Grosse Griechen und Römer: Band 4 [3., rev. Aufl. 1954/65, Reprint 2021] 9783112466681, 9783112466674

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Grosse Griechen und Römer: Band 4 [3., rev. Aufl. 1954/65, Reprint 2021]
 9783112466681, 9783112466674

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B I B L I O T H E K DER A L T E N WELT

Über dieses Buch

Die vergleichenden Lebensbeschreibungen von Plutarch, entstanden vermutlich Anfang des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts, machten ihren Verfasser zu einem der meistgelesenen griechischen Autoren. Neben seiner farbigen und geistreichen Erzählkunst und der unübersehbaren Fülle interessanten Stoffes wurde er insbesondere durch seine Methode zum Klassiker der Biographie: »Denn ich schreibe nicht Geschichte, sondern zeichne Lebensbilder, und hervorragende Tüchtigkeit oder Verworfenheit offenbart sich nicht durchaus in den aufsehenerregendsten Taten, sondern oft wirft ein geringfügiger Vorgang, ein Wort oder ein Scherz ein bezeichnenderes Licht auf einen Charakter als Schlachten mit Tausenden von Toten ...« So überlieferte uns Plutarch Kenntnisse von Leben und Kultur der Antike wie kaum ein anderer antiker Autor. Band 4 enthält die vergleichenden Lebensbeschreibungen von Dion und Brutus, Aemilius und Timoleon, Demosthenes und Cicero, l'hokion und Cato (dem Jüngeren).

P L U T A R C H

GROSSE GRIECHEN UND RÖMER Band 4 Ubersetzt und mit Anmerkungen versehen von Konrat Ziegler und Walter Wuhrmann

Artemis &

Winkler

Bibliogratlsche Information der Deutschen Nationalbibliothek Die D e u t s c h e N a t i o n a l b i b l i o t h e k verzeichnet d i e s e P u b l i k a t i o n in d e r D e u t s c h e n N a t i o n a l b i b l i o g r a f i e : d e t a i l l i e r t e b i b l i o g r a f i s e h e D a t e n sind im I n t e r n e t ü b e r h t t p : / / d n b . d - n b . d e a b r u i h a r .

c 2 0 1 0 Patmns Verlag G m b H & CD. K G 3. r e v i d i e r t e A u f l a g e 2 0 1 0 . I. A u f l a g e 1 9 . S 4 - 1 9 A 5 A r t e n i i s & Witikler Verlag. M a n n h e i m Alle Rechte vorbehalten. P r i n t e d in G e r m a n y ISBN 97X-3-538-03525-6

K a s s e t t e m i t allen sechs B ä n d e n

ISBN 97S-3-53X-03529-4

Band 4

www.artemisundwinkler.de

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DION i . W e r n der Dichter Simonides einmal sagt, mein lieber Sosius Senecio, Ilion zürne den Korinthern nicht, daß sie gegen es mit J e n Achäern ins Feld zogen, weil auch Glaukos, der von Haus aus Korinther war, an ihrer Seite tapfer k ä m p f t e ' , so dürfen gerechterweise weder R ö m e r noch Griechen sich über die Akademie beschweren, da sie an diesem Buche, welches die Biographien des Brutus und des Dion enthält, den gleichen Anteil haben. Denn der eine von ihnen war ein Schüler Piatons selber, der andere in den Lehren Piatons erzogen worden, und so sind sie beide gleichsam aus derselben R i n g s c h u l e zu den größten K ä m p f e n ausgezogen; und wenn sie durch viele einander v e r w a n d t e T a t e n eine Bestätigung für die M e i nung ihres W e g w e i s e r s zur T u g e n d erbracht haben, daß Macht und G l ü c k mit Einsicht und Gerechtigkeit sich vereinen müssen, damit die politischen T a t e n Schönheit zugleich und Größe gewinnen, so ist das nicht verwunderlich. Denn wie der R i n g m e i s t e r Hippomachos sagte, daß er die von ihm Ausgebildeten von weitem erkenne, wenn er sie auch nur ein Stück Fleisch vom M a r k t holen sähe, so ist es natürlich, daß auch die T a t e n der im gleichen Geist Erzogenen dieser Geist begleitet und ihnen zugleich mit dem Geziemenden einen gewissen Stil und R h y t h m u s verleiht. 2. Die Schicksale beider Männer, die sich mehr in dem, w a s ihnen geschah, als in dem, was sie planten, gleichen, führten zu einer Ähnlichkeit ihrer Lebensläufe. Beide wurden sie v o r Erreichung des Z i e l e s , zu dem sie ihre Unternehmungen nach vielen schweren K ä m p f e n zu führen gedachten, getötet, da es ihnen an der K r a f t dazu gebrach. Was aber das Wunderbarste

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von allem ist; Beiden deutele die Gottheit ihr nahendes Ende an, indem jedem von ihnen eine unheilverkündende Erscheinung vor Augen trat. Zwar sagen diejenigen, welche solche Dinge gänzlich ableugnen, noch keinem Menschen mit gesunden Sinnen sei ein Geist oder ein Gespenst erschienen, sondern Kinder und Weiber und geistesgestörte Menschen ließen vermöge einer geistigen Verwirrung oder einer krankhaften körperlichen Verfassung wesenlose und seltsameWahnvorstellungen in sich aufkommen, weil sie einen bösen Geist, nämlich den Aberglauben, in sich trügen. Wenn aber Dion und Brutus, ernsthafte und philosophisch gebildete Männer, von keinem Eindruck so leicht gefangen zu nehmen und zu erschüttern, durch eine Erscheinung in einen solchen Zustand versetzt wurden, daß sie sogar zu anderen davon sprachen, so weiß ich nicht, ob wir nicht genötigt sind, von allen uralten Lehren die ungereimteste anzunehmen, daß die bösen und hämischen Dämonen, von Neid erfüllt gegen die tugendhaften Menschen und ihren Handlungen entgegenwirkend, Verwirrungen und Ängste über sie bringen, um ihre T u g e n d zu erschüttern und wankend zu machen, damit sie nicht, wenn sie fest und unwandelbar im Guten verharren, ein besseres I.os nach dem Tode erlangen, als ihnen selbst zuteil geworden ist. Doch dies m a g für eine andere Untersuchung aufgespart sein. In diesem Buch, welches das zwölfte in der Reihe der vergleichenden Biographien ist, wollen wir jetzt die des älteren vorausschicken. 3. Als der ältere Dionysios zur Herrschaft gekommen war, heiratete er sogleich die Tochter des Syrakusiers Hermokrates. Diese wurde, als die Tyrannis noch nicht fest begründet war, von den abgefallenen Syrakusiern so grausam und schändlich gemißhandelt, daß sie freiwillig aus dem Leben schied. Nachdcm Dionysios die Herrschaft wiedergewonnen und befestigt hatte, nahm er zwei neue Frauen zugleich, die

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eine aus Lokroi mit Namen Doris, die andere aus der eigenen Stadt, Aristomache, eine Tochter des Hipparinos, eines der vornehmsten Männer aus Syrakus und Amtsgenossen des Dionysios, als er zum ersten Mal zum obersten Feldherrn für den Krieg gewählt wurde'. Es heißt, daß er beide Frauen an einem Tage heimgeführt habe, aber kein Mensch habe erfahren, welcher von beiden er zuerst beigewohnt habe. In der Folgezeit widmete er sich stets beiden in gleicher Weise, so daß sie gewöhnlich gemeinsam mit ihm speisten und nachts abwechselnd mit ihm schliefen. Das Volk von Syrakus wünschte freilich, daß die einheimische Frau vor der Fremden den Vorzug haben sollte, aber die andere hatte das Glück, zuerst den ältesten der Söhne des Dionysios zu gebären und in ihm eine Stütze gegenüber dem Mangel ihrer Herkunft zu gewinnen. Aristomache hingegen lebte lange Zeit mit Dionysios, ohne Kinder zu bekommen, obwohl er dringend wünschte, von ihr Kinder zu haben, weshalb er denn auch die Mutter der Frau aus Lokroi unter der Anschuldigung, die Aristomache verhext zu haben, hinrichten ließ. 4. Als ein Bruder dieser Aristomache stand Dion anfänglich seiner Schwester wegen in Ehren, später aber, als er Proben seines guten Verstandes abgelegt hatte, wurde er auch um seiner selbst willen von dem Tyrannen hochgeschätzt, und neben allen anderen Gunstbeweisen war den Schatzmeistern auch die Weisung gegeben, Dion jederzeit soviel auszuzahlen, wie er verlangte, ihm aber am selben Tage über die erfolgte Zahlung zu berichten. Schon vorher war Dion stolz, hochgemut und männlich von Charakter; noch mehr aber entwickelten sich diese Eigenschaften, als durch eine göttliche Fügung Piaton nach Sizilien kam - nicht nach irgendeiner menschlichen Berechnung - , sondern ein höheres Wesen, so muß es wohl sein, das auf lange Sicht den Grund für die Befreiung der Syrakusier legen und den Sturz der Tyrannis einleiten wollte,

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brachtc Piaton aus Italien nach Syrakus urnl Dion ins Ocspräch mit ihm, Dion, der damals noch ganz j u n g w a r , aber von allen Schülern, die Piaton gehabt hat, der höchstbegabtc und eifrigste, sich den W e g zur T u g e n d weisen zu lassen, wie Piaton selbst gesagt h a t 1 und die Tatsachen es beweisen. Denn obschon unter dem Druck eines T y r a n n e n in einer ged r ü c k t e n Atmosphäre aufgewachsen, an ein unfreies, geängstigtes Leben, eine neureiche Bequemlichkeit,eine geschmacklose Ü p p i g k e i t und einen Lebensstil, der das höchste G l ü c k in Genüssen und Habgier sah, gewöhnt und davon erfüllt, w u r d e er doch, sowie er nur eine zur T u g e n d hinfuhrende Lehre und Philosophie zu kosten bekam, schnell in tiefster Seele e n t f l a m m t , und da er sich selbst so leicht zum G u t e n leiten ließ, so erwartete er in seiner jugendlichen T r e u h e r z i g keit, daß eben diese Lehren auch auf Dionysios die gleiche W i r k u n g üben würden, bemühte sich und erreichte wirklich, daß Dionysios Piaton eine Audienz gewährte und ihn anhörte. 5. Als die Z u s a m m e n k u n f t stattfand, w u r d e im allgemeinen über die T u g e n d , vor allem aber über die T a p f e r k e i t diskutiert, u n d als Piaton eher alles andere als einen T y r a n n e n f ü r tapfer erklärte und hierauf zur Gerechtigkeit ü b e r g i n g und d a r l e g t e , daß das Leben der Gerechten glückselig, das der Ungerechten elend sei, konnte der T y r a n n diese R e d e n nicht länger ertragen, die ihn empfindlich trafen, und ärgerte sich auch darüber, daß die Anwesenden den Mann offenbar aufs höchste bewunderten und von seinen R e d e n bezaubert wurden. Schließlich fragte er ihn in zorniger E r r e g u n g , in welcher A b s i c h t er eigentlich nach Sizilien gekommen sei, und als Piaton a n t w o r t e t e , er suche einen vollkommenen M a n n , versetzte er: « S o hast du also, bei den G ö t t e r n , offenbar noch keinen g e f u n d e n ! » Dion fürchtete nun, daß dies noch nicht das Ende des Z o r nes des T y r a n n e n bedeute, und brachte Piaton eilends auf ei-

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nem Dreiruderer unter, der den Spartaner Pollis nach Griechenland bringen sollte. Aber Dionysios ließ den Pollis heimlich ersuchen, am besten den Mann unterwegs umzubringen, oder wenn dies nicht, ihn jedenfalls als Sklaven zu verkaufen; er werde ja dadurch keinen Schaden erleiden, sondern als ein Gerechter ebenso glücklich sein wie vorher, wenn er auch Sklave werde. Daher, so heißt es, habe Pollis den Piaton nach Aigina gebracht und verkauft, da die Aigincten mit den Athenern im Krieg lagen und einen Beschluß gefaßt hatten, daß jeder gefangene Athener in Aigina verkauft werden sollte'. Dion jedoch büßte nichts an Achtung und Vertrauen bei Dionysios ein, sondern wurde mit den wichtigsten Gesandtschaften beauftragt, zu den Karthagern geschickt, wurde außerordentlich hochgeschätzt, und fast nur von ihm ertrug der Tyrann ein offenes Wort, wenn er furchtlos heraussagte, was er dachte; so auch den Verweis, den er ihm in bezug auf Gelon erteilte. Als nämlich einmal über die Regierung Gelons gespottet wurde und Dionysios selbst sagte, Gelon sei ganz Sizilien zum Gelächter geworden, da taten die anderen so, als ob sie den Witz bewunderten 1 , aber Dion sagte voll Empörung: «Du bist Herrscher, weil man dir Gelons wegen vertraute; deinetwegen wird man keinem andern trauen.» Tatsächlich nämlich hat Gelon offenbar einen monarchisch regierten Staat als das schönste, Dionysios als das häßlichste Schauspiel dargestellt. 6. Dionysios hatte drei Kinder von der Frau aus Lokroi und vier von Aristomache, von denen zwei Töchter waren, Sophrosyne und A r e t e S o p h r o s y n e verheiratete Dionysios mit seinem Sohn Dionysios, Arete mit seinem Bruder Thearides, und als Thearides gestorben war, bekam Dion die Arete, die seine Nichte war, zur Frau. Als Dionysios erkrankte und deutlich dem Ende entgegenging, versuchte Dion noch, über die Kinder Aristomaches mit

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ihm zu sprcchcn. Aber die Ärzte galten ihm aus Liebedienerei gegen den vorgesehenen Thronfolger keine Gelegenheit dazu; wie T i m a i o s ' sagt, gaben sie ihm auch auf sein Verlangen ein Schlafmittel und nahmen ihm das Bewußtsein, so daß der Schlaf in den T o d überging. Als dann die erste Versammlung der Freunde bei dem jungen Dionysios stattfand, sprach Dion über die nach Lage der Dinge notwendigen Maßnahmen auf eine solche Weise, daß alle anderen ihrer Einsicht nach wie Kinder, durch ihren Mangel an Offenheit wie Sklaven des Tyrannenregiments erschienen, da sie auf unwürdige und verängstigte Art nur Ratschläge erteilten, durch die sie sich bei dem jungen Mann in Gunst setzen wollten. Den stärksten Eindruck aber machte er auf sie, die die von Karthago her dem Reiche drohende Gefahr fürchteten *, durch sein Erbieten, wenn Dionysios den Frieden wünsche, sofort nach I.ibyen zu fahren und den Krieg auf bestmögliche Weise beizulegen, wenn er aber Krieg zu führen gedächte, ihm fünfzig seefertige Dreiruderer zu stellen und auf eigene Kosten zu unterhalten. 7. Dionysios war von höchster Bewunderung für diese Großherzigkeit erfüllt und dankte sehr für den guten Willen. Die Leute aber, die durch ein so glänzendes Anerbieten in Schatten gestellt und durch Dions Macht herabgedrückt zu werden fürchteten, ergriffen sogleich diese erste Gelegenheit und sparten keine Vorstellung, durch die sie den jungen Mann gegen ihn aufhetzen konnten mit der Behauptung, er suche durch seine Seemacht die Herrschaft für sich zu gewinnen und mittels seiner Schiffe den Söhnen der Aristomache, seinen Neffen, die Herrschaft zuzuschanzen. Die augenfälligsten und wichtigsten Ursachen des Neides und Hasses gegen ihn waren aber die Unterschiedlichkeit und die Unvereinbarkeit der beiderseitigen Lebensformen. Denn jene suchten gleich von Anfang an einen jungen, schlecht erzogenen T y r a n n e n durch Vergnügungen und Schmeicheleien für ihre Gesell-

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Schaft und ihren Umgang zu gewinnen, indem sie immer Liebeshändel und liederliche Unterhaltungen mit Trinkgelagen und Weibern und sonstigen unsauberen Spielereien aufs Tapet brachten. Dadurch wurde nun zwar die Gewaltherrschaft wie Eisen aufgeweicht, erschien den Beherrschten menschenfreundlicher und zeigte, nicht so sehr durch die Milde wie durch die Leichtfertigkeit des Herrschers sich abstumpfend, ein Nachlassen der allzu unmenschlichen Härte, und im ferneren Verlauf geschah es, daß die allmählich zunehmende Schlaffheit des jungen Menschen jene stählernen Ketten, mit denen Dionysios der Ältere die Alleinherrschaft befestigt und hinterlassen zu haben sich rühmte, zerschmolz und vernichtete. Denn er fing damit an, wie es heißt, daß er neunzig Tage hintereinander Trinkgelage veranstaltete, und während dieser Zeit war der Hof für ernsthafte Männer und Verhandlungen unzugänglich und verschlossen und nur von Trunkenheit, Scherz und Spott, Saitenspiel, Tanz und Possenreißerei erfüllt. 8. Begreiflicherweise wirkte darum Dion, der sich zu keiner jugendlichen Lustbarkeit hergab, höchst lästig, und so gaben sie seinen Tugenden einleuchtend klingende Namen von Lastern und schwärzten ihn damit an, nannten seinen würdigen Ernst Hochmut und seine Freimütigkeit Selbstherrlichkeit; mahnte er, so hieß es, er klage an, und wollte er bei ihren Exzessen nicht mittun, so nannte man das Verachtung. Allerdings hatte sein Charakter wirklich eine Anlage zum Stolz und eine abstoßende Rauheit, die den geselligen Umgang mit ihm wenig angenehm machte. Nicht nur für einen jungen Mann, dessen Ohren schon durch Schmeicheleien verdorben waren, war er ein unliebenswürdiger, widriger Gesellschafter, sondern auch viele, die oft mit ihm verkehrten und die Schlichtheit und den Adel seines Charakters hochschätzten, tadelten seinen Umgangston, daß er Leuten, die sich mit po-

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litischen Anliegen an ihn wendeten, allzu grob und u n h ö f l i c h begegnete. In dieser Hinsicht hat auch Piaton später gleichsam prophetisch an ihn geschrieben, er solle sich v o r der Selbstherrlichkeit hüten, die die Hausgenossin der Einsamkeit s e i ' . Da er indes damals wegen der politischen L a g e f ü r höchst wertvoll und allein oder doch mehr als andere f ü r f ä h i g galt, die wankende Alleinherrschaft aufrecht zu halten und zu hüten, so war er der erste und angesehenste M a n n , nicht z w a r - w i e er wohl einsah - durch die G u n s t des Herrschers, sondern gegen seinen Willen, aus N o t . 9. Da Dion nun glaubte, daß die Ursache von all d e m der M a n g e l an Erziehung sei, so bemühte er sich, den T y r a n n e n an edlere Beschäftigungen heranzubringen und ihn charakterbildende Unterhaltungen und Wissenschaften kennenlernen zu lassen, damit er a u f h ö r t e , sich vor der T u g e n d zu furchten, und sich daran gewöhnte, am Guten und Edlen F r e u d e zu haben. Denn seinen Anlagen nach gehörte Dionysios durchaus nicht zu den schlechtesten T y r a n n e n . A b e r sein Vater hatte in der Befürchtung, er möchte, wenn er Selbstgefühl gewönne und mit verständigen Männern

zusammenkäme,

gegen ihn Pläne schmieden und ihm die Herrschaft zu entreißen versuchen, ihn im H a u s e eingeschlossen gehalten, w o er in E r m a n g e l u n g anderen Verkehrs und ohne E r f a h r u n g in politischen Geschäften, wie man sagt, kleine Wagen und Leuchter u n d Stühle und T i s c h e aus Holz zimmerte. Denn so mißtrauisch und argwöhnisch gegen alle Menschen und aus Furcht so sehr auf seiner H u t w a r der ältere Dionysios, daß er sich nicht einmal die K o p f h a a r e mit Schermessern schneiden ließ, sondern ein Haarkünstler k a m von Z e i t zu Z e i t und sengte ihm das Haar rings mit glühenden Kohlen ab. Ins Z i m m e r zu ihm k a m weder Bruder noch Sohn in der K l e i d u n g , die er gerade anhatte, sondern jeder mußte, ehe er eintrat, seinen R o c k ausziehen und einen andern anlegen,

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nachdem er von den Wächtern nackt besichtigt worden war. Als sein Bruder Leptines einmal, um ihm die Beschaffenheit eines Ortes zu erklären, einem der Speerträger die Lanze abnahm und den Platz in den Sand zeichnete, war er auf den Bruder sehr böse, und den Mann, der die Lanze hergegeben hatte, ließ er hinrichten. Er pflegte zu sagen, er nehme sich vor seinen Freunden in acht, weil er wisse, daß sie Verstand hätten und lieber selbst herrschen als sich beherrschen lassen möchten, und einen gewissen Marsyas, der von ihm befördert und in eine Offiziersstelle gesetzt worden war und der dann geträumt hatte, daß er ihn töte, ließ er hinrichten mit der Begründung, daß aus seinen Gedanken und Überlegungen im Wachen dieses Gesicht in seinen Traum gedrungen sei. Eine so verängstigte, aus Furchtsamkeit von so vielen Übeln geplagte Seele hatte der Mann, der sich über Piaton erzürnte, weil er ihn nicht für den tapfersten aller Menschen erklärt hatte. 10. Da also Dion dessen Sohn - wie schon gesagt - durch Mangel an Erziehung in seinem Charakter verkümmert und verdorben fand, mahnte er ihn, sich einer höheren Bildung zu befleißigen und den ersten der Philosophen aufs inständigste zu bitten, nach Sizilien zu kommen, und wenn er käme, sich ihm ganz zu überlassen, damit er, durch seine Lehre zur Tugend emporgebildet und dem göttlichsten und herrlichsten Vorbild nachgeformt, dessen Leitung gehorchend das All aus der Unordnung zur geordneten Welt geworden sei, sich selbst ein hoßes Maß von Glückseligkeit bereite und ein ebensolches Glück auch seinen Mitbürgern, wenn er all das, was sie jetzt mißmutig unter dem Druck der Zwingherrschaft leisteten, ihnen als Anordnungen einer mit Mäßigung, Gerechtigkeit und väterlicher Güte handelnden Regierung auferlegte und damit aus einem Tyrannen zum König würde. Denn die stählernen Ketten seien nicht, wie sein Vater gemeint habe,

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Furcht, Gewalt, eine große Flotte und eine Leibwache von Tausenden barbarischer Söldner, sondern Zuneigung, guter Wille und Liebe, die durch T u g e n d und Gerechtigkeit in den Herzen erweckt w ü r d e ; und wenn diese Fesseln auch gelinder seien als jene straffen und harten, so seien sie doch haltbarer für die Sicherung einer dauernden Herrschaft. Außerdem verriete es einen Mangel an Ehrgefühl und hohem Streben, wenn der Herrscher, der an seinem Leibe eine köstliche Kleidung trage und in einem herrlichen, prunkvoll eingerichteten Palast wohne, im Umgang und in seiner Bildung nichts Höheres als der gemeine Mann und nicht darauf bedacht sei, das Königsschloß seiner Seele auf königliche und würdige Weise auszuschmücken. I i . Da Dion solche Mahnungen oft wiederholte und auch manche Lehren Piatons einstreute, ergriff den Dionysios ein heftiges und leidenschaftliches Verlangen nach den Lehren und nach dem U m g a n g mit Piaton. Sogleich gingen also nach Athen viele Briefe von Dionysios, viele dringende Aufforderungen von Dion und noch weitere aus Italien von den Pythagoreern, worin Piaton beschworen wurde, zu kommen und sich einer jungen, durch allzu große Macht und Gewalt aus ihrer Bahn gedrängten Seele anzunehmen und sie durch gründliche Unterweisung im Zügel zu halten. Piaton nun, der, wie er selbst s a g t s i c h vor sich selber arg schämte, daß man glauben könnte, er sei nur ein Mann der Theorie und traue sich nicht, aus freiem Willen zu einer T a t zu schreiten, der ferner erwartete, er würde durch diesen einen Mann, wenn er als der gleichsam maßgebliche und beherrschende Teil von seinem Leiden befreit würde, das ganze kranke Sizilien heilen können, leistete der Einladung Folge. Aber die Feinde des Dion, die nun wegen der Sinnesänderung des Dionysios in Sorge waren, beredeten diesen, den Philistos aus der Verbannung zurückzurufen, einen Mann von

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hoher Bildung, der zugleich mit den Lebensgewohnheiten eines Tyrannen vertraut war, um in ihm ein Gegengewicht gegen Piaton und die Philosophie zu haben. Philistos hatte sich nämlich von Anfang an, als die Tyrannis noch in der Bildung begriffen war, ihr aufs bereitwilligste zur Verfügung gestellt und war lange Zeit Kommandant der Burgbesatzung gewesen. Es hieß, daß er auch mit der Mutter des älteren Dionysios in sehr engen Beziehungen gestanden habe und daß der T y rann nicht ganz in Unwissen darüber gewesen sei. Als aber Lcptines, dem von der Frau eines andern Mannes, die er verführt hatte, zwei Töchter geboren worden waren, die eine von ihnen mit Philistos verheiratete, ohne dem Dionysios ein Wort davon zu sagen, geriet der in großen Zorn, ließ die Frau in Fesseln ins Gefängnis werfen und verbannte Philistos aus Sizilien. Er begab sich zu einigen Gastfreunden im Gebiet des Adriatischen Meeres, wo er auch, wie man glaubt, in der Muße den größten Teil seines Geschichtswerkes geschrieben hat 1 . Denn er kehrte zu Lebzeiten des älteren Dionysios nicht zurück, sondern erst nach seinem Tode führte ihn der Neid der anderen gegen Dion wieder nach Sizilien in der Erwartung, daß er ihnen von großem Nutzen und der Gewaltherrschaft eine sichere Stütze sein werde. 12. Dieser Mann wurde sogleich nach seiner Rückkehr zum Verteidiger der Tyrannis, und gegen Dion wurden auch von Seiten anderer Klagen und Beschuldigungen an den Tyrannen gebracht, daß er schon wegen Sturzes der Gewaltherrschaft mit Theodotes und Herakleides 1 verhandelt habe. Er hoffte nämlich, wie es scheint, mit Hilfe Piatons, wenn er erst da wäre, der Tyrannis die despotische und allzu unbeschränkte Gewalt zu nehmen und Dionysios zu einem maßvollen, den Gesetzen unterworfenen Herrscher zu machen; wenn er sich aber widersetzte und nicht nachgäbe, so war er entschlossen, ihn zu stürzen und den Syrakusiem die Staatsgewalt zurück-

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zugeben, nicht weil er ein Freund der Demokratie -war, sondern weil er meinte, daß sie doch jedenfalls besser sei als die Gewaltherrschaft eines einzelnen für Leute, die den Weg zu einer gesunden Aristokratie nicht finden könnten. 13. Bei solcher Lage der Dinge kam Piaton nach Sizilien und war gleich beim ersten Empfang Gegenstand außerordentlicher Aufmerksamkeiten und Ehrungen. Denn ein herrlich geschmückter königlicher Wagen stand für ihn bereit, als er aus dem Dreiruderer stieg, und der Tyrann veranstaltete ein Opferfest, da seiner Regierung ein großes Glück widerfahren sei. Der anständige Ton bei den Trinkgelagen, die Ordnung des Hoflebens und die Milde des Tyrannen selbst bei der Abwicklung der Regierungsgeschäfte erweckte in den Bürgern die größten Hoffnungen, daß ein Wandel sich vollziehe. Ein allgemeiner Andrang zu den Wissenschaften und zur Philosophie machte sich bemerkbar, und das Tyrannenschloß war, wie es heißt, voll Sand wegen der Menge der Leute, die Geometrie trieben'. Nachdem wenige Tage verflossen waren, wurde im Schloß ein herkömmliches Fest gefeiert, und als der Herold in gewohnter Weise das Gebet sprach, die Herrschaft des Tyrannen möge unerschüttert lange Zeit bestehen bleiben, soll Dionysios, der dabei stand, zu ihm gesagt haben: «Wirst du wohl aufhören, mir Böses zu wünschen!» Das bereitete vollends Philistos und seinen Freunden Schmerz, weil sie nun glaubten, Piatons Macht werde mit der Zeit und bei längerem Verkehr unwiderstehlich werden, wenn er schon jetzt nach so kurzem Zusammensein einen solchen Umschwung und Gesinnungswandel in dem jungen Mann hervorgerufen habe. 14. Nicht mehr also einzeln und heimlich, sondern alle zusammen und ganz offen erhoben sie Anklage gegen Dion und sagten, es liege ja klar zu Tage, daß er durch Piatons Beredsamkeit Dionysios betören und verzaubern wolle, damit er, wenn Dionysios die Herrschaft freiwillig aufgäbe und fahren

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ließe, sie Ubernehmen und den Söhnen der Aristomache zuwenden könne, deren Oheim er sei. Einige taten auch so, als wären sie entrüstet, daß die Athener, nachdem sie vor Zeiten mit großen Streitkräften zu Land und See hierher gefahren, aber geschlagen und vernichtet worden wären, bevor sie Syrakus nehmen konnten, jetzt durch einen einzigen Sophisten die Herrschaft des Dionysios stürzen wollten, indem sie ihn dazu überredeten, mitten aus seinen zehntausend Leibwächtern davonzulaufen, die vierhundert Dreiruderer, die zehntausend Reiter und die mehrmals so vielen schwerbewaffneten Fußsoldaten zu verlassen, um in der Akademie nach dem geheim gehaltenen «höchsten Gut» zu forschen und durch die Mathematik glücklich zu werden, das Glück aber, das in der Herrschaft, im Reichtum und im Wohlleben liege, Dion und Dions Neffen zu überlassen. Als hieraus zuerst schon Argwohn, danach auch kaum verhüllter Zorn und Streit entstanden war, wurde Dionysios heimlich ein Brief übcrbracht, den Dion an die Geschäftsträger der Karthager geschrieben hatte und in dem er sie ersuchte, wenn sie mit Dionysios über den Frieden verhandelten, dies nicht anders als in seinem Beisein zu tun, weil sie durch ihn in allem zu einem nicht wieder umzustoßenden Ergebnis kommen würden. Diesen Brief las Dionysios dem Philistos vor, beriet sich mit ihm und überlistete dann, wie Timaios sagt, den Dion durch eine erheuchelte Versöhnung. Er brauchte einen angemessenen Vorwand, sagte, er wolle sich mit ihm versöhnen, führte ihn allein unterhalb der Burg an den Strand des Meeres, zeigte ihm den Brief und warf ihm vor, daß er mit den Karthagern gegen ihn gemeinsame Sache mache. Als Dion sich rechtfertigen wollte, ließ er ihn nicht zu Worte kommen, sondern nötigte ihn sofort, wie er war, in ein bereitstehendes Boot und befahl den Schiffern, ihn fortzufahren und in Italien an Land zu setzen.

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DION UND BRUTUS 15. Als dies gcschchcn war, crschicn es allen L e u t e n als eine

Grausamkeit, und im Hause des Tyrannen herrschte T r a u e r durch die Frauen, die Stadt der Syrakusier aber war in G ä r u n g , und man erwartete, daß sich allerlei Neues begeben und ein schneller Umschwung eintreten werde infolge des Lärms um Dion und des allgemeinen Mißtrauens gegenüber dem T y r a n nen. Da Dionysios das erkannte und Angst bekam, suchte er die Freunde und die Frauen zu trösten: es handle sich nicht um eine Verbannung Dions, sondern nur um eine Entfernung ins Ausland, damit er sich nicht, wenn Dion anwesend wäre, im Zorn über seinen Hochmut zu einem schärferen Vorgehen hinreißen lasse. Er übergab den Freunden Dions zwei Schiffe und forderte sie auf, soviel von seiner Habe und von seinen Sklaven, wie sie wollten, darauf zu verladen und zu ihm nach der Peloponnes zu bringen. Dion besaß ein großes Vermögen, und sein Haushalt hatte einen nahezu fürstlichen Zuschnitt. Das alles packten die Freunde zusammen und schafften es fort. Noch vieles andere wurde ihm von den Frauen und von seinen Anhängern nachgeschickt, so daß er, was Vermögen und Reichtum anging, glänzend unter den Griechen dastand und man aus dem Wohlstand des Verbannten einen Schluß auf die Macht des Tyrannen ziehen konnte. 16. Den Piaton ließ Dionysios sofort in die Burg übersiedeln, indem er so unter dem Schein gastfreundlicher Aufnahme ihn in eine ehrenvolle Haft nahm, damit er nicht mit Dion davonführe als ein Z e u g e des Unrechts, das ihm angetan worden war. M i t der Z e i t und durch das Zusammenleben geschah es nun, daß er sich daran gewöhnte, wie ein T i e r die Berührung des Menschen, den Umgang mit Piaton und seine Belehrung zu ertragen, und daß er eine tyrannische Liebe zu ihm faßte, indem er verlangte, daß Piaton nur ihn allein wiederlieben und vor allen anderen hochschätzen sollte, und er war bereit, ihm die Regierung und die Herrschaft völlig zu überlassen, wenn

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er nur die Freundschaft mit Dion der seinigen nicht vorzöge. Für Piaton w a r diese seine Leidenschaft geradezu eine Plage, da er w i e die sinnlos Verliebten v o r Eifersucht raste, innerhalb kurzer Z e i t viele M a l e heftigen Streit begann und w i e d e r u m viele M a l e V e r s ö h n u n g suchte und um Verzeihung b a t , auch sich mit größtem Eifer bemühte, seine Vorträge zu hören und an seiner philosophischen A r b e i t teilzunehmen, zugleich aber Scham f ü h l t e denen gegenüber, die ihn davon abbringen wollten, weil e r so verdorben würde. Da aber inzwischen ein K r i e g ausbrach, ließ er endlich Piaton gehen mit der V e r e i n b a r u n g , daß er im nächsten Sommer Dion zurückholen w ü r d e . Dieses Versprechen hielt er nicht ein, übersandte aber Dion die Erträge seiner G ü t e r und bat Piaton, im Hinblick auf den K r i e g es mit der Z e i t nicht genau zu nehmen; wenn erst Friede w ä r e , würde er sofort Dion zurückrufen; nur verlange er, daß er sich ruhig verhalte, keine Unruhe stifte und ihn nicht bei den G r i e chen in üblen R u f bringe. 1 7 . Das versuchte Piaton zu erreichen, veranlaßte Dion, sich m i t Philosophie zu beschäftigen, und hielt ihn in der A k a demie fest. E r w o h n t e in der Stadt bei Kallippos, einem der F r e u n d e Piatons, e r w a r b aber auch ein G r u n d s t ü c k als Erholungsaufenthalt und machte dieses später, als er nach Sizilien fuhr, S p e u s i p p o s 1 zum Geschenk. Ihm stand er von den Freunden in A t h e n besonders nahe und war viel mit ihm z u s a m m e n , da Piaton durch einen liebenswürdigen, zur rechten Z e i t auch durch einen feinen Scherz gewürzten Verkehr Dions C h a r a k ter mildern und gleichsam versüßen wollte. Der rechte M a n n dazu w a r aber Speusippos, weshalb ihn auch T i m o n in seinen S i l l e n 1 einen guten Spaßmacher genannt hat. Dem Piaton selbst, der einen Knabenchor aufzuführen hatte, half Dion bei der E i n ü b u n g des Chores und zahlte die Kosten f ü r den gesamten A u f w a n d aus eigenem, und Piaton gestattete ihm einen solchen Beweis der Freigebigkeit den Athenern ge-

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gcnübcr, weil sie Dion mehr Zuneigung als ihm selber Ehre einbrachte. Dion besuchte auch die anderen Städte, pflegte Verkehr mit den vornehmsten, in der Politik bewährtesten Männern und feierte ihre Feste mit, ohne in seinem Auftreten etwas Protziges, Tyrannisches oder Üppiges zu zeigen, sondern nur Besonnenheit, Tugend, Mannhaftigkeit und eine rühmenswerte Bemühung um Literatur und Philosophie. Dafür wurde ihm allgemeine Zuneigung und Hochschätzung zuteil und von Seiten der Städte öffentliche Auszeichnungen und Ghtendekrete. Die Lakedaimonier verliehen ihm sogar das Bürgerrecht von Sparta, ohne sich an den Zorn des Dionysios zu kehren, obschon er ihnen damals gegen die Thebaner eifrig Waffenhilfe leistete. Es wird auch erzählt, daß Dion einmal mit einem Anliegen an den Megarer Ptoiodoros zu dessen Hause kam; dieser Ptoiodoros gehörte zu den begüterten und einflußreichen Männern. Als da Dion vor der Tür eine große Menge von Menschen gewahrte und sah, daß er unter der Fülle seiner Geschäfte nicht leicht zugänglich und zu sprechen war, blickte er auf seine Freunde, die erzürnt und entrüstet waren, und sagte: «Warum sollen wir diesen Mann tadeln? Haben wir es doch selber in Syrakus genau ebenso gemacht!» 18. Mit fortschreitender Zeit stellte Dionysios, eifersüchtig und besorgt wegen der Beliebtheit Dions bei den Griechen, die Übersendung seiner Einkünfte ein und übergab das Vermögen seinen eigenen Verwaltern. Weil er aber auch gegen den üblen Ruf, in den er Piatons wegen bei den Philosophen gekommen war, ankämpfen wollte, berief er viele Männer, die in dem Ruf hoher Bildung standen, zu sich, und weil er nun den Ehrgeiz hatte, bei den philosophischen Diskussionen allen über zu sein, so sah er sich genötigt, allerlei von Piaton Aufgeschnapptes falsch anzubringen. Erneut sehnte er sich so

DION

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wieder nach ihm und machte sich selbst V o r w ü r f e , d a ß er ihn, solange er da war, nicht besser ausgenützt und gründlich angehört hätte, was das Richtige wäre. Als ein in seinen Begierden stets hemmungsloser und jeglichem Verlangen

augen-

blicklich nachgebender T y r a n n stürzte er sich sofort auf Piaton und vermochte unter A n w e n d u n g aller M i t t e l den Pythagoreer A r c h y t a s dazu, sich zum Bürgen seiner Versprechungen z u machen und Piaton einzuladen. Denn durch ihn war zuerst Freundschaft und Gastrecht zwischen ihnen begründet worden. A r c h y t a s sandte nun den Archedemos z u Piaton, und auch Dionysios sandte Drciruderer und Freunde, die Piaton z u ihm bitten sollten. Zugleich schrieb er selbst deutlich und ausdrücklich, daß Oion keinerlei R ü c k s i c h t mehr z u gewärtigen haben werde, wenn Piaton sich nicht bereit finden ließe, nach Sizilien zu k o m m e n ; käme er aber, dann jegliches E n t g e g e n k o m m e n . Endlich kamen an Dion auch v o n seiner Schwester und seiner Gattin viele dringende Aufforderungen, Piaton zu bitten, daß er die Einladung des Dionysios annehme und ihm keinen V o r w a n d lasse. So, sagt P i a t o n ' , sei er denn zum dritten Male zu der sizilischen Meerenge g e k o m m e n , « N o c h einmal zu befahren die schaudervolle C h a r y b d i s » 1 19. A l s er dann ankam, erfüllte er Dionysios selbst mit großer Freude und Sizilien abermals mit großer H o f f n u n g , welches ebenfalls sehnlich wünschte und dazu beizutragen bestrebt war, daß Piaton über Philistos und die Philosophie über die T y r a n n i s den Sieg davontrage. A u c h von den Frauen wurden ihm viele Aufmerksamkeiten erwiesen, und von Dionysios w u r d e ihm ein außerordentlicher

Vertrauensbe-

weis zuteil, dessen kein anderer sich rühmen k o n n t e : d a ß er zu ihm kommen durfte, ohne vorher durchsucht zu werden. Da er ihm auch oft große Geldgeschenke anbot, Piaton sie aber nicht annahm, sagte Aristippos von K y r e n e 1 , der sich auch

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DION UND

d o r t b e f a n d , Dionysios

BRUTUS

gehe mit seiner F r e i g e b i g k e i t den

sicheren W e g : ihnen, die viel haben wollten, gebe er nur w e n i g , aber Piaton, der nichts annehme, viel. Als nach den ersten Höflichkeitsbezeigungen Piaton auf Dion zu sprechen kommen wollte, gab es zuerst Verschiebungen v o n einem T a g zum andern, dann V o r w ü r f e und Z w i s t i g keiten, die den Außenstehenden zuerst verborgen blieben, da Dionysios sie geheim hielt und Piaton durch sonstige G e f ä l ligkeiten und Ehrungen von der Z u n e i g u n g zu Dion abzubringen suchte, und auch Piaton äußerte sich in der ersten Z e i t nicht über die T r e u l o s i g k e i t und W o r t b r ü c h i g k e i t des T y r a n n e n , sondern hielt aus und machte gute Miene zum bösen Spiel. Als sie schon so zueinander standen und glaubten, daß noch niemand etwas bemerkt hätte, sagte Helikon von K y z i k o s , einer der Vertrauten Piatons, eine Sonnenfinsternis voraus, und als diese gemäß der Vorhersage eintrat, wilrde er von d e m T y r a n n e n bewundert und bekam ein T a l e n t Silber zum G e s c h e n k '. Da sagte Aristippos scherzend zu den anderen G e l e h r t e n , er wisse auch eine überraschende Voraussage zu machen, und als sie in ihn drangen, es zu sagen, sprach e r : « I c h prophezeie, daß Piaton und Dionysios binnen kurzem Feinde sein werden.» Schließlich ließ denn auch Dionysios das V e r m ö g e n Dions versteigern und behielt das G e l d , und Piaton, der bisher in dem Garten um den Palast w o h n t e , quartierte er um in die U n t e r k ü n f t e d e r M i e t s t r u p p e n , die ihn schon längst haßten und umbringen wollten, weil er Dionysios b e w e g e n wollte, die T y r a n n i s niederzulegen und ohne L e i b w a c h e zu leben. 20. Als Piaton sich in solcher G e f a h r befand und Archytas davon erfuhr, schickte er in Eile eine Gesandtschaft u n d einen Dreißigruderer und forderte von Dionysios den M a n n zurück mit der E r k l ä r u n g , daß er nur auf die v o n ihm geleistete B ü r g schaft f ü r seine Sicherheit nach S y r a k u s gefahren sei. Als nun

DION

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Dionysios beim Abschicd die Feindschaft durch Gastereien und andere Freundschaftsbezeigungen vergessen machen wollte, sich aber doch hinreißen ließ, das folgende Wort zu ihm zu sagen: « N u n , Piaton, du wirst wohl zu deinen philosophischen Freunden viel Böses über mich sagen ? », erwiderte Piaton lächelnd: « M ö g e es niemals in der Akademie einen solchen Mangel an Gesprächsthemen geben, daß man auf dich zu sprechen k o m m t ! » So sei es, erzählt man, beim Abschied Piatons zugegangen. Aber was Piaton selbst sagt, stimmt nicht ganz damit überein 2 1 . Schon hierüber war Dion sehr ungehalten, und ganz und gar erbittert war er, als er nach kurzer Z e i t von Dionysios' Absichten gegenüber seiner Frau erfuhr, worauf auch Piaton in einem Brief an Dionysios angespielt h a t 1 . Das verhielt sich folgendermaßen. Nach der Verbannung Dions ersuchte Dionysios den Piaton bei seiner Entlassung, er möchte doch Dion unter der Hand fragen, ob ein Hindernis bestehe, daß seine Frau mit einem andern Mann verheiratet werde. Denn es ging die Rede - mochte sie nun wahr oder von seinen Feinden erdichtet sein - , daß die Ehe nicht zur Freude Dions abgeschlossen worden und sein Zusammenleben mit der Frau nicht harmonisch gewesen sei. Als nun Piaton nach Athen gekommen war und mit Dion über alles gesprochen hatte, schrieb er an den Tyrannen einen Brief, der über die übrigen Punkte für jedermann deutlich, über diesen aber nur für ihn verständlich sich ausdrückt: er habe mit Dion über jene Sache gesprochen, und es sei gewiß, daß er es sehr übel nehmen würde, wenn Dionysios das täte. Da nun damals noch gute Aussichten auf eine Versöhnung bestanden, so unternahm Dionysios nichts weiter hinsichtlich seiner Schwester, sondern ließ sie mit dem kleinen Sohne Dions wohnen. Als aber jede Aussicht auf Versöhnung geschwunden und Piaton nach seinem zweiten Kommen in Feindschaft geschieden war, gab er Arete wider ihren

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D I O N UND B R U T U S

Willen einem »einer Freunde, Timokratcs, zur Frau, ohne sich die Anständigkeit seines Vaters in diesem Punkte wenigstens zum Beispiel zu nehmen. Mit ihm hatte sich, so wird berichtet, Polyxenos, der seine Schwester Theste zur Frau hatte, verfeindet, und als er aus Furcht vor ihm entwich und aus Sizilien flüchtete, ließ Dionysios seine Schwester kommen und machte ihr Vorwürfe, daß sie um die beabsichtigte Flucht ihres Mannes gewußt und ihm nichts davon gemeldet habe. Darauf erwiderte sie unerschrocken und ohne jede Furcht: «So glaubst du also, Dionysios, daß ich ein so schlechtes und feiges Weib bin, daß ich, wenn ich von den Fluchtabsichten meines Mannes gewußt hätte, nicht mit ihm mitgefahren wäre und sein Schicksal geteilt hätte? Ich habe aber nichts davon gewußt, denn es wäre rühmlicher für mich, die Gattin des verbannten Polyxenos als die Schwester des Tyrannen zu heißen.» Da Theste ein so offenes Wort wagte, staunte der Tyrann, so heißt es, und es staunten auch die Syrakusier über die Hochherzigkeit der Frau, so daß ihr auch nach dem Sturz der T y rannis königliche Ehre und Lebensführung gelassen wurde und, als sie starb, die Bürger sie von Staats wegen zu Grabe geleiteten. Diese Abschweifung wird, hoffe ich, nicht als unnütz erscheinen. 22. Nunmehr aber schickte Dion sich zum Kriege an, wobei Piaton sowohl mit Rücksicht auf seine Gastfreundschaft mit Dionysios wie wegen seines Alters sich abseits hielt, Speusippos aber und die anderen Freunde Dion zur Seite traten und ihn mahnten, Sizilien zu befreien, das die Hände nach ihm ausstrecke und ihn freudig empfangen wolle. Denn während Piaton sich in Syrakus aufhielt, hatten Speusippos und die anderen sich, wie natürlich, mehr unter die Leute gemischt und ihre Gesinnung erforscht. Anfänglich hatten sie sich vor einer offenen Aussprache gescheut, aus Furcht, daß sie von dem T y rannen auf die Probe gestellt würden; mit der Z e i t aber faßten

DION

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sie Zutrauen. Denn sie hörten von allen nur die eine Stimme: die Bitte und die dringende Aufforderung, Dion sollte kommen, ohne Schiffe, ohne Soldaten, ohne Pferde; er solle nur in ein Boot steigen und seine Person und seinen Namen den Sikelioten 1 gegen Dionysios leihen. Da Speusippos solches meldete, fühlte Dion sich gestärkt und warb heimlich und durch andere Mietstruppen an, wobei er seine Absichten verhehlte. Behilflich waren ihm dabei viele Politiker und Philosophen, so der Kyprier Eudemos, auf den Aristoteles nach seinem Tode den Dialog von der Seele geschrieben hat *, und Timonides von Leukas. Auch den Thessaler Miltas brachten sie mit ihm zusammen, einen Seher, der an den Studien der Akademie teilgenommen hatte J . Doch von den Männern, die von dem T y rannen verbannt worden waren, nicht weniger als tausend an der Zahl, nahmen nur fünfundzwanzig an dem Feldzug teil; die anderen hielten sich aus Furcht zurück. Operationsbasis war die Insel Zakynthos. Auf ihr versammelten sich die Soldaten, weniger als achthundert, aber alle bewahrt in vielen großen Feldzügen, körperlich hervorragend gestählt, an Kriegserfahrung und Wagemut unvergleichlich und wohl befähigt, eine Menge so groß, wie Dion sie in Sizilien zu gewinnen hoffte, zu befeuern und zu tapferem Kampfe mitzureißen. 23. Als diese hörten, daß der Z u g gegen Dionysios und Sizilien gehen solle, erschraken sie zuerst sehr, beurteilten Dion als einen Mann, der sich in bis zum Wahnsinn verblendetem Zorn oder mangels gesunder Aussichten in verzweifelte Unternehmungen stürze, und zürnten ihren Offizieren und Anwerbern, daß sie ihnen nicht gleich von Anfang an vorausgesagt hätten, gegen wen der Krieg sich richte. Als ihnen aber Dion in einer Rede die Morschheit der Tyrannis darlegte und sie belehrte, daß er sie nicht als Soldaten, sondern als Anführer für die Syrakusier und die anderen Sikelioten mit sich näh-

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DION UND BRUTUS

m c , d i e s c h o n l a n g e z u m Abfall bereit seien, u n d als n a c h D i o n Alkimenes zu ihnen sprach, der nach H e r k u n f t und Ansehen der erste M a n n unter den Achaiern w a r und den F e l d z u g mitmachte, ließen sie sich endlich bereden. Es w a r H o c h s o m m e r , die ständigen N o r d w i n d e

wehten

über das M e e r , und der M o n d war voll. Dion veranstaltete ein prachtvolles Opferfest für Apollon und hielt mit seinen Soldaten im vollen G l a n z ihrer Rüstungen einen feierlichen Festz u g zum T e m p e l . Nach dem Opfer ließ er sie sich in der R e n n bahn der Z a k y n t h i e r lagern und gab ihnen eine B e w i r t u n g , wobei sie den Prunk der silbernen und goldenen T r i n k g e f ä ß e und T i s c h e , der den R e i c h t u m eines Privatmannes weit überbot, b e w u n d e r t e n und sich sagten, daß ein M a n n , der schon über die J a h r e d e r Vollkraft hinaus und H e r r eines so fürstlichen V e r m ö g e n s war, sich wohl nicht in ein g e w a g t e s U n t e r nehmen stürzen würde ohne gegründete H o f f n u n g e n und F r e u n d e , die ihm dort die bedeutendsten Erfolgsmöglichkeiten schaffen w ü r d e n . 24. N a c h d e m T r a n k o p f e r und den üblichen G e b e t e n trat eine M o n d f i n s t e r n i s 1 ein. F ü r Dion und seine F r e u n d e w a r das nichts Befremdliche«, da sie über die Verfinsterungsperioden, daß der Schattenkegel den M o n d trifft und die E r d e v o r die Sonne tritt, Bescheid wußten. Da aber die v e r ä n g s t i g t e n Soldaten t r o s t b e d ü r f t i g waren, so trat M i k a s , der Seher, mitten unter sie und ermahnte sie, guten M u t e s zu sein und das Beste zu erwarten. Die Gottheit deute nämlich auf die Verfinster u n g v o n e t w a s jetzt im Glänze Stehenden h i n ; nichts aber stehe in höherem Glanz als die T y r a n n i s des Dionysios, und diesen Glanz würden sie auslöschen, sowie sie in Sizilien landeten. Dies setzte Miltas in der Öffentlichkeit allen auseinand e r ; das Erscheinen der Bienen aber, die man bei den Schiffen Dions beobachtete, wie sie in ihrem G e f o l g e einen S c h w ä r m bildeten, mache ihm, so erklärte er im engeren Kreise v o r Dion

DION u n d d e n F r e u n d e n , S o r g e n in d e m Sinne, d a ß z w a r

29 ruhm-

volle T a t e n v o n i h m v o l l b r a c h t , aber nach k u r z e r B l ü t e v e r welken würden. A u c h d e m D i o n y s i o s , so h e i ß t es, seien v i e l e b e d e u t u n g s volle V o r z e i c h e n v o n d e r G o t t h e i t g e s e n d e t w o r d e n . E i n A d l e r e n t r i ß e i n e m seiner L e i b w ä c h t e r d e n Speer, e n t f ü h r t e i h n h o c h h i n a u f u n d l i e ß i h n d a n n in d i e T i e f e fallen. D a s M e e r , w e l ches d i e B u r g b e s p ü l t , b r a c h t e einen T a g l a n g s ü ß e s , t r i n k b a res W a s s e r h e r a n , so d a ß alle, die es k o s t e t e n , sich d a v o n ü b e r z e u g t e n . In seinen Ställen k a m e n F e r k e l z u r W e l t , d e n e n sonst k e i n T e i l f e h l t e , n u r d a ß sie k e i n e O h r e n h a t t e n . D a f ü r g a b e n die Seher d i e f o l g e n d e n E r k l ä r u n g e n : Das l e t z t e Z e i c h e n d e u t e a u f A b f a l l u n d U n g e h o r s a m , d a ß die B ü r g e r d e r T y r a n n i s nicht m e h r g e h o r c h e n w ü r d e n ; d i e S ü ß i g k e i t d e s M e e r e s bring e den S y r a k u s i c r n e i n e n W a n d e l von t r a u r i g e n u n d b ö s e n Z e i t e n zu g l ü c k l i c h e r e n T a g e n . D e r A d l e r e n d l i c h sei d e r Diener des Z e u s , d i e L a n z e das Z e i c h e n d e r H e r r s c h a f t

und

M a c h t : also v e r k ü n d e d e r g e w a l t i g s t e d e r G ö t t e r d e r T y r a n nis H i n s c h w i n d e n u n d V e r n i c h t u n g . Dies hat T h e o p o m p erzählt. 25. Z w e i g r o ß e L a s t s c h i f f e n a h m e n D i o n s S o l d a t e n in E m p f a n g , ein d r i t t e s , n i c h t g r o ß e s F a h r z e u g f o l g t e u n d z w e i D r e i ßigruderrr. A n Waffen nahm Dion - außer denen, w e l c h e die Soldaten h a t t e n - z w e i t a u s e n d Schilde m i t u n d v i e l e G e s c h o s se u n d S p e e r e , d a z u e i n e g r o ß e M e n g e L e b e n s m i t t e l , d a m i t es i h n e n bei d e r F a h r t ü b e r das offene M e e r an n i c h t s fehlte. D e n n sie h a t t e n ihre g a n z e F a h r t a u f die W i n d e u n d d i e o f f e n e See g e s t e l l t , w e i l sie das L a n d f ü r c h t e t e n u n d e r f a h r e n h a t t e n , d a ß Philistos in l a p y g i e n m i t seiner F l o t t e a u f d e r L a u e r l i e g e . N a c h einer F a h r t v o n z w ö l f T a g e n mit e i n e m s c h w a c h e n , sanften W i n d e w a r e n sie a m d r e i z e h n t e n T a g e a u f d e r H ö h e des Pachynos, des Südkaps Siziliens'. Der Steuermann Protos g a b d e n R a t , s c h l e u n i g s t z u landen, w e i l sie, w e n n sie v o m L a n d e

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DION UND

BRUTUS

abgetrieben würden oder mit Willen sich von dem Kap entfernten, viele Tage und Nächtc auf dem offenen Meer treiben und jetzt, im Sommer, auf einen Südwind würden warten müssen. Dion trug jedoch Bedenken, so nahe den Feinden an Land zu gehen und ließ, in der Absicht, lieber weiter entfernt zu landen, am Pachynos vorbeifahren. Alsbald begann ein heftiger Nordwind zu wehen, der bei hochgehender See die Schiffe von Sizilien abtrieb, Blitze zuckten, Donner krachten, und verbunden mit dem Aufgang des Arktur 1 folgte starker Sturm und heftiger Platzregen. Während dadurch die Schiffer noch in Bestürzung und Ungewißheit waren, sahen sie plötzlich, wie die Schiffe von den Wellen auf die der libyschen Küste vorgelagerte Insel Kerkina 1 zugetrieben wurden, und gerade da, wo den Anfahrenden ein felsiges und klippenreiches Ufer entgegenstand. Um ein Haar wären sie gegen die Felsen geworfen und die Schiffe zertrümmert worden, doch konnten sie noch eben mit vieler Mühe und mit Hilfe von Stangen vorbeikommen, bis der Sturm nachließ und sie von einem ihnen begegnenden Fahrzeug erfuhren, daß sie sich bei den sogenannten Köpfen der großen S y r t e ' befanden. Während sie nun bei eintretender Windstille mutlos waren und ziellos herumtrieben, entsandte plötzlich das Land einen Hauch von Süden her, ohne daß sie schon einen Südwind erwarteten und Zutrauen zu dem Umschlag hatten. Aber da der Wind allmählich zunahm und alsbald kräftig wurde, setzten sie alles, was sie von Segeln hatten, beteten zu den Göttern und nahmen quer über die offene See von Libyen ab Kurs auf Sizilien. Nach leichter Fahrt gingen sie am fünften Tage bei Minoa 4 vor Anker, einem sizilischen Städtchen im karthagischen Herrschaftsgebiet. Zufällig war der karthagische Kommandant Synalos in dem Platz zugegen, ein alter Bekannter und Gastfreund Dions. Da er aber noch nichts von Dions Anwesenheit und der Bedeu-

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tung der Flotte wußte, so versuchte er die Soldaten am Aussteigen zu hindern. Aber die sprangen mit ihren Waffen an Land und töteten zwar niemand, denn das hatte Dion wegen seiner Freundschaft mit dem Karthager verboten, drangen aber mit den Fliehenden zusammen in die Stadt ein und nahmen sie. Als aber dann die Anführer einander begegnet waren und sich begrüßt hatten, gab Dion dem Synalos die Stadt zurück, ohne ihr ein Leides getan zu haben, und Synalos bewirtete die Soldaten und versah Dion mit allem, was er brauchte. 26. A m meisten M u t machte ihnen der glückliche Zufall, daß Dionysios von Syrakus abwesend w a r ; er war nämlich kurz vorher mit achtzig'Schiffen nach Italien ausgefahren. Als darum Dion die Soldaten aufforderte, sich hier von den lange Z e i t auf der Seefahrt erlittenen Strapazen zu erholen, lehnten sie das ab, wünschten selbst, die günstige Gelegenheit schleunigst zu ergreifen, und forderten Dion auf, sie gegen Syrakus zu führen. Er ließ also das Entbehrliche an Waffen und sonstigem Material einlagern, bat Synalos, wenn es an der Zeit sei, es ihm zuzuschicken, und trat den Marsch auf Svrakus an. Unterwegs stießen zuerst zweihundert Reiter von den Akragantinern zu ihm, die in der Gegend des Eknomon wohnten, und nach ihnen die G e l o e r ' . Da die Kunde hiervon schnell bis nach Syrakus drang, entsandte Timokrates, der mit der Gattin des Dion verheiratet und der Befehlshaber der in der Stadt zurückgelassenen Besatzung war, eilends einen Boten an Dionysios mit einem Brief, der die Meldung über die Ankunft des Dion enthielt. Er selber achtete auf die Unruhen und Bewegungen innerhalb der Stadt, w o alle in Erregung waren, aber aus Furcht und Mangel an Zutrauen sich noch ruhig verhielten. Dem entsandten Boten mit dem Brief stieß aber ein ganz außerordentlicher Unfall zu. Nachdem er nach Italien übergefahren war, das Gebiet von Rhegion durchmessen hatte und eilends auf K a u l o n i a z u

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DION UND B R U T U S

Dionysius, ¿ u s u e b t e , begegnete er einem Bekannten, der ein kurz vorher geschlachtetes Opfertier trug. E r bekam ein S t ü c k Fleisch von ihm und lief spornstreichs weiter. E r w a n d e r t e noch einen T e i l der N a c h t hindurch, und als er dann v o n seiner M ü d i g k e i t gezwungen w a r , einen kleinen Schlaf zu tun, legte er sich, wie er w a r , dicht am W e g e in einem G e b ü s c h nieder. Von dem G e r u c h angelockt, kam ein W o l f , packte das an den Ranzen angebundene Fleisch und schleppte mit ihm auch den Ranzen fort, in dem der Mann den Brief stecken hatte. Als er erwachte und es merkte, lief er lange vergeblich herum und suchte, und als er den Ranzen nicht fand, entschloß er sich, ohne den Brief lieber nicht zu dem T y r a n n e n zu gehen, sondern lief davon und verschwand. 27. So kam es, daß Dionysios erst spät und durch andere von dem K r i e g in Sizilien K u n d e bekam. Z u Dion stießen inzwischen auf seinem Marsche die Kamarinaier, und v o n den auf dem Lande wohnenden S y r a k u s i e m , die sich nun erhoben, strömte ihm eine große M e n g e zu. U n t e r den Leontinern und Kampanern, die unter T i m o k r a t e s E p i p o l a i 1 besetzt hielten, ließ Dion das falsche G e r ü c h t aussprengen, daß er ihre Städte zuerst angreifen wolle, worauf sie T i m o k r a t e s verließen und d a v o n g i n g e n , um den Ihren beizustehen. Als das Dion, der bei A k r a i 1 lagerte, gemeldet w u r d e , ließ er seine Soldaten noch bei N a c h t aufbrechen und rückte an den Anaposfluß, der zehn Stadien von der Stadt entfernt fließt. Dort machte er Halt, brachte am Ufer des Flusses ein Opfer und betete zu der eben aufgehenden Sonne. Z u g l e i c h v e r k ü n d i g t e n ihm die Seher namens der G ö t t e r den Sieg, und da die A n w e s e n d e n den Dion wegen des Opfers bekränzt sahen, so bekränzten sie alle auf der Stelle sich ebenfalls. Die Z a h l der u n t e r w e g s zu ihm Gestoßenen betrug nicht weniger als f ü n f t a u s e n d ; sie waren nur schlecht bewaffnet, w i e es sich eben gab, aber durch ihren frohen M u t ersetzten sie den Mangel der A u s r ü s t u n g , so daß sie,

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als Dion das Z e i c h e n zum A n g r i f f gab, im Laufschritt vorgingen und m i t lautem Freudengeschrei einander zur Freiheit aufriefen. 28. V o n den Syrakusiern in der Stadt kamen ihm die Vornehmen und Angesehenen in weißer F e s t k l e i d u n g an den T o ren entgegen, die Masse aber fiel über die Freunde des T y r a n nen her und faßte die sogenannten Z u t r ä g e r , ruchlose, gottverhaßte M e n s c h e n , die in der Stadt umherschlichen, sich unter die Syrakusier mischten, sie aushorchten und dann die M e i n u n g e n und Äußerungen der einzelnen dem T y r a n n e n hinterbrachten. Diese waren die ersten, die ihre Strafe erhielten und von denen, in deren Hände sie fielen, mit Knütteln totgeschlagen wurden. T i m o k r a t e s , der nicht mehr zu der Besatzung der B u r g gelangen konnte, nahm ein Pferd, sprengte zur Stadt hinaus und erfüllte auf seiner Flucht alles mit Schrekken und V e r w i r r u n g , indem er Dions M a c h t stark aufbauschte, damit man nicht glaubte, daß er aus Furcht vor einer wenig bedeutenden D r o h u n g die Stadt verloren habe. Indessen sah man auch Dion heranrücken, er selbst voran in glänzender R ü s t u n g , neben ihm auf der einen Seite sein Bruder Megakles, auf der andern Seite der Athener Kallippos, alle drei bekränzt. V o n den Söldnern folgten hundert dem Dion als Leibwache, und die übrigen fiihrten die Offiziere in guter O r d n u n g , während die Syrakusier zuschauten und die Einmarschierenden empfingen w i e einen heiligen, gottwohlgefälligen Einzug der Freiheit und der Demokratie, die nun nach achtundvierzig Jahren in die Stadt zurückkehrte. 29. N a c h d e m so Dion durch das Temenitische T o r 1 eingezogen w a r , ließ er mit der T r o m p e t e R u h e gebieten und durch einen Herold ausrufen: Dion und M e g a k l e s seien gekommen, um die G e w a l t h e r r s c h a f t zu stürzen, und erklärten nun die Syrakusier und die übrigen Griechen Siziliens f ü r frei v o m Joche des T y r a n n e n . U m aber auch mit eigenem M u n d e zu den

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DION UND B R U T U S

Menschen zu sprechen, zog er hinauf durch die Achradinc,

während die Syrakusier an der Straße beiderseits Opfertiere, Tische und Weinkrüge aufstellten, ihn, wo er vorüberging, mit Blumen bewarfen und zu ihm beteten wie zu einem Gott. Unterhalb der Burg und der Pentapyla1 befand sich, von Dionysios erbaut, eine hohe, weithin sichtbare Sonnenuhr. Auf diese stieg Dion, sprach zu dem Volk und ermahnte die Bürger, an der Freiheit festzuhalten. Sie freuten sich, jubelten ihm zu und ernannten ihn und Megakles zu Feldherren mit unbeschränkter Vollmacht, und auf ihren Wunsch und ihre Bitte stellten sie ihnen zwanzig Amtsgenossen zur Seite, die zur Hälfte aus der Zahl der mit Dion aus der Verbannung Zurückgekehrten genommen wurden. Den Sehern erschien wiederum die Tatsache, daß Dion bei seiner Rede an das Volk das von dem Tyrannen zu seinem Ruhme gestiftete Denkmal unter seine Füße genommen hatte, als ein Zeichen von günstiger Vorbedeutung; weil es aber eine Sonnenuhr war, auf der er stand, als er zum Feldherrn gewählt wurde, so fürchteten sie, daß seine Unternehmungen von einem schnellen Glückswechsel betroffen werden könnten. Hierauf nahm Dion Epipolai, setzte die dort eingekerkerten Bürger in Freiheit und riegelte die Burg durch eine Mauer ab. Am siebenten Tage danach kehrte Dionysios mit seiner Flotte zur Burg zurück, und zu Dion wurden auf Wagen die Rüstungen gebracht, die er bei Synalos zurückgelassen hatte. Diese verteilte er an die Bürger, und die übrigen, die leer ausgingen, rüsteten sich, ein jeder selbst, so gut sie konnten, aus und stellten sich mit Mut und Eifer als Kämpfer zur Verfügung. 30. Dionysios schickte zuerst an Dion persönlich Gesandte, um ihn auf die Probe zu stellen. Als der ihm aber sagen ließ, er solle mit der Gesamtheit der Syrakusier verhandeln, die freie Bürger seien, ergingen seitens des Tyrannen durch die

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Gesandten sehr entgegenkommende Vorschlägt, indem er ihnen Herabsetzung der Abgaben versprach und Befreiung vom Kriegsdienst, außer fiir Feldzüge, die sie selbst mitbeschlossen hätten. Darüber machten die Syrakusier sich nur lustig, und Dion gab den Gesandten die Antwort, es sei zwecklos, daß Dionysios mit ihnen verhandelte, wenn er nicht bereit sei, auf die Herrschaft zu verzichten; tue er das aber, so wolle er, eingedenk ihrer Verwandtschaft, sich dafür verwenden, daß er Straflosigkeit und auch sonstige angemessene Zugeständnisse, soweit ihm das möglich sei, erhalte. Damit erklärte Dionysios sich einverstanden und schickte erneut Gesandte mit der Einladung, es möchten Abgeordnete der Syrakusier zu ihm in die Burg kommen, mit denen er in gütlicher Unterhandlung über das allgemeine Beste sprechen könne. Daraufhin wurden einige Männer zu ihm geschickt, mit deren Auswahl Dion einverstanden war, und alsbald wurde von der Burg her bei den Syrakusiern eifrig das Gerücht verbreitet, Dionysios werde die Gewaltherrschaft niederlegen, und zwar werde er das mehr sich selbst als Dion zu Gefallen tun. Aber diese Behauptung war nur eine List des Tyrannen und ein Versuch, die Syrakusier in eine Falle zu locken. Denn er ließ die Männer, die aus der Stadt zu ihm gekommen waren, verhaften und setzte sie fest, und seinen Söldnern ließ er frühmorgens reichlich ungemischten Wein verabreichen und sie dann im Laufschritt gegen die Sperrmauer vorgehen. Da der Angriff ganz unerwartet kam und die Söldner mit großer Kühnheit und lautem Geschrei die Mauer einrissen und gegen die Syrakusier losstürmten, wagte keiner standzuhalten und Widerstand zu leisten, mit Ausnahme der Söldner Dions, welche, sowie sie den Lärm hörten, zu Hilfe eilten. Aber auch diese begriffen nicht recht, auf welche Weise sie Beistand leisten sollten, und konnten infolge des Geschreis und des Gewimmels der fliehenden Syrakusier, welche sich unter sie mischten und zwi-

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sehen ihnen hindurchrannten, keinen Befehl hören, bis Dion, da keiner auf seine Worte hörte, sich entschloß, mit der T a t zu zeigen, was zu geschehen habe, und als erster gegen die Barbaren

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vorging. So entspann sich um ihn ein hitziges, er-

bittertes Gefecht, da er nicht weniger von den Feinden als von den Freunden erkannt wurde, und alle zugleich mit lautem Geschrei auf ihn eindrangen. E r war durch seine J a h r e nicht mehr so behende, wie solche Kämpfe es erforderten, aber mit M u t und Kraft stellte er sich den Anstürmenden entgegen und suchte sie zurückzuschlagen, erhielt aber einen Lanzenstich in den Arm, während gegen die anderen Geschosse und die gegen ihn geführten Streiche der Panzer zur N o t aushielt, obschon er durch den Schild hindurch von vielen Speeren und Lanzen getroffen wurde. Als diese zerbrachen, kam Dion zu Fall, wurde darauf von seinen Soldaten aus der Kampflinie herausgeholt und bestimmte ihnen den Timonides zum Anführer. E r selbst ritt durch die Stadt, suchte die Flucht der Syrakusier zu hemmen, brachte die Söldner, welche die Achradine besetzt hielten, auf die Beine und führte sie gegen die Barbaren, ausgeruhte Männer gegen schon vom K a m p f ermüdete und Kampfmutige gegen Leute, die schon ihre Sache verloren gaben. Denn sie hatten gehofft, im ersten Ansturm die ganze Stadt zu überrennen und in die Hand zu bekommen, und da sie nun wider Erwarten auf streitbare, kampfgeübte Männer trafen, begannen sie langsam a u f die B u r g zurückzugehen. Als jetzt aufihr Nachgeben dieGriechen um so heftiger andrängten, wandten sie sich zur Flucht und wurden in die F e s t u n g eingeschlossen, nachdem sie von Dions Soldaten vierundsiebzig niedergestreckt, selbst aber viel

schwerere

Verluste erlitten hatten. Nach diesem glänzenden Siege belohnten die Syrakusier die Soldtruppen mit hundert M i n e n u n d diese ehrten Dion mit einem goldenen Kranz.

