Geschichte Alexanders des Großen. Band I: Lateinisch und deutsch 9783534181209, 9783534186433

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Geschichte Alexanders des Großen. Band I: Lateinisch und deutsch
 9783534181209, 9783534186433

Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Einleitung
Zur Textüberlieferung
Zur Datierung des Werkes und zum Autor
Zu Curtius’ Vorlagen und literarischen Vorbildern
Geschichtsschreibung oder Biographie? Zur Gattung des Werkes
Zur Erzähl- und Darstellungskunst des Curtius Rufus
Zum historischen Wert des Werkes
Fazit
Vermutlicher Inhalt der verlorenen Bücher 1–2
Inhalt der erhaltenen Bücher 3–6
Q. Curtius Rufus, Geschichte Alexanders des Großen (zweisprachig)
– Buch 3
– Buch 4
– Buch 5
– Buch 6
Anmerkungen
Über die Reihe
Über den Inhalt
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E DI TION AN T I KE Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose

Q. CURTIUS RUFUS

GESCHICHTE ALEXANDERS DES GROSSEN BAND I Lateinisch und deutsch

Eingeleitet, nach der Übersetzung von Johannes Siebelis überarbeitet und kommentiert von Holger Koch

Verantwortlicher Bandherausgeber: Kai Brodersen Die EDITION ANTIKE wird gefördert durch den Wilhelm-Weischedel-Fonds der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Wissenschaftliche Redaktion und Schriftleitung: Federica Casolari (Ludwig-Maximilians-Universität München)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2007 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-darmstadt.de

ISBN 978-3-534-18120-9 Gesamtnummer Band I und Band II: ISBN 978-3-534-18643-3

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Zur Textüberlieferung Zur Datierung des Werkes und zum Autor Zu Curtius’ Vorlagen und literarischen Vorbildern Geschichtsschreibung oder Biographie? Zur Gattung des Werkes Zur Erzähl- und Darstellungskunst des Curtius Rufus Zum historischen Wert des Werkes Fazit

Vermutlicher Inhalt der verlorenen Bücher 1–2 . . . . . . . . . . . . Inhalt der erhaltenen Bücher 3–6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Q. Curtius Rufus, Geschichte Alexanders des Großen (zweisprachig) . . . .

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– Buch 3 – Buch 4 – Buch 5 – Buch 6

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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

[Die Textgestaltung und die Bibliographie finden sich am Ende von Band II.]

VI

Danksagung

Für die Aufnahme in die Reihe danke ich den Herausgebern, insbesondere Prof. Dr. Kai Brodersen (Universität Mannheim) und Prof. Dr. Martin Hose (Universität München), die zu Verfeinerungen in Inhalt und Form verholfen haben. Mein spezieller Dank gilt Dr. Federica Casolari (Universität München), die durch ihre Sorgfalt bei der redaktionellen Tätigkeit das Buch kritisch und zugleich kompetent verbessert hat. Für die Unterstützung meiner Arbeit danke ich Dr. Friedrich Burrer und Prof. Dr. em. Burkhart Cardauns (Universität Mannheim) und Prof. Dr. Christiane Reitz und Prof. Dr. Sigrid Mratschek (Universität Rostock), für das Mitlesen der Korrekturen StR’in Martina Angele, OStR Günter Diego Bok, StR i.R. Dieter Fischer (Gymnasium Markdorf), Grund- und Hauptschullehrer i.R. Johannes Flaches und Schulrat a.D. Konrad Oker (Markdorf), StR Friedemann Weitz (Gymnasium Leutkirch) sowie für Hilfe in EDV-Fragen StD i.R. Detlef Helferich (Gymnasium Markdorf). Für wertvolle Anregungen bei der Präsentation des zweisprachigen Textes gilt mein Dank ebenso Christina Hummer, Antonia Jenik und Ursula Moll (Universität München). Gewidmet sei die Arbeit Hans (†) und Gisela Schüler. Holger Koch

Einleitung Alexander der Große ist eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Geschichte. Noch zu jeder Zeit hat er die Menschen in seinen Bann gezogen. In der Antike wurde diesem großen Menschen nicht nur in der Epoche des Hellenismus, sondern auch in der römischen Kaiserzeit besonderes Interesse entgegengebracht. Nach Sueton (Aug. 18,1) hat Kaiser Augustus das Alexandergrab besucht und demonstrativ geehrt. Und überhaupt war Alexanders Vermächtnis im römischen Westen wie Osten präsent (vgl. Suet. Aug. 50. 94,5). Aus der frühen Kaiserzeit stammt die Alexandergeschichte des Quintus Curtius Rufus. Sie ist die einzige erhaltene lateinische Monographie über den großen Makedonen. Über ihren historischen Wert und ihre literarische Bedeutung gehen die Meinungen allerdings weit auseinander. Folgende Beispiele der neueren Forschung sollen dies zeigen. Für McKechnie (1999) ist Curtius’ Alexandergeschichte nicht viel mehr als eine Travestie und Verdrehung der Quellen. Diese Auffassung ist nicht neu. Bereits Wilamowitz-Moellendorf hat die Alexandergeschichte des Curtius „lediglich als Unterhaltungslektüre“ (1905, S. 104) bezeichnet. Tarn schreibt: „He seems to have no interest in his subject [...] He is steeped in rhetorical training and writes like a rhetorician ...“ (1948, Bd. 2, S. 91f.) und unterstellt Curtius „complete lack of historical principle“ (ebenda, S. 92). Bosworth (2003) hingegen kommt zu einer ganz anders gelagerten Auffassung über den Alexanderhistoriker und seine historischen Prinzipien: „Curtius cannot easily be convicted of deliberate fiction. Like Livy he works closely with the subject matter provided by the sources. ... He gives the material a new spin, bringing to the foreground details which were less prominent in the sources, and he imparts his own counterpart of rhetoric. The exemplary, moral value of the historical episodes is stressed ...“ (S. 186f.). Zwischen diesen beiden Urteilen über Curtius Rufus bewegt sich die Forschung. Die vorliegende zweisprachige Ausgabe der Alexandergeschichte des Quintus Curtius Rufus will einen Beitrag dazu leisten, den Historiker als Autor ernst zu nehmen. Die Alexandergeschichte wird hier als eine bedeutsame Quelle verstanden, die über eine zeitlich entfernte, aber dennoch aktuelle Persönlichkeit der antiken Geschichte informiert.

VIII

Einleitung

Zur Textüberlieferung Der Text der Alexandergeschichte des Curtius Rufus ist in der Antike, soweit wir wissen, nicht viel gelesen und zitiert worden. Allein bei PseudoHegesippus, dem Verfasser einer lateinischen Überarbeitung der Geschichte des Jüdischen Krieges (um 370 n. Chr.), lässt sich eine Benutzung nachweisen. Im Mittelalter ist eine erste Spur der lateinischen Alexandergeschichte in dem vorkarolingischen Liber monstrorum de diversis generibus nachweisbar. Dort findet sich ein Passus, der von Curt. 8,11,2 abhängig sein könnte. Erst in karolingischer Zeit tritt Curtius wieder ans Licht. Es gibt nämlich in den Schriften Einhards, des Biographen Karls d. Gr., mehrere sprachliche Übereinstimmungen mit Curtius, die dessen Benutzung wahrscheinlich machen (Müller 1954, S. 783). Zur handschriftlichen Überlieferung: Lediglich ein heute kaum mehr erschließbares Exemplar des Curtius Rufus aus dem 5. Jh. n. Chr. blieb bis ins Frühmittelalter erhalten. Ende des 8. Jhs. muss es in karolingischer Minuskel abgeschrieben worden sein. Auf einer Abschrift dieser Kopie beruht über verlorene Zwischenglieder unsere gesamte Textüberlieferung der Historiae Alexandri Magni Macedonis (Müller 1954, S. 796f. mit Stemma). Insgesamt kennen wir nicht weniger als 123 Handschriften, von denen die ältesten aus dem 9. Jh. stammen. Die handschriftliche Überlieferung des Werkes des Curtius weist jedoch zahlreiche Lücken auf: So fehlen die Bücher 1 und 2 ganz. Es finden sich ferner große Lücken am Ende von Buch 5, zu Beginn von Buch 6 sowie in der Mitte von Buch 10. Man unterscheidet zwei Klassen von Handschriften, die geringfügig voneinander abweichen und auf denen die wichtigsten textkritischen Ausgaben beruhen: P (Parisinus Latinus 5716; 9. Jh.) [= erste Gruppe] B (Bernensis 451; 9. Jh.) F (Florentinus Laur. plut. 64,35; 9. Jh.) [= zweite L (Leidensis B.P.L. 137; 9. Jh.) Gruppe] V (Leidensis Vossianus Latinus Q. 20; 9. Jh.) Von Codex P stammen zahlreiche alte Fragmente aus dem 9./10. Jh., die sich in Darmstadt, Einsiedeln, Wien, Würzburg sowie in Zürich befinden. Auch die „Rheinauer Fragmente“ aus dem 9./10. Jh. (zu Curt. 7,8,12–30 und 8,7,3–10,2) befinden sich heute in Zürich. Sie weisen zahlreiche Übereinstimmungen mit P auf (Atkinson 1998a, S. XXXIV). Die weiteren Codices aus dem 12.–15. Jh. sind wenig erforscht und müssten für eine neue textkritische Ausgabe herangezogen werden. Als Beispiel sei auf die Arbeit von De Lorenzi (1965) verwiesen, der verschiedene neapolitanische Codices hinsichtlich ihrer Überlieferung untersucht hat. Diese Ergebnisse sind in die textkritische zweibändige Ausgabe von Atkinson mit Kommentar (1998–2000) eingeflossen, die dem vorliegenden Lesetext zugrunde gelegt ist. Dabei orientiert sich die Übertragung ins Deutsche – die letzte erschien vor 50 Jahren –

}

Zur Datierung des Werkes und zum Autor

IX

an der Übersetzung von Siebelis (61907). Da Curtius Rufus weitgehend griechische Vorlagen benutzte, werden die lateinischen Eigennamen griechisch wiedergegeben, also z. B. ‘Dareios’ für ‘Darius’. Eine Ausnahme bildet der Name ‘Alexander’, der im Deutschen traditionell eine eigenständige Form hat.

Zur Datierung des Werkes und zum Autor Für die Abfassungszeit der Historiae Alexandri Magni Macedonis des Q. Curtius Rufus werden in der Forschung Daten von Augustus bis Theodosius d. Gr. vorgeschlagen. Am wahrscheinlichsten ist eine Datierung des Werkes in die Regierungszeit der Kaiser Claudius oder Vespasian. Für die Annahme eines terminus post quem wird häufig Curt. 10,9,1–6 wegen seiner zeitgeschichtlichen Anspielung herangezogen: Ein nicht näher genannter princeps wird mit einem neuen aufgehenden Gestirn (novum sidus) verglichen, das aus Nacht und Nebel hervorbricht und einen römischen Bürgerkrieg beendet. Dieser überaus rhetorische Topos (vgl. z. B. Men. Rhet. 3,378 Sp.) entzieht sich jeder historischen Fixierung. Der Aufgang dieses Gestirns und die Erwähnung einer neuen Dynastie (domus) sowie der Beginn einer neuen Friedenszeit unter Beendigung bürgerkriegsähnlicher Zustände werden mit den beginnenden Diadochenkämpfen parallelisiert. Vor allem der rhetorisch-panegyrische Charakter und die metaphorische Sprache der Digression machen eine Identifikation des unbekannten princeps mit Claudius, Vespasian oder einem anderen römischen Kaiser unmöglich. Die folgende beispielhafte Übersicht soll das veranschaulichen: (a) nox (Curt. 10,9,3) ist metaphorisch gebraucht und so kaum für eine Datierung heranzuziehen (vgl. Liv. 6,17,4; Cic. Flacc. 40,102; zum Sprachgebrauch Tac. hist. 1,11). (b) Das novum sidus (Curt. 10,9,3) bezieht sich auf die Begründung einer neuen Dynastie, könnte aber ebenso auf das sidus Iulium anspielen. Auch an dieser Stelle muss auf die Allgemeingültigkeit der Metapher hingewiesen werden (vgl. z. B. Ov. met. 15,842ff.; Plin. nat. 33,12,41; Sen. Cons. Poly. 13,1; Val. Max. 9,8,6). (c) Aus dem Satz huius, hercule, non solis ortus lucem caliganti reddidit mundo (Curt. 10,9,4) wollte man eine Anspielung auf Caligula herauslesen. Allerdings wird caliganti, das von caligo kommt und dessen erste zwei Silben lang sind, anders skandiert als Caligula (die ersten zwei Silben sind kurz). (d) Auch finden sich discors (vgl. discordia membra) bzw. trepidare (Curt. 10,9,4) häufig bei der Beschreibung von bürgerkriegsähnlichen Zuständen und Revolten in der antiken Literatur (vgl. z. B. Sen. epist. 102,6; Suet. Aug. 48; Vell. 2,124,1). (e) Non ergo revirescit solum sed etiam floret imperium (Curt. 10,9,5) wurde mit Münzmaterial aus vespasianischer Zeit verglichen. Die Umschriften ROMA RESURGENS oder ROMA RENASCENS könnten für eine Datierung der Digression unter Vespasian sprechen. Das ist jedoch keineswegs zwingend.

X

Einleitung

(f) Inwieweit auch die Erwähnung des geistig minderbemittelten Arrhidaios in Buch 10, der als Nachfolger Alexanders gilt, Parallelen zur Erhebung des Claudius zulässt, entzieht sich ebenfalls unserer Kenntnis. Es ist des Weiteren auf die sprachliche Nähe zwischen Curtius’ Eulogium auf den neuen princeps und dem Panegyricus des jüngeren Plinius hingewiesen worden. Daraus zog man die Schlussfolgerung einer Datierung der Alexandergeschichte unter Kaiser Trajan. Allerdings ist bei Plinius d. J. der Adressat genannt, bei Curtius Rufus nicht. Ein weiterer Passus, der zur Datierung herangezogen wird, ist die Digression über Tyros (Curt. 4,4,21). Die Bezugnahme auf den „lang andauernden Frieden“ ist z. B. für eine Datierung unter Vespasian benutzt und mit der Nähe zum jüdischen Krieg erklärt worden (Jos. Vit. 44–45; Tac. hist. 2,48). Aber auch hier kann aus der allgemeingültigen Aussage kein eindeutiges Datum abgeleitet werden. Unter sub tutela Romanae mansuetudinis (Curt. 4,4,21) verstand man eine Colonia Septimia Severa Metropolis. Aber auch das erscheint fragwürdig, da die Stadt Tyros – von Pescennius Niger in seiner Auseinandersetzung mit Severus 193 n. Chr. niedergebrannt – rasch wieder aufgebaut wurde und seit 198 n. Chr. die Haupstadt der Phoenice war. Eine endgültige Lösung der Datierungsfrage ist wohl nicht möglich. Gegen eine Datierung der Alexandergeschichte in das 1. Jh. n. Chr. gibt es keine schlagenden Einwände. Der sprachliche Befund lässt eine solche durchaus zu (vgl. z. B. Vogel – Weinhold 41903, S. 172ff.; Bromley 1978, Anhang 2; Costas Rodríguez 1980, S. 105ff., 221ff.). Anhand einer umfassenden Untersuchung der sententiae bei Curtius Rufus kann es Cuttica (1998) ebenfalls wahrscheinlich machen, dass der Autor in das 1. Jh. n. Chr. zu datieren ist (S. 127–131). Es bleibt zu fragen, ob der Alexanderhistoriker Curtius Rufus mit einem der uns bekannten Curtii Rufi der frühen Kaiserzeit identifiziert werden kann. Von einem Curtius Rufus unter Vespasian ist nichts bekannt. Für die Herrschaft des Claudius sind zwei Identifikationen möglich. Der erste ist ein gewisser Q. Curtius Rufus, den Sueton in seinem Index De grammaticis et rhetoribus (rhet. 33) zwischen M. Porcius Latro und L. Valerius Primanus erwähnt. Das chronologische Arrangement ermöglicht eine ungefähre Datierung. Während über L. Valerius Primanus nichts bekannt ist, starb M. Porcius Latro im Jahre 4 v. Chr.; der in diesem Kontext erwähnte Verginius Flavus, der Lehrer des Persius, muss zeitlich unter den Kaisern Claudius und Nero angesetzt werden. Daraus folgt, dass dieser Curtius Rufus, wenn er mit unserem Historiker identisch wäre, unter Augustus, Tiberius, Caligula und Claudius gelebt hätte. Eine Identifikation mit dem Rhetor könnte der rhetorische Charakter des Werkes nahe legen. Letzte Gewissheit gibt es aber nicht. Des Weiteren trägt ein Politiker senatorischer Abkunft (Offizier in Germanien und Proconsul von Afrika im Jahr 43 n. Chr.), der bei Tacitus (ann. 11,20f.) und Plinius d. J. (epist. 7,27) erwähnt wird, den Namen Curtius Rufus (vgl. Suerbaum 2004). Der epigraphische Befund legt nahe, dass er den Vornamen Quintus hatte. Allerdings ist es in diesem Zusammenhang

Zu Curtius’ Vorlagen und literarischen Vorbildern

XI

schwierig zu entscheiden, ob diese beiden Curtii Rufi ein und dieselbe Person waren oder gar mit dem Verfasser der Alexandergeschichte zu identifizieren sind. Weiterhin bleibt unklar, ob unser Curtius Rufus als Prätor Kontakte zu Sejanus, dem Prätorianerpräfekten des Tiberius, hatte und nach dessen Fall die politische Karriere gegen die rhetorische eintauschte.

Zu Curtius’ Vorlagen und literarischen Vorbildern Bereits zu Lebzeiten Alexanders d. Gr., aber vor allem nach seinem Tod sind viele Geschichtswerke über ihn geschrieben worden. Freilich sind diese Primärquellen aus dem späten 4. und frühen 3. Jh. v. Chr. verloren bzw. nur in Fragmenten überliefert. Die heute maßgebliche Sammlung der Fragmente der Alexanderhistoriker hat F. Jacoby mit Kommentar vorgelegt (1927). Fünf bedeutende Werke zu Alexander wurden erst 300–500 Jahre nach seinem Tod verfasst. So blicken die uns erhaltenen Werke aus zweiter Hand auf eine lange Tradition zurück. Die früheste zusammenhängende Darstellung des Alexanderzuges, die uns erhalten ist, stammt von Diodoros, der unter Caesar schrieb. Es handelt sich um das 17. Buch seiner Bibliotheke historike. Ihm folgte unter Augustus und Tiberius der Historiker und Geograph Strabon, dessen historisches Werk allerdings – bis auf wenige Fragmente – nicht erhalten ist. Die weiteren einschlägigen Autoren schrieben ihre Werke noch später: Plutarch um 100 n. Chr., Arrian nicht vor 120 n. Chr. und Iustinus nicht früher als 200 n. Chr. Letzterer fertigte einen Auszug (epitoma) aus der Universalgeschichte des Pompeius Trogus an, der sein Werk höchstwahrscheinlich unter Augustus abfasste: Die Historiae Philippicae befassen sich in den Büchern 11 und 12 mit dem Alexanderzug. Welche Quellen, insbesondere Primärquellen, hat oder könnte der Alexanderhistoriker Q. Curtius Rufus in seinem Werk verarbeitet haben? Curtius Rufus selbst erwähnt 9,5,21, dass er Ptolemaios (FGrHist 138), Kleitarchos (FGrHist 137), den Urheber der „Vulgata“ (also der Tradition des Diodoros, Trogus/Iustinus und Curtius Rufus), und Timagenes (FGrHist 88) benutzt hat (vgl. auch Curt. 9,8,15). Möglicherweise hat er daneben noch Kallisthenes von Olynth (FGrHist 124), das früheste Werk über den Alexanderzug, Aristobulos (FGrHist 139) und – gerade für seine Schilderung der Ereignisse in Indien – Nearchos (FGrHist 133) herangezogen. Welche weiteren Autoren er benutzt hat, lässt sich nur schwer verifizieren. Wegen der zweimaligen Namensnennung des Kleitarchos ist es wahrscheinlich, dass Curtius ihn im Original gelesen und benutzt hat. Das bestätigen ebenfalls die vielen inhaltlichen Berührungspunkte mit Diodoros und Iustinus. Daneben könnte er das historische Werk des Strabon verarbeitet haben. Auch eine direkte Benutzung des Pompeius Trogus ist nicht auszuschließen (vgl. z. B. Thérasse 1968). Obwohl Curtius die Benutzung des Timagenes (dazu Atkinson 2000b, S. 314ff.) erwähnt, ist aufgrund des Quellenbefundes nicht auszumachen, in welchem Umfang er ihm gefolgt ist. Insgesamt ist von der

XII

Einleitung

Benutzung einer Vielzahl von Quellen durch Curtius Rufus auszugehen (vgl. z. B. Dosson 1886, S. 100ff.; Bardon 1947b, S. 120–128). Die literarischen Vorbilder des Curtius sind zahlreich. Der Einfluss der Epiker Homer, Ennius und Vergil ist spürbar. Ob allerdings der Einfluss direkt oder indirekt über Zwischenquellen erfolgte, ist für Homer und Ennius schwer nachweisbar (vgl. Galasso 2003, S. 165ff.). Die Aristien, Ekphraseis und die Unwetterdarstellungen bezeugen jedoch den Einfluss der Epik. Namentlich für Vergil ist der Nachweis von Abhängigkeiten einfacher zu führen (vgl. insbesondere Balzer 1971). Außerdem finden sich Übereinstimmungen zwischen dem Wortschatz Vergils und Curtius’. Weiterhin zeigen sich Analogien in der Erzählkunst bei Curtius und Lucan (dazu z. B. Rutz 1986, S. 2338; Minissale 1988b, S. 147ff. mit Belegen). Zwischen Curtius und Silius Italicus wurden bei der Beschreibung der Oase Siwa (Curt. 4,7,16ff; Sil. 3,6ff. und 645ff.) und der Erwähnung der Praxis der Kinderopferung bei den Karthagern (Curt. 4,3,20–23; Sil. 3,62–162 und 4,763–822) zahlreiche Übereinstimmungen entdeckt (z. B. Bruère 1952; Borzsák 1982). Sollte das zutreffen, so hat Curtius sein Werk vor Silius Italicus’ Punica veröffentlicht. In seinem Epigramm 4,14 erwähnt Martial diese erstmals im Jahre 88 n. Chr. Schließlich finden sich – vor allem bei den Erwähnungen von Hercules und Liber pater – Anklänge an Horaz (Alessandri 1969). Besonders viel hat Curtius Rufus den Historikern Herodot (dazu umfassend Yardley – Heckel 22001, S. 7–9) und Livius (z. B. Steele 1915) entlehnt. Eigentlich ist die Verwendung Herodots für die Alexanderhistoriker selbstverständlich gewesen. Die Ausgestaltung der Charidemos-Szene (Curt. 3,2,10–19) hat viel gemeinsam mit der Demaratos-Xerxes-Erzählung bei Herodot (7,101ff.). Auch die Traumszenen bei Curtius erinnern stark an Herodot. So wird Dareios III. von ähnlichen Träumen geplagt wie Xerxes (Curt. 3,3,2–7 ~ Hdt. 7,12ff.). Die berühmte Truppenzählung des Dareios in Babylon (Curt. 3,2,2–3) weist eine Analogie zu Xerxes’ Methode bei Herodot (7,59ff.) auf. Syme (1987) äußert, dass Curtius’ Stil sub-livianisch oder prae-taciteisch sei. Viel verdankt der römische Alexanderhistoriker nämlich Livius. So kehrt das Cunctator-Motiv (Liv. 30,29,2–3) vor allem im dritten Buch der Alexandergeschichte wieder. Auch manche rhetorische Topoi scheinen aus Livius entlehnt zu sein (Curt. 3,12,18–20; 6,2,1–5 ~ Liv. 9,17ff.). Auch ein Einfluss Caesars ist feststellbar. Dieser hat den Alexanderhistoriker Curtius bei seiner Darstellung der Eroberung von Tyros, die ihre Parallele im Kampf um Alesia hat, und bei Flussüberquerungen inspiriert (Rutz 1986, S. 2339f.). Der Historiker Sallust hat sprachlich auf Curtius Rufus eingewirkt (Wiedemann 1872). Sallust könnte mit seiner Beschreibung der Schiffshütten (carinae) der Numider (Iug. 18,8) die Darstellung der Hütten im Hindukusch angeregt haben (Curt. 7,3,9). Weiterhin wurden zahlreiche Parallelen zu Seneca d. J. notiert (Wilhelm 1928; Atkinson 1980, S. 41; Cuttica 1998, S. 84ff.). Ob die Bezüge des Curtius zu Seneca d. Ä. sich der gemeinsamen rhetorischen Topik verdanken, muss offen bleiben (Fernández

Zur Gattung des Werkes

XIII

Corte 1999, S. 4ff.). Auch zwischen Curtius und Tacitus sind zahlreiche Abhängigkeiten notiert worden (z. B. Walter 1887; Lund 1987). Am wahrscheinlichsten ist, dass Tacitus aus Curtius entlehnt hat (Atkinson 1998b, S. 3468; Bosworth 2004).

Geschichtsschreibung oder Biographie? Zur Gattung des Werkes Die Handschriften stimmen im Werktitel nicht überein. Lediglich in den Kolophonen (den Titelangaben der überlieferten Handschriften) der Handschriften P und B findet man: Historiae Alexandri Magni Macedonis. Das Proömium der Alexandergeschichte des Curtius Rufus ist aufgrund der fehlenden Bücher 1 und 2 nicht überliefert, so dass in der Forschung diskutiert wird, ob Curtius der Gattung der Geschichtsschreibung oder der Biographie zuzuordnen sei. Das Richtige trifft wohl Steele (1919), der schreibt, dass die Alexandergeschichte vielmehr historia et vita sei. Sie könne also im strengen Sinne weder der Geschichtsschreibung noch der Biographie zugeordnet werden. McQueen (1967, S. 39) bringt es auf den Punkt, wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass Curtius der einzige erhaltene lateinische Autor sei, der in einem Geschichtswerk Elemente der Geschichtsschreibung und der Biographie vereinigt habe. In jüngster Zeit wurde in der Forschung der Versuch unternommen, vor allem die romanhaften Elemente nachzuweisen (Currie 1990). Diese Forschungen haben glaubhaft gemacht, dass die Alexandergeschichte gattungsmäßig sowohl der tragischen Geschichtsschreibung als auch dem historischen Roman nahe steht (so z. B. auch Minissale 1983, S. 41ff., 63ff.; dies. 1988a). Bei der Gestaltung geographischer Exkurse ist dieser Einfluss beispielsweise spürbar (Negri 2004, S. 140f.). So finden sich bei Curtius Elemente, die typisch für die Geschichtsschreibung sind, nicht aber der Biographie zuzurechnen sind, wie z. B. die detaillierten Schlachtbeschreibungen (Curt. 3,9–13; 4,12–16; 8,13f.), die Belagerungen (Curt. 4,2–4. 6; 7,11; 8,11), die rhetorisch ausgefeilten und ausgestalteten Reden (Curt. 3,10; 5,8; 6,3; 7,1,18ff.; 9,6,17ff.; 10,2,15–29. 3,7–14), die Rededuelle oder -paare (Curt. 4,14; 6,9–10; 8,7–8; 9,2–3). Des Weiteren findet man sowohl ethnographische als auch geographische Exkurse, die den Alexanderzug veranschaulichen, den Charakter des Protagonisten aufgrund der Landschaftsbeschreibungen illustrieren und den Leser belehren sollen (Curt. 3,1,11–13. 4,6–10; 4,7,16–24; 5,1,11–16. 25–35. 3,1f.; 6,4,4–7. 15–22. 5,13–15; 7,3,5–11. 4,26–31. 7,2–4. 10,1–3. 11,2–3; 8,9; 9,1,4–5. 9–13). Im strengen Sinne biographisch sind dagegen z. B. folgende Passagen (vgl. McQueen, 1967, S.19): der Gordische Knoten (Curt. 3,1,14–18); Alexanders Besuch bei Angehörigen Dareios’ III. (Curt. 3,12); die Episode des Tyriotes (Curt. 4,10,25–34); Alexander und Sisygambis (Curt. 5,2,16–22). Nach Art eines Vorworts äußert sich Curtius zu Beginn von Buch 5 in typisch historischer Weise. Die Fortsetzung der Alexandergeschichte nach

XIV

Einleitung

dem Tod Alexanders d. Gr. in Babylon erleichtert eine Zuordnung des Werkes zur Historiographie. Curtius folgt in diesem Punkt nicht seinen Vorgängern Timagenes, Diodoros und Pompeius Trogus (nach der Epitome des Iustinus), die eine Universalgeschichte bieten; er schreibt im geographischen und ethnographischen Sinne eine Geschichte von der damals durch den Alexanderzug bekannt gewordenen Welt. Es geht dem Autor nicht darum, eine Erklärung dafür zu geben, welche Rolle Rom in der Weltgeschichte spielt. Curtius’ Anliegen ist es vielmehr, einen Sub-Text für den römischen Leser zu produzieren, um die imitatio Alexandri der Principes seiner Zeit zu veranschaulichen. Großen Einfluss auf das Werk des Curtius haben, wie oben angedeutet, auch Epiker wie Homer und Vergil (vgl. z. B. Cannella 1999b). Der Alexanderhistoriker strebt nach Psychagogie und Ekplexis (d. h. nach „Erschütterung“ des Lesers). Um dies zu erreichen, teilt er sein Werk in Erzählsequenzen – geradezu in Akte – ein; dabei beschränkt er häufig die Agonistenzahl. Dieser Aspekt wird in der Curtius-Forschung bei der Diskussion über die Gattungszugehörigkeit des Curtius Rufus häufig vernachlässigt.

Zur Erzähl- und Darstellungskunst des Curtius Rufus Die Erzähl- und Darstellungskunst des Curtius Rufus stieß und stößt gerade in Deutschland auf Ablehnung und Abwertung. Ein berühmtes Beispiel dafür ist der RE-Artikel von Schwartz (1901), in dem es heißt, Curtius sei als „Schriftsteller keine literarische Größe gewesen“ und sein „Werk flöße an und für sich kein Interesse ein“ (Sp. 1872). Viel besser ist es, von der Eigenständigkeit des Schriftstellers Curtius zu sprechen. Er ist, wie schon Dosson (1886) erkannt hat, zugleich Künstler, Moralist, Rhetor, Philosoph und natürlich Geschichtsschreiber, der für römische Leser und deren Bedürfnisse geschrieben hat. Curtius’ schriftstellerische Leistung allein aufgrund der romanhaften Züge abzuwerten, wird seiner Alexandergeschichte nicht gerecht. So ist gerade in Hinsicht auf die Komposition der Historiae Alexandri Magni Macedonis seit langem Curtius’ Technik der Buchschlüsse analysiert worden. Sein Streben nach einem geschlossenen Werkaufbau hat zu Abweichungen von seinen Quellen geführt, die man ihm als falsche historische Faktizität anlastete. Die Buchschlüsse werden auffällig stark akzentuiert. Dieses Verfahren hat der Schriftsteller Curtius Rufus der tragischen Geschichtsschreibung entlehnt. So hebt er am Ende von Buch 3 das Verhalten von Dareios und Alexander nach dem Triumph über die Perser bei Issos hervor. Buch 4 endet mit dem noch größeren Sieg bei Gaugamela. Das lückenhaft überlieferte Buch 5 beschreibt am Schluss (des überlieferten Textes) die Auffindung der Leiche des Perserkönigs. Möglicherweise schloss es also ursprünglich mit seinem Tod und seiner Beisetzung durch Alexander (vgl. die Zusammenfassung von

Zur Erzähl- und Darstellungskunst des Curtius Rufus

XV

Freinsheim in seiner Curtiusausgabe, 1640). Als letztes Beispiel sei auf Buch 9 verwiesen, das am Schluss Alexander als zweiten Bakchos darstellt. Des Weiteren erkennt man innerhalb des gesamten Handlungsstranges von Buch zu Buch eine deutliche Steigerung, die Alexander vom gewöhnlichen Menschen zu einem Übermenschen werden lässt. Während der Makedone in Buch 3 noch alle Könige an continentia und clementia überragt, in Buch 4 weitgehend positiv charakterisiert wird, so wird in Buch 6 der Umschwung seines Charakters markiert. Am Ende von Buch 7 bereits ist seine alte virtus pervertiert, am Ende von Buch 9 zur u{bri" gesteigert, da er alle menschlichen Grenzen überschreiten will. Dass Curtius Rufus sein Werk bewusst durchgestaltet hat, zeigt auch seine Äußerung, dass er zunächst die Geschehnisse in Asien bis zum Tod des Dareios schildern und dann näher auf Griechenland, Illyrien und Thrakien eingehen wolle (Curt. 5,1,1–2). So erscheint der Kampf des spartanischen Königs Agis III. erst zu Beginn von Buch 6, obwohl er chronologisch weiter vorne hätte platziert werden müssen. Hinter dieser Arbeitstechnik verbirgt sich kein annalistisches Prinzip, sondern die Methode der tragischen Geschichtsschreibung und der römischen Epik (vor allem Lucans). Der römische Schriftsteller gliedert sein Werk nämlich in zwei Pentaden (Buch 1–5 sowie Buch 6–10). Der Einschnitt nach der ersten Werkhälfte wird tatsächlich dadurch sichtbar, dass Buch 5 mit dem Tod und dem Begräbnis des Perserkönigs geschlossen haben muss, was dann seine Parallele in Buch 10 mit dem Tod und dem Begräbnis Alexanders d. Gr. erhält. Leichenbegängnisse und Spiele werden häufig als „epic closure“ verwendet (Toohey 1992, S. 41, 193). Es gibt m. W. keinen anderen Alexanderhistoriker, der dieses Kompositionsprinzip seinem Werk zugrunde gelegt hat. Die beiden Pentaden hat er nicht nur als Bucheinheiten konzipiert, sondern auch miteinander verklammert und aufeinander bezogen. So wird Alexanders charakterliche Entwicklung und Degeneration in der zweiten Pentade (ab Buch 6) mit Dareios’ Charakteristik in der ersten Pentade parallelisiert. Denn der Perserkönig zeigt seinem Nachfolger aufgrund seines eigenen Beispiels, dass der Reichtum und der Luxus Asiens auch die Makedonen entarten lassen könne (Curt. 5,1,4–6). Neben diesen Verklammerungen finden sich außerdem zahlreiche Vor- und Rückverweise, die an Livius’ Arbeitstechnik bei der Ausgestaltung seines Werkes erinnern. Auch das zeigt, dass sich der Schriftsteller Curtius Rufus in die livianische Tradition der römischen Geschichtsschreibung stellt. Curtius Rufus ist wie gesagt der einzige Alexanderhistoriker, der sein Werk nicht mit dem Tod des Makedonen in Babylon abbrechen lässt, sondern in Buch 10 die Ereignisse im Anschluss daran ausführlich schildert. Das könnte Curtius Sallusts Iugurtha entlehnt haben, der ebenfalls mit einem Ausblick (auf den Krieg des Marius mit den Kimbern und den Teutonen) endet. Dabei könnte die Digression (Curt. 10,9,1–6), die die historische Situation in Babylon nach dem Tod Alexanders mit einer zeitgenössischen Parallele verbindet, Curtius Rufus dazu inspiriert haben, gerade für seine

XVI

Einleitung

römischen Leser den Handlungsstrang zu erweitern, um die Geschehnisse nach Alexanders Tod und den Beginn der Diadochenzeit zu schildern. Als weiteres Beispiel, um Curtius’ Erzähltechnik zu beleuchten, seien die Charakterzeichnungen genannt. Im Allgemeinen werden bei der Charakterisierung von Einzelpersonen nur Einzelaspekte der jeweiligen Gestalt genannt, nie aber ein gesamtes plastisches Bild vor Augen gestellt. Gerade das psychologische Moment scheint für Curtius eine besondere Rolle gespielt zu haben. Anhand der Charakterzeichnung des Alexander und des Dareios soll diese These näher betrachtet werden. Curtius schildert Alexander nicht bildhaftplastisch: Es geht ihm um eine – wenn auch nicht vollständige – psychologische Darstellung seiner Persönlichkeit. Erst nach seinem Tod wird der Makedone durch den Historiker umfassend charakterisiert (Curt. 10,5,26ff.). Vorher werden eher einzelne charakterliche ‘Mosaiksteinchen’ eingestreut, die beim Leser Spannung auf die weitere Entwicklung des Protagonisten hervorrufen sollen. Zur Charakterisierung Alexanders – insbesondere zur Steigerung der Alexandergestalt ins Heroenhafte und Übermenschliche – sind die epischen Züge von besonderer Bedeutung: Schleifung des Betis, Liebe zur Gefangenen, maßlose Trauer um den besten Freund und sein Kampf mit der Natur (so vor allem mit Strömen, Wüsten und unüberwindlich scheinenden Gebirgen). So haben die geographischen und ethnographischen Exkurse auch die Funktion, Alexanders Charakter und Handeln zu illustrieren. Den Schriftsteller Curtius fasziniert an diesem Protagonisten in erster Linie der Affekt. Vor allem das ira-Motiv, bei Ptolemaios eher untergeordnet, spielt bei Curtius im Einklang mit der „Vulgata“-Tradition eine herausragende Rolle. So ist es der Zorn, der ihn zur Belagerung von Tyros antreibt (Curt. 4,2,5). In Gaza ist es ebenfalls der Zorn, der Alexander gerade nach seiner Verwundung zum Weiterkämpfen motiviert (Curt. 4,6,24). In Reminiszenz an die Schleifung des Hektor durch Achill in der Ilias gestaltet Curtius als einziger bekannter Alexanderhistoriker die Schleifung des Betis aus (Curt. 4,6,29). Curtius will damit den Umschlag von Alexanders ira zu rabies veranschaulichen (vgl. auch Curt. 10,4,2 mit Wiederholung des Motivs). Die Zornesausbrüche, die bei Curtius zu einem Zorn-Motiv stilisiert werden, sind aufs engste mit der historischen Alexandergestalt verbunden (Curt. 9,1,22). Da der römische Autor dies derart stark hervorhebt, kommt es freilich in der Gesamtcharakteristik zu einer gewissen Vereinfachung. Es ist müßig zu erörtern, inwieweit Curtius’ Alexanderbild einheitlich gestaltet ist oder nicht, da Alexander ein in sich widersprüchlicher Mensch war (dazu ausführlich Porod 1985, S. 286ff.). Die Anlage seines Werkes in zwei Pentaden hat also zur Folge, dass der Alexanderhistoriker den Makedonenkönig im Hinblick auf die Gesamtkomposition des Werkes charakterisiert. So ist der Alexander in der ersten Pentade ein anderer als in der zweiten. Mit seinem politischen Aufstieg wird

Zum historischen Wert des Werkes

XVII

zugleich sein charakterlicher Niedergang kontrastiert. Nicht die Perser, sondern seine eigenen Fehler bzw. Laster (vitia) führen zur Depravation seines Charakters. Bereits innerhalb der ersten Pentade sind seine vitia angelegt, in der zweiten Pentade kommen sie dann vollends zum Vorschein. Und obwohl seine Tugenden (virtutes) auch in der zweiten Pentade vorhanden sind, überwiegen ab Buch 6 seine Laster. So wird seine Trunksucht, die Curtius unter seine ungeheuerlichen Fehler rechnet, bereits in Buch 5 erwähnt. Eine Folge davon ist die Zerstörung von Persepolis durch den berauschten Alexander (Curt. 5,7,1–8). Rutz (1986, S. 2346) kommt angesichts dieses Befundes zu Recht zum abschließenden Urteil: „Insgesamt erzielt aber Curtius beim Leser den Eindruck, daß in der 1. Pentade die virtutes, in der 2. mehr die vitia dominieren.“ Für Dareios’ Charakteristik ist entscheidend, dass seine guten Anlagen wie später bei Alexander durch die Fortuna (griech. Tuvch), d. h. durch das vorgegebene Schicksal, verdorben werden (Curt. 3, 2,17). Das Fortuna-Motiv spielt in der Darstellung des Curtius Rufus für beide Protagonisten überhaupt eine herausragende Rolle. Aufstieg und Fall beherrschen die Beschreibung des Dareios III. durch Curtius. Der Wandel in dessen Charakterprofil wird offensichtlich, als er sich aus Furcht vor Alexander und seiner Streitmacht von seinen Herrschaftsinsignien trennt (Curt. 3,11,11). Er wird bei Curtius zu einer tragischen Gestalt, da er sieht, wohin u{bri" und zu hoher Machtanspruch führen können – eigentlich ein Negativ-Exemplum für Alexander. Er ist zudem ein Opfer der launischen Fortuna (Curt. 5,8,15). Dareios ist damit für Curtius weniger als die historische Gestalt, sondern als Gegenpart zu Alexander von Interesse. Er ist die tragische Gestalt, die Alexander mahnen soll, seinem Streben nicht zu folgen. Dareios’ schicksalhaftes Scheitern hat sein Gegenstück in Alexanders Aufstieg und nachmaligem Fall. Bei der Charakterisierung von Frauen weist Curtius’ Arbeitstechnik Parallelen zu Herodot auf. Besonders zu würdigen ist die Begegnung unseres Protagonisten mit den persischen Frauen und sein Verhalten ihnen gegenüber (Curt. 3,11,24–12,26). Der römische Historiker versucht sich außerdem in die Lage des einfachen Soldaten hineinzudenken. So spielen bei ihm Massenszenen von Soldaten, in denen Meutereien und meutereiähnliche Situationen dargestellt werden, eine wichtige Rolle. Derartige Darstellungen entstammen einerseits der Schulrhetorik, andererseits dem Einfluss der Erzählkunst des Livius. Es sind die Vorgänge und die Reaktionen der Massen, die Curtius Rufus psychologisch interessieren und die er entsprechend gestaltet (vgl. z. B. Curt. 3,5f.; 4,12,14–17).

Zum historischen Wert des Werkes Auch bei der Würdigung des historischen Wertes der Alexandergeschichte des Curtius ist gerade in der deutschen Forschung ein negatives Urteil abgegeben worden; Ausnahmen sind aber beispielsweise Schönfeld (1954), Rutz

XVIII

Einleitung

(1986) und Holzberg (1988). Verantwortlich für das negative Verdikt ist der rhetorische und romanhafte Charakter des Werkes. Auch Curtius’ Ausspruch: Equidem plura transcribo quam credo („ich meinerseits schreibe mehr ab als ich selbst glaube“: 9,1,34) hat zur Abwertung des historischen Gehalts der Historiae Alexandri Magni Macedonis wesentlich beigetragen. Zahlreiche Vorwürfe sind gegen Curtius erhoben worden. Für Kroll (1924) beispielsweise ist der Autor eine „Mittelmäßigkeit ohne individuelle Züge“, da er allzu stark von Kleitarchos abhänge. Er lasse das gesamte ausgezeichnete Quellenmaterial zu Alexander beiseite und halte sich allein an das schönfärberische (S. 331f.). Weiterhin wird Curtius von Kroll vorgeworfen, dass er „für militärische Dinge keinen Sinn habe“ (S. 337) und eher „durch psychische Sensationen“ (S. 331) unterhalte. Auch hält sich hartnäckig der Vorwurf, dass Curtius zahlreiche geographische und ethnographische (z. B. Curt. 3,1,13; 7,3,4; 9,7,14), chronologische und historische Unexaktheiten, Irrtümer sowie werkimmanente Widersprüche aufweise (mit Zusammenstellung einiger Beispiele Yardley – Heckel 22001, S. 14). Dennoch wird man seinem historischem Wert nicht gerecht, wenn man nur seine Fehler und Irrtümer auflistet. Es ist vielmehr zu fragen, ob alle Fehler von Curtius selbst stammen oder ob sie sich bereits in seinen Vorlagen befunden haben. Dann muss gefragt werden, welche Arbeitstechnik er für die Abfassung seines Werkes angewandt hat. Obiges Diktum (Curt. 9,1,34) muss deshalb Ausgangspunkt jeder Betrachtung und Bewertung des historischen Wertes unseres Schriftstellers sein. Curtius kann nur solche Informationen liefern, wie er sie in seinen Quellen vorfindet. Dazu tritt sein Bemühen, Anekdoten aus- und umzugestalten, und eine gewisse Tendenz zur Rhetorisierung. Zugegebenermaßen gibt es werkimmanente Widersprüche und Fehler, die sich aber häufig mit der Zusammenstellung verschiedener Quellen zu einer Episode erklären lassen oder auf seiner oben skizzierten Arbeitstechnik beruhen. So finden sich bei ihm – wie bei anderen Historikern auch – ebenso gehaltvolle wie schlechte Informationen. Um den Historiker Curtius gerecht zu würdigen, muss man wissen, dass er in erster Linie Kleitarchos zur Abfassung seines Werkes herangezogen hat (Bosworth 2003). Die Dominanz dieses griechischen Autors dürfte, soweit das aus den erhaltenen Fragmenten (FGrHist 137) ersichtlich ist, dazu geführt haben, dass Curtius romanhafte Übertreibungen in sein Werk hat einfließen lassen. Das schmälert aber keineswegs seinen historischen Wert, denn er zeigt bei seinen topographischen Beschreibungen große Akkuratesse. Es finden sich geradezu Meisterstücke seiner geographischen Darstellungskunst (z. B. Curt. 5,4,5–9; 7,4,26–31. 5,2–7). Auch beschreibt er (Curt. 9,9,9–26) Flut und Ebbe in der Indusmündung in einer Weise, dass Krause (1923) dies für „in der gesamten Literatur des Altertums vorher und nachher unerreicht“ (S. 231) hält. Krause weist nach, dass seine geographischen Daten zumeist sehr zuverlässig sind. Offensichtliche Irrtümer müssen dennoch eingestanden werden (dazu auch Rutz 1986, S. 2341–43; Bosworth

Zum historischen Wert des Werkes

XIX

2003, 176f.). Auch bei seinen ethnographischen Angaben bringt Curtius die gängigen Topoi der griechischen und lateinischen Historiographie, wie sich dies bei seiner Darstellung der Parther (Koschelenko – Bader – Gaibov 1998) und der Skythen (Moore 1995, S. 262–275; Ballesteros-Pastor 2003) zeigt. Seine Verwendung des Barbaren-Begriffes kann als der in der antiken Literatur übliche angesehen werden (Ndiaye 2005). Auch das spricht für den historischen Gehalt der Historiae Alexandri Magni Macedonis des Curtius Rufus. Was Curtius Rufus’ Äußerungen zu seiner Arbeitstechnik und seinem Umgang mit den Vorlagen anbelangt, so sind wir aufgrund des Verlustes der Bücher 1 und 2 auf die wenigen methodischen Aussagen innerhalb des überlieferten Textes angewiesen. So äußert er hierzu: nam nec adfirmare sustineo, de quibus dubito, nec subducere, quae accepi („Denn weder möchte ich als gesichert angeben, woran ich zweifle, noch fortlassen, was ich nur gehört habe“: Curt. 9,1,34), dann: Traditum magis quam creditum refero („Was ich jetzt erzähle, ist überliefert, ohne dass man es zu glauben braucht“: Curt. 10,10,12) und: Sed ut possit oratio eorum sperni, tamen fides nostra non debet; quae, utcumque sunt tradita, incorrupta perferemus („Doch mag man ihre Rede auch für gering halten; das gleiche gilt nicht von der Zuverlässigkeit meiner Darstellung. Das, wie auch immer es überliefert ist, werde ich unverfälscht berichten“: Curt. 7,8,11). Diese Aussagen sprechen für sich und für die Glaubwürdigkeit des Curtius Rufus, da er auch Informationen aus seinen Vorlagen übernimmt, denen er keinen Glauben schenkt. Weiter möchte er keine Angabe dazu machen, woran er Zweifel hegt, oder unterdrücken, was auf ihn gekommen ist. Das sind eindeutige Angaben zu seiner Arbeitstechnik, die er Herodot entlehnt hat. Auch dieser ließ seine sich häufig widersprechenden Logoi hinsichtlich ihres Wahrheitsgehaltes unkommentiert (dazu Baynham 1998, S. 86–90). Wie exakt Curtius seine Quellen verarbeitet hat, veranschaulicht Bosworth (2003, S. 181–186) anhand der Episode von der Ernennung des Vorstadtgärtners Abdalonymos von Sidon zum König durch Alexander (Curt. 4,1,19ff.). Er zeigt, dass der Historiker die Fakten der Erzählung analog zu den Parallelquellen gibt (Diod. 17,47; Iust. 11,10,8–9). Curtius’ Fassung sei aber ausführlicher und näher an den Vorlagen als Diodoros. Es lassen sich weitere Beispiele anführen, die die Alexandergeschichte des Curtius als wertvolle Quelle ausweisen. So bewahren seine langen und rhetorischen Reden viele wertvolle Details ihrer Vorlagen. Die lange Rede, die er Hermolaos in den Mund legt, weist dieselben Themen wie Arrian auf (Curt. 8,7; Arr. Anab. 4,12,2–3; dazu Rutz 1986, S. 2349). Des Weiteren liefert uns der Autor zahlreiche wertvolle Detailinformationen zu dem betreffenden Zeitabschnitt hellenistischer Geschichte. Gute Informationen gibt er über einzelne historische Persönlichkeiten, über ihre Herkunft, ihre Verwicklung in Verschwörungen usw. So berichtet allein Curtius beispielsweise über Parmenions Eroberung von Tarsos (Curt. 3,4,14–15), den Tod des Ariobarzanes

XX

Einleitung

(Curt. 5,4,34) oder auch die Verschwörung des Hegelochos (Curt. 6,11, 22–29). Dennoch muss Curtius’ Glaubwürdigkeit anhand anderer Quellen von Fall zu Fall überprüft werden, zumal viele Eigennamen in der handschriftlichen Überlieferung falsch sind. Es ist einzuräumen, dass Curtius seine griechischen Vorlagen nicht immer mit der notwendigen Sorgfalt verarbeitet hat (Hör-, Lese- oder Gedächtnisfehler) oder sein Werk möglicherweise nicht hat vollenden können (Schönfeld 1954, S. 803ff.). Interessant ist andererseits aber, dass er persische und indische Fachbegriffe zur Anwendung bringt (z. B. Curt. 3,3,19; 4,9,16; 9,1,5). Auch sprechen die von ihm gelieferten Nachrichten über Ernennungen oder Einsetzungen im Militär oder in eine Satrapie für den historischen Wert des Curtius Rufus (z. B. Curt. 4,5,9; 5,2,5). Curtius’ Charakteristik des Alexander ist nicht grundlegend verschieden von der der „Vulgata“-Tradition oder von der des Arrian. Insgesamt liefert er eine Fülle wichtiger historischer Informationen zur Person Alexanders d. Gr. Vor allem seine ‘römische’ Interpretation des Alexanderzuges verdient Beachtung. Die Darstellung der Ereignisse in Babylon nach dem Tod Alexanders ist bedeutsam, weil sie die vollständigste Fassung darstellt, die auf uns gekommen ist. Die dabei vorgenommene Parallelisierung mit der römischen Zeitgeschichte erweist Curtius als durchaus eigenständigen Historiker.

Fazit Diese zweisprachige Ausgabe soll einen Beitrag dazu leisten, die Eigenständigkeit des Schriftstellers Curtius Rufus hervorzuheben und seinen Qualitäten als Historiker gerecht zu werden. Sicherlich gehört Curtius Rufus nicht mehr zu den Autoren der ‘Goldenen Latinität’ wie Cicero oder Caesar. Auch die Stilhöhe eines Seneca d. J. oder eines Tacitus erreicht er nicht. Dennoch ist er ein flüssig lesbarer Autor, der drei Viertel seines Wortschatzes mit Livius gemein hat. Letzterem folgt er auch in Syntax, Phraseologie und rhetorischer Technik. Abstraktionen und Archaismen, wie sie z. B. Sallust zur Anwendung bringt, vermeidet er weitgehend. Er ist ein Meister bildhafter Ausdrücke und epischer Dichtersprache nach dem Vorbild Homers und Vergils. Insgesamt jedoch entfernt sich Curtius Rufus in Sprache und Stil von den Klassikern nicht weiter als Livius (Vogel – Weinhold 41903, S. 170ff., 215ff.). Seine psychologisierenden Gedankengänge und moralisierenden Wendungen stellen Ansprüche an seine Leser. Es bleibt für diese Ausgabe zu hoffen, was bereits Schönfeld (1954, S. 821) für seine Curtiusausgabe formuliert hat, dass sie „zu stärkerer Beachtung eines zweifellos spannenden Erzählers und besonnenen Deuters menschlichen Wesens anrege.“

Vermutlicher Inhalt der verlorenen Bücher 1–2 [Der folgenden Übersicht über die verlorenen und erhaltenen Bücher liegt die entsprechende Inhaltsübersicht von Vogel – Weinhold (Leipzig 41903–31906, S. 9–20, hier: 9–14) zugrunde.] Geschehnisse

Diod. Iustin Plut. 17 Alex. 11

(Sommer 356) Alexander wird als Sohn Philipps II. und der Olympias am 20. Juli geboren. Er wird von Lysimachos, Leonidas und dem berühmten Philosophen Aristoteles erzogen.

Arr. Anab. 1–2





3–8



2

1

11

1,1

5

10,3





2

11,2





3f.

2f.

(14)



(Herbst 336) Nach der Ermordung seines Vaters erlangt Alexander den Thron von Makedonien im Alter von 21 Jahren (Curt. 4,1,12; 7,1,6; 10,2,24 et al.). Dareios Kodomannos, Sohn des Arsamenes, ein Großneffe Königs Artaxerxes II. Mnemon, wird nach der Ermordung des persischen Großkönigs Xerxes III. neuer Herrscher von Persien (Curt. 6,3,12. 4,10). Alexander übt Rache an den Mördern seines Vaters (Curt. 4,7,27; 7,1,3). Er erscheint in Thessalien mit großem Heeresaufgebot und erklärt sich in Korinth zum Oberbefehlshaber (hegemon) gegen die Perser. Daraufhin kehrt er nach Makedonien zurück (Curt. 6,3,2).

2

Inhaltliche Übersicht

Diod. Iustin Plut. Alex. 17 11

Arr. Anab. 1–2

(11)

1,1–6

(Frühling 335) Alexander beginnt Feldzüge gegen die Stämme der Thraker, Paionier und Illyrer.

8



(Herbst 335) Durch und nach der Zerstörung Thebens 9–15 (das Haus des berühmten Dichters Pindar bleibt verschont) kann jener die antimakedonische Bewegung ausschalten und zum Beherrscher Griechenlands werden (Curt. 6,3,2; 8,1,33). Parmenion, der von Philipp II. bereits 337 5–7 nach Kleinasien zu einem „Kreuzzug gegen die Perser“ vorausgeschickt wurde, wird in der Troas von dem direkt dem persischen Großkönig unterstellten Feldherrn Memnon schwer bedrängt. Der Begleiter Parmenions, Attalos, wird auf Alexanders Befehl ermordet (Curt. 7,1,3; 8,1,42 et al.).

3f.

11–13 1,7–11

9,5





11,5

15

1,11f.

6

16

1,13–17



17

1,17–23

(Frühling 334) Alexander beginnt seinen Feldzug gegen das 16–18 persische Großreich, indem er nach einem Kriegszug nach Thrakien den Hellespont überschreitet. Am Grab des trojanischen Helden Achill opfert Alexander zum Signal seines folgenden Feldzuges (Curt. 6,3,2; 9,2,24 et al.). Daraufhin überschreitet er 19–21 den Fluss Granikos und erlangt seinen ersten Sieg über die Perser in der Troas (Curt. 4,9,22; 8,1,20 et al.). Der Makedone befreit dann die kleinasiati- 21–27 schen Städte Sardeis, Milet und Halikarnassos von der persischen Vorherrschaft (Curt. 3,12,6; 5,2,5; 6,3,3).

Buch 3

3

Diod. Iustin Plut. 17 Alex. 11 (Winter 334) Alexander durchzieht Karien, Lydien und Pamphylien mit dem Ergebnis zahlreicher Siege (Curt. 5,3,22; 6,3,3; 6,3,16). Während der Belagerung von Mytilene stirbt Dareios’ wichtiger Feldherr Memnon, der im Begriff ist, den Krieg von Kleinasien nach Griechenland zu verlagern. (Curt. 3,1,21)

Arr. Anab. 1–2

27f.



18

1,24–27

29



18

2,1f.

Inhalt der erhaltenen Bücher 3–6 Buch 3 Geschehnisse

Curt. 3

Diod. Iustin Plut. 17 Alex. 11

(Frühling 333) Alexander zieht über Kelainai 1,1–18. nordwärts nach Gordion, wo sich 22–24 bereits die gesamte makedonische Streitmacht eingefunden und zusammengeschlossen hat. Hierauf rückt Alexander über Ankyra in Kappadokien ein. Alexander gibt Maßregeln für die 1,19–21 Verteidigung Kleinsasiens und Griechenlands aus. 2 Dareios selbst übernimmt den Oberbefehl über seine Truppen und veranstaltet eine Heerschau in Babylon. Er führt dabei eine Unterhaltung mit Charidemos. 3 Der Perserkönig wird von seltsamen Träumen beunruhigt. Mögli-

Arr. Anab. 1–2



7

18

1,29; 2,3f.

31







30 (31)



(18)

(2,6)

(30)



18



4

Inhaltliche Übersicht

Curt. 3

cherweise bricht er in Richtung Euphrat auf. Die persischen Kerntruppen begleiten ihn. Alexander gelangt durch die „Kilikischen Pässe“ nach Kilikien. Es folgt eine umfassende Beschreibung des Landes.

4

Diod. Iustin Plut. Alex. 17 11



Arr. Anab. 1–2

8

(19)

2,4

8

19

2,4

(8)

20

2,5f.





(1,25?)



20

2,7f.

9

20

2,9–11

9f.

21

2,12f.

(10)



(2,15)

(Herbst 333) Der Makedone nimmt ein Bad im 5f. 31 Fluss Kydnos und erkrankt. Sein Leibarzt Philippos rettet ihn. Dareios nähert sich den Grenzen 7,1–10 31f. Kilikiens, während Alexander ostwärts bis Issos vorrückt. Alexander lässt den vermeintli- 7,11–15 — chen Verräter Sisenes töten. 8 Der Perserkönig rückt gegen den (32) Rat seiner griechischen Söldner durch die „Amanischen Pässe“ in Kilikien ein. Die beiden Heere nähern sich einander in der Gegend von Issos. 9–11 Ausführliche Schilderung der 33–36 Schlacht bei Issos. 12 Alexander verhält sich anständig 37f. gegenüber den gefangenen persischen Frauen. Daraufhin bricht man nach Syrien auf. 13 — Durch Alexanders General Parmenion wird Damaskos eingenommen.

Buch 4

5

Buch 4 Curt. 4

Dareios flieht an den Euphrat. Alexander empfängt in Marathos einen Brief mit Dareios’ Friedensvorschlägen, die er jedoch zurückweist. Alexander ernennt Abdalonymos zum König von Sidon. Der Überläufer Amyntas stirbt in Unterägypten. Die Reste des persischen Heeres werden in Lydien aufgerieben; die persische Flotte wird vernichtend geschlagen. Im Schatten des großen Krieges führt der spartanische König Agis III. einen Feldzug gegen Antipatros.

Diod. Iustin Plut. 17 Alex. 11

Arr. Anab. 2–3

1,1–3 1,4–14

37 —

12 12

13 24

— 2,14

1,15–26

(47)

10



(2,15)

1,27–33

48





2,13

1,34–37







(2,13)

1,38–40

48

(12,1)



2,13

40–46 11,10

24f.

2,18–24

(Juli/August 332) Einnahme von Tyros nach siebenmonatiger Belagerung. Der Perserkönig macht Alexander erneut Friedensvorschläge. Dieser weist sie abermals zurück. Alexander gestaltet die Verhältnisse in Kleinasien und auf den Inseln der Ägäis neu. Dareios rüstet für einen neuen Feldzug gegen Alexander. Alexander nimmt Gaza nach zweimonatiger Belagerung ein. Die Makedonen ziehen in Ägypten ein.

2–4 5,1–8

39

(12?)



2,25

5,9–22







3,2

6,1–6

39





2,25

6,7–31

48



25

2,25–27

7,1–5

49

11



3,1

6

Inhaltliche Übersicht

Curt. 4

Diod. Iustin Plut. Alex. 17 11

7,6–32

49–51

11

26f.

3,3f.

8,1–6

52



26

3,1

8,7–16

52





3,6

9,1–10

53



(31)

3,7f.

Alexander setzt dem Perserkönig 9,11–25 in Eilmärschen nach. Dabei überquert er auch den Euphrat und Tigris.

55





3,6f.





31

3,7

— (54)

— 12

(31) 30

3,7f. (4,20)

54

12

29



55





3,8. 11

(Winter 332) Dort besucht Alexander das Heiligtum des Zeus Ammon.

Arr. Anab. 2–3

(Frühling 331) Der Makedonenherrscher gründet die Stadt Alexandreia. Noch im Frühjahr kehrt er nach Tyros zurück. Dareios zieht von Babylon aus mit seiner Streitmacht nordostwärts in die Nähe von Arbela (jenseits des Tigris). (Sommer 331)

(20./21. September 331) Eine Mondfinsternis hat auf die 10,1–7 makedonischen Truppen eine nachhaltige Wirkung. 10,8–17 Alexander nähert sich Arbela. Die Gemahlin des Dareios stirbt. 10,18–34 Die Wirkung dieser Nachricht auf Dareios. 11 Dareios unterbreitet Alexander ein nochmaliges Friedensangebot, das er abermals ablehnt. Beschreibung der Schlachtauf- 12,1–13 stellung der Perser.

Buch 5

Curt. 4

Beide Heere bewegen sich aufeinander zu. Die Makedonen halten einen Kriegsrat ab. Beschreibung der Schlachtaufstellung der Makedonen. Alexander ermuntert seine Soldaten durch eine Rede. Dareios richtet ebenfalls eine an seine Truppen.

7

Diod. Iustin Plut. 17 Alex. 11

Arr. Anab. 2–3

12,14–24







3,8. 11

13,1–25



13

31f.

3,9f.

13,26–38

57





3,11f.

14,1–7

(56)

13

33

(3,9)

14,8–26









15f.

58–61

14

33

3,13–15

(1. Oktober 331) Die Schlacht bei Arbela (bei Gaugamela).

Buch 5 Curt. 5

Dareios flieht von Arbela in das 1,1–9 Innere Mediens. Alexander zieht nach der Ein- 1,10–24 nahme von Arbela nach Babylon, dessen Stadttore der Verräter Mazaios öffnet. Es folgt eine umfassende Be- 1,25–35 schreibung der Stadt.

Diod. Iustin Plut. Arr. Alex. Anab. 3 11 17 64





16

64





16









64

(14)

35

16

(Winter 331) Während des dortigen einmonati- 1,36–39 gen Aufenthalts verwildert das makedonische Heer zusehends, und seine Moral sinkt.

8

Inhaltliche Übersicht

Curt. 5

Die angeforderten Verstärkungen 1,40–45 aus Makedonien treffen in Babylon ein. Die Satrapie Babylon wird neu geordnet. 2,1 Alexander zieht südwärts durch Sittakene. Man organisiert militärische 2,2–7 Wettkämpfe und Einrichtungen. Alexander rückt mit seinem Heer 2,8–17 in Susa ein. Der Makedone trifft sich mit der 2,18–22 Mutter Dareios’ III. Alexander dringt in das Gebiet 3,1–15 der Uxier ein, wobei er die Bergfestung des Medates einnimmt. Dann begnadigt er die Gefangenen auf Bitte der Sisygambis. Alexander versucht vergeblich, 3,16–23 durch die „Susischen Pässe“ zu dringen. 4 Alexander forciert den Durchgang durch die Pässe. Alexander zieht mit seinen Trup- 5,1–4 pen weiter nach Persepolis. Der Makedonenherrscher erfüllt 5,5–24 die Wünsche der verstümmelten griechischen Gefangenen. Alexander nimmt Persepolis ein 6,1–10 und lässt die Stadt plündern. Außerdem wird der Schatz von Parsagadai beschlagnahmt.

Diod. Iustin Plut. Arr. Alex. Anab. 3 17 11 64f.



35

16

65







65





(16?)

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(Frühling 330) Alexander unternimmt eine Ex- 6,11–20 pedition gegen die persischen Bergvölker (die Marder).

Buch 5

Curt. 5

Einäscherung der Königsburg 7,1–11 von Persepolis. 7,12 Die Makedonen marschieren weiter nordwärts in Richtung Medien. Dareios fasst den Beschluss, in 8,1–5 Medien auf den makedonischen Feind zu warten. Der Perserkönig hält eine An- 8,6–17 feuerungsrede an seine Leute. 9f. Die Verräter Bessos und Nabarzanes raten Dareios, sich nach Baktrien zurückzuziehen. Der persische Kriegsrat diskutiert darüber heftig. 11 Der Grieche Patron bittet den Perserkönig, sich unter den Schutz der griechischen Söldner zu stellen. Jener lehnt das allerdings entschieden ab. 12 Dareios wird von seinen Verrätern während der Nacht gefangen genommen und in Richtung der Landschaft Baktrien gebracht. Alexander setzt den Fliehenden 13,1–22 von Ekbatana aus nach, holt sie ein und schlägt sie.

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Diod. Iustin Plut. Arr. Alex. Anab. 3 11 17 72



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21f.

(Hochsommer 330) Der Wagen des Dareios wird 13,23–25 gefunden. (Möglicherweise wird der Perserkönig nach seinem Tod von Alexander beigesetzt [vgl. die Inhaltsangabe von Freinsheim 1640 mit Rekonstruktion des fehlenden Buchendes]).

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Inhaltliche Übersicht

Buch 6 Curt. 6

Antipatros, Statthalter Makedoniens und Griechenlands, siegt über die Lakedaimonier bei Megalopolis (330). Agis III. stirbt. Alexander ergibt sich der Schwelgerei. Es gibt erste negative Regungen im makedonischen Heer. Die persischen Gefangenen werden von Alexander gut behandelt. Alexander rückt nach Parthyene vor. Bei Hekatompylos bricht im Heer Unmut aus. Alexander hält eine Ansprache an seine Soldaten. Das makedonische Heer zieht in Hyrkanien ein. Nabarzanes unterhandelt schriftlich mit Alexander. Beschreibung Hyrkaniens und des Kaspischen Meeres. Unterwerfung Hyrkaniens durch Alexander. Artabazos wird von Alexander wegen seiner Treue ihm gegenüber ehrenvoll behandelt; die griechischen Söldner gehen von den Persern zu den Makedonen über. Schilderung der Unterwerfung der Marder; Alexanders Pferd Bukephalas wird geraubt. Alexander kehrt ins Lager zurück, wo Nabarzanes erscheint.

Arr. Diod. Iustin Plut. Alex. Anab. 3 17 12

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5,11–21

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23. 24

Buch 6

Curt. 6

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Diod. Iustin Plut. Arr. 17 Alex. Anab. 3 12 77

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48f.

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Zusammentreffen Alexanders 5,24–32 mit der Amazone Thalestris; Rückkehr nach Parthyene. Alexander übernimmt Teile 6,1–12 orientalischer Herrschergepflogenheiten. Die Makedonen reagieren darauf mit Unwillen. 6,13 Bessos nimmt (als Artaxerxes III.) den persischen Thron ein. Die Makedonen verbrennen ihr 6,14–17 Gepäck. Alexander verfolgt den abtrünni- 6,18–34 gen Satrapen Satibarzanes nach Ariane. Dabei erobert er eine arische Festung und die Stadt Artakoana. (Herbst 330) Hierauf rückt Alexander in das Gebiet von Drangiane ein. Verschwörung des Philotas, Verurteilung und Steinigung der an der Verschwörung Beteiligten.

