger

CATO

365

Mann gegen den Feind seines toten Vaters ein Verbannungsurteil erwirkt hatte und nach dem Prozeß über den Markt ging, Cato, als er ihm begegnete, ihm die Hand geschüttelt und gesagt habe, solche Totenopfer müsse man seinen Eltern darbringen, nicht Schafe und Böcke, sondern Tränen und Verurteilungen ihrer Feinde. Freilich blieb er auch selbst bei seiner politischen Tätigkeit nicht unangefochten, sondern wo immer er seinen Gegnern eine Handhabe bot, wurde er verklagt und war gefährdet. Sollen doch annähernd fünfzig Klagen gegen ihn angestrengt worden sein, die letzte, als er sechsundachtzig Jahre alt war. Dabei sprach er das bemerkenswerte Wort, es sei schwer, sich vor anderen Menschen zu verantworten, als unter welchen man gelebt habe. Und dies war noch nicht das Ende seiner Kämpfe, sondern als vier weitere Jahre verflossen waren, erhob er, neunzig Jahre alt, Anklage gegen Servius Galba. So kann man von ihm wie von Nestor sagen, daß sein Leben und sein Wirken bis ins dritte Menschenalter reichteDenn nachdem er, wie schon gesagt ist, oft als politischer Gegner des großen Scipio aufgetreten war, lebte er bis in die Zeit des jüngeren Scipio, der Adoptivenkcl des ersten Scipio und leiblicher Sohn des Paulus war, der Perseus und die Makedonen besiegte. 15. Zehn Jahre nach seinem Konsulat bewarb sich Cato um die Censur. Dieses Amt ist so etwas wie der Gipfelpunkt aller Ehren und gewissermaßen die Krönung einer politischen Laufbahn, da es neben vielen anderen Befugnissen die Prüfung der Sitten und der Lebensführung zur Aufgabe hat. Denn weder Ehe noch Kinderzeugung noch die Art, wie einer sein Leben führte und seinen Tisch hielt, glaubten sie ungeprüft und unbeaufsichtigt der Neigung und dem Belieben eines jeden überlassen zu dürfen, sondern meinten, daß in diesen Dingen viel mehr als in den Handlungen eines Mannes außer dem Hause und in der Öffentlichkeit sein Charakter zu erkennen sei. Sie

366

ARISTEIDES UND CATO

wählten daher als Wächter, Aufseher und Zuchtmeister, damit niemand nach seinem Gelüsten sich Uber die väterlichen Sitten hinwegsetzte und sich ihnen entzöge, einen der sogenannten Patrizier und einen Plebejer. Diese nannten sie Censoren, und sie hatten die Befugnis, jedem, der ein ungeordnetes und sittenloses Leben führte, das Ritterpferd zu nehmen und ihn aus dem Senat zu stoßen. Sie hatten auch die Aufsicht über die Schätzung der Vermögen und schieden in ihren Veranlagungslisten die Stände und die Altersklassen. Auch noch weitere wichtige Befugnisse hat das Amt. Daher stellten sich Cato, als er sich bewarb, die ersten und vornehmsten Mitglieder des Senats fast alle feindlich entgegen. Denn die Patrizier peinigte der Neid, da sie glaubten, dem Adel geschähe der größte Schimpf, wenn Männer von geringer Herkunft zur höchsten Würde und Macht emporgehoben würden, und diejenigen, welche sich üblen Verhaltens und des Abfalls von den Sitten der Väter bewußt waren, fürchteten die Strenge des Mannes, die sich im Besitz der Macht unerbittlich und hart erweisen würde. Daher einigten sie sich miteinander und stellten Cato sieben Mitbewerber entgegen, welche die Menge mit rosigen Aussichten zu gewinnen suchten in dem Glauben, sie wünsche milde und entgegenkommend regiert zu werden. Im Gegensatz dazu zeigte Cato keinerlei Nachgiebigkeit, sondern drohte den Bösen ganz offen von der Rednerbühne herunter, schrie, der Staat bedürfe einer gründlichen Purgierung, und forderte, das Volk solle, wenn es Verstand habe, nicht den gefälligsten, sondern den schärfsten Arzt wählen. Das aber sei er, und von den Patriziern nur einer: Flaccus Valerius. Mit ihm allein glaube er, wenn sie mit Schneiden und Brennen gegen Luxus und Verweichlichung wie gegen eine Hydra 1 vorgin gen, etwas Rechtes schaffen zu können; alle anderen sehe er mit aller Gewalt bemüht, ein schlechtes Regiment zu fuhren, weil sie diejenigen fürchteten, die ein gutes

CATO

367

Regiment fuhren würden. So wahrhaft groß und großer Führer würdig war nun das Volk der Römer, daß es keine Furcht vor den hochfahrenden Drohungen des Mannes hatte, sondern jene freundlichen Männer, die ihm in allem gefällig sein zu wollen schienen, ablehnte und neben Flaccus den Cato wählte, indem es auf ihn hörte, als wenn er sich nicht um ein Amt bewürbe, sondern es schon innehätte und seine Befehle erteilte. 17. Zum Vorsitzenden des Senates ernannte Cato nun seinen Kollegen und Freund Lucius Valerius Flaccus und stieß aus dem Senat neben vielen anderen auch den Lucius Quintius, der sieben Jahre vorher Konsul gewesen1 und, was ihm zu noch höherem Ruhm gereichte als die Konsulwürde, Bruder des Titus Flamininus war, der Philipp besiegt hatte. Der Grund der Verstoßung war folgender: Lucius hatte einen jungen Menschen, der von Kind auf Buhlknabe war, zu sich genommen, hatte ihn immer um sich und führte ihn als hoher Beamter mit sich, wobei er ihm so viel Ehre und Einfluß gewährte wie keinem der ersten Freunde und Vertrauten seines Gefolges. Als nun Lucius Statthalter einer konsularischen Provinz war, lag einmal bei einem Gastmahl der junge Mensch wie gewöhnlich neben ihm, schmeichelte dem Mann - der beim Weine leicht zu verführen war - auf mancherlei andere Weise und sagte, er liebe ihn so sehr, «daß ich», so sagte er, «da bei mir zu Hause Gladiatorenkämpfc stattfinden, die ich noch nie gesehen habe, doch zu dir geeilt bin, obwohl ich große Lust hatte zu sehen, wie ein Mensch umgebracht wird». Um ihm nun auch seine Liebe zu beweisen, sagte Lucius: «Wenn es darauf ankommt, dann sollst du mir nicht betrübt bei Tische liegen, da will ich Abhilfe schaffen.» Und er befahl, einen zum Tode Verurteilten in das Gastmahl hereinzuführen, und ließ den Henker mit dem Beil neben ihn treten; dann fragte er den Liebling noch einmal, ob er sehen welle, wie der Mann gc-

368

ARISTEIDES UND CATO

köpft werde, und als er ja sagte, befahl er, ihm den Kopf abzuschlagen. Die meisten berichten das so, und Cicero hat in seinem Dialog über das Greisenalter Cato selbst es erzählen lassen (42); Livius hingegen sagt (XXXIX, 42), der Hingerichtete sei ein gallischer Überläufer gewesen, und Lucius habe den Mann nicht durch den Henker töten lassen, sondern habe es selbst mit eigener Hand getan, und so stehe das in einer Rede Catos. Nachdem also Lucius durch Cato aus dem Senat gestoßen worden war, wandte sich sein Bruder tief gekränkt an das Volk und forderte Cato auf, die Ursache der Verstoßung anzugeben. Als er sie nannte und von dem Gastmahl erzählte, versuchte Lucius zuerst zu leugnen; als ihn aber Cato zur gerichtlichen Feststellung aufforderte, zog er sich zurück, so daß nun sein Schicksal allgemein als verdient galt. Als er aber bei einer Vorstellung im Theater an den Plätzen für die gewesenen Konsuln vorüberging und sich irgendwo weit hinten niedersetzte, wurde das Volk von Mitleid bewegt, und sie nötigten ihn mit lauten Rufen, wieder umzukehren, indem sie so nach Möglichkeit das Geschehene wiedergutzumachen und zu mildern suchten. Noch einen andern, Manilius, von dem man annahm, daß er Konsul werden würde, stieß er aus dem Senat, weil er seine Frau am Tage vor den Augen seiner Tochter geküßt hatte. Ihn selbst, sagte er, habe seine Frau niemals außer bei starkem Donner umarmt, und er habe im Scherz gesagt, er sei glücklich, wenn Iuppiter donnere. 18. Auch Scipios Bruder Lucius trug Cato schwere Feindschaft ein, weil er ihm, einem Manne, der einen Triumph gefeiert hatte, das Ritterpferd entzog; denn man glaubte, daß er es tat, um den toten Scipio Africanus zu verunehren. Die meisten aber kränkte er am schwersten durch sein scharfes Vorgehen gegen den Luxus. Ihn geradezu abzuschaffen war unmöglich, weil die meisten schon von ihm angesteckt und ver-

CATO

369

seucht waren; aber er ging ihm auf einem Umweg zu Leibe, indem er die Bürger nötigte, für Kleider, Gefährte, weiblichen Schmuck und Tafelgerät, soweit der Preis eines Stückes tausendfiinfhundert Denare überstieg, den zehnfachen Wert in die Vermögenserklärung einzusetzen, so daß sie nach der höheren Einschätzung auch höhere Abgaben zu leisten hatten, und er setzte die Abgabe auf drei pro Mille fest, damit sie, von diesem Aufschlag gedrückt, wenn sie sähen, daß die Sparsamen und Einfachen bei gleichem Vermögen weniger Steuern an die Staatskasse zahlten, den Luxus satt bekämen. So waren ihm denn diejenigen böse, die wegen ihres Luxus die Abgaben auf sich nahmen, böse aber andererseits auch diejenigen, die wegen der Abgaben auf den Luxus verzichteten. Denn für Wegnahme des Reichtums sehen es die meisten an, wenn man sie hindert, ihn zu zeigen, und zeigen könne man ihn nur mit dem Überflüssigen, nicht mit dem Notwendigen. Daher hat sich auch, so sagt man, der Philosoph Ariston 1 besonders darüber gewundert, daß man diejenigen, die das Überflüssige haben, für glücklicher halte als diejenigen, die das Notwendige und Nützliche in genügendem Maße besitzen. Als der Thessalier Skopas 1 von einem Freunde um etwas gebeten wurde, das nicht durchaus von Nutzen fiir ihn war, und der Freund sagte, er bitte ja um nichts von dem Notwendigen und Nützlichen, da erwiderte Skopas: «Aber ich bin ja gerade durch diese unnützen und überflüssigen Dinge glücklich und reich!» So ist die Begierde nach Reichtum in keinem naturgemäßen Zustand begründet, sondern von außen her durch den Wahnglauben der Masse in die Menschen hineingekommen. 19. Aber Cato kümmerte sich nicht im mindesten um seine Tadler, sondern ging immer schärfer vor, dämmte die Kanäle ab, welche das vorbeifließende öffentliche Wasser in private Häuser und Gärten ableiteten, ließ Gebäude, die auföffentliche Straßen hinausgebaut waren, niederreißen, setzte die Löhne

370

A R I S T E I D E S U N D CATO

bei der Verdingung öffentlicher Arbeiten herab und trieb bei der Versteigerung der Zölle die Pachten stark in die Höhe. Aus dem allem sammelte sich viel Haß gegen ihn. Die Freunde des Titus vereinten sich gegen ihn, setzten im Senat die Aufhebung der von ihm vorgenommenen Verdingungen von Arbeiten an sakralen und öffentlichen Bauten als unvorteilhaft durch und hetzten die verwegensten Volkstribunen auf, ihn vor das Volk zu laden und mit zwei Talenten zu bestrafen. Auch leisteten sie starken Widerstand gegen den Bau der Säulenhalle, die er aus öffentlichen Mitteln unterhalb des Rathauses am Forum auffahren ließ und die Basilica Porcia genannt wurde. Trotzdem ist klar, daß das Volk seine Censur mit stärkstem Beifall aufnahm. Jedenfalls errichtete es ihm eine Statue im Tempel der Salus1 und verzeichnete auf der Basis nicht seine Feldzüge und seinen Triumph, sondern man könnte die Inschrift etwa übersetzen: «Weil er als Censor den wankenden und zum Schlimmen neigenden Staat der Römer durch kluge Führung und durch weise Gewöhnung und Anleitung wieder aufgerichtet hat.» Dabei hat er früher selbst diejenigen verlacht, die auf derartiges Wert legten, und gesagt, sie merkten nicht, daß sie auf Arbeiten von Bildgießern und Malern stolz seien; von ihm trügen die Bürger die schönsten Bilder in ihren Herzen. Zu den Leuten, die sich wunderten, daß viele unbedeutende Männer Statuen hätten und er nicht, sagte er: «Mir ist es lieber, man fragt, warum ich keine Statue habe, als warum ich eine habe.» Und allgemein erklärte er, ein guter Bürger dürfe gar nicht dulden, daß man ihn lobe, es sei denn, es geschehe zum Nutzen der Gesamtheit. Dabei hat niemand so sehr sich selbst gelobt wie er. Behauptet er doch, Leute, die in ihrem Leben einen Fehltritt begangen hätten und dessen überfuhrt würden, pflegten zu sagen, man schelte sie mit Unrccht, sie seien ja keine Catos, und Leute, die manche seiner Handlun-

CATO

371

gen auf ungeschickte Weise nachzumachen versuchten, nenne man mißratene Catos, und der Senat blicke in den schwersten Zeiten auf ihn wie die Seefahrer auf den Steuermann, und oft würden, wenn er nicht da sei, die wichtigsten Angelegenheiten vertagt. Dies wird ihm auch von anderen bezeugt, denn er hatte wegen seiner Lebensführung, seiner Beredsamkeit und seines hohen Alters ein großes Ansehen in der Stadt. 20. Er war auch ein guter Vater, ein braver Ehemann und ein nicht zu verachtender Hauswirt, der die Beschäftigung mit diesen Dingen nicht als etwas Geringes und Bedeutungsloses nur nebenher betrieb. Daher glaube ich auch darüber das Nötige sagen zu sollen. Er sah bei der Wahl seiner Gattin mehr auf die gute Herkunft als auf Reichtum, weil er meinte, daß zwar beides die Frauen dünkelhaft und hochfahrend mache, daß aber die von edler Geburt sich mehr des Niedrigen schämten und darum geneigter seien, sich ihren Ehegatten in ehrenhaften Dingen zu fügen. Wer Frau oder Kinder schlage, sagte er, vergreife sich an den höchsten Heiligtümern; in seinen Augen sei es ein größeres Lob, ein guter Ehemann als ein großer Senator zu sein; er bewundere auch an dem alten Sokrates nichts anderes, als daß er gegen ein böses Weib und schwachbegabte Kinder sich immer mild und freundlich verhalten habe. Als ihm der Sohn geboren war, gab es kein so dringendes Geschäft - es sei denn ein öffentliches - , das ihn hindern konnte, dabei zu sein, wenn die Frau den Säugling badete und windelte. Denn sie nährte ihn mit der eigenen Milch und nahm oft auch die Kinder der Sklaven an die Brust, um ihnen durch die Milchbruderschaft Liebe zu ihrem Sohn einzuflößen. Sobald dieser zu begreifen begann, nahm er ihn selbst in die Lehre und brachte ihm Lesen und Schreiben bei, obwohl er einen tüchtigen Elementarlehrer an seinem Sklaven Chilon hatte, der viele Knaben unterrichtete. Aber er hielt es nicht für recht, wie er selbst sagt, daß sein Sohn von einem Sklaven

372

A R I S T E I D E S UND CATO

gescholten oder am Ohr gezogen würde, wenn er nicht fleißig lernte, noch auch, daß er einem Sklaven für einen so wichtigen Unterricht Dank schuldete, sondern er war selbst der Lehrer im Lesen und Schreiben, in der Gesetzeskunde und in den Leibesübungen, indem er seinen Sohn nicht nur im Speerwerfen, im Gebrauch der Nahkampfwaffen und im Reiten unterwies, sondern auch im Boxen, im Ertragen von Hitze und Kälte und im kräftigen Durchschwimmen der Wirbel und der reißendsten Stellen des Flusses. Auch seine Geschichte», sagt er, habe er selbst mit eigener Hand und mit großen Buchstaben niedergeschrieben, damit der Knabe die Möglichkeit habe, sich im eigenen Hause zur Kenntnis der Taten und Sitten der Vorfahren heranzubilden. Vor unanständigen Reden habe er sich in Gegenwart des Knaben nicht weniger gehütet als in Anwesenheit der geweihten Jungfrauen, die sie Vestalinnen nennen. Niemals aber habe er mit ihm zusammen gebadet. Dies war, scheint es, eine allgemeine Sitte bei den Römern, denn auch Schwiegerväter mieden das gemeinsame Baden mit den Schwiegersöhnen und hielten es für unanständig, sich voreinander zu entkleiden und zu entblößen. Später freilich übernahmen sie diese Sitte von den Griechen und haben ihrerseits wieder die Griechen damit angesteckt, das auch in Gesellschaft von Frauen zu tun. Da Cato sich so bemühte, den Sohn zur vollkommenen Tüchtigkeit heranzubilden, war bei diesem zwar der Wille untadelig, und die Seele gehorchte dank ihrer guten Art, aber der Körper erwies sich als zu zart für große Anstrengungen, und so schraubte der Vater die allzu scharfen Anforderungen der Zucht herab. Trotz diesem natürlichen Mangel bewährte der Sohn sich später im Felde als tapferer Mann und kämpfte rühmlich in der Schlacht gegen Perseus unter dem Kommando des Paulus». Als ihm dabei sein Schwert entweder aus der Hand geschlagen wurde oder der schweißfeuchten Hand entglitten

CATO

373

war, nahm er das so schwer, daß er sich an einige Kameraden wandte, sie mit sich riß und wieder auf die Feinde eindrang. Nach heftigem Kampf und hartem Mühen säuberte er den Platz und fand das Schwert endlich unter Haufen von Waffen und übcreinandergetürmten Lcichen von Freunden und Feinden. Dafür sprach der Feldherr Paulus dem jungen Mann seine Anerkennung aus, und es gibt auch noch einen Brief Catos selbst an den Sohn, worin er seine Ehrliebe und seinen Eifer um das Schwert höchlich lobt. Später heiratete der Jüngling Paulus' Tochter Tertia, die Schwester Scipios, und zwar wurde er bereits nicht weniger um seiner selbst als um seines Vaters willen in ein so erlauchtes Geschlecht aufgenommen. So erreichte also Catos Bemühen um den Sohn den schönsten Erfolg. 21. Er erwarb viele Sklaven, und zwar kaufte er vor allem Kriegsgefangene, die noch sehr jung und wie junge Hunde oder Füllen noch fiir Zucht und Erziehung empfanglich waren. Keiner von ihnen durfte ein anderes Haus betreten, außer wenn Cato selbst oder seine Frau ihn schickte. Wurde er gefragt, was Cato mache, so durfte er nichts antworten als, er wisse es nicht. Der Sklave hatte entweder eine der notwendigen Arbeiten im Hause zu verrichten oder zu schlafen, und er war sehr zufrieden, wenn sie schliefen, weil er glaubte, daß sie gutmütiger wären als diejenigen, die wach blieben, und daß die Ausgeschlafenen besser zu allerlei Arbeit zu brauchen seien als die der Ruhe Bedürftigen. Da er ferner glaubte, daß die Sklaven um des Liebesgenusses willen zu den größten Dummheiten fähig wären, verordnete er, daß sie fiir ein bestimmtes Geld mit den Mägden Umgang haben dürften, aber mit keiner andern Frau. Anfangs, als er noch in bescheidenen Verhältnissen lebte und viel im Felde war, ärgerte er sich niemals wegen des Essens, sondern erklärte es fiir die größte Schande, wegen des Bauches mit einem Diener zu zanken. Wenn er aber später, bei

374

A R I S T E I D E S U N D CATO

wachsendem Vermögen, Freunde und Amtskollegen zu Tische hatte, bestrafte er gleich nach der Mahlzeit diejenigen, die beim Aufwarten oder Zubereiten etwas versehen hatten, mit Peitschenhieben. Auch suchte er es einzurichten, daß die Sklaven immer Zank und Streit miteinander hatten, weil er ihre Eintracht beargwöhnte und fürchtete. Über diejenigen, die ein todeswürdiges Verbrechen begangen hatten, ließ er alle Sklaven zu Gericht sitzen und sie erst, wenn sie dort verurteilt wurden, hinrichten. Als er sich ernstlicher auf den Gelderwerb zu legen begann, fand er, daß der Landbau mehr ein Zeitvertreib als eine ergiebige Geldquelle sei. Er legte darum seine Kapitalien in sicheren, risikofreien Objekten an, kaufte Teiche, warme Quellen, freie Plätze für Walker, Pecherzeugungsanlagen, natürliche Weiden und Hutungen, woraus ihm reicher Gewinn zufloß und denen, wie er selbst sagte, sogar Iuppiter nichts anhaben konnte 1 . Auch die anrüchigste Form des Geldverleihens, die gegen Seezins1, verschmähte er nicht und verfuhr dabei folgendermaßen. Er veranlaßte die Geldbedürftigen, eine Gesellschaft von Geldgebern ins Leben zu rufen. Waren deren fünfzig und ebensoviele Schiffe zusammen, so nahm er selbst einen Anteil durch seinen Freigelassenen Quintio, der dann die Geschäftsführung der Schuldner beaufsichtigte und mitreiste. So erstreckte sich sein Risiko nicht auf das Ganze, sondern nur auf einen kleinen Teil bei großem Zinsgewinn. Auch seinen Sklaven, die das wollten, lieh er Geld. Sie kauften dann junge Sklaven, bildeten sie auf Catos Kosten aus und verkauften sie nach einem Jahre wieder. Viele behielt Cato auch unter Anrechnung des Preises, den der Meistbietende zu geben bereit war. Zu solchem Verfahren hielt er auch seinen Sohn an und sagte ihm, sein Vermögen abnehmen zu lassen sei nicht Sache eines Mannes, sondern einer Witwe. Ein noch stärkeres Stück Catos aber ist es, wenn er sich zu sagen unterfing, der müsse

CATO

375

als ein bewundernswerter und göttlicher Mann gelten, aus dessen Büchern es sich erweise, daß er mehr Hinzuerworbenes als Ererbtes hinterlasse. 22. Als er schon ein Greis war, kam von Athen die Philosophengesandtschaft nach Rom, der Akademiker Karneades und der Stoiker Diogenes, um für das Volk der Athener Befreiung von der Buße zu erbitten, zu der sie auf die Klage der Oropier von den Sikyoniern als Richtern abwesend verurteilt worden waren; ein Betrag von fünfhundert T a l e n t e n S o f o r t liefen die bildungsdurstigsten jungen Leute den Männern zu, scharten sich um sie und hörten begeistert ihre Vorträge. Vor allem erfüllte der glänzende Geist des Karneades, der mit seiner außerordentlichen rednerischen Wirkungskraft und seinem nicht geringeren Ruhm eine große, gebildete Hörerschaft zu packen wußte, die Stadt mit seinem Ruf wie ein Sturmwind. Man erzählte sich, ein Grieche von geradezu überwältigenden Geistesgaben, der alles bezaubere und bezwinge, habe die Jugend derartig in seinen Bann geschlagen, daß sie alle ihre sonstigen Vergnügungen und Unterhaltungen vergessen hätten und nur noch flir die Philosophie begeistert wären. Das gefiel den anderen Römern wohl, und sie sahen es gern, daß die jungen Leute sich um griechische Bildung bemühten und die Gesellschaft bewunderter Männer suchten. Cato aber war von Anfang an unzufrieden damit, als der große Bildungseifer die Stadt ergriff, weil er fürchtete, die jungen Leute möchten, wenn sie ihren Ehrgeiz nach dieser Seite wendeten, alsbald den Ruhm der Beredsamkeit höher schätzen als den der Taten und des Krieges. Als gar der Ruhm der Philosophen in der Stadt immer höher stieg und ein vornehmer Mann, Gaius Acilius, sich mit größtem Eifer darum bewarb, ihre ersten Reden vor dem Senat verdolmetschen zu dürfen beschloß er, die sämtlichen Philosophen mit Anstand aus der Stadt hinauszukomplimentieren. Er trat also im Senat auf und tadelte die Behör-

376

ARISTEIDES UND CATO

den, daß eine Gesandtschaft, bestehend aus Männern, die, wovon sie auch reden wollten, die Hörer mit Leichtigkeit zu überzeugen vermöchten, so lange Zeit unverrichteter Sache dasäße. Man solle also schnellstens in der Angelegenheit befinden und einen Beschluß fassen, damit diese Männer in ihre Schulen zurückkehrten und mit den Griechenknaben debattierten, die römischen Jünglinge aber wie früher auf die Gesetze und die Vorgesetzten hörten. 23. Dies tat Cato nicht - wie einige glauben - nur aus Abneigung gegen Karneades, sondern weil er überhaupt die Philosophie ablehnte und seine Ehre dareinsetzte, jegliche griechische Bildung und Wissenschaft zu verschmähen. Sagt er doch sogar von Sokrates, er sei ein Schwätzer und ein Aufrührer gewesen, der auf die ihm mögliche Weise seine Vaterstadt zu tyrannisieren suchte, indem er die alten Sitten zu zerstören und seine Mitbürger zu Meinungen zu fuhren und zu verleiten suchte, die den Gesetzen zuwider waren. Und über die Unterrichtsweise des Isokrates sagte er spottend, die Schüler seien bei ihm steinalt geworden, als sollten sie erst im Hades vor Minos von ihrer Kunst Gebrauch machen und Prozesse fiihren. Um seinen Sohn gegen das griechische Wesen einzunehmen, hat er ein Wort gesprochen, allzu gewagt für sein hohes Alter, wenn er gleichsam im Tone eines Sehers voraussagt, die Römer würden ihre Macht verlieren, wenn sie sich von griechischer Wissenschaft anstecken ließen. Aber dieses Unheilsorakel hat die Zeit Lügen gestraft, in der die Stadt zur höchsten Macht emporgestiegen ist, obschon sie zugleich griechische Wissenschaft und Bildung jeder Art in sich aufnahm. Aber nicht nur auf die griechischen Philosophen hatte er einen Haß, sondern auch die Ärzte, die in Rom ihren Beruf ausübten, waren ihm verdächtig. Er hatte offenbar von dem Wort des Hippokrates 1 Kenntnis, das er gesprochen hatte, als der Großkönig ihn für ein sehr hohes Honorar zu sich berief:

CATO

377

er werde niemals griechenfcindlichen Barbaren zu Diensten stehen; so behauptete Cato, dies sei der für alle Ärzte verbindliche Eid, und ermahnte den Sohn, sich vor ihnen allen in acht zu nehmen; er habe ein Rezeptbuch aufgesetzt, und danach behandle und kuriere er die Kranken bei sich zu Hause; Fasten verordne er niemals, sondern lasse die Kranken Gemüse oder kleine Portionen von Enten-, Tauben- oder Hasenfleisch essen; auch das letztere sei leicht und für Kranke bekömmlich, nur daß man nach seinem Genuß viel träume. Bei dieser Pflege und Diät sei er selbst gesund und erhalte auch die Seinigen gesund. 24. In diesem Punkte freilich ist seine Selbstsicherheit nicht ungestraft geblieben, denn er verlor die Frau und den Sohn. Er selbst aber, mit einem Körper von fester Gesundheit und Kraft ausgerüstet, hielt sich die längste Zeit auf der Höhe, so daß er noch im höchsten Alter Umgang mit Frauen brauchte und eine gar nicht zu seinem Alter passende Ehe schloß, aus folgendem Anlaß. Als er seine Frau verloren hatte, verheiratete er seinen Sohn mit einer Tochter des Paulus, Schwester Scipios, lebte selbst als Witwer und hielt sich eine junge Sklavin, die immer heimlich zu ihm kam. In einem kleinen Hause, in dem auch eine junge Frau wohnte, blieb die Sache nicht unbemerkt, und als einmal das Mädchen etwas dreist am Zimmer vorbeifegte, sagte der junge Mann zwar nichts, blickte aber böse auf sie und wandte sich ab, so daß es dem Alten nicht entging. Da er also erkannte, daß sie an der Sache Anstoß nahmen, ging er ohne ein Wort der Klage oder des Vorwurfs nach seiner Gewohnheit mit den Freunden zum Markt hinunter, rief einen gewissen Salonius, der früher unter ihm eine Sekretärstellung innegehabt hatte und sich jetzt unter seinem Gefolge befand, mit lauter Stimme an und fragte ihn, ob er sein Töchterchen schon verlobt habe, und da der Mann antwortete, das würde er doch nicht tun, ohne vorher mit ihm gesprochen zu haben, sagte e r : « Nun gut, ich habe einen passen-

378

ARISTEIDES UND CATO

den Schwiegersohn für dich gefunden, falls man nicht etwa an dem Alter Anstoß nimmt; denn sonst ist zwar nichts an ihm auszusetzen, aber er ist schon sehr alt.» Da ihn hierauf Salonius bat, das selbst zu bedenken und das Mädchen einem Manne seiner Wahl zu geben, da sie ja seine Klientin sei und seines Schutzes bedürfe, machte Cato keine weiteren Umstände mehr, sondern erklärte, er verlange die Jungfrau fiir sich selbst. Dieses Wort jagte dem Manne zuerst begreiflicherweise einen Schrecken ein, da er sich Cato ebensofern vom Heiraten dachte wie sich selbst von der Verschwägerung mit einem Hause, das Konsuln hervorgebracht und Triumphe gefeiert hatte. Als er aber sah, daß Cato es ernst meinte, sagte er mit Freuden ja, und sie gingen sogleich zum Markt hinab und schlössen die Verlobung ab. Während nun die Hochzeit vorbereitet wurde, rief Catos Sohn die Verwandten zusammen und fragte in ihrem Beisein den Vater, ob er ihm etwas vorzuwerfen habe oder von ihm gekränkt worden sei, daß er ihm eine Schwiegermutter ins Haus bringe. Aber Cato rief mit lauter Stimme: «Gott bewahre, mein Sohn! Ich bin vollkommen zufrieden mit dir und habe dir nichts vorzuwerfen. Aber ich wünsche mir, noch mehr solche Söhne wie du zu haben und solche Bürger dem Vaterlande zu hinterlassen.» Denselben Ausspruch soll früher schon Peisistratos, der Tyrann der Athener, getan haben, als er seinen erwachsenen Söhnen die Argiverin Timonassa als Stiefmutter ins Haus brachte, die ihm dann, wie es heißt, noch den Iophon und Thessalos gebar. Aus der zweiten Ehe wurde Cato ein Sohn geboren, dem er nach seiner Mutter den Beinamen Salonianus gab. Der ältere Sohn starb, während er Praetor w a r C a t o gedenkt seiner in seinen Schriften oft als eines vortrefflichen Mannes, soll aber den Verlust mit philosophischer Ruhe getragen haben und in seiner politischen Tätigkeit deswegen nicht erlahmt sein. Denn er wurde nicht wie später Lucius Lucullus und Metellus

CATO

379

im Alter des Wirkens in der Öffentlichkeit müde, sondern hielt es für seine Bürgerpflicht, wandte auch nicht wie früher Scipio Africanus wegen des Neides, der seinem Ruhm entgegenschlug, dem Volk den Rücken, um nun den Rest seines Lebens beschaulicher Ruhe zu widmen, sondern wie einst jemand dem Dionysios den Rat gab, die Krone fiir den schönsten Totenschmuck anzusehen, so betrachtete er die politische Tätigkeit als die schönste Form eines Greisenlebcns, wobei er, wenn er Muße hatte, zur Ausspannung und Erholung sich mit dem Schreiben von Büchern und mit Landbau befaßte. 2 j . Er hat Schriften mancherlei Inhalts und Geschichtswerke verfaßtLandbau trieb er, als er noch jung war, wegen des Erwerbes. Denn er sagt, daß er nur zwei Erwerbsquellen gehabt habe, Landbau und Sparsamkeit. Im Alter aber bot ihm das Landleben Zeitvertreib und einen Anlaß zu Betrachtungen. So hat er ein Buch über den Landbau geschrieben, in dem er auch über das Kuchenbacken und die Aufbewahrung des Obstes gehandelt hat, weil er eben bestrebt war, in allen Dingen besonders genau und selbständig zu sein. Auch war seine Tafel auf dem Lande reichlicher bestellt, denn er lud stets seine Bekannten unter den benachbarten oder unfern wohnenden Gutsbesitzern ein und tafelte fröhlich mit ihnen, und zwar war er nicht nur seinen Altersgenossen ein angenehmer und gern gesehener Gesellschafter, sondern auch den jungen Leuten, da er viel erlebt und viele hörenswerte Schriften und Werke studiert hatte. Die Tafel hielt er fiir die beste Gelegenheit, Freundschaften zu schließen, und er liebte es, da von wackeren und tüchtigen Männern Gutes zu reden, während von den Schlechten und Nichtswürdigen völlig geschwiegen wurde, weil Cato beim Mahle weder im Guten noch im Bösen ein Gespräch über solche Leute zuließ. 26. Als seine letzte politische Tat betrachtet man die Zerstörung Karthagos, die zwar mit der Tat von dem jungen Sei-

380

ARISTEIDES UND CATO

pio zu Ende gefuhrt worden ist, aber auf den Antrag und das Betreiben vor allem Catos in Angriff genommen worden war, und zwar aus folgendem Grunde. Cato war zu den Karthagern und dem Numider Masinissa, die miteinander Krieg führten, geschickt worden, um sich über die Ursachen ihres Zwistes zu unterrichtenDenn Masinissa war von Anfang an ein Freund des römischen Volkes, und die Karthager hatten zwar seit der Niederlage durch Scipio mit ihnen Frieden, waren aber durch Gebietsverlust und einen schweren Tribut geschwächt worden. Als er nun die Stadt nicht, wie die Römer glaubten, gedrückt und demütig vorfand, sondern reich an kräftiger junger Mannschaft, strotzend von Reichtum, voll von mancherlei Waffen und Kriegsmaterial und darum nicht niedrig gesonnen, so meinte er, es sei nicht so sehr an der Zeit, daß die Römer die Sache der Numider und Masinissas regelten und in Ordnung brächten, als zu verhüten, daß sie, wenn sie eine ihnen von alters feindliche, haßerfüllte, nun auf wunderbare Weise neu erstarkte Stadt nicht gänzlich unterwürfen, wieder in dieselbe Gefahr kämen. Er kehrte also eilends nach Rom zurück und trug dem Senat vor, die früheren Niederlagen und Unfälle der Karthager hätten nicht so sehr ihre Macht als ihren Unverstand vermindert und sie augenscheinlich nicht schwächer, sondern kriegserfahrener gemacht, und nun seien die Kämpfe mit den Numidern bereits eine Vorübung für die mit den Römern, und Friede und Vertrag sei nur ein Deckname für Aufschub des Krieges, der auf seine Stunde harre. (27.) Nach diesen Worten ließ Cato im Senat, so wird erzählt, während er die Toga aufnahm, absichtlich ein paar afrikanische Feigen fallen, und als man ihre Größe und Güte bewunderte, sagte er: «Das Land, das diese Feigen trägt, ist nur drei Tage Seefahrt von Rom entfernt.» Ein noch stärkeres Druckmittel war, daß er bei jeglicher Sache, über die er seine Meinung abzugeben hatte, den Satz hinzufügte: «Ferner stimme ich dafür, daß

CATO

381 1

Karthago nicht bestehen bleiben darf .» Umgekehrt pflegte Publius Scipio, mit dem Beinamen Nasica, das Votum abzugeben: «Ich stimme dafür, daß Karthago bestehen bleibt.» Denn da er offenbar sah, daß das Volk schon aus Übermut über die Stränge schlug, im Stolz aufsein Glück sich nicht mehr vom Senat leiten lassen wollte und durch seine Macht den ganzen Staat, wohin gerade seine Neigung es trieb, gewaltsam mit sich riß, so wollte er, daß wenigstens diese Drohung der Frechheit der Masse als ein heilsamer Zaum angelegt bliebe, da er meinte, daß Karthago nicht stark genug sei, um der Römer Herr zu werden, aber stark genug, um nicht verachtet zu werden. Cato hingegen schien gerade dies gefährlich, dem ungezügelten, wegen seiner Machtvollkommenheit meist zu Fehltritten geneigten Volke eine jederzeit große, jetzt durch ihr Unglück ernüchterte und verständig gewordene Stadt über dem Haupte schweben zu lassen und nicht die dem Reich von außen drohenden Gefahren ganz und gar zu beseitigen, um sich so Muße zu schaffen für die Bekämpfung der Übel im eigenen Hause. So soll Cato der Urheber des dritten und letzten Punischen Krieges geworden sein. Doch starb er, als der Krieg eben erst begonnen hatte 1 , nachdem er noch ein prophetisches Wort über den Mann gesprochen hatte, der bestimmt war, den Krieg zu Ende zu fuhren, damals aber noch ein junger Mann war, als Kriegstribun den Feldzug mitmachte und in den Kämpfen Proben seiner Umsicht und seines Wagemutes lieferte. Als diese nach Rom gemeldet wurden und Cato davon hörte, soll er gesagt haben: «Er allein hat Verstand, die andern sind flatternde Schatten3.» Diesen Ausspruch machte Scipio bald durch Taten wahr. An Nachkommen hinterließ Cato einen Sohn von der zweiten Frau, der, wie wir schon sagten, den Beinamen Salonianus

382

A R I S T E I D E S UND CATO

erhielt, und einen Enkel von dem verstorbenen Sohne. Salonianus starb als Praetor, sein Sohn Marcus gelangte zum Konsulat und war der Großvater des Philosophen Cato, eines der charaktervollsten und angesehensten Männer seiner Zeit 28 (1). Wenn wir, nachdem so das Denkwürdigste über beide Männer berichtet worden ist, das ganze Leben des einen dem ganzen Leben des andern zur Seite stellen, so sind die Unterschiede nicht leicht zu erkennen, weil sie von vielen, großen Ähnlichkeiten überschattet werden. Heißt es aber, das Leben eines jeden von beiden, wie ein Epos oder ein Gemälde, im einzelnen vergleichend betrachten, so ist es zwar beiden gemein, daß sie ohne äußere Hilfsmittel, allein durch Tüchtigkeit und Geisteskraft in die Politik und zu Ansehen gelangten. Aber es zeigt sich doch auch, daß Aristeides sich einen Namen machte zu einer Zeit, da Athen noch nicht groß war und er es noch mit Volksführern und Feldherren von nicht gar verschiedenem Vermögen zu tun hatte. Denn die höchste Schätzungsklasse forderte damals ein Einkommen von iiinfhundert Scheffel, die zweite von dreihundert, die dritte und unterste von zweihundert Scheffel. Cato hingegen stürzte sich aus einem kleinen Städtchen und einer bäuerlichen Lebensform in die römische Politik wie in ein ungeheures Meer, wo nicht mehr Curier, Fabricier und Atilier sich als Führer betätigten, wo das Volk nicht mehr arme, mit eigener Hand arbeitende Männer von Pflug und Grabscheit als Obrigkeiten und Volksflihrer zur Bühne emporsteigen ließ, sondern gewohnt, auf mächtige Geschlechter, große Vermögen, Spenden und Gunstbezeugungen zu blicken, im Bewußtsein seiner Macht den Bewerbern um die Ämter hochfahrend begegnete. Es war nicht dasselbe, einen Themistokles zum Gegner zu haben, der aus keinem vornehmen Hause stammte und nur ein mäßiges Vermögen besaß - denn es belief sich nur auf fünf oder gar nur drei Talente,

VERGLEICHUNG

383

heißt es, als er seine Laufbahn begann - oder aber mit Männern wie Scipio Africanus, Servius Galba oder Quintius Flamininus um den ersten Platz im Staate zu streiten, ohne über ein anderes Hilfsmittel zu verfugen als eine Stimme, die ein freies Wort wagte für das Recht. 29 (2). Sodann war Aristeides bei Marathon und wiederum bei Plataiai nur einer von zehn Strategen, Cato hingegen wurde zu einem von zwei Konsuln gewählt gegen viele Mitbewerber und zu einem von zwei Censoren, wobei er sieben Rivalen schlug, die zu den vornehmsten und ersten Männern gehörten. Weiter: Aristeides war bei keinem jener Siege der erste, sondern Miltiades errang den Siegespreis von Marathon, Themistokles den von Salamis, und bei Plataiai, sagt Herodot trug Pausanias den herrlichsten Sieg davon; und selbst den zweiten Preis machen dem Aristeides Männer wie Sophanes, Ameinias, Kallimachos, Kynegeiros streitig, die in jenen Kämpfen sich rühmlich hervorgetan haben. Cato hingegen war nicht nur als Konsul im spanischen Kriege der erste mit Hand und Kopf, sondern auch als Kriegstribun an den Thermopylen, unter einem andern Konsul, gewann er den Ruhm des Sieges, indem er den Römern gegen Antiochos ein weites Tor öfFnete und dem König, der nur nach vorwärts schaute, in den Rücken fiel. Denn dieser Sieg, offenbar eine Tat Catos, jagte Asien aus Griechenland hinaus und machte es danach Scipio zugänglich. Im Krieg sind sie beide unbesiegt geblieben; zu Hause aber unterlag Aristeides, von Themistokles aus dem Felde geschlagen und durch das Scherbengericht verbannt; Cato dagegen hatte, darf man sagen, alle, die in Rom die Mächtigsten und Größten waren, zu Gegnern, kämpfte bis ins Greisenalter wie ein Ringer und kam doch niemals zu Fall. Er führte zahlreiche Staatsprozesse als Beklagter und als Kläger, gewann viele und wurde niemals verurteilt, wobei ihm als Schutzwehr für sein

384

ARISTEIDES UND CATO

Leben und als scharfe Waffe seine Beredsamkeit diente, der man mit mehr Recht als dem Glück und dem guten Stern des Mannes das Verdienst daran zuschreiben darf, daß ihm nichts Unwürdiges widerfuhr. Denn als einen großen Vorzug hat diese Antipatros auch dem Aristoteles bezeugt, wenn er nach seinem Tode von ihm schrieb, der Mann habe außer anderen Gaben auch die gehabt, zu überzeugen. 30 (3). Daß ein Mensch keine vollkommenere Tugend erwerben kann als die Kunst, für die Gemeinschaft zu wirken, darüber herrscht Übereinstimmung; für einen nicht unbedeutenden Teil von ihr aber erklären die meisten die Kunst des Haushaltens. Denn der Staat, der eine Vielheit und Zusammenfassung von Häusern in eins ist, wird für seine öffentlichen Aufgaben gestärkt, wenn die Bürger in ihrer privaten Lebensführung wohlbestellt sind. Hat doch auch Lykurg, wenn er Silber und Gold aus Sparta verbannte und Münzen von durch Feuer unbrauchbar gemachtem Eisen bei ihnen einführte, seinen Mitbürgern nicht das Haushalten abgewöhnen wollen, sondern, indem er die Üppigkeit und den zehrenden Krebsschaden des Reichtums beseitigte, besser als irgendein anderer Gesetzgeber dafür gesorgt, daß alle vom Notwendigen und Nützlichen genug hätten, weil er den Mittellosen, Herdlosen, Dürftigen für eine größere Gefahr für die staatliche Gemeinschaft ansah als den übermütigen Reichen. Offenbar ist Cato kein schlechterer Verwalter seines Hauses gewesen als des Staates. Er hat selbst sein Vermögen vermehrt und ist anderen Lehrmeister im Haushalten und in der Landwirtschaft geworden, indem er viel Nützliches darüber geschrieben hat. Aristeides dagegen hat zugleich mit der Armut auch die Gerechtigkeit in den Verruf gebracht, daß sie das Haus zerrütte, zu Bettlern mache und eher allen anderen von Nutzen sei als denen, die sie besäßen. Und doch hat Hesiod vieles gesagt, um uns zur Gerechtigkeit zugleich und zum

VERGLEICHUNG

385

Haushalten zu e r m a h n e n u n d den Müßiggang als Anfang der Ungerechtigkeit gescholten, und vortrefflich hat Homer gedichtet .