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3 1 . J e t z t kamen im A u f t r a g e des Dionysios Herolde, die an Dion Briefe von seinen verwandten Frauen brachten. E i n e r trug außen die A u f s c h r i f t : « A n seinen Vater von Hipparinos.» So hieß nämlich Dions Sohn. Timaios sagt allerdings, er habe nach seiner M u t t e r Arete den Namen Aretaios g e h a b t ; aber ich glaube, man muß in dieser Hinsicht dem T i m o n i d e s , d e m Freunde und Kriegskameraden Dions, mehr G l a u b e n schenken. D i e anderen Briefe, welche viele flehentliche Bitten von Seiten der Frauen enthielten, wurden den Syrakusiern v o r g e lesen; den anscheinend von d e m Sohne kommenden wollten sie nicht öffentlich erbrechen lassen, aber Dion setzte es durch, daß es doch geschah. Der Brief w a r tatsächlich v o n Dionysios und richtete sich seinem Wortlaut nach an Dion, seinem wirklichen G e h a l t nach aber an die Syrakusier, indem er sich als Bitte und R e c h t f e r t i g u n g gab, aber auf eine V e r d ä c h t i g u n g Dions abzielte. E r enthielt Erinnerungen an das, was Dion dereinst mit Eifer f ü r die T y r a n n i s geleistet hatte, D r o h u n g e n gegen die Personen, die ihm die teuersten w a r e n , die S c h w e s t e r , den Sohn und die Frau, heftige V o r w ü r f e , vermischt mit K l a g e n , und, was v o r allem Eindruck auf ihn machen sollte, die A u f f o r d e r u n g , die Gewaltherrschaft nicht zu stürzen, sondern selbst zu übernehmen und nicht M e n s c h e n zu befreien, die ihn haßten und ihm üblen Dank wissen w ü r den, sondern selber zu herrschen und seinen Freunden und V e r w a n d t e n Sicherheit zu verschaffen. 32. Als dies verlesen w u r d e , kam es den Syrakusiern nicht bei - was doch recht und billig gewesen wäre - , die Unerschütterlichkeit und Seelengröße Dions zu bestaunen, daß er fest f ü r das G u t e und G e r e c h t e einstand, trotz so starker v e r w a n d t schaftlicher B i n d u n g e n , sondern es regten sich zuerst in ihnen A r g w o h n und F u r c h t , da Dion sich doch in der Z w a n g s l a g e b e f ä n d e , den T y r a n n e n schonen zu müssen, und so richteten sie ihre Blicke schon auf andere Anführer, und zumal, als sie

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erfuhren, dnß Herakleides n u f d e r H e i m f a h r t begriffen sei, waren sie ganz auf ihn versessen. Herakleides w a r einer d e r V e r bannten, ein Mann von militärischem Können und hohem Ansehen von einer Offiziersstelle her, die er unter den T y r a n n e n innegehabt hatte, aber ohne feste G r u n d s ä t z e und leichtfertig in allen Dingen und insbesondere unzuverlässig als T e i l h a b e r an Unternehmungen, bei denen Herrschaft und R u h m z u gewinnen war. Dieser hntte sich in der Peloponnes mit Dion entzweit und sich entschlossen, auf eigene H a n d und m i t einer eigenen Klotte gegen den T y r a n n e n vorzugehen. Als er jetzt mit sieben Dreiruderern und drei weiteren Fahrzeugen nach Syrakus kam, fand er Dionysios wieder in der B u r g eingeschlossen und die Syrakusier in großen E r w a r t u n g e n . Sogleich bemühte er sich nun um die G u n s t der M e n g e , u n d da er schon von N a t u r e t w a s G e w i n n e n d e s und Einnehmendes hatte einer Masse gegenüber, die umschmeichelt sein will, so konnte er jetzt sie um so leichter u m s t i m m e n und an sich ziehen, als sie die herbe W ü r d e Dions als d r ü c k e n d und unvolkstümlich empfanden und sich von ihr abgestoßen fühlten und infolge ihrer durch den Sieg erzeugten Ausgelassenheit und Überheblichkeit, noch bevor sie ein freies Volk waren, als freies Volk hofiert werden wollten. 33. Z u e r s t liefen sie auf eigne Hand zu einer V o l k s v e r s a m m lung zusammen und wählten Herakleides zum Flottenfuhrer. Als nun Dion auftrat und sich beschwerte, daß das A m t , das man Herakleides gebe, die A u f h e b u n g des ihm vorher gegebenen Amtes bedeute; denn er bleibe nicht Oberbefehlshaber, wenn ein anderer das K o m m a n d o zur See f ü h r e ; so setzten die Syrakusier widerwillig durch einen neuen Beschluß Herakleides wieder ab. N a c h d e m dies geschehen w a r , ließ Dion ihn zu sich in sein Haus kommen und machte ihm gelinde V o r w ü r f e , daß er so unschicklich und zum Nachteil des Ganzen

aus

R u h m s u c h t gegen ihn streite in einem A u g e n b l i c k , da es nur

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eines geringen Anstoßes bedürfe, um die Stadt ins Verderben zu stürzen, berief dann aber selbst wieder eine Volksversammlung und ließ Herakleides zum Flottenführer ernennen, bewog auch die Bürger, ihm eine Leibwache zu geben, wie er selbst eine hatte. Hierauf bezeugte Herakleides mit Worten und durch sein Benehmen Dion seine Ehrerbietung, bekannte offen, daß er ihm Dank schulde, begleitete ihn in bescheidener Haltung und tat, was ihm aufgetragen wurde; heimlich aber verführte er die ewig umsturzlüsterne Menge, hetzte sie auf und brachte Dion in Schwierigkeiten und in eine ausweglose Lage. Denn wenn er dazu riet, Dionysios unter bestimmten Bedingungen aus der Burg abziehen zu lassen, so setzte er sich dem Vorwurfe aus, ihn schonen und retten zu wollen, und wenn er, um keinen Anstoß zu erregen, die Belagerung fortsetzte, so hieß es, er ziehe den Krieg hin, um länger im Amt zu sein und die Bürger unter Druck zu halten. 34. Es war da ein gewisser Sosis, ein Mensch, der dank seiner Gemeinheit und Frechheit bei den Syrakusiern in Ansehen stand, welche es für den Gipfel der Freiheit hielten, daß man die Redefreiheit bis auf solche Leute ausdehnte. Dieser Mann trat in der Absicht, Dion zu Fall zu bringen, zuerst in einer Volksversammlung auf und tadelte die Syrakusier heftig, daß sie nicht begriffen, daß sie zwar eine tolle und trunkene Tyrannei losgeworden wären, dafür aber einen wachsamen und nüchternen Herrn eingetauscht hätten. Darauf, nachdem er sich so als offenen Feind des Dion bekannt hatte, verließ er für jetzt den Markt. Am folgenden Tage sah man ihn nackt durch die Stadt rennen, Kopf und Gesicht mit Blut bedeckt, als ob er vor irgendwelchen Verfolgern auf der Flucht wäre. In diesem Zustand kam er auf den Markt gestürzt und sagte, Dions Söldner hätten ihm aufgelauert, und er zeigte die Wunden auf seinem Kopf. Er fand auch viele, die ihn bedauerten und sich mit ihm gegen Dion entrüsteten, er benehme sich

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unerhört und tyrannisch, wenn er durch Mord und Bedrohung des Lebens den Bürgern die Redefreiheit verkümmern wolle. Obschon es daraufhin eine sehr unruhige und stürmische Versammlung gab, trat Dion dennoch auf und verteidigte sich, und er wies d a r a u f h i n , daß Sosis der Bruder eines der Leibwächter des Dionysios sei und daß er durch diesen angestiftet worden sei, die Stadt in Verwirrung und Zwietracht zu stürzen, weil es für Dionysios keine andere R e t t u n g mehr gebe als das Mißtrauen und die Uneinigkeit der Bürger untereinander. Zugleich stellten die Ärzte, welche die Wunde des Sosis untersuchten, fest, daß sie nur durch oberflächlichen Einschnitt, nicht durch einen starken Schlag herbeigeführt worden sei. Denn Wunden von Schwerthieben sind infolge der Wucht des Schlages am tiefsten in der M i t t e ; die Wunde des Sosis aber war überhaupt nur oberflächlich und zeigte viele Ausgangspunkte, weil er offenbar vor Schmerz immer nachgelassen und dann wieder neu angesetzt hatte. Jetzt kamen auch einige angesehene Leute, welche ein Schermesscr in die Versammlung brachten und erzählten, auf ihrem Wege hierher sei ihnen Sosis blutbedeckt begegnet und habe gerufen, er sei auf der Flucht vor den Söldnern Dions und er sei eben von ihnen verwundet worden; sie seien nun gleich in der Richtung gelaufen, hätten aber keinen Menschen angetroffen, sondern unter einem hohlen Stein, von dem man Sosis habe kommen sehen, das Schcrmesser liegen sehen. 35. So stand die Sache des Sosis schon schlecht genug; als zu diesen Beweisen gar das Zeugnis der Sklaven des Sosis trat, daß er noch zur Nachtzeit allein das Haus verlassen habe mit dem Schermesser in der Hand, da traten die Ankläger Dions zurück, und das Volk verurteilte Sosis zum T o d e und versöhnte sich mit Dion. Nichtsdestoweniger betrachteten sie die Söldner auch weircr mit mißtrauischen Augen, zumal da die meisten Kämpfe

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gegen den T y r a n n e n nunmehr zur See ausgefochten wurden, nachdem Philistos von Iapygien ' her mit zahlreichen Dreiruderern dem Dionysios zu Hilfe gekommen war und sie daher glaubten, daß sie die Söldner, die ja schwer bewaffnete Fußsoldaten waren, gar nicht mehr für den Krieg brauchten, sondern daß diese nun ihnen, die Seeleute waren und in den Schiffen ihre Hauptmacht sahen, unterstellt sein müßten. Noch mehr wurde ihr Selbstbewußtsein durch ein glückliches Seegefecht gestärkt, in dem sie Philistos besiegten und darauf grausam und barbarisch mit ihm umgingen. Ephoros erzählt zwar, er habe, als sein Schiff erobert wurde, sich selbst das Leben genommen; Timonides aber, der bei allen Begebenheiten an der Seite Dions von Anfang an dabeigewesen ist und einen Bericht darüber an den Philosophen Speusippos verfaßt hat, schreibt, Philistos sei, als sein Dreiruderer auf den Strand lief, lebendig gefangen worden; zuerst hätten ihm die Syrakusier den Panzer ausgezogen und ihn, der doch schon ein alter Mann war, nackend unter Beschimpfungen zur Schau gestellt; dann hätten sie ihm den Kopf abgeschlagen und den Leichnam den Buben übergeben mit der Aufforderung, ihn in die Steinbrüche zu werfen. Noch weiter treibt den Hohn Timaios, wenn er erzählt, die Burschen hätten den Leichnam des Philistos an dem lahmen Bein gefaßt und durch die Stadt geschleift, verspottet von allen Syrakusiern, da sie den Mann am Beine geschleift sahen, der einst zu Dionysios gesagt hatte, er dürfe nicht schnell zu Roß aus der Tyrannis entfliehen, sondern solle sich am Bein hinausschleifen lassen. Dabei hat Philistos dieses Wort nicht als von sich, sondern von einem andern geprägt, zu Dionysios gesprochen. 36. Wenn aber Timaios - indem er die rastlose Betätigung des Philistos für die Tyrannis und seine Treue zu ihr zum (nicht unberechtigten) Vorwand nimmt - sich in Beschimpfungen gegen ihn ergießt, so muß man sagen, daß es vielleicht

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entschuldbar ist, wenn Leute, tiic damals unter ihm gelitten hatten, ihre W u t bis zur Mißhandlung eines fuhllosen Leichnams trieben. Leuten aber, die später die Geschichte d e r Z e i t schreiben und die durch das Verhalten des Mannes in seinem Leben kein Leid erfahren haben, aber sein G e s c h i c h t s w e r k benützen, sollte die Rücksicht auf ihren R u f es verbieten, ihm mit Hohn und Spott sein Unglück vorzurücken, welches auch den besten Mann durch Schicksalsfügung treffen kann. A u f der andern Seite aber tut auch Ephoros nicht g u t daran, den Philistos hochzupreisen, der, wenn er es auch trefflich versteht, für ungerechte T a t e n und schlechte Charakterzüge wohlklingende Begründungen zu erfinden und schöne Redensarten auszuklügeln, sich doch mit aller seiner B e m ü h u n g nicht dem V o r w u r f entziehen kann, daß er der g r ö ß t e aller T y r a n nenfreunde gewesen ist und mehr als irgendein Mensch stets die Ü p p i g k e i t , die M a c h t , den Reichtum und die Heiratspolitik der T y r a n n e n bewundert und gepriesen hat. N e i n , sondern w e r weder die T a t e n des Philistos lobt, noch sein Unglück verhöhnt, der ist auf d e m rechten W e g e . 37. N a c h dem T o d e des Philistos schickte Dionysios eine Botschaft an Dion, worin er sich erbot, ihm die B u r g , die Waffen, die Söldner und den vollen Sold für sie auf fünf M o n a t e zu übergeben, und sich dafür ausbedang, selbst durch V e r t r a g nach Italien abziehen, dort wohnen und die Erträge des sogenannten G y a s im Gebiet von Syrakus genießen z u dürfen, eines großen, fruchtbaren Landstriches, der sich v o m M e e r landeinwärts erstreckte. Da Dion das A n g e b o t nicht annahm, sondern ihm sagen ließ, er solle sich mit seinem Anliegen an die Syrakusier wenden, jagten diese, in der H o f f n u n g , den Dionysios lebendig in die Hand zu bekommen, die Gesandten fort. Darauf übergab er die Burg dem älteren seiner Söhne, Apollokrates, während er selbst einen günstigen W i n d abwartete, die ihm teuersten Personen und die wertvollsten seiner Schät-

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ze an Bord brachtc und, ohne daß der Flottenkommandant Herakleides es bemerkte, davonfuhr. Als dieser darauf in üblen Ruf kam und von den Bürgern scharf angegriffen wurde, stiftete er einen der Volksverhetzer, Hippon, dazu an, bei dem Volke eine neue Verteilung des Landes zu beantragen, weil die Gleichheit die Wurzel der Freiheit und die Armut fiir die Besitzlosen die Wurzel der Versklavung sei. Diesen Antrag befürwortete er, trug über Dion, der dagegen auftrat, den Sieg davon und beredete die Syrakusier, sowohl dies zu beschließen als auch den Sold der fremden Truppen zu streichen und andere Feldherren zu wählen, um endlich den von Dion ausgeübten Druck loszuwerden. So kam es, daß die Syrakusier bei dem Versuch, wie nach einer langwierigen Krankheit der Tyrannenherrschaft - sofort aufzustehen und noch zur Unzeit wie fest auf eigenen Füßen Stehende zu handeln, selbst bei diesem Handeln zu Fall kamen und einen Haß auf Dion warfen, der wie ein Arzt die Stadt bei einer strengen und vernünftigen Diät halten wollte. 38. Wie sie nun um die Mitte des Sommers eine Volksversammlung hielten, um die neuen Amtsträger zu wählen, brachen furchtbare Gewitter los, und unheilverheißende Zeichen zeigten sich fünfzehn Tage hintereinander und trieben das Volk davon, das so durch abergläubische Furcht gehindert wurde, andere Feldherren zu wählen. Als endlich die Demagogen gutes und beständiges Wetter abgepaßt hatten und dabei waren, die Wahlen durchzuführen, da wurde ein eingespannter Ochse, der sonst nicht scheu, sondern an eine große Volksmenge gewöhnt war, damals aus irgendeinem Grunde gegen seinen Treiber wild, riß sich vom Joche los und rannte in vollem Lauf zum Theater, erregte dort unter dem Volke sofort einen Aufstand und brachte es durcheinander, daß es in wilder Unordnung davonfloh, und rannte dann bockend und tobend durch die übrigen Teile der Stadt, soweit sie nachher

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die Feinde besetzten. Aber darum k ü m m e r t e n sich die Syrakusier nicht weiter, sondern wählten fünfundzwanzig Feldherren, deren einer Herakleides war. Auch schickten sie heimlich zu den Söldnern und suchten sie von Dion abwendig zu machen und zu sich herüberzuziehen durch das Versprechen, sie zu vollberechtigten Bürgern zu machen. Doch diese ließen sich nicht darauf ein, sondern sie nahmen treu und festen Mutes Dion in den Schutz ihrer Waffen und führten ihn wohlumschirmt aus der Stadt heraus, wobei sie niemandem etwas zuleide taten, aber die Begegnenden wegen ihrer Undankbarkeit und Niedertracht schwer beschimpften. Aber die Syrakusier, die sie wegen ihrer geringen Zahl, und weil sie nicht zuerst angriffen, verachteten, auch viel mehr waren als sie, gingen nun auf sie los in dem Glauben, sie würden ihrer mit Leichtigkeit noch innerhalb der Stadt Herr werden und sie alle niedermachen. 39. In diese schwere Zwangslage versetzt, entweder gegen seine Mitbürger zu kämpfen oder sich mit seinen Söldnern töten zu lassen, bat und flehte Dion die Syrakusier an, streckte die Arme nach ihnen aus und wies auf die Burg hin, die übervoll war von Feinden, die sich über der Mauer zeigten und das Geschehende mitansahen. Als aber die Wut der Masse unerbittlich war und der von den Demagogen entfachte Sturm wie auf einem Meere die Stadt durchbrauste, befahl er den Söldnern, zwar eines eigentlichen Angriffs sich zu enthalten, nur eben mit Geschrei anzustürmen und die Waffen zu zükken. Da hielt keiner der Syrakusier stand, sondern sie rannten flüchtig durch die Straßen davon, ohne daß sie jemand verfolgte; denn sofort hatte Dion die Söldner wieder kehrtmachen lassen und marschierte in Richtung Leontinoi. Aber die Führer der Syrakusier, die sich so den Frauen zum Gespött gemacht hatten und jetzt die Scharte auswetzen wollten, ließen die Bürger abermals unter Waffen treten, setzten Dion

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nach, holten ihn ein, als er eben im Begriff war, einen Fluß zu überschreiten, und ließen die Reiter zum Angriff gegen ihn vorgehen. Als sie aber sahen, daß er nicht länger mit väterlicher Milde ihre Fehlgriffe hinnahm, sondern im Zorn die Söldner kehrtmachen ließ und zur Schlacht ordnete, da ergriffen sie die Flucht auf noch schimpflichere Art als vorher und gingen, ohne große Verluste erlitten zu haben, auf die Stadt zurück. 40. Den Dion empfingen die Leontiner mit hohen Ehren und nahmen auch die Söldner auf, unter Gewährung von Löhnung und Bürgerrecht. Zugleich schickten sie Gesandte an die Syrakusier mit der Forderung, den Söldnern ihre berechtigten Ansprüche zu erfüllen. Die Syrakusier ihrerseits schickten Gesandte, um Dion zu verklagen. Als jetzt alle Bundesgenossen in Leontinoi zusammenkamen und die Angelegenheit verhandelten, kamen sie zu dem Schluß, daß die Syrakusier im Unrecht seien. Doch diese kehrten sich nicht an die Entscheidung der Bundesgenossen, weil sie schon übermütig waren und darauf trotzten, daß sie niemandem zu gehorchen hätten, und daß sie Führer hatten, die das Volk fürchteten und ihm dienstbar waren. 41. Hierauf langten, von Dionysios gesandt, einige Dreiruderer vor der Stadt an, geführt von Nypsios aus Neapolis die den Belagerten Lebensmittel und Geld brachten. In der sich entwickelnden Seeschlacht siegten die Syrakusier und eroberten vier von den Dreiruderern des Tyrannen. Voll Übermuts infolge des Sieges, und da sie in ihrer Zuchtlosigkeit ihre Freude in tollen Gastereien und Trinkgelagen ausließen, dachten sie so wenig an das, was not tat, daß sie, während sie schon die Burg in ihrer Hand zu haben wähnten, vielmehr die Stadt noch dazu verloren. Denn Nypsios, als er sah, daß kein Mensch mehr in der Stadt bei Verstand war, die Menge vom frühen Morgen bis tief in die Nacht sich beim Flötenspiel be-

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rauschte und die Feldherren an dem allgemeinen Freudentaumel teilnahmen oder sich scheuten, gegen betrunkene Leute Zwangsmittel zu gebrauchen, nützte er die Gelegenheit aufs beste aus, griff das Schanzwerk vor der Burg an, eroberte es, riß es ein und ließ dann die Barbaren los mit der Erlaubnis, mit allen, die ihnen begegneten, anzufangen, was sie wollten und könnten. Schnell gewahrten jetzt die Syrakusier das Unglück, aber nur langsam und mit vielen Schwierigkeiten versuchten sie in ihrer Bestürzung, ihm zu wehren. Denn Zerstörung war es, was in der Stadt geschah, die Männer wurden getötet, die Mauern niedergerissen, Frauen und Kinder unter lautem Wehgeschrei in die Burg geschleppt, und die Feldherren hatten die Sachc verloren gegeben und waren außerstande, die Bürger gegen die Feinde einzusetzen, welche sich überall zwischen sie gedrängt und unter sie gemischt hatten. 42. Als es so weit mit der Stadt gekommen war und die Gefahr sich schon der Achradine näherte, da empfänden sie alle, auf wen allein man noch die letzte Hoffnung setzen konnte, aber keiner sagte es, aus Scham wegen der gegen Dion begangenen Undankbarkeit und Torheit. Als aber die Not endlich dazu zwang, da wurde von den Bundesgenossen und den Rittern her eine Stimme laut, man solle Dion rufen und die Peloponnesier von Leontinoi herbeiholen. Sowie man das vernahm und einer den Mut gehabt hatte, es auszusprechen, gab es nichts als Freudengeschrei und Tränen unter den Syrakusiem; sie beteten, der Mann möge erscheinen, sehnten sich nach seinem Anblick und erinnerten sich seiner Festigkeit und seines Mutes in der Gefahr, wie er nicht nur selber unerschrocken war, sondern auch ihnen die Kraft gegeben hatte, mutvoll und ohne Furcht den Kampf mit den Feinden aufzunehmen. Sofort also schickten sie eine Abordnung an ihn, aus der Zahl der Bundesgenossen Archonides und Telesides und fünf von den Rittern unter Führung des Hellanikos. Diese

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Männer legten den Weg mit verhängtem Zügel zurück und kamen nach Leontinoi, als der T a g schon zur Neige ging. Sie sprangen von den Pferden, fielen zuerst Dion weinend zu Füßen und meldeten ihm das Unglück der Syrakusier. Schon kamen auch einige Leontiner heran, und viele der Peloponnesier sammelten sich um Dion, da sie aus der Eilfertigkeit und der bittenden Stellung der Männer schlössen, daß etwas Neues vorgefallen sei. Sofort führte er sie nun zur Versammlung, und nachdem die Bürger eifrig zusammengeströmt waren, traten Archonides und Hellanikos auf, schilderten kurz die Größe des Unglücks und baten die Söldner, den Syrakusiern Hilfe zu bringen und die Erinnerung an das erlittene Unrecht fahren zu lassen, da sie schon eine schwerere Strafe erlitten hätten, als sie, die Beleidigten, ihnen hätten auferlegen wollen. 43. Als diese Männer ihre Rede beendet hatten, herrschte tiefes Schweigen im Theater. Als aber dann Dion aufstand und zu reden beginnen wollte, versetzten ihm die ausbrechenden Tränert die Stimme. Aber die Söldner riefen ihm zu, er solle sich fassen, und waren mit ihm betrübt. Nachdem sich Dion nun ein wenig von seinem Schmerz erholt hatte, sprach er: «Ihr Männer von der Peloponnes und ihr Bundesgenossen, ich habe euch zusammengerufen, damit ihr über euch selbst beratschlagt. Für mich schickt es sich nicht, erst lange nachzudenken, da Syrakus dem Untergang entgegengeht, sondern, sollte ich es nicht retten können, so gehe ich hin, um mich unter den Flammen und den stürzenden Trümmern der Vaterstadt begraben zu lassen. Wenn aber ihr auch jetzt noch gewillt seid, uns unberatensten und unglückseligsten von allen Menschen zu helfen, so wird es euer Verdienst sein, wenn ihr die hingesunkene Stadt der Syrakusier wieder aufrichtet. Wenn ihr aber aus Groll gegen die Syrakusier sie ihrem Schicksal überlaßt, so möge euch von den Göttern der verdiente Dank fiir die mir früher bewiesene Tapferkeit und

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T r e u e zuteil werden, und eingedenk möget ihr Dions sein als eines Mannes, der weder euch zuvor, als euch Unrecht geschah, noch später seine M i t b ü r g e r , als sie im U n g l ü c k waren, im Stich gelassen hat.» Noch während er sprach, sprangen die Söldner mit lautem Geschrei in die Höhe und verlangten, er solle sie aufs schnellste der Stadt zu Hilfe führen, und die Gesandten der Syrakusier umarmten und küßten ihn und erflehten für ihn und für die Söldner viel G u t e s von den G ö t tern. Nachdem der Lärm sich gelegt hatte, befahl Dion den Söldnern, sogleich zu gehen, sich fertig zu machen und, sobald sie gespeist hätten, mit den Waffen wieder an eben diesen O r t zu kommen, weil er entschlossen wäre, noch in der N a c h t der Stadt zu Hilfe zu eilen. 44. Nachdem in Syrakus die Feldherren des Dionysios, solange der T a g andauerte, viel Unheil angerichtet, bei A n bruch der Nacht aber in die Burg zurückgegangen waren und auch einige wenige ihrer Leute verloren hatten, faßten die D e m agogen der Syrakusier wieder M u t , und in der Hoffnung, die Feinde würden sich mit dem Erreichten zufriedengeben, redeten sie den Bürgern zu, Dion wieder gehen zu lassen, und wenn er mit den Söldnern anrückte, sie nicht aufzunehmen und ihnen nicht den Preis der T a p f e r k e i t zu überlassen, sondern selbst und mit eigener Kraft die Stadt und die Freiheit zu retten. So wurden wiederum Boten an Dion geschickt, von seiten der Feldherren, um ihn abzuweisen, und von Seiten der R i t t e r und der Vornehmen mit der Bitte, daß er seinen Marsch beschleunige. Daher rückte er bald langsam, bald wieder in Eile auf die Stadt zu. Als die Nacht vorrückte, hielten die Gegner Dions die T o r e besetzt, um ihm den Einmarsch zu verwehren. Nypsios aber ließ j e t z t abermals seine Söldner, die inzwischen viel m u t i g e r geworden waren, in noch größerer Z a h l aus der Burg vorbrechen, die Sperrmauer sogleich, ganz niederreißen und die

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Stadt überrennen und ausplündern. Nicht nur mehr die Männer wurden niedergemetzelt, sondern auch Frauen und Kinder; geraubt wurde nur noch wenig, vielmehr alles zerstört und vernichtet. Denn da der Sohn des Dionysios seine Sache schon aufgegeben, aber einen grimmigen Haß auf die Syrakusier hatte, so wollte er die stürzende Tyrannis unter den Trümmern der Stadt begraben. Um also der von Dion herangeführten Hilfe zuvorzukommen, griffen die Soldner zu dem raschesten M i t t e l , alles zu zerstören und zu vernichten, dem Feuer, und steckten alles, was in der Nähe war, aus der Hand mit Fackeln und Leuchtern in Brand, während sie auf die ferner liegenden Häuser Brandpfeile schössen. Von den

flüchten-

den Syrakusiern wurden die einen auf den Straßen ergriffen und niedergemäht, und was sich in den Häusern zu verbergen suchtc, wurde durch das Feuer wieder herausgetrieben, da schon viele in Flammen standen und über den darunter Hinlaufenden zusammenstürzten. 4 j . Dieses Unglück vor allem öffnete die Stadt dem Dion, da jetzt alle eines Sinnes wurden. Er hatte nämlich, als er hörte, daß die Feinde wieder in die Burg eingeschlossen seien, seinen Marsch in gemächlicherem T e m p o fortgesetzt. Bei vorrückendem T a g e aber kamen ihm zuerst einige Ritter entgegen, wclche die zweite Einnahme der Stadt meldeten, und später erschienen auch einige seiner Gegner und baten ihn, zu eilen. Als es dann immer noch schlimmer wurde, schickte Herakleides erst seinen Bruder, dann seinen Oheim Theodotes mit der dringenden Bitte um Hilfe, da keiner mehr den Feinden Widerstand leiste, er selbst verwundet und der Augenblick nicht mehr fern sei, daß die Stadt völlig vernichtet werde und in Flammen aufgehe. Als solche Meldungen Dion erreichten, war er noch scchzig Stadien 1 von den Toren entfernt. Er berichtete jetzt den Söldnern von der Gefahr, munterte sie auf und marschierte nicht

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mehr langsam, sondern im Geschwindschritt auf die Stadt zu, während Boten über Boten ihm entgegenkamen und um Eile baten. Dank der erstaunlichen Marschleistung und dem guten Willen, den die Söldner bewiesen, rückte er bald durch das Sechsertor in den Stadtteil Hekatompedos 1 ein. Sofort nach dem Einmarsch ließ er die leichten Truppen gegen die Feinde vorgehen, damit die Syrakusier bei ihrem Anblick neuen M u t schöpften. Die Schwerbewaffneten und die herzuströmenden und um ihn sich versammelnden Bürger ordnete er selbst, und zwar bildete er Kolonnen und unterstellte jede einem Führer, um durch einen Angriff gleichzeitig von vielen Seiten um so bedrohlicher gegen die Feinde vorzubrechen. 46. Als man ihn nach diesen Vorbereitungen und nach einem Gebet an die Götter durch die Straßen der Stadt gegen die Feinde vorgehen sah, erhoben die Syrakusier ein Freudengeschrei und lautes Jauchzen, vermischt mit Gebeten und ermunternden Zurufen, und sie priesen Dion als ihren Vater, Retter und Gott, und die Söldner begrüßten sie als Brüder und Mitbürger. Keiner war in diesem Augenblick so selbstsüchtig und aufsein eigenes Leben bedacht, daß er nicht sichtlich mehr um Dion allein als um alle anderen besorgt war, da er als erster durch Blut und Feuer und über viele auf den Straßen liegende Leichen der Gefahr entgegenschritt. Furchtbar war, was von den Feinden drohte, die, völlig entmenscht, an der Sperrmauer Aufstellung genommen hatten, an die nur mit vielen Mühen und Beschwerden heranzukommen war. Jedoch die Gefahr, die von dem Feuer drohte, schreckte die Söldner noch mehr und machte ihren Marsch äußerst beschwerlich. Denn rings wurden sie von den Flammen umleuchtet, die die Häuser verzehrten; über brennende Trümmer mußten sie hinschreiten, unter großen herabstürzenden Gebäudeteilen gefahrvoll hindurchschlüpfen, durch dichten Rauch und Staub vordringen und dabei immer versuchen, die Ordnung zu wah-

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rcn und nicht zerreißen zu lassen. Als sie an die Feinde heran waren, konnten immer nur wenige mit wenigen ins Handgemenge kommen wegen der Enge und Unebenheit des Bodens. Aber befeuert durch die ermunternden Zurufe der Syrakusier, brachten sie die Leute des Nypsios zum Weichen. Ihre Hauptmasse rettete sich flüchtig in die nahe gelegene B u r g ; den draußen Gebliebenen und Versprengten setzten die Söldner nach und machten sie nieder. Aber den Sieg sogleich zu genießen, sich zu freuen und zu umarmen, wie es nach einer solchen T a t natürlich gewesen wäre, gestattete der Augenblick nicht, sondern die Syrakusier mußten sich an ihre Häuser machen und mit vieler Mühe das Feuer wahrend der Nacht ablöschen. 47. Als es T a g wurde, blieb keiner von den anderen Volksführern am Ort, sondern sie gaben sich verloren und flohen; nur Herakleides und Theodotes ergaben sich freiwillig dem Dion, bekannten sich schuldig und baten, er möchte sich edler gegen sie zeigen, als sie sich ihm gegenüber benommen hätten; es zieme sich für Dion, dessen T u g e n d in jeder andern Hinsicht unvergleichlich sei, auch im Zorn sich seinen Beleidigern überlegen zu erweisen, welche nun kämen und gestehen müßten, in dem, worum sie früher mit ihm gestritten hätten, tief unter seinem Können zu stehen. Da Heraklcides in solcher Weise bat, redeten die Freunde Dion zu, böse und tückische Menschen nicht zu schonen, sondern den Heraklcides den Soldaten preiszugeben und die Demagogie aus dem Staate auszurotten, eine gefährliche Krankheit, die nicht weniger schlimm sei als die Tyrannis. Aber Dion suchte sie zu beschwichtigen und sagte, die anderen Feldherren pflegten sich vor allem in den Waffen und in der Kriegskunst zu üben, er aber habe es sich in der Akademie lange Zeit zur Aufgabe gesetzt, Herr zu werden über Z o r n , Neid und Herrschsucht jeder Art. Der Beweis, daß man dies erreicht habe, sei nicht

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das rcchtc Betragen gegen Freunde und rechtschaffene Menschen, sondern daß man, wenn einem Unrecht geschehe, den Beleidigern gegenüber milde und zum Verzeihen bereit sei. Er habe den Wunsch, als ein Mann dazustehen, der dem Herakleides nicht so sehr an Macht und Einsicht als an Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit überlegen sei. Denn das sei in Wahrheit das bessere Teil. Das Verdienst an kriegerischen Erfolgen könne, wenn auch kein Mensch, so doch das Glück einem streitig machen. Wenn Herakleides aus Neid treulos und schlecht sei, so dürfe deswegen nicht auch Dion durch den Zorn seine Tugend beflecken lassen. Rache zu nehmen gelte nach dem Gesetz zwar als minder ungerecht als mit dem Unrechttun zu beginnen, aber beides gehe doch aus derselben Schwäche hervor. Die Bösartigkeit eines Menschen, auch wenn ihr schwer beizukommen sei, sei doch nicht etwas so ganz Wildes und Unangreifbares, daß sie nicht durch Güte und häufiges Wohltun sollte bezwungen und gewandelt werden können. 48. Aus solcherlei Erwägungen ließ Dion den Herakleides und seine Anhänger frei. Hierauf wandte er seine Aufmerksamkeit der Einschließungsmauer zu und befahl, daß jeder Syrakusier einen Schanzpfahl zurechthauen und in der Nähe niederlegen sollte. Dann stellte er seine Söldner daran, und im Laufe der Nacht, während die Syrakusier schliefen und nichts bemerkten, riegelte er die Burg durch ein Pfahlwerk ab, so daß am Morgen, als sie es sahen, die Bürger ebenso wie die Feinde über die Schnelligkeit und Gediegenheit der Arbeit staunten. Nun ließ er die zu Tode gekommenen Syrakusier begraben, löste die Gefangenen ein (deren nicht weniger als zweitausend waren) und berief eine Versammlung. Hier trat Herakleides auf und beantragte, Dion zum unbeschränkten Oberbefehlshaber zu Wasser und zu Lande zu ernennen. Während die Vornehmen das beifällig aufnahmen und sofortige Abstimmung verlangten, lärmte die Masse der Seeleute und

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Handwerker und protestierte dagegen, d a ß Heraklcides den Befehl über die Flotte verlieren sollte, weil sie meinte, wenn er auch sonst nicht viel taugte, so sei er doch jedenfalls volksfreundlicher als Dion und gefügiger gegenüber der Menge. Dion gab hierin nach und überließ Herakleides den Befehl zur See; als sie aber an die Aufteilung des Landes und der Häuser gehen wollten, widersetzte er sich, hob auch die früher in dieser Angelegenheit gefaßten Beschlüsse auf und machte damit viel böses Blut. Dies nahm Herakleides sofort erneut zum A n laß, um die ihm unterstellten Soldaten und Seeleute, während er in Messene saß, zu bearbeiten und gegen Dion aufzuhetzen, der angeblich sich zum T y r a n n e n aufwerfen wolle. Zugleich führte er dir seine Person durch V e r m i t t l u n g des Spartaners Pharax 1 heimlich Verhandlungen mit Dionysios. Da die vornehmen Syrakusier dahinter kamen, gab es Streit im Lager und infolgedessen N o t und Mangel an Lebensmitteln in Syrakus, so daß Dion in große Bedrängnis kam und von seinen Freunden V o r w ü r f e hören m u ß t e , daß er einen so unheilbaren, von Neid und Bosheit durch und durch verdorbenen Menschen w i e Herakleides gegen sich selbst habe groß werden lassen. 49. A l s nun Pharax bei N c a p o l i s 1 im Gebiet von Akragas lagerte, führte Dion die Syrakusier ins Feld und hatte die A b sicht, die Schlacht gegen ihn erst zu einem andern Z e i t p u n k t zu schlagen. Da aber Heraklcides und die Seeleute dagegen murrten und behaupteten, er wolle den Krieg nicht durch eine Schlacht zur Entscheidung bringen, sondern erreichen, daß er immer fortdauere, damit er das Kommando behielte, sah er sich genötigt zu schlagen und w u r d e besiegt. Da indes die Niederlage nicht bedeutend und mehr durch den Streit und die V e r w i r r u n g unter den Syrakusiern zustande gekommen war, so rüstete Dion zu einer zweiten Schlacht und traf mit ermunternden Worten die Anordnungen dazu. Da erhielt er

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beim Anbruch der Nacht die Meldung, daß Hcrakleides mit der Flotte in See gegangen sei und Kurs auf Syrakus genommen habe, in der Absicht, die Stadt zu nehmen und ihm mitsamt dem Heere den Eintritt zu verwehren. Er brach daher sofort an der Spitze der tüchtigsten und zuverlässigsten seiner Soldaten auf, ritt die ganze Nacht hindurch und war um die dritte Tagesstunde an den Toren, nachdem er so siebenhundert Stadien zurückgelegt h a t t e H e r a k l e i d e s , der mit seinen Schiffen trotz aller Eile zu spät kam, fuhr wieder ab und trieb sich eine Weile ziellos umher, begegnete dann dem Spartaner Gaisylos, welcher erklärte, er komme wie dereinst Gylippos von Lakedaimon gefahren, um die Führung der sizilischen Griechen zu übernehmen. Mit Freuden nahm Herakleides diesen Mann auf und stellte ihn, indem er sich ihn gleichsam als abwehrendes Amulett gegen Dion um den Hals hängte, den Bundesgenossen vor, sandte dann einen Herold nach Syrakus und forderte die Bürger auf, den Spartaner als ihren Führer zu empfangen. Als aber Dion darauf erwiderte, die Syrakusier hätten Führer genug, und wenn die Umstände durchaus einen Spartaner erforderten, so sei er das, da er durch Verleihung des Bürgerrechts zum Spartaner gemacht worden sei, verzichtete Gaisylos auf die Führerschaft, fuhr aber zu Dion und versöhnte ihn mit Herakleides, welcher die stärksten Eide und Treueschwüre leistete, denen auch Gaisylos selbst beitrat und schwor, er werde Dions Rächer sein und Hcrakleides bestrafen, wenn er gegen die Eide frevelte. jo. Hierauflösten die Syrakusier die Flotte auf; denn es gab nichts mehr für sie zu tun, und sie erforderte große Aufwendungen für die Mannschaft und bedrohte die Führer beständig mit Meutereien. Aber die Belagerung der Burg setzten sie fort und bauten die Sperrmauer fertig aus. Da nun keiner mehr den Belagerten Hilfe brachte, die Lebensmittel ausgingen und die Söldner schwierig wurden, gab der Sohn des Dionysios die

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Hoffnung auf und schloß mit Dion einen Vertrag, wonach er ihm die Burg samt den Waffen und den sonstigen Vorräten übergab und selbst in Begleitung seiner M u t t e r und seiner Schwestern auf fünf Dreiruderern, die er beladen ließ, zu seinem Vater davonfuhr, wofür ihm Dion sicheres Geleit gewährte, während kein Mensch in Syrakus sich diesen Anblick entgehen ließ, sondern sie beklagten noch alle, die nicht mehr am Leben waren, weil sie diesen T a g und die über einem freien Syrakus aufgehende Sonne nicht sehen könnten. Bedenkt man, daß noch jetzt von allen Beispielen für die Unbeständigkeit des Glückes, die man zu berichten pflegt, die Flucht des Dionysios als das größte und auffallendste gilt, wie groß m u ß dann wohl damals die Freude der Menschen selber gewesen sein und wie stolz die Männer, welche die größte von allen Gewaltherrschaften, die es je gegeben hat, mit den geringsten Mitteln gestürzt h a t t e n ! $i. Als Apollokrntcs abgefahren war und Dion zur Burg schritt, konnten die Krauen es nicht aushalten und warten, bis er hereinkam, sondern sie gingen ihm bis an die T o r e entgegen. Aristomachc f ü h r t e Dions Sohn an der Hand, und Arcte kam hinter ihnen, weinend und ungewiß, wie sie ihren Mann begrüßen und anreden sollte, nachdem sie inzwischen mit einem andern Mann gelebt hatte. Nachdem er zuerst die Schwester, dann den Sohn begrüßt hatte, führte Aristomachc die Arcte zu ihm und sagte: «Wir waren unglücklich, Dion, solange du in der Verbannung lebtest. Da du nun als Sieger heimkehrst, hast du den Druck der Trauer von uns allen genommen, außer von dieser allein, die ich Unglückliche, während d u noch lebtest, gezwungen sah, sich mit einem andern Manne 7.u verbinden. Da nun das Schicksal dich zu unserm Herrn gemacht hat, wie willst du da den ihr angetanen Z w a n g beurteilen? Soll sie dich nur als Oheim oder auch als Mann begrüßen?» Während Aristomachc solche Worte sprach, brach

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Dion in Tränen aus und zog die Frau liebevoll an sich, übergab ihr den Sohn und hieß sie in sein Haus gehen, in dem er auch selber wohnte, da er die Burg in die Hut der Syrakusier gegeben hatte. 52. Nachdem so seine Unternehmung glücklich bis zu diesem Punkte gediehen war, glaubte er sein gegenwärtiges Glück nicht eher genießen zu dürfen, als bis er seinen Freunden den Dank abgestattet, die Bundesgenossen beschenkt und vor allem den Freunden in Athen und den Söldnern einen Anteil an den Belohnungen und Ehrungen hätte zukommen lassen, wobei er in seiner Großmut über sein Vermögen hinausging. Er selbst lebte stets einfach und vernünftig, je nach dem Maße dessen, was zur Verfügung stand, und erntete die allgemeine Bewunderung, daß er, da nicht nur Sizilien und Karthago, sondern ganz Griechenland aufihn in seinem Glück schaute, und die Menschen keinen der damals Lebenden für so groß hielten und keines andern Feldherm Wagemut und Glück so glänzend schien wie das seine, sich trotzdem in Kleidung, Bedienung und Tafel so bescheiden zeigte, als ob er mit Piaton in der Akademie speiste, nicht unter Berufssoldaten und ihren Führern lebte, denen jeden Tag eine reichbesetzte Tafel und sonstiger Lebensgenuß als Ausgleich für ihre Strapazen und Gefahren dienen müssen. An ihn schrieb Piaton, daß auf ihn allein jetzt die Menschen in der ganzen Welt blickten 1 ; er selbst aber blickte offenbar nur nach einem Punkt in einer einzigen Stadt, der Akademie, und er wußte, daß die dortigen Zuschauer und Richter keine T a t , kein Wagnis und keinen Sieg bewunderten, sondern nur darauf ihr Augenmerk richteten, ob er sein Glück mit Bescheidenheit und Vernunft brauchte und sich in großen Verhältnissen maßvoll betrüge. Jedoch seine Schroffheit im Umgang und seine unbiegsame Härte dem Volke gegenüber abzulegen oder zu mildem, bestrebte er sich nicht, obwohl die Umstände ein entgegenkom-

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mendcs Wesen von ihm forderten und Platon - w i e wir schon gesagt haben - ihn tadelte und ihm schrieb, daß die Selbstherrlichkeit Hausgenossin der Einsamkeit sei. A b e r seinem Charakter w a r eben offenbar nichts G e w i n n e n d e s und Liebenswürdiges b e i g e m i s c h t , und er hatte sich v o r g e n o m m e n , die allzu schlaff und zuchtlos gewordenen Syrakusier d a v o n abzuziehen. 53. Denn Hcrakleidcs zeigte sich erneut w i d e r s p e n s t i g gegen ihn. Z u e r s t lehnte er es ab, als er in den R a t berufen wurde, dahin zu g e h e n : da er Privatmann sei, gehe er m i t allen anderen in die V o l k s v e r s a m m l u n g 1 . Dann machte e r es Dion zum V o r w u r f , daß er die B u r g nicht schleifen ließ, daß er d e m V o l k , als es d r a u f und dran w a r , das G r a b m a l des Dionysios zu zerstören und den Leichnam herauszuwerfen, das nicht gestattete u n d daß er aus Korinth R a t g e b e r und T e i l h a b e r an der R e g i e r u n g kommen lasse und die B ü r g e r dessen nicht Air w ü r d i g erachte. Tatsächlich ließ Dion die K o r i n t h e r k o m m e n , weil e r h o f f t e , daß er, wenn sie da wären, die Staatsform, die er im Sinne hatte, leichter werde einführen können. E r hatte aber im Sinne, die uneingeschränkte D e m o k r a t i e , die er mit Platon nicht f ü r eine Staatsform, sondern f ü r einen Kramladen von Staatsformen ansah *, zu beseitigen und nach lakonischem und kretischem M u s t e r eine aus V o l k s g e w a l t und K ö n i g t u m gemischte Verfassung zu schaffen und einzuführen, in der eine Aristokratie die f x i t u n g haben und die w i c h t i g s t e n Angelegenheiten behandeln sollte; und er sah, daß auch die Korinther eine mehr oligarchische Verfassung hatten und nicht viele der öffentlichen Angelegenheiten durch das Volk entscheiden ließen. Weil er nun erwartete, daß hiergegen Hcrakleidcs den stärksten Widerstand leisten werde, und er auch sonst ein unruhiger, wetterwendischer und streitsüchtiger M e n s c h w a r , so ließ er diejenigen, welche ihn schon längst beseitigen wollten und die er bisher daran gehindert hatte, nunmehr g e w ä h -

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rcn. So drangen sie in sein Haus ein und töteten ihn. Sein T o d betrübte die Syrakusier tief. Als jedoch Dion ein glänzendes Leichenbegängnis veranstaltete, den Leichnam an d e r Spitze des Heeres zu Grabe geleitete und danach eine R e d e an sie hielt, verziehen sie ihm in der Einsicht, d a ß es nicht möglich war, daß die Stadt aus den Unruhen herauskäme, solange Herakleides und Dion nebeneinander in ihr wirkten. 54. Es war da ein Gefährte Dions aus A t h e n , Kallippos, von dem Piaton sagt, daß er nicht von der Philosophie her, sondern durch die Teilnahme an Mysterien und dem sich daraus ergebenden U m g a n g mit Dion bekannt und vertraut geworden sei 1 . Dieser Mann hatte den F e l d z u g mitgemacht und stand hoch in Ehren, so daß er auch als erster von allen Gefährten bekränzt an Dions Seite in Syrakus e i n z o g ' . Er hatte sich auch in den Kämpfen durch hervorragende T a p f e r k e i t ausgezeichnet. N a c h d e m nun aber die ersten und besten Freunde Dions durch den Krieg aufgerieben, Herakleides tot war, und er sah, daß das V o l k der Syrakusier ohne Führer war und d a ß die Soldaten Dions sich besonders an ihn hielten, da w u r d e er zum elenden Schurken, und in der gewissen H o f f n u n g , Sizilien als Preis für den Mord am Gastfreund zu gewinnen, und, w i e einige sagen, weil er auch noch z w a n z i g T a l e n t e als Lohn für den Mord von den Feinden Dions dazubekam, suchte er einige der Söldner gegen Dion aufzuhetzen und zu dem Morde anzustiften, w o b e i er auf eine höchst gemeine und hinterlistige A r t zu W e r k e ging. Er hinterbrachte Dion stets gewisse Ä u ß e r u n g e n der Soldaten gegen ihn, die entweder wirklich gefallen oder auch von ihm erfunden waren, und erlangte durch das so erworbene Vertrauen eine solche Freiheit, daß er sich, m i t wem er wollte, heimlich treffen und auf eigene W e i s u n g Dions frei und offen gegen ihn reden durfte, damit keiner der U n z u v e r lässigen und ihm übel Gesinnten verborgen bliebe. So kam es, daß Kallippos die Nichtswürdigen und Angekränkelten unter

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den Soldaten schnell herausfinden und zu einem Komplott zusammenschließen konnte, und daß, wenn einer seine Anträge abwies und Dion davon Kenntnis gab, dieser sich dadurch nicht stören ließ und es Kallippos nicht übel nahm, weil er ja nur ausführte, was ihm aufgetragen war. JJ. Während der Anschlag vorbereitet wurde, hatte Dion eine seltsame, furchterregende Erscheinung. Er saß einmal am Abend in der Halle seines Hauses, allein und in Gedanken versunken. Bei einem plötzlich laut werdenden Geräusch am andern Ende der Halle blickte er auf und sah - da es noch eben hell genug war - eine große Frau, die sich von Gesicht und Kleidung in nichts von einer Erinye, wie sie in den Tragödien auftreten, unterschied und mit einem Besen das Haus ausfegte. Er erschrak furchtbar, war in größter Angst, ließ seine Freunde rufen und erzählte ihnen das Gesicht, bat sie auch dazubleiben und die Nacht mit ihm zu verbringen, weil er völlig verstört war und fürchtete, daß, wenn er allein gelassen würde, die Erscheinung ihm noch einmal vor Augen träte. Das geschah nun zwar nicht noch einmal, aber nach wenigen Tagen stürzte sich sein auf der Schwelle des Jünglingsalters stehender Sohn infolge irgendeines Ärgers und Verdrusses, der aus einem geringfügigen, kindischen Anlaß entstanden war, vom Dache des Hauses auf den Kopf und war tot 1 . 56. Während nun Dion in solcher Verfassung war, betrieb Kallippos seinen Anschlag um so eifriger. Er sprengte unter den Syrakusiern das Gerücht aus, Dion habe, nun kinderlos geworden, beschlossen, den Sohn des Dionysios, Apollokrates, zu sich zu rufen und ihn, den Bruderssohn seiner Gattin und Enkel seiner Schwester, zu seinem Nachfolger zu machen. Nunmehr schöpften auch Dion und die Frauen Verdacht wegen dessen, was vorging, und es kamen von allen Seiten Anzeigen. Aber Dion, der, wie es scheint, wegen seines Vorgehens gegen Herakleides Reue fühlte und diesen Mord als einen

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Schandfleck auf seinem Leben und seinen Taten schmcrzlich empfand und darunter Litt, sagte, daß er nun schon mehr als einmal zu sterben und einem jeden, der das wünsche, die Kehle hinzuhalten bereit sei, wenn er, um zu leben, nicht nur vor seinen Feinden, sondern auch vor seinen Freunden auf der Hut sein müßte. Weil aber Kallippos sah, daß die Frauen die Sache scharf untersuchten, und darum Angst bekam, ging er zu ihnen, leugnete unter Tränen alles ab und erbot sich, ihnen jede Sicherheit, die sie verlangten, zu geben. Sie forderten, daß er den großen Eid schwören solle. Damit hatte es folgende Bewandtnis. Wer diese Sicherheit geben will, steigt ins Heiligtum der Thesmophoren 1 hinab, legt nach Versehung gewisser Gebräuche den Purpurmantel der Göttin um, nimmt eine brennende Fackel in die Hand und schwört den Eid. Das alles tat Kallippos, schwor den Eid und trieb dann solchen Spott mit den Göttinnen, daß er das Fest der Göttin, bei der er geschworen hatte, abwartete und an eben diesem Feste, den Koreen, die Mordtat vollbringen ließ, wobei er sich vielleicht nicht soviel daraus machte, daß es der T a g der Göttin war, weil unter allen Umständen aufs schwerste an ihr gefrevelt wurde, auch wenn zu einer andern Zeit der Myste von demjenigen getötet wurde, der ihn in die Mysterien eingeführt hatte. 57. Dion saß mit seinen Freunden in einem Zimmer, welches mehrere Ruhebetten enthielt, als von denen, die sich zur Vollbringung der T a t zusammengeschlossen hatten (es war eine größere Zahl), einige das Haus draußen umstellten, während andere an den Türen und Fenstern standen. Die Zakynthier 1 selbst, die Hand an ihn legen sollten, gingen ohne Schwerter in den bloßen Leibröcken zu ihm hinein. Z u gleicher Zeit hielten nun die draußen die Türen fest verschlossen, und die drinnen fielen über Dion her und versuchten, ihn zu erdrosseln und so zu T o d e zu befördern. Da sie aber damit nicht zustande kamen, verlangten sie ein Schwert. Aber keiner wagte es, die

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Türen zu öffnen, denn die Freunde drinnen bei Dion waren zahlreich; aber jeder von ihnen glaubte, wenn er ihn preisgäbe, damit sein eigenes Leben zu retten, und wagte ihm nicht zu helfen. Nachdem eine gewisse Zeit verstrichen war, reichte der Syrakusier Lykon einem der Zakynthier ein kurzes Schwert durchs Fenster, mit dem sie Dion, der schon lange wie ein Opfertier unter den Händen der Mörder nur noch zuckte, abschlachteten. Sofort warfen sie auch Dions Schwester nebst seiner Frau, die hochschwanger war, ins Gefängnis, und die Frau hatte das Schicksal, daß sie auf jammervollste Weise im Gefängnis niederkam und ein Knäblein gebar, das die beiden mit Billigung der dafür gewonnenen Wächter um so eher aufzuziehen wagten, als es mit Kallippos schon nicht mehr zum besten stand. j8. Anfänglich zwar stand er, nachdem er Dion getötet hatte, groB da und beherrschte Syrakus, schrieb auch an die Stadt der Athener, die er doch, nächst den Göttern, am meisten hätte scheuen und furchten müssen, nachdem er sich eines so fluchwürdigen Verbrechens schuldig gemacht hatte. Aber das Wort scheint wahr zu sein, daß die guten und tüchtigen Männer, die diese Stadt hervorbringt, die tüchtigsten, und die schlechten andererseits die schlimmsten sind, wie auch ihr Land den besten Honig und den tödlichsten Schierling erzeugt. Indes nicht lange Zeit blieb Kallippos am Leben als ein Vorwurf gegen das Schicksal und die Götter, daß sie es geschehen ließen, daß ein Mensch durch ein so arges Verbrechen Herrschaft und Macht gewänne. Schnell ereilte ihn die gerechte Strafe: Als er auszog, um Katane zu nehmen, verlor er dabei auf der Stelle Syrakus; er soll bei dieser Gelegenheit gesagt haben, er habe eine Stadt verloren und eine Käsereibe gewonnen Als er dann die Messenier angriff und dabei die Mehrzahl seiner Soldaten verlor - darunter diejenigen, welche Dion getötet hatten - , und ihn darauf keine Stadt in Sizilien

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m e h r a u f n e h m e n w o l l t e , s o n d e r n alle i h n h a ß t e n u n d a b w i e -

sen, bemächtigte er sich Rhegions. Als er dort schon in Bedrängnis war und nur noch mit Not und Mühe seine Söldner unterhalten konnte, wurde er von Leptines und Polyperchon1 getötet, die sich dabei durch eine höhere Fügung desselben Schwertes bedienten, mit dem (wie es hieß) Dion ermordet worden war. Erkannt wurde es an seinem Größenmaß (es war nämlich kurz wie die lakonischen) und an der außerordentlich schönen und kunstvollen Arbeit. Auf solche Weise wurde Kallippos bestraft. Die Aristomache und Arete nahm nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis der Syrakusier Hiketes, der einer der Freunde Dions gewesen war, in seine Obhut, und es schien, daß er ehrlich und treu für sie sorgte. Dann aber ließ er sich von den Feinden Dions umstimmen und rüstete ein Schiff für sie, vorgeblich, um sie nach der Peloponnes bringen zu lassen, gab aber den Befehl, sie während der Fahrt umzubringen und ins Meer zu werfen. Andere sagen, sie seien noch lebend über Bord geworfen worden und das Kind mit ihnen. Doch auch diesen Mann ereilte die verdiente Strafe für das ruchlose Wagnis. Er wurde nämlich selbst von Timoleon gefangengenommen und hingerichtet, und auch seine beiden Töchter töteten die Syrakusier als Racheopfer für Dion. Das ist im einzelnen im Leben Timoleons erzählt

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i. Der Ahnherr des Marcus Brutus war jener Junius Brutus, dessen ehernes Standbild mit gezogenem Schwert die alten Römer inmitten der Könige errichteten, weil er den endgültigen Sturz der Tarquinier herbeigeführt hatte. Aber dieser Brutus hatte, wie die kaltgeschmiedeten Schwerter, einen von Natur harten, durch keine Beschäftigung mit geistigen Dingen gemilderten Charakter, so daß er sich durch seinen Haß gegen die Tyrannen bis zur Hinrichtung seiner Söhne treiben ließ Der Brutus hingegen, welcher in der vorliegenden Biographie behandelt wird, hatte dank seiner Erziehung durch philosophische Studien seinen Charakter gebildet und seine emsthafte und dabei sanfte Wesensart durch seinen Tatendrang zur Entfaltung gebracht, und so schien sie im guten Sinne so glücklich gemischt, daß auch diejenigen, welche ihm wegen der Verschwörung gegen Caesar feind waren, doch, wenn diese Tat noch etwas Edles und Gutes mit sich brachte, es dem Brutus zuschrieben und alles Verwerfliche, was geschah, dem Cassius aufbürdeten, der zwar ein Verwandter und Freund des Brutus, aber von Charakter nicht so schlicht und rein war wie er. Seine Mutter Servilia führte ihr Geschlecht auf Servilius Ahala zurück, welcher, als Spurius Maelius nach der Alleinherrschaft strebte und das Volk aufhetzte, mit einem Dolch unter der Achsel auf den Markt gegangen, dicht neben den Mann hingetreten war, wie wenn er ihn anreden und etwas mit ihm besprechen wollte, und ihn, wie er sich zu ihm neigte, niedergestochen hatte 1 . Dies ist allgemein zugestanden. Sein väterliches Geschlecht aber, sagen diejenigen, welche wegen der Ermordung Caesars Haß und Feindschaft

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g e g e n B r u t u s hegen, gehe nicht auf den V c r t r c i b c r d e r T j r -

quinier zurück; denn von diesem sei nach der Hinrichtung seiner Söhne keine Nachkommenschaft mehr vorhanden gewesen; sondern dies sei ein plebejisches Geschlecht, welches mit jenen Bruti wohl namensgleich, aber erst in neuerer Zeit zu den hohen Ämtern gelangt sei. Der Philosoph Poseidonios 1 jedoch sagt, die erwachsenen Söhne des Brutus seien allerdings umgekommen, wie schon erzahlt worden ist, es sei aber noch ein dritter, unmündiger Sohn dagewesen, von dem dann das Geschlecht ausgegangen sei; auch hätten einige angesehene Angehörige des Geschlechts, die zu seiner Zeit lebten, auf die Ähnlichkeit ihrer Gesichtszüge mit der Statue des Brutus hinweisen können. Hierüber soviel. 2. Ein Bruder Servilias, der Mutter des Brutus, war der Philosoph Cato 1 , den er sich als seinen Oheim und nachmaligen Schwiegervater vor allen anderen Römern zum Vorbild nahm. Unter den griechischen Philosophen war, darf man sagen, keiner, den er nicht gehört und gekannt hätte, doch hatte er sich mit besonderem Eifer an die aus der Schule Piatons angeschlossen, hielt aber nicht viel von der sogenannten neuen und mittleren Akademie, sondern war ein Anhänger der alten Akademie, hegte stets eine große Bewunderung für Antiochos von Askalon und hatte dessen Bruder Aristos zu seinem Freund und Lebenskameraden gemacht, einen Mann, der zwar in der Kunst des Vortrags vielen Philosophen nachstand, in seiner sittlichen Haltung aber und seiner Menschlichkeit sich mit den ersten messen konnte. Empytos, den er selbst sowohl in seinen Briefen wie auch die Freunde als seinen Lebensgefährten oft erwähnen, war Redner und hat eine kleine, aber nicht üble Schrift über die Ermordung Caesars, betitelt Brutus, hinterlassen '. In lateinischer Sprache war Brutus sowohl für Prunkreden wie für Gerichtsreden hinlänglich geübt, im Griechischen

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pflegte er die sentenziös zugespitzte, lakonische Knappheit, wie dies zuweilen in seinen Briefen hervortritt. So schreibt er, nachdem er schon in den Krieg mit ihnen eingetreten war, an die Pergamener: «Ich höre, daß ihr dem Dolabella Geld gegeben habt. Wenn ihr es freiwillig gegeben habt, so bekennt euch schuldig; wenn unfreiwillig, so beweist es, indem ihr mir freiwillig gebt.» Sodann an die Samier: «Eure Beschlüsse sind leichtfertig, eure Leistungen säumig. Was, denkt ihr euch, soll dabei herauskommen?» Und noch ein Brief (an die Lykier): «Die Xanthier haben meinen guten Willen mißachtet und so ihre Vaterstadt zum Grabe ihrer Hirnlosigkeit gemacht. Die Patareer haben sich mir ergeben, verwalten sich selbst und vermissen nichts von ihrer Freiheit. Jetzt habt ihr es in der Hand, die Entscheidung der Patareer oder das Schicksal der Xanthier zu wählen.» Das ist der Stil seiner charakteristischen Briefe'. 3. Als er noch ein sehr junger Mann war, begleitete er seinen Oheim, der gegen Ptolemaios nach Kypros geschickt wurde 1 . Nachdem sich nun Ptolemaios das Leben genommen hatte, mußte Cato selbst sich notwendig noch in Rhodos aufhalten und hatte schon einen seiner Freunde, Canidius, abgesandt, um die Schätze in Verwahrung zu nehmen, fürchtete dann aber, daß dieser sich nicht von Unterschlagungen frei halten würde, und schrieb Brutus, er solle schleunigst von Pamphylien nach Kypros fahren; denn dort, in Pamphylien, hielt er sich auf, um sich von einer Krankheit zu erholen. Brutus tat die Fahrt sehr ungern, einmal aus Scheu vor Canidius, der damit in schimpflicher Weise von Cato zurückgesetzt wurde, und dann, weil er überhaupt als ein junger Mann, der bisher nichts mit Geschäften zu tun gehabt hatte, eine solche Verwaltungstätigkeit für nicht vornehm und sich nicht gemäß ansah. Jedoch gab er sich auch mit dieser Sache ernstlich Mühe, erntete das Lob Catos und nahm, nachdem das

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Vermögen des Ptolemaios zu Gelde gemacht worden war, den größten Teil des Erlöses in seine Obhut und fuhr damit nach Rom. 4. Als dann die Fronten auseinanderfielen, Pompejus und Caesar zu den Waffen griffen und das Reich in voller Verwirrung war, erwartete man, daß er die Partei Caesars ergreifen werde; denn sein Vater war früher durch Pompejus getötet w o r d e n A b e r er hielt es für seine Pflicht, das öffentliche Interesse höher zu stellen als das persönliche, und da er glaubte, daß die Sache des Pompejus in diesem Kriege besser sei als die Caesars, so schloß er sich jenem an. Dabei hatte er Pompejus früher, wenn er ihm begegnete, nicht einmal eines Grußes gewürdigt, da er es für einen schweren Frevel hielt, mit dem Mörder seines Vaters zu sprechen. Jetzt aber ordnete er sich ihm als dem Feldherrn des Vaterlandes unter und fuhr als Legat des Sestius 2 , dem diese Provinz zugefallen war, nach Kilikien. Da es aber dort nichts von Bedeutung zu tun gab und Pompejus und Caesar schon gegeneinander rückten, um die Entscheidungsschlacht zu schlagen, kam er nach Makedonien, um freiwillig an der Gefahr teilzunehmen. Darüber soll Pompejus solche Freude und Bewunderung empfunden haben, daß er, als Brutus auf ihn zukam, von seinem Sitze aufstand und ihn vor aller Augen wie einen Höherstehenden umarmte. Während des Feldzuges war Brutus dann stets tagsüber - soweit er sich nicht in der Umgebung des Pompejus befand - mit Büchern und Studien beschäftigt, und zwar nicht nur sonst, sondern auch unmittelbar vor der großen Schlacht. Der Sommer war auf der Höhe, und es herrschte große Hitze, als man in einer sumpfigen Gegend das Lager aufschlug, und die Leute, die sein Zelt beförderten, kamen nicht so schnell heran. Obschon er dadurch sehr ermattet war, so salbte er sich doch am Mittag nur, aß ein weniges, und während die anderen schliefen oder sich sorgenvollen Gedanken über die Zukunft über-

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ließen, schrieb er bis zum Abend an einem begonnenen Auszug aus dem Geschiehtswerk des Polybios 5. Auch Caesar, so heißt es, war um den Mann sehr besorgt und gab seinen Offizieren den Befehl, Brutus in der Schlacht nicht zu töten, sondern ihn zu schonen und, wenn er sich gutwillig ergäbe, zu ihm zu fuhren; wenn er sich aber der Gefangennahme widersetze, ihn gehen zu lassen und keine Gewalt zu brauchen. Das habe er Brutus' Mutter Servilia zuliebe getan. Er hatte nämlich, so heißt es, als junger Mann mit Servilia, die rasend in ihn verliebt war, intimen Verkehr gehabt, und da gerade zu der Zeit, als diese Leidenschaft auf ihrer Höhe war, Brutus geboren wurde, so war er mehr oder weniger überzeugt, daß er sein Sohn sei. Als dann, so heißt es weiter, die große Catilina-AfTäre im Senat verhandelt wurde', die um ein Haar die Stadt ins Verderben gestürzt hätte, hätten Cato und Caesar in scharfem Meinungsstreit beieinander gestanden. Als währenddessen von draußen ein kleines Briefchen an Caesar hereingereicht wurde, habe er es schweigend gelesen, Cato aber habe losgeschrien, das sei ein unerhörtes Verfahren von Caesar, daß er Briefe und Mitteilungen von den Feinden entgegennehme. Als darauf viele einen großen Lärm erhoben, habe Caesar das Täfelchen, wie es war, dem Cato hingereicht, und der habe es durchgelesen und gesehen, daß es ein unanständiges Billet seiner Schwester Servilia war. Das habe er denn mit den Worten: «Behalt dir's, du Lüstling!» Caesar vor die Füße geworfen und sei in seiner Rede und Meinungsäußerung fortgefahren. So stadtbekannt war die Liebe Servilias zu Caesar'. 6. Als dann die Schlacht bei Pharsalos geschlagen, Pompejus zum Meer entwichen war und das Lager angegriffen wurde 4 , gelangte Brutus unbemerkt durchs Tor in eine sumpfige, mit Wasser und Schilf bestandene Gegend und rettete sich während der Nacht nach Larissa. Von dort schrieb er an Caesar,

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lind d e r f r e u t e sich ü b e r seine R e t t u n g , f o r d e r t e ihn auf, zu

ihm zu kommen, und verzieh ihm nicht nur, sondern behielt ihn auch in seiner Umgebung und ehrte ihn hoch. Da niemand sagen konnte, welchen Fluchtweg Pompejus genommen habe, sondern völlige Ungewißheit darüber bestand, so ging Caesar einmal allein mit Brutus spazieren und suchte seine Meinung zu erforschen, und da er aufGrund gewisser Überlegungen die treffendste Vermutung über den Fluchtweg des Pompejus zu haben schien, so ließ er alle anderen Pläne fallen und eilte nach Ägypten. Doch den Pompejus, der tatsächlich, wie Brutus vermutete, den Weg nach Ägypten genommen hatte, nahm dort das ihm bestimmte Schicksal in Empfang. Brutus wußte nunmehr den Caesar auch gegen Cassius zur Milde zu bewegen. Da er sich dann für Dejotaros, den König der Galater, einsetzte 1 , mußte er zwar der Schwere der Beschuldigungen gegenüber verstummen, erhielt ihm aber durch angelegentliche Bitten einen großen Teil seines Reiches. Caesar soll, als er ihn zum ersten Mal reden hörte, zu seinen Freunden gesagt haben: «Was dieser junge Mann will, weiß ich nicht; aber alles, was er will, das will er mit Nachdruck.» Denn sein ernsthaftes Wesen und der Umstand, daß er nicht leicht und nicht jedem Bittenden aus bloßer Gefälligkeit willfahrte, sondern mit Überlegung und Vorbedacht für eine gute Sache eintrat, führte dazu, daß er eine Sache, deren er sich annahm, mit ganzer Kraft und mit Erfolg vertreten konnte. Ungerechten Bitten gegenüber aber war er unbestechlich, hielt Nachgiebigkeit gegen unverschämte Bittsteller (die manche als falsche Scham 1 bezeichnen) für die schimpflichste Schwäche eines großen Mannes und pflegte zu sagen, es schiene ihm, daß Leute, die nicht nein sagen könnten, wohl auch von ihrer Jugendblüte nicht den rechten Gebrauch gemacht hätten. Als Caesar im Begriff war, gegen Cato und Scipio nach Afrika hinüberzugehen J , übertrug er Brutus die Verwaltung

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des Gallien diesseits der Alpen, zum großen Glück für die Provinz. Denn während die anderen Provinzen durch den Frevelmut und die Habsucht derer, denen sie anvertraut waren, wie eroberte Länder ausgeplündert wurden, bedeutete für Gallien Brutus eine Erholung und einen Trost auch für die vorangegangenen Leiden. Dabei schob er das Verdienst an allem Caesar zu, so daß für diesen, als er nach seiner Rückkehr Italien bereiste, die Brutus unterstellten Städte der erfreulichste Anblick waren und ebenso Brutus selbst, der seine Ehre mehrte und ihm ein angenehmer Gesellschafter war. 7. Als dann zu erwarten stand, daß von den Praeturen (deren es mehrere gab) die angesehenste, die sogenannte Stadtpraetur, entweder Brutus oder Cassius zufallen würde, da sagen einige, daß die beiden Männer selbst, die schon vorher aus mancherlei Ursachen in einem gespannten Verhältnis zueinander standen, sich hierüber noch mehr entzweit hätten, obschon sie verwandt waren; denn Cassius war mit Brutus' Schwester Junia verheiratet; andere sagen, dieser ehrgeizige Streit sei Caesars Werk gewesen, der jedem der beiden heimlich Hoffnung gemacht habe, bis sie schließlich so vorwärts getrieben und aufgestachelt miteinander in Wettbewerb traten. Brutus stützte sich auf seine Tüchtigkeit und sein allgemeines Ansehen gegenüber vielen glänzenden Leistungen des Cassius im Partherkriege'. Caesar hörte sie beide an und sagte dann, als er sich im Kreise seiner Freunde beriet: «Die besseren Gründe hat zwar Cassius, aber man muß doch Brutus den Vorzug geben.» Cassius erhielt darauf eine andere Praetur, zeigte aber nicht soviel Dankbarkeit für das, was er bekam, als Zorn wegen dessen, was ihm versagt wurde. Auch sonst hatte Brutus an Caesars Macht soviel Anteil, als er nur wollte; wenn er wollte, konnte er der erste seiner Freunde sein und den größten Einfluß üben. Aber die Verbindung mit Cassius zog ihn doch an und machte ihn von Caesar

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abwendig, obwohl er sich mit Cassius noch nicht seit jenem ehrgeizigen Zwist versöhnt hatte; aber er hörte doch auf seine Freunde, die ihn mahnten, es nicht ruhig geschehen zu lassen, daß er von Caesar weich gemacht und betört würde, sondern die tyrannischen Freundlichkeiten und Gunstbezeugungen zu fliehen, die er ihm erweise, nicht um seine Tugend zu belohnen, sondern um seine Kraft zu entmannen und seinen Mut zu untergraben. 8. Indes war auch Caesar nicht ganz ohne Argwohn gegen ihn und nicht ungewarnt, sondern er fürchtete seinen hohen Sinn, sein großes Ansehen und seine Freunde, verließ sich aber auf seinen Charakter. Als es zuerst hieß, Antonius und Dolabella gingen mit umstürzlerischen Plänen um, sagte er, die wohlbeleibten und schön frisierten Herren machten ihm keine Pein, sondern die blassen und mageren, womit er Brutus und Cassius meinte. Als später einige Leute Brutus verdächtigten und Caesar mahnten, sich vor ihm in acht zu nehmen, sagte er, indem er mit der Hand an seinen Leib rührte: «Wie denn? Meint ihr, daß Brutus nicht auf dieses Stückchen Fleisch wird warten wollen?», als ob es keinem andern als Brutus zukomme, nach ihm im Besitz einer so hohen Macht zu sein. Tatsächlich scheint es, daß er mit Sicherheit der erste Mann in der Stadt geworden wäre, wenn er es noch eine kurze Zeit ertragen hätte, der zweite hinter Caesar zu sein, und abgewartet hätte, daß seine Macht den Höhepunkt überschritte und der Ruhm seiner Siege verwelkte'. Aber Cassius, ein Hitzkopf und viel mehr persönlicher Hasser Caesars als grundsätzlicher Tyrannenhasser, hetzte ihn auf und drängte zur Eile. Man sagt, Brutus habe die Herrschaft als drückend empfunden, Cassius den Herrscher gehaßt sowohl wegen anderer Vorwürfe, die er ihm glaubte machen zu müssen, als wegen der Wegnahme der Löwen, die Cassius sich fiir die Spiele, die er als Aedil zu veranstalten beabsichtigte, besorgt und Caesar,

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nachdem er sie in Megara bei der Einnahme der Stadt durch Calenus erbeutet hatte, flir sich behalten hatte'. Diese Tiere wurden den Megarern - so wird berichtet - zum schweren Verhängnis. Sie erbrachen nämlich, als die Eroberung der Stadt schon im Gange war, die Käfige der Tiere und lösten ihre Fesseln, um sie den Angreifern entgegenzujagen, aber die Löwen sprangen vielmehr die Megarer selber an, die unbewaffnet herumliefen, und zerrissen sie, so daß es selbst für die Feinde ein erbarmungswürdiger Anblick war. 9. Jedoch die Leute, welche meinen, daß dies für Cassius das Hauptmotiv des Anschlages gegen Caesar gewesen sei, haben damit nicht recht. Denn von Anfang an lebte in dem Charakter des Cassius ein starker Haß und Widerwille gegen jede Art von Tyrannei, wie er schon als Knabe bewies, als er mit Sullas Sohne Faustus in dieselbe Schule ging. Der hatte nämlich einmal unter den Knaben geprahlt und die Alleinherrschaft seines Vaters gepriesen; da war Cassius aufgesprungen und hatte ihm Faustschläge versetzt. Als daraufhin die Vormünder und Verwandten des Faustus der Sache nachgehen und sie vor Gericht bringen wollten, da hatte Pompejus sich ins Mittel gelegt, die beiden Jungen vor sich kommen lassen und sie über den Vorfall verhört. Da soll Cassius gesagt haben: «Unterstehe dich, Faustus, vor diesem Manne noch einmal jenes Wort laut werden zu lassen, das mich so erbost hat, daß ich dir noch einmal aufs Maul schlage!» So war Cassius geartet. Den Brutus hingegen mußten erst vieles Zureden von Seiten seiner Freunde und viele mündliche und schriftliche Mahnungen der Bürger zu der T a t aufrufen und antreiben. An der Statue seines Urahnen Brutus, der die Herrschaft der Könige gestürzt hatte, brachten sie die Inschrift an: «Wenn du doch jetzt lebtest, Brutus!» und: «Brutus müßte noch am Leben sein!», und der Richterstuhl des Brutus selbst, der ja Praetor war, fand sich eines Morgens mit

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Zetteln bedeckt, auf Jenen stand: «Brutus, du schläfst!» und: « Du bist kein echter Brutus!» A n l a ß dazu gaben die Schmeichler Caesars, die neben anderen M i ß s t i m m u n g erregenden Ehrungen, die sie sich für ihn ausdachten, seinen Statuen nachts Diademe aufsetzten, um so die M e n g e zu b e w e g e n , ihn statt als Diktator als König zu begrüßen. A b e r die e n t g e g e n g e s e t z t e Folge trat ein, wie im Leben Caesars ausführlich erzählt i s t 1 . 10. A l s Cassius seine Freunde ausforschte, w i e sie über einen Anschlag auf Caesar dächten, zeigten sich alle bereit, wenn Brutus die F ü h r u n g übernähme. Denn das Unternehmen erfordere nicht sowohl Hände und W a g e m u t w i e das Ansehen eines Mannes, w i e er es sei, der gleichsam den A n s t o ß gebe und allein durch seine Beteiligung die G e r e c h t i g k e i t der Sache v e r b ü r g e ; andernfalls würden sie bei der T a t nicht so festen M u t e s und nach der T a t nicht so über jeden Verdacht erhaben sein, weil - so w ü r d e man meinen - jener Mann sich ihr nicht entzogen hätte, wenn sie einen guten und gerechten Grund gehabt hätte. Das sah Cassius ein und besuchte als erster wieder den Brutus seit jener Z w i s t i g k e i t . N a c h d e m sie sich versöhnt und ihrer Freundschaft wieder versichert hatten, fragte Cassius ihn, ob er am ersten M ä r z in den Senat zu gehen vorhabe; er höre nämlich, daß Caesars Freunde einen Antrag wegen der Königswürde für ihn einbringen würden. Als Brutus sagte, er wolle nicht hingehen, fuhr Cassius fort: «Wie nun, wenn sie uns rufen?» «Dann ist es meine Pflicht», erwiderte Brutus, «nicht länger zu schweigen, sondern für die Freiheit zu kämpfen und vor ihr zu sterben.» Durch dieses W o r t ermut i g t , sagte Cassius: «Welcher Römer wird es ertragen, daß du vor ihm stirbst? Kennst du dich denn selbst nicht, Brutus? O d e r glaubst du, daß es die Weber und die Krämer sind, die deinen Richterstuhl mit Zetteln bestreuen, nicht daß die ersten und angesehensten Männer das tun, die wohl von den anderen

Praetoren

Schenkungen,

Theatervorstellungen

und

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Gladiatorenspiele, von dir aber als eine von den Vorfahren ererbte Verpflichtung den Sturz der Gewaltherrschaft erwarten und selber bereit sind, für dich alles zu erdulden, wenn du dich so erweisest, wie sie es wünschen und erwarten?» Hierauf umarmte er den Brutus und nahm Abschied, sie gingen auseinander und wandten sich ein jeder seinen Freunden zu. 1 1 . Es war da ein gewisser Gajus Ligarius einer der Freunde des Pompejus, der deswegen angeklagt, aber von Caesar freigesprochen worden war. Dieser Mann war nicht dankbar dafür, daß ihm die Strafe erlassen worden war, sondern erbittert auf das Regiment, durch welches er in die Gefahr gekommen war, und darum ein Feind Caesars, im übrigen aber einer der vertrautesten Freunde des Brutus. Er lag krank, als Brutus zu ihm hereinkam und sagte: «Ligarius, in was fiir einem Augenblick bist du krank!» Da stützte sich Ligarius sogleich auf den Ellenbogen, faßte seine Rechte und sagte: «Wenn du etwas im Sinne hast, was deiner würdig ist, bin ich gesund.» 12. Hierauf forschten sie unter den Vornehmen diejenigen aus, denen sie vertrauten, setzten sie ins Bild und machten sie zu Teilnehmern ihres Bundes, wobei sie die Wahl nicht nur im Kreise ihrer Freunde trafen, sondern unter allen, die sie als tapfere, wagemutige Männer und Verächter des Todes kannten. Daher hielten sie auch die Sache vor Cicero geheim, obschon er, sowohl was Zuverlässigkeit wie was rechte Gesinnung anging, bei ihnen als einer der ersten galt, in der Besorgnis, er möchte vermöge seiner ängstlichen Natur, zu der noch die durch seine Jahre herbeigeführte greisenhafte Bedenklichkeit trat, wenn er bei der Erwägung aller einzelnen Momente ein Höchstmaß von Sicherheit erzielen wollte, den Schwung ihres Mutes lähmen, da doch Raschheit vonnöten war. Daher überging Brutus unter seinen übrigen Freunden auch den Epikureer Statilius und Favonius, den Bewunderer Catos', weil, als er sie einmal bei einer philosophischen Diskussion von

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DION UND B R U T U S

ferne und auf Umwegen auszuholen versuchte, Favonius geantwortet hatte, schlimmer noch als eine unrechtmäßige Monarchie sei ein Bürgerkrieg, und Statiliur geäußert hatte, der weise und vernünftige Mann habe nicht die Pflicht, um schlechter und unvernünftiger Menschen willen sich in Gefahren und Beunruhigungen zu stürzen. Beiden widersprach der ebenfalls anwesende Labeo. Brutus hielt es für den Augenblick für angebracht, mit seiner Meinung zurückzuhalten, da das Problem zu heikel und schwer entscheidbar wäre; später aber entdeckte er dem Labeo das Vorhaben. Nachdem er sich eifrig zur Teilnahme bereit erklärt hatte, beschloß man weiter, auch den andern Brutus mit dem Beinamen Albinus heranzuziehen, einen sonst zwar nicht besonders mutigen und tatkräftigen Mann, der aber über eine große Zahl von Gladiatoren verfugte, welche er für Spiele in Rom unterhielt, und das Vertrauen Caesars genoß. Als Cassius und Labeo mit ihm redeten, gab er keine Antwort, wandte sich aber dann von sich aus an Brutus, und als er hörte, daß er das Haupt des Unternehmens war, versprach er voll Eifer seine Mitwirkung. Auch die meisten und vornehmsten der übrigen bewog das Ansehen des Brutus zum Beitritt, und obwohl sie weder einander einen Eid leisteten noch sonstwie in religiöser Form eine gegenseitige Verpflichtung eingingen, behielten sie doch die Sache so streng unter sich und wahrten das Geheimnis, daß die T a t , obschon sie durch Orakel, Erscheinungen und andere Zeichen von den Göttern vorverkündigt wurde, doch unglaubwürdig schien. 13. Brutus, der nun die stolzesten, vornehmsten und edelsten Männer Roms in seine Hand gegeben sah und die ganze Größe der Gefahr überschaute, suchte zwar draußen seine Gefühle in sich zu verschließen und ruhig zu erscheinen; zu Hause aber und nachts war er nicht mehr derselbe Mensch, sondern bald weckte ihn wider seinen Willen die Sorge aus dem

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Schlaf, bald - und noch mehr - war er so in seine Gedanken versunken und mit dem Durchdenken der Schwierigkeiten beschäftigt, daß es seiner neben ihm ruhenden Gattin nicht verborgen blieb, daß er von ungewohnter Unruhe erfüllt war und ein höchst schwieriges und nicht leicht zu verwirklichendes Vorhaben in seinem Innern wälzte. Porcia war, wie schon erwähnt wurde, die Tochter Catos, und Brutus, der ihr Vetter war, hatte sie nicht als Jungfrau geheiratet, sondern als Witwe nach dem Tode ihres ersten Mannes. Sie war noch jung und hatte von dem ersten Mann einen kleinen Sohn, namens Bibulus 1 , der später ein kleines Büchlein «Erinnerungen an Brutus» geschrieben hat, welches noch erhalten ist. Porcia hatte ein liebevolles Herz und liebte ihren Mann sehr, war aber auch voll M u t und Stolz, und so unternahm sie es nicht eher, ihren Mann nach seinem Geheimnis zu fragen, als bis sie sich selbst folgender Probe unterzogen hatte. Sie nahm ein Messerchen, wie es die Barbiere zum Abschneiden der Nägel benützen, wies alle ihre Dienerinnen aus dem Zimmer und brachte sich einen tiefen Schnitt in den Schenkel bei, so daß ein starker Bluterguß erfolgte und nach kurzem starke Schmerzen und ein heftiges Wundfieber sich einstellte. Als jetzt Brutus sehr bekümmert und in Sorge war, da sagte sie zu ihm, als ihre Schmerzen den höchsten Grad erreicht hatten: «Ich, mein Brutus, bin die Tochter Catos, und ich bin in dein Haus gegeben worden nicht wie die Beischläferinnen, nur um Tisch und Bett mit dir zu teilen, sondern um Teilnehmerin an deinem Glück, aber auch Teilnehmerin an deinem Unglück zu sein. Von deiner Seite ist alles in unserer Ehe ohne Tadel. Aber von meiner Seite, welche Bewährung, welcher Liebesbeweis liegt da vor, wenn ich nicht einmal ein geheimes Leid, eine Sorge, die der Verschwiegenheit bedarf, mit dir teilen kann? Ich weiß, daß die weibliche Natur für zu schwach gilt, ein Geheimnis zu hüten. Aber, mein Brutus, es gibt auch eine Festi-

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DION UND

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g u n g des Charakters durch g u t e Erziehung und edlen U m gang. Ich habe den Vorzug, die T o c h t e r Catos und die G a t t i n des Brutus zu sein. Hierauf verließ ich mich bislang nicht so sehr; jetzt aber habe ich mich überzeugt, daß ich auch dem Schmerz T r o t z bieten kann.» M i t diesen Worten z e i g t e sie ihm die W u n d e und erzählte ihm von der Probe, die sie mit sich v o r g e n o m m e n hatte. Er w a r erschüttert, hob die H ä n d e e m p o r und betete, die G ö t t e r möchten es ihm g e w ä h r e n , die T a t glücklich zu vollbringen und sich so als ein der Porcia w ü r d i g e r M a n n zu erweisen. Danach w e i h t e er die F r a u in das Geheimnis ein. 1 4 . A l s eine Senatsversammlung angesetzt w a r , zu d e r man das Erscheinen Caesars erwartete, beschlossen sie, ans W e r k zu gehen. Denn, so rechneten sie, sie würden dann alle miteinander unauffällig zur Stelle sein und zugleich alle ersten und vornehmsten M ä n n e r beisammen haben, die, w e n n die große T a t getan wäre, sogleich mit ihnen nach der Freiheit greifen w ü r d e n . Auch schien die Wahl des Ortes durch eine höhere F ü g u n g in ihrem Sinne geschehen: es w a r nämlich eine der Hallen um das T h e a t e r mit einem Saal, in welchem eine Statue des Pompejus stand, ihm von der Stadt gesetzt, als er den O r t mit den Hallen und dem T h e a t e r ausgeschmückt hatte '. In diesen Saal wurde der Senat für die M i t t e des M o n a t s M ä r z berufen - Iden des März nennen die R ö m e r den T a g - , so daß es scheinen konnte, als o b ein G o t t den M a n n der R a che f ü r Pompejus entgegenführte. Als der T a g gekommen war, umgürtete sich B r u t u s unter der T o g a mit einem Dolch - allein seine Frau w u ß t e davon und g i n g aus d e m Hause. Die anderen versammelten sich bei Cassius und begleiteten seinen Sohn, der gerade die sogenannte männliche T o g a anlegen sollte, zum M a r k t . Von dort gingen sie alle in die Halle des Pompejus und verweilten d o r t in der E r w a r t u n g , daß Caesar jeden Augenblick zur Senatsvcr-

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Sammlung erscheinen würde. Da hätte einer, der von der A b sicht der Männer g e w u ß t hätte, ihre Selbstbeherrschung und ihre Festigkeit im Angesicht der Gefahr bewundern müssen, daß sie, da sie w e g e n ihres Praetorenamtes g e n ö t i g t waren, vielen Leuten zur V e r f u g u n g zu stehen, nicht nur die v o r ihnen Auftretenden und miteinander Streitenden gelassen anhörten, als wenn sie mit sonst nichts beschäftigt wären, sondern auch allen mit voller Aufmerksamkeit genaue und wohlerwogene Bescheide erteilten. Als einer, der sich dem erhaltenen Spruch nicht fügen wollte, sich auf Caesar berief und ein lautes, herausforderndes Geschrei erhob, sagte Brutus mit einem Blick auf die Anwesenden: « M i c h hindert Caesar weder, nach den Gesetzen zu verfahren, noch wird er mich daran hindern.» 15. Dabei ereignete sich zufälligerweise vieles, was sie beunruhigen mußte. Erstens und v o r allem, daß Caesar auf sich warten ließ, während schon der T a g vorrückte, und wegen des ungünstigen Ausfalls der Opfer von seiner Frau im Hause festgehalten w u r d e und auch die Seher ihm abrieten auszugehen. Z w e i t e n s trat jemand zu Casca, einem der Mitwisser, faßte seine R e c h t e und sagte: « D u hast mir das Geheimnis verschwiegen, Casca, aber Brutus hat mir alles verraten.» U n d als Casca erschrak, sagte der andere lachend: «Woher bist du denn plötzlich so reich geworden, mein Teurer, daß du dich um das Aedilenamt bewerben willst?» 1 So nahe daran war Casca, durch eine Doppeldeutigkeit getäuscht, das Geheimnis preiszugeben. Brutus und Cassius selbst begrüßte ein M i t glied des Senats, Popilius Laenas, besonders freundlich und flüsterte ihnen leise ins O h r : «Ich wünsche euch von Herzen, daß ihr das durchführt, was ihr im Sinne habt, und ich rate euch, nicht zu zögern; denn die Sache ist kein Geheimnis mehr.» N a c h diesen Worten entfernte er sich und e r w e c k t e in ihnen den A r g w o h n , daß die Sache bekannt geworden sei.