Q. CURTII RUFI HISTORIAE ALEXANDRI MAGNI MACEDONIS (LIBRI III–VI) Q. CURTIUS RUFUS GESCHICHTE ALEXANDERS DES GROSSEN (BÜCHER 3–6)

LIBER III 1 (1) Inter haec Alexander ad conducendum ex Peloponneso militem Cleandro cum pecunia misso Lyciae Pamphyliaeque rebus compositis ad urbem Celaenas exercitum admovit. (2) Media illa tempestate moenia interfluebat Marsyas amnis fabulosis Graecorum carminibus inclitus. (3) Fons eius ex summo montis cacumine excurrens in subiectam petram magno strepitu aquarum cadit; inde diffusus circumiectos rigat campos liquidus et suas dumtaxat undas trahens. (4) Itaque color eius placido mari similis locum poetarum mendacio fecit: quippe traditum est nymphas amore amnis retentas in illa rupe considere. (5) Ceterum quamdiu intra muros fluit nomen suum retinet; at cum extra munimenta se evolvit, maiore vi ac mole agentem undas Lycum appellant. (6) Alexander quidem urbem destitutam ab suis intrat, arcem vero, in quam confugerant, oppugnare adortus caduceatorem praemisit qui denuntiaret, ni dederent, ipsos ultima esse passuros. (7) Illi caduceatorem in turrem et situ et opere multum editam perductum, quanta esset altitudo intueri iubent ac nuntiare Alexandro non eadem ipsum et incolas aestimatione munimenta metiri: se sciret inexpugnabiles esse ad ultimum pro fide morituros. (8) Ceterum ut circumsederi arcem et omnia sibi in dies artiora esse viderunt sexaginta dierum indutias pacti ut, nisi intra eos auxilium Dareus ipse misisset, dederent urbem, postquam nihil inde praesidii mittebatur, ad praestitutam diem permisere se regi. (9) Superveniunt deinde legati Atheniensium petentes ut capti apud Granicum amnem redderentur sibi. Ille non hos modo sed etiam

BUCH 3 1 (1) Währenddessen1 hatte Alexander Kleandros2 mit Geld weggeschickt, um aus der Peloponnes Truppen anzuwerben, ordnete nun die Verhältnisse in Lykien und Pamphylien und führte sein Heer zu der Stadt Kelainai3. (2) Mitten durch die Stadt floss zu jener Zeit der Fluss Marsyas, berühmt durch die Sagendichtung der Griechen4. (3) Seine Quelle entspringt auf dem höchsten Gipfel eines Berges und stürzt mit lautem Wassergetöse auf den Felsen darunter; von da breitet er sich aus und bewässert die umliegenden Felder; er ist klar und führt nur sein eigenes Wasser mit sich fort. (4) Daher gab seine dem ruhigen Meer ähnliche Färbung der Fabulierkunst der Dichter Raum: Man erzählte nämlich, die Nymphen, von Liebe zu dem Strom gefesselt, ließen sich auf jenem Felsen nieder. (5) Übrigens behält er seinen Namen, so lange er innerhalb der Stadtmauern fließt; wenn er sich dagegen aus den Befestigungswerken hinausgewunden hat, wo er mit stärkerer Strömung dahinströmt, nennt man ihn Lykos. (6) Alexander zog in die von ihren Bewohnern verlassene Stadt ein, die Burg aber, in die sie geflohen waren, begann er zu belagern. Vorher schickte er jedoch einen Herold mit der Nachricht, wenn sie sie nicht ergäben, sollten sie das Äußerste erleiden. (7) Jene führten den Herold auf einen sowohl durch seine Lage als auch seine Mauern hoch emporragenden Turm und ließen ihn hinabschauen, was das für eine Höhe sei, und Alexander ausrichten: Er und die Bewohner der Burg schätzten die Befestigungswerke nicht nach gleichem Maßstab. Er solle wissen, dass sie unüberwindlich seien; im äußersten Fall wollten sie ihrer Pflicht getreu sterben. (8) Als sie aber sahen, dass die Burg ringsum eingeschlossen war und alles für sie von Tag zu Tag knapper wurde, schlossen sie einen Waffenstillstand auf 60 Tage mit der Vereinbarung, die Stadt zu übergeben, wenn Dareios selbst ihnen keine Hilfe gesandt hätte. Nachdem von dort keine Verstärkung erschien, stellten sie sich zur festgesetzten Frist dem König zur Verfügung. (9) Dann kamen Gesandte der Athener zu ihm mit der Bitte, ihnen die am Granikos gemachten Gefangenen zurückzugeben. Er erwi-

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Q. Curtius Rufus

ceteros Graecos restitui suis iussurum respondit finito Persico bello. (10) Ceterum Dareo imminens, quem nondum Euphraten superasse cognoverat, undique omnes copias contrahit totis viribus tanti belli discrimen aditurus. (11) Phrygia erat, per quam ducebatur exercitus. Pluribus vicis quam urbibus frequens tunc habebat nobilem quondam Midae regiam. (12) Gordium nomen est urbi, quam Sangarius amnis praeterfluit, pari intervallo Pontico et Cilicio mari distantem. (13) Inter haec maria angustissimum Asiae spatium esse comperimus, utroque in artas fauces compellente terram. Quae quia continenti adhaeret, sed magna ex parte cingitur fluctibus, speciem insulae praebet, ac nisi tenue discrimen obiceret, quae nunc dividit maria committeret. (14) Alexander urbe in dicionem suam redacta Iovis templum intrat. Vehiculum quo Gordium, Midae patrem, vectum esse constabat, aspexit, cultu haud sane a vilioribus vulgatisque usu abhorrens. (15) Notabile erat iugum adstrictum compluribus nodis in semetipsos implicatis et celantibus nexus. (16) Incolis deinde adfirmantibus editam esse oraculo sortem, Asiae potiturum qui inexplicabile vinculum solvisset, cupido incessit animo sortis eius explendae. (17) Circa regem erat et Phrygum turba et Macedonum illa expectatione suspensa, haec sollicita ex temeraria regis fiducia: quippe serie vinculorum ita adstricta ut unde nexus inciperet quove se conderet nec ratione nec visu perspici posset, solvere adgressus iniecerat curam ei ne in omen verteretur inritum inceptum. (18) Ille nequaquam diu luctatus cum latentibus nodis ‘Nihil’ inquit ‘interest quomodo solvantur’, gladioque ruptis omnibus loris oraculi sortem vel elusit vel implevit. (19) Cum deinde Dareum ubicumque esset occupare statuisset, ut a tergo tuta relinqueret, Amphoterum

Geschichte Alexanders des Großen 3,1,9–3,1,19

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derte, nicht nur diese, sondern auch die übrigen Griechen werde er ihren Angehörigen zurückgeben, sobald der Krieg gegen die Perser beendet sei5. (10) Nun aber wandte er sich drohend gegen Dareios, der, wie er erfahren hatte, noch nicht den Euphrat überschritten hatte, und zog von überall her sämtliche Truppen zusammen, um mit seiner ganzen Macht an die Entscheidung dieses gewaltigen Krieges zu gehen. (11) Phrygien6 war das Land, durch das das Heer marschierte, reicher an Dörfern als an Städten. Damals befand sich dort die einstmals berühmte Residenz des Midas. (12) Gordion heißt die Stadt, die der Sangarios durchströmt; sie ist gleich weit vom Schwarzen wie vom Kilikischen Meer entfernt7. (13) Wie ich in Erfahrung gebracht habe, ist das die Strecke, wo Kleinasien zwischen diesen Meeren am schmalsten ist, indem beide das Land wie in einem engen Hals zusammendrängen; und weil es, gleichsam mit dem Festland zusammenhängend, großenteils von den Fluten umschlossen ist, sieht es aus wie eine Insel und ließe ohne die dünne Scheidewand, die es ihnen entgegenstellt, die Meere zusammenfließen, die es jetzt trennt. (14) Nachdem Alexander die Stadt unterworfen hatte, trat er in den Tempel des Zeus8. Dort sah er den Wagen, auf dem der Sage nach Gordios, der Vater des Midas, gefahren war, und der in seiner Ausstattung von den geringeren und gewöhnlich gebrauchten Wagen nicht grundlegend verschieden war. (15) Bemerkenswert war das Joch, das durch mehrere ineinander verschlungene Knoten angebunden war, deren Verknüpfung sich nicht wahrnehmen ließ. (16) Als ihm daraufhin die Einwohner versicherten, es gebe einen Orakelspruch, dass derjenige Herr Asiens werde, der die unentwirrbaren Bänder löse, ergriff ihn die Begierde, diesen Spruch zu erfüllen.9 (17) Rings um den König befand sich eine Schar von Phrygiern wie auch von Makedonen, jene in spannungsvoller Erwartung, diese in Sorge wegen der kühnen Zuversicht des Königs: Denn da die Lagen des Bandes in der Art gebunden waren, dass man weder erraten noch mit dem Blick wahrnehmen konnte, wo die Verschlingung beginne oder ende, hatte er sie, als er sich an die Lösung machte, mit der Sorge erfüllt, sein vergebliches Bemühen könne als Vorzeichen gedeutet werden. (18) Er jedoch mühte sich gar nicht mit den versteckten Verknotungen ab, sondern rief: „Es kommt auf eines heraus, wie man sie löst!“, durchhieb alle Riemen mit dem Schwert und machte den Orakelspruch zunichte oder, wenn so man will, erfüllte ihn. (19) Da er hierauf beschlossen hatte, Dareios, wo immer er wäre, anzugreifen, setzte er, um sich den

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Q. Curtius Rufus

classi ad oram Hellesponti, copiis autem praefecit Hegelochum, Lesbum et Chium Coumque praesidiis hostium liberaturos. (20) His talenta ad belli usum quingenta attributa; ad Antipatrum et eos qui Graecas urbes tuebantur DC missa; ex foedere naves sociis imperatae quae Hellesponto praesiderent. (21) Nondum enim Memnonem vita excessisse cognoverat, in quem omnes intenderat curas, satis gnarus cuncta in expedito fore si nihil ab eo moveretur. (22) Iamque ad urbem Ancyram ventum erat ubi numero copiarum inito Paphlagoniam intrat. Huic iuncti erant Heneti, unde quidam Venetos trahere originem credunt. (23) Omnis haec regio paruit regi datisque obsidibus tributum quod ne Persis quidem tulissent, pendere ne cogerentur impetraverunt. (24) Calas huic regioni praepositus est; ipse, adsumptis qui ex Macedonia nuper advenerant, Cappadociam petiit. 2 (1) At Dareus nuntiata Memnonis morte haud secus quam par erat motus, omissa omni alia spe statuit ipse decernere: quippe quae per duces suos acta erant cuncta damnabat, ratus pluribus curam, omnibus afuisse fortunam. (2) Igitur castris ad Babyloniam positis, quo maiore animo capesserent bellum, universas vires in conspectum dedit et circumdato vallo quod decem milium armatorum multitudinem caperet, Xerxis exemplo numerum copiarum iniit. (3) Orto sole ad noctem agmina sicut discripta erant intravere vallum; inde emissa occupaverant Mesopotamiae campos, equitum peditumque propemodum innumerabilis turba, maiorem quam pro numero speciem ferens. (4) Persarum erant centum milia, in quis eques XXX implebat. Medi decem ‹milia› equitum quinquaginta peditum habebant. (5) Barcanorum equitum duo milia fuere, armati bipennibus levibusque scutis maxime cetrae speciem reddentibus; peditum decem milia [equitum] pari armatu sequebantur. (6) Armenii quadraginta ‹milia› miserant peditum, additis septem milibus equi-

Geschichte Alexanders des Großen 3,1,19–3,2,6

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Rücken gesichert zu halten, Amphoteros über die Flotte an der Küste des Hellespont, über die Truppen aber Hegelochos10 ein und beauftragte sie, Lesbos, Chios und Kos von den feindlichen Besatzungen zu befreien. (20) Für die Kriegserfordernisse wies er ihnen 500 Talente11 zu: An Antipatros12 und diejenigen, die den griechischen Städten voranstanden, schickte er 600; den Bundesgenossen wurde aufgetragen, vertragsgemäß die Schiffe zu stellen, die den Hellespont beschützen sollten. (21) Denn er wusste noch nicht, dass Memnon13 gestorben war; auf ihn hielt er daher alle seine Sorge gerichtet. Denn er wusste genau, dass alles ohne Schwierigkeit sein werde, wenn dieser nichts unternehme. (22) Schon war man bis zur Stadt Ankyra14 gekommen, wo er nach einer Zählung seiner Truppen Paphlagonien betrat. In der Nähe waren einst die Wohnsitze der Heneter15, von denen, wie manche glauben, die Veneter abstammen. (23) Diese ganze Landschaft ergab sich dem König, und durch Stellung von Geiseln erreichten sie es, keine Tribute zahlen zu müssen, da sie auch den Persern keine zu bezahlen brauchten. (24) Zum Statthalter dieser Gegend machte er Kalas16; er selbst zog nach Kappadokien, durch die vor kurzem aus Makedonien Angekommenen verstärkt. 2 (1) Aber Dareios, den die Nachricht vom Tod des Memnon17, wie ganz natürlich, sehr erschüttert hatte, gab jede andere Hoffnung auf und beschloss, selbst den Entscheidungskampf herbeizuführen: Denn alles, was durch seine Heerführer durchgeführt worden war, verwarf er und meinte, der Mehrzahl von ihnen habe es an Sorgfalt, allen an Glück gefehlt. (2) Nachdem er also bei Babylon ein Lager aufgeschlagen hatte, stellte er seine gesamte Streitmacht zur Schau, damit man den Krieg umso mutiger beginne, und führte nach Xerxes’ Vorbild18 mit Hilfe einer Umwallung, die eine Menge von 10 000 Bewaffneten fasste, eine Truppenzählung durch. (3) Von Sonnenaufgang bis zur Nacht zogen die Scharen in der eingeteilten Reihenfolge in die Umwallung. Daraus entlassen, lagerten sie auf den Feldern Mesopotamiens, eine beinahe unzählbare Masse zu Pferd und zu Fuß, dem Anschein nach noch größer, als sie in Wirklichkeit war. (4) Es waren 100 000 Perser, darunter volle 30 000 Reiter. Die Meder19 hatten 10 000 zu Pferd, 50 000 zu Fuß. (5) Barkanische20 Reiter waren es 2 000, mit Streitäxten und leichten, am meisten der „Cetra“21 ähnelnden Schilden bewaffnet; ihnen folgten 10 000 Fußsoldaten mit gleicher Bewaffnung wie die Reiter. (6) Die Armenier hatten 40 000 zu Fuß und 7 000 Reiter geschickt. Die

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Q. Curtius Rufus

tum. Hyrcani egregii, ut inter illas gentes, ‹equites› sex milia expleverant, additis equitibus mille Tapuris. (7) Derbices quadraginta peditum milia armaverant; pluribus aere aut ferro praefixae hastae quidam lignum igne duraverant. Hos quoque duo milia equitum ex eadem gente comitata sunt. (8) A Caspio mari octo milium pedester exercitus venerat, ducenti equites. Cum iis erant ignobiles aliae gentes: duo milia peditum, equitum duplicem paraverant numerum. (9) His copiis triginta milia Graecorum mercede conducta egregiae iuventutis adiecta. Nam Bactrianos et Sogdianos et Indos ceterosque Rubri maris accolas, ignota etiam ipsi gentium nomina, festinatio prohibebat acciri. (10) Nec quicquam illi minus quam multitudo militum defuit. Cuius tum universae aspectu admodum laetus, purpuratis solita vanitate spem eius inflantibus, conversus ad Charidemum Atheniensem belli peritum et ob exilium infestum Alexandro – quippe Athenis iubente eo fuerat expulsus – percontari coepit satisne ei videretur instructus ad obterendum hostem. (11) At ille et suae sortis et regiae superbiae oblitus ‘Verum’ inquit ‘et tu forsitan audire nolis et ego, nisi nunc dixero, alias nequiquam confitebor. (12) Hic tanti apparatus exercitus, haec tot gentium et totius Orientis excita sedibus suis moles finitimis potest esse terribilis: nitet purpura auroque, fulget armis et opulentia quantam, qui oculis non subiecere, animis concipere non possunt. (13) Sed Macedonum acies, torva sane et inculta, clipeis hastisque immobiles cuneos et conferta robora virorum tegit. Ipsi phalangem vocant peditum stabile agmen: vir viro, armis arma conserta sunt. Ad nutum monentis intenti sequi signa, ordines servare didicerunt. (14) Quod imperatur omnes exaudiunt: obsistere, circumire, discurrere in cornu, mutare pugnam non

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Hyrkaner hatten volle 6 000 Mann aufgestellt, nach dem Maßstab jener Völkerschaften vortreffliche Reiter, dann kamen 1 000 tapurische Reiter. (7) Die Derbiker hatten 40 000 zu Fuß bewaffnet, von denen die Mehrzahl Lanzen mit bronzener oder eiserner Spitze trug; manche hatten den Schaft nur im Feuer gehärtet. Auch ihnen folgten 2 000 Reiter von gleichem Stamm. (8) Vom Kaspischen Meer war ein Heer von 8 000 Fußsoldaten gekommen, dazu 200 Reiter. Auf sie folgten andere wenig bekannte Völkerschaften, die 2 000 zu Fuß und die doppelte Anzahl von Reitern gerüstet hatten. (9) Zu diesen Truppen kamen noch 30 000 griechische Söldner, ausgezeichnete Soldaten: Denn die Baktrianer, Sogdianer, Inder und die übrigen Anwohner des Roten Meeres22, Völkerschaften, deren Namen sogar dem König selbst unbekannt waren, herbeizurufen, hatte die Eile des Aufgebots verhindert. (10) Und so fehlte es ihm an nichts weniger als an der Truppenmenge. Er war über den Anblick dieser Truppe hocherfreut und wurde durch die gewöhnliche Heuchlerei seiner Würdenträger in seinen Hoffnungen noch bestärkt. So wandte er sich an den Athener Charidemos23, der ein kriegskundiger Mann und Alexander wegen seiner Verbannung feindlich gesinnt war, da man ihn auf dessen Befehl aus Athen vertrieben hatte. Er begann ihn zu fragen, ob er ihm ausreichend gerüstet scheine, den Feind zu zermalmen. (11) Doch jener vergaß seine Lage und den hochfahrenden Stolz der Könige und erwiderte: „Die Wahrheit wirst du vielleicht nicht hören wollen, und wenn ich sie jetzt nicht sage, werde ich sie ein anderes Mal vergeblich aussprechen. (12) Dieses hochgerüstete Heer, diese Masse unzähliger, aus dem ganzen Orient aufgebotener Völkerschaften kann wohl bei deinen Nachbarn Furcht erregen; sie glänzt in Purpur und Gold und strahlt in Waffen und einem Reichtum, von dem sich keine Vorstellung machen kann, wer ihn nicht mit eigenen Augen gesehen hat. (13) Die makedonische Schlachtreihe dagegen, von ziemlich wilder und schmuckloser Erscheinung, deckt mit ihren Schilden und Lanzen unerschütterliche Kolonnen und dicht gedrängte Kerntruppen. Sie selbst nennen es Phalanx, eine standfeste Schar von Fußvolk: Mann schließt sich an Mann, Waffe an Waffe; (14) auf das Handzeichen ihres Befehlshabers sind sie gerichtet, geschult, den Feldzeichen zu folgen und dabei Reih und Glied zu halten. Alle führen das aus, was ihnen befohlen wird. Widerstand zu leisten, zu schwenken, nach den Flügeln zu marschieren, die Kampfart zu verändern, ver-

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duces magis quam milites callent. (15) Ac ne auri argentique studio teneri putes, adhuc illa disciplina paupertate magistra stetit: fatigatis humus cubile est; cibus quem occupant satiat; tempora somni artiora quam noctis sunt. (16) Iam Thessali equites et Acarnanes Aetolique, invicta bello manus, fundis, credo, et hastis igne duratis repellentur! Pari robore opus est. In illa terra quae hos genuit auxilia quaerenda sunt: argentum istud atque aurum ad conducendum militem mitte.’ (17) Erat Dareo mite ac tractabile ingenium, nisi etiam naturam plerumque fortuna corrumperet. Itaque veritatis impatiens hospitem ac supplicem tunc cum maxime utilia suadentem abstrahi iussit ad capitale supplicium. (18) Ille ne tum quidem libertatis oblitus ‘Habeo’ inquit ‘paratum mortis meae ultorem: expetet poenas consilii mei spreti is ipse contra quem tibi suasi. Tu quidem licentia regni tam subito mutatus documentum eris posteris homines, cum se permisere fortunae, etiam naturam dediscere.’ (19) Haec vociferantem quibus imperatum erat iugulant. Sera deinde paenitentia subiit regem, ac vera dixisse confessus sepeliri eum iussit. 3 (1) Thymodes erat Mentoris filius, impiger iuvenis; cui praeceptum est a rege ut omnes peregrinos milites, in quis plurimum habebat spei, a Pharnabazo acciperet, opera eorum usurus in bello. Ipsi Pharnabazo tradit imperium quod antea Memnoni dederat. (2) Anxium [de] instantibus curis agitabant etiam per somnum species imminentium rerum, sive illas aegritudo sive divinatio animi praesagientis accersit. (3) Castra Alexandri magno ignis fulgore conlucere ei visa sunt et paulo post Alexander adduci ad ipsum in eo vestis habitu, quo ipse ‹quondam› fuisset, equo deinde per Babyloniam vectus subito cum ipso equo oculis esse subductus. (4) Ad haec vates varia interpretatione curam distrinxerant. Alii laetum id regi

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stehen die Soldaten ebenso gut wie die Führer. (15) Und damit du nicht glaubst, es fessele sie die Begierde nach Gold und Silber, so wisse: Bis jetzt hat sich jene Disziplin unter der Schule der Entbehrung erhalten. Der Erdboden dient den Ermüdeten als Lager; die Speise, die sie sich neben ihrer Kriegsarbeit zubereiten, sättigt sie; die Stunden des Schlafes sind knapper bemessen als die der Nacht. (16) Meinst du nun, die thessalischen Reiter, die Akarner und Aitoler, diese im Kampf unbesiegte Mannschaft, werden sich mit Schleudern und im Feuer gehärteten Spießen in die Flucht schlagen lassen? Dazu sind ebenbürtige Kräfte nötig. In jenem Land, das sie hervorgebracht hat, musst du deine Hilfstruppen suchen: Dorthin schicke dies Gold und Silber hier, um dir Soldaten anzuwerben.“24 (17) Dareios war von weicher und sanfter Gemütsart, wenn nicht zumeist das Glück das angeborene Naturell verdürbe. Unfähig also, die Wahrheit zu hören, befahl er, den Gastfreund und Schützling, der ihm gerade damals so nützlichen Rat gab, fortzuschleppen und hinzurichten. (18) Jener, ohne selbst jetzt seine Freimütigkeit zu verleugnen, sagte: „Der Rächer meines Todes steht vor der Tür: Er selbst, gegen den ich dir meinen Rat gegeben habe, wird dich dafür bestrafen, dass du ihn verschmäht hast. Du aber, den die Willkür seiner Herrschergewalt so plötzlich verwandelt hat, wirst der Nachwelt ein Zeugnis sein, wie die Menschen, wenn sie blind dem Glück vertrauen, ihren eigentlichen natürlichen Anlagen untreu werden.“ (19) Indem er dies rief, erdrosselten ihn die damit beauftragten Diener. Zu spät erst überkam den König Reue; er gab zu, dass jener die Wahrheit gesagt hatte, und befahl ihn zu beerdigen25. 3 (1) Thymodes war ein Sohn Mentors26, ein energischer junger Mann; ihm wurde vom König aufgetragen, alle fremden Söldner, auf die er seine meiste Hoffnung setzte, von Pharnabazos27 zu übernehmen, um sie während des Krieges einzusetzen. Pharnabazos selbst übertrug er den Oberbefehl, den er vorher an Memnon gegeben hatte. (2) Besorgt über die bevorstehenden Ereignisse ängstigten den König auch Traumbilder dessen, was ihm drohte, mochten sie aus Kummer oder prophetischer Vorahnung hervorgehen. (3) Es schien ihm, das Lager Alexanders leuchte von einem hellen Feuerschein und kurz darauf werde Alexander in der gleichen Kleidung, die er selbst einst getragen hatte, zu ihm hergeführt und reite dann durch Babylon und sei plötzlich mit dem Pferd vor seinen Augen verschwunden. (4) Dazu hatten die Wahrsager durch verschiedene Auslegung die Gemüter in sorgenvolle Spannung versetzt. Einige

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somnium esse dicebant, quod castra hostium arsissent, quod Alexandrum deposita regia veste in Persico et vulgari habitu perductum ad se vidisset. (5) Quidam contra augurabantur: quippe inlustria Macedonum castra visa fulgorem Alexandro portendere; quod ve‹stem Persicam› habuisset, haud ambigue regnum Asiae occupa‹turum denuntia›re, quoniam in eodem habitu Dareus fuisset, cum appellatus est rex. (6) Vetera quoque omina ut fere ‹fit› sollicitudo revocaverat. Recensebant enim Dareum in principio imperii vaginam acinacis Persicam iussisse mutari in eam formam qua Graeci uterentur, protinusque Chaldaeos interpretatos imperium Persarum ad eos transiturum quorum arma esset imitatus. (7) Ceterum ipse et vatum responso, quod edebatur in vulgus, et specie quae per somnum oblata erat admodum laetus castra ad Euphraten moveri iubet. (8) Patrio more Persarum traditum est orto sole demum procedere. Die iam inlustri signum e tabernaculo regis bucina dabatur. Super tabernaculum, unde ab omnibus conspici posset, imago solis crystallo inclusa fulgebat. (9) Ordo autem agminis erat talis. Ignis quem ipsi sacrum et aeternum vocabant argenteis altaribus praeferebatur. Magi proximi patrium carmen canebant. (10) Magos trecenti et sexaginta quinque iuvenes sequebantur puniceis amiculis velati, diebus totius anni pares numero: quippe Persis quoque in totidem dies discriptus est annus. (11) Currum deinde Iovi sacratum albentes vehebant equi; hos eximiae magnitudinis equus, quem Solis appellabant, sequebatur. Aureae virgae et albae vestes regentes equos adornabant. (12) Haud procul erant vehicula decem multo auro argentoque caelata. Sequebatur haec equitatus duodecim gentium variis armis et moribus. (13) Proximi ibant quos Persae Immortales vocant, ad decem milia. Cultus opulentiae barbarae non alios magis honestabat: illi aureos torques, illi vestem auro distinctam habebant

Geschichte Alexanders des Großen 3,3,4–3,3,13

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erklärten diesen Traum als für den König günstig, weil das feindliche Lager gebrannt und er gesehen habe, dass Alexander ohne sein königliches Gewand in gewöhnlichen persischen Gewändern zu ihm geführt wurde. (5) Manche gaben eine entgegengesetzte Deutung: Die Erscheinung des leuchtenden makedonischen Lagers nämlich zeige Glanz für Alexander an, dass er ein persisches Gewand angehabt habe, kündige unzweifelhaft an, dass er sich der Herrschaft über Asien bemächtigen werde, da Dareios, als er zum König ernannt wurde, die gleiche Tracht getragen habe. (6) Wie gewöhnlich hatte die Sorge auch alte Vorzeichen wieder ins Gedächtnis zurückgerufen. Denn man erinnerte sich daran, wie Dareios zu Beginn seiner Herrschaft befohlen hatte, die persische Säbelscheide mit der Form zu vertauschen, wie sie die Griechen hatten, und wie die Chaldaier dies sofort dahin gedeutet hätten, die Herrschaft über die Perser werde auf die übergehen, deren Waffen er nachgeahmt habe. (7) Er selbst übrigens zeigte sich sowohl über die Auslegung der Wahrsager, die man unter dem Volk verbreitete, als auch über die nächtliche Traumerscheinung sehr erfreut und befahl, an den Euphrat28 vorzurücken. (8) Es ist eine von den Vätern her überlieferte Sitte der Perser, erst nach Sonnenaufgang weiterzumarschieren. Als es schon heller Tag war, wurde vom Zelt des Königs mit dem Horn das Zeichen gegeben. Über dem Zelt, so dass es von allen gesehen werden konnte, erglänzte das in Kristall gefasste Bildnis der Sonne. (9) Die Ordnung des Zuges war folgende: Voran wurde auf silbernem Altar das so genannte „heilige und ewige Feuer“ getragen. Als nächste kamen Magier, die ein altüberliefertes Lied sangen. (10) Den Magiern folgten 365 Jünglinge in purpurnen Mänteln29, an Zahl den Tagen des ganzen Jahres gleich, da auch bei den Persern das Jahr in so viele Tage geteilt ist. (11) Hierauf zogen Schimmel den dem Zeus geheiligten Wagen, worauf ein Pferd von ausgezeichneter Größe folgte, das das Sonnenpferd hieß. Goldene Gerten und weiße Gewänder schmückten diejenigen, die die Pferde führten. (12) In geringer Entfernung kamen zehn Wagen mit reicher Gold- und Silberverzierung. Ihnen folgte die Reiterei von zwölf Stämmen, verschieden an Bewaffnung und Gebräuchen. (13) Hieran schloss sich zunächst die Schar an, die bei den Persern die der „Unsterblichen“ heißt, 10 000 Mann stark30. Keine andere war in höherem Grad mit der Pracht barbarischen Reichtums ausgestattet: Sie trugen goldene Ketten, ebenso ein goldgesticktes Kleid und Ärmelröcke, die sogar mit Edelsteinen

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manicatasque tunicas gemmis etiam adornatas. (14) Exiguo intervallo quos cognatos regis appellant, decem et quinque milia hominum. Haec vero turba muliebriter propemodum culta luxu magis quam decoris armis conspicua erat. (15) Doryphoroe vocabantur proximum his agmen soliti vestem excipere regalem; hi currum regis anteibant quo ipse eminens vehebatur. (16) Utrumque currus latus deorum simulacra ex auro argentoque expressa decorabant; distinguebant internitentes gemmae iugum, ex quo eminebant duo aurea simulacra cubitalia, quorum alterum Nini, alterum Beli. Inter haec aquilam auream pinnas extendenti similem sacraverant. (17) Cultus regis inter omnia luxuria notabatur: purpureae tunicae medium album intextum erat, pallam auro distinctam aurei accipitres velut rostris inter se concurrerent adornabant, (18) et zona aurea muliebriter cinctus acinacem suspenderat, cui ex gemma vagina erat. (19) Cidarim Persae vocabant regium capitis insigne; hoc caerulea fascia albo distincta circumibat. (20) Currum decem milia hastatorum sequebantur; hastas argento exornatas, spicula auro praefixa gestabant. (21) Dextra laevaque regem ducenti ferme nobilissimi propinquorum comitabantur. Horum agmen claudebatur triginta milibus peditum, quos equi regis CCCC sequebantur. (22) Intervallo deinde unius stadii matrem Darei Sisigmabim currus vehebat, et in alio erat coniunx. Turba feminarum reginas comitantium equis vectabatur. (23) Quindecim deinde, quas armamaxas appellabant, sequebantur. In his erant liberi regis et quae educabant eos spadonumque grex haud sane illis gentibus vilis. (24) Tum regiae paelices trecentae et sexaginta vehebantur, et ipsae regali cultu ornatuque. Post quas pecuniam regis sexcenti muli et trecenti cameli vehebant praesidio sagittariorum prosequente. (25) Propinquorum amicorumque coniuges huic agmini proximae lixarumque et calonum greges vehebantur. Ultimi erant cum suis quisque ducibus, qui cogerent agmen, leviter armati. (26) Contra si quis aciem Macedonum intueretur, dispar facies erat, equis virisque non auro, non dis-

Geschichte Alexanders des Großen 3,3,13–3,3,26

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verziert waren. (14) In kurzem Abstand folgten die so genannten „Verwandten des Königs“, 15 000 Mann; doch war diese Schar wie eine Frau gekleidet und mehr durch verschwenderische Pracht als durch schöne Waffen auffallend. (15) Die ihnen nachfolgende Abteilung hieß die der „Doryphoroi“31, gewohnt, das königliche Gewand in Empfang zu nehmen; sie schritten dem Wagen des Königs voran, auf dem er selbst hoch thronend fuhr. (16) Beide Seiten des Wagens zierten aus Gold und Silber gearbeitete Götterbildnisse; bunt mit schimmernden Edelsteinen war das Joch besetzt, über das zwei goldene, eine Elle hohe Bilder emporragten, das eine zeigte den Ninos, das andere den Belos32; zwischen beiden war das geweihte Symbol eines goldenen Adlers, der seine Fittiche auszubreiten schien. (17) Die Kleidung des Königs stach vor allem durch ihre verschwenderische Pracht hervor. Dem Purpurrock war in der Mitte Weiß eingewebt, den goldgestickten Mantel schmückten goldene Habichte, die mit den Schnäbeln gegeneinander zu kämpfen schienen, (18) und an dem goldenen Gurt, der ihn nach Art einer Frau umschloss, hatte er einen Säbel hängen, dessen Scheide aus Edelstein war. (19) Der königliche Kopfschmuck hieß bei den Persern „Kidaris“33; er war mit einer blau-weißen Binde umschlossen. (20) Dem Wagen folgten 10 000 Lanzenträger, die silberverzierte Lanzen und Wurfspieße mit goldenen Spitzen trugen; (21) rechts aber und links begleiteten den König ungefähr 200 der vornehmsten seiner Verwandten. Diesem Zug folgten 30 000 Mann zu Fuß, denen sich 400 Pferde des Königs anschlossen. (22) Im Abstand von einem Stadion fuhr auf einem Wagen die Mutter des Dareios, Sisygambis, und auf einem anderen befand sich seine Gattin. Die Schar der die Königinnen begleitenden Frauen ritt auf Pferden. (23) Hierauf folgten 15 Wagen, die man „Harmamaxai“34 nennt; auf diesen befanden sich die Kinder des Königs mit ihren Ammen und die Schar der Eunuchen, die allerdings bei jenen Völkern nicht so verachtet sind. (24) Dann fuhren die 360 Nebenfrauen des Königs vorüber, ebenfalls in königlichem Gewand und Schmuck. Hinter ihnen wurde von 600 Maultieren und 300 Kamelen der Schatz des Königs getragen, begleitet und bewacht von Bogenschützen. (25) Nach diesem Zug kamen die Frauen der Verwandten und Freunde des Königs, gefolgt von den Scharen der Marketender und Trossknechte. Zum Schluss folgten, jeweils mit ihren eigenen Anführern, Leichtbewaffnete, die die Nachhut bilden sollten. (26) Wenn man dagegen die makedonische Heeresordnung betrachtete, so bot sich

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colori veste, sed ferro atque aere fulgentibus: agmen et stare paratum et sequi nec turba nec sarcinis praegrave, intentum ad ducis non signum modo sed etiam nutum. (27) Et castris locus et exercitui commeatus suppetebant. (28) Ergo Alexandro in acie miles non defuit; Dareus, tantae multitudinis rex, loci in quo pugnavit angustiis redactus est ad paucitatem, quam in hoste contempserat. 4 (1) Interea Alexander, Abistamene Cappadociae praeposito Ciliciam petens, cum omnibus copiis ‹in› regionem quae castra Cyri appellatur pervenerat. Stativa illic habuerat Cyrus, cum adversus Croesum in Lydiam duceret. (2) Aberat ea regio quinquaginta stadia ab aditu quo Ciliciam intramus: Pylas incolae dicunt artissimas fauces munimenta, quae manu ponimus, naturali situ imitantes. (3) Igitur Arsames, qui Ciliciae praeerat, reputans quid initio belli Memno suasisset, quondam salubre consilium sero exequi statuit: igni ferroque Ciliciam vastat, ut hosti solitudinem faciat; quicquid usui potest esse, corrumpit sterile ac nudum solum quod tueri nequibat relicturus. (4) Sed longe utilius fuit angustias aditus, qui Ciliciam aperit, valido occupare praesidio iugumque opportune itineri imminens obtinere, unde inultus subeuntem hostem aut prohibere aut opprimere potuisset. (5) Nunc paucis qui callibus praesiderent relictis, retro ipse concessit, populator terrae quam a populationibus vindicare debebat. Ergo qui relicti erant, proditos se rati, ne conspectum quidem hostis sustinere valuerunt, cum vel pauciores locum obtinere potuissent. (6) Namque perpetuo iugo montis asperi ac praerupti Cilicia includitur; quod cum a mari adsurgat, velut sinu quodam flexuque curvatum rursus altero cornu in diversum litus

Geschichte Alexanders des Großen 3,3,26–3,4,6

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ein ganz anderes Bild: Männer und Pferde schimmerten weder von Gold noch bunten Gewändern, sondern in Eisen und Erz. Ein Zug, bereit stillzuhalten oder zu folgen, weder durch Tross noch Gepäck schwerfälliger, vielmehr gespannt, ihres Anführers Befehl, ja sogar seinen bloßen Wink zu beachten. (27) Dem Lager fehlte es nicht an Raum, dem Heer nicht an Lebensmitteln. (28) So stand dem Alexander in der Schlacht seine Mannschaft völlig zur Verfügung; Dareios, der als König über eine so ungeheure Menschenmenge verfügte, sah sich durch das enge Gelände, auf dem er kämpfte, auf eben die geringe Anzahl beschränkt, die er an seinem Feind verachtet hatte. 4 (1) Inzwischen hatte Alexander Abistamenes35 zum Befehlshaber über Kappadokien gemacht und war auf seinem Marsch nach Kilikien mit seinem ganzen Heer in die Gegend gekommen, die das „Lager des Kyros“ heißt. Dort nämlich hatte Kyros, als er gegen Kroisos nach Lydien zog, ein Standlager gehabt36. (2) Die Stelle war 50 Stadien von dem Zugang nach Kilikien entfernt: Bei den Einwohnern heißt dieser äußerst enge Pass, der durch seine natürliche Lage künstlich angelegten Befestigungsanlagen gleichkommt, „Pylai“37. (3) Der Befehlshaber über Kilikien, Arsames, erinnerte sich an das, was Memnon zu Beginn des Krieges geraten hatte, und beschloss, diesen unter den früheren Umständen klugen Rat – allerdings zu spät – auszuführen. Er verwüstete, um dem Feind eine Einöde zu hinterlassen, Kilikien mit Feuer und Schwert und zerstörte alles, was von Nutzen sein konnte, um das Land, das er nicht zu schützen vermochte, unfruchtbar und brach hinter sich zu lassen. (4) Weit nützlicher dagegen wäre es gewesen, den engen Zugang, der den Schlüssel zu Kilikien bildet, mit einer starken Besatzung zu versehen und den (strategisch) günstig die Straße beherrschenden Bergrücken besetzt zu halten, von wo aus er ohne Gefahr den unten anrückenden Feind entweder hätte aufhalten oder vernichten können. (5) So aber ließ er nur eine geringe Anzahl als Besatzung der Gebirgspfade dort und wich selbst zurück – als der Verwüster eines Landes, das er vor Verwüstungen hätte schützen sollen. Natürlich hielten die Zurückgelassenen sich für verraten und konnten nicht einmal dem Anblick des Feindes standhalten, obwohl eine noch geringere Anzahl den Ort hätte behaupten können. (6) Kilikien wird nämlich von einem ununterbrochenen rauen und steilen Gebirgsrücken38 eingeschlossen, der sich vom Meer aus erhebt und wie in einer busen- oder bogenförmigen Krümmung mit seinem

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excurrit. (7) Per hoc dorsum, qua maxime introrsus mari cedit, asperi tres aditus et perangusti sunt, quorum uno Cilicia intranda est. (8) Campestris eadem, qua vergit ad mare, planitiem eius crebris distinguentibus rivis: Pyramus et Cydnus incliti amnes fluunt. Cydnus non spatio aquarum sed liquore memorabilis, quippe leni tractu e fontibus labens puro solo excipitur, nec torrentes incurrunt qui placide meantis alveum turbent. (9) Itaque incorruptus idemque frigidissimus, quippe multa riparum amoenitate inumbratus, ubique fontibus suis similis in mare evadit. (10) Multa in ea regione monumenta vulgata carminibus vetustas exederat: monstrabantur urbium sedes Lyrnesi et Thebes, Typhonis quoque specus et Corycium nemus, ubi crocum gignitur, ceteraque, in quibus nihil praeter famam duraverat. (11) Alexander fauces iugi, quae Pylae appellantur, intravit. Contemplatus locorum situm non alias magis dicitur admiratus esse felicitatem suam: obrui potuisse vel saxis confitebatur, si fuissent qui ‹in› subeuntes propellerent. (12) Iter vix quaternos capiebat armatos; dorsum montis imminebat viae non angustae modo sed plerumque praeruptae, crebris oberrantibus rivis qui ex radicibus montium manant. (13) Thracas tamen leviter armatos praecedere iusserat scrutarique calles, ne occultus hostis in subeuntes erumperet. Sagittariorum quoque manus occupaverat iugum: intentos arcus habebant moniti non iter ipsos inire sed proelium. (14) Hoc modo agmen pervenit ad urbem Tarson, cui tum maxime Persae subiciebant ignem, ne opulentum oppidum hostis invaderet. (15) At ille Parmenione ad inhibendum incendium cum expedita manu praemisso, postquam barbaros adventu suorum fugatos esse cognovit, urbem a se conservatam intrat.

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anderen Ende wieder an einem entfernten Punkt der Küste ausläuft. (7) Über diesen Gebirgsrücken, wo er sich am weitesten vom Meer landeinwärts zurückzieht, führen drei beschwerliche und äußerst enge Pässe, von denen einer den einzigen Zugang nach Kilikien bildet. (8) Doch ist das Land, wo es sich zum Meer hin absenkt, auch eben, und zahlreiche Bäche durchschneiden seine Ebene: Die berühmten Flüsse Pyramos und Kydnos fließen dort. Der Kydnos ist nicht wegen seiner Breite, sondern wegen der Durchsichtigkeit seiner Gewässer beachtenswert, weil er von seinen Quellen aus in sanfter Strömung über einen kiesigen Boden dahingleitet, ohne Gießbäche aufzunehmen, die das Bett des ruhig Fließenden aufwühlen könnten. (9) Deshalb ergießt er sich ungetrübt und zugleich äußerst kühl, da ihn wunderschöne Ufer umschatten, an Klarheit überall seinen Quellen gleich, in das Meer. (10) Viele durch Dichtungen bekannte Denkmäler jener Gegend hatte die Zeit zerstört. Man zeigte, wo einst die Städte Lyrnessos und Thebe lagen, ferner die Höhle des Typhon und den korykischen Wald, wo der Safran wächst, und noch anderes, wovon nichts anderes als die Kenntnis davon übriggeblieben war. (11) Alexander betrat jene Gebirgspässe, die den Namen „Pylai“ haben. Als er das Gelände betrachtete, soll er sich wie kein weiteres Mal über sein Glück gewundert haben: Bloß durch Steine, gestand er, hätte er verschüttet werden können, wenn Leute da gewesen wären, die sie auf die unten Heranziehenden herabgewälzt hätten. (12) Die Straße war kaum für vier Bewaffnete breit genug, der Rücken des Berges überragte den nicht nur engen, sondern meist auch sehr steilen Pfad, den häufige, aus dem Fuß des Berges hervorquellende Bäche durchschnitten. (13) Doch hatte er leichtbewaffnete Thraker vorausgehen lassen, um die Gebirgspfade zu erkunden, damit kein verborgener Feind die Heranziehenden plötzlich angreife. Auch eine Schar Bogenschützen hatte die Höhe besetzt, mit gespannten Bögen; sie hatten den Befehl, ihrerseits nicht weiterzumarschieren, sondern sich kampfbereit zu halten. (14) Auf diese Weise gelangte der Zug nach Tarsos, das die Perser gerade in dem Augenblick anzündeten, um dem Feind den Eintritt in die reiche Stadt zu verwehren. (15) Jener sandte jedoch Parmenion39 mit einer kampffertigen Abteilung zur Löschung des Brandes voraus, und nachdem er gehört hatte, dass die Barbaren bei der Ankunft seiner Leute die Flucht ergriffen hätten, zog er in die von ihm gerettete Stadt ein.

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5 (1) Mediam Cydnus amnis, de quo paulo ante dictum est, interfluit; et tunc aestas erat cuius calor non aliam magis quam Ciliciae oram vapore solis accendit, et diei fervidissimum tempus esse coeperat. (2) Pulvere simul ac sudore perfusum regem invitavit liquor fluminis, ut calidum adhuc corpus ablueret. Itaque veste deposita in conspectu agminis – decorum quoque futurum ratus, si ostendisset suis levi et parabili cultu corporis se esse contentum – descendit in flumen. (3) Vixque ingressi subito horrore artus rigere coeperunt; pallor deinde suffusus est, et totum propemodum corpus vitalis calor liquit. (4) Expiranti similem ministri manu excipiunt nec satis compotem mentis in tabernaculum deferunt. Ingens sollicitudo et paene iam luctus in castris erat. (5) Flentes querebantur in tanto impetu cursuque rerum omnis aetatis ac memoriae clarissimum regem non in acie saltem, non ab hoste deiectum, sed abluentem aqua corpus ereptum esse et extinctum. (6) Instare Dareum, victorem antequam vidisset hostem. Sibi easdem terras quas victoria peragrassent, repetendas: omnia aut ipsos aut hostes populatos. Per vastas solitudines, etiamsi nemo insequi velit, euntes fame atque inopia debellari posse. (7) Quem signum daturum fugientibus? Quem ausurum Alexandro succedere? Iam ut ad Hellespontum fuga penetrarent, classem qua transeant quem praeparaturum? (8) Rursus in ipsum regem misericordia versa illum florem iuventae, illam vim animi, eundem regem et commilitonem divelli a se et abrumpi immemores sui querebantur. (9) Inter haec liberius meare spiritus coeperat, adlevabatque rex oculos et paulatim redeunte animo circumstantes amicos agnoverat, laxataque vis morbi ob hoc solum videbatur, quia magnitudinem mali sentiebat. (10) Animi autem aegritudo corpus urgebat: quippe Dareum quinto die in Cilicia fore nuntiabatur. Vinctum ergo se tradi et tantam victoriam eripi sibi ex

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5 (1) Mitten durch die Stadt strömt der oben genannte Kydnos, und es war gerade Sommerzeit40, deren Hitze keine andere Küste mehr als die kilikische mit ihrer Sonnenglut versengt, und die heißesten Tagesstunden hatten begonnen. (2) Den mit Staub und Schweiß bedeckten König lud die klare Flut des Flusses ein, den noch erhitzten Körper zu baden. Er legte also vor den Augen des Heeres sein Gewand ab – denn auch das, meinte er, werde gut sein für ihn, seinen Leuten zu zeigen, dass er sich mit einer schlichten und leicht zu beschaffenden Körperpflege begnüge – und stieg in den Fluss. (3) Kaum aber war er hineingetaucht, so ließ ein plötzlicher Frostschauer seine Glieder erstarren, Blässe überzog ihn, und fast alle Lebenswärme wich aus seinem Körper. (4) Einem Sterbenden gleich hoben ihn die Diener in ihren Armen auf und brachten ihn, kaum noch bei Besinnung, in sein Zelt. Grenzenlose Sorge um ihn, ja fast schon Trauer wie um einen Toten herrschte im Lager. (5) Unter Tränen jammerte man, dass angesichts solch stürmischen Ereignisverlaufes der berühmteste König, den die Geschichte aller Zeiten kenne, nicht etwa in der Schlacht, nicht von der Hand eines Feindes niedergestreckt worden sei, sondern beim Baden im Fluss ihnen entrissen und dahingerafft worden sei. (6) Dareios drohe jetzt als Sieger, bevor er den Feind gesehen habe. Sie selbst müssten in dieselben Länder, die sie siegreich durchzogen hätten, zurückweichen; alles sei entweder von ihnen oder vom Feind verheert worden; bei ihrem Zug durch wüste Einöden könnten sie, auch wenn sie niemand verfolgen wollte, durch Mangel und Hunger vernichtet werden. (7) Wer wollte den Fliehenden Befehle erteilen? Wer wollte es wagen, Alexanders Stelle einzunehmen? Vorausgesetzt, sie gelangten auf ihrer Flucht bis zum Hellespont, wer würde ihnen die Flotte bereithalten, mit der sie ihn überqueren könnten? (8) Und wieder wandte sich ihr Mitleid dem König zu, und, ihr eigenes Schicksal vergessend, klagten sie, dass diese Jugendblüte, diese Geisteskraft, dieser ihr König und Kamerad zugleich von ihnen getrennt und losgerissen werde. (9) Unterdessen ging sein Atem wieder freier, der König schlug die Augen auf, und als er bei allmählich zurückkehrender Besinnung die umstehenden Freunde erkannte, schien die Gewalt der Krankheit schon dadurch gemindert, dass er nun selbst die Größe der Gefahr fühlte.41 (10) Niedergeschlagenheit wirkte sich aber auf seinen Körper aus, als gemeldet wurde, dass Dareios in fünf Tagen in Kilikien stehen werde. Gebunden also, klagte er, werde er diesem ausgeliefert, der gewaltigste Sieg werde ihm aus den Hän-

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manibus obscuraque et ignobili morte in tabernaculo extingui se querebatur. (11) Admissisque amicis pariter ac medicis, ‘In quo me’ inquit ‘articulo rerum mearum fortuna deprehenderit cernitis. Strepitum hostilium armorum exaudire mihi videor et, qui ultro intuli bellum, iam provocor. (12) Dareus ergo cum tam superbas litteras scriberet, fortunam meam in consilio habuit; sed nequiquam, si mihi arbitrio meo curari licet. (13) Lenta remedia et segnes medicos non expectant tempora mea: vel mori strenue quam tarde convalescere mihi melius est. Proinde, si quid opis, si quid artis in medicis est, sciant me non tam mortis quam belli remedium quaerere.’ (14) Ingentem omnibus incusserat curam tam praeceps temeritas eius. Ergo pro se quisque precari coepere ne festinatione periculum augeret, sed esset in potestate medentium: (15) inexperta remedia haud iniuria ipsis esse suspecta, cum ad perniciem eius etiam a latere ipsius pecunia sollicitaret hostis. (16) Quippe Dareus mille talenta interfectori Alexandri daturum se pronuntiari iusserat. Itaque ne ausurum quidem quemquam arbitrabantur experiri remedium, quod propter novitatem posset esse suspectum. 6 (1) Erat inter nobiles medicos ex Macedonia regem secutus Philippus, natione Acarnan, fidus admodum regi: puero comes et custos salutis datus, non ut regem modo sed etiam ut alumnum eximia caritate diligebat. (2) Is non praeceps se sed strenuum remedium adferre tantamque vim morbi potione medicata levaturum esse promisit. Nulli promissum eius placebat praeter ipsum cuius periculo pollicebatur. (3) Omnia quippe facilius quam moram perpeti poterat: arma et acies in oculis erant, et victoriam in eo positam esse arbitrabatur, si tantum ante signa stare potuisset, id ipsum, quod post diem tertium medicamentum sumpturus esset – ita enim medicus praedixerat – aegre ferens. (4) Inter haec a Parmenione, fidissimo purpuratorum, litteras accipit, quibus ei denuntiabat ne

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den gerissen, und er sterbe im Verborgenen eines unrühmlichen Todes in seinem Zelt. (11) Und nachdem er zugleich mit den Ärzten auch seine Freunde hatte hereinkommen lassen, sprach er: „In welchem entscheidenden Augenblick mich das Verhängnis erfasst hat, seht ihr. Mir scheint, ich höre das Klirren der feindlichen Waffen, und ich, der ich den Krieg begonnen habe, werde jetzt herausgefordert. (12) Dareios hat also, da er mir einen so übermütigen Brief schrieb, mit meinem Verhängnis gerechnet; aber umsonst, wenn ich mich nach meinem eigenen Entschluss heilen lassen kann. (13) Langsam wirkende Mittel und langsam erscheinende Ärzte abzuwarten, erlaubt meine Lage nicht: Es ist besser für mich, entschlossen zu sterben als langsam gesund zu werden. Und somit sei den Ärzten, wenn sie irgendeine Hilfe, irgendeine Kunst besitzen, dies gesagt: Ich begehre nicht so sehr Hilfe gegen den Tod als gegen die Kriegsgefahr.“ (14) Durch eine derartige Tollkühnheit waren alle in äußerste Sorge versetzt. Jeder begann also, ihn zu bitten, er solle durch Voreiligkeit die Gefahr nicht vermehren, sondern sich den Ärzten anvertrauen: (15) Unerprobte Heilmittel seien ihnen nicht ohne Grund verdächtig, da, zu seinem Verderben, der Feind sogar seine nächste Umgebung zu bestechen versuche. (16) Dareios nämlich hatte bekannt werden lassen, dass derjenige, der Alexander töte, von ihm 1 000 Talente erhalten solle. Darum, meinten sie, würde keiner auch nur wagen wollen, ein Mittel zu versuchen, das wegen seiner Unerprobtheit Verdacht wecken könnte. 6 (1) Unter anderen berühmten Ärzten war dem König aus Makedonien auch Philippos gefolgt, ein Akarnanier von Geburt und Alexander äußerst treu ergeben. Denn da er schon dem Knaben als Begleiter und Leibarzt beigegeben worden war, so hing er an ihm nicht nur als seinem König, sondern auch als seinem Zögling mit außerordentlicher Liebe. (2) Dieser versprach, ein zwar nicht sofort, aber doch nachhaltig wirkendes Mittel zu bringen und die heftige Gewalt der Krankheit durch einen Heiltrank zu mindern. Keinem gefiel sein Versprechen außer dem einzigen, auf dessen Gefahr er es gab. (3) Denn alles vermochte er leichter zu ertragen als Aufschub: Er hatte die Schlacht und Waffen vor Augen, und der Sieg, meinte er, beruhe allein darauf, dass er sich an die Spitze stellen könne. Es war ihm ganz und gar nicht recht, dass er das Heilmittel, wie der Arzt ihm angekündigt hatte, erst am dritten Tag nehmen sollte. (4) In dieser Zeit erhält er von Parmenion, dem treuesten seiner Würdenträger, einen Brief42, in dem ihn dieser

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salutem suam Philippo committeret: mille talentis a Dareo et spe nuptiarum sororis eius esse corruptum. (5) Ingentem animo sollicitudinem litterae incusserant et, quicquid in utramque partem aut metus aut spes subiecerat secreta aestimatione pensabat: (6) ‘Bibere perseverem ut, si venenum datum fuerit, ne immerito quidem quicquid acciderit, evenisse videatur? Damnem medici fidem? In tabernaculo ergo me opprimi patiar? At satius est alieno me mori scelere, quam metu nostro.’ (7) Diu animo in diversa versato, nulli quid scriptum esset enuntiat epistulamque sigillo anuli sui impresso pulvino, cui incubabat, subiecit. (8) Inter has cogitationes biduo absumpto inluxit a medico destinatus dies, et ille cum poculo, in quo medicamentum diluerat, intravit. (9) Quo viso Alexander levato corpore in cubili epistulam a Parmenione missam sinistra manu tenens accipit poculum et haurit interritus; tum epistulam legere Philippum iubet nec a vultu legentis movit oculos, ratus aliquas conscientiae notas in ipso ore posse deprendere. (10) Ille epistula perlecta plus indignationis quam pavoris ostendit proiectisque amiculo et litteris ante lectum, ‘Rex’ inquit, ‘semper quidem spiritus meus ex te pependit, sed nunc vere, arbitror, sacro et venerabili ore trahitur ‹tuo›. (11) Crimen parricidii, quod mihi obiectum est, tua salus diluet: servatus a me vitam mihi dederis. Oro quaesoque, omisso metu patere medicamentum concipi venis; laxa paulisper animum, quem intempestiva sollicitudine amici sane fideles, sed moleste seduli turbant.’ Non securum modo haec vox sed etiam laetum regem ac plenum bonae spei fecit. (12) Itaque ‘Si di’ inquit, ‘Philippe, tibi permisissent quo maxime modo velles animum experiri meum, alio profecto voluisses, sed certiore quam expertus es ne optasses quidem. (13) Hac epistula accepta tamen, quod dilueras

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warnt, sein Leben nicht dem Philippos anzuvertrauen, da der von Dareios durch 1 000 Talente und das Versprechen, seine Schwester zur Frau zu erhalten, bestochen sei. (5) Dieser Brief versetzte den König in größte Unruhe, und im Stillen überlegte er bei sich, was ihm nach beiden Seiten hin bald Furcht, bald Hoffnung einflüsterten. (6) „Soll ich dabei bleiben, den Trank zu nehmen, damit, wenn ich Gift erhalte, alles was geschieht, durch meine Schuld geschehen zu sein scheint? – Über meinen treuen Arzt soll ich den Stab brechen? In meinem Zelt geduldig der Krankheit erliegen? – Nein, besser ist es, durch das Verbrechen eines anderen als durch meine eigene Furcht umzukommen!“ (7) Nachdem er lange hin und her geschwankt hatte, teilte er niemandem mit, was ihm geschrieben worden war, und schob den Brief, mit seinem Fingerring versiegelt, unter sein Ruhepolster. (8) Als über diesen Überlegungen zwei Tage verstrichen waren, kam der vom Arzt bestimmte Tag, und jener trat mit einem Becher herein, in dem er die Medizin aufgelöst hatte. (9) Bei seinem Anblick erhob sich Alexander auf seinem Lager, nahm, den Brief Parmenions in der linken Hand haltend, den Becher und trank ihn unerschrocken aus; dann befahl er Philippos, den Brief zu lesen und wandte kein Auge von der Miene des Lesenden, ob er wohl irgendeine Spur von schlechtem Gewissen in seinem Gesicht entdecken könne. (10) Als er den Brief durchgelesen hatte, hatte er mehr Empörung als Angst, und indem er seinen Mantel und den Brief vor dem Bett niederwarf, rief er: „Mein König, zwar hing mein Leben schon immer von deinem ab, jetzt aber, meine ich, ruht es in Wahrheit ganz auf deinen heiligen und teuren Atemzügen. (11) Die Beschuldigung des Königsmordes, die gegen mich erhoben worden ist, wird deine Genesung widerlegen; von mir gerettet, wirst du auch mir das Leben erhalten. Lass, so bitte und beschwöre ich dich, ohne alle Furcht die Arznei deine Adern durchdringen und gönne deinem Geist ein Weilchen Ruhe, die dir deine zwar treuen, aber unangenehm eifrigen Freunde durch ihre unzeitige Besorgnis rauben.“ Diese Worte nahmen dem König nicht nur die Sorge, sondern erfüllten ihn auch mit Freude und froher Hoffnung. (12) Darum sprach er: „Mein Philippos, wenn es dir die Götter freigestellt hätten, auf welche Art du am besten meine Gesinnung gegen dich erproben wolltest, so hättest du gewiss einen anderen Weg gewählt, doch einen besseren Beweis als du erhalten hast, hättest du gar nicht wünschen können. (13) Obwohl ich diesen Brief empfangen habe, habe ich, was du mir gemischt hattest,

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bibi; et nunc crede me non minus pro tua fide quam pro mea salute esse sollicitum.’ Haec elocutus dextram Philippo offert. (14) Ceterum tanta vis medicamenti fuit, ut quae secuta sunt criminationem Parmenionis adiuverint. Interclusus spiritus arte meabat. Nec Philippus quicquam inexpertum omisit. Ille fomenta corpori admovit, ille torpentem nunc cibi, nunc vini odore excitavit. (15) Atque ut primum mentis compotem esse sensit, modo matris sororumque modo tantae victoriae adpropinquantis admonere non destitit. (16) Ut vero medicamentum se diffudit in venas et sensim toto corpore salubritas percipi potuit, primum animus vigorem suum, deinde corpus quoque expectatione maturius recuperavit: quippe post tertium diem quam in hoc statu fuerat, in conspectum militum venit. (17) Nec avidius ipsum regem quam Philippum intuebatur exercitus: pro se quisque dextram eius amplexi grates habebant velut praesenti deo. Namque haud facile dictu est, praeter ingenitam illi genti erga reges suos venerationem, quantum huius utique regis vel admirationi dediti [ei] fuerint vel caritate flagraverint. (18) Iam primum nihil sine divina ope adgredi videbatur: nam cum praesto esset ubique fortuna, et temeritas in gloriam cesserat. (19) Aetas quoque vix tantis matura rebus sed abunde sufficiens omnia eius opera honestabat et quae leviora haberi solent, plerumque militari gratiora vulgo sunt: exercitatio corporis inter ipsos, cultus habitusque paulum a privato abhorrens, militaris vigor; (20) quis ille vel ingenii dotibus vel animi artibus ut pariter carus ac venerandus esset effecerat. 7 (1) At Dareus nuntio de adversa valetudine eius accepto, celeritate quantam capere tam grave agmen poterat ad Euphraten contendit, iunctoque eo pontibus quinque tamen diebus traiecit exercitum, Ciliciam occupare festinans. (2) Iam Alexander viribus corporis receptis ad urbem Solos pervenerat; cuius potitus ducentis

Geschichte Alexanders des Großen 3,6,13–3,7,2

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getrunken; und nun glaube mir, dass ich nicht weniger um die Rechtfertigung deiner Treue als um meine Wiederherstellung besorgt bin.“ Mit diesen Worten reichte er Philippos seine rechte Hand. (14) Übrigens war die Wirkung des Arzneimittels so stark, dass das, was folgte, die Anklage Parmenions zu unterstützen schien. Der Atem stockte und ging mühsam. Doch Philippos ließ nichts unversucht: Er machte Umschläge, er weckte den Ohnmächtigen bald durch den Geruch von Speise, bald durch den von Wein auf. (15) Und sobald er ihn wieder zur Besinnung kommen sah, ließ er nicht ab, ihn abwechselnd an seine Mutter und Schwestern und an den nahen großen Sieg zu erinnern. (16) Wie sich aber die Medizin in den Adern verbreitet hatte und ihre heilsame Kraft allmählich im ganzen Körper zu spüren war, erlangte erst der Geist, danach, schneller als man erwarten konnte, auch der Körper seine alte Kraft wieder. Denn schon am dritten Tag, nachdem er sich in diesem Zustand befunden hatte, trat er vor die Augen seiner Soldaten. (17) Aber nicht weniger als den König selbst wünschten die Soldaten, Philippos zu sehen: Jeder Einzelne fasste seine Rechte und drückte ihm wie einem hilfreichen Gott seinen Dank aus. Denn kaum auszusprechen ist es, wie sie, abgesehen von der diesem Volk angeborenen Verehrung für ihre Könige, besonders für diesen König teils von Bewunderung erfüllt, teils von Liebe entbrannt waren. (18) Erstens schien er schon nichts ohne göttliche Hilfe zu beginnen: Denn da ihm überall das Glück zur Seite stand, war ihm seine Tollkühnheit zum Ruhm ausgeschlagen. (19) Auch seine Jugend, für so große Unternehmungen kaum reif, ihnen dennoch vollkommen gewachsen, verlieh allen seinen Taten einen gewissen Glanz. Und was man gewöhnlich für weniger wichtig hält, gewinnt meist desto mehr die Zuneigung des einfachen Soldaten: Die in ihrer Mitte vorgenommenen körperlichen Übungen, die nur wenig von der gewöhnlichen unterschiedene Lebensweise und Kleidung, das kriegerische Feuer. (20) Durch alles dieses, mochten es nun angeborene Gaben oder durch Bildung gewonnene Eigenschaften sein, hatte er bewirkt, dass er so sehr geliebt wie auch verehrt wurde. 7 (1) Dareios aber zog auf die Nachricht von der Krankheit Alexanders, so schnell er es mit einem so schwerfälligen Heerhaufen konnte, an den Euphrat und setzte, nachdem er darüber Brücken geschlagen hatte, sein Heer über; er brauchte allerdings fünf Tage voller Eile, Kilikien zu besetzen43. (2) Alexander war nach Wiederherstellung seiner Körperkräfte bereits zur Stadt Soloi44 gelangt;

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talentis multae nomine exactis arci praesidium militum imposuit. (3) Vota deinde pro salute suscepta per ludum atque otium reddens ostendit quanta fiducia barbaros sperneret: quippe Aesculapio et Minervae ludos celebravit. (4) Spectanti nuntius laetus adfertur Halicarnaso Persas acie a suis esse superatos, Myndios quoque et Caunios et pleraque tractus eius suae facta dicionis. (5) Igitur edito spectaculo ludicro castrisque motis et Pyramo amne ponte iuncto ad urbem Mallum pervenit, inde alteris castris ad oppidum Castabulum. (6) Ibi Parmenio regi occurrit: praemiserat ad explorandum iter saltus per quem ad urbem Isson nomine penetrandum erat. (7) Atque ille angustiis eius occupatis et praesidio modico relicto Isson quoque desertam a barbaris ceperat. Inde progressus, deturbatis qui interiora montium obsidebant, praesidiis cuncta firmavit occupatoque itinere, sicut paulo ante dictum est, idem et auctor et nuntius venit. (8) Isson deinde rex copias admovit; ubi consilio habito, utrumne ultra progrediendum foret an ibi opperiundi essent novi milites, quos ex Macedonia adventare constabat, Parmenio non alium locum proelio aptiorem esse censebat. (9) Quippe illic utriusque regis copias numero futuras pares, cum angustiae multitudinem non caperent: planitiem ipsis camposque esse vitandos, ubi circumiri, ubi ancipiti acie opprimi possent. Timere ne non virtute hostium, sed lassitudine sua vincerentur: Persas recentes subinde successuros, si laxius stare potuissent. (10) Facile ratio tam salubris consilii accepta est. Itaque inter angustias saltus hostem opperiri statuit. (11) Erat in exercitu regis Sisenes Perses. Quondam a praetore Aegypti missus ad Philippum donisque et omni honore cultus, exi-

Geschichte Alexanders des Großen 3,7,2–3,7,11

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und nachdem er sie eingenommen hatte, trieb er eine Geldbuße von 200 Talenten ein und verlegte eine Besatzung in die Burg. (3) Dann erfüllte er durch Spiel und Rast die für seine Genesung geleisteten Gelübde und zeigte hierbei, wie unbekümmert er die Barbaren verachtete: Es wurden nämlich zu Ehren des Asklepios und der Athene45 feierliche Spiele veranstaltet. (4) Während er noch zuschaute, erhielt er aus Halikarnassos die frohe Nachricht, die Perser seien von seinen Leuten in einer Schlacht überwunden und auch die Myndier, Kaunier sowie der größte Teil jenes Landstriches ihm unterworfen worden46. (5) Nach Beendigung des Festspiels also brach er mit seinem Heer auf, schlug über den Fluss Pyramos eine Brücke und gelangte zu der Stadt Mallos, sodann durch einen zweiten Tagesmarsch zur Stadt Kastabulon. (6) Hier begegnete dem König Parmenion, den er vorausgeschickt hatte, den Weg über das Gebirge zu erforschen, das man durchdringen musste. (7) Und zwar hatte sich jener der dortigen Engpässe bemächtigt, eine mäßig große Besatzung zurückgelassen und sogar Issos eingenommen, das von den Barbaren verlassen worden war. Von da war er vorgerückt, hatte die Truppen, die die inneren Teile des Gebirges besetzt hielten, verjagt, alles durch Besatzungen gesichert und kam nun, nachdem er auch die Straße hatte besetzen lassen, wie eben gesagt worden ist, zugleich als Vollbringer und Bote des ihm Aufgetragenen herbei. (8) Der König führte hierauf sein Heer nach Issos. Als er dort einen Kriegsrat hielt, ob man weiter vorrücken oder hier die neuen Truppen erwarten solle, die, wie man wusste, aus Makedonien herangezogen waren, meinte Parmenion, dass kein anderer Ort für eine Schlacht geeigneter sei.47 (9) Hier nämlich würden die Truppen beider Könige einander an Zahl gleich sein, weil der enge Raum keine großen Massen fassen könne: Sie müssten die Ebenen und offenen Felder meiden, wo sie umgangen und von zwei Seiten her vom Feind erdrückt werden könnten. Er befürchte nicht, dass man durch die Tapferkeit der Feinde, sondern durch die eigene Ermattung besiegt werde, während die Perser, wenn sie sich weitläufiger aufstellen könnten, nach und nach durch eine frische Mannschaft ersetzt werden würden. (10) Leicht überzeugte sich der König davon, wie begründet dieser nützliche Rat sei, und so beschloss er, den Feind in den engen Tälern des Gebirges zu erwarten. (11) Es befand sich im Heer des Königs ein Perser namens Sisenes, der einst von dem Satrapen Ägyptens an Philipp geschickt und von diesem durch Geschenke und jede Art von Ehrerweisung ausgezeichnet

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lium patria sede mutaverat; secutus deinde in Asiam Alexandrum inter fideles socios habebatur. (12) Huic epistulam Cretensis miles obsignatam anulo, cuius signum haud sane notum erat, tradidit. Nabarzanes, praetor Darei, miserat eam hortabaturque Sisenem ut dignum aliquid nobilitate atque moribus suis ederet: magno id ei apud regem honori fore. (13) Has litteras Sisenes utpote innoxius ad Alexandrum saepe deferre temptavit; sed cum tot curis apparatuque belli regem videret urgeri, aptius subinde tempus expectans suspicionem initi scelesti consilii praebuit. (14) Namque epistula, priusquam ei redderetur, in manus Alexandri pervenerat, lectamque eam et ignoti anuli sigillo impresso Siseni dari iusserat ad aestimandam fidem barbari. (15) Qui quia per complures dies non adierat regem, scelesto consilio eam visus est suppressisse et in agmine a Cretensibus haud dubie iussu regis occisus. 8 (1) Iamque Graeci milites, quos Thymodes a Pharnabazo acceperat, praecipua spes et propemodum unica, ad Dareum pervenerant. (2) Hi magnopere suadebant ut retro abiret spatiososque Mesopotamiae campos repeteret; si id consilium damnaret, at ille divideret saltem innumerabiles copias neu sub unum fortunae ictum totas vires regni cadere pateretur. (3) Minus hoc regi quam purpuratis eius displicebat: ancipitem fidem et mercede venalem proditioni imminere et dividi non ob aliud copias velle quam ut ipsi, in diversa digressi, si quid commissum esset, traderent Alexandro: (4) nihil tutius fore quam circumdatos eos exercitu toto obrui telis, documentum non inultae perfidiae futuros. (5) At Dareus, ut erat sanctus ac mitis, se vero tantum facinus negat esse facturum, ut

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worden war, so dass er den Aufenthalt im Vaterland mit dem Leben in der Fremde tauschte. Dann war er dem Alexander nach Asien gefolgt und zählte zu dessen treuen Freunden48. (12) Diesem überbrachte ein Soldat aus Kreta einen mit einem Siegelring versiegelten Brief, dessen Zeichen freilich nicht bekannt war. Dareios’ Feldherr Nabarzanes hatte ihn geschickt und ermunterte Sisenes, eine seiner edlen Abkunft und seines Charakters würdige Tat zu vollbringen; das werde ihm beim König große Ehre eintragen. (13) Diesen Brief versuchte Sisenes, im Bewusstsein seiner Unschuld, mehrmals zu Alexander zu bringen; doch da er den König von soviel Sorgen und Vorbereitungen zum Kampf bedrängt sah, wollte er immer wieder eine günstigere Gelegenheit abwarten, erregte aber dadurch den Verdacht, als plane er einen verbrecherischen Anschlag auf den König. (14) Der Brief war nämlich, bevor er ihm übergeben worden war, in die Hände Alexanders gefallen. Dieser hatte ihn gelesen, mit einem unbekannten Siegelring verschlossen und ihn so dem Sisenes bringen lassen, um die Treue des Fremden auf die Probe zu stellen. (15) Weil er nun aber mehrere Tage nicht zum König gekommen war, schien es so, als ob er den Brief in verbrecherischer Absicht verschwiegen habe, und er wurde auf dem Marsch von den Kretern, ohne Zweifel auf Befehl des Königs, getötet49. 8 (1) Und schon waren die griechischen Söldner, die Thymodes von Pharnabazos übernommen hatte, Dareios’ hauptsächliche und nahezu einzige Hoffnung, zu ihm gestoßen. (2) Diese rieten ihm dringend, sich wieder vom Feind abzusetzen und sich auf die weiten Ebenen Mesopotamiens zurückzuziehen; wenn er diesen Rat verwerfe, so solle er wenigstens seine unzähligen Truppen teilen und nicht zulassen, dass die ganze Macht seines Reiches einem einzigen Schicksalsschlag50 zum Opfer falle. (3) Dieser Rat erregte weniger das Missfallen des Königs als das seiner großen Würdenträger. Die Treue der Griechen, hieß es, sei zweifelhaft und käuflich und eine Teilung der Truppen wünschten sie nur, um selbst, von den Übrigen getrennt, das, was ihnen etwa anvertraut sein würde, an Alexander ausliefern zu können51: (4) Am sichersten sei es, sie rings mit dem ganzen Heer einzuschließen und unter einem Hagel von Geschossen zu begraben, um als warnendes Beispiel zu dienen, wie Treulosigkeit nicht ungerächt bleibe. (5) Doch Dareios, seinem reinen und milden Charakter gemäß, erklärte entschieden, dass er eine solche Untat nicht begehen werde, Leute, die seinen Versprechungen

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suam secutos fidem suos milites iubeat trucidari. Quem deinde amplius nationum exterarum salutem suam crediturum sibi, si tot militum sanguine imbuisset manus? (6) Neminem stolidum consilium capite luere debere; defuturos enim qui suaderent, si suasisse periculosum esset. Denique ipsos cotidie ad se advocari in consilium variasque sententias dicere, nec tamen melioris fidei haberi qui prudentius suaserit. (7) Itaque Graecis nuntiari iubet ipsum quidem benivolentiae illorum gratias agere; ceterum si retro ire pergat, haud dubie regnum hostibus traditurum: fama bella stare, et eum qui recedat fugere credi. (8) Trahendi vero belli vix ullam esse rationem. Tantae enim multitudini, utique cum iam hiems instaret, in regione vasta et invicem a suis atque hoste vexata non suffectura alimenta. (9) Ne dividi quidem copias posse servato more maiorum, qui universas vires discrimini bellorum semper obtulerint. (10) Et, hercule, terribilem antea regem et absentia sua ad vanam fiduciam elatum, postquam adventare se senserit, cautum pro temerario factum delituisse inter angustias saltus ritu ignobilium ferarum, quae strepitu praetereuntium audito silvarum latebris se occulerent. (11) Iam etiam valitudinis simulatione frustrari suos milites. Sed non amplius ipsum esse passurum detrectare certamen: in illo specu, in quem pavidi recessissent, oppressurum esse cunctantes. Haec magnificentius iactata quam verius. (12) Ceterum pecunia omni rerumque pretiosissimis Damascum Syriae cum modico praesidio militum missis, reliquas copias in Ciliciam duxit insequentibus more patrio agmen coniuge ac matre. Virgines quoque cum parvo filio comitabantur patrem. (13) Forte eadem nocte et Alexander ad fauces quibus Syria aditur, et Dareus ad eum locum, quem Amanicas Pylas vocant, pervenit. (14) Nec dubitavere Persae quin Isso relicta, quam ceperant, Macedones fugerent; nam etiam saucii quidam et

Geschichte Alexanders des Großen 3,8,5–3,8,14

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gefolgt seien, seine eigenen Soldaten, niedermetzeln zu lassen. Welcher Mensch, der nicht Perser sei, könne ihm dann noch sein Leben anvertrauen, wenn er seine Hand durch den Mord so vieler Söldner befleckt habe? (6) Niemand dürfe einen törichten Rat mit dem Leben büßen; denn wäre es gefährlich zu raten, so gebe es niemanden, der raten wolle. Schließlich würden sie ja selbst täglich zu ihm zur Beratung gerufen und sprächen ihre verschiedenen Meinungen aus, und dennoch gelte nicht der für treuer, der den klügsten Rat gegeben. (7) Daher ließ er den Griechen melden, er für seinen Teil danke ihnen für den gutgemeinten Rat, doch würde er, wenn er sich immer zurückziehen wollte, ohne Zweifel dem Feind sein Reich preisgeben. Der Ausgang eines Krieges hänge von der öffentlichen Meinung ab, und wer zurückweiche, von dem glaube man, er fliehe. (8) Den Krieg aber in die Länge zu ziehen, dafür sei nur schwer irgendein Grund vorhanden, da für eine so gewaltige Masse, zumal bei schon bevorstehendem Winter, in einer wüsten und abwechselnd von seinen und von des Feindes Soldaten verwüsteten Gegend die Lebensmittel nicht ausreichen würden. (9) Auch teilen könne er das Heer nicht, ohne gegen der Väter Sitte zu handeln, die stets ihre gesamte Streitmacht in den Entscheidungskampf geführt hätten. (10) Und es habe sich, beim Herakles, der vorher so furchtbare und während seiner Abwesenheit von eitler Zuversicht aufgeblasene König jetzt, seitdem er seine Annäherung gemerkt, von einem tollkühnen in einen vorsichtigen Mann verwandelt und sich in den engen Schluchten des Gebirges versteckt, ähnlich dem scheuen Wild, das sich beim Geräusch Vorübergehender in den Schlupfwinkeln der Wälder verberge. (11) Jetzt täusche er gar seine Soldaten durch eine vorgeschützte Krankheit. Doch länger wolle er ihn nicht den Kampf verweigern lassen: In jener Höhle, in die sie sich zaghaft verkrochen, wolle er die Zögernden überwältigen. So sprach Dareios, mehr großspurig als wahr. (12) Übrigens schickte er all sein Geld und seine besten Kostbarkeiten unter einer mäßigen militärischen Bedeckung nach Damaskos in Syrien. Das übrige Heer führte er nach Kilikien, wobei nach alter Sitte seine Gattin und Mutter dem Zug folgten. Auch seine Töchter und ein kleiner Sohn begleiteten den Vater52. (13) Zufällig gelangte in ein und derselben Nacht hier Alexander zu den Engpässen, die den Zugang zu Syrien bilden, dort Dareios an die so genannte Amanische Pforte. (14) Und die Perser bezweifelten nicht, dass die Makedonen das bereits eingenommene Issos wieder geräumt hätten und auf der Flucht seien; denn sie hat-

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invalidi, qui agmen non poterant persequi, excepti erant. (15) Quos omnis instinctu purpuratorum barbara feritate saevientium praecisis adustisque manibus circumduci, ut copias suas noscerent, satisque omnibus spectatis nuntiare quae vidissent regi suo iussit. (16) Motis ergo castris superat Pinarum amnem in tergis, ut credebat, fugientium haesurus. At illi, quorum amputaverat manus, ad castra Macedonum penetrant, Dareum, quanto maximo cursu posset, sequi nuntiantes. (17) Vix fides habebatur; itaque speculatores ‹in› maritimas regiones praemissos explorare iubet, ipse adesset an praefectorum aliquis speciem praebuisset universi venientis exercitus. (18) Sed cum speculatores reverterentur, procul ingens multitudo conspecta est. Ignes deinde totis campis conlucere coeperunt, omniaque velut continenti incendio ardere visa, cum incondita multitudo maxime propter iumenta laxius tenderet. (19) Itaque eo ipso loco metari suos castra iusserat, laetus – quod omni expetierat voto – in illis potissimum angustiis decernendum fore. (20) Ceterum, ut solet fieri cum ultimi discriminis tempus adventat, in sollicitudinem versa fiducia est. Illam ipsam fortunam, qua adspirante res tam prospere gesserat, verebatur nec iniuria ex iis quae tribuisset sibi, quamque mutabilis esset reputabat: unam superesse noctem, quae tanti discriminis moraretur eventum. (21) Rursus occurrebat maiora periculis praemia et, sicut dubium esset an vinceret, ita illud utique certum esse honeste et cum magna laude moriturum. (22) Itaque corpora milites curare iussit ac deinde tertia vigilia instructos et armatos esse. Ipse in iugum editi montis escendit, multisque conlucentibus facibus patrio more sacrificium dis praesidibus loci fecit. (23) Iamque tertium, sicut praeceptum erat, signum tuba miles acceperat itineri simul paratus ac proelio, strenueque iussi procedere oriente

Geschichte Alexanders des Großen 3,8,14–3,8,23

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ten sogar einige Verwundete und Kranke, die dem Zug nicht folgen konnten, aufgefangen. (15) Sie alle ließ er auf das Drängen seiner barbarisch blindwütigen Höflinge mit abgeschnittenen und verbrannten Händen umherführen, damit sie sein ganzes Heer sähen und, wenn sie alles genügend betrachtet hätten, ihrem König das Gesehene verkünden.53 (16) Er brach also mit seinem Heer auf und setzte über den Fluss Pinaros, um dem – wie er meinte – Fliehenden dicht auf den Fersen zu bleiben. Aber die, denen er die Hände hatte abhauen lassen, gelangten in das makedonische Lager und meldeten, Dareios folge ihnen, so schnell er nur immer könne. (17) Kaum wollte man ihnen Glauben schenken. Daher sandte Alexander Späher in die Gegenden am Meer voraus und befahl ihnen auszukundschaften, ob Dareios selbst da sei oder ob einer seiner Feldherrn den Anschein erweckt habe, es rücke das gesamte Heer an. (18) Doch als die Späher zurückkehrten, erblickte man in der Ferne eine ungeheure Heeresmasse. Dann begannen auf dem ganzen Gelände die Wachfeuer zu leuchten und alles schien wie von einem einzigen Flammenmeer zu sein, da sich die ungeordnete Masse – hauptsächlich wegen der Lasttiere – ziemlich weitläufig lagerte. (19) Schnell erteilte er daher seinen Leuten den Befehl, da, wo man stand, das Lager abzustecken, hocherfreut, dass es nun, wie er so sehnlichst gewünscht hatte, gerade auf jenem engen Gelände zur Schlacht kommen sollte. (20) Jedoch verwandelte sich, wie häufig, wenn der Zeitpunkt der letzten Entscheidung herannaht, seine Zuversicht in Besorgnis. Eben jenes Glück, durch dessen Begünstigung er so große Erfolge errungen hatte, fürchtete er jetzt, und schloss nicht grundlos aus dem, was es ihm gewährt hatte, auf seine Wankelmütigkeit. Nur eine einzige Nacht sei es noch, die den Ausgang dieser wichtigen Entscheidung verzögere. (21) Dann wieder dachte er daran, wie viel größer der Lohn sei als die Gefahren; und sei es auf der einen Seite ungewiss, ob er siegen werde, so sei es auf der anderen Seite jedenfalls klar, dass er ehrenvoll und ruhmvoll sterben werde. (22) Er befahl also den Soldaten, sich körperlich zu stärken und dann in der dritten Nachtwache geordnet und bewaffnet zu sein. Er selbst stieg auf den Rücken eines hohen Berges und brachte unter dem Schein zahlreicher Fackeln nach Sitte der Väter den Schutzgöttern des Ortes ein Opfer dar. (23) Und kaum hatte, wie es vorher angeordnet worden war, der Soldat das dritte Trompetensignal vernommen und stand gerüstet zum Marsch wie zum Kampf, da kam der Befehl, im Eilschritt vorzurücken; und bei Sonnenauf-

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luce pervenerunt ad angustias quas occupare decreverant. (24) Dareum XXX inde stadia abesse praemissi indicabant. Tunc consistere agmen iubet, armisque ipse sumptis aciem ordinat. Dareo adventum hostium pavidi agrestes nuntiaverunt, vix credenti occurrere etiam quos ut fugientes sequebatur. (25) Ergo non mediocris omnium animos formido ‹occupavit› – quippe itineri ‹quam› proelio aptiores erant – raptimque arma capiebant. Sed ipsa festinatio discurrentium suosque ad arma vocantium maiorem metum incussit. (26) Alii in iugum montis evaserant, ut hostium agmen inde prospicerent; equos plerique frenabant. Discors exercitus nec ad unum intentus imperium vario tumultu cuncta turbaverat. (27) Dareus initio iugum montis cum parte copiarum occupare statuit, et a fronte et a tergo circumiturus hostem, a mari quoque, quo dextrum eius cornu tegebatur, alios obiecturus, ut undique urgeret. (28) Praeter haec viginti milia praemissa cum sagittariorum manu Pinarum amnem, qui duo agmina interfluebat, transire et obicere sese Macedonum copiis iusserat; si id praestare non possent, retrocedere in montes et occulte circumire ultimos hostium. (29) Ceterum destinata salubriter omni ratione potentior fortuna discussit: (30) quippe alii prae metu imperium exequi non audebant, alii frustra exequebantur, quia, ubi partes labant, summa turbatur. 9 (1) Acies autem hoc modo stetit. Nabarzanes equitatu dextrum cornu tuebatur, additis funditorum sagittariorumque viginti fere milibus. (2) In eodem Thymodes erat, Graecis peditibus mercede conductis, triginta milibus, praepositus. Hoc erat haud dubie robur exercitus, par Macedonicae phalangi acies. (3) In laevo cornu Aristomedes Thessalus XX ‹milia› barbarorum peditum habebat. In subsidiis pugnacissimas locaverat gentes. (4) Ipsum regem in eodem

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gang erreichte man die Engpässe, die zu besetzen beschlossen war. (24) Dareios, meldeten die Vorposten, stehe 30 Stadien von hier entfernt. Da gab Alexander den Befehl zu halten, legte selbst seine Waffen an und ordnete die Schlachtreihen. Dareios meldeten erschrockene Landsleute das Nahen der Feinde und der wollte es kaum glauben, dass die, die er als Flüchtlinge verfolgte, ihm sogar entgegenrückten. (25) Es war daher kein geringer Schrecken, der alle ergriff – da sie mehr zum Marsch als zur Schlacht gerüstet waren –, und in stürmischer Eile griffen sie zu den Waffen. Aber eben diese Hast, mit der sie hierhin und dorthin stürzten und die Leute zu den Waffen riefen, erregte nur noch größere Furcht. (26) Andere waren auf den Rücken des Berges gestiegen, um von da den feindlichen Zug zu erblicken; die meisten zäumten ihre Pferde. In diesem Heer, das bunt durcheinandergewürfelt war und nicht unter einem einheitlichen Oberbefehl stand, war durch die verschiedenartige Verwirrung alles in Unordnung geraten. (27) Zu Beginn beschloss Dareios, mit einem Teil seiner Truppen den Bergrücken zu besetzen, um sowohl von vorn als auch im Rücken den Feind einzuschließen, während er ihm zugleich auch vom Meer her, das seinen rechten Flügel deckte, andere entgegenwerfen und ihn so von allen Seiten bedrängen wollte. (28) Außerdem hatte er 20 000 Mann und eine Menge von Bogenschützen vorausgesandt, mit dem Auftrag, den zwischen beiden Heeren fließenden Pinaros zu überschreiten und sich den makedonischen Truppen entgegenzuwerfen; könnten sie das nicht durchführen, so sollten sie in die Berge zurückweichen und heimlich den hintersten Teil des feindlichen Heeres umgehen. (29) Das Schicksal aber, das mächtiger ist als alle Berechnung, vereitelte diesen zweckmäßigen Plan: (30) Die einen nämlich wagten aus Furcht nicht, seinen Befehl auszuführen, die anderen führten ihn vergeblich aus; denn wo die Teile wanken, gerät das Ganze durcheinander. 9 (1) Das Heer war folgendermaßen aufgestellt. Nabarzanes54 schützte den rechten Flügel mit der Reiterei, der ungefähr 20 000 Schleuderer und Bogenschützen hinzugefügt waren. (2) Ebenda stand Thymodes, der die 30 000 griechischen Söldner zu Fuß befehligte. Dies war ohne Zweifel der Kern des Heeres, eine Schar, die der makedonischen Phalanx gewachsen war. (3) Auf dem linken Flügel befand sich der Thessalier Aristomedes55 mit 20 000 Mann asiatischer Infanterie. Die kampfeslustigsten Völkerschaften waren als Reserve aufgestellt. (4) Dem König selbst, der auf dem gleichen

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cornu dimicaturum tria milia delectorum equitum, adsueta corporis custodia, et pedestris acies, quadraginta milia, sequebantur; (5) Hyrcani deinde Medique equites; his proximi ceterarum gentium, ultra eos dextra laevaque dispositi. Hoc agmen, sicut dictum est, instructum VI milia iaculatorum funditorumque antecedebant. (6) Quicquid in illis angustiis adiri poterat, impleverant copiae, cornuaque hinc ab iugo, illinc a mari stabant. Uxorem matremque regis et alium feminarum gregem in medium agmen acceperant. (7) Alexander phalangem, qua nihil apud Macedonas validius erat, in fronte constituit. Dextrum cornu Nicanor, Parmenionis filius, tuebatur; huic proximi stabant Coenos et Perdiccas et Meleager ‹et› Ptolemaeus et Amyntas, sui quisque agminis duces. (8) In laevo, quod ad mare pertinebat, Craterus et Parmenio erant, sed Craterus Parmenioni parere iussus. Equites ab utroque cornu locati: dextrum Macedones Thessalis adiunctis, laevum Peloponnesii tuebantur. (9) Ante hanc aciem posuerat funditorum manum sagittariis admixtis. Thraces quoque et Cretenses ante agmen ibant, et ipsi leviter armati. (10) At iis, qui praemissi ab Dareo iugum montis insederant, Agrianos opposuit ex Thraecia nuper advectos. Parmenioni autem praeceperat ut, quantum posset, agmen ad mare extenderet, quo longius abesset acies montibus quos occupaverant barbari. (11) At illi neque obstare venientibus nec circumire praetergressos ausi funditorum maxime aspectu territi profugerant, eaque res Alexandro tutum agminis latus, quod ne superne incesseretur timuerat, praestitit. (12) XXX et duo armatorum ordines ibant: neque enim latius extendi aciem patiebantur angustiae. Paulatim deinde laxare se [et] sinus montium et maius spatium aperire coeperant, ita ut non pedes solum [pluribus] ordine incedere, sed etiam lateribus circumfundi posset equitatus.