«Doch liebt'ich weder den Feldbau

Noch die Sorge des Hauses und blühender Kinder Erziehung; Aber das Ruderschiff war meine Freude beständig, Schlachtengetös und blinkende Speer' und gefiederte Pfeile», womit angedeutet wird, daß, wer sein Haus vernachlässigt, auf ungerechten Erwerb aus ist. Denn es steht mit dem Gerechten nicht so wie mit dem Öl, das nach der Aussage der Ärzte fiir das Äußere des Körpers sehr heilsam, für sein Inneres aber sehr schädlich ist: der Gerechte ist nicht anderen nützlich, sich selbst und den Seinigen gegenüber aber nachlässig, sondern in diesem Punkte ist, scheint es, die Staatskunst des Aristeides recht unvollkommen gewesen, wenn er wirklich, wie die meisten Zeugen behaupten, nicht einmal eine Aussteuer für seine Töchterchen noch die Kosten fiir seine Beerdigung zu hinterlassen bedacht gewesen ist. Daher hat das Haus Catos bis ins vierte Geschlecht Rom Prätoren und Konsuln gestellt; denn Enkel und wieder noch Söhne von diesen haben die höchsten Ämter bekleidet. Die Nachkommenschaft des Aristeides hingegen, der einer der ersten Männer unter den Griechen gewesen war, hat die bittere, drückende Armut teils zu Marktschreierkünsten herabgewürdigt, teils sie genötigt, die Hände in ihrer Not nach öffentlicher Unterstützung auszustrecken, und keinem hat sie die Möglichkeit gelassen, eine edle, jenes Mannes würdige Gesinnung zu hegen. 31 (4). Oder kann man hierüber gleich auch anders denken? Armut ist ja doch keineswegs an und fiir sich eine Schande, sondern nur, wo sie ein Beweis von Trägheit, Zügellosigkeit, Unbesonnenheit und Verschwendung ist. Erscheint sie aber bei einem verständigen, tätigen, gerechten und tapferen Mann, der alle seine Kräfte dem Vaterlande widmet, dann ist sie ein

386

A R I S T E I D E S UND CATO

Zeichen von Seelengröße und hoher Gesinnung. Denn man kann nicht Großes vollbringen, wenn man sich um kleine Dinge sorgt, und man kann nicht vielen Bedürftigen helfen, wenn man selber viel bedarf. Eine wertvolle Mitgabe für den Staatsmann ist nicht der Reichtum, sondern die Genügsamkeit, die, weil sie nichts Überflüssiges fiir sich braucht, um keiner eigenen Geschäfte willen von den öffentlichen Aufgaben abzieht. Ganz bedürfnislos ist nur Gott; im menschlichen Bezirke aber ist die vollkommenste und göttlichste Tugend diejenige, welche das Bedürfnis auf das Mindestmaß einschränkt. Denn wie ein gesunder und wohl geschaffener Körper keiner überflüssigen Kleidung noch Nahrung bedarf, so läßt sich ein gesundes Leben und Hauswesen mit den einfachsten Mitteln fuhren. Der Erwerb muß im rechten Verhältnis zum Bedürfnis stehen. Wer viel zusammenbringt und wenig gebraucht, ist nicht genügsam, sondern entweder, wenn er sich Dinge beschafft, die er gar nicht begehrt, ein Narr, oder, wenn er sie begehrt, aber sich aus Geiz den Genuß versagt, ein armer Teufel. Gern würde ich Cato selbst einmal fragen: Wenn der Reichtum etwas ist, das zum Genießen da ist, was tust du groß damit, bei großem Vermögen dich mit wenigem zu begnügen? Wenn es aber rühmlich ist - und das ist es das gewöhnliche Brot zu essen, den Wein zu trinken, wie ihn die Arbeiter und Sklaven trinken, kein Purpurkleid zu brauchen und kein getünchtes Haus, so haben weder Aristeides noch Epameinondas, weder Manius Curius noch Gaius Fabricius das Rechte verfehlt, wenn sie auf den Erwerb der Dinge verzichteten, deren Gebrauch sie ablehnten. Ein Mensch, der Rüben fiir sein Leibgericht erklärt und sie sich selber kocht, während seine Frau den Brotteig knetet, hat es nicht nötig, so oft über die Pfennige zu schwätzen und darüber zu schreiben, durch welches Gewerbe man am schnellsten reich werden kann. Einfachheit und Genügsamkeit ist ja deswegen etwas Großes,

VERGLEICHUNG

387

weil es zugleich von dem Begehren und von dem Sichsorgen um das Entbehrliche freimacht. Deshalb soll auch bei dem Prozeß des Kallias Aristeides das Wort gesprochen haben, der Armut zu schämen brauchten sich nur diejenigen, die wider ihren Willen arm seien; wer aber wie eres freiwillig sei, der dürfe stolz daraufsein. Denn lächerlich wäre es, zu glauben, daß Aristeides' Armut von Trägheit herrührte, wo er, ohne etwas Schimpfliches zu tun, wenn er nur einen Barbaren ausplünderte oder sich ein Zelt aneignete, hätte reich werden können. So viel hierüber. 32 (5). Von den Feldzügen zu sprechen, so brachten die Catos einer schon bedeutenden Macht keinen bedeutenden Zuwachs; bei denen des Aristeides hingegen wurden die schönsten, glänzendsten und hervorragendsten WafFentaten der Griechen vollbracht: Marathon, Salamis, Plataiai; und es geht doch wohl nicht an, Antiochos dem Xerxes und die niedergelegten Mauern der spanischen Städte so vielen Zehntausenden Gefallener zu Lande und zur See zur Seite zu stellen. Hierbei stand Aristeides mit der Tat hinter keinem zurück, den Ruhm und die Siegeskränze überließ er - wie natürlich Reichtum und Schätze - denen, die mehr danach verlangten, weil er über dem allen stand. Ich will Cato nicht tadeln, weil er sich jederzeit lobte und als den ersten von allen hinstellte, obwohl er in einer Rede sagt, sich selbst zu loben wie sich selbst zu tadeln sei albern. Einen höheren Grad in der Tugend aber, scheint es mir, als der sich oftmals selbst Lobende nimmt derjenige ein, der nicht einmal das Lob aus anderm Munde braucht. Denn Mangel an Ehrgeiz trägt nicht wenig zum Frieden im öffentlichen Leben bei, und umgekehrt ist der Ehrgeiz von Übel und ein Erzeuger heftigsten Neides. Aristeides war völlig frei von ihm, Cato nur zu sehr von ihm besessen. Aristeides hat Themistokles bei den bedeutendsten Unternehmungen beigestanden, ist, als er Feldherr war, gewissermaßen sein Adjutant ge-

388

A R I S T E I D E S UND CATO

wesen und hat so Athen gerettet. Cato dagegen hat durch seinen Widerstand gegen Scipio dessen Feldzug gegen die Karthager, in dem er den unbesiegten Hannibal überwand, um ein Haar hintertrieben und vereitelt, hat ihn schließlich, indem er ständige Verdächtigungen und Verleumdungen gegen ihn ausstreute, aus der Stadt vertrieben und gegen seinen Bruder die schimpflichste Verurteilung wegen Unterschlagung durchgesetzt. 33 (6). Die Tugend, die Cato immer wieder mit den höchsten Lobsprücheri erhoben hat, die Enthaltsamkeit, hat Aristeides in Wahrheit unberührt und rein bewahrt; dem Cato selbst aber hat in dieser Hinsicht der mit seiner Würde und seinem Alter unverträgliche zweite Eheschluß nicht geringen und nicht unbegründeten Tadel eingetragen. Daß ein Mann in so hohen Jahren seinem erwachsenen Sohne und dessen jungvermählter Frau ein junges Mädchen, die Tochter eines bediensteten, vom Staate bezahlten Mannes als Stiefmutter ins Haus brachte, ist auf keine Weise schön, sondern ob er es aus Wollust tat oder aus Zorn, um sich wegen der Buhlerin an seinem Sohn zu rächen, so bleibt die Handlung wie der Beweggrund schimpflich. Und die höhnische Antwort, die er dem jungen Manne gab, entsprach nicht der Wahrheit. Denn wenn er noch ebenso wackere Söhne zeugen wollte, so mußte er mit gründlicher Überlegung eine standesgemäße Ehe schließen, nicht, solange es unbemerkt blieb, daß er unehelich mit einer gewöhnlichen Person zusammenschlief, es hingehen lassen, nachdem es aber offenkundig geworden war, einen Mann zum Schwiegervater nehmen, den er am leichtesten bereden konnte, statt eines solchen, mit dem die Verbindung ihm Ehre gebracht hätte.

T H E M I S T O KLES U N D C A M I L L U S

THEMISTOKLES

i. Themistokles entstammte einem recht unbedeutenden Geschlecht, das ihm wenig Ruhm verhieß. Sein Vater Neokles aus dem Demos Phrearrhioi 1 in der Phyle Leontis gehörte nicht zu den Männern, welche in Athen eine glänzende Rolle spielten, und mütterlicherseits war er nicht einmal Vollbürger, wie das Epigramm sagt: «Habrotonon heiß' ich, bin nur ein thrakisches Weib; Doch gebar ich den Griechen den Helden Themistokles.» Phanias freilich gibt an, Themistokles' Mutter sei eine Karerin gewesen, nicht eine Thrakerin, und habe nicht Habrotonon, sondern Euterpe geheißen. Neanthes* weiß sogar ihre Vaterstadt zu nennen, Halikarnaß in Karien. Halbbürger mußten damals ihre Leibesübungen auf dem Sportplatz Kynosarges abhalten. Er liegt vor den Toren der Stadt und ist dem Herakles geweiht, war doch auch dieser als Sohn einer sterblichen Mutter den Göttern nicht ebenbürtig, sondern galt nur als Halbgott. Nun vermochte aber Themistokles ein paar junge Männer aus den vornehmsten Familien zu bereden, mit ihm nach dem Kynosarges zu kommen und dort zu turnen. Mit dieser List legte er, wie es scheint, die Schranken zwischen den Halb- und Vollbürgern nieder. Daß er zum Geschlecht derLykomiden 3 gehörte, kann indes nicht bezweifelt werden; denn er ließ das gemeinsame Heiligtum der Lykomiden zu Phlya, welches von den Persern niedergebrannt worden war, auf eigene Kosten wiederherstellen und mit Wandgemälden schmücken. So berichtet wenigstens Simonides.

392

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

2. Übereinstimmend wird erzählt, daß schon in dem Knaben ein leidenschaftliches Feuer gebrannt habe. Die Natur hatte ihn mit einem scharfen Verstand begabt, innere Neigung trieb ihn dazu, als Staatsmann Großes zu wirken. Wenn er Muße hatte und es nichts zu lernen gab, überließ er sich nicht wie die meisten Kinder dem unbeschwerten Spiel, sondern sann irgendeiner Rede nach, die er ganz für sich ausarbeitete; dabei stellte er sich vor, er müsse einen seiner Kameraden vor Gericht anklagen oder verteidigen. Solche Eigenwilligkeit nötigte seinem Lehrer mehr als einmal die Bemerkung ab: «Aus dir wird nichts Geringes, Bub, sondern etwas ganz Großes - im Guten oder im Bösen.» Wenn es im Unterricht darum ging, den Charakter zu formen oder sich die liebenswürdige Anmut des gebildeten Menschen anzueignen, machte er nur zögernd und widerwillig mit. Für Fächer hingegen, welche den Verstand schärften oder auf das praktische Leben vorbereiteten, legte er ein Interesse an den Tag, das weit über seine Jahre ging, als ob er einer inneren Stimme gehorchte. Die Folge war, daß er später von Leuten verspottet wurde, die auf der Höhe zu sein glaubten in allem, was feine Bildung und gesellschaftlichen Schliff betraf. Er pflegte sich dann recht derb zur Wehr zu setzen, indem er sagte: «Aufs Leierstimmen und Saitenzupfen verstehe ich mich allerdings nicht, wohl aber darauf, einen Staat, den ich klein und unbedeutend übernommen habe, zu Ruhm und Größe emporzuführen.» Stesimbrotos freilich behauptet, Themistokles habe die Vorlesungen des Anaxagoras gehört und sei Schüler des Naturphilosophen Melissos 1 gewesen, doch verstößt er damit gegen die Chronologie. Denn als Perikles, der viel jünger ist als Themistokles, die Stadt Samos belagerte, stand ihm Melissos als Feldherr der Samier gegenüber; Anaxagoras aber war Perikles in Freundschaft verbunden. Man darf also wohl eher denen Glauben schenken, die in Themistokles einen Anhänger des Phrearrhiers Mnesiphilos

THEMISTOKLES

393

sehen. Dieser Mnesiphilos gehörte nicht zu den Rednern und ebensowenig zu den Naturphilosophen, er befaßte sich vielmehr mit dem, was man damals Weisheit nannte, wobei es allerdings nur darum ging, die Menschen für die öffentliche Laufbahn tüchtig und flir das praktische Leben geschickt zu machen. So wurde er gleichsam zum Fortsetzer dessen, was Solon gelehrt hatte. Dann aber kamen Männer, welche diese Lehre mit der Schulung im Prozeßwesen vermengten und statt der Einübung auf das praktische Leben nur noch auf die Fertigkeit im Reden abzielten. Diese Leute hießen Sophisten. Als Themistokles mit Mnesiphilos verkehrte, stand er schon im öffentlichen Leben. Im ersten Überschwang der Jugend war er von einer gleichmäßigen, steten Lebensführung weit entfernt, er überließ sich seinem angeborenen Temperament, und da er es weder durch Vernunft noch Zucht im Zügel hielt, riß es ihn von einem Extrem ins andere, oft aber zum Bösen hin. Er gab das später selber zu, indem er sagte, aus den ungebärdigsten Füllen würden dereinst die besten Rosse, wenn man sie gehörig abrichte und dressiere. Einige fugen noch allerlei Geschichten an, so etwa, der Vater habe ihn enterbt, die Mutter sich das Leben genommen aus Kummer über die Schande des Sohnes; doch handelt es sich dabei zweifellos um Verleumdungen. Wissen doch andere zu berichten, der Vater habe Themistokles, um ihn von der öffentlichen Laufbahn abzubringen, an den Strand gefuhrt, ihm dort die alten verfallenen Trieren gezeigt, um die sich kein Mensch mehr kümmerte, und dazu bemerkt, so verfahre das Volk mit seinen Führern, wenn sie ihren Dienst getan hätten. 3. Die Politik scheint indes auf Themistokles früh einen starken Zauber ausgeübt zu haben, wie ihn auch die Begierde nach Ruhm völlig in Bann geschlagen hatte. Von Anfang an stachelte ihn dieser Ehrgeiz auf, der erste zu sein, und unbekümmert nahm er dafür die Feindschaft der angesehensten und einfluß-

394

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

reichsten Männer der Stadt auf sich. Sein schroffster Widerpart war jedoch Aristeides, der Sohn des Lysimachos. Die Fehde zwischen ihnen ging, wie es scheint, aufeine Jugendgeschichte zurück. Nach dem Bericht des Philosophen Aristón waren sie nämlich beide in den schönen Stesileos von Keos verliebtSeither blieben sie Gegner auch in Fragen der Politik. Freilich scheint die Verschiedenheit ihrer Lebensauffassung und ihres Charakters die Kluft stark vertieft zu haben. Aristeides war von ruhigem Wesen und ein Ehrenmann durch und durch, er suchte in seinem öffentlichen Wirken weder Gunst noch Ruhm, sondern ging, von der reinsten Absicht geleitet, mit unbestechlicher Festigkeit seinen Weg. Themistokles hingegen verleitete das Volk zu Unternehmungen verschiedenster Art und wollte umwälzende Neuerungen einfuhren. So sah sich Aristeides immer wieder genötigt, ihm entgegenzutreten und seinen Aufstieg zu hemmen. Denn Themistokles war derart besessen von seiner Gier nach Ruhm, sein Ehrgeiz sehnte sich mit solcher Leidenschaft nach großen Taten, daß er, so jung er damals war, nach der Schlacht bei Marathon, als Miltiades' Feldherrntat weitherum gepriesen wurde, ganz in sich gekehrt und in Gedanken verloren herumging. Des Nachts floh ihn der Schlaf, er mied die gewohnten Trinkgelage, und als ihn die Freunde verwundert fragten, weshalb er sich so verändert habe, gab er zur Antwort: «Das Siegeszeichen des Miltiades läßt mich nicht schlafen.» Man glaubte ja auch ganz allgemein, mit der Niederlage der Perser bei Marathon habe der Krieg sein Ende gefunden, Themistokles jedoch sah in dieser Schlacht nur das Vorspiel zu größeren Kämpfen. Er ahnte lange voraus, was kommen werde, und bereitete zum Wohl von ganz Griechenland sich selber und seine Vaterstadt fiir den neuen Waffen gang aufs beste vor. 4. Er fing damit an, daß er mit einem Vorschlag vor die Volksversammlung trat, wie ihn sonst niemand gewagt hätte:

THEMISTOKLES

395

Die Athener sollten die Einkünfte aus den Silberbergwerken im Laureion1 nicht wie bisher unter sich verteilen, sondern diese Mittel zum Bau von Trieren für den Krieg gegen Aigina verwenden. Dieser wurde eben zu jener Zeit in Griechenland mit größter Heftigkeit geführt, und die Aigineten beherrschten mit ihrer mächtigen Flotte das Meer. So fiel es Themistokles nicht schwer, die Athener fiir den Plan zu gewinnen. Er drohte ihnen nicht mit dem Schreckgespenst des Dareios und der Perser, denn diese waren weit weg, und die Furcht, sie könnten wieder kommen, saß gar nicht tief; vielmehr benutzte er im richtigen Augenblick den Haß und die Eifersucht seiner Mitbürger gegen die Aigineten, um seine Rüstungspläne durchzuführen. Aus den Geldern wurden hundert Trieren gebaut, die dann auch im Kampf gegen Xerxes zum Einsatz kamen. Von nun an führte Themistokles seine Vaterstadt Schritt für Schritt dem Meere zu. Er ließ sich dabei von der Überzeugung leiten, daß das Landheer nicht einmal den Grenznachbarn gewachsen sei, während Athen mit einer Seemacht die Barbaren im Schach halten und die Herrschaft über Griechenland erringen könnte. So machte er, wie Piaton sagt 1 , aus standfesten Hopliten Matrosen und Seeleute, was ihm den Vorwurf eintrug, er habe seinen Mitbürgern Schild und Speer aus der Hand genommen und das Athenervolk an die Ruderbank gefesselt. Nach Stesimbrotos' Bericht stemmte sich Miltiades der Vorlage entgegen, allein Themistokles trug den Sieg über ihn davon und konnte sich durchsetzen. Ob er mit seinem Vorgehen gegen den Sinn und Wortlaut der Verfassung verstieß, muß einer genaueren Untersuchung vorbehalten bleiben; daß aber das Meer den Griechen die Rettung brachte, daß jene Trieren Athen aus Schutt und Asche wieder aufrichteten, dafür ist Xerxes der beste Zeuge. Nach der Niederlage zur See machte er sich eilig davon, obwohl sein Landhecr die volle

396

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

S c h l a g k r a f t b e w a h r t h a t t e , d e n n er fiihlte sich d e n G r i e c h e n

nicht mehr gewachsen. Und daß er Mardonios zurückließ, geschah meines Erachtens mehr, um die Griechen an der Verfolgung zu hindern, als um sie unters Joch zu zwingen. 5. Von den einen wird behauptet, Themistokles habe eifrig dem Gelde nachgejagt, um im großen Stil leben zu können. Er veranstaltete gern festliche Opferschmäuse und liebte es, seine Gäste glänzend zu bewirten. Dies alles kostete eine Menge Geld. Andere wieder werfen ihm Knauserei und derart schmutzigen Geiz vor, daß er sogar den ihm zugeschickten Anteil am Opfermahl verkaufte. Als ihm der Pferdezüchter Diphilides ein Füllen nicht gab, worum er ihn gebeten, drohte er ihm, er werde sein Haus binnen kurzem in ein hölzernes Pferd verwandeln. Er wollte damit andeuten, daß er ihn in Familienstreitigkeiten und Prozesse mit seinen Verwandten verwickeln werde. Themistokles war ehrgeizig wie niemand sonst. Einmal, er war noch sehr jung und ganz unbekannt, bat er den Zitherspieler Epikles aus Hermione», einen zu jener Zeit gefeierten Künstler, er möge sich bei ihm hören lassen, denn er wollte mit allen Mitteln erreichen, daß viele Leute sein Haus aufsuchten und bei ihm zusammenkamen. So ging er auch nach Olympia, wo er mit seiner üppigen Tafel, seinen Prunkzelten und dem sonstigen Glanz seines Auftretens Kimon auszustechen suchte. Die Griechen allerdings fänden keinen Gefallen an seinem Tun. Bei Kimon glaubten sie Nachsicht üben zu müssen, denn er war jung und aus vornehmem Hause. Von Themistokles aber kannte man noch kaum den Namen, man hatte das Gefühl, er wolle sich ohne Mittel und Verdienst nach oben drängen und warf ihm vor, er sei ein eitler Prahlhans. Er übernahm auch die Choregie bei einer Tragödienaufliihrung und trug den Sieg davon, obgleich der Wettkampf damals schon mit ehrgeizigem Einsatz ausgefochten wurde. Zur Erinnerung

THEMISTOKLES

397

an den Sieg weihte er eine Tafel mit der Inschrift: «Themistokles aus Phrearrhioi war Chorege, Phrynichos Leiter der Auffuhrung, Adeimantos Archon'.» Trotz alledem hing das Volk an ihm, denn er wußte jeden einzelnen Bürger beim Namen zu nennen und hatte sich in Streitfallen als unparteiischer Richter bewährt. So wollte Simonides von Keos* einmal etwas Unbilliges von ihm verlangen, Themistokles aber, der damals Feldherr war, erwiderte ihm: «Wärest du ein guter Dichter, wenn du dir Verstöße gegen das Versmaß und die Melodie zuschulden kommen ließest ? Mitnichten! Genau so wenig wäre ich ein guter Beamter, wenn ich dich gegen das Gesetz begünstigen wollte.» Ein andermal sagte er spottend zu demselben Simonides: «Was für ein Widersinn, daß du auf die Korinther schimpfst, die doch eine so ansehnliche Stadt bewohnen, und von dir selber Bilder malen lassest, obschon dein Gesicht so häßlich ist.» So wuchs sein Einfluß und seine Beliebtheit beim Volk, bis er schließlich Aristeides stürzen und durch das Scherbengericht aus der Stadt verweisen konnte 3. 6. Schon waren die Perser im Anmarsch gegen Griechenland, und die Athener gingen zu Rate, wem sie den Oberbefehl anvertrauen sollten. Einer wie der andere trat jedoch, wie es heißt, freiwillig zurück, weil die Gefahr sie schreckte, nur Epikydes, des Euphemides Sohn, ein Demagog mit beweglichem Mundwerk, im übrigen aber feige und bestechlich, bewarb sich um das Kommando und hatte gute Aussichten, bei der Abstimmung den Sieg davonzutragen. Da überkam Themistokles die Angst, es möchte alles verloren sein, wenn die Wahl auf Epikydes fíele, und er kaufte ihm seinen Ehrgeiz mit einer Summe Geldes ab. Des Lobes voll ist man auch Uber sein Vorgehen gegen den Dolmetscher der königlichen Gesandtschaft, die Erde und Wasser zu fordern kam. Denn obwohl der Dolmetscher gezwungen war, griechisch zu sprechen, ließ er ihn

398

THEMISTOKLES UND C A M I L L U S

doch auf (jrund eines Volksbeschlusscs festnehmen und hinrichten, weil er die Stirn gehabt, die griechische Sprache für die Befehle eines Barbaren zu mißbrauchen. Nicht weniger Ruhm erntete er für die Bestrafung des Arthmios von Zeleia der auf seinen Antrag samt Kindern und Nachkommen geächtet wurde, weil er Persergold nach Griechenland gebracht hatte. Das Größte jedoch, was er erreichte, war die Beilegung der hellenischen Bruderkriege und die gegenseitige Versöhnung der Städte. Er vermochte sie nämlich zu bereden, ihre eigenen Fehden hintanzusetzen, solange der Krieg von außen drohte. Cheileos von Arkadien soll ihn dabei tatkräftig unterstützt haben. 7. Kaum hatte er den Oberbefehl übernommen, suchte er seine Mitbürger auf die Trieren zu bringen, indem er ihnen zuredete, sie sollten die Stadt verlassen und den Barbaren in größtmöglicher Entfernung von Griechenland zur See entgegentreten. Allein, er stieß auf starken Widerstand, und so führte er mit den Spartanern zusammen ein ansehnliches Heer nach dem Tempetal um Thessalien zu decken; daß die Thessaler zu den Persern hielten, wußte man damals noch nicht. Als sich aber die Griechen aus ihrer Stellung zurückziehen mußten, ohne etwas ausgerichtet zu haben, als sich durch den Übertritt Thessaliens zum Großkönig alles Land bis nach Boiotien hin auf die Seite der Perser schlug, da fand Themistokles mit seinem Plan, aufs Meer zu gehen, bei den Athenern schon willigeres Gehör, und man schickte ihn mit einer Flotte nach Artemision, um die Meerenge abzuriegeln. Dort versteiften sich die Griechen auf die Forderung, Eurybiades und die Spartaner müßten das Oberkommando erhalten. Allein, die Athener weigerten sich, von andern Befehle entgegenzunehmen, da sie allein mehr Schiffe hätten als die übrigen zusammengenommen. Themistokles erkannte die Gefahr dieses Zwistes und trat den Oberbefehl freiwillig an Eurybiades ab, die

THEMISTOKLES

399

Athener aber beruhigte er mit dem Versprechen, wenn sie sich im Kriege wacker hielten, werde er es zustande bringen, daß ihnen Griechenland künftig aus freien Stücken Gefolgschaft leiste. So darf man wohl in ihm den eigentlichen Retter Griechenlands sehen und gleichzeitig den Mann, welcher den Athenern zu dem zwiefachen Ruhm verhalf, die Feinde durch Tapferkeit, die Bundesgenossen durch Vernunft und guten Willen überwunden zu haben. Als die persische Flotte bei Aphetai landete, packte den Eurybiades entsetzliche Angst vor der Unzahl von Schiffen, die ihm gegenüberlagen, und als dazu noch die Meldung einlief, daß weitere zweihundert oberhalb von Skiathos1 herumfuhren, wollte er unverzüglich den Rückzug nach den zentraler gelegenen Teilen Griechenlands antreten, an der peloponnesischen Küste Rückendeckung suchen und eine enge Verbindung zwischen Landheer und Flotte herstellen; denn daß er gegen die Seemacht des Perserkönigs etwas ausrichten könne, kam ihm ganz unmöglich vor. Seine Absicht weckte in den Euboiern die Angst, die Griechen möchten sie im Stiche lassen. Darum knüpften sie mit Themistokles insgeheim Verhandlungen an, indem sie Pelagon mit einer großen Summe Geldes zu ihm schickten. Herodot erzählt, Themistokles habe das Geld genommen und an Eurybiades weitergegeben J . Von seinen Mitbürgern machte ihm Architeles, der Kommandant des heiligen Schiffes 3, die größten Schwierigkeiten. Er konnte nämlich seinen Leuten den Sold nicht mehr zahlen und drängte darum auf sofortige Heimkehr. Themistokles reizte die Matrosen noch mehr gegen ihn auf, so daß sie sich zusammenrotteten und ihm das Abendessen wegnahmen. Dann übersandte er dem verärgerten und empörten Kommandanten ein Kistchen mit Brot und Fleisch, worunter ein Talent Silber verborgen lag, und ließ ihm entbieten, er möge es sich für diesen Abend schmecken lassen, am andern Tag aber für

400

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

seine Mannschaft sorgen, sonst werde er ihn bei den Athenern in Verruf bringen, er habe vom Landesfeind Geld angenommen. Diese Geschichte verdanken wir dem Lesbier Phanias. 8. Die Gefechte, welche damals in der Meerenge mit der Perserflotte ausgetragen wurden, vermochten zwar den Krieg nicht entscheidend zu beeinflussen, waren aber als Waflenproben gleichwohl von größter Bedeutung fiir die Griechen. Aus den Taten nämlich, die sie hier unter Gefahren vollbrachten, wurde es ihnen klar, daß weder die Menge der Schiffe noch ihre prachtvoll verzierten Schnäbel, weder das prahlerische Kriegsgeschrei noch die Schlachtgesänge der Barbaren tapfere Männer, die den Kampf nicht scheuen, zu schrecken vermögen, daß man sich vielmehr auf den Feind stürzen und Auge in Auge mit ihm sich schlagen müsse, unbekümmert um dergleichen Nichtigkeiten. Auch Pindar hat dies klar erkannt, wenn er von der Schlacht bei Artemision singt 1 : «Der Athener Söhne legten daselbst Den schimmernden Grundstein der Freiheit.» Denn der Anfang des Sieges ist der Mut! Artemision ist der Name des Küstenstrichs von Euboia, der sich von Hestiaia aus nach Norden hinzieht; ziemlich genau gegenüber liegt Olizon, über das vor Zeiten Philoktetes geherrscht hatte». An der Küste erhebt sich inmitten von Bäumen ein nicht gar großer Tempel der Artemis Proseoa. Um ihn herum zieht sich ein Kranz von Säulen, deren weißer Stein Farbe und Geruch des Safrans annimmt, wenn man ihn mit den Händen reibt. Auf einer der Säulen waren die Verse zu lesen 3: «Über die zahllos-bunten Scharen aus Asiens Landen Siegten in diesem Meer tapfere Söhne Athens Und zerschmetterten Persiens Flotte. Freudigen Herzens Weihten sie, Artemis, dir dann diesen Tempel zum Dank.»

THEMISTOKLES

401

An der Küste wird heute noch eine Stelle gezeigt, wo man inmitten der Sanddünen aschenartigen dunklen Staub aus der Tiefe heraufholen kann. Es sieht aus, als wäre hier eine Brandstätte gewesen, und man vermutet, daß an dieser Stelle die Toten mitsamt den Schiffstrümmern verbrannt worden seien. 9. Allein, als die Kunde von der Niederlage in den Thermopylen nach Artemision gelangte, als man erfuhr, daß Leonidas gefallen, Xerxes Herr der Pässe sei, da zog sich die Flotte nach Süden in die zentraler gelegenen Gebiete Griechenlands zurück. Die Athener, welche sich besonders tapfer gehalten hatten und stolz waren auf ihre WafTentaten, erhielten Auftrag, den Rückzug zu decken. Sooft nun Themistokles auf der Fahrt längs der Küste einen Landungsplatz oder eine geschützte Bucht erspähte, wo die Feinde notwendig anlegen mußten, ließ er dort weithin sichtbare Inschriften anbringen. Diese waren auf Steine gemeißelt, die er gerade vorfand oder eigens an die zum Ankern und Wasserholen geeigneten Plätze bringen ließ, und wandten sich an die Ionier mit der eindringlichen Mahnung, sie sollten wenn möglich auf die griechische Seite übertreten, denn Griechen seien ihre Stammväter und Griechen stünden jetzt für ihre Freiheit im Kampf. Wenn dies aber nicht anginge, sollten sie wenigstens in den Schlachten die Barbaren behindern und Verwirrung in ihre Reihen tragen. Er hoffte, auf diese Weise die Ionier zum Abfall zu bewegen oder doch wenigstens die Perser unsicher zu machen und ihren Argwohn zu steigern. Inzwischen fiel Xerxes von Norden her durch die Doris in Phokis ein und verheerte die Städte der Phoker mit Feuer und Schwert. Die Griechen leisteten keine Gegenwehr, obschon die Athener dringend baten, man solle dem Feind zum Schutz von Attika nach Boiotien entgegenziehen, wie sie selber ihre Flotte nach Artemision gesandt hätten. Niemand hörte auf sie, alle klammerten sich nur an die Peloponnes und drängten

402

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

darauf, das ganze Heer jenseits des Isthmos zusammenzuziehen und die Landenge selber von Meer zu Meer durch eine Mauer abzuriegeln. Da faßte die Athener bitterer Zorn über solche Verräterei, und eine tiefe Mutlosigkeit kam Uber sie, daß man sie derart im Stiche lasse. Sie konnten ja gar nicht daran denken, allein gegen das Riesenheer der Perser anzukämpfen. Aber auch jenen einzig möglichen Ausweg, den ihnen die Not der Stunde aufdrängte, nämlich die Stadt zu verlassen und auf die Schiffe zu gehen, wiesen die meisten mit Empörung von sich. Was brauchten sie einen Sieg, was sei das für eine Rettung, wenn sie die Tempel der Götter, die Gräber ihrer Väter preisgeben müßten? 10. Da Themistokles keine Möglichkeit mehr sah, das Volk mit menschlichen Begründungen auf seine Seite zu ziehen, setzte er, wie die Dichter in der Tragödie, die Göttermaschine in Bewegung und versuchte mit Götterzeichen und Orakelsprüchen ans Ziel zu kommen. So stellte er es als bedeutendes Zeichen hin, daß gerade in jenen Tagen die heilige Schlange aus ihrem Gehege auf der Akropolis verschwunden zu sein schien. Die Priester fänden das Opfer, das ihr täglich hingestellt wurde, unberührt und verkündeten der Menge - Themistokles hatte ihnen die Worte eingegeben - die Göttin habe die Stadt verlassen und gehe ihnen voran auf dem Wege zum Meer. Auch rief er dem Volk, um es zu beeindrucken, den bekannten Orakelspruch wieder ins Gedächtnis, wobei er die Behauptung aufstellte, mit jener,hölzernen Mauer' sei nichts anderes gemeint als die Schiffe, und der Gott nenne die Insel Salamis die ,göttliche' und nicht etwa die ,schreckliche' oder ,unselige', weil sie einem großen, für die Griechen glücklichen Ereignis den Namen geben werde 1 . Als er mit seiner Auffassung endlich durchgedrungen war, trat er mit dem Antrag vor das Volk, die Athener sollten die Stadt ihrer Schutzherrin, der Göttin Athene, anheimstellen,

THEMISTOKLES

403

alle waffenfähigen Männer sollten die Schiffe besteigen und ein jeder seine Kinder, seine Gattin und die Sklaven in Sicherheit bringen, so gut er könne. Der Antrag wurde zum Beschluß erhoben, und so brachten die meisten Athener ihre Kinder und Frauen nachTroizen 1 , wo sie liebreich aufgenommen wurden. Die Bürger der Stadt beschlossen nämlich, den Unterhalt der Flüchtlinge auf die öffentliche Kasse zu übernehmen und jedem zwei Obolen im Tag zu bewilligen. Außerdem gestatteten sie den Kindern, sich Obst zu holen, wo sie nur wollten, und stellten sogar einige Lehrer für sie in Dienst. Verfasser dieses Antrags war Nikagoras. Da die Staatskasse der Athener zu jener Zeit leer war, ließ der Rat auf dem Areopag jedem Soldaten acht Drachmen auszahlen und trug so am meisten dazu bei, daß die Trieren vollständig bemannt werden konnten. So lautet der Bericht des Aristoteles. Nach Kleidemos'Darstellung 1 hingegen handelte es sich auch in diesem Falle um eine listige Machenschaft des Themistokles. Er erzählt nämlich, man habe im Augenblick, als die Athener in den Piräus hinunterziehen wollten, das Medusenhaupt am Standbild der Athene vermißt. Themistokles tat dergleichen, als suche er darnach, und wie er überall herumspürte, entdeckte er, unter altem Geräte versteckt, eine große Summe Geldes. Der Fund wurde unter die Schiffsmannschaften verteilt, und jeder Soldat hatte Zehrgeld genug. So fuhr die ganze Stadt aufs Meer hinaus, ein Anblick, der viele tieferschütterte und viele andere staunen ließ ob dem kühnen Mut der Athener, die ihre Familien andernorts unterbrachten und selber, ungerührt vom Jammer, von den Tränen und Umarmungen ihrer Eltern, nach Salamis übersetzten. Voller Mitleid dachte man an die Bürger, die wegen ihres hohen Alters in der Stadt zurückblieben. Und mit wehmütiger Rührung blickte man auf die zahmen Haustiere, die ihren Herren heulend und winselnd bis an die Schiffe nachliefen. So

404

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

geht die Erzählung, der Hund von Perildes' Vater Xanthippos habe es nicht ausgehalten, von seinem Herrn getrennt zu werden, und sei ins Wasser gesprungen, um neben der Triere herzuschwimmen. Er habe die Insel erreicht, sei aber vor Erschöpfung sogleich tot hingesunken. Noch heute zeigt man dort die Stelle, wo er begraben sein soll, das sogenannte ,Kynossema' I i . Auf solche Weise zeigte Themistokles seine Größe. Es entging ihm auch nicht, daß die Athener den Aristeides sehnlich zurückwünschten und überdies befürchteten, er werde sich in seiner Erbitterung den Persern in die Arme werfen und Griechenland zugrunde richten. (Aristeides war nämlich vor Ausbruch des Krieges auf Betreiben des Themistokles durch das Scherbengericht verbannt worden.) Darum stellte er den Antrag, die Rückkehr in die Heimat solle denen freistehen, welche nur für eine bestimmte Zeit verbannt worden waren, damit sie sich in den Reihen der übrigen Bürger mit Rat und Tat zum Wohle des Vaterlandes einsetzen könnten. Eurybiades, der wegen des Ansehens von Sparta das Kommando über die Flotte führte, hatte im Angesicht der Gefahr allen Mut verloren und wollte die Anker lichten, um sich nach dem Isthmos, wo das peloponnesische Landheer stand, zurückzuziehen. Themistokles leistete ihm nach Kräften Widerstand, wobei, wie es heißt, die folgenden denkwürdigen Worte gewechselt wurden. Eurybiades sagte: «Wenn die Wettkämpfer zu früh starten, Themistokles, so bekommen sie Stockhiebe.» «Das ist wahr», erwiderte Themistokles, «aber wenn sie hinten bleiben, erringen sie keinen Kranz.» Schon hob Eurybiades den Stock, um nach ihm zu schlagen, da rief Themistokles: «Schlag zu, aber höre mich auch an!» Betroffen ob so viel Kaltblütigkeit hieß ihn Eurybiades reden, und nun legte ihm Themistokles noch einmal seine Ansicht dar. Als darauf ein anderer einwarf, es stehe einem Heimatlosen übel an, Männer, die ihr Vaterland noch hätten, belehren zu wollen, sie

THEMISTOKLES

405

müßten es preisgeben und verlassen, herrschte ihn Themistokles an: «Ja, Nichtswürdiger, wir haben Haus und Stadt verlassen, da wir um lebloser Dinge willen nicht Sklaven werden wollten. Und doch besitzen wir immer noch die größte unter allen Griechenstädten, nämlich diese zweihundert Trieren, die zu eurer Rettung bereitstehen, sofern ihr euch durch sie wollt retten lassen. Wenn ihr aber abzieht und zum zweitenmal an uns zu Verrätern werdet, dann soll mancher Grieche gar bald erfahren, daß sich die Athener eine freie Stadt gewonnen haben und ein Land, das dem verlorenen nicht nachsteht.» Diese Worte stimmten den Eurybiades nun doch recht nachdenklich, und die Sorge kam über ihn, die Athener möchten sie im Stiche lassen und fortgehen. Jetzt versuchte auch der Eretrier, gegen Themistokles zu sprechen, allein dieser fertigte ihn kurz ab: «Was maßt ihr euch an, über den Krieg mitzureden, die ihr wie die Tintenfische wohl ein Schwert habt, aber kein Herz?'» 12. Während Themistokles auf dem Verdeck diese Unterredung führte, sah man, wie einige erzählen, eine Eule von der rechten Seite her durch die Schiffe hindurchfliegen und sich auf dem Takelwerk niederlassenJ. Jetzt drang seine Ansicht endgültig durch, und überall wurden die Vorbereitungen zur Seeschlacht getroffen. Allein, als nun die feindliche Flotte auf der Höhe von Phaleron vor der attischen Küste erschien und die Ufer ringsum hinter ihr verschwanden, als der König selber mit dem Landheer ans Gestade hinunterzog und so seine ganze riesige Streitmacht vor den Augen der Griechen vereinigte, da waren die Worte des Themistokles miteins vergessen, die Peloponnesier blickten aufs neue sehnsüchtig nach dem Isthmos hinüber und wiesen jede Äußerung, die ihnen zuwiderlief, gereizt zurück. Man beschloß, in der nächsten Nacht abzusegeln, und gab den Steuerleuten die entsprechenden Befehle.