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DION UND B R U T U S Indessen kam von Hause ein Bote zu Brutus gerannt mit

der M e l d u n g , seine Frau liege im Sterben. Denn Porcia w a r in der E r w a r t u n g des Kommenden völlig außer sich, konnte den D r u c k der Sorge nicht mehr ertragen, konnte sich kaum noch im H a u s e halten, fuhr bei jedem Geräusch und Geschrei in die H ö h e w i e die von bacchischer Raserei Besessenen, fragte jeden, der vom M a r k t e hereinkam, w a s Brutus mache, und schickte immerfort einen Boten nach d e m andern ab. Schließlich, als es immer langer dauerte, hielten ihre Körperkräfte nicht m e h r stand, sondern gingen zu Ende u n d schwanden hin, w ä h r e n d das Bewußtsein infolge ihrer V e r s t ö r u n g entwich. Sie konnte nicht mehr in ihr Z i m m e r k o m m e n , sondern es befiel sie, während sie mitten unter den Dienerinnen saß, eine Ohnmacht und schwere Betäubung, alle F a r b e schwand aus ihrem G e s i c h t , und die Sprache war völlig fort. Die Dienerinnen schrien bei dem Anblick laut auf, die Nachbarn kamen v o r d e m Hause zusammengelaufen, und schnell w u r d e das G e rücht laut und verbreitete sich, sie sei gestorben. Sie erholte sich indes bald, k a m wieder zu sich und wurde v o n ihren Frauen u m s o r g t . Brutus erschrak natürlich sehr, als ihm die N a c h richt gebracht w u r d e , aber ließ die gemeinsame Sache nicht im Stich und ließ sich nicht durch den Unfall auf seine persönlichen D i n g e ablenken. 16. N u n m e h r kam aber die M e l d u n g , Caesar nähere sich, auf einer Sänfte getragen. Er hatte sich nämlich, durch die ungünstigen Opfer beunruhigt, entschlossen, f ü r heute keine der wichtigeren Angelegenheiten zu erledigen, sondern sie unter dem V o r w a n d einer Unpäßlichkeit zu verschieben. Als er aus der Sänfte stieg, drängte sich Popilius Laenas an ihn - jener, der kurz vorher Brutus einen guten Erfolg seines Unternehmens g e w ü n s c h t hatte - und sprach längere Z e i t zu Caesar, der stehen blieb und aufmerksam zuhörte. Die Verschworenen - w i r wollen sie doch so nennen

die von den gesproche-

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nen Worten nichts verstanden, aber aus ihrem Argwohn heraus glaubten, daß das Gespräch den Verrat ihres Anschlages bedeute, verloren allen Mut, blickten einander an und verständigten sich durch Mienenspiel, man dürfe nicht warten, bis man verhaftet werde, sondern solle lieber durch eigene Hand sterben. Da Cassius und einige andere schon die Hände an die Dolchgriffe unter der Toga legten, um die Waffe herauszuziehen, erkannte Brutus die Haltung des Laenas als die eines Bittenden, nicht eines Anklagenden, und sagte zwar nichts, weil viele Nichteingeweihte zwischen ihnen standen, machte aber durch ein heiteres Gesicht Cassius und den anderen wieder Mut. Kurz darauf küßte Laenas Caesars rechte Hand und trat beiseite, so daß deutlich wurde, daß er nur für sich und in einer persönlichen Angelegenheit das Gespräch geführt hatte. 17. Nachdem der Senat zuvor in den Saal eingetreten war, stellten sich die anderen Verschworenen um den Sessel Caesars, als ob sie etwas mit ihm besprechen wollten. Cassius, so wird berichtet, wandte sein Gesicht der Statue des Pompejus zu und rief ihn um Beistand an, als ob er hören könnte. Trebonius zog an der T ü r Antonius in ein Gespräch und hielt ihn so draußen fest. Als Caesar eintrat, erhob sich der Senat vor ihm. Als er sich setzte, drängten sich die Verschworenen sofort dicht um ihn herum und schoben aus ihrer Mitte den Tillius Cimber vor, der für seinen in der Verbannung befindlichen Bruder bat. Die anderen baten alle mit, faßten Caesars Hände und küßten seine Brust und sein Haupt. Da er die Bitten zuerst nur ablehnte, dann, als sie nicht nachließen, gewaltsam aufstehen wollte, riß ihm Tillius mit beiden Händen die Toga von den Schultern, und Casca, der hinter ihm stand, zog als erster den Dolch und stieß ihn ihm in die Schulter, aber nicht sehr tief. Als jetzt Caesar den Dolchgriff faßte und laut auf lateinisch rief: «Verfluchter Casca, was tust du da?», rief der seinerseits auf grie-

go

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chisch seinen Bruder an und verlangte Hilfe- von ihm. A b e r schon w u r d e Caesar von vielen Stößen getroffen, und wie er sich rings umblickte, sich hindurchdrängen wollte und nun auch B r u t u s den Dolch gegen sich zücken sah, ließ er die H a n d des Casca, die er noch festhielt, los, zog sich die T o g a über den K o p f und überließ seinen L e i b den Stichen. E n g zusammengedrängt stießen die Verschworenen mit vielen Dolchen blindlings auf den Körper los und v e r w u n d e t e n sich dabei gegenseitig, so daß auch Brutus, der sich an der M o r d t a t beteiligen wollte, einen Stich in die H a n d erhielt und alle mit Blut bespritzt w u r d e n ' . 1 8 . Nachdem Caesar auf diese Weise getötet w a r , trat Brutus in die M i t t e und wollte reden und den Senat mit ermutigenden Worten festhalten. A b e r sie liefen alle in w i l d e r Panik davon, und um die T ü r e n war ein G e d r ä n g e und ein T u m u l t , obschon doch niemand verfolgte oder zur Eile trieb. Denn es war aufs strengste festgesetzt w o r d e n , keinen sonst zu töten, sondern alle zur Freiheit aufzurufen. Alle anderen

hatten

zwar, als man über die T a t beriet, d a f ü r g e s t i m m t , außer Caesar auch Antonius zu ermorden, einen gewalttätigen Mann und F r e u n d der Monarchie, der sich durch seine geschickte A r t , vertraulich mit den Soldaten zu verkehren, eine M a c h t geschaffen hatte, vor allem auch, weil er zu seiner ungestümen und tatendurstigen N a t u r damals auch noch die Konsulwürde innehatte und Caesars Kollege w a r . A b e r B r u t u s hatte sich dem Beschluß widersetzt, erstens, weil er fest auf dem Boden des Rechtes bleiben wollte, zweitens auch, weil er die H o f f n u n g hegte und äußerte, daß Antonius sich wandeln könnte. Denn er verzweifelte nicht daran, daß ein so hochbegabter, ehrgeiziger und ruhmbegieriger Mann, wenn erst Caesar aus der Welt geschafft wäre, sich durch ihr Beispiel für die gute Sache gewinnen lassen und mit H a n d anlegen w ü r d e , dem Vaterlande die Freiheit wiederzugeben. So wurde Anto-

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nius von Brutus gerettet. Damals aber im ersten Schrecken legte er die Kleidung eines schlichten Bürgers an und floh. Brutus und seine Freunde zogen jetzt zum Kapitol, die Arme mit Blut besudelt und die bloßen Dolche vorweisend, und riefen die Bürger zur Freiheit auf. Zuerst gab es ein allgemeines Geschrei, und das regellose Durcheinanderlaufen der Bürger, welches auf das Ereignis folgte, vermehrte noch die Verwirrung. Als aber kein weiterer Mord geschah und keine Plünderung der unbewacht daliegenden Waren erfolgte', faßten die Senatoren wieder Mut und stiegen, gefolgt von vielen einfachen Bürgern, zu den Männern aufs Kapitol hinauf. Als die Menge sich versammelt hatte, hielt Brutus eine dem Geschehenen angepaßte Rede, durch die er das Volk zu gewinnen suchte. Als man Beifall zollte und sie aufforderte herunterzukommen, stiegen sie getrost zum Markt hinab, wobei die anderen sich zusammenhielten, während den Brutus viele der vornehmsten Männer in ihre Mitte nahmen, ihn in glänzendem Zuge von der Burg herabgeleiteten und die Rednerbühne besteigen hießen. Bei diesem Anblick geriet die Masse, obwohl sie durcheinandergewürfelt und bereit war, Lärm zu schlagen, in Furcht und wartete in Ordnung und schweigend ab, was kommen würde. Als er auftrat, hörten alle schweigend die Rede an. Daß aber nicht alle über die Tat erfreut waren, bewiesen sie, als Cinna 1 zu reden und Caesar anzuklagen begann. Sie gerieten in wilden Zorn und überhäuften Cinna mit Schmähungen, woraufhin die Verschworenen wieder zum Kapitol hinaufzogen. Hierauf schickte Brutus, in der Furcht, daß man sie belagern würde, die vornehmen Männer, die mitheraufgekommen waren, wieder fort, weil er es nicht für recht hielt, daß sie, die keinen Teil an der Schuld hatten, sich der Gefahr mitaussetzen sollten. 19. Als jedoch am folgenden Tage der Senat sich im Tempel der Tellus 3 versammelte und Antonius, Plancus und Ci-

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cero v o n Amnestie und Eintracht sprachen, beschloß man, daß den Verschworenen nicht nur Straflosigkeit gewährt werden, sondern daß die Konsuln auch eine Beschlußfassung über Ämter für sie zur Diskussion stellen sollten. Nachdem dies abgemacht war, ging der Senat auseinander, und nachdem Antonius seinen Sohn als Geisel aufs Kapitol hinaufgesandt hatte, kamen Brutus und seine Freunde herunter, und es gab ein allgemeines Begrüßen und Händeschütteln. Antonius nahm den Cassius mit und bewirtete ihn, Lepidus 1 den Brutus, und ebenso verfuhren die anderen, je nachdem, wie sie freundschaftlich oder sonstwie miteinander verbunden waren. Am nächsten Morgen kam der Senat wieder zusammen und faßte zuerst einen Ehrenbeschluß für Antonius, weil er den Ausbruch eines Bürgerkrieges verhütet habe; dann gab es Belobigungen für Brutus und seine anwesenden Freunde, und schließlich folgte die Verteilung von Provinzen. Dem Brutus gab man Kreta, Cassius Afrika, Trebonius Asien, Cimber Bithynien und dem andern Brutus 2 das Gallien am Po. 20. Als hierauf über Caesars Testament und seine Bestattung verhandelt wurde und Antonius dafür eintrat, daß das Testament öffentlich verlesen und das

Leichenbegängnis

nicht in der Stille und ohne Gepränge stattfinden sollte, um nicht auch dadurch das Volk zu reizen, da widersprach Cassius scharf, Brutus aber gab nach und willigte ein, was man ihm als zweiten Fehler anrechnete. Denn schon, daß er Antonius schonte und in ihm den Verschworenen einen mächtigen und nicht leicht zu bekämpfenden Feind entgegenstellte, hatte man ihm zum Vorwurf gemacht, und daß er es nun geschehen ließ, daß die Bestattung in der von Antonius vorgeschlagenen Weise veranstaltet wurde, das erschien als entscheidender Fehlgriff. Denn da erstens in dem Testament jedem römischen Bürger fünfundsiebzig Drachmen ausgesetzt und die Gärten jenseits des Flusses, w o jetzt der Tempel der

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Fortuna steht, dem Volke hinterlassen waren, erfaßte die Bürger eine große Liebe und Sehnsucht nach Caesar. Als sodann der Leichnam auf den Markt gebracht worden war, hielt Antonius nach alter Sitte die Lobrede, und als er bemerkte, wie seine Worte auf die Menge Eindruck machten, legte er es darauf an, das Mitleid noch stärker zu erregen, nahm Caesars blutdurchtränkte Kleider, faltete sie auseinander und zeigte die Durchstiche und die Menge der Wunden. Jetzt sah man nichts mehr in Ordnung vor sich gehen, sondern die einen schrien, man solle die Mörder erschlagen, die anderen rissen - wie es vordem nach der Ermordung des Demagogen Clodius geschehen w a r 1 - aus den Werkstätten die Bänke und Tische heraus, trugen sie an eine Stelle zusammen und schichteten einen riesigen Scheiterhaufen, legten den Leichnam darauf und verbrannten ihn inmitten vieler Tempel und vieler Freistätten und heiligen Orte. Als das Feuer aufloderte, kamen von da und von dort Leute gelaufen, zerrten halbverbrannte Holzstücke heraus und rannten damit zu den Häusern der Mörder, um sie anzustecken. Aber die hatten sich vorher schon wohl verwahrt und wehrten die Gefahr von sich ab. Aber da war ein gewisser Cinna, ein dichterisch begabter M a n n l , der keinen Teil an der Verschwörung gehabt hatte, sondern vielmehr ein Freund Caesars gewesen war. Der hatte geträumt, er würde von Caesar zum Abendessen eingeladen und schlüge es aus, aber Caesar bäte ihn, würde immer dringender und faßte ihn schließlich an der Hand und führte ihn an einen weiten, wüsten, düstern Ort; er folgte wider Willen und voll Grauen. Nach diesem Traume wurde er noch in der Nacht fieberkrank. Trotzdem schämte er sich, als am Morgen das Leichenbegängnis stattfinden sollte, nicht dabei zu sein, und ging hinaus unter das schon wütend werdende Volk. Als man ihn sah, glaubte man, er wäre nicht der Cinna, der er wirklich war, sondern jener Cinna, der vor kurzem Caesar vor

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der V o l k s v e r s a m m l u n g gcschmäht hatte, und so wurde er in Stücke gerissen. 2 1 . Dieser Vorfall war es vor allem, der, nächst dem Stellungswechsel des Antonius, den Brutus und seine F r e u n d e in F u r c h t versetzte, und so entwichen sie aus der Stadt und hielten sich fürs erste in Antium auf, u m , wenn die V o l k s w u t den H ö h e p u n k t überschritte und verrauchte, wieder nach R o m zurückzukehren, und zwar erwarteten sie, daß dies bei einer u n b e s t ä n d i g e n , in ihren N e i g u n g e n schnellem Wechsel unterworfenen V o l k s m e n g e leicht geschehen w e r d e , zumal sie auch den Senat ganz auf ihrer Seite hatten, welcher z w a r die L e u t e , die den Cinna zerrissen hatten, nicht weiter verfolgte, aber diejenigen, welche die Häuser der Verschworenen angegriffen hatten, aufspüren und gefangen setzen ließ. Auch nahm das V o l k schon Anstoß an Antonius, der eine beinahe monarchische Machtstellung einzunehmen begann, und äußerte Verlangen nach Brutus, und man e r w a r t e t e , daß er die Spiele, die er als Praetor zu geben hatte, in eigener Person halten werde. Da er jedoch erfuhr, daß viele der alten Soldaten Caesars, die durch ihn Land und Städte zugewiesen erhalten hatten, ihm nach dem Leben trachteten und in kleinen G r u p pen in die Stadt einsickerten, so w a g t e er es nicht, nach R o m zu k o m m e n , und das Volk bekam die Spiele in seiner A b w e senheit zu sehen, welche er ohne jede Rücksicht auf die K a sten und mit großem Prunk veranstalten ließ. E r hatte nämlich eine große M e n g e wilder Tiere zusammengekauft und ordnete an, keins derselben wieder zu verkaufen oder übrigzulassen, sondern alle zu verbrauchen. Die Künstler f ü r die TheateraufFührungen hatte er bei einer zu diesem Z w e c k unternommenen Reise nach Neapolis größtenteils selbst angeworben, und in bezug auf einen gewissen Canutius, der damals auf den Bühnen besonders gefeiert wurde, schrieb er an seine F r e u n d e , sie sollten ihn gütlich dafür gewinnen aufzu-

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treten; denn es schicktc sich nicht, gegen einen Griechen G e waltmittel anzuwenden. E r schrieb auch an C i c e r o und bat ihn, auf jeden Fall den Spielen beizuwohnen 22. Bei dieser L a g e der Dinge trat eine abermalige Veränd e r u n g ein, als der j u n g e Caesar nach R o m k a m . E r w a r der Sohn einer Schwestertochter C a e s a r s 1 und von i h m in seinem T e s t a m e n t adoptiert und zum Erben eingesetzt worden. Als Caesar ermordet w u r d e , lebte er in A p o l l o n i a 3 , mit seiner wissenschaftlichen Ausbildung beschäftigt, und w a r t e t e auf Caesar, der alsbald einen Feldzug gegen die Parther anzutreten entschlossen war. Sowie er nun die Nachricht von dem T o d e Caesars erhielt, kam er nach R o m , nahm - seine erste Maßnahme, u m die G u n s t des Volkes zu gewinnen - den N a men Caesars an, verteilte das hinterlassene G e l d an die Bürger, w o m i t er den Antonius ausstach, gewann auch durch reichliche Geldspenden viele der alten Soldaten Caesars u n d sammelte sie um sich. Als auch Cicero aus Haß gegen A n t o nius sich für den jungen Caesar einsetzte, machte ihm Brutus die schwersten Vorwürfe. Er schrieb, Cicero lehne es nicht überhaupt ab, einen Herrn über sich zu haben, sondern fürchte nur einen Herrn, der ihn hasse; seine Politik ziele nur darauf, sich f ü r eine gelinde Knechtschaft zu entscheiden, w e n n er sage und schreibe, daß Caesar ein rechtschaffener M a n n sei; unsere Vorfahren, sagt er, haben nicht einmal ihre Väter als Herren über sich geduldet; er für seine Person sei im gegenwärtigen Augenblick noch nicht fest entschlossen, ob er K r i e g anfangen oder sich ruhig halten solle; nur eines stehe f ü r ihn unverrückt fest: nicht Sklave zu sein; er w u n d e r e sich über Cicero, daß er einen gefahrvollen Bürgerkrieg scheue, aber keine F u r c h t vor einem schimpflichen und ehrlosen Frieden habe, u n d daß er als Lohn dafür, daß er die G e w a l t h e r r schaft des Antonius gestürzt habe, nichts anderes verlange, als Caesar als Gewaltherrn einsetzen zu d ü r f e n 4 .

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DION UND B R U T U S In solchcr Weise äußert sich Brutus in seinen ersten

Briefen. Als aber nunmehr die Parteien sich schieden und teils zu Caesar, teils zu Antonius traten, als die Heere käuflich waren und wie bei einer Versteigerung an den Meistbietenden ausgeboten wurden, da verzweifelte er endgültig an einer gesunden Entwicklung der Dinge und beschloß, Italien zu verlassen. E r reiste auf dem Landwege durch Lucanien und erreichte bei Velia 1 die Küste. Von dort sollte Porcia wieder nach R o m zurückreisen und versuchte zwar, ihre schmerzlichen Gefühle zu verbergen, aber ein Gemälde verriet sie, so tapfer sie im übrigen auch war. Es war eine Darstellung aus der griechischen Sagengeschichte: Hektors Abschied von Andromache, die das Kind von ihm in Empfang nimmt und ihn dabei anblickt. Als Porcia dieses Bild betrachtete, rührte der Ausdruck des Gefühls darin sie zu Tränen, und öfters am T a g e ging sie hin und weinte. Als Acilius, einer von Brutus' Freunden, dabei die Verse zitierte, die Andromache zu Hektor s p r i c h t 1 : «Hektor, siehe, du bist mir Vater, du bist mir die Mutter, Auch der Bruder dazu, du bist mein blühender G a t t e » , sagte Brutus darauf lächelnd: « A b e r mir fällt es nicht bei, an Porcia die Worte Hektors zu

richten:

« G e h e du nun ins Haus und besorge deine Geschäfte, Spindel und Webestuhl, und gebiete den dienenden Weibern, Fleißig am Werke zu sein; der Krieg ist Sache der Männer.» Denn nur die natürliche Schwäche ihres Körpers hindert sie an gleichen T a t e n ; mit ihrem Geist kämpft sie für das Vaterland wie wir.» Das hat Porcias Sohn Bibulus erzählt. 24. Von Velia ging Brutus in See nach Athen. Das Volk empfing ihn freudig mit guten Wünschen und Beschlüssen zu seinen Ehren, und er wohnte bei einem Gastfreund, hörte den Akademiker Theomnestos und den Peripatetiker Kratippos,

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philosophierte mit ihnen und gab sich den Anschein völliger Untätigkeit und Muße. Doch betrieb er unauffällig die Vorbereitungen zum Kriege. Er schickte Herostratos nach Makedonien, um die Führer der dort stehenden Heere auf seine Seite zu ziehen, gewann die in Athen studierenden jungen Römer und hielt sie zusammen. Zu ihnen gehörte auch Ciceros Sohn, den er außerordentlich lobt und sagt, ob er wache oder träume, bewundere er ihn, daß er so edel und ein solcher Hasser der Tyrannen sei. Als er dann offen ans Werk zu gehen begann und erfuhr, daß einige mit Geld beladene römische Schiffe aus Asien heranscgelten unter dem Kommando des Apuleius, eines ihm wohlbekannten vornehmen Mannes, fuhr er ihm nach Karystos 1 entgegen, verhandelte mit ihm und erreichte, daß er ihm die Schiffe übergab. Darauf veranstaltet^ er ein glänzendes Gastmahl; es war nämlich gerade Brutus' Geburtstag. Als es nun ans Trinken ging und auf den Sieg des Brutus und die Freiheit der Römer Trinksprüche ausgebracht wurden, ließ er, um die Stimmung der Gäste noch mehr zu erhöhen, einen größeren Becher kommen, nahm ihn und sprach plötzlich, ohne den geringsten Anlaß, den folgenden Vers: « Mich hat ein böses Geschick und der Sohn der Leto getötet. 1 » Dazu erzählt man noch, er habe, als er zur letzten Schlacht bei Philippi ausrückte, seinen Soldaten die Losung «Apollon» gegeben. Daher nimmt man das Zitieren jenes Verses als eine Vorbedeutung der Niederlage. 25. Hierauflieferte ihm auch Antistius von dem Gelde, das er nach Italien zu bringen hatte, fünfhunderttausend aus, und alle ehemaligen Soldaten des Pompejus, die sich noch in Thessalien herumtrieben, liefen ihm freudig zu. Dem Cinna nahm er fünfhundert Reiter ab, die er zu Dolabella nach Asien führen sollte. Dann fuhr er nach Demetrias' und bemächtigte

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sich einer großen M e n g e Waffen, die dort im A u f t r a g e des älteren Caesar für den parthischen K r i e g hergestellt w o r d e n waren und nun dem Antonius z u g e f ü h r t w e r d e n sollten. Als ihm schon der Praetor Hortensius Makedonien übergeben hatte und die Könige und Fürsten rings im Kreise sich zusammentaten und ihm anschlössen, erhielt er die N a c h richt, daß Antonius' Bruder Gajus von Italien herübergekommen sei und sich stracks auf den W e g zu den T r u p p e n gemacht habe, die unter dem Befehl des Vatinius bei Epidamnos und Apollonia s t a n d e n 1 . In der Absicht, ihm zuvorzukommen, setzte Brutus die Mannschaften, die er z u r V e r f ü g u n g hatte, unverzüglich in Marsch, zog bei h e f t i g e m Schneegestöber durch schwieriges Gebirgsland und eilte den Proviantkolonnen w e i t voraus. Als er schon in der N ä h e von Epidamnos w a r , wurde er infolge der Erschöpfung und der Kälte v o n Heißhunger befallen. Dieser Schwächezustand befällt T i e r e wie

Menschen

besonders

bei

schwerer

Anstrengung

im

Schneewetter, sei es daß die W ä r m e , wenn sie durch die Kältew i r k u n g von außen und die Verdichtung des K ö r p e r s ganz in seinem Innern zusammengedrängt wird, die N a h r u n g in beschleunigtem T e m p o verzehrt, oder daß ein von dem schmelzenden Schnee ausgehender scharfer und feiner D u n s t in den Körper eindringt und die aus ihm heraustretende W ä r m e zergehen läßt. Denn auch die Schweißausscheidung rührt, so scheint es, davon her, daß die Wärme bei der B e g e g n u n g mit der Kälte auf der Oberfläche des Körpers abgelöscht w i r d . Hierüber ist in einer anderen Schrift schon eingehender behandelt w o r d e n 1 . 26. Als Brutus ohnmächtig wurde und niemand im Heer etwas Eßbares bei sich hatte, sahen sich seine L e u t e gezwungen, ihre Z u f l u c h t zu den Feinden zu nehmen. Sie gingen an die T o r e und baten die Wächter um Brot. Als die von dem bedenklichen Zustand des Brutus hörten, kamen sie selbst

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und brachten Essen und Trinken. Zum Entgelt dafür verfuhr Brutus, nachdem er die Stadt in seine Gewalt bekommen hatte, nicht nur mit diesen Leuten, sondern um ihretwillen auch mit allen anderen sehr milde. Indessen rückte Gajus Antonius vor Apollonia und forderte die in der Nähe lagernden Truppen auf, zu ihm zu stoßen. Da aber diese sowohl zu Brutus übergingen als auch die Bürger von Apollonia, wie Antonius bemerken mußte, auf der Seite des Brutus standen, so zog er von der Stadt ab auf Buthroton'. Dabei verlor er zuerst drei Kohorten, die unterwegs von Brutus zusammen gehauen wurden. Als er dann durch das Gebiet von Byllis, das von den Feinden vorweg besetzt war, durchzubrechen versuchte und Cicero ein Gefecht lieferte, wurde er geschlagen; denn diesen benützte Brutus als Unterführer und errang durch ihn viele Erfolge. Dann faßte er Gajus in einer sumpfigen Gegend, wo sein Heer sich weit auseinandergezogen hatte, und ließ nicht sogleich angreifen, sondern umkreiste den Feind mit seiner Reiterei und befahl, die Leute zu schonen, da sie binnen kurzem die ihrigen sein würden. Das geschah auch, denn sie ergaben sich mitsamt ihrem Feldherm, so daß Brutus nun schon eine starke Streitmacht zu seiner Verfügung hatte. Lange Zeit hielt er den Gajus in Ehren und nahm ihm auch die Abzeichen seines Amtes 1 nicht ab, obschon, wie es heißt, viele Leute und unter ihnen auch Cicero aus Rom ihm schrieben und forderten, er sollte ihn töten 3 . Als er aber anfing, heimlich mit den Offizieren Verbindung aufzunehmen, und eine Meuterei anstiftete, ließ er ihn auf ein Schiff bringen und dort gefangen halten, und als die verführten Soldaten sich nach Apollonia schlugen und Brutus aufforderten, dorthin zu kommen, antwortete er ihnen, das sei nicht Brauch bei den Römern, sondern sie sollten ihrerseits zu ihrem Feldherrn kommen und ihn wegen ihrer Verfehlungen um Gnade bitten. Als sie kamen und baten, gewährte er ihnen Verzeihung.

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27. Im Begriff, nach Asien hinüberzugehen, erhielt er die Nachricht von dem Umschwung in Rom. Der junge Caesar war vom Senat gegen Antonius emporgehoben worden, war aber nun, nachdem er jenen aus Italien vertrieben hatte, selbst eine Gefahr, bewarb sich wider das Gesetz um das Konsulat und unterhielt große Armeen, deren der Staat durchaus nicht mehr bedurfte. Als er nun sah, daß der Senat das sehr übel aufnahm und sein Augenmerk nach draußen auf Brutus richtete und ihm Provinzen zuwies und bestätigte, wurde er besorgt, knüpfte mit Antonius Verhandlungen an, schloß mit seinen Heeren die Stadt ein und erlangte das Konsulat, obgleich er noch kaum das Jünglingsalter erreicht hatte, sondern im zwanzigsten Lebensjahr stand, wie er selbst in seinen Denkwürdigkeiten erzählt hat 1 . Sofort ließ er nun Mordklagen gegen Brutus und seine Mitverschworenen einleiten, daß sie den ersten Mann, während er die höchsten Ämter bekleidete, ohne Gericht und Urteil getötet hätten. Als Ankläger gegen Brutus stellte er den Lucius Comificius auf, gegen Cassius den Marcus Agrippa 1 , und die Angeklagten wurden in Abwesenheit verurteilt, die Richter gezwungen, ihre Stimme abzugeben. Man erzählt, als der Herold in hergebrachter Weise vom Tribunal aus den Brutus vor Gericht forderte, habe die Menge hörbar geseufzt, die Vornehmen hätten wortlos zu Boden geschaut, und den Publius Silicius habe man weinen sehen. Aus diesem Grunde sei er wenig später auf die Liste der Geächteten und zum Tode Verurteilten gesetzt worden. Hierauf versöhnten sich die drei, Caesar, Antonius und Lepidus, verteilten die Provinzen unter sich und ordneten die Ächtung und Ermordung von zweihundert Männem an, unter denen auch Cicero den T o d fand. 28. Als diese Nachrichten nach Makedonien kamen, schrieb Brutus notgedrungen an Hortensius, er solle den Gajus Antonius hinrichten lassen, um Rache zu nehmen für Brutus 1 und

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Cicero, von denen dieser sein Freund, jener sein Verwandter gewesen war. Deshalb ließ später Antonius den Hortensius, nachdem er ihn bei Philippi gefangengenommen hatte, am Grabe seines Bruders abschlachten. Brutus sagt übrigens, er empfinde mehr Scham über die Ursache des Todes Ciceros als Schmerz über dieses Geschehen selbst, und er schiebe die Schuld daran auf die Freunde in Rom; denn sie seien Sklaven mehr durch ihre eigene Schuld als durch die ihrer Beherrscher und sie ertrügen es, daß in ihrer Anwesenheit und vor ihren Augen Dinge geschähen, von denen auch nur zu hören, ihnen unerträglich sein mußte. Nachdem er sein schon recht ansehnliches Heer nach Asien übergesetzt hatte, ließ er in Bithynien und bei Kyzikos eine Flotte bauen, während er selbst zu Lande in den Städten Ordnung schuf und mit den Machthabern verhandelte. Zugleich schickte er eine Botschaft an Cassius nach Syrien, um ihn vom weiteren Vordringen nach Ägypten abzurufen 1 : Sie zögen ja nicht umher, um sich ein Reich zu erobern, sondern um das Vaterland zu befreien und die Heeresmacht zusammenzubringen, durch die sie die Tyrannen stürzen könnten; sie dürften, eingedenk dieser Aufgabe und sich fest an sie haltend, sich nicht weit von Italien entfernen, sondern müßten dorthin eilen und ihren Mitbürgern Hilfe bringen. Als Cassius diese Mahnung befolgte und herangezogen kam, ging er ihm entgegen, und sie trafen sich bei Smyrna, zum ersten Mal, seit sie sich im Piräus getrennt hatten und der eine nach Syrien, der andere nach Makedonien gezogen waren. Groß war nun ihre Freude und Zuversicht angesichts der Macht, über die sie beide geboten. Denn nachdem sie Italien verlassen hatten wie die verachtetsten Flüchtlinge, ohne Geld und ohne Waffen, ohne auch nur ein einfaches RuderschifF, auch nur einen Soldaten, eine Stadt zu besitzen, kamen sie nach Verlauf einer gar nicht langen Zeit zusammen als Gebieter über eine Flotte, ein Land-

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hccr, eine R e i t e r e i und G e l d m i t t e l , die sie i n s t a n d s e t z t e n , den

Kampf um das römische Reich aufzunehmen. 29. Cassius war gewillt, dem Brutus ebensoviel Ehre zu erweisen wie von ihm zu empfangen; dieser aber beeilte sich, in den meisten Fällen zu Cassius zu gehen, der älter war als er und dessen Körper nicht mehr in gleichem Maße den Strapazen gewachsen war. Cassius stand in dem Ruf, ein gewaltiger Kriegsmann zu sein, aber unbeherrscht in seinem Zorn und gewillt, mehr durch Furcht zu herrschen, und allzu geneigt, sich über seine Freunde lustig zu machen und sie zu verspotten. Von Brutus hingegen sagte man, daß er wegen seiner edlen Gesinnung von der Menge hochgeschätzt, von seinen Freunden geliebt, von den Vornehmen bewundert und selbst von seinen Feinden nicht gehaßt wurde, weil er in ungewöhnlichem Maße gütig und edeldenkend war und sich weder von Zorn noch von Genußsucht oder Geldgier anfechten ließ und seine Auffassung von dem, was gut und gerecht sei, stets fest und unbeugsam aufrechthielt. Was aber seine Beliebtheit und sein Ansehen am sichersten begründete, das war das Vertrauen in seine Absichten. War man doch selbst bei jenem großen Pompejus keineswegs davon überzeugt, daß er, wenn er Caesar besiegt hätte, auf die Macht zugunsten der Gesetze verzichten, sondern daß er sie für immer festhalten und das Volk durch den Namen eines Konsulats oder einer Diktatur oder eines andern, noch weniger aufreizend klingenden Amtes beschwichtigen würde, und von diesem Cassius, einem leidenschaftlichen, jähzornigen Mann, der bei jeder Gelegenheit, wo ihm Gewinn winkte, sich über das Recht hinwegsetzte, glaubte man alles andere eher, als daß er Krieg führe, umherzöge und sich in Gefahren stürze, um seinen Mitbürgern die Freiheit zu erwerben, nicht vielmehr eine Herrschaft für sich selbst. Denn was diesen Männern noch vorausgegangen war, die Leute vom Schlage Cinna, Marius und Carbo 1 , hatten ja

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geradezu das Vaterland flir einen Siegespreis und eine Beute angesehen und beinahe eingestandenermaßen miteinander um die Alleinherrschaft gestritten. Brutus hingegen, so sagt man, machten selbst seine Feinde nicht einen solchen Vorwurf, und den Antonius haben sogar viele sagen hören, er glaube allein von Brutus, daß er sich, weil er die Tat für groß und edel hielt, habe bestimmen lassen, gegen Caesar vorzugehen; die anderen hätten sich nur aus Haß und Neid gegen den Mann zusammengetan. Daher setzte auch Brutus - wie aus seinen Briefen deutlich zu ersehen ist - seine Zuversicht nicht so sehr auf seine Macht wie auf die Gerechtigkeit seiner Sache. So schreibt er an A t t i c u s a l s er schon der Stunde der Entscheidung entgegenging, um sein persönliches Schicksal sei es aufs beste bestellt: entweder werde er siegen und das römische Volk befreien, oder, wenn er fiele, vor der Knechtschaft bewahrt bleiben; alles andere sei für sie sicher und fest entschieden, ungewiß nur dies eine, ob sie in Freiheit leben oder sterben würden. Marcus Antonius, sagt er weiter, empfange für seinen Unverstand die verdiente Strafe, daß er, der in einer Reihe mit den Brutus, Cassius und Cato hätte stehen können, sich zum Anhängsel eines Octavius hergegeben habe; wenn er jetzt nicht mit ihm geschlagen würde, so werde er wenig später mit ihm kämpfen müssen. Da hat er offenbar die Zukunft richtig vorausgesagt. 30. In Smyrna verlangte Brutus, von den großen Geldsummen, die Cassius zusammengebracht hatte, einen Teil zu erhalten, denn er habe das Geld, das er hatte, auf den Bau der großen Flotte verbraucht, durch die sie das ganze Mittelmeer beherrschen würden. Den Cassius wollten seine Freunde zwar davon abhalten, etwas abzugeben, und sie sagten, es sei nicht recht und billig, daß Brutus das, was Cassius erspart und um den Preis des Hasses zusammengebracht habe, nun bekomme, um sich damit bei seinen Soldaten beliebt zu ma-

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c h e n ; abcrCassius gab ihm doch den dritten Teil der Gesamt-

summe. Hierauftrennten sie sich wieder und wandten sich jeder den ihm obliegenden Unternehmungen zu. Cassius eroberte Rhodos und verfuhr dabei mit großer Härte, obschon er bei seinem Einzüge zu den Leuten, die ihn als König und Herr begrüßten, gesagt hatte: «Ich bin weder König noch Herr, sondern derjenige, der den Herrn und König getötet und bestraft hat.» Brutus forderte von den Lykiern' Geld und Truppen. Als darauf der Demagoge Naukrates die Städte verleitete, sich von Brutus loszusagen, und sie gewisse Höhenstellungen besetzten, um ihm den Einmarsch zu verwehren, sandte er zuerst, während sie bei der Mahlzeit waren, eine Abteilung Reiter gegen sie aus, von der sechshundert Mann niedergehauen wurden. Dann nahm er einige feste Plätze und kleine Städte und ließ alle Gefangenen ohne Lösegeld frei, um so das Volk im guten auf seine Seite zu ziehen. Aber die Leute waren trotzig, empörten sich über den Schaden, der ihnen zugefügt wurde, und achteten die Milde und Menschlichkeit, mit der sie behandelt wurden, für nichts, bis Brutus ihre streitbarsten Mannschaften in Xanthos* zusammentrieb und belagerte. Jetzt suchten sie in dem Fluß, der an der Stadt vorbeifließt, unter Wasser schwimmend, zu entkommen. Aber sie wurden mit Hilfe von Netzen gefangen, die quer über den Fluß in die Tiefe gelassen wurden und an denen oben Schcllen angebracht waren, die sofort jeden meldeten, der sich in ihnen verfing. Als dann die Xanthier bei einem nächtlichen Ausfall die Belagerungsmaschinen berannten und in Brand steckten, aber von den Römern, die das rechtzeitig bemerkten, gegen die Mauer gedrängt wurden und ein heftiger Wind die Flammen gegen die Zinnen jagte, so daß sie die nächstgelegenen Häuser erfaßten, da geriet Brutus in Angst um die Stadt und befahl seinen Leuten, zu Hilfe zu eilen und zu löschen.

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31. Aber die Lykier erfaßte plötzlich eine wilde, jeder Besinnung spottende Wut der Verzweiflung, die man am ehesten eine Todesbegier nennen könnte. Sie schössen mitsamt Weibern und Kindern, Freien, Sklaven und Menschen jeden Alters, von den Mauern herunter auf die Feinde, welche beim Löschen des Feuers helfen wollten, brachten selber Rohr, Holz und jede Art von Brennmaterial heran und leiteten das Feuer in die Stadt, reichten ihm jede Art von Nahrung und schürten und fachten es auf jede Weise an. Wie die Flammen sich ausbreiteten, die Stadt von allen Seiten umgaben und mächtig aufloderten, kam Brutus in schmerzlicher Erregung über das Geschehende und mit dem dringenden Wunsch zu helfen von draußen herangeritten, streckte die Hände gegen die Xanthier aus und bat sie, ihre Stadt zu schonen und zu erhalten. Aber keiner achtete auf ihn, sondern sie suchten sich auf jede Weise selbst umzubringen, nicht nur Männer und Frauen, sondern auch die kleinen Kinder sprangen mit Geschrei und Geheul in die Flammen oder stürzten sich oben von den Mauern hinunter in den Tod, oder sie entblößten ihre Hälse und boten sie den Schwertern ihrer Väter dar mit der Bitte, sie zu durchbohren. Nachdem die Stadt schon vernichtet war, fand man eine Frau, wie sie in der Schlinge hing, ihr totes Kind am Halse hängen hatte und mit einer brennenden Fackel das Haus anzündete. Es war ein tragisches Schauspiel. Brutus vermochte es nicht mit anzusehen, er weinte, als er davon hörte, und ließ durch Heroldsruf jedem Soldaten, der einen Lykier retten könnte, eine Belohnung versprechen. Aber es heißt, daß es nur hundertfünfzig waren, die sich nicht der Rettung entzogen. So fügten sich die Xanthier nach einem langen Zeitraum in eine gleichsam über sie verhängte Wiederkehr der Vernichtung und riefen mit ihrem wilden Mut die Erinnerung an das Schicksal ihrer Vorfahren wieder herauf. Denn auch diese hatten einst in der Perserzeit auf die gleiche

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Weise ihre S t a d t angezündet u n d sich selbst d e n T o d ge-

geben 1 . 32. Als hierauf Brutus die Stadt Patara 1 ebenfalls ihm Trotz bieten sah, zögerte er, sie anzugreifen, und war sich nicht recht im klaren, weil er dieselbe Verzweiflung fürchtete, ließ aber einige Frauen aus ihr, die sich bei ihm in Gefangenschaft befanden, ohne Lösegeld frei. Die Frauen, welche Gattinnen und Töchter vornehmer Männer waren, schilderten diesen den Brutus als den maßvollsten und gerechtesten Mann und beredeten sie, nachzugeben und Brutus die Stadt auszuliefern. Hierauf schlössen sich auch alle anderen Gemeinden Brutus an, ergaben sich ihm und fanden ihn mild und über Erwarten entgegenkommend. Denn während Cassius zur gleichen Zeit die Rhodier zwang, allen privaten Besitz an Gold und Silber, den die einzelnen Bürger hatten, abzuliefern - wodurch an die achttausend Talente zusammenkamen und die Gemeinde als solche mit weiteren fünfhundert Talenten bestrafte, trieb Brutus von den Lykiern nur hundertfünfzig Talente ein und brach dann, ohne ihnen etwas zuleide zu tun, nach Ionien auf. 33. Viele denkwürdige Handlungen verrichtete Brutus damals, belohnte und bestrafte nach Verdienst. Woran er aber selbst die größte Freude hatte und ebenso die edelsten Römer, das will ich erzählen J . Als Pompejus Magnus im Begriff war, bei Pelusion in Ägypten zu landen, nachdem er die große Schlacht verloren hatte und vor Caesar auf der Flucht war, hielten die Vormünder des noch im kindlichen Alter stehenden Königs mit ihren Freunden Rat und konnten mit ihren Meinungen nicht übereinkommen. Denn die einen waren dafür, den Mann aufzunehmen, die anderen, ihn von Ägypten abzuweisen. Da erklärte ein Theodotos von Chios, der als Lehrer der Redekunst gegen Bezahlung für den König angestellt war und damals in Ermangelung besserer Männer der Teilnahme an der Beratung gewürdigt worden war, beide Meinungen

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seien irrig, sowohl diejenige, die den Pompejus aufzunehmen, wie die andere, die ihn abzuweisen riete; nur eins sei in der gegenwärtigen Lage nutzbringend: ihn aufzunehmen und zu töten ; und am Ende seiner Rede sagte er noch: ein Toter beiße nicht. Der Rat stimmte dem Vorschlag zu, und so lag alsbald Pompejus Magnus am Boden, ein Beispiel des Zusammenwirkens unglaubhafter, unvorsehbarer Faktoren, ein Opfer der Beredsamkeit und Überzeugungskunst des Theodotos, wie der Sophist selber ruhmredig versicherte. Als wenig später Caesar herzukam, erhielten die anderen Bösewichter ihre Strafe und fanden ein böses Ende. Nur Theodotos bekam vom Schicksal noch eine Frist für ein ruhmloses, kümmerliches und unstetes Leben zugebilligt; als aber jetzt Brutus nach Asien kam, da entrann er nicht, sondern er wurde aufgebracht und bestraft, so daß er durch seinen T o d einen größeren Namen bekam als durch sein Leben. 34. Nunmehr rief Brutus den Cassius nach Sardes und ging ihm, als er herankam, mit seinen Freunden entgegen, und das ganze Heer, in voller Rüstung aufmarschiert, rief beide zu Imperatoren aus. Da nun, wie es bei so bedeutenden Unternehmungen und so vielen Freunden und Unterführern unausbleiblich war, allerlei Beschuldigungen und Vorwürfe gegeneinander aufgekommen waren, so kamen sie, bevor sie irgend etwas anderes taten, gleich vom Marsch aus allein in einem Hause zusammen und richteten bei verschlossenen Türen und ohne Anwesenheit eines dritten zuerst Vorwürfe gegeneinander, dann heftige Beschwerden und Anklagen. Als sie sich hierauf bis zu Tränen und zu leidenschaftlicher Offenheit in ihren Äußerungen hinreißen ließen, staunten die Freunde über die Hitze und die Schärfe des Tones und fürchteten, daß etwas Übles daraus entstehen könnte; doch war der Eintritt streng verboten. Aber Favonius, der ein Bewunderer Catos gewesen war, aber weniger mit dem Verstand als in blindem Drang und

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lcidcnschaftlichcr Hitze philosophiertet versuchte jetzt trotz des Widerstandes der Diener, hineinzugehen. Es war jedoch keine leichte Sache, Favonius, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, davon abzubringen, denn er war in allem heftig und draufgängerisch. Daß er Mitglied des römischen Senates war, daraus machte er sich gar nichts, aber durch den gröblichen Ton nahm er seiner Offenheit oft die Schärfe, so daß man seine unzeitige Plumpheit scherzhaft aufnahm. So drängte er sich jetzt mit Gewalt durch die Anwesenden, riß die T ü r auf und drang ein, indem er mit künstlich erhobener Stimme die Verse zitierte, die Homer dem Nestor in den Mund gelegt hat: «Höret auf mich, da ihr ja beide jünger als ich seid» und so weiter 1 . Darüber brach Cassius in ein Gelächter aus, aber Brutus warf ihn hinaus und nannte ihn einen allzu simplen und einen falschen Kyniker. Doch machten sie für diesmal ihrem Streit ein Ende und gingen sogleich auseinander. Als darauf Cassius ein Eissen gab, lud auch Brutus seine Freunde dazu, und da sie sich schon zum Mahle niedergelegt hatten, erschien Favonius, frisch gebadet. Brutus rief laut, er komme ungeladen, und forderte ihn auf, sich zum obersten Sitz zu scheren; aber Favonius drängte sich mit Gewalt zum mittelsten und ließ sich da nieder, und das Trinkgelage verlief dann unter nicht unwitzigen, nicht geistlosen Scherzen. 35. Am folgenden Tage hielt Brutus Gericht über einen Römer, der schon Praetor gewesen war, eine Vertrauensstellung bei ihm innegehabt hatte und von der Stadt Sardes wegen Unterschlagung angeklagt war, Lucius Ocella, verurteilte ihn und nahm ihm seine Würde. Das kränkte den Cassius nicht wenig, denn er selbst hatte wenige Tage vorher zwei Freunde, die derselben Vergehungen überführt worden waren, nur privatim zurechtgewiesen, sie aber öffentlich freigesprochen und in ihrer Stellung belassen. Daher machte er Brutus Vorwürfe,

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daß er sich allzu streng an Gesetz und Recht hielte, zu einer Zeit, die eine kluge Politik und Nachsicht erfordere. Brutus aber mahnte ihn, jener Iden des März zu gedenken, an denen sie Caesar ermordet hätten, der selbst nicht alle Menschen ausplünderte, sondern es nur geschehen ließ, daß andere das taten. Wenn es einen schicklichen Vorwand gäbe, unter dessen Schutz man das Recht außer acht lassen könne, so wäre es besser gewesen, die Freunde Caesars zu ertragen, als es geschehen zu lassen, daß die eigenen Freunde Unrecht täten. «In jenem Falle », sagte er, « hätte uns nur der Vorwurf der Feigheit getroffen; jetzt trifft uns bei allen unsern Mühen und Gefahren der Vorwurf der Ungerechtigkeit». So war der Standpunkt des Brutus. 36. Als sie im Begriffe waren, aus Asien nach Europa überzusetzen, wurde dem Brutus, wie man erzählt, ein bedeutsames Vorzeichen zuteil'. Von Natur war er wenig schlafbedürftig und hatte durch Übung und festen Willen den Schlaf auf eine ganz kurze Zeit eingeschränkt. Am Tage schlief er niemals, und nachts räumte er der Ruhe nur soviel Zeit ein, als er nichts tun noch mit jemand reden konnte, weil alles schlief. Jetzt aber, da er nach dem Ausbruch des Krieges die Leitung des Ganzen in seiner Hand hatte und durch die Sorge um die Zukunft in steter Spannung erhalten wurde, pflegte er, sobald er nach der Abendmahlzeit nur ein wenig geschlummert hatte, den Rest der Nacht für die dringendsten Geschäfte zu verwenden. Wenn er diese Arbeit aber erledigt und zu Ende geführt hatte, las er ein Buch bis an die dritte Nachtwache, zu der die Centurionen und Kriegstribunen zu ihm zu kommen pflegten. Als er nun im Begriff war, das Heer aus Asien nach Europa überzusetzen, da war es tiefe Nacht, sein Zelt war nur schwach beleuchtet, und Stille herrschte im ganzen Lager. Da glaubte Brutus, während er etwas überlegte und in Gedanken versunken war, jemand eintreten zu hören. Nach dem Ein-

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g a n g h i n b l i c k e n d , s i e h t er die g r a u s i g e , s e l t s a m e E r s c h e i n u n g

einer fremdartigen, furchtbaren Gestalt schweigend neben sich stehen. Er wagt sie zu fragen: «Wer bist du, Mensch oder Gott? Was willst du, daß du zu mir kommst?» Da antwortet ihm das Gespenst: «Dein böser Geist. Brutus. Bei Philippi wirst du mich sehen.» Und Brutus erwidert unerschüttert: «Ja, ich werde es.» 37. Nachdem das Gespenst verschwunden war, rief er seine Diener, und da sie sagten, sie hätten weder etwas gehört noch gesehen, blieb er weiter wach. Sobald es Tag war, begab er sich zu Cassius und erzählte ihm von der Erscheinung. Dieser, der sich zu den Lehren Epikurs bekannte und darüber mit Brutus zu streiten pflegte, sagte: «Unsere Lehre, lieber Brutus, geht dahin, daß wir nicht alles in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit wahrnehmen und sehen, sondern daß die Wahrnehmung etwas Wandelbares und Trügerisches ist; noch schneller aber ist unser Geist befähigt, sich zu bewegen und von nichts wirklich Vorhandenem aus jegliche Gestalt in sich zu erzeugen. Das Wachs empfängt seine Prägung von außen; die Seele des Menschen aber ist so beschaffen, daß sie das Prägende und das Geprägte zugleich in sich trägt und sich daher durch sich selbst mit größter Leichtigkeit wandelt und umgestaltet. Das beweist, wenn wir schlafen, der bunte Wandel der Träume, den die Einbildungskraft vollzieht, wenn sie, von einem geringfügigen Anstoß ausgehend, die mannigfachsten Empfindungen und Bilder hervorbringt. Ihrem Wesen nach ist sie in steter Bewegung; ihre Bewegung aber manifestiert sich als Vorstellung oder Gedanke. Bei dir hält nun auch noch der strapazierte Körper den Geist im Schwanken und lenkt ihn aus seiner Bahn. Was Dämonen angeht, so ist es weder wahrscheinlich, daß es sie gibt, noch, wenn es sie gäbe, daß sie menschliche Gestalt und Stimme hätten oder eine Wirkungskraft, die sich auf uns erstreckte. Ich wünschte wohl, es wäre

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so, damit wir uns nicht nur auf so viele Waffen, Rosse und Schiffe zu verlassen brauchten, sondern auch auf die Hilfe der Götter, da es doch das heiligste und gerechteste Unternehmen ist, das wir zu leiten haben.» Mit solchen Worten suchte Cassius den Brutus zu beruhigen. Als die Soldaten an Bord gingen, stießen zwei Adler auf die ersten Feldzeichen herab, fuhren mit hinüber und begleiteten den Z u g weiter bis Philippi, von den Soldaten gefuttert. Aber einen T a g vor der Schlacht flogen sie davon. 38. Die meisten Völker, durch deren Länder sie zogen, hatte Brutus schon unterworfen, und wenn etwa eine Stadt oder ein Machthaber übersehen worden war, so brachten sie sie jetzt auf ihre Seite und gelangten so bis an das Meer gegenüber der Insel Thasos. Dort hatte Norbanus in der sogenannten Enge und beim Gebirge Symbolon 1 sich festgesetzt, aber durch eine Umgehungsbewegung zwangen sie ihn, sich abzusetzen und die Stellung aufzugeben. Um ein Haar hätten sie das ganze Heer gefangen genommen, weil Caesar infolge einer Erkrankung zurückgeblieben war, wenn nicht Antonius mit erstaunlicher Schnelligkeit zu Hilfe herbeigeeilt wäre, so daß es Brutus zuerst unglaublich schien. Zehn T a g e später traf Caesar ein und lagerte sich dem Brutus, Antonius dem Cassius gegenüber. Die Ebene zwischen den Heeren nennen die Römer die Philippischen Felder. Sehr starke römische Heere stießen damals aufeinander. An Zahl war das Heer des Brutus den Streitkräften Caesars erheblich unterlegen, zeichnete sich aber durch Glanz und Pracht der Waffen aus, denn Gold und Silber war an den meisten ihrer Waffen verschwenderisch angebracht, obwohl im übrigen Brutus seine Offiziere zu einer vernünftigen und maßvollen Lebensweise anhielt. Aber der Reichtum, den sie in den Händen und am Leibe trügen, so meinte er, erhöhe noch Mut und Stolz der Ehrgeizigen, und die Gewinnsüchtigen mache er

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k a m p f t ü c h t i g e r , weil sie sich an ihre Waflcn als an Vermögensstücke klammerten. 39. Caesar hielt das Reinigungsfest 1 innerhalb des Lagers und verteilte an jeden Mann für das Opfer nur w e n i g Getreide und fünf Drachmen. Brutus hingegen legte ihm das als Mangel oder als Knauserei aus und veranstaltete erstens die Reinig u n g , w i e es üblich ist, im freien Felde, verteilte ferner eine M e n g e Schlachtvieh an die Centurien und fünfzig Drachmen an jeden M a n n , wodurch die Ergebenheit und der Kampfeseifer des Heeres einen höheren Auftrieb erhielt als auf der Gegenseite. Indes ereignete sich bei dem Reinigungsfest ein übles Vorzeichen für Cassius: der Liktor überreichte ihm den Kranz verkehrt. A u c h vorher schon soll bei einer Schau und einem Festaufzug eine goldene Victoria des Cassius, die einhergetragen w u r d e , zu Boden gefallen sein, weil der T r ä g e r strauchelte. Dazu zeigten sich täglich viele fleischfressende Vögel über dem Lager, und Bienenschwärme sah man an einer Stelle innerhalb des Lagers sich ansetzen. Diese zäunten die Seher ein, um so die abergläubische A n g s t zu beschwichtigen, die allmählich auch den Cassius selbst in seinen epikureischen Überzeugungen wankend machte und die Soldaten ganz und gar in ihren Bann geschlagen hatte. Deshalb hatte er w e n i g Lust, im Augenblick die Schlachtentscheidung zu suchen, sondern hielt es flir richtiger, den Krieg in die Länge zu ziehen, da sie mit G e l d reichlich versehen, aber an Waffen und Mannschaft den Feinden unterlegen seien. Brutus hingegen hatte schon früher darauf gedrungen, die Entscheidung so schnell als möglich herbeizuführen und damit entweder d e m Vaterland die Freiheit wiederzugewinnen oder jedenfalls alle Völker, die durch Geldaufwendungen, Heereszüge und sonstige Z w a n g s m a ß nahmen schwer bedrückt wurden, von ihren Leiden zu befreien, und jetzt hatte sein M u t sich noch mehr gehoben, weil

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er sah, d a ß seine Reiter in Vorfeldgefechten und Scharmützeln Erfolg hatten und siegreich waren. Dazu b e w i r k t e n einige Fälle von Überläufen zu den Feinden und Beschuldigungen und V e r d ä c h t i g u n g e n gegen andere, daß im Kriegsrat viele der Freunde des Cassius zu der M e i n u n g des Brutus übertraten. N u r einer der Freunde des Brutus, Atellius, war dagegen und riet, wenigstens den Winter abzuwarten, und als Brutus ihn fragte, inwiefern er denn glaubte, nach einem Jahre besser daran zu sein, gab er die A n t w o r t : «Wenn in sonst nichts, werde ich d o c h länger gelebt haben.» Hierüber war Cassius sehr erzürnt, und auch bei den anderen erregte Atellius nicht geringen A n s t o ß . So w u r d e denn beschlossen, am nächsten T a g e zu schlagen. 40. B r u t u s war voll guter Hoffnungen, führte bei T i s c h e philosophische Gespräche und begab sich dann zur R u h e . Cassius hingegen, sagt Messala', speiste für sich in Gesellschaft nur w e n i g e r Freunde, und man sah ihn in Gedanken vertieft und schweigsam, wie sonst seine A r t nicht war. Als das Mahl zu Ende w a r , d r ü c k t e er fest Messalas Hand und sagte nur soviel, und z w a r auf griechisch, wie er zu tun pflegte, wenn er sich freundlich geben wollte: «Ich nehme dich z u m Z e u g e n , Messala, d a ß es mir ebenso geht wie Pompejus M a g n u s , indem man mich z w i n g t , das Schicksal des Vaterlandes auf den Würfel einer einzigen Schlacht zu setzen. Doch wollen wir guten M u t e s sein und unsem Blick auf die G l ü c k s g ö t t i n richten, der w i r nicht berechtigt sind, zu mißtrauen, auch w e n n wir uns selber übel beraten.» Dies seien, sagt Messala, die letzten W o r t e gewesen, die Cassius zu ihm sprach, w o r a u f er ihn umarmte; übrigens sei er von ihm für den nächsten T a g , der sein G e b u r t s t a g war, zum Mahle eingeladen gewesen. Bei T a g e s a n b r u c h war im Lager des Brutus und in dem des Cassius die rote Fahne als Zeichen der bevorstehenden Schlacht a u s g e h ä n g t ' ; sie selbst kamen zwischen den beiden

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Lagern zusammen, und Cassius sagte: «Möge es geschehen, Brutus, daß wir siegen und fortan immer glücklich miteinander leben. Aber da in der Menschenwelt gerade in den -wichtigsten Dingen die größte Unsicherheit herrscht und, wenn die Schlacht wider unser Erwarten ausfallt, wir nicht leicht einander wiedersehen werden, so sage mir: wie denkst du über Flucht und Tod?» Und Brutus antwortete: «Als ich noch jung war, Cassius, und im Lauf der Dinge noch unerfahren, habe ich, ich weiß selbst nicht wie, ein voreiliges Wort ausgesprochen : ich habe den Cato getadelt, weil er sich selbst das Leben genommen hat, und gemeint, es sei nicht erlaubt und eines rechten Mannes nicht würdig, sich seinem Lose zu entziehen und nicht das Verhängnis furchtlos hinzunehmen, sondern ihm zu entlaufen. Jetzt aber werde ich unter dem Eindruck des Erlebten andern Sinnes, und wenn der Gott dem, was uns jetzt bevorsteht, keine günstige Wendung gibt, so bin ich nicht gesonnen, es noch einmal mit neuen Hoffnungen und Entwürfen zu versuchen, sondern dann werde ich aus dem Leben gehen, meinem Schicksal dankbar, daß ich an den Iden des März mein Leben habe dem Vaterlande geben und dafür ein anderes, freies und ehrenvolles Leben habe fuhren dürfen.» Darauf lächelte Cassius, umarmte den Brutus und sagte: «In solcher Gesinnung wollen wir gegen die Feinde losgehen. Denn entweder werden wir siegen, oder aber, wenn sie siegen, sie nicht fürchten.» Hiernach fand noch in Gegenwart der Freunde eine Besprechung über den Aufmarsch statt. Brutus erbat sich von Cassius die Führung des rechten Flügels, die, wie man meinte, vielmehr dem Cassius wegen seiner Erfahrung und seines Lebensalters zukam. Jedoch Cassius gewährte ihm nicht nur das, sondern ordnete auch an, daß die kampfkräftigste Legion unter Messala auf dem rechten Flügel Aufstellung nehmen sollte. Brutus ließ nun sofort seine prächtig geschmückten

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Reiter ausrücken und das Fußvolk mit nicht geringerer Geschwindigkeit sich neben ihnen formieren. 41. Die Leute des Antonius waren dabei, von den Sümpfen, an deren Rand sie lagerten, Gräben in die Ebene zu ziehen und die Wege des Cassius zum Meer abzuschneiden. Caesar lag in Reserve, war übrigens selbst nicht anwesend wegen seiner Erkrankung, sondern nur das Heer, welches nicht erwartete, daß die Feinde schlagen würden, sondern daß sie nur Vorstöße gegen die Schanzarbeiten unternehmen und die an den Gräben Beschäftigten durch leichte Geschosse und blinden Lärm stören würden. Sie achteten nicht auf die ihnen gegenüberstehenden Verbände und staunten nur über das Geschrei um die Gräben, das laut zu ihnen drang, ohne daß sie Bestimmtes unterscheiden konnten. Als währenddessen die Zettel, auf denen die Parole stand, von Brutus an die Offiziere gesandt wurden, und er selbst an den Legionen entlangritt und sie ermunterte, kamen nur wenige dazu, die ausgegebene Parole zu hören; die meisten warteten nicht darauf, sondern stürzten sich in einem Schwung und mit lautem Feldgeschrei auf die Feinde. Da durch diese Ordnungslosigkeit der gleichmäßige Vormarsch gestört und die Legionen auseinandergerissen wurden, stieß zuerst die des Messala, dann die anschließenden, an der Linken Caesars vorbei, kamen nur kurz mit den zuäußerst Stehenden in Kampfiuhlung, erlegten nicht viele, sondern überflügelten sie und drangen in ihr Lager ein. Caesar - wie er selbst in seinen Lebenserinnerun gen erzähl t - war, weil einer seiner Freunde, Marcus Artorius', einen Traum gehabt hatte, wonach Caesar sich entfernen und das Lager verlassen sollte, kurz vorher fortgeschafft worden, und man glaubte, er sei tot, denn man fand seine leere Sänfte von Lanzen und Spießen durchbohrt. Un ter den im Lager An getroffenen wurde ein großes Blu tbad angerichtet, und zweitausend Lakedaimonicr, die eben erst alsHilfskontingent eingetroffen waren, wurden niedergemacht.

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42. Diejenigen, -welche das Heer Caesars nicht umgangen hatten, sondern mit ihm ins Gefecht gekommen waren, schlugen den in Verwirrung geratenen Gegner leicht zurück, vernichteten im Nahkampf drei Legionen und drangen, vom Schwung des Sieges fortgerissen, mit den Fliehenden zugleich in ihr Lager ein, unter ihnen Brutus selbst. Was aber die Sieger nicht bemerkten, das zeigte den Besiegten der günstige Augenblick. Sie stießen gegen den entblößten, abgerissenen Teil der feindlichen Front, dort, wo deren rechter Flügel sich zur Verfolgung losgelöst hatte, vor und vermochten das Zentrum zwar nicht zurückzudrängen, sondern wurden in einen heftigen Kampf verwickelt; den linken Flügel aber, der in Unordnung war und nicht wußte, was geschah, schlugen sie in die Flucht, verfolgten ihn bis ins Lager und zerstörten es, ohne daß einer der beiden Oberfeldherren zur Stelle war. Denn Antonius war, wie berichtet wird, gleich im Anfang dem Angriff ausgewichen und hatte sich in den Sumpf zurückgezogen, und Caesar war, nachdem er das Lager verlassen hatte, nirgends zu finden; einige zeigten sogar in dem Glauben, ihn getötet zu haben, dem Brutus ihre blutigen Schwerter und beschrieben sein Aussehen und sein Alter. Jetzt hatte auch das Zentrum den ihm gegenüberstehenden Feind unter schweren blutigen Verlusten zurückgedrängt, und Brutus glaubte, den vollen Sieg davongetragen zu haben, wie umgekehrt Cassius völlig geschlagen zu sein meinte. Und dies allein war ihrer Sache verderblich, weil Brutus in dem Glauben, Cassius sei siegreich, ihm nicht zu Hilfe kam, und dieser in dem Glauben, Brutus sei verloren, nicht auf ihn wartete; denn als Beweis des Sieges fuhrt Messala an, daß sie drei Adler und viele andere Feldzeichen der Feinde erbeutet hatten, und diese keins. Als Brutus endlich aus dem völlig zerstörten Lager Caesars wieder abzog, wunderte er sich, daß er das Feldherrenzelt des

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CassiuS nicht wie gewöhnlich hoch emporragen sah und auch die anderen Anlagen nicht an ihrem Platz; denn das meiste war vor» den hereingedrungenen Feinden sofort umgeworfen und eingerissen worden. Dazu sagten ihm einige seiner Gefährten, die offenbar schärfere Augen hatten, sie sähen viele blinkende Helme und silberne Schilde im Lager des Cassius sich hin- und herbewegen, und nach ihrer Zahl und ihrem Aussehen schienen es ihnen nicht die der zurückgelassenen Wachen zu sein; auch sei drüben nicht eine solche Menge von Gefallenen zu sehen, wie man erwarten müßte, wenn soviele Legionen geschlagen worden wären. Dies war es, was in Brutus zuerst den Gedanken auftauchen ließ, was wohl geschehen sei, und er ließ in dem feindlichen Lager eine Bedeckungsmannschaft, rief seine Truppen von der Verfolgung zurück und sammelte sie, um Cassius Hilfe zu bringen. 43. Dessen Schicksal hatte sich auf folgende Weise vollendet. Weder hatte er das erste rasche Vorprellen der Truppen des Brutus gern gesehen, das ohne Parole und ohne Befehl geschah, noch war es ihm recht gewesen, daß sie nach dem Siege sich sofort ans Rauben und Plündern machten und es unterließen, die Feinde zu umgehen und einzukreisen. Da er nun nicht mit rascher Entschlossenheit vorging, sondern zögerte und die Zeit verstreichen ließ, wurde er von dem rechten Flügel der Feinde umfaßt, und da jetzt seine Reiter sich sogleich loslösten und nach dem Meere hin flüchteten und er sah, daß auch seine Fußtruppen zu weichen begannen, so versuchte er zwar, sie zurückzuhalten und anzufeuern, und als ein Feldzeichenträger fliehen wollte, entriß er ihm das Zeichen und pflanzte es vor seinen Füßen in den Boden, während selbst seine persönliche Leibwache keinen rechten M u t mehr hatte, zu sammenzubleiben. So mußte er schließlich der Gewalt weichen und zog sich mit wenigen auf eine Anhöhe zurück, die einen Ausblick auf die Ebene bot. Er selbst konnte nichts er-

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k e n n e n als nur e b e n , d a ß sein L a g e r g e p l ü n d e r t wurde - e r hatte nämlich schwache Augen

aber die Leute seiner Umge-

bung sahen viele Reiter heransprengen. Sie waren von Brutus gesandt, aber Cassius vermutete, es seien Feinde und sie seien hinter ihm her. Trotzdem schickte er einen seiner Begleiter, Titinius, auf Erkundung aus. Dessen Herankommen wurde von den Reitern wohl bemerkt, und als sie einen Freund und Getreuen des Cassius in ihm erkannten, erhoben sie ein Freudengeschrei, seine Freunde sprangen von den Pferden, begrüßten ihn und schüttelten ihm die Hand, und die anderen ritten mit lärmendem Jubel im Kreise um sie herum. Aber durch dieses Übermaß der Freude richteten sie das schwerste Unheil an, denn Cassius glaubte nun, daß Titinius tatsächlich in die Hand der Feinde gefallen sei, sagte nur noch dieses W o r t : «Aus Liebe zum Leben habe ich noch daraufgewartet, einen Freund von den Feinden ergriffen zu sehen », und zog sich in ein leeres Z e l t zurück, wobei er einen seiner Freigelassenen, Pindaros, mit hineinzog, der schon seit der Katastrophe des Crassus für diesen Notfall von ihm verpflichtet worden war. Den Parthern war er entronnen; jetzt aber zog er den Mantel über den Kopf, entblößte den Hals und bot ihn dem Todesstreich; sein Kopf wurde von dem Körper getrennt vorgefunden. Den Pindaros hat nach Cassius' T ö t u n g kein Mensch mehr zu Gesicht bekommen, wodurch bei einigen der Verdacht entstanden ist, daß er den Mann ohne Befehl getötet habe. Wenig später sah man die Reiter herankommen, und Titinius eilte, von ihnen bekränzt, zu Cassius. Als er aber aus dem Weinen und Schreien der wehklagenden, trauernden Freunde das Schicksal des Feldherrn und seinen Irrtum erfuhr, zog er sein Schwert und gab sich unter vielen Verwünschungen wegen seiner Säumigkeit selbst den T o d . 44. Als Brutus von der Niederlage des Cassius erfuhr, kam er herangeritten, hörte aber von seinem T o d e erst, als er dem

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Lager Schon nahe war. Er weinte über dem Leichnam, nannte Cassius den letzten Römer, denn die Stadt werde einen so hochgemuten Geist nicht mehr hervorbringen können, ließ ihn wohl bestellen und sandte ihn nach Thasos, damit das Leichenbegängnis, wenn es an Ort und Stelle vorgenommen würde, keine Unruhe errege. Dann ließ er die Soldaten zusammenrufen und sprach ihnen Mut ein, und da er sie alles Notwendigen beraubt sah, versprach er ihnen Mann für Mann zweitausend Drachmen als Ersatz für das Verlorene. Sie faßten auf seine Worte hin neuen Mut, staunten über die Größe des Geschenks, begleiteten ihn bei seinem Abgang mit Beifallsgeschrei und priesen ihn als den allein von allen vier Feldherren unbesiegt Gebliebenen. Die Tatsachen bewiesen auch, daß er mit gutem Grunde glauben durfte, er werde den Sieg in der Schlacht davontragen. Denn mit wenigen Legionen hatte er alle gegenüberstehenden Feinde in die Flucht geschlagen. Hätte er alle für die Schlacht zur Verfügung gehabt, und wären die meisten nicht an den Feinden vorbeigestoßen und über die Habe der Feinde hergefallen, so wäre wohl kein Teil von ihnen unbesiegt geblieben. 45. Von der Armee des Brutus fielen achttausend einschließlich der als Soldaten dienenden Sklaven, die Brutus Briges nannte. Auf der Seite der Gegner, sagt Messala, seien seiner Schätzung nach mehr als doppelt soviele gefallen. Daher waren diese auch viel entmutigter, bis ein Diener des Cassius namens Demetrios am Abend zu Antonius kam, unmittelbar von dem Leichnam, dem er die Kleider und das Schwert abgenommen hatte. Als diese Sachen gebracht waren, faßten sie einen solchen neuen Mut, daß sie am nächsten Morgen das Heer zum Kampf gerüstet ausrücken ließen. Brutus aber ließ, da beide Lager in bedenklicher Unruhe waren - das eigene war mit Gefangenen angefüllt und bedurfte daher einer scharfen Bewachung, und das des Cassius ertrug den Wechsel des Füh-

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rers nicht gut, auch regte sich bei ihnen als den Besiegten etwas von Neid und Haß gegen den siegreichen Teil

zwar das

Heer unter Waffen treten, nahm aber eine Schlacht nicht an. Von den Gefangenen ließ er die Masse der Sklaven, die sich in bedenklicher Weise unter den Waffen herumtrieben, niedermachen, und die Freien ließ er zum Teil frei, indem er sagte, sie seien ja vielmehr von den Feinden gefangen worden; bei ihnen seien sie Gefangene und Sklaven gewesen, bei ihm seien sie Freie und Bürger. Da er aber sah, daß seine Freunde und die Offiziere unversöhnlich gegen sie gestimmt waren, so versteckte er sie und half ihnen dann heimlich fort. Unter den Gefangenen befand sich auch ein Schauspieler Volumnius und ein Possenreißer Sacculio. Brutus bekümmerte sich nicht um sie, aber seine Freunde führten sie ihm vor und beschuldigten sie, daß sie es auch jetzt noch nicht lassen könnten, Spott- und Lästerreden gegen sie zu führen. Als Brutus schwieg, weil er andere Dinge im Kopfe hatte, und Messala Corvinus den Vorschlag machte, sie vor allem Volk mit Schlägen züchtigen zu lassen und dann nackt den Feldherren der Feinde auszuliefern, damit sie wüßten, was für Freunde und Zechgenossen sie im Felde brauchten, da lachten einige der Anwesenden. Publius Casca aber, der den ersten Stoß gegen Caesar geführt hatte, sagte: «Das ist kein schönes Totenopfer, das wir dem gefallenen Cassius mit Scherzen und Possen darbringen. Du wirst zeigen, Brutus», fuhr er fort, «was für ein Andenken du dem Feldherm bewahrst, wenn du diejenigen, die ihn verhöhnen und schmähen wollen, entweder bestrafst oder begnadigst!» Hierauf sagte Brutus heftig erzürnt: «Was fragt ihr mich erst, Casca, und handelt nicht, wie es euch gut dünkt?» Diese Antwort nahmen sie als Einwilligung zu Ungunsten der Unglücklichen, ließen sie abführen und hinrichten. 46. Hieraufließ er das versprochene Geschenk an die Soldaten verteilen, und nachdem er ihnen einige sanfte Vorwürfe

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III

gemacht hatte, weil sie, ohne die Parole bekommen zu haben, ohne Befehl in Unordnung gegen die Feinde losgestürmt waren, gab er ihnen das Versprechen, wenn sie das nächste Mal brav kämpften, ihnen zwei Städte, Thessalonike und Lakedaimon, zum Plündern und Beutemachen zu überlassen. Dies ist der einzige unauslöschliche Schandfleck, der dem Leben des Brutus anhaftet, wenn auch Antonius und Caesar ihren Soldaten noch viel abscheulichere Siegespreise zahlten, indem sie fast aus ganz Italien die alten Einwohner auswiesen, damit die Soldaten Ländereien und Städte bekämen, die ihnen nicht zustanden. A b e r für diese beiden war es ja das Ziel des Krieges, Gewalt und Herrschaft zu gewinnen. Dem Brutus hingegen wurde wegen des Rufes seiner Gerechtigkeit von dem Volk auf keine andere Weise zu siegen oder sich zu erhalten zugestanden als nach Recht und Gerechtigkeit, erst gar nach dem T o d e des Cassius, dem man Schuld gab, auch Brutus zu manchen Gewaltsamkeiten verleitet zu haben. Aber wie die Schiffsleute auf einer Seefahrt, wenn das Steuerruder zerbricht, andere Holzstücke anzunageln und anzupassen versuchen, um zwar nicht kunstgerecht, aber doch mit Notbehelfen dem dringenden Bedürfnis zu genügen, so war Brutus genötigt, da er für eine so gewaltige Armee keinen einer höchst unsicheren Lage gewachsenen Führer hatte, sich mit denen zu behelfen, die da waren, und vieles zu tun und zu sagen, was diesen gut schien. Und ihnen schien alles gut, was ihrer Meinung nach geeignet war, die Moral der Soldaten des Cassius wieder zu heben; denn es war schwer, mit ihnen fertig zu werden: im Lager waren sie mangels eines Oberbefehlshabers frech, gegen die Feinde aber wegen der erlittenen Niederlage mutlos und feige. 47. Aber auch die Lage des Caesar und Antonius war um nichts besser, da sie nur das Nötigste an Lebensmitteln zur Verfügung hatten und in ihrem tiefgelegenen Lager auf einen

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beschwerlichen Winter gefaßt sein mußten. Denn sie waren dicht an die Sümpfe gedrängt, und als nach der Schlacht die Herbstregen einsetzten, füllten sich ihre Zelte mit Schlamm und Wasser, das bei der Kälte sofort gefror. In dieser mißlichen Lage erreichte sie auch noch die Nachricht von dem Unheil, das ihre Truppenmacht zur See betroffen hatte: eine ansehnliche Abteilung, die von Italien her für Caesar herankam, war von den Schiffen des Brutus überfallen und vernichtet worden, und die ganz wenigen, die den Feinden entkommen waren, fristeten vor Hunger ihr Leben nurdamit, daß sie Segel und Tauwerk zernagten. Auf diese Kunde hin eilten sie, die entscheidende Schlacht zu schlagen, bevor Brutus erführe, welch großes Glück ihm in den Schoß gefallen war. Denn es war so gekommen, daß die Landschlacht und die Seeschlacht an einem und demselben Tage geliefert worden waren, aber mehr durch eine Schicksalsfügung als durch eine Fahrlässigkeit der Flottenbefehlshaber wußte Brutus selbst nach Verlauf von zwanzig Tagen noch nichts von dem Siege. Sonst wäre er wohl nicht zur zweiten Schlacht aus seinem Lager hervorgekommen, da er mit allem Notwendigen für das Heer auf lange Zeit versorgt war, in einem günstigen Gelände saß, so daß sein Lager nichts von dem Winter zu fürchten brauchte und für die Feinde nicht leicht anzugreifen war, und weil er im sicheren Besitz der Seeherrschaft und zu seinem Teil auch auf dem Lande siegreich von großen Hoffnungen und hohem Mut geschwellt war. Aber - so scheint es - , da die Weltlage nicht mehr durch eine Vielzahl von Menschen zu meistern war, sondern eines Alleinherrschers bedurfte, so wollte die Gottheit den einzigen, der dem zur Herrschaft Befähigten noch im Wege stand, abberufen und beiseite schaffen und schnitt ihm darum jenen Glücksfall ab, obschon es an einem Haar hing, daß sein Eintritt Brutus nicht verborgen blieb. Denn als er schon entschlossen war zu schlagen, kam einen Tag vorher zu später

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Stunde ein gewisser Clodius als Überläufer von den Feinden herüber und meldete, daß Caesar auf die Nachricht von der Vernichtung seiner Flotte den schleunigen Endkampf anstrebe. Das sagte der Mann, fand aber keinen Glauben, kam auch nicht Brutus zu Gesicht, sondern blieb ganz unbeachtet, weil man meinte, er habe nichts Verläßliches gehört oder bringe die falsche Nachricht nur, um sich beliebt zu machen. 48. In jener Nacht soll das Gespenst noch einmal dem Brutus in derselben Gestalt vor Augen getreten, jedoch, ohne ein Wort zu sagen, wieder verschwunden sein. Aber Publius Volumnius, ein Gelehrter, der den Feldzug von Anfang an in Brutus' Stabe mitgemacht hat 1 , sagt nichts von diesem Vorzeichen, erzählt aber, der erste Adler sei ganz von Bienen überdeckt gewesen, und der Arm eines der Kriegstribunen habe ganz von selbst eine rosenölartige Flüssigkeit ausgeschieden, und obwohl man sie immerfort abstrich und abtupfte, habe man nichts damit erreicht; vor der Schlacht selbst seien mitten zwischen den Heeren zwei Adler aufeinander losgestoßen und hätten gekämpft; tiefes Schweigen habe auf dem Kampffeld geherrscht, während alle zuschauten, bis der auf der Seite des Brutus wich und die Flucht ergriff. Viel war auch die Rede von dem Äthiopen, der bei der Öffnung des Tores dem Adlerträger entgegentrat und von den Schwertern der Soldaten, die das als üble Vorbedeutung nahmen, niedergehauen wurde. 49. Nachdem Brutus die Armee herausgeführt und den Feinden gegenüber in Schlachtordnung aufgestellt hatte 1 , hielt er noch lange Zeit still, denn während er das Heer besichtigte, wurden ihm Verdächtigungen und Anzeigen gegen gewisse Leute zugetragen, und er sah auch, daß die Reiter nicht viel Lust zeigten, den Kampf zu beginnen, sondern immer abwarteten, was das Fußvolk tun würde. Da plötzlich sprengte ein tüchtiger Kriegsmann, der für seine Tapferkeit schon hohe Auszeichnungen erhalten hatte, nahe an Brutus vorbei aus der

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Front heraus und ging zu den Feinden über; er hieß Camulatus. Als ihn Brutus so handeln sah, schmerzte es ihn tief, und teils aus Zorn, teils aus Furcht vor noch weiterem Abfall und Verrat, rückte er sofort auf die Gegner los um die neunte Stunde, als die Sonne schon im Abstieg war. Mit seinem eigenen Flügel war er siegreich, kam vorwärts und blieb dem zurückweichenden linken Flügel der Feinde am Leibe, und auch die Reiter verstärkten seinen Angriff und drangen zugleich mit dem Fußvolk auf die schon in Unordnung geratenen Feinde ein. Aber der andere Flügel, der von den Anführern, um einer Umfassung vorzubeugen, immer weiter hinausgezogen wurde, dafür aber zahlenmäßig nicht ausreichte, wurde in der Mitte zu sehr ausgedehnt, dadurch zu schwach und hielt so den Feinden nicht stand, sondern ergriff zuerst die Flucht. Diejenigen, die hier durchbrachen, unifaßten nun sofort den Brutus, der zwar selber in dieser Gefahr die höchsten Leistungen als Feldherr und Soldat mit eigenem Arm und durch umsichtige Leitung vollbrachte, um doch den Sieg zu gewinnen, aber eben das, was in der vorigen Schlacht sein Vorteil gewesen war, jetzt sich zum Nachteil werden sah. Denn der besiegte Flügel der Feinde war damals sogleich vernichtet worden, von den geschlagenen Truppen des Cassius aber waren nur wenige getötet worden, und die Davongekommenen, die den Schrekken der vorangegangenen Niederlage noch in den Gliedern hatten, erfüllten den größten Teil des Heeres mit ihrer Mutlosigkeit und Verstörung. Hier stand auch Marcus, der Sohn Catos, in den Reihen der edelsten und tapfersten Jünglinge. Als alles schon verloren war, wich und wankte er nicht, sondern brauchte weiter seinen Arm, sagte laut, wer er wäre, nannte auch den Namen seines Vaters und sank endlich über vielen erschlagenen Feinden hin'. Auch von den anderen fielen die Besten, die sich vor Brutus der Gefahr entgegenwarfen.