Geschichte Alexanders des Großen 3,9,4–3,9,12

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Flügel kämpfen wollte, folgten 3 000 auserlesene Reiter, seine gewöhnliche Leibwache, und eine Schlachtreihe von 40 000 Infanteristen; (5) dann kamen die hyrkanischen und medischen Reiter, an die sich weiterhin, rechts und links verteilt, die Reiterei der übrigen Völkerschaften anschloss. Diesem auf die aufgetragene Weise geordneten Zug gingen 6 000 Speerschützen und Schleuderer voraus. (6) Was auch immer auf jenem engen Gelände zugänglich war, war von Truppen erfüllt, und die Flügel erstreckten sich auf der einen Seite bis zum Gebirge und auf der anderen Seite bis zum Meer. Die Gattin und die Mutter des Königs sowie die Schar der übrigen Frauen hatte man in die Mitte genommen. (7) Alexander stellte die Phalanx, den stärksten Teil des makedonischen Heeres, in der Front auf. Den rechten Flügel deckte Parmenions Sohn Nikanor56; in seiner unmittelbaren Nähe standen Koinos, Perdikkas, Meleagros, Ptolemaios57 und Amyntas, von denen jeder eine eigene Abteilung führte. (8) Auf dem linken Flügel, der bis zum Meer reichte, waren Krateros und Parmenion, doch unter Parmenions Oberbefehl. Die Reiterei war auf beiden Flügeln aufgestellt: Den rechten deckten die Thessalier in Verbindung mit den Makedonen, den linken die Peloponnesier. (9) Vor dieser Schlachtordnung hatte er eine Schar Schleuderer aufgestellt, dazwischen Bogenschützen. Auch Thraker und Kreter, ebenfalls leicht bewaffnet, gingen dem Zug voran. (10) Denen endlich, die, von Dareios ausgeschickt, den Bergrücken besetzt hielten, stellte er die Agrianer gegenüber, die kürzlich aus Griechenland angelangt waren. Parmenion aber hatte er befohlen, seine Reihen so weit wie möglich zum Meer hin auszudehnen, damit man desto weiter von den Bergen entfernt bliebe, die die Barbaren besetzt hielten. (11) Doch jene hatten weder gewagt, den Anrückenden Widerstand zu leisten, noch die Vorübergezogenen zu umgehen, sondern waren, hauptsächlich durch den Anblick der Schleuderer erschreckt, geflohen. Und dieser Umstand sicherte die Flanke Alexanders, für die er gefürchtet hatte, sie könnte von oben her angegriffen werden. (12) 32 Bewaffnete marschierten in Reih und Glied geordnet, da das enge Gelände eine weitere Ausdehnung der Reihen nicht zuließ. Dann begannen sich allmählich die Biegungen der Berge zu erweitern und größeren Raum zu geben, so dass nicht allein das Fußvolk in gewohnter Ordnung marschieren, sondern auch die Reiterei sich um die Flanken herum ausbreiten konnte.

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Q. Curtius Rufus

10 (1) Iam in conspectu, sed extra teli iactum utraque acies erat, cum priores Persae inconditum et trucem sustulere clamorem. (2) Redditur et a Macedonibus, maior exercitus numero, iugis montium vastisque saltibus repercussus: quippe semper circumiecta nemora petraeque, quantamcumque accepere vocem, multiplicato sono referunt. (3) Alexander ante prima signa ibat identidem manu suos inhibens, ne suspensi acrius ob nimiam festinationem concitato spiritu capesserent proelium. (4) Cumque agmini obequitaret, varia oratione, ut cuiusque animis aptum erat, milites adloquebatur. Macedones tot bellorum in Europa victores, ad subigendam Asiam atque ultima Orientis non ipsius magis quam suo ductu profecti, inveteratae virtutis admonebantur: (5) illos terrarum orbis liberatores emensosque olim Herculis et Liberi Patris terminos non Persis modo sed etiam omnibus gentibus imposituros iugum: Macedonum provincias Bactra et Indos fore. Mimina esse quae nunc intuerentur, sed omnia victoria aperiri. (6) Non in praeruptis petris Illyriorum et Thraciae saxis sterilem laborem fore: spolia totius Orientis offerri. Vix gladio futurum opus: totam aciem suo pavore fluctuantem umbonibus posse propelli. (7) Victor ad haec Atheniensium Philippus pater invocabatur, domitaeque nuper Boeotiae et urbis in ea nobilissimae ad solum dirutae species repraesentabatur animis. Iam Granicum amnem, tot urbes aut expugnatas aut in fidem acceptas, omniaque, quae post tergum erant, strata et pedibus ipsorum subiecta memorabat. (8) Cum adierat Graecos, admonebat ab his gentibus inlata Graeciae bella Darei prius, deinde Xerxis insolentia, aquam ipsos terramque poscentium, ut neque fontium haustum nec solitos cibos relinquerent deditis. (9) Ab his templa ruinis et ignibus esse deleta, urbes eorum expugnatas, foedera divini humanique

Geschichte Alexanders des Großen 3,10,1–3,10,9

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10 (1) Schon standen die beiden Heere einander in Sichtweite gegenüber, doch noch außerhalb der Schussweite, als zuerst die Perser ein wildes und furchtbares Geschrei erhoben. (2) Von den Makedonen wurde es erwidert, und stärker als nach dem Verhältnis ihrer Heereszahl, da es von den Gebirgsrücken und ungeheuren Waldungen zurückgeworfen wurde. Denn immer geben umliegende Wälder und Felsen jeden dagegen gerufenen Laut mit vielfachem Echo wider. (3) Alexander ritt vor den vordersten Feldzeichen, immer wieder musste er seine Leute zügeln, damit sie nicht von der zu großen Eile atemlos und mit unsicherer Kraft die Schlacht begännen. (4) Und wenn er an einen Zug heranritt, redete er die Soldaten auf verschiedene Weise an, wie es eines jeden Charakter angemessen war. Die Makedonen, die Sieger so vieler Schlachten in Europa, die zur Unterjochung Asiens und des äußersten Orients ebensosehr auf ihren eigenen, wie auf seinen Antrieb hin ausgezogen waren, erinnerte er an ihre altgewohnte Tapferkeit: (5) Sie seien die Befreier des Erdkreises und, wenn sie irgendwann die Grenzmarken des Herakles und des „Vaters Bakchos“ passiert hätten58, würden sie nicht nur den Persern, sondern allen Völkern ihr Joch auferlegen. Baktrien und Indien würden makedonische Provinzen sein59. Was sie jetzt sähen, sei nur der geringste Teil, aber durch einen Sieg werde sich ihnen alles öffnen. (6) Nicht in den steilen Felsgebirgen Illyriens und Thrakiens sollten sie fruchtlose Mühsal bestehen: Die Beute des ganzen Orients biete sich ihnen dar. Kaum werde man das Schwert gebrauchen müssen; das ganze feindliche Heer, das schon aus eigener Furcht im Wanken begriffen sei, könnten sie mit den bloßen Schilden vor sich niederwerfen. (7) Dazu rief er seinen Vater Philipp, den Bezwinger Athens, als Zeugen an und führte ihnen wieder das Bild des kürzlich bezwungenen Boiotiens und der vollständigen Zerstörung seiner berühmten Hauptstadt60 vor Augen. Endlich erinnerte er an den Granikos61, an die so zahlreich eroberten oder unterworfenen Städte, und wie alles, was hinter ihnen lag, niedergeworfen sei und unter ihren Füßen liege. (8) Als er zu den Griechen kam, erinnerte er sie, wie diese Völker Griechenland mit Krieg überzogen hatten, erst vom Übermut des Dareios, dann des Xerxes getrieben, die Erde und Wasser von ihnen forderten, um den Unterjochten weder einen Trunk aus der Quelle noch die gewohnte Nahrung übrig zu lassen. (9) Er erwähnte, wie ihre Tempel in Schutt und Asche gelegt, ihre Städte erobert und alle Bande göttlichen und menschlichen Rechtes zerris-

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iuris violata referebat. Illyrios vero et Thracas rapto vivere adsuetos aciem hostium auro purpuraque fulgentem intueri iubebat, praedam non arma gestantem: (10) irent et imbellibus feminis aurum viri eriperent, aspera montium suorum iuga nudasque calles et perpetuo rigentes gelu ditibus Persarum campis agrisque mutarent. 11 (1) Iam ad teli iactum pervenerant, cum Persarum equites ferociter in laevum cornu hostium invecti sunt: quippe Dareus equestri proelio decernere optabat, phalangem Macedonici exercitus robur esse coniectans. Iamque etiam dextrum Alexandri cornu circumibatur. (2) Quod ubi Macedo conspexit, duabus alis equitum ad iugum montis iussis subsistere ceteros in medium belli discrimen strenue transfert. (3) Subductis deinde ex acie Thessalis equitibus, praefectum eorum occulte circumire tergum suorum iubet, Parmenionique coniungi et, quod is imperasset, impigre exequi. (4) Iamque ipsi in medium Persarum ‹***› undique circumfusi egregie tuebantur, sed conferti et quasi cohaerentes tela vibrare non poterant: simul erant emissa, in eosdem concurrentia implicabantur, levique et vano ictu pauca in hostem plura in humum innoxia cadebant. Ergo comminus pugnam coacti conserere gladios impigre stringunt. (5) Tum vero multum sanguinis fusum est: duae quippe acies ita cohaerebant ut armis arma pulsarent, mucrones in ora dirigerent. Non timido, non ignavo cessare tum licuit: collato pede, quasi singuli inter se dimicarent, in eodem vestigio stabant, donec vincendo locum sibi facerent. (6) Tum demum ergo promovebant gradum, cum hostem prostraverant. At illos novus excipiebat adversarius fatigatos, nec vulnerati, ut alias solent, acie poterant excedere, cum hostis instaret a fronte, a tergo sui urgerent. (7) Alexander non ducis magis quam militis munia exequebatur, opimum decus caeso rege

Geschichte Alexanders des Großen 3,10,9–3,11,7

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sen worden seien.62 Den Illyrern aber und den Thrakern, die von Raub zu leben gewohnt waren, befahl er hinzuschauen auf die in Gold und Purpur schimmernden Reihen der Feinde, die nur Beute, aber keine Waffen trügen: (10) Drauflos gehen sollten sie, und sie, die Männer, jenen frauenhaften Feiglingen ihr Gold entreißen63. Ihre rauen Gebirgskämme und ihre nackten, von ewigem Eis starrenden Bergpfade sollten sie mit den überreichen Landschaften der Perser tauschen. 11 (1) Man war bereits in Schussweite gelangt, als die persische Reiterei wild auf den linken feindlichen Flügel einstürmte: Denn Dareios wünschte, die Entscheidung durch einen Reiterkampf herbeizuführen, in der Vermutung, dass die Phalanx die Stärke des makedonischen Heeres sei. Und schon versuchten die Perser, den rechten Flügel Alexanders zu umgehen. (2) Sobald dies der Makedone wahrnahm, befahl er zwei Reiterabteilungen, an dem Bergrücken Halt zu machen; die Übrigen warf er entschlossen mitten in die Entscheidung des Kampfes. (3) Dann zog er allmählich die thessalischen Reiter aus der Schlachtordnung zurück und befahl ihrem Befehlshaber, heimlich das eigene Heer im Rücken zu umgehen, sich an Parmenion anzuschließen und dessen Befehle ohne weiteres auszuführen. (4) Und schon selbst in die Mitte der Perser ‹***›64 und hielten sich, rings von denselben umschlossen, vortrefflich; aber dicht gedrängt und gleichsam zusammengekeilt, vermochten sie keine Geschosse zu schleudern: Denn kaum waren sie geworfen, verfingen sie sich ineinander, da sie nach einer Richtung zusammentrafen, und nur wenige trafen, schwach und kaum wirksam, den Feind, die Mehrzahl fiel, ohne Schaden anzurichten, auf die Erde. So zum Nahkampf gezwungen, zückten sie ohne zu zögern die Schwerter. (5) Und von nun an floss das Blut in Strömen; denn beide Schlachtreihen waren so eng aneinandergeraten, dass Schild auf Schild traf und man die Schwerter auf das Gesicht richtete. Da konnte kein Feigling, kein Schwankender zurücktreten: Fuß an Fuß, wie im Einzelkampf, standen sie auf ein und demselben Fleck, bis sie sich durch Überwindung des Gegners Raum schufen. (6) Dann erst konnten sie weiter vorrücken, wenn der Feind zu Boden lag. Doch ein frischer Gegner erwartete die Ermatteten, und selbst die Verwundeten konnten nicht wie sonst die Schlacht verlassen, da der Feind von vorn angriff und im Rücken die eigenen Leute nachdrängten. (7) Alexander kam ebenso sehr seiner Soldaten- als auch Feldherrnpflicht nach, indem er nach dem besonderen Ruhm strebte, den

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expetens: quippe Dareus curru sublimis eminebat, et suis ad se tuendum et hostibus ad incessendum ingens incitamentum. (8) Ergo frater eius Oxathres, cum Alexandrum instare ei cerneret, equites quibus praeerat ante ipsum currum regis obiecit. Armis et robore corporis multum super ceteros eminens, animo vero et pietate in paucissimis, illo utique proelio clarus, alios improvide instantes prostravit, alios in fugam avertit. (9) At Macedones, ‹qui› circa regem erant, mutua adhortatione firmati cum ipso in equitum agmen inrumpunt. Tum vero similis ruinae strages erat. Circa currum Darei iacebant nobilissimi duces ante oculos regis egregia morte defuncti, omnes in ora proni, sicut dimicantes procubuerant adverso corpore vulneribus acceptis. (10) Inter hos Atizyes et Rheomithres et Sabaces, praetor Aegypti, magnorum exercituum praefecti, noscitabantur; circa eos cumulata erant peditum equitumque obscurior turba. Macedonum quoque non quidem multi, sed promptissimi tamen caesi sunt; inter quos Alexandri dextrum femur leviter mucrone perstrictum est. (11) Iamque qui Dareum vehebant equi, confossi hastis et dolore efferati, iugum quatere et regem curru excutere coeperant cum ille, veritus ne vivus veniret in hostium potestatem, desilit et in equum qui ad hoc ipsum sequebatur imponitur, insignibus quoque imperii, ne fugam proderent, indecore abiectis. (12) Tum vero ceteri dissipantur metu et, qua cuique ad fugam patebat via, erumpunt arma iacientes, quae paulo ante ad tutelam corporum sumpserant: adeo pavor etiam auxilia formidat. (13) Instabat fugientibus eques a Parmenione emissus, et forte in illud cornu omnes fuga abstulerat. At in dextro Persae Thessalos equites vehementer urgebant. (14) Iamque una ala ipso impetu proculcata erat, cum Thessali strenue circumactis equis dilapsi rursus in proelium redeunt, spar-

Geschichte Alexanders des Großen 3,11,7–3,11,14

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König getötet zu haben65. Dareios thronte nämlich hoch auf seinem Wagen, ein gewaltiger Ansporn sowohl für seine Leute, ihn zu schützen, als auch für die Feinde, ihren Angriff auf ihn zu richten. (8) Als daher sein Bruder Oxathres66 Alexander ihn angreifen sah, warf er ihm die Reiter, die er anführte, gerade vor dem königlichen Wagen entgegen. Die Übrigen überragte er weit durch seine Waffen und seine Körperstärke, besonders aber war er durch Mut und Bruderliebe wie nur wenige ausgezeichnet und glänzte jedenfalls in dieser Schlacht. Die einen, die unvorsichtig vordrangen, schmetterte er zu Boden, andere trieb er in die Flucht. (9) Allein die Makedonen, die Alexander umgaben, brachen, durch gegenseitigen Zuruf ermutigt, mit ihrem König in die Reihen der Reiter ein. Da nun gab es einen Kampf, der einem Hinschlachten ähnlich war. Um den Wagen des Dareios lagen die vornehmsten Führer, vor den Augen ihres Königs eines ruhmvollen Todes gestorben, alle das Gesicht in Richtung Boden, wie sie im Kampf niedergesunken waren, mit Wunden vorn auf der Brust. (10) Unter anderen erkannte man Atizyes67 und Rheomithres und Sabakes, den Satrapen von Ägypten68, die Befehlshaber großer Heere: Um sie aufgetürmt die weniger bekannte Menge von Fußvolk und Reitern. Auch von den Makedonen wurden zwar nicht viele, doch gerade die Mutigsten getötet; Alexanders rechter Schenkel wurde leicht von einer Schwertspitze gestreift69. (11) Und schon war es fast soweit, dass die Pferde, die Dareios zogen, von Lanzen durchbohrt und vor Schmerz scheu wurden, am Joch rissen und den König vom Wagen schleuderten: Da sprang der König aus Furcht, lebendig in die Hand der Feinde zu geraten, herab und ließ sich auf ein Pferd heben, das ihm zu eben diesem Zweck mitgeführt wurde. Dabei warf er sogar die Herrschaftsinsignien, damit sie seine Flucht nicht verrieten, unrühmlich von sich. (12) Nun aber zerstreuten sich die Übrigen voller Entsetzen, und jeder stürzte dahin, wo sich ihm ein Weg zur Flucht öffnete, die Waffen von sich werfend, die sie erst kurz zuvor zu ihrem Schutz ergriffen hatten: So sehr scheut der Schrecken selbst das, was Hilfe bringen kann. (13) Die Flüchtlinge verfolgte die von Parmenion entsandte Reiterei; zufällig hatte die Flucht alle nach jenem Flügel fortgerissen. Auf dem rechten Flügel dagegen bedrängten die Perser heftig die thessalische Reiterei. (14) Und eine Abteilung war bereits durch ihr bloßes Anstürmen niedergeritten, als die Thessalier entschlossen ihre Pferde herumwarfen und von ihrer Flucht wieder in die Schlacht zurückkehrten. Dort warfen sie die Barbaren,

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sosque et incompositos victoriae fiducia barbaros ingenti caede prosternunt. (15) Equi pariter equitesque Persarum, serie laminarum graves, agmen ad id genus ‹pugnae›, quod celeritate maxime constat, aegre moliebantur: quippe in circumagendis equis suis Thessali inulti occupaverant. (16) Hac tam prospera pugna nuntiata Alexander, non ante ausus persequi barbaros, utrimque iam victor instare fugientibus coepit. (17) Haud amplius regem quam mille equites sequebantur, cum ingens multitudo hostium cederet; sed quis aut in victoria aut in fuga copias numerat? Agebantur ergo a tam paucis pecorum modo, et idem metus, qui cogebat fugere, fugientes morabatur. (18) At Graeci, qui in Darei partibus steterant, Amynta duce – praetor hic Alexandri fuerat, tunc transfuga – abrupti a ceteris, haud sane fugientibus similes evaserant. (19) Barbari longe diversam fugam intenderunt: alii, qua rectum iter in Persidem ducebat, quidam circuitu rupes saltusque montium occultos petivere, pauci castra Darei. (20) Sed iam illa quoque victor intraverat omni quidem opulentia ditia. Ingens auri argentique pondus, non belli sed luxuriae apparatum, diripuerant milites, cumque plus raperent ‹quam capere possent›, passim strata erant itinera vilioribus sarcinis, quas in comparatione meliorum avaritia contempserat. (21) Iamque ad feminas perventum erat, quibus quo cariora ornamenta sunt, violentius detrahebantur. Ne corporibus quidem vis ac libido parcebat. (22) Omni planctu tumultuque, prout cuique fortuna erat, castra repleverant, nec ulla facies mali deerat, cum per omnes ordines aetatesque victoris crudelitas ac licentia vagaretur. (23) Tunc vero impotentis fortunae species conspici potuit cum ii, qui Dareo tabernaculum exornaverant omni luxu et opulentia instructum, eadem illa Alexandro, quasi veteri domino, reservabant. Namque id solum

Geschichte Alexanders des Großen 3,11,14–3,11,23

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die sich in ihrer Siegesgewissheit schon zerstreut hatten und keine Ordnung mehr hielten, zu Boden. (15) Die Pferde ebenso wie die Reiter der Perser, schwerfällig durch die aneinandergefügten Panzerplatten, führten dieses Manöver, bei dem es doch hauptsächlich auf Schnelligkeit ankommt, nur mühsam aus: Deshalb machten die Thessalier sie beim Umlenken ihrer Pferde nieder, ohne auf Widerstand zu treffen. (16) Nachdem ihm der glückliche Ausgang der Schlacht gemeldet war, begann Alexander, der vorher nicht gewagt hatte, die Barbaren zu verfolgen, nun auf beiden Flügeln siegreich, den Fliehenden nachzusetzen. (17) Nicht mehr als 1 000 Reiter folgten dem König, die Zahl der flüchtenden Feinde aber war ungeheuer groß; doch wer zählt als Sieger oder auf der Flucht die Truppen? Also wurden sie von so wenigen einer Viehherde gleich gejagt und die Furcht, die sie zur Flucht trieb, hemmte sie gleichzeitig. (18) Die Griechen jedoch, die auf Dareios’ Seite gefochten hatten, waren unter Führung des Amyntas – ein früherer Feldherr des Alexander, jetzt zum Feind übergelaufen – von den Übrigen abgeschnitten, entronnen, ohne dass dies gerade wie eine Flucht aussah. (19) Die Barbaren schlugen auf ihrer Flucht sehr verschiedene Wege ein, die einen in gerader Richtung der Straße nach, die nach Persien führte, manche eilten auf Umwegen zu Felsen und Gebirgswäldern in der Umgebung, nur wenige in das Lager des Dareios. (20) Aber auch in dies, das von aller Art Reichtum strotzte, war der Sieger bereits eingedrungen. Eine ungeheure Masse Gold und Silber, das nicht Kriegszwecken, sondern dem Luxus diente, war bald von den Soldaten geplündert, und da sie mehr fortschleppten, als sie tragen konnten, waren die Wege hier und da mit weniger wertvollen Beutestücken bedeckt, die die Habsucht im Vergleich mit den kostbareren verschmäht hatte. (21) Und schon war man bis zu den Frauen gelangt, denen ihr Schmuck, je kostbarer er war, umso gewaltsamer abgerissen wurde: Selbst ihre Leiber schonten sie nicht in ihrer wilden Begierde. (22) Je nachdem, welches Schicksal einen jeden erwartete, hatten sie alles mit Geheul und Verwirrung erfüllt, und kein Bild des Schreckens fehlte, da die Grausamkeit und Zügellosigkeit des Siegers ungeachtet ihres Standes und Alters wütete. (23) Hier konnte man auch ein Beispiel für den Wankelmut des Glückes erkennen, denn die Diener, die dem Dareios das mit alter Pracht und Reichtumsfülle ausgestattete Zelt hergerichtet hatten, verwahrten alles dieses nun für Alexander, gleich als wäre er ihr alter Herr. Denn dies allein war von den Soldaten unberührt gelassen, nach der

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intactum omiserant milites, ita tradito more ut victorem victi regis tabernaculo exciperent. (24) Sed omnium oculos animosque in semet averterant captivae mater coniunxque Darei: illa non maiestate solum sed etiam aetate venerabilis, haec formae pulchritudine ne illa quidem sorte corruptae. Receperat in sinum filium nondum sextum annum aetatis egressum, in spem tantae fortunae quantam pater eius paulo ante amiserat, genitum. (25) At in gremio anus aviae iacebant adultae duae virgines, non suo tantum sed etiam illius maerore confectae. Ingens circa eam nobilium feminarum turba constiterat, laceratis crinibus abscissaque veste pristini decoris immemores, reginas dominasque veris quondam, tunc alienis nominibus invocantes. (26) Illae suae calamitatis oblitae, in utro cornu Dareus stetisset, quae fortuna discriminis fuisset, requirebant: negabant se captas, si viveret rex. Sed illum equos subinde mutantem longius fuga abstulerat. (27) In acie autem caesa sunt Persarum peditum C ‹milia›, decem equitum. At a parte Alexandri [ad] quattuor et quingenti saucii fuere, ex peditibus CCC omnino et duo desiderati sunt, equitum centum quinquaginta interfecti: tantulo impendio ingens victoria stetit! 12 (1) Rex avidius Dareum persequendo fatigatus, postquam et nox adpetebat et consequendi spes non erat, in castra paulo ante a suis capta pervenit. (2) Invitari deinde amicos, quibus maxime adsueverat, iussit – quippe summa dumtaxat cutis in femine perstricta non prohibebat interesse convivio – (3) cum repente e proximo tabernaculo lugubris clamor barbaro ululatu planctuque permixtus epulantes conterruit. Cohors quoque, quae excubabat ad tabernaculum regis, verita ne maioris motus principium esset, armare se coeperat. (4) Causa subiti pavoris fuit, quod mater uxorque Darei cum captivis nobilibus regem, quem interfectum esse credebant, ingenti gemitu eiulatuque deflebant. (5) Unus namque e captivis spadonibus, qui forte ante ipsarum tabernaculum steterat,

Geschichte Alexanders des Großen 3,11,23–3,12,5

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überkommenen Sitte, den Sieger im Zelt des besiegten Königs aufzunehmen. (24) Die Augen und Herzen aller aber hatten die gefangene Mutter und Gemahlin des Dareios auf sich gezogen: Nicht nur durch ihre majestätische Erscheinung, sondern auch durch ihr Alter flößte jene Ehrfurcht ein, diese durch die Schönheit ihres Äußeren, die selbst durch ihr trauriges Los keine Einbuße erlitten hatte. Auf dem Arm hielt sie ihren kleinen, noch kaum sechsjährigen Sohn, der mit der Aussicht auf eine so glänzende Stellung geboren war, wie sie sein Vater soeben eingebüßt hatte. (25) Aber auf dem Schoß der greisen Großmutter lagen die beiden erwachsenen Töchter, nicht nur durch die eigene, sondern auch durch deren Trauer um ihn gebrochen. Um sie herum standen unzählige vornehme Frauen, das Haar zerrauft, die Gewänder zerrissen, ohne Rücksicht auf ihre frühere hohe Stellung riefen sie ihre Königinnen und Herrinnen mit den Namen, die sie einstmals mit Recht führten, die ihnen aber jetzt nicht mehr zukamen. (26) Sie dachten nicht an ihr eigenes Unglück, sondern fragten immer wieder, auf welchem Flügel Dareios gestanden und welches das Geschick des Kampfes gewesen sei. Sie könnten, sagten sie, nicht gefangen sein, wenn der König lebe. Doch den hatte, indem er von Zeit zu Zeit sein Pferd wechselte, die Flucht weiter und weiter fortgetragen. (27) In der Schlacht aber fielen 100 000 Perser zu Fuß und 10 000 Reiter. Auf Seiten Alexanders dagegen gab es 504 Verwundete, vom Fußvolk wurden im Ganzen 302 vermisst, von der Reiterei 150 getötet. So geringe Opfer kostete ihn der gewaltige Sieg. 12 (1) Alexander selbst kam, von der Verfolgung des Dareios ermüdet, als bei Einbruch der Nacht keine Hoffnung ihn einzuholen mehr vorhanden war, in das kurz zuvor von seinen Leuten eingenommene Lager. (2) Hierauf ließ er seine engsten Freunde zu sich einladen; denn da ihm nur die Haut an dem Schenkel oberflächlich gestreift worden war, hinderte ihn dies nicht, am Gelage teilzunehmen. (3) Da erschreckte die Speisenden plötzlich aus dem Nachbarzelt Totenklage, mit fremdartigem Geheul und Schlägen zum Ausdruck der Trauer. Auch die Abteilung, die vor dem Zelt des Königs Wache hielt, fürchtete den Beginn eines größeren Aufruhrs und griff zu den Waffen. (4) Die Ursache des plötzlichen Schreckens war, dass die Mutter und die Gemahlin des Dareios mit den vornehmen gefangenen Frauen den König, den sie für gefallen hielten, mit furchtbarem Wehklagen betrauerten. (5) Einer von den gefangenen Eunuchen nämlich, der gerade vor ihrem Zelt gestan-

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amiculum, quod Dareus, sicut paulo ante dictum est, ne cultu proderetur abiecerat, in manibus eius, qui repertum ferebat, agnovit ratusque interfecto detractum esse falsum nuntium mortis eius attulerat. (6) Hoc mulierum errore comperto, Alexander fortunae Darei et pietati earum inlacrimasse fertur. Ac primo Mithrenem, qui Sardis tradiderat, peritum linguae Persicae, ire ad consolandas eas iusserat; (7) veritus deinde, ne proditor captivarum iram doloremque renovaret, Leonnatum ex purpuratis suis misit iussum indicare falso lamentari eas vivum. Ille cum paucis armigeris in tabernaculum, in quo captivae erant, pervenit missumque se a rege nuntiari iubet. (8) At ii, qui in vestibulo erant, ut armatos conspexere, rati actum esse de dominis in tabernaculum currunt, vociferantes adesse supremam horam missosque qui occiderent captas. (9) Itaque, ut quae nec prohibere possent nec admittere auderent, nullo responso dato tacitae opperiebantur victoris arbitrium. (10) Leonnatus expectato diu qui se introduceret, postquam nemo procedere audebat, relictis in vestibulo satellitibus intrat in tabernaculum. Ea ipsa res turbaverat feminas, quod inrupisse non admissus videbatur. (11) Itaque mater et coniunx provolutae ad pedes orare coeperunt ut, priusquam interficerentur, Darei corpus ipsis patrio more sepelire permitteret; functas supremo in regem officio impigre esse morituras. (12) Leonnatus et vivere Dareum et ipsas non incolumes modo sed etiam apparatu pristinae fortunae reginas fore ‹adfirmat›. Tum demum Darei mater adlevari se passa est. (13) Alexander postero die cum cura sepultis militibus, quorum corpora invenerat, Persarum quoque nobilissimis eundem honorem haberi iubet matrique Darei permittit quos vellet patrio more sepeliret. (14) Illa paucos arta propinquitate coniunctos pro habitu praesentis fortunae humari iussit, appa-

Geschichte Alexanders des Großen 3,12,5–3,12,14

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den hatte, erkannte in den Händen des Finders den Mantel, den Dareios, wie oben erwähnt, von sich geworfen hatte, um sich nicht durch seine Kleidung zu verraten, und in dem Glauben, er sei dem Getöteten ausgezogen worden, hatte er die falsche Todesnachricht hinterbracht. (6) Als Alexander von diesem Irrtum der Frauen erfuhr, soll er über das Schicksal des Dareios und ihre treue Liebe Tränen vergossen haben. Und im ersten Augenblick hatte er dem Mithrenes, der ihm Sardes ausgeliefert hatte, zu gehen und sie zu trösten befohlen, da er der persischen Sprache mächtig war. (7) Dann fürchtete er jedoch, der Verräter könnte den Unwillen und Schmerz der Gefangenen erneuern, und sandte aus seiner Begleitung den Leonnatos mit dem Auftrag, ihnen zu sagen, dass sie irrtümlich um einen Lebenden trauerten. Jener kam mit einigen Wachleuten in das Zelt, in dem sich die Gefangenen befanden, und ließ melden, er komme im Auftrag des Königs. (8) Sobald jedoch die Diener im Vorraum die Bewaffneten erblickten, rannten sie in der Überlegung, es sei um ihre Herrinnen geschehen, in das Zelt und schrien, die letzte Stunde sei gekommen, es seien Leute da, um die gefangenen Frauen zu töten. (9) Da nun diese sie weder abhalten konnten, noch einzulassen wagten, erwarteten sie stumm, ohne Antwort zu geben, was der Sieger über sie beschlossen hatte. (10) Als Leonnatos lange darauf gewartet hatte, wer ihn hineinführen sollte, ließ er, als niemand herauszukommen wagte, die Wachen im Vorraum und trat in das Zelt ein. Gerade aber dies versetzte die Frauen in Unruhe, da es den Anschein hatte, als sei er ohne Erlaubnis eingedrungen. (11) Die Mutter und Gemahlin des Königs warfen sich ihm daher zu Füßen und begannen zu bitten, er möge ihnen gestatten, bevor sie getötet würden, den Leichnam des Dareios nach Landessitte zu beerdigen: Hätten sie diese letzte Pflicht gegenüber dem König erfüllt, so wollten sie unverzüglich sterben. (12) Leonnatos versicherte, Dareios lebe, und ihnen selbst werde nicht nur kein Leid geschehen, sondern sie sollten auch im Glanz ihres früheren Rangs als Königinnen leben. Da erst ließ sich Dareios’ Mutter vom Boden aufheben. (13) Nachdem Alexander am folgenden Tag seine Soldaten, deren Leichname man gefunden hatte, sorgfältig hatte bestatten lassen, befahl er, auch den vornehmsten Persern die gleiche Ehre zu erweisen, und erlaubte der Mutter des Dareios, wen sie wolle, nach Landessitte zu begraben. (14) Jene ließ einige wenige, die mit ihr am nächsten verwandt waren, ihrer gegenwärtigen Lage entsprechend bestatten; denn sie glaubte, dass die Art des Leichen-

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ratum funerum, quo Persae suprema officia celebrarent, invidiosum fore existimans, cum victores haud pretiose cremarentur. (15) Iamque iustis defunctorum corporibus solutis praemittit ad captivas qui nuntiarent ipsum venire, inhibitaque comitantium turba tabernaculum cum Hephaestione intrat. (16) Is longe omnium amicorum carissimus erat regi, cum ipso pariter eductus, secretorum omnium arbiter; libertatis quoque in admonendo eo non alius ‹maius› ius habebat, quod tamen ita usurpabat ut magis a rege permissum quam vindicatum ab eo videretur. Et sicut aetate par erat regi, ita corporis habitu praestabat. (17) Ergo reginae illum esse regem ratae suo more veneratae sunt. Inde ex captivis spadonibus quis Alexander esset monstrantibus, Sisigambis advoluta est pedibus eius ignorationem numquam antea visi regis excusans. Quam manu adlevans rex ‘Non errasti’ inquit, ‘mater: nam et hic Alexander est.’ (18) Equidem hac continentia animi si ad ultimum vitae perseverare potuisset, feliciorem fuisse crederem quam visus est esse, cum Liberi Patris imitaretur triumphum usque ab Hellesponto ad Oceanum omnes gentes victoria emensus. (19) Sic vicisset profecto superbiam atque iram, mala invicta; sic abstinuisset inter epulas caedibus amicorum egregiosque bello viros et tot gentium secum domitores indicta causa veritus esset occidere. (20) Sed nondum fortuna se animo eius superfuderat: itaque orientem tam moderate et prudenter tulit, ad ultimum magnitudinem eius non cepit. (21) Tunc quidem ita se gessit ut omnes ante eum reges et continentia et clementia vincerentur. Virgines reginas excellentis formae tam sancte habuit, quam si eodem quo ipse parente genitae forent; (22) coniugem eiusdem, quam nulla aetatis suae pulchritudine corporis vicit, adeo ipse non violavit, ut summam adhibuerit curam ne quis captivo corpori inluderet. (23) Omnem cultum reddi feminis iussit, nec quicquam ex pristinae fortunae magnificentia captivis praeter fidu-

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begängnisses, in dem die Perser die letzte Pflicht für die Verstorbenen erfüllten, Unwillen erregen könnte, da die Sieger ohne Aufwand verbrannt wurden. (15) Als nun den Leichnamen der Gefallenen die gebührende Ehre erwiesen worden war, schickte Alexander an die gefangenen Frauen die Botschaft, dass er selbst komme, und ohne seine Begleiter einzulassen, trat er allein mit Hephaistion in das Zelt. (16) Dieser war ihm unter allen seinen Freunden bei weitem der Liebste, war mit ihm zusammen erzogen worden und Mitwisser aller seiner Geheimnisse. Auch hatte kein anderer ein größeres Recht, ihn so frei zu kritisieren; dieses Recht übte er aber so aus, dass es ihm mehr vom König zugestanden als von ihm selbst in Anspruch genommen zu sein schien. Und war er ebenso alt wie Alexander, übertraf er ihn aber an Größe. (17) Daher hielten die Königinnen ihn für den König und fielen nach ihrer Sitte vor ihm nieder. Als hierauf einige von den gefangenen Eunuchen ihnen zeigten, wer Alexander sei, warf sich Sisygambis zu seinen Füßen und entschuldigte ihren Irrtum damit, dass sie den König nie zuvor gesehen hätten. Doch richtete der König sie wieder auf und sprach: ,,Du hast dich nicht geirrt, Mutter, denn dieser ist Alexander.“70 (18) Hätte er diese Bescheidenheit bis zum Ende seines Lebens beibehalten können, so wäre er meiner Meinung nach glücklicher gewesen, als er es zu sein schien, als er in ähnlichem Triumphzug wie Bakchos alle Länder vom Hellespont bis zum Ozean siegreich durchmessen hatte. (19) Dann hätte er sicherlich Stolz und Jähzorn, jene unbezwinglichen Laster, besiegt; er hätte sich enthalten, beim Gelage seine Freunde zu ermorden, und sich gescheut, die ausgezeichnetsten Kriegsmänner, die mit ihm so viele Völker bezwungen hatten, ohne Anhörung hinrichten zu lassen. (20) Aber noch nicht hatte die Woge des Glücks seinen Sinn überwältigt, und darum trug er es zu Anfang mit Mäßigung und Weisheit, während er gegen Ende hin dessen Überfülle nicht zu erfassen vermochte. (21) Damals wenigstens verhielt er sich so, dass er alle früheren Könige an Selbstbeherrschung und Milde übertraf. Sein Verhalten gegen die durch ihre Schönheit ausgezeichneten königlichen Jungfrauen war so untadelig, als wären sie seine Schwestern. (22) Der Gemahlin des Dareios, die von keiner ihrer Zeitgenossinnen an Schönheit übertroffen wurde, zu nahe zu treten, war er selbst so weit entfernt, dass er mit größter Sorgfalt darüber wachte, dass niemand sich an der Gefangenen vergriff. (23) Allen ihren Schmuck ließ er den Frauen zurückgeben, und es mangelte ihnen in ihrer Gefangenschaft nicht im Geringsten

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ciam defuit. (24) Itaque Sisigambis ‘Rex’ inquit, ‘mereris ut ea precemur tibi quae Dareo nostro quondam precatae sumus, et, ut video, ‹fide› dignus es, qui tantum regem non felicitate solum sed etiam aequitate superaveris. (25) Tu quidem matrem me et reginam vocas, sed ego me tuam famulam esse confiteor. Et praeteritae fortunae fastigium capere et praesentis iugum pati possum: tua interest, quantum in nos licuerit, si id potius clementia quam saevitia vis esse testatum.’ (26) Rex bonum animum habere eas iussit. Darei filium collo suo admovit, atque nihil ille conspectu tum primum a se visi conterritus cervicem eius manibus amplectitur. Motus ergo rex constantia pueri Hephaestionem intuens ‘Quam vellem’ inquit, ‘Dareus aliquid ex hac indole hausisset!’ Tum tabernaculo egressus. (27) Tribus aris in ripa Pinari amnis Iovi atque Herculi Minervaeque sacratis Syriam petit, Damascum, ubi regis gaza erat, Parmenione praemisso. 13 (1) Atque ‹ille›, cum praecessisse eo Darei satrapam comperisset, veritus ne paucitas suorum sperneretur, accersere maiorem manum statuit. (2) Sed forte in exploratores ab eo praemissos incidit natione Mardus, qui ad Parmeniona perductus litteras ad Alexandrum a praefecto Damasci missas tradit ei, nec dubitare eum quin omnem regiam supellectilem cum pecunia traderet adiecit. (3) Parmenio adservari eo iusso litteras aperit, in quis erat scriptum ut mature Alexander aliquem ex ducibus suis mitteret cum manu exigua, ‹cui traderet, quae›cumque rex penes ipsum reliquisset. Itaque Mardum datis comitibus ad proditorem remittit. (4) Ille e manibus custodientium lapsus Damascum ante lucem intrat. Turbaverat ea res Parmenionis animum insidias timentis, et ignotum iter sine duce non audebat ingredi. Felicitati tamen regis sui confisus

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an der Herrlichkeit ihres früheren Ranges, außer am Selbstgefühl. (24) Sisygambis sprach daher zu ihm: „Oh König, du verdienst es, dass wir das, was wir zuvor für unseren Dareios erbaten, für dich erflehen, und du bist, wie ich sehe, vertrauenswürdig, da du diesen großen König nicht nur an Glück, sondern auch an milder Gesinnung übertroffen hast. (25) Du nennst mich zwar Mutter und Königin, doch ich bekenne, dass ich deine Sklavin bin. Ich vermag sowohl die Größe meines verlorenen Glücks zu ermessen, wie auch die Last meines gegenwärtigen Loses zu ertragen. Deine Sache ist es, wenn du lieber durch Milde als durch Grausamkeit bezeugen willst, über welche unbeschränkte Macht über uns du verfügst.“ (26) Der König hieß sie ihren Mut nicht verlieren und nahm den kleinen Sohn des Dareios auf den Arm, und dieser schlang ihm die Arme um den Hals, ohne sich durch den Anblick des vorher nie gesehenen Mannes im Geringsten schrecken zu lassen. Von der Unerschrockenheit des Jungen gerührt, wandte Alexander sich zu Hephaistion und rief: „Wie wünschte ich doch, dass Dareios etwas von dieser Veranlagung an sich hätte!“ Als er hierauf das Zelt verlassen hatte, (27) weihte er am Ufer des Flusses Pinaros dem Zeus, dem Herakles und der Athene drei Altäre und marschierte dann weiter nach Syrien. Zuvor jedoch schickte er Parmenion nach Damaskos voraus, wo sich der Schatz des Königs befand71. 13 (1) Da er erfuhr, dass auch ein Satrap des Dareios auf dem Weg dorthin sei, fürchtete er, die geringe Zahl seiner Leute könnte verachtet werden, und beschloss, größere Truppenmengen heranzuführen. (2) Da fiel zufällig den von ihm vorausgeschickten Spähern ein Marder72 in die Hände, der vor Parmenion gebracht wurde und ihm einen vom Befehlshaber von Damaskos an Alexander gerichteten Brief übergab. Er fügte hinzu, dieser trage kein Bedenken, den ganzen königlichen Hausrat mit dem Staatsschatz auszuliefern. (3) Parmenion befahl, den Mann in Gewahrsam zu halten, und öffnete den Brief, in dem geschrieben stand, Alexander solle schleunigst einen von seinen Feldherren mit einer geringen Truppenzahl senden, dem er alles anvertrauen könne, was der König in seiner Obhut zurückgelassen hatte. Er schickte daher den Marder unter Begleitung an den Verräter zurück. (4) Jener entkam jedoch seinen Bewachern und gelangte vor Tagesanbruch nach Damaskos. Dies beunruhigte Parmenion; er befürchtete nämlich eine List und wagte es nicht, den unbekannten Marsch ohne Führer anzutreten; doch befahl er, im Vertrauen auf das Glück seines Königs, die Landbe-

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agrestes, qui duces itineris essent, excipi iussit; quibus celeriter repertis quarto die ad urbem pervenit, iam metuente praefecto ne sibi fides habita non esset. (5) Igitur quasi parum munimentis oppidi fidens ante solis ortum pecuniam regiam – gazam Persae vocant – cum pretiosissimis rerum efferri iubet fugam simulans, re vera ut praedam hosti offerret. (6) Multa milia virorum feminarumque excedentem oppido sequebantur, omnibus miserabilis turba praeter eum cuius fidei commissa erat. Quippe quo maior proditionis merces foret, obicere hosti parabat gratiorem omni pecunia praedam: nobiles viros, praetorum Darei coniuges liberosque, praeter hos Graecarum urbium legatos, quos Dareus velut in arce tutissima in proditoris reliquerat manibus. (7) Gangabas Persae vocant humeris onera portantes: ii cum tolerare non possent – quippe et procella subito nivem effuderat et humus rigebat gelu – tum adstrictas vestes, quas cum pecunia portabant, auro et purpura insignes induunt nullo prohibere auso, cum fortuna regis etiam humillimis in ipsum licentiam faceret. (8) Praebuere ergo Parmenioni non spernendi agminis speciem. Qui intentiore cura suos, quasi ad iustum proelium, paucis adhortatus equis calcaria iubet subdere et acri impetu in hostem evehi. (9) At illi oneribus, quae subierant, omissis per metum capessunt fugam; armati quoque, qui eos prosequebantur, eodem metu arma iactare ac nota deverticula petere coeperunt. (10) Praefectus, quasi et ipse conterritus simulans, cuncta pavore compleverat. Iacebant totis campis opes regiae, illa pecunia stipendio ingenti militum praeparata, ille cultus tot nobilium virorum, tot inlustrium feminarum, (11) aurea vasa, aurei freni, tabernacula regali magnificentia ornata, vehicula quoque a suis destituta ingentis

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wohner aufzugreifen, die ihm auf dem Zug als Führer dienen könnten. Diese waren schnell gefunden, und am vierten Tag gelangte er zur Stadt, während deren Befehlshaber schon fürchtete, man hätte ihm kein Vertrauen geschenkt. (5) Er befahl daher, gleich als ob er den Befestigungswerken der Stadt zu wenig traue, vor Sonnenaufgang den königlichen Münzschatz, der bei den Persern „Gaza“ heißt, mit den besten Kostbarkeiten fortzuschaffen, dem Anschein nach, um zu flüchten, in Wirklichkeit aber, um dem Feind die Beute in die Hände zu spielen. (6) Viele tausend Männer und Frauen folgten ihm bei seinem Auszug aus der Stadt, eine Schar, die jedem Mitleid einflößen musste, nur nicht dem, dessen Schutz sie anvertraut war. Denn damit der Lohn für seinen Verrat desto größer ausfalle, beabsichtigte er, dem Feind eine noch willkommenere Beute als alles Geld zukommen zu lassen, vornehme Männer, Frauen und Kinder der Feldherrn des Dareios, dazu die Gesandten der griechischen Städte, die Dareios, als wären sie da in der sichersten Festung, in den Händen des Verräters zurückgelassen hatte. (7) „Gangabai“ heißen bei den Persern die Leute, die auf ihren Schultern Lasten tragen. Als diese es, da plötzlich ein Sturm Schneemassen herabschüttete und der Erdboden von Eis starrte, nicht länger aushalten konnten, hüllten sie sich in die von Gold und Purpur glänzenden Gewänder, die sie zusammen mit dem Geld trugen, ohne dass es jemand wagte, sie daran zu hindern, da das Unglück des Königs auch den Niedrigsten freie Hand gegen ihn gab. (8) Sie boten daher Parmenion den Anblick eines keineswegs zu verachtenden Zuges, so dass dieser aus wachsamer Sorge seine Leute mit wenig Worten wie zu einem ordentlichen Treffen anfeuerte und ihnen befahl, den Pferden die Sporen zu geben und im Galopp auf den Feind loszustürmen. (9) Die Lastenträger jedoch ließen vor Furcht ihre Lasten fallen und ergriffen die Flucht, und auch die Bewaffneten, die sie begleiteten, begannen in gleicher Furcht, ihre Waffen wegzuwerfen und sich in die ihnen bekannten Schlupfwinkel zu flüchten. (10) Ihr Befehlshaber hatte nämlich, indem er sich stellte, als sei er selbst auch in Schrecken geraten, alles mit Angst erfüllt. In der ganzen Gegend lagen die königlichen Schätze, all das Geld, zum Sold für eine ungeheure Truppenzahl bestimmt, der ganze Schmuck so vieler vornehmer Männer, so vieler angesehener Frauen, (11) goldene Gefäße, goldenes Zaumzeug, mit königlicher Pracht ausgeschmückte Zelte, auch Wagen, von den Besitzern verlassen und voll unermesslichen Reichtums, verstreut – ein Anblick, selbst für die

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opulentiae plena: facies etiam praedantibus tristis, si qua res avaritiam moraretur. Quippe tot annorum incredibili et fidem excedente fortuna cumulata tunc alia stirpibus lacerata, alia in caenum demersa cernebantur: non sufficiebant praedantium manus praedae. (12) Iamque etiam ad eos, qui primi fugerant, ventum erat. Feminae pleraeque parvos trahentes liberos ibant; inter quas tres fuere virgines, Ochi, qui ante Dareum regnaverat, filiae, olim quidem ex fastigio paterno rerum mutatione detractae, sed tum sortem earum crudelius adgravante fortuna. (13) In eodem grege uxor quoque eiusdem Ochi fuit Oxathrisque – frater hic erat Darei – filia et coniunx Artabazi, principis purpuratorum, filius‹que› cui Ilioneo fuit nomen. (14) Pharnabazi quoque, cui summum imperium maritimae orae rex dederat, uxor cum filio excepta est, Mentoris filiae tres ac nobilissimi ducis Memnonis coniunx et filius, vixque ulla domus purpurati fuit tantae cladis ‹expers›. (15) ‹Item capti sunt› Lacedaemonii et Athenienses societatis fide violata Persas secuti: Aristogiton et Dropides et Iphicrates, inter Athenienses genere famaque longe clarissimi, Lacedaemonii Pausippus et Onomastorides cum Monimo et Callicratide, hi quoque domi nobiles. (16) Summa pecuniae signatae fuit talentum II milia et sescenta, facti argenti pondus quingenta aequabat. Praeterea XXX milia hominum cum VII milibus iumentorum dorso onera portantium capta sunt. (17) Ceterum tantae fortunae proditorem ‹di› semper ultores celeriter debita poena persecuti sunt. Namque unus e consciis eius, credo, regis vicem etiam in illa sorte reveritus, interfecti proditoris caput ad Dareum tulit, opportunum solacium prodito: quippe et ultus inimicum erat et nondum in omnium animis memoriam maiestatis suae exolevisse cernebat.

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Plünderer jammervoll, wenn irgendetwas der Habsucht Grenzen setzen könnte. Denn was durch das unglaubliche und alle Vorstellungen übersteigende Glück so vieler Jahre angehäuft worden war, sah man dort teils an den Baumstämmen zerrissen, teils in den Schlamm getreten. Die Hände der Plünderer reichten für die Beute nicht aus. (12) Und schon hatte man auch die erreicht, die zuerst geflohen waren. Die meisten Frauen führten ihre kleinen Kinder mit sich; darunter waren Ochos73, der vor Dareios geherrscht hatte, junge Töchter, die schon früher durch den Wechsel der Dinge aus der hohen Stellung, die ihr Vater innegehabt, gestürzt waren, denen aber jetzt das Schicksal noch ein grausameres Los auflud. (13) Unter dem gleichen Haufen befand sich auch die Gemahlin des genannten Ochos und die Tochter des Oxathres, des Bruders von Dareios, sowie die Gemahlin des Artabazos, des obersten Würdenträgers, mit ihrem Sohn, der Ilioneus74 hieß. (14) Auch die Gemahlin des Pharnabazos, dem der König den Oberbefehl über die Seeküste anvertraut hatte, wurde mit ihrem Sohn gefangen genommen, ferner drei Töchter Mentors und die Gemahlin und der Sohn des berühmten Feldherrn Memnon75; und kaum blieb das Haus irgendeines Würdenträgers von diesem grenzenlosen Unglück verschont. (15) Ebenso gefangen wurden die Lakedaimonier und die Athener, die sich unter Verletzung des makedonischen Bündnisses an die Perser angeschlossen hatten: Aristogeiton, Dropides und Iphikrates, die durch Herkunft und Ruf unter den Athenern hochberühmt waren, und die Lakedaimonier Pausippos, Onomastorides, Monimos und Kallikratides, die ebenfalls in ihrer Heimat zu den Vornehmen zählten. (16) Die Summe des geprägten Geldes betrug 2 600 Talente, die des verarbeiteten Silbers 500 Talente an Gewicht. Außerdem wurden 30 000 Menschen und 7 000 mit Gepäck beladene Lasttiere gefangen. (17) Doch trafen die Götter, die oft späte Rächer sind, den Verräter dieses großen Vermögens schnell mit der verdienten Strafe. Einer von seinen Mitwissern nämlich, der – wie ich glaube – vor der Würde des Königs auch noch unter jenen unglücklichen Verhältnissen Scheu empfand, brachte das Haupt des getöteten Verräters vor Dareios, dem Verratenen ein willkommener Trost. Denn einerseits war er an seinem Feind gerächt, andererseits sah er die Erinnerung an seine Majestät noch nicht aus allen Gemütern verschwunden.

LIBER IV 1 (1) Dareus, tanti modo exercitus rex, qui triumphantis magis quam dimicantis more curru sublimis inierat proelium, per loca, quae prope immensis agminibus impleverat, iam inania et ingenti solitudine vasta fugiebat. (2) Pauci regem sequebantur: nam nec eodem omnes fugam intenderant et deficientibus equis cursum eorum, quos rex subinde mutabat, aequare non poterant. (3) Onchas deinde pervenit, ubi excepere eum Graecorum quattuor milia. Iam rectius hinc ad Euphraten contendit, id demum credens fore ipsius, quod celeritate praecipere potuisset. (4) At Alexander Parmenionem, per quem apud Damascum recepta erat praeda, iussum eam ipsam et captivos diligenti adservare custodia, Syriae, quam Coelen vocant, praefecit. (5) Novum imperium Syri nondum belli cladibus satis domiti aspernabantur; sed celeriter subacti oboedienter imperata fecerunt. Aradus quoque insula deditur regi. (6) Maritimam tum oram et pleraque longius etiam a mari recedentia rex eius insulae Strato possidebat; quo in fidem accepto castra movit ad urbem Marathon. (7) Ibi illi litterae a Dareo redduntur, quibus ut superbe scriptis vehementer offensus est: praecipue eum movit, quod Dareus sibi regis titulum nec eundem Alexandri nomini adscripserat. (8) Postulabat autem magis quam petebat ut, accepta pecunia quantamcumque tota Macedonia caperet, matrem sibi et coniugem liberosque restitueret. De regno aequo, si vellet, Marte contenderet. (9) Si saniora consilia tandem pati potuisset, contentus patrio cederet ali-

BUCH 4 1 (1) Eben noch war Dareios als König eines so gewaltigen Heeres, auf seinem Wagen thronend, mehr einem Triumphator als einem Streiter gleich, in die Schlacht gezogen – nun floh er durch die Gegenden, die er mit seinen fast unzählbaren Scharen angefüllt hatte, die aber nun leer und öde in tiefer Menschenverlassenheit lagen. (2) Wenige folgten ihrem König: Denn nicht alle hatten die Flucht in gleicher Richtung eingeschlagen, teils konnten sie wegen der Ermattung ihrer Pferde der Schnelligkeit derer, die der König von Zeit zu Zeit wechselte, nicht standhalten. (3) Dann gelangte er nach Onchai1, wo ihn 4 000 von den Griechen aufnahmen, mit denen er in Richtung Euphrat2 eilte; denn er glaubte, erst das werde in Zukunft ihm gehören, was er durch Schnelligkeit dem Feind im Voraus abgewinnen könne. (4) Alexander aber setzte Parmenion, durch den die Beute bei Damaskos gewonnen worden war, mit dem Befehl, diese wie auch die Gefangenen in sorgfältigem Gewahrsam zu halten, über das so genannte Koilesyrien ein3. (5) Die Syrer, die noch nicht genug durch Niederlagen bezwungen waren, wollten die neue Herrschaft ablehnen, doch wurden sie schnell unterworfen und befolgten nun gehorsam seine Befehle. Auch die Insel Arados4 ergab sich Alexander. (6) Deren König Straton besaß damals die Seeküste und mehrere weiter vom Meer entfernte Landstriche. Nachdem er dessen Unterwerfung entgegengenommen hatte, rückte er zu der Stadt Marathos5 vor. (7) Dort wurde ihm ein Brief von Dareios überbracht, der ihn durch seinen stolzen Ton heftig beleidigte. Vor allem brachte es ihn in Wut, dass Dareios den Königstitel zwar seinem, nicht aber auch dem Namen des Alexander beigefügt hatte. (8) Er forderte aber mehr, als dass er bat, dass Alexander ihm gegen eine Geldsumme, wie groß auch immer das ganze Makedonien sie fassen könne, seine Mutter, Gattin und Kinder überstellen solle. Um die Herrschaft möge er, wenn er Lust habe, unter gleichen Bedingungen mit ihm kämpfen. (9) Wenn er aber endlich einsichtigeren Vorschlägen Gehör schenken wolle, so solle er, zufrieden mit seinem väterlichen Reich, aus den Grenzen des fremden Reiches abziehen

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eni imperii finibus, socius amicusque esset. In ea se fidem et dare paratum et accipere. (10) Contra Alexander in hunc maxime modum rescripsit: ‘Rex Alexander Dareo S. Cuius nomen sumpsisti, Dareus Graecos, qui oram Hellesponti tenent, coloniasque Graecorum Ionias omni clade vastavit, cum magno deinde exercitu mare traiecit inlato Macedoniae et Graeciae bello. (11) Rursus Xerxes gentis eiusdem ad oppugnandos nos cum immanium barbarorum copiis venit; qui navali proelio victus Mardonium tamen reliquit in Graecia, ut absens quoque popularetur urbes, agros ureret. (12) Philippum vero parentem meum quis ignorat ab iis interfectum esse, quos ingentis pecuniae spe sollicitaverant vestri? Impia enim bella suscipitis et, cum habeatis arma, licemini hostium capita, sicut tu proxime talentis mille, tanti exercitus rex, percussorem in me emere voluisti. (13) Repello igitur bellum, non infero. Et di quoque pro meliore stant causa: magnam partem Asiae in dicionem redegi meam, te ipsum acie vici. Quem etsi nihil a me impetrare oportebat, utpote qui ne belli quidem in me iura servaveris, tamen, si veneris supplex, et matrem et coniugem et liberos sine pretio recepturum esse promitto. (14) Et vincere et consulere victis scio. Quod si te committere nobis times, dabimus fidem impune venturum. De cetero, cum mihi scribes, memento non solum regi te, sed etiam tuo scribere.’ Ad hanc perferendam Thersippus est missus. (15) In Phoenicen ‹deinde› descendit et oppidum Byblon traditum recepit. Inde ad Sidona ventum est, urbem vetustate famaque conditorum inclitam. (16) Regnabat in ea Strato, Darei opibus adiutus. Sed quia deditionem magis popularium quam sua sponte fecerat, regno visus indignus, Hephaestionique permissum ut, quem eo fastigio ‹e› Sidoniis dignissimum arbitraretur, constitueret regem. (17) Erant Hephaestionis hospites

Geschichte Alexanders des Großen 4,1,9–4,1,17

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als sein Freund und Bundesgenosse. Unter diesen Bedingungen sei er bereit, einen gegenseitigen Friedensvertrag einzugehen. (10) Hierauf erwiderte Alexander ihm im Wesentlichen folgendermaßen: „Der König Alexander an Dareios. Dareios, dessen Namen du angenommen hast, hat die Wohnsitze der Griechen am Hellespont und die griechischen Kolonien in Ionien6 auf allerlei Weise verheert, ist dann mit einem großen Heer über das Meer gesetzt und hat Makedonien und Griechenland mit Krieg überzogen. (11) Dann wiederum ist Xerxes aus demselben Land mit einem wilden Barbarenheer gekommen, uns zu bekämpfen; und in einer Seeschlacht besiegt, hat er gleichwohl Mardonios in Griechenland zurückgelassen, um auch, nachdem er sich selbst entfernt hatte, die Städte zu verheeren und das Land zu verwüsten.7 (12) Wer wüsste nicht, dass mein Vater Philipp von Leuten ermordet worden ist, die eure Leute durch die Hoffnung auf eine sehr bedeutende Geldsumme dazu angestiftet hatten8? Denn ihr beginnt ungerechte Kriege, und obschon ihr Waffen habt, setzt ihr einen Preis auf die Häupter eurer Feinde: So wie du, ein König über ein so gewaltiges Heer, mit tausend Talenten einen Mörder gegen mich hast kaufen wollen. (13) Ich wehre also den Krieg ab, beginne ihn nicht. Und auch die Götter kämpfen für die bessere Sache: Einen großen Teil Asiens habe ich mir unterworfen, dich selbst in der Schlacht besiegt. Obwohl du nun nichts von mir erlangen solltest, da du nicht einmal das Kriegsrecht gegen mich beachtet hast, so verspreche ich dennoch, dass du deine Mutter, deine Gattin und deine Kinder ohne Lösegeld zurückerhalten sollst, wenn du demütig bittend zu mir kommst. (14) Ich verstehe sowohl zu siegen als auch Besiegte zu behandeln. Fürchtest du aber, dich mir anzuvertrauen, so will ich dir das Versprechen sicheren Geleites geben. Im Übrigen aber, wenn du mir schreiben willst, denke daran, dass du nicht nur an einen König, sondern dass du an deinen König schreibst.“ Um diesen Brief zu überbringen, sandte er Thersippos. (15) Er selbst zog darauf nach Phoinikien und nahm die Stadt Byblos in Besitz9, die sich ihm ergab. Von dort gelangte man zu der durch ihr Alter und den Namen ihrer Erbauer berühmten Stadt Sidon10. (16) Hier herrschte, durch Dareios’ Macht unterstützt, Straton11; weil dieser jedoch weniger von sich aus als auf Drängen der Bürger die Stadt übergeben hatte, erschien er der Regierung unwürdig, und es wurde dem Hephaistion überlassen, den von den Sidoniern, der ihm dieser hohen Stellung am würdigsten erscheine, als König einzusetzen. (17) In der Umgebung Hephaistions waren zwei unter ihren

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clari inter suos iuvenes; qui facta ipsis potestate regnandi negaverunt quemquam patrio more in id fastigium recipi nisi regia stirpe ortum. (18) Admiratus Hephaestion magnitudinem animi spernentis quod alii per ignes ferrumque peterent, ‘Vos quidem macte virtute’ inquit ‘estote, qui primi intellexistis quanto maius esset regnum fastidire quam accipere. Ceterum date aliquem regiae stirpis, qui meminerit a vobis acceptum habere se regnum.’ (19) Atque illi, cum multos imminere tantae spei cernerent singulis amicorum Alexandri ob nimiam regni cupiditatem adulantes, statuunt neminem esse potiorem quam Abdalonymum quendam, longa quidem cognatione stirpi regiae adnexum, sed ob inopiam suburbanum hortum exigua colentem stipe. (20) Causa ei paupertatis sicut plerisque probitas erat, intentusque operi diurno strepitum armorum, qui totam Asiam concusserat, non exaudiebat. (21) Subito deinde, de quibus ante dictum est, cum regiae vestis insignibus hortum intrant, quem forte steriles herbas eligens Abdalonymus repurgabat. (22) Tum rege eo salutato, alter ex his ‘Habitus’ inquit ‘hic vestis, quem cernis in meis manibus, cum isto squalore permutandus tibi est. Ablue corpus inluvie terrenisque sordibus squalidum: cape regis animum et in eam fortunam, qua dignus es, istam continentiam perfer. Et cum in regali solio residebis vitae necisque omnium civium dominus, cave obliviscaris huius ‹status›, in quo accipis regnum, immo, hercule, propter quem.’ (23) Somnio similis res Abdalonymo videbatur; interdum, satisne sani essent, qui tam proterve sibi inluderent, percontabatur. Sed ut cunctanti squalor ablutus est et iniecta vestis purpura auroque distincta et fides a iurantibus facta, serio iam rex iisdem comitantibus in regiam pervenit. (24) Fama deinde, ut solet, strenue tota urbe discurrit. Aliorum studium, aliorum indignatio eminebat; divitissimus quisque humilitatem inopiamque eius apud amicos Alexandri criminabatur. (25) Admitti eum rex protinus iussit diuque contem-

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Leuten angesehene junge Männer. Als er ihnen jedoch die Herrschaft anbot, erklärten sie, dass nach Landessitte niemand zu dieser Würde zugelassen werde, der nicht aus königlichem Geschlecht stamme. (18) Voll Bewunderung für ihre Großherzigkeit, die das ablehnte, was andere mit Hilfe von Feuer und Schwert erstreben, sprach Hephaistion: „Ich preise eure Tugend, die ihr als erste eingesehen habt, wie viel größer es ist, einen Thron abzulehnen als anzunehmen! Doch nennt mir einen aus königlichem Blut, der dann nicht vergisst, dass er die Herrschaft euch verdankt.“ (19) Da sie nun sahen, dass viele ihre Hoffnung auf eine so hohe Stellung setzten und aus gar zu großer Begierde nach der Herrschaft den einzelnen Freunden Alexanders schmeichelten, entschieden sie, niemand sei geeigneter als ein gewisser Abdalonymos, der zwar durch seine alte Verwandtschaft dem Königshaus nahe stehe, jedoch wegen seiner Armut gegen geringe Entlohnung einen Garten in der Nähe der Stadt bearbeite. (20) Der Grund seiner Armut war, wie so häufig, seine Rechtschaffenheit, und mit seinem Tagewerk beschäftigt, hörte er nicht auf den Waffenlärm, der ganz Asien erschüttert hatte. (21) Da treten plötzlich die oben Genannten in königlichem Ornat in den Garten, in dem gerade Abdalonymos Unkraut jätete. (22) Als sie ihn als König begrüßt hatten, sprach der eine von ihnen: ,,Mit diesem Gewand hier, das du in meinen Händen siehst, musst du deinen schmutzigen Kittel hier vertauschen. Wasche deinen mit Schmutz und Erde bedeckten Körper, nimm königliche Haltung an und bewahre deine bisherige Genügsamkeit für diese Stellung, der du würdig bist. Und wenn du auf dem Königsthron sitzen wirst, ein Herr über Leben und Tod aller deiner Mitbürger, so vergiss nie den Zustand, in dem – oder vielmehr um dessentwillen – du die Krone empfängst.“ (23) Abdalonymos schien die Sache wie ein Traum und wiederholt fragte er, ob sie wohl recht bei Sinnen seien, dass sie so ein Possenspiel mit ihm trieben. Doch als sie den Zögernden von Schmutz gereinigt, ihm das purpurne, goldgestickte Gewand angelegt und ihm alles eidlich bestätigt hatten, begab er sich, nun wirklich als König, unter Begleitung eben jener Männer in den königlichen Palast.12 (24) Die Kunde davon, wie das so zu geschehen pflegt, verbreitete sich schnell in der ganzen Stadt. Einige legten Zustimmung, andere Unwillen an den Tag: Besonders alle Reichen beklagten sich bei den Freunden Alexanders über die niedere Art und Armut des Mannes. (25) Sofort ließ ihn der König vor sich führen, und nachdem er ihn lange betrachtet hatte, sprach er: „Dein Äuße-

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platus ‘Corporis’ inquit ‘habitus famae generis non repugnat, sed libet scire inopiam qua patientia tuleris.’ Tum ille ‘Utinam’ inquit ‘eodem animo regnum pati possim! hae manus suffecere desiderio meo: nihil habenti nihil defuit.’ (26) Magnae indolis specimen ex hoc sermone Abdalonymi cepit. Itaque non Stratonis modo regiam supellectilem attribui ei iussit, sed pleraque etiam ex Persica praeda; regionem quoque urbi adpositam dicioni eius adiecit. (27) Interea Amyntas, quem ad Persas ab Alexandro transfugisse diximus, cum quattuor milibus Graecorum ipsius ex acie persecutis fugam, Tripolin pervenit. Inde in naves militibus impositis Cyprum transmisit et, cum in illo statu rerum id quemque, quod occupasset, habiturum arbitraretur velut certo iure possessum, Aegyptum petere decrevit, utrique regi hostis et semper ex ancipiti mutatione temporum pendens. (28) Hortatusque milites ad spem tantae rei docet Sabacen, praetorem Aegypti, cecidisse in acie, Persarum praesidium et sine duce esse et invalidum, Aegyptios semper praetoribus eorum infestos pro sociis ipsos, non pro hostibus aestimaturos. (29) Omnia experiri necessitas cogebat: quippe cum primas spes fortuna destituit, futura praesentibus videntur esse potiora. Igitur conclamant duceret quo videretur. Atque ille utendum animis, dum spe calerent, ratus ad Pelusii ostium penetrat, simulans a Dareo se esse praemissum. (30) Potitus ergo Pelusii Memphim copias promovit; ad cuius famam Aegyptii, vana gens et novandis quam gerendis aptior rebus, ex suis quique vicis urbibusque [hoc ipsum] concurrunt ad delenda praesidia Persarum. Qui territi tamen spem retinendi Aegyptum non omiserunt. (31) Sed eos Amyntas proelio superatos in urbem compellit, castrisque positis victores ad populandos agros ‹discurrunt›. Velut in medio positis

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res widerspricht nicht dem, was man von deiner Abkunft erzählt hat, doch möchte ich wohl wissen, wie es dir möglich war, deine Armut geduldig zu ertragen.“ Hierauf erwiderte jener: „Könnte ich doch mit demselben Gleichmut die Krone tragen! Diese meine Hände reichten für meine Bedürfnisse aus, und als ich nichts besaß, fehlte es mir auch an nichts.“ (26) Diesen Worten des Abdalonymos entnahm Alexander den Beweis für dessen edle Veranlagung und befahl daher, ihm nicht allein den königlichen Hausrat des Straton zu übergeben, sondern auch einen großen Teil der persischen Beute; auch die Gegend um die Stadt fügte er seiner Herrschaft hinzu. (27) Unterdessen gelangte Amyntas13, der, wie ich sagte, von Alexander zu den Persern übergelaufen war, mit 4 000 Griechen, die ihm aus der Schlacht gefolgt waren, auf seiner Flucht nach Tripolis. Dort schiffte er seine Soldaten ein und setzte nach Zypern über; da er der Meinung war, es werde bei der gegenwärtigen Lage der Dinge jeder das, was er erobert, wie seinen rechtmäßigen Besitz behalten können, beschloss er nach Ägypten zu gehen, als ein Feind beider Könige und in steter Abhängigkeit von dem schwankenden Wechsel der Verhältnisse. (28) Er ermunterte also seine Soldaten zu der Hoffnung auf einen so wichtigen Erfolg und berichtete, der Statthalter von Ägypten, Sabakes, sei in der Schlacht14 gefallen, die persische Besatzung sei führerlos und schwach, die Ägypter, von jeher den persischen Statthaltern feindlich gesinnt, würden sie als Bundesgenossen, nicht als Feinde betrachten. (29) Not zwang damals, alles zu versuchen: Denn wenn das Glück die ersten Hoffnungen getäuscht hat, erscheint die Zukunft in günstigerem Licht als die Gegenwart. Alle riefen daher, er solle sie führen, wohin es ihm gut scheine. Und da er ihren Mut nutzen zu müssen glaubte, solange sie von der Hoffnung beflügelt seien, gelangte er zu der pelusischen Nilmündung, wo er vorgab, er sei von Dareios vorausgeschickt. (30) Er bemächtigte sich also Pelusions und rückte mit seinen Truppen nach Memphis vor. Auf diese Nachricht hin strömten die Ägypter, ein leichtsinniges und mehr zum Umsturz als zur Ausführung eines Unternehmens geeignetes Volk, überall aus ihren Dörfern und Städten zusammen, um die persischen Besatzungen zu vernichten. Diese erschraken, gaben aber dennoch die Hoffnung noch nicht auf, Ägypten zu behaupten. (31) Doch Amyntas besiegte sie in einer Schlacht und trieb sie in die Stadt, dann schlug er ein Lager auf und ließ seine siegreichen Truppen auf Plünderung der Ländereien ausziehen. Als sei ihnen aller Besitz der Feinde preisgegeben, wurde alles fortgeschleppt.

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bonis hostium cuncta agebantur. (32) Itaque Mazaces, quamquam infelici proelio suorum animos territos esse cognoverat, tamen palantes et victoriae fiducia incautos ostentans perpulit, ne dubitarent ex urbe erumpere et res amissas reciperare. (33) Id consilium non ratione prudentius quam eventu felicius fuit: ad unum omnes cum ipso duce occisi sunt. Has poenas Amyntas utrique regi dedit, nihilo magis ei, ad quem transfugerat, fidus quam illi quem deseruerat. (34) Darei praetores, qui proelio apud Isson superfuerant, cum omni manu quae fugientes secuta erat, adsumpta etiam Cappadocum et Paphlagonum iuventute Lydiam reciperare temptabant. (35) Antigonus, praetor Alexandri, Lydiae praeerat: qui quamquam plerosque militum ex praesidiis ad regem dimiserat, tamen barbaris spretis in aciem suos eduxit. Eadem illic quoque fortuna partium fuit: tribus proeliis alia atque alia regione commissis Persae funduntur. (36) Eodem tempore classis Macedonum ex Graecia accita Aristomenen, qui ad Hellesponti oram reciperandam a Dareo erat missus, captis eius aut eversis navibus superat. (37) A Milesiis deinde Pharnabazus, praefectus Persicae classis, pecunia exacta et praesidio in urbem Chium introducto, centum navibus Andrum et inde Siphnum petiit. Has quoque insulas praesidiis occupat, pecunia multat. (38) Magnitudo belli, quod ab opulentissimis Europae Asiaeque regibus in spem totius orbis occupandi gerebatur, Graeciae quoque et Cretae arma commoverat. (39) Agis, Lacedaemoniorum rex, octo milibus Graecorum, qui ex Cilicia profugi domos repetierant, contractis, bellum Antipatro, Macedoniae praefecto, moliebatur. (40) Cretenses has aut illas partes secuti nunc Spartanorum nunc Macedonum praesidiis occupabantur. Sed leviora inter illos fuere discrimina, unum certamen, ex quo cetera pendebant, intuente fortuna. 2 (1) Iam tota Syria, iam Phoenice quoque excepta Tyro Macedonum erat, habebatque rex castra in continenti, a qua urbem angustum

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(32) Obwohl es dem Mazakes15 nicht entgangen war, wie das unglück-

liche Aufeinandertreffen seine Leute entmutigt hatte, konnte er sie dazu bringen, ohne Zögern aus der Stadt auszubrechen und das Verlorene wiederzugewinnen, indem er darauf hinwies, dass die Feinde sich zerstreut hätten und durch den Sieg unvorsichtig geworden seien. (33) Dieser Entschluss wurde nicht weniger glücklich ausgeführt, als er klug gefasst war: Alle ohne Ausnahme, auch ihr Anführer, wurden getötet. So zahlte Amyntas beiden Königen seine Strafe, er, der um nichts treuer gewesen war demjenigen, zu dem er übergelaufen war, als demjenigen, den er im Stich gelassen hatte. (34) Die Feldherrn des Dareios, die die Schlacht bei Issos überlebt hatten, versuchten, mit ihrer ganzen Truppenzahl, die ihnen auf der Flucht gefolgt war, und noch verstärkt durch Truppen aus Kappadokien und Paphlagonien, Lydien wiederzugewinnen. (35) Alexanders Feldherr Antigonos16 hatte hier den Oberbefehl inne, und obwohl derselbe die Mehrzahl seiner Soldaten aus Befestigungen an den König geschickt hatte, so führte er, voll Verachtung gegen die Barbaren, seine Leute in die Schlacht. Auch hier erlitten die kämpfenden Parteien das gleiche Schicksal: Die Perser wurden in drei an verschiedenen Punkten gelieferten Schlachten in die Flucht geschlagen. (36) Zur gleichen Zeit besiegte die aus Griechenland herbeigerufene makedonische Flotte den Aristomenes, den Dareios entsandt hatte, die Küste des Hellesponts wiederzugewinnen, indem man seine Schiffe teils enterte, teils versenkte. (37) Hierauf verlangte der persische Flottenbefehlshaber Pharnabazos von den Milesiern eine Geldzahlung, legte eine Besatzung in die Stadt Chios und fuhr mit hundert Schiffen nach Andros und von da nach Siphnos. (38) Der große Krieg, der von den mächtigsten Königen Europas und Asiens in der Hoffnung geführt wurde, die ganze Welt zu erobern, hatte auch Griechenland und Kreta zu den Waffen gerufen. (39) Der lakedaimonische König Agis17 hatte 8 000 Griechen zusammengezogen, die aus Kilikien entkommen und zurück in ihre Heimat geeilt waren, und begann den Krieg gegen den Statthalter von Makedonien, Antipatros. (40) Die Kreter, die sich teils dieser, teils jener Partei angeschlossen hatten, erhielten bald spartanische, bald makedonische Besatzungen. Doch waren die Entscheidungen in diesen Kämpfen von geringerem Belang, da die Blicke der Schicksalsgöttin auf den einen Streit gerichtet waren, von dem alles Übrige abhing. 2 (1) Schon gehörte ganz Syrien, schon auch Phoinikien mit Ausnahme von Tyros den Makedonen, und der König hatte sein Lager

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fretum dirimit. (2) Tyros, et magnitudine et claritate ante omnes urbes Syriae Phoenicesque memorabilis, facilius societatem Alexandri acceptura videbatur, quam imperium. Coronam igitur auream donum legati adferebant commeatusque large et hospitaliter ex oppido advexerant. Ille dona ut ab amicis accipi iussit benigneque legatos adlocutus Herculi, quem praecipue Tyrii colerent, sacrificare velle se dixit: (3) Macedonum reges credere ab illo deo ipsos genus ducere, se vero ut id faceret etiam oraculo monitum. (4) Legati respondent esse templum Herculis extra urbem in ea sede, quam Palaetyron ipsi vocent: ibi regem deo sacrum rite facturum. (5) Non tenuit iram, cuius alioqui potens non erat. Itaque ‘Vos quidem’ inquit ‘fiducia loci, quod insulam incolitis, pedestrem hunc exercitum spernitis, sed brevi ostendam in continenti vos esse. Proinde sciatis licet aut intraturum me urbem aut oppugnaturum.’ (6) Cum hoc responso dimissi suos monere coeperunt ut regem, quem Syria, quem Phoenice recepisset, ipsi quoque urbem intrare paterentur. (7) At illi loco satis fisi obsidionem ferre decreverant. Namque urbem a continenti quattuor stadiorum fretum dividit Africo maxime obiectum, ‹qui› crebros ex alto fluctus in litus evolvit. (8) Nec accipiendo operi, quo Macedones continenti insulam iungere parabant, quicquam magis quam ille ventus obstabat. Quippe vix leni et tranquillo mari moles agi possunt, Africus vero prima quaeque congesta pulsu inlisi maris subruit, nec ulla tam firma moles est quam non exedant undae et per nexus operum manantes et, ubi acrior flatus existit, summi operis fastigio superfusae. (9) Praeter hanc difficultatem haud minor alia erat. Muros turresque urbis praealtum mare ambiebat: non tormenta nisi e navibus procul excussa mitti, non scalae moenibus adplicari poterant, praeceps in salum murus pedestre interceperat iter;

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auf dem Festland, von dem die Stadt durch einen engen Meeresarm getrennt wird.18 (2) Tyros, größer und berühmter als alle Städte Syriens und Phoinikiens, schien eher entschlossen, ein Bündnis mit Alexander zu schließen als dessen Herrschaft anzunehmen. Gesandte brachten ihm daher einen goldenen Kranz als Geschenk und hatten aus der Stadt reichlich und gastfreundlich Proviant herbeigeschafft. Er befahl, die Geschenke, als von Freunden kommend, anzunehmen und redete die Gesandten gnädig an, indem er erklärte, er wolle dem Herakles19, den die Tyrier vor allen verehrten, ein Opfer bringen20: (3) Die makedonischen Könige glaubten, von diesem Gott abzustammen, und er sei sogar durch einen Orakelspruch veranlasst, dies zu tun. (4) Die Gesandten erwiderten, es befinde sich ein Tempel des Herakles außerhalb der Stadt, an dem Ort, den sie Palaityros21 nannten: Dort könne der König sein Opfer mit aller Feierlichkeit darbringen. (5) Da hielt er seinen Zorn, den er auch sonst nicht bändigen konnte, nicht länger zurück und rief: „Im Vertrauen also auf eure Lage, weil ihr eine Insel bewohnt, verachtet ihr dieses mein Landheer: Aber bald will ich euch zeigen, dass ihr auf dem Festland liegt. Daher sollt ihr wissen: Entweder lasst ihr mich in eure Stadt einziehen, oder ich werde sie belagern!“ (6) Die mit diesem Bescheid Entlassenen versuchten, die Ihren davon zu überzeugen, dass sie dem König, den Syrien, den Phoinikien aufgenommen, auch ihrerseits den Eintritt in ihre Stadt gestatten sollten. (7) Doch jene waren voll Vertrauen auf die Örtlichkeit entschlossen, eine Belagerung auszuhalten. Die Stadt wird nämlich vom Festland durch eine vier Stadien breite Meerenge getrennt, die, hauptsächlich dem Südwestwind ausgesetzt, häufig die Wogen von der hohen See nach der Küste zuwälzt. (8) Und dem Bau des Dammes, durch den die Makedonen die Insel mit dem Festland zu verbinden beabsichtigten, war nichts hinderlicher als jener Wind. Denn Dämme lassen sich kaum bei völlig glatter See aufführen; der Südwestwind aber unterspülte jedesmal den begonnenen Bau und stürzte ihn durch seinen Aufprall ins Meer. Kein Damm ist nämlich so fest, dass ihn nicht die Wogen zernagen, indem sie teils durch die Verbindungen der Werkstücke dringen, teils bei heftigerem Wind die obersten Kanten des Baus überfluten. (9) Nicht geringer als diese Schwierigkeit war eine andere: Das Meer, das die Mauern und Türme der Stadt umgab, war äußerst tief22. Größere Geschosse konnten nur aus der Ferne von Schiffen geschleudert werden, nirgendwo konnten Leitern an die Mauern gelehnt werden: Die steil ins Meer abfallende Mauer ließ für keinen Zugang

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naves nec habebat rex et, si admovisset, pendentes et instabiles missilibus arceri poterant. (10) Inter quae parva dictu res Tyriorum fiduciam accendit. Carthaginiensium legati ad celebrandum sacrum anniversarium more patrio tunc venerant: quippe Carthaginem Tyrii condiderunt, semper parentum loco culti. (11) Hortari ergo Poeni coeperunt ut obsidionem forti animo paterentur: brevi Carthagine auxilia ventura. Namque ea tempestate magna ex parte Punicis classibus maria obsidebantur. (12) Igitur bello decreto per muros turresque tormenta disponunt, arma iunioribus dividunt, opifices, quorum copia urbs abundabat, in officinas distribuunt. Omnia belli apparatu strepunt. Ferreae quoque manus – harpagonas vocant – quas operibus hostium inicerent, corvique et alia tuendis urbibus excogitata praeparabantur. (13) Sed cum fornacibus ferrum, quod excudi oportebat, impositum esset admotisque follibus ignem flatu accenderent, sanguinis rivi sub ipsis flammis extitisse dicuntur: idque omen in Macedonum malum verterunt Tyrii. (14) Apud Macedonas quoque cum forte panem quidam militum frangerent, manantis sanguinis guttas notaverunt, territoque rege Aristander, peritissimus vatum, si extrinsecus cruor fluxisset, Macedonibus id triste futurum ait: contra, cum ex interiore parte manaverit, urbi quam obsidere destinassent exitium portendere. (15) Alexander cum et classem procul haberet et longam obsidionem magno sibi ad cetera impedimento videret fore, caduceatores, qui ad pacem eos compellerent, misit; quos Tyrii contra ius gentium occisos praecipitaverunt in altum. Atque ille suorum tam indigna morte commotus urbem obsidere statuit. (16) Sed ante iacienda moles erat quae continenti urbem committeret. Ingens ergo animis militum desperatio incessit cernentibus profundum mare, quod vix divina ope posset impleri: quae saxa

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Raum. Schiffe aber hatte der König nicht, und wenn er irgendwelche herangeführt hätte, so hätten sie in ihrer schwankenden und unsicheren Aufstellung durch Wurfgeschosse abgewehrt werden können. (10) Indessen wurde die Zuversicht der Tyrier durch einen unbedeutend klingenden Umstand noch bestärkt. Es waren gerade Gesandte der Karthager angelangt, um nach alter Sitte eine jährlich wiederkehrende Feier zu begehen, da Karthago von Tyriern erbaut war und es daher Tyros immer als seine Mutterstadt ehrte23. (11) Die Karthager also ermahnten sie, die Belagerung tapfer und mutig auszuhalten; bald werde von Karthago Hilfe kommen. Denn zu jener Zeit wurden die Meere größtenteils von punischen24 Flotten beherrscht. (12) Nachdem also der Krieg beschlossen war, bestückten sie die Mauern und Türmen überall mit Wurfgeschossen, verteilten unter die Jüngeren Waffen und wiesen den Handwerkern, an denen die Stadt großen Überfluss hatte, Werkstätten an. Alles hallte von Rüstungen für den Krieg wider: Auch eiserne Hände, Harpagonen genannt, die man nach den Schanzarbeiten der Feinde auswerfen wollte, und so genannte Raben25, und was sonst noch zur Verteidigung von Städten erfunden ist, wurde vorbereitet. (13) Als nun aber das Eisen, das geschmiedet werden sollte, in die Öfen gelegt war und man mit Hilfe von Blasebälgen das Feuer anfachte, da sollen inmitten der Flammen Blutbäche sichtbar geworden sein. Die Tyrier legten dies als schlechtes Omen für die Makedonen aus. (14) Auch bei den Makedonen bemerkten einige Soldaten, die gerade Brotkorn mahlten, Tropfen hervorquellenden Blutes und dem dadurch erschreckten König erklärte sein kundigster Wahrsager Aristandros: Wäre das Blut auf der Außenseite geflossen, so hätte das Unglück für die Makedonen bedeutet, da es aber aus dem Innern gequollen sei, so zeige es im Gegenteil das Verderben der Stadt an, die zu belagern man entschlossen sei. (15) Da Alexander einerseits seine Flotte weit entfernt hatte, andererseits einsah, dass eine lange Belagerung ein großes Hemmnis für seine übrigen Unternehmungen sein würde, schickte er Boten aus, um die Tyrier zu einem Friedensschluss zu bewegen. Doch die Tyrier töteten diese gegen alles Völkerrecht und stürzten sie ins Meer. Und so beschloss er, aufgebracht durch diese schmähliche Ermordung seiner Leute, die Stadt zu belagern. (16) Vorher jedoch war der Damm aufzuschütten, der die Stadt mit dem Festland verbinden sollte. Da ergriff die Soldaten eine große Mutlosigkeit, wenn sie das tiefe Meer sahen, das kaum mit Hilfe eines Gottes aufgefüllt werden könnte: Wo könne man so ungeheure Fels-

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tam vasta, quas tam proceras arbores posse reperiri? exhauriendas esse regiones ut illud spatium exaggeraretur; exaestuare semper fretum, quoque artius volutetur inter insulam et continentem, hoc acrius furere. (17) At ille haudquaquam rudis pertractandi militares animos speciem sibi Herculis in somno oblatam esse pronuntiat dextram porrigentis: illo duce, illo aperiente in urbem intrare se visum. Inter haec caduceatores interfectos, gentium iura violata referebat: unam esse urbem quae cursum victoris morari ausa esset. (18) Ducibus deinde negotium datur ut suos quisque castiget, satisque omnibus stimulatis opus orsus est. Magna vis saxorum ad manum erat Tyro vetere praebente; materies ex Libano monte ratibus et turribus faciendis advehebatur. (19) Iamque a fundo maris in altitudinem modicam opus creverat, nondum tamen aquae fastigium aequabat, (20) cum Tyrii parvis navigiis admotis per ludibrium exprobrabant illos armis inclitos dorso sicut iumenta onera gestare; interrogabant etiam, num maior Neptuno Alexander esset. Haec ipsa insectatio alacritatem militum accendit. (21) Iamque paulum moles aqua eminebat, et simul aggeris latitudo crescebat urbique admovebatur, cum Tyrii magnitudine molis, cuius incrementum eos antea fefellerat, conspecta levibus navigiis nondum commissum opus circumire coeperunt, missilibus quoque eos, qui pro opere stabant, incessere. (22) Multis ergo impune vulneratis, cum et removere et adpellere scaphas in expedito esset, ad curam semet ipsos tuendi ab opere converterant; et quo longius moles agebatur a litore, hoc magis quicquid ingerebatur praealtum absorbebat mare. (23) Igitur rex munientibus coria velaque iussit obtendi, ut extra teli iactum essent, duasque turres ex capite molis erexit, e quibus in subeuntes scaphas tela ingeri possent. (24) Contra Tyrii navigia procul a conspectu hostium litori adpellunt expositisque militibus eos, qui saxa gestabant, obtruncant.