406

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

Der Gedanke, die Griechen möchten ihre vorteilhafte Stellung in der Meerenge preisgeben und sich in ihre Städte zerstreuen, erfüllte Themistokles mit tiefer Sorge, und so ersann er eine List, die er mit Sikinnos' Hilfe ins Werk setzte. Sikinnos war ein persischer Kriegsgefangener, aber Themistokles treu ergeben und überdies der Erzieher seiner Kinder. Ihn schickte er also insgeheim zu Xerxes und ließ ihm sagen: «Themistokles, der Feldherr der Athener, hat sich auf die Seite des Perserkönigs geschlagen und beeilt sich, ihm zu melden, daß die Griechen fliehen wollen. Er gibt ihm den guten Rat, sie nicht entwischen zu lassen, sondern anzugreifen und ihre Flotte zu vernichten, solange die Trennung vom Landheer ihre Entschlußkraft lähmt.» Xerxes zweifelte nicht daran, daß die Botschaft ehrlich gemeint sei, und erteilte den Flottenkommandanten sogleich Befehl, die Schiffe in aller Stille bemannen, zweihundert aber unverzüglich auslaufen zu lassen, um die Durchfahrt auf beiden Seiten zu sperren und die Inseln einzuschließen, damit keiner der Feinde entrinnen könne. Der erste, welcher das persische Manöver bemerkte, war Aristeides, des Lysimachos Sohn 1 . Er eilte sogleich zum Zelt des Themistokles, obschon er mit ihm keineswegs auf gutem Fuße stand, war er doch, wie ich erzählt habe, auf sein Betreiben in die Verbannung geschickt worden. Als Themistokles aus dem Zelte trat, teilte er ihm mit, daß sie umzingelt seien. Themistokles kannte die lautere Gesinnung des Mannes und war hocherfreut über sein Kommen. Darum entdeckte er ihm, was er mit Sikinnos' Hilfe bewerkstelligt hatte, und bat ihn dringend um seine Unterstützung: In ihn hätten die Griechen weit größeres Vertrauen, er müsse ihnen Mut machen, die Schlacht in der Meerenge zu wagen. Aristeides, der das Vorgehen des Themistokles voll und ganz billigte, wandte sich sogleich an die Feldherren und Kommandanten der Trieren, um ihre Kampflust zu entflammen. Allein, sie schenkten auch

THEMISTOKLES

407

Schiff 1

ihm keinen Glauben, bis ein tenisches erschien - es war von Panaitios geführt und wollte zu den Griechen übergehen und die Meldung, daß sie eingekreist seien, bestätigte. Jetzt endlich, da die Not sie zwang, stürzten sich die Griechen voller Erbitterung in den Kampf. 13. Als der T a g anbrach, nahm Xerxes, um die Aufstellung der Flotte zu überwachen, seinen Sitz auf der Höhe über dem Heraklestempel, da, wo ein schmaler Sund Attika von der Insel Salamis trennt. So lautet der Bericht des Phanodemos*. Nach Akestodoros hingegen hatte sich der König seinen goldenen Thronsessel an der Grenze von Megara, über den sogenannten Hörnern, aufstellen lassen und eine große Zahl von Schreibern um sich versammelt, deren Aufgabe es war, das Kampfgeschehen aufzuzeichnen. Themistokles war beim Admiralsschiff mit dem Opfer beschäftigt. Da wurden drei Kriegsgefangene vor ihn geführt. Sie waren von großer Schönheit und mit Gold und prächtigen Kleidern geschmückt. Man sagte, sie seien Söhne der Sandake, der Schwester des Königs, und des Artayktes. Im Augenblick, da sie dem Seher Euphrantides vor die Augen traten, schlug groß und leuchtend die Flamme aus dem Opferfeuer empor, und gleichzeitig ließ sich von der rechten Seite ein Niesen hören. Auf dieses Zeichen hin faßte der Seher Themistokles an der Hand und forderte ihn auf, die Jünglinge zum Opfer zu weihen und alle drei unter Gebeten dem Dionysos Omestes 3 darzubringen: auf solche Weise werde Griechenland Rettung und Sieg erlangen. Themistokles erschrak über das furchtbare Seherwort, das Volk aber rief wie aus einem Munde die Gottheit an, führte die Gefangenen zum Altar und setzte die Opferung durch, wie der Wahrsager sie befohlen hatte. Denn es ist ja gewöhnlich so, daß die Menge in schweren Kämpfen und gefahrdrohender Lage das Heil lieber von seltsam-abenteuerlichen als von natürlichen und vernünftigen Maßnahmen er-

408

THEMISTOKLES UND C A M I L L U S

hofft. Diese Episode ist uns von Phanias von Lesbos, einem gelehrten, in der Geschichte wohlbewanderten Manne, überliefert. 14. Über die Zahl der Perserschiffe äußert sich der Dichter Aischylos in seiner Tragödie ,Die Perser' 1 mit der Bestimmtheit eines Mannes, der die Sache genau kennt: «Doch Xerxes hatte - denn ich weiß es - eine Macht In See von tausend Kielen, und schnellsegelnde Dazu zweihundert noch und sieben. So die Zahl.» Die Athener verfugten über hundertundachtzig Schiffe. Ein jedes hatte achtzehn Mann an Bord, die vom Verdeck herab kämpften; vier davon waren Bogenschützen, die übrigen Hopliten. Man steht unter dem Eindruck, Themistokles habe den Zeitpunkt der Schlacht mit nicht weniger Scharfsicht und Klugheit gewählt als den Ort. Denn er stellte seine Trieren den Perserschiffen erst zum Kampfe entgegen, als die Stunde gekommen war, da eine frische Brise wie gewöhnlich die Wellen von der offenen See her in den Sund hineintrieb. Für die griechischen Schiffe war dies kein Nachteil, da sie flach und niedrig gebaut waren. Die Perserschiffe hingegen, welche mit hochragendem Heck und Verdeck schwerfällig heranfuhren, wurden vom Winde abgedreht und schief vor die Griechen hingetrieben. Diese griffen scharfan, wobei sie genau auf Themistokles achteten, weil sie darauf vertrauten, daß er im richtigen Augenblick die richtige Maßnahme zu treffen wisse. Darum wählte ihn auch Ariamenes, der Admiral des Xerxes, zum Gegner und schleuderte von seinem hohen Schiff wie von einer Mauer herab Pfeile und Wurfspieße gegen ihn; denn er war ein tapferer Mann, der tüchtigste und rechtschaffenste von den Brüdern des Königs. Ihm traten Ameinias von Dekeleia und Sokles von Paiania 1 , die auf dem gleichen Schiffe dien-

THEMISTOKLES

409

ten, mutig entgegen. Denn ihre Schiffe stießen Bug gegen Bug zusammen, und als sie sich mit den eisernen Schnäbeln fest ineinander verbissen hatten, sprang Ariamenes auf ihre Triere hinüber. Da trafen sie ihn mit den Spießen und stürzten ihn ins Meer hinunter. Sein Leichnam, der unter den Schiffstrümmern herumtrieb, wurde von Artemisia1 erkannt und zu Xerxes gebracht. i $. So stand es in der Schlacht, als von Eleusis her, wie erzählt wird, ein helles Licht herüberleuchtete, während brausender Jubelruf die thriasische Ebene 1 bis hinunter ans Meer erfüllte, als ob eine große Menschenmenge den Iakchos3 zur Mysterienfeier nach Eleusis geleite. Dann schien es, als schwebe aus der rufenden Menge langsam eine Wolke in die Höhe, die sich nach dem Meere hinzog und auf die Trieren hinabsenkte. Andere glaubten, geisterhafte Erscheinungen bewaffneter Männer zu sehen, welche von Aigina her ihre Hände emporhielten, um die griechische Flotte zu schirmen. Man vermutete, es seien die Aiakiden 4, denn vor der Schlacht hatten die Griechen zu ihnen gebetet und ihre Hilfe erfleht. Als erster eroberte Lykomedes aus Athen, Kommandant einer Triere, ein Schiff. Er ließ ihm später die Abzeichen abschlagen und weihte sie dem lorbeerbekränzten Apollon zu Phlya. Die Ferser, deren zahlenmäßige Überlegenheit im engen Sunde nicht zur Geltung kam, konnten nur einzeln zum Angriff vorgehen und brachten einander gegenseitig in Verwirrung. So wurden sie, obschon sie bis zum Abend Widerstand leisteten, von den Griechen geschlagen, und diese erfochten, wie Simonides sagt 5, jenen herrlichen, vielbesungenen Sieg, einen Sieg zur See, wie ihn strahlender weder Griechen noch Barbaren je errungen haben. Sie verdankten ihn der Tapferkeit und dem freudigen Einsatz der Soldaten, aber ebensosehr der Klugheit und dem durchdringenden Verstand des Themistokles.

410

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

16. Nach der Schlacht versuchte Xerxes, der sich mit der Niederlage nicht abfinden konnte, den Sund zuschütten zu lassen und so sein Landheer gegen die Griechen auf Salamis zu werfen. Da machte Themistokles, um Aristeides zu versuchen, zum Schein den Vorschlag 1 , die Griechen sollten nach dem Hellespont segeln, dort die Schiffbrücke zerstören und auf diese Weise, wie er sagte,, Asien in Europa gefangen setzen*. Aufgebracht gab ihm Aristeides zur Antwort: «Der Gegner, den wir bis jetzt zu bekämpfen hatten, war ein in Üppigkeit verweichlichter Barbar. Dieser Barbar jedoch verfugt immer noch über ein gewaltiges Heer. Wenn wir ihn in Grie-chenland einschließen, wenn wir ihn in Angst und verzweifelte Gegenwehr hineintreiben, wird er nicht mehr unter goldenem Baldachin gemächlich dem Kampfe zuschauen, nein, er wird das Äußerste wagen, er wird, um der Gefahr zu trotzen, überall selber zugegen sein, die begangenen Fehler gutmachen und im Kampf um Sein oder Nichtsein bessere Entschlüsse fassen. So haben wir keinen Grund, Themistokles, die bestehende Brücke einzureißen, im Gegenteil, wir sollten womöglich eine zweite bauen, um den Menschen schleunigst aus Europa hinauszuschaffen.» «Wenn wir darin unsere Rettung sehen », erwiderte Themistokles», so ist es an der Zeit, Ausschau zu halten und Möglichkeiten zu ersinnen, daß er Griechenland auf dem schnellsten Wege verlasse.» Der Plan fand Zustimmung, worauf Themistokles einen der königlichen Eunuchen - er hieß Arnakes und war in der Schlacht gefangen worden - mit der Meldung zu Xerxes schickte, die Griechen hätten nach ihrem Flottensiege beschlossen, in den Hellespont zu segeln, um die Schiffbrücke zu zerstören. Er, Themistokles, sei in Sorge um den König. Er gebe ihm den Rat, in seine Gewässer zurückzukehren und nach Asien überzusetzen, während er selber die Verbündeten hinhalten und die Verfolgung verzögern wolle. Als Xerxes

THEMISTOKLES

411

diese Botschaft vernahm, war er derart bestürzt, daß er in alier Eile den Rückzug antrat. Des Themistokles und Aristeides kluge Vorsicht bewährte sich im Kampf gegen Mardonios; denn als die Griechen bei Plataiai zum entscheidenden Kampf um ihre Existenz antraten, hatten sie es nur noch mit dem kleinsten Teile von Xerxes' Streitmacht zu tun. 17. Unter den griechischen Städten hatte sich, wie Herodot berichtet 1 , Aigina am meisten ausgezeichnet, den Ehrenpreis aber sprachen alle, wenn auch in ihrer Eifersucht ungern genug, dem Themistokles zu. Denn als sich die Feldherren auf dem Isthmos einfanden und am Altar zur Abstimmung schritten, bezeichnete ein jeder sich selbst als den tapfersten, an zweiter Stelle aber nannten alle den Themistokles. Von den Lakedaimoniern wurde er gar nach Sparta geführt, w o man Eurybiades für seine Tapferkeit, ihn für seine Weisheit mit einem Kranz von Ölzweigen ehrte. Auch schenkten sie ihm den schönsten Wagen, den sie in ihrer Stadt hatten, und gaben ihm ein Geleit von dreihundert jungen Männern bis zur Grenze mit. Als er bei den nächsten olympischen Spielen das Stadion betrat, schenkten die Zuschauer den Wettkämpfen überhaupt keine Beachtung mehr, sondern sahen den ganzen T a g nur auf ihn, zeigten ihn den Freunden und jubelten ihm händeklatschend zu. Da soll er seinen Freunden voller Freude gestanden haben, er ernte jetzt die Früchte für seine Arbeit und Mühe um Griechenland. 18. Denn brennender Ehrgeiz verzehrte den Themistokles, sofern man aus den Anekdoten, die über ihn im Umlauf sind, einen Schluß ziehen darf. Als ihn die Vaterstadt zum Flottenkommandanten gewählt hatte, erledigte er weder seine privaten noch die öffentlichen Geschäfte mehr einzeln und der Reihe nach, sondern schob alles auf bis zu dem T a g , auf den die Abfahrt festgesetzt war. Dadurch nämlich, daß er so viele Ge-

412

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

Schäfte auf einmal besorgte und die Leute bei ihm ständig kamen und gingen, sollte der Eindruck entstehen, er sei ein wichtiger Mann von weitreichendem Einfluß. Und als er einmal die Leichen betrachtete, die das Meer ans Ufer gespült hatte, und die goldenen Armspangen und Halsketten an ihnen sah, ging er gleichgültig weiter, den Freund aber, der ihn begleitete, machte er darauf aufmerksam mit den Worten: «Nimm's für dich, du bist ja kein Themistokles!» Zu dem schönen Jüngling Antiphates, der ihn früher hochmütig abgewiesen hatte, jetzt aber, da er berühmt geworden, seine Gunst mit Eifer suchte, sagte er: «Mein guter Junge, es hat zwar etwas lange gedauert, aber schließlich sind wir doch beide zur Vernunft gekommen.» Er pflegte sich auch darüber zu beklagen, daß er von den Athenern weder geehrt noch bewundert werde: Für sie sei er nichts weiter als ein Platanenbaum, unter dem sie sich im Wettersturm zusammendrängten, um ihm, wenn der Himmel wieder heiter sei, Blätter und Zweige abzureißen. Als ihm ein Seriphier1 vorwarf, er habe seinen Ruhm gar nicht sich selber, sondern nur seiner Vaterstadt zu verdanken, gab er zur Antwort: «Du hast recht. Als Seriphier wäre ich gewiß nicht berühmt geworden, du aber ebensowenig als Athener.» Einer von seinen Mitfeldherren war tief davon durchdrungen, dem Vaterland große Dienste erwiesen zu haben. Er trumpfte damit vor Themistokles auf und stellte Vergleiche an zwischen seinen eigenen und Themistokles' Taten. Da erzählte dieser folgende Geschichte: «Der Nachtag des Festes stritt sich einst mit dem Festtag herum und hielt ihm vor, jener lasse den Leuten weder Ruhe noch Rast, während er selber ihnen erlaube, in aller Gemächlichkeit das Vorbereitete zu genießen. Darauf antwortete der Festtag: ,Du sprichst die Wahrheit. Aber du wärest nicht, wenn ich nicht wäre.' Und

THEMISTOKLES

413

wenn ich damals nicht gewesen wäre», fuhr Themistokles fort, «wo wäret ihr jetzt?» Von seinem Sohn, der die Mutter und durch sie auch ihn tyrannisierte, pflegte er scherzend zu sagen, er sei der mächtigste aller Griechen. Die Griechen nämlich würden beherrscht von den Athenern, die Athener von ihm, er von seiner Frau und diese von ihrem Sohn. Da er immer und überall originell sein wollte, ließ er beim Verkauf eines Grundstücks ausrufen, es habe auch einen guten Nachbar. Als zwei Freier um die Hand seiner Tochter anhielten, von denen der eine rechtschaffen, der andere reich war, wählte er den ersteren mit der Begründung, er suche lieber einen Mann, der Geld, als Geld, das einen Mann nötig habe. Solcherart waren seine Aussprüche. 19. Unmittelbar nach dem großen Sieg machte er sich daran, die Stadt Athen wieder aufzubauen und zu befestigen. Dabei erkaufte er sich, wie Theopomp e r z ä h l t d i e Zustimmung der spartanischen Ephoren um Geld. Nach den meisten Quellen jedoch hinterging er sie durch eine List. Er kam nämlich unter dem Titel eines Gesandten nach Sparta, und als man ihm hier Vorwürfe machte, daß die Athener ihre Stadt wieder befestigten, als Polyarchos eigens aus Aigina herübcrgeschickt wurde, um Klage zu fuhren, leugnete er die Sache rundweg ab, ja er forderte die Spartaner auf, Gesandte nach Athen zu schicken und die Verhältnisse zu prüfen. Auf diese Weise zögerte er die Verhandlungen hinaus und gewann Zeit für den Mauerbau. Aber er verfolgte noch einen andern Zweck: er wollte die Gesandten in die Hände der Athener spielen, damit sie für seine eigene Sicherheit bürgten. Was er beabsichtigt hatte, geschah. Als die Spartaner die Wahrheit erfuhren, wagten sie gleichwohl nicht, sich an ihm zu vergreifen, sondern ließen ihn, ihren Zorn verbeißend, unbehelligt ziehen. Nun baute er den Piraeus aus, denn er hatte erkannt, wie

414

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

günstig seine Häfen gelegen waren, und schuf Athen zu einer wirklichen Seestadt um. Allerdings setzte er sich dadurch in Gegensatz zu den Bestrebungen der alten attischen Könige. Diese hatten nämlich darauf hingearbeitet, die Bürger vom Meere wegzuziehen und daran zu gewöhnen, unter Verzicht auf die Seefahrt das Land zu bebauen. Zu diesem Ende erfanden sie auch die Fabel, Poseidon und Athene hätten sich um den Besitz des attischen Landes gestritten, Athene aber habe den Sieg davongetragen, als sie den Richtern den Ölbaum zeigte. Themistokles hat aber nicht, wie Aristophanes in einer seiner Komödien1 sagt, den Piraeus in die Stadt eingeknetet, er hat vielmehr die Stadt an den Hafen, das Land ans Meer geknüpft. Er stärkte dadurch auch den Einfluß des Volkes gegenüber der Aristokratie und pflanzte ihm ein stolzes Selbstgefühl ein, da nun Matrosen, Rudermeister und Steuerleute die Macht in die Hände bekamen. Aus diesem Grund haben in späterer Zeit die dreißig Tyrannen die Rednerbühne auf der Pnyx 1 , welche so angebracht war, daß die Redner aufs Meer hinaussahen, dem Lande zugedreht. Denn sie waren überzeugt, daß die Demokratie aus der Herrschaft zur See hervorgegangen sei und daß sich ein Volk von Ackerbauern viel leichter mit einem oligarchischen Regiment abfinden werde. 20. Themistokles aber gedachte noch Größeres zu tun, um die attische Seemacht zu stärken 3. Als Xerxes abgezogen und die griechische Flotte nach Pagasai gesegelt war, wo sie überwinterte, verkündete er in Athen vor versammeltem Volk, er trage ein Unternehmen im Sinn, das ihnen Heil und Nutzen bringen werde, das er aber vor der Menge nicht enthüllen könne. Da forderten ihn die Athener auf, er solle den Aristeides als einzigen ins Vertrauen ziehen und seinen Plan durchfuhren, wenn jener ihn gutheiße. Themistokles teilte nun dem Aristeides mit, er habe vor, das Schiflslager der Griechen in Brand zu stecken, worauf dieser vor das Volk trat und erklär-

THEMISTOKLES

415

te, es gebe nichts Vorteilhafteres, aber auch nichts Ungerechteres als das von Themistokles vorgeschlagene Unternehmen. Daraufhin entschieden die Athener, Themistokles solle seinen Plan fallen lassen. Als die Spartaner im Rate der Amphiktyonen 1 den Antrag stellten, es seien alle Städte, welche im Kampf gegen die Perser abseits gestanden, aus der Amphiktyonie auszustoßen, bekam Themistokles Angst, Sparta werde nach dem Ausschluß der Thessaler, Argiver und gar der Thebaner in den Abstimmungen das Übergewicht erhalten und die Beschlüsse nach seinem Willen lenken. Er legte darum ein Wort fiir die Städte ein und vermochte die Pylagoren tatsächlich umzustimmen, indem er ihnen vorrechnete, daß nur einunddreißig Städte am Krieg teilgenommen hätten, von denen die meisten erst noch ganz unbedeutend seien. Es wäre schlimm und gefährlich, wenn der Bund nur noch auf den zwei oder drei größten Staaten beruhen würde, während das ganze übrige Griechenland ausgeschlossen bliebe. Diese Stellungnahme verziehen ihm die Spartaner nicht. Aus Rache unterstützten sie nun den Kimon und machten ihn zu Themistokles' politischem Gegenspieler. 21. Bei den Bundesgenossen war er ebensowenig beliebt, da er von Insel zu Insel fuhr und Geld von ihnen eintrieb. Herodoterzählt 2 , wie es zuging, als er seine Forderung bei den Andriern geltend machte. «Ich komme zu euch», sagte Themistokles, «und bringe zwei mächtige Gottheiten mit, die Überredung und die Gewalt.» «Auch wir», gaben die Andrier zur Antwort, «haben zwei starke Götter an unserer Seite, die Armut und die Not. Und diese halten uns ab, dir Geld zu geben.» Der Dichter Timokreon von Rhodos 3 greift Themistokles in einem seiner Lieder mit bitteren Worten an: um Geld habe er andern Verbannten die Rückkehr in die Heimat erwirkt, und gleichfalls um Geld habe er ihn, seinen vertrauten Freund, verraten. Die Stelle lautet:

416

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

«Du magst den Pausanias rühmen, den Xanthippos oder Ich aber preise den Aristeides, [Leutychidas, Den besten Mann, der je vom heiligen Athen gekommen. Doch Themistokles ist verfolgt von Latos Haß, Der Lügner und schändlichc Verräter, Der seinen Gastfreund Timokreon Nicht in sein Vaterland Ialysos zurückführte, Weil schnödes Geld ihn betörte. Drei Silbertalente steckte er ein, dann fuhr er davon ins Verderben. Die einen führte er heim wider Recht und Gesetz, Den andern raubte er Heimat und Leben. Sein Geldsack aber war prall gefüllt, Und am Isthmos hielt er offene Tafel Und deckte den Tisch, es war zum Lachen, mit kaltem Fleisch. Man tat sich gütlich und wünschte dabei Dem Spender Tod und Verderben.» Als Themistokles verurteilt und verbannt worden war, fiel Timokreon mit noch ärgeren Schmähungen über ihn her in einem Lied, dessen Eingangsworte lauten: «Muse, dieses Liedes Klang Laß durch Griechenland erschallen, Wie es recht ist und sich ziemt...» Es heißt, Timokreon habe wegen seiner perserfreundlichen Gesinnung in die Verbannung gehen müssen, und Themistokles habe seine Stimme dafür abgegeben. Wie dieser nun des gleichen Vergehens beschuldigt wurde, schrieb Timokreon die Verse gegen ihn: « Timokieon steht nicht allein im Bunde mit den Persern, Der Schelme gibt's noch mehr. Ich war der einz'gc Fuchs? O Es gibt noch andre Füchse ...» [nein!

THEM1STOKLES

417

22. Der Neid hatte die Athener schon so weit gebracht, daß sie derartigen Verleumdungen nur zu gerne Gehör schenkten. Dies wiederum nötigte den Themistokles, das Volk fortwährend an seine Verdienste zu erinnern - und ihm dadurch erst recht lästig zu werden. Wenn dann die Bürger ihrem Arger Luft machten, sagte er: «Wie? Ihr werdet es müde, von demselben Mann des öftern Gutes zu erfahren?» Er kränkte das Volk auch mit dem Tempel, den er der Artemis erbaute, denn er gab ihr den Beinamen Aristobule, als wollte er damit sagen, er habe Athen und Griechenland den besten Rat gegeben. Dieses Heiligtum stand in der Nähe seines Hauses in M e l i t e w o die Henker heutzutage die Leichen der Gerichteten hinwerfen und die Kleider und Stricke derer hinbringen, die sich erhängt oder sonstwie entleibt haben. Noch zu meiner Zeit befand sich im Tempel der Aristobule ein kleines Standbild des Themistokles, welches erkennen läßt, daß er nicht nur den Geist, sondern auch die Züge eines Helden besaß. Schließlich wandten die Athener das Scherbengericht auch gegen ihn und stürzten ihn von seiner angesehenen, alles überragenden Stellung hinunter, wie sie es mit allen zu tun pflegten, deren Macht ihrer Meinung nach allzu schwer auf der Stadt lastete und in keinem Verhältnis mehr stand zur demokratischen Gleichheit. Die Verbannung durch das Scherbengericht war ja nicht eine Strafe, sie diente vielmehr dazu, den Neid der Bürger zu beschwichtigen und ihm Erleichterung zu schaffen; denn es ist die Lust des Neides, große Männer herunterzureißen und seinen Haß dadurch zu kühlen, daß er sie ihrer Ehre beraubt. 23. So wurde Themistokles aus Athen verwiesen. Während er sich in Argos aufhielt, ereignete sich die Geschichte mit Pausanias, welche seinen Feinden Gelegenheit bot, auch gegen ihn vorzugehen. Leobotes, der Sohn des Alkmaion aus Agryle

418

THEMISTOKLES UND C A M I L L U S

klagte ihn des Landesverrates an, und die Spartaner erhoben die gleiche Beschuldigung. Denn anfänglich hatte Pausanias sein hochverräterisches Treiben vor Themistokles geheimgehalten, obwohl er mit ihm befreundet war. Als er aber sah, wie schwer sich Themistokles mit seinem Sturz abfand, bekam er Mut, sich an ihn zu wenden mit dem Vorschlag, sie sollten gemeinsame Sache machen. Er zeigte ihm Briefe des Perserkönigs und schürte seinen Haß gegen die Griechen, die sich so niederträchtig und undankbar gezeigt hätten. Themistokles wies zwar Pausanias' Ansinnen von sich und wollte nichts wissen von einer Teilnahme am Verrat, doch ließ er keinem Menschen gegenüber ein Wort von der Sache verlauten und bewahrte völliges Stillschweigen, weil er annahm, Pausanias werde sein Vorhaben aufgeben oder sonstwie entdeckt werden, da er sich so kopflos in ein widersinniges und tollkühnes Abenteuer gestürzt hatte. So kam es, daß nach Pausanias gewaltsamem Ende Briefe und Schriftstücke gefunden wurden, welche Themistokles schwer belasteten. Die Spartaner schlugen sogleich gewaltigen Lärm, und seine Neider in Athen erhoben förmliche Klage, gegen die er sich, als ein Landesverwiesener, nur schriftlich verteidigen konnte. Zu seiner Rechtfertigung wies er vor allem darauf hin, was man ihm früher vorgeworfen: seine Gegner hätten ihn bei den Athenern in Verruf gebracht mit der Behauptung, er strebe unablässig darnach, der erste zu sein und sei weder geschaffen noch gewillt, einen Herrn über sich zu dulden. Wie wäre es da möglich, daß er Griechenland und sich selber an die Barbaren, an den Landesfeind, verkauft hätte? Das Volk schenkte seinen Anklägern trotz alledem Gehör und schickte Häscher aus mit dem Befehl, ihn festzunehmen und zurückzubringen, damit er in Griechenland gerichtet werde. 24. Themistokles wurde noch rechtzeitig gewarnt und setzte nach Kerkyra über, weil er der Stadt einmal einen guten

THEMISTOKLES

419

Dienst geleistet hatte. Er war nämlich Schiedsrichter gewesen in einem Konflikt zwischen Kerkyra und Korinth 1 und hatte die Streitfrage dahin entschieden, daß die Korinther zwanzig Talente bezahlen und sich mit den Kerkyräern in den Besitz von Leukas, welches von beiden Städten gemeinsam besiedelt worden war, teilen sollten. Von dort entwich er nach Epirus. Da sich aber die Athener und Spartaner ständig an seine Fersen hefteten, stürzte er sich schließlich einer ganz verzweifelten Hoffnung in die Arme: er suchte Zuflucht bei Admetos, dem König der Molosser. Admetos hatte sich einst mit einem Anliegen an die Athener gewandt, war aber von Themistokles, der sich zu jener Zeit noch des höchsten Ansehens erfreute, schnöde abgefertigt worden. Seither grollte er ihm, und es konnte gar kein Zweifel bestehen, daß er sich bei der ersten Gelegenheit rächen würde. Allein, so wie die Dinge jetzt lagen, fürchtete Themistokles den frischen Haß seiner Landsleute mehr als den verjährten Zorn des Königs; er zögerte nicht, sich ihm auszuliefern und bei Admetos, freilich in eigentümlicher und ungewöhnlicher Weise, Schutz zu suchen: Er nahm des Königs kleinen Sohn in die Arme und fiel mit ihm am Herd des Hauses nieder. Diese Form der Bitte gilt den Molossern als besonders heilig, und sie wagen es kaum, dem Flehenden mit einem ,Nein' entgegenzutreten. Nach einigen Berichten hatte Phthia, des Königs Gemahlin, Themistokles auf den Gedanken gebracht, seine Bitte in dieser Weise vorzutragen, und ihren Sohn zu ihm auf den Herd gesetzt. Andere wieder erzählen, Admetos habe diese Bittszene selber vorbereitet und mit Themistokles zusammen aufgeführt, damit er den Verfolgern gegenüber religiöse Bedenken vorschützen könne, die ihm eine Auslieferung unmöglich machten. Übrigens brachte ihm Epikrates aus Acharnai Frau und Kinder hieher, nachdem er sie heimlich aus Athen weggeführt hatte. Um dieser Tat willen machte ihm Kimon später den

420

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

Prozeß und ließ ihn hinrichten. So lautet der Bericht des Stesimbrotos. In der Folge scheint sich dieser Historiker allerdings seiner eigenen Angaben nicht mehr zu erinnern, es sei denn, er mute dem Themistokles zu, seine Familie vergessen zu haben. Er behauptet nämlich, Themistokles sei nach Sizilien gefahren und habe den Tyrannen Hieron1 um die Hand seiner Tochter gebeten gegen das Versprechen, ihn zum Herrn über Griechenland zu machen. Hierons Absage habe ihn dann bewogen, nach Asien zu gehen. 25. Daß sich dies so zugetragen, widerspricht aller Wahrscheinlichkeit. Theophrast* erzählt nämlich in seiner Schrift ,Vom Königtum' folgende Geschichte: Als Hieron Rennpferde nach Olympia entsandte und daselbst ein kostbar geschmücktes Zelt aufschlagen ließ, tat Themistokles vor den Griechen die Äußerung, man sollte das Zelt des Tyrannen in Stücke reißen und seine Pferde vom Wettkampf ausschließen. Im Gegensatz dazu berichtet Thukydides 3, Themistokles habe sich nach dem Ägäischen Meer hinüber begeben und sei in Pydna zu Schiff gegangen, ohne daß einer der Mitreisenden eine Ahnung gehabt hätte, wer er sei. Unterwegs aber erhob sich ein Sturm und trieb das Fahrzeug gegen Thasos, das eben zu jener Zeit von den Athenern belagert wurde. Angesichts der drohenden Gefahr gab er sich dem Schiffspatron und dem Steuermann zu erkennen und bestürmte sie mit Bitten und Drohungen. Er werde, sprach er, vor den Athenern die falsche Anklage gegen sie erheben, sie hätten ihn wohl erkannt, aber um eine gute Summe Geldes gleichwohl an Bord genommen. Damit zwang er sie, an Thasos vorbeizufahren und die Küste Kleinasiens anzusteuern. Ein großer Teil seines Vermögens wurde von seinen Freunden heimlich beiseite gebracht und nach Asien hinübergeschafft. Was entdeckt wurde, beschlagnahmte der Staat. Es handelte sich nach Theopomp um hundert, nach Theophrast

THEMISTOKLES

421

um achtzig Talente. Dabei hatte Themistokles am Anfang seiner politischen Laufbahn kaum drei Talente besessen! 26. Bei seiner Ankunft in Kyme 1 erfuhr er, daß ihm viele Leute an der Küste auflauerten, um seiner habhaft zu werden, insbesondere Ergoteles und Pythodoros. Für skrupellose Gewinnjäger stellte er nämlich eine lohnende Beute dar, da der Perserkönig zweihundert Talente auf seinen Kopf gesetzt hatte. So floh er weiter nach Aigai, einem äolischen Städtchen, wo ihn außer seinem Gastfreund Nikogenes kein Mensch kannte. Nikogenes war der reichste Mann in Äolien und besaß gute Verbindungen zu den persischen Großen. Themistokles hielt sich ein paar Tage bei ihm verborgen, bis eines Abends nach einem Opfermahl Olbios, der Erzieher des Nikogenes, in Verzückung geriet und in der Ekstase ausrief: «Überlaß der Nacht die Stimme, überlaß ihr Rat und Sieg!» Als sich Themistokles bald darauf zum Schlaf niederlegte, sah er einen Traum: Eine Schlange ringelte sich ihm um den Leib und kroch zu seinem Hals empor. Als sie sein Gesicht berührte, verwandelte sie sich plötzlich in einen Adler, der die Schwingen um ihn breitete und ihn hoch in den Lüften weit hinwegtrug. Dann erschien ein goldener Heroldstab, auf diesen stellte ihn der Adler fest und sicher hin - und die lähmende, wirre Angst war miteins von ihm genommen. Nikogenes machte es ihm möglich, ins Landesinnere zu gelangen, und zwar durch folgende List: Gemeinhin sind die Barbarenvölker auf ihre Frauen maßlos eifersüchtig, und die Perser tun es darin allen noch zuvor. Nicht nur ihre Ehefrauen, nein, auch die Sklavinnen und Kebsweiber werden streng bewacht, und kein fremdes Auge darf sie sehen. Sie leben eingeschlossen in ihren Gemächern, und wenn sie reisen müssen, fahren sie in Wagen, die auf allen Seiten mit Tüchern dicht verhängt sind. Einen solchen Wagen ließ Nikogenes zurüsten,

422

THEMISTOKLES UND C A M I L L U S

so daß Thcmistokles in aller Verborgenheit reisen konnte. Und wenn unterwegs jemand nach den Insassen des Gefährtes fragte, gaben seine Begleiter zur Antwort, sie müßten eine Griechin aus Ionien zu einem der Großen am persischen Hofe fuhren. 27. Nach der Darstellung des Thukydides und des Charon von Lampsakos war Xerxes damals schon tot, und Themistokles wurde von seinem Sohn in Audienz empfangen. Ephoros, Deinon, Kleitarchos, Herakleides und andere behaupten dagegen, er sei mit Xerxes selber zusammengetroffen 1 . Die Annahme des Thukydides scheint sich mit der Chronologie besser zu decken, wiewohl auch diese nicht über allen Zweifel erhaben ist. Nun war fiir Thcmistokles die Stunde der Entscheidung gekommen. Er wandte sich zunächst an den Chiliarchen Artabanos und sagte zu ihm: «Ich bin ein Grieche und möchte mit dem König über Angelegenheiten sprechen, die von höchster Bedeutung sind und an denen er selber das allergrößte Interesse hat.» Artabanos erwiderte: «Sitten und Gebräuche, lieber Fremdling, ändern sich von Volk zu Volk. In den Augen der einen ist recht und gut, was die andern verwerflich finden. Eines aber ist für alle recht und gut: die eigene Art hochzuhalten und zu bewahren. Von euch Griechen geht die Rede, daß ihr Freiheit und Gleichheit über alles schätzt, bei uns aber ragt über viele treffliche Gesetze dieses als das schönste hervor : den König zu verehren und vor ihm niederzufallen als dem Abbilde Gottes, der alles schützt und erhält. Wenn du dich unserer Sitte fügst und den Kniefall tust, wirst du dein Anliegen vor dem Angesicht des Königs vortragen können. Sträubst du dich aber dagegen, so mußt du durch Unterhändler mit ihm verkehren. Denn das Herkommen verwehrt es dem König der Perser, einem Manne Gehör zu schenken, der sich nicht vor ihm niedergeworfen hat.» Themistokles gab ihm zur Antwort:

THEMISTOKLES

423

«Ich bin gekommen, des Königs Ruhm und Macht zu mehren. Ich werde mich euren Sitten fügen, da es dem Gott, der die Perser erhöhen will, also gefällt, ja ich werde ein weiteres tun. Durch mich wird es geschehen, daß in Zukunft mehr Menschen als heute vor dem König in den Staub fallen werden. Darum soll euer Brauch der Unterredung, die ich begehre, nicht im Wege stehen.» «So sage mir denn», fuhr Artabanos fort, «wen wir dem König melden sollen. Denn deine Klugheit verrät, daß du kein gewöhnlicher Mann bist.» Darauf erwiderte Themistokles: «Ehe der König es weiß, wird niemand erfahren, wer ich bin.» So lautet der Bericht des Phanias. Eratosthenes 1 fügt in seiner Schrift ,Über den Reichtum' hinzu, Themistokles habe die Zusammenkunft mit Artabanos durch Vermittlung einer Frau aus Eretria, die bei ihm lebte, erwirkt. 28. Nun wurde Themistokles vor den König geführt. Er tat den Fußfall und blieb dann schweigend stehen, bis der Herrscher durch den Dolmetscher die Frage an ihn richtete, wer er sei. Darauf sagte er: «König, ich bin Themistokles aus Athen und komme zu dir, weil ich verbannt, von den Griechen gehetzt bin. Den Persern habe ich viel Böses getan, noch viel mehr aber Gutes, denn ich verhinderte die Verfolgung, sobald Griechenland gesichert, die Heimat gerettet war und nichts mehr im Wege stand, auch euch einen Dienst zu erweisen. Mein Schicksal lehrt mich, auf alles gefaßt zu sein, und ich bin gekommen, die Gnade eines Königs zu empfangen, der sich versöhnt und huldvoll zu mir neigt, oder seinen Groll zu besänftigen, wenn er noch nicht erloschen ist. Laß dir von meinen Feinden bezeugen, was ich den Persern Gutes getan, benutze mein Unglück nicht, um deinen Zorn zu stillen, sondern um deinen Edelmut leuchten zu lassen. So wirst du einen Menschen am Leben erhalten, der bei dir Schutz und Hilfe sucht; wenn du mich aber umbringen willst, dann stirbt ein Mann, der ein Feind der Griechen geworden ist.» Diese Worte be-

424

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

kräftigte Themistoklcs durch die Götterzeichen, die ihm geworden : den Traum im Hause des Nikogenes und das Orakel des Zeus von Dodona 1 . Dort habe er nämlich den Befehl erhalten, zum Namensbruder des Gottes zu gehen, und aus dem Spruch geschlossen, daß er sich zum König der Perser begeben müsse; denn ihm sei, nicht anders als dem Gotte, Titel und Würde des höchsten Königs verliehen. Der König bewunderte die Klugheit und den Mut des Themistokles, entließ ihn aber, ohne ihm eine Antwort zu geben. Den Vertrauten indes verhehlte er seine Freude nicht und gestand ihnen', daß ihm ein großes Glück widerfahren sei. Auch hörte man aus seinem Munde das Gebet, Areimanios 1 möge seinen Feinden stetsfort den Verstand verwirren, auf daß sie ihre besten Leute aus dem Lande jagten. Nach einem Dankopfer an die Götter veranstaltete er ein großes Festgelage, und des Nachts soll er mitten im Schlaf dreimal voller Freude gerufen haben:« Der Athener Themistokles ist in meiner Hand!» 29. Am andern T a g rief der König in aller Frühe den Rat seiner Vertrauten zusammen und ließ dann Themistokles vor sich kommen. Dieser machte sich auf das Schlimmste gefaßt, als er bemerkte, wie die Höflinge, sobald sie seinen Namen erfuhren, haßerfüllte Schmähungen gegen ihn ausstießen. Ja als er am Chiliarchen Roxanes vorbeiging, hörte er diesen - der König hatte schon Platz genommen, und tiefe Stille herrschte im Saale - mit einem unterdrückten Seufzer sagen: «Du schillernde griechische Schlange, des Königs guter Geist hat dich hierher geführt!» Wie er indes vor den Thron trat und sich niederwarf, redete ihn der König gnädig und keineswegs unfreundlich an und sagte, er sei ihm zweihundert Talente schuldig; denn da er sich selber ausgeliefert, habe er die dem Überbringer versprochene Summe rechtens verdient. Dann machte er ihm noch weitere Versprechungen, hieß ihn guten Mutes sein und forderte ihn auf, seine Meinung über die Lage in Grie-

THEMISTOKLES

425

chenland unbedenklich zu äußern. Allein, Themistokles erwiderte: «O König, des Menschen Rede ist dem bunten Teppich zu vergleichen. Breitest du diesen aus, so sind seine Muster deutlich zu erkennen, rollst du ihn zusammen, siehst du sie verzerrt oder Uberhaupt nicht mehr. Darum laß mir Zeit, mich zu bedenken.» Der König freute sich über das Gleichnis 1 und erfüllte ihm seinen Wunsch. Themistokles bat um ein Jahr Frist, und nachdem er in dieser Zeit die persische Sprache hinlänglich erlernt hatte, konnte er sich mit dem König ohne Dolmetscher unterhalten. Die Außenstehenden ließ er dabei im Glauben, ihr Gespräch drehe sich ausschließlich um Angelegenheiten Griechenlands. Da aber der König gerade in jener Zeit die Einrichtungen am Hofe und die Zusammensetzung des Rates vielfach umgestaltete, zog er sich den Neid der Großen zu; denn sie hegten den Verdacht, daß er vor dem König ein freies Wort auch über sie gewagt habe. Er genoß ja auch weit größere Ehre als irgendein anderer Fremdling am Hofe. So nahm er an den Jagden und privaten Vergnügungen des Königs teil, er wurde sogar der Königinmutter vorgestellt und führte manches Gespräch mit ihr, und die Magier mußten ihn aufBefehl desKönigs in dieGeheimnisseihrerWissenschaftein weihen. Der Spartaner Demaratos2 wurde einst vom König aufgefordert, sich eine Gnade auszubitten, woraufer wünschte, mit der königlichen Tiara auf dem Haupte feierlich durch die Straßen von Sardes ziehen zu dürfen. Da griff ihm Mithropaustes, des Königs Vetter, an den Turban und sagte: «Dir fehlt ja das Gehirn, das dieser Turban bedecken sollte! Du wirst nicht Zeus, auch wenn du seinen Blitz in die Hände nimmst.» Demaratos' Anmaßung brachte den König derart auf, daß er den Spartaner aus seiner Gnade verstieß und keine Miene machte, den Fehltritt zu verzeihen, bis sich Themistokles bittend an ihn wandte und mit seiner Überredungskunst eine Versöhnung tatsächlich zustande brachte.