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50. Unter seinen Vertrauten war ein tapferer Mann namens Lucilius. Als dieser sah, wie einige barbarische Reiter bei der Verfolgung sich um keinen andern kümmerten, sondern nur mit verhängtem Zügel gegen Brutus losritten, da beschloß er, mit Gefahr des eigenen Lebens sie aufzuhalten. Er blieb ein wenig zurück, rief, er sei Brutus, und fand Glauben, da er bat, ihn zu Antonius zu fuhren, weil er Caesar fürchte, zu Antonius aber Zutrauen habe. Die Reiter freuten sich über diesen Fang, glaubten ein ganz besonderes Glück gehabt zu haben und führten den Mann bei schon eingebrochener Dunkelheit mit, schickten auch aus ihrer Mitte einige Boten voraus zu Antonius. Auchderfreute sich undgingden Männern,die ihn brachten, entgegen, und auch alle anderen, welche hörten, Brutus werde lebendig eingebracht, liefen zusammen und bedauerten ihn teils wegen dieses Schicksals, teils meinten sie, er zeige sich nicht würdig seines Ruhmes, daß er aus Liebe zum Leben sich Barbaren zur Beute hergegeben habe. Als sie sich näherten, stand Antonius still, unentschlossen, wie er Brutus empfangen sollte. Lucilius aber rief, als er herangeführt wurde, festen Mutes: «Den Marcus Brutus hat niemand gefangen, Antonius, noch wird ihn ein Feind fangen. Möge niemals das Schicksal soviel Macht über die Tugend gewinnen! Sondern wenn man ihn findet, lebend oder vielleicht auch tot, wird er daliegen, würdig seiner selbst. Ich habe deine Soldaten getäuscht, stehe hier und bitte nicht darum, vor der schwersten Strafe dafür verschont zu bleiben.» Als Lucilius das gesagt hatte und alle äußerst betroffen waren, blickte Antonius auf die, die ihn gebracht hatten, und sagte: «Ihr ärgert euch vielleicht über diesen Fehlgriff, Kameraden, und glaubt, daß euch übel mitgespielt worden ist. Aber ihr mögt wissen, daß ihr einen besseren Fang getan habt, als nach dem ihr suchtet. Ihr suchtet einen Feind, und ihr kommt und bringt mir einen Freund; denn wahrhaftig, ich weiß nicht, was ich mit dem lebendigen

IIÖ

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B r u t u s h ä t t e a n f a n g e n sollen. A b e r solche M ä n n e r wie diesen

möchte ich lieber zu Freunden als zu Feinden haben.» Mit diesen Worten umarmte er den Lucilius und gab ihn zunächst einem seiner Freunde in Obhut; später hatte er in ihm einen in allen Dingen treuen und zuverlässigen Anhänger. JI. Brutus überschritt, als es schon finster war, einen Bach mit umbuschten Steilufern und ging dann nicht viel weiter, sondern ließ sich in einem Grunde nieder, vor dem ein großer Felsen stand, begleitet nur noch von wenigen Offizieren und Freunden. Zuerst blickte er zu dem sternenübersäten Himmel auf und zitierte zwei Verse, von denen Volumnius den einen aufgezeichnet hat: «Zeus, nicht entrinne dir, der schuld an diesem Leid!» 1 Den andern, sagt er, habe er vergessen. Nach kurzem nannte er alle Freunde mit Namen, die in der Schlacht zu seinem Schutze gefallen waren, und seufzte besonders im Gedanken an Flavius und Labeo; dieser war sein Unterfeldherr, Flavius sein Feldzeugmeister gewesen 2 . Indessen nahm einer, der selber Durst hatte und sah, daß es Brutus ebenso ging, einen Helm und lief zum Bach hinunter. Als auf der andern Seite ein Geräusch zu vernehmen war, ging Volumnius und mit ihm der Schildträger Dardanos ein Stück vor, um danach zu sehen. Nach kurzer Zeit kamen sie wieder zurück und fragten nach dem Wasser. Brutus lächelte dem Volumnius sehr freundlich zu und sagte: «Es ist schon ausgetrunken, aber es soll euch anderes gebracht werden.» Darauf wurde derselbe Mann wieder ausgeschickt, aber er kam in Gefahr, von den Feinden gefangen zu werden, und rettete sich, schon verwundet, mit genauer Not. Da Brutus vermutete, daß nicht so gar viele seiner Leute in der Schlacht gefallen seien, erbot sich Statilius, sich durch die Feinde hindurchzuschleichen - denn anders war es nicht mög-

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lieh - , das L a g e r auszukundschaften und, wenn er dort alles in O r d n u n g fände, mit einer Fackel ein Zeichen zu geben und zu ihm z u r ü c k z u k o m m e n . Das Fackelzeichen w u r d e z w a r gegeben, da Statilius ins Lager gekommen war, und als er nach langer Z e i t noch nicht zurück war, sagte Brutus: «Wenn Statilius noch l e b t , w i r d er auch kommen.» Er war jedoch auf dem R ü c k w e g den Feinden in die Hände gefallen und getötet worden. 52. A l s die N a c h t weiter vorrückte, beugte sich Brutus, so w i e er da saß, z u seinem Sklaven Kleitos und redete etwas mit ihm. Da Kleitos schwieg und weinte, zog er wieder seinen Schildträger Dardanos an sich heran und sagte leise ein paar Worte z u ihm. Schließlich erinnerte er den Volumnius selbst auf griechisch an die gemeinsamen Studien und Ü b u n g e n und bat ihn, das Schwert mit seiner Hand mitanzufassen und so dem Stoß mehr Kraft zu geben. Da aber Volumnius das w e i t von sich wies, die anderen dasselbe taten und einer sagte, man dürfe nicht länger bleiben, sondern müsse fliehen, da stand er auf und sagte: «Allerdings heißt es jetzt fliehen, aber mit Hilfe der Hände, nicht der Füße.» D a r a u f g a b er mit ganz heiterer Miene j e d e m die Hand und sagte, er fühle eine tiefe Freude, daß keiner seiner Freunde ihm untreu geworden sei. D e m Schicksal mache er Vorwürfe um des Vaterlandes willen, sich selbst aber halte er für glücklicher als die Sieger, nicht nur gestern oder vorgestern, sondern noch heute, da er den R u h m einer sittlichen G r ö ß e hinterlasse, den seine Überwinder mit allen ihren Waffen und Machtmitteln nicht würden hinterlassen können, daß sie nämlich der Nachrede entgingen, wider das R e c h t z u herrschen, nachdem sie, selber ungerecht und schlecht, gerechte und wackere Männer in den T o d getrieben hätten. Hierauf bat er seine Freunde und trieb sie an, sich zu retten, und ging w e i t e r hinweg mit zweien oder dreien, unter denen sich auch Straton befand, der durch gemeinschaftliche Studien

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in d e r R e d e k u n s t m i t i h m v e r t r a u t g e w o r d e n war. Diesen ließ

er dicht neben sich treten, faßte das entblößte Schwert mit beiden Händen, stemmte es gegen die Erde und stürzte sich hinein, so daß er den Tod fand. Andere sagen, nicht er selbst, sondern Straton habe auf inständiges Bitten des Brutus mit weggewandtem Gesicht das Schwert aufgepflanzt, und er habe mit Wucht seine Brust dagegen geworfen, sie durchbohrt und sei so zu einem schnellen Ende gekommen. 53. Diesen Straton führte Brutus' Freund Messala, nachdem er sich mit Caesar versöhnt hatte, ihm einmal bei passender Gelegenheit zu und sagte weinend: «Dies ist der Mann, Caesar, der meinem Brutus den letzten Liebesdienst erwiesen hat.» Caesar nahm ihn freundlich auf und hatte in ihm fortan einen der Griechen, die ihm in allen Nöten und auch in den Kämpfen bei Actium treu zur Seite standen. Von Messala selbst erzählt man, er habe später, als er von Caesar gelobt wurde, weil er bei Actium den größten Mut und Eifer bewiesen hatte, obwohl er bei Philippi um Brutus* willen sein grimmigster Feind gewesen war, ihm erwidert: «Gewiß, Caesar, ich habe immer zu der besseren und gerechteren Sache gestanden.» Als Antonius den Brutus tot auffand, befahl er, den Leichnam in den kostbarsten seiner Purpurmäntel zu hüllen, und als er später erfuhr, daß der Purpurmantel gestohlen worden war, ließ er den Dieb hinrichten. Die Überreste sandte er Brutus' Mutter Servilia zu. Von Brutus' Gattin Porcia berichtet der Philosoph Nikolaos und ebenso Valerius M a x i m u s s i e habe sich den Tod geben wollen, und da ihre Freunde dies nicht zuließen, sondern sie beobachteten und hüteten, so habe sie glühende Kohlen aus dem Feuer genommen, sie verschluckt und den Mund fest zugehalten, und so sei sie gestorben. Allerdings ist ein Brief des Brutus an seine Freunde im Umlauf, worin er sich Porcias wegen beklagt und ihnen Vorwürfe macht, daß sie sich zu wenig

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um sie kümmerten und daß sie sich einer Krankheit wegen vorgenommen habe, aus dem Leben zu gehen. Da scheint sich Nikolaos über den Zeitpunkt in einem Irrtum befunden zu haben, da doch das Briefchen - vorausgesetzt, daß es echt ist Anhalt zu Vermutungen über das Leiden der Frau, ihre Liebe und Art ihres Todes gibt. 54 (1). Da vieles an den beiden Männern gleichermaßen zu rühmen ist, und vor allem dies, daß sie mit den geringsten Mitteln zur stolzesten Höhe gelangt sind, so ist zu sagen, daß hierin dem Dion das größere Verdienst zukommt. Denn er hatte keinen, der ihm den Ruhm streitig machte, wie Brutus den Cassius, einen Mann, der zwar nicht auf gleicher sittlicher Höhe stand und den gleichen Ruhm und das gleiche Vertrauen genoß, aber für den Krieg dank seiner Kühnheit und großen praktischen Erfahrung keinen geringeren Beitrag leistete, dem einige sogar die Initiative des ganzen Unternehmens zuschreiben, wenn sie berichten, daß er es gewesen sei, der den noch untätigen Brutus für den Anschlag gegen Caesar gewann. Dion hingegen hat offenkundig wie Waffen, Schiffe und Truppenmacht, so auch Freunde und Mitarbeiter für sein Unternehmen sich allein aus eigener Kraft geschaffen. Auch gewann Dion nicht wie Brutus erst durch seine kriegerischen Taten selbst Reichtum und Macht, sondern er verwendete sein eigenes Vermögen für den Krieg und verbrauchte die Mittel, die er für sein Leben in der Verbannung hatte, für die Befreiung seiner Mitbürger. Überdies nahmen Brutus und Cassius, da es für sie nach ihrer Vertreibung aus der Vaterstadt keine Möglichkeit eines ruhigen und sicheren Lebens mehr gab, sondern sie zum Tode verurteilt waren und verfolgt wurden, notgedrungen ihre Zuflucht zum Kriege, vertrauten ihr Leben den Waffen an und beschritten den Weg der Gefahr mehr um ihrer selbst als um der Bürger willen. Dion aber lebte in der

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Verbannung ungefährdeter und angenehmer als der Tyrann, der ihn verbannt hatte, und nahm aus freiem Willen die große Gefahr auf sich, um Sizilien zu retten. 5 j (2). Es war auch nicht dieselbe Sache für die Syrakusier, von Dionysios, wie für die Römer, von Caesar befreit zu werden. Denn jener bestritt nicht einmal, daß er ein T y r a n n war, und hatte schon namenloses Unheil über Sizilien gebracht. Caesars Herrschaft hingegen hatte zwar bei ihrem Entstehen denen, die sich ihr widersetzten, nicht geringe Leiden verursacht; nachdem die Römer sie aber angenommen und sich in sie gefügt hatten, war nur noch der Name und der Schein einer Gewaltherrschaft da, aber keine grausame oder tyrannische Handlung war von ihr ausgegangen. Es konnte vielmehr so scheinen, als ob einer der Monarchie bedürftigen Welt von der Gottheit selber Caesar als der gelindeste Arzt gesandt worden sei. Daher bekam das römische Volk gleich wieder eine solche Sehnsucht nach Caesar, daß es gegen seine Mörder hart und unerbittlich war; Dion hingegen wurde es von seinen Mitbürgern zum schwersten Vorwurf gemacht, daß er den Dionysios aus Syrakus entkommen und das Grabmal des älteren Tyrannen nicht zerstören ließ. j 6 ( j ) . In den eigentlichen kriegerischen Unternehmungen bewährte sich Dion als untadeliger Feldherr, der seine eigenen Pläne stets aufs beste durchführte und die von anderen begangenen Fehler wieder gutmachte und zum Besseren wendete. Brutus hingegen, so scheint es, hat den letzten Entscheidungskampf weder mit rechter Überlegung unternommen, noch, als er verloren war, nach Mitteln wieder hochzukommen gesucht, sondern versagt und alle Hoffnung aufgegeben, ohne sich auch nur soviel wie Pompejus gegen das Schicksal aufzubäumen ; und dies, obschon für das Landheer noch an Ort und Stelle gute Aussichten bestanden und er mit seiner Flotte das ganze Meer unbestritten beherrschte.

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WaS aber der schwerste aller Vorwürfe gegen Brutus ist: daß er, der Caesars Gnade sein Leben verdankte, so vielen Mitgefangenen, wie er nur wollte, Begnadigung erwirken konnte, als Freund gehalten und vielen vorgezogen wurde, an seinem Retter zum Mörder wurde, das kann man nicht dem Dion nachsagen; sondern im Gegenteil: als Verwandter und Freund des Dionysios war er eine Stütze und ein Hüter seiner Macht, und erst, als er aus dem Vaterland vertrieben, seine Gattin ihm wider alles Recht genommen und er seines Vermögens beraubt worden war, trat er offen in einen erlaubten und rechtmäßigen Krieg ein. Oder kann man das erst einmal umgekehrt betrachten? Was nämlich für beide Männer das höchste Lob ist, ihre Feindschaft gegen die Tyrannen und ihr Haß gegen alles Schlechte, das tritt bei Brutus rein und klar hervor; denn ohne gegen Caesar einen persönlichen Vorwurf zu haben, setzte er sein Leben für die Freiheit des Ganzen ein. Dion hingegen hätte, wenn ihm nicht persönliches Unrecht widerfahren wäre, den Krieg nicht begonnen. Das wird erwiesen durch die Briefe Piatons, aus denen klar zu ersehen ist, daß er den Dionysios stürzte, weil er aus der Tyrannis verstoßen war, nicht daß er sich selbst von ihr getrennt hatte. Zudem hat den Brutus das Gemeinwohl zum Freunde des Pompejus, dessen Feind er gewesen war, und zum Feinde Caesars gemacht, weil er allein die Gerechtigkeit zum Maßstab für Feindschaft und Freundschaft nahm. Dion hingegen leistete dem Dionysios freundwillig viele Dienste, solange er sein Vertrauen genoß, und als ihm das versagt wurde, begann er im Zorn den Krieg. Daher hatten nicht einmal alle seine Freunde zu ihm das Zutrauen, daß er nach der Beseitigung des Dionysios nicht sich selbst die Herrschaft sichern und die Bürger nur mit einem wohlklingenderen Namen als dem der Tyrannis nasführen würde. Von Brutus hingegen konnte man selbst seine Feinde sagen hören,

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daß er als einziger von allen, die sich gegen Caesar zusammentaten, von Anfang bis zum Ende sich nur das eine Ziel gesetzt habe, den Römern ihre alte Staatsform wiederzugeben. 57 (4). Hiervon abgesehen war der Kampf gegen Dionysios doch wohl nicht dem gegen Caesar zu vergleichen. Denn unter den Männem, mit denen Dionysios umging, war keiner, der ihn nicht verachtete, weil er seine meiste Z e i t mit Trinken, Spielen und Weibern verbrachte. Dagegen Caesars Sturz: auch nur den Gedanken daran zu fassen und nicht vor der Genialität, der Macht und dem Glück des Mannes zu erschrekken, dessen Name allein schon die Könige der Parther und Inder nicht schlafen ließ, dies schon erforderte einen ungewöhnlich starken Geist, dessen Mut sich durch keine Art von Furcht niederschlagen ließ. Daher liefen dem Dion, sowie er sich nur in Sizilien sehen ließ, nicht wenige Zehntausende als Bundesgenossen gegen Dionysios zu. Caesars R u h m aber hielt auch nach seinem Falle noch seine Freunde aufrecht, und sein Name hob den, der ihn annahm, aus einem hilflosen Knaben sofort zum ersten der Römer empor und diente ihm gleichsam als Amulett gegen die Feindschaft und die Macht des Antonius. Wenn aber jemand sagen wollte, Dion habe in schweren Kämpfen den Tyrannen vertrieben, Brutus aber den Caesar wehrlos und unbehütet hingemordet, so war dies doch eben eine Leistung höchster strategischer Meisterschaft, einen von solcher Machtflille umkleideten Mann unbehütet und wehrlos zu fassen. Denn er fiel ihn nicht unvermittelt noch allein oder mit wenigen an und tötete ihn, sondern er hatte den Anschlag von langer Hand vorbereitet und ging im Bunde mit vielen ans Werk, von denen keiner ihn verriet. Er hatte entweder von vornherein die Tüchtigsten ausgewählt, oder er machte durch seine Wahl diejenigen, denen er traute, zu tüchtigen Männem. Dion dagegen traf entweder eine falsche Wahl und vertraute sich schlechten Menschen an, oder er machte durch

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falsche Behandlung brave Menschen zu schlechten; beides aber sollte einem verständigen Manne nicht passieren. Auch Piaton tadelt ihn, daß er sich Leute zu Freunden gewählt habe, durch die er zugrunde ging'. 58 (5). Dem Dion erstand nach seiner Ermordung kein Rächer; den Brutus aber ehrten auch seine Feinde, Antonius durch ein prunkvolles Begräbnis, und Caesar, indem er ihm seine Würden wahrte. Es steht nämlich eine eheme Bildsäule von ihm in Mediolanum im Gallien 1 diesseits der Alpen. Als diese später einmal Caesar sah - sie ist porträttreu und ein gutes Kunstwerk ging er zuerst vorüber, blieb aber kurz darauf stehen, ließ so, daß viele es hörten, die obersten Beamten rufen und sagte, er habe ihre Stadt bei einem Vertragsbruch betroffen, da sie einen Feind in ihren Mauem beherberge. Zuerst leugneten sie das natürlich ab und blickten, ungewiß, wen er meinte, einander an. Als sich dann Caesar gegen die Bildsäule wandte, die Stirn in Falten zog und sagte: «Ist der, der hier steht, nicht unser Feind?», erschraken sie noch mehr und schwiegen still. Da lächelte er, lobte die Gallier, daß sie ihren Freunden auch im Unglück die Treue hielten, und befahl, die Bildsäule an ihrem Platz zu lassen.

AEMILIUS

UND

TIMOLEON

AEMILIUS

i. Die Anregung, mich mit dem Schreiben von Biographien zu befassen, ist mir von anderen gekommen; daß ich aber dabei blieb und mich alsbald auf dem Gebiete wohl fühlte, das geschah aus eigenem Antrieb, indem ich nun versuchte, gleichsam vor dem Spiegel der Geschichte mein Leben gewissermaßen zu formen und dem Vorbild jener Männer anzugleichen. Denn nichts anderes als ein stetes inniges Zusammenleben ist doch das, was vor sich geht, wenn wir mittels der geschichtlichen Betrachtung jeden von ihnen der Reihe nach, wenn er sozusagen als ein Fremdling erscheint, gastlich empfangen, bei uns aufnehmen, und ihn so recht betrachten, «wie gewaltig er war, wie trefflich 1 », und das Gewichtigste und Bedeutsamste für die Erkenntnis seines Wesens aus seinen Taten entnehmen. «Ach, welche größre Wonne kann man wohl erleben 2 », die zugleich wirkungskräftiger wäre zur Veredlung des Charakters? Demokritos sagt ja, wir sollten wünschen, daß wir erfreulichen Bildern begegnen und daß lieber die uns wesensgemäßen und heilsamen als die schlechten und schädlichen aus dem umgebenden Luftraum auf uns treffen 1 - womit er eine unwahre und zu unabsehbarem Aberglauben verführende Lehre in die Philosophie hineinträgt. Wir hingegen bereiten uns durch das Studium der Geschichte und das ständige Schreiben über sie dazu, das Andenken an die edelsten und bewährtesten Männer immer in unseren Seelen heimisch zu machen und, wenn der unvermeidliche Verkehr mit unserer Umgebung

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etwas Minderwertiges, Ühelgeartetes oder Unedles an uns heranbringt, es abzustoßen und von uns zu weisen, indem wir unsern Sinn ruhig und unbeirrt auf die edelsten Vorbilder richten. Von solchen überreiche ich dir 1 hiermit die Biographien des Timoleon von Korinth und des Aemilius Paulus, zweier Männer, die gleichermaßen bei ihren Unternehmungen nicht nur edle Ziele angestrebt, sondern auch die Gunst des Glückes genossen haben und uns die Entscheidung schwer machen werden, ob wir sagen sollen, daß sie ihre größten Erfolge mehr einer glücklichen Fügung oder kluger Berechnung verdanken. 2. Daß das Haus der Aemilier in Rom dem alten Patrizieradel angehörte, darüber sind sich die meisten Geschichtsschreiber einig. Daß aber ihr ältester Ahnherr, der dem Geschlecht seinen Beinamen hinterließ, Mamercus, der Sohn des weisen Pythagoras, gewesen sei, der wegen seiner einschmeichelnden Rede und seiner Liebenswürdigkeit Aemilius, «der Schmeichler», zubenannt worden sei, das haben nur einige von denen behauptet, die dem Pythagoras die Erziehung des Königs Numa zuschreiben 2 . Die meisten Männer dieses Hauses, die zur Berühmtheit gelangt sind, haben dank der Tüchtigkeit, um die sie sich stets bemühten, auch Glück gehabt; das Unglück des Lucius Paulus bei Cannae aber bewies zugleich seine Einsicht und seine Mannhaftigkeit. Denn nachdem er seinen Kollegen trotz alles Abmahnens nicht hatte davon abbringen können, die Schlacht anzunehmen, nahm er zwar an dem Kampfe wider Willen teil, machte sich aber nicht zum Genossen der Flucht, sondern als der, der das Wagnis unternommen hatte, sich ihm entzogen hatte, blieb er selbst auf seinem Posten und fand im Kampf mit den Feinden den Tod Dieses Mannes Tochter Aemilia war mit dem großen Scipio vermählt. Sein Sohn Paulus Aemilius, von dem die vorliegende

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Schrift handelt, fiel mit seinem Jünglingsalter in eine Zeit, die durch den Ruhm und die Leistungen der größten und hervorragendsten Männer ausgezeichnet war, und machte sich doch bald einen Namen, doch nicht so, daß er sich das T u n und Treiben der angesehenen jungen Männer von damals zum Vorbild nahm, noch daß er von Anfang an denselben Weg wie sie einschlug. Denn er übte sich nicht in der gerichtlichen Beredsamkeit und unterließ durchaus die schmeichlerischen Begrüßungen, Händedrücke und sonstigen Aufmerksamkeiten, wodurch die meisten dienstbeflissen sich die Gunst des Volkes zu gewinnen suchten und den Ruf erwarben, leutselige und tüchtige Männer zu sein, obschon ihm weder zum einen noch zu dem andern die Fähigkeit mangelte; höher als solchen Ruhm schätzte er aber den der Tapferkeit, Gerechtigkeit und Zuverlässigkeit, richtete auf ihn sein Streben und lief so seinen Altersgenossen schnell den Rang ab. 3. Als erstes der höheren Ämter bewarb er sich um die Aedilenwürde und erhielt den Vorzug vor zwölf Mitbewerbern, die, wie berichtet wird, später alle zum Konsulat gelangten'. Als er dann das Priesteramt der sogenannten Augum erhielt, welche die Römer zu Aufsehern und Hütern der Wahrsagung aus Vogelflug und Himmelszeichen bestellen, beobachtete er die väterlichen Gebräuche so genau und machte sich die Behutsamkeit der Alten der Gottheit gegenüber so gründlich zu eigen, daß er das sonst nur als Ehre geltende und um des damit verbundenen Ansehens willen angestrebte Priestertum zu einer der bedeutsamsten Wissenschaften machte und so zum Zeugen für die Philosophen wurde, welche die Frömmigkeit als die Wissenschaft vom Gottesdienst definiert haben Denn alles wurde von ihm mit genauer Kenntnis und mit Hingabe vollzogen, indem er sich mit nichts anderem abgab, wenn er damit beschäftigt war, nichts ausließ und nichts neuerte, sondern sich sogar mit seinen Priesterkollegen ständig selbst um

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K l e i n i g k e i t e n stritt und ihnen klarzumachen suchte, d a ß , w e n n

man auch die Gottheit für gütig und nachsichtig gegen Versäumnisse halte, doch für den Staat die Läßlichkeit und das Übersehen solcher Dinge von Übel sei. Denn niemand fange eine Staatsumwälzung gleich mit einer schweren Übertretung der Gesetze an, aber wer in den kleinen Dingen die Sorgfalt hintansetze, der entziehe auch den größeren Dingen ihren Halt. Ebenso zeigte er sich als strengen Beobachter und Hüter der alten militärischen Ordnung, buhlte als Heerführer nicht um die Gunst der Menge und benützte nicht wie damals die meisten ein erstes Amt dazu, sich durch Gefälligkeit und Nachsicht gegen die Untergebenen für ein zweites Amt zu empfehlen, sondern gleichsam als Priester einer andern Art strenger Religion, der militärischen Zucht und Ordnung, führte er alles genau durch, war den Ungehorsamen und Widerspenstigen furchtbar und hielt so das Vaterland aufrecht, so daß es fast schien, als hielte er den Sieg über die Feinde für eine Nebensache neben der Hauptaufgabe, der Erziehung der Bürger. 4. Als der Krieg der Römer gegen Antiochos den Großen ausgebrochen und die tüchtigsten Feldherren dorthin entsandt waren, erhob sich ein zweiter Krieg von Westen her, wo in Spanien heftige Unruhen entstanden. In diesen Krieg wurde Aemilius als Praetor und Feldherr entsandt 1 , aber nicht nur mit sechs Liktoren, wie sonst die Praetoren haben, sondern mit der doppelten Anzahl, wodurch sein Kommando die konsularische Würde erhielt. Er besiegte die Barbaren in zwei offenen Feldschlachten und tötete etwa dreißigtausend von ihnen, und zwar war der Erfolg offensichtlich das Ergebnis seiner klugen Führung, da er durch Ausnützung des günstigsten Geländes und einen Flußübergang seinen Soldaten einen leichten Sieg in die Hände gab. Dazu gewann er zweihundertfünfzig Städte, die ihm freiwillig ihre Tore öffneten. Unter Hinterlassung einer wieder zu Frieden und Untertanentreue zu-

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rückgcfiihrten Provinz kehrte er heim nach Rom, ohne durch den Feldzug um einen Denar reicher geworden zu sein. Er war auch sonst wenig auf Gelderwerb bedacht, sondern gab viel aus und ging nicht sehr sparsam mit seinem Vermögen um; und das war nicht bedeutend, sondern nach seinem Tode reichte es nur eben zur Rückzahlung der seiner Frau geschuldeten Mitgift. J. Er hatte Papiria, die Tochter Masos,eines gewesenenKons u l s g e h e i r a t e t , löste aber die Ehe, nachdem sie schon lange Zeit bestanden hatte, obschon er durch die Frau zum Vater wohlgeratener Kinder geworden war. Denn sie war es, die ihm den hochberühmten Scipio und Fabius Maximus gebar. Eine Überlieferung über den Grund der Scheidung ist nicht auf uns gelangt, aber ein Wort über Ehescheidungen, das uns berichtet wird, scheint mir viel Wahrheit zu enthalten: Ein Römer habe seiner Frau den Scheidebrief gegeben, und als die Freunde ihm Vorhaltungen machten: «Ist sie nicht sittsam? Ist sie nicht schön? Ist sie nicht fruchtbar?», habe er seinen Schuh hingehalten (calceus sagen dafür die Römer) und gesagt: «Ist er nicht schön? Nicht neu? Aber keiner von euch kann wissen, wo er mir den Fuß drückt.» Denn tatsächlich führen nicht so sehr die großen, offenkundigen Fehler zur Trennung der Männer von ihren Frauen, als kleine und häufige Mißhelligkeiten infolge einer Unausstehlichkeit und einer Disharmonie der Charaktere - Dinge, die den Fernerstehenden verborgen bleiben - die unheilbaren Entfremdungen im Zusammenleben herbeiführen. Aemilius schied sich also von Papiria und heiratete eine andere Frau, und als sie ihm zwei Söhne geboren hatte, behielt er diese im Hause, und die Söhne aus erster Ehe gab er den größten und angesehensten Häusern in Adoption, den älteren in das Haus des Fabius Maximus, der fünfmal Konsul gewesen war*, und den jüngeren nahm der Sohn des Scipio Africanus als seinen Vetter an Kindes Statt an und gab ihm den

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N a m e n Scipio. Von den T ö c h t e r n des Aemilius nahm die eine der Sohn Catos zur F r a u , die andere Aelius T u b e r o , ein v o r trefflicher M a n n , der mit größter Würde v o r allen R ö m e r n die A r m u t zu tragen verstand. Es waren nämlich sechzehn Blutsv e r w a n d t e , alles Aelier, die nur ein kleines Häuschen besaßen und ein G ü t c h e n , das für sie alle ausreichen mußte, die mit vielen Frauen und Kindern an einem Herd lebten. U n t e r ihnen befand sich die T o c h t e r dieses Aemilius, der zweimal Konsul gewesen w a r und zweimal triumphiert hatte, und sie schämte sich nicht der A r m u t ihres Mannes, sondern b e w u n d e r t e die vornehme G e s i n n u n g , welche die Ursache seiner A r m u t war. H e u t z u t a g e dagegen ist es so, daß Brüder und B l u t s v e r w a n d t e , wenn sie nicht das G e m e i n s a m e durch ganze Himmelsstriche, Flüsse und hohe Mauern voneinander scheiden und w e i t e R ä u me zwischen sich legen, nicht aufhören, miteinander zu streiten. Dies gibt die Geschichte denen zu bedenken und zu betrachten, die auf ihr G l ü c k und Heil bedacht sein wollen. 6. Als Aemilius zum Konsul ernannt w a r u n t e r n a h m er einen F e l d z u g gegen die L i g u r e r am Fuße der Alpen, die einige auch Ligustiner nennen, ein streitbares, trotziges V o l k , das v e r m ö g e der Nachbarschaft von den Römern zu k u n s t m ä ß i g e r K r i e g f ü h r u n g erzogen worden war. Denn sie bewohnen die Grenzgebiete Italiens gegen die Alpen hin und den T e i l der Alpen, der v o m T y r r h e n i s c h e n Meer bespült w i r d und Afrika gegenüberliegt, und sie sind mit Galliern und Spaniern v o n der Seeküste vermischt. Damals hatten sie sich auch auf die See begeben, fuhren mit ihren Raubschiffen bis zu den Säulen des H e r a k l e s 1 und schädigten durch ihre Plünderungen den Handel aufs schwerste. Als nun Aemilius anrückte, stellten sie sich ihm, vierzigtausend Mann stark, zum Kampf. E r hatte i m ganzen nur achttausend M a n n , griff aber mit ihnen den fünfmal stärkeren Feind an, schlug ihn und schloß ihn in seine F e s t u n gen ein, stellte aber dann einen glimpflichen Frieden in Aus-

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sieht. Denn die Römer hatten nicht den Wunsch, das Volk der Ligurer ganz zu vertilgen, weil es gleichsam als eine Sperre oder ein Bollwerk vor Italien lag gegenüber den Bewegungen der Gallier, die es stets bedrohten. Die Ligurer schenkten Aemilius Vertrauen und lieferten ihm ihre Schiffe und ihre Städte aus. Er gab ihnen die Städte zurück ohne weitere Schädigung, als daß er ihre Mauern niederlegen ließ; die Schiffe aber nahm er ihnen alle weg und überließ ihnen kein Fahrzeug mit mehr als drei Ruderbänken. Er befreite ferner die zahlreichen Menschen, Ausländer und Römer, die zu Lande oder zur See von ihnen gefangen worden waren und nun vorgefunden wurden. Dies waren die hervorstechenden Taten, die sein erstes Konsulat aufzuweisen hatte. Später ließ er wiederholt bemerkbar werden, daß er den Wunsch hatte, noch einmal Konsul zu werden, trat auch einmal als Bewerber auf. Da er aber das Ziel nicht erreichte und nicht beachtet wurde, so verhielt er sich fernerhin ruhig, befaßte sich mit dem Gottesdienst und erzog seine Söhne nach der landesüblichen und herkömmlichen Sitte, wie er auch selbst erzogen worden war, mit noch größerem Eifer aber nach der griechischen Weise. Denn nicht nur griechische Grammatiker, Philosophen und Redelehrer, sondern auch Bildhauer, Maler, Stallmeister, Hundemeister und Lehrer der Jagdkunst waren immer um die Jünglinge, und der Vater - es sei denn, daß ein öffentliches Geschäft ihn daran hinderte - war stets bei den Lehrstunden und Übungen zugegen, kinderlieb wie nur irgendein Römer. 7. Was nun die Entwicklung der öffentlichen Angelegenheiten anging, so war es damals gerade die Zeit, da die Römer im Krieg mit dem Makedonenkönig Perseus ihren Feldherren schwere Vorwürfe machten, daß sie aus Mangel an Erfahrung und Wagemut die Operationen schimpflich, ja lächerlich führten und mehr Verluste erlitten als zufügten. Nachdem sie

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nämlich kurz vorher den Antiochos mir dem Geinamen «der Große» aus ganz Kleinasien verjagt, über den Tauros hinausgeworfen und auf Syrien beschränkt hatten, so daß er froh war, gegen Zahlung von fünfzehntausend Talenten den Frieden zu erhalten, wenig früher in Thessalien Philipp zerschmettert und die Griechen vom Joch der Makedonen befreit hatten, endlich auch den Mann, dem kein König an Wagemut und Macht zu vergleichen war, Hannibal, niedergekämpft hatten, so fanden sie es unerträglich, mit Perseus, als wäre er ein ebenbürtiger Gegner für Rom, schon lange in unentschiedenem Kampf begriffen zu sein, da er doch nur mit den Überbleibseln aus der Niederlage seines Vaters den Kampf gegen sie führe; sie wußten nämlich nicht, daß Philipp nach seiner Niederlage das Heer der Makedonen sehr viel stärker und kampfkräftiger gemacht hatte. Das will ich kurz darstellen und dabei auf die Anfänge zurückgreifen. 8. Antigonos, der mächtigste unter den Nachfolgern und Feldherren Alexanders, der für sich und sein Geschlecht den Königsnamen gewann, hatte einen Sohn Demetrios. Dessen Sohn war Antigonos mit dem Beinamen Gonatas, dessen Sohn wiederum Demetrios, der nach kurzer Regierung unter Hinterlassung eines Sohnes noch im Knabenalter, Philippos, starb. Aus Furcht vor der Anarchie beriefen die vornehmsten Makedonen den Antigonos, einen Vetter des Verstorbenen, vermählten ihn mit der Mutter des Philippos und ernannten ihn zuerst zum Vormund und Feldherrn und danach, als sie ihn als einen Mann von Mäßigung und Sinn für das Gemeinwohl kennengelernt hatten, zum König. Er bekam den Beinamen Doson («der geben wird») als ein Mann, der viel versprach, aber wenig hielt. Der nach ihm an die Regierung kam, Philippos, erwarb schon als junger Mann den höchsten Ruhm unter den Königen und erregte die Erwartung, er werde Makedonien wieder zu dem alten Ansehen emporführen und als einziger

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der Macht der Römer, die sich schon gegen alle erhob, ein Ziel s e t z e n A b e r von Titus Flamininus bei Skotussa in einer großen Schlacht besiegt, beugte er sich fürs erste, überließ sich ganz der Gnade der Römer und war froh, mit einer mäßigen Buße davonzukommen. Später aber ertrug er es schwer, meinte, von Gnaden der Römer König zu sein, sei eher Sache eines dem Luxus ergebenen Sklaven als eines Mannes von Herz und Mut, wandte seinen Sinn wieder dem Kriege zu und rüstete heimlich und mit List. Er ließ nämlich die an den Straßen und am Meer gelegenen Städte verfallen und sich entvölkern, so daß sie nicht mehr beachtet wurden, und brachte landeinwärts eine bedeutende Streitmacht zusammen, füllte die Festungen, Burgen und Städte im Binnenlande mit Waffen, reichlichem Kriegsmaterial und junger Mannschaft und bereitete so den Krieg vor, indem er ihn aber gleichsam unter Verschluß hielt. Denn dreißigtausend Waffenrüstungen waren ungebraucht eingelagert, acht Millionen Scheffel Getreide in festen Plätzen gespeichert und an Geld eine solche Menge, daß sie ausgereicht hätte, um zehntausend Söldner zehn Jahre lang zur Verteidigung des Landes zu unterhalten. Aber er selbst kam nicht dazu, diesen Plänen näher zu treten und sie ins Werk zu setzen, sondern er schied vor Gram und Kummer aus dem Leben; er entdeckte nämlich, daß er seinen zweiten Sohn Demetrios mit Unrecht auf eine verleumderische Anklage des schlechteren Sohnes hin getötet hatte 1 . Der überlebende Sohn, Perseus, erbte zugleich mit der Herrschaft auch die Feindschaft gegen die Römer, war aber nicht fähig sie durchzuhalten zufolge der Niedrigkeit und Erbärmlichkeit seines Charakters, in welchem unter vielerlei Leidenschaften und Schwächen, die ihm innewohnten, die Geldgier an erster Stelle stand. Es heißt auch, er sei gar nicht echtbürtig gewesen, sondern Philipps Gemahlin habe ihn als neugeborenes Kind von seiner Mutter, einer Näherin aus Argos namens

IJÖ

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G n a t h a i n i o n , sich geben lassen und ihn u n v e r m e r k t unterge-

schoben. Dies scheint der Hauptgrund gewesen zu sein, weshalb er Demetrios beseitigte, aus Furcht, daß das Königshaus, wenn es einen rechtmäßigen Thronerben hätte, seine eigene Unechtheit aufdeckte. 9. Aber obwohl er unedel und von niedriger Gesinnung war, so wurde er doch von der Macht der Tatsachen in den Krieg hineingerissen, stellte sich ihm und hielt ihn lange Zeit durch, erwehrte sich konsularischer Feldherren der Römer und großer Landheere und Flotten und errang sogar einige Siege. Den Publius Licinius, der zuerst in Makedonien einfiel, schlug er in einer Reiterschlacht, tötete zweitausendfünfhundert tapfere Männer und nahm noch sechshundert gefangen, machte einen plötzlichen Angriff auf die bei Oreos vor Anker liegende Flotte, erbeutete zwanzig Frachtschiffe mitsamt der Ladung, und die anderen mit Getreide beladenen Schiffe sowie vier Fünfruderer versenkte er. Den zweiten Prokonsul, Hostilius, schlug er zurück, als er im Gebiet von Elimia einbrechen wollte, und als er heimlich durch Thessalien einfiel, bot er ihm eine Schlacht an und schreckte ihn damit zurück'. Nebenbei unternahm er einen Feldzug gegen die Dardaner, als wenn er die Römer verachtete und freie Zeit hätte, hieb zehntausend der Barbaren nieder und trieb eine reiche Beute davon. Auch setzte er die an der unteren Donau angesiedelten Gallier in Bewegung, ein kampftüchtiges Reitervolk - Basterner heißen sie 2 - und rief die Illyrier durch ihren König Genthius auf, sich an dem Kriege zu beteiligen; es hieß sogar, daß die Barbaren von ihm durch Geschenke bewogen worden seien, durch das untere Gallien an der Adria entlang in Italien einzufallen. 10. Als die Römer dies erfuhren, beschlossen sie, die Schmeicheleien und Versprechungen der Bewerber um das Kommando unbeachtet zu lassen und einen Mann zur Feldherrnwürde

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zu berufen, der Einsicht und die Fähigkeit besäße, ein großes Unternehmen zu leiten. Dieser Mann war Paulus Aemilius, der zwar schon in vorgerücktem Alter stand, nämlich etwa sechzig Jahre alt, aber noch körperlich rüstig und von jungen Söhnen, Schwiegersöhnen und einer Menge einflußreicher Freunde und Verwandten umgeben war, die alle in ihn drangen, dem Rufe des Volkes zur Konsulwürde Folge zu leisten. Er sträubte sich zwar anfänglich der Menge gegenüber und suchte sich ihren eifrigen Bemühungen zu entziehen, als wünsche er das Amt nicht. Als sie aber täglich vor sein Haus kamen, ihn auf den Markt hinaus riefen und wegen seiner Weigerung schalten, ließ er sich endlich bewegen, und sowie er nur unter den Bewerbern um das Konsulat erschien, sah es so aus, als komme er nicht auf das Wahlfeld hinab, um ein Amt zu gewinnen, sondern als bringe er Sieg und glückliche Entscheidung des Krieges mit und schenke sie seinen Mitbürgern. Mit solcher Hoffnung und Freudigkeit empfingen ihn alle und übertrugen ihm das zweite K o n s u l a t u n d sie duldeten nicht, daß die Provinzen in der üblichen Weise durch das Los verteilt wurden, sondern legten sofort die Führung des makedonischen Krieges in seine Hände. Als er nun zum Feldherrn gegen Perseus ernannt war und von dem ganzen Volke glanzvoll nach Hause geleitet wurde, da habe er, so wird erzählt, sein Töchterchen Tertia, die noch ein kleines Mädchen war, in Tränen angetroffen, und als er sie freundlich begrüßte und fragte, warum sie so traurig sei, da habe ihn das Kind umarmt und geküßt und gesagt: « Weißt du denn nicht, Vater, daß uns der Perseus gestorben ist?», womit es ein Hündchen meinte, das mit ihm aufgewachsen war und diesen Namen hatte. Daraufhabe Aemilius gerufen: «Das soll ein Glückswort sein, Tochter. Ich nehme die Vorbedeutung an.» Dies hat der Redner Cicero in seiner Schrift über die Weissagung erzählt \

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I i . Während es sonst Sitte war, daß diejenigen, die das Kon sulat erhalten hatten, mit freundlichen Worten von der Rednertribüne zum Volke sprachen und ihm ihren Dank bezeigten, rief Aemilius die Bürger zur Versammlung und sagte, um das erste Konsulat habe er sich selbst beworben, weil er das Amt wünschte; das zweite aber habe er angenommen, weil sie einen Feldherrn wünschten. Er sei ihnen also durchaus keinen Dank schuldig, sondern wenn sie glaubten, daß der Krieg durch einen andern besser geführt werden würde, so sei er bereit, das Kommando abzutreten; wenn sie aber Vertrauen zu ihm hätten, so sollten sie sich nicht in die Führung einmischen und viel herumschwätzen, sondern schweigend verrichten, was für den Krieg vonnöten sei, denn wenn sie dem Befehlshaber zu befehlen versuchten, so würden sie sich bei ihren militärischen Unternehmungen noch mehr zum Gespött machen, als sie es jetzt schon seien. Mit solchen Worten flößte er seinen Mitbürgern Ehrgefühl und Scheu ihm gegenüber und eine hohe Erwartung für das Kommende ein, und alle freuten sich, daß sie die Schmeichler übergangen und einen Feldherrn gewählt hatten, der Stolz besaß und frei seine Meinung sagte. So willig gehorchte das römische Volk den Geboten der Pflicht und der Tugend, um größer zu sein als alle anderen und sie zu beherrschen. 12. Daß Aemilius Paulus, als er sich zum Heere begab, bei der Uberfahrt vom Winde begünstigt wurde und eine leichte Reise hatte, so daß er schnell und sicher zum Lager gelangte, das schreibe ich seinem Glück zu; wenn ich aber sehe, daß der Krieg unter seiner Führung teils durch rasches Wagen, teils durch kluge Planung, teils durch mutigen Einsatz der Freunde, teils durch unbeirrte Festigkeit in der Gefahr und durch gutbegründete Überlegungen zum guten Ende gebracht worden ist, so kann ich dem vielgepriesenen Glück des Mannes keinen so glänzenden und bedeutenden Anteil zuerkennen wie bei an-

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deren Feldherren, man müßte denn sagen, daß die Geldgier des Perseus im Verlauf der Ereignisse für Aemilius ein Glücksfall gewesen sei, vermöge deren der König die glanzvoll und hoffnungsreich emporgestiegene Macht der Makedonen stürzte und vernichtete, weil er sich nicht von seinem Gelde trennen konnte. Denn es waren auf sein Ansuchen Bastemer zu ihm gekommen, zehntausend Reiter und ebensoviele Begleitmannschaften zu Fuß, alles Berufssoldaten, Männer, die sich weder auf Ackerbau noch auf Schiffahrt verstanden, auch nicht als Hirten vom Ertrag ihrer Herden lebten, sondern immer nur die eine Arbeit und die eine Kunst übten: zu kämpfen und den Gegner zu schlagen. Als sie jetzt im Lande der Maider 1 ihr Lager aufschlugen und mit den vom König gesandten Leuten in Verbindung traten, hochgewachsene Männer von bewundernswerter Übung in den Waffen, voll trotzigen Mutes und hochfahrend in ihren Drohungen gegen die Feinde, da erfüllten sie auch die Makedonen mit Mut und der Zuversicht, daß die Römer ihnen nicht standhalten, sondern schon vor ihrem Anblick und ihrer fremdartigen, dem Auge schwer zu ertragenden Art sich zu bewegen in Schrecken geraten würden. In solche Stimmung hatte Perseus die Leute versetzt und mit solchen Hoffnungen erflillt; als ihm aber nun tausend Goidstükke für jeden Führer abverlangt wurden, befiel ihn angesichts der Höhe der sich ergebenden Geldsumme ein Schwindel, und er kam vor Geiz fast von Sinnen und wies die Waffenhilfe ab und ließ sie gehen, als ob er nicht mit den Römern Krieg führte, sondern ihr Vermögensverwalter wäre und über seine Aufwendungen für den Krieg denen, mit denen er Krieg führte, genaue Rechenschaft abzulegen hätte. Dabei hatte er an ihnen selber Lehrmeister, was er zu tun hatte, sie, die abgesehen von ihrer übrigen Rüstung nicht weniger als hunderttausend Mann aufgestellt und zu ihrer Verfügung hatten. Und er, der gegen eine so gewaltige Macht zu einem Kriege sich

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erhob, der so viel N e b e n a u f w a n d erforderte, zählte und versie-

gelte das Geld und wagte es nicht anzurühren, als ob es einem andern gehörte. Und der das tat, war nicht ein Abkömmling von Lydem oder Phoinikernsondern ein Mann, der kraft Blutsverwandtschaft den Anspruch erhob, Alexander und Philipp zu gleichen, die, weil sie nach dem Grundsatz verfuhren, Macht um Geld, nicht Geld um Macht zu kaufen, über alle den Sieg gewonnen hatten. Sagte man doch, daß die Städte der Griechen nicht Philipp, sondern Philipps Geld erobere, und Alexander, als er den Feldzug gegen die Inder eröffnete und sah, daß die Makedonen schon an den persischen Reichtümern eine schwer zu befördernde Last mit sich schleppten, ließ zuallererst die königlichen Wagen verbrennen und beredetedann die anderen, dasselbe zu tun und erleichtert, gleichsam entfesselt, in den Krieg aufzubrechen. Perseus hingegen häufte das Gold über sich, seinen Kindern und seinem Königreich auf und war nicht bereit, sich durch Hingabe wenigen Geldes zu retten, sondern ließ sich lieber mit vielem Gelde, ein reicher Gefangener, davonschleppen, um den Römern zu zeigen, wieviel er für sie zusammengespart hatte. 13. Denn nicht nur ließ er vertragsbrüchig die Gallier gehen, sondern er bewog auch den Illyrier Genthius durch das Versprechen von dreihundert Talenten, sich an dem Kriege zu beteiligen, ließ den von ihm gesandten Leuten das Geld vorzählen und gestattete, daß sie es versiegelten. Als aber Genthius in der Überzeugung, er habe nun, was er verlangt hatte, einen furchtbaren Frevel verübte, indem er römische Gesandte, die zu ihm gekommen waren, festnehmen und in Fesseln legen ließ, da glaubte Perseus, das Geld sei nicht mehr nötig, um Genthius in den Krieg zu treiben, da er ja vorweg unlösbare Unterpfänder seiner Feindschaft geliefert und sich durch eine so schwere Verfehlung selbst in den Krieg gestürzt habe, und so betrog er den Unseligen um die dreihundert Ta-

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lente und sah ruhig zu, wie er nach kurzer Zeit durch den mit Heeresmacht gegen ihn entsandten Praetor Lucius Anicius mit Weib und Kindern aus seinem Königreich wie aus einem Nest ausgehoben wurde Gegen einen solchen Widersacher vorgehend, hatte Aemilius zwar Verachtung für ihn selber, aber Respekt vor der von ihm geschaffenen Rüstung und Heeresmacht. Es waren nämlich viertausend Reiter, und Fußsoldaten für die Phalanx nicht viel weniger als vierzigtausend. Er hatte sich zwischen dem Meer und den Vorbergen des Olympos festgesetzt in einem Gelände, das allerseits unzugänglich und dazu überall von ihm durch Schanzen und hölzerne Schutzwehren verstärkt war, und saß da in aller Ruhe in dem Glauben, er werde den Aemilius durch die Z e i t und den Geldaufwand zermürben. Der war in seinen Überlegungen nicht müßig, sondern erwog im Geiste alle möglichen Anschläge und Entwürfe; als er aber bemerkte, daß die Soldaten infolge der von früher her eingerissenen Zuchtlosigkeit unruhig waren und untereinander viele unausführbare Pläne diskutierten, tadelte er sie heftig und befahl ihnen, sich nicht um Dinge zu kümmern, die sie nichts angingen, sondern nur darauf bedacht zu sein, daß jeder seinen Leib und seine Waffenrüstung gut im Stande habe und sein Schwert nach Römerweise brauche, sobald ihm der Feldherr dazu die Gelegenheit gebe. Den Nachtwachen befahl er, die Wache ohne Spieß zu beziehen, damit sie besser aufpaßten und gegen den Schlaf ankämpften, wenn sie einen andringenden Feind nicht abwehren könnten. 14. Am meisten litten die Leute unter dem Wassermangel; denn nur weniges und schlechtes Wasser quoll hervor und sammelte sich unmittelbar am Strande. Da nun Aemilius das hohe und dichtbewaldete Olymposgebirge sich über dem Lager erheben sah und aus dem frischen Grün des Waldes schloß, daß es Quellen enthalten müsse, die sich in der Tiefe verlören,

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so ließ er, um ihnen Abflüsse zu verschaffen, im Bergvorland viele Brunnen ausheben. Diese füllten sich sofort mit reinem Wasser, das sich infolge des Zuges und Druckes des zusammengepreßten Erdreichs in den leeren Räumen sammelte. Allerdings behaupten einige Forscher, daß sich nicht Quellen schon vorhandenen, nur verborgenen Wassers an den Orten befinden, an denen sie hervorfließen, und daß ihr Hcrvorströmen nicht ein ans Licht Treten und Hervorbrechen sei, sondern ein Entstehen und sich Bilden, indem ihr Stoff erst da die flüssige Form annehme; flüssig werde aber der feuchte Dunst infolge von Verdichtung und Abkühlung, wenn er in der Tiefe zusammengepreßt ins Fließen komme. Denn wie die Brüste der Frauen nicht wie Gefäße voll von zuströmender fertiger Milch sind, sondern durch Verwandlung des Nahrungsstoffes in ihrem Innern Milch erzeugen und durchseihen, so enthalten die durchkühlten und quellenreichen Gegenden derErde kein verborgenes Wasser noch Höhlungen, welche die tiefströmende Fülle so vieler Flüsse aus einem vorhandenen, bereitstehenden Vorrat entsenden, sondern sie verwandeln den Dunst und die Luft durch drückende, verdichtende Zusammenpressung in Wasser. So spendet ja auch um gegrabenes Erdreich eher Wasser und Feuchtigkeit vermöge solcher Bearbeitung - wie die Brüste der Frauen infolge des Saugens - , indem es den Dunst erweicht und verflüssigt; Erdreich hingegen, das unbearbeitet in festem Zusammenschluß daliegt, ist unfähig zur Erzeugung von Wasser, weil es der die Feuchtigkeit hervorbringenden Bewegung entbehrt. Diejenigen, die diese Lehre vertreten, haben den Leuten, die immer neue Probleme suchen, den Anstoß zu der Behauptung gegeben, daß auch das Blut nicht in den Lebewesen vorhanden sei, sondern daß es sich erst bei Verwundungen bilde vermöge einer Verwandlung eines den Körper durchdringenden Hauches oder des Fleisches, welche ein Fließen und Z u -

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sammenschmelzen hervorrufe. Aber sie werden widerlegt durch die Flüsse, welche bei der Anlage von Schächten und Bergwerken in der Tiefe angetroffen werden und die sich nicht erst allmählich sammeln, wie es doch geschehen müßte, wenn sie erst unmittelbar durch die Bewegung des Erdreiches ihren Ursprung empfingen, sondern in starker Fülle einhergeströmt kommen. Beobachten wir doch auch, daß zuweilen, wenn ein Felsen gespalten wird, ein starker Wasserstrom hervorschießt und dann versiegt. Soviel hiervon. 15. Aemilius verhielt sich einige Tage ruhig, und man sagt, daß niemals, wenn so große Heere so nahe beieinander lagerten, eine solche Stille geherrscht habe. Als er dann durch die sorgfältigste Erkundung in Erfahrung brachte, daß nur ein Einmarschweg noch unbesetzt sei, der durch Perrhaibien über Pythion und Petra', setzte er mehr Hoffnung auf den Umstand, daß der Ort unbesetzt war, als er sich durch die Unwegsamkeit und Steilheit, wegen deren er nicht besetzt war, abschrecken ließ, und hielt einen Kriegsrat. Als erster von den Anwesenden meldete sich hier Scipio mit dem Beinamen Nasica, der Schwiegersohn des Scipio Africanus, später der einflußreichste Mann im Senat, dazu, die Führung des Umgehungskorps zu übernehmen. Als zweiter erhob sich freudigen Mutes Fabius Maximus, der älteste der Söhne des Aemilius, noch ein ganz junger Mann. Hocherfreut gab ihnen Aemilius eine Schar, nicht so stark, wie Polybios angegeben hat, sondern so viele, wie Nasica selbst bekommen zu haben erklärt in einem Briefe, den er über diese Unternehmung an einen der Könige geschrieben hat'. Hiernach waren es dreitausend Auserlesene der italischen Bundesgenossen, und den linken Flügel bildeten fünftausend Mann. Hierzu bekam Nasica noch hundertzwanzig Reiter und zweihundert Mann der aus Thrakern und Kretern zusammengesetzten Truppe des Harpalos, rückte mit ihnen auf dem Wege längs des Meeres aus und lagerte

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sich bei H e r a k l e i o n a l s ob er das i-ager der Feinde z u Schiffe umgehen und einschließen wolle. Aber nachdem die Soldaten gespeist hatten und es dunkel geworden war, enthüllte er den Offizieren seine wahre A b s i c h t , z o g während der N a c h t die entgegengesetzte Straße vom Meere ins Binnenland und machte unterhalb des Pythion H a l t , w o er das Heer ausruhen ließ. Hier erhebt sich das O l y m p o s g e b i r g e zu einer H ö h e von mehr als zehn Stadien. Das wird in einer Inschrift des Mannes b e z e u g t , der sie gemessen hat, folgendermaßen: « Des O l y m p o s Gipfel über d e m Pythion Apollons Hat eine heilige Höhe - sie ward nach dem Senkblei gemessen Von einer vollen Zehnheit von Stadien, darüber hinaus noch Von hundert Fuß, vermindert um vier. Des Eumelos Sohn hat diese M e s s u n g vollzogen, Xeinagores. Du, Herrscher, sei gnädig und verleihe ihm Gutes.» Allerdings behaupten die Geographen, daß weder die Höhe eines Berges noch die Tiefe eines Meeres zehn Stadien übersteige ; aber Xenagoras scheint seine M e s s u n g nicht nur oberflächlich, sondern kunstgerecht und mit Hilfe von Instrumenten gemacht zu haben 1 . 16. Dort verbrachte Nasica die Nacht. Z u Perseus, der Aemilius ruhig an seinem O r t e verweilen sah und nicht ahnte, was v o r g i n g , kam ein kretischer Überläufer, der sich unterw e g s entfernt hatte, und meldete ihm den Umgehungsmarsch der Römer. Er war höchst bestürzt, brach aber sein Lager nicht ab, sondern übergab Milon zehntausend Söldner und zweitausend Makedonen und entsandte sie mit dem Befehl, zu eilen und die Paßhöhe zu besetzen. Diese wurden, so sagt Polybios, im Schlaf von den Römern überfallen; Nasica hingegen erklärt, es habe auf den Höhen ein heftiger und gefährlicher K a m p f stattgefunden, und er selbst habe einem thrakischen

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Söldner, mit dem er handgemein wurde, den Speer durch die Brust gestoßen und ihn niedergestreckt; nachdem die Feinde zurückgeworfen und Milon schmählich ohne seine Waffen im bloßen Unterkleide geflohen sei, habe er ihn in aller Sicherheit verfolgt und sein Heer ins Land hinuntergeführt. Nach diesem Mißerfolg brach Perseus in Eile auf und trat den Rückzug an, voll Schrecken und in seinen HofFnungen erschüttert. Aber vor Pydna ' mußte er notgedrungen haltmachen und das Schlachtenglück versuchen oder das Heer aufteilen und den Krieg um die Städte aufnehmen, der, nachdem er einmal ins Land gedrungen war, ohne große Blutopfer nicht mehr daraus zu vertreiben war. Auch schien noch nichts verloren. Denn an Truppenzahl, so stellte man ihm vor, sei er schlechthin den Feinden überlegen, und die Soldaten, die sich für Weiber und Kinder wehrten, während der König das Auge auf sie hatte und an ihren Gefahren teilnahm, seien voll von Kampfesmut. Mit solchen Vorstellungen machten die Freunde dem Perseus neuen Mut, er schlug ein Lager auf, ordnete das Heer zur Schlacht, besichtigte die Gegend und wies jedem der Offiziere seinen Platz an, um den Römern sofort, wenn sie anrückten, entgegenzutreten. Das Gelände schien günstig: es war eine Ebene da für die Phalanx, welche einen festen Standpunkt und flaches Land brauchte, und anschließend eine Hügelkette, welche den leichten Truppen jeder Art Gelegenheiten zu Rückzugs- und Umgehungsmanövern bot. Die inmitten durchströmenden Bäche Aithon und Leukos waren damals nicht sehr tief (denn es ging gegen das Ende des Sommers), mochten aber doch den Römern einige Schwierigkeiten machen. 17. Nachdem Aemilius sich mit Nasica vereinigt hatte, rückte er in geschlossener Ordnung gegen die Feinde vor. Als er aber ihre Aufstellung und ihre Masse sah, stutzte er und ließ haltmachen, um mit sich zu Rate zu gehen. Die jungen

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Offiziere kamen brennend vor Kampfeseifer angeritten und baten ihn, nicht zu zaudern, ganz besonders Nasica, dem der glückliche Erfolg am Olymp M u t gemacht hatte. Aber Aemilius sagte lächelnd: « J a , wenn ich noch so j u n g wäre wie du! Aber meine vielen Siege, die mich über die Fehler der Besiegten belehrt haben, verbieten es mir, vom Marsche aus den Kampf mit einer schon aufmarschierten und in fester Ordnung stehenden Phalanx aufzunehmen.» H i e r a u f l i e ß er die vordersten, den Feinden schon in Sicht gekommenen Truppenteile kohortenweise antreten, als wollten sie eine Schlachtordnung bilden, die den Schluß Bildenden hingegen kehrtmachen und an O r t und Stelle ein festes Lager errichten. So gelang es ihm, indem er immer die den Hintersten zunächst Stehenden sich herauslösen und zurückgehen ließ, die Schlachtordnung unvermerkt aufzulösen und alle ohne Störung ins Lager zu bringen. Als es N a c h t geworden war und die Soldaten nach dem Nachtmahl sich zum Schlaf und zur R u h e begeben wollten, verfinsterte sich plötzlich der Mond, der voll und hoch am Himmel stand, und während sein Licht abnahm, spielte er in mannigfachen Farben und verschwand endlich ganz 1 . Während nun die Römer, wie es bei ihnen Sitte ist, durch Zusammenschlagen eherner Gegenstände sein Licht zurückzurufen suchten und viele brennende Fackeln zum Himmel aufhoben, taten die Makedonen nichts dergleichen, sondern Schaudern und Bestürzung erfüllte das Lager, und in der Stille durchlief ein Geraune die Menge, die Erscheinung bedeute den Untergang des Königs. Aemilius war zwar nicht ganz ohne Kunde und Wissen von den Unregelmäßigkeiten der Verfinsterungen, welche den M o n d während seines Umlaufs in bestimmten Perioden in den Schattenkegel der Erde führen und verschwinden lassen, bis er den beschatteten Raum durchlaufen hat und erneut im W i derschein der Sonne aufstrahlt. Da er aber sehr religiös war,

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gern opferte und großen Wert auf die Weissagung legte, so brachte er dem Monde, sowie er ihn wieder rein aus dem Dunkel hervortreten sah, elf junge Rinder zum Opfer. Als er dann bei Tagesanbruch dem Herakles das Stieropfer brachte, konnte er bis zum zwanzigsten Tier kein günstiges Zeichen erlangen; beim einundzwanzigsten endlich erschienen die glückverheißenden Zeichen, und zwar prophezeiten sie Sieg im Abwehrkampf. Er gelobte nunmehr dem Gott hundert Stiere und ein heiliges Spiel und befahl darauf den Offizieren, das Heer zur Schlacht zu ordnen. Er selber wartete den weiteren Umlauf des Tagesgestirnes ab, damit seinen Leuten die Sonne nicht während des Kampfes von Osten her in die Augen schiene, und verbrachte die Zeit in seinem Zelte sitzend, welches gegen die Ebene und das Lager der Feinde hin geöffnet war. 18. Am späten Nachmittag - so sagen die einen - ließen die Römer, indem Aemilius es darauf anlegte, daß der Angriff von den Feinden ausginge, ein ungezäumtes Pferd auf sie zutreiben, und dieses habe, indem man ihm nachsetzte, den Kampf zum Ausbruch gebracht. Die anderen sagen, Thraker unter der Führung des Alexander hätten mit Futter beladene römische Lasttiere überfallen, auf diese sei ein heftiger Angriff von siebenhundert Ligurern erfolgt, und da beiden Parteien mehr und mehr Verstärkungen zuströmten, so habe sich daraus die allgemeine Schlacht entwickelt. Aemilius, der wie ein Steuermann aus der wogenden Bewegung der Heere auf die Größe des bevorstehenden Kampfes schloß, trat jetzt aus seinem Zelt, schritt an den Abteilungen der Schwerbewaffneten entlang und hielt ermunternde Ansprachen. Nasica sprengte zu den in den Vorgefechten Begriffenen hinaus und sah, daß schon beinahealle Feinde dabei waren, in den Kampf einzugreifen. Die vorderste Front bildeten dieThraker, vor deren Anblick er, wie er sagt, am meisten erschrak, hochgewachsene Männer, bewaffnet mit blendendweißen Schilden und Beinschienen, dar-

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unter schwarze Lcibröcke, schwere eiserne Schwerter aufgerichtet über der rechten Schulter schwingend. An die T h r a k e r schlössen die Söldner an in verschiedenartigen R ü s t u n g e n , unter sie gemischt Paionier'. Z u dritt folgten die Auserlesenen, die edelste Blüte der Makedonen selber an T a p f e r k e i t und J u g e n d k r a f t , hellstrahlend mit vergoldeten Waffen und in neuen Purpurrocken.

Während sie ihre Stellung

bezogen,

strömten hinter ihnen die Reihen der Erzbcschildeten aus dem Lager hervor, erfüllten mit dem Glanz des Eisens und dem Schimmer des Erzes die Ebene und ließen von dem Geschrei und dem Schall der Kommandorufe die B e r g e widerhallen. Und mit so kühnem M u t und solcher Schnelligkeit rückten sie an, daß die ersten T o t e n nur zwei Stadien vom römischen Lager entfernt niederfielen. 19. Als so der A n g r i f f erfolgte, war Aemilius zur Stelle und traf die Makedonen der auserlesenen Schar an, w i e sie schon die Spitzen ihrer langen Lanzen * in die Schilde der R ö m e r gebohrt hatten und sie nicht so nahe herankommen ließen, daß sie ihre Schwerter gebrauchen konnten. Als jetzt auch die anderen Makedonen die Schilde von der Schulter nahmen, die langen Lanzen auf einen Kommandoruf senkten und mit ihnen dem Angriff der Legionen begegneten, erfaßte den Aemilius, da er die Festigkeit ihres Zusammenschlusses und die dichte K e t t e der ausgelegten Lanzenspitzen g e w a h r t e , Schrecken und Furcht. Hatte er doch noch niemals ein so schreckliches Schauspiel zu Gesicht bekommen, und oft gedachte er später noch dieses Anblicks und seiner Erschütterung. Im

Augenblick

aber zeigte er sich den kämpfenden Soldaten gegenüber ruhig und heiter und ritt ohne Helm und Panzer die F r o n t entlang. Der K ö n i g der Makedonen hingegen, so sagt Polybios, bekam es, als die Schlacht ihren A n f a n g nahm, mit der A n g s t und ritt davon nach der Stadt mit dem V o r g e b e n , er wolle dem Herakles ein Opfer bringen, der doch feige Opfergaben von

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feigen

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nicht entgegennimmt und unberechtigte

Gebete nicht erfüllt. Denn wider das Recht ist es, daß einer, der nicht schießt, treffen, daß einer, der nicht stand hält, siegen und überhaupt, daß der Untätige Erfolg haben und daß der Schlechte glücklich sein sollte. Das Gebet des Aemilius aber nahm der G o t t an, denn er betete um Kraft und Sieg im Kampf, den Speer in der Faust haltend, und kämpfend rief er den G o t t als Kampfgenossen. Indes behauptet ein gewisser Poseidonios, der zu jener Zeit gelebt zu haben und bei jenen Ereignissen gegenwärtig gewesen zu sein angibt und eine Geschichtc des Perseus in mehreren Büchern geschrieben hat', der König habe sich nicht aus Feigheit und unter dem Vorwand eines Opfers entfernt, sondern am T a g e vor der Schlacht habe er von einem Pferde einen Hufschlag gegen das Bein erhalten, und während der Schlacht habe er sich, obwohl er sich sehr übel befand und die Freunde ihn daran hindern wollten, ein Saumpferd vorführen lassen, es bestiegen und sei ungepanzert zu der Phalanx geritten. Da habe ihn von den von beiden Seiten heransausenden Geschossen aller A r t ein ganzeiserner Wurfspeer getroffen, zwar nicht mit der Spitze, aber so, daß er schräg seine linke Seite streifte und zufolge seiner Fluggeschwindigkeit den Rock zerfetzte und eine flache Fleischwunde verursachte, von der noch lange eine Narbe zurückblieb. Dies erzählt also Poseidonios, um Perseus zu rechtfertigen. 20. Als die Römer beim Zusammenstoß mit der Phalanx nicht durchzubrechen vermochten, erfaßte Salvius, der Führer der Paeligner 1 , das Feldzeichen seiner Abteilung und warf es mitten unter die Feinde. Als darauf die Paeligner - denn bei den Italikern gilt es als eine Schande vor Gott und den Menschen, das Feldzeichen im Stich zu lassen - nach jener Stelle hindrängten, kam es von beiden Seiten zu einem mörderischen Kampf. Die Römer versuchten mit ihren Schwertern die lan-

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gen Lanzen wegzuschlagen, sie mit den Schilden wegzustoßen oder auch sie mit den Händen zu erfassen und beiseite zu reißen. Die Makedonen hielten die ausgelegten Lanzen mit beiden Händen fest, durchbohrten die Anlaufenden mitsamt ihren Schutzwaffen, da kein Schild noch Panzer dem Stoß der Sarissa widerstand, und warfen die Leiber der Paeligncr und Marruciner, die ohne Besinnen mit der Wut wilder Tiere in die drohenden Spieße und den offenbaren Tod hineinrannten, über ihre Köpfe hinweg. Nachdem so die ersten Reihen vernichtet waren, wurden die hinter ihnen Stehenden zurückgedrängt, und es war zwar keine Flucht, aber ein Zurückgehen nach dem Berge Olokros 1 hin, so daß Aemilius, als er das sah so sagt Poseidonios - , sein Gewand zerriß, weil seine Leute teils wankten, teils der Phalanx auszuweichen suchten, die keine Möglichkeit zum Angriff bot, sondern hinter dem dichten Wald ihrer Lanzenspitzen wie hinter einem Schanzwerk allerseits unwiderstehlich vorrückte. Aber da das Gelände uneben war und daher die makedonische Front wegen ihrer Länge den festen Zusammenschluß Schild an Schild nicht wahren konnte, sondern viele Risse und Lücken bekam, wie es bei großen Heeren und den mancherlei Bewegungen der Kämpfenden natürlich ist, wenn ein Teil weggedrängt wird, ein anderer vorprellt, so eilte Aemilius, sowie er das bemerkte, schnell herzu, teilte sein Heer in kleinere Abteilungen und befahl ihnen, in die Lücken und Öffnungen der feindlichen Schlachtreihe einzubrechen, dort anzugreifen und nicht eine allgemeine Schlacht, sondern viele getrennte Einzelgefechte zu liefern. Nachdem Aemilius diese Weisung an die Offiziere gegeben, diese sie an die Soldaten weitergegeben hatten, und sobald jetzt die Römer sich in die feindlichen Reihen einschoben und eindrängten, den einen in die nicht vom Schild geschützte Flanke fielen, die anderen umgingen und im Rücken faßten, da war es um die Wucht und das gemeinsame Wirken der zer-

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reißenden Phalanx sofort getan, und in den Einzelgefechten mit wenigen waren die Makedonen, die mit ihren kurzen Schwertern fruchtlos gegen die festen, bis zu den Füßen reichenden Schilde der Römer stießen und mit ihren schwachen Schilden sich vergeblich gegen die römischen Schwerter wehrten, welche mit ihrer Schwere und ihrem Schwung durch jede Schutzwaffe hindurch in den Leib fuhren, kaum noch widerstandsfähig und wandten sich zur Flucht. 2 1 . Doch gab es noch einen gewaltigen Kampf. Dabei verlor Marcus, Catos Sohn und Aemilius* Schwiegersohn, während er mit aller Kraft focht, sein Schwert". Als ein Jüngling, der die edelste Erziehung genossen hatte und einem großen Vater den Beweis großer Tapferkeit schuldete, glaubte er, nicht länger leben zu können, wenn er lebendig den Feinden seine Waffe als Beute überließe, und eilte daher durch die Reihen der Kämpfenden, ob er wo einen Freund oder Bekannten träfe, erzählte ihm sein Mißgeschick und bat um Hilfe. Es sammelten sich viele tapfere Männer, durchbrachen, um den jungen Cato als Führer geschart, in einem Stoß die Reihen der anderen und warfen sich auf die Feinde. Nach schwerem Kampfund unter vielem Blutvergießen drängten sie sie vom Ort, und nachdem sie den Platz frei gemacht hatten, begaben sie sich auf die Suche nach dem Schwert, und nachdem sie es mit Mühe unter vielen Waffen und gehäuften Leichen verborgen gefunden hatten, stimmten sie hocherfreut einen Triumphgesang an und warfen sich mit noch größerem Ungestüm auf die noch standhaltenden Feinde. Schließlich wurden die dreitausend Auserlesenen, die kämpfend an ihrem Platz verharrten, bis auf den letzten Mann niedergehauen. Unter den Fliehenden aber gab es ein solches Gemetzel, daß die Ebene und der Fuß des Gebirges mit Leichen bedeckt war und das Wasser des Leukosflusses, als die Römer ihn am Tage nach der Schlacht überschritten, noch vom Blut gefärbt war. Es sollen nämlich über

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Piinfundzwnnzigrausend den T o d gefunden haben. A u f r ö m i scher Seite fielen nach A n g a b e des Poseidonios hundert, nach Nasica nur achtzig Mann. 22. So g e w a l t i g diese Schlacht w a r , kam sie doch zu schnellster E n t s c h e i d u n g , denn sie begannen den K a m p f in der neunten Stunde und hatten schon v o r A b l a u f der zehnten gesiegt Den R e s t des T a g e s benützten sie zur V e r f o l g u n g , f ü h r t e n sie bis über hundertzwanzig Stadien 2 und kehrten erst a m späten Abend zurück. Den anderen gingen ihre Diener m i t Fackeln e n t g e g e n und führten sie mit Freudengeschrei zu ihren Z e l t e n , welche in festlicher Beleuchtung strahlten und mit E f e u - und Lorbeerkränzen geschmückt waren. Der Feldherr selbst aber w a r in tiefer T r a u e r , denn von seinen beiden Söhnen, die den F e l d z u g mitmachten, w a r der j ü n g e r e , den er am meisten liebte und durch die edelsten Anlagen v o r seinen B r ü d e r n ausgezeichnet sah, nirgends zu finden, und da er von feurigem T e m p e r a m e n t und von Ehrgeiz erfüllt, aber doch noch ein halber K n a b e w a r 5 , so zweifelte der Vater kaum noch daran, daß er in seiner Unerfahrenheit mitten unter die kämpfenden Feinde geraten und umgekommen sei. Seine R a t l o s i g k e i t u n d seinen Schmerz bemerkte das ganze H e e r , sie sprangen mitten v o m M a h l e auf und rannten mit Fackeln durcheinander, die einen zum Z e l t des Aemilius, die anderen v o r das L a g e r , um unter den zunächst liegenden T o t e n zu suchen. N i e d e r g e schlagenheit erfüllte das Lager und Geschrei die E b e n e von den Leuten, die immerfort Scipio riefen. Denn er w a r bei allen hochangesehen, weil von Anfang an seine B e f ä h i g u n g zur militärischen und politischen Führerschaft wie bei keinem andern seines Geschlechtes hervortrat. Spät endlich, als man ihn beinahe schon aufgegeben hatte, kam er mit zwei oder drei Gefährten von der Verfolgung zurück, über u n d über von Feindesblut bedeckt, wie ein edler j u n g e r Hund von der Siegesbegeisterung hemmungslos hingerissen. Dies ist der Scipio,

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der in der Folgezeit Karthago und Numantia zerstörte, der bei weitem hervorragendste Römer seiner Zeit wurde und zum höchsten Ansehen emporstieg. So verschob das Schicksal dem Aemilius die Vergeltung fiir sein Glück auf einen andern Zeitpunkt und schenkte ihm damals die volle Freude an seinem Sieg. 23. Perseus richtete seinen Fluchtweg von Pydna nach Pell a b e g l e i t e t von den Reitern, die sich fast alle aus der Schlacht gerettet hatten. Als aber die Fußsoldaten die Reiter einholten, sie Feiglinge und Verräter schalten, von den Pferden herunterrissen und durchprügelten, lenkte der König aus Angst vor dem Tumult sein Pferd vom Wege abseits, zog, um nicht kenntlich zu sein, das Purpurgewand aus und legte es vor sich hin, und sein Diadem trug er in den Händen. Endlich stieg er, um sich im Gehen mit seinen Begleitern unterhalten zu können, vom Pferde und zog es hinter sich her. Von diesen aber blieb der eine unter dem Vorwande, seinen aufgegangenen Schuh wieder zuzubinden, der andere, um sein Ross zu tränken, der dritte, um den eigenen Durst zu löschen, zurück, und so machten sich allmählich alle davon, nicht so sehr aus Furcht vor den Feinden wie vor seinem Jähzorn. Denn gereizt von seinem Unglück, suchte er die Schuld an der Niederlage von sich auf alle anderen abzuwälzen. Als er gar nachts nach Pella gekommen war und Euktos und Eulaios, seine Schatzmeister, die ihm entgegenkamen und ihm teils wegen des Geschehenen Vorwürfe machten, teils mit unzeitiger Offenheit Ratschläge erteilen wollten, in der Wut selber durch Dolchstiche tötete, blieb keiner mehr bei ihm, außer dem Kreter Euandros, dem Aitoler Archedamos und dem Boioter Neon. Von den Soldaten folgten ihm nur noch die Kreter, nicht aus Treue, sondern weil sie, wie die Bienen an den Honigwaben, an seinen Schätzen klebten. Denn er führte sehr viele mit sich und g j b davon Becher, Mischkrüge und anderes silbernes und

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goldenes G e r a t , e t w a i m W e r t v o n f ü n f z i g T a l e n t e n , den K r e -

tern zur Plünderung preis. Sowie er aber zuerst nach Amphipolis, dann von da nach Galepsos 1 gekommen war und seine Furcht ein wenig nachgelassen hatte, fiel er wieder in sein ältestes, ihm angeborenes Laster, den Geiz, zurück und jammerte vor seinen Freunden, daß er unwissentlich einige der Goldgefäße Alexanders des Großen an die Kreter verschleudert habe, und beschwor die Besitzer unter Tränen, sie gegen Bargeld einzutauschen. Wer ihn genau kannte, dem blieb es nicht verborgen, daß er da gegen Kreter wie ein Kreter handelte 1 ; wer sich aber bereden ließ und die Sachen zurückgab, der war betrogen. Denn er zahlte das Geld nicht aus, sondern nachdem er sich um dreißig Talente auf Kosten seiner Freunde bereichert hatte - die wenig später die Feinde erbeuten sollten fuhr er mit ihnen nach Samothrake hinüber und flüchtete als Schutzflehender zu den Kabiren 1 . 24. Die Makedonen stehen sonst in dem Ruf, immer königstreu gewesen zu sein; damals aber ergaben sie sich dem Aemilius, als ob mit einem zerbrochenen Stützpfeiler alles auf einmal zusammengestürzt wäre, und machten ihn binnen zwei Tagen zum Herrn ganz Makedoniens. Dies scheint den Leuten recht zu geben, die der Meinung sind, daß jene Ereignisse sich dank einem günstigen Geschick so vollzogen hätten. Denn auch der Vorfall bei dem Opfer hatte etwas Übernatürliches an sich. Als Aemilius nämlich in Amphipolis opferte und alles bereits für die heilige Handlung zubereitet war, fuhr ein Blitzstrahl auf den Altar nieder, entzündete das Opfer und half es vollbringen.Überboten abei wird alles im Sinne göttlicher Einwirkung und Fügung durch das, was sich mit der Kunde des Sieges begab. Denn es war der dritte Tag, nachdem Perseus bei Pydna besiegt worden war, und in Rom schaute das Volk einem Wettrennen zu, als plötzlich im vordersten Teil des Theaters die Kunde auftauchte, Aemilius habe den Perseus in

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einer großen Schlacht besiegt und sei dabei, ganz Makedonien zu unterwerfen. Schnell verbreitete sich das Gerücht durch die Menge, und Freude flammte auf, Beifallklatschen und Jubelgeschrei, und erfüllte die Stadt jenen ganzen T a g über. Als dann aber die Kunde sich auf keine verläßliche Quelle zurückführen ließ, sondern offenbar nur unbestimmt überall umlief, verflüchtigte sich und zerrann das Gerücht. Als sie dann wenige Tage später die sichere Nachricht erhielten, staunten sie über die vorausgeeilte Kunde, daß sie im Trug doch die Wahrheit enthalten hatte. 2$. Übrigens soll von der Schlacht der italischen Griechen am Sagraflusse am selben Tage in der Peloponnes die Kunde aufgetaucht sein und in Plataiai die Kunde von der Schlacht bei Mykale gegen die Meder 1 . Von dem Siege, den die Römer über die mit latinischer Bundeshilfe gegen sie ausgezogenen Tarquinier errangen, sah man wenig später zwei schöne, stattliche Männer als persönliche Boten vom Heer erscheinen; man vermutete, daß es die Dioskurcn seien. Der Mann, der ihnen zuerst auf dem Markt bei dem Brunnen begegnete, wo sie ihre über und über von Schweiß bedeckten Pferde abwischten, äußerte seine Verwunderung über die Siegesbotschaft. Da sollen sie leise lächelnd mit ihren Händen seinen Bart berührt haben. Daraufging sofort die schwarze Farbe des Haares in Rotblond über, was der Botschaft Glauben und dem Mann den Beinamen Ahenobarbus eintrug, das heißt Erzbart 1 . Allen diesen Überlieferungen dient zur Beglaubigung, was sich in unseren Tagen zugetragen hat. Als Antonius von Domitian abfiel, ein großer Krieg von Germanien her zu gewärtigen und die Stadt Rom in Erregung war, erzeugte plötzlich ganz von selbst das Volk aus sich heraus das Gerücht von einem Siege, und die Kunde durchlief Rom, Antonius selbst sei getötet und von seinem geschlagenen Heere sei nichts übriggeblieben, und so bestimmt trat das Gerücht auf und so hartnäckig wurde es ge-

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g l a u b t , daß s o g a r viele d e r hohen B e a m t e n D a n k o p f e r dar-

brachten. Als man dann nach dem Mann suchte, der es zuerst aufgebracht hatte, und sich niemand fand, sondern es sich, da man ihm nachging, von einem zum andern verflüchtigte und schließlich wie in einem grenzenlosen Meer in der unübersehbaren Volksmasse untertauchte und es sich zeigte, daß es überhaupt keinen bestimmten Ursprung hatte, da verlor sich dieses Gerücht schnell wieder aus der Stadt. Als aber Domitian mit Heeresmacht in den Krieg auszog, da erreichte ihn schon unterwegs die Botschaft und die schriftliche Bestätigung des Sieges. Aber der Tag, an dem der Sieg erfochten wurde, war derselbe, an dem das Gerücht entstanden war, obschon die Schauplätze mehr als zwanzigtausend Stadien voneinander ablagen '. Das ist keinem von unseren Zeitgenossen unbekannt. 26. Gnaeus Octavius*, der Flottenbefehlshaber unter Aemilius, ging vor Samothrake vor Anker. Er tastete die Unverletzlichkeit des Perseus aus Scheu vor den Göttern nicht an, sperrte ihm aber die Ausfahrt und die Flucht. Doch gelang es Perseus, einen gewissen Kreter namens Oroandes, der ein kleines Fahrzeug besaß, heimlich dafür zu gewinnen, ihn mit seinen Schätzen in sein Schiff zu nehmen. Der benahm sich aber wie ein echter Kreter, nahm die Schätze bei Nacht an Bord und sagte Perseus, er solle in der nächsten Nacht mit seinen Kindern und der nötigen Bedienung zu dem Hafen beim Demeterheiligtum kommen, ging aber vor Anbruch der Nacht in See. War es schon jammervoll für Perseus, sich mit Frau und Kindern, die Mühsal und Umherirren noch niemals kennengelernt hatten, durch eine enge Öffnung an der Mauer herab abseilen lassen zu müssen, so brach er in ein noch jammervolleres Klagen aus, als jemand ihm, während er am Strande herumirrte, sagte, er habe Oroandes bereits auf die hohe See hinausfahren sehen. Denn schon brach der Tag an, und aller Hoffnung beraubt eilte er flüchtig der Mauer zu, blieb zwar nicht unent-

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deckt, kam aber mit seiner Frau den verfolgenden Römern zuvor. Die Kinder aber erhaschte Ion und lieferte sie ihnen aus; der war voreinst ein Geliebter des Perseus gewesen, wurde jetzt aber an ihm zum Verräter und lieferte den Anlaß, der den stärksten Zwang auf den Menschen ausübte, wie ein Wild, wenn seine Jungen gefangen werden, sich zu stellen und seine Person denen auszuliefern, die jene in ihrer Gewalt hatten. Am meisten Zutrauen hatte er zu Nasica und ließ ihn rufen. Da er aber nicht zur Stelle war, so beweinte er sein Los und gab sich, die zwingende Not bedenkend, dem Gnaeus Octavius in die Hand, wobei er jetzt besonders deutlich werden ließ, daß ihm ein noch unedleres Laster als die Liebe zumGelde innewohnte: die Liebe zum Leben, durch welche er sich auch dessen beraubte, was allein das Schicksal den ins Unglück Geratenen nicht nehmen kann: des Mitleids. Denn als er auf seine Bitte vor Aemilius geführt wurde, erhob sich dieser und ging ihm wie einem großen Manne, der einen vom Schicksal verhängten, herzbewegenden Fall getan hat, mit seinen Freunden unter Tränen entgegen. Perseus aber - schmählichster Anblick! - warf sich aufs Angesicht, griff nach Aemilius* Knien und stieß unwürdige Laute und Bitten hervor. Die ertrug Aemilius nicht und hörte sie nicht an, sondern sagte, mit schmerzbewegter und unwilliger Miene auf ihn blickend: «Unseliger, warum sprichst du das Schicksal von dem schwersten Vorwurf frei, indem du etwas tust, wonach man glauben muß, daß du nicht wider Verdienst im Unglück bist und nicht deines gegenwärtigen, sondern deines früheren Loses unwürdig? Warum verkleinerst du meinen Sieg und setzest meine Leistung herab, indem du dich als einen unedlen, der Römer nicht würdigen Gegner erweisest? Fester Mut erwirbt dem Unglücklichen auch beim Feinde hohe Achtung, Feigheit aber gilt den Römern, auch wenn sie vom Glück begünstigt ist, als das Ehrloseste von allem.»

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27. Indessen hob er ihn auf, reichte ihm seine Rechte und übergab ihn dem T u b e r o E r selbst ließ seine Söhne, Schwiegersöhne und von den anderen Offizieren besonders die jüngeren herein in sein Zelt kommen und saß lange Zeit schweigend, in Gedanken versunken da, so daß alle sich wunderten. Dann begann er vom Schicksal und den menschlichen Dingen zu sprechen und sagte: «Ziemt es sich wohl, daß man, ein Mensch, sich, wenn man im Glück ist, überhebt und stob darauf ist, wenn man ein Volk, eine Stadt oder ein Königreich unterworfen hat, oder will das Schicksal, indem es diesen Umschlag dem Sieger als ein Beispiel der allgemeinmenschlichen Schwäche vor Augen stellt, ihn dazu erziehen, nichts als dauerhaft und festgegründet anzusehen? Welcher Augenblick kann wohl dem Menschen eine feste Zuversicht geben, wenn gerade der des Sieges über andere ihn nötigt, das Schicksal zu fürchten, und der Gedanke an das in stetem Umschwung begriffene, bald an diesen, bald an jenen herantretende Verhängnis so viel trübe Ahnung in die Freude mischt? Oder wenn ihr die Nachfolger Alexanders, der sich zum höchsten Gipfel der Macht erhob und das größte Reich gewann, im Bruchteil einer Stunde unter eure Füße tratet und die Könige,die noch eben von so vielen Zehntausenden Fußvolks und Tausenden von Reitem umschirmt waren, aus den Händen ihrer Feinde das tägliche Essen und Trinken empfangen sehet, glaubt ihr dann, daß unsere Macht auf einem festen Grunde ruht, der dem Schicksal für alle Zeit trotzt ? Wollt ihr jungen Leute da nicht diesen eitlen Stolz, dieses Prahlen mit dem Siege von euch werfen und demütig euch vor der Zukunft beugen, immer gewärtig, welches Ende einem jeden die Gottheit als Entgelt für das gegenwärtige Glück auferlegen wird?» Viele Mahnungen dieser Art soll Aemilius an die jungen Leute gerichtet und sie erst entlassen haben, nachdem er ihre Überhebung und ihren Übermut mit seinem scharfen Wort wie mit einer Kandare gehörig gezügelt hatte.