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stücke, wo so hochragende Bäume finden? Ganze Landstriche müsse man ausgraben, um diesen Raum mit einem Damm auszufüllen. Fortwährend brande das Meer, und je enger zusammengedrängt es sich zwischen der Insel und dem Festland fortwälze, desto heftiger wüte es. (17) Doch Alexander war kein Neuling in der Bearbeitung der Gemüter seiner Soldaten. Im Traum, erzählte er, sei ihm die Gestalt des Herakles erschienen, der ihm die Rechte gereicht habe: Unter seiner Führung habe er sich durch das geöffnete Tor in die Stadt einziehen sehen. Gleichzeitig erinnerte er sie an die Ermordung der Boten und die Verletzung des Völkerrechts: Dies sei die einzige Stadt, die gewagt habe, seinen Siegeslauf aufzuhalten. (18) Dann wurde jeder Anführer beauftragt, seine Leute zurechtzuweisen, und nachdem alle genügend angespornt waren, begann er das Werk. Zur Hand war eine große Masse Steine, die das alte Tyros darbot; Holz zur Erbauung von Flößen und Türmen wurde vom Libanon herbeigeschafft. (19) Und schon war der Bau vom Meeresgrund aus zu einer mäßigen Höhe emporgewachsen, ohne jedoch schon die Oberfläche des Wassers zu erreichen, (20) als die Tyrier auf kleinen Booten heranfuhren und sie verspotteten und verhöhnten, dass sie, die berühmten Krieger, wie Lasttiere auf dem Rücken Lasten schleppten. Auch fragten sie, ob denn ihr Alexander mächtiger als Poseidon sei. Doch eben diese Verhöhnung entzündete nur den Eifer der Soldaten. (21) Und schon ragte der Damm ein wenig aus dem Wasser, während er zugleich in die Breite wuchs und sich der Stadt näherte. Da erst sahen die Tyrier die Größe der Aufschüttung, deren Wachstum ihnen vorher entgangen war, und begannen nun mit leichten Schiffen, den noch nicht zusammenhängenden Bau zu umkreisen und mit Geschossen die Leute vorn auf dem Bauwerk anzugreifen. (22) Da also viele ungestraft verwundet wurden, weil es sehr leicht war, mit den Kähnen fort und wieder heranzurudern, so hatte man sich vom Bau ab- und der eigenen Verteidigung zugewandt; und je weiter sich der Damm von der Küste entfernte, umso mehr wurde alles, was man hineinwarf, von der bodenlosen Tiefe verschlungen. (23) Der König befahl daher, um die Schanzen Segel und Tierhäute aufzuspannen, damit sie für die Geschosse unerreichbar würden; auch errichtete er auf der Spitze des Dammes zwei Türme, um von da auf die unten sich nähernden Kähne Geschosse abfeuern zu können. (24) Die Tyrier dagegen fuhren ungesehen vom Feind mit Schiffen in Richtung Küste, ließen Soldaten an Land und töteten die, die Steine schleppten. Auch auf dem Libanon griffen arabische Bauern

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In Libano quoque Arabum agrestes incompositos Macedonas adorti XXX fere interficiunt paucioribus captis. 3 (1) Ea res Alexandrum dividere copias coegit et, ne segniter adsidere uni urbi videretur, operi Perdiccan Crateronque praefecit; ipse cum expedita manu Arabiam petiit. (2) Inter haec Tyrii navem magnitudine eximia saxis harenaque a puppi oneratam, ita ut multum prora emineret, bitumine ac sulphure inlitam remis concitaverunt et, cum magnam vim venti vela quoque concepissent, celeriter ad molem successit. (3) Tum prora eius accensa remiges desiluere in scaphas, quae ad hoc ipsum praeparatae sequebantur; navis autem igne concepto latius fundere incendium coepit quod, priusquam posset occurri, turres et cetera opera in capite molis posita comprendit. (4) At qui desiluerant in parva navigia, faces et quicquid alendo igni aptum erat in eadem opera ingerunt. Iamque non ‹imae› modo Macedonum turres, sed etiam summa tabulata conceperant ignem, cum ii, qui in turribus erant, partim haurirentur incendio, partim armis omissis in mare semet ipsi immitterent. (5) At Tyrii, qui capere eos quam interficere mallent, natantium manus stipitibus saxisque lacerabant, donec debilitati impune navigiis excipi possent. (6) Nec incendio solum opera consumpta, sed forte eodem die vehementior ventus motum ex profundo mare inlisit in molem, crebrisque fluctibus compages operis verberatae laxavere, saxaque interfluens unda medium opus rupit. (7) Prorutis igitur lapidum cumulis, quibus iniecta terra sustinebatur, praeceps in profundum ruit, tantaeque molis vix ulla vestigia invenit Arabia rediens Alexander. Hic, quod in adversis rebus solet fieri, alius in alium culpam referebant, cum omnes verius de saevitia maris queri possent. (8) Rex novi operis molem orsus in adversum ventum non latere sed recta fronte direxit: ea cetera ope-

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die ungeordneten Makedonen an, töteten ungefähr dreißig von ihnen und nahmen einige gefangen. 3 (1) Dieser Umstand zwang Alexander, sein Heer zu teilen, und damit es nicht so aussehe, als bliebe er untätig vor der einen Stadt lagern, übergab er die Aufsicht über den Bau Perdikkas26 und Krateros27, während er selbst mit einer kampffertigen Heeresabteilung nach Arabien zog. (2) Unterdessen beluden die Tyrier ein sehr großes Schiff am Hinterdeck mit Steinen und Sand, so dass das Vorderdeck hoch emporragte, bestrichen es mit Pech und Schwefel und ruderten es gegen den Damm; und da auch in die Segel ein starker Wind blies, so fuhr es schnell an ihn heran. (3) Hierauf zündeten die Ruderer schnell das Vorderteil an und sprangen in Kähne, die zu diesem Zweck bereitgehalten wurden und die ihnen gefolgt waren. Das vom Feuer ergriffene Schiff aber begann, seine Glut weiterzuverbreiten, die, bevor man ihr Einhalt gebieten konnte, die Türme und die übrigen auf der Höhe des Damms befindlichen Werke ergriff. (4) Zugleich schleuderten die, die in die kleinen Kähne gesprungen waren, Fackeln und was sonst zur Nahrung des Feuers dienen konnte, in die Bauten der Feinde. Unverzüglich breitete sich das Feuer nicht nur über die unteren Teile der Türme der Makedonen, sondern auch über den hölzernen Oberbau des Dammes aus; die sich auf den Türmen befanden, wurden teils von der Glut verschlungen, teils konnten sie sich unter Zurücklassung ihrer Waffen ins Meer stürzen. (5) Doch die Tyrier, die sie lieber lebendig fangen als töten wollten, verwundeten die Hände der Schwimmenden mit Stöcken und Steinen, bis sie gelähmt und wehrlos von den Kähnen aufgefischt werden konnten. (6) Aber nicht allein durch das Feuer wurde das Bauwerk zerstört, sondern zufällig trieb auch an dem gleichen Tag ein ziemlich heftiger Sturm das aufgewühlte Meer aus der Tiefe gegen den Damm, und gepeitscht von den häufigen Wogen, lockerten sich die Fugen des Baus, und das zwischen den Steinen durchfließende Meerwasser riss das Werk mitten auseinander. (7) Als so die Steinhaufen, von denen das darauf gehäufte Erdreich getragen wurde, eingestürzt waren, schoss alles jäh in die Tiefe, und als Alexander aus Arabien zurückkehrte, fand er von diesem mächtigen Damm kaum eine Spur mehr vor. Dabei schob einer, wie häufig bei widrigen Umständen, die Schuld auf den anderen, während sich doch alle mit mehr Recht über das Wüten des Meeres hätten beklagen können. (8) Beim Beginn des neuen Dammbaus aber führte der König ihn nicht mit der breiten Seite, sondern geradezu mit der Front gegen den Wind

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ra velut sub ipsa latentia tuebatur; latitudinem quoque aggeri adiecit, ut turres in medio excitatae procul teli iactu abessent. (9) Totas autem arbores cum ingentibus ramis in altum iaciebant, deinde saxis onerabant rursusque cumulo eorum alias arbores iniciebant, tum humus aggerabatur; super quae alia strue saxorum arborumque cumulata velut quodam nexu continens opus iunxerant. Nec Tyrii, quicquid ad impediendam molem excogitari poterat, segniter exequebantur. (10) Praecipuum auxilium erat qui procul hostium conspectu subibant aquam occultoque lapsu ad molem usque penetrabant, falcibus palmites arborum eminentium ad se trahentes. Quae ubi secutae erant, pleraque secum in profundum dabant; tum levatos onere stipites truncosque arborum haud aegre moliebantur, deinde totum opus, quod stipitibus fuerat innixum, fundamento lapso sequebatur. (11) Aegro animi Alexandro nec perseveraret an abiret, satis certo classis Cypro advenit, eodemque tempore Cleander cum Graecis militibus in Asiam nuper advectis. C et XC navigia in duo dividit cornua: laevum Pnytagoras, rex Cypriorum, cum Cratero tuebatur, Alexandrum in dextro quinqueremis regia vehebat. (12) Nec Tyrii, quamquam classem habebant, ausi navale inire certamen: tris omnino ante ipsa moenia opposuerunt, quibus rex invectus ipsas demersit. (13) Postera die classe ad moenia admota undique tormentis et maxime arietum pulsu muros quatit; quos Tyrii raptim obstructis saxis refecerunt, interiorem quoque murum ut, si prior fefellisset, illo se tuerentur, [undique] orsi. (14) Sed undique vis mali urgebat: moles intra teli iactum erat, classis moenia circumibat, terrestri simul navalique clade obruebantur. Quippe binas quadriremes Macedones inter se ita iunxerant ut prorae cohaererent, puppes intervallo, quantum

Geschichte Alexanders des Großen 4,3,8–4,3,14

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auf, so dass diese die übrigen Anlagen deckte, die sich gleichsam dahinter bargen. Auch ließ er das Ganze breiter aufschütten, so dass die in der Mitte aufgerichteten Türme sich außerhalb der Schussweite befanden. (9) Man warf ganze Bäume mit ihren gewaltigen Ästen ins Meer, belastete sie dann mit Steinen und legte auf diese Steinhaufen wieder andere Bäume. Nachher wurde Erde aufgebracht, und indem man noch eine weitere Schicht von Steinen und Bäumen darüber häufte, hatte man einen durch eine Art Verkettung zusammenhängenden Bau hergestellt. Jedoch auch die Tyrier versäumten nichts, was sich auch immer zur Behinderung des Dammbaus ausdenken ließ. (10) Ein vorzügliches Mittel war, dass man außerhalb der Sichtweite der Feinde unter Wasser tauchte, heimlich bis zu dem Damm schwamm und mit Haken die Zweige der hervorragenden Bäume an sich zog, die dann, wenn sie nachgegeben hatten, den größten Teil ihrer Last mit sich in die Tiefe stürzen ließen. Dann entfernten sie ohne große Mühe die von ihrer Last befreiten Pfähle und Baumstämme, worauf der ganze Bau, der sich auf die Pfähle stützte, nachsackte, da er kein Fundament mehr hatte. (11) Während Alexander verstimmt und noch nicht ganz entschlossen war, ob er ausharren oder abziehen solle, traf die Flotte von Zypern ein und gleichzeitig Kleandros, der kürzlich mit griechischen Söldnern in Asien gelandet war28. Die 190 Schiffe verteilte er auf zwei Flügel29: Den linken befehligten der kyprische König Pnytagoras zusammen mit Krateros, auf dem rechten befand sich auf einem königlichen Fünfruderer30 Alexander. (12) Aber die Tyrier wagten nicht, obwohl sie eine Flotte hatten, sich auf eine Seeschlacht einzulassen; nur drei Schiffe im Ganzen stellten sie ihnen unmittelbar unter ihren Mauern entgegen. Diese griff der König an und versenkte sie. (13) Am folgenden Tag näherte Alexander die Flotte der Stadt und erschütterte auf allen Seiten die Mauern durch Wurfgeschosse und hauptsächlich durch den Stoß der Widderköpfe. Doch die Tyrier besserten sie eilig durch vorgewälzte Steine aus und begannen auch, [überall] eine innere Mauer zu bauen, um sich damit zu schützen, wenn sie die äußere im Stich ließ. (14) Aber von allen Seiten drängte die Macht des Unglücks auf sie ein: Der Damm befand sich bereits innerhalb der Schussweite, die Flotte umkreiste die Mauern, und gleichzeitig zu Lande wie von der See aus brach das Verderben über sie herein. Die Makedonen hatten nämlich immer je zwei Vierruderer so miteinander verbunden, dass die Vorderdecke zusammenhingen, die Hinterdecke in möglichst weiter Entfernung voneinander standen.

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capere poterant, distarent. (15) Hoc puppium intervallum antemnis asseribusque validis deligatis superque eos pontibus stratis, qui militem sustinerent, impleverant. Sic instructas quadriremes ad urbem agebant: inde missilia in propugnantes ingerebantur tuto, quia proris miles tegebatur. (16) Media nox erat, cum classem sic uti dictum est paratam circumire muros iubet. Iamque naves urbi undique admovebantur, et Tyrii desperatione torpebant, cum subito spissae nubes intendere se caelo et quicquid lucis internitebat offusa caligine extinctum est. (17) Tum inhorrescens mare paulatim levari, deinde acriore vento concitatum fluctus ciere et inter se navigia conlidere. Iamque scindi coeperunt vincula, quibus conexae quadriremes erant, ruere tabulata et cum ingenti fragore in profundum secum milites trahere. (18) Neque enim conserta navigia ulla ope in turbido regi poterant: miles ministeria nautarum, remex militis officia turbabat, et, quod in eiusmodi casu accidit, periti ignaris parebant: quippe gubernatores, alias imperare soliti, tum metu mortis iussa exequebantur. Tandem remis pertinacius everberatum mare veluti eripientibus navigia classicis cessit, adpulsaque sunt litori lacerata pleraque. (19) Isdem forte diebus Carthaginiensium legati XXX superveniunt, magis obsessis solacium quam auxilium: quippe domestico bello Poenos impediri nec de imperio sed pro salute dimicare nuntiabant. (20) Syracusani tum Africam urebant et haud procul Carthaginis muris locaverant castra. Non tamen defecere animis Tyrii, quamquam ab ingenti spe destituti erant; sed coniuges liberosque devehendos Carthaginem tradiderunt, fortius quicquid accideret laturi, si carissimam sui partem extra sortem communis periculi habuissent. (21) Cumque unus e civibus in contione indicasset oblatam esse per somnum sibi speciem

Geschichte Alexanders des Großen 4,3,15–4,3,21

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(15) Diesen Raum zwischen den Hinterdecken hatte man durch festgebundene Segelstangen und starke Latten und darübergelegte Brücken ausgefüllt, die Soldaten tragen konnten. Diese so ausgerüsteten Vierruderer führte man gegen die Stadt und schleuderte von ihnen ohne Gefahr Geschosse gegen die Verteidiger, weil der Soldat durch die Vorderdecke geschützt wurde. (16) Es war Mitternacht, als der auf die angegebene Weise gerüsteten Flotte der Befehl zuging, rings um die Mauern Aufstellung zu nehmen. Schon näherten sich die Schiffe von allen Seiten der Stadt und die Tyrier waren von Verzweiflung gelähmt, als plötzlich dichte Wolken am Himmel aufzogen und jeder hindurchschimmernde Stern hinter der darüber gebreiteten Nebeldecke erlosch. (17) Darauf begann das Meer sich zu kräuseln und sich allmählich zu erheben, dann, von heftigerem Wind aufgewühlt, Wogen zu türmen und die Schiffe gegeneinander zu stoßen. Und schon rissen die Taue, durch die die Vierruderer verbunden waren, das Gebälk stürzte ein, und unter gewaltigem Krachen zog es die Soldaten mit sich in die Tiefe. (18) Denn die miteinander verketteten Schiffe ließen sich auf der stürmischen See durch keine Kraft lenken: Der Soldat behinderte den Dienst der Seeleute, der Ruderer den des Soldaten, und wie es in solchen Fällen zu geschehen pflegt, standen die Kundigen unter dem Befehl von Unkundigen; denn die Steuerleute, sonst zu befehlen gewohnt, mussten jetzt, vom Tod bedroht, das Befohlene ausführen. Endlich gab das hartnäckig von den Rudern gepeitschte Meer den Anstrengungen der Flottenmannschaft, die ihm gleichsam die Schiffe zu entreißen suchte, nach, und man brachte sie ans Ufer, die meisten allerdings beschädigt. (19) In diesen Tagen erschienen zufällig auch dreißig karthagische Gesandte, für die Belagerten mehr ein Trost als eine Hilfe; denn sie verkündeten, dass die Punier durch einen Krieg im eigenen Land abgehalten würden, und zwar sei es kein Kampf um die Oberherrschaft, sondern um ihre eigene Existenz. (20) Die Syrakusaner verwüsteten nämlich damals Afrika mit Feuer und hatten ihr Lager nicht weit von den Mauern Karthagos aufgeschlagen31. Dennoch verloren die Tyrier nicht den Mut, obwohl sie in einer großen Hoffnung getäuscht waren; doch übergaben sie ihnen ihre Frauen und Kinder, sie nach Karthago wegzubringen, um mutiger ertragen zu können, was immer geschehe, wenn sie nur ihre kostbarste Habe aus der gemeinsamen Gefahr entzogen wüssten. (21) Und als einer von den Bürgern in der Volksversammlung berichtete, er habe in einer Traumerscheinung gesehen, wie Apollon, den man mit so großer

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Apollinis, quem eximia religione colerent, urbem deserentis molemque a Macedonibus in salo iactam in silvestrem saltum esse mutatam, (22) quamquam auctor levis erat, tamen ad deteriora credenda proni metu aurea catena devinxere simulacrum, araeque Herculis, cuius numini urbem dicaverant, inseruere vinculum, quasi illo deo Apollinem retenturo. Syracusis id simulacrum devexerant Poeni et in maiorum locaverant patria multisque aliis spoliis urbium a semet captarum non Carthaginem magis quam Tyrum ornaverant. (23) Sacrum quoque, quod equidem dis minime cordi esse crediderim, multis saeculis intermissum repetendi auctores quidam erant, ut ingenuus puer Saturno immolaretur – quod sacrilegium verius quam sacrum Carthaginienses a conditoribus traditum usque ad excidium urbis suae fecisse dicuntur – ac nisi seniores obstitissent, quorum consilio cuncta agebantur, humanitatem dira superstitio vicisset. (24) Ceterum efficacior omni arte necessitas non usitata modo praesidia sed quaedam etiam nova admovit. Namque ad implicanda navigia, quae muros subibant, validos asseres funibus inligaverant ut, cum tormento asseres promovissent, subito laxatis funibus inicerent. (25) Unci quoque et falces ex isdem asseribus dependentes aut oppugnatores aut ipsa navigia lacerabant. Clipeos vero aereos multo igne torrebant, quos repletos fervida harena caenoque decocto e muris subito devolvebant. (26) Nec ulla pestis magis timebatur: quippe ubi loricam corpusque fervens harena penetraverat, nec ulla vi excuti poterat et quicquid attigerat perurebat, iacientesque arma laceratis omnibus, quis protegi poterant, vulneribus inulti patebant. Corvi vero et ferreae manus tormento remissae plerosque rapiebant. 4 (1) His rex fatigatus statuerat soluta obsidione Aegyptum petere. Quippe cum Asiam ingenti velocitate percucurrisset, circa muros

Geschichte Alexanders des Großen 4,3,21–4,4,1

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Ehrfurcht anbete, die Stadt verlassen habe, wie aus dem von den Makedonen im Meer aufgeworfenen Damm ein waldiger Bergrücken geworden sei, fesselte man, (22) obwohl der Berichterstatter kein Mann von Gewicht war, aus Furcht alles Schlimmere zu glauben geneigt, die Bildsäule mit einer goldenen Kette und befestigte diese am Altar des Herakles, dem die Stadt geweiht war, als ob dieser Gott den Apollon zurückhalten würde. Jenes Götterbild hatten die Punier aus Syrakusai entführt und es in der Stadt ihrer Ahnen aufgestellt32; hatten sie doch Tyros genau wie Karthago auch mit vielen anderen Beutestücken aus eroberten Städten ausgeschmückt. (23) Es rieten sogar einige, ein Opfer zu erneuern, von dem ich durchaus nicht glauben möchte, dass es den Göttern willkommen ist, und das man viele Jahrhunderte unterlassen hatte, nämlich dem Kronos33 einen freigeborenen Knaben zu opfern: Ein Opfer oder vielmehr ein Greuel, der auf die Karthager von ihren Gründern übergegangen und bis zur Zerstörung ihrer Stadt von ihnen geübt worden sein soll34. Und hätte sich nicht damals der Rat der Alten, nach deren Beschluss alles geschah, dem widersetzt, so hätte der grässliche Aberglaube über die Menschlichkeit gesiegt. (24) Übrigens brachte sie die Not, die erfinderischer ist als jede Kunst, nicht nur auf die gebräuchlichen, sondern auch auf manche neue Schutzmittel. Um nämlich die Schiffe, die sich den Mauern näherten, packen zu können, band man an starke Balken die schon erwähnten Raben und Eisenhände und ließ sie, wenn die Balken durch eine Maschine vorgeschoben waren, durch plötzliches Lockerlassen der Taue darauf hinabfallen. (25) Auch verstümmelten Haken und Sicheln, die ebenfalls von den Balken herabhingen, entweder die Bestürmer oder die Schiffe selbst. Ferner brachte man eherne Schilde über einem großen Feuer zum Glühen und warf sie, mit heißem Sand und kochendem Schlamm angefüllt, plötzlich von den Mauern herab. (26) Und kein Zerstörungsmittel wurde mehr als dieses gefürchtet; denn wenn der glühende Sand durch den Panzer auf den Leib gedrungen war, konnte er durch keine Anstrengung abgeschüttelt werden und durchsengte, was er berührt hatte, so dass sie die Waffen von sich warfen, alles, was zu ihrem Schutz dienen konnte, zerrissen und sich wehrlos den Verwundungen preisgaben. Die mit Hilfe der Maschine losgelassenen Raben und Eisenhände aber rissen sehr viele mit sich fort. 4 (1) Da war der König der Sache überdrüssig und entschlossen, die Belagerung aufzuheben und nach Ägypten zu ziehen. Denn nachdem er Asien mit ungeheurer Schnelligkeit durchzogen hatte, saß er

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unius urbis haerebat tot maximarum rerum opportunitate dimissa. (2) Ceterum tam discedere inritum quam morari pudebat, famam quoque, qua plura quam armis everterat, ratus leviorem fore, si Tyrum quasi testem se posse vinci reliquisset. Igitur ne quid inexpertum omitteret, plures naves admoveri iubet delectosque militum imponi. (3) Et forte belua inusitatae magnitudinis super ipsos fluctus dorso eminens ad molem, quam Macedones iecerant, ingens corpus adplicuit, diverberatisque fluctibus adlevans semet utrimque conspecta est: (4) deinde a capite molis rursus alto se immersit ac modo super undas eminens magna sui parte modo superfusis fluctibus condita haud procul munimentis urbis emersit. (5) Utrisque laetus fuit beluae aspectus: Macedones iter iaciendo operi monstrasse eam augurabantur, Tyrii Neptunum, occupati maris vindicem, abripuisse beluam ac molem brevi profecto ruituram. Laetique omine eo ad epulas dilapsi oneravere se vino, quo graves orto sole navigia conscendunt redimita floribus coronisque: adeo victoriae non omen modo sed etiam gratulationem praeceperant! (6) Forte rex classem in diversam partem agi iusserat, XXX minoribus navigiis relictis in litore; e quibus Tyrii duobus captis cetera ingenti terruerunt metu, donec suorum clamore audito Alexander classem litori, a quo fremitus acciderant, admovit. (7) Prima e Macedonum navibus quinqueremis velocitate inter ceteras eminens occurrit; quam ut conspexere Tyriae, duae ex diverso in latera eius invectae sunt, in quarum alteram quinqueremis eadem concitata et ipsa rostro icta est et illam invicem tenuit. (8) Iamque ea, quae non cohaerebat, libero impetu evecta in aliud quinqueremis latus invehebatur, cum opportunitate

Geschichte Alexanders des Großen 4,4,1–4,4,8

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vor den Mauern der einen Stadt fest und versäumte die Gelegenheit zu so vielen bedeutsamen Taten. (2) Doch schämte er sich, sowohl unverrichteter Dinge abzuziehen als auch länger zu verweilen; er meinte nämlich, auch sein Kriegsruhm, durch den er zerstörender gewirkt hatte als durch seine Waffen, werde geschmälert, wenn er Tyros gleichsam als ein Zeugnis, dass er besiegt werden könne, hinter sich ließe. Um also nichts unversucht zu lassen, befahl er, mehr Schiffe heranzuführen und sie mit ausgewählten Soldaten zu bemannen. (3) Und zufällig drängte ein Seeungeheuer von ungewöhnlicher Größe, das mit dem Rücken die Fluten überragte, seinen ungeheuren Leib an den von den Makedonen aufgeworfenen Damm und wurde, wie es die Fluten zerteilte und sich emporhob, für beide Parteien sichtbar: (4) Dann tauchte es am Ende des Dammes wieder in die Tiefe, und bald mit einem großen Teil seines Körpers die Wogen überragend, bald von überflutenden Wellen bedeckt, tauchte es unweit der Befestigungswerke der Stadt wieder auf35. (5) Für beide Seiten war der Anblick des Ungeheuers erfreulich; die Makedonen deuteten es, als habe es ihnen die Richtung des aufzuführenden Baus gezeigt, die Tyrier dagegen, als habe Poseidon aus Rache für die Beschlagnahme des Meeres das Ungeheuer gewaltsam verschwinden lassen, und sicher werde in kurzem der Damm einstürzen. Froh über das Vorzeichen zerstreuten sie sich, veranstalteten ein Festmahl und tranken zuviel Wein; dann bestiegen sie noch betrunken nach Aufgang der Sonne ihre mit Blumen und Kränzen geschmückten Boote: So hatten sie nicht nur das Vorzeichen des Sieges, sondern auch den Jubel darüber vorweggenommen. (6) Zufällig hatte der König befohlen, mit der Flotte in entgegengesetzter Richtung zu steuern und nur dreißig kleinere Boote an der Küste zurückgelassen. Von diesen kaperten die Tyrier zwei und jagten den Übrigen einen gewaltigen Schrecken ein, bis Alexander das Geschrei seiner Leute vernahm und die Flotte sich dem Punkt der Küste näherte, von wo der Lärm gekommen war. (7) Als erstes der makedonischen Schiffe eilte ein Fünfruderer, der den Übrigen an Schnelligkeit überlegen war, dem Feind entgegen. Sobald die Tyrier ihn erblickten, fuhren zwei aus verschiedener Richtung auf seine Seiten los; der Fünfruderer schoss ebenfalls gegen eines der beiden los, so dass er selbst von dessen Schiffsschnabel getroffen wurde und seinerseits jenes festhielt. (8) Und schon fuhr das andere, das nicht fest hing, mit voller Fahrt gegen die andere Seite des Fünfruderers los, als wunderbarerweise gerade im rechten Augenblick ein Dreiruderer von Ale-

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mira triremis e classe Alexandri in eam ipsam, quae quinqueremi imminebat, tanta vi ‹impulsa est› ut Tyrius gubernator in mare excuteretur e puppi. (9) Plures deinde Macedonum naves superveniunt, et rex quoque aderat, cum Tyrii inhibentes remis aegre evellere navem, quae haerebat, portumque omnia simul navigia repetunt. Confestim rex insecutus portum quidem intrare non potuit, cum procul e muris missilibus summoveretur, naves autem omnes fere aut demersit aut cepit. (10) Biduo deinde ad quietem dato militibus iussisque et classem et machinas pariter admovere, ut undique territis instaret, ipse in altissimam turrem ascendit ingenti animo, periculo maiore: (11) quippe regio insigni et armis fulgentibus conspicuus unus praecipue telis petebatur. Et digna prorsus spectaculo edidit: multos e muris propugnates hasta transfixit, quosdam etiam comminus gladio clipeoque impulsos praecipitavit: quippe turris, ex qua dimicabat, muris hostium propemodum cohaerebat. (12) Iamque crebris arietibus saxorum compage laxata munimenta defecerant et classis intraverat portum et quidam Macedonum in turres hostium desertas evaserant, cum Tyrii tot simul malis victi alii supplices in templa confugiunt, alii foribus aedium obseratis occupant liberum mortis arbitrium, nonnulli ruunt in hostem haud inulti tamen perituri, magna pars summa tectorum obtinebat saxa et ‹quic›quid fors in manus dederat ingerentes subeuntibus. (13) Alexander exceptis qui in templa confugerant omnes interfici ignemque tectis inici iubet. (14) His per praecones pronuntiatis nemo tamen armatus opem a dis petere sustinuit: pueri virginesque templa compleverant, viri in vestibulo suarum quisque aedium stabant, parata saevientibus turba. (15) Multis tamen saluti fuere Sidonii, qui intra Macedonum praesidia erant. Hi urbem quidem inter victores intraverant, sed cogna-

Geschichte Alexanders des Großen 4,4,8–4,4,15

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xanders Flotte eben jenes Schiff, das den Fünfruderer bedrohte, mit solcher Gewalt rammte, dass der tyrische Steuermann vom Hinterdeck ins Meer geschleudert wurde. (9) Dann kamen noch mehrere makedonische Schiffe hinzu und auch der König selbst war zur Stelle, während die Tyrier rückwärts ruderten, mit Mühe ihr festsitzendes Schiff losrissen und mit allen Schiffen zugleich in den Hafen zurückfuhren. Der König, der ihnen unverzüglich folgte, konnte zwar nicht in den Hafen eindringen, da er aus der Ferne von den Mauern durch Geschosse abgehalten wurde; die Schiffe aber wurden fast sämtlich von ihm entweder in den Grund gebohrt oder geentert. (10) Nachdem er hierauf den Soldaten zwei Tage zum Ausruhen gegönnt und dann befohlen hatte, zugleich mit der Flotte und den Belagerungsmaschinen vorzurücken, um von allen Seiten die Erschreckten zu bedrängen, stieg er selbst auf den höchsten Turm, mit viel Mut und mit noch größerer Lebensgefahr. (11) Denn an den königlichen Abzeichen und seiner glänzenden Rüstung erkennbar, wurde er besonders zum Ziel der Geschosse. Und was er tat, war in der Tat bewunderswert. Viele Verteidiger der Mauer durchbohrte er mit dem Speer. Manche traf auch aus der Nähe der Hieb seines Schwertes und Schildes und stürzte sie hinab, denn der Turm, von dem aus er kämpfte, hing beinahe mit den feindlichen Mauern zusammen. (12) Und schon waren durch die häufigen Stöße der Widderköpfe die Fugen der Steine gelockert und die Befestigungswerke unbrauchbar geworden, die Flotte war in den Hafen eingedrungen, und einzelne Makedonen hatten die vom Feind verlassenen Türme erstiegen36: Durch so viele gleichzeitige Gefahren überwunden, flohen die Tyrier teils schutzflehend in die Tempel, teils verriegelten sie die Türen ihrer Häuser und suchten den Freitod; manche stürzten sich unter die Feinde, um wenigstens nicht ungerächt zu sterben; ein großer Teil besetzte die Dächer der Häuser und schleuderte Steine und was auch immer ihnen der Zufall in die Hand gegeben hatte auf die unten Anstürmenden. (13) Alexander befahl, mit Ausnahme der in die Tempel Geflohenen alle zu töten und in die Häuser Feuer zu werfen. (14) Obwohl dies aber durch Boten bekannt gemacht wurde, brachte es dennoch kein Bewaffneter über sich, bei den Göttern Schutz zu suchen. Knaben und Jungfrauen hatten die Tempel gefüllt: Die Männer stellten sich, ein jeder am Eingang seines Hauses, kampfbereit den wütenden Siegern entgegen. (15) Vielen jedoch brachten die Sidonier Rettung, die sich im makedonischen Heerlager befanden. Diese waren zwar mit den Siegern in die Stadt eingedrun-

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tionis cum Tyriis memores – quippe utramque urbem Agenorem condidisse credebant – multos Tyriorum clam protegentes ad sua perduxere navigia, quibus occultati Sidona devecti sunt. (16) XV milia hoc furto subducta saevitiae sunt. Quantumque sanguinis fusum sit, vel ex hoc aestimari potest quod intra munimenta urbis VI milia armatorum trucidata sunt. (17) Triste deinde spectaculum victoribus ira praebuit regis: duo milia, in quibus occidendis defecerat rabies, crucibus adfixi per ingens litoris spatium pependerunt. (18) Carthaginiensium legatis pepercit addita denuntiatione belli, quod praesentium rerum necessitas moraretur. (19) Tyros septimo mense, quam oppugnari coepta erat, capta est, urbs et vetustate originis et crebra fortunae varietate ad memoriam posteritatis insignis. Condita ab Agenore diu mare non vicinum modo sed quodcumque classes eius adierunt dicionis suae fecit. Et, si famae libet credere, haec gens litteras prima aut docuit aut didicit. Coloniae certe eius paene orbe toto diffusae sunt: Carthago in Africa, in Boeotia Thebae, Gades ad Oceanum. (20) Credo libero commeantes mari saepiusque adeundo ceteris incognitas terras elegisse sedes iuventuti, qua tunc abundabant, sive quia crebris motibus terrae – nam hoc quoque traditur – cultores eius fatigati nova et externa domicilia armis sibimet quaerere cogebantur. (21) Multis ergo casibus defuncta et post excidium renata nunc tandem longa pace cuncta refovente sub tutela Romanae mansuetudinis adquiescit. 5 (1) Isdem ferme diebus Darei litterae adlatae sunt tandem ut regi scriptae. Petebat uti filiam suam – Statirae erat nomen – nuptiis Alexander sibi adiungeret: dotem offerre omnem regionem inter Hellespontum et Halyn amnem sitam, inde orientem spectantibus terris contentum. (2) Si forte dubitaret quod offerretur accipere, numquam diu eodem vestigio stare fortunam, semperque homines, quantamcumque felicitatem habeant, invidiam tamen sentire maiorem. (3) Vereri se, ne avium modo, quas naturalis levitas ageret ad

Geschichte Alexanders des Großen 4,4,15–4,5,3

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gen, doch eingedenk ihrer Verwandtschaft mit den Tyriern, da Agenor als Gründer beider Städte galt, führten sie viele von den Tyriern, sie heimlich beschützend, auf ihre Schiffe, auf denen versteckt sie nach Sidon gebracht wurden. (16) 15 000 wurden so heimlich dem Morden entzogen37. Wie viel Blut geflossen ist, kann man schon daraus entnehmen, dass innerhalb der Stadtmauern 6 000 Bewaffnete getötet wurden. (17) Hierauf gab der Zorn des Königs den Siegern ein trauriges Schauspiel: 2 000, die die ermattende Mordlust übrig gelassen hatte, wurden ans Kreuz geschlagen und hingen so über eine weite Strecke der Küste hin. (18) Die karthagischen Gesandten verschonte Alexander, doch er drohte ihnen einen Krieg an, den nur der Zwang der gegenwärtigen Lage noch zu verschieben nötige. (19) Im siebten Monat nach Beginn der Belagerung wurde Tyros38, diese sowohl durch das Alter ihres Ursprungs als durch ihr häufig wechselndes Geschick bis auf späte Zeiten bemerkenswerte Stadt, eingenommen. Gegründet von Agenor, unterwarf sie sich lange Zeit das Meer, und zwar nicht nur das benachbarte, sondern das ganze Meer, wohin ihre Flotten kamen. Und darf man der Sage Glauben schenken, so waren es die Tyrier, die die Buchstaben zuerst entweder gelehrt oder gelernt haben. Sicher ist, dass ihre Kolonien fast in der ganzen Welt verstreut sind: Karthago in Afrika, Theben in Boiotien, Gades am Ozean. (20) Wie es scheint, suchten sie sich bei ihren Fahrten über das freie Meer und bei dem häufigen Besuch von sonst unbekannten Ländern Wohnsitze für ihre damals zahlreichen Nachkommen; oder es sahen sich auch die Bewohner, der häufigen Erdbeben müde, wie ebenfalls berichtet wird, gezwungen, sich mit den Waffen neue und auswärtige Wohnplätze zu suchen. (21) Nachdem sie so viel Unglück über sich hat ergehen lassen müssen und nach ihrer Zerstörung wieder aufgebaut worden ist, genießt die Stadt wenigstens jetzt, indem der lange Friede alles neu aufleben lässt, unter dem Schutz der milden römischen Herrschaft Ruhe.39 5 (1) Etwa zur gleichen Zeit kam ein Brief von Dareios40 an, der endlich wie an einen König geschrieben war. Er bat darin, Alexander möge sich mit seiner Tochter Stateira vermählen. Mitgift solle das ganze Land zwischen dem Hellespont und dem Fluss Halys sein. Er selbst wolle sich mit den von da nach Osten liegenden Ländern begnügen. (2) Zögere er vielleicht, das Angebot anzunehmen, nun, so sei das Glück niemals von langem Bestand, und immer bekämen die Menschen, je größere Gunst sie genössen, auch umso mehr Neid41 zu spüren. (3) Er fürchte, Alexander erhebe sich wie ein Vogel, den

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sidera, inani ac puerili mente se efferret: nihil difficilius esse quam in illa aetate tantam capere fortunam. (4) Multas se adhuc reliquias habere nec semper inter angustias posse deprendi: transeundum esse Alexandro Euphraten Tigrimque et Araxen et Hydaspen, magna munimenta regni sui; veniendum in campos, ubi paucitate suorum erubescendum sit, in Mediam, Hyrcaniam, Bactra; (5) et Indos, Oceani accolas, quando aditurum – ne Sogdianos et Arachosios nominem ceterasque gentes ad Caucasum et Tanain pertinentes? Senescendum fore tantum terrarum vel sine proelio obeunti. (6) Se vero ad ipsum vocare desineret: namque illius exitio se esse venturum. (7) Alexander iis, qui litteras attulerant, respondit Dareum sibi aliena promittere et, quod totum amiserit, velle partiri. Doti sibi dari Lydiam, Ionas, Aeolidem, Hellesponti oram, victoriae suae praemia. Leges autem a victoribus dici, accipi a victis: in utro statu ambo essent, si solus ignoraret, quam primum Marte decerneret. (8) Se quidem, cum transiret mare, non Ciliciam aut Lydiam – quippe tanti belli exiguam hanc esse mercedem – sed Persepolim, caput regni eius, Bactra deinde et Ecbatana ultimique Orientis oram imperio destinasse. Quocumque ille fugere potuisset, ipsum sequi posse: desineret terrere fluminibus quem sciret maria transisse. (9) Reges quidem haec invicem scripserant. Sed Rhodii urbem suam portusque dedebant Alexandro. Ille Ciliciam Socrati tradiderat, Philota regioni circa Tyrum iusso praesidere. Syriam, quae Coele appellatur, Andromacho Parmenio tradiderat bello, quod supererat, interfuturus. (10) Rex, Hephaestione Phoenices oram classe praetervehi iusso, ad urbem Gazam cum omnibus copiis venit. (11) Isdem fere diebus sollemne erat ludicrum Isthmiorum, quod conventu totius Graeciae celebratur. In eo concilio Graeci, ut sunt temporaria ingenia, decer-

Geschichte Alexanders des Großen 4,5,3–4,5,11

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seine natürliche Leichtigkeit abheben lasse, in eitlem und jugendhaftem Stolz: Denn nichts sei schwieriger, als in diesem Alter so großes Glück zu ertragen. (4) Ihm selbst sei noch viel übrig geblieben, und nicht immer könne man ihn auf einem engen Gelände fassen. Alexander müsse den Euphrat, Tigris, Araxes und Hydaspes42, die großen Bollwerke des Perserreiches, überschreiten; er müsse auf die Ebene hinaus, wo er wegen der geringen Anzahl seiner Truppen werde erröten müssen. Wann denke er denn daran, bis nach Medien, Hyrkanien, Baktrien (5) und zu den am Ozean wohnenden Indern zu gelangen, um die Sogdianer, Arachosier und die übrigen bis zum Kaukasos und Tanaïs43 reichenden Völker gar nicht zu erwähnen? Ein volles Menschenleben gehöre dazu, wolle man so viele Länder selbst ohne Kampf nur besuchen. (6) Ihn zu sich zu rufen, möge er aufgeben, denn zu seinem Verderben werde er erscheinen. (7) Alexander erwiderte den Überbringern des Briefes: Dareios verspreche ihm, was ihm gar nicht mehr gehöre, und wolle teilen, was er schon ganz und gar verloren habe. Als Mitgift biete man ihm Lydien, Ionien, Aiolien und die Küste des Hellespont an, was doch alles Beute seines Sieges sei. Die Bedingungen aber würden von den Siegern diktiert, von den Besiegten angenommen. Wenn ihm allein noch unbekannt wäre, in welcher dieser beiden Lagen sie sich befänden, so solle er es sobald als möglich durch eine Schlacht zur Entscheidung bringen. (8) Auch habe er, als er das Meer überschritten hatte, nicht Kilikien oder Lydien, die ein sehr geringer Lohn für einen so großen Krieg wären, sondern die Hauptstadt seines Reiches, Persepolis, dann Baktra und Ekbatana und die Gegenden des äußersten Orients zu seinem Reich bestimmt. Wohin immer Dareios fliehen könne, könne er seinerseits folgen, und er solle es aufgeben, ihn, der, wie er wisse, Meere überschritten habe, mit Flussnamen zu schrecken. (9) Das hatten die Könige einander geschrieben. Die Rhodier aber lieferten ihre Stadt mit ihren Häfen an Alexander aus. Dieser übergab Kilikien Sokrates und setzte Philotas44 als Befehlshaber über die Gegend um Tyros ein, während Parmenion das so genannte Koilesyrien an Andromachos45 abtrat, um selbst den noch übrigen Krieg mitzumachen. (10) Hierauf befahl der König dem Hephaistion, mit der Flotte an die phoinikische Küste hinzusteuern; er selbst gelangte mit seinem ganzen Heer zu der Stadt Gaza. (11) Etwa zu derselben Zeit war das feierliche Kampfspiel der Isthmien46, das unter Beteiligung von ganz Griechenland begangen wird. Bei dieser Versammlung beschlossen die Griechen, sich nach ihrer Art der Lage

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nunt ut XV legarentur ad regem, qui ob res pro salute ac libertate Graeciae gestas coronam auream donum victoriae ferrent. (12) Idem paulo ante incertae famae captaverant auram ut, quocumque pendentes animos tulisset fortuna, sequerentur. (13) Ceterum non ipse modo rex obibat urbes adhuc iugum imperii recusantes, sed praetores quoque ipsius, egregii duces, pleraque invaserant, Calas Paphlagoniam, Antigonus Lycaoniam; Balacrus Hydarne, Darei praetore, superato, denuo Miletum cepit, (14) Amphoterus et Hegelochus CLX navium classe insulas inter Achaiam atque Asiam in dicionem Alexandri redegerunt. Tenedo quoque recepta Chium incolis ultro vocantibus statuerant occupare; (15) sed Pharnabazus, Darei praetor, comprehensis qui res ad Macedonas trahebant, rursus Apollonidi et Athenagorae, suarum partium viris, urbem cum modico praesidio militum tradit. (16) Praefecti Alexandri in obsidione urbis perseverabant non tam suis viribus ‹fisi› quam ipsorum, qui obsidebantur, voluntate. Nec fefellit opinio: namque inter Apolloniden et duces militum orta seditio inrumpendi in urbem occasionem dedit, (17) cumque porta effracta cohors Macedonum intrasset, oppidani olim consilio proditionis agitato adgregant se Amphotero et Hegelocho, Persarumque praesidio caeso Pharnabazus cum Apollonide et Athenagora vincti traduntur, (18) XII triremes cum suo milite ac remige, praeter eas XXX inanes et piratici lembi Graecorumque III milia a Persis mercede conducta. His in supplementum copiarum suarum distributis piratisque supplicio adfectis captivos remiges adiecere classi suae. (19) Forte Aristonicus, Methymnaeorum tyrannus, cum piraticis navibus ignarus omnium quae apud Chium acta erant, prima vigilia ad portus claustra successit, interrogatusque a custodibus quis esset, Aristonicum ad Pharnabazum venire respondit.

Geschichte Alexanders des Großen 4,5,11–4,5,19

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der Dinge anpassend, 15 Gesandte an den König zu schicken, um ihm wegen der für die Wohlfahrt und Freiheit Griechenlands vollbrachten Taten als Siegespreis einen goldenen Kranz darzubringen. (12) Dieselben Leute hatten kurz zuvor nach dem Hauch eines unsicheren Gerüchtes geschnappt, um sich anzuschließen, wohin immer der blinde Zufall ihre schwankenden Herzen trüge. (13) Übrigens suchte nicht bloß der König selbst die Städte heim, die sich noch gegen das Joch seiner Herrschaft auflehnten, sondern auch seine Feldherren, vortreffliche Heerführer, hatten nach verschiedenen Punkten ihre Angriffe gerichtet: Kalas gegen Paphlagonien, Antigonos gegen Lykaonien; Balakros nahm Milet ein, nachdem er den Feldherrn des Dareios, Hydarnes47, besiegt hatte; (14) Amphoteros und Hegelochos brachten mit einer Flotte von 160 Schiffen die Inseln zwischen Achaia48 und Asien unter die Herrschaft Alexanders. Als auch Tenedos wiedergewonnen war, hatten sie beschlossen, Chios zu besetzen, dessen Einwohner sie aus freien Stücken herbeiriefen; (15) allerdings ließ Dareios’ Feldherr Pharnabazos diejenigen, die die Insel auf die Seite der Makedonen ziehen wollten, festnehmen und übergab die Stadt wieder Apollonides und Athenagoras, zwei Männern seiner Partei, mit einer mäßigen Truppenbesatzung. (16) Alexanders Feldherren harrten jedoch bei der Belagerung der Stadt aus, nicht so sehr im Vertrauen auf ihre eigene Stärke als auf den Willen der Belagerten selbst. Und ihre Hoffnung täuschte sie nicht. Denn ein Streit, der zwischen Apollonides und den Anführern der Truppen entstanden war, bot ihnen Gelegenheit, in die Stadt einzubrechen. (17) Und als das Tor aufgebrochen und die Makedonen eingedrungen waren, verbanden sich die Bürger, die sich schon vorher auf Verrat verlegt hatten, mit Amphoteros und Hegelochos: Die persische Besatzung wurde getötet und Pharnabazos zusammen mit Apollonides und Athenagoras gefesselt ausgeliefert, (18) ebenso zwölf Dreiruderer mit ihren Mannschaften von Soldaten und Ruderern; außerdem 30 leere Schiffe, eine Anzahl Piratenkähne und 3 000 von den Persern mitgeführte griechische Söldner. Diese verteilten sie unter ihre Truppen zu deren Ergänzung, die Piraten ließen sie hinrichten, und mit den gefangenen Ruderern verstärkten sie ihre eigene Flotte. (19) Zufälligerweise näherte sich der Tyrann von Methymna, Aristonikos, in Unkenntnis darüber, was in Chios geschehen war, in der ersten Nachtwache mit einigen Piratenschiffen dem verschlossenen Hafenzugang und gab auf die Frage der Wächter, wer er wäre, zur Antwort: Aristonikos, der zu Pharnabazos komme.

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(20) Illi Pharnabazum quidem iam quiescere et non posse tum adiri,

ceterum patere socio atque hospiti portum et postero die Pharnabazi copiam fore adfirmant. (21) Nec dubitavit Aristonicus primus intrare, secuti sunt ducem piratici lembi, ac, dum adplicant navigia crepidini portus, obicitur a vigilibus claustrum et, qui proximi excubabant, ab isdem excitantur. Nullo ex iis auso repugnare omnibus catenae iniectae sunt. Amphotero deinde Hegelochoque traduntur. (22) Hinc Macedones transiere Mytilenen, quam Chares Atheniensis nuper occupatam II milium Persarum praesidio tenebat; sed cum obsidionem tolerare non posset, urbe tradita pactus ut incolumi abire liceret, Imbrum petit. Deditis Macedones pepercerunt. 6 (1) Dareus desperata pace quam per litteras legatosque impetrari posse crediderat, ad reparandas vires bellumque impigre renovandum intendit animum. (2) Duces ergo copiarum Babyloniam convenire, Bessum quoque, Bactrianorum praetorem, quam maximo posset exercitu coacto, descendere ad se iubet. (3) Sunt autem Bactriani inter illas gentes promptissimi, horridis ingeniis multumque a Persarum luxu abhorrentibus: siti haud procul Scytharum bellicosissima gente et rapto vivere adsueta semper in armis erant. (4) Sed Bessus suspecta perfidia haud sane aequo animo in secundo se continens gradu regem terrebat: nam cum regnum adfectaret, proditio, qua sola id adsequi poterat, timebatur. (5) Ceterum Alexander, quam regionem Dareus petisset, omni cura vestigans tamen explorare non poterat, more quodam Persarum arcana regum mira celantium fide: (6) non metus, non spes elicit vocem qua prodantur occulta. Vetus disciplina regum silentium vitae periculo sanxerat; lingua gravius castigatur quam ullum probrum, nec magnam rem [magis] sustineri posse credunt ab eo cui tacere grave sit, quod homini facillimum

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(20) Jene versicherten, Pharnabazos schlafe zwar bereits, und es sei

unmöglich, zu ihm zu gehen, doch stehe seinem Verbündeten und Gastfreund der Hafen offen, und am folgenden Tag werde er Pharnabazos sprechen können. (21) Aristonikos zögerte auch nicht, als erster hineinzusteuern, und die Piratenkähne folgten ihrem Führer. Doch während sie die Fahrzeuge am Hafenkai anbinden, wird von den Wächtern die Sperrkette vorgezogen und zugleich der nächste Wachtposten aufgeweckt. Da keiner von ihnen Widerstand zu leisten wagte, warf man alle in Ketten und übergab sie dann Amphoteros und Hegelochos. (22) Von hier setzten die Makedonen nach Mytilene über, das der Athener Chares kürzlich erobert hatte und mit zweitausend Persern besetzt hielt. Da er aber eine Belagerung nicht aushalten konnte, übergab er die Stadt unter der Bedingung, dass ihm freier Abzug gestattet würde, und ging nach Imbros. Die Besatzung, die sich ihnen ergeben hatte, verschonten die Makedonen. 6 (1) Da Dareios die Hoffnung auf den Frieden, den er durch Briefe und Gesandtschaften erlangen zu können geglaubt hatte, aufgegeben hatte, richtete er seine Gedanken auf Wiederherstellung seiner Streitkräfte und sofortige Erneuerung des Krieges. (2) Er befahl daher seinen Heerführern, in Babylon zusammenzukommen, sowie auch dem Statthalter von Baktrien, Bessos, ein möglichst großes Heer zusammenzubringen und zu ihm zu kommen. (3) Es sind aber die Baktrianer unter jenen Völkerschaften die Entschlossensten, von rauem Charakter und von dem persischen Luxusleben sehr verschieden. Wegen ihrer Nachbarschaft zu dem äußerst kriegerischen und an Räuberleben gewöhnten Volk der Skythen standen sie stets unter Waffen. (4) Bessos jedoch, der sich allerdings nicht gleichmütig mit einer Stellung zweiten Ranges begnügte, flößte dem König Furcht ein, er vermutete Treulosigkeit. Denn da er die Herrschaft anstrebte, so war von ihm Verrat zu befürchten, durch den allein er sie erlangen konnte49. (5) Übrigens konnte Alexander trotz aller sorgfältigen Nachforschungen nicht ermitteln, in welche Gegend sich Dareios begeben hatte, da es eine Sitte der Perser ist, die Geheimnisse ihrer Könige mit bewunderungswürdiger Treue zu verschweigen. (6) Keine Drohung, kein Versprechen entlockt ihnen eine Silbe, die das Geheimnis verraten könnte. Die alte Strenge ihrer Könige hatte durch Androhung der Todesstrafe das Stillschweigen unverbrüchlich gemacht. Der Missbrauch der Zunge wird schwerer geahndet als eine Schande, und man glaubt, dass der keiner wichtigen Sache gewachsen sei, dem es schwer fällt, zu schweigen, obwohl die

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voluerit esse natura. (7) Ob hanc causam Alexander omnium, quae apud hostem gererentur, ignarus urbem Gazam obsidebat. Praeerat urbi Betis, eximiae in regem suum fidei, modicoque praesidio muros ingentis operis tuebatur. (8) Alexander aestimato locorum situ agi cuniculos iussit, facili ac levi humo acceptante occultum opus: quippe multam harenam vicinum mare evomit, nec saxa cotesque, quae interpellent specus, obstant. (9) Igitur ab ea parte, quam oppidani conspicere non possent, opus orsus, ut a sensu eius averteret turres muris admoveri iubet. Sed eadem humus movendis inutilis turribus desidente sabulo agilitatem rotarum morata [et] tabulata turrium perfringebat, multique vulnerabantur impune, cum idem ‹in› recipiendis qui admovendis turribus labor eos fatigaret. (10) Ergo receptui signo dato postero die muros corona circumdari iussit. Ortoque sole, priusquam admoveret exercitum, opem deum exposcens sacrum patrio more faciebat. (11) Forte praetervolans corvus glebam, quam unguibus ferebat, subito amisit; quae cum regis capiti incidisset resoluta defluxit, ipsa autem avis in proxima turre consedit. Inlita erat turris bitumine ac sulphure, in qua alis haerentibus frustra se adlevare conatus a circumstantibus capitur. (12) Digna res visa de qua vates consuleret; et erat non intactae a superstitione mentis. Ergo Aristander, cui maxima fides habebatur: urbis quidem excidium augurio illo portendi, ceterum periculum esse ne rex vulnus acciperet. Itaque monuit ne quid eo die inciperet. (13) Ille quamquam unam urbem sibi, quominus securus Aegyptum intraret, obstare aegre ferebat, tamen paruit vati signumque receptui dedit. Hinc animus crevit obsessis, egressique porta recedentibus inferunt signa cunctationem hostium suam fore occasionem rati. (14) Sed acrius quam constantius proelium inierunt: quippe ut Macedonum signa circum-

Geschichte Alexanders des Großen 4,6,6–4,6,14

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Natur dies dem Menschen habe so leicht machen wollen. (7) Da Alexander aus diesem Grund nichts von dem, was beim Feind geschah, erfahren konnte, belagerte er die Stadt Gaza. Betis50 stand der Stadt vor, ein Mann von ausgezeichneter Treue gegenüber seinem König, der die ausgedehnten Mauern mit einer schwacher Besatzung verteidigte. (8) Nachdem Alexander die Lage der Gegend in Betracht gezogen hatte, befahl er, unterirdische Gänge zu graben, da der leichte und lockere Boden versteckte Bauten dieser Art zuließ. Denn das benachbarte Meer wirft viel Sand aus, und weder Felsen noch Steine stellen den Minen ein Hindernis entgegen. (9) Er begann also die Arbeit von der Seite, die die Bewohner der Stadt nicht sehen konnten, und ließ, um ihre Aufmerksamkeit abzulenken, Belagerungstürme gegen die Mauern vorrücken. Aber die Art des Bodens behinderte die Bewegung der Türme: Der träge Sand hemmte die Beweglichkeit der Räder, das Gebälk der Türme brach auseinander, und viele wurden, ohne dass sie sich wehren konnten, verwundet, da es ebenso mühsam für sie war, die Türme zurückzuziehen wie sie vorwärts zu bewegen. (10) Daher gab er das Zeichen zum Rückzug und befahl, am folgenden Tag die Mauern mit einer Truppenkette zu umgeben. Nach Sonnenaufgang brachte er, bevor er sein Heer heranführte, um den Beistand der Götter zu erflehen, nach Sitte der Vorfahren ein Opfer dar. (11) Zufällig flog ein Rabe vorbei und verlor plötzlich eine Erdscholle, die er in den Krallen trug. Diese fiel auf den Kopf des Königs und rieselte zerbröckelnd hinab; der Vogel selbst aber ließ sich auf dem nächsten Turm nieder; und da dieser mit Pech und Schwefel bestrichen war, blieb er mit den Flügeln hängen und wurde, als er sich vergeblich wieder aufzuschwingen suchte, von den Umstehenden gefangen. (12) Der Vorfall schien wichtig genug, um die Wahrsager zu befragen, denn Alexander war nicht ganz frei von Aberglauben. Also erklärte Aristandros, dem er den meisten Glauben schenkte, durch jenes Vorzeichen werde zwar der Untergang der Stadt verkündet, doch bestehe die Gefahr, dass der König verwundet werde. Darum riet er, an diesem Tag nichts zu beginnen. (13) Obwohl der König nun unwillig war, dass ihn eine einzige Stadt hinderte, sicher in Ägypten einzuziehen, folgte er dennoch dem Wahrsager und gab das Zeichen zum Rückzug. Dadurch wuchs den Belagerten der Mut; sie machten einen Ausfall und griffen die Zurückweichenden an, da sie in dem Zaudern der Feinde für sich selbst eine günstige Gelegenheit zu erblicken glaubten. (14) Doch begannen sie den Kampf mehr mit Heftigkeit als mit Ausdauer, denn

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agi videre, repente sistunt gradum. Iamque ad regem proeliantium clamor pervenerat, cum denuntiati periculi haud sane memor loricam tamen, quam raro induebat, amicis orantibus sumpsit et ad prima signa pervenit. (15) Quo conspecto Arabs quidam, Darei miles, maius fortuna sua facinus ausus, gladium clipeo tegens quasi transfuga genibus regis advolvitur. Ille adsurgere supplicem recipique inter suos iussit. (16) At barbarus gladio strenue in dextram translato cervicem adpetit regis. Qui exigua corporis declinatione evitato ictu in vanum manum barbari lapsam amputat gladio, denuntiato in illum diem periculo, ut arbitrabatur ipse, defunctus. (17) Sed, ut opinor, inevitabile est fatum; quippe dum inter primores promptius dimicat, sagitta ictus est, quam per loricam adactam stantem in humero medicus eius Philippus evellit. (18) Plurimus deinde sanguis manare coepit omnibus territis, quia non, quam alte penetrasset telum, lorica obstante cognoverant. Ipse ne oris quidem colore mutato supprimi sanguinem et vulnus obligari iussit. (19) Diu ante ipsa signa vel dissimulato vel victo dolore perstiterat, cum suppressus paulo ante sanguis medicamento, quo retentus erat, manare largius coepit, et vulnus, quod tepens adhuc dolorem non moverat, frigente sanguine intumuit. (20) Linqui deinde animo et submitti genu coepit; quem proximi exceptum in castra receperunt. Et Betis interfectum ratus urbem ovans victoria repetit. (21) At Alexander nondum percurato vulnere aggerem, quo moenium altitudinem aequaret, extruxit, pluribusque cuniculis muros subrui iussit. (22) Oppidani ad pristinum fastigium moenium novum extruxere munimentum, sed ne id quidem turres aggeri impositas poterat aequare: Itaque interiora quoque urbi infesta telis erant. (23) Ultima pestis urbis fuit cuniculo subrutus murus, per cuius ruinas hostis intravit. Duce-

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sobald sie die Makedonen herumschwenken sahen, machten sie plötzlich Halt. Schon war auch das Geschrei der Kämpfenden zum König gelangt, als dieser, kaum noch an die angekündigte Gefahr denkend, auf Bitten seiner Freunde wenigstens den Panzer nahm, den er selten anzulegen pflegte, und sich unter die vordersten Reihen begab. (15) Hier erblickte ihn ein Araber aus Dareios’ Heer und wagte Mutigeres, als sein Rang erwarten ließ. Er versteckte sein Schwert unter dem Schild und warf sich, als wäre er ein Überläufer, vor den Knien des Königs nieder. Der ließ den Schutzflehenden aufstehen und in die Reihen seiner Leute eintreten. (16) Doch der Barbar nahm entschlossen sein Schwert in seine rechte Hand und hieb nach dem Nacken des Königs; der wich indessen mit einer leichten Körperbewegung dem Streich aus und schlug mit seinem Schwert die ins Leere hauende Hand des Barbaren ab. Und nun glaubte er selbst, die ihm für diesen Tag angedrohte Gefahr sei überstanden. (17) Aber dem Schicksal ist, wie ich meine, nicht zu entgehen. Während er nämlich mit zu großem Eifer in vorderster Linie kämpfte, traf ihn ein Pfeil, der durch den Panzer drang und in der Schulter stecken blieb, wo ihn dann sein Arzt Philippos herauszog. (18) Darauf begann das Blut in Strömen zu fließen, und alle waren erschrocken, weil man nicht wusste, wie tief trotz des schützenden Panzers das Geschoss eingedrungen war. Er selbst änderte nicht einmal die Gesichtsfarbe, sondern ließ das Blut stillen und die Wunde verbinden. (19) Lange hatte er es so vor den Reihen ausgehalten und den Schmerz teils verheimlicht, teils bezwungen; da begann das kurz zuvor durch ein stillendes Mittel gehemmte Blut, je mehr es zurückgehalten worden war, desto reichlicher zu fließen, und die Wunde, die frisch noch keinen Schmerz verursacht hatte, schwoll beim Erstarren des Blutes an. (20) Darauf fiel er in Ohnmacht und sank langsam in die Knie. Die Nächststehenden hoben ihn auf und brachten ihn ins Lager zurück. Betis aber, der ihn tot glaubte, kehrte triumphierend über seinen Sieg in die Stadt zurück. (21) Ehe jedoch noch seine Wunde völlig geheilt war, ließ Alexander einen Wall bis zur Höhe der Mauern aufhäufen und sie durch mehrere unterirdische Gänge untergraben. (22) Die Bürger errichteten zwar über die frühere Höhe ihrer Mauern hinaus ein neues Bollwerk, aber selbst dies vermochte den auf den Wall gesetzten Türmen nicht gleichzukommen, so dass sogar die inneren Teile der Stadt von Geschossen bedroht waren. (23) Das Verderblichste für die Stadt aber war der durch die Minen verursachte Einsturz der Mauern, über deren Trüm-

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bat ipse rex antesignanos et, dum incautius subit, saxo crus eius adfligitur. (24) Innixus tamen telo nondum prioris vulneris obducta cicatrice inter primores dimicat, ira quoque accensus, quod duo in obsidione urbis eius vulnera acceperat. (25) Betim egregia edita pugna multisque vulneribus confectum deseruerunt sui, nec tamen segnius proelium capessebat lubricis armis suo pariter atque hostium sanguine. (26) Sed cum undique telis ‹***› quo adducto insolenti gaudio iuvenis elatus, alias virtutis etiam in hoste mirator, ‘Non, ut voluisti,’ inquit ‘morieris, sed, quicquid in captivum inveniri potest, passurum esse te cogita.’ (27) Ille non interrito modo sed contumaci quoque vultu intuens regem nullam ad minas eius reddidit vocem. (28) Tum Alexander ‘Videtisne obstinatum ad tacendum?’ inquit ‘num genu posuit? num vocem supplicem misit? Vincam tamen silentium et, si nihil aliud, certe gemitu interpellabo.’ (29) Ira deinde vertit in rabiem iam tum peregrinos ritus nova subeunte fortuna. Per talos enim spirantis lora traiecta sunt, religatumque ad currum traxere circa urbem equi, gloriante rege Achillen, a quo genus ipse deduceret, imitatum se esse poena in hoste capienda. (30) Cecidere Persarum Arabumque circa X milia, nec Macedonibus incruenta victoria fuit. Obsidio certe non tam claritate urbis nobilitata est quam geminato periculo regis. Qui Aegyptum adire festinans Amyntan cum X triremibus in Macedoniam ad inquisitionem novorum militum misit. (31) Namque etiam secundis atterebantur tamen copiae, devictarumque gentium militi minor quam domestico fides habebatur. 7 (1) Aegyptii olim Persarum opibus infensi – quippe avare et superbe imperitatum sibi esse credebant – ad spem adventus eius

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mer der Feind eindrang. Der König selbst führte die Vorkämpfer an und wurde, als er zu unvorsichtig vordrang, durch einen Steinwurf am Schienbein getroffen. (24) Dennoch, und obwohl auch die Narbe seiner früheren Wunde noch nicht abgeheilt war, stritt er, auf eine Lanze gestützt, in der vordersten Linie, zugleich von Zorn entbrannt, dass er bei Belagerung dieser Stadt zwei Wunden erhalten hatte. (25) Betis verließen, nachdem er aufs Tapferste gekämpft hatte und durch viele Wunden geschwächt war, seine Leute. Dennoch setzte er den Kampf nicht weniger eifrig fort, mit Waffen, die ebenso von seinem eigenen als auch vom Blut der Feinde trieften. (26) Als jedoch von allen Seiten ‹***›51 Wie er nun vor ihn gebracht wurde, rief der junge König, vor maßloser Freude außer sich, obwohl er sonst Tapferkeit auch beim Feind bewunderte: „Nicht so, wie du es gewünscht hast, sollst du sterben; sondern mache dich darauf gefasst, zu erdulden, was immer gegen einen Kriegsgefangenen erfunden werden kann.“ (27) Betis blickte den König nicht nur mit unerschrockener, sondern trotziger Miene an und antwortete auf die Drohungen mit keiner Silbe. (28) Da rief Alexander: „Seht ihr, wie der Verstockte schweigt? Beugt er etwa sein Knie? Lässt er ein Wort der Bitte hören? Ich aber werde sein Schweigen brechen und, wenn durch nichts Anderes, wenigstens durch Stöhnen unterbrechen.“ (29) Sein Zorn steigerte sich hierauf zur Wut, weil seine neue Machtstellung ihn schon damals fremde Bräuche übernehmen ließ. Es wurden nämlich dem noch Atmenden die Knöchel durchbohrt, Riemen hindurchgezogen, und so an einen Wagen gebunden schleifte ihn ein Pferdegespann um die Stadt, während sich der König rühmte, Achill, von dem er selbst sein Geschlecht ableitete, bei der Bestrafung seines Feindes nachgeahmt zu haben52. (30) Von den Persern und Arabern fielen ungefähr 10 000 Mann ab; doch war auch für die Makedonen der Sieg nicht unblutig. Berühmt geworden ist die Belagerung sicherlich nicht so sehr durch die Bedeutung der Stadt, als durch die zweimalige Gefährdung für den König. Ehe dieser nach Ägypten zu marschieren sich beeilte, entsandte er Amyntas53 mit zehn Dreiruderern nach Makedonien, um neue Soldaten auszuheben. (31) Denn auch die Erfolge rieben seine Truppen auf, und den aus den besiegten Völkerschaften geworbenen Soldaten konnte man weniger Vertrauen schenken als den einheimischen. 7 (1) Die Ägypter, schon von jeher der persischen Macht feindlich gesonnen, da ihnen deren Herrschaft habsüchtig und übermütig schien, hatten bei der Hoffnung auf Alexanders Ankunft neuen Mut

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erexerant animos, utpote qui Amyntam quoque transfugam et cum precario imperio venientem laeti recepissent. (2) Igitur ingens multitudo Pelusium, qua intraturus videbatur, convenerat. Atque ille septimo die, postquam a Gaza copias moverat, in regionem Aegypti, quam nunc castra Alexandri vocant, pervenit. (3) Deinde pedestribus copiis Pelusium petere iussis, ipse cum expedita delectorum manu Nilo amne vectus est. Nec sustinuere adventum eius Persae defectione quoque perterriti. (4) Iamque haud procul Memphi erat; in cuius praesidio Mazaces, praetor Darei, relictus aurum omne supra octingenta talenta Alexandro omnemque regiam supellectilem tradidit. (5) A Memphi eodem flumine vectus ad interiora Aegypti penetrat compositisque rebus ita, ut nihil ex patrio Aegyptiorum more mutaret, adire Iovis Hammonis oraculum statuit. (6) Iter expeditis quoque et paucis vix tolerabile ingrediendum erat: terra caeloque aquarum penuria est, steriles harenae iacent, quas ubi vapor solis accendit, fervido solo exurente vestigia intolerabilis aestus existit. (7) Luctandumque est non solum cum ardore et siccitate regionis, sed etiam cum tenacissimo sabulo, quod praealtum et vestigio cedens aegre moliuntur pedes. (8) Haec Aegyptii vero maiora iactabant; sed ingens cupido animum stimulabat adeundi Iovem, quem generis sui auctorem haud contentus mortali fastigio aut credebat esse aut credi volebat. (9) Ergo cum iis, quos ducere secum statuerat, secundo amne descendit ad Mareotin paludem. Eo legati Cyrenensium dona attulere, pacem et ut adiret urbes suas petentes. Ille donis acceptis amicitiaque coniuncta destinata exequi pergit. (10) Ac primo quidem et sequente die tolerabilis labor visus nondum tam vastis nudisque solitudinibus aditis, iam tamen sterili et emoriente terra. (11) Sed ut aperuere se campi alto obruti sabulo, haud

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geschöpft; hatten sie ja auch den Überläufer Amyntas, der nur mit einem angemaßten Oberbefehl zu ihnen kam, mit Freude aufgenommen. (2) Darum war eine sehr große Volksmenge in Pelusion zusammengeströmt, weil man annahm, dass er auf diesem Weg einziehen werde. Sieben Tage nach seinem Aufbruch von Gaza gelangte er in die Gegend Ägyptens, die heute „Alexanderlager“ heißt54. (3) Dann befahl er seinem Landheer, nach Pelusion zu marschieren, während er selbst mit einer kampfbereiten Schar Elite-Truppen den Nil hinauffuhr. Doch die Perser, außerdem durch Abfall der Ägypter in Schrecken versetzt, hielten nicht bis zu seiner Ankunft stand. (4) Alexander war nicht mehr fern von Memphis, als der dort zum Schutz zurückgelassene Feldherr des Dareios, Mazakes55, von sich aus über den Strom setzte und ihm 8 000 Talente mit dem ganzen königlichen Hausstand auslieferte. (5) Von Memphis gelangte Alexander, ebenfalls auf dem Nil, in das Innere Ägyptens, und nachdem er die Angelegenheiten des Landes in der Weise geordnet hatte, dass er nichts an den überkommenen Sitten der Ägypter änderte, beschloss er, das Orakel des Zeus Ammon aufzusuchen56. (6) Der Weg dorthin war selbst für wenige und mit keinem Gepäck Belastete kaum überwindlich. Erde und Himmel mangelt es an Wasser, unfruchtbare Sandwüsten breiten sich aus, und wenn die Sonnenstrahlen diese erhitzen, verbrennt der heiße Boden die Sohlen, und es entsteht eine unerträgliche Hitze. (7) Und nicht bloß mit der Hitze und Trockenheit der Gegend hat man zu kämpfen, sondern auch mit dem äußerst hinderlichen Sand, in dem die Füße sich nur mühsam fortarbeiten, da er sehr tief ist und unter jedem Schritt nachgibt. (8) Dies alles schilderten die Ägypter noch schlimmer, als es in Wirklichkeit war. Aber ein unbezähmbares Verlangen stachelte den König an, den Zeus aufzusuchen, den er, nicht zufrieden mit dem Rang eines Sterblichen, für den Urheber seines Geschlechts entweder hielt oder gehalten wissen wollte57. (9) Er fuhr also mit denen, die er mit sich zu nehmen beschlossen hatte, den Fluss hinab bis zum See Mareotis. Dorthin brachten ihm Gesandte aus Kyrene Geschenke und baten ihn um Frieden und dass er ihre Städte besuchen möge. Er nahm die Geschenke an, schloss mit ihnen ein Freundschaftsbündnis und ging dann weiter an die Ausführung seines Entschlusses. (10) Am ersten und folgenden Tag schien die Mühsal noch erträglich, da man noch nicht in so wüste und nackte Einöden eingedrungen war, obwohl der Boden bereits unfruchtbar und abgestorben war. (11) Aber sobald sich vor ihnen die mit tiefem Wüstensand bedeckte Landschaft aus-