426

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

Ja als in späterer Zeit das Perserreich mit Griechenland in engere Verbindung trat, sollen die Könige, wenn sie eines Griechen bedurften, diesem in ihren Briefen jedesmal versprochen haben, er werde bei ihnen in höheren Ehren stehen als Themistokles. Von Thcmistoldes selber jedoch erzählt man, er habe einmal, als er schon ein großer Mann war in Persien und von vielen umworben wurde, vor einer prächtig besetzten Tafel zu seinen Kindern gesagt: «O Kinder, wir wären verloren, wenn wir nicht - verloren wären.» Nach den meisten Berichten wurden ihm vom König die drei Städte Magnesia, I-ampsakos und Myus geschenkt, die eine für das Brot, die andere für den Wein, die dritte für das Fleisch. Ncanthes von Kyzikos und Phanias fügen noch zwei weitere hinzu, Perkote für das Bettzeug und Palaiskepsis für die Kleidung 1 . 30. Nunmehr begab sich Themistokles ins Küstengebiet, um die Sache mit den Griechen in AngrifTzu nehmen. Der Satrap von Oberphrygien, ein Perser namens Epixyes, hatte es aber auf sein Leben abgesehen und schon lange ein paar Pisidier gedungen, welche ihn ermorden sollten, wenn er im Dorf Leontokephalon das Nachtquartier bezogen hätte. Allein, wie er einmal über die Mittagsstunde eingenickt war, erschien ihm im Traum die Göttermutter und sagte: «Meide des Löwen Haupt, Themistokles, damit du nicht zwischen die Pranken des Löwen gerätst! Ich aber verlange für meine Warnung deine Tochter Mnesiptolema von dir. Sie soll meine Dienerin werden!» In tiefer Bestürzung wandte sich Themistokles, nachdem er ein Dankgebet an die Göttin gerichtet, von der Landstraße ab, um jenen Ort auf einem Seitenweg zu umgehen, und erst als die Dunkelheit schon hereingebrochen war, schlug er auf freiem Felde das Nachtlager auf. Nun war aber eines der Lasttiere, welche sein Zelt trugen, ins Wasser gefallen, und die Diener hatten die durchnäßten Zelttücher zum Trockncn ausspannen müssen. Auf einmal stürmten die Pisi-

THEMISTOKLES

427

dier mit dem Schwert in der Faust heran, und da sie im Mondschein die zum Trocknen aufgehängten Blachen nicht deutlich sehen konnten, glaubten sie, sie stünden vor dem Zelt des Themistokles, ihn selbst aber würden sie schlafend im Innern finden. So traten sie näher und schlugen den Vorhang zurück: da fielen die Wachen über sie her und machten sie zu Gefangenen. Auf diese Weise wurde Themistokles gerettet, und um der Göttin für ihr hilfreiches Erscheinen zu danken, ließ er in Magnesia einen Tempel der Dindymene1 erbauen und machte seine Tochter Mnesiptolema zur Priesterin. 31. Als er nach Sardcs kam, schaute er sich zum Zeitvertreib die Tempel mit ihren zahlreichen Weihgeschenken an. Dabei entdeckte er im Tempel der Göttermutter die sogenannte Wasserträgerin, eine zwei Ellen hohe Mädchenfigur aus Erz, die er selber geweiht hatte, als er in Athen Aufseher über die Wasserleitungen gewesen war. Er hatte nämlich die Statue aus den Bußen derer anfertigen lassen, die er beim Abzapfen und Ableiten des Wassers erwischte. Ob es ihm nun wehe tat, das Bild in Gefangenschaft zu sehen, oder ob er den Athenern zeigen wollte, wie groß sein Ansehen und sein Einfluß beim Ferserkönig sei - aufjeden Fall wandte er sich an den Satrapen von Lydien mit dem Gesuch, er möge die Figur nach Athen zurücksenden. Allein, der Perser war über sein Ansinnen sehr aufgebracht und drohte, dem König Mitteilun g zu machen. Die Angst trieb Themistokles, sein Heil bei den Frauen des Harems zu suchen, er gewann sie mit Geld und vermochte dadurch auch den Zorn des Satrapen zu besänftigen. Seit diesem Erlebnis wagte er sich nicht mehr so weit vor, denn er hatte gemerkt, daß ihm der Neid der Barbaren gefahrlich wurde. Theopomp behauptet, Themistokles sei in Asien herumgereist. Das ist nicht richtig, er hatte vielmehr seinen festen Wohnsitz in Magnesia, wo er im Genuß reicher Einkünfte und geehrt wie ein Perser aus höchstem Adel geraume Zeit in Ruhe

428

THEMISTOKLES UND C A M I L L U S

und Sicherheit leben konnte. Denn der König fand in den inneren Provinzen des Reiches so viel zu tun, daß er den griechischen Angelegenheiten vorerst gar keine Beachtung schenkte. Als aber Ägypten mit Hilfe der Athener abfiel, als griechische Trieren bis nach Kypros und Kilikien vorstießen und Kimon das Meer beherrschte, sah er sich genötigt, den Griechen entgegenzutreten und sie zu hindern, ihre Macht auf seine Kosten auszuweiten. Kriegsheere wurden in Marsch gesetzt, Feldherren dahin und dorthin geschickt und Boten zu Themistokles nach Magnesia entsandt. Sie brachten ihm den Befehl des Königs, tätig einzugreifen in den Kampf gegen die Griechen und wahr zu machen, was er ihm seinerzeit versprochen. Allein, Themistokles fühlte keinen Zorn mehr in sich gegen seine Mitbürger, er empfand keinen Stolz darüber, daß ihm seine hohe Stellung erlaubte, kraftvoll auf das Kriegsgeschehen einzuwirken. Vielleicht sah er das Unternehmen auch gar nicht für durchführbar an, da die Griechen zu jener Zeit über hervorragende Feldherren verfügten und Kimon auf seinen Feldzügen von ganz besonderem Glück begünstigt war. Aber mehr als alles andere trieb ihn die Rücksicht auf seine ruhmreichen Taten und Siege zu dem Entschluß, in gleicher Größe zu sterben, wie er gelebt hatte. Er brachte den Göttern ein Opfer dar, dann rief er seine Freunde zusammen, reichte ihnen zum Abschied die Hand und trank Stierblut. So lautet die allgemeine Überlieferung, im Gegensatz zu einigen Autoren, welche behaupten, er habe ein schnellwirkendes Gift zu sich genommen. Er starb zu Magnesia im fünfundsechzigsten Altersjahr, nach einem Leben, das er zum größten Teil als Staatsmann und Feldherr verbracht hatte 1 . Als der König erfuhr, aus welchem Grund und auf welche Weise Themistokles den Tod gefunden, zollte er ihm, wie es heißt, noch höhere Bewunderung als vorher und erwies sich seinen Freunden und Angehörigen gegenüber stets als ein wahrer Freund.

THEMISTOKLES

429

32. Von seiner Gemahlin Archippe, einer Tochter des Lysandros aus Alopeke1, hinterließ Themistokles die drei Söhne Archeptolis, Polyeuktos und Kleophantos. Des letzteren gedenkt der Philosoph Plato als eines Mannes, der wohl ein trefflicher Reiter, sonst aber ohne jede Bedeutung war Den einen seiner zwei ältesten Söhne, Neokles, hatte er durch den Tod verloren (er starb in jungen Jahren an einem Pferdebiß), den andern, Diokles, hatte der Großvater Lysandros an Kindes Statt angenommen.Themistokles besaß auch mehrere Töchter. Mnesiptolema, ein Kind seiner zweiten Gemahlin, wurde von ihrem Stiefbruder Archeptolis heimgeführt, Italia wurde die Gattin des Chiers Panthoides, Sybaris die des Atheners Nikomedes. Nikomache wurde nach des Vaters Tod von ihren Brüdern an Phrasikles verheiratet. Dieser, ein Bruderssohn des Themistokles, war ihretwegen nach Magnesia hinübergefahren ; er übernahm auch die Erziehung von Themistokles' jüngster Tochter Asia. Auf dem Marktplatz von Magnesia steht noch heute ein prächtiges Grabmal des Themistokles. Hingegen sollen seine Gebeine, wie Andokides in der Rede ,An die Freunde' sagt 3, von den Athenern heimlich entwendet und zerstreut worden sein. Diese Behauptung verdient aber keinen Glauben, handelt es sich doch um eine Lüge, mit welcher der Redner die Oligarchen gegen das Volk aufhetzen wollte. Auch Phylarchos • setzt, obschon er Geschichte schreibt, fast wie in einer Tragödie die Göttermaschine in Bewegung, wenn er einen Neokles und Demopolis als Söhne des Themistokles auftreten läßt, um dramatische Spannung zu erzeugen und Mitleid zu erregen. Da muß auch der Einfältigste merken, daß er alles erfunden hat. In seinem Werk ,Über die Denkmäler' berichtet der Reiseschriftsteller Diodor5, allerdings mehr als Vermutung denn aus sicherem Wissen, eine Landzunge umschließe vom Vorgebirge des Allcimos' her das große Hafenbecken des Pi-

430

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

raus; wenn man, um diese herumbiegend, in die stille Bucht gelange, erhebe sich hier ein gewaltiger Sockel mit einem altarähnlichen Aufbau: das sei das Grab des Themistokles. Er glaubt auch, in folgenden Versen des Komikers Piaton1 eine Bestätigung für seine Ansicht zu finden: «Dein Grabmal wird dereinst an schönem Orte prangen, Seefahrer werden es aus jedem Lande grüßen, Es wird die Schiffe sehn, die aus- und einwärts fähren Und zuschaun, wenn zur See der heiße Kampf entbrennt.» In Magnesia waren den Nachkommen des Themistokles noch zu meiner Zeit besondere Rechte vorbehalten. In ihren Genuß ist auch Themistokles aus Athen, mein Freund und Mitschüler beim Philosophen Ammonios1, gekommen.

CAMILLUS i . Von den vielen außerordentlichen Dingen, die über Furius Camillus berichtet werden, scheint mir das eigenartigste und überraschendste, daß er, der in hohen Führerstellungen viele große Siege erföchten hat, fünfmal zum Diktator gewählt worden ist, viermal triumphiert hat und als zweiter Gründer Roms bezeichnet worden ist, auch nicht einmal Konsul gewesen ist. Die Ursache hierfür war der damalige Zustand des römischen Staates, daß das Volk wegen seines Zwistes mit dem Senat darauf bestand, keine Konsuln zu ernennen, sondern Kriegstribunen in die Führung wählte, deren Regiment, wenn sie auch mit der gleichen Macht und Befugnis wie die Konsuln alles zu leiten hatten, weniger drückend empfunden wurde wegen ihrer Zahl. Denn daß sechs Männer, nicht zwei, die Geschäfte unter sich hatten, war eine Art Trost für diejenigen, die an der Herrschaft der Wenigen ein Ärgernis nahmen. Da nun Camillus zu dieser Zeit auf der Höhe seines Ruhmes und seiner Taten stand, wollte er nicht wider den Willen des Volkes Konsul werden, obschon in der Zwischenzeit öfters Konsulwahlen stattfanden, verhielt sich aber in den vielen, verschiedenartigen Stellungen, die er einnahm, so, daß die höchste Gewalt, auch wenn er den alleinigen Befehl hatte, bei mehreren war und der Ruhm ihm allein zufiel, auch wenn er mit anderen zusammen die Führung hatte. Ursache der ersten Erscheinung war seine Mäßigung, weil er regierte, ohne Neid zu erregen; der zweiten seine überlegene Klugheit, die ihn zum anerkannten Führer machte. 2. Das Haus der Furier stand damals noch nicht in hohem Ansehen, sondern er machte sich zuerst durch sich selbst be-

432

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

rühmt, als er in der großen Schlacht gegen die Aequer und Volsker unter dem Diktator Postumius Tubertus mitkämpfte1. Als Teilnehmer an dem Reitergefecht vor der Front des Heeres empfing er eine Wunde im Schenkel, ging aber nicht zurück, sondern zog das Geschoß aus der Wunde, kämpfte weiter mit den tapfersten der Feinde und schlug sie in die Flucht. Außer anderen Belohnungen, die er hierfür empfing, wurde er zum Censor ernannt, ein Amt, das seit jener Zeit großes Ansehen genoß. Von seiner Amtsführung als Censor wird eine löbliche Tat berichtet, daß er die unverheirateten Männer teils durch gütliches Zureden, teils durch Androhung von Strafen nötigte, die Witwen, deren es wegen der Kriege viele gab, zu heiraten, und eine notwendige, daß er auch die Waisen, die bisher von Abgaben befreit waren, der Steuerpflicht unterwarf. Die Ursache hierfür waren die unaufhörlichen Feldzüge, die große Ausgaben erforderten, und vor allem machte ihnen die Belagerung von Veji» zu schaffen. Die Stadt war der starke Vorposten Etruriens, an Menge der Waffen und der Krieger nicht hinter Rom zurückstehend, und stolz auf ihren Reichtum, ihre üppige Lebensführung, ihren Prunk und ihre Pracht, hatte sie viele große Kämpfe um den Ruhm und die Herrschaft mit den Römern ausgefochten. Zur damaligen Zeit allerdings hatten die Vejenter, in großen Schlachten zermürbt, diesen Ehrgeiz schon aufgegeben, hatten mächtige Mauern um die Stadt errichtet und sie mit Waffen, Geschossen, Lebensmitteln und jeglichem Bedarf reichlich versehen, und so trotzten sie furchtlos der Belagerung, die sich lange hinzog und fiir die Belagerer nicht weniger mühevoll und schwierig wurde. Denn während sie gewohnt waren, nur für kurze Zeit während des Sommers im Felde zu liegen und den Winter zu Hause zu verbringen, wurden sie jetzt zum ersten Male von den Kriegstribunen gezwungen, Bollwerke zu bauen, ein festes Lager anzulegen und Winter und Sommer im Feindesland zu bleiben, da

CAMILLUS

433

schon das siebente Kriegsjahr sich seinem Ende näherte. Man zog daher die Befehlshaber zur Verantwortung, warfihnen vor, daß sie die Belagerung nicht energisch genug betrieben, nahm ihnen das Kommando und übertrug es anderen. Unter ihnen befand sich auch Camillus, der damals zum zweiten Male das Kriegstribunat führte 1 . Doch hatte er zu dieser Zeit nichts mit der Belagerung zu tun, sondern ihm fiel durch das Los der Krieg gegen die Falerier und Capenaten1 zu, die, weil die Römer beschäftigt waren, ihr Land vielfach heimgesucht und schon während des ganzen etruskischen Krieges belästigt hatten. Sie wurden jetzt von Camillus bezwungen und nach großen Verlusten hinter ihre Mauern zurückgedrängt. 3. Hierauf begab sich, während zugleich der Krieg in vollem Gange war, das Ereignis mit dem Albaner See, welches, weil man keine alltägliche Ursache und keine natürliche Erklärung dafür zu finden wußte, nicht geringeren Schrecken erregte als unglaubhaft klingende Wundererscheinungen. Es war Frühherbst, und ein Sommer ging zu Ende, der weder durch starke Niederschläge noch durch heftige Südwinde bemerkenswert gewesen war. Von den vielen Seen, Flüssen und mancherlei Gewässern, die es in Italien gibt, waren einige ganz ausgetrocknet, andere hielten sich eben noch zur Not, und die Flüsse strömten wie immer im Sommer seicht und wasserarm zu Tal. Nur das Wasser des Albaner Sees, der weder Zufluß noch Abfluß hat und von fruchtbarem Bergland umschlossen wird, begann sich ohne irgendeine Ursache - es sei denn eine übernatürliche - zu vermehren, schwoll merklich an, trat an den Fuß der Berge und rührte in ruhigem Steigen ohne Wogen und Brausen schließlich an die Kämme der Höhen. Anfänglich staunten nur die Hirten und Schäfer.Als aber die Erdschwelle, die den See von dem Lande unterhalb trennt, von der Menge und dem Druck des Wassers durchbrochen wurde und eine mächtige Wassermasse über die beackerten und bepflanzten

434

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

Felder dem Meer zuströmte, da erregte das Bestürzung nicht nur bei den Römern selbst, sondern allen Bewohnern Italiens schien es ein Vorzeichen eines bedeutenden Ereignisses. Besonders viel wurde davon in dem Belagerungsheer vor Vcji gesprochen, so daß die Geschichte von dem See auch den Leuten drinnen bekannt wurde. (4.) Wie nämlich bei einer sich lang hinziehenden Belagerung mancherlei Verbindung und Unterhaltung mit den Feinden sich zu entwickeln pflegt, so war es auch zwischen einem Römer und einem der Feinde, einem Mann, der viele alte Orakel kannte und offenbar mehr als die meisten anderen vom Wahrsagen verstand, zu Verkehr und Meinungsaustausch gekommen. Als der Römer nun bemerkte, daß dieser Mann, da er von dem Steigen des Sees hörte, höchst erfreut war und über die Belagerung spottete, sagte er, dies sei nicht das einzige Wunder, das sich jetzt begeben habe, sondern noch andere, viel erstaunlichere Zeichen seien den Römern zuteil geworden; er wolle ihm davon Mitteilung machen, ob er vielleicht bei der allgemeinen Not etwas Gutes für sie persönlich daraus gewinnen könnte. Da der Mann bereitwillig hierauf einging und sich auf das Gespräch einließ in dem Glauben, er würde geheime Dinge zu hören bekommen, so führte ihn der Römer während der Unterhaltung allmählich weiter fort, und als sie sich ein größeres Stück vom Tor entfernt hatten, hob er ihn als der Stärkere, der er war, in die Höhe, überwältigte ihn mit Hilfe einiger, die vom Lager herzuliefen, und brachte ihn gefangen zu den Feldherren. Als der Mann in diese Zwangslage gekommen war und wohl erkannte, daß das Verhängte doch unentrinnbar war, entdeckte er einige geheime Weissagungen über seine Vaterstadt, daß sie nämlich nicht früher genommen werden könne, als bis der Albaner See überliefe und sich neue Wege suchte, die Feinde aber ihn zurückdrängten, umleiteten und verhinderten, daß er sich mit dem Meere vereinige. Als der Senat dies erfuhr, wußte er

CAMILLUS

435

sich keinen Rat und hielt es für das beste, nach Delphi zu senden und den Gott zu befragen. Die entsandten großen und angesehenen Männer, Cossus Licinius, Valerius Potitus und Fabius Ambustus, hatten glückliche Fahrt und erreichten ihr Ziel bei dem Gott, kehrten heim und brachten neben anderen Orakeln, welche die Vernachlässigung gewisser alter Gebräuche bei dem sogenannten lateinischen Fest 1 rügten, hinsichtlich des Albaner Sees die Weisung mit, sie sollten sein Wasser, wie es nur möglich sei, vom Meere abdämmen und es an seinen alten Ort zurückdrängen, oder wenn sie das nicht könnten, sollten sie es durch Gräben und Kanäle in die Ebene leiten und versickern lassen. Nachdem diese Weisungen überbracht waren, besorgten die Priester, was an Opfern zu geschehen hatte, und das Volk ging ans Werk und suchte das Wasser abzuleiten. $. Für das zehnte Jahr des Krieges hob der Senat alle anderen Ämter auf und ernannte Camillus zum Diktator 1 . Er stellte sich Cornelius Scipio als Befehlshaber der Reiterei zur Seite und tat zuerst vor den Göttern das Gelübde, er werde, wenn der Krieg ein glückliches Ende nehme, die großen Spiele feiern und der Göttin, die die Römer Mater Matuta3 nennen, einen Tempel weihen. Diese Göttin möchte man nach den Bräuchen bei ihrem Fest am ehesten für Leukothea halten. Denn die Frauen fuhren dann eine Sklavin ins Innere des Tempels und peitschen sie, dann jagen sie sie hinaus und nehmen die Kinder ihrer Geschwister statt der eigenen in die Arme, und beim Opfer begehen sie Bräuche, die denen bei der Aufzucht des Dionysos und den Leiden der Ino um der Nebenfrau willen ähnlich sind. Nach dem Gelübde fiel Camillus ins Land der Falisker ein und schlug sie und die ihnen zu Hilfe gekommenen Capenaten in einer großen Schlacht. Hernach machte er sich an die Belagerung von Veji, und da er sah, daß der Sturmangriff schwie-

436

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

rig und gefahrlich war, ließ er Minen anlegen, weil der boden um die Stadt das Graben nicht schwer machte und mit den Werken rasch in eine solche Tiefe zu gehen gestattete, daß die Feinde es nicht bemerkten. Da also das Unternehmen erwartungsgemäß voranging, machte er selbst von außen einen Angriff, um die Feinde aufdie Mauern zu locken, während andere durch die Minen vordrangen und unbemerkt unter die Zitadelle beim Junotempel gelangten, welcher der größte in der Stadt war und der am meisten verehrte. Dort soll gerade zu jener Zeit der Feldherr der Etrusker beim Opfern gewesen sein, und der Seher habe, als er auf die Eingeweide schaute, mit lauter Stimme gerufen, der Gott gebe den Sieg dem, der dieses Opfer zu Ende führe. Diesen Ruf hätten die Römer in den Minen vernommen, hätten rasch den Boden durchbrochen und wären mit Geschrei und Waffengeklirr hervorgestiegen, und während die Feinde voll Schrecken die Flucht ergriffen, hätten sie die Eingeweide errafft und zu Camillus gebracht. Aber das sieht doch vielleicht allzusehr nach Erdichtung aus. Als die Stadt im Sturm genommen war und die Römer eine unübersehbare Beute wegschleppten, da blickte Camillus von der Burg auf das Geschehende herab, stand zuerst da und weinte, und als die Umstehenden ihn glücklich priesen, hob er die Hände zu den Göttern auf, betete und sprach: «Höchster Iuppiter und ihr Götter, die ihr gute und böse Taten beaufsichtiget, ihr seid selbst uns Römern wohl Zeugen, daß wir nicht wider das Recht, sondern in erzwungener Notwehr an einer Stadt feindseliger und rechtsbrecherischer Männer Rache nehmen. Wenn aber», fuhr er fort, «auch uns als Entgelt für das gegenwärtige Glück ein Unheil verhängt ist, so bete ich, daß es zugunsten der Stadt und des Heeres der Römer als ein Leiden, so klein als möglich, über mich selber komme.» Als er nach diesen Worten - wie es bei den Römern Sitte ist, nach Gebet und Kußhand nach rechts umzuschwenken - die Dre-

CAMILLUS

437

hung vollzog, stürzte er. Die Anwesenden gerieten in große Unruhe, er aber erholte sich schnell wieder von dem Fall und sagte, ihm sei nach seinem Wunsch geschehen: ein kleiner Unfall für das größte Glück. 6. Nach Ausplünderung der Stadt beschloß er, die Statue der Juno nach Rom zu überfuhren, wie er gelobt hatte. Als die Werkleute sich hierzu eingefunden hatten, opferte er und betete zu der Göttin, sie möge ihren guten Willen wohl aufnehmen und eine gnädige Kultgenossin der Götter werden, die schon die Herren und Hüter Roms seien. Da, so heißt es, sprach die Statue mit leiser Stimme, sie wolle es und sei einverstanden. Livius jedoch sagtCamillus habe, indem er die Göttin anrührte, das Gebet gesprochen und sie gerufen, und einige der Anwesenden hätten geantwortet, sie wolle es und folge willig. Diejenigen nun, die das Wunder behaupten und verteidigen, haben als stärksten Fürsprecher das Glück der Stadt, die unmöglich aus so kleinen und bescheidenen Anfängen zu einem solchen Gipfel des Ruhmes und der Macht hätte emporsteigen können ohne einen Gott, der ihr mit häufigem, gewaltigem Eingreifen jederzeit zur Seite stand. Man flihrt übrigens viele gleichgeartete Erscheinungen an, daß Götterbilder oft Schweiß vergossen hätten, daß man sie habe seufzen hören, daß sie sich weggewendet und die Augen geschlossen hätten. Nicht wenige der älteren Schriftsteller haben derartiges erzählt. Ich könnte auch viel Wunderbares berichten, was ich von meinen Zeitgenossen gehört habe und was man nicht so ohne weiteres verwerfen sollte. In solchen Dingen ist Leichtgläubigkeit und völliger Unglaube gleich bedenklich wegen der menschlichen Schwachheit, die keine Grenze kennt und sich nicht selbst beherrscht, sondern sich zu Aberglauben und blinder Verängstigung, ein andermal wieder zur Mißachtung des Göttlichen und zur Überheblichkeit hinreißen läßt. Behutsamkeit und Meiden des Übermaßes ist das beste.

438

T H E M I S T O K L E S UND C A M I L L U S

7. Entweder durch die Größe der Tat, daß er eine Stadt von gleicher Bedeutung wie Rom selbst im zehnten Jahre der Belagerung bezwungen hatte, oder durch die Leute, die ihn glücklich priesen, ließ sich Camillus zu einer Hoffart und einer Gesinnung emportreiben, die sich mit einem durch Gesetze begrenzten Amt in einer Bürgerschaft nicht vertrug. Neben anderem Prunk bei seinem Triumph ließ er einen Wagen mit vier weißen Rossen bespannen, bestieg ihn und fuhr durch Rom, was kein anderer Feldherr weder früher noch später getan hat. Denn ein solches Gefährt ist in den Augen der Römer heilig und nur dem König und Vater der Götter geweiht. Hierdurch schon machte er sich bei den Bürgern mißliebig, die nicht gewohnt waren, hochfahrend behandelt zu werden, und einen zweiten Vorwurf zog er sich dadurch zu, daß er sich einem Vorschlag, der auf die Teilung der Stadt abzielte, widersetzte. Denn die Volkstribunen stellten den Antrag, Volk und Senat sollten in zwei gleiche Teile geteilt werden, und der eine sollte an Ort und Stelle bleiben, der andere, den dieses Los träfe, in die eroberte Stadt übersiedeln; so würden sie wohlhabender werden und gestützt auf zwei große, schöne Städte ihr Land und ihr sonstiges Vermögen besser in Hut halten. Das Volk, das schon zahlreich geworden und dabei besitzlos war, nahm das freudig auf und forderte unablässig in den Versammlungen mit Geschrei die Abstimmung. Aber der Senat und die angesehensten unter den übrigen Bürgern glaubten, daß die Politik der Volkstribunen nicht auf die Teilung, sondern auf die Vernichtung Roms hinauslaufe, und nahmen entrüstet ihre Zuflucht zu Camillus. Auch er fürchtete den Kampf, und so erfand er allerhand Vorwände und Beschäftigungen fiir das Volk, durch welche er die Abstimmung stets hintertrieb. Schon hierdurch machte er böses Blut. Der offenkundigste und stärkste Grund des Hasses gegen ihn war aber die Angelegenheit des Zehnten der Beute, mit der er der Menge einen nicht unbe-

CAMILLUS

439

gründeten, wenn auch nicht ganz berechtigten Anlaß zu Vorwürfen geliefert hatte. Denn er hatte, als er gegen Veji auszog, gelobt, wenn er die Stadt nähme, dem Gott den Zehnten der Beute zu weihen. Als nun die Stadt genommen und geplündert war, ließ er, sei es, daß er sich scheute, die Bürger zu ärgern, sei es, daß er bei der Fülle der Geschäfte sein Gelübde vergessen hatte, es geschehen, daß sie sich die Beute zu eigen machten. Erst einige Zeit später, als er sein Amt schon niedergelegt hatte, trug er die Angelegenheit dem Senat vor, und die Seher verkündeten, die Opfer offenbarten den Zorn der Götter, der Sühnung und Dankopfer erfordere. (8.) Als daraufhin der Senat beschloß, daß zwar die Teilung der Beute nicht rückgängig gemacht werden sollte - das wäre ja zu schwer gewesen daß aber alle, die etwas bekommen hatten, selbst unter Eid den zehnten Teil wieder abliefern sollten, da bedeutete dies eine schwere Verärgerung und eine große Härte fiir die Soldaten, arme Leute, die nach soviel ausgestandenen Strapazen gezwungen wurden, von dem, was sie erworben und schon verbraucht hatten, einen so großen Teil wieder abzugeben. Camillus, dem sie mit Geschrei zusetzten und dem keine bessere Ausrede einfiel, nahm schließlich zu der unangebrachtesten Entschuldigung seine Zuflucht, indem er eingestand, daß er das Gelübde vergessen habe. Sie entrüsteten sich nun: damals habe er den Zehnten von den Gütern der Feinde gelobt und nehme nun den Zehnten von den Bürgern. Als schließlich doch alle den auf sie entfallenden Teil eingebracht hatten, beschloß man, davon einen goldenen Mischkrug machen zu lassen und nach Delphi zu senden. Nun herrschte aber in der Stadt Mangel an Gold, und während noch die Behörden überlegten, woher sie es beschaffen sollten, faßten die Frauen von sich aus den Beschluß, daß jede den Goldschmuck, den sie besäße, für das Weihgeschenk hergeben solle. Das ergab acht Talente an Gewicht 1 . Um ihnen hierfiir den gebührenden Dank zu erweisen,

440

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

beschloß der Senat, daß auch für Frauen wie für Männer nach ihrem Tode eine angemessene Lobrede sollte gehalten werden dürfen. Denn bisher war es nicht Brauch, daß eine Frau nach ihrem Tode eine öffentliche Lobrede erhielt. Hierauf wählten sie drei der vornehmsten Männer zu Festgesandten, rüsteten ein Kriegsschiff aus mit tüchtiger Mannschaft und festlichem Schmuck und sandten es auf die Reise. Aber auf der See ist ja Sturm und Meeresstille gleich gefährlich, und so begegnete es den Männern, daß sie um ein Haar ins Verderben stürzten und dann doch wider Erwarten der Gefahr entrannen. Dreiruderer der Lipareer nämlich griffen sie in der Meinung, sie wären Seeräuber, auf der Höhe der aiolischen Inseln1 bei einsetzender Windstille an. Auf ihr Bitten und Flehen unterließen sie zwar, das Schiff zu rammen, nahmen es aber ins Schlepptau, brachten es als Prise ein und boten die Güter wie die Menschen zum Verkauf aus, indem sie sie für Seeräuber erklärten. Mit Not ließen sie sich endlich durch die Würde und das Ansehen eines Mannes, des Strategen Timesitheos, bewegen, sie freizulassen. Er brachte sogar noch eigene Schiffe zu Wasser, geleitete sie und beteiligte sich an der Weihung. Dafür wurden ihm dann in Rom die gebührenden Ehren zuteil. 9. Als die Volkstribunen erneut auf Entscheidung über den Antrag auf Teilung der Gemeinde drängten, gab der zu rechter Zeit ausgebrochene Krieg gegen die Falisker den Vornehmen Gelegenheit, Wahlen nach ihrem Sinne zu halten und Camillus mit fünf anderen zum Kriegstribun zu m a c h e n w e i l die Lage einen Feldherrn verlangte, der Ansehen und Ruhm mit Erfahrung verband. Nachdem das Volk ihn gewählt hatte, fiel Camillus mit Heeresmacht ins Land der Falisker ein und belagerte Falerii, eine feste und mit allen Erfordernissen für den Krieg wohl versehene Stadt, nicht in der Erwartung, daß es eine leichte, wenig Zeit erfordernde Arbeit sein würde, sie zu

CAMILLUS

441

nehmen, sondern mit dem Willen, die Bürger anzuspannen und zu beschäftigen, damit sie nicht zu Hause säßen und Zeit hätten, sich von den Demagogen aufhetzen zu lassen. Denn dieser Arzenei pflegten sie sich stets zu bedienen, daß sie wie Ärzte die inneren Störungen des Staates nach außen ableiteten. 10. So wenig machten sich indes die Falerier aus der Belagerung im Vertrauen auf ihre starken Festungswerke, daß sie mit Ausnahme der Wachen auf den Mauern - in Friedenskleidern in der Stadt umhergingen und ihre Kinder in die Schule gehen und vom Lehrer hinausfuhren ließen, um längs der Mauem zu spazieren und ihre Übungen zu halten. Denn die Falerier hielten wie die Griechen einen gemeinsamen Lehrmeister für alle, weil sie wünschten, daß die Knaben gleich von Anfang an miteinander aufgezogen und an das Gemeinschaftsleben gewöhnt würden. Dieser Lehrer nun gedachte die Falerier mit Hilfe der Knaben zu verraten. Er führte sie darum jeden Tag vor die Mauer, zunächst nur ganz nahe, und brachte sie nach den Übungen gleich wieder zurück. Darauf führte er sie allmählich weiter und gewöhnte sie, keine Angst zu haben, da nichts zu besorgen sei, und schließlich ging er mit ihnen allen zu den Vorposten der Römer, übergab sie und verlangte, vor Camillus gefuhrt zu werden. Als er vor ihm stand, sagte er, er sei der Erzieher und Lehrer der Knaben, aber ihm, Camillus, einen Dienst zu erweisen, sei ihm mehr wert als jene Pflicht, und so komme er, um ihm die Stadt in Gestalt ihrer Kinder zu überbringen. Als Camillus das hörte, schien ihm die Tat abscheulich, und er sagte zu den Umstehenden, der Krieg sei allerdings ein böses Ding und müsse mit viel Ungerechtigkeit und Gewalttat gefuhrt werden, aber für rechtschaffene Männer gebe es doch auch noch gewisse Gesetze des Kriegführens, und man dürfe dem Sieg nicht auf eine solche Weise nachstreben, daß man keine Scheu mehr vor Erfolgen durch schlechtes und gottloses Handeln habe; denn im Vertrauen

442

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

auf die eigene Tüchtigkeit, nicht auf fremde Gemeinheit, müsse ein großer Feldherr den Krieg führen. So befahl er den Liktoren, dem Mann die Kleider vom Leibe zu reißen, ihm die Hände auf den Rücken zu binden und Ruten und Geißeln an die Knaben zu verteilen, damit sie den Verräter unter Schlägen in die Stadt zurücktrieben. Eben hatten die Falerier den Verrat des Lehrers bemerkt, die Stadt war wie natürlich nach einem solchen Unglück mit Wehklagen erfüllt, und Männer wie Frauen stürzten besinnungslos auf die Mauern und zu den Toren, da führten schon die Knaben den Verräter nackt und gefesselt unter Mißhandlungen herbei und priesen den Camillus als ihren Retter, Vater und Gott, so daß nicht nur die Eltern der Knaben, sondern auch die übrigen Bürger, da sie das sahen, Liebe und Bewunderung für die Gerechtigkeit des Camillus erfaßte. Sie eilten zur Versammlung und schickten Gesandte zu ihm, um sich in seine Hand zu geben. Camillus schickte sie weiter nach Rom. Dort traten sie vor dem Senat auf und erklärten, da die Römer die Gerechtigkeit höher geachtet hätten als den Sieg, so hätten sie sie gelehrt, die Unterwerfung der Freiheit vorzuziehen, nicht weil sie ihnen an Macht nachzustehen meinten, sondern weil sie bekennen müßten, an Edelmut von ihnen geschlagen zu sein. Der Senat übertrug die Entscheidung und Regelung der Angelegenheit wieder Camillus. Er ließ sich von den Faleriern eine Summe Geldes zahlen, schloß mit allen Faliskern einen Freundschaftsvertrag und zog ab. i i . Als die Soldaten, die Falerii zu plündern gehofft hatten, mit leeren Händen nach Rom zurückkehrten, klagten sie Camillus vor den anderen Bürgern als einen Volksfeind an, der den armen Leuten die Gelegenheit, sich zu bereichern, mißgönnt hätte. Als nun die Volkstribunen erneut den Antrag auf Teilung der Gemeinde einbrachten und das Volk zur Abstimmung riefen und Camillus, ohne Haß und Feindschaft zu

CAMILLUS

443

scheuen, mit größter Offenheit und mehr als alle anderen seinen Druck auf die Menge ausübte, da lehnten sie zwar wider Willen den Antrag ab, faßten aber einen solchen Zorn gegen Camillus, daß sie auch, als er ein häusliches Unglück hatte - er verlor einen seiner beiden Söhne durch eine Krankheit - , nicht aus Mitgefühl ihren Zorn fahren ließen. Dabei trug er, ein von Natur sanfter und guter Mann, sehr schwer an dem Verlust, so daß er, als ihm der gerichtliche Termin angesetzt war, wegen der Trauer zu Hause blieb und sich mit den Frauen einschloß. 12. Ankläger war Lucius Apuleius, und die Anklage lautete auf Unterschlagung an der etruskischen Beute; es hieß auch, daß einige eherne Türen aus der Beute bei ihm zum Vorschein gekommen seien. Das Volk war aufs äußerste gereizt und offenbar entschlossen, unter allen Umständen das Urteil gegen ihn zu fällen. Er rief daher seine Freunde und Kriegskameraden zusammen, deren nicht wenige waren, und bat sie, nicht zuzulassen, daß er ungerecht wegen so übler Beschuldigungen verurteilt und zum Gespött seiner Feinde würde. Als aber die Freunde nach Beratung und Besprechung miteinander die Antwort gaben, in dem Prozeß glaubten sie ihm nicht helfen zu können, würden sich aber an der Bezahlung einer Geldstrafe, zu der er verurteilt würde, beteiligen, da ertrug er das nicht, sondern beschloß im Zorn, aus der Stadt zu weichen und in die Verbannung zu gehen. Er nahm Abschied von Frau und Sohn und ging schweigend aus dem Hause bis zum Tor. Dort stand er still, und rückwärts gewandt und die Hände zum Kapitol emporgehoben, betete er zu den Göttern: wenn er nicht mit Recht, sondern durch den Frevelmut und Neid des Volkes mit Schimpf und Schande vertrieben werde, so möchten die Römer es bald bereuen und allen Menschen offenbar werden, daß sie ihn brauchten und Camillus herbeisehnten.

444

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

13. Nachdem er so wie Achilleus 1 Flüche über seine Mitbürger ausgesprochen und die Stadt verlassen hatte, wurde er in Abwesenheit zu einer Geldstrafe von funfzehntausend As verurteilt. Das sind in Silber umgerechnet tausendfünfhundert Drachmen. Denn das Silberstück galt zehn As, und daher hieß die Münze, die zehnKupferas galt, Denar 1 . Es gibt keinen Römer, der nicht überzeugt wäre, daß Dike, die Gerechtigkeit, alsbald das Gebet des Camillus erhört hat und ihm eine Genugtuung für das erlittene Unrecht zuteil geworden ist, die ihm keine Freude, sondern Leid brachte, aber viel genannt und weithin bekannt wurde. Eine so furchtbare Vergeltung brach über Rom herein, und eine Zeit solcher Vernichtung, äußerster Gefahr und Schande zugleich kam über die Stadt, sei es, daß der Zufall es so fügte oder daß es die Sache eines Gottes ist, nicht ruhig zuzusehen, wenn Verdienst mit Undank belohnt wird. 14. Das erste Vorzeichen eines nahenden großen Unheils war, wie man glaubte, der T o d des Censors Gaius Iulius; denn die Römer achten das Amt des Censors besonders hoch und halten es für heilig. Das zweite war, daß noch vor der Verbannimg des Camillus ein Mann, der weder vornehm noch Mitglied des Senates war, aber als brav und ehrlich galt, Marcus Caedicius, den Kriegstribunen etwas wohl der Beachtung Würdiges berichtete. In der verflossenen Nacht, so erzählte er, als er durch die sogenannte Neue Straße ging, sei er von jemand laut angerufen worden, habe sich umgedreht und niemand gesehen, aber eine Stimme, stärker als die eines Menschen, vernommen, welche die Worte sprach: «Höre, Marcus Caedicius! Geh morgen früh zur Obrigkeit und sage ihnen, sie sollten in kurzem die Gallier erwarten!» Als das die Kriegstribunen hörten, lachten sie nur und nahmen es für einen Scherz. Und bald danach trug sich die Geschichte mit Camillus zu. 15. Die Gallier, von keltischem Stamm, hatten, so sagt man,

CAMILLUS

445

wegen ihrer zu großen Volkszahl ihr Land verlassen, das nicht ausreichte, um sie alle zu ernähren, und sich auf die Suche nach einem andern Land begeben. Viele Zehn tausende junger, kampftüchtiger Männer, begleitet von einer noch größeren Zahl von Frauen und Kindern, hatten teils die Rhipäischen Berge 1 überschritten, sich gegen den nördlichen Ozean hin ergossen und sich in den äußersten Gegenden Europas festgesetzt, teils hatten sie sich zwischen den Pyrenäen und den Alpen niedergelassen und lange Zeit in der Nachbarschaft der Senonen und Biturigen gewohnt. Erst spät bekamen sie Wein zu kosten, der damals zuerst aus Italien zu ihnen gebracht wurde, und fanden alsbald solchen Geschmack an dem Getränk und kamen alle von dem neuartigen Genuß so von Sinnen, daß sie zu den Waffen griffen und mitsamt ihren Familien auf die Alpen zuzogen, um das Land zu suchen, das eine solche Frucht hervorbringe, jedes andere aber fiir unfruchtbar und wild erklärten. Derjenige, der den Wein zu ihnen brachte und sie vor allem und als erster ermunterte, nach Italien zu gehen, soll der Etrusker Arruns gewesen sein, ein vornehmer und von Haus aus nicht schlechter Mann, der aber folgendes Unglück erlitten hatte. Er war der Vormund eines Waisenknaben namens Lucumo, der durch seinen Reichtum zu den ersten Bürgern gehörte und wegen seiner Schönheit bewundert wurde. Er hatte von Kindheit an bei Arruns gelebt, und auch als er erwachsen war, verließ er das Haus nicht, sondern behauptete, an seiner Gesellschaft Freude zu haben, und lange Zeit blieb es unbemerkt, daß er seine Frau verfuhrt hatte oder von ihr verfuhrt worden war. Als nun bei beiden die Leidenschaft einen solchen Gipfel erreicht hatte, daß sie ihr Verlangen weder bezähmen noch weiter verbergen konnten, unternahm es der junge Mensch, die Frau ganz offen in seine Hand zu bringen. Der Mann ging vor Gericht, und als er wegen der Menge der

446

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

Freunde Lucumos und seiner großen Geldaufwendungen Unrecht bekam, verließ er sein Vaterland, ging zu den Galliern, von denen er gehört hatte, und führte sie bei ihrem Kriegszug nach Italien. 16. Gleich bei ihrem ersten Einfall bemächtigten sich die Gallier des ganzen Landes, welches seit alters die Etrusker innehatten und das von den Alpen bis zu beiden Meeren reicht. Die Überlieferung wird durch die Namen bestätigt, denn das nördliche Meer nennt man Adria nach der etruskischen Stadt Adria und das gegenüberliegende südliche Meer das Tyrrhenische 1 . Dieses ganze Land ist mit Fruchtbäumen bepflanzt, bietet gute Viehweiden und ist durch Flüsse wohlbewässert. Es enthielt achtzehn schöne, große Städte, wohl ausgestattet für Handel, Gewerbefleiß und üppigen Lebensgenuß. Aus ihnen vertrieben die Gallier die Etrusker und nahmen sie in Besitz. Aber das war schon lange vorher geschehen. 17. Damals nun zogen die Gallier gegen die etruskische Stadt Clusium 1 und belagerten sie. Die Clusiner nahmen ihre Zuflucht zu den Römern und baten sie, ihrerseits Gesandte und eine Botschaft an die Barbaren zu schicken. Es wurden drei angesehene Männer aus dem Geschlecht der Fabier entsandt, die hohe Ämter in der Stadt bekleideten. Diese nahmen die Gallier wegen des großen Rufes, den Rom genoß, freundlich auf, stellten den Angriff auf die Mauern ein und traten in Unterhandlungen mit ihnen. Aber als die Gesandten die Frage stellten, was ihnen denn die Clusiner zuleide getan hätten, daß sie ihre Stadt angriffen, da lachte Brennus, der König der Gallier, und sagte: «Die Clusiner tun uns damit Unrecht, daß sie, obschon sie nur ein kleines Stück Land bebauen können, ein großes Land behalten und uns nichts abgeben wollen, die wir zahlreiche und besitzlose Fremdlinge sind. Dasselbe Unrecht haben auch euch, ihr Römer, früher die Albaner, Fidenaten und Ardeaten angetan, und jetzt tun es die Vejenter, Capena-

CAMILLUS

447

ten und viele von den Faliskern und Volskern. Gegen sie zieht ihr aus, wenn sie euch von ihren Gütern nichts abgeben wollen, versklavt sie, plündert sie aus und zerstört ihre Städte, und damit tut auch ihr nichts Böses noch Ungerechtes, sondern gehorcht nur dem ältesten aller Gesetze, welches dem Stärkeren das Gut der Schwächeren gibt, beginnend bei dem Gott und endigend bei den Tieren. Denn auch in deren Natur liegt es, daß die Stärkeren mehr zu haben begehren als die Schwächeren. Hört also auf, die belagerten Clusiner zu bemitleiden, damit ihr nicht auch die Gallier lehrt, gut und mitleidig zu sein gegen die, denen von den Römern Unrecht geschieht.» Aus diesen Worten entnahmen die Römer, daßBrennus nicht gewillt war, einen Vergleich zu schließen, gingen nun nach Clusium hinein, sprachen den Männern Mut zu und ermunterten sie, mit ihnen einen Ausfall gegen die Barbaren zu machen, sei es, daß sie deren Tapferkeit erproben oder ihre eigene beweisen wollten. Bei dem Ausfall der Clusiner und der sich entspinnenden Schlacht vor den Mauern sprengte einer der Fabier, Quintus Ambustus, einem großen, stattlichen Gallier entgegen, der seinerseits dem Heere vorausgaloppiert war. Anfänglich wurde er nicht erkannt, weil der Zusammenstoß heftig war und die funkelnden Waffen sein Gesicht nicht erkennen ließen. Als er aber den Sieg errungen hatte und dabei war, dem erlegten Gegner die Waffen abzunehmen, da erkannte ihn Brennus und rief die Götter zu Zeugen an, daß er entgegen dem bei allen Völkern als heilig geltenden Recht als Gesandter gekommen sei und als Feind gehandelt habe. Er brach sofort die Schlacht ab, überließ die Clusiner sich selbst und führte sein Heer gegen Rom. Um aber nicht den Anschein zu erwecken, als sei ihnen die Kränkung willkommen gewesen und hätten sie nur einen Vorwand gesucht, schickte er Gesandte, um die Auslieferung des Mannes zur Bestrafung zu fordern, und rückte inzwischen langsam näher.