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28. Hierauf gewährte er dem Heer eine Ruhepause und begab sich selbst auf eine Besichtigungsreise durch Griechenland und an eine zugleich rühmliche und menschenfreundliche Tätigkeit. Er besuchte nämlich die einzelnen Gemeinden und half ihnen wieder auf, ordnete ihre Verfassungen neu und schenkte ihnen aus den königlichen Magazinen teils Getreide, teils Öl. Denn es fand sich, wie berichtet wird, so viel aufgestapelt, daß die Zahl der Bedürftigen und Bittenden eher versiegte, als daß die Menge der gefundenen Vorräte sich erschöpfte. In Delphi sah er einen großen viereckigen Pfeiler aus weißen Marmorquadern aufgerichtet, auf dem eine vergoldete Statue des Perseus ihren Platz finden sollte. Er ordnete an, daß stattdessen die seinige darauf gesetzt würde, denn es zieme sich, daß die Besiegten den Siegern ihren Platz räumten. In Olympia soll er das berühmt gewordene Wort gesprochen haben, Pheidias habe den Zeus Homers dargestellt Als die Zehnmänner-Kommission2 aus Rom angekommen war, überließ er den Makedonen ihr Land und ihre Städte, sie in Freiheit zu bewohnen und selbst zu verwalten, gegen Zahlung von hundert Talenten an die Römer, eine Summe, die weniger als die Hälfte dessen betrug, was sie ihren Königen hatten zahlen müssen. Bei der Feier mannigfacher Kampfspiele und Opferfeste für die Götter veranstaltete er große Bewirtungen und Gastmähler, wofür er von den königlichen Schätzen einen ausgiebigen Gebrauch machte und bei der Anordnung und Ausschmückung, der Verteilung der Plätze, der Begrüßung und der Erweisung der einem jeden gebührenden Ehre und Aufmerksamkeit so viel Sinn und ein solches Maß von Sorgfalt bewies, daß die Griechen darüber staunten, daß er es auch für die leichten Dinge nicht an Bemühung fehlen ließ, sondern als ein Mann, der sich mit so Bedeutendem zu befassen hatte, auch den kleinen Dingen die gebührende Beachtung schenkte. Aber er hatte sowohl an diesen Dingen seine Freude

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als a u c h d a r a n , d a ß hei so vielen g l ä n z e n d e n 7 - u r ü s t u n g e n d o c h

er selbst für die Anwesenden der stärkste Anziehungspunkt und die schönste Augenweide war, und denen, die die von ihm bewiesene Sorgfalt bewunderten, gab er zur Antwort, es sei Sache eines und desselben Kopfes, ein Heer im Felde und ein Gastmahl richtig zu leiten, so daß das eine den Feinden möglichst furchtbar, das andere den Gästen möglichst angenehm sei. Mehr als alles aber priesen die Menschen die edle und großherzige Gesinnung des Mannes, daß er die Menge des aus den königlichen Schatzkammern zusammengebrachten Silbers und Goldes nicht einmal ansehen wollte, sondern es den Quaestoren für die Staatskasse übergab 1 . Nur die Bibliothek des Königs gestattete er seinen für die Wissenschaften interessierten Söhnen für sich in Anspruch zu nehmen, und bei der Verteilung der Tapferkeitspreise gab er seinem Schwiegersohn Aelius Tubero eine Schale von fünf Pfund Gewicht. Das ist der Tubero, von dem ich schon erzählt habe, daß er mit seinen Verwandten zu sechzehn in einem Hause wohnte und sie sich alle von den Erträgen eines kleinen Gütchens ernährten, und es heißt, daß dies das erste Silber war, welches ins Haus der Aelier kam, zum Lohn der Tapferkeit und um der Ehre willen hereingebracht; zu anderer Zeit hätten weder sie selber noch ihre Frauen Silber oder Gold begehrt. 29. Als er alles wohl geordnet hatte, verabschiedete sich Aemilius von den Griechen, ermahnte die Makedonen, der ihnen von den Römern gegebenen Freiheit recht eingedenk zu sein, indem sie sie durch Gesetzestreue und Eintracht wahrten, und brach dann nach Epirus auf, da er vom Senat die Weisung erhalten hatte, die Soldaten, die unter ihm die Schlacht gegen Perseus geschlagen hatten, die dortigen Städte ausplündern zu lassen. In der Absicht nun, alle zugleich und ohne daß jemand etwas ahnte, ganz plötzlich zu überfallen, ließ er die ersten zehn Männer aus jeder Stadt zu sich kommen und be-

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fahl ihnen, alles G o l d und Silber, das sich in Häusern und Heiligtümern befände, an einem bestimmten T a g e abzuliefern. J e d e r A b o r d n u n g gab er, angeblich zu eben diesem Z w e c k , eine A b t e i l u n g Soldaten und einen Befehlshaber mit unter dem V o r w a n d , daß sie das Gold aufsuchen und in E m p f a n g nehmen sollten. A l s dann der T a g gekommen w a r , machten sie sich alle zum selben Z e i t p u n k t an das Werk, die Städte zu überfallen u n d auszuplündern, so daß in einer Stunde hundertfiinfzigtausend M e n s c h e n zu Sklaven gemacht und siebzig Städte verw ü s t e t w u r d e n , trotzdem aber aus einem so furchtbaren W e r k der Z e r s t ö r u n g und V e r n i c h t u n g nur eine G a b e von nicht mehr als elf Drachmen f ü r jeden Soldaten herauskam und alle M e n s c h e n sich über dieses Kriegsende entsetzten, daß um einen so geringen G e w i n n und Vorteil für den einzelnen ein ganzes Volk vernichtet und verschleudert wurde. 30. N a c h E r l e d i g u n g dieses Auftrages, der sehr gegen seine sonst sanfte und menschenfreundliche N a t u r g i n g , begab sich Aemilius nach O r i k o n ' hinunter, setzte von dort mit dem Heere nach Italien über und fuhr den T i b e r hinauf auf dem königlichen Prunkschiff mit sechzehn Ruderreihen, das mit erbeuteten Waffen und Purpurdecken aller A r t herrlich ausgeschmückt w a r , so daß die R ö m e r gewissermaßen schon vorw e g das Schauspiel eines T r i u m p h z u g e s genossen, während sie dem Schiff, das von seinen Rudern langsam stromauf getragen w u r d e , entgegenzogen. Die Soldaten jedoch, die ihre Augen auf die königlichen Schätze geworfen hatten, waren, als sie nicht so viel bekamen, w i e sie verlangten, insgeheim deswegen von Z o r n und Bitterkeit gegen Aemilius erfüllt, und öffentlich beschuldigten sie ihn, daß er ihnen ein harter und despotischer Befehlshaber gewesen sei, und zeigten d a r u m wenig N e i g u n g , seine Bemühungen um den T r i u m p h zu unterstützen. Als das Servius Galba, ein Feind des Aemilius, der unter ihm als Kriegstribun

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gedient hatte , bemerkte, unterstand er sich, offen auszusprechen, daß man ihm den Triumph verweigern solle. Er verbreitete unter der Masse der Soldaten viele Verdächtigungen gegen den Feldherrn, schürte so den schon bestehenden Zorn noch mehr und verlangte von den Volkstribunen noch einen zweiten T a g ; denn dieser genüge nicht für die Anklage, weil von ihm nur noch vier Stunden übrig seien. Als darauf die Volkstribunen ihn aufforderten, er solle nur sagen, was er zu sagen habe, begann er eine lange, von allen möglichen Schmähungen erfüllte Rede zu halten, womit er den Rest des Tages ausfüllte. Bei Eintritt der Dunkelheit lösten die Volkstribunen die Versammlung auf, aber die Soldaten, noch dreister geworden, liefen dem Galba zu, rotteten sich zusammen und besetzten noch in der Dämmerung wieder das Kapitol; denn dort wollten die Volkstribunen die Volksversammlung halten. 31. Als bei Tagesanbruch die Abstimmung vorgenommen wurde, lehnte die erste Tribus den Triumph ab, und die Kunde hiervon drang schnell unter das übrige Volk und zum Senat. Die Menge, obschon höchst entrüstet über die Verächtlichmachung des Aemilius, begnügte sich mit tatenlosem Murren; die angesehensten Männer im Senat aber schrien, was da geschehe, sei unerhört, und ermutigten einander, gegen die Zügellosigkeit und Frechheit der Soldaten Front zu machen, die sich zu jeglicher Gesetzlosigkeit und Gewalttätigkeit steigern werde, wenn nichts gegen ihr Vorhaben geschehe, den Paulus Aemilius seiner Siegerehren zu berauben. Sie schoben also die Menge beiseite, stiegen dichtgedrängt hinauf und sagten den Volkstribunen, sie möchten die weitere Abstimmung aufschieben, bis sie dem Volke vorgetragen hätten, was sie ihm sagen wollten. Als darauf die Volkstribunen die Abstimmung unterbrochen hatten und Stille herrschte, trat ein ehemaliger Konsul auf, der dreiundzwanzig Feinde aufHerausforderung erschlagen hatte, Marcus S e r v i l i u s u n d sagte,

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jetzt erst erkenne er richtig, ein wie großer Feldherr Paulus sei, da er sehe, ein wie zuchtloses und verdorbenes Heer er unter sich gehabt und trotzdem so große und ruhmvolle Taten vollbracht habe; er wundere sich über das Volk, daß es stolz sei auf Triumphe über Illyrier und Ligurer und es sich nun selbst mißgönne, den König der Makedonen lebendig und den Ruhm Alexanders und Philipps als Gefangene der römischen Waffen einhergeführt zu sehen. «Ist es nicht unerhört» fuhr er fort, «daß ihr, als früher ein unbestimmtes Gerücht von einem Siege in die Stadt gedrungen war, den Göttern geopfert und gebetet habt, daß ihr das Verkündete bald mit Augen sehen dürftet, und jetzt, wo der Feldherr mit dem wirklichen und wahrhaftigen Siege erschienen ist, die Götter ihrer Ehren und euch selbst der Freude berauben wollt, als scheutet ihr euch, die Größe der Erfolge zu schauen, oder als wolltet ihr den feindlichen König schonen. Dabei wäre es immer noch anständiger, wenn der Triumph aus Mitleid für diesen und nicht aus Neid gegen den Oberfeldherrn abgelehnt würde. Auf einen solchen Gipfel» sagte er «wird die Niedertracht durch euch getrieben, daß über Feldherrntum und Triumph ein Mensch zu reden wagt, dessen Leib keine Wunden trägt und von Glätte und zarter Zimmerfarbe schimmert, zu uns, die wir durch so viele Wunden gelehrt worden sind, über Vorzüge und Fehler von Feldherren zu urteilen.» Mit diesen Worten riß er sein Gewand auseinander und zeigte auf der Brust eine unglaubhafte Menge von Narben. Dann kehrte er sich um und entblößte gewisse Körperteile, die vor der Öffentlichkeit nackt zu zeigen für unanständig gilt, und sagte, zu Galba gewandt: « Du lachst über das. Aber ich bin stolz darauf den Bürgern gegenüber, denn dadurch, daß ich zu ihrem Heil Tag und Nacht unablässig Reiterdienst getan habe, habe ich das bekommen. Und nun geh hin und führe sie zur Abstimmung. Aber ich komme herunter und gehe mit allen mit und werde so erfah-

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rt-n, w e r s c h l e c h t u n d u n d a n k b a r isr u n d im F e l d e lieber gehätschelt als kommandiert werden w i l l 1 . » 32. Durch diese Worte wurde die Masse der Soldaten, heißt es, so erschüttert und u m g e s t i m m t , daß dem Aemilius der T r i u m p h von allen T r i b u s zuerkannt wurde. Gefeiert w u r d e e r 2 , so lauten die Berichte, auf folgende Weise. I n d e n T h e a tern f ü r Pferderennen, die sie Z i r k u s s e nennen, und um den M a r k t schlug sich das Volk Gerüste auf, besetzte auch alle anderen T e i l e der S t a d t , von wo man einen guten Blick auf den F e s t z u g hatte, und schaute in sauberer Festkleidung zu. J e der T e m p e l w a r geöffnet und voll von Kränzen und Räucherw e r k , und viele Diener und Schutzleute drängten diejenigen, die ohne O r d n u n g in der Mitte zusammen- und durcheinanderliefen, beiseite und hielten die Straßen frei und offen. Der festliche U m z u g w a r auf drei T a g e verteilt, von welchen der erste kaum f ü r die erbeuteten Bildsäulen, Gemälde und Kolossalstatuen ausreichte, die auf zweihundertfünfzig Wagen vorbeigefahren und zur Schau gestellt wurden. A m folgenden T a g e wurden die schönsten und kostbarsten der makedonischen Waffen auf vielen Wagen v o r g e f ü h r t , die an sich schon vom Schimmer neupolierten Erzes und Eisens glänzten und mit absichtsvoller K u n s t so zusammengelegt waren, daß es aussah, als habe man sie beliebig, wie es kam, übereinandergeworfen: Helme neben Schilden, Panzer über Beinschienen, kleine kretische und geflochtene

thrakische Schilde und Köcher v e r m e n g t mit Z a u m -

zeug f ü r Pferde, dazwischen blanke Schwerter hervorragend und lange Lanzen zur Seite angebracht, alle diese Waffen mit solchen Zwischenräumen angeordnet, daß sie beim Fahren zusammenstießen und wild und furchtbar klirrten und ihr Anblick auch, nachdem sie besiegt waren, noch Schrecken erregte. Hinter den Wagen mit den Waffen marschierten dreitausend Männer mit Silbergeld in siebenhundertfünfzig Gefäßen von je drei Talenten G e w i c h t 1 , deren jedes von vier Mann getragen wurde.

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Andere trugen silberne Mischkrüge, Trinkhörner, Schalen und Becher, wohl geordnet für die Betrachtung und alle von außerordentlicher Größe und Schönheit der getriebenen Arbeit. 33. Am dritten T a g e gleich frühmorgens zogen T r o m p e t e r auf, die aber nicht eine friedliche Festweise anstimmten, sondern diejenige, mit der die Römer sich zum Kampfe spornen lassen. Hinter diesen wurden hundertzwanzig gemästete Ochsen mit vergoldeten Hörnern geführt, geschmückt mit Bändern und Kränzen. Die jungen Männer, die sie führten, schritten einher im Schmuck schöngewebter Schurze für die Opferhandlung und mit ihnen Knaben, die silberne und goldene Opferschalen trugen. Nach diesen kamen dann die Leute, welche die Goldmünzen trugen, in derselben Weise wie das Silbergeld auf Gefäße von je drei Talenten Gewicht verteilt; die Zahl der Gefäße b e t r u g siebenundsiebzig. An diese schlössen sich die Männer, welche die heilige Schale emporhielten, die Aemilius aus zehn Talenten Gold, geschmückt mit Edelsteinen, hatte herstellen lassen, und diejenigen, welche die Bechcr im Antigonos-, Seleukos- und Theriklesstil 1 und das sonstige goldene Tafelgeschirr des Perseus vorwiesen. Auf diese folgte der Wagen des Perseus, seine Waffen und, auf den Watfen liegend, sein Diadem. Dann endlich wurden, nach einem kleinen Zwischenraum, die Kinder des Königs als Gefangene einhergeführt und mit ihnen die Menge ihrer Wärter, Lehrer und Erzieher, die tränenüberströmt selbst ihre Arme nach den Z u schauern ausstreckten und die Kinder ermahnten, ebenfalls zu bitten und zu flehen. Es waren zwei Knaben und ein Mädchen, wegen ihres zarten Alters noch nicht fähig, die Größe ihres Unglücks zu ermessen. Um so erbarmungswürdiger war ihr Anblick wegen ihres Unverständnisses für ihren Schicksalsumschlag, so daß Perseus fast unbeachtet vorüberging. So sehr hefteten die Römer voll Mitleid ihre Augen auf die unmündi-

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gen K i n d e r , vielen stürmten die Tränen aus den Augen, und für alle bedeutete der Anblick eine M i s c h u n g aus Schmerz und F r e u d e , bis die Kinder vorüber waren. 34. E r selbst, Perseus, ging hinter den Kindern und deren Dienerschaft, in ein dunkles G e w a n d gekleidet und in Schuhen, w i e sie in Makedonien landesüblich sind, und infolge der G r ö ß e seines Unglücks w i r k t e er wie einer, der völlig betäubt ist und den Verstand verloren hat. Auch ihm folgte die Schar seiner Freunde und Vertrauten, die Blicke v o n T r a u e r beschwert und, indem sie immer auf Perseus blickten u n d weinten, bei den Zuschauern die Erkenntnis w e c k e n d , daß sie um sein Schicksal klagten und sich um ihr eigenes Los w e n i g Sorge machten. Dabei hatte der K ö n i g zu Aemilius gesandt und ihn bitten lassen, nicht mit aufgeführt und mit dem T r i u m p h verschont zu werden. Aber Aemilius hatte, über seine Feigheit und sein Hängen am Leben spottend, geantw o r t e t : « D a s stand ja früher schon in seiner H a n d u n d steht es noch jetzt, wenn er nur w i l l » , w o m i t er auf den T o d als M i t tel, der Schande zuvorzukommen, hindeutete. A b e r zu dem hatte der Elende sich nicht entschließen können, sondern immer noch von irgendwelchen Hoffnungen e n t n e r v t , w a r er selbst zu einem T e i l der ihm abgenommenen Beute g e w o r d e n . Anschließend an diese wurden goldene Kränze vorbeigetragen, vierhundert an der Z a h l , welche die Städte als Siegespreise d e m Aemilius durch Abordnungen übersandt hatten. U n d endlich kan\er selber, auf einem prachtvollen W a g e n stehend, ein M a n n , auch ohne eine solche Machtfülle ansehensw e r t , angetan mit einem goldgestickten P u r p u r g e w a n d und einen Lorbeerzweig in der Rechten haltend. Lorbeerkränze trug auch das ganze Heer, während es dem W a g e n des Feldherrn in Zenturien und Kohorten geordnet folgte u n d dazu teils in althergebrachter Weise Spottlieder sang, teils Siegesgesänge und Loblieder auf die T a t e n des Aemilius, der von

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allen bewundert und glücklich gepriesen wurde und keinem Guten ein Gegenstand des Neides war, nur daß doch wohl irgendeinem überirdischen Wesen die Aufgabe zuteil geworden sein muß, von großem, überschwenglichem Glück etwas abzuschöpfen und das Menschenleben so zu mischen, daß es für keinen ganz rein und frei ist von Übeln, sondern daß es, nach Homer', diejenigen am besten haben, deren Schicksalswaage abwechselnd nach beiden Seiten ausschlägt. 35. Er hatte nämlich vier Söhne, von denen zwei, wie schon erzählt worden i s t 1 , anderen Familien in Adoption gegeben worden waren, Scipio und Fabius, und zwei, noch im Knabenalter stehend, die ihm von der zweiten Frau geboren worden waren, in seinem Hause aufwuchsen. Von diesen starb der eine fünf Tage vor dem Triumph des Aemilius, vierzehnjährig, und der Zwölfjährige folgte ihm drei Tage nach dem Triumph, so daß es keinen Römer gab, der nicht an dem Unglück Anteil nahm, sondern alle vor der Grausamkeit des Schicksals schauderten, daß es sich nicht scheute, so große Trauer in ein von Jubel, Freude und Opfern erfülltes Haus zu tragen und Wehklagen und Tränen unter die Siegeslieder und Triumphe zu mischen. 36. Indessen Aemilius, in der richtigen Erwägung, daß den Menschen Mannhaftigkeit und fester Mut nicht nur gegen Schilde und Lanzen, sondern gleicherweise gegen jeden Angriff" des Schicksals nottut, brachte die Gegensätze seiner gegenwärtigen Erlebnisse so miteinander in Einklang, daß das Böse im Guten und das Häusliche im Öffentlichen verschwand und weder die Größe des Sieges minderte noch seinen Glanz verdunkelte. Denn sofort, nachdem er den älteren der Söhne bestattet hatte, hielt er den Triumphzug, wie schon gesagt worden ist, und als der zweite starb, berief er das Volk der Römer zur Versammlung und sprach wie ein Mann, der nicht des Trostes bedarf, sondern seine um sein Unglück beküm-

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merten Mitbürger zu trösten sucht. Niemals, sagte er, habe er vor menschlichen Mächten Angst gehabt, von den göttlichen Mächten aber Fortuna als die unzuverlässigste und wankelmütigste immer gefürchtet, und vor allem in diesem Kriege, wo sie wie ein frischer Wind alle seine Unternehmungen begünstigte, sei er beständig auf einen Umschwung und einen Rückschlag gefaßt gewesen. « D e n n an einem T a g e » sagte er, « h a b e ich das Ionische Meer von Brundisium aus überquert und Kerkyra angelaufen, am fünften T a g e danach in Delphi dem Gotte geopfert und abermals fünf T a g e später das Kommando des Heeres in Makedonien übernommen und die gewohnte Reinigung und Sühnung durchgeführt. Dann habe ich die Operationen sofort eröffnet und in weiteren fünfzehn T a gen den Krieg zum ruhmreichsten Ende geführt. Voll Mißtrauen gegen das Schicksal wegen des günstigen Verlaufs der Ereignisse fürchtete ich, nachdem volle Sicherheit gewonnen war und keine Gefahr mehr vom Feinde drohte, vor allem auf der Überfahrt einen Wandel der göttlichen Gunst nach so viel Glück, da ich ein so großes siegreiches Heer, so reiche Beute und Könige als Gefangene heimführte. Als ich vollends wohlbehalten bei euch anlangte und die Stadt von Freude, Jubel und Opfern erfüllt sah, behielt ich doch noch meinen Argwohn gegen das Schicksal, da ich wohl wußte, daß es keine seiner höchsten Gaben rein und ohne Entgelt den Menschen schenkt, und diese Furcht ist meine bangende, um die Zukunft der Stadt besorgte Seele nicht eher los geworden, als bis ich dieses große Unglück in meinem Hause erlitt, daß ich für zwei wohlgeratene Söhne, die einzigen, die ich mir als meine Erben übrig gelassen hatte, kurz hintereinander während der festlichen T a g e das Grab bestellen mußte. Jetzt also bin ich heraus aus der Gefahr und der Sorge um die größten Dinge, bin guten Mutes und glaube, daß das Glück euch fest und ohne Wanken treu bleiben wird. Denn zur Genüge hat es an mir und an mei-

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nem U n g l ü c k sich ausgetobt zum Entgelt für so vieles Gelingen und ein nicht minder einprägsames Beispiel der menschlichen S c h w a c h h e i t an dem, der den T r i u m p h feiert, aufgestellt als an d e m , der sein Opfer i s t ; nur daß Perseus auch als Besiegter noch seine Kinder behalten h a t ; Aemilius aber hat gesiegt u n d seine Kinder verloren.» 37. So große, hochherzige Worte soll Aemilius aus einer unverstellten, wahrhaftigen G e s i n n u n g heraus v o r d e m V o l k e gesprochen haben. Für Perseus aber konnte er, o b w o h l er M i t leid mit seinem G l ü c k s w a n d e l und den guten Willen hatte, ihm zu helfen, nicht mehr erwirken, als daß er aus dem G e fängnis (das bei ihnen carcer heißt), an einen reinlichen O r t überführt und menschlicher behandelt w u r d e . Dort w u r d e er in H a f t gehalten und gab sich, w i e die meisten berichtet haben, durch N a h r u n g s e n t h a l t u n g den T o d ; einige aber erzählen von einer ganz besonderen und außerordentlichen A r t und Weise, w i e er sein Ende gefunden habe: Die Soldaten, die ihn zu bewachen hatten, wären aus irgendeiner V e r ä r g e r u n g w ü tend auf ihn g e w e s e n , und weil sie ihm sonst nichts zuleide tun durften, hätten sie ihn am Schlafen gehindert, genau aufgepaßt, w e n n er sich niederlegen wollte, um es ihm zu v e r w e h ren, und ihn so auf jede A r t wachend erhalten, bis er auf diese Weise an E n t k r ä f t u n g starb. Auch von seinen Kindern starben zwei. Das dritte, Alexander, soll sehr geschickt in der Metalltreibarbeit und anderen feinen Handarbeiten gewesen sein; auch habe er die römische Sprache und Schrift gelernt und sei als Schreiber bei den Behörden tätig gewesen, wobei er sich als gewandt und tüchtig in diesem Dienst erwies. 38. Den T a t e n des Aemilius im Makedonischen K r i e g e rechnet man als ein seine Beliebtheit erhöhendes, allen z u g u t e kommendes Ergebnis auch die T a t s a c h e zu, daß durch ihn damals so viel Geld in den Staatsschatz überführt w u r d e , daß das V o l k bis auf die Z e i t des Hirtius und Pansa, die während des ersten

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AEMILIUS UND

TIMOLEON

Krieges zwischen Antonius und dem jungen Caesar Konsuln

w a r e n k e i n e direkten Steuern zu zahlen brauchte. Auch das ist femer etwas Besonderes und Außerordentliches an Aemilius, daß er, obschon er von dem Volke hoch geehrt und in ungewöhnlichem Maße gefeiert wurde, doch der aristokratischen Richtung treu blieb und nichts der Menge zu Gefallen sagte oder tat, sondern sich in seiner Politik immer zu den ersten und Vornehmsten hielt. Das hat zu späterer Zeit auch Appius dem Scipio Africanus vorgehalten. Beide waren damals die mächtigsten Männer in der Stadt und bewarben sich um die C e n s o r w ü r d e D e r eine hatte den Senat und die Edelsten auf seiner Seite (dies war die althergebrachte Politik der Appier), während der andere zwar auch schon durch eigene Leistung groß war, aber auch stets große Liebe und Anhänglichkeit seitens des Volkes genoß. Als nun Scipio auf den Markt kam und Appius Leute niederer Herkunft und ehemalige Sklaven an seiner Seite gehen sah, die aber erfahrene Praktiker in der Politik waren und es verstanden, eine große Masse zusammenzubringen und durch geschickten Betrieb und lautes Geschrei alles Mögliche durchzusetzen, da rief er laut: « O Paulus Aemilius, seufze du unter der Erde, wenn du erfährst, daß deinen Sohn der Herold Aemilius und Licinius Philonicus 3 zur Censorwürde fuhren.» Scipio war ein Liebling des Volkes, weil er ihm die größten Dienste erwies; Aemilius aber wurde, obwohl er Aristokrat war, von der Menge nicht weniger geliebt als diejenigen, die eben dieser Menge am meisten schmeichelten und zum Munde redeten. Sie bewiesen das, indem sie ihn außer den anderen Ehrungen auch des Censoramtes würdigten 4 , welches das erhabenste von allen Ämtern und von großer Bedeutung ist sowohl in anderer Hinsicht als auch durch die Sittenaufsicht. Denn die Censoren haben das Recht, einen, der unwürdig lebt, aus dem Senat zu stoßen, den Edelsten zum Haupt des

AEMILIUS

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Senates zu ernennen und von den jungen Leuten jeden, der ein sittenloses Leben führt, durch Entziehung des Ritterpferdes zu bestrafen. Auch haben sie die Vermögensschätzungen und die Eintragungen in die Bürgerliste zu überwachen. Unter Aemilius

wurden

dreihundertsiebenunddreißigtausendvier-

hundertzweiundfiinfzig Bürger eingetragen; zum Haupt des Senates ernannte er Marcus Aemilius L e p i d u s d e m damit zum vierten Male diese Auszeichnung zuteil w u r d e ; ausgestoßen wurden drei Mitglieder des Senates, die aber nicht zu den vornehmen gehörten, und bei der Musterung der Ritter zeigte er sich gleicherweise maßvoll, und ebenso sein Amtsgenosse Marcius Philippus. 39. Nachdem er so die meisten und wichtigsten Obliegenheiten erfüllt hatte, verfiel er in eine Krankheit, die anfangs bedenklich war, mit der Z e i t aber gefahrlos, doch lästig und hartnäckig wurde. Auf den R a t der Ärzte fuhr er nach Elea in Italien 1 und lebte dort längere Zeit auf einem Landgut nahe der See in tiefer Ruhe. Aber die Römer verlangten nach ihm und äußerten oft im Theater durch laute R u f e dringend den Wunsch, ihn wiederzusehen. Als er nun notwendig ein gewisses Opfer zu versehen hatte, auch glaubte, daß er wieder bei leidlicher Gesundheit wäre, kehrte er nach R o m zurück und vollzog jenes Opfer gemeinsam mit den anderen Priestern, wobei das Volk in auffallender Menge herzuströmte und seiner Freude Ausdruck gab. Am folgenden T a g e brachte er allein für sich den Göttern ein Dankopfer für seine Genesung dar, kehrte, nachdem das Opfer, wie er es sich vorgenommen hatte, vollzogen war, nach Hause zurück und legte sich nieder, verfiel aber, bevor er noch eine Veränderung fühlte oder erkannte, in Bewußtlosigkeit und starb am dritten T a g e danach als ein Mann, dem nichts von dem, was man zum wahren Glück zählt, versagt geblieben war 5 . Denn auch sein Leichenbegängnis war staunens- und beneidenswert, und die T u g e n d des

172

A E M I L I U S UND TIMOLEON

M a n n e s w u r d e durch die schönste und erhabenste T r a u e r f e i e r geehrt. N i c h t in G o l d , Elfenbein oder sonstigen prunkvollen u n d kostbaren Veranstaltungen bestand sie, sondern in Beweisen der Liebe, H o c h a c h t u n g und Dankbarkeit, nicht n u r von Seiten der B ü r g e r , sondern auch der Feinde. Denn alle anwesenden Spanier, L i g u r e r und Makedonen nahmen teil, die jungen und kräftigen nahmen die Bahre auf ihre Schultern und trugen sie zur G r a b s t ä t t e , die älteren gaben das Geleit und priesen den Aemilius laut als den Wohltäter und E r r e t t e r ihres Vaterlandes. Denn nicht nur zu der Z e i t , da er sie besiegte, w a r er mild und menschenfreundlich gegen sie alle verfahren, sondern auch während seines ganzen späteren Lebens hatte er ihnen immer G u t e s zu erweisen gesucht und f ü r sie gesorgt w i e f ü r A n g e h ö r i g e und Verwandte. Sein V e r m ö g e n soll kaum dreihundertsiebzigtausend Sesterzien

1

betragen haben. Z u Erben desselben hatte er seine bei-

den Söhne eingesetzt, aber der jüngere, Scipio, überließ das ganze seinem Bruder, weil er selbst durch die A d o p t i o n in ein reicheres Haus, das des Africanus, eingetreten war. So beschaffen war nach den Berichten der C h a r a k t e r und das Leben des Aemilius Paulus.

TIMOLEON

i. Die Lage der Syrakusier vor der Entsendung Timoleons nach Sizilien war die folgende. Nachdem Dion bald nach der Vertreibung des Tyrannen Dionysios meuchlerisch ermordet worden war und seine Helfer bei der Befreiung der Syrakusier sich veruneinigt hatten, die Stadt nacheinander aus der Hand eines Tyrannen in die eines andern gefallen und infolge der Menge ihrer Leiden schon fast verödet war, während im übrigen Sizilien manche Gegend infolge der Kriege bereits gänzlich verwüstet und entvölkert war und die meisten Städte sich in der Gewalt aller möglichen Barbaren und entlassenen Mietsoldaten befanden, welche sich den Wechsel der Herrscher ohne viel Widerstand gefallen ließen: brachte Dionysios nach zehn Jahren eine Söldnerschar zusammen, verjagte Nysaios, den damaligen Beherrscher der Syrakusier, setzte sich so wieder in den Besitz der Macht und stand erneut als Tyrann d a ' . Hatte er wider Erwarten durch eine geringe Kriegsmacht die größte Gewaltherrschaft, die es je gegeben hat, eingebüßt, so war er noch mehr wider Erwarten aus einem machtlosen Flüchtling jetzt wiederum zum Herrn derer geworden, die ihn vertrieben hatten. Die in der Stadt verbliebenen Syrakusier beugten sich unter das Joch eines Tyrannen, der auch vorher schon nicht mild und jetzt durch sein Unglück zu äußerster Härte gereizt war; die Edelsten und Angesehensten flohen zu Hiketes, dem Herrscher von Leontinoi 1 , begaben sich in seinen Schutz und wählten ihn zum Feldherrn für den Krieg gegen Dionysios, nicht weil er besser war als die anderen erklärten Tyrannen, sondern weil sie keine andere Zuflucht und Vertrauen zu ihm hatten als einem Syrakusier von Herkunft,

174 der

AEMILIUS UND eine d e m T y r a n n e n

TIMOLEON

einigermaßen

gewachsene

Macht

besaß. 2. A l s u n t e r d e s s e n die K a r t h a g e r m i t einer g r o ß e n F l o t t e in Sizilien e r s c h i e n e n und als eine s t e t e B e d r o h u n g ü b e r d e n G r i e c h e n der Insel s c h w e b t e n , e n t s c h l o s s e n sich d i e s e , e i n e G e s a n d t s c h a f t nach G r i e c h e n l a n d z u s c h i c k e n u n d die K o r i n t h e r u m H i l f e z u b i t t e n , n i c h t nur w e g e n d e r V e r w a n d t s c h a f t , u n d w e i l sie w e g e n d e r schon o f t m a l s e m p f a n g e n e n W o h l t a t e n V e r t r a u e n z u ihnen h a t t e n , sondern auch w e i l sie sahen, d a ß d i e S t a d t ü b e r h a u p t u n d v o n jeher d i e F r e i h e i t l i e b t e , d i e T y r a n nen h a ß t e u n d d i e meisten u n d g r ö ß t e n K r i e g e n i c h t u m d i e V o r h e r r s c h a f t u n d die e i g e n e M a c h t a u s b r e i t u n g , sondern u m d i e F r e i h e i t der G r i e c h e n g e f u h r t h a t t e ' . H i k e t e s aber, der das F e l d h e r r n a m t n i c h t , u m S y r a k u s zu b e f r e i e n , sondern u m d o r t seine e i g e n e T y r a n n i s zu b e g r ü n d e n , ü b e r n o m m e n h a t t e , w a r b e r e i t s h e i m l i c h m i t den K a r t h a g e r n in U n t e r h a n d l u n g e n g e t r e t e n , ö f f e n t l i c h aber b e l o b i g t e er die S y r a k u s i e r u n d b e t e i l i g t e sich an der G e s a n d t s c h a f t nach d e r P e l o p o n n e s , n i c h t m i t d e m W i l l e n , d a ß v o n d o r t W a f f e n h i l f e k ä m e , s o n d e r n in d e r H o f f n u n g , d a ß , w e n n - w i e zu e r w a r t e n - die K o r i n t h e r w e g e n d e r W i r r e n in G r i e c h e n l a n d u n d ihrer I n a n s p r u c h n a h m e d u r c h d i e s e die H i l f e s e n d u n g a b l e h n t e n , er u m so l e i c h t e r d i e M a c h t d e n K a r t h a g e r n w e r d e in die H a n d spielen u n d sie als B u n d e s g e n o s s e n u n d M i t s t r e i t e r g e g e n die S y r a k u s i e r , n i c h t g e g e n den T y r a n n e n , werde gebrauchen können. Das k a m

wenig

s p ä t e r an d e n T a g . 3. A l s die G e s a n d t e n a n g e l a n g t w a r e n , faßten die K o r i n t h e r , d i e es stets g e w o h n t w a r e n , sich u m ihre T o c h t e r s t ä d t e u n d i n s b e s o n d e r e die S y r a k u s i e r zu b e k ü m m e r n , u n d d a m a l s ger a d e n i c h t d u r c h griechische A n g e l e g e n h e i t e n b e h e l l i g t w a r e n , sondern in R u h e und F r i e d e n l e b t e n , b e r e i t w i l l i g d e n Bes c h l u ß , Hilfe zu s e n d e n . A l s man nach e i n e m F e l d h e r r n s u c h t e u n d die B e h ö r d e n A n t r ä g e stellten und M ä n n e r v o r s c h l u g e n ,

TIMOLEON

I75

die sich in der Stadt hervorzutun strebten, stand einer aus der Menge auf und nannte Timoleon, Sohn des Timodemos, der sich gar nicht mehr an der Politik beteiligte und weder Hoffnungen noch Absichten solcher Art hegte, sondern offenbar hatte ein Gott den Gedanken in dem Manne erweckt: eine solche Gunst des Glückes leuchtete dem Timoleon sogleich bei seiner Wahl, begleitete ihn freundlich weiter bei seinen Taten und schmückte seine Tapferkeit mit Ruhmesglanz. Er stammte von Eltern, die in der Stadt hochangesehen waren, Timodemos und Demarete, und er war vaterlandsliebend und von sehr ruhiger Gemütsart, aber ein scharfer Hasser der Tyrannen und aller Schlechten. In den Kämpfen zeigte er eine so gute und dabei ausgeglichene Veranlagung, daß in seinen Taten, als er jung war, große Umsicht und, als er alterte, nicht verminderte Mannhaftigkeit sich offenbarte. Er hatte einen älteren Bruder, Timophanes, der ihm gar nicht ähnlich, sondern unbesonnen und mit Herrschgier angesteckt war von schlechten Freunden und kriegerisch gesinnten Fremden, die ihn als einen verwegenen und im Felde die Gefahr suchenden Mann immer umgaben. Durch diese Eigenschaften gewann er auch die Bürger für sich und wurde als ein kriegstüchtiger und tatkräftiger Mann mit Führerstellen betraut. Hierbei stand ihm Timoleon eifrig zur Seite, wobei er Mißgriffe des Bruders entweder ganz zu verdecken wußte oder geringfügig erscheinen ließ und die tüchtigen Leistungen, die sein Charakter ihm ermöglichte, pries und forderte. 4. In der Schlacht der Korinther gegen die Argiver und Kleonaier stand Timoleon in der Front des schwerbewaffneten Fußvolks, während Timophanes als Führer der Reiter in schwere Gefahr geriet. Sein Pferd wurde getroffen und warf ihn ab mitten unter die Feinde, die Gefährten wurden größerenteils voll Schreck auseinandergesprengt, und die wenigen, die ausharrten und gegen eine Überzahl kämpften, hielten sich nur

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A E M I L I U S UND TIMOLEON

noch mit M ü h e . Als da T i m o l e o n sah, was geschehen w a r , eilte er im Lauf zu Hilfe, hielt seinen Schild über den am Boden liegenden T i m o p h a n e s , fing viele Wurfgeschoße, H i e b e u n d Stiche mit seinem Leib und seinen Waffen auf, trieb endlich die Feinde zurück und rettete dem Bruder das L e b e n ' . A l s d a n n die Korinther in der B e f ü r c h t u n g , es möchte ihnen so gehen, wie schon einmal früher, daß sie durch ihre Bundesgenossen ihre Stadt verlören

den Beschluß faßten, vierhundert Söldner

zu unterhalten, und dieselben dem Befehl des T i m o p h a n e s unterstellten, und als dieser, unbekümmert um Ehre und Pflicht, sofort alles tat, um sich die Stadt unterwürfig zu machen, viele der ersten B ü r g e r ohne gerichtliches Urteil hinrichten ließ und sich zum T y r a n n e n a u f w a r f , da versuchte T i m o l e o n , tief betrübt und die Schlechtigkeit des Bruders als persönliches U n glück empfindend, mit ihm zu reden und ihn zu b e w e g e n , sich des unseligen Wahns seiner Herrschsucht zu entschlagen und um eine W i e d e r g u t m a c h u n g seiner V e r s ü n d i g u n g e n den Bürgern gegenüber zu bemühen. Da aber T i m o p h a n e s ihn mit Verachtung z u r ü c k w i e s , tat er sich mit einem seiner V e r w a n d ten, Aischylos, einem Bruder der Gattin des T i m o p h a n e s , und einem Freunde, dem Seher, welchem T h e o p o m p o s den N a men Satyros, Ephoros und Timaios den Namen Orthagoras g e b e n 3 , zusammen, ließ einige T a g e vergehen und g i n g dann wieder zu dem Bruder hinauf. Oben umstanden ihn die drei und flehten ihn an, doch jetzt wenigstens Vernunft anzunehmen und umzukehren. Da aber Timophanes sie zuerst nur auslachte, dann in Zorn geriet und sie beschimpfte, trat T i m o leon einige Schritte von ihm zurück, verhüllte sein A n t l i t z und weinte, die beiden aber zogen ihre Schwerter und töteten ihn auf der Stelle 4 . j . Als die T a t bekannt w u r d e , lobten die edelsten Korinther Timoleons Haß gegen das Böse und seine Hochherzigkeit, daß er, obschon ein guter und treuer Sohn seines Hauses, doch das

TIMOLEON

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Vaterland höher gehalten habe als dieses Haus und Pflicht und Recht höher als den Nutzen, indem er seinem Bruder, als er tapfer für das Vaterland kämpfte, das Leben rettete, ihn aber tötete, als er dem Vaterlande feind wurde und es knechtete. Diejenigen aber, die nicht in einem freien Staate leben konnten und immer nur auf die Herrscher hinzublicken pflegten, taten zwar so, als freuten sie sich über den Tod des Tyrannen, schalten aber den Timoleon, daß er eine gottlose und fluchwürdige T a t vollbracht habe, und versetzten ihn so in Schwermut. Als er gar hörte, daß seine Mutter gegen ihn erbittert sei und furchtbare Verwünschungen und Flüche gegen ihn ausstoße, und als er hinging, um sie zu trösten, sie aber seinen Anblick nicht ertragen wollte, sondern ihm ihr Haus verschloß, da versank er völlig in Trauer und Verstörung des Geistes und machte Miene, sich durch Enthaltung von Nahrung zu töten. Da aber die Freunde dem nicht ruhig zusahen, sondern ihm mit Bitten zusetzten und jede Art von Druck und Zwang auf ihn ausübten, so beschloß er, sich zurückzuziehen und nur noch ganz für sich zu leben. Er enthielt sich jeder politischen Tätigkeit und betrat in der ersten Zeit überhaupt nicht die Stadt, sondern hielt sich in unstetem Umherschweifen in den einsamsten Gegenden des Landes auf. 6. So werden unsere Urteile, wenn sie nicht durch Vernunft und gründliches Durchdenken Kraft und Festigkeit für die T a t erhalten haben, leicht ins Wanken gebracht und erschüttert, wenn sie durch Lob oder Tadel des ersten besten aus der Bahn dereigenen Gedankengänge herausgelenkt werden. Denn offenbar muß nicht nur die Tat gut und gerecht sein, sondern auch die Uberzeugung, aus der heraus sie vollbracht wird, muß festgegründet und unerschütterlich sein, damit wir nach gründlicher Prüfung handeln und nicht - wie die Schlemmer, welche mit heißer Gier hinter den sättigenden Speisen her sind und, nachdem sie sich vollgegessen haben, Ekel empfinden -

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A E M I L I U S UND

TIMOLEON

nach vollbrachter T a t aus Schwäche in Mutlosigkeit verlallen, weil die Vorstellung von ihrer Schönheit verblaßt. Denn die nachherige Reue macht auch die schöne T a t häßlich; der aus klarer Erkenntnis und Überlegung hervorgegangene Entschluß aber wandelt sich nicht, auch wenn die Unternehmung mißglückt. Daher sagte der Athener Phokion, als die Pläne des Leosthenes, denen er entgegengetreten war, zu gelingen schienen und er die Athener in stolzer Freude über den Sieg Dankopfer bringen sah, er wünschte wohl, diese T a t vollbracht, aber nicht minder, jenen Rat gegeben zu h a b e n N o c h krasser war die Äußerung des Lokrers Aristeides, eines Freundes Piatons, der, als der ältere Dionysios eine seiner Töchter als Frau verlangte, zur Antwort gab, lieber würde er das Mädchen tot sehen als mit einem Tyrannen verheiratet. Als kurz danach Dionysios seine Söhne hinrichten ließ und höhnisch fragte, ob er noch ebenso über die Verheiratung seiner Töchter denke, erwiderte Aristeides, er empfinde Schmerz über das Geschehene, aber keine Reue über das Gesagte. Doch ein solches Verhalten ist wohl Sache einer noch größeren und vollkommeneren Tugend. 7. Timoleons Schmerz über das, was er getan hatte, sei es Trauer um den Toten, sei es Scham vor der Mutter, brach und verstörte sein Inneres derart, daß er fast zwanzig Jahre lang sich auf kein wichtiges oder öffentliches Geschäft einließ. Als er nun namhaft gemacht worden war und das Volk das freudig aufnahm und ihn wählte, erhob sich Telekleides, damals der mächtigste und angesehenste Mann in der Stadt, und ermahnte Timoleon, sich bei diesem Unternehmen als ein braver und rechter Mann zu bewähren. «Denn» sagte er «wenn du diesen Kampf mit Ehren führst, so werden wir glauben, daß du einenTyrannen, führst du ihn mit Unehre, daß du einen Bruder getötet hast.» Während Timoleon seine Vorbereitungen für die Ausfahrt traf und Soldaten sammelte, traf ein Schreiben von Hiketes

TIMOLEON

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bei den Korinthern ein, welches seinen Frontwechsel und seinen Verrat enthüllte. Sobald er nämlich die Gesandten abgeschickt hatte, war er offen zu den Karthagern übergetreten und arbeitete nun im Bunde mit ihnen darauf hin, Dionysios aus Syrakus zu vertreiben und selber dort Tyrann zu werden, und in der Besorgnis, daß, wenn zuvor eine Streitmacht und ein Feldherr aus Korinth ankäme, die Gelegenheit zum Handeln ihm entschlüpfen könnte, sandte er den Korinthern einen Brief des Inhalts, es sei nicht nötig, daß sie sich die Mühe und die Kosten einer gefahrvollen Expedition nach Sizilien auferlegten, zumal die Karthager ihnen dies untersagten und mit vielen Schiffen der Flotte auflauerten, die Karthager, die er gezwungenermaßen, da die Hilfe von dort so lange ausblieb, zu seinen Bundesgenossen gegen den Tyrannen gemacht habe. Als dieser Brief verlesen wurde, erfaßte - wenn etwa bisher noch bei dem oder jenem Korinther eine flaue Stimmung gegenüber dem Feldzug vorhanden gewesen war - nunmehr alle ein heftiger Zorn gegen Hiketes, so daß sie bereitwillig dem Timoleon die erforderlichen Beiträge für die Ausrüstung der Flotte leisteten. 8. Als die Schiffe fahrtbereit und alles Nötige für die Soldaten beschafft war, träumten die Priesterinnen der Köre, sie sähen die Göttinnen' sich zu einer Reise rüsten und hörten sie sagen, sie wollten mit Timoleon nach Sizilien fahren. Daher rüsteten die Korinther eine heilige Triere aus und gaben ihr den Namen der Göttinnen. Er selbst ging nach Delphi, um dem Gott zu opfern, und als er in das Orakelheiligtum hinabstieg, wurde ihm ein Zeichen zuteil: von den dort aufgehängten Weihegeschenken löste sich eine mit Kränzen und Siegesgöttinnen bestickte Binde, flog herab und fiel Timoleon aufs Haupt, so daß es aussah, als würde er von dem Gott bekränzt und zu dem Unternehmen ausgesandt. Mit sieben Schiffen aus Korinth, zweien aus Kerkyra und einem zehnten, das die Leukadier beisteuerten 1 , ging er in

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A E M I L I U S UND

TIMOLION

See, und als er nachts mir günstigem Wirde aufs hohe Meer hinausgelangt war, schien es plötzlich, als co der Himmel über dem Schiff aufbräche und ein starkes, helles Feuer niederstrahlen ließe. Hierauf erhob sich eine Fackel, äinlich den bei den Mysterien gebrauchten, lief in gleicher Richtung mit ihnen am Himmel hin und fuhr gerade nach dem Punkt Italiens nieder, auf den die Steuerleute Kurs nahmen Alsbald erklärten die Seher, die Erscheinung bestätige den Traum der Priesterinnen, und die Göttinnen nähmen teil ar dem Feldzug und ließen zum Zeichen dessen das Licht am Hmmel aufstrahlen; denn Sizilien sei der Köre heilig, und die Sa;e erzählt, daß ihre Entführung sich dort ereignet habe und diß die Insel ihr bei der Hochzeit als Morgengabe geschenkt worden sei. 9. So glückverheißende Zeichen wurden der Flotte von den Göttern zuteil. Eilig überquerte sie das ofrne Meer und fuhr dann an der Küste Italiens entlang. Hier aber verursachten die Nachrichten von Sizilien her Timolecn große Verlegenheit und dämpften den Mut der Soldaten. Denn Hiketes hatte Dionysios in einer Schlacht besiegt, die itadt Syrakus zum größten Teil besetzt und den Tyrannen ait"die Burg und die sogenannte Insel beschränkt, wo er selbst ihn im Bunde mit den Syrakusiern umschanzt hielt und belagerte, und die Karthager hatte er gebeten, dafür zu sorgen, caß Timoleon Sizilien nicht beträte, damit sie, wenn er abgeviesen wäre, ihrerseits die Insel in Ruhe untereinander teibn könnten. Diese schickten zwanzig Dreiruderer nach Rhegun 1 , und auf ihnen kamen Gesandte von Hiketes zu Timoleoi gefahren, welche Vorschläge brachten ganz im Einklang mitdem, was wirklich gespielt wurde; denn es waren schönklingtnde Vorspiegelungen und Ausreden zur Bemäntelung der baen Absichten: Timoleon selbst, so sagten sie, sollte, wenn e wolle, als Ratgeber und Teilhaber an allen schon errungerrn Erfolgen zu Hiketes kommen, die Schiffe und die Soldatei aber solle er nach

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Korinth zurücksenden, da der Krieg beinahe schon glücklich beendet und die Karthager übrigens entschlossen seien, ihn an der Uberfahrt zu hindern, und, wenn er sie erzwingen wolle, ihm mit Gewalt entgegentreten würden. Als nun die Korinther in Rhegion einliefen, diese Botschaft zu hören bekamen und die Phoiniker in geringer Entfernung vor Anker liegen sahen, waren sie erbittert über die ihnen widerfahrende schmähliche Behandlung, und alle erfaßte sie Zorn gegen Hiketes und Besorgnis um die sizilischen Griechen, die, wie sie wohl erkannten, nur als Kampfpreis und Lohn dienen sollten, dem Hiketes für seinen Verrat und den Karthagern für die Errichtung der Gewaltherrschaft. Dabei schien es unmöglich, die Oberhand zu gewinnen, hier sowohl über die Flotte der Barbaren, die ihnen in doppelter Überzahl auflauerte, als auch dort übeT die Streitmacht des Hiketes, deren Führung zu übernehmen sie gekommen waren. 10. Indessen begegnete Timoleon den Gesandten und den Befehlshabern der Karthager freundlich und erklärte, er füge sich ihren Forderungen - denn was könne er wohl ausrichten, wenn er sich ihnen widersetze? - , doch habe er den Wunsch, daß diese beiderseitigen Erklärungen vor den Ohren einer befreundeten griechischen Bürgerschaft abgegeben würden, und dann wolle er abfahren; das sei für seine eigene Sicherheit von Wichtigkeit, und auch sie würden um so treuer zu ihren Zusagen hinsichtlich der Syrakusier stehen, wenn sie ihre Vereinbarungen vor einem Volk als Zeugen bekräftigten. Dies trug er ihnen vor, um so mit List seine Überfahrt zu bewerkstelligen, und alle führenden Männer von Rhegion waren mit im Spiel, weil sie wünschten, daß die Geschicke der Griechen Siziliens in die Hände der Korinther kämen, und die Nachbarschaft der Barbaren fürchteten. Sie beriefen also eine Volksversammlung und verschlossen die Stadttore, damit die Bürger sich nicht anderen Geschäften zuwendeten, traten dann

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A E M I L I U S UND TIMOLEON

vor die M e n g e und hielren lange Reden, wobei immer einer nach dem andern sich über denselben G e g e n s t a n d verbreitete, zu keinem andern Z w e c k , als um die Z e i t hinzuziehen, bis die Schiffe der Korinther abgefahren wären, und die K a r t h a g e r , ohne ihren A r g w o h n rege zu machen, in der V e r s a m m l u n g festzuhalten, da ja auch Timoleon noch zugegen w a r und sich den Anschein g a b , als w ü r d e er im nächsten Augenblick sich erheben und zum Volke sprechen. Als ihm aber einer heimlich meldete, daß die anderen Dreiruderer in See g e g a n g e n seien und nur noch der seinige zurückgeblieben sei und auf ihn warte, stahl er sich durch die M e n g e fort, wobei ihn auch die um die Rednerbühne stehenden R h e g i n e r decken halfen, g i n g zum M e e r e hinunter und fuhr schleunigst davon, und zwar landeten sie bei Tauromenion in S i z i l i e n w o Andromachos, der die Stadt beherrschte und sie schon lange eingeladen hatte, sie bereitwillig aufnahm. Dieser Andromachos w a r der V a t e r des Geschichtsschreibers Timaios und bei weitem d e r beste unter den damaligen Machthabern in Sizilien, ein M a n n , der seine M i t b ü r g e r nach R e c h t und Gesetz regierte und sich jederzeit als scharfer Feind der T y r a n n e n erwies. Daher stellte er damals auch dem Timoleon seine Stadt als Operationsbasis zur V e r f ü g u n g und gewann seine M i t b ü r g e r dafür, den Korinthern

Waffenhilfe zu leisten und sich an der Befreiung Sizi-

liens zu beteiligen. i i . N a c h der A b f a h r t des Timoleon und der A u f l ö s u n g der Versammlung waren die Karthager in Rhegion sehr e n t r ü s t e t , daß sie überlistet worden waren, gaben aber damit den R h e g i nern nur Anlaß zu der scherzhaften Frage, ob sie, die doch Phoiniker wären, denn nicht Freude hätten an einer gelungenen L i s t * . Sie schickten nun auf einem Dreiruderer einen G e sandten nach T a u r o m e n i o n , der nach langen Verhandlungen mit Andromachos

grob und barbarisch

a u f t r u m p f t e und

schließlich, indem er die H a n d erst nach oben geöffnet zeigte,

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dann umkehrte, die Drohung ausstieß, wenn er die Korinther nicht augenblicklich fortjagte, so werde er ihm seine Stadt, die jetzt «so» sei, «so» machen. Aber Andromachos lachte nur und gab keine andere Antwort, als daß er seine Hand, wie jener, erst nach oben geöffnet, dann umgekehrt ausstreckte und dazu sagte, er solle sogleich davonfahren, wenn er nicht wollte, daß sein Schiff aus «so» zu «so» würde. Als Hiketes von der Überfahrt Timoleons erfuhr, geriet er in Schrecken und rief viele Dreiruderer der Karthager herbei. Das hatte zur Folge, daß die Syrakusier ganz und gar an ihrer Rettung verzweifelten, da sie ihren Hafen von den Karthagern beherrscht, die Stadt von Hiketes besetzt und die Burg in der Gewalt des Dionysios sahen, während Timoleon an dem Städtchen Tauromenion wie an einem schmalen Zipfel Siziliens hing mit schwachen Hoffnungen und bescheidenen Kräften; denn er hatte nicht mehr zur Verfügung als tausend Soldaten und die notwendige Verpflegung für sie. Auch hatten die Städte noch kein Vertrauen zu ihm infolge des Übermaßes böser Erfahrungen und voll bitteren Ingrimms gegen alle Führer bewaffneter Scharen, besonders wegen der Treulosigkeit des Kallippos und des Pharax, die beide - der eine Athener, der andere Lakedaimonier - unter dem Vorgeben, sie kämen, um der Insel die Freiheit zu bringen und die Tyrannen zu stürzen, sich so benommen hatten, daß den Siziliern ihre Leiden unter der Tyrannis noch wie Gold erschienen und diejenigen, die in der Knechtschaft gestorben waren, glücklicher als diejenigen, welche die «Freiheit» erlebten. 12. Weil sie darum fürchteten, der Korinther werde um nichts besser sein als jene, sondern man komme ihnen wieder mit denselben heuchlerischen Redensarten und Lockmitteln, um sie durch schöne Hoffnungen und freundliche Versprechungen zu kirren, daß sie sich einen neuen Gebieter statt des alten gefallen ließen, so waren sie argwöhnisch und wiesen die

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Aufforderungen der Korinrher 7iiriick, mit einziger Ausnahme der B ü r g e r von A d r a n o n " . Diese b e w o h n t e n eine z w a r kleine, aber d e m G o t t Adranos geheiligte Stadt, der in ganz Sizilien hohe V e r e h r u n g genoß. Sie waren miteinander in Streit, und die eine Partei hatte den Hiketes und die Karthager gerufen, die andere zu Timoleon gesandt, und zufällig f ü g t e es sich, daß, da beide sich beeilten, die A n k u n f t beider zur gleichen Z e i t erfolgte. A b e r Hiketes kam an der Spitze von fünftausend M a n n , während T i m o l e o n insgesamt nicht m e h r als tausendzweihundert unter sich hatte. M i t diesen w a r er v o n T a u r o m e n i o n - das dreihundertvierzig S t a d i e n ' von Adranon entfernt liegt - aufgebrochen und hatte am ersten T a g e nur einen kleinen T e i l des Weges z u r ü c k g e l e g t und dann ein L a g e r bezogen. A b e r am folgenden T a g e war er scharf marschiert und hatte das schwierige Gelände hinter sich gebracht, und als der T a g sich schon dem Ende zuneigte, erfuhr er, daß Hiketes soeben v o r dem Städtchen eintreffe und dabei sei, sein L a g e r aufzuschlagen. Daraufhin ließen die Hauptleute und Obersten die Spitze Halt machen, damit die Soldaten sich durch Essen und R u h e stärkten und dann um so m u t i g e r in den K a m p f gingen. A b e r Timoleon k a m herbeigeeilt u n d bat sie, das nicht zu tun, sondern schnellstens vorzugehen und die Feinde anzugreifen, während sie noch ungeordnet, nämlich, natürlicherweise, nach eben beendetem Marsch, mit dem Aufschlagen der Z e l t e und dem Bereiten des Essens beschäft i g t wären. U n d während er dies sagte, nahm er seinen Schild und g i n g als erster vor, wie zum gewissen Siege. Die Soldaten folgten ihm m u t i g , da sie nur noch w e n i g e r als dreißig Stadien v o n den Feinden trennten, und nachdem sie auch diese durchschritten hatten, fielen sie über die G e g n e r her, die in V e r w i r r u n g gerieten und die Flucht ergriffen, sowie sie nur die A n greifer g e w a h r t e n . Daher wurden nicht viel m e h r als dreihundert getötet, aber die doppelte Zahl gefangengenommen und

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auch das Lager erobert. Darauf öffneten die Adraniten ihre Tore und schlössen sich Timoleon an, während sie mit Grausen und Staunen berichteten, daß, als die Schlacht begann, die heiligen Pforten des Tempels von selbst aufgesprungen seien, und man gesehen habe, wie die Spitze der Lanze des Gottes bebte und sein Antlitz von Schweiß überronnen wurde. 13. Dies waren aber offenbar nicht nur Vorzeichen des damaligen Sieges, sondern auch der folgenden Taten, für welche dieser Kampfeinen glücklichen Anfang bedeutete. Denn sofort schickten eine Anzahl von Städten Gesandte und schlössen sich Timoleon an, und Mamerkos, der Tyrann von Katane, ein kriegstüchtiger Mann und im Besitze großer Mittel, trug ihm seine Bundesgenossenschaft an. Was aber das Wichtigste war: Dionysios selbst, der nun alle Hoffnung aufgegeben hatte und der Belagerung kaum noch länger standhalten konnte, sandte, voll Verachtung für den schimpflich geschlagenen Hiketes und voll Bewunderung für Timoleon, zu ihm und bot die Übergabe seiner Person und der Burg an. Timoleon nahm die Kapitulation als ein unverhofftes Glück entgegen und sandte Euldeides und Telemachos, zwei Korinther, und vierhundert Soldaten in die Burg, die sich nicht alle zugleich und öffentlich - denn das war unmöglich, weil die Feinde die Burg blockierten sondern heimlich und in kleinen Abteilungen hineinschlichen. Die Soldaten nahmen nun die Burg und das Schloß des Tyrannen mit seiner ganzen Ausrüstung und dem Kriegsmaterial in Besitz. Denn es befanden sich dort nicht wenige Pferde, jegliche Art von Kriegsmaschinen und eine unübersehbare Menge von Geschossen; auch lagen da siebzigtausend Waffenrüstungen, seit langer Zeit aufgestapelt, und zweitausend Soldaten des Dionysios waren noch da, die er wie alles andere Timoleon übergab, während er selbst unter Mitnahme von Geld und einer kleinen Anzahl von Freunden davonfuhr, ohne daß Hiketes es bemerkte. So kam er ins Lager

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des Timoleon, jetzt zum ersten Mal als ein bescheidener Privatmann auftretend, und wurde auf einem einzigen Schiff mit wenig Geld nach Korinth geschickt, er, der in der glänzendsten und größten aller Zwingherrschaften geboren und aufgezogen war, sie selbst zehn Jahre innegehabt und sich weitere zwölf Jahre nach dem Feldzug Dions in Kämpfen und Kriegen umgetrieben h a t t e a b e r alles, was er als Tyrann getan, durch das überboten hatte, was er erlitt. Denn er mußte die Ermordung seiner erwachsenen Söhne und die Schändung seiner jungfräulichen Töchter mit ansehen, und wie die Frau, die seine Schwester und Gattin war, lebend von den Feinden zu schändlichster Wollust mißbraucht wurde und dann mit ihren Kindern ins Meer gestürzt einen gewaltsamen Tod fand. Das ist im Leben Dions ausführlich dargestellt'. 14. Als dann Dionysios in Korinth angekommen war, gab es keinen Griechen, der nicht den Wunsch hatte, ihn zu sehen und zu sprechen, sondern die einen strömten voll Schadenfreude und Haß begierig herzu, um den vom Schicksal geschlagenen Mann noch zu treten, die anderen, durch einen solchen Glückswandel bewegt und zum Mitleid gestimmt, erblickten in dem vor Augen liegenden Beispiel menschlicher Ohnmacht das mächtige Wirken der unsichtbaren, göttlichen Kräfte. Denn kein Werk der Natur oder der Kunst hatte jene Zeit aufzuweisen wie dieses Werk des Schicksals: daß der Mann, der noch vor kurzem der Tyrann Siziliens war, sich jetzt in Korinth in den Kneipen herumtrieb oder in einem Parfumladen saß, gepanschten Wein aus den Schenken trank, sich mit Weibern, die ihre Schönheit feilhielten, herumzankte, die Brettlsängerinnen auf den Straßen belehrte und über Melodie und Tonart lokrischer Chansons eifrig mit ihnen diskutierte Manche glaubten, Dionysios tue das, weil er sonst nichts zu tun habe und von Natur oberflächlich und zu einem ausschweifenden Leben geneigt sei; andere hingegen meinten, um über-

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sehen zu werden und bei den Korinthern nicht die Besorgnis und den Verdacht zu erwecken, als litte er unter seinem Glückswandel und hege noch ehrgeizige Pläne, lege er es unter Verleugnung seiner wahren Natur darauf an, von seiner Muße einen törichten Gebrauch zu machen. 1 j . Es werden indes auch manche Äußerungen von ihm berichtet, nach denen es scheint, daß er sich auf nicht unwürdige Weise in seine Lage zu schicken wußte. So sagte er, als er in Leukas landete, einer Stadt, die wie Syrakus von den Korinthern als Kolonie gegründet war, es gehe ihm so wie den jungen Leuten, die ein allzu lockeres Leben geführt hätten: wie diese sich in der Gesellschaft ihrer Brüder wohl fühlten, die ihrer Väter aber aus Scheu vermieden, so fühle er Scham vor der Mutterstadt und würde lieber dort bei ihnen wohnen. Als ihn sodann in Korinth ein Fremder auf ziemlich plumpe Weise wegen seines Verkehrs mit den Philosophen verspottete, den er als Tyrann gepflegt hatte, und ihn am Ende fragte, welchen Vorteil er denn von der Weisheit Piatons genossen habe, erwiderte er: «Scheint es dir wirklich, daß ich keinen Nutzen durch Piaton gehabt habe, da ich doch den Wechsel des Glücks so ertrage?» Dem Musiker Aristoxenos 1 und einigen anderen, die ihn fragten, welches die Ursache seines Unwillens gegen Piaton gewesen sei, gab er zur Antwort, die Tyrannis sei voll von Übeln; aber keines sei so groß wie dies, daß keiner der angeblichen Freunde offen spreche; durch sie sei er der Freundschaft Piatons beraubt worden. Als einer, der für einen Witzbold gelten wollte, da er zu Dionysios hereinkam, zum Spott als ob er zu einem Tyrannen käme - sein Gewand ausschüttelte *, vergalt er den Spott mit der Aufforderung, er solle das lieber tun, wenn er von ihm wegginge, damit man sehe, daß er nichts mitnehme. Als der Makedonenkönig Philipp bei einem Trinkgelage in ironischer Absicht die Rede auf die Kompositionen und Tragödien brachte, die der ältere Dionysios hin-

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terlassen hatte, und so tat, als könne er sich nicht denken, wann er wohl Zeit gehabt habe, um solche Dinge zu treiben, fand Dionysios die nicht üble Erwiderung: «In der Zeit, wo du und ich und alle, die für Glückliche gelten, beim Becher sitzen'.» Piaton hat den Dionysios in Korinth nicht mehr erlebt, sondern er war schon gestorben. Aber Diogenes von Sinope" sagte zu ihm, als er ihm zum ersten Mal begegnete: «Wie wenig deiner würdig lebst du, Dionysios!» Als dieser darauf stehenblieb und sagte: «Das ist schön von dir, Diogenes, daß du ein Gefühl für mein Unglück hast», entgegnete Diogenes: «Ja, was denn? Glaubst du, daß ich dich bedaure und nicht vielmehr empört bin, daß du, eine solche Sklavenseele, die dazu geschaffen war, wie der Vater in der Tyrannenburg alt zu werden und zu sterben, hier mit uns in Scherz und Lebenslust deine Tage verbringst?» Vergleiche ich hiermit die Äußerungen des Philistos, die er wehklagend um die Töchter des I^eptines von sich gibt, daß sie aus der Herrlichkeit des Tyrannenlebens in einen bescheidenen Lebensstil abgesunken seien 3 , so klingen sie mir wie das Gejammer eines Weibes, das sich nach seinen Parfümfläschchen, Purpurkleidern und seinem goldenen Schmuck zurücksehnt. Solche Betrachtungen werden, denke ich, Leser, die nicht in Eile und allzu beschäftigt sind, nicht für unangebracht in Lebensbeschreibungen und nicht für unnütz halten. 16. Erschien das Unglück des Dionysios außergewöhnlich, so hatte nicht minder das Glück Timoleons etwas Wunderbares an sich. Denn innerhalb fünfzig Tagen, nachdem er den Boden Siziliens betreten hatte, gewann er die Burg von Syrakus und schob Dionysios nach der Peloponnes ab. Hierdurch ermutigt, schickten die Korinther ihm zweitausend Mann schweres Fußvolk und zweihundert Reiter. Als diese, bis Thurioi4 gelangt, die Überfahrt von da unmöglich fanden, weil

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das Meer von den Karthagem mit vielen Schiffen beherrscht wurde, und also notgedrungen einen günstigen Augenblick abwarten und dort stilliegen mußten, benützten sie diese Muße zu einer vortrefflichen Tat. Als nämlich die Thurier gegen die Bruttier ins Feld zogen, nahmen sie ihre Stadt in Obhut und bewachten sie so treu und zuverlässig, als wäre es ihre eigene Vaterstadt. Hiketes hielt inzwischen die Burg von Syrakus belagert und suchte zu verhindern, daß den Korinthern über See Lebensmittel zugeführt wurden. Gegen Timoleon dang er zwei Söldner als Meuchelmörder und sandte sie heimlich nach Adranon, da er auch sonst keine Leibwache um sich zu haben pflegte und damals im Vertrauen auf den Gott ganz zwanglos und ohne Argwohn unter den Adraniten lebte. Als die Sendlinge zufällig erfuhren, daß er im Begriff sei, ein Opfer zu bringen, kamen sie in das Heiligtum, die Dolche unter den Kleidern verborgen, mischten sich unter die Leute, die den Altar umstanden, und drängten sich allmählich näher heran. Und als sie einander eben das Zeichen geben wollten, zur Tat zu schreiten, da versetzt jemand dem einen von ihnen einen Schwerthieb gegen den Kopf, und als er fiel, blieb weder der, welcher den Streich geführt hatte, am Platze, noch der Gefährte des Getroffenen, sondern jener lief, wie er war, mit seinem Schwert davon und sprang auf einen hohen Felsen hinauf, der andere umfaßte den Altar und bat Timoleon um Straflosigkeit; er wolle alles gestehen. Die Straflosigkeit wurde ihm gewährt, und er erstattete nun gegen sich und den Getöteten Anzeige, daß sie gesandt worden seien, um Timoleon zu ermorden. Inzwischen brachten andere auch den Mann vom Felsen herunter, der laut rief, er habe nichts Böses getan, sondern mit Fug und Recht den Mann getötet als Rache für seinen toten Vater, den jener vordem in Leontinoi ermordet habe; und es fanden sich auch einige Leute unter den Anwesenden, die das be-

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zeugten und zugleich das weise Walten des Schicksals bestaunten, wie es eines durch das andere in Bewegung setzt, alles von weither zusammenführt und verflicht mit Dingen, die ganz fernzustehen und nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, und wie es immer das Ende des einen zum Ausgangspunkt des andern macht. Daher beschenkten die Korinther den Mann mit zehn Minen, weil er dem Schutzgeist Timoleons seinen gerechten Zorn geliehen und den ihn schon lange erfüllenden Groll nicht früher ausgelassen, sondern durch Fügung des Schicksals aufgespart hatte, um zugleich mit der Vollziehung der persönlichen Rache die Rettung jenes Mannes zu vollbringen. Dieser Glücksfall des Augenblicks war den Menschen ein Antrieb, mit guten Hoffnungen auch in die Zukunft zu blicken und Timoleon als einen heiligen Mann und gottgesandten Retter Siziliens zu verehren und über ihn zu wachen. 17. Als auch dieser Anschlag Hiketes mißlungen war und er sah, daß viele sich mit Timoleon zusammenfanden, schalt er sich selbst, daß er, obschon eine so gewaltige karthagische Macht zur Stelle war, als ob er sich dessen schämte, nur im kleinen und heimlich von ihr Gebrauch machte, nur verstohlen und unter der Hand die Bundeshilfe in Anspruch nahm, und so rief er jetzt den Feldherrn Magon mit seiner ganzen Flotte herbei. Er kam furchterregend hereingefahren, erfüllte den Hafen mit seinen hundertfunfzig Schiffen, setzte sechzigtausend Mann Fußvolk ans Land und lagerte sich in der Stadt der Syrakusier, so daß alle glaubten, daß jetzt die lange beredete und gefürchtete Barbarisierung über Sizilien hereinbreche. Denn niemals vorher war es den Karthagem gelungen obwohl sie schon unzählige Kriege in Sizilien geführt hatten Syrakus zu nehmen; jetzt aber, da Hiketes sie aufgenommen und ihnen die Stadt übergeben hatte, sah man sie in ein Barbarenlager verwandelt, und die Korinther, die die Burg be-

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setzt hielten, befanden sich alsbald in schwieriger und gefahrvoller Lage, denn es war nicht mehr genug Verpflegung vorhanden, sondern sie wurde knapp wegen der Sperrung der Häfen, und die Männer mußten sich ständig in Gefechten und Kämpfen gegen jegliche Art von Kriegsmaschinen und Belagerungswerken rings über die Mauern verteilen. 18. Aber Timoleon brachte doch Hilfe, indem er von Katane aus Getreide in kleinen Fischerbooten und leichten Kähnen hinschickte, die am ehesten bei starkem Wind zwischen den karthagischen Dreiruderern hindurchschlüpften, welche wegen der hohen See und der Brandung weiteren Abstand nehmen mußten. Als das Magon und Hiketes bemerkten, faßten sie den Plan, Katane zu nehmen, von wo den Belagerten die Lebensmittel zugeführt wurden, und fuhren mit dem kampfkräftigsten Teil ihrer Streitmacht von Syrakus aus. Als da der Korinther Neon - er war der Führer der Belagerten - von der Burg aus bemerkte, daß die zurückgebliebenen Feinde nur lässig und sorglos Wache hielten, überfiel er sie plötzlich, während sie sich zerstreut hatten, tötete einen Teil, schlug den andern Teil in die Flucht, siegte und bemächtigte sich der sogenannten Achradine, welche als der stärkste und unangreifbarste Teil der Stadt Syrakus gilt, die gewissermaßen aus mehreren Städten zusammengesetzt und zusammengefügt ist. So in den Besitz von Geld und Lebensmitteln gelangt, gab er den Platz nicht wieder auf noch zog er sich wieder in die Burg zurück, sondern verstärkte die Ringmauer der Achradine, verband sie durch Schanzwerke mit der Burg und bewachte sie. Magon und Hiketes aber erreichte, als sie schon nahe an Katane herangerückt waren, ein reitender Bote aus Syrakus und meldete ihnen die Einnahme der Achradine. Darauftraten sie voller Bestürzung eilends den Rückzug an, ohne die Stadt, gegen die sie ausgezogen waren, genommen, noch die, welche sie besaßen, bewahrt zu haben.