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secus quam profundum aequor ingressi terram oculis requirebant: (12) nulla arbor, nullum culti soli occurrebat vestigium. Aqua etiam defecerat, quam utribus cameli vexerant, et in arido solo ac fervido sabulo nulla erat. (13) Ad hoc sol omnia incenderat, siccaque et adusta erant ora, cum repente – sive illud deorum munus sive casus fuit – obductae caelo nubes condidere solem, ingens aestu fatigatis, etiamsi aqua deficeret, auxilium. (14) Enimvero ut largum quoque imbrem excusserunt procellae, pro se quisque excipere eum, quidam ob sitim impotentes sui ore quoque hianti captare coeperunt. (15) Quadriduum per vastas solitudines absumptum est. Iamque haud procul oraculi sede aberant, cum complures corvi agmini occurrunt: modico volatu prima signa antecedentes [et] modo humi residebant, cum lentius agmen incederet, modo se pennis levabant ducentium iterque monstrantium ritu. (16) Tandem ad sedem consecratam deo ventum est. Incredibile dictu, inter vastas solitudines sita undique ambientibus ramis, vix in densam umbram cadente sole, contecta est, multique fontes dulcibus aquis passim manantibus alunt silvas. (17) Caeli quoque mira temperies, verno tepori maxime similis, omnes anni partes pari salubritate percurrit. (18) Accolae sedis sunt ab oriente proximi Aethiopum. In meridiem versam Arabes spectant – Trogodytis cognomen est –; horum regio usque ad rubrum mare excurrit. (19) At qua vergit ad occidentem alii Aethiopes colunt, quos Simuos vocant. A septentrione Nasamones sunt, gens Syrtica, navigiorum spoliis quaestuosa: quippe obsident litora et aestu destituta navigia notis sibi vadis occupant. (20) Incolae nemoris, quos Hammonios vocant, dispersis tuguriis habitant: medium nemus pro arce habent, triplici muro circumdatum. (21) Prima munitio tyrannorum veterem regiam clausit, in proxima coniuges eorum cum liberis et paelicibus habitabant – hic quoque dei oraculum est –, ulti-

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breitete – nicht anders, als wenn man das unendlich tiefe Meer beträte – da suchten die Augen nach Land. (12) Kein Baum, keine Spur von Ackerbau zeigte sich. Selbst das Wasser war ausgegangen, das Kamele in Schläuchen getragen hatten, und in dem dürren Boden und glühenden Sand fand sich nirgendwo etwas. (13) Dazu hatte die Sonne alles versengt, trocken und verbrannt waren ihre Lippen, als plötzlich, mochte es ein Gnadengeschenk der Götter oder Zufall sein, sich Wolken über den Himmel zogen und die Sonne verbargen, für die von der Hitze Erschöpften eine außerordentliche Hilfe, auch wenn es noch an Wasser mangelte. (14) Aber als nun auch Stürme sintflutartigen Regen brachten, da suchte jeder ihn aufzusammeln, manche, vor Durst schon ganz ohnmächtig, ihn wenigstens mit offenem Mund aufzufangen. (15) Vier Tage brachte man auf dem Marsch durch die wüsten Einöden zu. Und schon war man nicht mehr weit von dem Sitz des Orakels entfernt, als dem Zug viele Raben begegneten: In langsamem Flug schwebten sie an der Spitze voran und ließen sich bald auf dem Boden nieder, wenn der Zug langsamer zog, bald schwangen sie wieder auf, als wollten sie den Marschierenden den Weg weisen.58 (16) Endlich gelangte man zu dem dem Gott geheiligten Ort. Es ist kaum zu glauben: Er ist, obwohl mitten zwischen wüsten Einöden gelegen, überall von grünenden Zweigen geschützt, so dass die Sonne kaum in den Schatten dringt, und viele Quellen mit Süßwasser, die allenthalben hervorsprudeln, nähren die Wälder. (17) Auch die wunderbare Milde der Luft, unserem Frühling am ehesten ähnlich, bleibt zu allen Jahreszeiten gleich gesund. (18) Nachbarn des Ortes sind im Osten die in unmittelbarer Nähe wohnenden Äthiopier. Im Süden wohnen die Araber, die den Beinamen Troglodyten haben und deren Gebiet bis zum Roten Meer reicht. (19) Auf der westlichen Seite aber wohnen andere Äthiopier, die man Simuer nennt, und im Norden sind die Nasamonen, ein Volk der Syrte, das vom Ausrauben der Schiffe lebt: Denn sie halten die Küsten besetzt und bemächtigen sich der auf den Sand aufgelaufenen Schiffe in den ihnen bekannten Untiefen. (20) Die Bewohner der Oase, die den Namen Ammonier führen, leben in zerstreut liegenden Zelten, und der mittlere Teil der Oase, der mit einer dreifachen Mauer umgeben ist, dient ihnen als Burg. (21) Der erste Befestigungsring umschloss den alten Königssitz; im Folgenden wohnten deren Gattinnen mit samt ihren Kindern und den Nebenfrauen; hier ist auch das Orakel des Gottes. Innerhalb der

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ma munimenta satellitum armigerorumque sedes erant. (22) Est et aliud Hammonis nemus: in medio habet fontem – Solis aquam vocant. Sub lucis ortum tepida manat, medio die, cuius vehementissimus est calor, frigida eadem fluit, inclinato in vesperam calescit, media nocte fervida exaestuat, quoque nox propius vergit ad lucem, multum ex nocturno calore decrescit, donec sub ipsum diei ortum adsueto tepore languescat. (23) Id, ‹quod› pro deo colitur, non eandem effigiem habet quam vulgo diis artifices accommodaverunt: umbilico maxime similis est habitus, zmaragdo et gemmis coagmentatus. (24) Hunc, cum responsum petitur, navigio aurato gestant sacerdotes multis argenteis pateris ab utroque navigii latere pendentibus; sequuntur matronae virginesque patrio more inconditum quoddam carmen canentes, quo propitiari Iovem credunt ut certum edat oraculum. (25) Ac tum quidem regem propius adeuntem maximus natu e sacerdotibus filium appellat, hoc nomen illi parentem Iovem reddere adfirmans. Ille se vero et accipere ait et adgnoscere, humanae sortis oblitus. (26) Consuluit deinde an totius orbis imperium fatis sibi destinaretur. Vates aeque in adulationem compositus terrarum omnium rectorem fore ostendit. (27) Post haec institit quaerere an omnes parentis sui interfectores poenas dedissent. Sacerdos parentem eius negat ullius scelere posse violari, Philippi autem omnes luisse supplicia; adiecit invictum fore, donec excederet ad deos. (28) Sacrificio deinde facto dona et sacerdotibus et deo data sunt, permissumque amicis ut ipsi consulerent Iovem. Nihil amplius quaesierunt quam an auctor esset sibi divinis honoribus colendi suum regem. Hoc quoque acceptum fore Iovi vates respondet. (29) Vera et salubri aestimatione ‹pensanti› fidem oraculi vana profecto responsa [si] videri potuissent; sed fortuna, quos uni sibi credere coegit, magna ex parte avidos gloriae magis quam capaces facit. (30) Iovis igitur filium se non solum appellari passus est, sed etiam iussit rerumque

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äußersten Befestigungswerke war der Aufenthalt der Leibgarde und der bewaffneten Mannschaft59. (22) Es gibt noch einen anderen Hain des Ammon, in dessen Mitte sich eine Quelle befindet, die man das Wasser des Sonnengottes nennt. Bei Sonnenaufgang fließt es lauwarm, mitten am Tag, wenn die stärkste Hitze herrscht, dagegen kalt; neigt es sich zum Abend, so wird es warm, mitten in der Nacht sprudelt es heiß, und je mehr sich die Nacht dem Morgen nähert, um so mehr verliert es von seiner nächtlichen Wärme, bis es wieder bei Tagesanbruch die gewohnte Wärme erreicht60. (23) Was als Gott verehrt wird, hat nicht eine solche Gestalt, wie sie sonst die Künstler den Göttern verliehen haben, sondern es ist eine zumeist einem Nabel ähnliche Figur, aus Smaragd und Edelsteinen zusammengesetzt. (24) Wenn um ein Orakel gebeten wird, tragen die Priester sie in einem vergoldeten Schiff, von dessen beiden Seiten viele silberne Becken herabhängen. Ihnen schließen sich Frauen und Jungfrauen an, die nach alter Sitte ein kunstloses Lied singen, durch welches sie Zeus wohlgesonnen zu machen glauben, eine wahre Antwort zu erteilen. (25) Damals nun redete der älteste von den Priestern den herantretenden König mit „Sohn“61 an, indem er versicherte, dass sein Vater Zeus ihm diesen Namen erteile. Und er, seiner sterblichen Natur uneingedenk, erwiderte: Ja, er nehme und erkenne dies an. (26) Dann fragte er, ob er nicht zur Herrschaft über den ganzen Erdkreis bestimmt sei. Worauf er mit ähnlicher Schmeichelei belehrt wurde, er werde der Herr über alle Länder sein. (27) Hierauf fragte er weiter, ob wohl alle Mörder seines Vaters bestraft seien. Der Priester erklärte, seinem Vater könne durch niemandes Frevel ein Leid geschehen, Philipps Mörder aber seien alle bestraft, und er fügte schließlich hinzu, er werde unbesiegt bleiben, bis er zu den Göttern aufsteige62. (28) Nachdem er darauf ein Opfer dargebracht hatte, wurden sowohl den Priestern als auch dem Gott Geschenke gebracht; seinen Freunden wurde gestattet, auch ihrerseits das Orakel zu befragen. Sie fragten weiter nichts, außer ob er ihnen rate, ihrem König göttliche Verehrung zu erweisen. Auch dies, erwiderte der Priester, werde Zeus willkommen sein. (29) Bei klarer und vernünftiger Überlegung hätte ihm wahrlich die Glaubwürdigkeit des Orakels verdächtig scheinen können; aber das Glück macht häufig die, die es dahin gebracht hat, nur ihm zu vertrauen, in höherem Grade begierig nach Ruhm als fähig, ihn auch zu ertragen. (30) Er duldete also nicht nur, sondern befahl sogar, dass man ihn Sohn des Zeus nannte

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gestarum famam, dum augere vult tali appellatione, corrupit. (31) Et Macedones, adsueti quidem regio imperio, sed in maiore libertatis umbra quam ceterae gentes, immortalitatem adfectantem contumacius quam aut ipsis expediebat aut regi, aversati sunt. (32) Sed haec suo quaeque tempori reserventur; nunc cetera exequi pergam. 8 (1) Alexander ab Hammone rediens ad Mareotin paludem haud procul insula Pharo sitam venit. Contemplatus loci naturam primum in ipsa insula statuerat urbem novam condere; (2) ‹de›inde ut apparuit magnae sedis insulam haud capacem esse, elegit urbi locum, ubi nunc est Alexandrea, appellationem trahens ex nomine auctoris. Complexus quicquid soli est inter paludem ac mare octoginta stadiorum muris ambitum destinat et qui exaedificandae urbi praeessent relictis Memphin petit. (3) Cupido haud iniusta quidem, ceterum intempestiva incesserat non interiora modo Aegypti sed etiam Aethiopiam invisere: Memnonis Tithonique celebrata regia cognoscendae vetustatis avidum trahebat paene extra terminos solis. (4) Sed imminens bellum, cuius multo maior supererat moles, otiosae peregrinationi tempora exemerat. Itaque Aegypto praefecit Aeschylum Rhodium et Peucesten Macedonem quattuor milibus militum in praesidium regionis eius datis; claustra Nili fluminis Polemonem tueri iubet: XXX ad hoc triremes datae. (5) Africae deinde, quae Aegypto iuncta est, praepositus Apollonius, vectigalibus eiusdem Africae Aegyptique Cleomenes. Ex finitimis urbibus commigrare Alexandream iussis, novam urbem magna multitudine implevit. (6) Fama est, cum rex orbem futuris muris polenta, ut Macedonum mos est, destinasset, avium greges advolasse et polenta esse pastas, cumque id omen pro tristi a plerisque esset acceptum, respondisse vates magnam illam urbem advenarum frequentiam culturam, multisque eam

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und verringerte dadurch den Ruhm seiner Taten, den er durch eine solche Bezeichnung doch mehren wollte. (31) Die Makedonier aber, zwar an die königliche Herrschaft gewöhnt, doch im Schatten einer größeren Freiheit als die übrigen Völker, zeigten dieser angemaßten Unsterblichkeit gegenüber mehr Trotz und Abneigung als für sie selbst und auch den König gut war. (32) Doch mag dies, bis es an der Zeit ist, aufgespart bleiben; jetzt will ich mit der weiteren Erzählung fortfahren. 8 (1) Auf seiner Rückkehr von Ammon kam Alexander zu dem nicht weit von der Insel Pharos gelegenen Mareotischen See. Nach Betrachtung der Beschaffenheit des Ortes war er zuerst entschlossen, auf der Insel selbst eine neue Stadt zu gründen63; (2) dann, als sich zeigte, dass die Insel für eine große Siedlung nicht geräumig genug sei, wählte er für die Stadt die Stelle aus, an der sich heute Alexandreia befindet, das diesen Namen nach seinem Erbauer führt. Er nahm dazu alles Land zwischen dem See und dem Meer und bestimmte den Umfang durch eine Mauer von 80 Stadien: Dann ließ er Männer zurück, die den Aufbau der Stadt überwachen sollten, und begab sich nach Memphis. (3) Es war ihm nämlich der zwar verständliche, aber zeitlich ungelegene Wunsch gekommen, nicht nur das Innere Ägyptens, sondern auch Äthiopien zu besuchen; und in seiner Begierde, Altertümer zu sehen, hätte ihn der berühmte Königspalast des Memnon und Tithonos beinahe über den Wendekreis der Sonne hinausgeführt.64 (4) Doch der drohende Krieg, dessen bei weitem größere Last noch zu bewältigen war, hatte ihm die Zeit für eine müßige Fahrt genommen. Daher setzte er über Ägypten den Rhodier Aischylos und den Makedonen Peukestes ein, denen er zum Schutz des Landes 4 000 Soldaten gab. Die Nilmündungen ließ er durch Polemon überwachen und gab ihm zu diesem Zweck 30 Dreiruderer. (5) Über das an Ägypten grenzende Afrika wurde Apollonios eingesetzt, über die Verwaltung der Steuer Afrikas und Ägyptens Kleomenes. Da er den Befehl gab, aus den benachbarten Städten nach Alexandreia überzusiedeln, füllte er die neue Stadt mit einer großen Einwohnerzahl. (6) Man erzählt65, als der König die Mauern der zukünftigen Stadt nach makedonischer Sitte durch verstreute Gerstengraupen bezeichnet habe, seien Scharen von Vögeln herbeigeflogen und hätten die Gerste gefressen; und als viele dies für ein unglückliches Zeichen hielten, habe die Antwort der Wahrsager gelautet: Eine große Menge von Einwanderern werde diese Stadt bewohnen und vielen Ländern werde sie Nahrung geben66.

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terris alimenta praebituram. (7) Regem, cum secundo amne deflueret, adsequi cupiens Hector, Parmenionis filius, eximio aetatis flore, in paucis Alexandro carus, parvum navigium conscendit pluribus, quam capere posset, impositis. (8) Itaque mersa navis omnes destituit. Hector diu flumini obluctatus, cum madens vestis et adstricti crepidis pedes natare prohiberent, in ripam tamen semianimis evasit et, ut primum fatigatus spiritum laxavit, quem metus et periculum intenderat, nullo adiuvante – quippe in diversum evaserant alii – exanimatus est. (9) Amissi eius desiderio vehementer adflictus est repertumque corpus magnifico extulit funere. Oneravit hunc dolorem nuntius mortis Andromachi, quem praefecerat Syriae: vivum Samaritae cremaverant. (10) Ad cuius interitum vindicandum, quanta maxima celeritate potuit contendit, advenientique sunt traditi tanti sceleris auctores. (11) Andromacho deinde Menona substituit adfectisque supplicio, qui praetorem interemerant, tyrannos, inter quos Methymnaeorum Aristonicum et Er‹esiorum Eury›silaum, popularibus suis tradidit; quos illi ob iniurias tortos necaverunt. (12) Atheniensium deinde, Rhodiorum et Chiorum legatos audit. Athenienses victoriam gratulabantur et ut captivi Graecorum suis restituerentur orabant; Rhodii et Chii de praesidio querebantur. (13) Omnes aequa desiderare visi impetraverunt. Mytilenaeis quoque ob egregiam in partes fidem et pecuniam, quam in bellum impenderant, reddidit et magnam regionem finium adiecit. (14) Cypriorum quoque regibus, qui et a Dareo defecerant ad ipsum et oppugnanti Tyrum miserant classem, pro merito honos habitus est. (15) Amphoterus deinde, classis praefectus, ad liberandam Cretam missus – namque et Persarum et Spartanorum armis pleraque eius insulae obsidebantur – ante omnia mare a piraticis classibus vindicare iussus: quippe obnoxium praedonibus erat, in bellum utroque rege converso. (16) His compositis Herculi Tyrio ex auro crate-

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(7) Als der König den Fluss hinabfuhr, bestieg Parmenions Sohn

Hektor, der in der höchsten Blüte seines Lebens stand und dem Alexander teuer war wie wenige, um ihm zu folgen, ein kleines Schiff, auf dem sich aber mehr befand, als es fassen konnte. (8) Daher kenterte das Schiff und ließ alle im Wasser untergehen. Hektor, der lange gegen den Strom gerungen hatte, konnte sich, obwohl seine nasse Kleidung und die mit Sandalen geschnürten Füße ihn am Schwimmen hinderten, dennoch halbtot ans Ufer retten. Aber als nun bei dem Erschöpften der Atem, den Angst und Gefahr beschleunigt hatten, wieder schwächer wurde, starb er, da ihm niemand Hilfe leistete, denn die anderen hatten sich auf die entgegengesetzte Seite gerettet. (9) Sein Verlust schmerzte den König sehr, und er ließ den Leichnam, als man ihn gefunden hatte, mit aller Pracht bestatten. Diesen Schmerz vergrößerte noch die Botschaft vom Tod des Andromachos67, den er über Syrien eingesetzt hatte: Die Samariter hatten ihn lebendig verbrannt. (10) So schnell er konnte, eilte er, um seinen Tod zu rächen, und es wurden ihm bei seiner Ankunft die Täter des grässlichen Verbrechens ausgeliefert. (11) Hierauf setzte er Memnon68 an Andromachos’ Stelle, bestrafte die Mörder seines Statthalters mit dem Tod und lieferte die Tyrannen, darunter Aristonikos, den Tyrannen von Methymna, und Eurysilaos, den Tyrannen von Eresos, ihren Landsleuten aus, die sie wegen der von ihnen begangenen Frevel folterten und töteten. (12) Daraufhin ließ er die Gesandten der Athener, Rhodier und Chier zu sich. Die Athener beglückwünschten ihn wegen seines Sieges und baten, er möge die gefangenen Griechen ihren Angehörigen zurückgeben; die Rhodier und Chier beschwerten sich wegen der noch vorhandenen Besatzungen. (13) Alle erlangten, was sie wünschten, weil es gerecht schien. Auch den Mytilenaiern erstattete er wegen ihrer besonderen Treue zu seiner Seite nicht nur das für den Krieg aufgebrachte Geld zurück, sondern erweiterte auch ihr Gebiet durch ein großes Stück Land. (14) Ebenso wurden den zypriotischen Königen, die von Dareios zu ihm abgefallen waren und ihm bei der Belagerung von Tyros ihre Flotte geschickt hatten, ihrem Verdienst angemessene Ehren zuteil. (15) Hierauf wurde der Flottenkommandant Amphoteros zur Befreiung von Kreta69 abgeschickt, dessen größeren Teil die persischen und spartanischen Truppen besetzt hielten, vor allem aber wurde ihm befohlen, das Meer vor den Piratenflotten zu schützen. Denn seitdem sich beide Könige bekriegten, war es in der Gewalt von Seeräubern. (16) Als diese Angelegenheiten geordnet waren,

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ram cum XXX pateris dicavit imminensque Dareo ad Euphraten iter pronuntiari iussit. 9 (1) At Dareus, cum Aegypto devertisse in Africam hostem comperisset, dubitaverat utrumne circa Mesopotamiam subsisteret an interiora regni sui peteret, haud dubie potentior auctor praesens futurus ultimis gentibus impigre bellum capessendi, quas aegre per praefectos suos moliebatur. (2) Sed ut idoneis auctoribus fama vulgavit Alexandrum cum omnibus copiis, quamcumque ipse adisset regionem, petiturum, haud ignarus quam cum strenuo res esset, omnia longinquarum gentium auxilia Babyloniam contrahi iussit. Bactriani Scythaeque et Indi convenerant; iam et ceterarum gentium copiae partibus simul adfuerunt. (3) Ceterum cum dimidio ferme maior esset exercitus quam in Cilicia fuerat, multis arma deerant, quae summa cura comparabantur. Equitibus equisque tegumenta erant ex ferreis lamminis serie inter se conexis; quis antea praeter iacula nihil dederat, scuta gladiique adiciebantur, (4) equorumque domandi greges peditibus distributi sunt, ut maior pristino esset equitatus. Ingensque, ut crediderat, hostium terror, ducentae falcatae quadrigae, unicum illarum gentium auxilium, secutae sunt. (5) Ex summo temone hastae praefixae ferro eminebant, utrimque a iugo ternos direxerant gladios, inter radios rotarum plura spicula eminebant in adversum; aliae deinde falces summissae rotarum orbibus haerebant et aliae in terram demissae, quicquid obvium concitatis equis fuisset amputaturae. (6) Hoc modo instructo exercitu ac perarmato Babylone copias movit. A parte dextra erat Tigris, nobilis fluvius, laevam tegebat Euphrates, agmen Mesopotamiae campos impleverat. (7) Tigri deinde superato, cum audisset haud procul abesse hostem, Satropaten, equitum praefectum cum mille delectis praemisit. Mazaeo praetori sex milia data, quibus hostem transitu amnis arceret; (8) eidem mandatum ut regionem, quam Alexander

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weihte er dem tyrischen Herakles ein Mischgefäß aus Gold und 30 Trinkschalen und ließ dann, indem er sich gegen Dareios wandte, den Befehl zum Marsch auf den Euphrat geben. 9 (1) Als Dareios erfuhr, sein Gegner habe von Ägypten aus den Weg nach Afrika eingeschlagen, hatte er geschwankt, ob er in den Gegenden Mesopotamiens Halt machen oder sich in das Innere seines Reiches begeben solle. Zweifellos würde seine Anwesenheit für die weit entlegenen Völkerschaften, die seine Statthalter nur mit Mühe in Bewegung setzten, ein mächtiger Anreiz sein, sich eifrig an dem Krieg zu beteiligen. (2) Als sich jedoch durch glaubwürdige Gewährsmänner die Kunde verbreitete, Alexander werde ihm mit allen seinen Truppen in jede Gegend nachziehen, befahl er, wohl wissend, mit was für einem entschlossenen Mann er es zu tun habe, allen Hilfstruppen der weit entfernten Völkerschaften sich nach Babylon zusammenzuziehen. Die Baktrianer, Skythen und Inder hatten sich versammelt; es waren bereits auch die Kontingente der übrigen Völker zur Stelle. (3) Da im Übrigen das Heer fast um die Hälfte größer war als das frühere in Kilikien, fehlte es vielen an Waffen, die nun mit großem Fleiß beschafft wurden. Reiter und Pferde hatten Panzer aus reihenweise aneinandergefügten Eisenplatten: Die vorher nichts als Wurfspieße gehabt hatten, erhielten dazu Schilde und Schwerter, (4) und erst noch zu zähmende Herden von Pferden wurden unter die Fußsoldaten verteilt, um eine größere Reiterei als früher zu haben. Auch folgten dem Feind – wie er sich einbildete, ein furchtbarer Schrecken – 200 Sichelwagen, ein ganz eigentümliches Kriegsgerät jener Völkerschaften. (5) Vorn aus der Deichsel ragten eisenbeschlagene Speere; zu beiden Seiten des Joches standen drei Schwerter vor; zwischen den Speichen der Räder starrten zahlreiche Spitzen dem Feind entgegen und an den Felgen der Räder waren Sicheln befestigt, teils aufwärts, teils nach der Erde hinabgerichtet, um abzumähen, was dem Lauf der Pferde in den Weg komme70. (6) Als das Heer auf diese Weise gerüstet und durchgängig bewaffnet war, rückte er damit von Babylon aus vor. Auf der rechten Seite befand sich der berühmte Fluss Tigris, die linke Seite deckte der Euphrat; die Landschaft Mesopotamien war von dem Heereszug vollständig besetzt. (7) Als er dann nach Überschreitung des Tigris gehört hatte, der Feind sei nicht weit entfernt, schickte er den Reiterführer Satropates71 mit 1 000 ausgewählten Reitern voran. Seinem Feldherrn Mazaios gab er 6 000 Mann, um damit den Feind am Flussübergang zu hindern, (8) außerdem sollte er die Gegend, in die Ale-

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esset aditurus, popularetur atque ureret: quippe credebat inopia debellari posse nihil habentem, nisi quod rapiendo occupasset; ipsi autem commeatus alii terra, alii Tigri amne subvehebantur. (9) Iam pervenerat Arbela, vicum ‹ignobilem› nobilem sua clade facturus. Hic commeatuum sarcinarumque maiore parte deposita Lycum amnem ponte iunxit et per dies quinque, sicut ante Euphraten, traiecit exercitum. (10) Inde octoginta fere stadia progressus ad alterum amnem – Boumelo nomen est – castra posuit. Opportuna explicandis copiis regio erat, equitabilis et vasta planities: ne stirpes quidem et brevia virgulta operiunt solum, liberque prospectus oculorum etiam ad ea, quae procul recessere, permittitur. Itaque, si qua campi eminebant, iussit aequari totumque fastigium extendi. (11) Alexandro qui numerum copiarum eius, quantum procul coniectari poterat, aestimabant, vix fecerunt fidem tot milibus caesis maiores copias esse reparatas. (12) Ceterum omnis periculi et maxime multitudinis contemptor, undecimis castris ad Euphraten pervenit. Quo pontibus iuncto, equites primos ire, phalangem sequi iubet, Mazaeo, qui ad inhibendum transitum eius cum sex milibus equitum occurrerat, non auso periculum sui facere. (13) Paucis deinde non ad quietem, sed ad praeparandos animos diebus datis militi, strenue hostem insequi coepit, metuens ne interiora regni sui peteret sequendusque esset per loca omni solitudine atque inopia vasta. (14) Igitur quarto die praeter Armeniam penetrat ad Tigrin. Tota regio ultra amnem recenti fumabat incendio: quippe Mazaeus quaecumque adierat haud secus quam hostis urebat. (15) Ac primo caligine, quam fumus effuderat, obscurante lucem insidiarum metu substitit; deinde ut speculatores praemissi tuta omnia nuntiaverunt, paucos equitum ad temptandum vadum fluminis praemisit. Cuius altitudo primo summa equorum pectora, mox, ut in medium alveum ventum est, cervices quoque aequabat. (16) Nec sane alius ‹amnis› ad Orientis plagam tam vio-

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xander vorrücken würde, verwüsten und verbrennen. Denn er meinte, ihn durch Mangel vernichten zu können, da er nichts habe, als was er sich durch Raub beschaffe, während ihm selbst Proviant, teils zu Land, teils den Tigris hinauf, zugeführt wurde. (9) Schon war er zu dem unbedeutenden Dorf Arbela gelangt, das er durch seine Niederlage berühmt machen sollte72. Hier ließ er den größeren Teil seiner Vorräte und seines Gepäckes zurück, schlug eine Brücke über den Fluss Lykos und ließ sein Heer fünf Tage lang darüber ziehen, wie früher über den Euphrat. (10) Dann rückte er ungefähr 80 Stadien weiter vor und lagerte an einem anderen Fluss mit Namen Boumelos73. Die Gegend war geeignet für die Aufstellung seiner Streitkräfte, eine weite, für die Reiterei günstige Ebene. Nicht einmal Bäume und niederes Gestrüpp bedecken den Boden, und frei schweift der Blick selbst zu den entfernteren Punkten. Wenn aber die Landschaft noch irgendwo anstieg, ließ er den Boden gleich machen und die ganze Erhebung einebnen. (11) Alexander wollte den Leuten, die ihm die Zahl der feindlichen Truppen, so weit sich aus der Ferne vermuten ließ, abschätzten, kaum Glauben schenken, dass nach Vernichtung so vieler Tausende wieder ein noch größeres Heer zusammengebracht sei. (12) Da er aber jede Gefahr und besonders die Masse der Feinde verachtete, so gelangte er nach einem zwölftägigen Marsch an den Euphrat, schlug Brücken darüber und ließ zuerst die Reiter, dann die Phalanx hinübergehen, ohne dass es Mazaios, der ihm mit 6 000 Reitern entgegengezogen war, um seinen Übergang zu verhindern, gewagt hätte, sich mit ihm zu messen. (13) Er gönnte hierauf seinen Soldaten einige wenige Tage, nicht um auszuruhen, sondern um sich auf den Kampf einzustellen, und begann dann dem Feind energisch nachzurücken, da er fürchtete, dieser könnte sich in das Innere seines Reiches zurückziehen und müsste dann durch völlige Einöden und unfruchtbare Wüsten verfolgt werden. (14) So erreichte er am vierten Tag, Armenien links liegenlassend, den Tigris. Die ganze Gegend jenseits des Stromes rauchte von frisch entzündeten Feuersbrünsten, da Mazaios, wohin er kam, nicht anders als ein Feind, verbrannte Erde hinter sich ließ. (15) Und da die durch den Rauch verbreitete Finsternis den Tag verdunkelte, ließ Alexander zuerst aus Furcht vor einer Hinterlist Halt machen; dann, als ihm vorausgesandte Späher meldeten, dass alles sicher sei, schickte er eine kleine Zahl voraus, um die Furt des Stromes zu untersuchen. Das Wasser ging den Pferden zuerst bis oben an die Brust, dann, als man mitten im Flussbett war, sogar bis an den Nacken. (16) Kein

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lentus invehitur, multorum torrentium non aquas solum sed etiam saxa secum trahens. Itaque a celeritate, qua defluit, Tigri nomen est inditum, quia Persica lingua tigrin sagittam appellant. (17) Igitur pedes velut divisus in cornua circumdato equitatu, levatis super capita armis, haud aegre ad ipsum alveum penetrat. (18) Primus inter pedites rex egressus in ripam vadum militibus manu, quando vox exaudiri non poterat, ostendit. Sed gradum firmare vix poterant, cum modo saxa lubrica vestigium fallerent, modo rapidior unda subduceret. (19) Praecipuus erat labor eorum qui humeris onera portabant: quippe cum semetipsos regere non possent, in rapidos gurgites incommodo onere auferebantur, et dum sua quisque spolia consequi studet, maior inter ipsos quam cum amni orta luctatio est, cumulique sarcinarum passim fluitantes plerosque perculerant. (20) Rex monere ut satis haberent arma retinere, cetera se redditurum. Sed neque consilium neque imperium accipi poterat: obstrepebat hinc metus, praeter hunc invicem luctantium mutuus clamor. (21) Tandem, qua leniore tractu amnis aperit vadum, emersere, nec quicquam praeter paucas sarcinas desideratum est. (22) Deleri potuit exercitus, si quis vincere ausus esset, sed perpetua fortuna regis avertit inde hostem. Sic Granicum tot milibus equitum peditumque in ulteriore stantibus ripa superavit, sic angustis in Ciliciae callibus tantam multitudinem hostium. (23) Audaciae quoque, qua maxime viguit, ratio minui potest, quia numquam in discrimen venit an temere fecisset. Mazaeus qui, si transeuntibus flumen supervenisset, haud dubie oppressurus fuit incompositos, in ripa demum ad iam perarmatos adequitare coepit. (24) Mille admodum equites praemiserat. Quorum paucitate Alexander explorata, deinde contempta, praefectum Paeonum equitum Aristona laxatis habenis invehi iussit. (25) Insignis eo

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anderer Fluss der östlichen Gegenden aber hat eine so reißende Strömung, da er nicht allein das Wasser, sondern auch das Steingeröll vieler Gießbäche mit sich führt. Er hat daher von der Schnelligkeit, mit der er herabschießt, den Namen Tigris erhalten, weil im Persischen „Tigris“ der „Pfeil“74 heißt. (17) Das Fußvolk also, in zwei Flügel gleich aufgeteilt, zu beiden Seiten die Reiterei, gelangte mit über den Kopf gehaltenen Waffen ohne allzu große Mühe bis in das eigentliche Strombett. (18) Als erster unter den Fußsoldaten sprang der König ans Ufer und zeigte den Soldaten die Furt mit der Hand, da man seinen Zuruf nicht vernehmen konnte. Aber sie konnten kaum festen Fuß fassen, da man bald auf schlüpfrigen Steinen ausrutschte, bald eine reißendere Welle den Fuß unter dem Körper wegzog. (19) Mühevoll war es besonders für diejenigen, die Lasten auf den Schultern trugen, da sie, nicht Herr ihrer eigenen Bewegungen, von der sie beschwerenden Last in die reißenden Strudel gezogen wurden. Jeder versuchte, das ihm von der Strömung Entrissene wiederzubekommen, doch hatten sie so miteinander noch mehr als mit dem Fluss zu ringen, und zugleich hatten die Haufen des allenthalben schwimmenden Gepäcks sehr viele umgerissen. (20) Der König rief ihnen zu, sie sollten nur ihre Waffen retten, das andere wolle er ihnen ersetzen: Aber weder Rat noch Befehl konnte vernommen werden. Daran hinderte die Furcht, außerdem das wechselnde Geschrei der gegeneinander Stoßenden. (21) Endlich wateten sie durch, wo sich in der sanfteren Strömung des Flusses eine Furt zeigte, und es wurde außer einigem Gepäck nichts vermisst. (22) Hier hätte das Heer vernichtet werden können, wenn jemand zu siegen gewagt hätte, aber das fortwährende Glück des Königs hielt den Feind fern von jener Stelle. So überwand er ja auch den Granikos, obwohl so viele tausend Reiter und Fußvolk am jenseitigen Ufer standen, so in dem engen Gebirgsland Kilikiens die gewaltige Masse von Feinden. (23) Selbst seinen kühnen Mut75, durch den er am meisten ausrichtete, darf man ihm nicht gering veranschlagen, weil niemals zur Entscheidung kam, ob er nicht unbedacht gehandelt habe. Mazaios, der, wenn er sie beim Übergang über den Fluss überfallen hätte, ohne Zweifel die Ungeordneten vernichtet hätte, rückte erst heran, als sie bereits am Ufer und schon völlig bewaffnet waren. (24) Tausend Reiter hatte er vorausgeschickt. Als sich Alexander von ihrer geringen Anzahl überzeugt hatte, befahl er voll Verachtung dem Anführer der paionischen Reiter, Ariston, mit verhängtem Zügel gegen sie loszusprengen. (25) Nun erfolgte ein

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die pugna equitum et praecipue Aristonis fuit: praefectum equitatus Persarum Satropaten directa in guttur hasta transfixit fugientemque per medios hostes consecutus ex equo praecipitavit et obluctanti gladio caput dempsit, quod relatum magna cum laude ante regis pedes posuit. 10 (1) Biduo ibi stativa rex habuit; in proximum deinde pronuntiari ‹iter› iussit. (2) Sed prima fere vigilia luna deficiens primum nitorem sideris sui condidit, deinde sanguinis colore suffuso lumen omne foedavit, sollicitisque sub ipsum tanti discriminis casum ingens religio et ex ea formido quaedam incussa est. (3) Dis invitis in ultimas terras trahi se querebantur: iam nec flumina posse adiri nec sidera pristinum servare fulgorem, vastas terras, deserta omnia occurrere; in unius hominis iactationem tot milium sanguinem impendi, fastidio esse patriam, abdicari Philippum patrem, caelum vanis cogitationibus petere. (4) Iam prope seditionem res erat, cum ad omnia interritus duces principesque militum frequentes adesse praetorio iubet Aegyptiosque vates, quos caeli ac siderum peritissimos esse credebat, quid sentirent expromere iubet. (5) At illi, qui satis scirent temporum orbes implere destinatas vices, lunamque deficere cum aut terram subiret aut sole premeretur, rationem quidem ipsis perceptam non edocent vulgus; (6) ceterum adfirmant solem Graecorum, lunam esse Persarum, quotiensque illa deficiat ruinam stragemque illis gentibus portendi, veteraque exempla percensent Persidis regum, quos adversis dis pugnasse lunae ostendisset defectio. (7) Nulla res multitudinem efficacius regit quam superstitio: alioqui impotens, saeva, mutabilis, ubi vana religione capta est, melius vatibus quam ducibus suis paret. Igitur edita in vulgus Aegyptiorum responsa rursus ad spem et fiduciam erexere torpentes. (8) Rex

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glänzendes Reitergefecht, in dem sich Ariston besonders hervortat. Er durchbohrte den persischen Reiterführer Satropates mit dem Speer, gerade in die Gurgel zielend, setzte dem Fliehenden mitten durch die Feinde nach, riss ihn vom Pferd und hieb ihm, wie er noch ringen wollte, mit dem Schwert das Haupt ab, das er mit zurückbrachte und unter großen Lobsprüchen dem König zu Füßen legte. 10 (1) Zwei Tage hielt hier der König ein Standlager; für den folgenden ließ er dann den Weitermarsch ankündigen. (2) Doch ungefähr in der ersten Nachtwache trat eine Mondfinsternis76 ein: Zuerst verbarg der Mond den Glanz seiner Scheibe, dann überzog er sein ganzes Licht mit einer hässlichen Blutfarbe, und die angesichts einer so wichtigen Entscheidung ohnehin besorgten Menschen überkam maßloser Aberglaube und dazu eine Art Angst: (3) Gegen den Willen der Götter, klagten sie, würden sie in die äußersten Gegenden der Erde geschleppt; an keinen Fluss mehr könne man kommen, und die Gestirne behielten nicht mehr ihren alten Glanz; wüste Gegenden und lauter Einöden lägen vor ihnen. Für die Ruhmsucht eines einzigen Mannes werde das Blut so vieler Tausende vergossen; das Vaterland genüge ihm nicht mehr, von seinem Vater Philipp sage er sich los und erstrebe in seinem übermäßigen Wahn den Himmel.77 (4) Es war schon fast zur Meuterei gekommen, als der in jeder Lage Unerschrockene die Führer und Obersten der Soldaten sich in großer Zahl bei seinem Zelt versammeln ließ und er den ägyptischen Wahrsagern, die er im Hinblick auf Himmel und Gestirne für die Kundigsten hielt, befahl, ihre Meinung mitzuteilen. (5) Diese wussten zwar genau, dass der Kreislauf der Zeiten sich in fest bestimmtem Wechsel erfüllt und dass der Mond sein Licht verliert, wenn er entweder hinter die Erde tritt oder durch die Sonne verdunkelt wird, belehrten die Menge über die ihnen bekannten wissenschaftlichen Gründe aber nicht; (6) vielmehr versicherten sie, die Sonne gehöre den Griechen, der Mond den Persern, und sooft eine Mondfinsternis eintrete, bedeute das für diese Völker Niederlage und Verderben. Zugleich führten sie alte Beispiele von persischen Königen an, in denen eine Mondfinsternis das Zeichen gewesen sei, dass sie gegen den Willen der Götter gekämpft hatten. (7) Nichts wirkt mächtiger auf die Massen als Aberglaube: Sonst unfähig, sich zu beherrschen, ungestüm und wankelmütig, folgen sie, wenn sie ein törichter Aberglaube gefangen hält, Wahrsagern besser als ihren Führern. So richtete die unter der Menge verbreitete Antwort der Ägypter die Mutlosen wieder zu neuer Hoffnung und Zuversicht auf. (8) Da der König

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impetu animorum utendum ratus secunda vigilia castra movit: dextra Tigrim habebat, a laeva montes quos Gordyaeos vocant. (9) Hoc ingressis iter speculatores, qui praemissi erant, sub lucis ortum Dareum adventare nuntiaverunt. Instructo igitur milite et composito agmine antecedebat. (10) Sed Persarum moratores erant mille ferme, qui speciem magni agminis fecerant: quippe ubi explorari vera non possunt, falsa per metum augentur. (11) His cognitis rex cum paucis suorum adsecutus agmen refugientium ad suos alios cecidit, cepit alios; equitesque praemisit speculatum simul ut ignem, quo barbari cremaverant vicos, extinguerent. (12) Quippe fugientes raptim tectis acervisque frumenti iniecerant flammas; quae cum in summo haesissent, ad inferiora nondum penetraverant. (13) Extincto igitur igne plurimum frumenti repertum est; copia aliarum quoque rerum abundare coeperunt. Ea res ipsa militi ad persequendum hostem animum incendit: quippe urente et populante eo terram festinandum erat, ne incendio cuncta praeciperet. (14) In rationem ergo necessitas versa est: quippe Mazaeus, qui antea per otium vicos incenderat, iam fugere contentus pleraque inviolata hosti reliquit. (15) Alexander haud longius CL stadiis Dareum a se abesse compererat. Itaque ad satietatem quoque copia commeatuum instructus quadriduo in eodem loco substitit. (16) Interceptae deinde Darei litterae sunt, quibus Graeci milites sollicitabantur ut regem aut interficerent aut proderent, dubitavitque an eas pro contione recitaret, satis confisus Graecorum quoque erga se benivolentiae ac fidei. (17) Sed Parmenio deterruit, ‹non› esse talibus promissis imbuendas aures militum adfirmans: patere vel unius insidiis regem, nihil nefas esse avaritiae. Secutus consilii auctorem castra movit. (18) Iter facienti spado e captivis, qui Darei uxorem comitabantur, deficere

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glaubte, die Begeisterung nutzen zu müssen, ließ er in der zweiten Nachtwache aufbrechen; rechts hatte er den Tigris, links die Gordyaiischen Berge. (9) Auf dem Marsch meldeten vorausgeschickte Späher gegen Tagesanbruch, Dareios ziehe heran. Er ließ also die Soldaten antreten und den Zug sich ordnen und stellte sich selbst an seine Spitze. (10) Es waren jedoch nur persische Marodeure, höchstens tausend Mann, die man für einen großen Zug angesehen hatte; denn wo sich die Wahrheit nicht ermitteln lässt, wird das Falsche aus Furcht noch übertrieben. (11) Nachdem man dies in Erfahrung gebracht hatte, holte der König mit einigen wenigen seiner Leute den Haufen ein, der zu seiner Hauptmacht zurück floh, tötete einige und nahm andere gefangen. Dann schickte er Reiter auf Erkundung voraus, zugleich mit dem Befehl, das Feuer, das die Barbaren in den Dörfern gelegt hatten, zu löschen. (12) Denn auf ihrer Flucht hatten sie eilig in Häuser und Getreidehaufen Feuer geworfen, das aber oft nur an den oberen Teilen hängen geblieben war, ohne schon zu den unteren vorgedrungen zu sein. (13) Sobald das Feuer gelöscht war, fand man sehr viel Getreide, und auch an anderen Dingen begann man Überfluss zu haben. Eben dies vergrößerte den Eifer der Soldaten bei der Verfolgung des Feindes; denn da dieser das Land verheerte und verbrannte, musste man sich beeilen, damit er nicht alles zuvor vom Feuer verzehren ließe. (14) Aus der Not wurde also planmäßige Absicht: Denn Mazaios, der vorher in aller Ruhe die Dörfer angezündet hatte, ließ jetzt, schon zufrieden, fliehen zu können, das meiste unversehrt dem Feind zurück. (15) Alexander hatte in Erfahrung gebracht, dass Dareios nicht weiter als 150 Stadien von ihm entfernt stünde. Da er nun selbst bis zum Übermaß mit Proviant ausgestattet war, machte er vier Tage lang an dieser Stelle halt. (16) Hierauf wurde ein Brief von Dareios abgefangen, worin die griechischen Soldaten aufgefordert wurden, den König entweder zu töten oder zu verraten, und Alexander schwankte, ob er ihn nicht vor versammeltem Heer vorlesen solle, da er selbst auf die treue Ergebenheit der Griechen hinreichend vertraute. (17) Doch Parmenion brachte ihn davon ab, indem er behauptete, man dürfe solche Versprechungen den Soldaten gar nicht zu Ohren kommen lassen: Auch der Nachstellung eines Einzelnen sei der König ausgesetzt, und der Habsucht gelte nichts für Unrecht. Er folgte seinem Rat und ließ das Heer aufbrechen. (18) Unterwegs meldete ihm einer von den gefangenen Eunuchen, der zum Gefolge von Dareios’ Gemahlin

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eam nuntiat et vix spiritum ducere. (19) Itineris continui labore animique aegritudine fatigata inter socrus et virginum filiarum manus conlapsa erat, deinde et extincta. (20) Id ipsum nuntians alius supervenit. Et rex, haud secus quam si parentis mors nuntiata esset, crebros edidit gemitus lacrimisque obortis, quales Dareus profudisset, in tabernaculum, in quo mater erat Darei defuncto adsidens corpori, venit. (21) Hic vero renovatus est maeror, ut prostratam humi vidit. Recenti malo priorum quoque admonita receperat in gremium adultas virgines, magna quidem mutui doloris solacia, sed quibus ipsa deberet esse solacio. (22) In conspectu erat nepos parvulus, ob id ipsum miserabilis quod nondum sentiebat calamitatem ex maxima parte ad ipsum redundantem. (23) Crederes Alexandrum inter suas necessitudines flere et solacia non adhibere sed quaerere. Cibo certe abstinuit, omnemque honorem funeri patrio Persarum more servavit, dignus, hercule, qui nunc quoque tantae et mansuetudinis et continentiae ferat fructum. (24) Semel omnino eam viderat, quo die capta est – nec ut ipsam, sed ut Darei matrem videret –, eximiamque pulchritudinem formae eius non libidinis habuerat invitamentum sed gloriae. (25) E spadonibus, qui circa reginam erant, Tyriotes inter trepidationem lugentium elapsus per eam portam quae, quia ab hoste aversa erat, levius custodiebatur, ad Darei castra pervenit exceptusque a vigilibus in tabernaculum regis perducitur gemens et veste lacerata. (26) Quem ut conspexit Dareus, multiplici doloris expectatione commotus et, quid potissimum timeret, incertus ‘Vultus’ inquit ‘tuus nescio quod ingens malum praefert, sed cave miseri hominis auribus parcas: didici esse infelix, et saepe calamitatis solacium est nosse sortem suam. (27) Num – quod maxime suspicor, eloqui timeo – ludibria meorum nuntiaturus es mihi et, ut credo, ipsis quoque omni tristiora supplicio?’ (28) Ad haec Tyriotes ‘Istud quidem procul abest’ inquit; ‘quantuscumque enim reginis honos ab his, qui

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gehörte, diese werde immer schwächer und atme kaum noch. (19) Von der Anstrengung der anhaltenden Reisen und vom Kummer erschöpft, war sie unter den Händen ihrer Schwiegermutter und ihrer beiden Töchter zusammengebrochen und kurz darauf auch gestorben. (20) Mit dieser Meldung erschien ein zweiter Bote. Da brach der König, nicht anders als wäre ihm der Tod seiner eigenen Mutter gemeldet worden, in langes Schluchzen aus und begab sich unter Tränen, wie sie nur Dareios hätte vergießen können, in das Zelt, wo sich Dareios’ Mutter bei der Leiche der Verstorbenen befand. (21) Da endgültig erneuerte sich sein Schmerz, als er diese am Boden liegen sah. Durch ihr neues Unglück auch wieder an ihr früheres erinnert, hatte sie die beiden jungen Mädchen auf ihren Schoß genommen, und doch war es nur sie allein, die Trost spenden musste. (22) Anwesend war ihr kleiner Enkel, der eben dadurch Mitleid erweckte, dass er noch nicht das Unglück fühlte, das ihn am allermeisten anging78. (23) Man hätte glauben können, Alexander weine unter seinen eigenen Verwandten und gebe nicht Trost, sondern suche ihn. Er fastete und erwies dem Leichnam alle Ehren, der alten persischen Sitte gemäß. In der Tat, er verdiente es, auch noch heutzutage die Früchte für eine derartig große Menschlichkeit und Selbstbeherrschung zu ernten. (24) Einmal nur hatte er sie gesehen, am Tag ihrer Gefangenahme, und war nicht gekommen, um sie, sondern um Dareios’ Mutter zu sehen; und ihre herausragende Schönheit war ihm nicht ein Anreiz zum Begehren, sondern zu einem ruhmwürdigen Betragen geworden. (25) Einer von den Eunuchen aus der Umgebung der Königin, Tyriotes79, war unter der Verwirrung der Trauernden durch das vom Feind abgewandte Tor, das deshalb weniger sorgfältig bewacht war, entronnen und gelangte zum Lager des Dareios, wo er von den Wachen aufgefangen und schluchzend und mit zerrissenem Gewand in das Zelt des Königs geführt wurde. (26) Als ihn Dareios erblickte, rief er in Erwartung schmerzlicher Nachrichten, die er bringe, und ungewiss, was er am meisten fürchten solle: „Dein Aussehen verkündet mir, ich weiß nicht, welch ungeheures Unglück, doch schone mich Beklagenswerten nur nicht: Ich habe gelernt, unglücklich zu sein, und oft ist es im Unglück ein Trost, sein Schicksal zu kennen. (27) Kommst du mir, was ich am meisten vermute und mich auszusprechen scheue, eine Schande meiner Leute zu verkünden, die mir, und ich glaube auch ihnen selbst, schrecklicher als jeder Tod sein würde?“ (28) Hierauf erwiderte Tyriotes: ,,Das liegt ganz fern, denn jede Ehre, die Königinnen von Unterta-

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parent, haberi potest, tuis a victore servatus est. Sed uxor tua paulo ante excessit e vita.’ (29) Tunc vero non gemitus modo sed etiam eiulatus totis castris exaudiebantur. Nec dubitavit Dareus quin interfecta esset quia nequisset contumeliam perpeti, exclamatque amens dolore: ‘Quod ego tantum nefas commisi, Alexander? quem tuorum propinquorum necavi, ut hanc vicem saevitiae meae ‹redderes›? Odisti me, non quidem provocatus; sed finge iustum intulisse te bellum: cum feminis ergo agere debueras?’ (30) Tyriotes adfirmare per deos patrios nihil in eam gravius esse consultum: ingemuisse etiam Alexandrum morti et non parcius flevisse quam ipse lacrimaret. (31) Ob haec ipsa amantis animus in sollicitudinem suspicionemque revolutus est, desiderium captivae profecto a consuetudine stupri ortum esse coniectans. (32) Summotis igitur arbitris, uno dumtaxat Tyriote retento, iam non flens, sed suspirans ‘Videsne’ inquit, ‘Tyriote, locum mendacio non esse? tormenta iam hic erunt, sed ne expectaveris, per deos, si quid tibi tui regis reverentiae est: num, quod et scire expeto et quaerere pudet, ausus est et dominus et iuvenis?’ (33) Ille quaestioni corpus offerre, deos testes invocare caste sancteque habitam esse reginam. (34) Tandem ut fides facta est vera esse quae adfirmaret spado, capite velato diu flevit manantibusque adhuc lacrimis, veste ab ore reiecta, ad caelum manus tendens ‘Di patrii’ inquit, ‘primum mihi stabilite regnum; deinde, si de me iam transactum est, precor ne quis potius Asiae rex sit quam iste tam iustus hostis, tam misericors victor.’ 11 (1) Itaque quamquam frustra pace bis petita omnia in bellum consilia converterat, victus tamen continentia hostis ad novas pacis condiciones ferendas X legatos, cognatorum principes, misit; quos Alexander consilio advocato introduci iussit. (2) E quibus maximus

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nen erwiesen werden kann, hat der Sieger deinen Leuten erwiesen, aber deine Gemahlin ist soeben gestorben.“ (29) Da aber konnte man nicht nur Stöhnen, sondern lautes Wehgeschrei des Dareios im ganzen Lager vernehmen; er zweifelte nicht, dass sie getötet worden sei, weil sie die schmachvolle Behandlung nicht hatte ertragen wollen, und vor Schmerz von Sinnen schrie er: „Welches große Verbrechen habe ich denn begangen, Alexander? Wen von deinen Verwandten habe ich getötet, dass du mir die Grausamkeit so vergelten dürftest? Du hasst mich, ohne von mir beleidigt worden zu sein; aber angenommen auch, du hättest gerechten Krieg gegen mich begonnen, musstest du ihn denn auch gegen Frauen führen?“ (30) Tyriotes versicherte ihm bei den Göttern der Väter, dass ihr nichts Hartes widerfahren sei. Alexander habe sogar ihren Tod beklagt und nicht weniger Tränen als Dareios selbst vergossen. (31) Aber eben dadurch wurden in dem Liebenden neue Sorgen und Zweifel geweckt, er vermutete nämlich, dass der Schmerz um die Gefangene sicher seinen Grund in einem ehebrecherischen Umgang mit ihr habe. (32) Nachdem er also alle Zeugen entfernt und allein den Tyriotes zurückbehalten hatte, rief er, nicht mehr weinend, sondern Zorn atmend: „Siehst du, Tyriotes, dass Lügen hier nicht am Platz sind? Gleich sollen Folterwerkzeuge da sein; aber, bei den Göttern, warte nicht darauf, wenn du gegenüber deinem König noch irgendeine Ehrfurcht hast. Sag, hat er als ihr Herr und in jugendlicher Begierde gewagt, was ich von dir wissen will und zu fragen mich scheue?“ (33) Jener erklärte sich bereit, die Folter zu dulden und rief die Götter zu Zeugen an, dass die Königin keusch und angemessen behandelt worden sei. (34) Als der König endlich die Überzeugung gewonnen hatte, dass die Beteuerungen des Eunuchen wahr seien, weinte er lange mit verhülltem Haupt, dann nahm er unter Tränen das Gewand von seinem Antlitz und rief mit zum Himmel gehobenen Händen: „Ihr Götter meiner Väter, meine erste Bitte ist, befestigt mir meine Herrschaft! Mein anderes Gebet aber, lasst, wenn es schon um mich geschehen ist, keinen anderen König über Asien werden als diesen meinen so gerechten Feind und so barmherzigen Sieger!“80 11 (1) Obwohl er also nach zwei vergeblichen Friedensanträgen alle seine Gedanken auf Krieg gerichtet hatte, so schickte er dennoch, durch die Selbstbeherrschung seines Gegners besiegt, zehn Gesandte, die Vornehmsten seiner Verwandtschaft, um neue Friedensvorschläge zu überbringen. Alexander ließ sie, nachdem er seinen Rat zusammengerufen hatte, zu sich hineinführen. (2) Dar-

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natu ‘Dareum’ inquit, ‘ut pacem a te iam hoc tertio peteret, nulla vis subegit, sed iustitia ‹tua› et continentia expressit. (3) Matrem, coniugem, liberos eius, nisi quod sine illo sunt, captos esse non sensimus: pudicitiae earum, quae supersunt, curam haud secus quam parens agens reginas appellas, speciem pristinae fortunae retinere pateris. (4) Vultum tuum video, qualis Darei fuit, cum dimitteremur ab eo; et ille tamen uxorem, tu hostem luges. Iam in acie stares, nisi cura te sepulturae eius moraretur. Ecquid mirum est, si tam ab amico animo pacem petit? Quid opus est armis, inter quos odia sublata sunt? (5) Antea imperio tuo finem destinabat Halym amnem, qui Lydiam terminat; nunc, quicquid inter Hellespontum et Euphraten est, in dotem filiae offert, quam tibi tradit. (6) Ochum filium, quem habes, pacis et fidei obsidem retine, matrem et duas virgines filias redde: pro tribus corporibus XXX milia talentum auri precatur accipias. (7) Nisi moderationem animi tui notam haberem, non dicerem hoc esse tempus quo pacem non dare solum sed etiam occupare deberes. (8) Respice, quantum post te reliqueris; intuere, quantum petas. Periculosum est praegrave imperium: difficile est enim continere quod capere non possis. Videsne ut navigia, quae modum excedunt, regi nequeant? Nescio an Dareus ideo tam multa amiserit, quia nimiae opes magnae iacturae locum faciunt. (9) Facilius quidem vincere quam tueri: quam, hercule, expeditius manus nostrae rapiunt quam continent! Ipsa mors uxoris Darei admonere te potest minus iam misericordiae tuae licere quam licuit.’ (10) Alexander legatis excedere tabernaculo iussis, quid placeret ad consilium refert. Diu nemo, quid sentiret, ausus est dicere incerta regis voluntate. (11) Tandem Parmenio antea suasisse ait ut captivos apud Damascum redimentibus redderet: ingentem pecuniam potuisse redigi ex iis, qui multo-

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auf begann der Älteste unter ihnen: „Dass Dareios dich jetzt schon zum dritten Mal um Frieden bittet, dazu zwingt ihn keine Gewalt, sondern deine Gerechtigkeit und Selbstbeherrschung drängen ihn dazu. (3) Dass seine Mutter, seine Ehefrau, seine Kinder Gefangene sind, haben wir nur insoweit zu spüren bekommen, als sie nicht bei ihm sind: Für die Ehre der Überlebenden trägst du nicht anders Sorge als ein Vater, du nennst sie Königinnen und lässt sie die äußeren Zeichen ihres früheren Ranges behalten. (4) Deine Miene zeigt denselben Schmerz wie die des Dareios, als er uns von sich schickte; und doch betrauert jener die Gemahlin, du die Feindin. Du würdest bereits im Gefecht stehen, wenn dich nicht die Sorge für ihr Begräbnis aufhielte. Ist es verwunderlich, wenn er einen so freundlich gesinnten Mann um Frieden bittet? Wozu die Entscheidung der Waffen zwischen denen, deren Hass getilgt ist? (5) Früher bestimmte er als Grenze deines Reiches den Fluss Halys, der Lydien begrenzt; jetzt bietet er dir alles Land zwischen dem Hellespont und Euphrat als Mitgift für seine Tochter an, die er dir zur Gattin gibt. (6) Seinen Sohn Ochos, den du bei dir hast, behalte als Geisel für den Frieden und die treue Erfüllung des Versprochenen; seine Mutter und seine beiden Töchter gib ihm zurück! Für die drei bittet er dich, 30 000 Talente in Gold anzunehmen. (7) Wäre mir nicht deine Mäßigung bekannt, so würde ich gar nicht sagen, jetzt sei der Zeitpunkt für dich, den Frieden nicht allein zu gewähren, sondern mit beiden Händen zu ergreifen. (8) Schau zurück, welche Strecken hinter dir liegen; überlege, wie unermesslich das Ziel ist, nach dem du strebst! Gefährlich ist eine übergroße Herrschaft; denn schwer ist es zusammenzuhalten, was man nicht erfassen kann. Siehst du nicht, wie sich Schiffe von zu übermäßiger Größe nicht lenken lassen? Und vielleicht hat Dareios so viel verloren, weil zu große Macht auch die Möglichkeit großen Verlustes bietet. (9) Leichter erringt man einen Sieg, als man ihn behauptet: Und um wie viel leichter, beim Herakles, rauben unsere Hände, als dass sie das Geraubte zusammenhalten! Selbst der Tod von Dareios’ Gattin kann dich mahnen, dass bereits deinem Mitleid ein geringerer Spielraum offen steht als vorher.“ (10) Alexander ließ hierauf die Gesandten das Zelt verlassen und fragte seinen Rat, was ihm richtig scheine. Lange wagte keiner seine Meinung zu sagen, da man nicht wusste, was der Wille des Königs sei. (11) Endlich sprach Parmenion: Er habe schon früher geraten, die Gefangenen bei Damaskos gegen Lösegeld freizugeben. Man hätte eine ungeheure Summe für die bekommen können, deren Bewachung jetzt

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rum vincti virorum fortium occuparent manus. (12) Et nunc magnopere censere ut unam anum et duas puellas, itinerum agminumque impedimenta, XXX milibus talentum auri permutet. (13) Opimum regnum occupare posse condicione, non bello, nec quemquam alium inter Histrum et Euphraten possedisse terras ingenti spatio intervalloque discretas. Macedoniam quoque potius respiceret, quam Bactra et Indos intueretur. (14) Ingrata oratio regi fuit; itaque ut finem dicendi fecit, ‘Et ego’ inquit ‘pecuniam quam gloriam mallem, si Parmenion essem: nunc Alexander de paupertate securus sum et me non mercatorem memini esse sed regem. (15) Nihil quidem habeo venale, sed fortunam meam utique non vendo. Captivos si placet reddi, honestius dono dabimus quam pretio remittemus.’ (16) Introductis deinde legatis, ad hunc modum respondit: ‘Nuntiate Dareo me, quae fecerim, clementer et liberaliter, non amicitiae eius tribuisse, sed naturae meae. (17) Bellum cum captivis et feminis gerere non soleo: armatus sit oportet quem oderim. (18) Quodsi saltem pacem bona fide peteret, deliberarem forsitan an darem; verum enimvero, cum modo milites meos litteris ad proditionem modo amicos ad perniciem meam pecunia sollicitet, ad internecionem mihi persequendus est, non ut iustus hostis, sed ut percussor veneficus. Condiciones vero pacis quas adfertis, si accepero, victorem eum faciunt. (19) Quae post Euphraten sunt, liberaliter donat. Ubi igitur me adeatis [nempe] obliti estis: nempe ultra Euphraten sum. Liberalissimum ergo dotis, quam promittit, terminum castra mea transeunt. Hinc me depellite, ut sciam vestrum esse quo ceditis. (20) Eadem liberalitate dat mihi filiam suam: nempe quam scio alicui servorum eius nupturam. Multum vero mihi praestat, si me Mazaeo generum praeponit! (21) Ite, nuntiate regi vestro, et quae amisit et quae adhuc habet, prae-

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so viele tapfere Männer in Anspruch nehme. (12) Auch jetzt sei er sehr dafür, dass der König die eine alte Frau neben den zwei Mädchen, die nur ein Hemmnis für die Märsche und den Heereszug seien, gegen 30 000 Talente in Gold austausche. (13) Eine reiche Herrschaft könne er durch bloßen Vertrag, ohne Kampf, in Besitz nehmen, und noch kein anderer habe die durch so unermessliche Räume und Entfernungen getrennten Länder zwischen dem Ister und Euphrat besessen. Er solle lieber nach Makedonien zurückblicken, als seine Augen auf Baktrien und Indien richten. (14) Seine Rede missfiel dem König, der daher, nachdem jener geendet hatte, sagte: ,,Auch ich würde das Geld dem Ruhm vorziehen, wenn ich Parmenion wäre. So aber, da ich Alexander bin, mache ich mir wegen Armut keine Sorge und denke daran, dass ich kein Krämer, sondern ein König bin. (15) Ich treibe mit nichts Handel, mein Glück verkaufe ich unter keinen Umständen. Wenn wir beschließen, die Gefangenen zurückzugeben, so wird es ehrenvoller sein, sie als Geschenk, nicht wegen Geld zurückzuschicken“.81 (16) Als hierauf die Gesandten wieder hineingeführt worden waren, gab er ihnen folgenden Auftrag: „Meldet dem Dareios, wenn ich in etwas Milde und Großmut bewiesen habe, so sei das nicht aus Freundschaft gegen ihn, sondern meinem Charakter gemäß geschehen. (17) Mit Gefangenen und Frauen pflege ich keinen Krieg zu führen: In Waffen muss stehen, wen ich hassen soll. (18) Wenn er nun wenigstens als ehrlicher Mann um Frieden bäte, so würde ich vielleicht überlegen, ob ich ihn nicht gewähren sollte; nun aber, da er bald meine Soldaten schriftlich zum Verrat, bald meine Freunde durch Geldversprechungen zu meiner Ermordung anstiften will, so muss ich ihm nachjagen, bis ich ihn vernichtet habe, nicht wie einen ehrlichen Feind, sondern wie einen Banditen und Giftmischer. Die Friedensvorschläge in Gänze, die ihr mir bringt, stellen ihn, wenn ich sie annehmen wollte, als Sieger dar. (19) Was hinter dem Euphrat liegt, das schenkt er mir großmütig. Ihr vergesst aber dabei, wo ihr mich hier antrefft. Jenseits des Euphrats stehe ich, wie ihr seht, und somit liegt mein Lager über die äußerste Grenze der mir versprochenen Mitgift hinaus. Von hier verjagt mich, damit ich weiß, dass das, was ihr abtretet, euch auch gehört! (20) Mit gleicher Großmut gibt er mir seine Tochter, als ob ich nicht wüsste, dass er sie mit einem seiner Sklaven verheiraten will. Etwas Großes, wahrlich, gewährt er mir, wenn er mich einem Mazaios als Schwiegersohn82 vorzieht! (21) Geht, verkündet eurem König: Das, was er noch hat, ist nicht weniger als was er ver-

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mia esse belli: hoc regente utriusque terminos regni, id quemque habiturum quod proximae lucis adsignatura fortuna est.’ (22) Legati respondent, cum bellum in animo sit, facere eum simpliciter, quod spe pacis non frustraretur. Ipsos petere ut quam primum dimittantur ad regem: eum quoque bellum parare debere. Dimissi nuntiant adesse certamen. 12 (1) Ille quidem confestim Mazaeum cum tribus equitum milibus ad itinera, quae hostis petiturus erat, occupanda praemisit. (2) Alexander corpori uxoris eius iustis persolutis omnique graviore comitatu intra eadem munimenta cum modico praesidio relicto ad hostem contendit. (3) ‹In› duo cornua diviserat peditem utrique lateri equite circumdato; impedimenta sequebantur agmen. (4) Praemissum deinde cum citis equitibus Menidan iubet explorare ubi Dareus esset. At ille, cum Mazaeus haud procul consedisset, non ausus ultra procedere, nihil aliud quam fremitum hominum hinnitumque equorum exaudisse nuntiat. (5) Mazaeus quoque, conspectis procul exploratoribus, in castra se recepit, adventus hostium nuntius. Igitur Dareus, qui in patentibus campis decernere optabat, armari militem iubet aciemque disponit. (6) In laevo cornu Bactriani ibant equites, mille admodum, Dahae totidem et Arachosii Susianique quattuor milia explebant. Hos centum falcati currus sequebantur. Proximus quadrigis erat Bessus cum VIII milibus equitum item Bactrianis. (7) Massagetae duobus milibus agmen eius claudebant. Pedites his plurium gentium non immixtos, sed suae cuiusque nationis iunxerat copias. Persas deinde cum Mardis Sogdianisque Ariobarzanes et Orontobates ducebant. (8) Illi partibus copiarum, summae Orsines praeerat, a septem Persis oriundus, ad Cyrum quoque nobilissimum regem originem sui referens. (9) Hos aliae gentes ne sociis quidem satis notae sequebantur. Post quas L quadrigas Phradates magno Caspiorum agmine antecedebat. Indi ceterique Rubri maris accolae,

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loren hat, der Preis eines Kampfes. Der mag über die Grenzen beider Reiche entscheiden und jeder das besitzen, was ihm das Geschick des folgenden Tages bringen wird.“ (22) Die Gesandten antworteten, da er Krieg wünsche, so handle er ehrlich, dass er sie nicht mit Friedenshoffnungen täusche. Sie selbst bäten, sobald als möglich zu ihrem König entlassen zu werden; auch dieser müsse sich zum Kampf rüsten. Sie wurden entlassen und verkündeten, die Stunde des Kampfes sei da. 12 (1) Dareios schickte sofort den Mazaios mit 3 000 Reitern voraus, um die Wege, die der Feind einschlagen wollte, zu besetzen. (2) Alexander erwies erst der verstorbenen Königin die gebührenden Ehren, dann rückte er gegen den Feind, nachdem er den ganzen schwerfälligeren Tross unter einem mäßig starken Schutz hinter einem gemeinsamen Schutzwall zurückgelassen hatte. (3) Sein Fußvolk hatte er in zwei Flügel geteilt und um beide Flanken die Reiterei aufgestellt: Das Gepäck folgte dem Heereszug. (4) Dann sandte er den Menidas mit leichten Reitern auf Erkundung voraus, wo sich Dareios befände. Doch da Mazaios nicht weit davon Halt gemacht hatte, wagte dieser nicht, weiter vorzurücken und meldete nur, dass er den Lärm von Menschen und das Gewieher der Pferde gehört habe. (5) Auch Mazaios zog sich, nachdem er die Späher von weitem erblickt hatte, in das Lager zurück und meldete die Ankunft der Feinde. Dareios, dessen Wunsch es war, auf offener Ebene zu kämpfen, ließ daher die Soldaten sich bewaffnen und stellte sie in Schlachtordnung auf. (6) Auf dem linken Flügel zogen ungefähr 1 000 baktrische Reiter, ebensoviel Daher, Arachosier und Susianer, volle 4 000 Mann. Nach diesen kamen 100 Sichelwagen, an die sich zunächst Bessos mit 8 000 ebenfalls baktrischen Reitern anreihte. (7) Seinen Zug schlossen 2 000 Massageten. Neben ihnen war das Fußvolk mehrerer Völkerschaften, jedoch nicht vermischt, sondern die Truppen einer jeden Nation besonders von ihren Führern aufgestellt. Dann wurden die Perser, Marder und Sogdianer von Ariobarzanes und Orontobates geführt, (8) von denen jeder ein eigenes Kommando hatte, unter dem Oberbefehl jedoch des Orsines, der von den „sieben Persern“ abstammte und seinen Ursprung sogar auf Kyros, den berühmtesten Perserkönig, zurückführte83. (9) Diesen folgten andere, nicht einmal ihren Verbündeten genauer bekannte Stämme und hinter diesen 50 vierspännige Wagen, voran Phradates mit einem großen Haufen Kaspier. Hinter den Wagen kamen Inder und andere Anwohner des Roten Meeres, die tatsächlich mehr als Namen

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nomina verius quam auxilia, post currus erant. (10) Claudebatur hoc agmen aliis falcatis curribus, quis peregrinum militem adiunxerat. Hunc Armenii, quos minores appellant, Armenios Babylonii, utrosque Arbelitae et qui montes Cossaeorum incolebant sequebantur. (11) Post hos ibant Gortuae, gentis quidem Euboicae, Medos quondam secuti, sed iam degeneres et patrii moris ignari. Adplicuerat his Phrygas et Cataonas. Parthyaeorum deinde gens incolentium terras, quas nunc Parthi Scythia profecti tenent, claudebant agmen. Haec sinistri cornus facies fuit. (12) Dextrum tenebant natio maioris Armeniae Cadusiique et Cappadoces et Syri ac Medi. His quoque falcati currus L erant. (13) Summa totius exercitus, equites XLV milia, pedestris acies DC milia expleverat. Hoc modo instructi X stadia procedunt iussique subsistere armati hostem expectabant. (14) Alexandri exercitum pavor, cuius causa non suberat, invasit: quippe lymphati trepidare coeperunt omnium pectora occulto metu percurrente. Caeli fulgor tempore aestivo ardenti similis internitens ignis praebuit speciem, flammasque ex Darei castris splendere, velut inlati temere praesidiis, credebant. (15) Quodsi perculsis Mazaeus, qui praesidebat itineri, supervenisset, ingens clades accipi potuit; nunc, dum ille segnis in eo, quem occupaverat, tumulo sedet, contentus non lacessi, (16) Alexander cognito pavore exercitus signum ut consisterent dari, ante ipsos arma deponere ac levare corpora iubet, admonens nullam subiti causam esse terroris, hostem procul stare. (17) Tandem compotes sui pariter arma et animos recepere. Nec quicquam ex praesentibus tutius visum est quam eodem loco castra munire. (18) Postero die Mazaeus – cum delectis equitum in edito colle, ex quo Macedonum prospiciebantur castra, consederat – sive metu, sive quia speculari modo iussus erat, ad Dareum rediit. (19) Macedones eum ipsum collem, quem deseruerat, occupaverunt: nam et tutior planitie erat et inde acies hostium, quae in campo explica-

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denn als Hilfsvölker zählten. (10) Ihren Zug schlossen andere Sichelwagen, begleitet von den fremden Söldnertruppen. Auf diese folgten die so genannten Kleinarmenier, auf die Armenier Babylonier und auf beide Arbeliten und die Bewohner des Kossaiischen Gebirges. (11) Hinter diesen zogen Gortuer, die aus Euboia stammten und ehemals den Medern84 gefolgt sind, jetzt aber ausgeartet waren und ihre vaterländischen Sitten vergessen hatten. An sie reihten sich Phryger und Kataonier, worauf die Parthyaier den Zug schlossen, ein Stamm, der die Länder bewohnte, die jetzt die aus Skythien gekommenen Parther bewohnen. Dies war die Aufstellung des linken Flügels. (12) Auf dem rechten stand das Volk von Großarmenien, die Kadusier, Kappadokier, Syrer und Meder; auch sie mit 50 Sichelwagen. (13) Die Gesamtzahl des ganzen Heeres belief sich auf 45 000 Reiter und 200 000 Mann Fußvolk.85 In dieser Weise geordnet, rückten sie zehn Stadien vor, dann wurde der Befehl gegeben, Halt zu machen, und unter den Waffen stehend erwarteten sie den Feind. (14) Ein Schrecken, für den gar kein Grund vorhanden war, ergriff Alexanders Heer, als die Soldaten wie außer sich zu zittern begannen und eine geheime Furcht alle Herzen durchschauerte. Der Glanz des Himmels, der im Sommer in brennender Farbe erglühte, erzeugte einen feuerähnlichen Schein, so dass man glaubte, die Flammen erglänzten aus Dareios’ Lager und man sei unversehens mitten unter dessen Truppen geraten. (15) Hätte nun Mazaios, der den Aufmarsch deckte, die Erschreckten überfallen, sie hätten eine gewaltige Niederlage erlitten, tatsächlich aber blieb er untätig und zufrieden, nicht angegriffen zu werden, auf dem von ihm besetzten Hügel; (16) Alexander bemerkte die Bestürzung seiner Leute, gab das Zeichen zum Halt machen und befahl, sie sollten die Waffen vor sich hinlegen und dem Körper Erholung gönnen; es sei kein Grund für ihren plötzlichen Schrecken vorhanden, der Feind stehe fern von ihnen. (17) Endlich kamen sie wieder zu sich, fassten neuen Mut und ergriffen wieder die Waffen; doch schien angesichts der gegenwärtigen Lage nichts ratsamer, als an demselben Platz das Lager aufzuschlagen. (18) Am folgenden Tag kehrte Mazaios, der mit einer auserlesenen Reiterschar den hohen Hügel, von dem sich das makedonische Lager überschauen ließ, besetzt gehalten hatte, zu Dareios zurück, entweder aus Besorgnis, oder weil er eben nur den Befehl gehabt hatte, sie auszuspähen. (19) Die Makedonen aber besetzten eben diesen von ihm verlassenen Hügel; denn teils bot er mehr Sicherheit als die Ebene, teils konnte man von da die Schlacht-

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batur, conspici poterat. (20) Sed caligo, quam circa humidi effuderant montes, universam equidem rei faciem non abstulit, ceterum agminum discrimina atque ordinem prohibuit perspici. Multitudo inundaverat campos, fremitusque tot milium etiam procul stantium aures impleverat. (21) Fluctuari animo rex et modo suum modo Parmenionis consilium sera aestimatione perpendere: quippe eo ventum erat unde recipi exercitus nisi victor, sine clade non posset. (22) Itaque dissimulato ‹pericu›lo mercennarium equitem ex Paeonia praecedere iubet. (23) Ipse phalangem, sicut antea dictum est, in duo cornua extenderat: utrumque cornu equites tegebant. Iamque nitidior lux discussa caligine aciem hostium ostenderat, et Macedones sive alacritate sive taedio expectationis ingentem pugnantium more edidere clamorem. Redditus et a Persis nemora vallesque circumiectas terribili sono impleverat. (24) Nec iam contineri Macedones poterant quin cursu quoque ad hostem contenderent. Melius adhuc ratus in eodem tumulo castra munire, vallum iaci iussit strenueque opere perfecto in tabernaculum, ex quo tota acies hostium conspiciebatur, secessit. 13 (1) Tum vero universa futuri discriminis facies in oculis erat: armis insignibus equi virique splendebant, et omni intentiore cura praeparari apud hostem sollicitudo praetorum agmina sua interequitantium ostendebat, (2) ac pleraque inania, sicut fremitus hominum, equorum hinnitus, armorum internitentium fulgor, sollicitam expectatione mentem turbaverant. (3) Igitur sive dubius animi sive ut suos experiretur, consilium adhibet, quid optimum factu esset exquirens. (4) Parmenio, peritissimus inter duces artium belli, furto, non proelio opus esse censebat: intempesta nocte opprimi posse hostes; discordis moribus, linguis, ad hoc somno et improviso peri-

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ordnung der Feinde sehen, wie sie sich in dieser Gegend entwickelte. (20) Doch ein von den feuchten Bergen ringsumher aufgestiegener Nebel nahm zwar nicht jede Sicht, hinderte aber doch daran, die Unterschiede der einzelnen Abteilungen und ihre Aufstellung genau zu erkennen. Die Felder waren von den Massen wie überschwemmt, und das Geräusch so vieler Tausende dröhnte sogar in die Ohren der Fernstehenden. (21) Der König wurde unsicher und dachte bald über seinen, bald über Parmenions Rat nach, aber zu spät; denn man war so weit gegangen, dass sich das Heer von dort nur, wenn es siegte, ohne Niederlage zurückziehen ließ. (22) Er befahl daher, ohne sich die Gefährlichkeit der Lage anmerken zu lassen, dem aus paionischen Söldnern bestehenden Reitercorps voranzumarschieren. (23) Er selbst hatte die Phalanx, wie bereits bemerkt, in zwei Flügel ausgedehnt, die beide durch Reiterei gedeckt waren. Schon hatte das hellere Tageslicht, nachdem der Nebel sich gelöst hatte, die feindliche Schlachtordnung enthüllt, und die Makedonen erhoben, sei es aus Mut oder des Wartens müde, ein gewaltiges Schlachtengeschrei. Von den Persern wurde es erwidert, so dass die umliegenden Wälder und Täler von seinem furchtbaren Widerhall erdröhnten. (24) Und die Makedonen ließen sich kaum mehr zurückhalten, auch im Eilschritt auf den Feind loszurücken. Doch Alexander erschien es vorläufig besser, auf eben jenem Hügel ein Lager zu befestigen, und er befahl daher, einen Wall aufzuhäufen. Nachdem dies unverzüglich ausgeführt war, zog er sich in sein Zelt zurück, von wo aus die ganze feindliche Schlachtordnung zu sehen war. 13 (1) Da aber stand das volle Bild der bevorstehenden Entscheidung vor seinen Augen. Pferd und Mann glänzten in herrlichen Waffenrüstungen, und dass beim Feind alles mit doppelter Sorgfalt vorbereitet werde, zeigte die Geschäftigkeit der Führer, die zwischen ihren Abteilungen hin und her ritten; (2) selbst durch vielerlei Bedeutungsloses, wie das Geschrei der Menschen, das Wiehern der Pferde, den Glanz der hier und da aufblitzenden Waffen, war er in Unruhe und in besorgter Erwartung. (3) Mochte es daher aus inneren Zweifeln geschehen oder um seine Leute auf die Probe zu stellen: Er berief einen Rat und fragte, was am besten zu tun sei. (4) Parmenion, der unter seinen Feldherrn der Erfahrenste in der Kriegsführung war, meinte, eine List, nicht eine Schlacht sei nötig: Mitten in der Nacht könne man die Feinde überrumpeln; angesichts ihrer verschiedenen Landessitten und Sprachen, dazu im Schlaf und durch die unvorhergesehene Gefahr aufgeschreckt – wie könnten sie sich