448

T H E M I S T O K L E S UND C A M I L L U S

18. In Rom trat der Senat zusammen, und neben vielen anderen, die den Fabier angriffen, traten besonders die Priester, welche Fetialen 1 heißen, scharf gegen ihn auf, wiesen auf die Verletzung des göttlichen Rechtes hin und forderten, daß der Senat die Schuld an dem Geschehenen auf den Alleinschuldigen abwälzen und damit die anderen entsühnen sollte. Diese Fetialen hatte Pompilius Numa, der friedlichste und gerechteste der Könige, eingesetzt als Wächter des Friedens und als Prüfer und Schiedsrichter über die Ursachen, die einen gerechten Krieg bedingen. Da aber der Senat die Sache dem Volk zur Entscheidung überließ und die Priester dort die gleiche Klage gegen Fabius führten, trieb die Masse so frevelhaften Spott mit dem Heiligen, daß sie sogar Fabius mit seinen Brüdern zu Kriegstribunen ernannten. Als die Kelten das erfuhren, sahen sie, aufs höchste empört, keinen Grund mehr zu zögern, sondern rückten mit höchster Geschwindigkeit an. Vor ihrer Menge, dem Glanz ihrer Rüstung, ihrer Gewalt und Wut gerieten die auf ihrem Wege wohnenden Völker in großen Schreck, sahen das ganze Land schon fiir verloren an und fürchteten dasselbe Schicksal fiir ihre Städte, aber wider Erwarten taten die Gallier ihnen nichts Böses, noch nahmen sie etwas von den Feldern, sondern sie zogen dicht an den Städten vorbei und riefen, sie marschierten gegen Rom und hätten nur Krieg mit den Römern, die anderen sähen sie als ihre Freunde an. Als die Barbaren mit solcher Eile anrückten, führten auch die Kriegs tribunen die Römer zum Kampf hinaus, an Zahl nicht unterlegen - es waren nicht weniger als vierzigtausend Mann Fußvolk - , aber zum großen Teil ungeübte Leute, die zum ersten Male in den Kampf kamen. Auch hatte man die religiösen Pflichten versäumt, weder die rechten Opfer dargebracht noch die Seher befragt, wie es bei einer bevorstehenden Schlachtentscheidung üblich war. Die schwerste Störung bei den Operationen bedeutete die Vielköpfigkeit der Führung.

CAMILLUS

449

Dabei hatten die Römer früher oft auch für minder gefährliche Kämpfe einen einzigen Führer gewählt, den sie Diktator nannten, da sie wohl wußten, von wie großem Nutzen es in Zeiten der Gefahr ist, von einem Geist beseelt unter einem unumschränkten Oberbefehlshaber, der die höchste Gewalt hat, in strenger Zucht zu stehen. Nicht der geringste Schaden für die Sache war auch das ungerechte Verfahren gegen Camillus, da es gefährlich geworden war, ein Amt ohne Gefälligkeit und Schmeichelei gegenüber der Menge zu fuhren. Nachdem die Römer neunzig Stadien1 von der Stadt vorgerückt waren, lagerten sie sich am Flusse Allia, der nicht weit davon in den Tiber mündet. Als die Barbaren sie dort angriffen, kämpften sie schlecht aus Mangel an Ordnung und ergriffen die Flucht. Den linken Flügel warfen die Kelten sofort in den Fluß und vernichteten ihn. Der rechte Flügel wich vor dem Ansturm aus der Ebene gegen die Hügel zurück und erlitt nicht so schwere Verluste, und die meisten entkamen von da nach der Stadt. Die anderen, soweit sie, als die Feinde des Mordens müde wurden, mit dem Leben davonkamen, flohen über Nacht nach Veji, als ob Rom schon dahin und alle dort verloren wären. 19. Die Schlacht fand nach der Sommersonnenwende zur Zeit des Vollmondes statt an dem Tage, an welchem sich schon früher ein großes Unglück ereignet hatte, das der Fabier, als dreihundert Männer aus diesem Gcschlecht von den Etruskern erschlagen wurden. Es wurde aber Sitte, den Tag nach der zweiten Niederlage bis jetzt den Alliatag 1 zu nennen, nach dem Flusse. Ob man nun wirklich an Unglückstage glauben soll, oder ob Heraklit dem Hesiod, der einige Tage für gute und andere für schlechte erklärt 3, mit Recht den Vorwurf gemacht hat, daß er nicht wisse, daß die Natur eines jeden Tages die gleiche sei, darüber habe ich schon an anderm Orte gehandelt 4. In der

450

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

vorliegenden Schrift ist es aber vielleicht angebracht, einige wenige Beispiele anzuführen. So haben die Boioter im Monat Hippodromios - oder, wie ihn die Athener nennen, Hekatombaion - u n d zwar am fünften, zwei glänzende Siege davongetragen, durch die sie die Griechen befreiten, den bei Leuktra und den bei Keressos mehr als zweihundert Jahre vorher, als sie Lattamyas und die Thessalier besiegten. Die Perser sodann sind im Monat Boedromion am sechsten bei Marathon, am dritten bei Flataiai und zugleich bei Mykale von den Griechen geschlagen worden und am sechsundzwanzigsten bei Arbela. Die Athener errangen den Seesieg bei Naxos unter Führung des Chabrias im Boedromion am Vollmondstage und den bei Salamis am zwanzigsten, wie ich in der Schrift Über die Tage gezeigt habe. Auch der Monat Thargelion hat den Barbaren offenbares Unglück gebracht, denn Alexandras besiegte am Granikos die Feldherren des Perserkönigs im Thargelion, und die Karthager wurden in Sizilien von Timoleon am vierundzwanzigsten Thargelion geschlagen, an welchem auch Ilion erobert worden sein soll, wie Ephoros, Kallisthenes, Damastes und Malakos1 erzählt haben. Umgekehrt ist der Metageitnion, den die Boioter Panemos nennen, für die Griechen nicht günstig gewesen. Denn am siebenten dieses Monats wurden sie in der Schlacht bei Krannon von Antipatros besiegt und endgültig ihrer Macht beraubt, und vorher hatten sie bei Chaironeia unglücklich gegen Philipp gekämpft, und am selben Tage im Metageitnion und im selben Jahre fanden die mit Archidamos nach Italien hinübergegangenen Griechen 3 durch die dortigen Barbaren den Tod. Die Bewohner von Kalchedon hüten sich vor dem zweiundzwanzigsten Metageitnion, weil er ihnen stets das meiste und größte Unglück bringe. Ich weiß allerdings auch, daß zur Zeit der Mysterien wiederum Theben von Alexandras zerstört wurde und nachher die Athener eine makedonische Besatzung gerade am zwanzigsten Boedromion

CAMILLUS

451

haben aufnehmen müssen, an dem sie den mystischen Iakchos hinausgeleiten 1 . Ebenso haben die Römer am gleichen Tage erst durch die Cimbern das Heer unter Caepio eingebüßt und später unter Führung des Lucullus die Armenier und Tigranes besiegt. Der König Attalos und Pompejus Magnus sind an ihren Geburtstagen gestorben, und überhaupt kann man viele nennen, denen die Wiederkehr desselben Tages bald Glück, bald Unglück gebracht hat. Die Römer jedenfalls zählen diesen Tag zu den unheilvollsten und seinetwegen auch noch zwei andere in jedem Monat, weil nach dem Vorgefallenen, wie es zu geschehen pflegt, die Ängstlichkeit und der Aberglaube übers Ziel hinausschoß. Das ist in meiner Schrift Über die Ursachen römischer Bräuche 1 sorgfältiger dargelegt. 20. Wenn nach jener Schlacht die Gallier den Fliehenden sofort gefolgt wären, hätte nichts die völlige Zerstörung Roms und den Untergang aller in der Stadt Verbliebenen verhindern können. Solches Entsetzen erregten die Fliehenden bei denen, die sie empfingen, und wurden wiederum von besinnungsloser Verwirrung erfüllt. Nun aber wandten sich die Barbaren, ohne sich der Größe ihres Sieges recht bewußt zu sein, in ihrer Freude dem Feiern und der Verteilung der im Lager vorgefundenen Beute zu und gewährten so der aus der Stadt davonstürzenden Menge die Möglichkeit zu entkommen, und wiederum den Bleibenden Zeit, Hoffnung zu schöpfen und sich zu rüsten. Denn sie gaben die übrige Stadt preis, sicherten aber das Kapitol mit Waffen und verstärkter Verschanzung. Zu allererst brachten sie von den Heiligtümern einige auf das Kapitol in Sicherheit, die der Vesta aber nahmen die Jungfrauen an sich und flohen mit den Priestern. Manche berichten, es befinde sich nichts anderes in ihrem Gewahrsam als das ewige Feuer, das Numa verordnet hat als letzte Ursache aller Dinge zu verehren 3. Denn es ist dasjenige in der Natur, welches am meisten Bewegung schafft; Bewegung oder jedenfalls mit Be-

452

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

wegung verbunden ist jedes Werden; die anderen Teilchen der Materie liegen, wenn die Wärme fehlt, untätig und wie tot und verlangen nach der Kraft des Feuers als ihrer Seele, und wenn sie zu ihnen tritt, gehen sie zum Handeln oder Erleiden über. Dieses Feuer also habe Numa als ein überragender Mann, der wegen seiner Weisheit in dem Rufe stand, im Verkehr mit den Musen zu stehen, geheiligt und lasse es immer wach erhalten als ein Bild der alles durchwaltenden ewigen Macht. Andere sagen, das Feuer brenne wie bei den Griechen als reinigendes Element vor Heiligtümern, drinnen aber würden noch andere Dinge verborgen gehalten, die niemand sehen dürfe als diese Jungfrauen, welche sie Vcstalinnen nennen. Die meistverbreitete Meinung ist, jenes Pallasbild aus Troja werde dort aufbewahrt, das von Aeneas nach Italien gebracht worden sei. Andere wollen wissen, Dardanos habe die samothrakischen Heiligtümer nach Troja entfuhrt und, als er die Stadt gründete, geweiht und geheiligt, und Aeneas habe sie bei der Einnahme Trojas heimlich weggebracht und bis zu seiner Niederlassung in Italien gehütet. Diejenigen, die mehr hierüber zu wissen behaupten, sagen, es lägen dort zwei nicht sehr große Fässer, das eine offen und leer, das andere gefüllt und versiegelt, und beide nur den heiligen Jungfrauen sichtbar. Andere halten das für einen Irrtum, der daher rühre, daß die Mädchen damals die meisten heiligen Gegenstände in zwei Fässer gepackt und unter dem Tempel des Quirinus vergraben hätten, und der Platz habe daher auch heute noch den Namen «Die Fäßchen» 1 . 21. Die höchsten und wichtigsten Heiligtümer auf den Armen, zogen die Jungfrauen flüchtig den Fluß entlang. Da brachte gerade in der Schar der Fliehenden Lucius Albinius, ein Mann aus dem Volk, seine kleinen Kinder und seine Frau mit der notdürftigsten Habe auf einem Wagen fort. Als er nun die Jungfrauen, die die Heiligtümer der Götter im Bausch

CAMILLUS

453

ihrer Kleider trugen, ohne Bedienung mühselig daherwandern sah, nahm er eilends die Frau mit den Kindern und den Habseligkeiten vom Wagen und gab ihn den Jungfrauen, aufzusteigen und in eine der griechischen Städte zu flüchten. Diese fromme Scheu und Ehrfurcht des Albinius vor den Göttern, die er in der äußersten Not bewies, durfte ich nicht mit Stillschweigen übergehen. Die Priester der anderen Götter und die Alten, die Konsuln gewesen waren und Triumphe gefeiert hatten, konnten es nicht über sich gewinnen, die Stadt zu verlassen, sondern sie legten ihre heiligen und kostbaren Gewänder an, richteten mit dem Oberpriester Fabius als Vorsprecher Gebete an die Götter, mit denen sie sich fiir das Vaterland dem Dämon weihten, setzten sich in ihrem Schmuck auf dem Markt in ihre elfenbeinernen Sessel und erwarteten so ihr Schicksal. 22. Am dritten Tage nach der Schlacht erschien Brennus mit seinem Heere vor der Stadt, und da er die Tore geöffnet und die Mauern unbesetzt fand, so fürchtete er zuerst eine Kriegslist und einen Hinterhalt, da er nicht glaubte, daß die Römer ihre Sache so ganz verloren gegeben hätten. Als er aber die Wahrheit erkannte, rückte er durch die porta Collina 1 ein und besetzte die Stadt, die etwas mehr als dreihundertsechzig Jahre seit ihrer Gründung bestanden hatte, wenn man glauben darf, daß wirklich genaue Angaben über die Zeiten sich erhalten haben, wo doch gerade die damalige Katastrophe Zweifel selbst über weniger weit zurückliegende Ereignisse hervorgerufen hat. Übrigens ist, wie es scheint, eine dunkle Kunde von dem Unglück und der Eroberung Roms sogleich auch nach Griechenland gedrungen. Denn der Pontiker Herakleides *, der nicht viel später gelebt hat, sagt in seiner Schrift Von der Seele, von Westen her sei die Nachricht gekommen, daß ein von draußen aus dem Lande der Hyperboreer gekommenes Heer eine griechische Stadt Rome, die dort irgendwo

454

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

am Großen Meer gelegen sei, erobert habe. Es wundert mich nun gar nicht, daß ein Mann, der so zu Märchen und Erfindungen neigt wie Herakleides, die wahre Nachricht von der Eroberung mit den Hyperboreern und dem Großen Meer ausgeschmückt hat. Der Philosoph Aristoteles1 hat offenbar bestimmte Kunde von der Eroberung der Stadt durch die Kelten gehabt, nennt aber ihren Retter Lucius, während Camillus in Wahrheit Marcus, nicht Lucius, geheißen hat. Doch ist dies alles nur vermutungsweise gesagt. Nach der Besetzung Roms umschloß Brennus das Kapitol mit Wachen, stieg selbst zum Forum hinunter und staunte, als er die Männer schweigend in ihrem Schmuck sitzen sah, die sich weder erhoben, als die Feinde herankamen, noch in ihrer Miene oder ihrer Farbe eine Veränderung erkennen ließen, sondern unbekümmert und furchtlos, auf ihre Stäbe gestützt, einander ruhig anblickten. Die Gallier staunten über diese seltsame Erscheinung, zögerten lange Zeit, sie zu berühren und an sie heranzugehen, als ob es höhere Wesen wären, und wußten nicht recht, was tun. Als aber endlich einer von ihnen sich getraute, an Manius Papirius heranzutreten, die Hand ausstreckte, ihn sanft am Kinn berührte und an seinem langen Bart herunterfuhr, da gab ihm Papirius mit seinem Stock einen heftigen Schlag auf den Kopf, der Barbar aber zog sein Schwert und tötete ihn. Hierauf fielen sie auch über die anderen her und schlugen sie tot, erledigten auch jeden, der ihnen sonst begegnete, plünderten viele Tage lang die Häuser rein aus und steckten sie dann in Brand und rissen sie ein im Zorn gegen diejenigen, die das Kapitol besetzt hielten, weil sie ihren Aufforderungen kein Gehör gaben, sondern ihre Angriffe von der Mauer herunter abwehrten und ihnen Verluste zufügten. Daher zerstörten sie die Stadt und brachten alle Gefangenen ohne Unterschied um, Männer und Frauen, Greise und Kinder.

CAMILLUS

455

23. Als sich die Belagerung in die Länge zog, gingen den Galliern die Lebensmittel aus. Sie teilten sich daher, und die einen blieben bei dem König und belagerten das Kapitol, die anderen zogen im Lande umher auf Beute, überfielen die Dörfer und plünderten sie aus, nicht alle miteinander, sondern in kleinere Haufen und Abteilungen zersplittert, weil sie, übermütig geworden durch ihre Erfolge, nichts mehr fürchteten. Der stärkste und noch am meisten geordnete Haufe von ihnen zog auf die Stadt Ardea 1 zu, wo Camillus nach seiner Verbannung zurückgezogen von allen Geschäften und als Privatmann lebte, jetzt aber Hoffnungen schöpfte und Überlegungen anstellte als ein Mann, der sich nicht damit abfand, sich vor den Feinden zu verstecken und ihnen zu entrinnen, sondern darauf dachte, ihnen, wenn der rechte Augenblick käme, Widerstand zu leisten. Da er also sah, daß die Ardeaten zahlreich genug waren, es ihnen aber an Wagemut fehlte wegen der Unerfahrenheit und Schlappheit ihrer Führer, so wendete er sich zunächst an die jungen Leute und stellte ihnen vor, man dürfe das Unglück der Römer nicht für einen Beweis der Tapferkeit der Kelten halten noch das, was die Römer durch ihren Unverstand erlitten hätten, für die Leistung derer, die gar nichts fiir den Sieg getan hätten, sondern man müsse darin ein Spiel des Schicksals sehen. Rühmlich sei es ja, auch unter Gefahren den Ansturm eines fremdstämmigen, barbarischen Gegners abzuwehren, wobei der Sieg wie beim Feuer die völlige Vernichtung des Besiegten bedeute. Er wolle ihnen aber, wenn sie mutig und entschlossen wären, im rechten Augenblick einen gefahrlosen Sieg bescheren. Nachdem die jungen Leute solche Reden wohl aufgenommen hatten, wandte sich Camillus auch an die Behörden und Ratsherren der Ardeaten. Als er auch sie gewonnen hatte, bewaffnete er die ganze junge Mannschaft und hielt sie noch innerhalb der Mauern, damit die in der Nähe befindlichen Feinde nichts bemerkten. Nachdem diese

456

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

das Land durchstreift und sich, beschwert von der Masse der mitgefiihrten Beute, nachlässig und sorglos in der Ebene gelagert hatten, und nachdem die Nacht über die Berauschten hereingebrochen war und Stille im Lager herrschte, führte Camillus, von seinen Kundschaftern darüber unterrichtet, die Ardeaten hinaus, durchmaß in aller Stille die dazwischenliegende Strecke und erreichte um Mitternacht das Lager, wo er nun mit lautem Geschrei und Trompetengeschmetter von allen Seiten Leute aufschreckte, die in ihrer Trunkenheit nur allmählich von dem Lärm aus dem Schlafe auffuhren. Nur wenige, durch den Schrecken ernüchtert, grifTen zu den Waffen und leisteten Camillus' Kriegern Widerstand, so daß sie, während sie sich wehrten, fielen; die meisten wurden, noch vom Schlaf und Wein befangen, wehrlos niedergemacht, und die wenigen, die im Schutze der Nacht aus dem Lager entkamen und am Tage zerstreut im Lande umherirrten, wurden von den nachsetzenden Reitern aufgerieben. 24. Der Ruf von dieser Tat verbreitete sich rasch in den Städten und rief viele junge Leute auf, die sich nun zusammentaten, besonders diejenigen Römer, die aus der Schlacht an der Allia entkommen waren und sich in Veji aufhielten. Sie klagten untereinander: «Was für einen Führer hat ein böser Dämon Rom entrissen und die Ardeaten mit dem Waffenruhm des Camillus geschmückt, und die Stadt, die einen solchen Mann geboren und großgezogen hat, ist dahin und verloren! Wir aber haben uns in Ermangelung eines Feldherrn hinter fremden Mauern verkrochen, sitzen da und geben Italien preis. Wir wollen zu den Ardeaten senden und unsern Feldherrn fordern, oder wir wollen selbst zu den Waffen greifen und zu ihm eilen. Er ist ja kein Verbannter und wir keine Bürger mehr, da unsere Vaterstadt nicht mehr besteht, sondern in der Hand der Feinde ist.» So beschlossen sie, sandten zu Camillus und baten ihn, den Befehl zu übernehmen. Er wei-

CAMILLUS

4j7

gerte sich aber, das zu tun, bevor die Bürger auf dem Kapitol nach dem Gesetz diesen Beschluß bestätigten. Denn sie sehe er, solange sie sich hielten, fiir das Vaterland an, ihrem Rufe werde er willig folgen, wider ihren Willen aber sich nicht aufdrängen. Man bewunderte nun die Bedächtigkeit und rechtliche Gesinnung des Camillus, war aber in Verlegenheit, wer die Nachricht aufs Kapitol bringen sollte, oder vielmehr, es schien unmöglich, daß ein Bote durch die von den Feinden besetzte Stadt auf die Burg gelangen könnte. 25. Nun befand sich unter den jungen Männern Pontius Cominius, ein Bürger mittleren Standes, aber begierig nach Ruhm und Ehre. Der erbot sich freiwillig zu dem Wagnis, nahm aber nichts Geschriebenes an die auf dem Kapitol mit, damit die Feinde nicht, wenn er gefangen würde, die Absichten des Camillus erführen, zog nur ein schlechtes Kleid an, unter dem er Korken trug, und legte den ersten Teil des Weges ungefährdet bei Tage zurück. Als er in die Nähe der Stadt kam, war es schon dunkel, und da er den Fluß nicht auf der Brücke überschreiten konnte, weil die Feinde dort Wache hielten, wickelte er seine Kleider, die nicht viel und nicht schwer waren, um den Kopf, legte sich auf die Korken, die ihm das Schwimmen sehr erleichterten, und stieg bei der Stadt ans Ufer. Denen, die noch wach waren, ging er aus dem Wege, wobei er sich nach den Lichtern und dem Lärm richtete, und gelangte zur porta Carmentalis1, wo tiefste Stille herrschte. Gerade dort ragt der Kapitolhügel besonders steil auf mit wilden und rauhen Felsen. Hier stieg er unbemerkt hinan und gelangte mit schwerer Mühe dort, wo es am schroffsten war, zu den Wächtern auf der Mauer. Er rief sie an, nannte sich mit Namen, wurde aufgenommen und zu den führenden Männern gebracht. Er trat vor den schnell zusammengerufenen Senat, erzählte von dem Siege des Camillus, von dem sie noch nichts erfahren hatten, berichtete, was die Soldaten beschlossen hat-

458

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

ten, und forderte die Senatoren auf, Camillus den Oberbefehl zu bestätigen, da die Bürger draußen nur ihm gehorchen würden. Nachdem der Senat ihn angehört und beraten hatte, ernannte er Camillus zum Diktator und schickte Pontius auf demselben Wege zurück, der wiederum vom Glück begünstigt wurde. Denn er wurde von den Feinden nicht bemerkt und überbrachte den Römern draußen den Beschluß des Senates. (26.) Die nahmen die Botschaft freudig auf, Camillus kam nunmehr nach Veji und traf bereits zwanzigtausend in Waffen an, zog noch mehr von den Bundesgenossen an sich und bereitete den Angriff vor. In Rom kamen einige Barbaren zufällig an dem Orte vorbei, wo Pontius nachts zum Kapitol aufgestiegen war, bemerkten an vielen Stellen Spuren von Füßen und Händen, wo er sich festgehalten und angeklammert hatte, an vielen Stellen auch losgerissenes Gestrüpp und abgerutschtes Erdreich, und meldeten es dem König. Der ging hin, betrachtete es und sagte zunächst nichts. Am Abend aber rief er die Gewandtesten der Kelten, die sich am besten aufs Bergsteigen verstanden, zusammen und sagte: «Den uns bisher unbekannten Weg zu ihnen zeigen uns die Feinde und lehren uns, daß er nicht unersteiglich und für Menschen ungangbar ist. Eine große Schande wäre es, nachdem man den Anfang gemacht hat, vor dem Ende nachzulassen und den Platz als uneinnehmbar aufzugeben, während die Feinde selbst zeigen, wo er zu nehmen ist. Denn wo es für einen leicht ist anzusteigen, da ist es auch für viele einzeln nicht schwer, vielmehr ist es eine große Hilfe und Erleichterung, wenn sie miteinander ans Werk gehen. Geschenke und Auszeichnungen werden jedem nach Verdienst für seine Leistung zuteil werden.» 27. Auf diese Ansprache des Königs gingen die Gallier bereitwillig an das Wagnis heran, und um Mitternacht begannen viele gleichzeitig, den Fels zu ersteigen und sich in aller

CAMILLUS

459

Stille emporzuarbeiten, wobei sie ihn zwar schroff und schwierig, aber doch mehr, als sie es erwartet hatten, dem ernstlichen Versuch nachgebend und nicht unbezwinglich fanden, so daß die ersten schon die Höhe erreichten und im Begriff waren, die Mauerkrone zu erklimmen und die Wächter im Schlafzu überfallen. Denn noch hatte weder ein Mensch noch ein Hund etwas bemerkt. Aber es waren da heilige Gänse beim Tempel der Juno, die zu anderer Zeit reichlich gefüttert wurden, jetzt aber, da die Lebensmittel nur noch knapp und zur Not für die Menschen ausreichten, vernachlässigt und schlecht gehalten wurden. Nun ist das Tier von Natur feinhörig und schreckhaft vor Geräuschen; diese waren jetzt auch vor Hunger wach und unruhig, bemerkten schnell das Nahen der Gallier, rannten mit Geschnatter auf sie zu und weckten so alle auf, zumal nun auch die Barbaren, da sie sich entdeckt sahen, sich nicht mehr Geräusch zu vermeiden bemühten und ungestümer vordrangen. Jeder griffjetzt eilends zu der Waffe, die er gerade zu fassen bekam, und stürzte sich sofort in den Kampf, allen voran Manlius, ein gewesener Konsul und ein Mann von großer Körperkraft und herzhaftem Mut. Er traf auf zwei Feinde zugleich, schlug dem einen, der gerade seine Waffe hob, mit dem Schwert den rechten Arm ab, und dem andern stieß er seinen Schild ins Gesicht und stürzte ihn rücklings den Felsen hinunter. Dann trat er mit denen, die herbeieilten und sich um ihn scharten, auf die Mauer und trieb die anderen Feinde zurück, die weder in großer Zahl hinaufgelangt waren noch etwas leisteten, das des Wagnisses würdig gewesen wäre. So entrannen die Römer der Gefahr. Am Morgen stürzten sie den Befehlshaber der Wachen vom Felsen zu den Feinden hinunter und beschlossen für Manlius einen Siegespreis, mehr zur Ehre als zum Nutzen: sie brachten jeder so viel, wie er täglich als Ration bekam, ein landesübliches halbes Pfund Getreide und eine griechische Viertelkotyle Wein

460

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

28. Nunmehr begann bei den Kelten der M u t zu sinken, denn sie litten Mangel an Lebensmitteln, weil sie durch die Furcht vor Camillus daran gehindert wurden, auf Raub auszuziehen, und eine Seuche begann sich zu verbreiten, da sie unter einer Masse wahllos herumliegender Leichen zwischen den Trümmern lagerten, und die tiefe Aschenschicht, die bei den heißen Winden eine trockcne, durchdringende Stickluft aushauchte, schädigte beim Einatmen die Gesundheit. Am schlimmsten aber wirkte auf sie die Veränderung der gewohnten Lebensweise, da sie aus schattigen Gegenden, die im Sommer erquickende Zufluchtsstätten boten, in ein tiefgelegenes Land mit ungesundem Klima in der heißen Zeit gekommen waren, dazu das sich lange hinziehende, untätige Sitzen vor dem Kapitol; denn sie belagerten es nun schon im siebenten Monat. Daher gab es ein großes Sterben im Lager dermaßen, daß die Toten wegen ihrer Menge nicht einmal mehr begraben wurden. Indes war auch die Lage bei den Belagerten nicht besser. Denn die Hungersnot verschärfte sich, und die Ungewißheit, wie es mit Camillus stünde, lähmte ihren M u t , da niemand mehr von draußen hereinkam, weil die Stadt von den Barbaren nun scharf bewacht wurde. Bei diesem Stand der Dinge auf beiden Seiten begannen Gespräche über einen Vergleich, zuerst zwischen den Vorposten, die aufeinandertrafen, dann kam nach einem Beschluß der maßgebenden Männer der römische Kriegstribun Sulpicius mit Brennus zu einer Unterhandlung zusammen, und es wurde vereinbart, daß die Römer tausend Pfund Gold zahlen, die Gallier nach Empfang sofort aus der Stadt und dem Lande abziehen sollten. Als der Vertrag beschworen und das Gold gebracht war, machten sich die Kelten zuerst heimlich auf unredliche Weise an der Waage zu schaffen, dann zogen sie ganz offen daran und suchten den Ausschlag zu verfälschen, und als die Römer sich darüber entrüsteten, schnallte Brennus wie zu Spott und Hohn Schwert

CAMILLUS

461

und Wehrgehenk ab und legte beides zu den Gewichten, und als Sulpicius fragte: «Was soll das?» antwortete er: «Was sonst als: Wehe den Besiegten!» Das ist seitdem sprichwörtlich geworden. Die Römer empörten sich zum Teil darüber und meinten, man müsse das Gold wieder mitnehmen und die Belagerung weiter aushalten; die anderen erklärten, man solle sich diesen mäßigen Übergriff gefallen lassen und nicht darin, daß man mehr gebe, eine größere Schande erblicken, nachdem man sich nicht mit Ehren, sondern unter dem Zwang der Verhältnisse überhaupt zum Geben bereit gefunden habe. 29. Während sie darüber mit den Kelten und miteinander stritten, erschien Camillus an der Spitze seines Heeres an den Toren, und als er vernahm, was vor sich ging, befahl er den anderen, in Schlachtordnung langsam zu folgen, und eilte selbst mit seinem Stabe sofort zu den Römern, die ihm alle Platz machten und ihn als ihren Oberbefehlshaber schweigend und nach Gebühr empfingen. Er nahm das Gold von der Waage und übergab es den Liktoren, und den Kelten befahl er, Waage und Gewichte zu nehmen und abzuziehen, mit den Worten, es sei bei den Römern alter Brauch, mit dem Eisen, nicht mit Gold, das Vaterland zu retten. Und als Brennus aufbegehrte und sagte, es geschehe ihnen Unrecht, da so der Vertrag gebrochen werde, entgegnete Camillus, der Vertrag sei nicht richtig geschlossen worden und daher ungültig; denn da er bereits zum Diktator gewählt war und nach dem Gesetz kein anderer mehr Befehlsgewalt besaß, so sei das Abkommen mit Leuten getroffen worden, die dazu nicht bevollmächtigt waren. Jetzt sollten sie sagen, was sie etwa sagen wollten, denn er sei nun da als der nach dem Gesetz Befugte, Verzeihung zu gewähren denen, die darum nachsuchten, und den Schuldigen, wenn sie keine Reue zeigten, Strafe aufzuerlegen. Diese Worte versetzten Brennus in große Wut, und er begann ein Handgemenge, beide Teile zogen die Schwerter, drangen aufeinan-

462

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

der ein, und es gab ein buntes Gewühl wie natürlich zwischen Häusern und Gassen und an Orten, die keinen Aufmarsch gestatteten. Bald jedoch besann sich Brennus und führte die Kelten, che noch große Verluste eingetreten waren, ins Lager zurück. Nachts brach er mit dem ganzen Heere auf, verließ die Stadt und lagerte nach einem Marsch von sechzig Stadien an der Via Gabinia 1 . Bei Tagesanbruch erschien Camillus an der Spitze der trefflich gerüsteten und jetzt von neuem Mut erfüllten Römer. Es kam zu einer heftigen, hartnäckigen Schlacht, in der Camillus die Gallier unter vielem Blutvergießen schlug und ihr Lager eroberte. Von den Fliehenden wurde ein Teil sofort bei der Verfolgung erschlagen, und die meisten, die sich zerstreuten, fielen den Einwohnern der umliegenden Dörfer und Städte, die gegen sie auszogen, zum Opfer. 30. So wurde Rom auf unverhoffte Weise genommen und auf noch unverhofftere Weise gerettet, nachdem es sich im ganzen sieben Monate in der Gewalt der Barbaren befunden hatte. Denn sie waren wenige Tage nach den Iden des Quintiiis eingezogen und verließen die Stadt an den Idcn des Februar *. Camillus feierte nun einen Triumph, wie er es verdiente als der Retter des schon verlorenen Vaterlandes, der die Stadt zu sich selbst zurückführte. Denn bei seinem Einzug kehrten auch die Bürger von draußen samt Weibern und Kindern wieder heim, und die auf dem Kapitol Belagerten, die dem Hungertode nahe gewesen waren, gingen ihm entgegen, umarmten einander und weinten vor Freude, und Priester und Tempelhüter der Götter brachten, was sie von Heiligtümern bei der Flucht entweder an Ort und Stelle verborgen oder mit sich fortgenommen hatten, wohlbehalten und geschmückt wieder zurück und zeigten sie als erschntesten Anblick den Bürgern, die sie voll Freude begrüßten, als ob die Götter selber wieder nach Rom zurückkehrten. Camillus opferte den Göttern, reinigte die Stadt nach Anweisung der in diesen Din-

CAMILLUS

463

gen Sachverständigen, stellte die alten Heiligtümer wieder her und erbaute selbst eine Kapelle des Rufes und Gerüchtes (Aius Locutius), nachdem er den Ort ausfindig gemacht hatte, wo nachts dem Caedicius die göttliche Stimme erschollen war, welche den Kriegszug der Barbaren ankündigte 1 . 31. Nur schwer und mit Not wurden die Plätze der Heiligtümer aufgedeckt durch den Eifer des Camillus und vieles Bemühen der Priester. Als es aber hieß, die vollkommen zerstörte Stadt wieder aufzubauen, da befiel angesichts dieser Arbeit Mutlosigkeit die Menge, und es gab ein Zögern, da sie aller Habe beraubt waren und im Augenblick vielmehr einer Ruhe und einer Erholung von den ausgestandenen Leiden bedurften, statt sich zu plagen und abzuarbeiten, da ihre Mittel ebenso wie ihre Körper erschöpft waren. So richteten sie sacht wieder ihre Gedanken auf Veji, eine Stadt, die mit allem wohl versehen dastand, gaben den Leuten, die der Menge zum Munde zu reden pflegten, Gelegenheit zu Wühlereien und hörten auf Hetzreden gegen Camillus, daß er aus persönlichem Ehrgeiz und aus Ruhmsucht ihnen eine fertig dastehende Stadt mißgönne und sie zwingen wolle, Trümmer zu beseitigen und einen solchen Aschenberg wegzuräumen, damit er nicht nur Führer und Feldherr von Rom, sondern auch sein Gründer genannt werde und Romulus verdränge. Daraufhin ließ der Senat aus Furcht vor Unruhen den Camillus nicht, wie er es wünschte, sein Amt innerhalb Jahresfrist niederlegen, obschon bisher kein Diktator das Amt länger als sechs Monate behalten hatte, und suchte das Volk durch Zuspruch und freundliche Behandlung zu beruhigen und zu besänftigen, indem er auf die heiligen Grabstätten und Denkmäler der Vorfahren hinwies und sie an die heiligen Stätten und die geweihten Orte erinnerte, die Romulus, Numa oder andere Könige gestiftet und ihnen anvertraut hätten. Vor allem wies man unter den Heiligtümern auf das noch frische Haupt hin, das

464

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

bei der Grundlegung des Kapitols gefunden worden war - ein Zeichen, daß es diesem Orte bestimmt sei, das Haupt Italiens zu werden - , und auf das Feuer der Vesta, das nach dem Kriege von den Jungfrauen wieder angezündet worden war und das sie nun wieder vernichteten und verlöschten, wenn sie die Stadt aufgäben, sich zur ewigen Schande, ob man sie nun künftig von zugewanderten Fremden wieder besiedelt sähe oder wüst liegend als Weide fiir die Schafe. Wenn sie den einzelnen gegenüber und oft auch vor dem versammelten Volk solche beweglichen Klagen führten, wurden sie hinwiederum von der Menge wankend gemacht, wenn die Leute über ihr gegenwärtiges Unvermögen jammerten und baten, man solle sie, die doch eben erst gleichsam einem Schiffbruch nackt und hilflos entronnen wären, nicht nötigen, die'Trümmer der zerstörten Stadt zusammenzuflicken, während eine andere fertig zur Verfugung stehe. 32. Camillus beschloß nun, die Sache dem Senat zur Entscheidung vorzutragen. Er sprach selbst ausführlich zugunsten Roms und ebenso andere, die so dachten. Zuletzt rief er Lucius Lucretius auf, der als erster seine Stimme abzugeben pflegte, und forderte ihn zur Äußerung auf, und dann die anderen dem Range nach. Als Schweigen eingetreten war und Lucretius eben mit seiner Meinungsäußerung beginnen wollte, ging gerade draußen ein Hauptmann mit dem Wachtkommando des Tages vorbei, rief den Fahnenträger mit lauter Stimme an und befahl ihm, haltzumachen und die Fahne niederzustellen, denn hier werde man am besten sich niederlassen und verweilen. Da diese Stimme gerade im Augenblick des Nachsinnens und Schwankens über die Zukunft erschollen war, sagte Lucretius nach einem Gebet, er trete mit seiner Stimme der Meinung des Gottes bei, und die anderen folgten ihm Mann für Mann. Aber auch bei der Menge erfolgte ein erstaunlicher Stimmungsumschlag; sie ermunterten sich ge-

CAMILLUS

465

gcnseitig und trieben sich zur Arbeit, nicht nach vorangegangener Teilung und Planung, sondern so, daß die Grundstücke von den einzelnen je nach Wunsch und Gelegenheit in Besitz genommen wurden. Daher bauten sie die Stadt in Eifer und Hast mit unregelmäßigen Gassen und durcheinandergewürfelten Häusern auf. Denn innerhalb eines Jahres soll die Stadt mit Ringmauern und Privathäusern neu erstanden sein. Als die Männer, die von Camillus beauftragt waren, die heiligen Stätten festzustellen und neu abzugrenzen1 (da ja alles verschüttet war), auf ihrem Rundgang über das Palatium zur Kapelle des Mars kamen, fanden sie diese selbst zwar wie alles andere von den Feinden zerstört und niedergebrannt; als sie aber den Platz aufräumten und reinigten, stießen sie, unter einem Aschenhaufen tief vergraben, auf den Seherstab des Romulus. Der ist am einen Ende krumm gebogen und heißt Lituus. Sie benützen ihn zur Abgrenzung der Himmelsbezirke, wenn sie sich zur Vogelschau niedersetzen, wie auch er, der ein großer Scher war, ihn benützt hatte. Nachdem er von der Erde entrückt war, nahmen die Priester den Stab in Verwahrung und hüteten ihn unberührt wie die anderen Heiligtümer. Da sie nun diesen Stab wiederfanden, dem Verderben entronnen, während alles andere vernichtet war, faßten sie neue, bessere Hoffnungen für die Zukunft Roms und glaubten, daß dieses Zeichen der Stadt ewiges Bestehen verbürge. 33. Während sie noch mit diesen Arbeiten beschäftigt waren, überraschte sie ein neuer Krieg: Aequer, Volsker und Latiner fielen zugleich in ihr Land ein, und die Etrusker belagerten Sutrium, eine den Römern verbündete Stadt. Als da die Kriegstribunen, die den Befehl führten und sich am Berge Maecius 1 gelagert hatten, von den Latinern belagert wurden und in Gefahr, das Heer zu verlieren, nach Rom um Hilfe sandten, wurde Camillus zum dritten Male zum Diktator gewählt.