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19. Diese Erfolge können Klugheit und Tapferkeit dem Glück noch einigermaßen streitig machen. Was aber danach geschah, ist offenbar ganz und gar dem Glück zuzuschreiben. Die noch in Thurioi stehenden Soldaten der Korinther beschlossen, teils aus Furcht vor den Dreiruderern der Karthager, die ihnen unter Hannon auflauerten, teils weil die See viele Tage lang von Stürmen aufgewühlt war, den Landweg durch Bruttium einzuschlagen, und gelangten teils nach gütlicher Einigung mit den Barbaren, teils indem sie Gewalt brauchten, nach Rhegion, während es noch weiter stürmte und die See hoch ging. Indessen glaubte der Flottenführer der Karthager, da er die Korinther nicht mehr erwartete und meinte, er liege nutzlos still, auf einen besonders klugen Gedanken zur Überlistung der Feinde gekommen zu sein: er ließ die Schiffsleute sich bekränzen, schmückte seine Dreiruderer mit griechischen Schilden und Purpurmänteln, fuhr nach Syrakus und mit raschem Ruderschlag, Händeklatschen und Gelächter an der Burg entlang und ließ ausrufen, er komme als Sieger und Bezwinger der Korinther, die er bei der Überfahrt auf der See gefaßt habe. Damit wollte er den Mut der Belagerten brechen. Aber während er dieses leere Possenspiel trieb, waren die Korinther aus dem Lande der Bruttier nach Rhegion hinabgekommen, und da hier niemand lauerte und der Sturm wider Erwarten abgeflaut war und die Meerenge dem Auge wellenlos und glatt erscheinen ließ, hatten sie schnell die vorhandenen Fährboote und Fischerkähne bestiegen, waren abgefahren und nach Sizilien hin übergekommen, so ungefährdet und bei so glatter See, daß sie die Pferde neben den Fahrzeugen schwimmend an den Zügeln mitzogen. 20. Nachdem alle übergesetzt waren, nahm Timoleon sie in Empfang und gewann sofort Messene, ordnete sie dann und marschierte gegen Syrakus, mehr im Vertrauen auf sein Glück und sein Gelingen als auf seine Mächt; denn seine Truppen

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beliefen sich auf nicht mehr als viertausend Mann. Als sein Anmarsch dem Magon gemeldet wurde, war er in Unruhe und in Furcht, und sein Unsicherheitsgefiihl verstärkte sich noch aus folgender Ursache. In den Teichen um die Stadt, die viel trinkbares Wasser aus Quellen, aber auch viel Wasser aus Sümpfen und aus zum Meere strömenden Bächen in sich aufnehmen, lebt eine Menge von Aalen, und alle, die das wünschen, können immer auf einen reichlichen Fang rechnen. Auf diese Beute gingen die auf beiden Seiten dienenden Mietsoldaten miteinander aus, wenn sie Muße hatten und Waffenruhe herrschte. Da sie nun Griechen waren und keinen Grund zu persönlicher Feindschaft gegeneinander hatten, so kämpften sie zwar in den Schlachten mutvoll gegeneinander, wenn aber Waffenruhe war, so kamen sie zusammen und unterhielten sich. Als sie so damals zum gemeinsamen Fischfang beisammen waren, kamen sie ins Gespräch und waren voll Bewunderung für die natürlichen Vorzüge des Meeres und die Bebauung des Landes. Da sagte einer der Soldner auf korinthischer Seite: «Und eine Stadt von solcher Größe, mit so vielen Gütern gesegnet, wollt ihr, die ihr Griechen seid, den Barbaren in die Hände liefern und die verfluchten, blutigen Karthager noch näher bei uns sich festsetzen lassen, gegen die doch, so müßte man wünschen, viele Sizilien als Schutzwehr vor Griechenland liegen sollten. Oder glaubt ihr, daß sie von den Säulen des Herakles und dem Atlantischen Meere her eine Armee gesammelt und hierher geführt haben, um für die Herrschaft des Hiketes zu kämpfen? Wenn der die Gesinnung eines wirklichen Führers hätte, dann würde er nicht die Stammväter der Stadt verjagen und die Feinde gegen sein Vaterland führen, sondern er würde sich die ihm gebührende Ehre und Machtstellung erwerben, indem er sich mit den Korinthern und Timoleon gütlich einigte.» Diese Reden verbreiteten die Söldner im Lager und erweckten in Magon den Verdacht, daß ein Verrat im Gange

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sei, um so mehr als er schon lange einen Vorwand zum Rückzug suchte. Obwohl ihn daher Hiketes bat zu bleiben und ihm vorstellte, wie viel stärker sie seien als die Feinde, so glaubte er doch, daß seine Unterlegenheit an Tapferkeit und Glück T i moleon gegenüber ausschlaggebender sei als seine zahlenmäßige Überlegenheit, ging sogleich in See und fuhr nach Libyen hinüber, indem er so schimpflich, gegen jede menschliche Berechnung, Sizilien seinen Händen entgleiten ließ. 21. Am folgenden T a g e erschien Timoleon mit seinem Heer, zum Kampf gerüstet. Wie sie nun die Flucht der Feinde bemerkten und die Schiffshäuser verlassen sahen, da mußten sie lachen über die Feigheit Magons, liefen in der Stadt umher und versprachen durch öffentlichen Ausruf demjenigen eine Belohnung, der angeben könne, wohin die Flotte der Karthager vor ihnen geflohen sei. Da indessen Hiketes noch immer kampflustig war und seinen Griff auf die Stadt noch nicht lösen wollte, sondern sich in den von ihm besetzten Teilen, die fest und schwer angreifbar waren, behauptete, so teilte Timoleon seine Streitmacht und führte selbst den Angriff dort, w o er am schwierigsten war, von der Niederung des Anapos aus; eine andere Abteilung unter dem Befehl des Korinthers Isias ließ er von der Achadine aus angreifen; eine dritte Abteilung führten Deinarchos und Demaretos, welche das letzte Hilfskontingent aus Korinth herbeigeführt hatten, gegen Epipolai. Wenn so der Angriff gleichzeitig und von allen Seiten erfolgte und die Soldaten des Hiketes überwältigt wurden und die Flucht ergriffen, so muß man die Erstürmung der Stadt und ihre schnelle Besetzung unter Verjagung der Feinde gerechterweise der Tapferkeit der Kämpfer und der klugen Führung durch den Feldherrn zuschreiben; daß aber keiner der Korinther fiel noch eine Wunde davontrug, das war eine besondere Leistung, die Timoleons Glücksgöttin vollbrachte, gleichsam um einen Wettstreit mit seiner Tüchtigkeit auszufechten, da-

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mit die Menschen, die davon hörten, sein Glück noch mehr priesen und bewunderten als sein Verdienst. Denn nicht nur ganz Sizilien und Italien erfüllte augenblicklich die Kunde von dem Geschehenen, sondern innerhalb weniger Tage hallte Griechenland wieder von der herrlichen Tat, so daß die Stadt der Korinther, da sie noch im Zweifel war, ob die Flotte hinübergelangt sei, zu gleicher Zeit vernahm, daß die Männer gerettet und daß sie Sieger seien. Einen so raschen und günstigen Verlauf nahmen die Geschehnisse, und so sehr erhöhte das Glück den Glanz der Taten noch durch die Geschwindigkeit. 22. Nachdem Timoleon Herr der Burg geworden war, verfiel er nicht in denselben Fehler wie Dion und verschonte den Platz nicht wegen der Schönheit und Pracht seiner Bauten, sondern er hütete sich vor dem Verdacht, der jenen erst in üblen Ruf und dann ins Verderben gestürzt hatte, und ließ ausrufen, jeder Syrakusier, der dazu Lust habe, solle mit eisernem Werkzeug erscheinen und mit Hand anlegen bei der Zerstörung der Tyrannenfeste. Als sie nun alle heraufgestiegen kamen, des Glaubens, daß dieser Heroldsruf und dieser T a g der sicherste Ausgangspunkt der Freiheit sei, rissen sie nicht nur die Befestigungsanlagen ein, sondern zerstörten auch die Häuser und die Grabmäler der Tyrannen. Sofort ließ darauf Timoleon den Platz einebnen und auf ihm die Gcrichtsgebäude aufführen, um so zur Genugtuung der Bürger über der gestürzten Tyrannis die Demokratie aufzurichten. Nachdem Timoleon so die Stadt genommen hatte, waren keine Städter da, sie zu bewohnen, sondern sie waren teils in den Kriegen und den inneren Wirren zu Tode gekommen, teils vor den Tyrannen geflohen; auf dem Markt in Syrakus war wegen seiner Verödung so viel dichtes Gras aufgewachsen, daß die Pferde auf ihm weideten, während ihre Hüter im Grünen lagen, und die anderen Städte bis auf ganz wenige waren von Hirschen und Wildschweinen bevölkert, in den Vor-

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Städten und um die Mauern gingen Leute, die nichts zu tun hatten, oft auf die Jagd, und keiner von denen, die Burgen und Kastelle bewohnten, hörte auf den Ruf und kam in die Stadt herab, sondern alle waren voll Haß und Abscheu gegen Markt, Politik und Rednerbühne, die Brutstätte der meisten ihrer T y rannen. Daher beschlossen Timoleon und die Syrakusier, an die Korinther zu schreiben, sie sollten neue Siedler aus Griechenland nach Syrakus schicken. Denn das Land drohte unbebaut zu bleiben, und sie erwarteten einen schweren Krieg von Libyen her, da sie erfuhren, daß die Karthager den Leichnam des Magon, der sich selbst das Leben genommen hatte, aus Zorn über seine schlechte Führung des Feldherrnamtes gekreuzigt hätten und ihrerseits dabei wären, ein großes Heer aufzustellen, um in der guten Jahreszeit nach Sizilien hinüberzugehen. 23. Als dieses Schreiben von Timoleon überbracht wurde und zugleich syrakusische Gesandte zur Stelle waren und baten, die Korinther möchten sich der Stadt annehmen und wieder aufs neue ihre Gründer werden, mißbrauchten diese die Gelegenheit nicht zum eigenen Vorteil und eigneten sich die Stadt nicht zu, sondern sie beschickten zuerst die heiligen Kampfspielein Griechenland und die meistbesuchten Festversammlungen und ließen durch Herolde bekannt machen: die Korinther hätten die Tyrannenherrschaft in Syrakus gestürzt, den Tyrannen verjagt, und lüden jetzt die Syrakusier und jeden der anderen Griechen Siziliens, der dazu Lust habe, ein, die Stadt als freie und unabhängige Bürger zu bewohnen und sich Land auf der Grundlage der Gleichheit und Gerechtigkeit zuweisen zu lassen. Sodann schickten sie Boten rings nach Kleinasien und den Inseln, wo, wie sie erfuhren, eine große Zahl von Flüchtlingen verstreut lebten, und forderten sie auf, alle nach Korinth zu kommen; die Korinther würden ihnen auf eigene Kosten sicheres Geleit, Fahrzeuge und militärische Füh-

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rer nach Syrakus stellen. Indem sie diese Bekanntmachung erließ, erwarb die Stadt sich den gerechtesten und schönsten Ruhm und Bewunderung dazu, daß sie von den Tyrannen befreie, vor den Barbaren errette und den Bürgern ihr Land zurückgebe. Da diejenigen, welche hierauf in Korinth zusammenkamen, nicht zahlreich genug waren, baten sie, daß sich Mitsiedler aus Korinth und dem übrigen Griechenland ihnen zugesellten. So waren es nicht weniger als zehntausend, die nach Syrakus in See gingen. Inzwischen waren auch schon aus Italien und Sizilien viele dem Timoleon zugeströmt, und nachdem ihre Zahl wie Athanis 1 gesagt hat - auf sechzigtausend angewachsen war, verteilte er das Land und verkaufte die Häuser für tausend Talente, wobei er den alten Syrakusiern das Vorkaufsrecht auf ihre ehemaligen Häuser offen hielt, zugleich aber auch reichliche Geldmittel für die Gemeinde beschaffte, die solchen Mangel litt für ihre sonstigen Bedürfnisse sowohl wie fiir den Krieg, daß sie sogar ihre Bildsäulen verkaufte, wobei über jede eine Abstimmung stattfand und Anklage erhoben wurde wie gegen Menschen, die Rechenschaft abzulegen haben. Da sollen die Syrakusier, während die anderen verurteilt wurden, die Statue des alten Tyrannen Gelon an ihrem Platz belassen haben aus Hochachtung und Bewunderung für den Mann wegen des Sieges, den er bei Himera über die Karthager davongetragen hatte 1 . 24. Während so die Stadt wieder auflebte und sich durch die von allen Seiten herzuströmenden Bürger neu bevölkerte, ging Timoleon daran, auch die anderen Städte zu befreien und die Gewaltherrschaften ganz und gar aus Sizilien auszurotten. Er zog gegen ihre Gebiete ins Feld und zwang Hiketes, sich von den Karthagern zu lösen und darein zu willigen, seine Burgen niederzureißen und als Privatmann in Leontinoi zu leben; als dann Leptines, der Zwingherr von Apollonia 5 und vieler an-

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derer kleinen Städte, in Gefahr, gewaltsam bezwungen und gefangen zu werden, sich ergab, schonte er sein Leben und schickte ihn nach Korinth in der Meinung, es sei ein schönes Schauspiel, wenn die Griechen die Tyrannen Siziliens in der Mutterstadt ein armseliges Emigrantenleben führen sähen. Da er ferner wünschte, daß die Soldner sich im Feindesland bereicherten und nicht unbeschäftigt wären, kehrte er zwar selbst nach Syrakus zurück, um beim Aufbau des Staates mitzuwirken und gemeinsam mit den aus Korinth gekommenen Gesetzgebern Kephalos und Dionysios die wichtigsten und gesündesten Einrichtungen zu schaffen, entsandte aber Deinarchos und Demaretos ins Herrschaftsgebiet der Karthager, wo diese viele Gemeinden zum Abfall von den Karthagem nötigten und nicht nur selbst im Überfluß lebten, sondern auch aus der Beute Geldmittel für den Krieg beisteuerten. 25. Inzwischen gingen die Karthager in Lilybaion an Land 1 und brachten ein Heer von siebzigtausend Mann herüber, zweihundert Trieren und tausend Frach tschiffe, welche Kriegsmaschinen, Streitwagen, reichliche Verpflegung und sonstiges Kriegsmaterial herantrugen, in der Absicht, nicht mehr nur Teilangriffe zu machen, sondern die Griechen auf einmal aus ganz Sizilien zu vertreiben. Denn diese Streitmacht war ausreichend, um die Griechen Siziliens, auch wenn sie nicht sich gegenseitig geschwächt und ruiniert hätten, zu überwältigen. Als sie nun erfuhren, daß ihr Herrschaftsgebiet verwüstet werde, zogen sie sofort voll Zorn, gefuhrt von Hasdrubal und Hamilkar, gegen die Korinther. Als diese Kunde schnell nach Syrakus gelangte, gerieten die Syrakusier angesichts einer so gewaltigen Macht in solchen Schreck, daß von so vielen Zehntausenden kaum dreitausend zu den Waffen griffen und es wagten, mit Timoleon auszuziehen. Die Zahl der Söldner belief sich auf viertausend, und auch von diesen verloren etwa tausend unterwegs den Mut und kehrten wieder um in der

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Überzeugung, Timoleon sei nicht recht gescheit, sondern von Sinnen trotz seiner Jahre, daß er mit fünftausend Mann zu FuB und tausend zu Pferde gegen siebzigtausend Feinde ausziehe und seine Streitmacht acht Tagesmärsche weit von Syrakus entferne, so daß es weder für die Fliehenden eine Möglichkeit sich zu retten geben werde noch Pur die Fallenden ein Grab. Timoleon aber rechnete es sich zum Gewinn, daß diese Leute sich schon vor der Schlacht entlarvt hatten; an die anderen richtete er ermutigende Worte und führte sie eilends zum Krimisosfluß ', den, wie er hörte, auch die Karthager sich zum Ziele gesetzt hatten. 26. Während er nun einen Hügel hinanzog, nach dessen Übersteigung sie das Heer und die ganze Macht der Feinde erblicken mußten, begegneten ihnen Maulesel, welche Eppich trugen. Das brachte die Soldaten auf den Gedanken, dies sei ein schlimmes Vorzeichen, weil wir die Grabmäler der Toten gewöhnlich mit Eppich zu bekränzen pflegen, woher auch die sprichwörtliche Redensart stammt, daß man von einem gefährlich Erkrankten sagt, er brauche Eppich. Um sie nun von dieser abergläubischen Angst abzubringen und ihre bösen Ahnungen zu beheben, ließ Timoleon Halt machen, sprach mancherlei anderes, was für den Augenblick paßte, und sagte insbesondere, da würde ihnen ja schon vor dem Siege der Kranz gebracht und komme ganz von selbst in ihre Hände, mit dem die Korinther die Sieger bei den Isthmischen Spielen krönen, weil der Eppichkranz bei ihnen seit alters als heilig gilt. Denn damals war noch bei den Isthmien, wie jetzt bei den Nemeen, Eppich der Siegeskranz, und erst vor nicht sehr langer Zeit ist es der Fichtcnkranz geworden. Nachdem also Timoleon die geschilderte Ansprache an die Soldaten gehalten hatte, nahm er von dem Eppich und bekränzte sich zuerst selbst, und dann taten es seine Offiziere und die Menge der Soldaten. Zugleich sahen die Seher zwei Adler heranfliegen, von denen der eine

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eine zerfleischte Schlange in seinen Klauen trug, während der andere mit lautem, siegesgewissem Pfeifen einherflog. Das zeigten sie den Soldaten, und alle wandten sich mit Gebet und Flehen an die Götter. 27. Es war die Jahreszeit des beginnenden Sommers, und sie neigte sich mit dem zu Ende gehenden Thargelion 1 schon der Sonnenwende zu. Der Fluß ließ dichten Nebel aufsteigen, die Niederung war zunächst im Dunst verborgen und vom Feinde nichts sichtbar, nur daß ein unbestimmtes, verworrenes Getöse von ferne her zu dem Hügel hinaufschallte, da ein so großes Heer sich in Bewegung setzte. Als aber die Korinther den Hügel erstiegen hatten, haltmachten, die Schilde niedersetzten und ausruhten, brachte die sich höher hebende Sonne den Dunst zum Steigen, die trübe Luft sammelte sich nach den Höhen hin, verdichtete sich und hüllte die Gipfel in Nebel, aber das Gelände ihnen zu Fuß hellte sich auf, der Krimisos wurde sichtbar, und man sah die Feinde im Begriff, ihn zu überschreiten, zuvorderst die vierspännigen Wagen, in schrekkenerregender Weise für den Kampf ausgerüstet, und hinter ihnen zehntausend Schwerbewaffnete mit weißen Schilden. Aus dem Glanz ihrer Waffenrüstung, der Langsamkeit und der Art der Ordnung ihres Zuges schloß man, daß dies Karthager seien. Da hinter ihnen die übrigen Völkerschaften herzuströmten und dabei waren, in verwirrtem Gedränge den Übergang zu bewerkstelligen, so erkannte Timoleon, daß der Fluß ihnen die Möglichkeit gab, von der Menge der Feinde so viele, wie sie selber wünschten, für den Kampf abzutrennen, er rief seinen Soldaten zu, sie sollten doch sehen, wie die feindliche Schlachtordnung durch den Strom zerrissen, die einen schon herübergekommen, die anderen erst im Begriff seien, es zu tun, und gab Demaretos den Befehl, gegen die Karthager Attacke zu reiten und ihren Aufmarsch zu stören, solange die Front noch nicht geschlossen stehe. Er selbst stieg in die Ebene hin-

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ab, gab die Flügel den anderen sizilischen Griechen, denen er j e eine kleine A b t e i l u n g Söldner beiordnete, sammelte im Z e n t r u m u m sich die Syrakusier und die kampftüchtigsten der Söldner u n d verhielt noch kurze Z e i t , um zu beobachten, was die R e i t e r ausrichten würden. A l s er aber sah, daß diese durch die v o r der Front umherfahrenden Wagen gehindert w u r d e n , m i t den Karthagern ins Handgemenge zu kommen, und, um nicht in U n o r d n u n g zu geraten, genötigt waren, fortwährend Schwenkungen z u machen und einmal ums andere wieder zu wenden und anzureiten, nahm er seinen Schild auf und rief seinem F u ß v o l k zu, ihm m u t i g zu folgen, und da schien es, als habe seine Stimme außerordentlich laut, stärker als gewöhnlich, geklungen, sei es, d a ß er sie in der leidenschaftlichen E r r e g u n g u n d B e g e i s t e r u n g d e s Kampfes so anstrengte, oder daß ein übermenschliches Wesen - so kam es den meisten damals vor - mitschrie. Schnell erwiderten sie das Schlachtgeschrei und riefen ihm z u , er solle sie führen und nicht zögern. So gab er den Reitern den Befehl, sich längs der Wagenreihe seitwärts zu ziehen und den Feinden in die Flanke zu fallen, und er selbs t ließ die vordersten Reihen sich Schild an Schild zusammenschließen, befahl die T r o m p e t e n zu blasen und stürzte sich aufdie Karthager. 28. Diese hielten dem ersten Ansturm kräftig stand, und dank ihren eisernen Panzern, ehernen Helmen und großen Schilden, die sie v o r sich hielten, trotzten sie d e m Hagel der Wurfspeere. Als es nun aber an den Schwertkampf g i n g und es nicht weniger a u f d i e Fechtkunst als auf die Kraft ankam, da krachten plötzlich von den Bergen her furchtbare Donnerschläge, und feurige Blitze z u c k t e n dazwischen. Dann senkte sich das dunkle G e w ö l k um die H ü g e l und Bergspitzen zum Schlachtfeld herab, vermischt mit Regen, Sturm und H a g e l , umströmte aber die Griechen von hinten und im R ü c k e n , während es den Barbaren ins Gesicht schlug, die Blitze ihre A u g e n blendeten und Regengüsse und Flammen ununterbrochen aus

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den Wolken fuhren. D3 war vieles, was ihnen Beschwerde machte, besonders den Ungeübten, nicht zum wenigsten aber schadeten ihnen wohl die Donnerschläge und das Getöse der von dem prasselnden Regen und dem Hagel getroffenen Waffen, das zur Folge hatte, daß sie die Befehle der Führer nicht hören konnten. Zudem war für die Karthager, die nicht leicht bewaffnet, sondern, wie schon gesagt, schwer gepanzert waren, der Morast ein schweres Hindernis und die Falten ihrer Röcke, die sich mit Wasser füllten. Daher waren sie aufs äußerste gehemmt, von ihren Kräften für den Kampf Gebrauch zu machen, und von den Griechen leicht zu Fall zu bringen, und wenn sie gestürzt waren, so waren sie nicht im Stande, sich mit ihren Waffen aus dem Morast zu erheben. Denn der Krimisos, schon durch die Regengüsse hoch angeschwellt, wurde durch die Übersetzenden weiter aufgestaut, und seine Niederung, in die viele Täler und Schluchten mündeten, füllte sich mit nicht in ihren Betten niederströmenden Bächen, von denen die Karthager fortgerissen wurden und in großer Not waren. Endlich, unter dem Ansturm des Unwetters, und nachdem die Griechen die vordersten Glieder, vierhundert Mann stark, vernichtet hatten, wandte sich die Masse zur Flucht. Viele wurden in der Ebene ereilt und niedergemacht, viele, die mit den Hinübergehenden zusammengerieten, riß der Fluß mit sich und ertränkte sie, die meisten aber, die die Hügel zu erreichen suchten, holten die Leichtbewaffneten ein und schlugen sie tot. Unter zehntausend Gefallenen sollen sich dreitausend Karthager befunden haben, ein schwerer Schlag für die Stadt. Denn es gab in ihr keine Bürger, die an Adel, Reichtum und Ansehen diesen vorangestanden hätten, und niemals früher, so wird berichtet, sind in einer Schlacht so viele eigentliche Karthager gefallen, sondern sie ließen ihre Schlachten zumeist durch Libyer, Spanier und Numider schlagen und bezahlten ihre Niederlagen mit fremdem Blut.

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29. Den Griechen wurde die Vornehmheit der Gefallenen erst aus der Beute kenntlich. Denn um Gegenstände aus Erz und Eisen kümmerten sich die Plünderer kaum noch: eine solche Fülle von Silber, eine solche Fülle von Gold war da. Denn auch das Lager mitsamt dem ganzen Troß hatten sie nach Überschreitung des Flusses erobert. Von den Gefangenen wurden die meisten von den Soldaten heimlich beiseite gebracht; die Menge der offen angegebenen betrug fünftausend. Auch zweihundert der vierspännigen Streitwagen wurden erbeutet. Den schönsten und großartigsten Anblick bot aber das Zelt des Timoleon, rings umhäuft mit Waffenstücken aller Art, unter denen tausend Panzer von hervorragender schöner Arbeit und zehntausend Schilde zur Schau gestellt wurden. Und da wenige Sieger viele Besiegte ausplünderten und überreiche Beute fanden, so kamen sie mit Not am dritten Tage nach der Schlacht dazu, ein Siegesmal zu errichten. Zugleich mit der Nachricht von dem Siege schickte Timoleon die schönsten Stücke aus der Waffenbeute nach Korinth, da er wünschte, daß seine Vaterstadt von allen Menschen hochgepriesen würde, wenn sie sähen, daß in ihr als der einzigen von allen griechischen Städten die hervorragendsten Tempel nicht mit griechischen Beutestücken geschmückt wären, nicht unerfreuliche Erinnerungsmale an die Tötung von Stammverwandten und Volksgenossen enthielten, sondern den Barbaren entrissene Beutestücke, die in ruhmwürdigsten Inschriften neben der Tapferkeit der Sieger auch ihre Gerechtigkeit bezeugten: «Die Korinther und ihr Feldherr Timoleon stifteten nach der Befreiung der Sizilien bewohnenden Griechen diese Weihegaben aus der karthagischen Beute den Göttern zum Dank.» 30. Hierauf ließ Timoleon die Söldner im Feindeslande zurück, um das Herrschaftsgebiet der Karthager auszuplündern, und ging selbst nach Syrakus. Dort verbannte er jene tausend Söldner, von denen er vor der Schlacht im Stich gelassen wor-

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den war, aus Sizilien lind z w a n g sie, noch vor Sonnenuntergang Syrakus zu verlassen. Sie gingen nach Italien hinüber und fanden durch einen Vertragsbruch, den die Bruttier an ihnen verübten, den Untergang. Diese Strafe für ihren Verrat verhängte die G o t t h e i t über sie. Als jetzt Mamerkos, der T y r a n n von Katane, und Hiketes, entweder aus N e i d auf die Erfolge Timoleons oder aus Furcht vor ihm als einem Manne, der sich an keine Z u s a g e und keinen V e r t r a g mit T y r a n n e n halten w ü r d e , mit den Karthagern ein Waffenbündnis schlössen und sie aufforderten, ein Heer und einen Feldherm zu senden, wenn sie nicht ganz und gar aus Sizilien v e r j a g t werden wollten, kam Geskon herübergesegelt mit einer Flotte v o n siebzig Schiffen und auch einer A b teilung griechischer Söldner. Bisher hatten die Karthager noch niemals Griechen in Sold genommen; jetzt aber bewunderten sie sie als unwiderstehlich und als die streitbarsten aller Menschen. N a c h d e m sie sich alle miteinander vereinigt hatten, erschlugen sie im Gebiet von Messene vierhundert Söldner, die von Timoleon zu Hilfe gesandt worden waren, und im Herrschaftsgebiet der Karthager legten sie bei dem O r t namens Hierai 1 den unter dem Befehl des Leukadiers E u t h y m o s stehenden Söldnern einen Hinterhalt und vernichteten sie. A b e r gerade dadurch wurde das G l ü c k Timoleons offenkundig, denn diese Leute gehörten zu denen, welche unter dem Phoker Philomelos und Onomarchos Delphi genommen und sich an ihrem T e m p e l r a u b beteiligt hatten \ Von allen gehaßt und gemieden w e g e n des auf ihnen ruhenden Fluches, hatten sie sich in der Peloponnes herumgetrieben und waren von T i m o leon in Sold genommen worden, weil er keine anderen Soldaten bekommen konnte. Nach Sizilien gekommen, waren sie in allen Schlachten, die sie unter seinem Befehl ausfochten, siegreich g e w e s e n ; als aber die meisten und bedeutendsten Kämpfe ein Ende hatten und sie von ihm ausgesandt wurden, um

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anderen Hilfe zu bringen, gingen sie zugrunde und wurden aufgerieben, nicht alle auf einmal, sondern von Fall zu Fall, indem ihnen ihre Strafe unter Berücksichtigung von Timoleons Glück auferlegt wurde, damit aus der Züchtigung der Bösen kein Schaden für die Guten erwüchse. So kam es, daß die gnädige Gesinnung der Götter gegen Timoleon nicht weniger bei mißglückten Unternehmungen als bei gelungenen sich offenbarte und Bewunderung erregte. 31. Aber das Volk der Syrakusier war nun schwer erzürnt, weil es von den Tyrannen verhöhnt wurde. Denn Mamerkos, der sich viel darauf einbildete, daß er Gedichte machte und Tragödien schrieb, prahlte sehr mit seinem Sieg über die Söldner, stiftete ihre Schilde den Göttern und ließ darauf das Spottdistichon schreiben: «Diese mit Elfenbein, Gold, Bernstein und Purpur geschmückten Schilde erbeuteten wir, einfache Schildchen am Arm.» Nachdem dies geschehen und Timoleon nach Galaria 1 gezogen war, fiel Hiketes in das Gebiet von Syrakus ein, machte große Beute, verübte viel Frevel und Mutwillen und nahm seinen Rückweg an Galaria vorbei, um Timoleon, der nur eine geringe Streitmacht bei sich hatte, seine Verachtung zu zeigen. Dieser ließ ihn erst ein Stück vorwärtskommen und jagte ihm dann an der Spitze von Reitern und Leichtbewaffneten nach. Als Hiketes, der eben schon den Lamyrias überschritten hatte, es bemerkte, stellte er sich längs des Flusses zur Gegenwehr; denn die Schwierigkeit des Übergangs und die Steilheit der Ufer auf beiden Seiten machte ihm Mut. Aber unter den Schwadronführern Timoleons entbrannte ein erstaunlicher Wetteifer und Streit, der eine Verzögerung des Kampfes bewirkte. Denn keiner wollte erst hinter dem andern über den Fluß gegen den Feind vorgehen, sondern jeder verlangte,

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der erste Angreifer zu st-in, so daß keine Ordnung in das Übergangsmanöver kam, weil sie einander wegzudrängen und zu überholen suchten. Timoleon entschloß sich daher, die Führer losen zu lassen, und ließ sich von jedem seinen Siegelring geben, warf sie alle in seinen Rock, mischte und zeigte, daß der von ungefähr zuerst herausspringende Ring ein Siegesmal als Gravierung hatte. Als das die jungen Männer sahen, erhoben sie ein lautes Jubelgeschrei und warteten nicht den Fortgang der Verlosung ab, sondern galoppierten, so schnell jeder nur konnte, über den Fluß und ins Handgemenge mit den Feinden. Die hielten ihrem Ungestüm nicht stand, sondern ergriffen die Flucht, büßten durchweg alle ihre Waffen ein und verloren tausend Tote. 32. Nicht viel später unternahm Timoleon einen Feldzug ins Land der Leontiner und bekam Hiketes, dessen Sohn Eupolemos und den Reiterführer Euthymos lebendig in seine Hand, da sie von ihren eigenen Soldaten in Fesseln gelegt und ihm ausgeliefert wurden. Hiketes und der Jüngling büßten als Tyrannen und Verräter mit dem Tod. Aber auch Euthymos, obwohl er ein tapferer Kämpfer von ungewöhnlichem Wagemut war, fand kein Erbarmen wegen einer Schmähung gegen die Korinther, die man ihm vorwarf. Es hieß nämlich, er habe in der Volksversammlung vor den Leontinem, als die Korinther gegen sie ausgezogen waren, gesagt, es sei doch nichts Schlimmes und Gefährliches passiert, wenn «Korinthisch Weibervolk sein Haus verließ.»' So liegt es in der Natur der meisten Menschen, böse Worte mehr übel zu nehmen als böse Taten. Eine Beschimpfung empfinden sie schwerer als eine Schädigung, und sich tätlich zu wehren, ist im Kriege als eine Notwendigkeit zugestanden, aber Schmähungen gelten als Ausfluß eines Übermaßes von Haß und Bosheit.

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33. Nach der Rückkehr Timoleons stellten die Syrakusier die Frauen und Töchter des Hiketes in der Volksversammlung vor Gericht und töteten sie. Von allen Taten Timoleons gilt diese als die am wenigsten lobenswerte, denn, -wenn er sich dem widersetzt hätte, so wären - meint man - die Frauen nicht auf diese Weise zu Tode gekommen. Es scheint aber, daß er sie nicht beachtet und dem Grimme der Bürger preisgegeben hat, weil sie an ihnen Rache nahmen für Dion, der Dionysios vertrieben hatte. Denn Hiketes ist es, der Dions Gattin Arete, seine Schwester Aristomache und seinen noch im Knabenalter stehenden Sohn lebendig hat ins Meer werfen lassen. Darüber ist das Genauere im Leben Dions berichtet 1 . 34. Hiernach zog er gegen Mamerkos nach Katane, besiegte ihn, als er sich ihm am Abolosbach 1 im offenen Felde entgegenstellte, schlug ihn in die Flucht und tötete zweitausend Mann, von denen die ihm von Geskon geschickten phoinikischen Hilfsvölker kein kleiner Teil waren. Daraufhin boten ihm die Karthager den Frieden an und erhielten ihn unter der Bedingung, daß sie das Land jenseits des L y k o s 1 behalten, denjenigen, die aus diesem zu den Syrakusiern übersiedeln wollten, den Abzug unter Mitnahme ihres Vermögens und ihrer Familie gewähren und das Waffenbündnis mit den Tyrannen aufkündigen sollten. Mamerkos entfiel nunmehr Mut und Hoffnung, und er wollte nach Italien schiffen, um Lucanier gegen Timoleon und die Syrakusier zu führen. Als aber seine Begleiter die Trieren wenden ließen, nach Sizilien zurückfuhren und Katane dem Timoleon übergaben, flüchtete er in seiner Not nach Messene zu Hippon, der die Stadt als Tyrann beherrschte. Als jetzt Timoleon gegen sie anrückte und sie zu Wasser und zu Lande belagerte, wurde Hippon bei dem Versuch, zu Schiff zu entfliehen, gefangen, und die Messenier nahmen ihn in Empfang, ließen die Knaben aus den Schulen zur Hinrichtung des Tyrannen als zum herrlichsten Schauspiel ins Thea-

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ter kommen und töteten ihn unter Martern. Mamerkos ergab sich dem Timoleon unter der Bedingung, daß er sich den Syrakusiern zum Gericht stelle, doch so, daß Timoleon nicht als Ankläger aufträte. Nach Syrakus gebracht, trat er vor das Volk und schickte sich an, eine schon seit langem verfaßte Verteidigungsrede vorzutragen. Da er aber lautem Geschrei begegnete und die Versammlung unerbittlich sah, warf er seinen Mantel ab und rannte mitten durch das Theater in schnellem Lauf mit dem Kopf gegen eine der steinernen Bänke, um so den Tod zu finden. Aber dieses Ende wurde ihm nicht zuteil, sondern er wurde noch lebend weggebracht und erlitt die Strafe der Straßenräuber. 3J. Auf diese Weise beseitigte Timoleon die Gewaltherrschaften und machte den Kriegen ein Ende, und die ganze Insel, die er durch ihr Unglück verwildert und ihren Bewohnern verleidet vorgefunden hatte, führte er so zur Gesittung zurück und machte sie so anziehend, daß neue Ansiedler an die Orte gefahren kamen, welche ihre früheren Bewohner verlassen hatten. Denn Akragas und Gela, große Städte, die nach dem attischen Kriege von den Karthagern zerstört worden w a r e n w u r d e n damals wieder besiedelt, Akragas von Megillos und Pheristos, die von Elea kamen, und Gela von Gorgos, der von Keos 1 hergefahren kam und die alten Bürger gesammelt hatte. Ihnen gewährte Timoleon nicht nur Sicherheit und Ruhe nach so langer Kriegsnot, sondern auch sonst mit größter Bereitwilligkeit jegliche Hilfe und wurde daher wie ein neuer Stadtgründer geliebt und geehrt. Da auch alle anderen ebenso gegen ihn gesinnt waren, so schien keine Beilegung eines Streites, keine Gesetzgebung, keine neue Ansiedlung, kein Staatsaufbau recht gelungen, an dem er nicht mit Hand anlegte und ihm die rechte Form gab, wie ein Künstler, der einem der Vollendung entgegengehenden Werke noch den letzten Reiz wahrer, göttlicher Schönheit verleiht.

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36. D e n n w e n n auch zu seiner Z e i t viele große Männer unter den Griechen gelebt und große T a t e n vollbracht haben so T i m o t h e o s , Agesilaos, Pelopidas, und der Mann, der von T i m o l e o n am meisten bewundert w u r d e , Epameinondas - , so haftet d o c h d e m G l a n z ihrer T a t e n ein Hauch von G e w a l t t ä tigkeit u n d M ü h s e l i g k e i t an, so daß einige sogar T a d e l und Reue i m G e f o l g e hatten. Unter den T a t e n Timoleons aber ist - wenn man sein durch die N o t erzwungenes Vorgehen gegen den Bruder außer Betracht läßt - keine, auf die man nicht (wie Timaios m e i n t ) mit F u g das W o r t des Sophokles anwenden könnte: «Ihr G ö t t e r , welcher Schönheits- oder Liebesgeist W a r hier am W e r k e ! » 1 Denn w i e die D i c h t u n g des Antimachos und die Gemälde des Dionysios, der beiden Meister aus Kolophon, zwar Kraft und S c h w u n g , aber zugleich etwas G e z w u n g e n e s und Mühseliges haben, während die Malereien des N i k o m a c h o s 1 und die Verse Homers mit ihrer sonstigen Kraft und Schönheit auch den Schein der leichten und mühelosen Hervorbringung verbinden, so erscheint, verglichen mit den mühselig und unter schweren Kämpfen vollbrachten Kriegstaten des Epameinondas und des Agesilaos, die das Schöne mit dem Leichten verbindende Feldherrntätigkeit Timoleons einem objektiven und gerechten Beurteiler zwar nicht als ein W e r k des Glückes, wohl aber eines v o m Glück begünstigten Verdienstes. Er selbst freilich schrieb alle seine Erfolge dem G l ü c k zu, denn in Briefen an seine Freunde zu Haus und in Reden vor dem Volk in Syrakus erklärte er oft, er sei dem G o t t dankbar, daß er, als er Sizilien zu retten gedachte, es unter seiner Führung und unter seinem Namen habe geschehen lassen. A u c h errichtete er in seinem Hause eine Kapelle der A u t o m a t i a 3 und brachte ihr Opfer, und das Haus selbst weihte er d e m Heili-

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gen Dämon. Er bewohnte nämlich ein Haus, welches ihm die Syrakusier als Ehrengabe für seine Heerfuhrung auserlesen hatten, nebst dem lieblichsten und schönsten Landgut. Dort verbrachte er den größten Teil seiner Zeit und Muße, hatte auch seine Frau und seine Kinder von Hause kommen lassen. Denn er kehrte nicht nach Korinth zurück, mischte sich nicht in die Streitigkeiten Griechenlands und mied so den Neid seiner Mitbürger, dem die meisten Feldherren aus unersättlicher Gier nach Ehren und Macht zu verfallen pflegen, blieb vielmehr in Syrakus im Genuß der von ihm selbst geschaffenen Güter, deren größtes dies war: so viele Städte und so viele Zehntausende von Menschen durch seine Leistung im Glück zu sehen. 37. Da aber, wie es scheint (mit Simonides zu reden), nicht nur jede Haubenlerche ihren Schopf, sondern auch jede Demokratie ihren Sykophanten haben muß, so griffen auch den T i moleon zwei Demagogen an, Laphystios und Demainetos. Laphystios forderte bei einer Klage gegen ihn Bürgschaftsleistung, und als die Bürger lärmten und das nicht zulassen wollten, erklärte Timolcon, er habe doch selber aus freien Stücken so viele Mühen und Gefahren auf sich genommen, damit jeder Bürger von Syrakus, der das wolle, sich der Gesetze bedienen könne; und als Demainetos in der Volksversammlung viele Vorwürfe gegen seine Feldherrntätigkeit erhob, gab er ihm keine Antwort, sondern sagte nur, er schulde den Göttern Dank, zu denen er gebetet habe, er möchte es erleben, daß die Syrakusier wieder frei den Mund auftun dürften. Nachdem also Timoleon anerkanntermaßen die größten und herrlichsten Taten von allen Griechen seiner Z e i t vollbracht und als einziger nur in solchen Unternehmungen, zu welchen die Festredner in den allgemeinen Festversammlungen stets die Griechen aufriefen, sich bewährt; nachdem er den Übeln, denen das alte Griechenland verhaftet war, durch

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die Gunst des Glücks vorab unbefleckt und rein entrückt worden war; nachdem er überlegene Klugheit und Tapferkeit den Barbaren und den Tyrannen gegenüber, Gerechtigkeit und Milde den Griechen und seinen Freunden gegenüber bewiesen, die meisten Denkmäler seiner Siege ohne Tränen und Trauer für seine Mitbürger errichtet und Sizilien in noch nicht ganz acht Jahren von seinen ewigen, gleichsam mit ihm verwachsenen Plagen und Leiden befreit seinen Bewohnern übergeben hatte, da trübte sich, als er schon in vorgerücktem Alter stand, seine Sehkraft, und nach kurzer Zeit erblindete er ganz, ohne daß er selbst daran eine Schuld gehabt oder das Schicksal ihm einen bösen Streich gespielt hätte, sondern Ursache war wohl ein Erbübel, die Anlage zu einem Augenleiden, das im Verein mit den hohen Jahren ihn befiel. Denn nicht wenige Angehörige seines Geschlechtes sollen in ähnlicher Weise das Augenlicht eingebüßt haben, das mit dem Alter langsam erlosch. Athanis berichtet, daß sogar schon, als der Krieg gegen Mamerkos und Hippon noch im Gange war, im Lager bei Mylai1 seine Sehkraft abgenommen habe und allen sein Erblinden kenntlich geworden sei, er habe aber die Belagerung nicht aufgehoben, sondern den Krieg fortgesetzt und die Tyrannen gefangen. Sobald er aber nach Syrakus zurückgekehrt sei, habe er den Oberbefehl niedergelegt und die Bürger um Entbindung von seinem Amt gebeten, da alles zum glücklichen Ende gelangt sei. 38. Daß er selbst nun das Unglück klaglos ertrug, darüber wird man sich wohl nicht so sehr wundern; staunen aber muß man über die Verehrung und Dankbarkeit, welche die Syrakusier dem erblindeten Manne bewiesen, indem sie selbst häufig ihm ihre Aufwartung machten und die Fremden, die ins Land kamen, in sein Haus und aufsein Gut führten, damit sie ihren Wohltäter sähen, da sie stolz und froh waren, daß er sich entschieden hatte, seinen Lebensabend bei ihnen zu verbrin-

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gen, und die glänzende Rückkehr nach Griechenland, die ihm durch seine Großtaten bereitet war, verschmäht hatte. Unter den vielen großen Ehrungen, die für ihn beantragt und durchgeführt wurden, war wohl die rühmlichste, daß das Volk der Syrakusier beschloß, sooft es einen Krieg gegen ein fremdes Volk zu führen hätte, einen Feldherrn aus Korinth zu holen. Einen schönen Anblick gewährte auch, was bei den Volksversammlungen zu seinen Ehren geschah. Während sie nämlich die übrigen Dinge selbst abmachten, luden sie ihn zur Verhandlung der wichtigeren Angelegenheiten ein. Er kam auf einem Wagen über den Markt ins Theater gefahren, und während der Wagen, in dem er saß, hereingeschobcn wurde, begrüßte ihn das Volk wie aus einem Munde mit seinem Namen. Er erwiderte den Gruß, und nachdem er den Glückwünschen und Lobsprüchen einige Zeit gegönnt hatte, hörte er an, was zur Beratung stand, und sprach seine Meinung aus. Nachdem diese dann zum Beschluß erhoben war, schoben seine Diener den Wagen wieder durchs Theater hinaus, und die Bürger begleiteten ihn mit Zurufen und Händeklatschen, worauf sie dann die übrigen öffentlichen Angelegenheiten miteinander erledigten. 39. Von solch liebender Verehrung umgeben, verbrachte er sein Alter wie ein gemeinsamer Vater aller, bis ein geringfügiger Anlaß im Verein mit der Altersschwäche seinen T o d herbeiführte. Nachdem man einige Tage angesetzt hatte für die Syrakusier, um die Bestattung vorzubereiten, und für die Landbewohner und Fremden, um sich zu versammeln, wurde eine glänzende Leichenfeier veranstaltet, und vom Volk erwählte Jünglinge trugen die reichgeschmückte Bahre durch die damals geschleifte Tyrannenburg des Dionysios. Viele Zehntausende von Männern und Frauen bildeten das Geleit, das zwar einen festlichen Anblick bot, weil alle bekränzt waren und weiße Gewänder trugen, aber die Wehklagen und

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T r ä n e n , die sich mit der Glücklichpreisung des T o t e n mischten, zeigten, daß es sich nicht um äußerliche Erfüllung einer Ehrenpflicht oder die bloße Ausführung eines Ratsbeschlusses handelte, sondern u m echte T r a u e r und den Ausdruck wahrer Liebe und Dankbarkeit. Z u m Schluß, nachdem die Bahre auf den Scheiterhaufen gesetzt worden war, gab Demetrios, der stimmgewaltigste der damaligen Herolde, die folgende Erklärung a b : « D a s Volk der Syrakusier bestattet hier diesen T i m o l e o n , T i m o d e m o s ' Sohn, aus Korinth, mit einem A u f w a n d von zweihundert M i n e n 1 und hat zu seinen Ehren für alle Z e i t e n W e t t k ä m p f e in M u s i k , Pferderennen und Sport angeordnet, weil er die T y r a n n e n gestürzt, die Barbaren besiegt, die größten der zerstörten Städte wieder aufgebaut und den Griechen Siziliens ihre Gesetze zurückgegeben hat.» Die Beisetzung der Asche des T o t e n erfolgte auf dem M a i k t . Darum errichteten sie später Säulenhallen, legten innerhalb derselben Übungsplätze an und stifteten eine T u m a n s t a l t für die j u n g e n Leute, welche sie Timoleonteion benannten. Sie selbst lebten i m G e n u ß der Verfassung und der Gesetze, die er gegeben hatte, lange Z e i t in G l ü c k und Wohlergehen 2 . 40 ( i ) . Angesichts der geschilderten historischen Tatsachen ist es w o h l klar, daß die Vcrgleichung nicht viele Unterschiede und Ungleichheiten feststellen kann. Denn beide Männer haben K r i e g gegen bedeutende G e g n e r zu fuhren gehabt, der eine gegen die Makedonen, der andere gegen die Karthager, und beide errangen sie glänzende Siege: der eine eroberte Makedonien und stürzte das von Antigonos ausgegangene Königshaus im siebenten Gliede 3 , der andere beseitigte alle T y rannenherrschaften in Sizilien und befreite die Insel; man müßte denn einwenden wollen, daß Aemilius mit Perseus, der auf der Höhe seiner M a c h t stand und die Römer besiegt hatte, zu kämpfen hatte, T i m o l e o n hingegen mit Dionysios erst, als er

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schon sehr geschwächt war und seine Sache verlorengegeben hatte; und umgekehrt zugunsten Timoleons, daß er alle T y rannen und die gewaltige Macht der Karthager mit einem minderwertigen Heere schlug, nicht, wie Aemilius, kriegserfahrene Männer unter sich hatte, die zu gehorchen gelernt hatten, sondern zuchtlose Söldner, die gewohnt waren, nach ihrem Belieben Krieg zu fuhren. Denn die gleichen Erfolge, errungen mit ungleichen Streitkräften, sprechen das Verdienst dem Feldherrn zu. 41 (2). Rein und gerecht waren sie beide in ihren Taten; aber Aemilius trat auf den Plan als einer, der schon durch die Gesetze und durch sein Vaterland zu einem solchen Manne gemacht war, Timoleon mußte sich erst selbst dazu machen. Beweis hierfür ist, daß die Römer in der damaligen Zeit einer wie der andere diszipliniert waren, Untertan den alten Sitten und von Achtung vor den Gesetzen und ihren Mitbürgern erfüllt, während sich unter den Griechen kein Führer oder Feldherr befindet, der nicht verdorben wurde, wenn er mit Sizilien in Berührung kam, ausgenommen Dion. Indes auch gegen ihn hegten viele den Argwohn, daß er nach der Alleinherrschaft strebte und von einem Königtum im Stile des spartanischen träumte. Auch Gylippos, sagt Timaios, wurde von den Syrakusiern rühm- und ehrlos heimgesandt, nachdem sie ihm unersättliche Habsucht bei der Führung seines Feldherrnamtes nachgewiesen hatten, und was der Spartaner Pharax und der Athener Kallippos, in der Hoffnung, die Herrschaft Uber Sizilien zu gewinnen, wider das Gesetz und wider T r e u und Glauben verbrachen, das ist von vielen dargestellt worden *. Dabei: wer waren diese Männer und über welche Machtmittel verfügten sie, daß sie sich solche Hoffnungen machen konnten? Der eine macht sich zum Dienstmann des aus Syrakus verjagten Dionysios, und Kallippos war einer der Söldnerfiihrcr unter Dion. Timoleon hingegen kam, den Syrakusiern auf

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¡hr dringliches Ersuchen als Feldherr mit unbeschränkter Vollmacht gesandt, nicht als einer, der eine Machtstellung suchte, sondern befugt, die Macht zu üben, die er von den Syrakusiern mit ihrem freien Willen übertragen erhielt, und doch machte er den Sturz der widergesetzlichen Machthaber auch zum Endpunkt seines Feldherrnamtcs und seiner Regierung. Aemilius andererseits verdient unsere Bewunderung, weil er, nachdem er ein so mächtiges Reich unterworfen hatte, sein Vermögen auch nicht um eine Drachme vermehrte und das eroberte Geld weder ansah noch anrührte, während er anderen große Gaben und Geschenke machte. Ich will damit nicht sagen, daß Timoleon Tadel verdient, weil er ein schönes Haus und Gut annahm. Denn für solche Leistungen eine Belohnung anzunehmen, ist gewiß nicht schimpflich; aber noch rühmlicher ist es, sie nichi anzunehmen, und ein Gipfel der Tugend, auch wo das Annehmen erlaubt ist, die Bedürfnislosigkeit zu zeigen. Da aber, wie ein Körper, der den Wechsel von Hitze und Kälte gleich gut zu ertragen vermag, kräftiger ist als einer, der nur eins von beiden erträgt, so auch die Wohlbeschaffenheit und Kraft erst derjenigen Seele vollendet ist, welche weder das Glück im Übermut verweichlicht und erschlaffen läßt, noch das Unglück niederbeugt: so erweist sich Aemilius als der vollkommenere Mann, der in schwerem Leid und tiefer Trauer um seine Söhne sich nicht kleiner und nicht minder würdevoll zeigte als in den Tagen des Glückes. Timoleon aber war, nachdem er eine rühmliche Tat gegen seinen Bruder vollbracht hatte, nicht fähig, durch die Kraft der Vernunft seinen Schmerz zu besiegen, sondern von Reue und Leid gebeugt, vermochte er zwanzig Jahre lang Rednerbühne und Markt nicht anzusehen. Man soll zwar das Schändliche fliehen und meiden; aber Empfindlichkeit gegenüber jeder abschätzigen Kritik ist wohl Kennzeichen einer rechtlichen und zarten Gesinnung, die aber keine Größe hat.

DEMOSTHENES

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DEMOSTHENES i . Derjenige, der das Preislied auf den Sieg des Alkibiades im V^agenrennen zu Olympia gedichtet hat, lieber Sosius Senecio, ob es nun Euripides war, wie die verbreitete Meinung will, oder ein anderer 1 , behauptet, der Glückliche müsse vor allen Dingen eine ruhmreiche Vaterstadt haben. Ich hingegen glaube, daß für denjenigen, der in den Genuß des wahren Glückes gelangen will, welches vor allem im Charakter und in der Gemütsverfassung beschlossen ist, es ebensowenig von Bedeutung ist, aus einer unberühmten und unbedeutenden Vaterstadt, wie v o r einer unschöner und kleinen Mutter zu stammen. Denn es wäre lächerlich, wenn man glauben wollte, daß Iulis, ein kleiner Teil der nicht großen Insel Keos, und die Insel Aigina, von der einmal ein Athener gesagt hat, man müsse sie vom Piräus wegwischen wie die Butter aus den Augen, zwar gute Schauspieler und Dichter, niemals aber einen gerechten, selbstgenügsamen, verständigen und hochgemuten Mann hervorbringen könne*. Denn es ist zwar natürlich, daß die anderen Künste und Fähigkeiten, die auf Betätigung und Ruhm abzielen, in den unberühmten und unbedeutenden Städten nicht recht gedeihen, daß aber die Tugend wie eine kräftige und ausdauernde Pflanze in jeglichem Boden Wurzel schlagen kann, wofern sie eine tüchtige Natur und einen rastlosen Geist findet. Daher werde auch ich, wenn ich nicht das Ziel erreiche, so zu denken und zu leben, wie es Pflicht ist, dies nicht der Unbedeutendheit meiner Vaterstadt®, sondern gerechtermaßen mir selber zuschreiben. 2. Wer sich jedoch der Aufgabe unterzogen hat, ein Geschichtswerk zu schreiben, das aus der Lektüre größtenteils anderen gehöriger, vielfach zerstreuter Schriften, die er nicht

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selbst besitzt noch zur Hand hat, zusammenkommen muß, der sollte tatsächlich zuerst und vor allen Dingen eine altberühmte, volkreiche, für alles Schöne interessierte Stadt zum Wohnsitz haben, damit er eine große Menge verschiedenster Bücher zu seiner Verfügung hat, dazu alles, was in den Büchern nicht zu finden, aber im Gedächtnis aufbewahrt und sicher genug beglaubigt ist, mit den Ohren aufnehmen und erkunden und so ein Werk liefern kann, in dem nichts von dem Erforderlichen fehlt. Ich jedoch, der ich eine kleine Stadt bewohne und, damit sie nicht noch kleiner wird, gern in ihr verweile, bei meinen Aufenthalten in Rom und im übrigen Italien aber keine Zeit gehabt habe, mich in der lateinischen Sprache zu üben, teils wegen politischer Geschäfte, teils wegen der vielen, die sich wegen philosophischer Fragen an mich wendeten, bin erst spät und in schon vorgerücktem Alter dazu gekommen, lateinische Schriften zu lesen'. Dabei ist mir etwas begegnet, das erstaunlich klingt, aber doch volle Wahrheit ist. Ich machte die Erfahrung, daß ich nicht so sehr von den Wörtern aus die Dinge erfaßte und begriff, als ich von den Dingen her, von denen ich schon eine gewisse Kenntnis besaß, und mit ihrer Hilfe den Wörtern auf die Spur kam. Die Schönheit und die Knappheit der lateinischen Sprache recht zu erfassen, die bildliche Verwendung der Wörter, ihre harmonische Fügung und all das andere, was den Schmuck der Rede ausmacht, recht zu erfühlen, das ist, meine ich, etwas Schönes und Reizvolles. Aber die dafür erforderliche gründliche Beschäftigung ist nichts Leichtes und nur denen möglich,die mehr freie Zeit haben und denen ihr Lebensalter noch gestattet, sich ein solches Ziel zu setzen. 3. Daher will ich in diesem Buche - dem fünften in der Reihe der vergleichenden Lebensbeschreibungen 1 - , in welchem ich Demosthenes und Cicero behandle, die Charaktere der beiden und ihre Gesinnungen nur nach ihren Taten und nach der Politik, die sie gefuhrt haben, nebeneinander betrachten, mich

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aber nicht daraufeinlassen, ihre Reden gegeneinanderzuhalten und ein Urteil abzugeben, welcher der gewinnendere oder der kraftvollere Redner gewesen ist. Denn, wie Ion sagt: «Hin ist die Stärke des Delphins auf trocknem Land.» 1 Das hat der in allem allzu selbstbewußte Caecilius 2 sich nicht klar gemacht und sich daher unterstanden, eine Vergleichung der Beredsamkeit des Demosthenes und Ciceros zu veröffentlichen. Aber wenn es jedermanns Sache wäre, das Wort «Erkenne dich selbst» sich immer vor Augen zu halten, so würde diese Mahnung vielleicht gar nicht für göttlichen Ursprungs zu gelten haben 3 . Mir will scheinen, die Gottheit habe Cicero von Anfang an dem Demosthenes gleich erschaffen wollen und viele ihm ähnliche Z ü g e ir. seinen Charakter gelegt: den Ehrgeiz, die Liebe zur Freiheit beim politischen Handeln, den Mangel an kühnem M u t in Gefahren und Kriegen; habe aber auch viele Ähnlichkeiten der Erlebnisse und Schicksale dareingemischt. Denn ich glaube, man wird kaum zwei andere Redner finden können, die aus Ruhmlosigkeit und Unbedeutendheit zu Größe und Macht aufstiegen, mit Königen und Tyrannen in Streit gerieten, ihre Töchter verloren, aus ihrem Vaterland verbannt wurden, mit Ehren wieder zurückkehrten, abermals weichen mußten, ihren Feinden in die Hände fielen und zugleich mit dem Ende der Freiheit des Vaterlandes ihr Leben beschlossen. Könnte es zwischen Natur und Schicksal wie zwischen Künstlern einen Wettstreit geben, so würde schwer zu entscheiden sein, ob die Natur die beiden Männer in ihren Anlagen oder das Schicksal sie in ihren Erlebnissen einander ähnlicher gemacht hat. Der ältere von ihnen ist zuerst zu behandeln. 4. Demosthenes, der Vater des Demosthenes, gehörte zu den vornehmen und angesehenen Männern, wie T h e o p o m p 4 berichtet, und hatte den Beinamen «der Schwertfeger», weil er

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eine große Waffenfabrik und in diesem Handwerk geübte Sklaven hatte, die darin arbeiteten. Wenn von seiner Mutter der Redner Aischines gesagt h a t d a ß sie die Tochter eines gewissen Gylon, der wegen Verrates aus der Stadt verbannt war, und einer Frau von barbarischer Herkunft gewesen sei, so weiß ich nicht zu sagen, ob das eine wahre Angabe oder böswillige Erfindung ist. Schon mit sieben Jahren wurde Demosthenes durch den Tod seines Vaters Erbe eines stattlichen Vermögens - die Schätzung lautete insgesamt auf wenig unter fünfzehn Talenten 2 - , erlitt aber schweren Schaden durch seine Vormünder, die es teils unterschlugen, teils so fahrlässig verwalteten, daß sie sogar seine Lehrer um den ausbedungenen Lohn prellten. Die Folge hiervon war es anscheinend, daß er nicht die einem freigeborenen Knaben zukommende höhere Bildung erhielt; doch war auch seine körperliche Schwäche und Verzärtelung daran schuld, weil die Mutter ihm keine körperlichen Anstrengungen zumuten wollte und die Pädagogen ihn nicht dazu anhielten. Er war nämlich von Kind auf sehr mager und kränklich und soll daher seinen Schimpfnamen Batalos von den Knaben, die ihn seiner Körperlichkeit wegen verspotteten, bekommen haben. Batalos war, wie einige sagen, ein weichlicher Flötenspieler, und Antiphanes hat, um ihn zu verspotten, eine kleine Komödie daraufgemachtAndere nennen Batalos einen Dichter ausgelassener und unanständiger Lieder. Auch scheint ein Körperglied, das man in guter Gesellschaft nicht mit Namen nennt, bei den Attikem damals Batalos geheißen zu haben. Argas sodann - denn auch diesen Beinamen soll Demosthenes bekommen haben - wurde er entweder wegen seiner boshaften und bitteren Gemütsart genannt; denn der Schlange geben einige Dichter den Namen Argas; oder wegen seiner die Ohren der Hörer beleidigenden Redeweise; denn auch Argas war ein Dichter schlechter, häßlicher Gesänge 4 . Doch genug hiervon.

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5. Den ersten Anstoß zu seinen heißen Bemühungen um die Redekunst soll Demosthenes auf folgende Weise empfangen haben. Als der Redner Kallistratos in dem Prozeß um Oropos vor Gericht auftreten sollte, war die Erwartung allgemein hochgespannt sowohl wegen der Kunst des Redners, der damals auf der Höhe seines Ruhmes stand, als auch wegen der Aufsehen erregenden Sache'. Als nun Demosthenes die Lehrer und Pädagogen sich untereinander verabreden hörte, daß sie der Verhandlung beiwohnen wollten, brachte er seinen Pädagogen durch inständiges Bitten dahin, daß er ihn zum Zuhören mitnahm. Da der Mann mit den angestellten Beschließern der Gerichtshöfe bekannt war, so bekam er einen Platz, wo der Knabe sitzen und unbemerkt den Rednern zuhören konnte. Als jetzt Kallistratos einen großen T a g hatte und höchste Bewunderung erntete, beneidete er ihn um seinen Ruhin, wie er ihn von vielen geleitet und hochgepriesen sah, noch mehr aber staunte er über die Macht der Beredsamkeit und erkannte, daß sie alles zu bezwingen und zu bezaubern vermag. Daher ließ er nun alle übrigen Lehrfächer und alle kindlichen Beschäftigungen beiseite und widmete sich mit allem Ernst den Redeübungen, um auch einmal ein solcher Redner zu werden. Zum Lehrer der Beredsamkeit nahm er Isaios, obgleich Isokrates damals auch Unterricht erteilte, sei es, daß er - wie einige sagen - als Waise das von Isokrates geforderte Honorar, die zehn Minen, nicht zahlen konnte, oder daß er der Rede des Isaios als der schlagkräftigeren und in der Praxis wirksameren den Vorzug gab 2 . Hermippos' sagt, er habe anonyme Aufzeichnungen gelesen, in denen geschrieben stand, Demosthenes sei auch bei Piaton in die Schule gegangen und habe daraus den größten Nutzen für seine Beredsamkeit davongetragen, und er gibt an, von Ktesibios gehört zu haben, Demosthenes habe von demSyrakusier Kallias und einigen anderen die Lehrschriften des Isokrates und des Alkidamas * heimlich bekommen und durchstudiert.

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6. Als er nun, mündig geworden, gegen seine Vorminder zu prozessieren begann und, da sie sich auf viele Ausflüihte und Winkelzüge verlegten, mehrere Reden gegen sie hiel', stählte er - mit Thukydides zu reden 1 - mit diesen Übunpn nicht ohne Gefahr und Mühe seine Kraft und gewann der Prozeß, vermochte allerdings nur einen kleinen Bruchteil de: väterlichen Vermögens wieder herauszuholen, erwarb sich iber den unbekümmerten Mut zum Reden und hinreichence Erfahrung, und nachdem er auch schon etwas von der in Relekämpfen zu gewinnenden Ehre und Macht zu kosten becommen hatte, getraute er sich, öffentlich aufzutreten und ;ich mit Staatsangelegenheiten zu befassen. Und wie man erzihlt, daß Laomedon von Orchomenos, um ein Milzleiden losziwerden, auf den Rat der Ärzte sich in langen Läufen geübt, dain, nachdem er auf diese Weise seine körperliche Leistungsahigkeit verbessert hatte, sich an die Preiswettkämpfe heraigewagt habe und einer der hervorragendsten Längstreckenliufer geworden sei, so ging es auch dem Demosthenes, der si:h zuerst zur Verbesserung seiner persönlichen Vermögensumstände auf die Redekunst verlegte und, nachdem er sich dadurci Fertigkeit und Können erworben hatte, alsbald in der Politik wie in Preiswettkämpfen unterden Bürgern,die von der Redierbühne miteinander stritten, an erster Stelle stand. Das erste Mal freilich, da er vor das Volk trat, erntete er Lärm und Celächter, weil seine Art zu sprechen aller Gewohnheit widersprach und seine Rede durch verwickelte Periodisierung und vercünstelte Argumentation allzu herb wirkte und Mißfallen ericfte. Dazu kam, wie es scheint, eine Schwäche der Stimme, eineUndeutlichkeit der Aussprache und eine Knappheit des Aems, die durch das Zerreißen der Perioden den Sinn des Gesagten nicht recht klar werden ließ. Als er sich darum schließlict von der politischen Tätigkeit zurückzog und einmal niedergeschlagen im Piräus herumtrieb, sah ihn der Thriasier Eunonos', ein

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schon sehr alter Mann, und machte ihm Vorwürfe, daß er, obschon sein rednerischer Stil dem des Perikles sehr ähnlich sei, sich aus Mutlosigkeit und Weichlichkeit aufgebe, sich nicht beherzt der Masse stelle, nicht seinen Körper für die politischen Kämpfe stähle, sondern ihn aus Verzärtelung verkommen lasse. 7. Als er aber, so heißt es, einen zweiten Durchfall erlebte und verstört und verärgert nach Hause ging, sei ihm der Schauspieler Satyros, der mit ihm befreundet war, nachgegangen und in sein Haus gefolgt, und als sich nun Demosthenes ihm gegenüber beklagte, daß er mehr Mühe als alle anderen Redner an die Vorbereitung wende, beinahe schon alle Kräfte seines Körpers daran gesetzt habe und doch vor dem Volke kein Gefallen finde, sondern Trunkenbolde, Matrosen und ungebildete Menschen würden angehört und beherrschten die Rednerbühne, und ihn beachte man nicht: da habe Satyros geantwortet: «Du hast vollkommen recht, Demosthenes, aber ich will schnell eine Abhilfe gegen das, was da schuld ist, finden, wenn du bereit bist, mir ein Stück aus dem Euripides oder Sophokles auswendig herzusagen.» Demosthenes tat das, und nun nahm Satyros das Wort und gestaltete dasselbe Stück und trug es mit dem gehörigen Ausdruck und Mienenspiel derart vor, daß es dem Demosthenes sofort wie ein ganz anderes erschien. So kam er zu der Einsicht, wieviel eine Rede durch den Vortrag an Glanz und überzeugender Kraft gewinnt, und glaubte fortan, daß das bloße Üben wenig oder nichts bedeute, wenn man den Vortrag und den Stimmungsgehalt des Gesagten nicht gehörig beachte. Er ließ sich hierauf einen unterirdischen Übungsraum bauen - der noch bis heute erhalten ist und ging täglich da hinunter, um sich im Vortrag zu üben und seine Stimme auszubilden; ja, oft setzte er das zwei oder drei Monate lang fort und ließ sich die eine Hälfte des Kopfes abscheren, um es sich aus Furcht vor der Lächerlichkeit un-

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möglich zu machen, das Haus zu verlassen, selbst wenn er es wollte. 8. Aber auch seine Zusammenkünfte, Unterhaltungen und geschäftlichen Verhandlungen mit anderen Leuten machte er zum Gegenstand und zum Ausgangspunkt fiir seine fleißigen Übungen. Sobald er sich nämlich von ihnen getrennt hatte, stieg er in seinen Übungsraum hinunter und trug sich der Reihe nach die Gegenstände und die über sie geführten Verhandlungen vor. Ferner prägte er sich die Reden ein, die er hatte halten hören, und formte sie in Sentenzen und Perioden um, suchte auch nach allerlei Verbesserungen und neuen Formulierungen dessen, was von einem andern zu ihm oder umgekehrt von ihm zu einem andern gesagt worden war. Infolgedessen kam er in den Ruf, daß er eigentlich nicht talentiert sei, sondern daß sein rednerisches Geschick und Können nur auf Arbeit beruhe, und ein starker Beweis hierfür schien die Tatsache zu sein, daß man Demosthenes nicht leicht aus dem Stegreif reden hören konnte und daß er sogar oft, wenn er in der Volksversammlung saß und das Volk ihn mit Namen rief, nicht auftrat, es sei denn, daß er die Sache vorher durchdacht und sich vorbereitet hatte. Deshalb verhöhnten ihn die anderen Demagogen oft, und Pytheas1 sagte einmal spöttisch, seine Argumentationen röchen nach der Lampe. Ihm gab Demos thenes die scharfe Antwort: «Meine Lampe, Pytheas, weiß allerdings von anderen Dingen als die deine», den anderen gegenüber aber leugnete er die Sache nicht ganz ab, sondern gestand zu, daß er zwar nicht alles, was er sage, vorher aufgeschrieben habe, aber doch nie ohne schriftliche Vorbereitung rede. Er erklärte aber auch, ein Mann, der sich auf seine Reden vorbereite, beweise damit demokratische Gesinnung, denn sich vorzubereiten sei ein Akt der Höflichkeit gegen das Volk, und sich nicht darum zu kümmern, wie die Menge die Rede aufnehmen werde, verrate einen überheblichen Aristokraten, der mehr an

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Gewalt als an Überzeugung denke. Als Beweis seiner Zaghaftigkeit, unvorbereitet zu reden, führt man auch dies an, daß Demades oft, wenn Demosthenes ins Gedränge kam, aufstand und ihm aus dem Stegreif Beistand leistete, er aber niemals dem Demades'. 9. Wie kommt es dann aber, möchte man sagen, daß Aischines den Demosthenes als einen Mann von höchst erstaunlicher Dreistigkeit in seinen Reden hinstellt? 1 Wie kommt es, daß, als der Byzantier Python mit unverschämtem Redefluß gegen die Athener loszog, er allein aufstand und ihn widerlegte, oder daß er, als Lamachos von Smyrna eine Lobrede auf die Könige Alexander und Philipp verfaßt hatte, in der er viel Böses über die Thebaner und Olynthier sagte, und sie in Olympia vortrug, unversehens aufstand und mit geschichtlichen Nachweisen darlegte, wie viele Verdienste sich die Thebaner und Chalkidier um Griechenland erworben und umgekehrt, wieviel Böses die Schmeichler der Makedonen verschuldet hätten, wodurch er die Hörer so in Hämisch brachte, daß der Sophist aus Angst vor dem Lärm sich aus der Versammlung hinwegschlich ? J Es scheint, die anderen Eigenheiten des Perikles hat Demosthenes nicht als sich gemäß angesehen, aber die Art seines Vortrages, sein Gebärdenspiel und sein Verfahren, nicht rasch und über alles aus dem Stegreif zu reden, hat er sich - in dem Glauben, daß Perikles dadurch groß geworden sei - zum Muster und zum Vorbild genommen und sich nicht gern darauf eingelassen, den Ruhm eines günstigen Augenblicks zu erhaschen, noch öfters aus freien Stücken sein Ansehen dem Spiel des Zufalls überlassen. Denn Mut und Kühnheit zeigten seine tatsächlich gehaltenen Reden mehr als die schriftlich abgefaßten, wenn man dem Eratosthenes, dem Demetrios von Phaleron 4 und den komischen Dichtern glauben darf. Eratosthenes sagt, er sei in seinen Reden oftmals in einen bacchischen Rausch geraten, der Phalereer berichtet, er

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habe einmal vor dem Volke wie gottbegeistert jenen Schwur in Versform gesprochen: «Bei Erde, Quellen, Flüssen auch und Bächen!» Ein Komiker nennt ihn einen schwatzhaften Windbeutel, ein anderer verspottet ihn wegen seiner Vorliebe für Antithesen mit folgenden Versen: «Er nahm es wieder, wie er's nahm.» - « H a , dieses W o r t H ä t t ' liebend gern Demosthenes wohl übernommen.» Es sei denn, Antiphanes hat hier auf Demosthenes' Rede über die Insel Halonnesos angespielt, die er den Athenern riet, von Philipp nicht zu nehmen, sondern wiederzunehmen, w o m i t er Haarspalterei um Silben trieb 1 . 10. Freilich, in b e z u g auf Demades waren alle darüber einig, daß er, indem er einfach von seiner natürlichen Anlage Gebrauch machte, unüberwindlich wäre und mit seinen Reden aus d e m Stegreif die mühsam erarbeiteten Produkte des Demosthenes aus dem Felde schlug. Ariston von C h i o s 1 hat ein Urteil Theophrasts über die beiden Redner berichtet. G e f r a g t , was für ein Redner Demosthenes ihm zu sein schiene, habe er gea n t w o r t e t : « W ü r d i g der Stadt», und was für einer Demades: « N o c h über die S t a d t ! » Derselbe Philosoph erzählt auch, Polyeuktos von Sphettos, einer der Politiker in Athen zu damaliger Z e i t , habe geäußert, der größte Redner sei Demosthenes, der stärkste aber Phokion, denn er drücke in der kürzesten Form den meisten Inhalt aus. Auch Demosthenes selbst soll jedesmal, w e n n Phokion die Rednerbühne bestieg, um ihm zu w i dersprechen, zu seinen Freunden gesagt haben: « D a k o m m t das Richtbeil meiner R e d e n ! » Dabei ist es allerdings ungew i ß , o b Demosthenes i m Hinblick auf die Reden des Mannes diese Empfindung hatte oder i m Hinblick auf seinen Lebenswandel und sein Ansehen, in dar M e i n u n g , daß ein W o r t und

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Wink eines Menschen, der Vertrauen genießt, mehr bedeutet als viele lange, kunstvolle Sätze. Ii. Gegen seine körperlichen Behinderungen brachte er die folgenden Mittel in Anwendung, wie Demetrios von Phaleron berichtet, der das aus dem Munde des Demosthenes selbst, als er schon alt war, gehört haben will: Die Undeutlichkeit und das Anstoßen mit der Zunge habe er weggebracht und eine klare Aussprache erzielt, indem er Steine in den Mund nahm und gleichzeitig lange Dichterstellen vortrug, und die Stimme habe er geübt, indem er bei raschem Lauf und beim Bergansteigen sprach und Reden oder Verse mit aufs äußerste angespanntem Atem vortrug; er habe auch zu Hause einen großen Spiegel gehabt und vor diesen hintretend seine Redeübungen gehalten. Es wird auch erzählt, als ein Mensch zu ihm kam, ihn um seinen Beistand vor Gericht bat und lang und breit erzählte, er sei von jemand geprügelt worden, habe Demosthenes gesagt: «Aber von all dem, was du da redest, ist dir ja gar nichts passiert!» Da habe der Mann seine Stimme erhoben und geschrien: «Mir soll nichts passiert sein, Demosthenes?» «Ja, wahrhaftig», habe jetzt Demosthenes erwidert, «jetzt höre ich die Stimme eines Mannes, dem Unrecht angetan worden ist!» So entscheidend wichtig für die Erzielung des Glaubens an das Gesagte war nach seiner Überzeugung der Ton und der Vortrag des Redners. Die Menge fand an seinem lebhaften Vortrag außerordentliches Gefallen; die besseren Leute aber fanden sein Gebärdenspiel niedrig, unfein und affektiert, unter ihnen auch Demetrios von Phaleron. Aision gab, so berichtet Hermippos', als er über die alten Redner und über die seiner Zeit befragt wurde, zur Antwort, wenn man sie hörte, hätte man wohl jene bewundert, mit wieviel Würde und Anstand sie zum Volke sprachen; wenn man aber Demosthenes' Reden läse, behaupteten sie durch ihren kunstvollen Bau und ihre Wirkungskraft den Vor-

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rang. Daß seine schriftlich abgefaßten Reden viel Herbes und Bitteres enthalten, braucht nicht erst gesagt zu werden. In seinen im Augenblick gegebenen Antworten wußte er aber auch durch den Scherz zu wirken. Als Demades einmal sagte: «Mich will Demosthenes belehren? Die Sau die Athena! 1 », erwiderte er: «Diese Athena ist vor kurzem in Kollytos beim Ehebruch ertappt worden!» Zu einem Diebe, der den Beinamen Chalkus, «der Eherne», hatte und ihn wegen seines wenigen Schlafs und seiner nächtlichen Schreibarbeit verspotten wollte, sagte er: «Ich weiß, daß ich dir mit meinem Lichtbrennen lästig bin. Aber ihr, liebe Athener, wundert euch nicht über die vorkommenden Diebstähle, wo wir eheme Diebe und Wände aus Lehm haben.» Von diesen und anderen Scherzen will ich hier nicht weiter reden, obschon ich noch mehr zu berichten hätte. Es ist vielmehr angebracht, sein sonstiges Wesen und seinen Charakter aus seinen Handlungen und seiner Politik kennenzulernen. 12. Er begann, sich der Politik zu widmen, als der Phokische Krieg im Gange war, wie er selbst sagt und wie man den Philippischen Reden entnehmen kann. Denn einige von diesen sind zwar erst nach Ablauf jener Ereignisse gehalten, die ältesten von ihnen aber berühren noch Dinge, die ihnen ganz nahe l a g e n A u c h ist gewiß, daß er den Prozeß gegen Meidias zu führen begann, als er zweiunddreißig Jahre alt war und noch keinen politischen Einfluß und kein großes Ansehen besaß. Das Gefühl der Unsicherheit war es daher hauptsächlich, wie mir scheint, das ihn bewog, gegen eine Geldzahlung die Klage gegen den Mann fallen zu lassen. «Denn er war nicht sanften Gemüts noch freundlichen Sinnes » sondern schroff und gewalttätig in seinen Gegenmaßnahmen. Da also Demosthenes erkannte, daß es keine leichte, seinen ei-

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genefl Kräften angemessene Aufgabe war, einen durch sein Geld, seine Beredsamkeit und seine Freunde so wohlgepanzerten Mann wie Meidias zu Fall zu bringen, so gab er am Ende denen nach, die sich bei ihm für jenen verwendeten. Die dreitausend Drachmen allein würden, glaube ich, die Erbitterung des Demosthenes nicht beschwichtigt haben, wenn er die Hoffnung und die Macht gehabt hätte, den Sieg über ihn davonzutragen'. Als er in die Politik eintrat, setzte er sich ein hohes Ziel, die Verteidigung der Rechte der Griechen gegen Philippos, und kämpfte dafür auf so würdige Weise, daß er schnell bekannt wurde und durch seine Redekunst und seinen Freimut zu hohem Ansehen aufstieg, in Griechenland bewundert, vom Großkönig mit Achtung behandelt wurde, und daß am Hofe des Philippos von ihm mehr als von allen andern Demagogen die Rede war und auch seine Feinde zugestanden, daß sie gpgen einen hochangesehenen Mann zu kämpfen hatten. Aischines und Hypereides haben ihm in den gegen ihn gerichteten Reden dieses Zeugnis ausgestellt. 13. Ich weiß darum nicht, wie Theopompos auf den Gedanken gekommen ist zu behaupten, er sei schwankenden Charakters und nicht fähig gewesen, bei derselben Sache und denselben Menschen lange Zeit auszuhalten. Denn es liegt klar zu Tage, daß er der Partei und der Sache, der er sich von Anfang an in seiner Politik verschrieb, bis zum Ende treu geblieben ist und nicht nur im Leben niemals seinen Standpunkt geändert, sondern auch sein Leben dafür hingegeben hat, ihn nicht zu ändern. Er machte es nicht wie Demades, der, um seinen Stellungswechsel in der Politik zu rechtfertigen, sagte, er habe oftmals gegen sich selbst, niemals aber gegen den Staat gesprochen, oder wie Melanoposder der politische Gegner des Kallistratos war, sich aber oft von ihm durch Geld bestimmen ließ, seine Meinung zu ändern, und dann vor dem Volk zu

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sagen pflegte: «Der Mann ist mein Feind, aber das Wohl des Staates m u ß vorgehen », oder w i e der Messenier Nikodemos, der sich zuerst auf die Seite des Kassandros schlug, dann für Demetrios eintrat und erklärte, er widerspreche sich nicht, denn es sei immer vorteilhaft, dem Stärkeren zu gehorchen 1 . N i c h t so Demosthenes: von ihm kann man nicht sagen, d a ß er im Reden oder im Handeln die klare Linie verlassen und laviert habe, sondern immer hat er nach einem, unwandelbaren politischen Programm einen festen Kurs des Handelns innegehalten. Der Philosoph Panaitios sagt, auch die meisten seiner Reden fußten auf dem Grundsatz, daß man sich allein für das G u t e um seiner selbst willen entscheiden müsse, so die über den Kranz, gegen Aristokrates, über die Befreiung von Staatslasten, die Philippischen \ In ihnen allen will er die Bürger nicht zum Angenehmsten, Leichtesten oder Vorteilhaftesten hinfuhren, sondern in vielen Fällen, meint er, müsse man Sicherheit und Wohlfahrt hintansetzen zugunsten des Rechten und Geziemenden. Hätte darum seinem edlen Streben in seiner Zielsetzung und seiner hohen R e d e g e w a l t militärische T ü c h t i g k e i t und Uneigennützigkeit in allem Handeln zur Seite gestanden, so wäre er nicht in die Reihe der Redner v o m Schlage Moirokles, Polyeuktos und Hypereides einzuordnen, sondern verdiente es, höher hinauf, neben Kimon, T h u k y d i d e s und Perikles gestellt zu werden. 14. Von seinen Zeitgenossen vertrat Phokion zwar eine Politik, die kein Lob verdient, sondern er war ein Makedonenfreund; doch erschien er durch seine T a p f e r k e i t und Gerechtigkeit als ein M a n n , nicht schlechter als Ephialtes J , Aristeides und Kimon. Demosthenes war in den Waffen, wie Demetrios sagt, nicht ganz vertrauenswürdig, auch nicht durchaus gefestigt gegenüber Geschenken, sondern für Geld, das von Philipp und Makedonien kam, zwar unzugänglich, gegen das von weiter her, aus Susa und Ekbatana k o m m e n d e , aber nicht

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gefeit, sondern sogar sehr empfänglich, und so war er wohl der rechte Mann, die Tugenden der -Vorfahren zu preisen, aber nicht gleichermaßen, sie nachzuahmen. Sonst jedoch stand er über den Rednern seiner Zeit - Phokion freilich beziehe ich nicht ein - auch in seinem Lebenswandel. Auch ist es gewiß, daß er mit großem Freimut zum Volke sprach, den Gelüsten der Masse sich widersetzte und ihre Fehler heftig tadelte, wie aus seinen Reden zu entnehmen ist. Theophrast erzählt auch, daß er, als die Athener ihn drängen wollten, gegen einen gewissen Mann als Ankläger aufzutreten, und da er sich weigerte, ein großes Geschrei erhoben, aufgestanden sei und gesagt habe: «Ihr werdet in mir immer einen Ratgeber finden, Athener, auch wenn ihr es nicht wollt; aber keinen Sykophanten, auch wenn ihr es wollt.» Streng aristokratisch war auch sein Vorgehen Antiphon gegenüber. Trotzdem er von der Volksversammlung freigesprochen war, ließ er ihn festnehmen, stellte ihn vor den Rat auf dem Areopag und überführte ihn, ohne sich im mindesten an den Unwillen des Volkes zu kehren, daß er Philipp versprochen hatte, das SchifFsarsenal in Brand zu stecken, woraufhin der Mann von dem Rat dem Henker übergeben und hingerichtet wurde 1 . Auch gegen die Priesterin Theoris erhob er Anklage, daß sie außer vielen anderen Verfehlungen die Sklaven zum Betrug anstifte. Er beantragte die Todesstrafe gegen sie und drang damit durch 1 . 15. Ferner wird berichtet, daß die Rede gegen den Feldherrn Timotheos, mittels deren Apollodoros erreichte, daß der Mann zur Zahlung der Schuldsumme verurteilt wurde, von Demosthenes für Apollodoros verfaßt worden sei, ebenso die Reden gegen Phormion und Stephanos, wegen deren er begreiflicherweise in üblen Ruf kam, denn auch Phormion bediente sich in dem Prozeß gegen Apollodoros einer von Demosthenes verfaßten Rede, so daß er geradezu den streitenden

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Parteien gleichsam aus einer Waffenhandlung stammende Dolche zum Kampfe gegeneinander verkaufte. Von seinen Staatsprozeßreden wurden die gegen Androtion, Timokrates und Aristokrates für andere geschrieben, als er noch nicht selbst öffentlich politisch auftrat; denn er war, wie es scheint, zwei- oder dreiunddreißig Jahre alt, als er diese Reden abfaßte. Die Reden gegen Aristogeiton aber hat er selbst gehalten, und die über die Steuerbefreiungen dem Ktesippos, dem Sohne des Chabrias, zuliebe, wie er selbst sagt; nach anderen aber, weil er sich um die Mutter des Jünglings bewarb. Aber zur Frau genommen hat er sie nicht, sondern er war mit einer Samierin verheiratet, wie Demetrios von Magnesia in der Schrift über Personen gleichen Namens erzählt Ob die Rede über die Truggesandtschaft des Aischines wirklich gehalten worden ist, ist ungewiß; allerdings sagt Idomeneus, daß Aischines mit einer Mehrheit von nur dreißig Stimmen einen Freispruch erreicht habe, aber das scheint in Wahrheit nicht so zu sein, wenn man aus den Reden, die beide « Über den Kranz» gehalten haben, einen Schluß ziehen darf; denn keiner von beiden spricht klar und deutlich von diesem Prozeß als von einem bis zur richterlichen Entscheidung gediehenen *. Darüber werden andere besser ein Urteil abgeben. 16. Die Politik des Demosthenes war schon, als noch Friede war, offensichtlich daraufgerichtet, nichts, was der Makedone tat, ungetadelt zu lassen, sondern bei jedem Anlaß die Athener gegen den Mann scharf zu machen und aufzuhetzen. Daher war an Philipps Hof von ihm am meisten die Rede, und als er als einer von zehn Gesandten nach Makedonien kam, hörte Philipp alle an, erwiderte aber mit besonderem Eingehen auf seine Rede. Bei dem sonstigen Austausch von Ehrungen und Höflichkeiten aber zeigte er sich gegen Demosthenes nicht wie gegen die anderen, sondern zog Aischines und Philokrates mehr zu sich heran. Als diese daher den Philipp lobten und

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ihn den trefflichsten Redner, den schönsten Anblick und den stärksten Trinker nannten, fühlte er sich gedrungen, hämisch zu spotten: das erste sei ein Lob fiir einen Sophisten, das zweite für ein Weib, das dritte Tür einen Schwamm, aber keins für einen König. 17. Als schließlich die Entwicklung der Dinge zum Kriege drängte, da Philipp nicht Ruhe halten konnte und die Athener von Demosthenes aufgehetzt wurden, trieb dieser die Athener zuerst zu einem Einfall in Euboia, das von den Tyrannen unter die Botmäßigkeit Philipps gebracht worden war. Nach einem auf seinen Antrag gefaßten Beschluß gingen sie hinüber und vertrieben die Makcdonen 1 . Hierauf leistete er den Byzantiern und Perinthiern Hilfe, die von dem Makcdonen angegriffen waren, indem er das Volk dahin brachte, den Haß und die Erinnerung an das Böse, das ihm von beiden im Bundesgenossenkrieg zugefügt worden war, fahren zu lassen und ihnen eine Hilfstruppe zu senden, durch welche sie gerettet wurden Weiterhin führte er als Gesandter Verhandlungen mit den Griechen, reizte sie auf und brachte sie alle - bis auf wenige zu einem Bündnis gegen Philipp zusammen, so daß eine Armee von funfzehntausend Mann zu Fuß und fünftausend Reitern - ohne die Bürgeraufgebote - zusammenkam und die Geldmittel fiir die Entlohnung der Soldtruppen bereitwillig aufgebracht wurden. Bei dieser Gelegenheit, erzählt Theophrast, habe der Demagoge Krobylos auf das Verlangen der Bundesgenossen, die Beiträge festzusetzen, gesagt, der Krieg verschlinge keine festgesetzten Rationen'. Als jetzt Griechenland voll Spannung dem Kommenden entgegensah und Volk fiir Volk und Stadt fiir Stadt, die Euboier, Achaier, Korinther, Megarer, Leukadier und Kerkyraier sich zusammentaten, blieb für Demos thenes die wichtigste Arbeit noch zu tun: die Thebaner in den Bund hineinzuziehen, welche das Nachbarland Attikas bewohnten, eine starke

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Kriegsmacht besaßen und wegen ihrer Waffentüchtigkeit damals in besonders hohem Ansehen unter den Griechen standen. Es war aber nicht leicht, die Thebaner, welche erst vor kurzem durch verschiedene Gunsterweise während des Phokischen Krieges von Philipp gewonnen waren, von ihm abzuziehen, vor allem auch, weil infolge der durch die Nachbarschaft herbeigeführten Zwistigkeiten jederzeit die kriegerischen Streitigkeiten zwischen den beiden Staaten wieder aufgerührt wurden. 18. Als jetzt Philipp, ermutigt durch den Glücksfall bei Amphissa, plötzlich in Phokis einfiel und Elateia besetzte 1 und daraufhin die Athener höchst bestürzt waren und niemand die Rednerbühne zu besteigen wagte, noch wußte, was nun zu sagen wäre, sondern allgemeine Ratlosigkeit und Schweigen herrschte, da trat allein Demosthenes auf und gab den Rat, Anschluß an die Thebaner zu suchen. Auch sonst suchte er das Volk zu ermutigen und nach seiner Gewohnheit durch Ausmalen von Hoffnungen aufzurichten und wurde darauf mit einigen anderen als Gesandter nach Theben geschickt. Philipp seinerseits schickte, wie Marsyas* sagt, die Makedonen Amyntas, Kleandros und Kassandros,den Thessaler Daochos und den Dikaiarchos, um den Athenern entgegenzuwirken. Was jetzt der reine Nutzen erforderte, entging den Überlegungen der Thebaner nicht, sondern jeder hatte die Leiden des Krieges vor Augen, da die Wunden des Phokischen Krieges noch frisch waren. Aber die Redegewalt des Demosthenes - so sagt Theopomp - entfachte ihren Mut, entflammte ihre Ehrbegier und stellte alles andere in den Schatten, so daß sie, durch seine Rede fiir Recht und Ehre begeistert, Furcht, Überlegung und Dankbarkeit hintansetzten. Als so groß und glänzend erwies sich diese so vollbrachte Leistung des Redners, daß Philipp sofort Gesandte schickte und Friedensangebote machte, ganz Griechenland sich erhob und mit dem Blick auf das Kommen-

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de zusammenschloß, nicht nur die Feldherren der Athener, sondern auch die Boiotarchen 1 sich Demosthenes fügten und seinen W e i s u n g e n gehorchten

und ebenso alle

Versamm-

lungen, die der T h e b a n e r nicht weniger als die der Athener, damals v o n ihm beherrscht wurden und er bei beiden beliebt war und die L e i t u n g hatte, nicht mit Unrecht und nicht unverdient, wie T h e o p o m p es ausdrückt, sondern ganz nach G e bühr. 19. A b e r ein göttliches Verhängnis oder ein Kreislauf des Geschehens, der in diesem Augenblick die Freiheit Griechenlands ihrem Ende zuführte, stellte, so scheint es, sich allem, was man unternahm, entgegen und ließ auch viele Vorzeichen dessen, was kommen sollte, in Erscheinung treten. Die Pythia kündete furchtbare Orakel, und ein alter Wahrspruch aus den Sibyllinen machte die R u n d e : «Weit von der Schlacht am Thermodonflusse möcht' ich entfernt sein, M ö c h t ' als ein Adler aus Lüften und Wolken auf sie herabschaun. Weinen m u ß der Besiegte, doch ist der Sieger verloren.» Der Thermodon, sagen einige, sei bei uns in Chaironeia ein kleines Flüßchen, das in den Kephisos mündet. W i r wissen aber jetzt von keinem Gewässer, das diesen Namen führte, vermuten jedoch, daß der Haimon benannte Bach damals T h e r modon hieß, denn er fließt an dem Heraklesheiligtum vorbei, w o die Griechen lagerten, und wir möchten annehmen, daß der Fluß, als er nach der Schlacht von Blut und Leichen erfüllt war, diesen andern Namen erhalten habe*. D u r i s ' e r z ä h l t indes, der T h e r m o d o n sei kein Fluß, sondern einige Leute, die ein Zelt errichten wollten und dazu den Boden aufgruben, hätten eine kleine steinerne Figur gefunden, die in ihren Armen eine verwundete Amazone t r u g und durch eine Inschrift als

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Thennodon bezeichnet war. Er sagt ferner, daß noch ein anderes, auf dieses Ereignis bezügliches Orakel im Umlauf gewesen sei: «Harr auf die Schlacht am Thermodonfluß, schvarzfarbiger Vogel! Dort wird dir Menschenfleisch in Menge zur Atzung bereit sein.» 20. Wie es sich mit diesen Dingen verhält, ist schwer zu entscheiden. Demosthenes jedenfalls, so wird berichtet, vertraute fest aufdie Waffen der Griechen und fühlte sich durch die Kraft und den stolzen Mut so vieler Männer, die den Feind herausforderten, so gehoben, daß er niemanden auf die Orakel achten noch auf die Weissagungen hören ließ, sondern sogar die Pythia philippfreundlicher Gesinnung verdächtigte und die Thebaner an Epameinondas, die Athener an Perikles erinnerte, die beide all dergleichen Dinge für Beschönigungen der Feigheit angesehen hätten und nur ihrer ruhigen Überlegung gefolgt wären. Bis hierher zeigte er sich als tapferer Mann; in der Schlacht 1 aber vollbrachte er keine Tat, die ihm Ehre gemacht und zu seinen Reden gestimmt hätte, sondern er verließ seinen Posten, lief schmählich davon und warf die Waffen weg, ohne sich - wie Pytheas 1 sagte - der Aufschrift seines Schildes zu schämen, auf dem mit goldenen Buchstaben geschrieben stand: «Mit gutem Glück.» Unmittelbar nach dem Siege war Philipp so außer Rand und Band vor Freude, daß er betrunken in schwärmendem Zuge zu den Leichen der Gefallenen zog und im Takt des Verses, dazu mit den Füßen stampfend, den Anfang des von Demosthenes beantragten Volksbeschlusses rezitierte: «Demosthenes, Demosthenes' Sohn, von Paiania beantragte dies'.»