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culo territos, quando in nocturna trepidatione coituros? (5) At interdiu primum terribiles occursuras facies Scytharum Bactrianorumque: hirta illis ora et intonsas comas esse, praeterea eximiam vastorum magnitudinem corporum. Vanis et inanibus militem magis quam iustis formidinis causis moveri. (6) Deinde tantam multitudinem circumfundi paucioribus posse, ‹cum› non in Ciliciae angustiis et inviis callibus, sed in aperta et lata planitie dimicarent. (7) Omnes ferme Parmenioni adsentiebantur: Polypercon haud dubie in eo consilio positam victoriam arbitrabatur. (8) Quem intuens rex – namque Parmenionem nuper acrius, quam vellet, increpitum rursus castigare non sustinebat – ‘Latrunculorum’ inquit ‘et furum ista sollertia est, quam praecipitis mihi: quippe illorum votum unicum est fallere. (9) Meae vero gloriae semper aut absentiam Darei aut angustias locorum aut furtum noctis obstare non patiar. Palam luce adgredi certum est: malo ‹me› meae fortunae paeniteat quam victoriae pudeat. (10) Ad haec illud quoque accedit: vigilias agere barbaros et in armis stare, ut ne decipi quidem possint, compertum habeo. Itaque ad proelium vos parate.’ Sic incitatos ad corpora curanda dimisit. (11) Dareus id, quod Parmenio suaserat, hostem facturum esse coniectans frenatos equos stare, magnamque exercitus partem in armis esse ac vigilias intentiore cura servari iusserat; ergo ignibus tota eius castra fulgebant. (12) Ipse cum ducibus propinquisque agmina in armis stantium circumibat, Solem et Mithrem sacrumque et aeternum invocans ignem, ut illis dignam vetere gloria maiorumque monumentis fortitudinem inspirarent. (13) Et profecto, si qua divinae opis auguria humana mente concipi possent, deos stare secum. Illos nuper Macedonum animis subitam incussisse formidinem, adhuc lymphatos ferri agique arma iacientes; expetere praesides Persarum imperii debitas e vaecordibus poenas. (14) Nec ipsum ducem saniorem esse: quippe ritu ferarum praedam modo, quam expeteret, intu-

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dann noch in der nächtlichen Verwirrung sammeln? (5) Bei Tag dagegen werde man zuerst den furchtbaren Gestalten der Skythen und Baktrianer begegnen mit ihren struppigen Gesichtern und ungeschorenen Haaren, sowie ihren Riesenleibern. Durch Nichtiges und Bedeutungsloses lasse sich der Soldat mehr verwirren als durch begründete Anlässe zur Furcht. (6) Ferner könne die geringere Zahl von einer so großen Menge umzingelt werden. Nicht in den Engpässen und ungangbaren Gebirgspfaden Kilikiens kämpfe er hier, sondern auf einer offenen und weiten Ebene. (7) Fast alle stimmten Parmenion zu, und Polyperchon86 meinte, dass auf der Einhaltung dieses Rates zweifelsohne der Sieg beruhe. (8) Da es nun der König nicht fertig brachte, den Parmenion, den er kürzlich stärker als beabsichtigt zurechtgewiesen hatte, wieder zu tadeln, so richtete er seinen Blick auf den Genannten und sprach: „Was ihr mir vorschlagt, ist die Schlauheit gemeiner Räuber und Diebe, deren Wunsch einzig und allein auf Trug gerichtet ist. (9) Meinem Ruhm aber soll nicht immer entweder Dareios’ Abwesenheit oder das enge Gelände oder eine nächtliche List in den Weg treten: Offen und bei Tag bin ich entschlossen anzugreifen. Lieber will ich über mein Schicksal grollen als mich meines Sieges schämen. (10) Dazu kommt noch, dass ich sicher weiß, dass die Barbaren Wache halten und unter Waffen stehen, so dass man sie gar nicht täuschen kann. Darum macht euch bereit zur Schlacht!“ So angespornt entließ er sie, um ihren Körper zu stärken. (11) Dareios hatte schon vermutet, dass der Feind das, was Parmenion geraten hatte, tun werde und deshalb befohlen, die Pferde sollten gezäumt stehen, ein großer Teil des Heeres unter den Waffen bleiben und die Wachen mit größerer Sorgfalt als üblich abgehalten werden. Darum erglänzte sein ganzes Lager von Wachtfeuern. (12) Er selbst ging mit den Anführern und Leuten seiner Umgebung bei den unter den Waffen stehenden Abteilungen herum und rief den Sonnengott Mithras und das „Heilige, Ewige Feuer“ an, ihnen eine ihres alten Ruhmes und der denkwürdigen Taten ihrer Vorfahren würdige Tapferkeit einzuhauchen. (13) Und tatsächlich: Wenn der menschliche Geist irgendwie fähig sei, Zeichen des göttlichen Beistandes wahrzunehmen, so stünden die Götter auf ihrer Seite. Niemand anderes habe neulich die Makedonen in Schrecken versetzt; noch stürzten und taumelten sie wie unsinnig umher und würfen ihre Waffen weg; die Beschützer des Perserreiches verhängten über die Wahnwitzigen die verdiente Strafe. (14) Und auch ihr Anführer sei nicht vernünftiger; denn wie ein wildes Tier habe er nur

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entem in perniciem quae ante praedam posita esset incurrere. Similis apud Macedones quoque sollicitudo erat, noctemque, velut in eam certamine edicto, metu egerunt. (15) Alexander non alias magis territus ad vota et preces Aristandrum vocari iubet. Ille in candida veste verbenas manu praeferens capite velato praeibat preces regi Iovem Minervamque Victoriam propitianti. (16) Tunc quidem sacrificio rite perpetrato reliquum noctis adquieturus in tabernaculum rediit. Sed nec somnum capere nec quietem pati poterat: modo e iugo montis aciem in dextrum Persarum cornu demittere agitabat, modo recta fronte concurrere hosti, interdum haesitare an potius in laevum detorqueret agmen. (17) Tandem gravatum animi anxietate corpus altior somnus oppressit. Iamque luce orta duces ad accipienda imperia convenerant insolito circa praetorium silentio attoniti: (18) quippe alias accersere ipsos et interdum morantes castigare adsueverat, tunc ne ultimo quidem rerum discrimine excitatum esse mirabantur et non somno quiescere, sed pavore marcere credebant. (19) Non tamen quisquam ex custodibus corporis intrare tabernaculum audebat. Et iam tempus instabat, nec miles iniussu ducis aut arma capere poterat aut in ordines ire. (20) Diu Parmenio cunctatus, cibum ut caperent ipse pronuntiat. Iamque exire necesse erat: tunc demum intrat tabernaculum saepiusque nomine compellatum, cum voce non posset, tactu excitavit. (21) ‘Multa lux’ inquit ‘est: instructam aciem hostis admovit, tuus miles adhuc inermis expectat imperium. Ubi est vigor ille animi tui? nempe excitare vigiles soles.’ (22) Ad haec Alexander: ‘Credisne me prius somnum capere potuisse quam exonerarem animum sollicitudine quae quietem morabatur?’, signumque pugnae tuba dari iussit. Et cum in eadem admiratione Parmenio perseveraret, quod solutum se curis somnum cepisse dixisset, (23) ‘Mini-

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die Beute, nach der er giere, im Auge und renne in das Verderben, das vor der Beute liege. Bei den Makedonen herrschte ähnliche Unruhe und sie brachten die Nacht, als sei für sie der Kampf angesagt, unter Befürchtungen zu. (15) Alexander, der sich kein anderes Mal in größerer Besorgnis befunden hatte, befahl, den Aristandros zu Gelübden und Gebeten herbeizurufen. Dieser sprach, im weißen Gewand, die geweihten Kräuter in der Hand und mit verhülltem Haupt, dem König die Gebete vor, mit denen er um den Schutz des Zeus und der siegreichen Athene bat. (16) Dann, nachdem das Opfer in angemessener Weise vollzogen war, zog er sich in sein Zelt zurück, um den übrigen Teil der Nacht zu ruhen. Aber er konnte weder Schlaf finden, noch sich der Ruhe hingeben: Bald dachte er, sein Heer von der Höhe des Hügels gegen den rechten Flügel der Perser loszuschicken, bald geradeaus mit der Front auf den Feind zu stoßen; bald wieder schwankte er, ob er es nicht lieber gegen den linken Flügel wenden solle. (17) Endlich ergriff den von geistiger Unruhe gequälten Körper ein tieferer Schlaf. Schon waren nach Anbruch des Tages die Heerführer zusammengekommen, seine Befehle entgegenzunehmen und waren erstaunt über das ungewohnte Schweigen rings um das Feldherrnzelt87; (18) denn sonst pflegte er sie selbst herbeizurufen und nicht selten die Säumigen zu tadeln: Dass er in diesem äußersten Moment der Entscheidung nicht einmal wach sein sollte, schien ihnen merkwürdig, und sie glaubten, er liege nicht im Schlaf, sondern sei durch Furcht gelähmt. (19) Dennoch wagte keiner von den Leibwächtern in das Zelt einzutreten, obwohl die Zeit drängte und der Soldat ohne Befehl des Führers weder die Waffen ergreifen noch in Reih und Glied treten konnte. (20) Nach längerem Zögern gab schließlich Parmenion den Befehl zu essen. Und schon war es die höchste Zeit zum Ausrücken, da trat er endlich in das Zelt, und nachdem er ihn öfter bei seinem Namen gerufen hatte, weckte er ihn durch Berührung, da er nicht hörte. (21) „Heller Tag ist es“, sprach er, „der Feind, in voller Schlachtordnung, ist im Anmarsch. Deine Soldaten sind noch unbewaffnet und warten auf deine Befehle. Wo ist deine gewohnte Tatkraft, da du sonst die Wächter zu wecken pflegst?“ (22) Alexander erwiderte: „Glaubst du, ich hätte eher Schlaf finden können, als bis ich meinen Geist von der Sorge befreit hatte, die mich nicht schlafen ließ?“ Zugleich befahl er, mit der Trompete das Zeichen zur Schlacht zu geben. Und da Parmenion noch immer in Verwunderung verharrte, weil er gesagt hatte, er sei von Sorge entlastet eingeschlafen, sagte er: (23) „Das ist nicht im Ge-

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me’ inquit ‘mirum est: ego enim, cum Dareus terram ureret, vicos excinderet, alimenta corrumperet, potens mei non eram; (24) nunc vero quid metuam, cum acie decernere paret? Hercule, votum meum implevit. Sed huius consilii postea quoque ratio reddetur: vos ite ad copias quibus quisque praeest, ego iam adero et, quid fieri velim, exponam.’ (25) Raro admodum, admonitu magis amicorum quam metu discriminis ‹quod› adeundeum erat, ‹lorica› uti solebat; tunc utique munimento corporis sumpto processit ad milites. Haud alias tam alacrem viderant regem et vultu eius interrito certam spem victoriae augurabantur. (26) Atque ille proruto vallo exire copias iubet aciemque disponit. In dextro cornu locati sunt equites, quos agema appellabant; praeerat his Clitus, cui iunxit Philotae turmas, ceterosque praefectos equitum lateri eius adplicuit. (27) Ultima Meleagri ala stabat, quam phalanx sequebatur. Post phalangem Argyraspides erant; his Nicanor, Parmenionis filius, praeerat. (28) In subsidiis cum manu sua Coenos, post eum Orestae Lyncestaeque sunt ‹positi›; post illos Polypercon, mox peregrini milites. Huius agminis princeps Amyntas aberat: Philippus Balacri eos regebat in societatem nuper adscitos. Haec dextri cornus facies erat. (29) In laevo Craterus Peloponnesium equites habebat, Achaeorum et Locrensium et Malieon turmis sibi adiunctis. Hos Thessali equites claudebant Philippo duce. Peditum acies equitatu tegebatur. Frons laevi cornus haec erat. (30) Sed ne circumiri posset a multitudine, ultimum agmen valida manu cinxerat. Cornua quoque subsidiis firmavit non recta fronte, sed a latere positis ut, si hostis circumvenire aciem temptasset, parata pugnae forent. (31) Hic Agriani erant, quibus Attalus praeerat, adiunctis sagittariis Cretensibus. Ultimos ordines avertit a fronte, ut totam

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ringsten verwunderlich; denn solange Dareios das Land verwüstete, die Dörfer verheerte, die Lebensmittel vernichtete, war ich nicht Herr meiner Entschlüsse; (24) nun aber, da er sich vorbereitet in der Entscheidungsschlacht zu kämpfen, was soll ich da fürchten? Bei Herakles, er hat mir meinen Wunsch erfüllt! Aber über diesen meinen Entschluss will ich später noch Rechenschaft ablegen. Ihr geht jetzt jeder zu der Abteilung, die ihr befehligt: Ich werde gleich da sein und erklären, was geschehen soll.“ (25) Sehr selten, mehr auf Anraten seiner Freunde als aus Besorgnis vor einer drohenden Gefahr, pflegte er sich seinen Panzer anzuziehen; jetzt legte er auch diesen Schutz für den Körper an und trat hinaus zu seinen Soldaten. Kein anderes Mal hatten diese ihren König so voll feurigen Mutes gesehen und aus seinem unerschrockenen Blick schöpften sie im Voraus die sichere Hoffnung auf Sieg. (26) Er befahl, den Wall niederzureißen, ließ das Heer herausmarschieren und stellte es in Schlachtordnung auf. Auf dem rechten Flügel bekamen die Reiter ihren Platz, die man die „Agema“ nannte, unter dem Befehl des Kleitos88. Daran schloss er die Reiterschwadron des Philotas an, dem zur Seite er die übrigen Reiterführer aufstellte. (27) Zuletzt stand Meleagros’ Schwadron89, auf die dann die Phalanx folgte. Hinter dieser folgten die Argyraspiden90, die Nikanor, Parmenions Sohn, befehligte. (28) In Reserve stand Koinos mit seiner Truppe, danach die Orestier und Lynkestier91, nach diesen Polyperchon, dann die fremden Truppen; der Führer dieser aus erst neu gewonnenen Bundesgenossen bestehenden Abteilung, Amyntas, war abwesend, das Kommando über sie hatte Philippos, Balakros’ Sohn92. So sah es auf dem rechten Flügel aus. (29) Auf dem linken führte Krateros die peloponnesische Reiterei93, nachdem sich die Schwadronen der Achaier, Lokrer und Malier ihm angeschlossen hatten. Den Abschluss bildeten hier die thessalischen Reiter unter Philippos’ Befehl. Die Aufstellung des Fußvolkes wurde also durch Reiterei gedeckt. Dies war die Front des linken Flügels. (30) Um aber nicht von der Menge umzingelt werden zu können, hatte er die letzten Reihen mit einer starken Mannschaft umgeben. Auch die Flügel verstärkte er durch Reserven, die nicht mit der Front geradeaus, sondern nach der Seite zu aufgestellt wurden, damit sie, wenn der Feind die Schlacht zu umgehen versuchte, zum Kampf bereit seien. (31) Hier standen die Agrianer, von Attalos befehligt, und die Bogenschützen von Kreta. Die hinteren Reihen richtete er nach der der Front entgegengesetzten Seite aus, um ringsum die ganze Schlachtordnung zu schützen. Fer-

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aciem orbe muniret. Illyrii hic erant adiuncto milite mercede conducto, Thracas quoque simul obiecerat leviter armatos. (32) Adeoque aciem versabilem posuit, ut qui ultimi stabant, ne circumirentur, verti tamen et in frontem circumagi possent. Itaque non prima quam latera, non latera munitiora fuere quam terga. (33) His ita ordinatis praecipit ut, si falcatos currus cum fremitu barbari emitterent, ipsi laxatis ordinibus impetum incurrentium silentio exciperent, haud dubius sine noxa transcursuros, si nemo se opponeret; sin autem sine fremitu immisissent, eos ipsi clamore terrerent pavidosque equos telis utrimque suffoderent. (34) Qui cornibus praeerant, extendere ea iussi ita ut nec circumvenirentur, si artius starent, nec tamen ultimam aciem exinanirent. (35) Impedimenta cum captivis, inter quos mater liberique Darei custodiebantur, haud procul acie in edito colle constituit modico praesidio relicto. Laevum cornu, sicut alias, Parmenioni tuendum datum, ipse in dextro stabat. (36) Nondum ad iactum teli pervenerant cum Bion quidam transfuga, quanto maximo cursu potuerat, ad regem pervenit, nuntians murices ferreos in terram defodisse Dareum, qua hostem equites emissurum esse credebat, notatumque certo signo locum, ut fraus evitari a suis posset. (37) Adservari transfuga iusso, duces convocat expositoque quod nuntiatum erat, monet ut regionem monstratam declinent equitemque periculum edoceant. (38) Ceterum hortantem exercitus exaudire non poterat, usum aurium intercipiente fremitu duorum agminum; sed ‹in› conspectu omnium duces et proximum quemque interequitans adloquebatur: 14 (1) Emensis tot terras in spem victoriae, de qua dimicandum foret, hoc unum superesse discrimen. Granicum hic amnem Ciliciaeque montes et Syriam Aegyptumque praetereuntibus raptas, ingen-

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ner standen hier die Illyrier zusammen mit den Söldnertruppen, und zugleich hatte er hier auch die leichtbewaffneten Thraker aufgestellt. (32) Und die Aufstellung war in dem Grad beweglich, dass die ganz hinten Stehenden doch, um eine Umgehung zu unterbinden, wenden und in die Front einschwenken konnten. Somit waren seine Flanken nicht weniger geschützt als die Front, der Rücken nicht weniger als die Flanken. (33) Nachdem dies so angeordnet war, befahl er, wenn die Barbaren die Sichelwagen unter Geschrei losließen, so sollten sie selbst ihre Reihen lösen und schweigend den Angriff der Anstürmenden erwarten: Kein Zweifel, dass sie ohne Schaden anzurichten hindurchführen, wenn sich ihnen niemand entgegenstellte. Würden sie aber ohne Geschrei losgelassen, so sollten sie selbst sie mit Geschrei erschrecken und die scheuen Pferde von beiden Seiten mit Geschossen durchbohren. (34) Die Befehlshaber der Flügel erhielten den Auftrag, diese noch auszudehnen, so dass sie weder bei zu enger Aufstellung überflügelt werden könnten, noch aber auch die letzten Glieder zu sehr entblößten. (35) Das Gepäck und die Gefangenen, unter denen sich Dareios’ Mutter und Kinder mit einer Bewachung befanden, stellte er nicht weit von der Schlachtordnung auf einem hohen Hügel auf und ließ dabei eine mäßige Bewachung zurück. Den Befehl über den linken Flügel gab er, wie sonst auch, Parmenion, er selbst stand auf dem rechten. (36) Noch war man nicht in Schussweite gekommen, als ein Überläufer namens Bion in sehr schnellem Lauf zum König kam und ihm meldete, Dareios habe eiserne Fußangeln in die Erde graben lassen, wo er glaubte, dass der Feind seine Reiter hinschicken werde, und die Stelle gekennzeichnet, damit die Falle von seinen Leuten gemieden werden könne. (37) Der Überläufer wurde auf seinen Befehl in Gewahrsam genommen, dann rief er die Führer zusammen und teilte ihnen das Gemeldete mit, mit der Aufforderung, der bezeichneten Stelle auszuweichen und die Reiterei mit der Gefahr bekannt zu machen. (38) Seine Ansprache konnte übrigens das Heer nicht verstehen, da der Lärm von beiden Heeren den Gebrauch der Ohren unmöglich machte; doch ritt er vor den Augen aller unter die Führer und die jeweils Nächsten und sagte ihnen Folgendes: 14 (1) Nachdem sie in der Hoffnung auf den Sieg so viele Länder durchzogen hätten, sei nun diese eine Entscheidungsschlacht noch übrig. Dabei erinnerte er an Granikos, die kilikischen Gebirge, und wie ihnen Syrien und Ägypten im Vorbeigehen zur Beute geworden

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tia spei gloriaeque incitamenta, referebat. (2) Reprehensos ex fuga Persas pugnaturos, quia fugere non possent. Tertium iam diem metu exangues armis suis oneratos in eodem vestigio haerere. Nullum desperationis illorum maius indicium esse quam quod urbes, quod agros suos urerent, quicquid non corrupissent hostium esse confessi. (3) Nomina modo vana gentium ignotarum ne extimescerent: neque enim ad belli discrimen pertinere qui ab iis Scythae quive Cadusii appella‹re›ntur. Ob id ipsum, quod ignoti essent, ignobiles esse: (4) numquam ignorari viros fortes, at imbelles ex latebris suis erutos nihil praeter nomina adferre. Macedonas virtute adsecutos ne quis toto orbe locus esset qui tales viros ignoraret. (5) Intuerentur barbarorum inconditum agmen: alium nihil praeter iaculum habere, alium funda saxa librare, paucis iusta arma esse. Itaque illinc plures stare, hinc plures dimicaturos. (6) Nec postulare se ut fortiter capesserent proelium, ni ipse ceteris fortitudinis fuisset exemplum: se ante prima signa dimicaturum. Spondere pro se tot cicatrices, totidem corporis decora; scire ipsos unum paene se praedae communis exortem in illis colendis ornandisque usurpare victoriae praemia. (7) Haec se fortibus viris dicere. Si qui dissimiles eorum essent, illa fuisse dicturum: pervenisse eo unde fugere non possent. Tot terrarum spatia emensis, tot amnibus montibusque post tergum obiectis, iter in patriam et penates manu esse faciendum. Sic duces, sic proximi militum instincti sunt. (8) Dareus in laevo cornu erat, magno suorum agmine, delectis equitum peditumque stipatus, contempseratque paucitatem hostis vanam aciem esse extentis cornibus ratus. (9) Ceterum, sicut curru eminebat, dextra laevaque ad circumstantia agmina oculos manusque circumferens, ‘Terrarum’ inquit, ‘quas Oceanus hinc

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seien, einige mächtige Lockmittel für ihre Hoffnung und ihren Ehrgeiz. (2) Von der Flucht zurückgehalten, würden die Perser nur kämpfen, weil sie nicht fliehen könnten. Schon drei Tage stünden sie auf demselben Fleck, bleich vor Furcht und unter der Last ihrer Waffen. Kein deutlicheres Zeichen für ihre Verzweiflung gebe es, als dass sie ihre eigenen Städte und Felder niederbrannten und damit eingestanden hätten, alles, was sie nicht vernichteten, gehöre dem Feind. (3) Sie sollten sich nur nicht vor den bloßen Namen unbekannter Völkerschaften fürchten, denn zur Entscheidung des Kampfes trage es nichts bei, welche unter ihnen Skythen oder Kadusier hießen. Eben deshalb, weil sie unbekannt seien, seien sie auch unbedeutend. (4) Tapfere Männer seien niemals unbekannt, aber unkriegerische, die man aus ihren verborgenen Winkeln hervorgeholt habe, brächten nichts als ihren Namen mit. Die Makedonen hätten durch ihre Tapferkeit erreicht, dass es auf der ganzen Erde keinen Ort gebe, wo man derartige Männer nicht kenne. (5) Sie sollten sich nur die ungeordneten Scharen der Barbaren ansehen: Der eine habe nichts als einen Speer, der andere schleudere Steine, wenige hätten richtige Waffen. Auf jener Seite also stünden zwar mehr Leute, hier aber stritten mehr. (6) Auch fordere er nicht, dass sie sich tapfer in das Kampfgetümmel stürzten, wenn er nicht selbst den Übrigen ein Beispiel der Tapferkeit sei; vor den ersten Linien noch werde er streiten, erwarte er doch für sich so viele Narben als ebenso viele Zierden seines Körpers. Auch wüssten sie ja selbst, wie er, allein fast ohne Anteil an der gemeinsamen Beute, die Früchte des Sieges verwende, sie zu ehren und zu bereichern. (7) Das sage er für die tapferen Männer; wenn es aber etwa auch andere gebe, so wolle er ihnen dies gesagt haben: Man sei jetzt bis zu einem Punkt gelangt, von wo man nicht fliehen könne. Nachdem man so viele Länder durchmessen, nachdem so viele Flüsse und Gebirge in ihrem Rücken lägen, sei der Weg ins Vaterland und zum heimischen Herd nur mit dem Schwert zu bahnen. Mit solchen Worten begeisterte er die Führer, sowie die in unmittelbarer Nähe von ihm stehenden Soldaten. (8) Dareios befand sich auf seinem linken Flügel, von einer großen Schar seiner Leute, von auserlesenen Reitern und Fußsoldaten dicht umgeben, und wegen der geringen Zahl des Feindes war er voller Verachtung, da er ihre Aufstellung bei der Ausdehnung der Flügel für schwach hielt. (9) Nun ließ er, wie gewöhnlich auf seinem Wagen thronend, rechts und links Augen und Hände über die ihn umstehenden Scharen kreisen und sagte: ,,Noch vor kurzem Herr über die

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adluit, illinc claudit Hellespontus, paulo ante domini, iam non de gloria, sed de salute et, quod saluti praeponitis, libertate pugnandum est. (10) Hic dies imperium, quo nulla amplius vidit aetas, aut constituet aut finiet. Apud Granicum minima virium parte cum hoste certavimus, in Cilicia victos Syria poterat excipere, magna munimenta regni Tigris atque Euphrates erant. (11) Ventum est eo unde pulsis ne fugae quidem locus est. Omnia tam diutino bello exhausta post tergum sunt: non incolas suos urbes, non cultores habent terrae. Coniuges quoque et liberi sequuntur hanc aciem, parata hostibus praeda, nisi pro carissimis pignoribus corpora opponimus. (12) Quod mearum fuit partium, exercitum, quem paene immensa planities vix caperet, comparavi; equos, arma distribui; commeatus ne tantae multitudini deessent, providi; locum, in quo acies explicari posset, elegi. (13) Cetera in vestra potestate sunt: audete modo vincere famamque, infirmissimum adversus fortes viros telum, contemnite. Temeritas est quam adhuc pro virtute timuistis; quae ubi primum impetum effudit, velut quaedam animalia emisso aculeo, torpet. (14) Hi vero campi deprehendere paucitatem quam Ciliciae montes absconderant. Videtis ordines raros, cornua extenta, mediam aciem vanam ‹et› exhaustam; nam ultimi, quos locavit aversos, terga iam praebent. Obteri, mehercule, equorum ungulis possunt, etiamsi nihil praeter falcatos currus emisero. (15) Et bello vicerimus, si vicimus proelio; nam ne illis quidem ad fugam locus est: hinc Euphrates, illinc Tigris prohibet inclusos. (16) Et quae antea pro illis erant, in contrarium versa sunt. Nostrum mobile et expeditum agmen est, illud praeda grave. Implicatos ergo spoliis nostris trucidabimus, eademque res et causa erit victoriae et fructus. (17) Quodsi quem e vobis nomen gentis movet, cogitet Macedonum illic arma esse, non cor-

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Länder, die hier der Ozean umspült, dort der Hellespont begrenzt, haben wir nicht mehr für unseren Ruhm, sondern für unser Leben und, was mehr ist als das Leben, für unsere Freiheit zu kämpfen. (10) Der heutige Tag wird dieses Reich, das größte, das die Welt gesehen hat, entweder begründen oder vernichten. Am Granikos kämpften wir nur mit dem kleinsten Teil unserer Kräfte gegen den Feind: In Kilikien besiegt, konnte uns Syrien aufnehmen. Der Tigris und der Euphrat waren noch starke Schutzmauern unseres Reiches. (11) Wir haben einen Punkt erreicht, von dem aus uns, wenn wir geschlagen werden, nicht einmal ein Zufluchtsort übrig bleibt. In unserem Rücken ist alles durch den langwierigen Krieg erschöpft: Die Städte haben keine Bewohner, die Ländereien keine Bebauer mehr. Selbst unsere Frauen und Kinder folgen diesem Heer, eine leichte Beute für den Feind, wenn wir diese teuersten Unterpfänder nicht mit unseren Körpern schützen. (12) Was meine Aufgabe war, habe ich getan: Ein Heer gerüstet, wie es die fast unübersehbare Ebene kaum zu fassen vermochte, Pferde und Wagen verteilt, für Proviant gesorgt, dass es einer so gewaltigen Menge auch an nichts fehlte, einen Ort gewählt, wo diese Streitmacht sich entfalten konnte. (13) Das Übrige steht in eurer Macht: Wagt es nur zu siegen und verachtet den Ruf des Feindes, die schwächste Waffe tapferen Männern gegenüber! Tollkühnheit ist, was ihr bisher als Tapferkeit gefürchtet habt. Wenn ihr erster Anlauf fehlgeschlagen ist, so ist sie gelähmt, wie manche Tiere nach Verlust ihres Stachels. (14) Diese Gegend hat ihre geringe Anzahl vollends ans Licht gebracht, die in den Gebirgen Kilikiens verborgen blieb. Ihr seht diese spärlichen Reihen, diese ausgedehnten Flügel, dieses schwache und kraftlose Zentrum; ja die letzten Reihen, die von euch abgewendet aufgestellt sind, kehren euch schon den Rücken. Beim Herakles! Zermalmen kann man sie mit den Hufen der Pferde, wenn ich auch nichts als die Sichelwagen loslasse. (15) Und den Krieg haben wir gewonnen, wenn wir diese Schlacht gewonnen haben; denn sie haben keinen Raum zur Flucht; eingeschlossen und gehemmt sind sie hier vom Euphrat, dort vom Tigris. (16) Und was ihnen vorher noch günstig war, hat sich in das Gegenteil verkehrt: Unser Heer ist beweglich und leicht, ihres von Beute schwerfällig. Mit dem, was sie uns geraubt haben, beladen, werden wir sie niedermetzeln, und diese Tatsache wird für uns zugleich Ursache und Lohn des Sieges sein. (17) Schreckt aber jemand von euch der Name des Volkes, der denke daran, dass das dort zwar die Waffen, nicht aber die Leiber von

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pora. Multum enim sanguinem invicem hausimus, et semper gravior in paucitate iactura est. (18) Nam Alexander, quantuscumque ignavis et timidis videri potest, unum animal est et, si quid mihi creditis, temerarium et vaecors, adhuc nostro pavore quam sua virtute felicius. (19) Nihil autem potest esse diuturnum, cui non subest ratio. Licet felicitas adspirare videatur, tamen ad ultimum temeritati non sufficit. Praeterea breves et mutabiles vices rerum sunt, et fortuna numquam simpliciter indulget. (20) Forsitan ita dii fata ordinaverint ut Persarum imperium, quod secundo cursu per CCXXX annos ad summum fastigium evexerant, magno motu concuterent magis quam adfligerent admonerentque nos fragilitatis humanae, cuius nimia in prosperis rebus oblivio est. (21) Modo Graecis ultro bellum inferebamus, nunc in sedibus nostris propulsamus inlatum: iactamur invicem varietate fortunae. Videlicet imperium, quia mutuo adfectamus, una gens non capit. (22) Ceterum, etiamsi spes non subesset, necessitas tamen stimulare deberet. Ad extrema perventum est. Matrem meam, duas filias, Ochum in spem huius imperii genitum, principes, illam subolem regiae stirpis, duces vestros reorum instar vinctos habet: nisi quid in vobis opis est, ego maiore mei parte captivus sum. Eripite viscera mea ex vinculis, restituite mihi pignora, pro quibus ipsi mori non recusatis, parentem, liberos; nam coniugem in illo carcere amisi. (23) Credite nunc omnes hos tendere ad vos manus, implorare patrios deos, opem vestram, misericordiam, fidem exposcere, ut compedibus, ut servitute, ut precario victu ipsos liberetis. An creditis aequo animo iis servire, quorum reges esse fastidiunt? (24) Video admoveri hostium aciem, sed quo propius discrimen accedo, hoc minus iis, quae dixi, possum esse contentus. Per ego vos deos patrios aeternumque ignem, qui praefertur altaribus,

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Makedonen sind; denn viel Blut haben wir gegenseitig vergossen und immer ist bei einer geringen Anzahl der Verlust empfindlicher. (18) Dazu ist Alexander, wie gewaltig er immer den feigen und furchtsamen Menschen erscheinen mag, auch nur ein einzelner Mensch und, wenn ihr mir Glauben schenken wollt, ein recht törichter und wahnsinniger, dessen Erfolg bisher mehr auf unserer Furcht als auf seiner Tüchtigkeit beruhte. (19) Nichts kann aber von Dauer sein, was nicht auf Vernunft beruht. Mag ihn das Glück zu begünstigen scheinen, zuletzt wird es ihn doch im Stich lassen. Außerdem ist auf dieser Welt alles einem steten Wandel unterworfen, und niemals erweist das Geschick Gunst ohne Einschränkung. (20) Vielleicht haben die Götter das Geschick so bestimmt, dass sie das Perserreich, das sie 230 Jahre lang in günstigem Lauf bis zum höchsten Gipfel der Macht empor geführt hatten, durch diesen heftigen Stoß mehr erschüttern als zu Boden werfen und uns an die menschliche Hinfälligkeit ermahnen, die man im Glück ja allzu schnell vergisst. (21) Vor kurzem erst überzogen wir unsererseits Griechenland mit Krieg, jetzt müssen wir im eigenen Land einen Krieg abwehren, der gegen uns begonnen wurde. Abwechselnd sind wir der Spielball des launischen Schicksals; und weil beide Völker zugleich nach der Herrschaft streben, kann sie keines von beiden endgültig behaupten. (22) Selbst wenn es auch keine begründete Hoffnung für uns gäbe, müsste uns doch die Not anspornen: Denn zum Äußersten ist es gekommen. Meine Mutter, meine beiden Töchter, meinen Ochos94, den ich zum Erben dieser Herrschaft gezeugt, eure Fürsten von königlicher Abstammung, eure Heerführer hält er wie Verbrecher in Fesseln: Kann ich auf euch nicht bauen, so bin ich selbst mit dem größeren Teil meines Ich sein Gefangener. Entreißt mein Fleisch und Blut seinen Fesseln, rettet mir die Pfänder, für die ihr selbst euch nicht zu sterben gescheut habt, die Mutter, die Kinder; denn die Gattin habe ich in jener Gefangenschaft verloren! (23) Glaubt mir, jetzt strecken diese alle die Hände nach euch aus, flehen die heimischen Götter an, fordern von euch Hilfe, Mitleid, Schutz, dass ihr sie von ihren Fesseln, ihrer Sklaverei, ihrem Gnadenbrot erlöst. Oder meint ihr, dass sie mit leichten Herzen die Sklaven derer sind, deren Könige sie zu sein verabscheuen? (24) Ich sehe das feindliche Heer heranrücken, aber je näher ich der Entscheidung bin, desto weniger will mir das genügen, was ich gesagt habe. Bei den Göttern unseres Landes, bei dem ewigen Feuer, das uns auf dem Altar vorangetragen wird, bei dem Glanz der Sonne, die innerhalb der Gren-

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fulgoremque solis intra fines regni mei orientis, per aeternam memoriam Cyri, qui ademptum Medis Lydisque imperium primus in Persidem intulit, vindicate ab ultimo dedecore nomen gentemque Persarum. (25) Ite alacres et spiritus pleni ut, quam gloriam accepistis a maioribus vestris, posteris relinquatis. In dextris vestris iam libertatem, opem, spem futuri temporis geritis. Effugit mortem quisquis contempserit: timidissimum quemque consequitur. (26) Ipse non patrio more solum, sed etiam ut conspici possim, curru vehor nec recuso quominus imitemini me, sive fortitudinis exemplum sive ignaviae fuero!’ 15 (1) Interim Alexander, ut et demonstratum a transfuga insidiarum locum circumiret et Dareo, qui cornu tuebatur, occurreret, agmen obliquum incedere iubet. (2) Dareus quoque eodem suum obvertit Besso admonito, ut Massagetas equites in laevum Alexandri cornu ‹a› latere invehi iuberet. (3) Ipse ante se falcatos currus habebat, quos signo dato universos in hostem effudit. (4) Ruebant laxatis habenis aurigae, quo plures nondum satis proviso impetu obtererent. Alios ergo hastae multum ultra temonem eminentes, alios ab utroque latere demissae falces laceravere. Nec sensim Macedones cedebant, sed effusa fuga turbaverant ordines. (5) Mazaeus quoque perculsis metum incussit mille equitibus ad diripienda hostis impedimenta circumvehi iussis, ratus captivos quoque, qui simul adservabantur, rupturos vincula, cum suos adpropinquantes vidissent. (6) Non fefellerat Parmenionem, qui in laevo erat: propere igitur Polydamanta mittit ‹ad regem›, qui et periculum ostenderet et, quid fieri iuberet, consuleret. (7) Ille audito Polydamante, ‘Abi, nuntia’ inquit ‘Parmenioni, si acie vicerimus, non nostra solum nos recuperaturos, sed etiam, quae hostium sunt, occupaturos. (8) Proinde non est quod virium quicquam subducat ex acie, sed, ut me, ut Philippo patre dignum est, contempto sarcinarum damno fortiter dimicet.’ (9) Interim barbari impedimenta turbaverant, caesisque

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zen meines Reiches emporsteigt, bei dem unvergänglichen Ruhm des Kyros, der die Herrschaft den Medern und Lydern entriss und sie als erster auf die Perser übertrug: Rettet Namen und Geschlecht der Perser vor der äußersten Schande! (25) Geht hin, mutig und hoffnungsvoll, damit ihr den Ruhm, den ihr von euren Vorfahren geerbt, euren Nachkommen hinterlasst! In eurer Rechten tragt ihr jetzt Freiheit und Macht und Hoffnung der Zukunft! Der entgeht dem Tod, der ihn verachtet: Die Furchtsamsten gerade ereilt er! (26) Ich selbst fahre auf dem Wagen, nicht allein nach Vätersitte, sondern auch, damit man mich sehen kann, und wehre euch nicht, es mir nachzutun, ich mag euch das Beispiel der Tapferkeit oder der Feigheit geben.“ 15 (1) Inzwischen befahl Alexander, um die von dem Überläufer bezeichnete Stelle des Hinterhalts zu umgehen und um Dareios, der den Flügel befehligte, zu begegnen, seinem Heer in schräger Richtung vorzurücken. (2) Dareios machte die gleiche Bewegung, nachdem er Bessos beauftragt hatte, die massagetischen Reiter von der Seite her in Alexanders linken Flügel einbrechen zu lassen. (3) Er selbst hatte vor sich die Sichelwagen, die er auf ein Zeichen hin alle zusammen gegen den Feind losschickte. (4) Die Wagenlenker stürmten mit gelockerten Zügeln dahin, um in einem Überraschungsangriff möglichst viele Leute zu zerfetzen. Manche zermalmten also die weit über die Deichsel hervorragenden Spieße, manche die auf beiden Seiten vorgestreckten Sicheln. Und die Makedonen wichen nicht etwa langsam, sondern durch ihre stürmische Flucht waren die Glieder in Unordnung geraten. (5) Auch Mazaios jagte den Erschütterten schon Furcht ein, indem er 1 000 Reitern den Befehl gab, um den Feind herum zu schwenken und dessen Tross zu plündern, da er glaubte, auch die Gefangenen, die ebenfalls dort bewacht wurden, würden ihre Fesseln zerreißen, wenn sie ihre Leute kommen sähen. (6) Parmenion auf dem linken Flügel war dies nicht entgangen, und er sandte daher eiligst den Polydamas, dem König die Gefahr zu melden und ihn zu fragen, was geschehen solle. (7) Dieser erwiderte auf Polydamas’ Meldung: „Geh und sage Parmenion, wenn wir in der Schlacht siegen, so werden wir nicht allein das Unsere wiedererlangen, sondern auch alles, was dem Feind gehört, gewinnen. (8) Darum ist kein Grund, einen Teil der Streitkräfte aus der Schlacht zu ziehen, sondern er soll ohne Rücksicht auf den Verlust des Gepäcks tapfer kämpfen, wie es meiner und meines Vaters Philipp würdig ist.“95 (9) Unterdessen hatten die Barbaren den Tross überrumpelt

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plerisque custodum captivi vinculis ruptis quicquid obvium erat, quo armari possent, arripiunt et adgregati suorum equitibus Macedonas ancipiti circumventos malo invadunt. (10) Laeti, qui circa Sisigambim erant, vicisse Dareum, ingenti caede prostratos hostis, ad ultimum etiam impedimentis exutos esse nuntiant: quippe eandem fortunam ubique esse credebant et victores Persas ad praedam discurrisse. (11) Sisigambis hortantibus captivis ut animum a maerore adlevaret, in eodem, quo antea fuit, perseveravit. Non vox ulla excidit ei, non oris color vultusve mutatus est: sedit immobilis – credo, praecoqui gaudio verita inritare fortunam – adeo ut quid mallet intuentibus eam fuerit incertum. (12) Inter haec Menidas, praefectus equitum Alexandri, cum paucis turmis opem impedimentis laturus advenerat – [et] incertum suone consilio an regis imperio – sed non sustinuit Cadusiorum Scytharumque impetum: quippe vix temptato certamine refugit ad regem, amissorum impedimentorum testis magis quam vindex. (13) Iam consilium Alexandri dolor vicerat, et, ne cura recuperandi sua militem a proelio averteret, non immerito verebatur. Itaque Areten, ducem hastatorum – sarisophoros vocabant – adversus Scythas mittit. (14) Inter haec currus, qui circa signa prima turbaverant aciem, in phalangem invecti erant: Macedones confirmatis animis in medium agmen accipiunt. (15) Vallo similis acies erat: iunxerant hastas et ab utroque latere temere incurrentium ilia suffodiebant. Circumire deinde [et] currus et propugnatores praecipitare coeperunt. (16) Ingens ruina equorum aurigarumque aciem compleverat: hi territos regere non poterant, qui crebra iactatione cervicum non iugum modo excusserant, sed etiam currus everterant, vulnerati interfectos trahebant, nec consistere territi nec progredi debiles poterant. (17) Paucae tamen evasere quadrigae in ultimam

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und die meisten Wachen niedergemacht, während die Gefangenen ihre Fesseln zerrissen; dann rissen sie alles, was ihnen in die Hände fiel und sich zur Waffe eignete, an sich und griffen mit ihrer Reiterei vereinigt die Makedonen an, die sich so von doppelter Gefahr umringt sahen. (10) Vor Freude meldeten die Leute in der Umgebung der Sisygambis, Dareios habe gesiegt, der Feind sei in einem gewaltigen Gemetzel unterlegen und schließlich sogar seines Trosses beraubt; denn sie meinten, es sei überall gleich glücklich gekämpft worden, und siegreich hätten sich die Perser zerstreut, um Beute zu machen. (11) Sisygambis jedoch verharrte trotz der Aufforderung der Gefangenen, sich aus ihrem Kummer emporzurichten, in der gleichen Niedergeschlagenheit wie früher. Kein Wort kam aus ihrem Mund, keine Veränderung der Gesichtsfarbe oder Miene war zu sehen. Unbeweglich saß sie da, vielleicht aus Furcht, das Schicksal zu reizen, so dass diejenigen, die sie sahen, in Ungewissheit blieben, was sie lieber wünsche96. (12) Währenddessen war Alexanders Reiterführer Menidas mit einigen wenigen Schwadronen dem Tross zu Hilfe gekommen, ungewiss, ob freiwillig oder auf Befehl des Königs. Doch hielt er dem Angriff der Kadusier und Skythen nicht stand; denn kaum hatte er den Kampf versucht, so floh er zum König zurück, mehr ein Zeuge, dass der Tross verloren war, als dessen Rächer. (13) Nun hatte Alexanders Ärger über seinen früheren Entschluss gesiegt, und nicht zu Unrecht fürchtete er, die Sorge, ihr Eigentum nicht wiederzuerlangen, könnte die Soldaten vom Kampf abziehen. Darum sandte er den Aretes, den Führer der Lanzenreiter, die man „Sarissophoren“ nannte, gegen die Skythen. (14) Mittlerweile waren die Sichelwagen, die unter den Vorkämpfern Verwirrung angerichtet hatten, auf die Phalanx losgefahren. Die Makedonen aber schöpften wieder Mut und nahmen sie mitten in ihre Reihen auf. (15) Einem Wall ähnlich standen sie, die Speere dicht aneinander geschlossen, und durchbohrten von beiden Seiten die Weichen der blindlings heranstürmenden Pferde. Dann begannen sie, die Wagen zu umzingeln und die Kämpfer, die darauf standen, herunterzustürzen. (16) Ungeheure Haufen gestürzter Pferde und ihrer Lenker bedeckten das Schlachtfeld. Letztere schafften es nicht, die scheuen Pferde zu zügeln, die durch häufiges Schütteln der Hälse nicht nur ihr Joch abgeworfen, sondern auch die Wagen umgestürzt hatten; verwundete Tiere schleiften die toten mit sich fort, und weder konnten die Erschreckten zum Stehen kommen noch die Geschwächten weiterlaufen. (17) Einige wenige Viergespanne jedoch kamen bis in die

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aciem iis, quibus inciderunt, miserabili morte consumptis: quippe amputata virorum membra humi iacebant et, quia calidis adhuc vulneribus aberat dolor, trunci quoque et debiles quidam arma non omittebant, donec multo sanguine effuso exanimati procumberent. (18) Interim Aretes Scytharum, qui impedimenta diripiebant, duce occiso gravius territis instabat. Supervenere deinde a Dareo Bactriani pugnaeque vertere fortunam. Multi ergo Macedonum primo impetu obtriti sunt, plures ad Alexandrum refugerunt. (19) Tum Persae clamore sublato, qualem victores solent edere, ferociter in hostem, quasi ubique profligatum, incurrerunt. Alexander territos castigare, adhortari, proelium, quod iam elanguerat, solus accendere, confirmatisque tandem animis ire in hostem iubet. (20) Rarior acies erat in dextro cornu Persarum: namque inde Bactriani discesserant ad opprimenda impedimenta. Itaque Alexander laxatos ordines invadit et multa caede hostium invehitur. (21) At qui in laevo cornu erant Persae, spe posse eum includi, agmen suum a tergo dimicantis opponunt; ingensque periculum in medio haerens adisset, ni equites Agriani calcaribus subditis circumfusos regi barbaros adorti essent aversosque caedendo in se obverti coegissent. Turbata erat utraque acies. Alexander et a fronte et a tergo hostem habebat. (22) Qui averso ei instabant, [et] ab Agrianis equitibus premebantur; Bactriani impedimentis hostium direptis reversi ordines suos recuperare non poterant; plura simul abrupta a ceteris agmina, ubicumque alium alii fors miscuerat, dimicabant. (23) Duo reges iunctis prope agminibus proelium accenderant. Plures Persae cadebant, par ferme utrimque numerus vulnerabatur. Curru Dareus, Alexander equo vehebatur. (24) Utrumque delecti tuebantur sui immemores: quippe amisso

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letzten Glieder der Schlachtordnung, wo sie denen, auf die sie trafen, einen jämmerlichen Tod bereiteten; denn abgemäht lagen die Glieder der Männer am Boden, und weil sie, solange die Wunden noch warm waren, keinen Schmerz empfanden, ließen manche auch verstümmelt und kraftlos die Waffen nicht los, bis sie durch den vielen Blutverlust entseelt zusammenbrachen. (18) Unterdessen hatte Aretes den Führer der Skythen, die das Gepäck plünderten, getötet und bedrängte die hierüber Bestürzten ziemlich heftig, als von Dareios gesandt die Baktrianer hinzukamen und dem Kampf eine neue Wendung gaben. Viele Makedonen wurden da beim ersten Angriff niedergeritten, die Mehrzahl floh zu Alexander zurück. (19) Da erhoben die Perser ein Geschrei, wie es für Sieger gewöhnlich ist, und stürmten wild auf den Feind los, als ob er überall geschlagen wäre. Alexander schimpfte mit den Erschreckten, ermunterte sie, feuerte allein den schon ermatteten Kampf an und befahl ihnen, nachdem sie endlich wieder Mut geschöpft hatten, gegen den Feind zu rücken. (20) Die Schlachtordnung der Perser auf dem rechten Flügel hatte an Dichte verloren, weil die Baktrianer von dort abgezogen waren, um den Tross zu überfallen. Alexander machte daher einen Angriff auf die gelockerten Reihen und drang unter schweren Verlusten der Feinde vor. (21) Die Perser auf dem linken Flügel aber zogen, in der Hoffnung, ihn einschließen zu können, den Kämpfenden in den Rücken; und so in die Mitte genommen wäre er in die größte Gefahr geraten, hätten nicht die agrianischen Reiter97 im Galopp die den König umringenden Barbaren angegriffen und, indem sie auf die Hintersten einhieben, sie gezwungen, sich gegen sie zu wenden. Beide Heere waren in Unordnung geraten. Alexander hatte den Feind sowohl vorn als im Rücken; (22) die ihn von hinten angriffen, wurden wieder von den agrianischen Reitern bedrängt, und die Baktrianer konnten, als sie nach der Plünderung des feindlichen Trosses zurückkehrten, ihre frühere Stellung nicht wieder einnehmen. Gleichzeitig kämpften auch noch mehrere von den Übrigen abgeschnittene Abteilungen, wo immer der Zufall sie mit diesen oder jenen zum Kampf durcheinandergewürfelt hatte. (23) Die beiden Könige hatten den Kampf wieder aufflammen lassen, als sich die Heere fast ineinandergeschoben hatten. In größerer Zahl fielen die Perser, fast gleich viele wurden auf beiden Seiten verwundet. Dareios fuhr auf seinem Wagen, Alexander ritt auf seinem Pferd. (24) Beide wurden von einer ausgewählten Mannschaft beschützt, die des eigenen Lebens nicht achtete; denn nach dem Verlust ihres

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rege nec volebant salvi esse nec poterant. Ante oculos sui quisque regis mortem occumbere ducebat egregium. (25) Maximum tamen periculum adibant quos maxime tuebantur: quippe sibi quisque caesi regis expetebat decus. (26) Ceterum, sive ludibrium oculorum sive vera species fuit, qui circa Alexandrum erant vidisse se crediderunt paulum super caput regis placide volantem aquilam, non sono armorum, non gemitu morientium territam, diuque circa equum Alexandri pendenti magis quam volanti similis apparuit. (27) Certe vates Aristander alba veste indutus et dextra praeferens lauream militibus in pugnam intentis avem monstrabat, haud dubium victoriae auspicium. (28) Ingens ergo alacritas et fiducia paulo ante territos accendit ad pugnam, utique postquam auriga Darei, qui ante ipsum sedens equos regebat, hasta transfixus est. Nec aut Persae aut Macedones dubitavere quin ipse rex esset occisus. (29) Ergo lugubri ululatu et incondito clamore gemituque totam fere aciem adhuc aequo Marte pugnantium turbavere cognati Darei et armigeri. Laevumque cornu in fugam effusum destituerat currum, quem a dextra parte stipati in medium agmen receperunt. (30) Dicitur acinace stricto Dareus dubitasse an fugae dedecus honesta morte vitaret. Sed eminens curru nondum omnem suorum aciem proelio excedentem destituere erubescebat, (31) dumque inter spem et desperationem haesitat, sensim Persae cedebant et laxaverant ordines. Alexander mutato equo – quippe plures fatigaverat – resistentium adversa ora fodiebat, fugientium terga. (32) Iamque non pugna, sed caedes erat, cum Dareus quoque currum suum in fugam vertit. Haerebat in tergis fugientium victor, sed prospectum oculorum nubes pulveris, quae ad caelum efferebatur, abstulerat; ergo haud secus quam in tenebris errabant ad sonum notae vocis aut signum subinde coeuntes. (33) Exaudie-

Geschichte Alexanders des Großen 4,15,24–4,15,33

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Königs wollten sie sich weder retten, noch hätten sie es gekonnt. Jedem schien es ruhmvoll, vor den Augen seines Königs den Tod zu finden. (25) Dennoch waren die, die sie so eifrig schützten, der größten Gefahr ausgesetzt, denn jeder versuchte, den feindlichen König zu töten, um größten Ruhm zu erlangen. (26) War es nun Täuschung der Augen oder eine wirkliche Erscheinung: Die Leute in der Umgebung Alexanders glaubten einen Adler zu sehen, der in geringer Höhe über dem Haupt des Königs ruhig flog, ohne sich durch das Getöse der Waffen oder das Gestöhn der Sterbenden schrecken zu lassen, und lange war er, mehr schwebend, wie es schien, als fliegend, um Alexanders Pferd sichtbar. (27) Der Wahrsager Aristandros wenigstens, in weißem Gewand und in der Rechten einen Lorbeerzweig vor sich haltend, deutete den Soldaten, die dem Kampf mit gespannter Aufmerksamkeit folgten, den Vogel als ein unzweifelhaftes Zeichen des Sieges. (28) Mächtig also entflammten Mut und Zuversicht die kurz zuvor Erschrockenen zum Kampf, zumal nachdem eine Lanze Dareios’ Wagenlenker, der vor ihm sitzend die Pferde zügelte, durchbohrt hatte. Es zweifelten auch weder Perser noch Makedonen, dass der König selbst getötet sei. (29) Und so brachte das klägliche Geheul und wilde Geschrei und Stöhnen seiner Verwandten und Waffenträger fast das ganze bisher noch unentschieden kämpfende Heer in Verwirrung: Der linke Flügel ergriff die Flucht und hatte schon den Wagen im Stich gelassen, den dann die auf der rechten Seite, dicht um ihn geschart, mitten in ihre Reihen aufnahmen. (30) Dareios, erzählt man, habe sein Schwert gezogen und geschwankt, ob er nicht der Schande der Flucht durch einen ehrenvollen Tod entgehen solle; aber auf seinem Wagen thronend schämte er sich, sein Heer, das ja noch nicht ganz aus dem Kampf entwich, im Stich zu lassen. (31) Während er jedoch noch zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin und her schwankte, wichen allmählich die Perser und ihre Reihen lösten sich. Alexander, der sein Pferd gewechselt hatte – er hatte schon mehrere müde geritten – durchbohrte die sich Widersetzenden von vorn, die Fliehenden von hinten; (32) und es war schon kein Kampf mehr, sondern ein Morden, als auch Dareios seinen Wagen zur Flucht wandte. Der Sieger saß dem Fliehenden auf dem Nacken, aber eine Wolke von Staub, die sich bis zum Himmel erhob, nahm jede Sicht, so dass man nicht anders als in der Dunkelheit umherirrte, sich hier und da nach dem Schall einer bekannten Stimme oder einem Signal zusammenfand. (33) Doch

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bant tamen strepitus habenarum, quibus equi currum vehentes identidem verberabantur: haec sola fugientis vestigia excepta sunt. 16 (1) At in laevo Macedonum cornu – Parmenio, sicut ante dictum, tuebatur – longe alia fortuna utriusque partis res gerebatur. Mazaeus cum omni suorum equitatu vehementer invectus urguebat Macedonum alas. (2) Iamque abundans multitudine aciem circumvehi coeperat, cum Parmenio equites nuntiare iubet Alexandro in quo discrimine ipsi essent: ni mature subveniretur, non posse sisti fugam. (3) Iam multum viae praeceperat rex imminens fugientium tergis, cum a Parmenione tristis nuntius venit. Refrenare equos iussi, qui vehebantur, agmenque constitit frendente Alexandro eripi sibi victoriam e manibus et Dareum felicius fugere quam se sequi. (4) Interim ad Mazaeum superati regis fama pervenerat. Itaque, quamquam validior erat, tamen fortuna partium territus perculsis languidius instabat. Parmenio ignorabat quidem causam sua sponte pugnae remissae, sed occasione vincendi strenue est usus. (5) Thessalos equites ad se vocari iubet: ‘Ecquid videtis’ inquit ‘istos, qui ferociter modo instabant, pedem referre subito pavore perterritos? Nimirum nobis quoque regis nostri fortuna vicit. Omnia Persarum caede strata sunt. (6) Quid cessatis? an ne fugientibus quidem pares estis?’ Vera dicere videbatur, et spes languentis quoque erexerat. Subditis calcaribus proruere in hostem. Et illi iam non sensim sed citato gradu recedebant, nec quicquam fugae, nisi quod nondum terga verterant, deerat. Parmenio tamen, ignarus quaenam in dextro cornu fortuna regis esset, repressit suos. (7) Mazaeus dato fugae spatio non recto itinere, sed maiore et ob id tutiore circuitu Tigrin superat et Babyloniam cum reliquiis devicti exercitus intrat. (8) Dareus paucis fugae comitibus ad Lycum amnem contenderat. Quo traiecto dubitavit an solveret

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hörte man das Klatschen der Zügel, die unaufhörlich auf die den Wagen ziehenden Pferde einschlugen. Das war die einzige Spur seiner Flucht, die sich wahrnehmen ließ. 16 (1) Aber auf dem linken makedonischen Flügel, den, wie oben erwähnt, Parmenion führte, wurde von beiden Parteien mit ganz anderem Ausgang gekämpft. Mazaios hatte mit seiner ganzen Reiterei heftig angegriffen und bedrängte die Geschwader der Makedonen. (2) Und schon hatte er mit seiner Übermacht ihre Stellung zu umgehen begonnen, als Parmenion einige Reiter beauftragte, Alexander zu melden, in welcher Gefahr sie sich befänden: Komme nicht schnellstens Hilfe, könne er die Flucht nicht verhindern. (3) Der König, den Flüchtigen hart auf den Fersen, war schon ein großes Wegstück vorausgeeilt, als die Unglücksbotschaft von Parmenion eintraf. Den Reitern wurde befohlen, die Pferde anzuhalten, und der Zug hielt still, während Alexander vor Zorn hervorstieß, dass ihm der Sieg aus den Händen gerissen werde, und Dareios auf seiner Flucht mehr Glück habe als er bei seiner Verfolgung. (4) Inzwischen war die Nachricht von der Niederlage des Königs zu Mazaios gelangt, der daher, obwohl im Vorteil, doch durch das Unglück seiner Partei erschreckt, die schon Mutlosen weniger heftig bedrängte. Parmenion kannte zwar die Ursache nicht, weshalb der Kampf von selbst ermattete, nutzte aber, ohne zu zögern, die Gelegenheit zum Sieg. (5) Er ließ die thessalischen Reiter zu sich rufen: „Seht ihr“, rief er, „die dort, die eben noch so wild auf euch eindrangen, wie sie von plötzlichem Schrecken ergriffen zurückweichen? Ja, auch für uns hat das Glück unseres Königs gesiegt. Das ganze Perserheer liegt geschlagen am Boden. (6) Was zögert ihr? Oder seid ihr nicht einmal dem fliehenden Feind gewachsen?“ Man hielt für wahr, was er sagte, und selbst die Ermatteten schöpften aus der Hoffnung neuen Mut. Sie gaben den Pferden die Sporen und stürzten auf den Feind los, der nun nicht mehr langsam, sondern mit beschleunigtem Schritt zurückwich, so dass zur Flucht nur noch gefehlt hätte, dass sie den Rücken gewandt hätten. Parmenion jedoch, der nicht wusste, wie es dem König auf dem rechten Flügel erging, hielt seine Leute zurück, (7) und da dadurch eine Pause im Kampf eintrat, zog Mazaios nicht auf der geraden Straße, sondern auf einem längeren und deshalb sichereren Umweg über den Tigris und erreichte Babylon mit den Resten des geschlagenen Heeres. (8) Dareios war mit wenigen Begleitern auf seiner Flucht zum Lykos98 geeilt und schwankte, nachdem er ihn überschritten hatte, ob er nicht die Brücke zerstö-

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pontem: quippe hostem iam adfore nuntiabatur. Sed tot milia suorum, quae nondum ad amnem pervenerant, ponte rescisso videbat hostis praedam fore. (9) Abeuntem, cum intactum sineret pontem, dixisse constat malle se sequentibus iter dare quam auferre fugientibus. Ipse ingens spatium fuga emensus media fere nocte Arbela pervenit. (10) Quis tot ludibria fortunae – ducum, agminum caedem multiplicem, devictorum fugam, clades nunc singulorum, nunc universorum – aut animo adsequi queat aut oratione complecti? Propemodum saeculi res in unum illum diem pro! fortuna cumulavit! (11) Alii qua brevissimum patebat iter, alii devios saltus et ignotas sequentibus calles petebant. Eques pedesque confusi, sine duce armatis inermes, integris debiles implicabantur. (12) Deinde misericordia in metum versa, qui sequi non poterant inter mutuos gemitus deserebantur. Sitis praecipue fatigatos et saucios perurebat, passimque omnibus rivis prostraverant corpora praeterfluentem aquam hianti ore captantes. (13) Quam cum avide turbidam hausissent, tendebantur extemplo praecordia premente limo, resolutisque et torpentibus membris, cum supervenisset hostis novis vulneribus excitabantur. (14) Quidam occupatis proximis rivis deverterant longius ut, quicquid occulti humoris usquam manaret, exciperent, nec ulla adeo avia et sicca lacuna erat ut vestigantium sitim falleret. (15) E proximis vero itineri vicis ululatus senum feminarumque exaudiebantur barbaro ritu Dareum adhuc regem clamantium. (16) Alexander, ut supra dictum est, inhibito suorum impetu ad Lycum amnem pervenerat, ubi ingens multitudo fugientium oneraverat pontem et plerique, cum hostis urgeret, in flumen se praecipitaverant gravesque armis et proelio ac fuga defetigati gurgitibus hauriebantur. (17) Iamque non pons modo fugi-

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ren solle, da man ihm meldete, der Feind werde gleich da sein. Doch sah er, dass, wenn er die Brücke abrisse, so viele tausend seiner Leute, die noch nicht zum Fluss gelangt waren, eine Beute des Feindes würden. (9) Daher soll er, indem er fortritt und die Brücke unversehrt ließ, gesagt haben, lieber wolle er seinen Verfolgern den Weg offen lassen, als ihn den Fliehenden verschließen. Er selbst erreichte, nachdem er auf seiner Flucht eine ungeheure Strecke schnell zurückgelegt hatte, um Mitternacht Arbela. (10) Wer könnte so viele Launen des Schicksals, den vielfältigen Tod von Führern und ganzen Abteilungen, die Flucht der Geschlagenen, die Niederlage bald einzelner, bald ganzer Massen sich vorstellen oder in Worte fassen? Die Ereignisse eines ganzen Menschenalters häufte, ach, das Schicksal zu jenem einen Tag auf. (11) Die einen eilten auf dem kürzesten Weg, der sich ihnen bot, andere durch seitwärts gelegene Wälder und auf den Verfolgern unbekannten Pfaden. Reiter und Fußvolk miteinander vermengt und ohne Führer, Waffenlose und Bewaffnete, Verwundete und Unversehrte drängten sich durcheinander. (12) Dann, als das Mitleid der Furcht weichen musste, wurden die, die nicht folgen konnten, unter gegenseitigem Jammern zurückgelassen. Besonders quälte die Ermatteten und Verwundeten brennender Durst, und überall hatten sie sich an den Bächen hingelegt, um mit offenen Mund das vorüberfließende Wasser aufzufangen. (13) Aber da sie in ihrer Gier auch trübes Wasser tranken, quollen sofort ihre Eingeweide durch den Druck des Schlammes auf, und waren sie nun an allen Gliedern erschlafft und kraftlos, wurden sie doch, wenn der Feind über sie kam, durch neue Verwundungen weitergejagt. (14) Manche hatten sich, da sie die nächsten Bäche besetzt fanden, weiter seitwärts gewandt, um irgendein verborgenes Wasser, das da floss, aufzufangen, und keine Lache war so unzugänglich und vertrocknet, dass sie dem Durst der Suchenden entgangen wäre. (15) Aus den am Weg liegenden Dörfern aber ließ sich das Geheul der Greise und Frauen vernehmen, die nach Sitte ihres Volkes den Namen des Dareios riefen, als sei er noch ihr König. (16) Alexander war, nachdem er, wie oben gesagt, das Vordringen seiner Leute aufgehalten hatte, zum Fluss Lykos gelangt, wo die große Masse der Flüchtigen die Brücke so überfüllt hatte, dass beim Herandrängen des Feindes sich sehr viele in den Fluss stürzten, von dessen Strudeln sie, durch ihre Waffen beschwert und von Kampf und Flucht ermattet, verschlungen wurden. (17) Und schon konnte

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entes, sed ne amnis quidem capiebat agmina sua improvide subinde cumulantis: quippe ubi intravit animos pavor, id solum metuunt, quod primum formidare coeperunt. (18) Alexander instantibus suis, impune abeuntem hostem permitteret sequi, hebetia esse tela et manus fatigatas tantoque cursu corpora exhausta et praeceps in noctem diei tempus causatus est; (19) re vera de laevo cornu, quod adhuc in acie stare credebat, sollicitus reverti ad ferendam opem suis statuit. Iamque signa converterat, cum equites a Parmenione missi illius quoque partis victoriam nuntiant. (20) Sed nullum hoc die maius periculum adiit, quam dum copias reducit in castra. Pauci eum et incompositi sequebantur ovantes victoria – quippe omnes hostes aut in fugam effusos aut in acie cecidisse credebant – (21) cum repente ex adverso apparuit agmen equitum, qui primo inhibuere cursum, deinde, Macedonum paucitate conspecta, turmas in obvios concitaverunt. (22) Ante signa rex ibat, dissimulato magis periculo quam spreto. Nec defuit ei perpetua in dubiis rebus felicitas: (23) namque praefectum equitatus avidum certaminis et ob id ipsum incautius in se ruentem hasta transfixit; quo ex equo lapso proximum ac dein plures eodem telo confodit. (24) Invasere turbatos amici quoque. Nec Persae inulti cadebant: quippe non universae acies quam hae tumultuariae manus vehementius iniere certamen. (25) Tandem barbari, cum obscura luce tutior fuga videretur esse quam pugna, dispersis agminibus abiere. Rex extraordinario periculo defunctus incolumnis suos reduxit in castra. (26) Cecidere Persarum, quorum numerum victores finire potuerunt, milia XL; Macedonum minus quam CCC desiderati sunt. (27) Ceterum hanc victoriam rex maiore ex parte virtuti quam fortunae suae debuit: animo, non, ut antea, loco vicit. (28) Nam et aciem peritissime instruxit et promptissime ipse pugnavit et magno consilio iacturam sarcinarum impe-

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nicht nur die Brücke keine Flüchtlinge mehr fassen, sondern auch nicht der Fluss die Scharen, die sich blind mehr und mehr darin anhäuften: Denn wo sich einmal Schrecken der Sinne bemächtigt hat, wird allein das gefürchtet, wovor man sich zuerst geängstigt hat. (18) Als seine Leute ihn nun drängten, die Verfolgung des ungestraft entkommenden Feindes zu gestatten, schützte Alexander vor, ihre Waffen seien stumpf, ihre Hände müde, ihre Kräfte durch die lange Verfolgung erschöpft, und der Tag neige sich schnell zu Ende. (19) In Wahrheit aber war er wegen des linken Flügels, den er noch im Kampf vermutete, besorgt und beschloss zurückzukehren, um seinen Leuten beizustehen. Und schon hatte er wenden lassen, als von Parmenion abgeschickte Reiter ihm auch den Sieg dieses Heeresteiles verkündeten. (20) Doch in keine größere Gefahr geriet er an diesem Tag als jetzt, als er seine Truppen ins Lager zurückführte. Wenige folgten ihm, schlecht geordnet und voll Freude über den Sieg, da man alle Feinde auf der Flucht ergriffen oder in der Schlacht gefallen glaubte; (21) da plötzlich erschien ihnen gegenüber ein Zug Reiter, der zuerst stillhielt, dann aber, als er die geringe Zahl der Makedonen bemerkt hatte, mit seinen Abteilungen auf die Entgegenkommenden losstürmte. (22) Der König ritt an der Spitze, die Gefahr mehr verschweigend als verachtend; aber das Glück, das ihn stets in gefährlichen Lagen begleitete, verließ ihn auch jetzt nicht. (23) Er durchbohrte nämlich den Führer der Reiter, der kampfbegierig und eben deshalb zu unvorsichtig auf ihn losrannte, mit dem Speer, und als dieser vom Pferd gestürzt war, tötete er den Nächsten und nachher noch mehrere mit derselben Waffe. (24) Auch seine Freunde griffen die Verwirrten an: Doch starben die Perser nicht ungerächt, da die gesamten Heere nicht hartnäckiger gekämpft hatten als diese eilig zusammengezogenen Haufen. (25) Endlich schien es den Barbaren sicherer, in der Dunkelheit zu fliehen, als weiterzukämpfen. Sie zerstreuten sich und ritten davon. Der König führte, nachdem er diese ungewöhnliche Gefahr bestanden, seine Leute wohlbehalten ins Lager zurück. (26) Von den Persern fielen, soweit die Sieger ihre Zahl bestimmen konnten, 40 000, von den Makedonen wurden weniger als 300 vermisst.99 (27) Im Übrigen verdankte der König diesen Sieg mehr seiner Tapferkeit als seinem Glück: Durch seinen Mut, nicht wie früher durch die Örtlichkeit, siegte er. (28) Denn einerseits stellte er sein Heer sehr geschickt auf, andererseits kämpfte er selbst mit großer Energie, endlich nahm er mit überlegener Einsicht den Verlust des Gepäcks und Trosses in Kauf,

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dimentorumque contempsit, cum in ipsa acie summae rei videret esse discrimen, dubioque adhuc pugnae eventu pro victore se gessit; (29) perculsos deinde hostium ‹ ut› fudit, fugientes, quod in illo ardore animi vix credi potest, prudentius quam avidius persecutus est. (30) Nam si parte exercitus adhuc in acie stante instare cedentibus perseverasset, aut culpa sua victus esset aut aliena virtute vicisset. Iam si multitudinem equitum occurrentium extimuisset, victori aut foede fugiendum aut miserabiliter cadendum fuit. (31) Ne duces quidem copiarum sua laude fraudandi sunt: quippe vulnera, quae quisque excepit, indicia virtutis sunt: (32) Hephaestionis brachium hasta ictum est, Perdicca et Coenos et Menidas sagittis prope occisi. (33) Et, si vere aestimare Macedonas, qui tunc erant, volumus, fatebimur et regem talibus ministris et illos tanto rege fuisse dignissimos.

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da er einsah, dass die Hauptentscheidung in der Schlacht selbst erfolge, und während der Erfolg des Kampfes noch zweifelhaft war, wusste er sich schon das Ansehen des Siegers zu geben. (29) Dann schlug er die in Angst versetzten Abteilungen der Feinde in die Flucht, verfolgte aber die Fliehenden, was bei seinem feurigen Temperament kaum glaublich scheinen mag, mit mehr Klugheit als Leidenschaft. (30) Denn hätte er, während ein Teil seines Heeres noch kämpfte, die Fliehenden verfolgt, so wäre er entweder durch seine eigene Schuld besiegt worden oder hätte den Sieg durch fremde Tapferkeit gewonnen. So hätte er sich vor der Überzahl der ihm begegnenden Reiter gefürchtet, und hätte, wenn er auch Sieger war, entweder schimpflich fliehen oder jämmerlich umkommen müssen. (31) Auch den Führern seiner Truppen darf ein gebührendes Lob nicht vorenthalten werden; denn die Wunden, die ein jeder empfing, sind Zeichen für ihre Tapferkeit. (32) Hephaistion wurde am Arm von einem Speer getroffen, Perdikkas, Koines und Menidas durch Pfeile beinahe getötet. (33) Und wenn wir die Makedonen, wie sie damals waren, angemessen würdigen wollen, so müssen wir bekennen, dass sowohl der König solcher Helfer wie auch diese eines so großen Königs ganz und gar würdig waren.

LIBER V 1 (1) Quae interim ductu imperioque Alexandri vel in Graecis vel Illyriis ac Thraecia gesta sunt, si suis quaeque temporibus reddere voluero, interrumpendae sunt res Asiae, (2) quas utique ad fugam mortemque Darei universas in conspectum dari et, sicut inter se cohaerent, ita opere ipso coniungi haud paulo aptius videri potest. Igitur, quae proelio apud Arbela coniuncta sunt, ordiar dicere. (3) Dareus media fere nocte Arbela pervenerat, eodemque magnae partis amicorum eius ac militum fugam fortuna compulerat. (4) Quibus convocatis exponit haud dubitare se quin Alexander celeberrimas urbes agrosque omni copia rerum abundantes petiturus esset: praedam opimam paratamque ipsum et milites eius spectare. (5) Id suis rebus tali in statu saluti fore: quippe se deserta cum expedita manu petiturum. Ultima regni sui adhuc intacta esse: inde bello vires haud aegre reparaturum. (6) Occuparet sane gazam avidissima gens et ex longa fame satiaret se auro, mox futura praedae sibi: usu didicisse pretiosam supellectilem paelicesque et spadonum agmina nihil aliud fuisse quam onera et impedimenta: eadem trahentem Alexandrum, quibus rebus antea vicisset, inferiorem fore. (7) Plena omnibus desperationis videbatur oratio, quippe Babylona, urbem opulentissimam, dedi cernentibus: iam Susa, iam cetera ornamenta regni, causam[que] belli, victorem occupaturum. (8) At ille docere pergit non speciosa dictu, sed usu necessaria in rebus adversis sequenda esse: ferro geri bella, non auro, viris, non urbium tectis.