466

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

Uber diesen Krieg gibt es zwei Überlieferungen. Ich will die sagenhafte zuerst berichten. Es heißt, die Latiner hätten, sei es als Vorwand, sei es, daß sie tatsächlich die Völker wieder aufs neue durch Heiraten miteinander verbinden wollten, zu den Römern gesandt und freie Jungfrauen und Frauen von ihnen gefordert. Da die Römer in Verlegenheit waren, was sie tun sollten - denn sie fürchteten den Krieg, weil sie sich noch nicht wieder erholt und gekräftigt hatten, und argwöhnten, daß die Forderung der Frauen eine Vergeiselung bedeute, die man nur anstandshalber Verschwägerung nenne - , habe eine Sklavin namens Tutula (oder, wie andere sagen, Philotis) den Behörden den Rat gegeben, man solle mit ihr die wohlgestaltetsten und wie Freie aussehenden Sklavinnen, wie vornehme Jungfrauen geschmückt, hinsenden; für das Weitere werde sie sorgen. Die Behörden folgten dem Rat, suchten unter den Sklavinnen diejenigen aus, die Tutula für den Zweck geeignet fand, schmückten sie mit Kleidern und Gold und übergaben sie den Latinern, die nicht gar weit von der Stadt lagerten. Nachts nahmen die anderen Mädchen den Feinden ihre Schwerter weg, und Tutula (oder Philotis) stieg auf einen hohen wilden Feigenbaum, spannte hinter sich eine Decke aus und hob gegen Rom hin eine brennende Fackel, wie sie es mit den Behörden verabredet hatte, doch ohne daß sonst einer der Bürger etwas davon wußte. Daher sei der Ausmarsch der Soldaten tumultuarisch vor sich gegangen, die, da die Führer zur Eile mahnten, einander anriefen und nur mit Not in die rechte Ordnung kamen. Sie rückten gegen die Verschanzungen der Feinde, die sie nicht erwarteten, sondern ruhig schliefen, nahmen das Lager und töteten die meisten. Das sei an den Nonen des Juli - damals Quintiiis - geschehen, und das an diesem Tage gefeierte Fest sei eine Erinnerung an jenes Geschehnis. Sie ziehen nämlich zuerst dichtgedrängt durch das Tor und rufen laut viele der landesüblichen Namen wie Gajus, Marcus,

CAMILLUS

467

Lucius und dergleichen, womit man das damalige eifrige gegenseitige Anrufen nachahmt. Dann gehen die Sklavinnen reich geschmückt herum und treiben Scherz und Spott mit den Begegnenden. Sie fangen auch Streit miteinander an, weil sie auch damals an dem Kampf mit den Latinern teilgenommen haben. Dann schmausen sie zusammen im Schatten von Feigenästen. Den Tag nennt man Nonae Capratinae, wie man glaubt, nach dem wilden Feigenbaum, auf dem die Magd die Fackel erhob, denn sie nennen ihn caprificus. - Andere sagen, das meiste, was getan und gesagt werde, geschehe zur Erinnerung an das Schicksal des Romulus, denn er sei an diesem Tage außerhalb des Tores verschwunden, als plötzlich tiefe Finsternis und ein Sturm losbrach, auch eine Sonnenfinsternis - wie einige glauben - stattfand, und von dem Ort, wo das geschah, sei der Tag Nonae Capratinae genannt worden. Denn die Ziege nennen sie capra, und Romulus verschwand, während er an dem sogenannten Ziegensumpf eine Volksversammlung hielt, wie das in seinem Leben dargestellt ist (Kap. 27). 34. Die andere Erzählung, welche die meisten Geschichtsschreiber gutheißen, lautet folgendermaßen. Als Camillus zum dritten Male zum Diktator ernannt worden war und erfuhr, daß das Heer unter den Kriegstribunen von den Latinern und Volskern belagert wurde, sah er sich genötigt, auch diejenigen Bürger, die schon über die Jahre der Kraft hinaus waren, unter die Waffen zu rufen. Er nahm einen weiten Umweg um den Berg Maecius, lagerte mit seinem Heer unbemerkt von den Feinden in ihrem Rücken und kündigte seine Anwesenheit durch viele Feuerzeichen an. Die belagerten Römer faßten daraufhin neuen Mut und beschlossen, ihrerseits anzugreifen und eine Schlacht zu liefern. Aber die Latiner und Volsker hielten sich nun hinter ihren Verschanzungen und sicherten und befestigten ihr Lager ringsum durch Pallisaden, da sie jetzt auf zwei Seiten von Feinden bedroht waren, ein zweites Heer von

468

T H E M I S T O K L E S UND C A M I L L U S

Hause abzuwarten gedachten und zugleich auch auf Hilfe seitens der Etrusker rechneten. Camillus, der dies bemerkte und in dieselbe Lage zu kommen fürchtete, in die er eben die Feinde durch die Einschließung versetzt hatte, eilte daher, den Augenblick auszunützen. Da die feindliche Verschanzung aus Holz bestand und bei Tagesanbruch ein starker Wind von den Bergen herabzustoßen pflegte, so ließ er Brandpfeile vorbereiten, führte in der Morgendämmerung sein Heer aus dem Lager und ließ einen Teil desselben auf der anderen Seite unter lautem Geschrei mit seinen Geschossen angreifen; er selbst wartete mit denen, die das Feuer zu schleudern bestimmt waren, dort, wo der Wind das feindliche Lager am stärksten zu treffen pflegte, den Augenblick ab. Als, während die Schlacht schon im Gange war, die Sonne aufging und der Wind kräftig einsetzte, gab er das Zeichen zum Angriff und überschüttete die Verschanzung mit Brandgeschossen. Da das Feuer, von dem massenhaften Holz und den Pallisaden genährt, kräftig aufloderte und sich nach allen Seiten verbreitete, so sahen sich die Latiner, die kein Mittel zum Löschen besaßen und nichts vorbereitet hatten, als das Lager schon von Feuer erfüllt war, auf einen engen Raum zusammengedrängt und stürzten endlich notgedrungen aus dem Lager hervor gegen die waffenstarrenden, in Schlachtordnung aufgestellten Feinde. Von ihnen entrannen nur wenige, und die im Lager Gebliebenen kamen alle im Feuer um, bis die Römer es löschten und sich der Beute bemächtigten. 35. Nach diesem Siege ließ Camillus seinen Sohn Lucius zur Bewachung der Gefangenen und der Beute im Lager zurück und fiel selbst ins Land der Feinde ein. Er eroberte die Stadt der Aequer, zwang die Volsker zur Unterwerfung und führte dann sofort sein Heer gegen Sutrium - ohne noch zu wissen, was dort geschehen war - , um den Sutrinern in der Annahme, daß sie noch von Etruskern belagert würden und sich in Ge-

CAMILLUS

469

fahr befanden, schnelle Hilfe zu bringen. Sie hatten aber bereits die Stadt den Feinden übergeben, waren bar aller Habseligkeiten, nur mit ihren Kleidern auf dem Leibe, herausgelassen worden und begegneten nun mit Weib und Kind, über ihr Schicksal jammernd, dem Camillus, der zu ihnen unterwegs war. Er war selbst von dem Anblick erschüttert, sah, daß auch die Römer, als die Sutriner sich an sie hingen, weinten und über das Geschehene erbittert waren, und beschloß daher, die Rache nicht zu verschieben, sondern marschierte sofort, am selben Tage, auf Sutrium mit der Berechnung, Leute, die eben eine blühende, reiche Stadt eingenommen, keinen Feind darin gelassen hatten und keinen von außen her erwarteten, außer Rand und Band und ungesichert anzutreffen. Und die Berechnung stimmte. Denn nicht nur während er das Land durchzog, blieb er unbemerkt, sondern auch noch, als er vor den Toren stand und die Mauern besetzte. Denn es bewachte sie niemand, sondern bei Wein und Gelagen waren sie in den Häusern zerstreut. Als sie endlich bemerkten, daß die Feinde sich schon der Stadt bemächtigt hatten, waren sie von Überladung und Trunkenheit bereits in so üblem Zustand, daß viele sich nicht einmal zur Flucht wandten, sondern sich in den Häusern aufs schimpflichste darein fügten, zu sterben oder sich den Feinden zu ergeben. So geschah es, daß die Stadt der Sutriner an einem Tage zweimal genommen wurde, daß ihre Eroberer sie wieder verloren und daß die, denen sie genommen worden war, sie durch Camillus wiederbekamen. 36. Der Triumph nach diesen Siegen brachte ihm nicht weniger Dank und Ruhm als die beiden ersten. Denn auch seine größten Neider unter den Bürgern, die alle seine Erfolge mehr seinem Glück als seiner Tüchtigkeit zuschreiben wollten, sahen sich jetzt durch die Tatsachen gezwungen, der überlegenen Klugheit und Tatkraft des Mannes den Ruhm zu geben. Unter seinen Gegnern und Neidern war der bedeutendste Mar-

470

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

cus Maniius, der zuerst die Kelten von der Burg herabgestürzt hatte, als sie nachts das Kapitol angriffen, und daher den Beinamen Capitolinus erhalten hatte. Denn dieser hatte den Ehrgeiz, der Erste unter den Bürgern zu sein, und da er Camillus nicht auf ehrliche Weise an Ruhm übertreffen konnte, sosuchte er sich auf die übliche und gewohnte Weise zum Alleinherrscher zu machen, indem er sich bei der Menge beliebt machte, vor allem den Verschuldeten beistand und sie gegen ihre Gläubiger vertrat, manche ihnen auch mit Gewalt abnahm und hinderte, daß sie nach dem Gesetz in die Schuldknechtschaft gefuhrt wurden, so daß sich alsbald viele der Besitzlosen um ihn scharten, die durch dreistes Benehmen und Unruhen auf dem Markt die angesehenen Bürger in großen Schrecken versetzten. Als der hiergegen zum Diktator ernannte Quintius Capitolinus den Maniius ins Gefängnis werfen ließ, das Volk aber daraufhin Trauer anlegte, was sonst nur bei großen öffentlichen Unglücksfallen geschah, befahl der Senat in Besorgnis eines Aufruhrs die Entlassung des Maniius. Der war aber nach der Freilassung um nichts besser, sondern trieb seine Hetze noch schärfer und stürzte die Stadt in völlige Verwirrung. Jetzt wählten sie Camillus wieder zum Kriegstribun 1 . Als aber der Prozeß gegen Maniius eingeleitet wurde, tat der Ausblick den Anklägern schweren Abbruch. Denn der Ort, wo Maniius gestanden und nachts gegen die Kelten gekämpft hatte, war über dem Markt am Kapitol zu sehen und erregte Mitleid bei denen, die daraufblickten, und auch er selbst streckte die Hände dorthin aus, weinte und erinnerte sie an jene Kämpfe, so daß die Richter in Verlegenheit kamen und die Entscheidung mehrmals verschoben, da sie weder nach den zutage liegenden Beweisen das Verbrechen ungestraft lassen wollten, noch nach dem Gesetz verfahren konnten, solange wegen des Ortes seine einstige Ruhmestat vor ihren Augen lag. Daher besann Camillus sich eines Besseren und verlegte die Verhandlung nach

CAMILLUS

471

außerhalb der Stadt in den petilinischen H a i n D a von dort das Kapitol nicht zu sehen war, trug der Ankläger seine Anklage vor, und die Richter hinderte die Erinnerung an die Vergangenheit nicht, ihrem Zorn über die gegenwärtigen Verbrechen stattzugeben. So wurde Manlius verurteilt, aufs Kapitol geführt und vom Felsen herabgestürzt, so daß derselbe Ort fiir ihn zum Erinnerungsmal der glücklichsten Tat und des größten Unglücks wurde. Die Römer rissen sein Haus nieder und erbauten auf dem Platz einen Tempel der Göttin, die sie Moneta nennen 1 ; ferner beschlossen sie, daß fortan kein Patrizier auf der Burg sollte wohnen dürfen. 37. Als man Camillus zum sechsten Male zum Kriegstribun wählte 3, wollte er ablehnen, weil er schon in vorgerücktem Alter war und wohl auch, weil er Neid und einen Umschlag des Glückes fürchtete nach soviel Ruhm und Gelingen. Der augenfälligste Grund war aber seine schwache Gesundheit; denn er war gerade in jenen Tagen krank. Aber das Volk wollte ihn nicht von dem Amt entbinden, sondern schrie, man brauche ihn ja nicht als Kämpfer zu Fuß oder zu Pferde, sondern nur als Ratgeber und Befehlshaber, und zwang ihn, das Kommando zu übernehmen und das Heer, gemeinsam mit einem seiner Kollegen, Lucius Furius, sogleich gegen die Feinde zu fuhren. Das waren die Pränestiner und Volsker, die mit einer großen Streitmacht das Bundesgenossenland der Römer verheerten. Er rückte aus, lagerte sich dicht bei den Feinden und war für seine Person geneigt, den Krieg hinzuziehen, und wenn eine Schlacht nötig würde, sie erst zu liefern, wenn er wieder zu Kräften gekommen wäre. Da aber sein Kollege Lucius aus Ruhmbegier nicht zu halten war und auf die Entscheidung drängte, auch die höheren und niederen Offiziere aufhetzte, fürchtete er, man möchte glauben, daß er aus Neid ehrgeizigen jungen Leuten die Gelegenheit, sich auszuzeichnen, nehmen wolle, und gab schweren Herzens seine Zustimmung,

47^

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

daß er das Heer zur Schlacht ordnete; er selbst blieb wegen seiner Krankheit mit wenigen im Lager zurück. Als aber Lucius den Kampf unbesonnen führte und geschlagen wurde, hielt sich Camillus, sowie er das Weichen der Römer bemerkte, nicht, sondern sprang vom Lager auf, eilte mit seinen Begleitern zu den Toren des Lagers und drängte durch die Fliehenden gegen ihre Verfolger, so daß die einen sofort kehrtmachten und sich ihm anschlössen und die von außen Zuströmenden vor ihm stillstanden und wieder Front machten, indem sie einander zuriefen, man dürfe den Feldherm nicht im Stich lassen. So stellten die Feinde jetzt die Verfolgung ein. Am folgenden Tage führte Camillus das Heer zur Schlacht hinaus, errang einen vollständigen Sieg und eroberte das feindliche Lager, indem er mit den Fliehenden eindrang und die meisten tötete. Als er hierauf erfuhr, daß die Stadt Satria 1 von den Etruskern genommen und die Bewohner, alles Römer, abgeschlachtet worden seien, schickte er den größeren, schwerer beweglichen Teil des Heeres nach Rom, nahm selbst die rüstigsten und mutigsten Krieger an sich, überfiel die Etrusker, die die Stadt besetzt hielten, schlug sie und verjagte sie teils, teils machte er sie nieder. 38. Mit reicher Beute kehrte er nach Rom zurück und hatte bewiesen, daß diejenigen die klügsten von allen waren, welche die körperliche Schwäche und das hohe Alter eines erfahrenen und beherzten Feldherrn nicht scheuten, sondern ihn gegen seinen Willen und trotz seiner Krankheit jungen Männern vorzogen, die sich mit Eifer um das Amt bewarben. Daher befahlen sie auch, als es hieß, dieTusculaner* seien abgefallen, daß Camillus gegen sie ausziehen und einen seiner fünf Amtsgenossen sich zur Seite stellen solle. Alle waren dazu bereit und bemühten sich darum, aber er wählte unter Übergehung der anderen und gegen die allgemeine Erwartung den Lucius Furius. Denn er war es, der gegen die Meinung des Camillus un-

CAMILLUS

473

längst die Schlacht zu schlagen gewünscht und dabei den Mißerfolg gehabt hatte. Er wollte, wie es .scheint, das Unglück des Mannes vergessen machen und ihn von der Schande befreien und gab ihm deshalb vor allen anderen den Vorzug. Die Tusculaner suchten, als Camillus schon gegen sie anrückte, ihr Vergehen mit List zu beschönigen. Das Land war wie im Frieden mit ackernden und weidenden Menschen erfüllt, die Tore hielten sie offen, die Kinder ließen sie in die Schulen gehen, und von der Bevölkerung sah man die Handwerker in den Werkstätten bei ihrer Arbeit, die besseren Leute in Friedenskleidern auf dem Markt, und die Beamten liefen eifrig herum, um Quartiere fiir die Römer zu bestellen, als ob man nichts Böses gewärtigte, noch sich dessen bewußt wäre. Camillus ließ sich durch dieses Treiben nicht dazu bringen, an ihrem Verrat zu zweifeln, wohl aber durch ihre Reue zum Mitleid summen und befahl ihnen, sich an den Senat zu wenden und um Verzeihung zu bitten. Da sie das taten, stand er ihnen bei und erwirkte, daß die Stadt von aller Schuld freigesprochen wurde und das römische Bürgerrecht erhielt. Dies waren die bedeutendsten Taten seines sechsten Kriegstribunats. 39. Als hierauf Licinius Stolo in der Stadt den großen Aufruhr erregte, indem das Volk sich gegen den Senat erhob, um durchzusetzen, daß von den beiden zu wählenden Konsuln der eine jedenfalls ein Plebejer, nicht beide Patrizier sein sollten, wurden nur Volkstribunen gewählt, die Durchfuhrung der Konsul wahlen verhinderte die Menge. Da nun die Verhältnisse bei dem Fehlen leitender Beamter zu immer größerer Wirrnis trieben, wurde Camillus vom Senat gegen den Willen des Volkes zum vierten Male zum Diktator gewählt 1 , und er hatte auch selbst keine Neigung dazu und wollte nicht Leuten scharf entgegentreten, die nach vielen schweren Kämpfen wohl ein freies Wort zu ihm sprechen durften, da er mehr mit ihnen als Feldherr als mit den Patriziern als Staatsmann zu tun gehabt

474

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

hatte und nun von diesen aus Haß gegen die Plebs gewählt worden war, damit er entweder, wenn er sich durchsetzte, das Volk bändigte oder im umgekehrten Falle selbst gestürzt würde. Nichtsdestoweniger versuchte er dem augenblicklichen Notstand zu steuern, und als er den Tag erfuhr, an dem die Volkstribunen das Gesetz durchzubringen gedachten, so setzte er eine Aushebung an und rief das Volk vom Markt weg auf das Marsfeld unter Androhung hoher Strafen für die Ungehorsamen. Als nun aber die Volkstribunen ihrerseits drohten und feierlich erklärten, sie würden ihn mit funfzigtausend Denaren bestrafen, wenn er nicht aufhörte, das Volk an der Ausübung seiner politischen Rechte zu hindern, fürchtete er entweder eine zweite Verbannung und Verurteilung, die sich fiir einen Greis nach so großen Taten wenig schicken würde, oder fühlte sich außerstande und auch nicht gewillt, die unwiderstehliche Gewalt des Volkes zu überwinden, und kehrte zunächst in sein Haus zurück, und wenige Tage später legte er unter dem Vorwand, krank zu sein, das Amt nieder. Der Senat ernannte einen andern Diktator, und der ernannte zum Befehlshaber der Reiterei eben den Führer des Aufruhrs, Stolo, und ließ zu, daß er das Gesetz, welches den Patriziern am meisten wehe tat, durchbrachte, dasjenige nämlich, welches verordnete, daß niemand mehr als fünfhundert Morgen Land besitzen sollte. Als er diesen Abstimmungssieg errungen hatte, stand Stolo groß da; wenig später aber wurde er überführt, selbst so viel zu besitzen, wie er anderen zu haben verbot, und nach seinem eigenen Gesetze bestraft. 40. Als noch der Streit um die Konsulwahlen übrig war, der den Kern und Ausgangspunkt bildete und dem Senat in seiner Auseinandersetzung mit dem Volk am meisten zu schafTen machte, kam die sichere Kunde, daß die Kelten wieder vom Adriatischen Meer aufgebrochen und mit vielen Zehntausenden gegen Rom im Anmarsch seien. Zugleich mit der Nach-

CAMILLUS

47$

rieht machten sich auch die Wirkungen des Krieges bemerkbar: das Land wurde verwüstet, und die Menschen, soweit es ihnen nicht möglich war, nach Rom zu flüchten, zerstreuten sich in den Gebirgen. Dieser Schreck machte dem Bürgerzwist ein Ende, die Vornehmen vereinigten sich mit der Menge, das Volk mit dem Senat, und alle wählten einhellig den Camillus zum fünften Male zum D i k t a t o r E r war damals schon sehr alt, wenig unter achtzig; aber da er die Not und die Gefahr erkannte, suchte er weder Ausflüchte wie vorher, noch gebrauchte er Vorwände, sondern übernahm sofort das Kommando und sammelte die Streiter. Da er wußte, daß die Kampfkraft der Barbaren vor allem in ihren Schwertern lag, die sie auf Barbaren weise ohne alle Fechterkunst so niedersausen ließen, daß sie zumeist Schultern und Köpfe spalteten, so ließ er für die Legionäre ganz eiserne Helme mit glatter Oberfläche herstellen, so daß die Schwerter abglitten oder zersprangen, und um die Schilde ließ er einen Rand aus Kupferblech legen, da das Holz allein die starken Schläge nicht aushielt. Die Soldaten selbst übte er darin, die langen Spieße von Hand zu brauchen und damit die Schwcrthiebe der Feinde zu parieren. 41. Als die Kelten nahe waren und am Arno» ein Lager, übervoll von reichlicher Beute, bezogen hatten, rückte er mit seinem Heere aus und ließ es auf einer sanften Höhe lagern, die viele Einschnitte hatte, so daß der größte Teil verborgen blieb und der sichtbare Teil sich scheinbar aus Furcht auf hochgelegenen Plätzen zusammengedrängt hatte. Um diesen Eindruck bei den Feinden noch mehr zu verstärken, wehrte Camillus ihnen nicht, als sie das nahegelegene Land verwüsteten, sondern verschanzte sein Lager und hielt sich ruhig, bis er sah, daß ein Teil sich zerstreut hatte, um Beute zu machen, und die im Lager Verbliebenen sich zu jeder Stunde hemmungslos anfüllten und betranken. Jetzt schickte er noch in der Nacht die leichten Truppen voraus, die Barbaren, wenn sie sich in

476

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

Schlachtordnung stellten, zu belästigen und gleich beim Ausrücken zu stören, und bei Tagesanbruch führte er die Schwerbewaffneten hinab und ordnete sie in der Ebene, wo nun viele mutige Kämpfer erschienen, nicht, wie die Barbaren erwartet hatten, wenige und verzagte. Das drückte zuerst auf den Mut der Kelten, da es gegen ihre Ehre ging, angegriffen zu werden. Dann fielen die leichten Truppen sie an, brachten sie in Verwirrung, ehe sie die gewohnte Ordnung einnehmen und sich in ihre Abteilungen gliedern konnten, und nötigten sie, ungeordnet, wie es sich gerade traf, zu kämpfen. Als endlich Camillus die schwere Infanterie einsetzte, hoben sie zwar ihre Schwerter und eilten ins Handgemenge, aber da die Römer ihnen mit den Spießen entgegentraten und mit den eisenbeschlagenen Teilen die Hiebe auffingen, so brachten sie das weiche und dünn ausgeschmiedete Eisen der Gallier zum Abgleiten, so daß die Schwerter sich schnell verbogen und schartig wurden, die Schilde durchbohrt und schwer wurden durch die in ihnen steckenden Spieße. Daher ließen sie die eigenen Waffen los und versuchten, sich an die der Gegner zu klammern, packten mit den Händen nach den Spießen, um sie herüberzureißen. Aber als die Römer gewahrten, daß sie sich so entblößten, griffen sie zu den Schwertern, es gab ein großes Blutbad in den vordersten Reihen, und die anderen flohen nach allen Seiten durch die Ebene. Denn die Hügel und Anhöhen hatte Camillus schon vorher besetzt, und da sie ihr Lager, weil sie sich sicher fühlten, nicht befestigt hatten, so wußten sie, daß es ohne Mühe genommen werden würde. Diese Schlacht soll dreizehn Jahre1 nach der Einnahme Roms geliefert worden sein, und erst nach ihr soll ein Gefühl der Sicherheit den Kelten gegenüber in den Römern entstanden sein, nachdem sie bis dahin die Barbaren sehr gefürchtet hatten, in dem Bewußtsein, sie das erstemal nur dank den Seuchen und unerwarteten Glücksfällen, nicht durch die eigene

CAMILLUS

477

Kraft, besiegt zu haben. Die Furcht vor ihnen war so stark, daß sie ein Gesetz gemacht hatten, das die Priester vom Kriegsdienst befreite, außer wenn ein gallischer Krieg ausbräche. 42. Dies war die letzte kriegerische Unternehmung des Camillus. Denn die Einnahme der Stadt Velitrae 1 war nur ein Nebenwerk dieses Feldzuges, und sie ergab sich ohne Kampf. Aber von den politischen Kämpfen stand der größte und schwerste noch bevor, der gegen das Volk, das gestärkt durch den Sieg heimgekommen war und es nun durchsetzen wollte, entgegen dem bestehenden Brauch einen Konsul aus der Plebs zu ernennen, wogegen der Senat sich wehrte und daher Camillus nicht gestattete, sein Amt niederzulegen, um im Bunde mit seiner umfassenden Amtsgewalt besser für die Adelsherrschaft zu kämpfen. Als nun, während er auf dem Markt den Vorsitz führte und Gericht hielt, ein von den Volkstribunen gesandter Amtsdiener ihm zu folgen befahl und die Hand an ihn legen wollte, um ihn abzuführen, und Geschrei und Getümmel wie nie zuvor den Markt erfüllte, da die Freunde des Camillus den Amtsdiener von der Tribüne stoßen wollten, die Menge von unten aber ihm zurief, er solle den Mann nur abführen : da legte Camillus trotz der augenblicklichen Bedrängnis das Amt nicht nieder, sondern begab sich mit den Senatoren in die Curie. Bevor er eintrat, wandte er sich um zum Kapitol und betete zu den Göttern, sie möchten die gegenwärtige Not zum besten Ende führen, und gelobte, einen Tempel der Eintracht zu erbauen, wenn der Zwist zur Ruhe käme. Im Senat gab es einen großen Kampf mit den gegnerischen Meinungen, aber schließlich siegte doch die mildere, die dem Volke nachgab und zugestand, daß der eine Konsul aus der Plebs gewählt werden sollte. Als der Diktator dies als Senatsbeschluß dem Volke verkündete, versöhnte es sich natürlich sofort voller Freude mit dem Senat und geleitete Camillus mit

478

THEMISTOKLES UND CAMILLUS

Jubel und Beifallsklatschen nach Haus. Am folgenden Tage kamen sie wieder zusammen und beschlossen, den Tempel der Eintracht, wie Camillus gelobt hatte, nach dem Geschehenen so, daß er auf den Markt und den Versammlungsplatz schaute, zu errichten, auch dem Latinischen Fest einen Tag hinzuzusetzen und es also vier Tage lang zu feiern 1 ; ferner sollten sogleich alle Römer opfern und Kränze tragen. Die Wahlen wurden von Camillus geleitet, und es wurden zu Konsuln gewählt Marcus Aemilius als Patrizier und Lucius Sextius als erster Plebejer. Damit fanden die Taten des Camillus ihr Ende. Im folgenden Jahr brach in Rom eine Seuche aus, die aus dem Volk eine unzählbare Menge und die meisten Amtspersonen dahinraffte. Es starb auch Camillus, in Anbetracht seines Alters und der wahren Vollendung des Lebens so reif wie nur irgendein Mensch, doch von den Römern betrauert mehr als alle zusammen, die sonst in jenem Jahr der Seuche erlagen.

ERLÄUTERUNGEN

ERLÄUTERUNGEN

ZU

THESEUS

Plutarch ist sich bewußt, daß er bei der Behandlung der Heroen T h e seus und Romulus den Boden der verbürgten Geschichte verlassen und sich ins Reich der Sage begeben muß. Wenn er, wie wir ihn sagen hören, versuchen will, mit verstandesmäßiger Kritik den historischen Kern aus der mythischen Umhüllung herauszuschälen, so wird der kritische Leser seinerseits leicht bemerken, daß ihm das nur sehr unvollkommen gelungen ist und daß er trotz seiner betonten kritischen Haltung in Wahrheit nur allzu leicht und allzu viel geglaubt hat. Viel mehr als, daß einmal in früher Zeit der Zusammenschluß der verstreuten Gemeinden Attikas zum Stadtstaat Athen nach mancherlei Kämpfen durch einen bedeutenden Staatsmann (der Theseus geheißen haben mag) vollzogen worden ist, daß alte Beziehungen der herrschenden Familien Athens zu dem Fürstenhause von Troizen am gegenüberliegenden Ufer des Saronischen Meerbusens bestanden haben und daß es in jenen Zeiten Auseinandersetzungen mit dem seemächtigen Kreta des Minos gegeben hat, wird von all dem, was Plutarch von Theseus zu erzählen weiß, nicht als «historisch» anzusprechen sein. Seinen Stoffhat unser Autor nicht nur der eigentlichen Sage entnommen, die in mancherlei Überlieferung erhalten und von vielen Dichtern - Epikern, Lyrikern und Dramatikern - geformt und weitergebildet worden war; ihre Kenntnis setzt er bei seinen Lesern voraus und deutet sie darum öfters eben nur an; sondern mehr noch den «Mythographen», den Schriftstellern und volkskundlichen Forschern, wie wir sie nennen können, die alles Erreichbare gesammelt und es zu vergleichen, zu harmonisieren und das Märchenhafte auf eine uns oft kindlich anmutende Weise sich verstandesmäßig zurechtzulegen und zu deuten versucht haben. Eine ganze Anzahl Namen solcher Schriftsteller hat Plutarch im Leben des Theseus angeführt. Viele von ihnen sind für uns nicht viel mehr als Namen. N u r über diejenigen, welche uns einigermaßen kenntlich sind, wird in diesen Erläuterungen etwas vermerkt. 67

1 Aischylos, Sieben gegen Theben 435.

68

1 llias 7, 281. — 2 Troizen, alte Stadt der Argolis am Südufer des Saronischen Meerbusens, Athen gegenüber. —3 Hesiod, Werke und Tage 370.

482 69

E R L Ä U T E R U N G E N Z U DEN S E I T E N 6 9 - 7 9 1 Euripides, Hippolvtos 1 1 . - 2 L»er «vorragende t u t ) des .Schlauches» ist das membrum virile.

70

1 Silanion w a r ein n a m h a f t e r Erzgießer, wahrscheinlich der Z e i t Alexanders des G r o ß e n , uns in seiner Kunst nicht mehr faßbar; ebensowenig Parrhasios von Ephesos (noch ins 5. J a h r h u n d e r t v. Chr. gehörig), obwohl er im A l t e r t u m als einer der berühmtesten Maler galt und wir über seine Person und sein Schaffen eine Fülle von Nachrichten haben. - 2 Ilias 2 , 542. - 3 Archilochos (7. J a h r hundert v. C h r . ) frg. 3 Diehl.

72

; Alkmene w a r die M u t t e r des Herakles.

74

t K r o m m v o n lag im G r e n z g e b i e t von Korinth und der Mcgaris. Deutungen von der A r t der hier vorgetragenen sind im A l t e r t u m mehrfach ernstlich gegeben worden. - 2 Simonides von Keos, e t w a 558 bis 468, neben Pindar der bedeutendste C h o r l y r i k e r (und Epig r a m m a t i k e r ) der Z e i t ; frg. 1 9 3 Bergk.

75

1 Prokrustes legte die F r e m d e n , die des Weges kamen, auf sein Bett und reckte sie aus, wenn sie zu kurz, hackte ein S t ü c k von ihnen ab, wenn sie zu lang waren. - 2 Hekatombaion hieß im attischen Kalender der erste M o n a t nach der Sommersonnenwende, also J u n i - J u l i . - 3 Medeia flüchtete aus Korinth, nachdem sie ihre K i n der von Iason getötet und ihre Nebenbuhlerin, die korinthische Königstochter K r e u s a , durch G i f t beseitigt hatte. Berühmteste Darstellung die erhaltene T r a g ö d i e des Euripides.

77

1 Die idyllische G e s c h i c h t e von d e m frommen alten M ü t t e r c h e n Hekale, das den jungen Helden T h e s e u s so freundlich a u f n a h m , war in einem h o c h b e r ü h m t e n Kurzepos des Kallimachos von K v rene (3. J a h r h u n d e r t v . C h r . ) dargestellt, das f ü r diese Dichtungsgattung vorbildlich wurde. Doch sind nur geringe Bruchstücke von ihm erhalten. - 2 Philochoros, nach 260 v. Chr. hochbetagt gestorben, war Seher und ein sehr vielseitiger Schriftsteller, der bedeutendste der sog. A t t h i d o g r a p h e n , die die Spezialgeschichte A n i k a s vor allem auch im Sinne der volkskundlichen, religions- und allgemein kulturgeschichtlichen Forschung umfassend behandelt haben. Die erhaltenen, an sich nicht unbedeutenden R e s t e dieser Schriftstellerei sind nur ein geringer Bruchteil dessen, was es gegeben hat.

78

1 Euripides frg. 996 und 997. - 2 Aristoteles frg. 443 Rose. - 3 Iapvgien entsprach u n g e f ä h r dem heutigen Apulien.

79

1 Hesiod frg. 1 0 3 R z a c h ; Odyssee 1 9 , 179. - 2 Hellanikos von M v tilene, bedeutender M v t h o g r a p h und Historiker, ungefährer Z e i t genosse des T h u k v d i d e s , also im letzten Drittel des 5. Jhdts. tätig.

E R L Ä U T E R U N G E N Z U DEN S E I T E N 8 0 - 8 9

483

80

1 Simonides frg. 33 Diehl.

81

1 M u n y c h i o n hieß d e r 1 0 . M o n a t des attischen J a h r e s , e t w a M ä r z - A p r i l . - 2 Pherekydes von A t h e n , bedeutender M y t h o g r a p h und G e n e a l o g e d e r ersten H ä l f t e des 5. J a h r h u n d e r t s , nur in Bruchstücken e r h a l t e n ; D e m o n ein minder bedeutender A t t h i d o g r a p h , e t w a um 300.

82

1 Kleidcmos der älteste A t t h i d o g r a p h , M i t t e des 4. Jahrhunderts. 2 T h y m a i t a d a i lag nicht weit vom Peiraieus (Piraeus).

83

1 Hesiod frg. 1 0 5 R z a c h . - 2 Odyssee 1 1 , 6 3 1 . - 3 Ion von C h i o s , Z e i t g e n o s s e d e r 3 großen Tragiker, selbst T r a g i k e r und auch a u f anderen G e b i e t e n der L i t e r a t u r - Poesie und Prosa - erfolgreich tätig.

84

1 G o r p i a i o s , 1 1 . M o n a t des altmakedonischen, seit hellenistischer Z e i t auch in K y p r o s rezipierten, mit der Herbstnachtgleiche beginnenden Mondsonnenjahres, entsprechend dem attischen Metageitnion, J u l i - A u g u s t . Die Geschichte ist ein interessantes antikes Beispiel des p r i m i t i v e n Brauches des «Männerwochenbettes». - 2 Dikaiarchos von M e s s e n e in Sizilien, Schüler des Aristoteles, im letzten Drittel des 4. und wohl bis ins 3. Jahrhundert hinein tätig, sehr vielseitiger G e l e h r t e r und Schriftsteller, vor allem als Kulturhistoriker. - 3 D e r A l t a r Keraton auf Delos war nach der Sage, wie Kallimachos im H y m n u s auf Apollon sie erzählt, von dem vierjährigen G o t t selbst aus den linken Hörnern der von Artemis geschossenen Wildziegen errichtet und galt als eins der sieben Weltwunder. Der O r t , wo er im heiligen Bezirk des G o t t e s gestanden hat, ist durch die französischen Ausgrabungen festgestellt.

8j

1 Die Oschophorien, das Fest des «Tragens der Rebzweige», war ein altattisches E r n t e f e s t gleich den Pyanepsia oder Pyanopsia («Hülsen früchtekochen »), nach dem der Monat Pvanepsion oder Pyanopsion, der v i e r t e des attischen Jahres, benannt war.

86

1 D e m e t r i u s von Phaleron, Aristoteliker, als vielseitiger Schriftsteller ebenso bedeutend wie als Staatsmann, 3 1 8 - 3 0 7

Regent

A t h e n s im A u f t r a g e des Königs Kassandros von Makedonien, zuletzt am H o f e des ersten Ptolemäers zu Alexandreia in einflußreicher Stellung. 87

1 Ü b e r die Phvtaliden vgl. oben Kap. 1 2 .

88

1 Metoikia oder Synoikia hieß das Fest, welches zur Erinnerung an den politischen Z u s a m m e n s c h l u ß (Synoikismos) gefeiert wurde. 2 Aristoteles frg. 346 Rose.

89

i Uias 2 , 547.

484

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN S E I T E N

90-101

90 I Der hier zitierte, ziemlich obskure Bion ist nicht identisch mit dem Bukoliker Bion noch mit dem Popularphilosophen Bion von Borysthenes, der Horaz als Vorbild für seine Satiren diente. 91 1 Der Genetiv von Hermes lautet Hermü, der von Hermos: Hermu. - 2 Die Pnvx, der Versammlungsplatz des Volkes von Athen, lag westlich, der Museion-Hügel südwestlich der Akropolis. - j l'hobos ist der Dämon des Schreckens, der Panik, die eine T ruppe ergreift; oft dem Kriegsgott Ares gleichgesetzt. - 4 Der Boedromion ist der dritte Monat des attischen Jahres (August—September); wahrscheinlich am siebenten Tage desselben wurden die Boedromia, das Fest des Boedromios, des zu Hilfe eilenden Apollon, gefeiert. 92 1 Das Peiraieustor war der Südwestausgang der Stadt, Palladion und Lykeion lagen unweit des Ardettoshügels im Osten der Stadt, in den das in der Neuzeit wieder ausgebaute Stadion eingeschnitten ist. — 2 Die Lage des Heiligtums der olympischen Ge ( = Gaia, Krdgöttin) ist nicht mit Sicherheit feststellbar. 94 / Die erhaltenen Hiketides, die Schutzflehenden, kurz vor 421 in Athen aufgeführt. - 2 Plutarchs Leben des Herakles ist verloren. 3 Das Städtchen Eleutherai lag an der Straße von Athen nach T heben am Südhang des Kithairon noch in Attika. 96 1 Aphidnai, altes Städtchen im nordöstlichen Attika an der Charadra, nicht weit von Marathon. - 2 Kuhemeris tisch-mensch liehe Umdeutung der Sage von der Unterweltsfahrt des Theseus und Peirithoos. 97 1 Es handelt sich um den I km vor dem Nordwesttor der Stadt, dem Dipylon, nahe der «heiligen Straße» gelegenen Bezirk, innerhalb dessen später das Gartengrundstück Piarons lag, in dem er seine Schule hielt. 98 1 Alle diese Deutungen des Namens Anakes sind unsinnig (wie die meisten antiken Etymologien). - 2 Ilias 3, 144. - 3 Istros, Schüler des Kallimachos, also 3. Jahrhundert v.Chr., vielseitiger Schriftsteller. Sein Werk über Athen war sehr umfangreich. 99 1 Gargettos, attische Gemeinde zwischen Pentelikon und Hvmettos, das heutige Dorf Garito. 101 1 Der Perieget Diodoros, wohl Athener, der älteste dieser Verfasser von Reisebeschreibungen durch gewisse Bezirke, schrieb in den letzten Jahrzehnten des 4. Jahrhunderts.