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Als er aber wieder nüchtern geworden war und die Größe der Gefahr, die ihn bedroht hatte, überdachte, grauste es ihm vor der Redegewalt und der Macht des Mannes, der ihn gezwungen hatte, in einem Bruchteil eines einzigen Tages den Entscheidungskampf um seine Herrschaft und um seine Person zu wagen. Der Ruhm des Demosthenes drang bis zum König der Perser, und dieser schickte seinen Satrapen am Meer ein Schreiben mit der Weisung, dem Demosthenes Geld zu geben und unter allen Griechen besonders auf ihn ihr Augenmerk zu richten, weil er imstande sei, den Makedonen abzulenken und durch Unruhen innerhalb Griechenlands festzuhalten 1 . Das entdeckte Alexander erst später, als er in Sardes Briefe des Demosthenes vorfand und Abrechnungen der Feldherren des Königs, welche die Höhe der ihm gegebenen Geldsummen nachwiesen. 21. Nachdem nun damals das Unglück über die Griechen hereingebrochen war, fielen die Redner von der Gegenpartei über Demosthenes her und richteten Anklagen gegen ihn, um ihn zur Verantwortung zu ziehen. Aber das Volk sprach ihn nicht nur von diesen Anklagen frei, sondern fuhr fort, ihm Ehre zu erweisen und ihn als einen Patrioten wiederum zur politischen Tätigkeit zu berufen, und als die Gebeine der Gefallenen von Chaironeia gebracht und feierlich bestattet wurden, beauftragte es ihn, die Lobrede auf die Männer zu halten 1 , womit es zeigte, daß es das Geschehene nicht niedrig und unedel ertrug, wie Theopomp mit tragischer Gebärde behauptet, sondern, indem es den Ratgeber höchster Ehre und Achtung würdigte, den Beweis lieferte, daß es nicht bereute, was es auf seinen Rat beschlossen hatte. Demosthenes hielt also die Rede, ließ aber in der Folge seine Anträge nicht mehr unter dem eigenen Namen, sondern abwechselnd unter denen seiner Freunde einbringen, um die üble Vorbedeutung, die an seinem Dämon und seinem Schicksal haften könnte, zu meiden, bis er

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nach d e m T o d e Philipps neuen M u t faßte. Dieser starb, nachdem er den großen Glücksfall von Chaironeia nur kurze Z e i t überlebt h a t t e 1 , und dies scheint das Orakel in dem letzten Verse vorausgesagt zu haben: «Weinen muß der Besiegte, doch ist der Sieger verloren.» 22. Demosthenes erhielt von dem T o d e Philipps im geheimen Nachricht. U m nun den Athenern v o r w e g Vertrauen für die Z u k u n f t einzuflößen, g i n g er mit heiterer Miene in den Rat mit der Versicherung, er habe einen T r a u m gehabt, nach d e m er ein großes G l ü c k für die A t h e n e r erwarte, und nach kurzer Z e i t erschienen die Boten, die den T o d Philipps verkündeten. Sogleich brachten sie Dankopfer für die g u t e Nachricht und beschlossen, Pausanias mit einem Kranz zu ehren. Demosthenes erschien in der Öffentlichkeit in einem Festgewand und bekränzt, obschon seine T o c h t e r erst sieben T a g e vorher gestorben war, wie Aischines sagt, der ihn deswegen schmäht und ihm Mangel an Elternliebe v o r w i r f t 1 , w o m i t er sich aber selbst als niedrig gesinnt und weichlich erweist, wenn er die zur Schau getragene T r a u e r und das Wehklagen für Z e i c h e n eines sanften und liebevollen Herzens nimmt und es mißbilligt, wenn jemand so etwas ohne Schmerzensäußerung und gelassen erträgt. Daß es g u t und recht war, beim T o d e eines Königs, der, als er im G l ü c k war, mit den Athenern in ihrem U n g l ü c k so mild und menschlich umgegangen w a r 1 , Kränze zu tragen und Dankopfer darzubringen, das möchte ich nicht sagen. Denn abgesehen davon, daß es den göttlichen Z o r n herausforderte, war es unfein, den lebenden König z u ehren und ihm das Bürgerrecht z u verleihen und dann, nachdem er durch einen andern zu T o d e gekommen war, die Freude nicht maßvoll zu tragen, sondern den Leichnam zu beschimpfen und Freudengesänge anzustimmen, als o b man selbst eine Heldentat vollbracht hätte. D a ß aber Demosthenes

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sein häusliches Leid, das Weinen und Klagen den Frauen überließ und sich so verhielt, wie er glaubte, daß es dem Staate v o n N u t z e n sei, das lobe ich und halte es für das Merkmal eines auf das G e m e i n w o h l bedachten, mannhaften Geistes, w e n n jemand immer z u m Ganzen steht und seine persönlichen A n g e legenheiten und Unglücksfälle den allgemeinen unterordnet und so seine W ü r d e w a h r t , viel besser als die Schauspieler in Königs- und Tyrannenrollen, welche wir auf der Bühne weinen und lachen sehen nicht, w i e sie selbst es möchten, sondern w i e das Spiel entsprechend der Handlung es fordert. U n d außerdem: W e n n man den Unglücklichen nicht u n g e t r ö s t e t in seinem Leide liegen lassen, sondern ihn mit freundlichen Worten aufrichten und seine Gedanken auf erfreulichere Dinge lenken soll - so w i e man die Augenkranken m a h n t , den Blick v o n den glänzenden und blendenden auf sanfte, grüne Farben z u richten - , w i e könnte man einen besseren T r o s t finden, als daß man, w e n n das Vaterland im G l ü c k ist, aus d e m allgemeinen Wohlergehen und dem persönlichen M i ß g e s c h i c k eine M i s c h u n g bereitet, welche durch das Bessere das Schlechtere z u m Verschwinden b r i n g t ? - Dies zu sagen, fühlte ich mich gedrungen, da ich sehe, daß viele sich durch dieses W o r t des Aischines weich machen und zu weibischem Mitleid rühren lassen. 23. Von Demosthenes aufgehetzt, traten jetzt die Städte wiederum zusammen, die T h e b a n e r griffen die makedonische Besatzung an und töteten viele - wobei ihnen Demosthenes zur Beschaffung der Waffen behilflich war

die A t h e n e r rü-

steten sich, um an ihrer Seite in den Krieg einzutreten, und Demosthenes beherrschte die Rednerbühne und schrieb an die Feldherren des Königs in Kleinasien, um auch von dort her den Krieg gegen Alexander zu entfachen, den er einen Knaben und einen M a r g i t e s 1 nannte. Als aber dieser, nachdem er in seinem Reich O r d n u n g geschaffen hatte, mit seinem H e e r in

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Boiotien erschien, da war der kühne M u t der A t h e n e r w i e w e g geblasen und das Feuer des Demosthenes erloschen, u n d die Thebaner wurden von ihnen verraten, kämpften für sich allein und verloren ihre Stadt 1 . In Athen war große A u f r e g u n g , und Demosthenes wurde mit anderen zum Gesandten gewählt und zu Alexander geschickt, bekam aber A n g s t v o r dem Z o r n des Königs, drehte auf d e m Kithairon * wieder u m und gab die Gesandtschaft auf. Alsbald forderte Alexander durch eine Botschaft die Auslieferung einer Anzahl von Volksfiihrern: zehn, wie Idomeneus und Duris gesagt haben, acht nach der Angabe der meisten und zuverlässigsten Historiker, nämlich folgende: Demosthenes, Polyeuktos, Ephialtes, L y k u r g o s , Moirokles, Demon, Kallisthenes und Charidemos. Bei dieser Gelegenheit erzählte Demosthenes die Fabel von den Schafen, die den Wölfen ihre Hunde auslieferten, und verglich sich und seine Freunde mit Hunden, die für das Volk k ä m p f t e n , w ä h rend er den Makedonen Alexander den Erzwolf nannte. A u c h sagte er noch: «Wie wir die K a u f l e u t e nach einer kleinen Probe, die sie in einem Schälchen herumtragen, ein großes Quantum Weizen verkaufen sehen, so liefert ihr in uns, ohne es zu merken, euch alle mit aus.» Dies hat Aristobulos von Kassandreia' erzählt. Während nun die Athener beratschlagten und in großer Verlegenheit waren, ließ sich Demades von den Männern fünf Talente geben und erklärte sich bereit, die Gesandtschaft zu übernehmen und sich für sie bei dem K ö n i g einzusetzen, sei es, daß er sich auf seine Freundschaft mit ihm verließ, oder daß er darauf rechnete, ihn schon w i e einen Löwen v o m Blute gesättigt vorzufinden. Doch w a r es Phokion, der ihn besänftigte, die Männer losbat und die Stadt mit ihm versöhnte \ 24. Nachdem Alexander abgezogen war, w a r e n diese die großen Männer und Demosthenes in den H i n t e r g r u n d gedrängt. Als der Spartaner Agis sich erhob, rührte er sich wie-

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der ein w e n i g , ließ dann aber den M u t wieder sinken, als die A t h e n e r sich nicht miterhoben, Agis fiel und die Lakedaimonier zerschmettert wurden *. Damals wurde auch die Klage w e g e n des Kranzes gegen Ktesiphon vor Gericht gebracht, die z w a r schon unter dem Archon Chairondas kurz vor der Schlacht bei Chaironeia eingereicht worden war, aber erst zehn Jahre später unter dem Archon Aristophon zur Verhandlung und Entscheidung kam und ein Aufsehen erregte wie sonst kein Staatsprozeß w e g e n des Ruhmes der Redner und des hohen Sinnes der Richter, welche sich durch die Ankläger des Demosthenes, die damals auf der Höhe ihrer M a c h t standen und die promakedonische Politik vertraten, nicht zu einer Verurteilung des Demosthenes bestimmen ließen, sondern ihn so glänzend freisprachen, daß Aischines nicht einmal den fünften T e i l der Stimmen erhielt. Dieser entfernte sich darauf sofort aus der Stadt und verbrachte den R e s t seines Lebens als Lehrer der Beredsamkeit in Rhodos und Ionien 2 j . N i c h t lange d a n a c h ' kam Harpalos aus Asien nach Athen, der vor Alexander entflohen war, weil er sich infolge seiner ausschweifenden Lebensweise schlimmer Dinge b e w u ß t war und sich vor ihm fürchtete, weil er schon sehr scharf gegen seine Freunde auftrat. A l s er seine Z u f l u c h t zu dem V o l k e genommen und sich mit allen seinen Schätzen und Schiffen in seinen Schutz begeben hatte, warfen die anderen Redner sofort ihre A u g e n auf die Schätze, unterstützten ihn und redeten den Athenern zu, den Schutzflehenden aufzunehmen und ihm Schutz zu gewähren. Demosthenes hingegen riet zuerst, den Harpalos abzuweisen und sich in acht zu nehmen, daß die Stadt nicht ohne N o t und aus ungerechtem Anlaß in einen K r i e g verwickelt werde. Als aber wenige T a g e später die Schätze besichtigt w u r d e n und Harpalos bemerkte, daß Demosthenes an einem persischen Becher Gefallen fand und seine Form und die getriebene Arbeit genauer betrachtete, forderte

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er ihn auf, ihn in die Hand zu nehmen und das G e w i c h t des Goldes z u schätzen. U n d als Demosthenes über seine Schwere staunte und fragte, wieviel er wiege, antwortete Harpalos lächelnd: « D i r wird er z w a n z i g T a l e n t e b r i n g e n ' » , und kaum war die N a c h t angebrochen, so sandte er ihm den Becher mit den zwanzig Talenten. Harpalos war eben ein Meister darin, aus dem Blick, den Mienen und dem Augenspiel den Charakter eines in das Gold verliebten Mannes zu erraten. Denn wirklich konnte Demosthenes nicht widerstehen, sondern überwältigt von dem kostbaren Geschenk war er auch schon - w i e eine B u r g , die eine Besatzung aufgenommen hat - auf die Seite des Harpalos getreten. A m nächsten M o r g e n g i n g er in die Volksversammlung, den Hals ordentlich mit wollenen T ü chern und Binden umwickelt, und als man ihn aufforderte, aufzustehen und z u reden, lehnte er ab, weil er stimmlos heiser sei. A b e r die hellen Köpfe witzelten und sagten, der Redner sei über N a c h t nicht v o m Kehlkrampf, sondern v o m Geldkrampf befallen worden. Als später das ganze V o l k von der geschehenen Bestechung Kenntnis hatte und ihn, da er sich verteidigen und sie beschwichtigen wollte, nicht reden ließ, sondern lärmte und sich entrüstete, da stand einer auf und spottete: « Aber ihr Athener! W o l l t ihr den Mann, der den Becher hat, nicht anhören? 2 » Jetzt verwiesen sie den Harpalos aus der Stadt. Da sie aber fürchteten, daß man von ihnen Rechenschaft fordern werde über die Gelder, welche die Redner sich angeeignet hatten, so stellten sie eine scharfe Nachforschung an und hielten überall Haussuchungen außer im Hause des Kallikles, Sohnes des Arrheneides; nur dieses ließen sie nicht durchsuchen, weil er kurz vorher geheiratet hatte und die j u n g e Frau drinnen w a r ; so erzählt Theophrast. 26. N u n m e h r stellte sich Demosthenes offen dem Verdacht und erwirkte einen Volksbeschluß, daß der R a t auf d e m Areo-

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pag die Angelegenheit untersuchen und daß die von ihm für schuldig Erklärten bestraft werden sollten. Da jedoch der Rat ihn als einen der ersten schuldig fand, so stellte er sich dem Gericht, wurde zu einer Buße von fiinfzig Talenten verurteilt und ins Gefängnis eingeliefert. Doch aus Scham wegen der gegen ihn erhobenen Anklage, so sagt e r ' , und weil er wegen seiner schwachen Gesundheit die Haft nicht ertragen konnte, so entwich er, indem er einige der Wächter täuschte, während andere ihm dazu Beihilfe leisteten. Es heißt wenigstens, als er sich auf seiner Flucht noch nicht weit von der Stadt entfernt hatte, habe er bemerkt, daß einige ihm feindliche Bürger ihm nachsetzten; er habe sich vor ihnen verstecken wollen; als sie ihn aber beim Namen riefen und beim Näherkommen ihn baten, ein Reisegeld von ihnen anzunehmen, das sie eben zu diesem Zweck von Hause mitbrächten und ihm deshalb nacheilten, ihm zugleich Mut einsprachen, und er solle das Geschehene nicht so tragisch nehmen, da habe Demosthenes noch mehr aufgeweint und gesagt: «Wie sollte ich nicht traurig sein, da ich eine Stadt verlassen muß, in der ich Feinde habe von solcher Art, wie man in einer andern nicht leicht Freunde finden kann.» Die Verbannung ertrug er nur schwächlich. Er saß meist in Aigina und Troizen 1 und blickte mit verweinten Augen nach Attika, und ziemlich unverständige Äußerungen, nicht im Einklang mit seiner kühnen Politik, werden von ihm berichtet. So heißt es, als er die Stadt verließ, habe er die Arme zu der Akropolisemporgestreckt und gerufen: «O Herrin Athena! Warum findest du an den drei bösesten Tieren Gefallen, der Eule, der Schlange und dem Volk?» Und den jungen Leuten, die zu ihm kamen und sich mit ihm unterhielten, redete er dringend davon ab, sich der Politik zu widmen, und sagte: hätten gleich zu Anfang zwei Wege vor ihm gelegen, der eine zur Rednerbühne und zur Volksversammlung, der andere geradezu ins

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Verderben, und hätte er die Übel vorausgewußt, welche die Politik mit sich bringe, Furcht, Haß, Verleumdurgen und ewigen Kampf, so hätte er den Weg beschritten, der geradeaus in den Tod führte. 27. Aber noch während er in der Verbannung weite, starb Alexander, und ganz Griechenland erhob sich wieder, Leosthenes war siegreich, schloß Antipatros in Lanua ein und belagerte ihn'. Der Redner Pytheas und Kailimedon mit dem Beinamen Karabos flohen aus Athen, begaben sich zu Artipatros, zogen mit dessen Freunden und Gesandten herum und suchten die Griechen davon abzuhalten, von den Makeconen abzufallen und es mit den Athenern zu halten. Deicosthenes schloß sich den von Athen ausgeschickten Gesandten an und unterstützte sie mit Eifer bei ihren Bemühungen, die Städte zu bewegen, sich an dem Angriff auf die Makedonen und an ihrer Vertreibung aus Griechenland zu beteiligen. In Arkadien kam es, wie Phylarchos' erzählt hat, in einer Volksversammlung zu einem heftigen Wortgefecht zwischen Pytheas und Demosthenes, als der eine fiir die Makedonen, der andere für die Griechen sprach. Dabei soll Pytheas gesagt haben, wie min von einem Hause, in welches Eselmilch gebracht werde, innehme, daß es mit ihm jedenfalls übel bestellt sei, so müsse notwendig eine Stadt, in die eine athenische Gesandtschaft komme, auch krank sein. Aber Demosthenes habe dem Gleichnis ehe andere Wendung gegeben und gesagt, die Eselmilch werde zur Förderung der Gesundheit gebracht, und die Athener kirnen, um die Kranken zu heilen. Erfreut über diese Haltung des Demosthenes, beschloß das Volk der Athener seine Rückberufung. Den Antrag stellte Demon von Paiania, ein Vetter des Demosthenes, und es wurde ein Dreiruderer nach Aigina entsandt, um ihn abzuholen. Als er vom Piräus heraufzog, blieb kein Beamter, kein Priester in der Stadt zurück, und auch fast alle anderen Bürger gingen

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ihm entgegen und hießen ihn freudig willkommen. Da habe er, so erzählt Demetrios von Magnesia, die Hände erhoben und sich um dieses Tages willen glücklich gepriesen, weil er ehrenvoller heimkehre als Alkibiades; denn aus eigenem Willen, nicht von ihm gezwungen, empfingen ihn die Bürger. Da jedoch die Geldstrafe noch bestehen blieb - denn es war nicht möglich, nur nach Gunst ein Urteil aufzuheben so ersann man folgenden Ausweg zur Umgehung des Gesetzes. Da es Sitte war, beim Opferfest für Zeus den Erretter denen, die den Altar errichteten und ausschmückten, eine Summe zu zahlen, so verdang man ihm damals diese Leistung mit einem Aufwand von fünfzig Talenten, so viel also, wie die festgesetzte Strafsumme betrug. 28. Aber nicht lange Zeit konnte er nach seiner Rückkehr sich des Vaterlandes freuen, sondern schnell brach die griechische Macht zusammen: im Metageitnion wurde die Schlacht bei Krannon geschlagen, im Boedromion zog die Besatzung in der Munychia ein, und im Pyanepsion starb Demosthenes auf folgende Weise 1 . Als die Nachricht kam, daß Antipatros und Krateros im Anmarsch auf Athen waren, entwichen Demosthenes und seine Anhänger eilends aus der Stadt, und das Volk verurteilte sie auf Antrag des Demades zum Tode. Da sie sich nach verschiedenen Richtungen zerstreuten, schickte Antipatros überallhin Häscher aus, deren Anfuhrer Archias war mit dem Beinamen Phygadotheras, «der Flüchtlingsjäger». Dieser stammte aus Thurioi, es hieß, er sei früher tragischer Schauspieler gewesen, und man erzählt, der Aiginet Polos, der in dieser Kunst alle übertraf, sei sein Schüler gewesen. Hermippos hingegen verzeichnet Archias unter den Schülern des Redelehrers Lakritos, während Demetrios erklärt, er habe der Schule des Anaximenes angehört1. Dieser Archias riß den Redner Hypereides, den Aristonikos von Marathon und Himeraios, den Bruder des Demetrios von Phaleron, die sich in Ai-

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gina zum Heiligtum des Aiakos geflüchtet hatten, von diesem hinweg und sandte sie nach Kleonai zu Antipatros'. Dort wurden sie hingerichtet, und dem Hypereides soll erst noch bei lebendigem Leibe die Zunge herausgeschnitten worden sein. 29. Als Archias erfuhr, daß Demosthenes als Schutzflehender auf Kalauria 1 im Heiligtum des Poseidon saß, fuhr er auf kleinen Ruderschiffen hinüber, stieg in Begleitung thrakischer Lanzenträger aus und suchte ihn zu bereden, aufzustehen und mit ihm zu Antipatros zu gehen; es werde ihm nichts Übles geschehen. Aber Demosthenes hatte eben in jener Nacht einen seltsamen Traum gehabt. Es war ihm, als trete er im Wettbewerb mit Archias als Schauspieler in einer Tragödie auf, und obwohl er seine Sache gut machte und die Zuschauer fesselte, so sei er doch unterlegen wegen Mangels an Prunk und Ausstattung. Obwohl daher Archias viele freundliche Worte machte, blickte er nur, so wie er da saß, zu ihm auf und sagte: «Ach Archias, weder hast du mich als Schauspieler jemals überzeugt, noch wirst du mich jetzt mit deinen Versprechungen überzeugen.» Als darauf Archias zornig zu drohen begann, sagte er: «Jetzt bringst du die wirklichen Sprüche von dem makedonischen Dreifuß, bisher hast du nur geschauspielert. Aber warte nur ein wenig, damit ich den Meinen zu Hause noch etwas schreibe.» Nach diesen Worten zog er sich ins Innere des Tempels zurück, nahm ein Blatt, als ob er schreiben wollte, führte das Schreibrohr an den Mund und biß darauf, wie er beim Nachdenken und Schreiben zu tun pflegte, verhielt sich ein Weilchen still und verhüllte dann sein Haupt und neigte es zur Seite. Die Lanzenträger, die an der Tür standen, fingen darauf an zu lachen, weil sie glaubten, daß er schlapp mache und nannten ihn einen Weichling und keinen Mann. Archias trat herzu, mahnte ihn aufzustehen, fing wieder dieselben Reden an herzusagen und versprach ihm Versöhnung mit Antipatros. Aber Demosthenes, der schon fühlte, daß das Gift in ihn

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eingedrungen war und zu wirken begann, enthüllte sich wieder, blickte auf Archias und sagte: «Jetzt könntest du noch die Rolle des Kreon in der Tragödie spielen und diesen meinen Leib unbeerdigt wegwerfen lassen! 1 » «Ich, lieber Poseidon, weiche noch lebend aus deinem Heiligtum. Doch von Seiten des Antipatros und der Makedonen ist auch dein Tempel nicht rein und ungeschändet geblieben.» Nach diesen Worten bat er, ihn zu stützen, da er schon zitterte und taumelte, und während er vorwärtsging und an dem Altar vorbeikam, stürzte er nieder und gab mit einem Seufzer den Geist auf. 30. Ans ton sagt, er habe das Gift aus dem Schreibrohr zu sich genommen, wie ich schon erzählt habe. Ein gewisser Pappos, dessen Darstellung Hermippos übernommen hat, sagt, als er am Altar niedergesunken war, habe man auf dem Blatt den Anfangeines Briefes gefunden «Demosthenes an Antipatros», sonst nichts. Als man sich über den schnellen Eintritt des Todes wunderte, hätten die Thraker an der Tür erzählt, er habe das Gift aus einem Läppchen in die Hand genommen, an den Mund gebracht und hinuntergeschluckt. Sie hätten geglaubt, das Hinuntergeschluckte sei Gold gewesen. Die Magd, die die Bedienung machte, habe auf Befragen des Archias ausgesagt, Demosthenes habe das Säckchen schon seit langer Zeit wie ein Amulett bei sich getragen. Eratosthenes 1 sagt, er bewahre ebenfalls das Gift in einem hohlen Ringe auf, den er als Armband trage. Die unterschiedlichen Berichte der anderen, die über ihn geschrieben haben - es sind sehr viele alle wiederzugeben, ist nicht nötig; nur daß D e m o c h a r e s d e r Verwandte des Demosthenes, sagt, er glaube, daß Demosthenes nicht durch das Gift, sondern durch die Gnade und die Vorsehung der Götter der Grausamkeit der Makedonen entrissen worden sei, indem er eines schnellen und schmerzlosen Todes starb. Er starb am sechzehnten des Monats Pyanepsion, dem Tage, den die Frauen als den düstersten des Thesmophorienfestes

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begehen und beim Tempel der Göttin fasten. Nicht lange danach erwies ihm das Volk die verdiente Ehre, errichtete ihm ein ehernes Standbild und beschloß, daß stets der älteste seiner Nachkommen die Speisung im Prytaneion genießen und auf die Basis der Statue die berühmte Inschrift gesetzt werden sollte: «Hättest du gleich deinem Willen, Demosthenes, Kräfte besessen, Kein makedonischer Speer hätte die Griechen beherrscht.» Denn diejenigen, welche behaupten, Demosthenes selbst habe in Kalauria, als er im Begriff war, das Gift zu sich zu nehmen, diese Verse gedichtet, reden vollendeten Unsinn. 31. Kurze Zeit, bevor ich nach Athen kam, soll sich folgendes begeben haben. Ein Soldat, der von seinem Offizier aus irgendeinem Grunde vor Gericht geladen war, legte die Barschaft, die er besaß, in die Hände des Standbildes. Es steht da, die Finger ineinandergefaltet, und daneben ist eine nicht sehr große Platane aufgewachsen. Von dieser fielen eine Menge Blätter, sei es, daß ein Windstoß sie zufällig herunterwehte, oder daß der Soldat selbst sie daraufgelegt hatte, auf das Geld, verdeckten es und bewirkten, daß es ziemlich lange Zeit verborgen blieb. Als der Mann, zurückgekommen, es wiederfand und die Kunde davon sich verbreitete, nahmen viele witzige Köpfe dies zum Anlaß, um mit Epigrammen über die Unbestechlichkeit des Demosthenes miteinander zu wetteifern. Demades genoß seinen hassenswerten Ruhm nicht lange Zeit. Der Rachegeist des Demosthenes führte ihn nach Makedonien, um durch diejenigen, denen er schimpflich geschmeichelt hatte, mit Fug und Recht umzukommen, da er ihnen schon vorher verhaßt gewesen war, jetzt aber sich in eine Schuld verstrickt hatte, der er nicht entrinnen konnte. Es waren nämlich Briefe von ihm ans Licht gekommen, in denen er Perdikkas

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aufforderte, die Hand nach Makedonien auszustrecken und die Griechen zu befreien, die nur noch von einem alten, morschen Faden festgehalten würden - womit er den Antipatros meinte. Als daraufhin der Korinther Deinarchos ihn verklagte, geriet Kassandros in heftigen Zorn, erstach Demades' Sohn in seinen Armen und befahl danach, ihn selbst hinzurichtenso daß er durch das schwerste Unglück darüber belehrt wurde, daß die Verräter zuerst sich selber verkaufen, was ihm Demosthenes oft vorausgesagt hatte, er aber nicht glauben wollte. Da hast du also, Sosius, das Leben des Demosthenes, entnommen den Berichten, die ich über ihn gelesen oder gehört habe.

CICERO i. Ciceros Mutter Helvia war, wie berichtet wird, aus gutem Hause und führte ein tadelfreies Leben. Über den Vater hingegen war nichts in einer vernünftigen Mitte Liegendes zu erfahren. Die einen sagen, er sei im Hause eines Walkers geboren und aufgewachsen, die anderen führen sein Geschlecht auf Tullus Attius zurück, der rühmlich über die Volsker geherrscht und kraftvoll gegen die Römer Krieg geführt h a t 1 . Jedenfalls scheint der erste aus der Familie, der den Beinamen Cicero bekam, ein angesehener Mann gewesen zu sein. Daher gaben seine Nachkommen den Beinamen nicht auf, sondern behielten ihn gem bei, obwohl er von vielen verspottet wurde. Denn cicer nennen die Lateiner die Kichererbse, und jener hatte, wie es scheint, an der Nasenspitze eine flache Einkerbung wie die Einziehung einer Erbse, wovon er eben den Beinamen bekam. Cicero selbst, von dem diese Schrift handelt, soll, als er sich zuerst um ein Amt bewarb und die politische Laufbahn ergreifen wollte und als da seine Freunde meinten, er müsse den Namen meiden und umändern, mit jugendlichem Stolz gesagt haben, er werde darum kämpfen, den Namen Cicero berühmter zu machen als die Namen Scaurus oder C a t u l u s A l s er dann Quaestor in Sizilien war und für die Götter eine silberne Weihgabe herstellen ließ, da ließ er nur die ersten beiden Namen daraufschreiben, Marcus und T u l l i u s ; anstatt des dritten hieß er den Künstler, zum Scherz neben den Buchstaben eine Kichererbse einzugravieren. Dies ist es, was über den Namen berichtet ist. 2. Die Geburt Ciceros ging, wie es heißt, leicht und schmerzlos vonstatten, und zwar kam seine Mutter am 3.Ja-

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nuar nieder, dem Tage, an welchem jetzt die Beamten Gebete und Opfer für den Kaiser d a r b r i n g e n S e i n e Amme soll eine Erscheinung gehabt haben, die ihr voraussagte, sie ziehe ein großes Heil für alle Römer auf. Während sonst derartiges für eide Träumerei und Geschwätz gilt, bewies er selbst, als er in die Jahre des Lernens kam, daß es eine wahre Prophezeiung war, indem er sich durch eine glänzende Begabung hervortat und unter den Knaben einen solchen Namen und Ruhm erwarb, daß deren Väter in die Schule kamen, um Cicero zu sehen und sich von seiner vielgepriesenen Schnelligkeit der Auffassung und Einsicht auf den verschiedenen Wissensgebieten zu Uberzeugen, und daß die Ungebildeteren unter ihnen auf ihre Söhne böse waren, wenn sie sahen, daß sie auf den Straßen den Cicero, um ihn zu ehren, in ihre Mitte nahmen. Zwar war er wie Piaton es von einer lernbegierigen und philosophischen Natur verlangt 2 - so veranlagt, daß er jeden Wissensstoff gern aufnahm und kein Gebiet der Wissenschaft und Bildung geringschätzte; mit besonderem Eifer aber widmete er sich der Dichtkunst, und es ist ein kleines Gedicht von ihm erhalten, das er noch als Knabe verfaßt hat: Pontius Glaucus, in vierflißigen Trochäen gedichtet. In fortschreitendem Alter befaßte er sich noch vielseitiger mit dieser Kunst, so daß er nicht nur als der beste Redner, sondern auch als der beste Dichter unter den Römern galt. Der Ruhm seiner Beredsamkeit lebt noch bis heute fort, obwohl ein nicht geringer Wandel und Fortschritt auf diesem Gebiete stattgefunden hat; seine dichterischen Leistungen aber sind, weil viele hochbegabte Dichter nach ihm gekommen sind, ruhmlos der Vergessenheit anheimgefallen 4. Nachdem er die Knaben- und Schulzeit hinter sich gelassen hatte, hörte er den Akademiker Philon, den die Römer von allen Schülern des Kleitomachos wegen seiner Vortragskunst besonders hochschätzten und wegen seines Charakters lieb-

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t c n Z u g l e i c h verkehrte er in dem Kreise der Politiker und hervorragenden Scnatsmitgliedcr, der sich um Mucius scharte, mit großem Gewinn für seine Gesetzeskenntnis \ Eine Zeitlang war er auch Soldat unter Sulla während des Marsischcn K r i e g e s A l s er dann sah, wie die Verhältnisse zum Bürgerkrieg und aus dem Bürgerkrieg in eine unumschränkte Alleinherrschaft hineintrieben, zog er sich in ein betrachtendes, allein der Wissenschaft zugewandtes Leben zurück, verkehrte mit griechischen Gelehrten und widmete sich den Studien, bis Sulla die Oberhand gewann und der Staat sichtlich wieder eine feste Ordnung annahm. Zu dieser Zeit ließ Chrysogonos, ein Freigelassener Sullas, das Vermögen eines Mannes unter dem Vorgeben, er sei auf Grund der Ächtung getötet worden, zur Versteigerung bringen und erstand es selbst für zweitausend Drachmen. Als darauf Rosaus, der Sohn und Erbe des Verstorbenen, sich empörte und nachwies, daß das Vermögen einen Wert von zweihundertfünfeig Talenten 4 darstellte, der dadurch bloßgestellte Sulla das übelnahm und dem Roscius auf Betreiben des Chrysogonos eine Klage wegen Vatermordes anhängte, niemand dem Roscius zu Hilfe kam, sondern alle sich aus Furcht vor Sullas Zorn zurückzogen, da wandte sich der junge Mann in seiner Verlassenheit um Beistand an Cicero, dem seine Freunde nun eifrig zuredeten: es werde sich ihm nicht wieder eine zweite, glänzendere und rühmlichere Gelegenheit, bekannt zu werden, bieten als diese. So übernahm er die Verteidigung, hatte Erfolg und erntete Bewunderung'. Aber aus Furcht vor Sulla trat er darauf eine Reise nach Griechenland an und sprengte das Gerücht aus, daß sein Körper der Pflege bedürfe. Denn er war wirklich schmächtig und hager und pflegte wegen einer Magenschwäche erst zu später Stunde wenige und leichte Nahrung zu sich zu nehmen. Seine Stimme war stark und gut, aber hart und ohne Modulation, und da sie bei sei-

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nem feurigen, leidenschaftlichen Vortrag stets sich in den hohen Lagen bewegte, so erregte sie Besorgnis für seine Gesundheit. 4. In Athen angekommen, hörte er den Antiochos von Askalon, von dessen schön und anmutig fließendem Vortrag er zwar sehr angetan war, die neuen Wege aber, die er in der Philosophie einschlug, nicht mitmachte. Denn Antiochos war schon dabei, sich von der sogenannten neuen Akademie zu entfernen und die Schule des Karneades zu verlassen, sei es, daB er durch die unmittelbare Anschauung und die Sinneswahmehmungen überzeugt wurde, oder daß er - wie einige sagen - durch einen gewissen Ehrgeiz und infolge von Streitigkeiten mit den Anhängern des Kleitomachos und Philon einen Stellungswechsel vornahm und sich in den meisten Punkten der stoischen Lehre anschloß 1 . Cicero hingegen neigte zur neuen Akademie und hielt sich zu ihr, war auch willens, falls er in der politischen Laufbahn gar nicht vorwärts käme, sein Leben vom Markt und von der Politik hinweg hierher zu verlegen und es in Ruhe bei philosophischen Studien zu verbringen. Als ihm aber die Nachricht zukam, daß Sulla gestorben sei, als sein Körper, durch Übungen gekräftigt, zu guter Gesundheit gelangte, die Stimme Modulation gewonnen hatte, wohllautend und kräftig zu hören und auch in das rechte Verhältnis zu seiner Körperkonstitution gekommen war, die Freunde von Rom ihm häufig schrieben und mahnten und auch Antiochos ihn ermunterte, sich der öffentlichen T ä t i g keit zuzuwenden, da begann er wiederum, die Redekunst als sein eigentliches Werkzeug zu pflegen und sein politisches Können zu entwickeln, indem er sich selber fleißig übte und die gefeiertsten Redelehrer aufsuchte. Er fuhr nach Kleinasien und Rhodos und studierte bei den asianischen Redelehrern Xenokles von Adramyttion, Dionysios von Magnesia sowie dem Karer Menippos, und in Rhodos bei dem Rhetor Apollo-

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nios, dem Sohne des Molon, und dem Philosophen Poseidonios'. Apollonios soll nicht lateinisch verstanden und daher

Cicero gebeten haben, seine Ubungsreden griechisch zu halten. Dieser sei der Aufforderung bereitwillig nachgekommen, in dem Glauben, daß so die Verbesserung seiner Fehler gründlicher vor sich gehen werde. Als er nun seine Ubungsrede gehalten hatte, da wären die anderen Hörer ganz betroffen gewesen und hätten einander im Loben überboten, Apollonios aber habe, während er ihn hörte, keine Miene verzogen, und als er geendet hatte, habe er noch lange Zeit in sich gekehrt dagesessen, und erst, als Cicero seinen Unmut merken ließ, habe er gesagt: «Dich, Cicero, lobe und bewundere ich; aber ich beklage das Schicksal Griechenlands, da ich sehe, daß die einzigen Vorzüge, die uns noch geblieben waren, nun auch noch durch dich den Römern zugewendet werden: Bildung und Redekunst.» j. Als Cicero so, von Hoffnungen geschwellt, sich der Politik in die Arme werfen wollte, wurde sein Eifer durch ein Orakel abgekühlt. Denn als er den Gott in Delphi fragte, wie er zum höchsten Ruhm aufsteigen könne, gab ihm die Pythia den Rat, er solle seine natürliche Anlage, nicht die Meinung der Menge, zum Leitstern seines Lebens machen. Daher lebte er in der ersten Zeit in Rom zurückgezogen, ging nur zögernd daran, sich um Amter zu bewerben, und wurde gering geachtet: man gab ihm die bei den schlimmsten Banausen in Rom üblichen, immer im Munde gefühi ten Spottnamen « Griechennarr» und «Schulfuchs». Als er daher, von Natur ehrgeizig und von seinem Vater und den Freunden angespornt, sich der Laufbahn eines Sachverwalters widmete, stieg er nicht allmählich zum ersten Range auf, sondern errang sofort den glänzendsten Ruf und überragte bei weitem alle anderen, die auf dem Forum plädierten. Weil er nun aber - so heißt es - nicht weniger als Demosthenes im Vortrag noch unvollkommen

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war, so ging er fleißig bei dem komischen Schauspieler Rosa u s ' und dem tragischen Schauspieler Aisopos in die Schule. Von diesem Aisopos erzählt man, er habe, als er einmal im Theater den Atreus spielte, wie er auf Rache an Thyestes sinnt, und ein Diener plötzlich an ihm vorbeilief, außer sich in der Hitze der Leidenschaft mit seinem Szepter nach ihm geschlagen und ihn getötet. Durch die so erworbene Kunst des Vortrages wurde die Überzeugungskraft Ciceros nicht wenig gesteigert. So sagteer von Rednern, die sich aufs laute Schreien verlegten, spottend, sie sprängen aus Unfähigkeit ins Schreien wie Lahme auf ein Pferd. Seine Fertigkeit im Spotten und Witzemachen schien zwar in Prozessen wohl angebracht und geistvoll ; weil er aber von ihr einen übermäßigen Gebrauch machte, so stieß er viele vor den Kopf und zog sich den Ruf der Boshaftigkeit zu. 6. Als er dann zur Zeit einer Getreideknappheit in Rom zum Quaestor ernannt und durchs Los nach Sizilien entsandt wurd e m a c h t e er sich im Anfang bei den Leuten dort mißliebig, weil er sie zwang, Getreide nach Rom zu senden. Als sie sich aber später von seinem Eifer, seiner Gerechtigkeit und Güte überzeugten, ehrten sie ihn wie keinen andern Beamten zu irgendeiner Zeit. Vielen jungen Leuten aus Rom von Ansehen und guter Herkunft, die wegen Disziplinwidrigkeit und Feigheit im Kriege in Anklagezustand versetzt und zur Aburteilung zum Praetor Siziliens geschickt worden waren, stand Cicero als Verteidiger energisch zur Seite und erwirkte ihre Freisprechung. Als er dann voll Stolz auf diese Leistungen nach Rom zurückreiste, hatte er, wie er erzählt, ein spaßhaftes Erlebnis Er habe in Campanien einen vornehmen Mann, den er für seinen Freund hielt, getroffen und ihn gefragt, wie die Römer über seine Leistungen redeten und über ihn dächten; denn er glaubte, er habe die ganze Stadt mit seinem Namen und dem Ruhm seiner Taten erfüllt; aber der habe gesagt: «Wo

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bist du denn während dieser Zeit gewesen, Cicero?» Darauf sei ihm damals aller Mut entsunken, da also der Bericht über ihn in die Stadt wie in ein unendliches Meer gefallen sei und nichts Merkliches zu seinem Ruhme beigetragen habe. Später habe er sich darüber Rechenschaft abgelegt und viel von seinem Ehrgeiz zurückgesteckt, da ja der Ruhm, um den er ringe, ein Ding ohne Grenzen sei und keinen Endpunkt habe, den man erreichen könne. Indes die übermäßige Freude daran, gelobt zu werden, und der leidenschaftliche Drang nach Ruhm blieb ihm bis zum Ende treu und vereitelte oftmals viele vernünftigen Überlegungen. 7. Als er sich hierauf mit noch größerem Eifer auf die Politik warf, hielt er es für schimpflich, daß zwar die Handwerker, die sich lebloser Werkzeuge und Geräte bedienen, von jedem derselben den Namen wissen und den Platz, wo es zu verwenden ist, und seine Wirkung kennen, der Staatsmann aber, der mit Hilfe von Menschen seine Tätigkeit fiir die Allgemeinheit ausübt, sich leichtfertigerweise nicht darum bemüht, seine Mitbürger zu kennen. Daher gewöhnte er sich, nicht nur ihre Namen im Gedächtnis zu haben, sondern auch den Ort, wo jeder von den angesehenen Bürgern wohnte, das Gut, das er besaß, die Freunde, mit denen er verkehrte, und seine Nachbarn zu kennen. Wenn Cicero durch Italien reiste, war es ihm geläufig, aufjeder Straße die Güter und Landsitze seiner Freunde zu nennen und zu zeigen. Da er nur ein kleines, aber hinlängliches und für seine Ausgaben ausreichendes Vermögen besaß, so staunte man über ihn, daß er weder Honorare noch Geschenke für seine Anwaltstätigkeit annahm, insbesondere als er den Prozeß gegen Verres übernommen hatte". Diesen Mann, der Praetor von Sizilien gewesen war und sich vieler Schandtaten schuldig gemacht hatte und daher von den Siziliem verklagt wurde, brachte er nicht durch eine Rede, sondern gewissermaßen gerade da-

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durch, daß er keine Rede hielt, zur Verurteilung. Denn da die Praetoren den Verrcs begünstigten und den Prozeß durch Vertagungen und vielerlei Winkelzüge bis auf den letzten Termin hinauszögerten und es so vorauszusehen war, daß die Zeit des einen Tages nicht für die Reden ausreichen und der Prozeß nicht zu Ende kommen würde, so trat Cicero auf und erklärte, es bedürfe keiner Reden. Er ließ vielmehr die Zeugen auftreten, verhörte sie und forderte dann die Richter auf abzustimmen. Es werden jedoch viele witzige Bemerkungen von ihm auch bei diesem Prozeß berichtet.«Verres » nennen die Römer nämlich einen kastrierten Eber. Als nun ein Freigelassener namens Caecilius, der dem Judentum zuneigte, die Sizilier beiseitedrängen und seinerseits Anklage gegen Verres erheben wollte sagte Cicero: «Was hat denn der Jude mit dem Schwein zu schaffen ?» Verres hatte einen halberwachsenen Sohn, von dem es hieß, daß er von seiner Jugendblüte keinen feinen Gebrauch mache. Als nun Verres den Cicero wegen seiner Weichlichkeit schmähte, sagte dieser: « Solche Vorwürfe solltest du lieber bei dir zu Hause deinen Söhnen machen.» Der Redner Hortensius hatte es abgelehnt, offen als Verteidiger für Verres aufzutreten, sich aber bereit gefunden, bei der Abschätzung der Strafsumme zugegen zu sein, und dafür als Lohn eine elfenbeinerne Sphinx bekommen. Daraufhin machte Cicero eine zweideutige Bemerkung zu ihm, und als er sagte, er habe keine Übung im Lösen von Rätseln, sagte Cicero: «Aber du hast doch die Sphinx im Hause! 1 » 8. Nachdem Verres so verurteilt worden war, setzte Cicero die zu leistende Strafsumme auf siebenhundertfiinfzigtausend Drachmen 1 an und wurde daraufhin verdächtigt, er habe sich bestechen lassen und deshalb die Strafsumme so herabgedrückt. Aber die Sizilier erwiesen sich ihm dankbar, und als er Aedil war 4 , brachten sie ihm vielerlei Gaben von der Insel, woran er sich aber nicht bereicherte, sondern er benützte den

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rühmlichen Eifer der Leute nur dazu, die Lebensmittelpreise zu verbilligen. Er besaß ein schönes G u t in A r p i n u m d a z u ein Grundstück bei Neapolis und ein weiteres bei Pompeji, beide nicht groß. Dazu kam die Mitgift seiner Frau Terentia in Höhe von hundertzwanzigtausend Denaren und eine Erbschaft, die sich auf neunzigtausend Denare belief 1 . Von diesem Vermögen lebte er anständig und dabei bescheiden mit den griechischen und römischen Gelehrten, die zu seinem Haushalt gehörten, und es kam nur selten vor, daß er sich vor Sonnenuntergang zu T i sche legte, nicht so sehr aus Zeitmangel als wegen seines durch ein Magenleiden geschwächten Allgemeinbefindens. Auch in seiner sonstigen Körperpflege war er so genau und pedantisch, daß er sich nach einer zahlenmäßig festgelegten Ordnung massieren ließ und Spaziergänge machte. A u f diese Weise pflegte er seinen Körper und erhielt ihn damit frei von Krankheiten und stark genug für viele schwere Kämpfe und Mühen. Sein Vaterhaus trat er seinem Bruder ab und wohnte selbst auf dem Palatium \ damit diejenigen, die ihm aufwarten wollten, nicht die Beschwerlichkeit eines langen Weges hätten. Es kamen aber täglich nicht weniger Leute an seine T ü r , um ihm ihre Aufwartung zu machen, als zu Crassus wegen seines Reichtums und zu Pompejus wegen seiner militärischen Machtstellung, den beiden Männern, die in Rom das höchste Ansehen genossen und den größten Einfluß besaßen. Pompejus erwies auch seinerseits dem Cicero viel Aufmerksamkeit, und dessen Politik trug viel zur Erhöhung der Macht und des Ansehens des Pompejus bei. 9. Obwohl hierauf viele vornehme Männer sich zugleich mit Cicero um die Praetur bewarben, wurde er doch als erster von allen gewählt 4 und erwarb sich bald den R u f , daß er die Prozesse sauber und einwandfrei leitete. Es wird erzählt, daß Licinius Macer, ein Mann, der persönlich in der Stadt großen Ein-

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fluß und Crassus als Beistand hatte, als er unter dem Vorsitz Ciceros wegen Unterschlagung vor Gericht stand, im Vertrauen auf seine Macht und die Bemühung des Crassus, noch während die Abstimmung der Richter im Gange war, nach Hause gegangen sei, sich eilends habe den Kopf scheren lassen, ein weißes Gewand angelegt habe und in dem Glauben, er habe den Prozeß schon gewonnen, sich wieder auf den Weg zum Forum gemacht habe. Als ihm aber Crassus an der Hoftür begegnete und ihm sagte, daß er mit allen Stimmen verurteilt worden sei, sei er umgekehrt, habe sich ins Bett gelegt und sei g e s t o r b e n D e r Vorfall brachte Cicero den Ruf ein, daß er den Vorsitz des Gerichts gewissenhaft führe. Als Vatinius, der als Sachverwalter sich grob und nichtachtend gegen die Behörden zu benehmen pflegte und übrigens den Hals voll Kropfgeschwülste hatte, einmal zu Cicero trat und ihn um etwas bat, und als der nicht sogleich zusagte, sondern sich die Sache lange überlegte, nun seinerseits sagte, wenn er Praetor wäre, würde er sich nicht lange darüber bedenken, da wandte Cicero sich ihm wieder zu und sagte: «Ich habe ja auch keinen so dicken Hals 2 .» Als nur noch zwei oder drei Tage seiner Amtszeit übrig waren, reichte jemand bei ihm gegen Manilius 3 eine Klage wegen Unterschlagung ein. Dieser Manilius erfreute sich großer Beliebtheit beim Volke, und man glaubte, daß er wegen Pompejus belangt werden solle, dessen Freund er war. Als er nun um einige Tage Frist bat, bewilligte ihm Cicero nur einen, den folgenden. Darüber war das Volk sehr aufgebracht, weil die Praetoren sonst den Beklagten wenigstens zehn Tage zu bewilligen pflegten. Als ihn daher die Volkstribunen auf die Rednerbühne zitierten und ihm heftige Vorwürfe machten, bat eT um Gehör und sagte, er habe sich den Gefährdeten gegenüber stets, soweit die Gesetze es zuließen, entgegenkommend und wohlwollend gezeigt und hätte es für unerhört gehalten,

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Manilius nicht dasselbe zu gewähren. Daher habe er den einzigen Tag, an dem er noch als Praetor amtiere, absichtlich für ihn als Termin angesetzt; denn die Verhandlung bis in die Amtszeit eines andern Praetors hinauszuschieben, wäre nicht das Verfahren eines Mannes, der helfen wolle. Diese Erklärung rief einen erstaunlichen Stimmungsumschwung bei dem Volke hervor, sie spendeten lauten Beifall und baten Cicero, die Verteidigung des Manilius zu übernehmen. Er verstand sich gern dazu, nicht zum wenigsten dem abwesenden Pompejus zuliebe, trat erneut auf und hielt eine Rede an das Volk, in der er die aristokratischen Neider des Pompejus heftig angriff. 10. Zum Konsulat wurde er nicht weniger von den Aristokraten als von der Menge emporgetragen, die beide um des Staates willen aus folgender Ursache sich für ihn einsetzten. Nachdem die von Sulla vorgenommene Umgestaltung der Verfassung der Menge im Anfang unerträglich erschienen, dann aber durch Zeit und Gewohnheit zu einer leidlichen Festigung gediehen war, gab es nun Leute, die den bestehenden Zustand aus persönlicher Gewinnsucht, nicht im Sinne des Gemeinwohles, zu erschüttern und umzugestalten strebten, während Pompejus noch mit den Königen in Pontos und Armenien im Kampfe lag und in Rom keine nennenswerte Streitmacht gegen die Umstürzler zur Verfügung stand. Diese Leute hatten zum Führer einen verwegenen Mann, der hochfliegende Pläne und einen verschlagenen Charakter hatte: Lucius Catilina, dem man früher außer anderen schweren Verbrechen die Schändung seiner jungfräulichen Tochter und die Ermordung seines Bruders zur Last gelegt hatte. Aus Furcht, deshalb angeklagt zu werden, hatte er Sulla bewogen, den Bruder, als ob er noch lebte, auf die Ächtungsliste der zum Tode Bestimmten zu setzen. Diesen Mann hatten die Bösewichter sich also zum Führer genommen und außer anderen Treupfändem, die sie sich gaben, einen Menschen getötet und von seinem Fleisch

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gegessen. Ein großer Teil der städtischen Jugend war von ihm dadurch verfuhrt worden, daß er ihnen jederzeit Gelegenheit zu allerlei Vergnügungen, Trinkgelagen und Liebesaffaren mit Weibern verschaffte und das Geld dafür verschwenderisch zur Verfügung stellte. Ganz Etrurien und der größte Teil des diesseits der Alpen gelegenen Galliens war von ihm zum Aufruhr aufgewiegelt worden. Die größte Gefähr eines Umsturzes aber drohte in Rom wegen der unnatürlichen Verteilung der Vermögen, da die angesehensten und stolzesten Männer durch ihre Aufwendungen für Theateraufluhrungen, Gastereien, für Amtsbewerbungen und großartige Bauten an den Bettelstab gekommen und die großen Reichtümer in den Händen gewöhnlicher und niedriger Menschen zusammengeflossen waren, so daß es nur eines geringen Anstoßes bedurfte und alles in der Gewalt eines Mannes war, der es wagte, den in sich selbst erkrankten Staat aus den Angeln zu heben. 11. Da jedoch Catilina von vornherein einen sicheren Rückhalt gewinnen wollte, so bewarb er sich um das Konsulat und hatte gute Aussicht, zusammen mit Gajus Antonius Konsul zu werden, einem Mann, der für sich weder zum Guten noch zum Bösen zum Führer geschaffen war, aber für einen andern, der ihn führte, einen Zuwachs an Macht bedeutete. Da das die meisten der Aristokratenpartei voraussahen, so förderten sie Ciceros Bewerbung um das Konsulat, und da das Volk diese Politik bereitwillig mitmachte, so fiel Catilina durch, und Cicero und Gajus Antonius wurden gewählt 1 . Dabei war Cicero der einzige von allen Bewerbern, der von einem dem Ritterstande angehörigen Vater, nicht von einem Senator abstammte. 12. Indes die Auseinandersetzung mit Catilina stand erst noch in Aussicht, ohne daß das größere Publikum davon etwas merkte. Aber große Vorfeldkämpfe harrten des Konsulates Ciceros. Einerseits waren es die Männer, die durch die Gesetze

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Sullas gehindert waren, zu Ämtern zu gelangen, nicht wenige und nicht ohne Macht, welche nun durch Umschmeichelung des Volkes Ämter zu gewinnen suchten und viele wohlbegründete und berechtigte Klagen gegen die Gewaltherrschaft Sullas vorzubringen hatten, aber sehr zur Unzeit und nicht zum Wohle der Allgemeinheit Unruhe in den Staat trugen; andererseits brachten die Volkstribunen zum selben Zweck Gesetzesanträge ein, durch die sie eine Kommission von zehn Männern mit unbeschränkten Vollmachten einsetzen wollten, denen aufgetragen war, die Staatsländereien in ganz Italien und ganz Syrien und die von Pompejus kürzlich hinzugewonnenen Gebiete als Bevollmächtigte zu verkaufen, alle, die es ihnen gefiele, vor Gericht zu ziehen und in die Verbannung zu schikken, Städte zu gründen, Gelder aus dem Staatsschatz zu entnehmen und Soldaten zu halten und auszuheben, so viele sie brauchten. Daher unterstützten den Antrag viele andere angesehene Männer und als erster Ciceros Amtskollege Antonius in der Erwartung, Mitglied der Zehnerkommission zu werden. Auch wai die Meinung verbreitet, daß er um die Umsturzpläne Catilinas wisse und nicht dagegen sei wegen seiner hohen Verschuldung; das machte den Gutgesinnten besondere Sorge. Um dieser Sorge zuerst abzuhelfen, ließ Cicero dem Antonius die Provinz Makedonien zuerkennen, verzichtete auch auf Gallien, das ihm gegeben werden sollte, und verpflichtete durch diese Gefälligkeit den Antonius so sehr, daß er zum Besten des Vaterlandes bereit war, wie ein gedungener Schauspieler die zweite Rolle nach ihm zu spielen. Nachdem dieser so gewonnen und gefügig gemacht war, trat Cicero den Neuerern mit noch größerer Zuversicht entgegen. Im Senat hielt er eine scharfe Rede gegen das Gesetz und schüchterte die Antragsteller selber so ein, daß sie keinen Widerspruch erhoben. Als sie einen zweiten Versuch machten und nach gehöriger Vorbereitung die Konsuln vor das Volk forderten, ließ

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Cicero sich nicht schrecken, sondern forderte den Senat auf, ihm zu folgen, trat vor und brachte nicht nur diesen Antrag zu Fall, sondern erreichte es, daß die Volkstribunen auch von ihren übrigen Plänen Abstand nahmen; so sehr mußten sie sich durch seine Beredsamkeit geschlagen geben'. 13. Denn wie kein anderer stellte dieser Mann den Römern vor Augen, wie sehr eine gute Sache durch Beredsamkeit empfohlen wird, und daß das Recht unüberwindlich ist, wenn es auf die rechte Weise vorgetragen wird, und daß der gewissenhafte Politiker in seinem Handeln stets das Rechte und Gute dem, was schmeichelt, vorziehen, durch seine Worte aber dem Nützlichen das Verletzende nehmen muß. Ein Beweis für die gewinnende Kraft seiner Rede ist auch das, was sich während seines Konsulats bei den Schauspielen ereignete. Während die Ritter früher im Theater unter die Menge gemischt waren und mit dem Volke den Spielen zuschauten, wie es sich eben traf, sonderte als erster Marcus Otho als Praetor die Ritter, um sie zu ehren, von den anderen Bürgern ab und wies ihnen besondere Plätze zu, die sie auch jetzt noch als ein Vorrecht innehaben. Das nahm das Volk als Nichtachtung, und als Otho im Theater erschien, empfing es ihn mit höhnischem Pfeifen, während ihn die Ritter mit lautem Klatschen begrüßten. Hierauf verstärkte das Volk sein Pfeifen und wiederum die anderen ihr Beifallsklatschen. Daraufwandten sie sich gegeneinander und begannen sich zu beschimpfen, und das ganze Theater war in Aufruhr. Als aber Cicero dies erfuhr und herbeikam, das Volk zum Tempel der Bellona 1 rief, zurechtwies und ermahnte, kehrten sie wieder ins Theater zurück, spendeten Otho lauten Beifall und wetteiferten mit den Rittern, ihm ihre Hochachtung zu bezeigen 14. Die Verschwörergruppe um Catilina, die sich anfangs ängstlich zurückgehalten hatte, wurde nun wieder dreister. Sie kamen zusammen und ermunterten einander, die Dinge

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mit mehr Kühnheit in die Hand zu nehmen, bevor Pompejus zurückkehre, von dem es hieß, daß er schon mit seiner Streitmacht auf dem Rückmarsch begriffen sei. Am meisten hetzten den Catilina die alten Soldaten Sullas auf, die über ganz Italien verteilt waren, deren größter und kampfkräftigster Teil aber verstreut in den Städten Etruriens saß und von neuen Raubzügen und Ausplünderungen der reichen Leute träumte. Sie hatten zum FUhrer den Manlius, einen Mann, der sich in den Feldzügen Sullas ausgezeichnet hatte, scharten sich um Catilina und erschienen in Rom, um ihm Wahlhilfe zu leisten. Denn er bewarb sich erneut um das Konsulat und war entschlossen, während der Unruhen des Wahlkampfes Cicero umbringen zu lassen. Es schien, als ob auch die Gottheit durch Erdbeben, Blitze und Erscheinungen das, was im Werke war, ankündigen wolle. Die von Menschen einlaufenden Anzeigen entsprachen zwar der Wahrheit, waren aber noch nicht ausreichend zur Uberführung eines so angesehenen und mächtigen Mannes wie Catilina. Daher vertagte Cicero den Termin der Wahlen, forderte Catilina vor den Senat und stellte ihn wegen der umlaufenden Gerüchte zur Rede. Der gab in dem Glauben, daß die Zahl der Senatoren, die einen Umschwung wünschten, nicht gering sei, und um sich zugleich vor seinen Mitverschworenen zu zeigen, die tolle Antwort: «Was tue ich denn Schlimmes, wenn ich, wo zwei Körper da sind, ein magerer und abgezehrter, der einen Kopf hat, und ein kopfloser, der aber groß und stark ist, diesem selber einen Kopf aufsetze? 1 » Da er so auf Senat und Volk anspielte, kam Cicero noch mehr in Angst und ließ sich gepanzert von allen Vornehmen und einer großen Zahl junger Leute von seinem Hause auf das Wahlfeld geleiten. Dabei lockerte er absichtlich die Tunika ein wenig an den Schultern und ließ den Panzer sehen, um denen, die es sahen, einen Hinweis auf die Gefahr zu geben. Das erregte großen Unwillen, die Leute scharten sich um ihn und

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ließen schließlich bei der Abstimmung Catilina wieder durchfallen, indem sie Silanus und Murena zu Konsuln wählten'. 15. Als nun nicht viel später die Anhänger Catilinas in Etrurien sich sammelten und formierten und der für den Angriff festgesetzte T a g nahe war, da kamen um Mitternacht die ersten und angesehensten Männer Roms, Marcus Crassus, Marcus Marcellus und Scipio Metellus, zu Ciceros Hause. Sie pochten an das Tor, riefen den Türhüter und befählen ihm, Cicero zu wecken und ihre Anwesenheit zu melden. Es lag folgendes vor. Nach dem Abendessen hatte dem Crassus sein Türhüter eine Anzahl Briefe übergeben, die von einem unbekannten Manne überbracht worden waren, an verschiedene Personen adressiert und ein anonymer Brief an Crassus darunter. Diesen allein hatte Crassus gelesen, und da er die Meldung enthielt, es werde durch Catilina ein großes Blutbad angerichtet werden, und den Rat an Crassus, die Stadt heimlich zu verlassen, so erbrach er die übrigen Briefe nicht, sondern ging sofort zu Cicero, voll Bestürzung wegen der Gefahr und zugleich in der Absicht, sich von dem Verdacht zu reinigen, in dem er wegen seiner Freundschaft mit Catilina stand. Nach kurzer Beratung rief nun Cicero mit Tagesanbruch den Senat zusammen, übergab die mitgenommenen Briefe den Adressaten und befahl ihnen, sie öffentlich vorzulesen. Alle enthielten sie in gleicher Weise die Anzeige des Anschlages. Als darauf auch Quintus Arrius, ein ehemaliger P r a e t o r v o n den Truppenansammlungen in Etrurien berichtete und die Meldung kam, daß Manlius mit einem starken Heerhaufen im Gebiet jener Städte auf der Lauer lag und immer auf neue Berichte von Rom her wartete, kam der Senat zu dem Beschluß, die Leitung des Staates in die Hände der Konsuln zu legen, daß sie nach bestem Können für sein Wohl und seine Rettung sorgten. Dies pflegt der Senat nicht oft zu tun, sondern nur, wenn er eine schwere Gefahr fürchtet

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16. Nachdem Cicero diese Vollmacht erhalten hatte, übertrug er die Leitung der auswärtigen Geschäfte dem Qu intus M e t e l l u s h i e l t selbst die Stadt fest in seiner Hand und erschien täglich in der Öffentlichkeit im Schutz einer so starken Leibwache, daß seine Begleiter, wenn er auf den M a r k t kam, einen großen T e i l desselben besetzten. J e t z t ertrug Catilina das Z ö g e r n nicht länger, sondern beschloß, sich selbst rasch aus der Stadt hinweg zu Manlius und zum Heere zu begeben, und beauftragte Marcius und C e t h e g u s , mit Dolchen bewaffnet frühmorgens zu Ciceros Hause zu gehen, um ihn zu begrüßen, und dabei über ihn herzufallen und ihn zu töten. Dies verriet Fulvia, eine vornehme Frau, dem Cicero, die nachts zu ihm kam und ihn mahnte, sich vor C e t h e g u s u n d seinen Begleitern zu hüten. Sie kamen tatsächlich am M o r g e n , und da man sie nicht einließ, entrüsteten sie sich und erhoben vor der T ü r ein lautes Geschrei, wodurch sie sich nur noch mehr verdächtig machten. Jetzt trat Cicero hervor und berief den Senat in den T e m p e l des J u p p i t e r Stator, der am A n f a n g der Heiligen Straße liegt, w o man zum Palatium h i n a u f s t e i g t 1 . Als auch Catilina mit seinem A n h a n g dahin k a m , u m sich zu rechtfertigen, mochte keiner der Senatoren neben ihm sitzen, sondern alle verließen seine Bank und gingen auf einen andern Platz. Als er zu reden begann, w u r d e er niedergeschrien, und schließlich stand Cicero auf und befahl ihm, die Stadt zu verlassen; denn da er selbst mit Worten, Catilina aber mit den Waffen Politik mache, müsse die M a u e r zwischen ihnen sein. Hierauf zog Catilina sofort ab mit dreihundert Bewaffneten, u m g a b sich, als ob er Oberbeamter wäre, mit Rutenbündel- u n d Beilträgern, ließ Feldzeichen tragen und begab sich zu Manlius. M i t den zusammengekommenen zwanzigtausend M a n n zog er von Stadt zu Stadt, um sie aufzuwiegeln und auf seine Seite zu ziehen, worauf, da der Krieg nun offen ausgebrochen w a r , An tonius ausgeschickt w u r d e , um die Kampfentscheidung herbeizufuhren.

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17. Die in der Stadt Zurückgebliebenen der von Catilina verführten Bürger sammelte und ermutigte Cornelius Lentulus mit dem Beinamen Sura, ein Mann aus vornehmem Geschlecht, der aber einen üblen Lebenswandel geführt hatte und wegen seiner Ausschweifungen früher einmal aus dem Senat gestoßen worden war, damals aber zum zweitenmal Praetor war, wie es bei denen üblich ist, die die Senatoren würde wiedererwerben sollen. Den Beinamen Sura soll er aus folgendem Anlaß erhalten haben. In der Zeit Sullas hatte er als Quaestor bebedeutende Summen öffentlichen Geldes verschleudert und durchgebracht. Als Sulla darüber empört war und im Senat von ihm Rechenschaft forderte, trat er mit frecher Sorglosigkeit und Nichtachtung vor und erklärte, Rechenschaft lege er nicht ab, und hielt statt dessen die Wade hin, wie die Knaben zu tun pflegen, wenn sie beim Ballspiel einen Fehler machen. Daher bekam er den Beinamen Sura, weil die Römer die Wade sura n e n n e n A l s er wieder in einen Prozeß verwickelt war, einige der Richter bestochen und mit nur zwei Stimmen Mehrheit einen Freispruch erzielt hatte, sagte er, die dem einen der beiden Richter gegebene Summe sei eine überflüssige Ausgabe gewesen, denn es hätte genügt, wenn er auch nur mit einer Stimme mehr freigekommen wäre. Diesen so gearteten und von Catilina verführten Mann hatten auch noch falsche Wahrsager und Gaukler mit eitlen Hoffnungen betört, indem sie ihm erdichtete Verse und Orakel vorsangen, angeblich aus den sibyllinischen Büchern geschöpft, in denen es hieß, es seien Rom drei Männer aus dem Hause der Cornelier als Alleinherrscher vom Schicksal bestimmt, von denen zwei schon ihre Bestimmung erfüllt hätten, Cinna und Sulla; ihm als dem dritten noch übrigen Cornelier trage nun die Gottheit die Alleinherrschaft entgegen, und er müsse sie unbedingt annehmen und nicht durch Zaudern die rechte Stunde versäumen wie Catilina.

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18. Es war kein geringes und heilbares Unheil, das Lentulus im Sinne hatte, sondern es war beschlossen, den ganzen Senat und von den übrigen Bürgern so viele, als sie könnten, zu ermorden, die Stadt selbst in Brand zu stecken und niemand zu verschonen als die Kinder des Pompejus; die wollten sie dem Verderben entreißen und in ihrer H u t behalten als Unterpfänder für die Auseinandersetzung mit Pompejus; denn es waren schon viele und bestimmte Nachrichten über seine Rückkehr von dem großen Feldzug im Umlauf. Für den Beginn des Unternehmens war eine Nacht des Saturnalienfestes festgesetzt und sie hatten Schwerter, W e r g und Schwefel in das Haus des C e t h e g u s gebracht und dort versteckt. H u n d e r t Mann und ebensoviele Bezirke Roms hatten sie eingeteilt und durchs Los j e d e m einen Bezirk zugewiesen, damit, wenn viele zugleich Brand legten, die Stadt in kurzem überall in Flammen stünde. Andere sollten die Wasserleitungen verstopfen und die Wasserholer niedermachen. Während diese Vorbereitungen getroffen w u r d e n , befanden sich zufällig zwei Gesandte der Allobroger in der Stadt, eines Volkes, dem es damals sehr schlecht g i n g und das schwer unter der römischen Herrschaft litt*. Diese L e u t e fand Lentulus für geeignet, Gallien aufzuwiegeln und z u m Aufruhr zu bewegen, machte sie zu Mitverschworenen und gab ihnen Briefe mit, teils an den dortigen Senat, teils an Catilina, in denen er den A l l o b r o g e m die Freiheit versprach und Catilina aufforderte, die Sklaven zu befreien und gegen R o m z u führen. Z u s a m men mit den Gesandten fertigten sie an Catilina einen gewissen T i t u s aus Kroton ab als Überbringer der Briefe. Da sie nun aber Menschen ohne Halt waren, die zumeist beim Wein und im Beisein von Weibern ihre Gedanken austauschten, während Cicero unermüdlich mit nüchterner Ü b e r l e g u n g und außerordentlichem Scharfsinn ihren Plänen auf der Spur war, viele Leute draußen in seinen Diensten hatte, die das Geschehende

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beobachteten und ihm aufspüren halfen, aber auch mit vielen, die als Teilnehmer der Verschwörung galten, hcimlich in Verbindung stand und sie ins Vertrauen zog, so erfuhr er von der Vereinbarung mit den Fremden, ließ ihnen nachts einen Hinterhalt legen und fing den Krotoniaten mitsamt den Briefen ab, wobei die Allobroger heimlich Mithilfe leisteten. 19. Am Morgen 1 versammelte er den Senat im Tempel der Concordiaverlas die Briefe und hörte diejenigen an, die eine Anzeige zu erstatten hatten. Junius Silanus sagte aus, einige Leute hätten Cethegus sagen hören, daß drei ehemalige Konsuln und vier Praetoren getötet werden sollten. Andere Angaben solcher Art machte auch Piso, ein ehemaliger Konsul. Gajus Sulpicius, einer der Praetoren, der zum Hause des Cethegus entsandt wurde, fand in ihm viele Geschosse und Schilde und eine sehr große Menge Schwerter und Dolche, alle frisch geschliffen. Nachdem schließlich der Senat dem Manne aus Kroton Straflosigkeit zugesichert hatte unter der Bedingung, daß er ein Geständnis ablegte, wurde auch Lentulus völlig überfuhrt, legte sein Amt nieder - denn er war Praetor - , legte im Senat die purpurbesetzte Toga ab und vertauschte sie gegen ein Kleidungsstück, das seinem nunmehrigen Notstand angemessen w a r E r und seine Spießgesellen wurden den Praetoren übergeben, die sie, doch ungefesselt, in Haft nahmen. Als es schon Abend war und das Volk dichtgedrängt draußen wartete, trat Cicero heraus, berichtete den Bürgern über das Geschehene4 und begab sich dann mit großem Geleit in das Haus eines Freundes in seiner Nachbarschaft, weil das seinige von den Frauen in Anspruch genommen war, die das geheime Fest für die Göttin feierten, welche die Römer «die Gute» (Bona dea), die Griechen «die Weibliche» nennen. Es wird für sie alljährlich im Hause des Konsuls durch dessen Gattin oder Mutter im Beisein der Vestalinnen mit Opfern begangen Als Cicero ins Haus gekommen und nur noch in Gesell-

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schaft ganz weniger Freunde war, überlegte er, wie er weiter mit d e n M ä n n e r n verfahren solle. Denn die äußerste, so schwe-

ren Verbrechen angemessene Strafe über sie zu verhängen, scheute er sich und trug schwere Bedenken, sowohl wegen seiner sanften Denkungsart als auch um den Anschein zu vermeiden, daß er die ihm anvertraute Gewalt allzu sehr ausnütze und zu scharf gegen Männer vorginge, die aus den ersten Häusern stammten und mächtige Freunde in der Stadt besaßen; wenn er aber zu gelinde verfuhr, fürchtete er die Gefahr von ihnen; denn sie würden sich nicht damit abfinden, eine mildere Strafe als den Tod erlitten zu haben, sondern sich zu jeder Tollkühnheit hinreißen lassen, wenn eine neue Wut zu ihrer alten Niedertracht hinzukäme, und er selbst würde für unmännlich und feige angesehen werden, da er sowieso schon bei der Menge nicht für den Mutigsten galt. 20. Während Cicero in solchen Sorgen war, ereignete sich bei den opfernden Frauen ein Wunderzeichen: der Altar, auf dem das Feuer schon erloschen zu sein schien, ließ aus der Asche und den Brandresten eine starke, helleuchtende Flamme auflodern. Dadurch bekamen die anderen Frauen einen großen Schreck, aber die heiligen Jungfrauen befahlen Ciceros Frau, Terentia, schnellstens zu ihrem Mann zu gehen und ihm zu sagen, er solle, was er beschlossen habe, zum Wohle des Vaterlandes ins Werk setzen, da ihm die Göttin zum Heil und zum Ruhm ein großes Licht leuchten lasse. Terentia - sie war auch sonst nicht von sanftem und schüchternem Wesen, sondern eine ehrgeizige Frau, die, wie Cicero selbst sagt, sich mehr um seine politischen Sorgen bekümmerte, als sie ihn an den häuslichen Sorgen Anteil nehmen ließ - richtete ihm dies aus und hetzte ihn gegen die Männer auf, ebenso sein Bruder Quintus und sein philosophischer Freund Publius Nigidius mit dem er die meisten und wichtigsten politischen Fragen zu beraten pflegte.