BUCH 5 1 (1) Wollte ich das, was währenddessen unter Leitung und auf Befehl Alexanders teils in Griechenland, teils in Illyrien und Thrakien geschah, ein jedes zur entsprechenden Zeit erzählen, so müsste ich die Ereignisse in Asien unterbrechen; (2) es scheint aber angebrachter, sie bis zur Flucht und zum Tod des Dareios insgesamt darzustellen und sie ihrem Zusammenhang nach auch in meinem Geschichtswerk zu verknüpfen.1 Daher will ich zu erzählen beginnen, was sich an die Schlacht bei Arbela anschließt. (3) Dareios war gegen Mitternacht nach Arbela gekommen, und eben dorthin hatte das Glück auch die Flucht eines großen Teils seiner Freunde und Soldaten gelenkt. (4) Er rief sie zusammen und legte ihnen dar, dass Alexander ohne Zweifel gegen die berühmtesten Städte und die reichen Gegenden mit ihrem Überfluss an allem marschieren werde; eine fette und leicht zu gewinnende Beute nämlich hätten er selbst und seine Soldaten im Auge. (5) Dieses werde in der gegenwärtigen Lage für seine eigene Sache nützlich sein: Er wolle nämlich mit einer zum Kampf gerüsteten Schar in die Wüsten eilen. Die äußersten Teile seines Reiches seien noch unberührt, und von dort aus werde er ohne große Mühe neue Streitkräfte aufstellen können. (6) Solle das raubgierige Volk sich seines Schatzes bemächtigen und nach langem Hunger sich am Gold sättigen, so werde es doch binnen kurzem ihre Beute werden. Aus Erfahrung wisse er, dass kostbares Gerät, Nebenfrauen und Scharen von Eunuchen ihm eine Last und ein Hindernis gewesen seien. Schleppe Alexander das alles nun mit sich, so werde er durch eben die Dinge unterliegen, die ihm vorher der Sieg verschafft hätten. (7) Aus dieser Rede schien allen die Verzweiflung zu sprechen, da sie das unermesslich reiche Babylon preisgegeben sahen. Nun werde sich der Sieger auch Susas und der übrigen Schmuckstücke des Reiches bemächtigen, die ihn zum Krieg veranlasst hatten. (8) Dareios erklärte jedoch weiter, im Unglück müsse man nicht nach dem gehen, was schön klinge, sondern was die Notwendigkeit fordere: Mit dem Eisen führe man Krieg, nicht mit Gold, mit Männern, nicht mit den Häusern der

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Omnia sequi armatos: sic maiores suos perculsos in principio rerum celeriter pristinam reparasse fortunam. (9) Igitur sive confirmatis eorum animis sive imperium magis quam consilium sequentibus, Mediae fines ingressus est. (10) Paulo post Alexandro Arbela traduntur regia supellectile ditique gaza repleta – IIII milia talentum fuere – praeterea pretiosae vestes, totius, ut supra dictum est, exercitus opibus in illam sedem congestis. (11) Ingruentibus deinde morbis, quos odor cadaverum totis iacentium campis vulgaverat, maturius castra movit. Euntibus a parte laeva ‹***› a ‹dextra› Arabia, odorum fertilitate nobilis regio. (12) Campestre iter est ‹in terra› inter Tigrin et Euphraten iacenti tam uberi et pingui, ut a pastu repelli pecora dicantur, ne satietas perimat. Causa fertilitatis est humor qui ex utroque amne manat, toto fere solo propter venas aquarum resudante. (13) Ipsi amnes ex Armeniae montibus profluunt ac magno deinde aquarum divortio iter, quod coeperunt, percurrunt: II milia et quingenta stadia emensi sunt qui amplissimum intervallum circa Armeniae montes notaverunt. (14) Idem cum Mediae et Gordyaeorum terras secare coeperunt, paulatim in artius coeunt et, quo longius manant, hoc angustius inter se spatium terrae relinquunt. (15) Vicini maxime sunt in campis quos incolae Mesopotamiam appellant: mediam namque ab utroque latere cludunt.Tandem per Babyloniorum fines in Rubrum mare inrumpunt. (16) Alexander quartis castris ad Mennim urbem pervenit. Caverna ibi est, ex qua fons ingentem bituminis vim effundit, adeo ut satis constet Babylonios muros ingentis operis huius fontis bitumine interlitos esse. (17) Ceterum Babylona procedenti Alexandro Mazaeus, qui ex acie in eam urbem confugerat, cum adultis liberis supplex occurrit urbem seque dedens. Gratus adventus eius regi fuit:

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Städte. Alles falle den Bewaffneten zu. So hätten auch seine Vorfahren, wenn sie am Beginn ihrer Unternehmungen in Not geraten seien, schnell ihr früheres Glück wiederhergestellt. (9) Somit wandte er sich nach den Grenzen Mediens, mochte nun der Mut der Seinen bestärkt sein oder diese mehr seinem Gebot als seinem Rat folgen. (10) Kurz danach wurde Arbela an Alexander übergeben, das mit dem königlichen Gerät und einem reichen Schatz gefüllt war: 4 000 Talente waren es, außerdem kostbare Stoffe, da der Reichtum des ganzen Heeres, wie oben gesagt wurde, sich an diesem Platz angehäuft fand.2 (11) Als dann Krankheiten ausbrachen, die der Geruch der auf dem ganzen Landstrich herumliegenden Leichen verbreitet hatte, zog er vorzeitig weiter. Auf diesem Marsch, der sie durch ebenes Land führte, lag ihnen zur Linken ‹***›3, zur Rechten Arabien, durch seinen Reichtum an wohlriechenden Gewächsen berühmt. (12) Die Gegenden zwischen dem Tigris und dem Euphrat haben so reichen und fetten Boden, dass, wie man sagt, das Vieh von der Weide weggejagt wird, um sich nicht durch Übersättigung den Tod zu holen. Ursache dieser Fruchtbarkeit war die beiden Strömen entstammende Feuchtigkeit, die der Boden wegen der ihn durchziehenden Wasseradern fast überall ausschwitzte. (13) Die Ströme selbst kommen aus den armenischen Gebirgen, entfernen sich dann aber, indem sie den begonnenen Lauf verfolgen, weit voneinander. Die, die ihren weitesten Abstand in der Nähe der armenischen Gebirge aufgezeichnet haben, haben einen Weg von 2 500 Stadien zurückgelegt. (14) Dann, wenn sie durch Medien und das Land der Gordyaier4 fließen, nähern sie sich einander allmählich, und je weiter sie fließen, desto engeren Raum lassen sie zwischen sich. (15) Am allernächsten sind sie einander in dem Flachland, das die Einwohner Mesopotamien nennen, weil die Flüsse es von beiden Seiten in der Mitte einschließen. Endlich ergießen sie sich durch das Gebiet von Babylon in das Rote Meer.5 (16) Alexander gelangte in vier Tagesmärschen zu der Stadt Mennis. Dort befindet sich eine Höhle, aus der eine Quelle so gewaltige Massen von Erdpech6 auswirft, dass bekanntlich der ungeheuer große Bau der babylonischen Mauern mit dem Erdpech dieser Quelle gekittet worden ist. (17) Als er nun auf Babylon vorrückte, kam ihm Mazaios, der aus der Schlacht in diese Stadt geflohen war, mit seinen erwachsenen Kindern um Gnade flehend entgegen und übergab ihm die Stadt und sich selbst. Dem König war seine Ankunft willkommen, da die Belagerung

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quippe magni operis obsidio futura tam munitae urbis. (18) Ad hoc vir inlustris et manu promptus famaeque etiam proximo proelio celebris et ceteros ad deditionem suo incitaturus exemplo videbatur. Igitur hunc quidem benigne cum liberis excipit; (19) ceterum quadrato agmine, quod ipse ducebat, velut in aciem irent, ingredi suos iubet. Magna pars Babyloniorum constiterat in muris avida cognoscendi novum regem, plures obviam egressi sunt. (20) Inter quos Bagophanes, arcis et regiae pecuniae custos, ne studio a Mazaeo vinceretur, totum iter floribus coronisque constraverat, argenteis altaribus utroque latere dispositis, quae non ture modo sed omnibus odoribus cumulaverat. (21) Dona eum sequebantur greges pecorum equorumque; leones quoque et pardales caveis praeferebantur. (22) Magi deinde suo more carmen canentes, post hos Chaldaei Babyloniorumque non vates modo sed etiam artifices cum fidibus sui generis ibant, laudes hi regum canere soliti, Chaldaei siderum motus et statas vices temporum ostendere. (23) Equites deinde Babylonii suo equorumque cultu ad luxuriam magis quam ad magnificentiam exacto ultimi ibant. Rex armatis stipatus oppidanorum turbam post ultimos pedites ire iussit, ipse cum curru urbem ac deinde regiam intravit. Postero die supellectilem Darei et omnem pecuniam recognovit. (24) Ceterum ipsius urbis pulchritudo ac vetustas non regis modo sed etiam omnium oculos in semet haud immerito convertit. Samiramis eam condiderat, non, ut plerique credidere, Belus, cuius regia ostenditur. (25) Murus instructus laterculo coctili bitumine interlitus spatium XXX et duorum pedum ‹in› latitudinem amplectitur: quadrigae inter se occurrentes sine periculo commeare dicuntur. (26) Altitudo muri L cubitorum eminet spatio; turres denis pedibus quam murus altiores sunt. Totius operis ambitus CCCLXV stadia complectitur: singulorum stadiorum structuram singulis die-

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einer so stark befestigten Stadt große Mühe gekostet hätte. (18) Außerdem konnte man vermuten, dass der angesehene und persönlich tapfere Mann, der sich besonders durch die letzte Schlacht einen berühmten Namen gemacht hatte, auch die Übrigen durch sein Beispiel zur Übergabe veranlassen werde. Er nahm ihn also mit seinen Kindern gnädig auf; (19) doch gab er seinen Leuten den Befehl, gleich als ob es in die Schlacht ginge, in ein Viereck aufgestellt, das er selbst anführte, heranzuziehen. Ein großer Teil der Babylonier stand auf den Mauern, neugierig den neuen König zu sehen; noch mehr zogen ihm entgegen. (20) Unter diesen hatte der Wächter der Burg und des königlichen Schatzes, Bagophanes, um nicht an Zuvorkommenheit von Mazaios übertroffen zu werden, den ganzen Weg mit Blumen und Kränzen bestreuen lassen, während er zu beiden Seiten silberne Altäre aufgestellt hatte, die nicht nur mit Weihrauch, sondern mit allen möglichen Wohlgerüchen überhäuft waren. (21) Hinter ihm folgten als Geschenke Herden von Schlachtvieh und Pferden, ja es wurden in Käfigen Löwen und Panther vorausgetragen. (22) Dann kamen die Magier, die nach ihrer Sitte ein Lied sangen, hinter ihnen die Chaldaier und die babylonischen Wahrsager wie auch Musiker mit ihren eigentümlichen Saiteninstrumenten. Diese pflegten Loblieder auf ihre Könige zu singen, während die Chaldaier die Bewegung der Gestirne und den regelmäßigen Wechsel der Jahreszeiten erklärten.7 (23) Zuletzt kamen endlich die babylonischen Reiter, deren eigener Schmuck wie auch der ihrer Pferde mehr üppige Verschwendung als Pracht zeigte. Der König, von Bewaffneten umgeben, befahl den Scharen der Stadtbewohner, sich hinter den letzten Reihen des Fußvolkes anzuschließen; er selbst zog auf einem Wagen in die Stadt und nachher in den königlichen Palast ein. Am folgenden Tag besichtigte er den Hausrat des Dareios und seinen ganzen Schatz. (24) Übrigens zogen die Schönheit und das Alter der Stadt selbst nicht nur des Königs Augen, sondern auch die aller anderen mit Recht auf sich. Samiramis8 hatte sie gebaut, nicht, wie die meisten geglaubt haben, Belos, dessen Palast man noch zeigt. (25) Die Mauer, aus Backsteinen gebaut und mit Erdpech gekittet, hat eine Breite von 32 Fuß, so dass, wie man sagt, darauf Vierspänner ohne Gefahr aneinander vorbeifahren können.9 (26) Die Höhe der Mauer übersteigt 50 Ellen, die Türmen sind je noch zehn Fuß höher als die Mauer.10 Der Umfang des ganzen Baus beträgt 365 Stadien, und einer Erzählung zufolge soll pro Tag die Baustrecke eines Stadions fertiggestellt wor-

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bus perfectam esse memoriae proditum est. Aedificia non sunt admota muris, sed fere spatium iugeri unius absunt. (27) Ac ne totam quidem urbem tectis occupaverunt – per LXXX stadia habitabatur – nec omnia continua sunt, credo, quia tutius visum est pluribus locis spargi. Cetera serunt coluntque ut, si externa vis ingruat, obsessis alimenta ex ipsius urbis solo subministrentur. (28) Euphrates interfluit magnaeque molis crepidinibus coercetur. Sed omnium operum magnitudinem circumveniunt cavernae ingentes, in altitudinem pressae ad accipiendum impetum fluminis, quod ubi adpositae crepidinis fastigium excessit, urbis tecta corriperet, nisi essent specus lacusque qui exciperent. (29) Coctili laterculo structi sunt, totum opus bitumine adstringitur. Pons lapideus flumini impositus iungit urbem. Hic quoque inter mirabilia Orientis opera numeratus est: quippe Euphrates altum limum vehit, quo penitus ad fundamenta iacienda egesto vix suffulciendo operi firmum reppererunt solum. (30) Harenae autem subinde cumulatae et saxis, quis pons sustinetur, adnexae morantur amnem, qui retentus acrius quam si libero cursu mearet inliditur. (31) Arcem quoque ambitu XX stadia complexam habent. XXX pedes in terram turrium fundamenta demissa sunt, ad LXXX summum munimenti fastigium pervenit. (32) Super arcem, vulgatum Graecorum fabulis miraculum, pensiles horti sunt, summam murorum altitudinem aequantes multarumque arborum umbra et proceritate amoeni. (33) Saxo pilae, quae totum onus sustinent, instructae sunt; super pilas lapide quadrato solum stratum est patiens terrae, quam altam iniciunt, et humoris, quo rigant terras; adeoque validas arbores sustinet moles, ut stipites earum VIII cubitorum spatium crassitudine aequent, in L pedum altitudinem emineant frugiferaeque sint, ut si terra sua alerentur. (34) Et cum vetustas non opera solum manu facta, sed etiam ipsam naturam paulatim exedendo perimat, haec moles, quae tot arborum

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den sein.11 Die Gebäude lehnen sich nicht an die Mauer, sondern stehen ungefähr einen Morgen Land davon entfernt12. (27) Auch ist nicht die ganze Stadtfläche bebaut; nur auf einer Strecke von 80 Stadien stehen Wohnhäuser und auch diese nicht ohne Unterbrechung, vielleicht, weil man es für sicherer hielt, sie an mehreren Punkten zu verstreuen. Den übrigen Raum nutzt man zur Landwirtschaft, so dass der Boden der Stadt selbst den Belagerten Lebensmittel gewähren kann, wenn eine auswärtige Streitmacht einbricht. (28) Durch sie fließt der Euphrat, durch mächtige Ufermauern eingedämmt13. Doch um alle diese riesigen Bauten ziehen sich ungeheuer tief ausgegrabene Sammelbecken, um die einbrechende Gewalt des Stromes in sich aufzunehmen. Denn wenn dieser die Höhe der ihn umgebenden Dämme überschritten hat, so würde er die Häuser der Stadt mit sich fortreißen, wenn nicht die Gruben und Bassins da wären, ihn aufzunehmen. (29) Sie sind aus Backstein gemauert und der ganze Bau ist mit Erdpech verkittet. Eine steinerne Brücke über den Fluss verbindet die Stadtteile. Auch sie zählt zu den Wunderwerken des Orients14; denn der Euphrat führt tiefen Schlamm mit sich, und obwohl man diesen, um den Grund zu legen, gänzlich entfernt hatte, fand man doch kaum einen zur Unterlage eines festen Baus geeigneten Boden. (30) Aber der allmählich aufgehäufte und um die steinernen Brückenpfeiler gelegte Sand hemmt den Strom, der infolge dieses Hindernisses heftiger anstößt, als wenn er frei dahinflösse. (31) Auch die Burg hat 20 Stadien Umfang. Das Fundament ihrer 31 Türme ist 30 Fuß tief in die Erde gelegt und ihre Befestigungswerke erheben sich an ihrem höchsten Punkt bis zu 80 Fuß. (32) Oberhalb der Burg befindet sich das durch die Erzählungen der Griechen allbekannte Wunderwerk der Hängenden Gärten, deren Höhe der der Mauern gleichkommt und deren Reiz der Schatten und hohe Wuchs ihrer zahlreichen Bäume ausmacht15. (33) Es sind steinerne Pfeiler errichtet, auf denen die ganze Last ruht; über die Pfeiler ist ein Boden von Quadersteinen gelegt, der die hoch daraufgehäufte Erde und die Feuchtigkeit tragen kann, mit der man die Erde bewässert. Und die Bäume, die dieser Bau trägt, sind so mächtig, dass ihre Stämme eine Dicke von acht Ellen Umfang erreichen und sich zu einer Höhe von 50 Fuß erheben; sie tragen Früchte, als ob sie in ihrem gewohnten Boden wüchsen. (34) Und obwohl das Alter nicht nur die Werke von Menschenhand, sondern sogar die der Natur allmählich zernagt und vernichtet, so besteht doch dieser Riesenbau unversehrt fort, auf den so viele Bäume mit

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radicibus premitur tantique nemoris pondere onerata est, inviolata durat: quippe XX ‹pedes› lati parietes sustinent XI pedum intervallo distantes, ut procul visentibus silvae montibus suis imminere videantur. (35) Syriae regem Babylone regnantem hoc opus esse molitum memoriae proditum est amore coniugis victum, quae desiderio nemorum silvarumque in campestribus locis virum compulit amoenitatem naturae genere huius operis imitari. (36) Diutius in hac urbe quam usquam constitit rex, nec alio loco disciplinae militari magis nocuit. Nihil urbis eius corruptius moribus, nihil ad inritandas inliciendasque immodicas cupiditates instructius. (37) Liberos coniugesque cum hospitibus stupro coire, modo pretium flagitii detur, parentes maritique patiuntur. Convivales ludi tota Perside regibus purpuratisque cordi sunt, Babylonii maxime in vinum et quae ebrietatem sequuntur effusi sunt. (38) Feminarum convivia ineuntium in principio modestus est habitus, dein summa quaeque amicula exuunt paulatimque pudorem profanant, ad ultimum – honos auribus habitus sit – ima corporum velamenta proiciunt. Nec meretricum hoc dedecus est sed matronarum virginumque, apud quas comitas habetur vulgati corporis vilitas. (39) Inter haec flagitia exercitus ille domitor Asiae per XXXIIII dies saginatus ad ea, quae sequebantur, discrimina haud dubie debilior futurus fuit, si hostem habuisset. Ceterum quo minus damnum sentiret, identidem incremento renovabatur. (40) Namque Amyntas Andromeni ab Antipatro Macedonum peditum VI milia adduxit, D praeterea eiusdem generis equites, (41) cum his DC Thracas adiunctis peditibus suae gentis III milibus D, et ex Peloponneso mercennarius miles ad IIII milia advenerat cum trecentis octoginta equitibus. (42) Idem Amyntas adduxerat L principum Macedoniae liberos adultos ad custodiam corporis: quippe inter epulas hi sunt regibus ministri, idemque equos ineuntibus proelium admovent venantesque comitantur et vigiliarum vices ante cubiculi fores servant, magnorumque

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ihren Wurzeln drücken und auf dem die Last eines solchen Parks ruht. Denn 20 Fuß breite Mauern stützen ihn, die in einer Entfernung von elf Fuß voneinander stehen, so dass es aus der Ferne aussieht, als ob sich eine Waldung über ihrem Berg erhöbe. (35) Man erzählt, ein König von Syrien16, der über Babylon herrschte, habe dieses Werk erschaffen, aus Liebe zu seiner Gattin17, die sich in der ebenen Gegend nach Wäldern und Hainen sehnte und ihren Gemahl antrieb, die Reize der Natur durch ein derartiges Bauwerk nachzuahmen. (36) Länger als irgendwo verweilte der König in Babylon, aber durch keinen anderen Aufenthalt schadete er der militärischen Disziplin mehr. In keiner Stadt nämlich herrscht solche Sittenverderbnis, keine ist geeigneter, zu unmäßigen Begierden zu reizen und zu verlocken. (37) Eltern und Gatten dulden es, dass ihre Töchter und Gattinnen mit Fremden unzüchtigen Umgang haben, wenn nur Geld für die Schande gezahlt wird.18 Zechgelage sind in ganz Persien eine Lieblingsbeschäftigung der Könige und ihrer Höflinge; am meisten aber sind die Babylonier dem Wein und allen Ausschweifungen der Trunksucht ergeben. (38) Die Frauen, die den Gastmählern beiwohnen, verhalten sich zuerst noch anständig, dann legen sie die Oberkleidung ab und allmählich werden sie immer schamloser, so dass sie zuletzt – das sei mit Rücksicht auf den Leser gesagt – auch die letzten Hüllen fallen lassen. So übel führen sich nicht Dirnen auf, sondern verheiratete Frauen und Jungfrauen; bei ihnen gilt es als schicklich, den Körper käuflich preiszugeben. (39) Mitten unter diesen schändlichen Ausschweifungen schwelgte jenes Heer, das Asien bezwungen hat, 34 Tage lang, und wäre ohne Zweifel für die folgenden Kämpfe zu geschwächt gewesen, wenn es einen Feind gehabt hätte. Um übrigens seine Verluste weniger zu spüren, wurde es immer wieder durch neuen Nachschub verstärkt. (40) Amyntas, der Sohn des Andromenes19, führte nämlich von Antipatros 6 000 makedonische Fußsoldaten herbei, dazu 500 Reiter gleichen Stammes; (41) außerdem 600 thrakische Reiter und 3 500 ebenfalls thrakische Fußsoldaten. Auch von der Peloponnes waren etwa 4 000 Söldner und 380 Reiter angekommen. (42) Zugleich hatte Amyntas als königliche Leibwache 50 erwachsene Söhne der vornehmsten Makedonen mitgebracht, die beim Mahl für ihre Könige aufwarten, ferner, wenn sie in den Kampf ziehen, ihnen die Pferde vorführen, sie auf der Jagd begleiten und abwechselnd vor der Tür des Schlafzimmers Wache stehen – eine Ausbildungs-

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praefectorum et ducum haec incrementa sunt et rudimenta. (43) Igitur rex arci Babyloniae Agathone praesidere iusso cum septingentis Macedonum trecentisque mercede conductis praetores, qui regioni Babyloniae ac Ciliciae praeessent, Menetem et Apollodorum relinquit. II milia iis militum cum mille talentis data; utrique praeceptum ut in supplementum milites legerent. (44) Mazaeum transfugam satrapea Babyloniae donat, Bagophanem, qui arcem tradiderat, se sequi iussit; Armenia Mithreni, Sardium proditori, data est. (45) Ex pecunia deinde Babyloniae tradita Macedonum equitibus sesceni denarii tributi; peregrinus eques quingenos accepit; duceni ‹***› pedes trium stipendium mensum. 2 (1) His ita compositis in regionem, quae [satrape‹a] Sittace›ne vocatur, pervenit: fertilis terra, copia rerum et omni commeatu abundans. (2) Itaque diutius ibi substitit ac, ne desides otio demitterent animos, iudices dedit praemiaque proposuit de virtute militari certantibus. (3) Novem, qui fortissimi iudicati essent, singulis militum milibus praefuturi erant – chiliarchas vocabant – tunc primum in hunc numerum copiis distributis: namque antea quingenariae cohortes fuerant nec fortitudinis praemia cesserant. (4) Ingens militum turba convenerat egregio interfutura certamini, testis eadem cuiusque factorum et de iudicibus latura sententiam: quippe verone an falso honos cuique haberetur ignorari non poterat. (5) Primus omnium virtutis causa donatus est Atarrhias senior, qui omissum apud Halicarnason a iunioribus proelium unus maxime accenderat, proximus ei Antigenes visus est, tertium locum Philotas Augaeus obtinuit, quartus Amyntae datus, post hos Antigonus et ab eo Lyncestes Amyntas fuit, septimum locum Theodotus, ‹***› ultimum obtinuit Hellanicus. (6) In disciplina quoque militaris rei a maioribus ‹tradita› pleraque summa utilitate mutavit. Nam cum ante equites in suam quisque gentem discriberentur seorsus a ceteris, exempto nationum discrimine praefectis non utique suarum gen-

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stätte für den Nachwuchs hoher Beamter und Heerführer.20 (43) Der König übergab die Burg von Babylon Agathon mit einer Mannschaft von 700 Makedonen und 300 Söldnern. Als Befehlshaber über Babylonien und Kilikien ließ er Menes und Apollodoros zurück, denen er 2 000 Mann und 1 000 Talente gab, und beauftragte beide, zu ihrer Verstärkung mehr Soldaten anzuwerben.21 (44) Dem Überläufer Mazaios verlieh er die Satrapie Babylonien, dem Bagophanes, der ihm die Burg übergeben hatte, befahl er, ihm zu folgen; Armenien wurde dem Verräter von Sardeis, Mithrenes, gegeben. (45) Aus dem ihm in Babylon übergebenen Schatz erhielt jeder makedonische Reiter 600 Denare22, ein fremder Reiter 500, 200 ‹***›23 und das Fußvolk dreifachen Zweimonatssold24. 2 (1) Nachdem dies so geordnet war, gelangte er in die Landschaft Sittakene25, eine fruchtbare Gegend, die einen Überfluss an allen Dingen und jeder Art von Lebensmitteln hat. (2) Deshalb machte er hier länger Halt, und damit seine Soldaten nicht durch Trägheit und Ruhe erschlafften, stellte er Schiedsrichter auf und setzte Belohnungen für den Wettstreit in militärischer Tapferkeit aus. (3) Die neun, die zu den Tapfersten erklärt würden, sollten jeder 1 000 Soldaten befehligen, mit dem Titel „Chiliarch“. Damals wurden auch zum ersten Mal die Truppen nach dieser Zahl eingeteilt, während es vorher Abteilungen von 500 Mann gegeben hatte, die nicht als Belohnung für Tapferkeit zugeteilt wurden.26 (4) Eine ungeheure Menge von Soldaten war zusammengeströmt, um den besonderen Wettkampf zu verfolgen, zugleich Zeuge der Taten eines jeden und bereit, ihr Urteil über die Richter abzugeben, da nicht verborgen bleiben konnte, ob ihm die Ehre zu Recht oder zu Unrecht zuerkannt würde. (5) Den ersten Preis unter allen erhielt wegen seiner Tapferkeit Atharrias, ein alter Soldat, der bei Halikarnassos den von seinen jüngeren Kameraden aufgegebenen Kampf fast ganz allein wieder aufgenommen hatte.27 Zum zweiten Sieger erklärte man Antigenes28; den dritten Platz erhielt Philotas aus Augaia29, den vierten Amyntas; nach ihnen kam Antigonos und danach der Lynkestier Amyntas; den siebten Platz belegte Theodotos, ‹***›30 den letzten Hellanikos. (6) Auch in der Einrichtung des Heeres änderte er sehr vieles Überkommene aus alter Zeit auf höchst vorteilhafte Weise. Während zum Beispiel früher die Reiter – ein jeder bei seinem eigenen Stamm – eingereiht wurde, so hob er den Unterschied der Nationen auf und teilte sie erlesenen Führern

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tium, sed delectis attribuit. (7) Tuba, cum castra movere vellet, signum dabat, cuius sonus plerumque tumultuantium fremitu exoriente haud satis exaudiebatur; ergo perticam, quae undique conspici posset, supra praetorium statuit, ex qua signum eminebat pariter omnibus conspicuum: observabatur ignis noctu, fumus interdiu. (8) Iamque Susa ei adituro Abulites, regionis eius praefectus, sive Darei iussu, ut Alexandrum praeda retineret, sive sua sponte filium obviam misit, traditurum se urbem promittens. (9) Benigne iuvenem excepit rex, et eodem duce ad Choaspin amnem pervenit, delicatam, ut fama est, vehentem aquam. Hic Abulites cum donis regalis opulentiae occurrit. (10) Dromades cameli inter dona erant velocitatis eximiae, XII elephanti a Dareo ex India acciti, iam non terror, ut speraverant, Macedonum, sed auxilium, opes victi ad victorem transferente fortuna. (11) Ut vero urbem intravit, incredibilem ex thesauris summam pecuniae egessit: L milia talentum argenti non signati forma, sed rudi pondere. (12) Multi reges tantas opes longa aetate cumulaverant liberis posterisque, ut arbitrabantur, quas una hora in externi regis manus intulit. (13) Consedit deinde in regia sella multo excelsiore quam pro habitu corporis. Itaque, cum pedes summum gradum non contingerent, unus ex regiis pueris mensam subdidit pedibus. (14) Et cum spadonem, qui Darei fuerat, ingemiscentem conspexisset rex, causam maestitiae requisivit. Ille indicat Dareum vesci in ea solitum, seque sacram eius mensam ad ludibrium reccidentem sine lacrimis conspicere non posse. (15) Subiit ergo regem verecundia violandi hospitales deos, iamque subduci iubebat, cum Philotas: ‘Minime vero haec feceris, rex, sed omen quoque accipe, mensam, ex qua libavit hostis epulas, tuis pedibus esse subiectam.’ (16) Rex Persidis finem aditurus Susa urbem Archelao et praesidium III milium tradidit, Xenophilo arcis cura mandata est

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zu, ohne Rücksicht darauf, ob sie vom gleichen Stamm waren. (7) Wenn aufgebrochen werden sollte, gab man das Signal mit der Trompete, deren Signal jedoch in dem Aufbruchslärm meist nicht richtig zu hören war; er errichtete also über dem Königszelt eine hohe Stange, die nach allen Seiten hin sichtbar war, und auf dieser erhob sich das allen gleich sichtbare Signal, nachts ein Feuer, bei Tag eine Rauchsäule. (8) Als er nach Susa marschieren wollte, schickte ihm Abulites, der Statthalter jener Gegend, sei es auf Dareios’ Befehl, um Alexander durch die Beute aufzuhalten, oder sei es aus eigenem Antrieb, seinen Sohn entgegen, mit dem Versprechen, ihm die Stadt zu übergeben31. (9) Der König nahm den jungen Mann freundlich auf und gelangte unter seiner Führung zum Fluss Choaspis32, der, wie man sagt, sehr wohlschmeckendes Wasser hat. Hier kam ihm Abulites mit wahrhaft königlichen Geschenken entgegen, (10) darunter Dromedare von ausgezeichneter Schnelligkeit und zwölf Elefanten, die Dareios aus Indien hatte bringen lassen, nun nicht mehr ein Schrecken, wie er gehofft hatte, sondern eine Hilfe für die Makedonen, da das Schicksal die Schätze des Besiegten dem Sieger in die Hände gab. (11) Und als er in die Stadt eingezogen war, ließ er aus den Schatzkammern eine unglaubliche Menge Geld fortbringen, 50 000 Talente Silber, noch ungeprägt und in rohen Stücken33. (12) Viele Könige hatten in einer langen Reihe von Jahren diese ungeheuren Schätze für ihre Kinder und Nachkommen, wie sie meinten, angehäuft, und nun brachte sie eine einzige Stunde in die Hände des fremden Königs. (13) Er setzte sich daraufhin auf den königlichen Thron, der jedoch für seine Körpergröße viel zu hoch war. Da also seine Füße die oberste Stufe nicht erreichten, stellte einer von den königlichen Pagen einen Tisch darunter; (14) und als der König einen Eunuchen, der dem Dareios angehört hatte, darüber seufzen sah, fragte er ihn nach dem Grund seines Schmerzes. Dieser antwortete, gewöhnlich habe Dareios an diesem Tisch gegessen, und er könne nicht ohne Tränen sehen, wie dessen geheiligter Tisch nun zum Gespött werde. (15) Da ergriff den König die Furcht, die Götter des Gastrechts zu verletzen, und er wollte schon den Befehl geben, ihn wegzunehmen, als Philotas rief: „Tu das ja nicht, mein König, sondern sieh es vielmehr als ein Vorzeichen an, dass der Tisch, von dem dein Feind seine Mahlzeiten eingenommen hat, dir unter die Füße gestellt worden ist.“ (16) Schon bereit, an die Grenzen der Landschaft Persis vorzurücken, übergab der König die Stadt Susa mit einer Besatzung von 3 000 Mann dem

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mille Macedonum aetate gravibus praesidere arcis custodiae iussis, (17) thesaurorum Callicrati tutela permissa, satrapea regionis Susianae restituta Abulitae. Matrem quoque et liberos ‹regis› in eadem urbe deponit. (18) Ac forte Macedonicas vestes multamque purpuram dono ex Macedonia sibi missam cum his, quae confecerant, tradi Sisigambi iubet – omni namque honore eam et filii quoque pietate prosequebatur – (19) admonerique iussit ut, si cordi [quoque] vestis esset, conficere eam neptes suas adsuefaceret; dono se, quae docerent, dare. Ad hanc vocem lacrimae obortae prodidere animum aspernantis id munus: quippe non aliud magis in contumeliam Persarum feminae accipiunt quam admovere lanae manus. (20) Nuntiant qui dona tulerant tristem esse Sisigambim, dignaque res et excusatione et solacio visa. Ipse ergo pervenit ad eam et ‘Mater’ inquit, ‘hanc vestem, qua indutus sum, sororum non donum solum sed etiam opus vides: nostri decepere me mores. (21) Cave, obsecro, in contumeliam acceperis ignorationem meam. Quae tui moris esse cognovi, ut spero, abunde servata sunt. (22) Scio apud vos filio in conspectu matris nefas esse considere, nisi cum illa permisit: quotienscumque ad te veni, donec ut considerem adnueres, restiti. Procumbens venerari me saepe voluisti: inhibui. Dulcissimae matri Olympiadi nomen debitum tibi reddo.’ 3 (1) Mitigato animo eius rex quartis castris pervenit ad Tigrim fluvium; Pasitigrim incolae vocant. Oritur in montibus Uxiorum et per L stadia silvestribus ripis praeceps inter saxa devolvitur. (2) Accipiunt deinde eum campi, quos clementiore alveo praeterit, iam navium patiens. DC sunt stadia mollioris soli, per quod leni tractu aquarum Persico mari se insinuat. (3) Amne superato, cum VIIII milibus peditum et Agrianis sagittariisque ‹et› Graecorum mercen-

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Archelaos; Xenophilos wurde Aufseher über die Burg, als Burgwache ließ er 1 000 makedonische Soldaten zurück, denen ihr Alter zu schaffen machte. (17) Die Überwachung der Schatzkammern wurde Kallikrates anvertraut und die Satrapie Susiane wurde Abulites zurückgegeben. Auch Dareios’ Mutter und Kinder ließ er in dieser Stadt zurück. (18) Zufällig waren ihm makedonische Gewänder und viele Purpurstoffe zum Geschenk aus Makedonien geschickt worden. Er befahl sie zusammen mit den Frauen, die sie angefertigt hatten, zu Sisygambis zu bringen, der er jegliche Ehre, ja die Ehrerweisung eines Sohnes zu bekunden pflegte. (19) Zugleich ließ er ihr sagen, wenn ihr die Stoffe gefielen, solle sie ihre Enkelinnen in der Anfertigung solcher Kleider unterweisen lassen; er mache ihnen die Mädchen, die sie darin unterrichten könnten, zum Geschenk. Als sie dies hörte, brach Sisygambis in Tränen aus, die verrieten, dass ihr dieses Geschenk zur Schmach wurde; denn nichts halten die persischen Frauen für schimpflicher, als sich mit Wollarbeit zu beschäftigen. (20) Die Überbringer der Geschenke meldeten Alexander, wie betreten Sisygambis darüber sei, und es schien ihm daher passend, sich zu entschuldigen und sie zu trösten. Er ging also selbst zu ihr und sprach: „Sieh, Mutter, dieses Gewand, mit dem ich bekleidet bin, ist nicht allein ein Geschenk, sondern auch eine Arbeit meiner Schwestern. Unsere Sitten haben mich zu dem Irrtum verleitet. (21) Deute also, ich beschwöre dich, meine Unwissenheit nicht als Beschimpfung. Soweit ich mit euren Sitten bekannt bin, habe ich sie, wie ich hoffe, dir gegenüber weit gehend beachtet. (22) Ich weiß, dass es sich bei euch für den Sohn nicht gehört, sich vor den Augen der Mutter niederzusetzen, außer wenn sie es ihm erlaubt hat. Darum bin ich, so oft ich zu dir gekommen bin, stehen geblieben, bis du mich zum Sitzen auffordertest. Des Öfteren hast du vor mir niederfallen wollen: Ich habe es verhindert; und den Namen, der nur meiner vielgeliebten Mutter Olympias zukommt, lege ich dir bei.“ 3 (1) Nachdem er sie beruhigt hatte, gelangte er in vier Tagesmärschen zum Tigris, der bei den Einwohnern Pasitigris heißt34. Er entspringt auf den Gebirgen der Uxier und fließt 50 Stadien weit zwischen waldigen Ufern und Felsen reißend hinab. (2) Dann nehmen ihn Ebenen auf, die er, schon fähig Schiffe zu tragen, sanfteren Laufes durchzieht. Es folgen 600 Stadien weicheren Bodens, durch den seine Gewässer gemächlich hinfließen, um sich mit dem persischen Meer zu vermischen35. (3) Nachdem er den Fluss überschritten hatte, kam er mit 9 000 Mann Fußvolk, den Agrianern, den Bogen-

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nariorum tribus milibus, additis mille Thracum, in regionem Uxiorum pervenit. Finitima Susis est et in primam Persidem excurrit, artum inter se et Susianos aditum relinquens. (4) Medates erat regionis praefectus, haud sane temporum homo: quippe ultima pro fide experiri decreverat. (5) Sed periti locorum Alexandrum docent occultum iter esse per calles et aversum ab urbe: si paucos misisset leviter armatos, super capita hostium evasuros. (6) Cum consilium placuisset, idem itinerum fuerunt duces. M et D mercede conducti et Agriani fere M Tauroni praefecto dati, ac post solis occasum iter ingredi iussi. (7) Ipse tertia vigilia castris motis circa lucis ortum superat angustias, caesaque materia cratibus et pluteis faciundis, ut qui turres admoverent extra teli iactum essent, urbem obsidere coepit. (8) Praerupta erant omnia saxis et cotibus impedita. Multis ergo vulneribus depulsi, ut quibus non cum hoste solum sed etiam cum loco dimicandum esset, subibant tamen, (9) quia rex inter primos constiterat interrogans tot urbium victores an erubescerent haerere in obsidione castelli exigui et ignobilis, simul admonens ‹***› inter haec eminus petebatur; quem testudine obiecta milites – ut decederet, pellere nequierant – tuebantur. (10) Tandem Tauron super arcem urbis se cum suo agmine ostendit; ad cuius conspectum et hostium animi labare et Macedones acrius proelium inire coeperunt. (11) Anceps oppidanos malum urgebat, nec sisti vis hostium poterat. Paucis ad moriendum, pluribus ad fugam animus fuit, magna pars in arcem concessit. Inde XXX oratoribus missis ad deprecandum triste responsum a rege redditur, non esse veniae locum. (12) Itaque suppliciorum quoque metu perculsi ad Sisigambim, Darei matrem, occulto itinere ignotoque hostibus mittunt qui peterent ut

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schützen, 3 000 griechischen Söldnern und 1 000 Thrakern in das Gebiet der Uxier. Dieses grenzt zunächst an Susa und erstreckt sich bis an die Grenzen von Persien, zwischen sich und Susiane nur einen engen Zugang offen lassend. (4) Befehlshaber über diese Gegend war Medates36, ein Mann, der nicht nur für die Gegenwart herrschen wollte, sondern entschlossen war, um seiner Pflicht willen das Äußerste zu versuchen. (5) Doch durch Ortskundige erfuhr Alexander, dass es einen versteckten Bergpfad in einiger Entfernung von der Stadt gebe; schicke er eine geringe Anzahl Leichtbewaffneter ab, so würden sie noch oberhalb der Feinde herauskommen. (6) Ihr Rat wurde angenommen, und sie selbst dienten als Führer. 1 500 Söldner und ungefähr 1 000 Agrianer erhielten unter der Führung Taurons37 den Befehl, sich nach Sonnenuntergang auf den Weg zu machen. (7) Er selbst ließ in der dritten Nachtwache aufbrechen, passierte gegen Tagesanbruch den Engpass und begann die Belagerung der Stadt, nachdem er zur Fertigung von Schanzkörben und Schutzdächern Holz hatte fällen lassen, um diejenigen, die Türme zur Belagerung heranrückten, vor Wurfgeschossen zu sichern. (8) Alles war äußerst steil und durch Felsen und Klippen unzugänglich. Zahlreiche Verwundungen trieben sie daher anfangs zurück, da man nicht nur mit dem Feind, sondern auch mit der Örtlichkeit zu kämpfen hatte. Dennoch drangen sie vor, (9) weil der König sich unter die Vordersten gestellt hatte und fragte, ob sie, die Bezwinger so vieler Städte, nicht erröteten, sich bei der Belagerung eines kleinen und unbekannten Kastells aufzuhalten; gleichzeitig erinnerte er sie daran ‹***›38 Unterdessen wurde er von weitem beschossen. Aber die Soldaten schützten ihn durch ein vor ihm gebildetes Schilddach, da sie ihn nicht dazu bewegen konnten, den Kampf zu verlassen. (10) Endlich zeigte sich Tauron mit seiner Schar oberhalb der Burg der Stadt, und bei seinem Anblick sank bei den Feinden der Mut, und die Makedonen begannen, heftiger anzugreifen. (11) Von zwei Seiten drohte den Verteidigern Gefahr, und der Andrang der Feinde ließ sich nicht mehr hemmen. Wenige waren zu sterben entschlossen, die Mehrzahl dachte an Flucht, und ein großer Teil zog sich in die Burg zurück. Von dort wurden dreißig Unterhändler geschickt, um Gnade zu erbitten; doch erhielten sie vom König die harte Antwort, dass Gnade nicht geboten sei. (12) In ihrer Furcht vor einem grausamen Tod schickten sie auf einem geheimen, dem Feind unbekannten Weg daher zu Dareios’ Mutter Sisygambis, um sie zu bitten, den König milder zu stimmen; sie wuss-

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ipsa regem mitigaret, haud ignari parentis eam loco diligi colique. Et Medates sororis eius filiam secum matrimonio iunxerat, Dareum propinqua cognatione contingens. (13) Diu Sisigambis supplicum precibus repugnavit abnuens deprecationem pro illis [non] convenire fortunae in qua esset, adicitque metuere sese ne victoris indulgentiam fatigaret, saepiusque cogitare captivam esse se quam reginam fuisse. (14) Ad ultimum victa litteris Alexandrum ita deprecata est, ut ipsum excusaret quod deprecaretur: petere se, ut illis quoque, si minus sibi ignosceret; pro necessario ac propinquo suo, iam non hoste, sed supplice, tantum vitam precari. (15) Moderationem clementiamque regis, quae tunc fuit, vel una haec res possit ostendere: non Medati modo ignovit, sed omnes et deditos et captivos [et] libertate atque immunitate donavit, urbem reliquit intactam, agros sine tributo colere permisit. A victore Dareo plura mater non impetrasset. (16) Uxiorum dein gentem subactam Susianorum satrapae contribuit divisisque cum Parmenione copiis illum campestri itinere procedere iubet, ipse cum expedito agmine iugum montium cepit, quorum perpetuum dorsum in Persidem excurrit. (17) Omni hac regione vastata tertio die Persidem, quinto angustias, quas illi Susidas Pylas vocant, intrat. Ariobarzanes has cum XXV milibus peditum occupaverat, rupes praeruptas et undique abscisas, in quarum cacuminibus extra teli iactum barbari stabant de industria quieti et paventibus similes, donec in artissimas fauces penetraret agmen. (18) Quod ubi contemptu sui pergere vident, tum vero ingentis magnitudinis saxa per montium prona devolvunt, quae incussa saepius subiacentibus petris maiore vi incidebant nec singulos modo sed agmina proterebant. (19) Fundis quoque excussi lapides et sagittae undique ingerebantur. Nec id miserrimum fortibus viris erat, sed quod inulti, quod ferarum ritu veluti in fovea deprehensi caederentur. (20) Ira igitur in rabiem versa eminentia saxa

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ten nämlich genau, dass er sie einer Mutter gleich liebte und verehrte. Auch hatte Medates eine Tochter ihrer Schwester geheiratet und war daher mit Dareios durch nahe Verwandtschaft verbunden. (13) Lange widerstand Sisygambis den Bitten der Flehenden und meinte, eine Fürbitte für sie sei in ihrer Lage nicht passend. Sie fürchte, fügte sie hinzu, die Nachsicht des Siegers zu ermüden, und dass sie jetzt eine Gefangene sei, gehe ihr öfter durch den Sinn, als dass sie einst Königin gewesen sei. (14) Endlich gab sie nach und bat Alexander in einem Brief, dass er diese ihre Bitte verzeihen möge. Sie ersuche ihn, auch den anderen, wenn nicht, wenigstens ihr zu verzeihen. Für ihren nahen Verwandten, der nicht mehr sein Feind sei, sondern seine Gnade anrufe, flehe sie, und zwar nur um sein Leben. (15) Wie groß damals die Mäßigung und Milde des Königs war, kann schon dieser eine Fall zeigen: Er verzieh nicht nur dem Medates, sondern schenkte auch allen, die sich ihm ergeben hatten und gefangen waren, Freiheit und Straflosigkeit; die Stadt ließ er unversehrt und gestattete den Bewohnern, ihre Ländereien ohne Abgaben zu bebauen. Mehr hätte seine Mutter auch von Dareios nach einem Sieg nicht erlangt. (16) Das unterworfene Volk der Uxier stellte er noch unter den Satrapen von Susiane; dann teilte er sein Heer mit Parmenion und befahl diesem, auf dem Weg durch die Ebene vorzurücken, während er selbst mit einer kampffertigen Schar den Weg über die Gebirge einschlug, die sich ununterbrochen bis in die Persis erstrecken. (17) Nachdem er diese ganze Gegend verheert hatte, drang er am dritten Tag in die Persis, am fünften Tag in die Engpässe ein, die die Einheimischen die „Tore von Susa“ nennen. Ariobarzanes39 hatte mit 25 000 Mann Fußvolk diese senkrechten und nach allen Seiten steil abschüssigen Felsen besetzt, auf deren Gipfeln die Barbaren außerhalb der Schussweite standen und absichtlich ruhig und wie in Furcht verharrten, bis der Zug zu der engsten Stelle des Passes vorgedrungen war. (18) Erst als sie dann merkten, dass man unbekümmert um sie weiter vorrückte, da wälzten sie ungeheure Steinblöcke über die Hänge herab, die mehrfach auf die Felsen darunter aufschlugen und nun mit noch größerer Wucht herabstürzten, so dass sie nicht nur einzelne, sondern ganze Scharen zermalmten. (19) Auch mit Schleudern geworfene Steine und Pfeile überschütteten sie von allen Seiten. Und das war nicht das Schlimmste für die tapferen Männer, sondern dass sie, ohne sich rächen zu können, wie wilde Tiere, die man in einer Grube gefangen, hingeschlachtet wurden. (20) Ihr Zorn steigerte sich also zur

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complexi, ut ad hostem pervenirent, alius alium levantes conabantur ascendere: ea ipsa multorum simul manibus convolsa in eos, qui commoverant, reccidebant. (21) Nec stare ergo poterant nec niti, ne testudine quidem protegi, cum tantae molis onera propellerent barbari. Regem non dolor modo sed etiam pudor temere in illas angustias eiecti exercitus angebat. (22) Invictus ante eam diem fuerat nihil frustra ausus: impune Ciliciae fauces intraverat, mare quoque novum in Pamphyliam iter aperuerat; tunc haesitabat deprehensa felicitas, (23) nec aliud remedium erat quam reverti qua venerat. Itaque signo receptui dato densatis ordinibus scutisque super capita consertis, retro evadere ex angustiis iubet. XXX fuere stadia quae remensi sunt. 4 (1) Tum castris undique aperto loco positis non consultare modo quid agendum esset, sed vates quoque adhibere coepit a superstitione animi. (2) Sed quid tunc praedicere Aristander, cui [tum] plurimum credebat ex vatibus, poterat? Itaque damnatis intempestivis sacrificiis peritos locorum convocari iubet: per Mediam iter ostendebant tutum apertumque. (3) Sed rex deserere milites insepultos erubescebat, ita tradito more ut vix ullum militiae tam sollemne esset munus quam humandi suos. Captivos ergo, quos nuper exceperat, vocari iubet. (4) Inter quos erat quidam Graecae Persicaeque linguae peritus, qui frustra eum in Persidem montium dorso exercitum ducere adfirmat, silvestres esse calles vix singulis pervios, omnia contegi frondibus, implexosque arborum ramos silvas committere. (5) Namque Persis ab altero latere perpetuis montium iugis clauditur. Hoc dorsum, quod in longitudinem MDC, in latitudinem CLXX stadia procurrit, a Caucaso monte ad Rubrum mare

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Wut: Sie umklammerten die hervorragenden Felsspitzen, um an den Feind zu kommen, und indem einer den anderen stützte, versuchten sie hinaufzuklettern. Doch auch diese Felsspitzen, von vielen Händen zugleich umfasst und losgerissen, stürzten auf die nieder, die sie gelockert hatten. (21) Man konnte also weder stehen bleiben noch hinaufklettern, ja sich nicht einmal durch ein Schilddach schützen, da die Barbaren Lasten von so ungeheurer Schwere niederwälzten. Den König quälte nicht nur Schmerz, sondern auch die Scham, sein Heer unvorsichtig in diesem Engpass preisgegeben zu haben. (22) Bis auf diesen Tag war er unbesiegt gewesen, hatte nichts vergeblich gewagt: Ohne Verlust war er in die Engpässe Kilikiens eingedrungen, das Meer selbst hatte ihm einen neuen Weg nach Pamphylien eröffnet40. Jetzt war sein Glück aufgehalten und unbeweglich, (23) und es gab kein anderes Mittel, als auf dem Weg, auf dem er gekommen war, zurückzukehren. Er gab daher das Zeichen zum Rückzug und befahl, in dichtgeschlossenen Gliedern, die Schilde als Schutz über den Köpfen, aus dem Engpass zurückzuweichen. 30 Stadien waren es, die sie zurückmarschierten41. 4 (1) Nachdem er hierauf sein Lager an einem nach allen Seiten offenen Platz aufgeschlagen hatte, hielt er nicht nur Rat, was nun zu tun sei, sondern zog in seinem Aberglauben auch die Wahrsager hinzu. (2) Aber was hätte Aristandros, dem man unter den Wahrsagern das meiste Vertrauen schenkte, unter diesen Umständen verkünden sollen? Er verwarf daher der Zeit nicht angemessene Opfer und ließ die Ortskundigen zusammenrufen. Diese zeigten ihm, dass durch Medien ein sicherer und offener Weg führe; (3) aber der König scheute sich, seine Soldaten unbestattet zurückzulassen, da nach der gewöhnlichen Sitte kaum auf irgendeine militärische Pflicht so unverbrüchlich gehalten wurde wie auf die Beerdigung der Kameraden. Er ließ also die Gefangenen, die er kürzlich gemacht hatte, rufen. (4) Unter ihnen befand sich einer, der der griechischen und persischen Sprache mächtig war und ihm versicherte, dass er vergeblich sein Heer auf dem Bergrücken nach Persien zu führen versuche. Es gebe nur Waldpfade, kaum für Einzelne gangbar; alles sei mit Laubholz bedeckt und die untereinander verschlungenen Baumzweige machten den Wald undurchdringlich. (5) Die Landschaft Persis ist nämlich auf der einen Seite42 in einem Raum von 1 600 Stadien Länge und 170 Stadien Breite durch ununterbrochene Gebirgszüge verschlossen. Dieser Gebirgsrücken reicht vom Kaukasos bis an das Rote Meer, und wo das Gebirge aufhört, stellt

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pertinet, quaque defecit mons, aliud munimentum, fretum, obiectum est. (6) Planities deinde sub radicibus montium spatiosa procumbit, fertilis terra multisque vicis atque urbibus frequens. (7) Araxes amnis per hos campos multorum aquas torrentium evolvit in Medum; Medus ad mare ad meridiem versus – minor amnis eo quem accepit – evehitur, (8) gignendaeque herbae non alius est aptior, quicquid adluit floribus vestiens. Platani quoque et populi contegunt ripas, ita ut procul visentibus continuata videantur montibus nemora riparum. Quippe obumbratus amnis presso in solum alveo labitur, imminentque colles, ipsi quoque frondibus laeti, radices eorum humore subeunte. (9) Regio non alia tota Asia salubrior habetur: temperat caelum hinc perpetuum iugum opacum et umbrosum, quod aestus levat, illinc mare adiunctum, quod modico tepore terras fovet. (10) His captivus expositis interrogatus a rege auditune an oculis comperta haberet quae diceret, pastorem se fuisse et omnes eas calles percurrisse respondit; bis captum, semel a Persis in Lycia, iterum ab ipso. (11) Subit animum regis memoria oraculo editae sortis: quippe consulenti responsum erat ducem in Persidem ferentis viae Lycium civem fore. (12) Igitur promissis, quanta et praesens necessitas exigebat et ipsius fortuna capiebat, oneratum armari iubet Macedonum more et, quod bene verteret, monstrare iter quamvis arduum et praeceps: evasurum se esse cum paucis, nisi forte crederet qua ipse pecoris causa isset, Alexandrum pro gloria et perpetua laude ire non posse. (13) Etiam atque etiam docere captivus quam difficile iter esset, maxime armatis. Tum rex ‘Praedem’ inquit ‘me accipe neminem eorum, qui sequuntur, recusaturum ire qua duces.’ (14) Cratero igitur ad custodiam castrorum relicto cum peditibus, quis adsueverat, et iis copiis, quas Meleager ducebat, et sagittariis equitibus‹que› M praecipit ut castrorum specie manente plures de industria ignes fieri imperet, quo magis barbari credant

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sich als ein anderes Bollwerk das Meer entgegen. (6) Am Fuß der Berge dehnt sich dann eine weitläufige Ebene aus, ein fruchtbares und mit vielen Dörfern und Städten besetztes Land. (7) Durch diese Landschaft wälzt der Araxes43 die Wasser vieler Gießbäche zu dem Fluss Medos; dieser aber, der kleiner ist als der, den er aufgenommen hat, ergießt sich, gegen Süden fließend, ins Meer. (8) Und kein anderer Fluss ist dem Wachstum von Gras und Kräutern günstiger, da er alle Ufer, die er bespült, mit Blumen überzieht. Auch säumen Platanen und Pappeln seine Ufer, so dass, aus der Ferne gesehen, die Ufergebüsche mit den Bergwäldern zusammenzuhängen scheinen. Denn der umschattete Fluss gleitet im tief eingeschnittenen Bett dahin, und Hügel überragen ihn, ebenfalls voll üppigen Laubwaldes, da das Wasser bis an ihren Fuß herantritt. (9) Keine andere Gegend in ganz Asien gilt als gesünder. Das Klima wird einerseits durch den ununterbrochenen dunklen und schattigen Bergrücken gemäßigt, der die Hitze mindert, andererseits durch das benachbarte Meer, das dem Land eine milde Wärme verleiht. (10) Als ihm der Gefangene dies dargelegt hatte, fragte ihn der König, ob er das Gesagte von anderen gehört oder mit eigenen Augen gesehen habe; jener erwiderte, er sei ein Hirte gewesen und habe all jene Pfade durchwandert; zweimal sei er gefangen worden, einmal in Lykien von den Persern, das andere Mal jetzt von ihm. (11) Da erinnerte sich der König an einen Orakelspruch. Ihm war nämlich auf eine Frage geantwortet worden, sein Führer nach Persis werde ein Einwohner von Lykien sein44. (12) Er versprach ihm daher alles, was der gegenwärtigen Not und den Verhältnissen des Mannes angemessen schien, ließ ihn wie einen Makedonen bewaffnen und befahl ihm, unter Beistand der Götter den Weg zu zeigen: Wäre er auch noch so hoch und steil, so wolle er ihn doch mit einer kleinen Schar überwinden, oder glaube er etwa, dass, wo er selbst wegen seines Viehs gegangen sei, Alexander für seine Ehre und ewigen Ruhm nicht gehen könne. (13) Immer aufs Neue erklärte ihm der Gefangene, wie schwierig der Weg sei, besonders für Bewaffnete. Da rief der König: „Nimm mich als Bürgen dafür, dass keiner von denen, die mir folgen, sich weigern wird, den Weg zu gehen, den du uns führst.“ (14) Er ließ also den Krateros zur Bewachung des Lagers zurück mit dem Fußvolk, das er gewöhnlich befehligte, und den Truppen, die Meleagros führte, und 1 000 Bogenschützen zu Pferd und gab ihm die Weisung, das Lager äußerlich unverändert zu lassen, aber mehr Feuer anzünden zu lassen, damit die Barbaren leich-

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ipsum regem in castris esse. (15) Ceterum, si forte Ariobarzanes cognovisset per callium anfractus intrare et ad occupandum iter suum partem copiarum temptasset opponere, Craterus eum inlato terrore retineret ad propius periculum conversurum agmen; (16) sin autem ipse hostem fefellisset et saltum occupasset, cum trepidantium barbarorum tumultum exaudisset, persequens tum regem id ipsum iter, quo pridie pulsi fuerant, ne dubitaret ingredi: quippe vacuum fore hostibus in semet aversis. (17) Ipse tertia vigilia silenti agmine ac ne tuba quidem dato signo pergit ad demonstratum iter callium; tridui alimenta portare militem iusserat leviter armatum. (18) Sed praeter invias rupes ac praerupta saxa vestigium subinde fallentia, nix cumulata vento ingredientes fatigabat: quippe velut in foveas delati hauriebantur et, cum a commilitonibus adlevarentur, trahebant magis adiuvantes quam sequebantur. (19) Nox quoque et ignota regio ac dux – incertum an satis fidus – multiplicabant metum: si custodes fefellisset, quasi feras bestias ipsos posse deprehendi. Ex unius captivi vel fide vel anima pendere et regis salutem et suam. (20) Tandem venere in iugum. A dextra iter ad ipsum Ariobarzanen erat. Hic Philotam et Coenon cum Amynta et Polyperconte expeditam habentes manum relinquit monitos ut, quia eques pediti erat mixtus, qua pinguissimum esset solum et pabuli fertile sensim procederent; duces erant itineris de captivis dati. (21) Ipse cum armigeris et ala, quam agema appellabant, ardua semita, sed longius a stationibus hostium remota multa cum vexatione processit. (22) Medius erat dies et fatigatis necessaria quies: quippe tantundem itineris supererat quantum emensi erant, sed minus praecipitis atque ardui. (23) Itaque refectis cibo somnoque militi-

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ter glaubten, der König selbst befinde sich im Lager. (15) Wenn aber Ariobarzanes merke, dass er auf dem Umweg über die Waldpfade eindringe und dann versuche, den Weg zu besetzen und ihm einen Teil seiner Truppen entgegenzuwerfen, so solle ihn Krateros durch den Schrecken eines Angriffs zurückzuhalten versuchen: Dieser werde sich dann mit seinen Leuten gegen die nähere Gefahr wenden. (16) Gelänge es ihm dagegen, den Feind zu täuschen und das Gebirge zu besetzen, dann solle er, sobald er die Verwirrung und Ängstlichkeit der Barbaren wahrnehme, ohne Bedenken auf eben der Straße, auf der sie am Tag vorher zurückgetrieben worden waren, vorrücken, denn sie werde frei sein, da sich die Feinde gegen ihn gewandt haben würden. (17) Er selbst machte sich in der dritten Nachtwache in der Stille mit seinem Zug und ohne Trompetenzeichen zu dem angezeigten Marsch über die Fußpfade auf. Seinen leichtbewaffneten Soldaten hatte er befohlen, für drei Tage Lebensmittel mitzunehmen. (18) Doch außer den unwegsamen Felsen und steilen Klippen, auf denen der Fuß wiederholt ausglitt, ermüdete die Marschierenden der vom Wind angehäufte Schnee; denn man fiel wie in Gruben und versank darin, und wenn sie von ihren Kameraden emporgehoben wurden, zogen sie ihre Helfer öfter mit hinab, als dass sie hinaufkamen. (19) Auch die Nacht, die unbekannte Gegend und die Ungewissheit, ob man dem Führer trauen könne, vermehrte die Furcht: Entkam dieser den ihn bewachenden Begleitern, so konnte man sie selbst wie wilde Tiere fangen. Von der Treue und dem Leben eines einzigen Gefangenen hing, das fühlten sie, sowohl ihres Königs als auch ihre eigene Rettung ab. (20) Endlich gelangten sie auf die Höhe des Gebirges. Rechts führte der Weg gerade zu Ariobarzanes: Hier ließ Alexander Philotas und Koinos neben Amyntas und Polyperchon mit einer kampffertigen Truppe zurück, mit dem Auftrag, allmählich vorzurücken, weil sich Reiter und Fußgänger vermischt hatten, und der Boden da am fruchtbarsten und futterreichsten war; als Führer erhielten sie einige von den Gefangenen.45 (21) Er selbst drang mit der Garde und der Abteilung, die man „Agema“46 nannte, auf einem steilen, aber von der Stellung der Feinde weiter entfernten Pfad unter großen Schwierigkeiten vorwärts. (22) Es war Mittag und die Erschöpften brauchten eine Rast, denn man hatte noch einen ebenso weiten Weg vor sich, wie er schon zurückgelegt worden war, wenn auch weniger steil und hoch. (23) Nachdem sich also die Soldaten durch Speise und Schlaf gestärkt hatten, brach Alexander in der zweiten Nachtwache auf.

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bus secunda vigilia surgit. Et cetera quidem haud aegre praeterit; ceterum, qua se montium iugum paulatim ad planiora demittit, ingens vorago concursu cavata torrentium iter ruperat. (24) Ad hoc arborum rami alius alio implicati et cohaerentes ut perpetuam obiecerant saepem. Desperatio igitur ingens, adeo ut vix lacrimis abstinerent, incesserat. (25) Praecipue obscuritas terrori erat: nam etiamsi qua sidera internitebant, continenti fronde tectae arbores conspicere prohibebant. Ne aurium quidem usus supererat silvas quatiente vento, qui concurrentibus ramis maiorem quam pro flatu sonum edebat. (26) Tandem expectata lux omnia, quae terribiliora nox fecerat, minuit: circumiri brevi spatio poterat eluvies, et sibi quisque dux itineris coeperat fieri. (27) Evadunt ergo in editum verticem; ex quo hostium statione conspecta strenue armati a tergo se ostendunt nihil tale metuentibus. Quorum pauci, qui congredi ausi erant, caesi sunt. (28) Itaque hinc morientium gemitus hinc ad suos recurrentium miserabilis facies integros quoque, antequam discrimen experirentur, in fugam avertit. (29) Fremitu deinde in castra quis Craterus praesidebat inlato, ad occupandas angustias in quibus pridie haeserant miles educitur. (30) Simul et Philotas cum Polyperconte Amyntaque et Coeno diversum iter ingredi iussus alium terrorem intulit barbaris. (31) Undique ergo Macedonum armis fulgentibus ancipiti malo oppressi memorabile tamen proelium edunt. Ut opinor, ignaviam quoque necessitas acuit, et saepe desperatio spei causa est. (32) Nudi complectebantur armatos et ingenti corporum mole secum ad terram detrahentes ipsorum telis plerosque fodiebant. (33) Ariobarzanes tamen XL ferme equitibus et V milibus peditum stipatus per mediam aciem Macedonum cum multo suorum atque hostium sanguine erupit, Persepolim urbem, caput regionis, occupare festinans. (34) Sed a custodibus urbis exclusus, consecutis

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Den übrigen Marsch legte man nun ohne große Mühe zurück; doch wo sich das Gebirgsjoch allmählich mehr zur Ebene hinabsenkte, fand man den Weg durch eine gewaltige Schlucht, die zusammenströmende Gießbäche ausgehöhlt hatten, unterbrochen. (24) Dazu hatten die dicht ineinander verschlungenen Baumzweige eine Art undurchdringliche Hürde gebildet. Da überkam sie grenzenlose Verzweiflung, so dass sie fast in Tränen ausbrachen. (25) Vor allem war es die Dunkelheit, die sie schreckte; denn wenn auch hier und da Sterne schimmerten, so hinderte doch das undurchdringliche Laub der Bäume die Sicht. Nicht einmal auf die Ohren war mehr Verlass, da der Wind den Wald schüttelte und durch das Aneinanderschlagen der Zweige ein größeres Brausen als nur durch sein Wehen verursachte. (26) Endlich ließ das ersehnte Tageslicht alles weniger schrecklich erscheinen, als es die Nacht getan hatte: Die Ausschwemmung ließ sich durch einen kurzen Umweg umgehen und ein jeder konnte sein eigener Führer sein. (27) So gelangten sie auf einen hohen Gipfel; von hier erblickten sie den Standort der Feinde, bewaffneten sich ohne Verzug und zeigten sich im Rücken der Ahnungslosen. Einige wenige, die zu kämpfen wagten, wurden niedergehauen, (28) und das Gestöhn der Sterbenden wie auch der klägliche Anblick der zu den eigenen Leuten Zurückeilenden riss auch die Unversehrten, bevor sie noch den Kampf versucht hatten, zur Flucht fort. (29) Als man nun in dem von Krateros befehligten Lager das Geschrei vernahm, so rückten die Truppen aus, um den Engpass, in dem sie vorher steckengeblieben waren, zu besetzen. (30) Zugleich flößte auch Philotas, der mit Polyperchon, Amyntas und Koinos beauftragt war, einen anderen Weg zu marschieren, den Barbaren neuen Schrecken ein. (31) Dennoch lieferten sie, obwohl von allen Seiten die Waffen der Makedonen erglänzten und sie von doppelter Gefahr überrascht waren, ein bemerkenswertes Treffen. Die Not, scheint mir, verleiht auch der Feigheit einen Stachel, und oft wird Verzweiflung die Mutter neuer Hoffnung. (32) Unbewaffnete umschlangen Bewaffnete, zogen sie durch ihre gewaltige Körperlast mit sich zu Boden und durchbohrten viele mit ihren eigenen Waffen. (33) Ariobarzanes brach jedoch, von ungefähr 40 Reitern und 5 000 Fußsoldaten umgeben, mitten durch die makedonische Stellung, unter großem Blutvergießen auf beiden Seiten, und beeilte sich, Persepolis, die Hauptstadt des Landes, zu besetzen. (34) Doch wurde er von den städtischen Wachposten nicht eingelassen und er fiel, da die Feinde rastlos gefolgt waren, mit allen Begleitern seiner

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strenue hostibus cum omnibus fugae comitibus renovato proelio cecidit. Craterus quoque raptim agmine acto supervenit. 5 (1) Rex eodem loco, quo hostium copias fuderat, castra communit. Quamquam enim undique fugati hostes victoriam concesserant, tamen praealtae praecipitesque fossae pluribus locis obiectae abruperant iter, sensimque et caute progrediundum erat iam non hostium sed locorum fraude suspecta. (2) Procedenti ei litterae redduntur a Tiridate, custode pecuniae regiae, indicantes eos, qui in urbe essent, audito eius adventu diripere velle thesauros: properaret occupare thesauros dimissos; expeditum iter esse, quamquam Araxes amnis interfluat. (3) Nullam virtutem regis iustius quam celeritatem laudaverim: relictis pedestribus copiis tota nocte ‹vectus› cum equitibus itineris tanto spatio fatigatis, ad Araxen prima luce pervenit. (4) Vici erant in propinquo, quibus dirutis pontem ex materia eorum subditis saxis strenue induxit. (5) Iamque haud procul urbe erant cum miserabile agmen, inter pauca fortunae exempla memorandum, regi occurrit. Captivi erant Graeci ad IIII milia fere; quos Persae vario suppliciorum modo adfecerant. (6) Alios pedibus, quosdam manibus auribusque amputatis inustisque barbararum litterarum notis in longum sui ludibrium reservaverant; et cum se quoque alienae dicionis esse cernerent, volentes regi occurrere non prohibuerant. (7) Invisitata simulacra, non homines videbantur, nec quicquam in illis praeter vocem poterat agnosci. Plures igitur lacrimas commovere quam profuderant ipsi: quippe in tam multiplici variaque fortuna singulorum intuentibus similes quidem, sed tamen dispares poenas, quis maxime miserabilis esset liquere non poterat. (8) Ut vero Iovem illi tandem, Graeciae ultorem, aperuisse oculos conclamavere, omnes pari supplicio adfecti sibi videbantur. Rex

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Flucht in erneutem Kampf47. Auch Krateros, der mit größter Eile marschiert war, kam dazu. 5 (1) Der König schlug an derselben Stelle, an der er die feindlichen Truppen besiegt hatte, ein festes Lager auf. Denn obwohl der Feind auf allen Seiten gewichen war und ihn im Besitz des Sieges gelassen hatte, war doch der Weg durch sehr tiefe und steile Gräben, die an verschiedenen Stellen aufgeschüttet waren, versperrt, so dass man, zwar nicht mehr aus Furcht vor Feindeslist, aber doch vor versteckten Hindernissen, langsam und vorsichtig vorrücken musste. (2) Auf dem Weitermarsch wurde ihm ein Brief vom königlichen Hüter des Schatzes, Tiridates48, überbracht, der ihm anzeigte, dass die Einwohner der Stadt49 auf die Nachricht seines Kommens hin die Schatzkammern plündern wollten; er solle sich also beeilen, ihnen zuvorzukommen; der Weg sei ohne Hindernisse, obgleich der Araxes dazwischen fließe. (3) Keine kriegerische Eigenschaft dieses Königs möchte ich höher stellen als seine Schnelligkeit. Er ließ das Fußvolk zurück und gelangte, die ganze Nacht unterwegs, mit der schon durch so weite Wegstrecken ermüdeten Reiterei bei Tagesanbruch an den Araxes. (4) In der Nähe waren Dörfer. Diese zerstörte er und schlug eiligst aus ihrem Holz auf einer Unterlage von Steinen eine Brücke über den Fluss50. (5) Und schon waren sie nicht mehr weit von der Stadt, als ihm ein bejammernswerter Zug entgegenkam; als ein Beispiel für schicksalhaftes Unglück verdient er besondere Erwähnung. Gefangene Griechen waren es, 4 000 ungefähr, die die Perser auf vielfache Weise verstümmelt hatten51. (6) Den einen waren die Füße, anderen Hände und Ohren abgehauen; und mit barbarischen Schriftzeichen gebrandmarkt, hatte man sie, um immer ihren Spott mit ihnen treiben zu können, zurückbehalten. Als man sich nun selbst unter fremder Herrschaft sah, hatte man sich ihrem Wunsch, dem König entgegenzugehen, nicht widersetzt. (7) Nie gesehene Gestalten, keine Menschen schienen es zu sein und nichts als die Stimme war an ihnen erkennbar. So entlockten sie den Makedonen mehr Tränen als sie selbst vergossen hatten: Denn bei dem vielfachen und mannigfaltigen Schicksal der Einzelnen ließ sich, wenn man ihre zwar ähnlichen und dennoch verschiedenen Verstümmelungen betrachtete, nicht entscheiden, wer der Beklagenswerteste unter ihnen sei. (8) Als sie nun gar gemeinsam riefen, Zeus habe endlich als Rächer Griechenlands die Augen geöffnet, da schien es ihnen selbst, als seien sie alle auf die gleiche Weise misshandelt worden. Der König trocknete sich die Tränen,

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abstersis quas profuderat lacrimis bonum habere animum iubet, visuros urbes suas coniugesque, et castra inde duo ab urbe stadia communit. (9) Graeci excesserant vallo deliberaturi quid potissimum a rege peterent; cumque aliis sedem in Asia rogare, aliis reverti domos placeret, Euctemon Cymaeus ita locutus ad eos fertur: (10) ‘Ii, qui modo etiam ad opem petendam ex tenebris et carcere procedere erubuimus, ut nunc est, supplicia nostra – quorum nos pudeat magis an paeniteat, incertum est – ostentare Graeciae velut laetum spectaculum cupimus. (11) Atqui optime miserias ferunt qui abscondunt, nec ulla tam familiaris est infelicibus patria quam solitudo et status prioris oblivio. Nam qui multum in suorum misericordia ponunt, ignorant quam celeriter lacrimae inarescant. (12) Nemo fideliter diligit quem fastidit: nam et calamitas querula est et superba felicitas. Ita suam quisque fortunam in consilio habet, cum de aliena deliberat. Nisi mutuo miseri essemus, olim alius alii potuissemus esse fastidio: quid mirum est fortunatos semper parem quaerere? (13) Obsecro vos, olim vita defuncti quaeramus locum in quo haec semesa obruamus. Grati prorsus coniugibus, quas iuvenes duximus, revertemur! Liberi in flore et aetatis et rerum agnoscent patres ergastuli detrimenta! (14) Et quota pars nostrum tot obire terras potest? Procul Europa in ultima Orientis relegati, senes, debiles, maiore membrorum parte mulcati tolerabimus scilicet quae armatos et victores fatigarunt. (15) Coniuges deinde, quas captis fors et necessitas unicum solacium adplicuit, parvosque liberos trahimus nobiscum an relinquimus? (16) Cum his venientes nemo agnoscere volet: relinquemus ergo extemplo praesentia pignora, cum incertum

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die er vergossen hatte, und sagte, sie sollten gutes Mutes sein und ihre Vaterstadt und Gattin wiedersehen. Dann schlug er zwei Stadien vor der Stadt ein festes Lager auf. (9) Die Griechen hatten sich außerhalb des Lagers begeben, um zu beratschlagen, was sie am liebsten vom König erbitten sollten, und da es den einen besser schien, ihn um Wohnsitze in Asien zu bitten, den anderen, in die Heimat zurückzukehren, so soll Euktemon aus Kyme folgendermaßen zu ihnen gesprochen haben52: (10) „Wir, die wir uns eben noch geschämt haben, selbst als Hilfesuchende aus dem Dunkel unseres Gefängnisses hervorzutreten, möchten, wie die Sachen nun stehen, Griechenland unsere Verstümmelung, über die wir, ich weiß nicht, ob mehr beschämt oder betrübt sein sollen, gleichsam als ein erfreuliches Schauspiel zeigen. (11) Nun aber erträgt der sein Elend am besten, der es verbirgt, und es gibt für den Unglücklichen keine bessere Heimat als die Einsamkeit und das Vergessen seines früheren Daseins. Denn wer viel auf das Mitleid der Seinen baut, der weiß nicht, wie schnell Tränen vertrocknen. (12) Niemand liebt treu den, vor dem es ihn ekelt; denn einerseits ist das Unglück zum Klagen, andererseits das Glück zum Hochmut geneigt. So lässt sich jedermann von seiner eigenen Lage leiten, wenn er über die eines anderen urteilt. Wären wir nicht allesamt elend, so hätten auch wir einmal einer dem anderen zum Ekel werden können: Ist es denn ein Wunder, wenn die Glücklichen immer ihresgleichen suchen? (13) Ich beschwöre euch, lasst uns, für die es längst mit dem Leben vorbei ist, einen Ort zu suchen, diese unsere nur noch halben Gliedmaßen zu vergraben und unsere grässlichen Narben in der Fremde zu verbergen! Recht willkommen werden wir zu unseren Frauen, die wir als junge Männer heirateten, zurückkehren! Dann unsere Kinder, in der Blüte ihres Lebens und ihres Besitzes, werden sie an diesen Resten, die die Sklavenarbeit übrig gelassen hat, ihre Väter erkennen wollen? (14) Wie viele von uns sind noch in der Lage, so viele Länder zu durchwandern? Fern von Europa in den äußersten Orient fortgeschickt, sollen wir Greise, Schwache und des größeren Teils unserer Gliedmaßen Beraubte das aushalten, was die Kraft bewaffneter und siegreicher Männer erschöpft hat! (15) Ferner die Frauen, die in unserer Gefangenschaft Zufall und Not als einzigen Trost mit uns verbanden, und unsere kleinen Kinder, sollen wir sie mit uns schleppen oder zurücklassen? (16) Kommen wir mit ihnen, wird uns niemand unserer Angehörigen mehr erkennen wollen. Wir sollen also ohne weiteres diese gegenwärtigen Liebespfänder zurück-

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sit an visuri simus illa quae petimus? Inter hos latendum est qui nos miseros nosse coeperunt.’ Haec Euctemon. (17) Contra Theaetetus Atheniensis orsus est dicere: Neminem pium habitu corporis suos aestimaturum, utique saevitia hostis, non natura calamitosos. Dignum esse omni malo qui erubesceret fortuito: tristem enim de mortalitate ferre sententiam et desperare misericordiam, quia ipse alteri denegaturus sit. (18) Deos quod ipsi numquam optare ausi forent offerre: patriam, coniuges, liberos et quicquid homines vel vita aestimant vel morte redimunt. (19) Quin illi ex hoc carcere erumperent? alium domi esse caeli haustum, alium lucis aspectum. Mores, sacra, linguae commercium etiam a barbaris expeti, quae ingenita ipsi omissuri sint sua sponte, non ob aliud tam calamitosi quam quod illis carere coacti essent. (20) Se certe rediturum ad penates et in patriam tantoque beneficio regis usurum: si quos contubernii liberorumque, quos servitus coegisset agnoscere, amor detineret, relinquerent quibus nihil patria carius esset. (21) Pauci huius sententiae fuere, ceteros consuetudo natura potior, vicit. Consenserunt petendum esse a rege ut aliquam ipsis attribueret sedem. (22) C ad hoc electi sunt. Quos Alexander ratus quod ipse praestare cogitabat petituros, ‘Iumenta’ inquit ‘adsignari, quae vos veherent, et singulis vestrum milia denarium dari iussi. Cum redieritis in Graeciam, praestabo ne qui statum suum, si haec calamitas absit, vestro credat esse meliorem.’ (23) Illi obortis lacrimis terram intuebantur nec aut erigere vultus aut loqui audebant; tandem rege tristitiae causam exigente Euctemon similia iis, quae in consilio dixerat, respondit. (24) Atque ille non fortunae solum eorum sed etiam paenitentiae miser-

Geschichte Alexanders des Großen 5,5,16–5,5,24

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lassen, da es doch ungewiss ist, ob wir jene, zu denen wir uns aufmachen wollen, erblicken werden? Nein, inmitten derer müssen wir uns verbergen, die unser Elend von Anfang an kennen.“ So also sprach Euktemon. (17) Dagegen erhob sich der Athener Theaitetos und sprach: Kein treuer Verwandter werde seine Angehörigen nach ihrem körperlichen Äußeren beurteilten, zumal wenn sie durch die Grausamkeit der Feinde, nicht von Natur aus Krüppel seien. Der sei jedes Unglücks wert, der sich des Unverschuldeten schäme, denn er spreche ein trauriges Urteil über die Menschheit und verzweifle an ihrer Barmherzigkeit, weil er sie einem anderen selbst verweigern würde. (18) Die Götter böten ihnen, was sie selbst niemals zu wünschen gewagt hätten, Vaterland, Gattinnen, Kinder und was nur immer die Menschen so lieben wie ihr Leben und selbst durch den Tod wiederzuerkaufen versuchen. (19) Ja, ausbrechen sollten sie aus diesem Gefängnis! Eine andere Luft atme man in der Heimat, eine andere Sonne leuchte dort. Sitten, heilige Gebräuche, sogar Umgangssprache entlehnten sie hier von den Barbaren und, wollten sie diese angeborenen Güter freiwillig aufgeben, so sei ihr schwerstes Unglück gerade dies, dass sie gezwungen seien, all das zu entbehren. (20) Er wenigstens werde in sein Haus und in sein Vaterland zurückkehren und von dieser großen Wohltat des Königs Gebrauch machen. Wenn welche von der Liebe zu ihren Sklavenfrauen und den Kindern, die sie notgedrungen in der Knechtschaft als solche anerkannt hätten, sich wollten festhalten lassen, so sollten die, denen nichts teurer wäre als ihr Vaterland, sie verlassen. (21) Wenige waren dieser Ansicht; bei den Übrigen überwog die Gewohnheit, die stärker ist als die Stimme der Natur. Sie verständigten sich darauf, den König zu bitten, dass er ihnen irgendeinen Wohnsitz anweisen möge. (22) Dazu wurden Hundert aus ihrer Mitte ausgewählt. Da Alexander glaubte, sie kämen, sich das zu erbitten, was er selbst für das Bessere hielt, so sprach er: „Ich habe den Befehl gegeben, euch Tiere zum Reiten anzuweisen und jedem von euch 1 000 Denare auszuzahlen. Seid ihr nach Griechenland zurückgekehrt, so will ich dafür sorgen, dass, abgesehen von diesem euren Unglück, niemand seine Lage für besser halten soll als die eure.“ (23) Jene blickten, Tränen in den Augen, zur Erde und wagten weder die Augen aufzuschlagen noch zu sprechen. Endlich, als sie der König nach dem Grund ihrer Trauer befragte, antwortete ihm Euktemon ähnlich, wie er bei der Beratung gesprochen hatte. (24) Da befahl der König, voll Mitleid nicht nur für ihr Schicksal, sondern auch für

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tus terna milia denarium singulis dari iussit; denae vestes adiectae sunt et armenta cum pecoribus ac frumento data, ut coli serique attributus iis ager posset. 6 (1) Postero die convocatos duces copiarum docet nullam infestiorem urbem Graecis esse quam regiam veterum Persidis regum: hinc illa immensa agmina infusa, hinc Dareum prius, dein Xerxem Europae impium intulisse bellum: excidio illius parentandum esse maioribus. (2) Iamque barbari deserto oppido qua quemque metus agebat diffugerant, cum rex phalangem nihil cunctatus inducit. Multas urbes refertas opulentia regia partim expugnaverat, partim in fidem acceperat, sed urbis huius divitiae vicere praeterita. (3) In hanc totius Persidis opes congesserant barbari: aurum argentumque cumulatum erat, vestis ingens modus, supellex non ad usum sed ad ostentationem luxus comparata. (4) Itaque inter ipsos victores ferro dimicabatur: pro hoste erat qui pretiosiorem occupaverat praedam, et cum omnia, quae rapiebant, capere non possent, iam res non occupabantur, sed aestimabantur. (5) Lacerabant regias vestes ad se quisque partem trahentes, dolabris pretiosae artis vasa caedebant, nihil neque intactum erat neque integrum ferebatur, abrupta simulacrorum membra, ut quisque avellerat, trahebat. (6) Neque avaritia solum sed etiam crudelitas in capta urbe grassata est: auro argentoque onusti, vilia captivorum corpora trucidabant, passimque obvii caedebantur quos antea pretium sui miserabilis fecerat. (7) Multi ergo hostium manus voluntaria morte occupaverunt, pretiosissima vestium induti e muris semetipsos cum coniugibus ac liberis in praeceps iacientes. Quidam ignes, quod paulo post facturus hostis videbatur, subiecerant aedibus, ut cum suis vivi cremarentur. (8) Tandem suos rex corporibus et cultu feminarum abstinere iussit. Ingens

Geschichte Alexanders des Großen 5,5,24–5,6,8

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ihre Sorgen, jedem 3 000 Denare zu geben, dazu noch Gewänder, Rinder, Schafe und Getreide, um den ihnen zugeteilten Acker bearbeiten und besäen zu können53. 6 (1) Am folgenden Tag rief er die Führer der Truppen zusammen und zeigte ihnen, dass keine Stadt eine größere Feindin Griechenlands sei als die Residenz der alten Perserkönige. Von hier aus hätten sich jene unermesslichen Schwärme ergossen, von hier aus erst Dareios, dann Xerxes Europa mit ungerechtem Krieg überzogen54. Durch die Zerstörung der Stadt müsse man den Vorfahren ein Totenopfer bringen. (2) Auch hatten bereits die Barbaren die Stadt verlassen und waren, von Furcht geführt, nach allen Richtungen geflohen, als der König ohne Zögern seine Phalanx hineinführte. Viele Städte, mit königlichen Reichtümern angefüllt, waren teils durch Eroberung, teils durch Übergabe in seine Gewalt geraten, aber die Reichtümer dieser Stadt übertrafen alles Frühere. (3) Hierher hatten die Barbaren die Schätze von ganz Persien zusammengetragen: Gold und Silber in Mengen, eine Unmasse gewebter Stoffe, Gerät, das nicht dem Gebrauch, sondern der Entfaltung verschwenderischer Pracht diente. (4) Unter den Siegern selbst gab es daher blutige Kämpfe; wie einen Feind betrachtete man, wer eine kostbarere Beute weggenommen hatte, und da sie nicht alles, was ihnen in die Hände fiel, unterbringen konnten, so bemächtigte man sich nicht mehr bloß der Sachen, sondern fragte erst nach ihrem Wert. (5) Königliche Gewänder wurden zerfetzt, indem jeder ein Stück an sich reißen wollte; mit Äxten zerhieb man kostbare und kunstvolle Gefäße; nichts blieb unangetastet oder wurde unversehrt fortgetragen; abgerissene Glieder von Standbildern – so wie jeder sie losgerissen hatte – schleppte er sie mit sich fort. (6) Aber nicht allein die Habsucht, sondern auch die Grausamkeit wütete in der eroberten Stadt: Mit Gold und Silber beladen, schlachtete der Krieger die nun billig gewordenen Gefangenen, und überall wurde, wer ihm in den Weg kam, niedergemacht, während früher der erhoffte Erlös Schonung bewirkt hatte. (7) Viele also kamen dem Mord der Feinde durch freiwilligen Tod zuvor und stürzten, in ihre kostbarsten Gewänder gekleidet, sich selbst mit ihren Frauen und Kindern von den Mauern in die Tiefe. Manche warfen, wie man es ja auch bald vom Feind zu erwarten schien, Feuer in ihre Häuser, um mit ihren Angehörigen lebendig zu verbrennen. (8) Endlich befahl der König seinen Leuten, Frauen und ihren Schmuck zu schonen. Ungeheuer wird die Masse des erbeuteten Geldes angegeben, so dass es bei-