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN

ERLÄUTERUNGEN ZU

IO4-II5

485

ROMULUS

Für die Biographie des Romulus gilt ähnliches wie das zu Theseus Bemerkte und vielleicht insofern in noch höherem Maße, als es echte sagenhafte Überlieferung bei den Römern überhaupt nicht oder doch nur in bescheidenstem Maße gab. So ist das meiste, was an sagenhaft Klingendem aus der römischen Frühzeit berichtet wird, in Wahrheit einfach Erfindung oder Kombination zuerst griechischer Dichter und Literaten, die ihren römischen Herren und Gönnern zu Gefallen einen Ahnenruhm erdichteten, den die römische Überlieferung nicht hergab, wobei man aus dem reichen Arsenal der griechischen Sage schöpfte. Bald sind dann den Griechen römische Dichter und Schriftsteller auf diesem Wege gefolgt. Gewiß mischt sich auch manches Primitiv-Volkstümliche italischer Herkunft hinein, und vor allem auch fehlt es nicht an Zügen etruskischen Ursprungs. 104 1 Promathion ist ganz dunkel, ebenso Diokles von Peparethos (Sporadeninsel). Wenn der letztere Gewährsmann des Fabius Pictor, des ältesten noch griechisch schreibenden Annalisten, war (Zeit des Hannibalkrieges), so muß er im 3. Jahrhundert v. Chr. tätig gewesen sein. 105 t Cermalus (die Etymologie als Germanus ist ganz unsinnig) hieß der nordwestliche Teil des Palatiumhügels (die Bezeichnung desselben als «Palatin» ist modern). 1 1 3 1 Herodoros aus Herakleia am Pontos (Schwarzes Meer) schrieb noch im 5. Jahrhundert v. Chr. eine sehr ausführliche Geschichte des Herakles (in ionischem Dialekt). — 2 Aischylos, Schutzflehende 223.

i i j 1 Die Monate des Julianischen Kalenders (46 v.Chr. eingeführt), der im wesentlichen mit dem unsern, dem Gregorianischen, übereinstimmt, und seine Monatsersten (diese meint Plutarch mit dem unzutreffenden Ausdruck «römische Neumonde») haben allerdings nichts mit den griechischen Monaten, wirklichen, jeweils mit dem Neumond beginnenden und endigenden Mond-Monaten zu tun. Daß am 2 1 . April 753 (oder an einem Tage in der Nähe dieses Datums) eine Sonnenfinsternis stattgefunden habe, trifft nicht zu. Sonnenfinsternisse der Vergangenheit rückwärts rechnend zu fixieren, war die antike Astronomie noch nicht imstande. — Der

486

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN

II5-II9

Epiker Antimachos von Teos, der als der Dichter der Thebais und der Epigonen des «epischen Kyklos» galt, ist uns so gut wie unbekannt. 1 1 6 1 M. Terentius Varro ( 1 1 6 - 2 7 ) war tatsächlich der größte römische Gelehrte. Die astrologischen Studien seines Zeitgenossen L. Tarutius (oder Tarrutius) sind auch sonst bezeugt. Die Horoskope des Romulus und der Stadt Rom sind natürlich reine Phantasterei. Aber am 24. Juni 772 (der Juni entspricht etwa dem ägyptischen Choiak) hat wirklich eine Sonnenfinsternis stattgefunden, von der Tarutius offenbar Kenntnis hatte. Hingegen ist die Angabe, daß die Gründung Roms am 9. Pharmuthi (etwa = März) erfolgt sei, unvereinbar mit der vorangehenden Angabe, daß an diesem Tage eine Sonnenfinsternis gewesen sei, die ja nur bei Neumond, also am letzten bzw. ersten Tage eines echten Monats, eintreten kann. — 2 Euandros war nach der Sage 60 Jahre vor dem Trojanischen Kriege aus Arkadien in Italien eingewandert und hatte die erste Siedlung auf dem Palatium angelegt. 1 1 7 1 Plutarchs Ubersetzung der Anrede an den Senat «patres conscripti» als «versammelte Väter» ist nicht richtig. Vielmehr bezeichnete patres die patrizischen, conscripti «Beigeordnete» die später hinzugekommenen Senatoren plebejischer Abkunft. - 2 Clientes (älter cluentes) heißt wörtlich «Hörende», «Hörige». 1 1 8 1 Fabius ist der schon in der Anm. zu S. 78 1 erwähnte Fabius Pictor. — 2 Consus war ein altrömischer Ackergott, dem insbesondere die Bergung der geernteten Feldfrucht (unter der Erde) unterstand. Mit consilium und consul hatte er nichts zu vun, das sind irrige antike Kombinationen. Die Consualia wurden am 2 1 . August und am 15. Dezember gefeiert. 1 1 9 1 Valerius Antias war einer der bedeutendsten sog. jüngeren römischen Annalisten, 1. Jahrhundert v.Chr. Sein umfängliches Werk, voll von phantastischen Erfindungen zum Ruhme Roms und besonders der gens Valeria, ist durch Livius (der ihn aber viel benützt hat) verdrängt worden und verlorengegangen. — Juba II. von Mauretanien, Sohn Jubas I., der sich nach der Niederlage bei Thapsus 46 den Tod gab, wurde als kleiner Knabe von Caesar im Triumphzug über Afrika aufgeführt, erhielt 25 von Augustus sein väterliches Reich zurück und Kleopatra Selene, die Tochter des Antonius und der Kleopatra, als Gattin. Er war ein sehr fruchtbarer Schriftsteller auf vielen Gebieten, auch auf dem der römischen Geschichte. Plutarch hat ihn dafür viel benützt, teils weil er grie-

ERLÄUTERUNGEN ZU DEN SEITEN I I 9 - I 2 5

487

chisch geschrieben hatte, teils auch weil er Griechisches und Römisches vergleichend zu behandeln Hebte. 120 1 Sextius Sulla war ein Freund Plutarchs, der auch in seinen philosophischen Schriften, besonders der über das Gesicht im Monde, eine bedeutende Rolle spielt. Vgl. Plutarch Über Gott und Vorsehung, Dämonen und Weissagung (Zürich, Artemis 1952) 43 ff. 2 Offenbar nimmt Plutarch (älteren Forschern folgend) an, daß die Römer als Abkömmlinge der Trojaner in der Frühzeit griechisch gesprochen haben und erst allmählich unter dem Einfluß der Umwelt zum Lateinischen übergegangen sind. Manche hielten das Lateinische für einen griechischen (aiolischen) Dialekt. - 3 Die Schrift und die zitierte Stelle liegt uns vor: Moralia p. 285b. 121 1 Das Städtchen Caenina, nur für die Frühzeit erwähnt und später spurlos verschwunden, hat jedenfalls nahe bei Rom gelegen. 122 1 Die Ableitung des Namens Feretrius von ferire scheint richtig, doch ist dabei wohl eher an den Gewittergott Iuppiter und den Blitzschlag gedacht. - 2 Aulus Cornelius Cossus gewann die spolia opima im Jahre 428 als tribunus militum consulari potestate, M. Claudius Marcellus als Consul 222 in der Schlacht bei Clastidium; vgl. Plutarchs Leben des Marcellus, Kap. 7. 8. - 3 Dionysios von Halikarnassos lebte 30-8 v. Chr. als Lehrer der Rhetorik in Rom und schrieb - neben anderen Werken — eine uns zum größeren Teil erhaltene ausfuhrliche Geschichte Roms von den Anfängen bis zur vollendeten Eroberung Italiens (266). Plutarch hat das Werk mehrfach benützt. - 4 Dasselbe berichtet Plutarch auch im Leben des Poplicola, Kap. 9. 123 1 Großplastiken des triumphierenden Romulus sind nicht erhalten, doch finden sich Wiedergaben einer solchen auf Münzen der Kaiser Hadrian, Antoninus Pius und Commodus. - 2 Fidenae, Crustumerium und Antemnae waren Städtchen in Latium nördlich von Rom an der via Salaria. -3 Gemeint ist wohl der König Antigonos Gonatas von Makedonien (283-240), mit Caesar der Kaiser Augustus. 124 l Gemeint ist Sulpicius Galba, der Großvater des Kaisers Galba (68-69), der eine bis auf geringfügige Reste verlorene römische Geschichte geschrieben hat. - 2 Dieser Antigonos, der etwa um 200 v. Chr. eine Geschichte Italiens schrieb, ist ganz obskur, desgleichen der Dichter Simylos. I 2 j / Verbreiteter war die Sage, daß sich an jener Stelle des Forum Romanum im Jahre 362 ein Erdspalt gebildet und erst geschlossen habe, nachdem ein vornehmer Jüngling, Marcus Curtius, gemäß

488

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN

I25-134

einem Orakel sich im Selbstopfer gewaffhet zu Roß hineingestürzt habe. Dieser lacus Curtius, bei der Forumregulierung unter Caesar und Augustus gefaßt und ausgebaut, ist nördlich der Basílica Julia aufgedeckt worden. 126 1 Die Reste des Tempels des Iuppiter Stator (am Nordabhang des Palatiums gegen das Forum), die Regia und das Heiligtum der Vesta sind jedem Besucher des Forum Romanum bekannt. 127 1 Ob die Ableitung des alten Namens Quirites von dem sabinischen Ort Cures richtig ist, steht dahin. 128 1 Das Comitium - die gegebene Ableitung ist richtig - lag an der Nordecke des Forums unter dem Absturz des Kapitols. - 2 Die bulla war eine Kapsel aus Leder oder Metall (bei Wohlhabenden aus Gold), die Amulette zur Abwehr bösen Zaubers enthielt und von den freien Knaben um den Hals getragen wurde, bis sie (in der Regel zwischen dem 14. und 16. Jahr) das Knabenkleid, die toga praetexta mit dem angewebten Purpurstreifen, ab- und die rein weiße toga virilis anlegten, womit sie unter die Bürger eintraten. - 3 Der Tempel der Iuno Moneta stand auf dem Nordgipfel des Kapitols, wo sich jetzt das Nationaldenkmal und die Kirche S. Maria Aracoeli erhebt, der Scala Caci genannte Stufenweg führte nahe der Westecke des Palatium zum Circus maximus hinunter. 129 1 Der altsabinische Schild — das römische scutum — war rechteckiggewölbt, der angeblich argolische Schild rund. - 2 Die Matronalia, das Fest der verheirateten Frauen, wurden am 1. März, die Carmentalia am 1 1 . und 15. Januar gefeiert. Die mitgeteilten Etymologien sind ganz unsinnig, die Verbindung mit Euandros spätere Erfindung. 130 1 Dieser Butas ist vielleicht identisch mit dem gleichnamigen Freigelassenen des jüngeren Cato, von dem Plutarch im Leben dieses Mannes, Kap. 70, erzählt. 1 3 1 1 C. Acilius war einer der älteren römischen Historiker (2. Jahrhundert), die noch griechisch schrieben. 132 1 Das Wort paricidium oder parricidium, welches Mord an einem Sippengenossen bezeichnet (ganz sicher ist die Etymologie nicht), wurde im Altertum als patricidium, Vatermord, gedeutet. Daher die gezwungene Erklärung Plutarchs. - 2 Das Armilustrium war ein Ort auf der Höhe des Aventin und ein gleichnamiges Fest (am 19. Oktober), bei dem nach beendigtem Feldzug die Waffen gereinigt und gesühnt wurden. 134 i Uber eine porta Ferentina wird sonst nirgends etwas berichtet. 2 Die genaue Lage des Städtchens Cameria oder Camerium in La-

ERLÄUTERUNGEN ZU DEN SEITEN I 3 4 - I 5 I

135 ] 36 137

139

140 147

489

tium, das der Überlieferung nach im Jahre 302 von den Römern zerstört wurde, ist nicht mehr feststellbar. - 3 Veji war die bedeutendste Etruskerstadt in der Nähe von Rom, nur 15 km nordwestlich von ihm gelegen; es wurde erst nach langen, schweren Kämpfen bezwungen. 1 Die genaue Lage dieses Septempagiums ist nicht bekannt. 1 Die mitgeteilte Etymologie von lictor aus dem Griechischen ist ganz unsinnig, die von Iigare unsicher. 1 Nonae hieß der neunte (oder nach unserer Rechnungsweise achte) Tag vor den Iden, welche auf den 1 3 . , in den Monaten März, Mai, Juli, Oktober auf den 15. fielen; also der j . bzw. 7. Tag. 2 Genauerer Bericht über Scipios Tod (im Jahre 129) im Leben des C. Gracchus, Kap. 10. / Proikonnesos ist eine Insel im Marmarameer (heute Marmara), Kroton das heutige Cotrone in Calabrien. - 2 Astvpalaia, eine der südlichen Kykladeninseln. 1 Pindar frg. 1 3 1 . 1 Spurius Carvilius war Konsul 234 und 228, starb 2 1 1 .

E R L Ä U T E R U N G E N ZU

LYKURG

In noch weit höherem Maße, als Plutarch selbst es in seiner Einleitung ausspricht, ist Lykurg mythische Figur. Vor allem ist die moderne Geschichtswissenschaft - bei weitgehenden Divergenzen in einzelnen Fragen - sich darüber einig, daß das eigentümliche Gebilde des spartanischen Staates nicht durch einen einmaligen gesetzgeberischen Akt (wie die Lykurglegende will), sondern durch eine länger währende Entwicklung /.u der Form gekommen ist, in der es uns seit dem 5. Jahrhundert entgegentritt, und daß die kultur- und fortschrittsfeindliche Erstarrung, in der es sich in der historisch erhellten Zeit präsentiert, erst im Laufe des 6. Jahrhunderts zustande gekommen ist. 151 / Aristoteles 384-322; Eratosthenes von Kyrene, außerordentlich vielseitiger Gelehrter, etwa 275—195; Apollodoros von Athen etwa 100 Jahre jünger, für die Folgezeit in chronologischen Dingen maßgebend durch seine Chronik in komischen Trimetern; Timaios von Tauromenion (Taormina), bedeutender Historiker, vor allem des Westens, Mitte des 4. bis Mitte des 3. Jahrhunderts.

49°

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN S E I T E N

IJ2-IÖI

1 5 2 1 Mmonides von Keos, I'oetae lvrici Ciraeci vun Bergk*, S. 528. — 2 K l e i t o r im nördlichen Arkadien. 1 5 4 1 Dieser T h a i e s ist nicht identisch mit dem Philosophen T h a i e s von Milet. 1 5 5 1 Aristokrates hat ziemlich spät, vielleicht erst im Beginn der Kaiserzeit, eine romanhafte G e s c h i c h t e des alten S p a r t a verfaßt. 1 5 6 1 Den Wortlaut des Orakels gibt Herodot VII 65: Du k o m m s t , L y koorgos, zu meinem reichen T e m p e l , ein Liebling des Z e u s und aller Bewohner des O l y m p . Ich schwanke, o b ich dich f ü r einen G o t t oder lur einen Menschen erklären soll; doch glaube ich eher, daß d u ein G o t t bist, Lykoorgos. - 2 H e r m i p p o s von S m v r n a , Schüler des Kallimachos, zweite H ä l f t e des 3. J a h r h u n d e r t s , hat hauptsächlich mit seinen Biographien geistig bedeutender Persönlichkeiten auf die N a c h w e l t gewirkt. 1 5 7 1 Aristoteles frg. 5 3 7 . - 2 Sphairos von Borysthenes ( D o n ) , bedeutender älterer Stoiker, Schüler des Z e n o n und K l e a n t h e s , L e h r e r und Berater des Königs Kleomenes III. von S p a r t a bei dessen Staatsstreich und Staatsneubau, Verfasser einer Schrift über den lakonischen Staat. Vgl. Plutarchs Leben des Kleomenes. - 3 Die in 28 enthaltenen Kaktoren sind 1 , 2 , 4, 7 , 1 4 , ihre S u m m e ist 28; das gleiche gilt f ü r 6 = 1 + 1 2 + 3. F ü r solche Zahlenspielercien (in denen er kein Spiel sieht, sondern einen Blick in das Wesen der Dinge zu tun meint) hat Plutarch von den pythagoreischen Studien seiner J u g e n d her lebenslang eine Vorliebe behalten. 1 5 8 / In den weggelassenen Worten werden die altdorischen Ausdrücke f ü r S t ä m m e und G e m e i n d e n (?) e r l ä u t e r t ; sie sind daher unübersetzbar. Die Z u r ü c k f ü h r u n g des Verbums apellazein auf Apollon ist unsinnig. - Aristoteles frg. 536. - 2 Die K ö n i g e Polydoros und T h e o p o m p o s werden von den A l t e n ins 8. J a h r h u n d e r t gesetzt, doch das ist ganz unsichere Kombination. - 3 T v r t a i o s , ins 7. J a h r hundert gehörig, D i c h t e r feuriger K r i e g s g e s ä n g e (in elegischen Distichen), in denen er die Spartaner zum A u s h a r r e n im K a m p f e gegen die Messenier mahnt. M e h r als 1 5 0 Verse davon sind erhalten, ihre Echtheit (bzw. ihr A l t e r ) z.T. umstritten. 1 5 9 1 Plutarch denkt an die sagenhafte Verlosung der Peloponnes unter die Herakliden T e m e n o s ( A r g o l i s ) , A r i s t o d e m o s (Lakonien) und Kresphontes (Messenien). 1 6 0 1 Der spartanische Scheffel ( M e d i m n o s ) faßte zwischen j j und 60 Liter. 161

1 Die M i n e ( M n a , Wort und Sache babylonischen U r s p r u n g s ) , j e

E R L A U T E R U N G E N ZU DEN S E I T E N I Ö I - l 8 0

491

nach Zeit, Gegend und Verwendung (als Handels- oder Münzgewicht) zwischen 440 und 600 Gramm schwankend. Plutarch denkt hier wohl an Silber-Minen. Jedenfalls soll eine mäßige Summe Geldes bezeichnet werden. 162 1 Kritias, einer der 30 Tyrannen Athens von 404/03, vielseitig in Poesie und Prosa tätig, Sokratesschüler, einer der Unterredner in Piatons Timaios und Kritias. - 2 Theophrastos von Eresos auf Lesbos, etwa 372-287, Schüler des Aristoteles und sein Nachfolger als Leiter der «peripatetischen» Schule, außerordentlich vielseitiger Gelehrter und Schriftsteller. 164 1 Dioskorides oder Dioskurides war ein Schüler des Isokrates, schrieb also im 4. Jahrhundert, in dem man nach dem Machtverfall Spartas durch die Schlacht bei Leuktra ( 3 7 1 ) und seinem sichtbar werdenden inneren Zerfall viel über das alte Sparta schrieb und phantasierte. - 2 Die mitgeteilten Etymologien sind unsinnig. 3 Über Scheffel und Minen s. Anm. zu S. 160 und 161. Das «Maß» (choos-chus, «Guß») faßte etwa 3 Liter. 165 1 Gemeint ist Agis II., 427/26-402/01, der fast während des ganzen Peloponnesischen Krieges der Führer der peloponnesischen Landarmee war und 404 die Kapitulation Athens erzwang. Mehr über ihn im Leben des Alkibiades. - 2 Das lakonische Wort für diese Urne ist kaddichos. 166 ; Eurotas, der Fluß Lakoniens, an dem Lakedaimon/Sparta liegt. 167 ; Leotvchides II., König von Sparta, der Sieger bei Mvkale (479). 2 Antalkidas ist der spartanische Staatsmann, an dessen Namen sich der «Königsfriede» von 387/86 knüpft. 169 1 Derkvllidas war im ersten Jahrzehnt des 4. Jahrhunderts ein namhafter spartanischer Heerführer, besonders bekannt durch Xenophon, der unter ihm gedient hat. 171 1 Taygetos, das bis über 2400 m ansteigende Grenzgebirge zwischen Lakonien und Messenien. 175 1 Zum Fest der Artemis Orthia in Sparta gehörte die schwere Geißelung von Jünglingen, für die man verschiedene Deutungen gesucht hat (primitive Jünglingsweihe?). 177 1 Gemeint ist wohl - trotz der auffälligen Bezeichnung als Sophist - der bedeutende frühe Historiker und Geograph Hekataios von Milet aus der Zeit der Perserkriege. 178 1 Selinus an der Südküste Siziliens. Der Witz ist frostig. 180 1 Pindarfrg. 199. -2 Alkman, bedeutender spartanischer Chorlyriker, 7-/6. Jahrhundert, frg. 100.

492

ERLÄUTERUNGEN

ZU DEN SEITEN

I8I-I99

181 1 Hippias von Elis, einer der bedeutendsten älteren Sophisten, zweite Hälfte des 5. Jahrhunderts; Philostephanos von Kyrene, 3. Jahrhundert, antiquarischer Schriftsteller im Stile seines Landsmannes und (älteren) Zeitgenossen Kallimachos. — 2 Uber Demetrios von Phaleron s. Anm. zu S. 86 1. 183 1 Sosibios, ein lakonischer Schriftsteller, der besonders die Kultaltertümer Spartas behandelt hat. 184 / Die Dreihundert waren die Leibgarde der Könige. - 2 Brasidas, berühmter spartanischer Feldherr, der in der Schlacht bei Amphipolis 422 siegte und fiel. 1 8 6 1 Aristoteles frg. 538 (auch S. 187 Mitte); Piaton Gesetze 1633b. 188 i Über dieses große Erdbeben von 464 steht mehr im Leben Kimons, Kap. 16. 189 1 Es handelt sich um König Agis II., s. Anm. zu S. 139 1. 191 1 Uber Gylippos vgl. das Leben des Nikias. — 2 Stratonikos, ein berühmter Musiker und Witzbold des 3V4. Jahrhunderts. - 3 Der Sokratiker Aischines, der wie Piaton Dialoge um Sokrates schrieb, ist verschieden von dem gleichnamigen Redner, dem Gegner des Demosthenes. — 4 Zenon von Kition (Zypern) ist der Begründer der stoischen Schule, 3. Jahrhundert, Diogenes nicht der bekannte Kyniker, sondern der Stoiker Diogenes von Babylon, 2. Jahrhundert, von dem wir wissen, daß er politische Themen behandelt hat. 192 1 Aristoteles frg. 534. - 2 Kirrha (oder Krisa) war die Hafenstadt von Delphi am Golf von Korinth (entsprechend dem heutigen Itea). - 3 Apollothemis wird nur hier genannt; über Timaios s. Anm. zu S. 1 5 1 i ; Aristoxenos war ein namhafter Aristoteliker.

E R L Ä U T E R U N G E N ZU

NUMA

194 1 Dieser Clodius ist nicht sicher feststellbar; wahrscheinlich doch der Annalist Claudius Quadrigarius. — 2 Das 3. Jahr der 16. Olympiade (1. Ol. 776) ist das Jahr 714. 195 1 Über Hippias von Elis s. Anm. zu S. 155 1. — 2 Nach der üblichen Rechnung (Gründung Roms 753) also 717; vgl. Romulus, Kap. 18. 199 1 Dieser Hippolytos hat mit dem berühmteren Sohne des Theseus gleichen Namens nichts zu tun. Sikyon lag westlich von Korinth über dem Golf, der Hafenstadt Delphis, Kirrha, schräg gegenüber — 2 Sophokles starb 405, während Athen von den Spartanern belagert

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN I 9 9 - 2 1 4

200

204

205

206

207

208

209

211

212 214

493

wurde, so daß man nicht zu dem vorgesehenen Begräbnisplatz gelangen konnte. Da sei Dionysos (der Herr der tragischen Spiele) Lysander im Traum erschienen und habe ihm befohlen, die Beisetzung zu gestatten. 1 Bakchylides, attischer Lyriker des 5. Jahrhunderts, von dem uns durch einen 1896 gefundenen Papyrus 18 Gedichte (Siegeslieder und Dithyramben) ganz oder zu erheblichen Teilen erhalten sind. Das hier von Plutarch zitierte Wort (frg. 27) entstammt einem uns verlorenen Gedicht. 1 Die vorgetragene Etymologie von flamen ist bestimmt falsch, die von laena richtig. Über Juba vgl. Anm. zu S. 1 1 9 1.-2 Piaton Staat II 272 e. 1 Timon von Phleius (südwestlich von Korinth), etwa 320-230, skeptischer Philosoph, vielseitiger und fruchtbarer Schriftsteller in Poesie (60 Tragödien, 30 Komödien u. a.) und Prosa. Faßbar nur die Silloi, geistreiche und bissige Spottgedichte auf ältere und jüngere Philosophen. Dieser Timon ist verschieden von dem bekannten Misanthropen. 1 Epicharmos von Syrakus, Mitte des 6. bis Mitte des 5. Jahrhunderts, hochberühmter Dichter, Schöpfer der dorischen Komödie (ein halbes Jahrhundert vor der attischen des Aristophanes) mit stark philosophischem Einschlag. 1 Die von Plutarch als lächerlich bezeichnete Etymologie ist unter den angeführten die allein mögliche, wenn auch nicht ganz sichere, die Deutung dunkel und umstritten. -2 pons Aemilius, Zeit der Erbauung nicht genau bestimmbar, jedenfalls im 2. Jahrhundert v. Chr. 1 Aristion regierte in Athen im Auftrag und mit Hilfe des Mithradates Eupator von 88 bis zur Eroberung der Stadt durch Sulla 86. 2 Leben des Camillus, Kap. 20. 1 Zur Förderung der Kinderaufzucht gab Augustus im Rahmen seiner Reformpolitik den Frauen mit wenigstens drei lebenden Kindern das bezeichnete Recht (ius trium liberorum). 1 Plutarch bringt fetialis offenbar (einem uns unbekannten Gewährsmann folgend) mit griechisch phemi «ich sage» zusammen, ganz unsinnig. Das Wort ist bisher nicht überzeugend gedeutet. Die Etymologie des griechischen eirene = Frieden von eir = reden ist richtig. / Clusium das heutige Chiusi in Etrurien/Toscana. - 2 Camillus, Kap. 17 und 18. 1 Uber die Anakes = Dioskuren s. Leben des Theseus, Kap. 33. Alle angeführten Etymologien sind verfehlt. - 2 Das alte Salierlied ist

494

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN

2I4-237

teilweise erhalten, beine Deutung ist außerordentlich schwierig und vielumstritten. 217 1 Auch dies ist eine (aus dem Griechischen genommene) ganz verfehlte Etymologie des luppiter Elicius, dessen Beiname, von elicere «hervorlocken» abgeleitet, vielmehr auf die Bittfeste Bezug hat, durch die man bei Dürren Regen herbeizurufen suchte. - 2 Plutarch denkt an den dius Fidius (und die Schwurformel medius Fidius) und verquickt ihn mit der Fides, die mit ihm verwandt, aber nicht identisch ist. 221 i Domitian nannte den September Germanicus, den Oktober Domitianus. 222 l Gajus (nicht Marcus) Atilius Bulbus und Titus Manlius Torquatus waren die Konsuln des Jahres 235.- 2 Bakchylides frg. 4, 8. 223 1 Piaton, Gesetze IV 711.712a und Staat VI 487c. 224 1 Lucius Calpurnius Piso Frugi, Konsul 133, Censor um 120, schrieb eine (verlorene) römische Geschichte von Aeneas bis wenigstens 146, die von Livius, Dionys von Halikarnaß u. a. fleißig benützt worden ist. 225 1 Über Valerius Antias s. Anm. zu S. 119 1. -2 Jahr 181 v.Chr. 227 1 Die Saturnalien wurden am 17. Dezember gefeiert. Die Gleichstellung von Herren und Sklaven bei diesem Fest war ihm eigentümlich. 230 1 Ibvkos von Rhegion, bekannter Lyriker des 6. Jahrhunderts, an dessen Tod sich die Kranichgeschichte knüpfte. - Euripides V J97f. der erhaltenen, scharf spartafeindlichen, in den ersten Jahren des Peloponnesischen Krieges gedichteten Tragödie Andromache. 2 Sophokles frg. 788 aus unbekannter Tragödie. 231 1 Über Spurius Carvilius s. Anm. zu S. 147 1.

ERLÄUTERUNGEN

ZU

SOLON

Auch nach der Auffindung von Aristoteles' «Staat der Athener »ist Plutarchs Biographie noch immer die ergiebigste Quelle unseres Wissens über Solon, sein Leben und sein politisches und dichterisches Werk. 237 1 Didvmos, einer der gelehrtesten Philologen und fruchtbarsten Schriftsteller des Altertums, war ein Zeitgenosse des Augustus. - 2 Herakleides aus Herakleia am Pontos (Schwarzen Meer), Schüler

E R L A U T E R U N G E N ZU DEN S E I T E N 2 3 7 - 2 4 7

495

Piatons und sehr fruchtbarer, vielseitiger und phantasievoller Schriftsteller; vgl. Leben des Camillus, Kap. 22. —3 Euripides, Bakchen V. 8. — 4 Aus Sophokles, Trachinierinnen 4 4 1 . 238 1 Über Hermippos s. Anm. zu S. 1 5 6 2. 239 1 Hesiod, Werke und T a g e 3 1 1 . 240 1 Die Erzählungen über die Zusammenkünfte der Sieben Weisen sind wohl durchweg spätere Erdichtungen. Plutarch hat selbst mit seinem «Gastmahl der Sieben Weisen» dazu einen bedeutenden Beitrag geliefert. 241 1 Über Theophrast s. Anm. zu S. 162 2.-2 Bathykles von Magnesia am Maiandros war ein hochberühmter Bildhauer, wohl des 6. Jahrhunderts, der Schöpfer des von Pausanias III 1 8 , 6 f f . eingehend beschriebenen «amyklaiischen Thrones» (im ApoJlonheiligtum zu Amyklai südlich Sparta). Der Künstler ist früh legendarisch geworden. — 3 Der Skythe Anacharsis, im Kern wohl eine historische Persönlichkeit, ist seit dem 4. Jahrhundert im Z u g e der damals aufkommenden romantischen «Zurück-zur-Natur»-Stimmungen von den Trägern dieser Bewegung, den K y n i k e m , zum T y p u s des unverdorbenen Naturkindes gemacht, seine Biographie in diesem Sinne ausgestaltet worden. 242 1 Auch die in diesem Kapitel erzählte Geschichte gehört zu den Erfindungen, mit denen man später die Sieben Weisen umsponnen hat. 243 1 Über diesen Pataikos ist sonst nichts bekannt. Offenbar war er ein pythagoreisch gesinnter Fabeldichter. 244 1 Die maßgebliche Beteiligung Solons an der Eroberung von Salamis ist sicherlich historisch, die Einzelheiten erfunden. 245 1 Das Vorgebirge Kolias ist das heutige Kap Hagios Georgios (Trispyrgi) am Ostende der Bucht von Phaleron. 246 1 Asopias heißt im Orakel (in verhüllender Manier) die Insel Salamis, weil die Nymphe Salamis, auf die man ihren Namen zurückführte, als eine Tochter des Flußgottes Asopos (in Boiotien) galt. - 2 Der hier überlieferte Name Euboia ist offenbar geographisch unsinnig. Was dafür zu setzen ist, bleibt ungewiß. — 3 Das Kap Skiradion auf Salamis liegt der attischen Küste dort gegenüber, wo sich gegen Norden die Bucht von Eleusis öffnet. Envalios ist ein alter Kriegsgott, der schon früh mit Ares identifiziert wurde und in ihm aufging. 247 / Ilias II 5 5 7 f . ; Aias war der Sohn des Telamon, des berühmtesten mythischen Königs von Salamis. - 2 Man sieht, die antiken Prähistoriker bekämpften einander mit derselben nationalen Voreingenommenheit wie manche ihrer modernen Kollegen. —3 Indem Sala-

496

E R L Ä U T E R U N G E N Z U DEN S E I T E N

247-255

m i s das i o n i s c h e g e n a n n t w i r d , w i r d es d e m i o n i s c h e n A t t i k a z u g e ordnet; Megara war dorisch. 248 1 Ü b e r K i r r h a s. A n m . z u S. 1 9 2 2. D i e A m p h i k t v o n e n w a r e n d e r Verband der S t a a t e n , die den S c h u t z des delphischen

Heiligtums

ü b e r n o m m e n h a t t e n . - 2 A r i s t o t e l e s frg. 5 7 2 . - 3 D i e G e s c h i c h t e d e s K y l o n f l u c h e s - d e s V e r s u c h e s K v l o n s , s i c h ( n a c h 640) z u m

Ty-

r a n n e n v o n A t h e n a u f z u w e r f e n , seiner F l u c h t u n d d e r E r m o r d u n g seiner A n h ä n g e r — s t e h t in d e n H a u p t z ü g e n b e i T h u k y d i d e s I 1 2 6 , d i e E i n z e l h e i t e n hier. D i e « E r h a b e n e n G ö t t i n n e n » , S e m n a i , s i n d d i e E r i n y e n = E u m e n i d e n , ihr H ö h l e n h e i l i g t u m l a g am A r e o p a g h ü g e l (westnordwestlich der Akropolis). 2 4 9 1 N i s a i a , d i e H a f e n s t a d t von M e g a r a . - 2 E p i m e n i d e s v o n P h a i s t o s , d e r T h e o l o g e u n d W u n d e r m a n n , ist im K e r n s i c h e r eine h i s t o r i s c h e P e r s ö n l i c h k e i t , a b e r g a n z v o n L e g e n d e n u m w u c h e r t . A l l e s , w a s von i h m b e r i c h t e t w i r d , so a u c h d i e hier e r z ä h l t e R e i n i g u n g A t t i k a s u n d d i e F r e u n d s c h a f t m i t S o l o n , ist u m s t r i t t e n u n d z w e i f e l h a f t . F r a g m e n t e einer halb mythischen, halb philosophischen « T h e o g o nie» d e s E p i m e n i d e s sind u n s e r h a l t e n . - j D i e M u n y c h i a ( r i c h t i g e r e S c h r e i b u n g M u n i c h i a ) ist d e r 86 m h o h e , d i e d r e i P i r ä u s h ä fen b e h e r r s c h e n d e H ü g e l , d e r , z u e r s t v o n d e m T y r a n n e n H i p p i a s , d a n n ö f t e r s w i e d e r ( b e s o n d e r s von d e n M a k e d o n e n 322) b e f e s t i g t , zur Z w i n g b u r g tur A t h e n wurde. 250 1 Der heilige, der Sage nach von A t h e n a a u f der A k r o p o l i s gepflanzte Ölbaum. 25 1 1 P h a n i a s ( r i c h t i g e r e F o r m P h a i n i a s ) aus E r e s o s a u f L e s b o s , L a n d s mann und Zeitgenosse T h e o p h r a s t s und wie dieser Aristoteless c h ü l e r u n d v i e l s e i t i g e r S c h r i f t s t e l l e r , v o n P l u t a r c h in den B i o g r a phien Solons und des T h e m i s t o k l e s mehrfach b e n ü t z t . 2 5 2 1 Ü b e r T v n n o n d a s w i s s e n w i r sonst n i c h t s . P i t t a k o s von M y t i l e n e a u f L e s b o s , e t w a s ä l t e r als S o l o n , w a r b e d e u t e n d als P o l i t i k e r u n d G e s e t z g e b e r , a u c h « T y r a n n » von M y t i l e n e ; e r w u r d e z u d e n S i e b e n Weisen gezählt. 2 5 4 1 A n d r o t i o n , e i n e r d e r ä l t e s t e n A t t h i d o g r a p h e n (s. A n m . z u S. 7 7 2), ä l t e r e r Z e i t g e n o s s e d e s D e m o s t h e n e s , von d e m eine R e d e g e g e n ihn ( N r . 22 v o m J a h r e 3 5 5 / 5 4 ) e r h a l t e n ist; n i c h t u n b e d e u t e n d als Politiker. - 2 Ü b e r d i e M i n e s. A n m . z u S. 161 ; ; d i e D r a c h m e («Griff») w a r e i n e H a n d v o l l , n ä m l i c h sechs, O b o l e n , «Spießchen» aus K u p f e r , der ältesten, noch u n g e m ü n z t e n Währung. 255

/ Das attische T a l e n t h a t t e 60 Minen und w o g e t w a s über 26 k g (Silber).

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN 2 J Ö - 2 Ö 8

497

256 1 Die Gesetzgebung Drakons fiel ins Jahr 621/20; sie ist uns nur ungenügend bekannt. - 2 Demades, attischer Redner und Politiker, Zeitgenosse des Demosthenes, durch seinen schlagenden Witz bekannt. Eine Sammlung seiner Bonmots war im Altertum im Umlauf. 257 1 Der alte attische Medimnos faßte etwa 40 Liter; «flüssige Früchte» waren Wein und Ol. 239 1 Die Ephetai waren ein Kollegium von 51 Richtern über Totschlag. Der «König», einer der neun Archonten, war der Rechtsnachfolger der alten attischen Könige, aber im wesentlichen auf die Aufsicht Uber das Sakralwesen beschränkt. 260 1 Gemeint der Tyrann Dionysios von Syrakus (406-367). 261 1 Aus einer unbekannten Tragödie (frg. adesp. 10). 262 1 Der Obolos war ein Sechstel der Drachme, diese = etwa 4,3 g Silber; jedenfalls trotz des hohen Kaufwertes des Metallgeldes eine sehr bescheidene Summe. - 2 Mit «unsern Gesetzen» meint Plutarch hier offenbar die von Chaironeia. 263 1 Aus einem unbekannten Drama (frg. 995). 264 1 Ion war der Stammheros der lonier; seine Sage ist maßgebend von Euripides in dem erhaltenen Drama gestaltet. 265 t Ein Stadion maß 600 Fuß, eine Klafter (Orgvia) 6 Fuß. Der attische Chus (hier mit Maß übersetzt) betrug etwa 3 Liter. - 2 Der nicht näher bezeichnete Archon ist der erste der Archonten, der Eponymos, nach dem in der attischen Zeitrechnung das Jahr benannt wurde. 266 1 Die Parasitoi = Tischgenossen waren die Genossen gewisser Kulte in Athen, die zur Teilnahme an der feierlichen sakralen Speisung des Gottes verpflichtet waren. Die Bezeichnung des Schmarotzers als Parasit ist erst später aufgekommen. - 2 Die Lücke gelassen, weil der Text gestört und nicht sicher herzustellen ist. - 3 Aristoteles, Staat der Athener, Kap. 7; Kratinos (der älteste der attischen Komiker, etwa 490-420) frg. 274. - 4 Thesmotheten hießen die sechs letzten der neun Archonten. Sie fungierten hauptsächlich als Gerichtsvorstände. 267 /Odyssee XIV 162 und XIX 307. - 2 Der 2 1 . hieß also der 10., der 22. der 9., der 23. der 8. usw. des «schwindenden Monats». 268 1 Heliopolis (oder Hcliupolis), in l'nterägvpten, rechts des Nil, kurz bevor er sich in seine Mündungsarme teilt; Sais, einer der bedeutendsten Orte im westlichen Nildelta. - 2 Der Name Klarios für den unbedeutenden Bach, der bei dem alten Soloi (im westlichen Teil der Nordküste von Zypern) mündete, ist nur hier bezeugt.

49^

E R L Ä U T E R U N G E N Z U DEN S E I T E N

268-284

Dali die S t a d t nach Solon b e n a n n t w o r d e n sei, ist spatere hrtind u n g , denn sie erscheint unter diesem N a m e n bereits in den S t a d t listen Asarhaddons und Asurbanipals. 269 1 Plutarch ist z u l e i c h t g l ä u b i g ; die von ihm k r i t i s i e r t e n K r i t i k e r haben recht, denn Kroisos ist erst frühestens 562 zur R e g i e r u n g gekommen. Die ganze G e s c h i c h t e ist eine Fabel. 273 1 In der O d y s s e e IV 244 e r z ä h l t H e l e n a , daß O d v s s e u s sich einst selbst gegeißelt habe und als Bettler verkleidet nach T r o i a g e k o m men sei, um zu kundschaften. 275 1 Was Plutarch hier über d i e b e g o n n e n e , aber nicht v o l l e n d e t e A t l a n t i s - D i c h t u n g Solons b e r i c h t e t , b e r u h t a u f Piatons T i m a i o s 2 1 b ff. 24c ff. und d e m ( u n v o l l e n d e t e n ) Kritias. Inwieweit das G a n z e Erfindung Piatons ist, o b insbesondere seine A n g a b e n über das begonnene A t l a n t i s w e r k Solons z u t r e f f e n , ist eine v i e l u m s t r i t tene Frage. 276 1 K v p r i s ist die a u f K y p r o s geborene A p h r o d i t e . Wein, W e i b und G e s a n g will Solon feiern. - 2 D e r g e w a l t i g e T e m p e l des Z e u s O l y m pios östlich der A k r o p o l i s , einer der g r ö ß t e n antiken T e m p e l , von dem noch eine Reihe Säulen aufrecht stehen, ist von Kaiser Hadrian 1 2 5 - 1 3 0 errichtet bzw. vollendet w o r d e n . Die Stelle z e i g t , d a ß die Solon-Biographie vor dieser Z e i t geschrieben ist. - 3 Das A r c h o n tat des Komias ( r i c h t i g e r Korneas) fiel ins Jahr 5 6 1 / 6 0 , das des H e g e s t r a t o s in 560/59. - 4 A r i s t o t e l e s frg. 354.

E R L Ä U T E R U N G E N ZU

POPLICOLA

Was Plutarch im Leben des Poplicola e r z ä h l t , ist nur z u m kleinsten T e i l historisch; größerenteils beruht es auf Erfindungen g e f ä l l i g e r Annalisten z u m höheren R u h m e der altadligen Familie der Valerier, besonders wohl des Valerius Antias. Ü b e r ihn vgl. A n m . z u S. 1 1 9 1 . 277 1 Poplicola b e d e u t e t «der das Volk pflegt», «Volksfreund». V g l . Kap. 10 am Ende. - 2 Im Leben des N u m a , Kap. 5, nennt Plutarch diesen Valerius Volesus. 280 1 Brutus heißt schwerfällig, s t u m p f , d u m m . 284 1 Erstes Konsulat des Poplicola 509. - 2 D i e A b l e i t u n g des Wortes v i n d i c t a - welches den Stab b e z e i c h n e t , m i t dem die formelle Freilassung ( m a n u m i s s i o per v i n d i c t a m ) v o l l z o g e n w u r d e - von d e m

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN S E I T E N

28$

286 287

288

289

290

291 292

293

284-29}

499

Namen und der Geschichte des Vindicius ist so unsinnig wie die meisten antiken Etymologien. Die wirkliche Etymologie von vindicta ist strittig. 1 Die Insula Tiberina hieß seit der Kaiserzeit Inter duos pontes von ihrer Lage zwischen dem Fabricius pons (erbaut 62 v. Chr.) und dem wenig jüngeren Cestius pons. - 2 Diese Lokalitäten sind nicht feststellbar. 1 Vgl. Romulus, Kap. 16 am Ende. 1 Anaximenes von Lampsakos, bedeutender Redner, Lehrer und Theoretiker der Redekunst, auch Historiker, des 4. Jahrhunderts. 2 Offenbar ist gemeint, daß Poplicola als einziger Konsul alle Liktoren, also 2 x 12, vor sich herschreiten ließ. 1 Das Heiligtum der Vica Pota, die man unter Ableitung ihres Namens von vincere und potiri als Siegesgöttin auffaßte, lag am Fuß der Velia, des Hügels zwischen Palatium und Esquilin. 1 In welchem Verhältnis hier der Obolos (s. Anm. zu S. 262 ; ) zu römischen Münzeinheiten (As, Denar, Sesterz) gedacht ist, ist nicht zu sagen; deutlich ist nur der hohe Realwert selbst der Scheidemünze. i Der Saturntempel stand dort, wo der clivus Capitolinus vom Forum Romanum zum Kapitol aufsteigt. Die noch aufrecht stehenden acht Säulen der Vorhalle stammen von dem - im ausgehenden Altertum restaurierten - Neubau, den L. Munatius Plancus im Jahre 43 v.Chr. errichtete. - 2 Fasces hießen die Rutenbündel der Liktoren mit den Beilen, Sinnbilder (und Werkzeuge) der Gewalt über Leben und Tod. Daher der italienische fascio und der fascismo. 1 Die porta Ratumena ist nicht feststellbar. 1 Die Angabe ist unrichtig; der attische Metageitnion war der zweite Monat des mit der Sommersonnenwende beginnenden Jahres, also Juli-August. 1 Der alte Tempel des Iuppiter Capitolinus verbrannte am 6. Juli 83 v. Chr., der von Sulla begonnene Neubau wurde 69 von dem Konsul Q. Lutatius Catulus geweiht. Er brannte während der Kämpfe zwischen den Anhängern des Vitellius und Vespasians 69 nach Chr. ab. Der Neubau wurde von Vespasian begonnen und vollendet, litt 80 schweren Schaden durch Brand und wurde von Titus und Domitian wiederhergestellt. Dieser Bau stand noch im 6. Jahrhundert aufrecht und wird von Cassiodor, dem Minister Theoderichs des Großen, hoch gepriesen, ist aber dann im Mittelalter völlig zerstört worden. - 2 Der pentelische Marmor heißt nach der Ortschaft Pentele am Pentelikonberg nordöstlich von Athen, wo er gebrochen

JOO

ERLÄUTERUNGEN ZU DEN SEITEN 293-306 wird. — 3 L)ie bedeutenden I r u m m e r d e s gewaltigen Palastes Domitians auf dem Palatiuni lassen seine A n l a g e noch ziemlich gut erkennen. — 4 Epicharmos frg. 274 Kaihel.

294 1 C l u s i u m , das h e u t i g e C h i u s i im südlichen E t r u r i e n / T o s c a n a . - 2 Das zweite Konsulat Poplicolas 508. - 3 Signia, das h e u t i g e Segni im Volskergebirge. - 4 D e r J a n i c u l u s h ü g e l liegt dem alten Rom g e g e n ü b e r auf dem rechten T i b e r u l e r . 295 1 Die A b l e i t u n g des Beinamens C o d e s von K y k l o p s k ö n n t e r i c h t i g sein. - 2 In dem T e m p e l des Vulcanus stellte man die S t a t u e des C o d e s auf, weil auch der G o t t lahm gedacht w u r d e . — 3 Das d r i t t e Konsulat Poplicolas 507. 296 1 Die E t y m o l o g i e ist r i c h t i g , scaevus heißt links. - 2 A t h e n o d o r o s aus Kana bei Tarsos, Lehrer des A u g u s t u s in der Philosophie und auch mit C i c e r o und S t r a b o n b e k a n n t , hat lange in R o m g e l e b t , aber seinen Lebensabend in T a r s o s verbracht. Seneca hat ihn

fleißig

gelesen. 298 1 Die R e i t e r s t a t u e hat tatsächlich z u Plutarchs Z e i t e n nicht m e h r da gestanden; er e n t n i m m t d i e A n g a b e u n g e p r ü f t seiner Vorlage. Was es mit dieser S t a t u e einer berittenen Frau (einer A m a z o n e ?) auf sich hatte, wissen wir n i c h t . Die C l o e l i a g e s c h i c h t e ist natürlich eine Legende. - 2 Von d e r S t a t u e Porsennas wird sonst nirgends e t w a s berichtet. - 3 Konsulat des M . Valerius JOS299 1 Viertes Konsulat des Poplicola 504. 301 1 Fidenae: s. A n m . z u S. 123 2. 302 1 Das As (eigentlich: E i n h e i t ) ist die älteste mittelitalische M ü n z einheit, ursprünglich ein Pfund (libra) = 327,5 g Kupfer, doch hat das G e w i c h t dann stark g e s c h w a n k t . Sein K a u f w e r t ist schwer bestimmbar. Jedenfalls ist ein Viertelas eine bescheidene Summe. 303 1 Solon frg. 22, S; dann I, 7. 305 1 Solon frg. 5, 7. 306 1 Daimachos von Plataiai, ein uns nur undeutlich bekannter Historiker des 4. oder 3. Jahrhunderts.

E R L Ä U T E R U N G E N ZU

ARISTEIDES

Plutarchs Leben des A r i s t e i d e s liefert uns - über das Persönlich-Biographische hinaus - w e r t v o l l s t e E r g ä n z u n g e n zu H e r o d o t s klassischer und grundlegender D a r s t e l l u n g der E n t s c h e i d u n g s s c h l a c h t bei Plataiai, obschon Plutarch von militärischen D i n g e n nichts verstanden hat.