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Als am folgenden Tage im Senat über die Bestrafung der Männer verhandelt wurde, erklärte der als erster um seine Meinung befragte Silanus, sie müßten ins Gefängnis geführt werden und die schwerste Strafe erleiden. Dieser Meinung schlössen sich alle der Reihe nach an bis zu Gajus Caesar, dem späteren Diktator. Er war damals noch jung und in den ersten Anfängen seines Aufstieges, hatte aber schon mit seiner politischen Betätigung und mit seinen Hoffnungen die Bahn betreten, auf der er fortschreitend den römischen Staat in eine Monarchie umgestalten sollte. Das war allen anderen noch verborgen, Cicero aber hatte er schon manchen Anlaß zum Verdacht, aber noch keine Handhabe gegeben, ihn zu überfuhren; man konnte sogar manche sagen hören, er sei nahe daran gewesen ertappt zu werden, aber doch immer dem Cicero entschlüpft. Manche sagen hingegen, er habe absichtlich ein Auge zugedrückt und die Anzeige gegen ihn unberücksichtigt gelassen aus Furcht vor seinen Freunden und seinem großen Ansehen; denn das sei jedem ganz klar, daß jene eher in Caesars Gefolge der Rettung teilhaftig werden, als er in ihrem Gefolge der Strafe verfallen würde. 2 1 . Als nun die Reihe an ihn kam, sein Votum abzugeben, stand er auf und äußerte sich folgendermaßen: man solle die Männer nicht mit dem Tode bestrafen, sondern ihr Vermögen einziehen, sie in von Cicero zu bestimmende Städte Italiens schaffen und solange gefesselt in Haft behalten, bis der Krieg gegen Catilina beendet sei. Diesem maßvollen, von einem höchst wirkungsvollen Redner vorgetragenen Vorschlag fügte Cicero ein weiteres, nicht geringes Gewicht hinzu. Er stand auf und äußerte sich nach beiden Seiten, teils der zuerst vorgebrachten, teils Caesars Meinung zustimmend 1 , und alle seine Freunde bekannten sich nun in dem Glauben, Caesars Meinung sei für Cicero vorteilhaft, weil ihn eine geringere Verantwortung treffen würde, wenn er die Männer nicht hinrichten ließe,

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zu der zweiten Meinung, so daß auch Silanus umschwenkte, sich bcrichiigic und sagte, auch er habe sich nicht für die Todesstrafe ausgesprochen, denn die «schwerste Strafe » sei für einen römischen Senator das Gefängnis. Dem so formulierten Vorschlag widersprach als erster Lutatius Catulus. Nach ihm kam Cato zu Wort, verdächtigte in leidenschaftlicher Rede auch Caesar und erfüllte den Senat so mit Zorn und Selbstgefühl, daß er das Todesurteil über die Männer fällte. Jedoch gegen die Einziehung ihrer Vermögen erhob Caesar Einspruch und forderte, daß man nicht den humanen Teil seines Antrages verwerfe und ihm nur in dem härtesten Teil folge. Da viele mit Gewalt darauf bestehen wollten, rief er die Volkstribunen an. Die hörten nicht auf ihn, aber Cicero selbst gab nach und ließ die Vermögenseinziehung fallen'. 22. Nunmehr ging er mit dem Senat die Männer holen. Sie waren nicht alle an demselben Orte, sondern die Praetoren hatten sie getrennt voneinander in Gewahrsam. Zuerst nahm er auf dem Palatium den Lentulus in Empfang und führte ihn über die Heilige Straße und mitten über das Forum, wobei die vornehmsten Männer ihn rings umschirmten und ihm als Leibwache dienten, während das Volk mit Schauder dem Geschehen zusah und den Z u g schweigend vorbeigehen ließ, vor allem die jungen Leute, denen es war, als würden sie mit Furcht und Entsetzen in althergebrachte Mysterien aristokratischer Machtvollkommenheit eingeweiht. Nachdem er das Forum durchschritten hatte und zum Gefängnis gekommen war, übergab er den Lentulus dem Scharfrichter und befahl ihm, ihn zu töten. Hieraufführte er der Reihe nach erst den Cethegus, dann jeden der anderen herunter und ließ ihn hinrichten. Da er noch viele Anhänger der Verschwörung dichtgedrängt auf dem Markt beieinanderstehen und in Unwissenheit über das Geschehene auf die Nacht warten sah, in dem Glauben, daß die Männer noch lebten und gewaltsam heraus-

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geholt werden könnten, rief er ihnen mit lauter Stimme zu: «Sie haben gelebt!» So sagen die Römer, wenn sie ein Wort von übler Vorbedeutung vermeiden wollen, für «sterben». Es war schon Abend, und er ging über den Markt zu seinem Hause hinauf, wobei ihn nun die Bürger nicht mehr schweigend und in Ordnung geleiteten, sondern mit Zurufen und Händeklatschen empfingen, wohin er auch kam, und als Retter und Neubegründer des Vaterlandes begrüßten. Die Gassen waren hell erleuchtet von den Lämpchen und Fackeln, die sie an den Türen anbrachten, und die Frauen leuchteten von den Dächern herab, um den Mann zu ehren und zu sehen, der da im Geleit der Edelsten in Glanz und Würde emporstieg. Die meisten von diesen hatten große Kriege ausgefochten, waren im Triumph eingezogen, hatten zu Wasser und zu Lande das Reich erweitert, und nun schritten sie daher und gesunden einander, daß vielen der Führer und Feldherren von damals das römische Volk Dank schulde für Reichtum, Beute und Machtgewinn, für Sicherheit und Rettung aber allein dem Cicero, der eine so große und furchtbare Gefahr von ihm abgewehrt habe. Denn nicht daß er, was im Werke war, vereitelt und diejenigen, die das böse Werk vollbringen wollten, bestraft hatte, erschien so wunderbar, als daß dieser Mann den größten Umsturzversuch aller Zeiten unter den geringsten Opfern, ohne Aufruhr und Bürgerkrieg erstickt hatte. Denn die meisten derer, die zu Catilina zusammengeströmt waren, verließen ihn auf die Kunde, was mit Lentulus undCethegus geschehen war, und liefen davon. Mit denen, die bei ihm ausgeharrt hatten, lieferte er dem Antonius die Entscheidungsschlacht und fand mitsamt seinem Heere den Tod'. 23. Jedoch gab es Leute, die entschlossen waren, dem Cicero wegen dessen, was er getan hatte, mit Worten und Taten Böses zuzufügen, und sie hatten zu Führern unter den neu antretenden Beamten den Praetor Caesar und die Volkstribunen

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Metellus und Bestia. Da diese ihr Amt schon angetreten hatten, als Cicero noch wenige T a g e im Amte w a r ' , so erlaubten sie ihm nicht, eine Rede an das Volk zu halten, sondern sie setzten Bänke auf die Rednerbühne, ließen ihn nicht hinauf und gestatteten ihm nicht zu reden, sondern befahlen ihm, nur, wenn er wolle, die Amtsniederlegung in der eidlichen Form zu erklären und dann wieder hinabzusteigen. Er trat daraufhin vor, um den Eid zu schwören, und nachdem Ruhe für ihn geboten war, schwur er den Eid, aber nicht in der herkömmlichen Form, sondern einen besonderen und neuen Eid: er habe das Vaterland gerettet und das Reich in seinem Bestand erhalten; und das ganze Volk schwur diesen Eid mit. Infolgedessen wurden Caesar und die Volkstribunen noch zorniger, ersannen allerlei andere Schwierigkeiten für Cicero und brachten den Antrag ein, Pompejus mit seinem Heer zurückzurufen, damit er der Gewaltherrschaft Ciceros ein Ende mache. Da war es ein großer Vorteil für Cicero und die ganze Stadt, daß Cato damals Volkstribun war und sich den Machenschaften jener Leute mit der gleichen Machtvollkommenheit, aber größerem persönlichen Ansehen entgegenstellte. Er hintertrieb ihre sonstigen Anschläge mit Leichtigkeit und pries in seinen Reden an das Volk das Konsulat Ciceros so sehr, daß er die höchsten Ehrungen, die es je gegeben hatte, für ihn beantragte und ihn als Vater des Vaterlandes begrüßte. Er war, wie es scheint, der erste, dem dies zuteil wurde, und Cato war es, der ihn vor dem Volke mit diesem Namen anredete. 24. Damals stand Cicero auf der Höhe seines Ansehens, machte sich aber bei vielen verhaßt, nicht durch irgendwelche schlechten Handlungen, sondern dadurch, daß er sich immerfort selbst lobte und rühmte, erregte er den Widerwillen vieler. Kein Senat, keine Volksversammlung, kein Gericht konnte zusammentreten, bei dem man sich nicht das Gerede über Ca-

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tilina und Lentulus anhören mußte. Am Ende füllte er auch seine Bücher und Schriften mit diesen Lobpreisungen der eigenen Person, und seinen sonst so schönen, anziehenden und geistvollen Vortrag machte er für die Hörer widerwärtig und abstoßend, weil ihm immer wie ein Fluch diese Geschmacklosigkeit anhaftete. Aber obwohl von solch unbändiger Ehrbegierde erfüllt, war er doch frei von Neid und Eifersucht gegen andere, vielmehr höchst freigebig im Lobe seiner Vorgänger und seiner Zeitgenossen, wie man aus seinen Schriften entnehmen kann. Viele Aussprüche dieser Art sind von ihm überliefert, so über Aristoteles: er sei ein Strom fließenden Goldes, und über die Dialoge Piatons: wenn Zeus sich menschlicher Rede bediente, so würde er so sprechen. Den Theophrast pflegte er seinen besonderen Hochgenuß zu nennen. Gefragt, welche Rede des Demosthenes er für die schönste hielte, antwortete er: die längste. Doch stoßen sich einige Leute, die sich für besondere Demosthenesverehrer ausgeben, an einer Wendung Ciceros, die er in einem Brief an einen seiner Freunde gebraucht hat: zuweilen nicke Demosthenes in seinen Reden ein; aber die hohen, überschwenglichen Lobeserhebungen, die er dem Mann an vielen Stellen spendet, und daß er diejenigen seiner Reden, an die er die größte Mühe gewendet hat, die gegen Antonius, als die «Philippischen» betitelt hat, daran denken sie nicht. Unter den Männem, die zu seiner Zeit als Redner oder Philosophen berühmt waren, ist keiner, den er nicht durch eine wohlwollende Äußerung in Wort oder Schrift noch berühmter gemacht hätte. Für den Peripatetiker Kratippos erwirkte er von Caesar, als er schon an der Macht war, das römische Bürgerrecht, erwirkte ferner auch einen Beschluß des AreopagRates, ihn zu bitten, als «Zierde der Stadt» in Athen zu bleiben und die Jugend zu unterweisen. Es existieren Briefe Ciceros darüber an Herodes 1 und andere an seinen Sohn, in denen

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er ihn mahnt, bei Kratippos Philosophie zu treiben. Dem Redelehrer Gorgias wirft er vor, daß er den jungen Menschen zur Wollust und zum Trinken verleite, und verbietet ihm den Verkehr mit dem S o h n U n t e r den griechischen Briefen ist so ziemlich nur dieser - und noch ein zweiter an Pelops in Byzantion - in einer gewissen Erregung geschrieben, und zwar tadelt er den Gorgias nach Gebühr, wenn er wirklich so nichtswürdig und sittenlos war, wie es schien; dem Pelops gegenüber jedoch beklagt er sich in kleinlicher und nörglerischer Weise, daß er es versäumt habe, ihm Auszeichnungen und Ehrendekrete von den Byzantiern zu erwirken. 2j. Dies sind Zeichen seines überspannten Ehrgeizes, und ebenso, daß er oft im Vollgefühl seines rednerischen Könnens die Schicklichkeit außer acht gelassen hat. Als M u n a t i u s d e r in einem Prozeß mit Cicero als Verteidiger einen Freispruch erzielt hatte, danach gegen einen Freund von ihm, Sabinus, Klage erhob, ließ er sich von seinem Zorn soweit hinreißen, zu sagen: «Wie denn, Munatius? Hast du jenen Prozeß durch dich gewonnen, nicht dadurch, daß ich am hellen Tag den Richtern die Köpfe vernebelt habe ?» Einmal lobte er den Marcus Crassus von der Rednerbühne und hatte Beifall, und wiederum ein paar Tage später machte er ihn schlecht, und als Crassus sagte: «Hast du mich nicht erst vor kurzem selber an eben dieser Stelle gelobt?», erwiderte er: «Ja, der Übung halber, um meine Redekunst an einer schlechten Sache zu erproben.» Ein andermal, als Crassus gesagt hatte, kein Crassus habe in Rom länger als sechzig Jahre gelebt, und das später in Abrede stellte und sagte: «Wie hätte ich wohl dazu kommen sollen, das zu sagen?», entgegnete Cicero: «Du wußtest, daß die Römer das gern hören würden, und du wolltest dich deshalb bei ihnen beliebt machen.» Als Crassus sagte, er sei mit den Stoikern einig, weil sie lehrten, daß der Gute reich sei, erwiderte Cicero: «Sieh zu, ob nicht vielmehr deshalb, weil sie

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lehren, daß alles dem Weisen gehört.» Crassus stand nämlich in üblem Ruf wegen seiner Geldgier. Einer der Söhne des Crassus sah einem gewissen Axius sehr ähnlich und hatte daher seine Mutter in bezug auf Axius in üblen Ruf gebracht. Als er nun einmal im Senat eine Rede hielt und Beifall erntete und Cicero gefragt wurde, wie er darüber dächte, sagte er: «Axius des Crassus 1 .» 26. Als Crassus im Begriff war, nach Syrien abzugehen2, wollte er Cicero lieber zum Freund als zum Feinde haben und sagte zu ihm in freundschaftlichem Ton, er würde gern bei ihm speisen. Cicero empfing ihn aufs bereitwilligste. Als wenige Tage später einige Freunde ihn wegen Vatinius ansprachen, er wünsche Versöhnung und Freundschaft mit ihm denn sie waren Feinde - , sagte er: «Vatinius will doch nicht etwa auch bei mir speisen?» So stand Cicero mit Crassus. Den Vatinius selbst, der Kropfgeschwüre am Halse hatte und einmal als Sachwalter sprach, nannte er einen geschwollenen Redner. Als er hörte, daß er gestorben sei, und kurz darauf die gewisse Nachricht erhielt, daß er noch am Leben sei, rief er: «Soll doch der Schlag den Schurken treffen, der so schändlich gelogen hat!» Als Caesar die Verteilung der Ländereien in Kampanien an die Veteranen durchgesetzt hatte, viele im Senat ihm deswegen zürnten und Lucius Gellius, der so ziemlich der älteste war, erklärte, bei seinen Lebzeiten werde das nicht geschehen, sagte Cicero: «Warten wir denn! Gellius verlangt ja keinen langen Aufschub'.» Da war ein gewisser Octavius, dem man nachsagte,er stamme aus Afrika. Als er bei einem Prozeß sagte, er verstehe den Cicero nicht, rief der: « Aber du hast doch kein Ohr ohne Loch! 4 » Auf die Bemerkung des Metellus Nepos, Cicero habe als Belas tungszeuge mehr Menschen ins Un glück gebracht als durch seine Verteidigung gerettet, erwiderte er: «Ja, ich gebe zu, daß meine Glaubwürdigkeit größer ist als meine Beredsamkeit.» Zu einem jungen Manne, der im Ver-

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dacht stand, seinem Vater in einem Kuchen Gift beigebracht zu haben, und sich prahlerisch rühmte, er werde böse Dinge über Cicero ausstreuen, sagte dieser: «Das wird mir von deiner Seite lieber sein als ein Kuchen.» Publius Sestius 1 hatte ihn in einem Prozeß neben anderen zum Sachwalter genommen, wollte aber alles selbst sagen und ließ keinen andern zu Worte kommen. Als es klar war, daß er von den Richtern, die schon bei der Abstimmung waren, frei gesprochen würde, sagte Cicero zu ihm: «Nimm heute die Gelegenheit wahr, Sestius, denn morgen wirst du unbeachtet sein.» Den Publius C o s t a 1 , der für einen Rechtsgelehrten gelten wollte, aber unbegabt und unwissend war, ließ er dir einen Prozeß als Zeugen aufrufen. Als er nun erklärte, er wisse nichts, sagte Cicero: « D u glaubst vielleicht, du würdest nach juristischen Dingen gefragt.» Als Metellus Nepos in einem Wortwechsel mehrmals sagte: «Wer ist eigentlich dein Vater, Cicero?», erwiderte er: «Dir hat deine Mutter die Beantwortung dieser Frage schwerer gemacht.» Die Mutter des Nepos galt nämlich als sittenlos und er selbst als ein Mensch ohne inneren Halt. Er hatte einmal sein Amt als Volkstribun plötzlich aufgegeben und war zu Pompejus nach Syrien gefahren, und dann war er - noch kopfloser - von dort wieder zurückgekehrt 3 . Als er seinen Lehrer Philagros prunkvoll bestatten und einen steinernen Raben auf das Grab setzen ließ, sagte Cicero zu ihm: «Das hast du ganz recht gemacht, denn er hat dich besser fliegen als reden gelehrt.» Und als Marcus Appius bei einem Prozeß in der Einleitung seiner Rede sagte, sein Freund habe ihn gebeten, allen Fleiß, alle Beredsamkeit und Beweiskraft aufzubieten, sagte Cicero: «Und da bist du ein so eisenharter Mensch, daß du deinem Freunde keine von seinen vielen Bitten erfüllt hast?» 27. Gegen Feinde oder Prozeßgegner scharfe Spottreden zu führen, gilt wohl als Gepflogenheit der Redner; daß Cicero

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aber jeden, der ihm b e g e g n e t e , vor den K o p f stieß, nur u m einen Lacherfolg zu erzielen, das z o g ihm viel Feindschaft zu. Ich will auch dafür ein paar Beispiele anfuhren. Den Marcus Aquilius, der z w e i Verbannte zu Schwiegersöhnen

hatte,

nannte er einen A d r a s t o s ' . Während Lucius C o t t a , ein großer Freund des Weines, das Censoramt führte, bekam C i c e r o bei seiner B e w e r b u n g u m das Konsulat einmal D u r s t 1 , u n d da die Freunde rings um ihn standen, während er trank, sagte er: « M i t R e c h t habt ihr A n g s t , der Censor könnte es mir übel nehmen, daß ich Wasser trinke.» Als ihm Voconius in Begleitung seiner drei sehr häßlichen T ö c h t e r begegnete, zitierte er den Vers: « Z u w i d e r Phoibos' Willen z e u g t ' er K i n d e r 1 . » A l s Marcus Gellius, dem man nachsagte, daß er nicht von freien Eltern abstammte, mit heller, lauter Stimme v o r d e m Senat ein Schreiben verlas, sagte er: « W u n d e r t euch n i c h t ! Er ist ja auch einer von denen, die früher Ausrufer gewesen sind 4 .» Und als Faustus Sulla, der Sohn des Sulla, der in R o m die Alleinherrschaft g e f ü h r t und viele durch öffentlichen A n s c h l a g geächtet und in den T o d getrieben hatte, schwer verschuldet war, den größten T e i l seines Vermögens vergeudet hatte u n d seine G ü t e r durch öffentlichen Anschlag zum Verkauf ausbot, sagte Cicero, dieser Anschlag gefalle ihm besser als der des Vaters. 28. Durch solche W i t z e machte er sich vielen verhaßt, und nun taten sich die Anhänger des Clodius gegen ihn zusammen, w o z u folgendes den Anlaß b o t 5 . Clodius war ein M a n n aus vornehmer Familie, noch j u n g an Jahren, aber frech, hochm ü t i g und anmaßend. Er war in Pompeja, die G a t t i n Caesars, verliebt und schlich sich in der Verkleidung als Zitherspielerin heimlich in sein Haus ein. Denn in Caesars Hause feierten die Frauen jenes geheime, Männern unzugängliche Opferfest,

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und es war auch keiner zugegen. Aber da Clodius noch ein unbärtiger Jüngling w a r 1 , so hoffte er unbemerkt durch den Kreis der Frauen zu Pompeja schlüpfen zu können. Wie er nun aber bei Nacht in ein weitläufiges Haus kam, fand er sich in den Gängen nicht zurecht, und als eine Dienerin Aurelias, der Mutter Caesars, ihn hemmirren sah, fragte sie ihn nach seinem Namen. Wie er darauf, zu reden genötigt, erklärte, er suche eine Kammerzofe Pompejas namens Abra, merkte sie, daß das keine weibliche Stimme war, schrie auf und rief die Frauen zusammen. Sie schlössen die Türen, durchsuchten alles und erwischten Clodius, der sich in die Kammer einer jungen Sklavin geflüchtet hatte, mit der er hineingekommen war. Die Sache machte großes Aufsehen, Caesar ließ sich von Pompeja scheiden, und ein Volkstribun erhob Anklage gegen Clodius wegen Religionsfrevels. 29. Cicero war ein Freund von ihm gewesen und hatte während der Catilinarischen Wirren in ihm den eifrigsten Helfer und Leibwächter gehabt. Als er aber jetzt der Anschuldigung gegenüber entschieden behauptete, er sei zu jener Zeit überhaupt nicht in Rom gewesen, sondern habe sich auf seinen weitentfemten Gütern aufgehalten, da bezeugte Cicero gegen ihn: er sei zu ihm ins Haus gekommen und hätte über gewisse Dinge mit ihm gesprochen. Das war auch wahr, doch glaubte man, daß Cicero dieses Zeugnis nicht um der Wahrheit willen abgelegt habe, sondern um sich seiner Frau Terentia gegenüber zu rechtfertigen. Denn sie hatte einen Groll auf Clodius wegen seiner Schwester Clodia, von der sie glaubte, daß sie Cicero heiraten wolle und dies durch einen gewissen Tullus aus Tarent betriebe, der ein Freund und naher Vertrauter Ciceros war, aber dadurch, daß er auch immer zu der in der Nähe wohnenden Clodia ging und ihr seine Aufwartung machtc, den Verdacht in Terentia wachgerufen hatte. Da sie nun von heftigem Charakter war und Cicero beherrschte, so hetzte sie ihn

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auf, sich an dem Angriff auf Clodius zu beteiligen und gegen ihn zu zeugen. Das taten auch viele andere vornehme Männer, und zwar bezichtigten sie ihn des Meineides, der Leichtfertigkeit, der Bestechung der Massen und der Verfuhrung von Frauen. Lucullus bot sogar Sklavinnen als Zeuginnen dafür an, daß Clodius mit der jüngsten seiner Schwestern zu der Zeit, als sie mit ihm, Lucullus, verheiratet war, unzüchtigen Verkehr gehabt habe'. Auch war das hartnäckige Gerücht verbreitet, daß Clodius auch zu seinen anderen beiden Schwestern in solchen Beziehungen stehe, von denen Tertia mit Marcius Rex, Clodia mit Metellus Celer verheiratet war. Letztere nannte man Quadrantaria, weil einer ihrer Liebhaber ihr einmal Kupfergeld statt Silber in einem Beutel zugesandt hatte; die kleinste Kupfermünze nennen die Römer nämlich Quadrats'. Wegen dieser Schwester stand Clodius in besonders üblem Ruf. Da indes das Volk damals gegen diejenigen, die sich gegen Clodius zusammengeschlossen hatten und gegen ihn zeugten, eine feindselige Haltung einnahm, so waren die Richter in Furcht, ließen sich eine Wache stellen, und die meisten von ihnen gaben ihre Stimmtäfelchen mit undeutlich gemachten Buchstaben a b I m m e r h i n aber ergab sich, daß die Zahl der Freisprechenden die größere war, und es hieß denn auch, daß eine Bestechung stattgefunden habe. Daher sagte Catulus zu den Richtern, als er ihnen begegnete: «Es war schon wahr, daß ihr zu eurer Sicherheit die Wache gefordert habt; ihr hattet Angst, daß euch jemand das Geld wegnehmen könnte.» Und Cicero gab dem Clodius, als er zu ihm sagte, er habe mit seinem Zeugnis bei den Richtern keinen Glauben gefunden, die Antwort: «Mir haben fünfundzwanzig der Richter Glauben geschenkt; denn so viele haben dich verurteilt. Dir aber haben die übrigen dreißig nicht getraut, denn sie haben dich nicht eher freigesprochen, als bis sie das Geld in der Tasche

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hatten.» Caesar hingegen, der auch gegen Clodius geladen wurde, sagte nicht gegen ihn aus, erklärte auch, er habe seiner Frau nicht Ehebruch zur Last gelegt, sondern sich nur von ihr geschieden, weil an Caesars Ehe nicht nur kein Makel einer schändlichen Handlung, sondern auch keine üble Nachrede haften dürfe. 30. Nachdem Clodius so der Gefahr entgangen und zum Volkstribun gewählt worden w a r ' , g i n g er sofort Cicero zu Leibe, sammelte alles mögliche Material und brachte allerlei Leute zusammen und hetzte sie gegen ihn auf. Das Volk gewann er für sich durch volksfreundliche Gesetze, und jedem der beiden Konsuln ließ er eine große Provinz zuweisen, dem Piso Makedonien und dem Gabinius Syrien *. A u c h spannte er viele bedürftige Bürger für seine politischen Z i e l e ein und umgab sich mit bewaffneten Sklaven. Da nun von den damals einflußreichsten

drei Männern Crassus offen mit Cicero verfein-

det war, Pompejus beiden gegenüber keine klare Stellung einnehmen wollte, und Caesar im Begriffe war, mit seinem Heer nach Gallien aufzubrechen, so suchte Cicero sich in dessen Schutz zu begeben - obschon er nicht sein Freund, sondern ihm noch von den Catilinahändeln her verdächtig war - und wünschte ihn als Legat auf d e m Feldzug zu begleiten. A l s Caesar sich dazu bereit erklärte, erkannte Clodius, daß Cicero auf diese Weise sich der ihm von seinem Volkstribunat drohenden Gefahr entziehen wolle, und stellte sich, als ob er versöhnlich gesinnt sei, schob die Hauptschuld auf T e r e n t i a , äußerte sich stets wohlwollend über ihn und führte freundliche Reden, als ob er keinen H a ß und keinen Groll gegen ihn hege, sondern ihm nur einige gelinde, freundschaftliche V o r w ü r f e zu machen habe. Damit benahm er Cicero alle Furcht v o r ihm, so daß er Caesar gegenüber die Z u s a g e , als Legat mit i h m zu gehen, zurücknahm und sich wieder der Politik w i d m e t e . Das nahm Caesar übel, bestärkte Clodius in seinem V o r h a b e n ,

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machte Pompejus völlig von Cicero abwendig und erklärte selbst vor dem Volke, es scheine ihm nicht nach Recht und Gesetz, daß Männer - nämlich Lentulus und Cethegus und Anhang - ohne richterliches Urteil hingerichtet worden seien. Denn dies war die Anschuldigung, und deswegen wurde Cicero angeklagt. So von der Gefahr und der Anklage bedroht, legte er Trauerkleidung an, ließ sich die Haare wachsen und wandte sich schutzflehend an das Volk. Aber überall trat ihm Clodius in den Gassen entgegen, begleitet von seinen frechen, mutwilligen Burschen, welche fortwährend in zügelloser Weise über die veränderte Kleidung und Erscheinung Ciceros spotteten, ihn oft mit Kot und Steinen bewarfen und ihm so bei seinen Bittgängen hinderlich waren. 31. Indes legte nun zuerst fast der gesamte Ritterstand in Solidarität mit Cicero Trauerkleidung an, und nicht weniger als zwanzigtausend junge Männer begleiteten ihn langbehaart als Teilnehmer auf seinen Bittgängen. Als dann der Senat zusammentrat, um zu beschließen, daß das Volk zum Zeichen einer allgemeinen Trauer die Kleidung wechseln solle, die Konsuln sich dagegen erklärten und Clodius mit bewaffneter Mannschaft das Rathaus umschlossen hielt, da rannten nicht wenige der Senatoren hinaus, schrien und zerrissen ihre Kleider. Da aber bei diesem Anblick die Menge weder Mitleid noch Schamgefühl zeigte und Cicero nun entweder weichen oder den Kampf mit den Waffen gegen Clodius aufnehmen mußte, wollte er Pompejus um Hilfe bitten, der sich absichtlich entfernt hatte und auf seinem Landsitz in den Albaner Bergen aufhielt. Zuerst schickte er seinen Schwiegersohn Piso1 als Bittsteller und machte sich dann selbst auf den Weg. Als Pompejus davon erfuhr, brachte er es nicht fertig, ihm unter die Augen zu treten - denn er empfand ein starkes Schamgefühl dem Manne gegenüber, der große Kämpfe für ihn durchgefochten und politisch viel in seinem Interesse getan hat-

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te - , sondern gab auf Verlangen Caesars, dessen Schwiegersohn er gewurden war, die alle Dankesschuld preis, entwich durch eine andere Tür und entzog sich der Begegnung. So von ihm verraten und von allen verlassen, nahm Cicero seine Zuflucht zu den Konsuln. Gabinius war immer abweisend gegen ihn. Piso sprach mit ihm in milderem Ton, gab ihm aber den Rat, zu weichen und der Drohung des Clodius aus dem Wege zu gehen, sich in den Wandel der Verhältnisse zu schicken und wiederum Retter des Vaterlandes zu werden, das um seinetwillen in Aufruhr und in Nöten sei. Nachdem er eine solche Antwort erhalten hatte, ging Cicero mit seinen Freunden zu Rate. Lucullus riet ihm zu bleiben, denn er werde die Oberhand behalten; andere rieten ihm zu fliehen, denn das Volk werde ihn bald wieder herbeiwünschen, wenn es die Tollheit und den Wahnsinn des Clodius Uber habe. Dazu entschloß sich Cicero. Er brachte die Statue der Minerva, die er seit langer Zeit schon in seinem Hause stehen hatte und besonders hoch verehrte, aufs Capitol und weihte sie mit der Inschrift «Minerva, der Hüterin Roms », ließ sich von seinen Freunden eine Begleitmannschaft geben, verließ die Stadt um Mitternacht und reiste auf dem Landwege durch Lucanien mit der Absicht, nach Sizilien zu gehen. 32. Sobald seine Flucht bekanntgeworden war, ließ Clodius seine Verbannung beschließen und erließ eine Verordnung, die dem Manne den Gebrauch von Wasser und Feuer untersagte 1 und verbot, ihm im Umkreis von fünfhundert Meilen 1 von Italien aus Obdach zu gewähren. Die anderen kümmerten sich um diese Verordnung nicht im geringsten aus Verehrung für Cicero, sondern erwiesen ihm jede Freundlichkeit und gaben ihm das Geleit. Nur in Hipponion, einer Stadt Lucaniens, die jetzt Vibo h e i ß t n a h m Vibius, der - neben vielen anderen Vorteilen, die er der Freundschaft Ciceros dankte - unter seinem Konsulat Vorsteher der Werkleiite gewesen war, ihn nicht in sei-

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nem Hause auf, sondern erklärte sich nur bereit, ihm ein Stück Land anzuweisen,und GajusVergilius 1 , der Praetor von Sizilien, der von Cicero besonders gefordert worden war, schickte ihm einen schriftlichen Befehl, sich von der Insel fernzuhalten. Tief entmutigt durch diese Erfahrungen, begab er sich nach Brundisium und trat von dort mit günstigem Winde die Überfahrt nach Dyrrhachion an, kam aber, da alsbald ein Seewind dem Schiff entgegenwehte, am nächsten T a g e wieder zurück und gingdann abermals in See. Als er in Dyrrhachion einfuhr und im Begriff war, an Land zu gehen, ereignete sich - so wird berichtet - ein Erdbeben und zugleich ein Seebeben. Daraus schlössen die Seher, daß seine Verbannung nicht von langer Dauer sein werde, denn dies seien Vorzeichen eines Umschwunges. Obschon nun viele Männer in freundschaftlicher Gesinnung ihn aufsuchten und die griechischen Städte stets untereinander wetteiferten, ehrenvolle Abordnungen an ihn zu senden, lebte er doch zumeist mutlos und traurig, wie ein unglücklich Liebender nur nach Italien hinüberblickend, und war durch sein Unglück so kleinmütig geworden, so verzagt und niedergeschlagen, wie man es von einem Manne, der sich sein Leben lang so tief in die Wissenschaft versenkt hatte, nicht hätte erwarten sollen. Dabei hatte er selbst seinen Freunden oft den Wunsch geäußert, sie sollten ihn nicht einen Redner, sondern einen Philosophen nennen, denn er habe sich die Philosophie zu seiner Lebensaufgabe gewählt und bediene sich der Redekunst nur als Werkzeug für seine politischen Zwecke. Aber die Ruhmbegier hat die Kraft, die Vernunft wie eine Tünche von der Seele wegzuwischen und durch den ständigen Verkehr mit der Masse die Staatsmänner auch mit deren Leidenschaften anzustecken, es sei denn, daß einer sehr auf der Hut ist und sich nur soweit mit der Außenwelt einläßt, daß er an den Geschäften selbst, nicht an den sich an ihnen entzündenden Leidenschaften teilnimmt.

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33. Nachdem Clodius den Cicero in die Verbannung getrieben hatte, ließ er seine Landsitze niederbrennen, ebenso sein Haus in Rom und auf dessen Areal einen Tempel der Freiheit erbauen. Das übrige Vermögen wollte er verkaufen und ließ es jeden Tag ausbieten, ohne daß sich ein Käufer fand. Dadurch machte er sich den aristokratisch Gesinnten furchtbar, verführte den zügellosen Pöbel zu Freveln und Frechheiten jeder Art und wagte sich endlich auch an Pompejus heran, indem er einige der von ihm während seiner Feldzüge getroffenen Anordnungen zerpflückte. Da hierdurch das Ansehen des Pompejus Schaden litt, machte er sich selber Vorwürfe, daß er Cicero preisgegeben hatte, vollzog wiederum eine Schwenkung und legte sich in jeder Weise ins Zeug, indem er nun mit Ciceros Freunden dessen Rückberufung betrieb. Obschon Clodius entgegenzuwirken versuchte, faßte der Senat den Beschluß, keine öffentliche Angelegenheit zu behandeln und zum Abschluß zu bringen, wenn Cicero nicht zurückgerufen würde. Als nun Lentulus Konsul war 1 und der Bürgerzwist weitere Fortschritte machte, so daß einige Volkstribuncn auf dem Markte verwundet wurden und Quintus, Ciceros Bruder, nur dadurch mit dem Leben davonkam, daß er wie ein Toter unter den Leichen lag, begann das Volk seine Gesinnung zu ändern, der Volkstribun Annius Milo 1 wagte es als erster, Clodius wegen Gewalttätigkeit vor Gericht zu ziehen, und aus dem Volk von Rom sowohl wie aus den umliegenden Landstädten sammelten sich viele um Pompejus. Mit ihnen ging er gegen Clodius vor, verdrängte ihn vom Markt und rief die Bürger zur Abstimmung. Niemals, so heißt es, habe das Volk über irgend etwas mit solcher Einmütigkeit einen Beschluß gefaßt. Der Senat, im Wetteifer mit dem Volk, verordnete, daß alle Städte, die sich Cicero während seiner Verbannung dienstwillig gezeigt hatten, daflir belobigt, und daß ihm sein Haus und seine Landsitze, die Clo-

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dius zerstört hatte, auf öffentliche Kosten wiederaufgebaut werden sollten. Die Rückkehr Ciceros erfolgte im sechzehnten Monat nach dem Antritt der V e r b a n n u n g u n d so groß war die Freude der Städte und der Eifer der Bewohner, ihn zu bewillkommnen, daß das, was Cicero später darüber gesagt hat, hinter der Wahrheit zurückbleibt. Er sagte nämlich, auf seinen Schultern habe ihn Italien nach Rom hineingetragen \ Selbst Crassus, der vor der Verbannung sein Feind gewesen war, kam ihm damals freundschaftlich entgegen und versöhnte sich mit ihm, seinem Sohn Publius zuliebe, wie er sagte, der ein Bewunderer Ciceros war. 34. Nur kurze Zeit ließ Cicero verstreichen und paßte einen Augenblick ab, da Clodius von Rom abwesend war, zog darauf in großer Begleitung aufs Kapitol hinauf, riß die Tafeln, auf denen die Akte der Volkstribunen verzeichnet waren, herunter und vernichtete sie. Als Clodius deswegen Klage führte und Cicero erwiderte, Clodius sei gegen das Gesetz aus dem Patrizierstand zum Volkstribunat gelangt und es sei also keine seiner Amtshandlungen rechtsgültig, da entrüstete sich Cato und widersprach: er lobe Clodius nicht, sondern mißbillige seine politischen Handlungen, müsse es aber als unzulässig und gewaltsam erklären, wenn der Senat die Aufhebung so vieler Beschlüsse und Verwaltungsakte beschließe, zu denen auch seine eigene Verwaltungstätigkeit in Zypern und Byzanz gehöre*. Hieraus entsprang eine Verstimmung zwischen Cicero und Cato, die zwar zu keinem offenen Ausdruck kam, aber doch zur Folge hatte, daß ihr freundschaftliches Verhältnis zueinander sich abkühlte. 3$. Hiemach erschlug Milo den Clodius 4 , wurde wegen Mordes angeklagt und gewann Cicero als Verteidiger. Der Senat in der Befürchtung, daß, wenn ein so angesehener und leidenschaftlicher Mann wie Milo vor Gericht stehe, es bei der

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Verhandlung zu Unruhen kommen könne, beauftragte Pompejus, bei diesem und einigen anderen Prozessen den Vorsitz zu führen und für die Sicherheit der Stadt und der Gerichtshöfe zu sorgen. Nachdem darauf Pom pejus noch bei Nacht die Höhen um das Forum mit Soldaten besetzt und es so rings abgeschlossen hatte, beredete Milo den Cicero, in der Befürchtung, er könnte sich durch das Ungewohnte des Anblicks außer Fassung bringen lassen und weniger wirkungsvoll sprechen, sich in einer Sänfte zum Markt tragen zu lassen und ruhig zu verhalten, bis die Richter zusammengekommen und das Gericht voll besetzt sei. Er verlor aber, wie es scheint, den Mut nicht nur, wenn er Waffen vor sich sah, sondern ging überhaupt ans Reden immer mit einiger Angst heran; kaum daß das Zittern und Beben sich verlor, nachdem seine Redekunst in vielen Prozessen ihren Höhepunkt erreicht und Sicherheit und Festigkeit gewonnen hatte. Als er dem von Cato verklagten Licinius Murena beistand und den Ehrgeiz hatte, Hortensius zu übertrumpfen, der einen guten T a g gehabt hatte, gönnte er sich zu keiner Stunde der Nacht Ruhe, so daß er durch die allzu gründliche Vorbereitung und die Schlaflosigkeit erschöpft, hinter seiner sonstigen Höhe z u r ü c k b l i e b A l s er nun damals zu der Verhandlung gegen Milo aus der Sänfte stieg und Pompejus oben wie in einem Feldlager sitzen und den Markt rings von blinkenden Waffen umgeben sah, verlor er völlig die Nerven und konnte kaum den Anfang seiner Rede finden, zitterte am ganzen Leibe, und die Stimme stockte ihm, während Milo selber mit stolzem Mut und unerschrokken sich dem Kampfe stellte und es verschmäht hatte, sich die Haare wachsen zu lassen und dunkle Trauerkleidung anzulegen, was, wie es scheint, nicht zum wenigsten mit Anlaß zu seiner Verurteilung gewesen i s t ' ; Cicero hingegen legte man sein Verhalten mehr als treue Freundschaft denn als Feigheit aus.

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36. Er wurde nun auch einer der Priester, welche die Römer Augum nennen, an Stelle des jungen Crassus nach dessen Tode im Partherlande'. Nachdem ihm hierauf durchs Los die Statthalterschaft von Kilikien zugefallen war mit einem Heer von zwölftausend Mann zu Fuß und tausendsechshundert Reitern, ging er in See, zugleich mit dem Auftrag, Kappadokien dem König Ariobarzanes gehorsam und gefügig zu machen \ Er führte dies durch und stellte zu allgemeiner Zufriedenheit ohne Krieg die Ruhe wieder her, und da er bemerkte, daß die Kilikier angesichts der römischen Niederlage gegen die Parther und des Umsturzes in Syrien 1 zum Aufruhr geneigt waren, so suchte er sie durch eine milde Regierung zu besänftigen. Geschenke nahm er selbst von Königen, die sie ihm anboten, nicht an und erließ den Untertanen die Lebensmittellieferungen fiir die Tafel des Statthalters, empfing vielmehr selbst die Vornehmen alltäglich zu nicht üppiger, aber anständiger Bewirtung. Sein Haus hatte keinen Türhüter, und niemand bekam ihn ruhend zu sehen, sondern schon am frühen Morgen stand er oder ging er vor seinem Schlafzimmer auf und ab und empfing diejenigen freundlich, die ihn zu begrüßen kamen. Auch heißt es, daß er niemand auspeitschen, keinem die Kleider vom Leibe reißen ließ und niemand im Zorn beschimpfte oder ihm eine schimpfliche Strafe auferlegte. Er spürte große Beträge öffentlicher Gelder, die unterschlagen worden waren, wieder auf, machte dadurch die Gemeinden wohlhabend und erhielt die gutwillig Zurückzahlenden in ihren Ehrenrechten, ohne daß sie eine weitere Buße zu leisten hatten. Auch einen Krieg führte er und besiegte die im Amanosgebirge wohnenden Räuber. Dafür wurde er von den Soldaten zum Imperator ausgerufen 4 . Als der Redner Caelius ihn bat,er möchte ihm doch fiir eine Schau Panther aus Kilikien nach Rom schicken, schrieb er ihm voll Stolz über das Geleistete, es gebe keine Panther in Kilikien; sie seien nämlich nach Karien geflohen voll

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Unwillen, daß man gegen sie allein Krieg führe, da sonst tiefer Friede h e r r s c h e ' .

Auf der Rückreise von der Provinz legte er zuerst in Rhodos an und verweilte dann mit Freuden in Athen in gefühlvoller Erinperung an seine einstigen Studien. Er kam mit den berühmtesten Gelehrten zusammen, begrüßte die Freunde und Bekannten von dazumal, ließ sich von den Griechen gehörig bewundern und kehrte dann nach Rom zurück, wo die Dinge schon wie im Fieber dem Bürgerkrieg zutrieben. 37. Als man im Senat einen Triumph für ihn beschließen wollte, erklärte er, lieber würde er Caesars Triumphwagen folgen, wenn ein Vergleich mit ihm zustandekäme. Persönlich schrieb er mehrfach an Caesar mit Vorschlägen zur Güte und machte Pompejus wiederholt Vorstellungen, um beide zu besänftigen und versöhnlich zu stimmen. Aber da die Lage unheilbar verfahren war und Pompejus bei Caesars Anrücken nicht in Rom blieb, sondern in Begleitung vieler vornehmer Männer die Stadt verließ, schloß Cicero sich dieser Flucht nicht an, und es schien so, als wolle er sich auf die Seite Caesars schlagen. Es ist auch gewiß, daß er in seinen Überlegungen vielfach hin und her schwankte und in schwerem Zweifel war. Er schreibt nämlich in seinen Briefen, er wisse wirklich nicht, auf welche Seite er sich wenden solle, denn Pompejus habe wohl einen ehrenvollen und gerechten Grund zum Kriege, aber Caesar wisse besser mit den Dingen umzugehen und sei mehr auf seine und seiner Freunde Erhaltung bedacht; so wisse er wohl, vor wem er fliehen solle, aber nicht zu w e m 1 . Als aber dann Trebatius, einer der Freunde Caesars, einen Brief an ihn schrieb, Caesar sei der Meinung, Cicero solle am besten auf seine Seite treten und sich an seinen Hoffnungen und Aussichten beteiligen; wolle er sich aber wegen seines hohen Alters nicht dazu verstehen, so solle er nach Griechenland gehen und dort, fern von beiden Parteien, in aller Ruhe leben: da fühlte

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sich Cicero befremdet, daß Caesar nicht selbst geschrieben hatte, und antwortete zornig, er werde nichts tun, was seiner bisherigen Politik unwürdig sei. So steht es in seinen Briefen 38. Als dann Caesar nach Spanien abmarschiert war, ging er sofort in See zu Pompejus und wurde von den anderen freudig willkommen geheißen; nur Cato machte ihm, sobald er ihn sah, in persönlichem Gespräch heftige Vorwürfe, daß er sich Pompejus angeschlossen habe; für ihn selbst würde es nicht anständig sein, die politische Stellung, die er von jeher eingenommen habe, aufzugeben; Cicero aber würde dem Vaterlande und den Freunden viel nützlicher sein, wenn er in neutraler Stellung dort geblieben wäre und sich auf den Ausgang des Kampfes eingerichtet hätte; statt dessen habe er sich ohne vernünftige Überlegung und ohne Not Caesar zum Feinde gemacht und sei hierher gekommen, um an der so großen Gefahr teilzunehmen. Diese Worte brachten eine Sinnesänderung in Cicero hervor, ebenso die Tatsache, daß Pompejus ihm keine wichtige Aufgabe anvertraute. Doch trug er selbst die Schuld daran, indem er keinen Hehl daraus machte, daß er den getanen Schritt bereue, die Vorkehrungen des Pompejus bekrittelte, seine Pläne in versteckter Form mißbilligte und sich nicht enthalten konnte, die Mitkämpfer immer zu bespötteln und zu bewitzeln, indem er selber stets ohne zu lachen und mit finsterer Miene im Lager umherging und andere zum Lachen brachte, die gar kein Verlangen danach hatten. Doch es wird richtig sein, auch davon ein paar Beispiele anzuführen. Als Domitius 1 einen Mann, der nichts von militärischen Dingen verstand, in eine Offizierstelle brachte und dazu sagte, er sei vernünftig und von gutem Charakter, bemerkte Cicero: «Warum sparst du ihn dir dann nicht als Vormund für deine Kinder auf?» Als einige den Theophanes von Lesbos 3 , der im Heere Kommandeur der Pioniere war, dafür lobten, daß er die Rhodier so schön über den Verlust ihrer Flotte getröstet habe,

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sagte e r : «Welchcs G l ü c k , einen Griechen als Kommandeur zu h a b e n ! » Da Caesar meistens im Vorteil war und sie in gewissem Sinne belagerte, Lentulus aber versicherte, er habe gehört, die Freunde Caesars seien niedergedrückt, meinte Cicero: « D u meinst, daß sie auf Caesar böse s e i e n ? ' » Als ein gewisser Marcius gerade aus Italien kam und erzählte, in R o m sei das Gerücht verbreitet, Pompejus würde belagert, versetzte C i c e r o : « D a bist du wohl herübergefahren, u m dich mit eigenen A u g e n davon zu überzeugen?» Wie nach der Niederlage Nonius * meinte, man dürfe doch guten Mutes sein, denn sieben Adler seien noch in Pompejus' Lager geblieben, erwiderte er: «Dein T r o s t wäre berechtigt, wenn wir mit Dohlen zu kämpfen hätten.» Und als Labienus sich auf gewisse Orakelsprüche berief und behauptete, Pompejus müsse doch den Sieg gewinnen, spottete e r : «So war es also eine Kriegslist, daß wir das Lager verloren haben.» 39. N a c h d e m die Schlacht bei Pharsalos geschlagen war an der er w e g e n Krankheit nicht teilnahm - und Pompejus geflohen w a r , verlangte Cato, der bei Dyrrhachion noch ein beträchtliches Landheer und eine große Flotte beisammen hatte, Cicero solle dem Gesetz gemäß den Oberbefehl übernehmen, da er als gewesener Konsul ihm im Rang voranstand. Da aber Cicero das Kommando ablehnte und überhaupt nicht w e i t e r am Kriege teilnehmen wollte, so fehlte nicht viel, daß er getötet worden wäre, da der junge Pompejus und seine Freunde ihn einen Verräter schalten und die Schwerter zogen, w e n n sich nicht C a t o ins M i t t e l gelegt, ihn mit M ü h e w e g g e h o l t und aus dem Lager herausbesorgt hätte. Er fuhr hinüber nach Brundisium und hielt sich dort auf in E r w a r t u n g Caesars, dessen A n k u n f t sich aber wegen der Geschäfte in Asien und Ä g y p ten hinauszog. A l s dann die M e l d u n g kam, daß Caesar in T a rent gelandet und von da auf dem Landweg nach Brundisium unterwegs sei, machte er sich auf den W e g ihm e n t g e g e n , nicht

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gerade mit schlimmen Erwartungen, aber doch beschämt, daß er in Gegenwart vieler Menschen die Gnade eines ihm feindlichen und nun siegreichen Mannes erproben mußte. Aber er hatte es nicht nötig, etwas zu tun oder zu sagen, was unter seiner Würde gewesen wäre. Denn sowie Caesar ihn, den anderen weit voraus, sich entgegenkommen sah, stieg er ab, begrüßte ihn und ging in Unterhaltung allein mit ihm ein großes Stück - viele Stadien - weiter. Auch ferner bezeugte er ihm stets Ehre und freundschaftliche Gesinnung, so daß er sogar, als Cicero eine Lobschrift auf Cato verfaßt hatte, in einer Gegenschrift die Beredsamkeit und die Lebensführung Ciceros pries und mit der des Perikles und des Theramenes verglich Ciceros Schrift ist «Cato», Caesars Gegenschrift «Anticato» betitelt. Es heißt auch, als Qüintus Ligarius angeklagt war, weil er einer der Feinde Caesars gewesen war, und Cicero als sein Verteidiger auftreten sollte, habe Caesar zu seinen Freunden gesagt: «Was hindert uns, nach langer Zeit wieder einmal Cicero sprechen zu hören, da die Verurteilung des Mannes als Bösewicht und Feind ja seit langem feststeht?» Als aber Cicero zu reden begann und sogleich großen Eindruck machte, im Fortschreiten dann alle Register der Leidenschaft und der schönen Form zog, da habe Caesars Antlitz mehrfach die Farbe gewechselt und alle Seelenregungen deutlich widergespiegelt, und als der Redner schließlich auf die Schlacht bei Pharsalos zu sprechen kam, da sei Caesar ganz außer sich geraten, habe am ganzen Leibe gezittert und einige Aktenstücke aus der Hand fallen lassen. Überwältigt, sprach er endlich den Mann von der Schuld frei 40. Nachdem nunmehr der Staat sich in eine Monarchie verwandelt hatte, zog Cicero sich von der politischen Tätigkeit zurück und widmete seine freie Zeit den jungen Leuten, die Philosophie treiben wollten, und eigentlich gerade durch den Umgang mit diesen Männern, die zu den ersten und vornehm-

29 Vgl. die Biographie des jüngeren Cato in diesem Bande, S. 354 ff. - 3 Uber Antiochos von Askalon Bd. II, Anm. zu S. 77. Uber Aristos und Empylos wissen wir nicht viel mehr, als hier steht. 65 j Alle diese Briefe fallen in die Zeit des Aufenthalts des Brutus in

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN S E I T E N ÖJ-73 Kleinasien, 43

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; s. Kap. 28 ff. - 1 Darüber ausführlich Cato, Kap.

34 ff. 66 1 Das ist genauer im Leben des Pompejus 16 dargestellt (Bd.n, S. 173 f.). - 1 Es ist der Publius Sestius, Volkstribun 57, den Cicero im Jahr mit der erhaltenen Rede verteidigt hat. 67 1 Uber Polybios s. Bd. I, Anm. zu S. ¡57 2. Von dem sehr umfänglichen W e r k in 40 Büchern sind uns nur die ersten 5 vollständig, von den übrigen längere oder kuriere Auszüge von der Art, wie sie schon Brutus machte, erhalten. - 3 Die Senatssitzung vom {.Dezember 63 im Tempel der Concordia, in der die Hinrichtung der gefangenen Catilinarier beschlossen wurde. Mehr darüber im Cicero, Kap. 2of., Cato 11, Caesar 7 (Bd. V). - 3 Daß Brutus' Mutter Servilla, eine hochbedeutende, mit Caesar etwa gleichaltrige Frau, ihm sehr nahe gestanden hat, ist gewiß, daß der im Jahre 8$ von ihr in der Ehe mit dem älteren Marcus Junius Brutus geborene jüngere Brutus tatsächlich ein Sohn des (damals 1 {jährigen) Caesar war, wenig wahrscheinlich; daß die hier (und auch im Cato 14) erzählte Geschichte auf bloßem Klatsch beruhe - Caesar und Servilia waren damals beide 37 Jahre alt, Caesar mit Pompeja, Servilia mit dem in derselben Senatssitzung anwesenden designierten Konsul Decimus Junius Silanus verheiratet - , scheint mir nicht so sicher. - 4 Vgl. Pompejus, Kap. 71 ff. (Bd. III, S. 2 40 ff.). 68 7 Der König Dejotaros, den dann im Jahre 4 j Cicero mit der erhaltenen Rede vor Caesar verteidigt hat. Vgl. auch Crassus, Kap. 17 (Bd.II, S.265), Pompejus, Kap. 73 (Bd. DI, S. 243), und unten Cato, Kap. 12 und i{. - 3 Die Griechen haben ein besonderes W o r t daf ü r : dysopia, «Scheu vor einem bösen Gesicht», und Plutarch hat eine eigene Schrift darüber geschrieben. - 3 Ende des Jahres 47. 69 1 Uber Cassius' Leistungen als Quaestor des Crassus vgl. dessen Leben, Kap. 18ff. (Bd.II, S. 267IT.). Danach hat er als Statthalter von Syrien bei der Abwehr der Parther Glänzendes geleistet. 70 1 Diese Geschichten auch im Leben Caesars, Kap. 62. 71 r Die Einnahme Megaras durch Caesars Legaten Quintus Fufius Calenus (Konsul 47) erfolgte im Herbst 48. 72 1 Caesar, Kap. 61 ff. 73 r Über Quintus Ligarius (Gaius L. ist ein Irrtum Plutarchs) vgl. unten Cicero, Kap. 39 (S. 295). - 3 Von Statilius ist unten in Kap. ( i und im Leben Catos, Kap.6{, 66, 73, von Marcus Favonius, Praetor 49, in den Biographien des Cato, Pompejus und Caesar viel die Rede.

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ERLÄUTERUNGEN

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7 [ i Porcias erster Mann war Marcus Calpumius Bibulus, Caesars Kollege im KunsuUt 59 und eifriger Gegner im Bürgerkrieg, gestuibcn 49. Uber d u hier (und unten in Kap. 23) genannte Büchlein des Sohnes Lucius ist sonst nichts bekannt. 76 1 Vgl. Pompejus, Kap.40, 42, ¡ 1 (Bd.nl, S. 203fr.). 77 1 Aedil zu werden war eine kostspielige Angelegenheit, weil die Aedilen die Spiele in Rom (vor allem Gladiatoren- und Tierkämpfe) auszurichten hatten. 80 1 Vgl. die Darstellung im Leben Caesars, Kap. 66 (Bd. V) und des Antonius, Kap. 13 (Bd. V). 81 j In der ersten Panik waren die Händler und Geldwechsler davongerannt und hatten alles stehen und liegen lassen. - 2 Lucius Cornelius Cinna, übrigens ein Verwandter Caesars (Bruder seiner ersten Frau), war 44 Praetor. - 3 Der Tempel der Erdgöttin Tellus stand auf den Carinae, dem Abhang des Esquilinhügels gegen das Forum Roman um hin. 82 1 Marcus Aemilius Lepidus, Konsul 46, der spätere Triumvir (mit Antonius und dem jungen Caesar-Octavian). - 2 Der schon im Kap. 12 genannte Decimus Junius Brutus Albmus, der sich In Caesars Gallierkriegen und im Bürgerkriege sehr ausgezeichnet hatte und ein Vertrauter Caesars gewesen war. Vgl. unten Kap. 18 und Caesar, Kap. 64 und 66 (Bd.V). 83 1 Die Ermordung des Demagogen Clodius, Volkstribun 58 - vieles über ihn in den Biographien des Lucullus, Pompejus, Cicero, Caesar, Cato - , durch Milo geschah im Januar 52. Ciceros berühmte Verteidigungsrede für Milo ist uns erhalten. - 2 Dieser Cinna war ein Helvius, übrigens damals Volkstribun. Die Geschichte steht auch im Leben Caesars, Kap. 68. 1

Vgl. Ciceros Briefe an Atticus XV 26 und 28. - 2 Caesars jüngere Schwester Julia heiratete einen Marcus Atius Baibus; die ältere ihrer beiden Töchter, Atia, heiratete zuerst den Gajus Octavius, Praetor 6 1 , und nach dessen Tode im Jahre 59 den Lucius Marcius Philippus. Ihr und des Octavius Sohn, somit Caesars Großneffe, Gajus Octavius, geboren am 23.September 6 3 , wurde von dem Großoheim in seinem Testament adoptiert und zum Erben eingesetzt und hieß also fortan Gajus Julius, Sohn des Gajus, Caesar. Den Namen Octavianus, der sich in der Neuzeit mit Unrecht eingebürgert hat, hat er selbst nie geführt, weil er nach seinem Eintritt in die zum ältesten Adel gehörige Familie der Julii an seine Abstammung von den plebejischen Octavii nicht mehr erinnern wollte. Nur von an-

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deren ist er im Altertum gelegentlich Octavianus genannt worden. Den Ehrennamen Auguatua, etwa «der Erhabene», hat er durch Senats besohl uß vom 16. Januar 27 V. Chr. empfangen. - 3 Apollonia in Illyrien, etwa 6 j km südlich von Durazzo. - 4 Ungefähre, z.T. auch ziemlich wörtliche Wiedergabe dessen, was in Brutus' Briefen an Cicero und Atticus steht. 86 1 Velia, das alte Elea, am Tyrrhenischen Meer, etwas südöstlich des Golfes von Salerno. - 2 Ilias VI 429f., dann 490 ff. 8 7 1 Karystos, nahe der Südspitze von Euboia. - »Ilias XVI 849, Worte des sterbenden Patroklos, der unter Apollons Beistand von Euphorbos und Hektor getötet worden ist. - 3 Demetrias in Thessalien, im innersten Winkel des Meerbusens von Pigasai (Volos). 88 1 Epidamnos, der ältere Name von Dyrrhachion (Durazzo), Apollonia 6$ km südlich davon. - »In den «Tischgesprächen », VI 8. 89 1 Buthroton in Epirus gegenüber Kerkyra (Corfu). — 2 Gajus Antonius war Praetor für das Jahr 44 gewesen und befand sich mit geringen Streitkräften auf dem Wege nach der ihm zugewiesenen Provinz Makedonien. - 3 Die Stellen finden sich in den erhaltenen Briefen Ciceros an Brutus. 90 1 Von diesen Denkwürdigkeiten sind nur einige Bruchstücke erhalten. Das Konsulat trat der junge Caesar am 19. August 43 an. - 2 Es ist der Marcus Vipsanius Agrippa, Augustus' treuester Helfer und sein bester General, der dann auch sein Schwiegersohn wird. — 3 Gemeint Decimus Brutus (oben Anm. zu S. 82), der Antonius' Soldaten in die Hände gefallen war und sich selbst den Tod gegeben hatte. 91 1 Cassius wollte gegen Kleopatra vorgehen, die seinen Gegner Dolabella (Ciceros Schwiegersohn) unterstützt hatte. 92 1 (Iber Cinna vgl. das Leben Sullas (Bd.III), Kap. 10, und Marius (Bd. VI), Kap. 41 ff., über Carbo: Sulla 2 2, 28 und Pompejus(Bd.III) j , 10. 9 3 1 Der Brief ist nicht erhalten. 94 1 Lykien, die Landschaft des südlichen Kleinasiens zwischen Karien und Pamphylien. — 2 Von Xanthos sind bedeutende Reste erhalten, die von den Franzosen ausgegraben werden. 96 1 Bei der Eroberung Kleinasiens durch Harpagos nach der Besiegung des Kroisos, etwa { 4 ; . - 2 Patara, 1 o km südlich von Xanthos. - 3 Vgl. Pompejus, Kap. 77 und 80 (Bd. HI, S. 247 und 2 j 1). 98 1 llias I 259. 99 1 Dieselbe Erzählung im Caesar, Kap. 69. 101 1 Gajus Norbanus Flaccus war dann im Jahre 38 Konsul und an-

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schließend Statthalter von Spanien und Kleinasien. Das SymbolenCcbirgc muß die Hügelkette Bein, die von Norden her gegen Kavalla zum Meere streicht. 1 1 Die «lustratio», eine religiöse Feier, durch welche das Heer vor einer entscheidenden Schlacht gereinigt und entsühnt wurde. 3 1 Marcus Valerius Messala Corvinus, 64 v.Chr. bis 13 n . C h r . , zuerst Parteigänger des Senates, dann des Antonius, dann des Augustus, Konsul 3 1 , namhafter Redner und Mäzen, Verfasser u.a. von Memoiren, von denen aber nur wenige Bruchstücke erhalten sind. 3 Erste Schlacht bei Philippi im Oktober 42. 5 1 Marcus Antorius Asclepiades war der Arzt Caesars. 3 1 Über diesen Volumnius ist sonst nichts bekannt. - 2 Zweite Schlacht bei Philippi, Mitte November 42. 4 x Dieselbe Erzählung im Schlußkapitel der Cato-Biographie, S. 434. 6 1 Euripides, Medea(aufgeführt 4 3 1 ) , Vers 332, Worte der Medea. > Gajus Flavi us ist vielleicht mit dem aus Ciceros Korrespondenz mit Atticus bekannten Ritter und Geschäftsmann dieses Namens identisch. Pacuvius Antistius Labeo war der Vater des berühmten Rechtsgelehrten Gajus Antistius Labeo. 8 1 Nikolaos von Damaskos, ein Vertrauter des Königs Herodes von Judäa, Zeitgenosse des Augustus, den er bei wiederholten Aufenthalten in Rom kennengelernt hat, neben vielen anderen Werken Verfasser einer sehr umfangreichen Weltgeschichte und einer Jugendgeschichte des Augustus, von der größere Stücke erhalten sind. Valerius Maximus schrieb unter Kaiser Tiberius ( 1 4 - 3 7 ) neun Bücher factorum et dictorum memorabilium, die uns erhalten sind. Die Porcia-Geschichte steht in IV 6, f . • I Plutarch denkt an die Platon-Briefe 3, 4, 7, 8, 13, von denen aber nur der 7. wahrscheinlich echt, die anderen gefälscht sind. 3 1 Die Stelle findet sich nicht in den uns erhaltenen (echten und unechten) Platon-Briefen. - 2 Mediolanum = Milano - Mailand.

ERLÄUTERUNGEN

ZU

AEMILIUS

7 1 Uias XXIV 630. - 2 Sophokles frg. $79 (aus den verlorenen Tympanistai). - 3 Nach der Lehre des Demokritos (etwa 460-370) kamen die Sinneswahrnehmungen derart zustande, daß feinste, unsichtbare Häutchen, sich von den Gegenständen ablösend und

ERLÄUTERUNGEN

ZU DEN SEITEN 127-137

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durch den Luftraum verbreitend, in die Wahrnehmungsorgane gelangten. 11 8 1 Angeredet ist wohl Sosius Senecio, dem die Biographien gewidmet sind, 3. Bd.I, S. 10 und 17, doch kann wohl auch jeder Leser die Anrede auf sich b e z i e h e n . - 1 Mehr darüber im Leben des Numa, Kap. 1 und 8 (Bd. I, S. 196 und 206). Die Ableitung des römischen Namens Aemilius vom griechischen haimylia ist unsinnig. - 3 Genauere Darstellung im Leben des Fabius Maximus, Kap. 1 4 - 1 6 (Bd. II, S. >7J-i 79). 1 2 9 1 Aedilität des Aemilius im Jahr 1 9 3 . - 2 Diese Definition steht (doch nicht ganz wörtlich) in den pseudo-platonischen Definitionen 413 a. 1 30 1 Aemilius war Praetor 191. Der Krieg in Spanien zog sich bis in den Anfang des Jahres 189 hin und war nicht so durchweg erfolgreich, wie Plutarch es hinstellt. 1 3 1 / Gajus Papirius Maso war Konsul 2 3 1 . - 1 Siehe seine Biographie, Bd.D, S. 1 j 8 ( f . 1 3 2 / Erstes Konsulat des Aemilius 182. - t Die Säulen des Herakles sind die Gebirge um die Straße von Gibraltar. 1 3 ( 1 Antigonos Monophthalmos fiel 8ojährig in der Schlacht bei Ipsos 301. U b e r ihn und seinen Sohn Demetrios Poliorketes vgl. die Biographien des Eumenes und des Demetrios in B d . V . Antigonos Gonatas (so benannt nach seinem Geburtsort Gonnoi im Tempetal in Thessalien) regierte von 2 8 3 bis 2 40; allerlei über ihn in den Biographien des Demetrios, Pyrrhos und Aratos. Demetrios II. regierte bis 229, Antigonos Doson bis 221, über beide vgl. die Biographien des Aratos und des Kleomenes. Uber Philipp V . , 2 2 1 - 1 7 9 , vgl- die Biographien des Philopoimen und Titus Flamininus (Bd. VI). - t Demetrios wurde 181 mit Einwilligung seines Vaters vergiftet, dieser starb zwei Jahre später. 136 i Der Konsul Publius Licinius Crassus wurde 171 am Peneios geschlagen. Oreos, das alte Histiaia, Hauptort und -hafen an der Nordwestküste Euboias. Aulus Hostilius Mancinus (hier mit Unrecht Prokonsul genannt) war Konsul des Jahres 170. Elimia oder Elimeia, Grenzlandschaft Makedoniens gegen Epeiros am oberen Haliakmon (Vistritsa). - 2 Die Dardaner waren ein illyrisches Volk westlich und nördlich von Makedonien. Die Bastemer oder Bastarner waren vielmehr ein germanisches Volk, das erste, mit dem Römer (und Griechen) in Berührung kamen. Lange Zeit unterschied man nicht zwischen Galliern und Germanen. 137 J Zweites Konsulat des Aemilius Paulus 168. - 2 Cicero De divinatione I 103.

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E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN S E I T E N 139-IjO

1 3 9 1 Der thrakische Stamm der Maider wohnte am mittleren Strymon (Struma).

140 1 Beide Völker galten als habsüchtig und goldgierig. 141 1 Besiegung und Gefangennahme des Königs Genthius durch den Praetor Lucius Anicius Gallus im Frühjahr 168. 143 1 Diese Paßstraße führt westlich und dann nordwestlich um das Olympgebirge herum und ist oft zur Umgehung der Tempestellung im Durchbruchstal des Peneios zwischen Olymp und Ossa benützt worden. - 2 Publius Cornelius Scipio Nasica Corculum, Konsul 1 6 ] und 1 { $ , schon in den Biographien des älteren Cato, Kap. 27 (Bd. I, S. ]8i) und des Marcellus, Kap. 5 (Bd.III, S. 305) erwähnt. Seine in Briefform gekleidete Schrift über das Unternehmen war vermutlich an den König Masinissa von Numidien gerichtet. Die Darstellung des Polybioi stand in dem (größtenteils verlorenen) 19. Buche. 144 1 Herakleion am Meer, am Ostabhang des Olymps, etwa 10 km nördlich der Mündung des Peneios. - 2 Das Pythion am Westfuß des Olymps liegt etwa 900 m ü. M. Die Bestimmung der relativen Höhe des Olympgipfels von dort aus mit 10 Stadien 96 Fuß, d . h . i l o o 1900 m (nicht genauer zu sagen, da wir nicht wissen, welchen der schwankenden Werte des Stadion Xenagoras zugrunde legte) kommt mit Rücksicht auf die unpräzisen Instrumente, die zur Verfügung standen - d e r tatsächlichen Höhe von etwas über 1900m erstaunlichnahe. • 4{ 1 Pydna, die erste bedeutendere makedonische Stadt in der sich verbreiternden Küstenebene. 146 ' Mondfinsternis vom I i . J u n i 168. Cicero, De re publica I i j , 1 3 (s.Cicero, Vom Gemeinwesen, lat. und deutsch von K.Büchner, Bibl. der Alten Welt, 1 9 5 1 , S. 109) berichtet sogar, Aemilius' Legat Gajus Sulpicius Gallus (Konsul 166) habe damals am nächsten Morgen den Römern die natürliche Erklärung der Mondfinsternis gegeben und ihnen damit die religiöse Angst genommen. 148 1 Die Paionier, wohl auch ein thrakischer Stamm, wohnten im Norden Makedoniens. - 2 Die Lanzen der Makedonen, die Sarissen, waren an 6 m lang; doch ist das bei den Historikern der Kriegskunst strittig. 149 1 Natürlich ist dieser Hofhistoriker des Perseus, von dem wir sonst weiter nichts wissen, verschieden von dem berühmten Philosophen des Namens. - 2 Die Paeligner waren ein als besonders kriegstüchtig geachteter italischer (sabellischer) Stamm in den Abruzzen. Die Marruciner wohnten nordöstlich von ihnen bis zur Adria. 150 1 Dieser Berg ist nicht genauer feststellbar.

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN S E I T E N IJI-IÖO

449

{ i 1 Dieselbe Geschichte im Leben des älteren Cito, Kap. 20 (Bd.I, S. 372)52 / Also etwa von 16 bis 18 Uhr. - » 120 Stadien — 2 3 - 1 3 km. - j E r stand im 17. Jahre. [ j 1 Pella, die Hauptstadt Makedoniens, etwa 10 km westlich des unteren Axios (Wardar). 54 1 Amphipolis am Strymon, 10 km oberhalb seiner Mündung, Galepsos südöstlich davon an der Küste. - 2 Sprichwort, auf die Verlogenheit und Hinterlist, die man den Kretern nachsagte, bezüglich. - j Die uralten, rätselhaften Götter, deren Geheimkult auf der Insel Samothrake (zwischen Thasos und Imbros) heimisch war. $ j 1 Die Sagra, ein KüstenflüBchen im südlichsten Kalabrien zum Ionischen Meer. Uber die dort stattgehabte Schlacht zwischen Krotoniaten und Lokrern (nach j 2 0 ) waren stark übertreibende Gerüchte verbreitet. PUtaiai und Mykale 479; vgl. Camillus, Kap. 19 (Bd.I, S. 4J0). - J Die sagenhafte Schlacht am See Regillus wurde auf den • {-Juli 496 verlegt. Ahenobarbus war der Beiname einer Familie der gens Domitia, der auch Kaiser Nero entstammte. {6 1 Lucius Antonius Saturninus, Statthalter von Obergermanien, warf sich 00 km. - 1 Gnaeus Octavius war Konsul 165. { 8 / Der schon oben, S. 13 2, genannte Schwiegersohn des Aemilius. {9 1 Von dem gewaltigen Postament, auf dem die bronzene Reiterstatue des Aemilius Paulus gestanden hat (etwa 9,5 m hoch, unterste Stufe 2,7f X 3,9 m), sind bedeutende Reste, Relieifragmente und die Weihinschrift erhalten und im Museum in Delphi wieder aufgebaut. Das Monument stand vor der Südostecke des großen Apollontempels. - Bei dem «Zeus Homers» ist an die berühmten Verse der ltias 1 528-530 gedacht, wo Kronion mit den dunklen Brauen nickt, die ambrosischen Haare von dem unsterblichen Haupte herabwallen und der große Olymp erbebt. - 2 Nach großen Siegen pflegte der Senat die Neuordnung der gewonnenen Gebiete nicht dem Feldherm zu überlassen, sondern eine Kommission von zehn angesehenen Männern zu diesem Zweck zu entsenden. 60 1 Eigentum und Verfügungsfreiheit über die gesamte gewonnene Beute stand dem siegreichen Feldherm zu, und es war ihm überlassen, wieviel davon er dem Staatsschatz überweisen wollte.

4J0

ERLÄUTERUNGEN

ZU DEN SEITEN

161-172

1 6 1 1 Orikon oder Orikos, Hafenstadt im nördlichen Epirus, d u heutige Palaeokastl o Im iiuicistcu Winkel der Bucht von V*lon«. 162 / Servius Sulpicius Galba brachte es 144 zum Konsulat und war einer der bedeutendsten Redner seiner Zeit. — i Der Redner ist Marcus Servilius Pulex Geminus, Konsul 2 0 1 , damals also tief in den Siebzig. 164 1 Die Abstimmung war damals — bis zur lex Gabinia von 1 3 9 - noch mündlich und also öffentlich. - 2 Die Feier dauerte drei Tage: 28.—30.November 1 6 7 . - 3 Das Gewicht des Talentes hat starken Schwankungen unterlegen. Der mittlere W e r t liegt etwa bei 2 ; kg. 16 { 1 Auch im Altertum wurden die Kunststile teilweise nach Künstlern (Therikles, ein korinthischer Töpfer um 400) oder nach Herrschern benannt. 167 1 Plutarch denkt an Ilias XXIV $2 j f f . , w o in der Rede des Achilleus an Priamos der Gedanke ausgeführt w i r d , übrigens aber ohne das von Plutarch gebrauchte Bild. - 1 Oben Kap. j , S. 1 3 1 . 1 7 0 1 Konsulat des Hirtius und Pansa 43 v. Chr. - » Scipio war Censor 142 mit Lucius Mummius, Konsul 146, dem Zerstörer von Korinth. Der Rivale war Appius Claudius Pulcher, Konsul 1 4 3 , der spätere Schwiegervater des Tiberius Gracchus. - 3 Das griechische Cognomen erweist diesen Licinius als Freigelassenen. Er wird ein einfluBreicher Geschäftsmann gewesen sein. - 4 Aemilius war Censor 164. 1 7 1 1 Marcus Aemilius Lepidus war 187 und 1 7 5 Konsul gewesen. 2 Elea oder Velia: s . A n m . zu Brutus, Kap. 2 3 (S. 86). - 3 Tod des Aemilius 1 6 0 . 1 7 2 / Der reale W e r t dieser Summe überstieg immerhin bei weitem eine halbe Million heutiger Mark oder Schweizer Franken. Doch das war f ü r die Verhältnisse dieser fürstlichen römischen Familien ein allzu bescheidenes Vermögen.

E R L Ä U T E R U N G E N

ZU

TIMOLEON

W i e Dions, so ist auch Timoleons Biographie mehr eine Verherrlichung als eine die objektive Wahrheit geben wollende Lebensbeschreibung. Der Leser w i r d bemerken, wie auch offenbare Fehlschläge zugunsten des Helden ausgedeutet werden. Das ist vor allem darin begründet, daß Plutarchs wichtigste (wenn nicht alleinige) Quelle das Geschichtswerk

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN I73-187

45I

des Timaios gewesen ist, denen Vater Andromachos, Herrscher in Tauromenion, der erste Verbündete und allzeit getreue Anhinger Timoleons war (s.Kap. 1 0 f . , S. 182). So ist wohl schon im Elternhaus dem Timaios die Liebe und Verehrung für den Befreier Siziliens eingeprägt worden, und er wird ihn als Knabe und Jüngling gesehen haben und hat dann, zum Mann und zum maßgeblichsten Historiker seiner Epoche geworden, das Bild Timoleons als Idealbild eines tapferen, lauteren und gerechten Hellenen geprägt. Auch scheint es, daß die verklärende Zeichnung sich doch nicht allzusehr von der Wahrheit entfernt. 173 1 Zweite Tyrannis des jüngeren Dionysios 3 4 6 - 3 4 4 . 1 7 4 7 Eine allzu korintherfreundliche Behauptung I Aber richtig ist, dafi die Stadt niemals eine imperialistische Eroberungspolitik getrieben hat, was mit ihrem Wesen als Handelsstadt zusammenhing. 1 7 6 1 Uber diese Schlacht wissen wir sonst nichts; sie muß in die Zeit der Wirren auf der Peloponnes nach dem Zusammenbruch der spartanischen Macht nach Leuktra ( 3 7 1 ) fallen. - 2 Wohl auf die Aufnahme einer argivischen Besatzung in den letzten Jahren des Korinthischen Krieges ( 2 9 1 - 3 8 7 ) bezüglich. - 3 Orthagoras, «der das Rechte sagt», scheint hier eine Art Berufsname. - 4 Zeit nicht genau zu bestimmen, etwa 3 6 ; . 178 1 Derselbe Ausspruch im Leben Phokions, Kap. 23. 179 1 Die Göttinnen: Demeter und ihre Tochter Persephone-Kore. 2 Leukas war wie Syrakus von den Korinthem besiedelt worden. Die Uberfahrt Timoleons erfolgte im Jahre 345. 180 1 Rhegion = Reggio Calabrese an der Südspitze Italiens. 1 8 2 / Tauromenion = Taormina. - 2 Die phoinikische List war sprichwörtlich. 184 1 Adranon, das heutige Adrano (Ademö) am Südwestfuß des Ätna. - 1 340 Stadien - etwa 60 km. Das ist die anderthalbfache Luftlinie von Taormina bis Adrano (Uber die Hange des Atnal). 1 8 6 / Von 3 £ 7 / $ 6 bis 34$. — 2 Plutarch täuscht sich: die Vorgänge sind am Schluß der Dion-Biographie auch nur kurz erwähnt (oben S. 6 2 ; vgl. auch S. 207). - 3 Ein gewisser Typ solch leichter Musik war im unteritalischen Lokroi (woher Dionysios' Mutter stammte, s. oben S. 9) heimisch. 187 1 Aristoxenos von Tarent, Schüler des Aristoteles und insbesondere Theoretiker und Historiker der Musik. - 2 Das Ausschütteln des Gewandes diente zum Beweise, daß der Besucher nicht eine verborgene Waffe bei sich führte.

4J2

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN S E I T E N 188-211

igg i Das Gespräch zwischen König Philipp und Dionysioi muß während des Kongresse» von Korinth 337 stattgefunden haben. — • Diogenes von Sinope, der bekannte Kyniker. - 3 Vgl. hierzu Oion, Kap. • 1 (oben S. 17). - 4 Thuriot im westlichsten Winkel des Golfes von Tarent. 197 1 Athanis von Syrakus, Zeitgenosse Dions und Timoleons, hat die Geschichte Siziliens während der letzten Jahre des Dionysios und unter Dion und Tlmoleon geschrieben. Nur sehr wenig davon ist uns erhalten.->Gelons Sieg bei Himera(ander Nordküste Siziliens, nicht weit von Termini) 4(0. - 3 Apollonia im nördlichen Sizilien, Lage nicht sicher bestimmbar. Uber diesen Leptines vgl. Anm. zu S. 61x. 19g x Lilybaion an der Westspitze Siziliens, das heutige Maraala. 199 x Krimisos, ein nicht näher zu bestimmender Fluß im westlichen Sizilien in der Gegend von Segesta. 200 x Der Thargelion ist der vorletzte Monat des mit der Sommersonnenwende beginnenden attischen Jahres; sein Ende liegt also um den 20. Mai. 204 x Der Ort Hierai ist nicht bestimmbar. - 2 In dem sogenannten Heiligen Krieg ){6-346. 20{ z Weder der Name noch die Lage des Ortes ist sicher feststellbar. Dasselbe gilt für den danach genannten Fluß Lamyrias. 206 x In Euripides' Medea (aufgeführt 431), Vers 214, beginnt die Heldin ihre erste Rede an den Chor korinthischer Frauen mit den Worten: «Korinthische Frauen, ich verließ das Haus.» Im Griechischen lauten die 1. Person der Einzahl und die dritte Person der Mehrzahl gleich, und so ist das Zitat, gewiß mit Bewußtsein, von Euthymos gewendet. 207 1 Vgl. Anm. zu S. 166». - » Der Abolosbach ist nicht feststellbar. 3 Der Lykos oder Halykos ist der 35 km westlich von AgTigento mUndende Platani. 20g x Akragas 407, Gela 406 zerstört. - i Keos, die erste größere Kykladeninvl östlich von Attika. 209 x Sophokles frg. 790 aus unbekanntem Drama. - 2 Uber Piatons Lieblingsdichter Antimachos s. Lysander, Kap. ig (Bd.QI, S.28 mit Anm.). Uber den Maler Dionysios von Kolophon ( j . Jahrhundert) wissen wir nicht viel. Nikomachos, in die Mitte oder das zweite Drittel des 4. Jahrhunderts gehörig, war einer der berühmtesten Maler seiner Zeit. - 3 Das « Vonselbstgeschehen». 211 x Mylai, das heutige Milazzo an der Nordküste Siziliens, 20 km westlich von Messina.

ERLÄUTERUNGEN 2i)i

ZU DEN SEITEN 213-222

453

200 M i n e n = 20 000 D r a c h m e n , r e a l e r W e r t m e h r als 70 000

E u r o . - 2 T o d T i m o l e o n s 336. Von d a a b b i s z u m A u f k o m m e n d e s A g a t h o k l e s als T y r a n n v o n S y r a k u s 317 ist d i e Insel v o r schweren Erschütterungen bewahrt gewesen. - } Antigonos K y k l o p s (323-301), D e m e t r i o s Poliorketes (301-283/82), A n t i g o n o s G o n a t a s (283/82—240/39), D e m e t r i o s II. ( 2 4 0 / 3 9 - 2 2 9 ) , Antigonos

Doson

(229-221),

P h i l i p p V. ( 2 2 1 - 1 7 9 ) ,

Perseus

(17^-168). 2 1 4 r W i r wissen nichts von den vielen Darstellungen dieser D i n g e , d o c h vgl. D i o n , Kap. 48 ff. (oben S. 51 ff.).

E R L Ä U T E R U N G E N ZU

DEMOSTHENES

219 1 Im Leben des A l k i b i a d e s , Kap. 11 (Bd. D, S. 3 j { ) Ist Euripides ohne Vorbehalt als Verfasser des Preisliedes bezeichnet und eine Partie daraus mitgeteilt. - 2 Das W o r t über Aigina prägte Perikles (s. Bd.II, S. 1 1 6 ) . A u s Aigina stammte der unten in Kap. 2 ( (S. 247) genannte Schauspieler Polos, aus Iulis auf K e o s (östlich von A t t i k a ) die b e rühmten ChorlyTiker Simonides und Bakchylides. — j Chaironeia, s. Einleitung Bd. I , S . 7 . 220 r Einleitung S. 8 f . - < Einleitung S. 22. 2 21 1 V e r s aus einer unbekannten Tragödie des als D i c h t e r und Schriftsteller höchst vielseitigen Ion von Chios ( { . J a h r h u n d e r t ) . - » Caed l i u s v o n Kaie A k t e (an d e r N o r d k ü s t e Siziliens) w a r ein sehr gelehrter und geistreicher Redelehrer und L i t e r a t u r k r i t i k e r ,

Zeit-

genosse des A u g u s t u s , übrigens Jude von A b s t a m m u n g . - j Das W o r t w u r d e auf A p o l l o n z u r ü c k g e f ü h r t . D e r delphische Priester Plutarch hat eine besondere (verlorene) Schrift darüber verfaßt. 4 T h e o p o m p o s von C h i o s schrieb mit seinen umfangreichen Philippika ( 5 4 Bücher) die maßgebende Geschichte seiner Z e i t ( 3 7 6 bis zum Ende des Jahrhunderts). 222 / D e r R e d n e r A i s c h i n e s , v o n d e m u n s d r e i R e d e n

erhalten

s i n d , w a r bis 330 d e r b e d e u t e n d s t e G e g e n s p i e l e r d e s D e m o sthenes.

Die

Stelle

steht

in d e r

330 g e h a l t e n e n

Anklage-

r e d e g e g e n K t e s i p h o n , § 171; v g l . o b e n S. 243. - 2 A l s o d e m r e a l e n W e r t n a c h r u n d 400 000 E u r o - j D e r K o m i k e r phanes

war

ein

Zeitgenosse

Bruchstücke seiner

des

Demosthenes.

Anti-

Zahlreiche

260 ( o d e r g a r 365) K o m ö d i e n s i n d

uns

54

ERLAUTERUNGEN

ZU DEN SEITEN

222-2J0

erhalten. - 4 Uber diesen A r g » , der in die erste Hälfte des 4 . Jahrhunderts gehört, wissen w i r nicht viel. 2 3 / Das Gebiet von Oropos am Euripos war ein ständiger Zankapfel zwischen Athen und Theben. Im Jahre 466 ging es an Theben verloren, woran man - neben Chabrias - Kallistratos schuld gab, der damals einer der einflußreichsten Redner und Politiker war. In dem Prozeß erzielte er einen Freispruch. Übrigens war der - 384 geborene - Demosthenes damals kein Knabe mehr, sondern näherte sich den 20. - 2 Von Isaios sind uns 1 1 der im Altertum verbreiteten 64 Reden (von denen 1 4 für unecht galten) erhalten, sämtlich auf Erbstreitigkeiten bezüglich. - 3 Hermippos, Schüler des Kallimachos, in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts tätig, hat vor allem Biographien geistig bedeutender Männer geschrieben. - 4 Beide waren zu ihrer Zeit gefeierte Redelehrer. 24 1 Thukydides I 18. Demosthenes' Reden gegen seinen Vormund Aphobos und dessen Helfershelfer Onetor sind erhalten. Der Prozeß fand 364 statt. - 1 Eunomos ist sonst unbekannt; Thria in der Ebene von Eleusis. 26 1 Pytheas, geboren 3 5 6 , trat erst während des letzten Lebensjahrzehntes des Demosthenes, zuletzt als Makedonenfreund, hervor. 27 1 Demades' Stärke war die Improvisation; im Altertum besaß man eine Sammlung seiner Bonmots. - 1 In der Rede gegen Ktesiphon, § 1 5 1 . - 3 Python von Byzantion stand als Diplomat in König Philipps Diensten. Uber Lamachos von Smyrna ist sonst nichts bekannt. — 4 Eratosthenes von Kyrene, etwa 2 7 5 - 1 9 5 , war ein sehr vielseitiger Gelehrter und Schriftsteller; desgleichen Demetrios von Phaleron, der 3 1 8 - 3 0 7 im Auftrage des Königs Kassandros von Makedonien Regent von Athen war und dann am Hofe des ersten Ptolemaios eine bedeutende Stellung innehatte. 2 8 / Die unter den Reden des Demosthenes als Nr. 7 erhaltene Rede über Halonnesos, in welcher das zitierte W o r t in § 5 steht, ist tatsächlich nicht von Demosthenes, sondern von Hegesippos im Jahre 342 gehalten w o r d e n ; die Rede, die Demosthenes zum selben Thema hielt, ist verloren. Halonnesos ist ein der thessalischen Halbinsel Magnesia vorgelagertes unbedeutendes Inselchen. - 1 Ariston von Chios, ein bedeutender stoischer Philosoph des 3. Jahrhunderts. 29 1 Uber den Redner Aision ist uns nur wenig bekannt. 30 x Für die Griechen war das Schwein nicht Inbegriff der Unreinlichkeit, sondern der Dummheit. - 2 Inder «Kranzrede» von 3 3 0 , § 18. Der Phokische («heilige») Krieg begann 3 1 6 , die politische Tätig-

E R L Ä U T E R U N G E N ZU DEN SEITEN 230-236

4JJ

keit des Demosthenes 3 5 5 / 5 4 . Die erste Rede gegen Philipp fallt ins Jahr J J I . - 3 Ilias X X 467, auf Achilleus bezüglich. 231 1 Demosthenes war im Jahre 3 50 als Chorege, also in einem halbreligiöaen Amt, von dem reichen Meidias geohrfeigt worden und hatte Klage gegen ihn erhoben. Er war damals nicht 32, sondern 34 Jahre alt. Der Streit zog sich über drei Jahre hin, und Demosthenes lieB die Klage schließlich gegen Zahlung einer Buße von 3000 Drachmen ( R e a l w e r t r u n d 10 000 Euro) fallen. Die uns überlieferte Rede gegen Meidias ist nicht gehalten worden. - 2 Melanopos, ein Politiker zweiten Ranges, älterer Zeitgenosse des Demosthenes. 2 3 1 1 Uber diesen Nikodemos ist sonst nichts bekannt. - 2 Alle diese Reden sind erhalten. - 3 Über Ephialtes vgl. Kimon Kap. 10, 13, 1 5 und Perikles Kap. 7 und (Bd. II, S. 2 1 , 2 ; , 27, 1 1 5 , n8ff.). 233 1 Dieser Antiphon - dessen Prozeß im Jahre 344 stattfand - hat nichts mit den bekannten Männern dieses Namens zu tun. - 2 In der unechten Rede gegen Aristogeiton 79 wird eine Samierin des Namens als Giftmischerin bezeichnet. Übrigens ist die hier von Plutarch erwähnte Angelegenheit dunkel. 234 1 Alle erwähnten Reden sind uns erhalten. Die gegen Aristogeiton stammen nicht von Demosthenes. Demetrios von Magnesia war ein älterer Zeitgenosse Ciceros. Über Demosthenes' Frau wissen wir nichts Näheres. - 2 Plutarch irrt. Der Prozeß hat 343 stattgefunden und mit dem erwähnten knappen Freispruch des Aischines geendet. Die Reden, die dabei von Demosthenes und Aischines gehalten worden sind, sind uns überliefert. Über Idomeneus vgl. Bd. I, Anm. zu S. 412. 235 1 Wiedergewinnung Euboias durch die Athener 341. - 2 Kämpfe um Perinthos und Byzantion 340; vgl. Phokion Kap. 14 (S. 328). 3 Diesen Ausspruch schreibt Plutarch im Crassus Kap. 2 (Bd.II, S. 245) und Kleomenes Kap. 48 (27) dem spartanischen König Archidamos II. zu. 2 3 6 1 Die Bewohner von Amphissa in Lokris, nordwestlich von Delphi, hatten sich an dem heiligen Land des Gottes vergriffen. Die Amphiktyonen, der Schutzbund von Delphi, erklärten darauf Amphissa den Krieg und beauftragten König Philipp, Mitglied des Bundes, mit der Exekution. Er drang überraschend durch die Thermopylen vor und besetzte das wichtige Elateia im nördlichen Phokis, unfern der Grenze Boiotiens. - 2 Marsyas aus Pella in Makedonien, Verwandter des späteren Königs Antigonos Kyklops, ungefährer Alters-

4S6

ERLÄUTERUNGEN

ZU

DEN

SEITEN

236-244.

genösse Alexanders des Grotten, schrieb e i n e G e s c h i c h t e M a k e d o niens von den Anfängen bis I I I . von H*r ah*r n u r i f K r w e n i g erhalten ist. 2 3 7 1 Boiotarchen hießen die leitenden Beamten des B o i o t i s c h e n Bund e s ; vgl. Pelopidas Kap. 13fr. (Bd. m , S. 2 7 3 f r ) . - » Man brachte den N a m e n des Baches H a i m o n -

ob mit Recht ? -

mit al(za,

B l u t , zusammen. - 3 U b e r D u r i s v o n S a m o s s. Bd.II, A n m . z u S. 1 4 1 . 2 3 8 1 Schlacht bei Chaironeia Anfang S e p t e m b e r 3 3 8 . - » Siehe A n m . zu S. 1 2 6 J. - 3 AT)(IO