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN S E I T E N 3 I I - 3 2 O

JOI

3 1 1 1 Der Demos (Gemeinde) Alopeke lag unweit östlich von Athen in der Gegend des heutigen Dorfes Ambelokipi (Weingarten). 2 Über Demetrios von Phaleron s. Anm. zu S. 6 0 1 . — 3 Die Inschrift ist erhalten: Corpus inscriptionum Atticarum II 1 2 5 7 . 3 1 2 1 Panaitios von Rhodos, etwa 1 8 0 - 9 9 , Begründer der sogenannten mittleren Stoa, befreundet mit dem jüngeren Scipio Africanus, von Cicero viel gelesen und benützt. — 2 Nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges, unter dem Archontat des Eukleides 403, schafften die Athener das bisher von ihnen gebrauchte alte attische Alphabet ab und führten das allgemein-ionische, sehr viel praktischere Alphabet (das seitdem und bis heute allgemein gültige) ein. — 3 Uber Dämon vgl. Perikles, Kap. 4. — 4 Idomeneus von Lampsakos, etwa 3 3 5 bis nach 270, vertrauter Schüler Epikurs, hat ein Werk über Politiker geschrieben, wohl biographischen Charakters, das Plutarch öfters zitiert hat. Das folgende Zitat aus Demetrios stammt aus dessen Buch über Sokrates. Über den Wert der Mine s. Anm. zu S. 1 6 1 1 . 3 1 3 1 Die demokratischen Reformen des Kleisthenes werden von den Alten ins Jahr 508/07 gesetzt. - 2 Ariston von Keos (manchmal verwechselt mit seinem älteren Zeitgenossen, dem bedeutenden Stoiker Ariston von Chios), Peripatetiker des 3. Jahrhunderts und vielseitiger Schriftsteller. 3 1 5 1 Aischylos, Sieben gegen Theben (aufgeführt 467) 579 ff. Dort steht allerdings nicht gerecht (dikaios), sondern der Beste (aristos). — 2 Die Herkunft dieses Verses ist unbekannt. 3 1 6 1 Bei ihrer Beteiligung an dem ionischen Aufstand im Jahre 500. 3 1 7 1 Die Entfernung beträgt über 40 km; daher der heutige «Marathonlauf» von 42,2 km. — 2 Fackelträger (Daduchos) hieß der nächst dem Hierophantes höchste priesterliche Beamte in Eleusis. Das Amt war in der altadligen Familie der Kerykes (Herolde), der Kallias angehörte, erblich. 3 1 8 1 Xanthippos (nicht Xanthippides) war Archon des Jahres 479/78, Phainippos 490/89, Aristeides 489/88. - 2 Demetrios Poliorketes, dessen Biographie Plutarch geschrieben hat, Ptolemaios Keraunos, Sohn Ptolemaios' I. Soter, Seleukos Nikator, der erste der Seleukiden, Pyrrhos Aetos (s. sein Leben, Kap. 10), der Seleukide Antiochos Hierax. 3 1 9 ' Über die Verbannung des Hyperbolos handelt Plutarch auch im Leben des Nikias, Kap. I I , und Alkibiades, Kap. 1 3 . 320 1 In dem Streit mit Agamemnon, der ihm die Briseis nehmen will,

502

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN

32O-343

sagt Achilleus, Ilias I 233 ff.: so wahr das Szepter in seiner Hand niemals wieder grünen werde, so wahr werde alle Achaier Sehnsucht nach Achilleus ankommen, wenn sie in Massen von Hektors Hand fielen, und werde Agamemnon es bereuen, den Tapfersten der Achaier nicht geehrt zu haben. 321 1 Dieselbe Erzählung im Leben des Themistokles, Kap. 12. 322 1 Vgl. Themistokles, Kap. 13. - 2 Vgl. Themistokles, Kap. 16. 324 1 Die Hyakinthia waren ein großes Fest, das im Hochsommer in Amyklai bei Sparta drei Tage lang für Apollon und seinen Geliebten Hyakinthos gefeiert wurde. Alle Geschäfte ruhten während dieser Zeit völlig. - 2 Oresteion, wohl identisch mit Oresthasion, nicht sicher zu bestimmender Ort, wahrscheinlich im Gebiet von Megalopolis. 326 1 Hysiai lag am Nordabhang des Kithairon, also auf boiotischem Boden, östlich von Plataiai. — 2 Tegea im südöstlichen Arkadien. 328 1 Die Gemeinde Lamptrai lag am Ostfuß des südlichen Hymettos, Achernai nördlich von Athen. 332 1 Das griechische Wort bedeutet zugleich «Stein» und «Stimme», weil die Stimmabgabe mit - natürlich kleinen - Steinen erfolgte. 334 1 Diese Erklärung der rituellen Geißelung von Jünglingen am Altar der Artemis Orthia ist natürlich falsch; vgl. Anm. zu S. 175 i . 335 1 Das Orakel des Amphiaraos befand sich in seinem Tempel bei Oropos im attisch-boiotischen Grenzgebiet, das Ptoon (oder Ptoion) war ein altes Heiligtum des Apollon im gleichnamigen Gebirge im nördlichen Boiotien mit Orakel. 336 i Uber Kleidemos s. Anm. zu S. 82 1. — 2 Das Epigramm wird (um den ersten Pentameter vermehrt, der in den Plutarchhandschriften nicht steht), in der Anthologia Palatina VI 50 dem Simonides zugeschrieben, sicher zu Unrecht. — 3 Der attische Boedromion und der boiotische Panemos fallen auf August-September. 338 1 iooo Stadien sind etwa 180 km. 339 1 Der Maimakterion-Alalkomenios entspricht unserm Oktober-November. - 2 Der Zeus der Erdtiefe ist Hades-Pluton; Hermes ist von Anfang an auch der Geleiter der Seelen, Psychopompos, in die Unterwelt. 342 1 Uber den Wert des Talents s. Anm. zu S. 255 1. — 2 Der Sinn der Handlung ist: Die Eidespflicht soll nicht erlöschen, bis die versenkten schweren Körper von selbst zur Oberfläche emporsteigen. Vgl. Herodot I 165. 343 1 Uber Theophrast vgl. Anm. zu S. 162 2.-2

Tatsächlich ist die

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN

343~350

503

Bundeskasse erst lange nach dem Tode des Aristeides (vermutlich um 455) von Delos nach Athen gebracht worden. 344 1 Von dem Sokratiker Aischines - wohl zu unterscheiden von dem gleichnamigen Redner, dem Gegner des Demosthenes — besaß man im Altertum 7 Dialoge, deren Echtheit nicht angezweifelt wurde, während für einige andere die Echtheit nicht feststand. — Die Äußerungen Piatons stehen in seinem Gorgias, besonders 503 c, 5 i 5 d ff., 519a ff., 526b. - 2 Ein Todesjahr ist für Aristeides nicht überliefert, doch scheint er nicht über 467 hinaus gelebt zu haben. Krateros der Makedone war vielleicht ein Sohn des bekannten (321 gefallenen) Feldherrn Alexanders des Großen und der Phila, somit Halbbruder des Königs Antigonos Gonatas, Verfasser einer Sammlung von Urkunden mit begleitendem Text. 345 1 Amphitrope, kleine attische Gemeinde im Bergwerksbezirk von Laurion, heute Metropisi. — 2 Der Selbstmord des Paches vor dem Gericht fallt ins Jahr 427. - 3 Kallisthenes, jüngerer Verwandter und Schüler des Aristoteles, bedeutender Historiker, Begleiter Alexanders auf seinem Zuge, der ihn hinrichten ließ. Vgl. die Biographie Alexanders. - 4 Hieronymos von Rhodos, Peripatetiker und vielseitiger Schriftsteller, 3. Jahrhundert. Uber Aristoxenos s. Anm. zu S. 192 3, über Panaitios zu S. 312 1. 346 1 Gemeint der Tyrannenmörder Aristogeiton, der Genosse des Harmodios. Potamos, ein attischer Demos am Oberlauf des Iiissos.

E R L Ä U T E R U N G E N ZU M A R C U S CATO Für unsere Kenntnis dieses außerordentlichen Mannes ist Plutarchs Biographie die hervorragendste Quelle. 347 1 Tusculum südöstlich von Rom am Nordhang der Albaner Berge. 348 1 Cato ist 234 geboren; sein erster Kriegsdienst fällt also ins Jahr 217 (Niederlage am Trasimenus) oder 216 (Cannae). 349 1 Manius Curius Dentatus, Konsul 290, 284 und 275, errang die entscheidenden Siege über die Samniten und über Pyrrhos. — 2 Eroberung Tarents durch Quintus Fabius Maximus 209. - 3 Piaton Timaios 69 d. 350 1 Cato war Kriegstribun zum erstenmal 214 unter Marcellus in Sizilien, Quaestor 204 unter Scipio, Konsul 195, Censor 184.

504

ERLÄUTERUNGEN ZU DEN SEITEN' 3 5 2 - 3 6 I

j ) ^ 1 Dci tlcnaiiu:» lial »einen Namen davun, daß er den Wert vun /.clin Kupferassen hatte. Er war eine Silbermünze mit dem Normalgewicht von 4,55 g, das freilich meist unterschritten wurde, und entsprach etwa der attischen Drachme. Ihr Kaufwert war ein Vielfaches heutiger Silbermünzen gleichen Gewichtes. Vgl. Camillus, Kap. 1 3 . - 2 Gemeint Park- und Gartenanlagen. 3J3 1 Gemeint der Parthenon. - 2 Kvnossema, Hundsmal, hieß die äußerste östlich gegen Attika vorgestreckte Landspitze von Salamis. 354 1 Attische Scheffel: s. Anm. zu S. 257 1.-2 Statthalter von Sardinien war Cato 198 als Praetor. 355 1 Piaton im Gastmahl 2 1 5 a . - 2 Dieselbe Anekdote im Leben des Themistokles, Kap. 18. 356 1 Eumenes von Pergamon kam im Winter 173/72 nach Rom, um dem Senat über die Kriegsrüstungen des Perseus von Makedonien zu berichten. 357 / Es handelt sich wohl um die Gesandtschaft an Prusias von Bithynien vom Jahre 1 5 6 . - 2 Polybios von Megalopolis, etwa 200-120, einer der 1000 vornehmen Achaier, die nach dem Perseuskriege (167) unter der Anklage, mit Perseus konspiriert zu haben, nach Italien gebracht und dort bis 150 festgehalten wurden. Polybios wurde Freund und Mentor des jüngeren Scipio, lernte Rom bewundern und schrieb die großartige Universalgeschichte in vierzig Büchern, von der uns etwa ein Viertel erhalten ist, nächst Thukydides das bedeutendste Geschichtswerk in griechischer Sprache. 358 1 Catos Feldzüge in Spanien fallen in die Jahre 195/94. Die Römer hatten Spanien in zwei Provinzen geteilt, das diesseitige und das jenseitige. Die Grenze bildete anfangs der Ebro, später wurde sie weiter nach Süden geschoben. 359 ; Der Baetis ist der heutige Guadalquivir. 360 1 Die Angabe über Sempronius ist anscheinend irrig. Das Kriegstribunat unter Acilius, der Krieg gegen Antiochos in Griechenland und die Thermopvlenschlacht fällt ins Jahr 191. Der Seleukide Antiochos III. von Syrien, mit wenig Recht der Große genannt, regierte 223-187. 361 1 Seleukos Nikator, gestorben 281/80, einer der Generale Alexanders des Großen, Begründer der Seleukidendvnastie, Beherrscher eines Reiches, das vom Mittelmeer bis zum Indus reichte. - 2 Leben des Titus Flamininus, Kap. 1 5 . - 3 Aigion liegt in Achaia an der Nordküste der Peloponnes, östlich von Patrai (Patras). - 4 Die grie-

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN S E I T E N

362

364

365

366

367

369

370

372

374

375

361-375

505

chisch geschriebene Geschichte Roms des Aulus Postumius Albinus (Konsul 1 5 1 ) ist bis auf geringe Reste verloren. 1 Kallidromon heißt der (bis zu 1400 m ansteigende) wilde Gebirgsstock östlich der Oite, unterhalb dessen das Defilee der Thermopylen (damals viel schmaler als jetzt) sich am Meer hinzieht. — 2 Firmum an der adriatischen Küste südlich Ancona, heute Fermo. 1 Zwei Volkstribunen namens Petillius erhoben, von Cato unterstützt, im Jahre 187 gegen die beiden Scipionen Klage wegen Unterschlagungen aus der Beute des Antiochoskrieges mit dem geschilderten Erfolg. Die Einzelheiten des großen Prozesses sind ungewiß und strittig. 1 Der Prozeß gegen Servius Sulpicius Galba (Praetor 1 5 1 , Konsul 144) fand 149, im Todesjahr Catos, statt. Doch war dieser damals nicht 90, sondern 80 Jahre alt. - Das zitierte Homerwort über Nestor steht Ilias I 2 j o f f . 1 Anspielung auf die von Herakles erlegte Hydra von Lerna, deren Köpfe nach dem Abschlagen immer wieder nachwuchsen, bis sie ausgebrannt wurden. / Lucius Quinctius Flamininus war Konsul im Jahre 192. Die folgende Geschichte hat Plutarch auch im Leben des Titus Flamininus, Kap. 18 f., erzählt. ; Uber Aristón von Chios s. Anm. zu S. 313 2. - 2 Die Skopaden waren ein durch seinen Reichtum sprichwörtlich gewordenes thessalisches Geschlecht des 6. Jahrhunderts. Ein jüngerer Skopas war Zeitgenosse des Sokratcs. 1 Der Tempel der Salus (Staatswohlfahrt), von C. Iunius Bubulcus 3 1 1 gelobt, 302 geweiht, stand auf dem Quirinal nahe dem des Quirinus. 1 Catos Origines in 7 Büchern, die älteste in lateinischer Sprache geschriebene Geschichte Italiens und Roms, führten von der Urzeit bis nahe an die Zeit seines Todes (149). Nur Bruchstücke sind erhalten. - 2 Schlacht bei Pvdna 168. Die Geschichte ist auch im Leben des Aemilius, Kap. 2 1 , erzählt. 1 d.h. solche, denen auch Gewitter keinen Schaden bringen konnten. - 2 Für Seedarlehen, fenus nauticum, wurden wegen des erhöhten Risikos höhere Zinsen genommen. 1 Die Philosophengesandtschaft, zu der außer den Genannten - der Stoiker Diogenes von Seleukeia (daher «der Babvlonier» genannt) ist wohl von dem bekannten Kyniker zu unterscheiden - auch der Peripatetiker Kritolaos gehörte, kam nach Rom im Jahre 155. -

506

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN

375-384

2 Dieser Acilius hat noch eine römische Geschichte in griechischer Sprache geschrieben, vgl. Romulus, Kap. 21. 376 1 Hippokrates von Kos, der berühmte Arzt des 5. Jahrhunderts, von dem eine Reihe von Schriften erhalten sind. 378 J Der Sohn starb 153/52 als designierter Praetor. 379 1 Außer den Origines (s. o. Anm. zu S. 372 i) und dem (erhaltenen) Buch De agri cultura schrieb Cato praecepta ad filium mannigfachen Inhalts und ein Carmen de moribus, sammelte Witzworte anderer und veröffentlichte mehr als 150 seiner Reden sowie Briefe an den Sohn. Seine eigenen Witzworte wurden bald nach seinem Tode herausgegeben. Die erhaltenen Disticha Catonis haben aber in Wahrheit nichts mit ihm zu tun. 380 1 Die Entsendung der 10 Senatoren, unter denen sich Cato und Scipio Nasica befanden, nach Karthago fällt wohl ins Jahr 152. 381 1 Das berühmte Ceterum censeo Carthaginem esse delendam, das übrigens in dieser Form in keiner antiken Quelle steht. — 2 Cato starb 149, drei Jahre vor der Zerstörung Karthagos. - 3 Odyssee X 495, dort über den Seher Teiresias gesagt, der allein im Hades sein Bewußtsein und seine Geisteskraft bewahrt hat. 382 1 Auch sein Leben hat Plutarch geschrieben. Seine übrigen Angaben sind nicht ganz richtig. Salonianus, der als Praetor starb (das Jahr wissen wir nicht), war nicht der Urgroßvater, sondern der Großvater des «Philosophen». Der Konsul des Jahres 1 1 8 , M. Porcius Cato, war eben jener «Enkel von dem verstorbenen Sohne»; der Konsul des Jahres 89, L. Porcius Cato, war Sohn des Salonianus und Oheim des Philosophen, dessen Vater Marcus vor Erreichung der Praetur zwischen 95 und 91 starb. 383 1 Herodot IX 64: «Pausanias, Sohn des Kleombrotos, Sohnes des Alexandrides, trägt den herrlichsten aller Siege, von denen wir wissen, davon.» Sophanes zeichnete sich bei Plataiai, Ameinias bei Salamis, Kallimachos und Kynegeiros bei Marathon aus. 385 1 Hesiod, Werke und Tage, besonders 303 ff.; die folgenden Verse spricht Odysseus in der Od. XIV 222 ff., wo er sich Eumaios gegenüber für einen Kreter ausgibt.

E R L Ä U T E R U N G E N Z U DEN S E I T E N 3 9 I - 4 O O

ERLÄUTERUNGEN ZU

$0T]

THEMISTOKLES

391 1 Phrearrioi: s. A n m . z u S. 395 1. - 2 Ü b e r Phanias s. A n m . z u S. 251 i. U b e r N e a n t h e s v o n K y z i k o s ( v g l . S. 400) haben w i r n u r ein sehr unsicheres Wissen. - 3 Die L v k o m i d e n waren ein altes attisches A d e l s g e s c h l e c h t . Ihre W e i h k a p e l l e im D e m o s Phlya lag nordöstlich von A t h e n . 392 1 S t e s i m b r o t o s von T h a s o s hat in d e n l e t z t e n J a h r z e h n t e n d e s 5. J a h r h u n d e r t s eine s c h a r f k r i t i s c h e S c h r i f t ü b e r T h e m i s t o k l e s , K i m o n u n d Perikles g e s c h r i e b e n . Melissos von Samos w a r als Philos o p h Schüler des P a r m e n i d e s . Im K r i e g e v o n 4 4 2 - 4 4 0 hat er als S t r a t e g e seine aufständische Vaterstadt gegen Perikles v e r t e i d i g t . Ü b e r M n e s i p h i l o s wissen w i r nichts B e s t i m m t e s . 394 / Ausfuhrlich steht die G e s c h i c h t e im Leben des A r i s t e i d e s , Kap. 2. 395 1 Das Bergland von L a u r e i o n mit seinen sehr e r g i e b i g e n ( a u c h h e u t e noch nicht e r s c h ö p f t e n ) Vorkommen s i l b e r h a l t i g e r Bleierze liegt innerhalb der S ü d s p i t z e A t t i k a s . Z a h l r e i c h e S p u r e n des antiken A u s b e u t u n g s b e t r i e b e s sind noch erhalten. D e r D e m o s Phrearrioi, aus d e m T h e m i s t o k l e s s t a m m t e , l a g in diesem G e b i e t . - 2 Piaton G e s e t z e IV 706 c. 396 1 H e r m i o n oder H e r m i o n e an der S ü d o s t k ü s t e der A r g o l i s . 397 1 A d e i m a n t o s war A r c h o n 4 7 7 / 7 6 . - 2 S i m o n i d e s v o n Keos, d e r h o c h b c r ü h m t e , damals schon h o c h b e t a g t e L y r i k e r u n d E p i g r a m m a t i k e r ( e t w a J55 bis 468). - 3 G e n a u e r e s im Leben des A r i s t e i d e s , Kap. 7. 398 / Z e l e i a , ein S t ä d t c h e n in der Troas. - 2 Das T e m p e t a l ist d i e S c h l u c h t , in der der Peneios z w i s c h e n O l y m p und O s s a z u m M e e r e durchbricht. 399 1 D a s A r t e m i s i o n lag an d e r N o r d s p i t z e der g r o ß e n Insel E u b o i a , der Halbinsel Magnesia gegenüber. A p h e t a i lag an der Einfahrt des M e e r b u s e n s von Pagasai. S k i a t h o s , e i n e kleine Insel v o r der Einfahrt zwischen dem A r t e m i s i o n und Magnesia. - 2 H e r o d o t V I I I 4 f erzählt vielmehr, T h e m i s t o k l e s habe den g r ö ß e r e n T e i l der 30 T a lente für sich behalten. - 3 Das «heilige Schiff» w a r d a s j e n i g e , a u f dem e i n s t T h e s e u s der Sage nach mit den J ü n g l i n g e n u n d Jungfrauen nach K r e t a gefahren und g l ü c k l i c h h e i m g e k e h r t war, v g l . T heseus, Kap. 23. 400 1 Pindar frg. 7 7 . - 2 O l i z o n , in der Ilias II 7 1 7 als B e s t a n d t e i l der Herrschaft des P h i l o k t e t e s g e n a n n t , lag dem A r t e m i s i o n g e g e n ü b e r

J08

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN 4OO-4O9

auf der Landenge, die Magnesia mit der kleinen Halbinsel Trikheri verbindet. - j Simonides frg. 109 Diehl. 402 1 Den Orakelspruch teilt Plutarch nicht mit, weil er damit rechnet, daß seine Leser ihn aus Herodot VII 141 kennen. Er lautet (in der Übersetzung von Klaiber): Pallas vermag es nicht, den Olympier Zeus zu versöhnen, Flehet mit vielen Worten sie gleich und verständigem Rate. Doch dir sag' ich ein anderes Wort, dem Stahle vergleichbar: Wenn dem Feinde erliegt, soviel die Grenze des Kekrops In sich schließt und die Schlucht des heiligen Berges Kithairon, Gönnt weitschauenden Blicks Zeus Mauern von Holz der Athene, Daß sie, unzerstörbar allein, mit den Kindern dich retten. Doch erwarte in Ruhe du nicht die Scharen des Fußvolks Und der Reisigen Heer auf dem Festland, sondern entweiche, Kehre den Rücken dem Feind; einst wirst die Stirne ihm bieten. Göttliche Salamis, du vertilgst die Söhne der Weiber, Wenn der Demeter Frucht zerstreut liegt oder gesammelt. 403 1 Uber Troizen vgl. Leben des Theseus, Kap. 3, mit Anm. 68 2. 2 Aristoteles frg. 360. Über Kleidemos s. Anm. zu S. 82 /. 404 1 Die Geschichte vom Kvnossema-Hundsmal auch im Leben Catos, Kap. 9. 405 1 Nach Aristoteles, Tiergeschichte IV 1 , hat der Tintenfisch kein Eingeweide, sondern nur zwei feste Teile in seinem Innern, deren einer nach seiner Gestalt Schwert genannt werde. - 2 Die Kule war der heilige Vogel Athenas. 406 1 Dieselbe Erzählung auch Aristeides, Kap. 8. 407 1 Tenos, eine der Kykladeninseln (zwischen Andros und Mvkonos). - 2 Phanodemos, ein attischer Lokalschriftsteller des 4. Jahrhunderts, über dessen Verdienst auf religiös-kultischem Gebiet uns einige Inschriften belehren. Aus seinem Werk sind nur spärliche Fragmente erhalten. - Akestodoros, ein nur wenig bekannter Mvthograph und Historiker aus Megalopolis. - 3 Die Erzählung von dem Menschenopfer auch im Leben des Aristeides, Kap. 9. 408 1 Aischvlos, Perser, 336 ff. -2 Dekeleia im nördlichen Attika östlich des Parnes, Paiania am Osthang des Hvmettos. 409 1 Artemisia, die Königin von Karien, die mit 5 Schiffen an der Schlacht teilnahm. - 2 Die thriasische Ebene ist die Ebene von Eleusis, so benannt nach der in ihr gelegenen Gemeinde Thria. 3 lakchos, eine sehr problematische göttliche Gestalt, bald als Sohn der Demeter, bald ihrer Tochter Kore bezeichnet und mit ihnen

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN 4 0 9 - 4 2 2

5O9

z u s a m m e n seit d e m j . J a h r h u n d e r t in A t h e n u n d in t l e u s i s v e r e h r t . A m s e c h s t e n T a g e d e s E l e u s i n i s c h e n Festes w u r d e sein Bild in feierl i c h e r P r o z e s s i o n v o n A t h e n n a c h E l e u s i s g e f u h r t . -4

Die Aiakiden

w a r e n die N a c h k o m m e n des Z e u s s o h n e s Aiakos, des m y t h i s c h e n B e h e r r s c h e r s v o n A i g i n a , v o r a l l e m Peleus u n d A c h i l l e u s , T e l a m o n u n d A i a s . - j S i m o n i d e s frg. 83 B e r g k . 4 1 0 1 D i e s e l b e E r z ä h l u n g im A r i s t e i d e s , K a p . 9. 411

I H e r o d o t VIII 93. 122.

4 1 2 1 Seriphos, kleine Kvkladeninsel zwischen K y t h n o s und Siphnos. 4 1 3 1 T h e o p o m p o s v o n C h i o s , 3 7 6 b i s g e g e n E n d e d e s 4. J a h r h u n d e r t s , b e d e u t e n d e r H i s t o r i k e r , d e r H e l l e n i k a , e i n e F o r t s e t z u n g des T h u k y d i d e s bis z u r S c h l a c h t b e i K n i d o s ( 3 9 4 ) , u n d v o r a l l e m d i e G e s c h i c h t e des K ö n i g s P h i l i p p v o n M a k e d o n i e n in j 8 B ü c h e r n schrieb. 4 1 4 1 A r i s t o p h a n e s , R i t t e r 81 j . - 2 D i e P n y x , d e r F e l s h ü g e l , bei d e m die Volksversammlungen stattzufinden pflegten, liegt westlich der A k r o p o l i s . D i e « D r e i ß i g T y r a n n e n » sind d a s O l i g a r c h e n r e g i m e n t , d a s , v o n d e n S p a r t a n e r n e i n g e s e t z t , v o n 404 b i s 403 A t h e n b e h e r r s c h t e . - 3 D i e s e l b e E r z ä h l u n g in A r i s t e i d e s 22. 415

1 Ü b e r d i e A m p h i k t v o n e n s. A n m . z u S. 248 1. D i e P y l a g o r e n sind d i e s t i m m b e r e c h t i g t e n M i t g l i e d e r d e r e i n z e l n e n S t a a t e n im A m p h i k t y o n e n r a t e . - 2 H e r o d o t VIII 1 1 1 f. - 3 T i m o k r e o n aus Ialysos a u f R h o d o s ist uns h a u p t s ä c h l i c h d u r c h d i e s e P l u t a r c h s t e l l e b e k a n n t . P a u s a n i a s , d e r S i e g e r von Plataiai, X a n t h i p p o s u n d L e u t y chidas, die Sieger von M y k a l e ; Lato (dorisch für Leto), die M u t t e r d e s A p o l l o n u n d d e r A r t e m i s ; d e r I s t h m o s ist d i e L a n d e n g e v o n K o r i n t h , w o alle v i e r J a h r e d i e I s t h m i s c h e n S p i e l e g e f e i e r t w u r d e n ( v g l . Schillers Kraniche des Ibykos).

417

/ M e l i t e , a t t i s c h e r D e m o s im W e s t t e i l d e r S t a d t A t h e n . - 2 A g r v l e , attischer Demos unmittelbar südwestlich der Stadt.

419

/ Kerkvra w a r seinerseits eine von Korinth g e g r ü n d e t e Kolonie.

420 1 H i e r o n I., K ö n i g v o n S y r a k u s 4 7 8 - 4 6 7 . - 2 Ü b e r T h e o p h r a s t s. A n m . z u S. 1 3 6 2. - 3 T h u k v d i d e s I 1 3 7 ; P v d n a , S t a d t in M a k e donien am thermaischen Meerbusen. 421

1 K y m e , a l t e a i o l i s c h e S t a d t in M v s i e n ; A i g a i , e b e n f a l l s in M v s i e n , östlich von Myrina.

422 ; C h a r o n v o n L a m p s a k o s ( a m H e l l e s p o n t ) , 5. J a h r h u n d e r t , Verfasser e i n e r L o k a l g e s c h i c h t e s e i n e r H e i m a t s t a d t ; E p h o r o s , b e d e u t e n d e r H i s t o r i k e r d e s 4. J a h r h u n d e r t s ; D i n o n v o n K o l o p h o n , a u c h 4. J a h r h u n d e r t , V e r f a s s e r e i n e r u m f a s s e n d e n G e s c h i c h t e P e r s i e n s (verloren), Vater des Kleitarchos, der eine vielgelesene Geschichte

510

E R L A U T E R U N G E N ZU D E N S E I T E N

422-429

der Alexanderzüge schrieb; der hier genannte Herakleides ist nicht der berühmtere, öfters von Plutarch zitierte Pontiker, sondern der aus Kyme stammende Verfasser einer persischen Geschichte, der auch im Leben des Artaxerxes von Plutarch benützt ist, schrieb im 4. Jahrhundert. - Artaxerxes folgte seinem Vater Xerxes 464 auf dem persischen Thron. 423 1 Uber Eratosthenes s. Anm. zu S. 151 1. 424 1 Das Orakel des Zeus zu Dodona in Epirus. - 2 Areimanios, in der parsischen Religion der göttliche Vertreter des bösen Prinzips. 425 1 Das Bild soll wohl besagen, daß die Rede durch Verdolmetschen ihren rechten Gehalt und ihre Wirkung einbüße. - 2 Demaratos (richtiger Damaratos), Aristons Sohn, König von Sparta, der um die Zeit der Schlacht bei Marathon unter dem Vorgeben, er sei nicht der echte Sohn seines Vaters Ariston, des Thrones entsetzt wurde, zu Dareios floh und den Rest seines Lebens in Persien verbrachte. 426 1 Magnesia am Maiandros in Lydien, Myus in Karien, Lampsakos, Perkote und Palaiskepsis in Mysien. 427 1 Dindvmene ist einer der Namen der großen phrygischen Göttermutter, deren meistgebrauchter Name Kybele ist. 428 1 Das Todesjahr ist nicht mit Sicherheit festzustellen, etwa 459/58. Die Erzählung von dem Selbstmord ist eine Legende, die schon Thukydides I 138, 4 ablehnt. Das schnell gerinnende Stierblut galt im Altertum als giftig. 429 1 Über Alopeke s. Anm. zu S. 3 1 1 1. - 2 Piaton, Menon 93d. 3 Über Andokides s. Anm. zu Nikias, Kap. 13, und Alkibiades 21. Über die hier genannte Rede wissen wir sonst nichts. - 4 Phylarchos von Athen schrieb gegen Ende des 3. Jahrhunderts griechische Geschichte vom Tode des Pyrrhos bis zum Tode des Kleomenes (272-220), moralisierend, effekthaschend, nervenaufpeitschend, romanhaft. — 5 Diodoros von Athen, der älteste der «Perihegeten», die, etwa im Baedekerstil, Führungen durch eine Landschaft schrieben (erhalten nur die 10 Bücher Rundreise durch Griechenland des Pausanias, 2. Jahrhundert n. Chr.), verfaßte sein Werk zwischen 322 und 308. Er ist nicht zu verwechseln mit dem unter Augustus schreibenden Diodoros von Agvrion (in Sizilien), von dessen Weltgeschichte in 40 Büchern uns ein großer Teil erhalten ist. - 6 Das Vorgebirge des Alkimos und das Grab des Themistokles sind nicht mit Sicherheit feststellbar; auch Plutarch, der Ehrenbürger von Athen, hat es offenbar nicht gekannt.

ERLÄUTERUNGEN ZU DEN SEITEN 4 3 O - 4 3 9

jll

430 1 Der Komiker Piaton war ein Zeitgenosse des Aristophanes. 2 Über Plutarchs Lehrer Ammonios s. die Einleitung S. 8. Über seinen Studiengenossen Themistokles wissen wir sonst nichts.

ERLÄUTERUNGEN

ZU

CAMILLUS

432 t Die Diktatur des Postumius Tubertus wird ins Jahr 432 oder 431 gesetzt, die Censur des Camillus 403. Natürlich kann also dieses Amt nicht die Belohnung für die Heldentaten von 432/31 gewesen sein. Über die Bedeutung der Censur s. das Leben des Cato, Kap. I j . - 2 Über Veji s. Anm. zu S. 134 3. 433 1 Camillus war zum zweitenmal Kriegstribun mit konsularischer Vollmacht 398. Plutarch faßt die Taten seines ersten und seines zweiten Tribunats in eins zusammen. - 2 Falerii und Capena lagen westlich des Tiber im Etruskerlande, nördlich von Veji. 43 $ 1 Die feriae Latinae waren das alljährlich - aber nicht an einem festen Datum - auf dem Albanerberg (dem Monte Cavo) dem Iuppiter Latiaris gefeierte Bundesfest der latinischen Städte. - 2 Erste Diktatur des Camillus und Eroberung von Veji 396. - 3 Mater Matuta ist ursprünglich die Göttin des Frühlichts, auch Frauenund Geburtsgöttin. Ihre Identifizierung mit der griechischen Ino/Leukothea mag durch die Bedeutungsgleichheit des Namens mit dem der «lichten Göttin» veranlaßt worden sein. Ino, Tochter des Kadmos und Gattin des Athamas, hatte den kleinen Dionysos, Sohn ihrer Schwester Semele von Zeus, aufgezogen. Zur Strafe schlug Hera Athamas mit Wahnsinn, daß er seinen und Inos Sohn Learchos tötete und die - ebenfalls wahnsinnig gewordene - Ino verfolgte, die sich nun mit dem andern Sohn Melikertes ins Meer stürzte. Dort wurden sie von Poseidon in Götter mit Namen Leukothea und Palaimon verwandelt. (Es gibt verschiedene Versionen der Sage, die aber im wesentlichen auf dasselbe hinauslaufen.) Die «großen Spiele » wurden zuerst bei außerordentlichen Gelegenheiten, meist nach einem großen Siege, im Zusammenhang mit dem Triumph dem Iuppiter Optimus Maximus gefeiert. Später wurden sie zu einer ständigen Einrichtung und als ludi Romani (magni) im September, schließlich 16 Tage lang, gefeiert. 437 1 Livius V 22. 439 1 Das attische Talent wog etwa 26 kg.

512

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN 4 4 O - 4 5 5

440 1 Die Liparischen Inseln nördlich von Sizilien. - 2 Drittes Konsulartribunat des Camillus 394. 444 1 Vgl. Anm. zu S. 320 /. - 2 Vgl. Anm. zu S. 352 1. 445 1 Die Rhipäischen Berge lassen sich nicht lokalisieren. Sie sind das Gebirge, das die antiken Geographen als Quellgebiet der von Norden kommenden großen Ströme Europas postulierten. 446 1 Tyrrhenoi ist die griechische Form des lateinisch Etrusci lautenden Volksnamens. — 2 Clusium, das heutige Chiusi. 448 1 Uber die Fetialen s. Numa, Kap. 12. 449 1 90 Stadien, etwa 16 km. — 2 Der dies Alliensis ist der 18. Juli. — 3 Hesiod, Werke und Tage 760 ff. - 4 Plutarchs Schrift «Über (gute und schlechte) Tage» ist verloren. 450 1 Der attische Hekatombaion = Juni/Juli, Boedromion = August/September, Thargelion = April/Mai, Metageitnion = J u l i / August. Daten der erwähnten Schlachten: Leuktra 3 7 1 ; Keressos (auch in Boiotien) nicht sicher bestimmbar, eher erst gegen Ende des 6. Jahrhunderts als im Anfang; Marathon 490; Plataiai und Mykale 479; Arbela 3 3 1 ; Naxos 376; Salamis 480; Granikos 334; Sieg Timoleons am Krimisos 341 oder 340 oder 339; Krannon 322; Chaironeia 338; Zerstörung Thebens 335; makedonische Besatzung in Athen (Munichia) 322; Cimbernsieg über Caepio bei Arausio (Orange) 105; Sieg des Lucullus bei Artaxata 6 8 . - 2 Über Ephoros und Kallisthenes s. Anm. zu S. 3 1 9 3 und 3 9 6 1 . Uber Damastes und Malakos wissen wir wenig. - 3 Archidamos III., König von Sparta, zog 338 den Tarentinern gegen die Lukaner zu Hilfe. 451 1 Uber Iakchos vgl. Anm. zu S. 382 3.-2 halten. - 3 Vgl. Numa, Kap. 9.

Diese Schrift ist uns er-

452 1 «Die Fäßchen», Doliola, war nach Varro ein Ort bei der cloaca maxima, wo man nicht ausspucken durfte wegen der Fäßchen unter der Erde. Nicht sicher feststellbar, aber wohl zwischen Palatium und Kapitol gelegen. Plutarchs Angabe, die Doliola hätten unter dem Tempel des Quirinus, also auf dem Quirinal gelegen, ist wohl irrig. 453 1 Porta Collina, das «Hügeltor», auf der Höhe des Collis Quirinalis im Nordwesten der Stadt. Die Datierung «etwas mehr als 360 Jahre seit der Gründung» setzt diese auf 753, den Gallierbrand auf 390 an. - 2 Über den Pontiker Herakleides s. Anm. zu S. 237 2. 454 1 Aristoteles frg. 568. 455 1 Ardea, alte Stadt in Latium, 1 2 km südlich von Rom, nahe dem Meer. Die ganze Geschichte von der Errettung Roms durch Camillus ist Sage oder Dichtererfindung.

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN 4 5 7 - 4 7 8

513

457 1 Die p o r t a (Jarmentalis lag an d e r N o r d w e s t e c k e d e s K a p i t o l hügels. 45g 1 Ein römisches P f u n d , libra, w o g in der älteren Z e i t 273 g, seit 269 327,45 g. D i e a t t i s c h e K o t y l e faßte 0,225 1- A b e r auf P l u t a r c h s A n gaben in diesen D i n g e n ist kein Verlaß. 462 1 Die via G a b i n i a f ü h r t e von R o m nach O s t e n über G a b i i (danach b e n a n n t ) gegen Praeneste (Palestrina). - 2 Die Iden des Q u i n t i i i s = 15. Juli, die Iden des Februar = 1 3 . Februar. 463 1 Das H e i l i g t u m d e s A i u s L o c u t i u s stand o b e r h a l b des Vestaheiligt u m s an der N o v a via z u m Palatium h i n a u f 465 / D i e s e l b e E r z ä h l u n g im R o m u l u s , K a p . 22. - 2 S u t r i u m , das h e u t i g e Sutri im s ü d l i c h e n T o s c a n a . Ein M a e c i u s m o n s ist nicht lokalisierbar; ein O r t ad M a e c i u m l a g bei L a n u v i u m südlich der A l b a n e r Berge.. D r i t t e D i k t a t u r d e s C a m i l l u s 389. D i e f o l g e n d e m ä r c h e n h a f t e G e s c h i c h t e auch im R o m u l u s , Kap. 29. 470 / F ü n f t e s K o n s u l a r t r i b u n a t des C a m i l l u s 384. 471

1 D e r lucus Petelinus w a r ein W ä l d c h e n a u f d e m Marsfeld (in der g r o ß e n T i b e r s c h l e i f e w e s t l i c h der alten S t a d t ) . - 2 Z u (Juno) M o neta s. A n m . zu S. 128 3 ( R o m u l u s , Kap. 20). - j Sechstes Konsulartribunat des C a m i l l u s 381.

472 1 Satria, r i c h t i g e r S a t r i c u m , l a g e t w a 12 k m n o r d w e s t l i c h von A n t i u m ( p o r t o d ' A n z i o ) am F l u ß A s t u r a . - 2 Ü b e r T u s c u l u m s. A n m . z u S. 347 1. 473 / V i e r t e D i k t a t u r des C a m i l l u s 368. 475 1 F ü n f t e D i k t a t u r des C a m i l l u s 367. - 2 A n i o , h e u t e A n i e n e , linker N e b e n f l u ß des T i b e r , d e r w e n i g o b e r h a l b R o m s m ü n d e t . 476 1 V i e l m e h r d r e i u n d z w a n z i g Jahre, und so ist wohl auch der Plutarchtext z u verbessern. 477 / Velitrae, das h e u t i g e Velletri am S ü d f u ß der A l b a n e r Berge. 478 / Vom T e m p e l der C o n c o r d i a an der N o r d w e s t e c k e des F o r u m R o m a n u m , d. h. von d e m von T i b e r i u s 10 n.Chr. g e w e i h t e n (später r e s t a u r i e r t e n ) N e u b a u , stehen n o c h drei Säulen aufrecht. L'ber die l'eriae Latinae s. A n m . z u S. 435 1.

INHALTSVERZEICHNIS Einleitung

7

Theseus ( K . Z . )

67

Romulus ( K . Z . )

102

Vergleichung des Theseus und Romulus

142

Lykurgos ( K . Z . )

151

Numa ( K . Z . )

194

Vergleichung des Lykurgos und Numa

226

Solon ( K . Z . )

237

Poplicola ( K . Z . )

277

Vergleichung des Solon und Poplicola

303

Aristeides ( K . Z . )

311

Marcus Cato ( K . Z . )

347

Vergleichung des Aristeides und Marcus Cato

382

Themistokles (W.W.)

391

Camillus ( K . Z . )

431

[Vergleichung fehlt]

Erläuterungen

481

PLUTARCH GROSSE GRIECHEN U N D RÖMER

Band l Theseus und Romulus • Lykurgos und Numa Solon und Poplicola • Aristeides und Marcus Cato Themistokles und Camillus Band 2 Kimon und Lucullus • Perikles und Fabius Maxinus Nikias und Crassus • Coriolan und Alkibiades Band 3 Lysandros und Sulla • Agesilaos und Pompeju; Pelopidas und Marcellus Band 4 Dion und Brutus • Aemilius und Timoleon Demosthenes und Cicero Phokion und Cato (der Jüngere) Band 5 Alexander und Caesar • Sertorius und Eumene; Demetrios und Antonius Band 6 Pyrrhos und Marius • Aratos Agis, Kleomenes und die Gracchen Philopoimen und Titus (Flamininus) • Artoxenes Galba und Otho Namen- und Sachregister

Diese Edition setzt neue DIE VORSOKRATIKER

epl ; i^a/AldmUt *f*iM.

-ff***

m k ml» f«

Die dreibändige Vorsokratiker-Ausgabe der Zürcher Altphilologin Laura Gemelli Marciano ist das Ergebnis zehnjähriger Arbeit. Hier wird das Denken der griechischen »Philosophen vor Sokrates«. die im 7. bis 5. Jahrhundert v. Chr. versuchten, Entstehung und Vielgestaltigkeit der Welt zu erklären, von den interpretierenden Darstellungen späterer Philosophengenerationen befreit. »Eine faszinierende Interpretation der Vorsokratiker.« Helmut Heit in Information Philosophie »Große Leistung.« Frankfurter Rundschau »Meilenstein in der Erforschung der Vorsokratiker.« Richard Niedermeier in www.buchkritik.at Band I: 480 Seiten. ISBN 978-3-7608-1735-4 Band II: 448 Seiten. ISBN 978-3-538-03500-3 Band III: 640 Seiten. ISBN 978-3-538-03502-7 www.artemisundwinkler.de

Lebenshilfe für Gestresste

f

SENECA BRIEFE A N U J O L I U S

T V S C V L V M Seneca, als gescheiterter Erzieher des Kaisers Nero berühmt geworden, stammte aus Cordoba. Seine Briefe an Luciiius sind eine Einführung in die P h i l o s o p h i e der Stoiker, deren Ideal es war, durch Gelassenheit und Seelenruhe w e i s e zu werden. Seneca bietet keine systematische Darstellung, sondern zeigt Wege zur p h i l o s o p h i s c h e n Bewältigung konkreter Probleme

des menschlichen

Lebens: Wege zum

Glück. Die Briefe sind unmittelbar ansprechend, d i a l o g i s c h geschrieben und heute noch aktuell. B a n d I: 6 0 8 S e i t e n . I S B N 9 7 8 - 3 - 5 3 8 - 0 3 5 0 1 - 0 B a n d II: 6 6 4 S e i t e n . I S B N 9 7 8 - 3 - 5 3 8 - 0 3 5 1 2 - 6

www.artemisundwinkler.de

wahren lebendig