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captivae pecuniae modus traditur, prope ut fidem excedat. (9) Ceterum aut de aliis quoque dubitabimus aut credemus in huius urbis gaza fuisse C et XX ‹milia› talentum. Ad quae vehenda – namque ad usus belli secum portare decreverat – iumenta et camelos et a Susis et a Babylone contrahi iussit. (10) Accessere ad hanc pecuniae summam captis Parsagadis sex milia talentum. Cyrus Parsagada urbem condiderat, quam Alexandro praefectus eius Gobares tradidit. (11) Rex arcem Persepolis, tribus milibus Macedonum praesidio relictis, Nicarchiden tueri iubet. Tiridati quoque, qui gazam tradiderat, servatus est honos quem apud Dareum habuerat. Magnaque exercitus parte et impedimentis ibi relictis Parmeniona Craterumque praefecit. (12) Ipse cum mille equitibus peditumque expedita manu interiorem Persidis regionem sub ipsum Vergiliarum sidus petiit, multisque imbribus et prope intolerabili tempestate vexatus procedere tamen, quo intenderat, perseveravit. (13) Ventum erat ad iter perpetuis obsitum nivibus, quas frigoris vis gelu adstrinxerat, locorumque squalor et solitudines inviae fatigatum militem terrebant humanarum rerum terminos se videre credentem. Omnia vasta atque sine ullo humani cultus vestigio attoniti intuebantur et, antequam lux quoque et caelum ipsos deficerent, reverti iubebant. (14) Rex castigare territos supersedit, ceterum ipse equo desiluit pedesque per nives et concretam glaciem ingredi coepit. Erubuerunt non sequi primum amici, deinde copiarum duces, ad ultimum milites. Primusque rex dolabra glaciem perfringens iter sibi fecit; exemplum regis ceteri imitati sunt. (15) Tandem propemodum invias silvas emensi humani cultus rara vestigia et passim errantes pecorum greges repperere. Et incolae, qui sparsis tuguriis habitabant, cum se callibus inviis saeptos esse credidissent, ut conspexere hostium agmen, interfectis qui comitari fugientes non poterant, devios montes et nivibus obsitos petiverunt. (16) Inde per conloquia captivorum paulatim feritate mitigata tradidere se regi, nec in

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nahe allen Glauben übersteigt. (9) Doch werden wir entweder auch an anderen Nachrichten zweifeln oder glauben müssen, dass sich in den königlichen Schatzkammern dieser Stadt 120 000 Talente fanden55. Um dies Geld fortzuschaffen –er hatte nämlich befohlen, es für die Finanzierung des Krieges mit sich zu führen –, befahl er, Lasttiere und Kamele von Susa und Babylon zusammenzubringen. (10) Zu jener Geldsumme kamen noch nach der Einnahme von Parsagadai56 6 000 Talente. Parsagadai war von Kyros erbaut worden, und der Befehlshaber der Stadt, Gobares, übergab es an Alexander. (11) In der Burg von Persepolis ließ Alexander eine Besatzung von 3 000 Makedonen unter dem Oberbefehl des Nikarchides zurück; auch Tiridates, der ihm den Schatz ausgeliefert hatte, beließ er in dem hohen Amt, das er bei Dareios bereits innegehabt hatte, und über einen großen Teil des Heeres, das er zusammen mit dem Gepäck hier zurückließ, setzte er Parmenion und Krateros ein57. (12) Er selbst zog mit 1 000 Reitern und einer kampffertigen Schar von Fußsoldaten zur Zeit des Siebengestirns58 in das Innere der Persis und ließ von seinem Vorhaben nicht ab, obwohl häufige Regengüsse und eine fast unerträgliche Witterung ihn peinigten. (13) Man war auf einen von immerwährendem Schnee bedeckten Weg gekommen, den der starke Frost zu Eis verhärtet hatte. Das eintönige Grau der Gegend und die weglosen Einöden schreckten die ermatteten Soldaten, die das Ende der Welt zu sehen meinten. Entsetzt erblickten sie alles wüst und ohne irgendwelche Spuren menschlicher Kultur und forderten ihn auf, umzukehren, bevor sie sich auch von Licht und Luft verlassen sähen. (14) Der König sah davon ab, die Erschreckten zu schelten, sondern sprang selbst vom Pferd und begann zu Fuß über den Schnee und die gefrorene Eisfläche fortzuschreiten. Man schämte sich, ihm nicht zu folgen, erst die Freunde, dann die Führer der Truppen, zuletzt auch die Soldaten; und der König ergriff als erster eine Hacke und bahnte sich, das Eis zerhauend, einen Weg. Seinem Beispiel folgten die Übrigen. (15) Endlich, nachdem sie fast ganz unwegsame Waldungen durchzogen, fanden sie einzelne Spuren menschlicher Kultur und hin und wieder weidende Viehherden. Wie aber die Einwohner, die in verstreuten Hütten wohnten und sich durch die unwegsamen Pfade gesichert geglaubt hatten, den feindlichen Zug erblickten, so töteten sie die, die sie auf ihrer Flucht nicht begleiten konnten, und eilten in die abseits liegenden, mit Schnee bedeckten Berge. (16) Als dann durch Zwiegespräch mit den Gefangenen ihre wilde Scheu allmäh-

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deditos gravius consultum. (17) Vastatis inde agris Persidis vicisque compluribus redactis in potestatem, ventum est in Mardorum gentem bellicosam et multum a ceteris Persis cultu vitae abhorrentem. Specus in montibus fodiunt, in quos seque ac coniuges et liberos condunt; pecorum aut ferarum carne vescuntur. (18) Ne feminis quidem pro naturae habitu molliora ingenia sunt: comae prominent hirtae, vestis super genua est, funda vinciunt frontem: hoc et ornamentum capitis et telum est. (19) Sed hanc quoque gentem idem fortunae impetus domuit. Itaque tricesimo die, postquam a Persepoli profectus erat, eodem rediit. (20) Dona deinde amicis ceterisque pro cuiusque merito dedit: propemodum omnia, quae in ea urbe ceperat, distributa. 7 (1) Ceterum ingentia animi bona, illam indolem, qua omnes reges antecessit, illam in subeundis periculis constantiam, in rebus moliendis efficiendisque velocitatem, in deditos fidem, in captivos clementiam, in voluptatibus permissis quoque et usitatis temperantiam, haud tolerabili vini cupiditate foedavit. (2) Hoste et aemulo regni reparante cum maxime bellum, nuper subactis quos vicerat novumque imperium aspernantibus, de die inibat convivia, quibus feminae intererant, non quidem quas violari nefas esset, quippe paelices licentius quam decebat cum armato vivere adsuetae. (3) Ex his una, Thais, et ipsa temulenta, maximam apud omnes Graecos initurum gratiam adfirmat, si regiam Persarum iussisset incendi: expectare hoc eos quorum urbes barbari delessent. (4) Ebrio scorto de tanta re ferente sententiam unus, alter, et ipsi mero onerati, adsentiuntur. Rex quoque avidior fuit quam patientior: ‘Quin igitur ulciscimur Graeciam et urbi faces subdimus?’ (5) Omnes incaluerant

Geschichte Alexanders des Großen 5,6,16–5,7,5

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lich gemindert war, ergaben sie sich dem König, der auch keine härtere Strafe über sie verhängte. (17) Als er hierauf die Felder der Persis verwüstet und sich viele Ortschaften unterworfen hatte, kam man zu dem kriegerischen Volk der Marder59, das in seiner Lebensweise von den übrigen Persern in vielem abweicht. Sie graben Höhlen in die Berge, worin sie sich, ihre Frauen und Kinder verbergen; ihre Nahrung ist das Fleisch der Herden oder des Wildes. (18) Nicht einmal die Frauen haben einen ihrem Geschlecht entsprechenden milderen Charakter; ihr Haar starrt struppig empor, ihr Kleid reicht noch nicht einmal bis zum Knie, und die Stirn umwinden sie mit einer Schleuder, die ihnen zugleich als Kopfschmuck und Waffe dient. (19) Aber auch dieses Volk bezwang Alexander mit der unwiderstehlichen Gewalt seines Glücks. So kehrte er dreißig Tage nach seinem Aufbruch von Persepolis dorthin zurück. (20) Hierauf beschenkte er seine Freunde und die Übrigen, einen jeden nach Verdienst, so dass er beinahe alles, was er in dieser Stadt erbeutet hatte, verteilte. 7 (1) Doch schändete er seine ungeheuren geistigen Gaben, die Hochherzigkeit, durch die er alle Könige übertraf, die Ausdauer bei Gefahren, seine Schnelligkeit bei Unternehmungen und sein treues Worthalten gegen diejenigen, die sich ihm ergaben, seine Milde gegen die Gefangenen, seine Mäßigung selbst in erlaubten und gewöhnlichen Vergnügungen durch ein unerträgliches Verlangen nach Wein. (2) Während sich sein Feind und Rivale gerade zum neuen Kampf um die Herrschaft rüstete, während die, die er besiegt hatte, nur eben erst unterworfen waren und dem neuen Herrscher noch Widerstand leisteten, begann er schon bei Tag mit Gelagen, denen auch Frauen beiwohnten, zwar nicht solche, denen zu nahe zu treten unrecht gewesen wäre, sondern Dirnen, gewohnt, mit den Soldaten freizügiger als gewöhnlich zu verkehren. (3) Eine von diesen, namens Thaïs60, versicherte, ebenfalls betrunken, er werde sich bei allen Griechen den größten Dank verdienen, wenn er den Befehl gebe, die königliche Residenz der Perser in Brand zu stecken: Es erwarteten das diejenigen, deren Städte die Barbaren zerstört hätten. (4) Der betrunkenen Dirne, die über eine Sache von solcher Bedeutung ihre Meinung abgab, stimmte der eine oder der andere der Gäste, ebenfalls betrunken, zu. Auch der König war in mehr leidenschaftlicher als ruhiger Stimmung: „Warum also“, rief er, „rächen wir nicht Griechenland und werfen die Brandfackel in die Stadt?“ (5) Alle waren vom Wein erhitzt und so erhoben sie

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mero: itaque surgunt temulenti ad incendendam urbem cui armati pepercerant. Primus rex ignem regiae iniecit, tum convivae et ministri paelicesque. Multa cedro aedificata erat regia quae celeriter igne concepto late fudit incendium. (6) Quod ubi exercitus, qui haud procul urbe tendebat, conspexit, fortuitum ratus ad opem ferendam concurrit. (7) Sed ut ad vestibulum regiae ventum est, vident regem ipsum adhuc aggerentem faces. Omissa igitur, quam portaverant, aqua, ipsi aridam materiem in incendium iacere coeperunt. (8) Hunc exitum habuit regia totius Orientis, unde tot gentes antea iura petebant, patria tot regum, unicus quondam Graeciae terror, molita M navium classem et exercitus, quibus Europa inundata est, contabulato mari molibus perfossisque montibus, in quorum specus fretum immissum est. (9) Ac ne tam longa quidem aetate quae excidium eius secuta est, resurrexit. Alias urbes, ‹quas› habuere Macedonum reges, [quas] nunc habent Parthi: huius vestigium non inveniretur, nisi Araxes amnis ostenderet. Haud procul moenibus fluxerat: inde urbem fuisse XX stadiis distantem credunt magis quam sciunt accolae. (10) Pudebat Macedones tam praeclaram urbem a comissabundo rege deletam esse. Itaque res in serium versa est, et imperaverunt sibi ut crederent illo potissimum modo fuisse delendam. (11) Ipsum, ut primum gravato ebrietate mentem quies reddidit, paenituisse constat et dixisse maiores poenas Graecis Persas daturos fuisse, si ipsum in solio regiaque Xerxis conspicere coacti essent. (12) Postero die Lycio itineris, quo Persidem intraverat, duci XXX talenta dono dedit. Hinc in regionem Mediae transiit, ubi supplementum novorum e Cilicia militum occurrit: peditum erant V milia, equites M; utrisque Platon Atheniensis praeerat. His copiis auctus Dareum persequi statuit. 8 (1) Ille iam Ecbatana pervenerat. Caput Mediae urbs haec: nunc tenent Parthi, eaque aestiva agentibus sedes est. Adire deinde

Geschichte Alexanders des Großen 5,7,5–5,8,1

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sich in ihrem Rausch, die Stadt anzuzünden, die sie mit den Waffen in der Hand verschont hatten. Zuerst warf der König Feuer in den Königspalast, dann die Gäste, Diener und Dirnen. Der Palast war größtenteils aus Zedernholz erbaut, das schnell entflammt, das Feuer weithin ausbreitete. (6) Als das Heer, das nicht weit von der Stadt lagerte, dies sah, lief es, einen Zufall vermutend, herbei, um den Brand zu löschen. (7) Aber als man zum Eingang des Palastes kam und den König selbst noch neue Feuer legen sah, ließ man das herbeigetragene Wasser stehen und begann, noch trockenes Holz in die Glut zu werfen. (8) Dieses Ende nahm der königliche Herrschaftssitz des gesamten Orients, von dem aus sich einstmals so viele Völker ihr Recht holten, die Wiege so vieler Könige, einst der alleinige Schrecken Griechenlands, der eine Flotte von 1 000 Schiffen und Heere in Bewegung setzte, von denen Europa überflutet wurde, nachdem man das Meer mit Riesenbauten61 überbrückt und Berge durchstochen und in die so gewonnene Schlucht das Meer geleitet hatte. (9) Und selbst in der langen Zeit, die seit ihrer Zerstörung vergangen ist, hat sie sich nicht wieder erhoben. Andere Städte62, die einst im Besitz der makedonischen Könige waren, gehören heute63 den Parthern: Von Persepolis würde sich auch keine Spur mehr finden, wenn nicht der Araxes den Ort angäbe. Er war nicht weit von den Stadtmauern geflossen; und wie die Anwohner mehr glauben als wissen, lag die Stadt 20 Stadien von ihm entfernt. (10) Die Makedonen schämten sich, dass eine so herrliche Stadt von ihrem König beim Zechgelage zerstört worden war, weshalb man die Sache ernst nahm und sich selbst zu glauben zwang, dass die Stadt so habe zerstört werden müssen. (11) Der König selbst soll, sobald erst der Rausch verschwunden und die Besinnung zurückgekehrt war, seine Tat bereut und geäußert haben, die Perser wären für ihre Taten in Griechenland härter bestraft worden, wenn sie ihn selbst auf dem Thron und in der Königsburg des Xerxes hätten sehen müssen. (12) Am folgenden Tag schenkte er dem lykischen Führer, der ihn in die Persis gebracht hatte, 30 Talente. Hierauf zog er in die Provinz Medien hinüber, wo ihm ein Ergänzungskorps frischer Truppen aus Kilikien entgegenkam. Es waren 5 000 Fußsoldaten und 1 000 Reiter, beide unter Befehl des Atheners Platon. Durch diese Truppen verstärkt, beschloss er, Dareios zu verfolgen. 8 (1) Dieser war bereits nach Ekbatana gelangt, der Hauptstadt von Medien: Jetzt ist sie in den Händen der Parther und dient ihnen als Sommerresidenz64. Er hatte beschlossen, sich dann nach Baktra

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Bactra decreverat, sed veritus ne celeritate Alexandri occuparetur, consilium iterque mutavit. (2) Aberat ab eo Alexander stadia MD, sed iam nullum intervallum adversus velocitatem eius satis longum videbatur. Itaque proelio magis quam fugae se praeparabat. (3) XXX milia peditum sequebantur, in quibus Graecorum erant IIII milia fide erga regem ad ultimum invicta. (4) Funditorum quoque et sagittariorum manus IIII milia expleverat. Praeter hos III milia et CCC equites erant, maxime Bactrianorum: Bessus praeerat, Bactrianae regionis praefectus. (5) Cum hoc agmine paulum declinavit via militari, iussis praecedere lixis impedimentorumque custodibus. (6) Consilio deinde advocato, ‘Si cum ignavis’ inquit ‘et pluris qualemcumque vitam honesta morte aestimantibus ‹me› fortuna iunxisset, tacerem potius quam frustra verba consumerem. (7) Sed maiore quam vellem documento et virtutem vestram et fidem expertus magis etiam coniti debeo ut dignus talibus amicis sim, quam dubitare an vestri similes adhuc sitis. (8) Ex tot milibus, quae sub imperio fuerunt meo, bis me victum, bis fugientem persecuti estis. (9) Fides vestra et constantia ut regem me esse credam facit. Proditores et transfugae in urbibus meis regnant, non, hercule, quia tanto honore digni habentur, sed ut praemiis eorum vestri sollicitentur animi. Meam fortunam tamen quam victoris maluistis sequi, dignissimi quibus, si ego non possim, dii pro me gratiam referant. (10) Et, mehercule, referent. Nulla erit tam surda posteritas, nulla tam ingrata fama, quae non in caelum vos debitis laudibus ferat. Itaque etiamsi consilium fugae, a qua multum abhorret animus, agitassem, vestra tamen virtute fretus obviam issem hosti. (11) Quousque enim in regno exulabo et per fines imperii mei fugiam externum et advenam regem, cum liceat experto belli fortunam aut reparare quae amisi, aut honesta morte defungi? (12) Nisi forte satius est expectare vic-

Geschichte Alexanders des Großen 5,8,1–5,8,12

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zu wenden, aber aus Furcht, Alexanders Schnelligkeit könne ihm zuvorkommen, änderte er seinen Entschluss und die Marschrichtung. (2) Alexander stand von ihm 1 500 Stadien entfernt, aber bei seiner Schnelligkeit schien kein Zwischenraum mehr groß genug zu sein. Darum rüstete er sich mehr zu einer Schlacht als zu einer Flucht. (3) 30 000 Mann Fußvolk folgten ihm, darunter 4 000 Griechen, bis zuletzt von unerschütterlicher Treue gegenüber dem König. (4) Die Schar der Schleuderer und Bogenschützen belief sich auf 4 000; dazu 3 300 Reiter, hauptsächlich Baktrianer. Sie wurden von Bessos, dem Statthalter von Baktrien, befehligt.65 (5) Mit diesem Heer bog er ein wenig von der Militärstraße ab, nachdem er dem Tross und den Bewachern des Gepäckes den Befehl gegeben hatte, vorauszuziehen66. (6) Dann berief er den Rat ein und sprach: „Hätte mich das Schicksal mit Feiglingen und solchen verbunden, die das Leben unter jeder Bedingung höher achten als einen ehrenvollen Tod, so würde ich lieber schweigen als vergebliche Worte machen. (7) Aber nachdem ich durch deutlichere Beweise, als ich gewünscht hätte, eure Tapferkeit und Treue erprobt habe, fühle ich mich verpflichtet, mich noch mehr darum zu bemühen, solcher Freunde würdig zu sein, als daran zu zweifeln, ob ihr noch dieselben seid wie vorher. (8) Von so vielen Tausenden, die unter meinem Befehl gestanden haben, seid ihr mir trotz zweimaliger Niederlage, trotz meiner zweimaligen Flucht dennoch gefolgt. (9) Eure Treue und Beständigkeit bewirkt, dass ich noch daran glaube, König zu sein. Verräter und Überläufer befehlen jetzt in meinen Städten, wahrlich nicht, weil man sie so hoher Ehre für würdig hält, sondern um durch ihre Belohnung auch euch zu locken. Dennoch habt ihr euch lieber an mein als des Siegers Geschick anschließen wollen, wert, zum Dank dafür, wenn ich es nicht kann, an meiner Stelle von den Göttern belohnt zu werden. (10) Und wahrlich, sie werden euch belohnen! Keine spätere Zeit wird so taub, keine Geschichtsschreibung so undankbar sein, dass sie euch nicht mit dem verdienten Lob bis zum Himmel erhöbe. Selbst wenn ich an Flucht gedacht hätte, obwohl ich davon weit entfernt bin, wäre ich dennoch, eurer Tapferkeit vertrauend, dem Feind entgegengezogen. (11) Denn wie lange soll ich in meinem Reich ein Vertriebener sein und durch die Länder meiner Herrschaft vor einem auswärtigen, von weither gekommenen König fliehen? Es ist doch möglich, wenn ich das Kriegsglück versuche, entweder das Verlorene wiederzugewinnen oder eines ehrenvollen Todes zu enden, (12) falls es nicht etwa vor-

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toris arbitrium et Mazaei et Mithrenis exemplo precarium accipere regnum nationis unius – ut iam malit ille gloriae suae quam irae obsequi. (13) Nec di siverint ut hoc decus mei capitis aut demere mihi quisquam ‹queat› aut condonare! ‹Numquam› hoc imperium vivus amittam, idemque erit regni mei, qui spiritus, finis. (14) Si hic animus, si haec lex, nulli non parta libertas est. Nemo e vobis fastidium Macedonum, nemo vultum superbum ferre cogetur. Sua cuique dextera aut ultionem tot malorum pariet aut finem. (15) Equidem, quam versabilis fortuna sit, documentum ipse sum nec immerito mitiores vices eius expecto. Sed si iusta ac pia bella di aversantur, fortibus tamen viris licebit honeste mori. (16) Per ego vos decora maiorum, qui totius Orientis regna cum memorabili laude tenuerunt, per illos viros, quibus stipendium Macedonia quondam tulit, per tot navium classes in Graeciam missas, per tot tropaea regum oro et obtestor ut nobilitate vestra gentisque dignos spiritus capiatis, (17) ut eadem constantia animorum, qua praeterita tolerastis, experiamini quicquid deinde fors tulerit. Me certe in perpetuum aut victoria egregia nobilitabit aut pugna.’ 9 (1) Haec dicente Dareo praesentis periculi species omnium simul corda animosque horrore perstrinxerat, nec aut consilium suppetebat aut vox, cum Artabazus, vetustissimus amicorum, quem hospitem fuisse Philippi supra diximus, ‘Nos vero’ inquit ‘pretiosissimam vestem induti armisque, quanto maximo cultu possumus, adornati regem in aciem sequemur, ea quidem mente ut victoriam speremus, mortem non recusemus.’ (2) Adsensu excepere ceteri hanc vocem, sed Nabarzanes, qui in eodem consilio erat, cum Besso inauditi antea facinoris societate inita regem suum per milites, quibus ambo praeerant, comprehendere et vincire decreverant, ea mente

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zuziehen wäre, sich dem Entschluss des Siegers zu beugen und wie Mazaios und Mithrenes von seinen Gnaden den Thron eines einzelnen Stammes entgegenzunehmen – vorausgesetzt, er wolle sich lieber von seinem Großmut als von seinem Zorn leiten lassen. (13) Aber das wollen die Götter nicht, dass mir irgendjemand diesen Schmuck meines Hauptes nehmen oder als eine Gnade verleihen könne: Nein, lebend will ich dies mein Reich niemals verlieren und erst mit meinem letzten Atemzug will ich aufhören zu herrschen! (14) Wenn unsere Gesinnung, wenn dies das Gesetz unseres Handelns ist, so ist jedem die Freiheit gerettet: Niemand von euch wird gezwungen sein, die hochmütige Verachtung der Makedonen und ihren stolzen Blick zu ertragen. Einem jeden wird seine eigene Rechte entweder Rache für so viele Leiden oder deren Ende schaffen. (15) Wie schwankend das Glück ist, dafür bin ich selbst ein Beweis, und nicht ohne Grund erwarte ich jetzt eine Wendung zum Besseren. Entziehen aber auch die Götter unseren gerechten und heiligen Kämpfen ihre Gunst, so wird es wenigstens tapferen Männern freistehen, ehrenvoll zu sterben. (16) Bei den Ehrenzeichen eurer Vorfahren, die zu ihrem unvergänglichen Ruhm die Reiche des ganzen Ostens besessen haben, bei jenen Männern, denen einst Makedonien Tribut zahlte, bei den vielen Flotten, die wir gegen Griechenland schickten67, bei den zahlreichen Siegeszeichen eurer Könige bitte und beschwöre ich euch: Lasst euch von einem Mut beseelen, wie er eures Adels und Stammes würdig ist, (17) und mit derselben Standhaftigkeit, mit der ihr das Vergangene ertragen habt, nehmt auf euch, was auch immer das Schicksal mit euch vor hat! Mich wenigstens soll entweder ein rühmlicher Sieg oder doch Kampf für immer berühmt machen!“ 9 (1) Während Dareios so sprach, hatte das Bild der gegenwärtigen Gefahr die Herzen und Gemüter aller Versammelten mit Schrecken erfüllt und sie fanden weder Rat noch Wort. Endlich sagte Artabazos, der älteste Freund des Königs, den ich mehrmals als Gastfreund des Philipp genannt habe: „Gewiss, wir wollen in unseren kostbaren Gewändern und in unserem schönsten Waffenschmuck dem König in die Schlacht folgen, und in der Gesinnung, den Sieg zu erhoffen, ohne den Tod zu scheuen.“ (2) Mit Beifall nahmen die Übrigen diese Worte auf. Doch Nabarzanes, der demselben Rat angehörte, hatte sich mit Bessos zu einer bis dahin unerhörten Freveltat68 verbündet: Sie hatten beschlossen, ihren König durch die von beiden befehligten Soldaten ergreifen und fesseln zu

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ut, si Alexander ipsos insecutus foret, tradito rege vivo inirent gratiam victoris, magno profecto cepisse Dareum aestimaturi; sin autem eum effugere potuissent, interfecto Dareo regnum ipsi occuparent bellumque renovarent. (3) Hoc parricidium cum diu volutassent, Nabarzanes aditum nefariae spei praeparans ‘Scio me’ inquit ‘sententiam esse dicturum prima specie haudquaquam auribus tuis gratam; sed medici quoque graviores morbos asperis remediis curant, et gubernator, ubi naufragium timet, iactura quicquid servari potest redimit. (4) Ego tamen, non ut damnum quidem facias suadeo, sed ut te ac regnum tuum salubri ratione conserves. Dis adversis bellum inîmus, et pertinax fortuna Persas urgere non desinit: novis initiis et ominibus opus est. Auspicium et imperium interim alii trade, qui tam diu rex appelletur donec Asia decedat hostis, victor deinde regnum tibi reddat. (5) Hoc autem brevi futurum ratio promittit: Bactra intacta sunt, Indi et Sacae in tua potestate; tot populos, tot exercitus, tot equitum peditumque milia, ad ‹res› renovandas vires paratas habes, ut maior belli moles supersit quam exhausta sit. (6) Quid ruimus beluarum ritu in perniciem non necessariam? Fortium virorum est magis mortem contemnere quam odisse vitam. (7) Saepe taedio laboris ad vilitatem sui compelluntur ignavi; at nihil virtus inexpertum omittit. Itaque ultimum omnium mors est, ad quam non pigre ire satis est. (8) Proinde si Bactra, quod tutissimum receptaculum est, petimus, praefectum regionis eius Bessum regem ‹constituamus› temporis gratia; ‹rebus› compositis iusto regi tibi fiducia‹rium› restituet imperium.’ (9) Haud mirum est Dareum non temperasse animo, quamquam tam impiae voci quantum nefas ‹sub›esset latebat. Itaque ‘Pessimum’ inquit ‘mancipium, repperisti exoptatum tibi tempus quo parricidium ape-

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lassen. Wenn sie Alexander dann verfolgte, so hofften sie durch Auslieferung des lebenden Königs die Gunst des Siegers zu gewinnen, der es ihnen gewiss hoch anrechnen würde, Dareios gefangen zu haben; könnten sie ihm aber entkommen, so wollten sie Dareios töten, sich selbst der Herrschaft bemächtigen und den Krieg erneuern. (3) Da dieser Königsmord lange von ihnen geplant war, suchte Nabarzanes der Verwirklichung ihrer ruchlosen Hoffnung näher zu kommen und sprach: „Ich weiß, dass ich eine Meinung vorbringen werde, die beim ersten Anhören deinen Ohren keineswegs angenehm klingen wird, aber auch die Ärzte heilen schwere Krankheiten durch starke Mittel, und der Steuermann, wo er den Schiffbruch fürchtet, sucht durch Überbordwerfen wenigstens das, was sich retten lässt, zu sichern. (4) Ich rate jedoch nicht einmal, dir einen Verlust zuzufügen, sondern durch ein heilsames Mittel dich und dein Reich zu erhalten. Unter dem Zorn der Götter führten wir den Krieg und ein hartnäckiges Missgeschick lässt nicht ab, die Perser zu bedrängen. Es bedarf eines neuen Anfangs und neuer Vorzeichen. Übergib einstweilen Oberbefehl und Herrschaft einem anderen, der solange König heißen soll, bis der Feind aus Asien abzieht, dir dann aber nach dem Sieg das Reich zurückgeben soll. (5) Dass das aber in Kürze der Fall sein wird, lässt sich mit Sicherheit voraussehen. Baktrien ist noch unberührt, die Inder und Saker69 sind dir noch Untertan, über so viele Völker, so viele Heere und so viele Tausende von Reitern und Fußsoldaten verfügst du, über Kräfte also, die bereitstehen, die Situation umzukehren, so dass von der Masse der Kriegsmittel mehr noch übrig als erschöpft ist. (6) Was stürzen wir wie unvernünftige Tiere ohne Not ins Verderben? Zeichen tapferer Männer ist es, mehr den Tod zu verachten als das Leben zu hassen. (7) Feiglinge werden oft von Missmut über ihre Mühsal dahin gebracht, ihre eigene Person gering zu achten, aber Tapferkeit lässt nichts unversucht. Als das Letzte von allem also bleibt der Tod, und es genügt, ihm unerschrocken entgegenzugehen. (8) Begeben wir uns nun also nach Baktra, dem sichersten Zufluchtsort, und lasst uns den Statthalter jener Provinz, Bessos, als König für die gegenwärtige Lage einsetzen! Sind die Angelegenheiten wieder geordnet, so soll er dir, dem rechtmäßigen König, die anvertraute Herrschaft zurückgeben.“ (9) Kein Wunder, dass Dareios seinen Zorn nicht beherrschen konnte, obwohl ihm entging, welches Verbrechen sich hinter dieser unverschämten Rede verbarg. „Also, elender Sklave“, rief er, „hast du den langersehnten Augenblick

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rires!’ Strictoque acinace interfecturus eum videbatur, (10) ni propere Bessus Bactrianique, ‹quasi› deprecarentur, tristium specie, ceterum, si perseveraret, vincturi circumstetissent. (11) Nabarzanes interim elapsus, mox et Bessus consecutus: copias quibus praeerant a cetero exercitu secedere iubent, secretum inituri consilium. (12) Artabazus convenientem praesenti fortunae sententiam orsus mitigare Dareum temporum identidem admonens coepit: ferret aequo animo qualiumcumque suorum tamen vel stultitiam vel errorem. Instare [tamen] Alexandrum, gravem, etiamsi omnes praesto essent: quid futurum, si persecuti fugam ipsius alienentur? (13) Aegre paruit Artabazo et, quamquam movere castra statuerat, turbatis tamen omnium animis eodem in loco substitit. Sed attonitus maestitia simul et desperatione tabernaculo se inclusit. (14) Ergo in castris, quae nullius regebantur imperio, varii animorum motus erant, nec in commune ut ante consulebatur. (15) Dux Graecorum militum Patron arma capere suos iubet paratosque esse ad exequendum imperium. (16) Persae secesserant: Bessus cum Bactrianis erat temptabatque Persas abducere Bactra et intactae regionis opulenta, simulque quae manentibus instarent pericula ostentans. Persarum omnium eadem fere fuit vox nefas esse deseri regem. (17) Inter haec Artabazus omnibus imperatoriis fungebatur officiis: ille Persarum tabernacula circumire, hortari, monere nunc singulos nunc universos non ante destitit quam satis constaret imperata facturos. Idem aegre a Dareo impetravit ut cibum caperet animumque rebus adverteret. 10 (1) At Bessus et Nabarzanes olim agitatum scelus exequi statuunt, regni cupiditate accensi; Dareo autem incolumi tantas opes

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gefunden, um mit deinen königsmörderischen Absichten hervorzutreten!“ Und er hätte ihn wahrscheinlich mit gezogenem Säbel getötet, (10) hätten sich nicht Bessos und die Baktrianer eilig um ihn gedrängt, scheinbar, als wollten sie sich in tiefer Traurigkeit bittend dazwischenwerfen, in Wirklichkeit aber in der Absicht, ihn zu fesseln, wenn er bei seiner Absicht bleibe. (11) Inzwischen entwich Nabarzanes, dem auch bald Bessos folgte. Beide gaben den von ihnen befehligten Truppen die Anweisung, sich vom übrigen Heer zu trennen, um an die Ausführung ihres geheimen Plans zu gehen. (12) Artabazos tat das der Lage Angemessene und versuchte Dareios, indem er wiederholt auf die derzeitige Lage hinwies, zu beruhigen: Er solle mit Gleichmut den Unverstand oder die Verirrung von Leuten ertragen, die, welcher Art sie auch immer sein mögen, doch zu seinen Leuten gehörten. Alexander zöge heran, ein schwerer Feind, wenn ihm auch alle zur Seite stünden: Was solle geschehen, wenn die, die mit ihm geflohen seien, sich verfeindeten? (13) Mit Mühe gab er Artabazos nach und blieb, obwohl er aufzubrechen beschlossen hatte, wegen der allgemeinen Verwirrung an dem Ort, an dem er sich befand. Aber gebeugt von Schmerz und Verzweiflung, schloss er sich in sein Zelt ein. (14) Im Lager aber, in dem niemand mehr Befehle gab, machten sich verschiedene Stimmungen breit, und nicht wie sonst wurden gemeinsame Beschlüsse gefasst. (15) Patron, der Anführer der griechischen Söldner, befahl seinen Leuten, die Waffen zu ergreifen und sich bereitzuhalten, seinen Befehlen Folge zu leisten.70 (16) Die Perser hatten sich abgesondert; Bessos war bei den Baktrianern und versuchte, die Perser mit sich fortzuziehen, indem er sie auf Baktrien und den Reichtum dieser noch unangetasteten Provinz, zugleich aber auch auf die Gefahren, die den Zurückbleibenden drohten, hinwies. Alle Perser stimmten jedoch fast einmütig überein, es sei pflichtvergessen, den König im Stich zu lassen. (17) Mittlerweile versuchte Artabazos, alle Pflichten eines Feldherrn zu erfüllen. Ihn sah man in den Zelten der Perser herumgehen, bald die Einzelnen, bald die Gesamtheit ermahnen und ansprechen und damit nicht eher aufhören, bis sich mit genügender Sicherheit annehmen ließ, sie würden den Befehlen gehorchen. Ebenso konnte er mit Mühe den Dareios dazu bewegen, Speise zu sich nehmen und seine Aufmerksamkeit der Sachlage zuzuwenden. 10 (1) Doch Bessos und Nabarzanes beschlossen, voll brennender Begierde auf die Herrschaft, die längst geplante Freveltat auszu-

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sperare non poterant. (2) Quippe in illis gentibus regum eximia maiestas est: ad nomen quoque barbari conveniunt, et pristinae veneratio fortunae sequitur adversam. (3) Inflabat impios animos regio, cui praeerant, armis virisque et spatio locorum nulli earum gentium secunda: tertiam partem Asiae tenet, multitudo iuniorum exercitus quos amiserat Dareus aequabat. (4) Itaque non illum modo sed etiam Alexandrum spernebant, inde vires imperii repetituri, si regis potiri contigisset. (5) Diu omnibus cogitatis placuit per milites Bactrianos ad omne obsequium destinatos regem comprehendere, mittique nuntium ad Alexandrum qui indicaret vivum adservari eum; (6) si, id quod timebant, proditionem aspernatus esset, occisuri Dareum et Bactra cum suarum gentium manu petituri. (7) Ceterum propalam comprehendi Dareus non poterat tot Persarum milibus laturis opem regi; Graecorum quoque fides timebatur. (8) Itaque, quod vi non poterant, fraude adsequi temptant: paenitentiam secessionis simulare decreverant et excusare apud regem consternationem suam. Interim qui Persas sollicitarent mittuntur. (9) Hinc spe hinc metu militares animos versant: ruinae rerum subdere illos capita, in perniciem trahi, cum Bactra pateant exceptura eos bonis et opulentia, animis quam concipere non possint. (10) Haec agitantibus Artabazus supervenit, sive regis iussu sive sua sponte, adfirmans mitigatum esse Dareum et eundem illis amicitiae gradum patere apud regem. (11) Illi lacrimantes nunc purgare se, nunc Artabazum orare, ut causam ipsorum tueretur precesque perferret. (12) Sic peracta nocte sub lucis exortum ‹ Bessus› et Nabarzanes cum Bactrianis militibus in vestibulo praetorii aderant, titulum sol-

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führen. Aber solange Dareios noch am Leben war, konnten sie nicht hoffen, sich zu solcher Macht aufzuschwingen. (2) Denn bei jenen Völkern stehen Könige in außerordentlichem Ansehen. Auf ihren bloßen Namen versammeln sich diese Barbaren und dieselbe Verehrung, die sie ihnen im Glück gezollt haben, folgt ihnen auch im Unglück. (3) Dabei stachelte die ruchlosen Herzen die Landschaft an, die sie befehligten: An Bewaffnung, Kriegsmannschaft und räumlicher Ausdehnung steht sie keiner anderen unter jenen Völkerschaften nach. Sie macht den dritten Teil von Asien aus und die Menge ihrer kriegstüchtigen Männer kam den Heeren gleich, die Dareios eingebüßt hatte. (4) Daher schätzten sie nicht allein ihn, sondern auch Alexander gering und dachten, sich von dort die Streitkräfte ihres Reiches zu holen, wenn es ihnen geglückt sei, sich des Königs zu bemächtigen. (5) Nach langer Überlegung hielten sie es für das Beste, durch die baktrischen Soldaten, die bereit waren, jedem ihrer Befehle zu gehorchen, den König ergreifen zu lassen und einen Boten an Alexander zu senden mit der Nachricht, dass sie Dareios lebend in ihrem Gewahrsam hätten. (6) Wenn er, wie sie fürchteten, ihren Verrat zurückweise, so wollten sie Dareios töten und mit der Truppe ihrer eigenen Völker nach Baktra eilen. (7) Aber offen konnte man Dareios nicht ergreifen, da die vielen tausend Perser dem König Beistand leisten würden; auch die Treue der Griechen fürchtete man. (8) So suchten sie, was mit Gewalt nicht möglich war, durch List zu erreichen, und beschlossen, Reue über ihren Abfall zu heucheln und sich beim König mit ihrer Bestürzung zu entschuldigen. In der Zwischenzeit wurden Leute entsandt, um die Perser aufzuwiegeln. (9) Bald durch Hoffnung, bald durch Furcht bearbeiteten sie die Stimmung der Soldaten: Sie lieferten sich nur selbst dem allgemeinen Verderben aus und würden in den Zusammenbruch mit hineingerissen, wo doch Baktra offen stehe, sie mit Gütern und Reichtum aufzunehmen, die sie sich gar nicht vorstellen könnten. (10) Während sie solches in die Tat umsetzten, kam, ich weiß nicht, ob auf Befehl des Königs oder aus eigenem Antrieb, Artabazos zu ihnen und versicherte, Dareios sei besänftigt, und ihre frühere Stellung in der Freundschaft des Königs stehe ihnen noch offen. (11) Unter Tränen versuchten sie, sich bald zu rechtfertigen, bald flehten sie Artabazos an, ihre Sache beim König zu führen und ihm ihre Bitten vorzutragen. (12) Nachdem so die Nacht vergangen war, erschienen bei Anbruch des Tages Bessos und Nabarzanes mit den baktrischen Soldaten am Eingang des Königszeltes, ihren gehei-

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lemnis officii occulto sceleri praeferentes. Dareus signo ad eundum dato currum pristino more conscendit. (13) Nabarzanes ceterique parricidae procumbentes humi, quem paulo post in vinculis habituri erant sustinuere venerari; lacrimas etiam paenitentiae indices profuderunt: adeo humanis ingeniis parata simulatio est! (14) Preces deinde suppliciter admotae Dareum natura simplicem et mitem non credere modo quae adfirmabant, sed flere etiam coegerunt. (15) Ac ne tum quidem cogitati sceleris paenituit, cum intuerentur qualem et regem et virum fallerent. Ille quidem, securus periculi quod instabat, Alexandri manus, quas solas timebat, effugere properabat. 11 (1) Patron autem, Graecorum dux, praecipit suis ut arma, quae in sarcinis antea ferebantur, induerent ad omne imperium suum parati et intenti. (2) Ipse currum regis sequebatur occasioni imminens adloquendi eum: quippe Bessi facinus praesenserat. Sed Bessus id ipsum metuens, custos verius quam comes, a curru non recedebat. (3) Diu ergo Patron cunctatus ac saepius sermone revocatus, inter fidem timoremque haesitans regem intuebatur. (4) Qui ut tandem advertit oculos, Bubacen spadonem inter proximos currum sequentem percontari iubet numquid ipsi velit dicere. Patron se vero, sed remotis arbitris loqui velle cum eo respondit, iussusque propius accedere sine interprete – nam haud rudis Graecae linguae Dareus erat – (5) ‘Rex’ inquit, ‘ex L milibus Graecorum supersumus pauci, omnis fortunae tuae comites et in hoc tuo statu idem qui florente te fuimus, quascumque terras elegeris, pro patria et domesticis rebus petituri. (6) Secundae adversaeque res tuae copulavere nos tecum. Per hanc fidem invictam oro et obtestor, in nostris castris tibi tabernaculum statui, nos corporis tui custodes esse patiaris. Omisimus Graeciam, nulla Bactra sunt nobis, spes omnis in te: uti-

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men Anschlag unter dem Vorwand der Dienstpflicht verbergend. Nachdem Dareios das Zeichen zum Marsch gegeben hatte, bestieg er nach gewohnter Sitte seinen Wagen. (13) Nabarzanes und die übrigen Königsmörder warfen sich zu Boden und brachten es über sich, dem, den sie kurz darauf in Fesseln legen wollten, zu huldigen; ja, sie vergossen sogar zum Zeichen ihrer Reue Tränen: In solchem Grad ist das menschliche Herz zur Heuchelei fähig. (14) Ihre dann vorgetragenen demütigen Bitten brachten Dareios, der von arglosem und mildem Charakter war, nicht nur dazu, ihren Beteuerungen Glauben zu schenken, sondern rührten ihn sogar zu Tränen. (15) Und nicht einmal da empfanden sie Reue über ihr verbrecherisches Vorhaben, als sie sahen, was für ein gütiger Mann und König es war, den sie täuschten. Doch er, ohne die ihn bedrohende Gefahr zu ahnen, beeilte sich nur, den Händen Alexanders zu entfliehen, die er allein fürchtete. 11 (1) Patron aber, der Anführer der Griechen, befahl seinen Leuten, ihre Waffen anzulegen, die bisher mit dem Gepäck transportiert wurden, und auf jeden seiner Befehle achtsam und bereit zu sein. (2) Er selbst folgte dem Wagen des Königs und suchte nach einer Gelegenheit, ihn anzusprechen; denn er hatte Bessos’ böse Absicht im Voraus gespürt. Doch Bessos, der gerade dies fürchtete, wich nicht vom Wagen, in Wahrheit mehr einem Wächter als einem Begleiter ähnlich. (3) Lange also zögerte Patron und hielt, nachdem er öfters davon abgehalten worden war, ein Gespräch anzuknüpfen, zwischen Pflichttreue und Furcht schwankend, seine Blicke auf den König gerichtet. (4) Endlich richtete dieser die Augen auf ihn und befahl dem Eunuchen Bubakes, der dem Wagen zunächst folgte, ihn zu fragen, ob er ihm etwas sagen wolle. Patron erwiderte, er wünsche allerdings, mit dem König zu reden, doch ohne Zeugen, und aufgefordert, näher heranzutreten, sagte er, ohne einen Dolmetscher, da Dareios der griechischen Sprache nicht unkundig war: (5) „Oh König, von 50 000 Griechen sind nur wenig übrig, die dir in jeder Lage gefolgt und dir in deiner jetzigen Lage ebenso treu geblieben sind wie zur Zeit deines Glückes, bereit auch, in jedes Land zu ziehen, das du wählst, ohne an unser Vaterland und Zuhause zu denken. (6) Sowohl dein Glück als auch dein Unglück haben uns mit dir verbunden. Und darum bitte und beschwöre ich dich bei dieser unserer unerschütterlichen Treue, schlage dein Zelt in unserem Lager auf und gestatte, dass wir deine Leibwächter sind. Wir haben Griechenland aufgegeben, ein Baktra gibt es für uns nicht:

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nam et [in] ceteris esset! Plura dici non attinet. Custodiam corporis tui externus et alienigena non deposcerem, si crederem alium posse praestare.’ (7) Bessus quamquam erat Graeci sermonis ignarus, tamen stimulante conscientia indicium profecto Patronem detulisse credebat: et interpretes celato sermone Graeci exempta dubitatio est. Dareus autem, quantum ex voltu concipi poterat, haud sane territus percontari Patrona causam consilii quod adferret coepit. (8) Ille non ultra differendum ratus, ‘Bessus’ inquit ‘et Nabarzanes insidiantur tibi: in ultimo discrimine et fortunae tuae et vitae hic dies aut parricidis aut tibi futurus ‹est› ultimus.’ (9) Et Patron quidem egregiam conservati regis gloriam tulerat. (10) Eludant [vide]licet quibus forte temere humana negotia volvi agique persuasum est, ‹equidem fato crediderim› nexuque causarum latentium et multo ante destinatarum suum quemque ordinem immutabili lege percurrere: (11) Dareus certe respondit, quamquam sibi Graecorum militum fides nota sit, numquam tamen a popularibus suis recessurum. Difficilius sibi esse damnare quam decipi. Quicquid fors tulisset, inter suos perpeti malle quam transfugam fieri. Sero se perire, si salvum esse milites sui nollent. (12) Patron desperata regis salute ad eos quibus praeerat rediit, omnia pro fide experiri paratus. 12 (1) At Bessus occidendi protinus regis impetum ceperat. Sed veritus ne gratiam Alexandri, nisi vivum eum tradidisset, inire non posset, dilato in proximam noctem sceleris consilio, agere gratias incipit quod perfidi hominis insidias iam Alexandri opes spectantis prudenter cauteque vitasset: donum eum hosti laturum fuisse regis caput. (2) Nec mirari hominem mercede conductum omnia habere venalia: sine pignore, sine lare, terrarum orbis exulem, ancipitem hostem ad nutum licentium circumferri. (3) Purganti deinde se

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Alle unsere Hoffnung ruht auf dir, oh dass sie doch auch auf den Übrigen ruhen könnte! Mehr zu sagen ist nicht nötig. Die Bewachung deiner Person aber würde ich, ein Auswärtiger und Fremdling, nicht fordern, wenn ich das Vertrauen hätte, ein anderer könne diese Pflicht erfüllen.“ (7) Obwohl Bessos kein Griechisch verstand, glaubte er doch in seinem Schuldbewusstsein, Patron habe sicherlich eine Anzeige hinterbracht, und aller Zweifel wurde ihm genommen, als ihm Dolmetscher das Gespräch des Griechen mitteilten. Dareios aber, gar nicht erschrocken, soweit es sich aus seiner Miene ablesen ließ, fragte den Patron nach dem Grund für seinen Rat. (8) Dieser hielt weiteren Aufschub nicht für ratsam und sagte: „Bessos und Nabarzanes stellen dir nach: In dieser äußersten Gefahr für deine Stellung und dein Leben wird der heutige Tag entweder für die Königsmörder oder für dich der letzte sein.“ (9) Und wenigstens Patron blieb der herrliche Ruhm, für die Rettung des Königs das Mögliche getan zu haben. (10) Spotten sollen freilich diejenigen, die überzeugt sind, Verlauf und Leitung der menschlichen Angelegenheiten hänge vom blinden Zufall ab: Ich meinerseits glaube, dass nach ewiger Bestimmung und im Zusammenhang verborgener und lange vorher bestimmter Gründe jeder sein Schicksal nach unveränderlichem Gesetz durchläuft. (11) Dareios erwiderte nämlich, obwohl ihm die Treue der griechischen Söldner bekannt sei, werde er sich dennoch niemals von seinen Landsleuten trennen. Eher wolle er sich täuschen lassen als jemanden verdammen. Was immer das Schicksal ihm bestimme, er wolle es lieber mitten unter Seinesgleichen erdulden, als zum Überläufer werden. Er sterbe zu spät, wenn seine Soldaten ihn nicht gerettet wünschten. (12) Patron, an der Rettung des Königs verzweifelnd, kehrte zu denen zurück, die er befehligte, bereit, alles für seine Treuepflicht zu versuchen. 12 (1) Bessos aber war schnell entschlossen gewesen, den König sofort zu töten; nur weil er fürchtete, die Gunst Alexanders nicht gewinnen zu können, wenn er ihn nicht lebend auslieferte, verschob er sein verbrecherisches Vorhaben auf die nächste Nacht und fing an, dem König Dank zu sagen, dass er den Nachstellungen jenes verräterischen Menschen, der schon nach Alexanders Macht hinschiele, klug und vorsichtig ausgewichen sei. Zum Geschenk habe er dem Feind des Königs Haupt gebracht. (2) Und kein Wunder, wenn für einen Söldner alles käuflich sei: Ohne Pfand der Treue, ohne eigenen Herd, von aller Welt ausgestoßen, ziehe er als Parteigänger auf den Wink jedes Meistbietenden umher. (3) Als er sich

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deosque patrios testes fidei suae invocanti Dareus vultu adsentiebatur, haud dubius quin vera deferrentur a Graecis; sed eo rerum ventum erat ut tam periculosum esset non credere suis quam decipi. (4) XXX milia erant quorum inclinata in scelus levitas timebatur, IIII milia Patron habebat. Quibus si credidisset salutem suam damnata popularium fide, parricidio excusationem videbat offerri. Itaque praeoptabat immerito quam iure violari. (5) Besso tamen insidiarum consilium purganti respondit Alexandri sibi non minus iustitiam quam virtutem esse perspectam. Falli eos, qui proditionis ab eo praemium expectent: violatae fidei neminem acriorem fore vindicem ultoremque. (6) Iamque nox adpetebat, cum Persae more solito armis positis ad necessaria ex proximo vico ferenda discurrunt. At Bactriani, ut imperatum a Besso erat, armati stabant. (7) Inter haec Dareus Artabazum acciri iubet, expositisque quae Patron detulerat, haud dubitare Artabazus quin transeundum esset in castra Graecorum: Persas quoque periculo vulgato secuturos. (8) Destinatus sorti suae et iam nullius salubris consilii patiens unicam in illa fortuna opem Artabazum, ultimum illud visurus, amplectitur perfususque mutuis lacrimis inhaerentem sibi avelli iubet; capite deinde velato, ne inter gemitus digredientem velut a rogo intueretur, in humum pronum corpus abiecit. (9) Tum vero custodiae eius adsueti, quos regis salutem vel periculis vitae tueri oportebat, dilapsi sunt, tot armatis, quos iam adventare credebant, haud rati se futuros pares. Ingens ergo in tabernaculo solitudo erat paucis spadonibus, quia quo discederent non habebant, circumstantibus regem. (10) At ille remotis arbitris diu aliud atque aliud consilium animo volutabat. Iamque solitudinem, quam paulo ante pro solacio petiverat, perosus

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hierauf selbst rechtfertigte und die Götter des Vaterlandes zu Zeugen seiner Treue anrief, gab ihm Dareios durch seinen Gesichtsausdruck Zustimmung zu erkennen, obwohl er nicht zweifelte, dass ihm von dem Griechen die Wahrheit hinterbracht worden sei; aber es war schon so weit gekommen, dass es für ihn gleich gefährlich war, seinen eigenen Leuten nicht zu trauen, als sich von ihnen täuschen zu lassen. (4) 30 000 waren es, deren zu einem Verbrechen hinneigende Unzuverlässigkeit zu fürchten war, 4 000 nur hatte Patron;71 und hätte er diesen sein Leben anvertraut und über die Treue seiner Landsleute den Stab gebrochen, so sah er ein, dass er dem Königsmord einen Vorwand gebe. Darum zog er es vor, unverdientermaßen als mit Recht zu leiden. (5) Doch antwortete er, als sich Bessos von dem Verdacht, ihn zu täuschen, reinzuwaschen suchte, er sei nicht minder von der Gerechtigkeit als der edlen Gesinnung Alexanders überzeugt. Die irrten sich, die von ihm einen Lohn des Verrats erwarteten: Es werde keinen strengeren und härteren Rächer eines Treubruchs geben. (6) Und schon brach die Nacht herein, als die Perser nach gewohnter Sitte ihre Waffen ablegten und sich zerstreuten, um alles Notwendige aus dem nächsten Dorf herbeizuschaffen; die Baktrianer hingegen blieben unter Waffen, wie es ihnen von Bessos befohlen war. (7) Inzwischen ließ Dareios den Artabazos herbeirufen, der, als ihm Patrons Anzeige mitgeteilt war, nicht zweifelte, dass man sich hinüber ins Lager der Griechen begeben müsse. Auch die Perser würden folgen, sobald die gefährliche Lage bekannt würde. (8) Doch seinem Schicksal verfallen und für keinen heilsamen Ratschlag mehr empfänglich, umfasste er den Artabazos, der in diesem Unglück seine einzige Stütze war und den er jetzt zum letzten Mal sehen sollte, und – beide waren tränenüberströmt – er befahl dem an ihm Hängenden sich loszureißen; dann warf er sich mit verhülltem Haupt, um nicht zu sehen, wie sich jener unter Schluchzen gleichsam von seinem Grab entfernte, der Länge nach zu Boden. (9) Da zerstreuten sich seine gewöhnlichen Leibwächter, die das Leben des Königs selbst mit Gefahr ihres eigenen hätten beschützen müssen, weil sie fürchteten, den Bewaffneten, die sie bereits herannahen glaubten, nicht gewachsen zu sein. Tiefe Einsamkeit herrschte also in dem Zelt, wo nur noch einige wenige Eunuchen um den König standen, weil sie nicht wussten, wohin sie fliehen sollten. (10) So, fern von allen Zeugen, überlegte er lange bei sich bald diesen, bald jenen Plan; dann schon voll Grauen vor der Einsamkeit, nach der er kurz zuvor wie nach einem Trost ver-

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Bubacen vocari iubet. (11) Quem intuens, ‘Ite’ inquit, ‘consulite vobis ad ultimum regi vestro, ut decebat, fide exhibita; ego hic legem fati meo expecto. Forsitan mireris quod vitam non finiam: alieno scelere quam meo mori malo.’ (12) Post hanc vocem spado gemitu non tabernaculum modo sed etiam castra complevit. Inrupere deinde alii laceratisque vestibus lugubri et barbaro ululatu regem deplorare coeperunt. (13) Persae ad illos clamore perlato attoniti metu nec arma capere, ne in Bactrianos inciderent, nec quiescere audebant, ne impie deserere regem viderentur. (14) Varius ac dissonus clamor sine duce ac sine imperio totis castris referebatur. Besso et Nabarzani nuntiaverant sui regem a semetipso interemptum esse: planctus eos deceperat. (15) Itaque citatis equis advolant sequentibus quos ad ministerium sceleris delegerant, et cum tabernaculum intrassent, quia regem vivere spadones indicabant, comprehendi vincirique iusserunt. (16) Rex curru paulo ante vectus et deorum auspiciis ac suis honoribus cultus nulla externa ope admota captivus servorum suorum in sordidum vehiculum [pellibus undique contectus] imponitur. (17) Pecunia regis et supellex quasi belli iure diripitur, onustique praeda per scelus ultimum parta fugam intendunt. (18) Artabazus cum his qui imperio parebant Graecisque militibus Parthienen petebat, omnia tutiora parricidarum contuitu ratus. (19) Persae promissis Bessi onerati, maxime quia nemo alius erat quem sequerentur, coniunxere se Bactrianis agmen eorum tertio adsecuti die. (20) Ne tamen honos regi non haberetur, aureis compedibus Dareum vinciunt, nova ludibria subinde excogitante fortuna. Et ne forte cultu regio posset agnosci, sordidis pellibus

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langt hatte, ließ er Bubakes rufen. (11) Er blickte ihn an und sprach: ,,Geht, denkt an eure Rettung, nachdem ihr, wie es sich gehörte, bis zuletzt eurem König treu gewesen seid. Ich erwarte hier die Bestimmung meines Schicksals. Vielleicht wunderst du dich, dass ich nicht selbst mein Leben beende; doch will ich lieber durch die verbrecherische Hand anderer als durch die eigene sterben.“ (12) Als er diese Worte hörte, erfüllte der Eunuch nicht nur das Zelt, sondern das ganze Lager mit seinem Jammergeschrei. Dann brachen auch andere herein, zerrissen ihre Gewänder und begannen unter kläglichem und barbarischem Geheul, ihren König zu betrauern. (13) Als das Geschrei zu ihnen drang, wagten die Perser voll Bestürzung und Furcht weder die Waffen zu ergreifen, um nicht unter die Baktrianer zu fallen, noch sich ruhig zu verhalten, damit es nicht scheine, als verließen sie treulos ihren König. (14) Ein verworrenes und misstönendes Geschrei hallte im ganzen Lager wider, wo es keinen Führer und Oberbefehl mehr gab. Bessos und Nabarzanes hatten ihren Leuten, getäuscht durch das Wehklagen, verkündet, der König habe sich selbst getötet. (15) Darum eilten sie in Eile herbei, gefolgt von denen, die sie zu Helfern bei ihrem Verbrechen auserwählt hatten; und als sie auf die Mitteilung der Eunuchen, dass der König lebe, in das Zelt eingetreten waren, befahlen sie, ihn zu ergreifen und zu fesseln. (16) Er, der noch kurz zuvor auf seinem Wagen einhergefahren war, durch die ihm vorgetragenen göttlichen Zeichen und die ihm gebührenden Ehrenbezeigungen verherrlicht, wurde, ohne dass ein Fremder Hand an ihn gelegt hätte, als ein Gefangener seiner eigenen Sklaven [rings mit Fellen zugedeckt] auf einen schmutzigen Ochsenkarren geworfen. (17) Sein Geld und Gerät wurde wie nach Kriegsrecht geplündert, und beladen mit der Beute, die sie durch das schändlichste aller Verbrechen erlangt hatten, schlugen sie den Weg zur Flucht ein. (18) Artabazos zog mit denen, die seinem Befehl gehorchten, und den griechischen Söldnern nach Parthyene72, alles andere für sicherer achtend als die Begegnung mit den Königsmördern. (19) Die Perser, von Bessos mit Versprechungen überhäuft, schlossen sich zumeist, weil niemand anderes da war, dem sie hätten folgen können, an die Baktrianer an und erreichten deren Heereszug am dritten Tag. (20) Damit jedoch dem König die verdiente Ehrenbezeigung nicht versagt bleibe, schlug man den Dareios in goldene Fesseln, eine neue Art Hohn, wie sie mitunter das Schicksal ersinnt. Und damit er nicht etwa an der königlichen Kleidung erkannt werden könne, hatten sie den

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vehiculum intexerant; ignoti iumenta agebant. Ne percontantibus in agmine monstrari posset, custodes procul sequebantur. 13 (1) Alexander audito Dareum movisse ab Ecbatanis, omisso itinere quod patebat in Mediam, fugientem insequi pergit strenue. (2) Tabas – oppidum est in Paraetacene ultima – pervenit: ibi transfugae nuntiant praecipitem fuga Bactra petere Dareum. (3) Certiora deinde cognoscit ex Bagistane Babylonio: ‹non› equidem vinctum regem, sed in periculo esse aut mortis aut vinculorum adfirmabat. (4) Rex ducibus convocatis, ‘Maximum’ inquit ‘opus, sed labor brevissimus superest. Dareus haud procul destitutus a suis aut oppressus. In illo corpore posita est nostra victoria, et tanta res celeritatis est praemium.’ (5) Omnes pariter conclamant paratos ipsos sequi: nec labori nec periculo parceret. Igitur raptim agmen cursus magis quam itineris modo ducit, ne nocturna quidem quiete diurnum laborem relaxante. (6) Itaque D stadia processit, perventumque erat in vicum in quo Dareum Bessus comprehenderat. (7) Ibi Melon, Darei interpres, excipitur: corpore aeger non potuerat agmen adsequi et, deprehensus celeritate regis, transfugam se esse simulabat. Ex hoc acta cognoscit. (8) Sed fatigatis necessaria quies erat. Itaque delectis equitum VI milibus CCC, quos dimachas appellabant, adiungit. Dorso hi graviora arma portabant, ceterum equis vehebantur: cum res locusque posceret, pedestris acies erat. (9) Haec agentem Alexandrum adeunt Orsilos et Mithracenes: Bessi parricidium exosi transfugerant nuntiabantque stadia D abesse Persas, ipsos brevius iter monstraturos. (10) Gratus regi adventus transfugarum fuit. Itaque prima vespera ducibus isdem cum expedita equitum manu monstratam viam ingreditur phalange, quantum festinare posset,

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Wagen mit schmutzigen Fellen überdeckt. Leute, die ihn nicht kannten, trieben die Zugtiere. Und damit er unterwegs keinem, der nach ihm forsche, gezeigt werden könne, folgten die Wächter in Entfernung. 13 (1) Als Alexander gehört hatte, dass Dareios von Ekbatana aufgebrochen sei, gab er den Marsch nach Medien auf, der noch vor ihm lag, und fuhr fort, dem Fliehenden rastlos zu folgen. (2) Er gelangte nach Tabai73, einer Stadt an den äußersten Grenzen der Paraitakene74; Überläufer meldeten ihm, Dareios fliehe in stürmischer Eile nach Baktra75. (3) Näheres erfuhr er hierauf von dem Babylonier Bagistanes, der ihn zwar noch nicht von dem gefesselten König benachrichtigte, ihm aber erzählte, dass derselbe in Gefahr sei, entweder getötet oder gefangen zu werden.76 (4) Alexander rief seine Feldherren zusammen und sprach: „Das wichtigste Werk, das jedoch nur sehr kurze Anstrengung erfordert, ist noch übrig. Dareios ist nicht fern, von seinen Leuten verlassen oder überwältigt. Auf seiner Person beruht unser Sieg, und nur Schnelligkeit kann diesen hohen Preis erringen.“ (5) Alle riefen einstimmig, sie seien bereit zu folgen; er solle ihnen keine Mühe oder Gefahr ersparen. Hastig also setzte er sein Heer in Bewegung, mehr im Lauf- als im Marschschritt, wobei nicht einmal Nachtruhe Erholung von der Anstrengung des Tages bot. (6) So rückte man 500 Stadien vor und gelangte zu dem Flecken, wo Bessos den Dareios hatte ergreifen lassen. (7) Dort wurde Dareios’ Dolmetscher Melon aufgegriffen, der wegen Krankheit dem Heer nicht hatte nachkommen können und, von der schnellen Ankunft des Königs überrascht, sich stellte, als habe er zu ihm übergehen wollen. Von diesem erfuhr Alexander, was geschehen war. (8) Aber für die Erschöpften war Ruhe unerlässlich. Darum wählte er sich 6 000 Reiter aus und dazu 300 der so genannten „Dimachai“77. Diese waren beritten und trugen dann ihre schwereren Waffen auf dem Rücken; wenn es aber die Umstände und die Örtlichkeit erforderten, kämpften sie zu Fuß. (9) Während Alexander damit beschäftigt war, kamen Orsilos78 und Mithrakenes zu ihm, die aus Abscheu vor dem Verrat des Bessos übergelaufen waren, und verkündeten, die Perser stünden 500 Stadien von hier; sie selbst könnten ihm einen kürzeren Weg zeigen. (10) Dem König war die Ankunft der Überläufer willkommen. Er schlug daher bei einbrechendem Abend unter Führung der Genannten mit seiner kampfbereiten Reiterschar den angezeigten Weg ein, während die Phalanx Befehl erhielt, so schnell wie möglich zu fol-

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sequi iussa. Ipse quadrato agmine incedens ita cursum regebat ut primi coniungi ultimis possent. (11) CCC stadia processerant cum occurrit Brochubelus, Mazaei filius, Syriae quondam praetor‹is›. Is quoque transfuga nuntiabat Bessum haud amplius quam CC stadia abesse; exercitum, utpote ‹qui nihil› praecaveret, incompositum inordinatumque procedere. Hyrcaniam videri petituros. Si festinaret sequi palantes, superventurum. Dareum adhuc vivere. (12) Strenuo alioquin cupiditatem consequendi transfuga iniecerat. Itaque calcaribus subditis effuso cursu eunt. Iamque fremitus hostium iter ingredientium exaudiebatur, sed prospectum ademerat pulveris nubes. Paulisper ergo inhibuit cursum, donec consideret pulvis. (13) Iamque conspecti a barbaris erant et abeuntium agmen conspexerant nequaquam futuri pares, si Besso tantum animi fuisset ad proelium quantum ad parricidium fuerat. Namque et numero barbari praestabant et robore; ad hoc refecti cum fatigatis certamen inituri erant. (14) Sed nomen Alexandri et fama, maximum in bello utique momentum, pavidos in fugam avertit. (15) Bessus vero et ceteri facinoris eius participes, vehiculum Darei adsecuti, coeperunt hortari eum conscenderet equum et se hosti fuga eriperet. (16) Ille deos ultores adesse testatur et Alexandri fidem implorans negat se parricidas velle comitari. Tum vero ira quoque accensi tela coiciunt in regem multisque confossum vulneribus relinquunt. (17) Iumenta quoque, ne longius prosequi possent, convulnerant duobus servis, qui regem comitabantur, occisis. (18) Hoc edito facinore, ut vestigia fugae spargerent, Nabarzanes Hyrcaniam, Bessus Bactra paucis equitum comitantibus petebant. Barbari ducibus destituti, qua quemque aut spes ducebat aut pavor dissipabantur; D tantum equites congregaverant se incerti adhuc resistere melius esset an fugere. (19) Alexander hostium trepidatione comperta, Nicanorem cum equitum parte ad inhibendam fugam emittit, ipse cum ceteris sequi-

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gen. Man marschierte im Viereck aufgestellt und so, dass sich die Vordersten an die Hintersten anschließen konnten. (11) So waren sie 300 Stadien vorgerückt, als ihnen der Sohn des Mazaios und der ehemalige Satrap von Syrien, Brokubelos79, begegneten, ebenfalls als Überläufer und mit der Meldung, Bessos sei nicht weiter als 200 Stadien entfernt. Das Heer ziehe – ohne alle Vorsicht – aufgelöst und ungeordnet einher. Anscheinend wollten sie nach Hyrkanien, und wenn er sich mit der Verfolgung beeile, werde er sie überraschen können: Dareios sei noch am Leben. (12) In dem ohnedies schon Rastlosen hatte der Überläufer neuen Eifer zur Verfolgung geweckt, und man ritt daher, indem man die Sporen gegeben hatte, in wildem Galopp. Und schon hörte man den Lärm der ihres Weges ziehenden Feinde, ihren Anblick jedoch verhinderte der aufwirbelnde Staub. Er hielt also ein wenig im Lauf an, bis sich der Staub gelegt hatte. (13) Aber auch von den Barbaren waren sie schon erblickt worden, und nun sahen sie ihrerseits das feindliche Heer auf der Flucht, obwohl sie ihnen keinesfalls gewachsen gewesen wären, wenn Bessos so viel Mut zur Schlacht wie zum Königsmord gehabt hätte. Denn sowohl an Zahl als auch an Stärke waren die Barbaren überlegen. Dazu hätten sie mit frischen Kräften gegen Erschöpfte kämpfen können. (14) Allein der Name und Ruhm Alexanders, im Krieg jedenfalls eine Sache von großem Gewicht, trieb sie erschreckt in die Flucht. (15) Bessos aber und die übrigen Verbrecher setzten dem Wagen des Dareios nach und drängten, er solle ein Pferd besteigen und sich dem Feind durch Flucht entziehen. (16) Jener aber erklärte feierlich, jetzt sei die Rache der Götter da, und Alexanders Schutz sich empfehlend weigerte er sich, die Königsmörder zu begleiten. Da gerieten sie in Zorn: Sie schleuderten ihre Speere auf den König und ließen den aus vielen Wunden Blutenden im Stich. (17) Auch die Zugtiere verwundeten sie, damit sie nicht weiter fort konnten, und töteten die beiden Sklaven, die den König begleiteten. (18) Nach dieser Tat eilten sie, von wenigen Reitern begleitet, um die Spuren ihrer Flucht zu verwischen, Nabarzanes nach Hyrkanien, Bessos nach Baktra. Die Barbaren, von ihren Führern verlassen, zerstreuten sich, ein jeder, wohin ihn Hoffnung oder Furcht trieb. Nur 500 Reiter scharten sich zusammen, noch unentschieden, ob sie Widerstand leisten oder fliehen sollten. (19) Als Alexander die Verwirrung der Feinde bemerkte, entsandte er Nikanor mit einem Teil der Reiter, um die Flucht zu verhindern; er selbst folgte mit den Übrigen. Ungefähr 3 000, die Widerstand leis-

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tur. Tria ferme milia resistentia occisa sunt, reliquum agmen pecudum more intactum agebatur, iubente rege ut caedibus abstineretur. (20) Nemo captivorum erat qui monstrare Darei vehiculum posset: singula, ut quaeque prenderent, scrutabantur, nec tamen ullum vestigium fugae regis extabat. (21) Festinantem Alexandrum vix III milia equitum persecuta sunt. At in eos, qui lentius sequebantur, incidebant universa fugientium agmina. (22) Vix credibile dictu, plures captivi quam qui caperent erant: adeo omnem sensum territis fortuna penitus excusserat, ut nec hostium paucitatem nec multitudinem suam satis cernerent. (23) Interim iumenta, quae Dareum vehebant, nullo regente decesserant militari via et errore delata per quattuor stadia in quadam valle constiterant, aestu simulque vulneribus fatigata. (24) Haud procul erat fons, ad quem monstratum a peritis Polystratus Macedo siti maceratus accessit, ac dum galea haustam aquam sorbet, tela iumentorum deficientium corporibus infixa conspexit. (25) Miratusque confossa potius quam abacta esse, semivivi hominis ‹***›

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teten, wurden getötet; den übrigen Haufen trieb man unversehrt wie eine Herde Schafe vor sich her, da der König befahl, mit dem Morden aufzuhören. (20) Unter den Gefangenen war keiner, der den Wagen des Dareios hätte zeigen können. Jedes einzelne Fuhrwerk, das ihnen in die Hände fiel, durchsuchten sie, und dennoch war keine Spur des flüchtenden Königs vorhanden. (21) Dem eilenden Alexander folgten kaum 3 000 Reiter80. Den langsamer Nachkommenden aber fielen sämtliche Scharen der Flüchtlinge in die Hände; (22) und es mag kaum glaublich scheinen: Es gab mehr Gefangene als Leute, die sie gefangen nahmen. So sehr hatte das Schicksal die Erschreckten aller und jeder Besinnung beraubt, dass sie weder die geringe Zahl der Feinde noch ihre eigene Überzahl klar erkannten. (23) Inzwischen waren die Tiere, die den Wagen des Dareios zogen, ohne Lenker von der Heerstraße abgewichen, und, nachdem sie vier Stadien weit umhergeirrt waren, von der Hitze und ihren Wunden erschöpft, in einem Tal stehen geblieben. (24) Nicht weit davon war eine Quelle, zu der, da sie ihm von Ortskundigen gezeigt worden war, ein vor Durst lechzender Makedone namens Polystratos kam; und während er das Wasser, das er sich mit dem Helm geschöpft hatte, schlürfte, sah er in den Leibern der hingesunkenen Zugtiere Speere stecken. (25) Verwundert, dass man sie lieber durchbohrt als weggetrieben habe, eines halb lebendigen Menschen ‹***›81

LIBER VI 1 (1) ‹***› pugnae discrimen immisit, obtruncatisque, qui promptius resistebant, magnam partem hostium propulit. (2) Coeperant fugere victores ‹et›, donec avidius sequentes in planum deduxere, inulti cadebant; sed ut primum locus, in quo stare possent, fuit, aequis viribus dimicatum est. (3) Inter omnes tamen Lacedaemonios rex eminebat, non armorum modo et corporis specie, sed etiam magnitudine animi, quo uno vinci non potuit. (4) Undique nunc comminus, nunc eminus petebatur, diuque arma circumferens alia tela clipeo excipiebat, corpore alia vitabat, donec hasta femina perfossa plurimo sanguine effuso destituere pugnantem. (5) Ergo clipeo suo exceptum armigeri raptim in castra referebant iactationem vulnerum haud facile tolerantem. (6) Non tamen omisere Lacedaemonii pugnam et, ut primum sibi quam hosti aequiorem locum capere potuerunt, densatis ordinibus effuse fluentem in se aciem excepere. (7) Non aliud discrimen vehementius fuisse memoriae proditum est. Duarum nobilissimarum bello gentium exercitus pari Marte pugnabant. (8) Lacedaemonii vetera, Macedones praesentia decora intuebantur; illi pro libertate, hi pro dominatione pugnabant; Lacedaemoniis dux, Macedonibus locus deerat. (9) Diei quoque unius tam multiplex casus modo spem modo metum utriusque partis augebat, velut de industria inter fortissimos viros certamen aequante fortuna. (10) Ceterum angustiae loci, in quo haeserat pugna, non patiebantur totis ingredi viribus: spectabant ergo plures quam inie-

BUCH 6 1 (1) ‹***›1 er warf sich mitten in die Entscheidung des Kampfes, hieb alle nieder, die kräftigeren Widerstand leisteten, und trieb einen großen Teil der Feinde vor sich her. (2) Die Sieger hatten bereits zu fliehen begonnen und sanken wehrlos hin, solange bis sie die zu eifrigen Verfolger in die Ebene herabgelockt hatten. Sobald sich ihnen aber ein Ort bot, an dem sie festen Fuß fassen konnten, wurde wieder mit gleichen Kräften gestritten. (3) Unter allen Lakedaimoniern jedoch zeichnete sich ihr König aus2, nicht allein durch die Art seiner Waffen und die Gestalt seines Körpers, sondern auch durch seinen herausragenden Mut, in dem er von niemandem übertroffen werden konnte. (4) Von allen Seiten wurde – bald aus der Nähe, bald aus der Ferne – auf ihn gezielt; lange kämpfte er nach allen Seiten, fing die Geschosse mit seinem Schild auf oder wich ihnen durch eine Körperwendung aus, bis seine Schenkel von einem Speer durchbohrt wurden und er nach großem Blutverlust im Kampf zusammensank. (5) Seine Waffenträger nahmen ihn auf seinen Schild und trugen ihn rasch ins Lager zurück, wobei er durch die Erschütterung seiner Wunden kaum erträgliche Schmerzen erlitt. (6) Dennoch gaben die Lakedaimonier den Kampf nicht auf, und sobald sie ein Terrain erreichen konnten, das für sie günstiger war als für den Feind, empfingen sie in dicht gedrängter Stellung dessen stürmisch heranflutende Schlachtordnung. (7) Von keinem anderen Kampf wird überliefert, dass er hartnäckiger gewesen sei. Die Heere zweier im Krieg hochberühmter Nationen stritten mit gleicher Tapferkeit. (8) Den Lakedaimoniern schwebte ihr alter, den Makedonen ihr gegenwärtiger Ruhm vor Augen; jene kämpften für ihre Freiheit, diese für ihre Herrschaft; den Lakedaimoniern fehlte ihr Führer, den Makedonen Raum für die Entfaltung. (9) Auch die vielfachen Wechselfälle des einen Tages mehrten bald die Hoffnung, bald die Furcht beider Parteien, indem das Schicksal wie mit Absicht den Streit zwischen diesen tapferen Männern in der Schwebe hielt. (10) Der enge Raum, in dem sich der Kampf festgesetzt hatte, erlaubte übrigens nicht, sich mit allen Streitkräften daran zu beteiligen; so

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rant proelium, et qui extra teli iactum erant, clamore invicem suos accendebant. (11) Tandem Laconum acies languescere lubrica arma sudore vix sustinens, pedem deinde referre coepit et urgente hoste apertius fugere. (12) Insequebatur dissipatos victor et emensus cursu omne spatium, quod acies Laconum obtinuerat, ipsum Agin persequebatur. (13) Ille ut fugam suorum et proximos hostium conspexit, deponi se iussit; expertusque membra, an impetum animi sequi possent, (14) postquam deficere sensit, poplitibus semet excepit galeaque strenue sumpta clipeo protegens corpus hastam dextera vibrabat ultro vocans hostem, si quis iacenti spolia demere auderet. (15) Nec quisquam fuit, qui sustineret comminus congredi: procul missilibus adpetebatur, ea ipsa in hostem retorquens, donec lancea nudo pectori infixa est. Qua ex vulnere evolsa inclinatum ac deficiens caput clipeo paulisper excepit, dein linquente spiritu pariter ac sanguine moribundus in arma procubuit. (16) Cecidere Lacedaemoniorum V milia et CCC, ex Macedonibus haud amplius M; ceterum vix quisquam nisi saucius revertit in castra. Haec victoria non Spartam modo sociosque eius, sed etiam omnis, qui fortunam bellicam spectaverant, fregit. (17) Nec fallebat Antipatrum dissentire ab animis gratulantium vultus, sed bellum finire cupienti opus erat decipi. Et quamquam fortuna rerum placebat, invidiam tamen, quia maiores res erant quam quas praefecti modus caperet, metuebat. (18) Quippe Alexander hostes vinci voluerat, Antipatrum vicisse ne tacitus quidem indignabatur suae demptum gloriae existimans, quicquid cessisset alienae. (19) Itaque Antipater, qui probe nosset spiritus eius, non est ausus ipse agere arbitria victoriae, sed concilium Graecorum, quid fieri placeret, consuluit. (20) A quo Lacedaemonii nihil aliud quam ut oratores mit-

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mussten mehr auf den Kampf warten, als in ihn verwickelt waren, und die außerhalb Schussweite waren, feuerten wechselweise ihre Leute durch Geschrei an. (11) Schließlich ermattete das Heer der Lakedaimonier und war kaum noch imstande, die von Schweiß triefenden Waffen zu halten; dann begann es zurückzuweichen und vor dem Andrängen des Feindes entschiedener zu fliehen. (12) Den Zerstreuten folgten die Sieger und erreichten, nachdem sie den ganzen zuvor von der lakedaimonischen Schlachtordnung eingenommenen Raum im Laufschritt durchmessen hatten, den Agis selbst. (13) Sobald dieser die Flucht der Seinen und das Nahen der Feinde bemerkte, ließ er sich niedersetzen und untersuchte seine Glieder, ob sie seinem Kampfesmut noch gehorchen könnten. (14) Da er sie jedoch versagen fühlte, ließ er sich auf die Knie nieder, nahm mutig seinen Helm, bedeckte den Körper mit dem Schild und schwang mit der Rechten den Speer; damit forderte er selbst den Feind heraus, falls es einer wagte, ihm – dem am Boden Liegenden – die Waffe zu entreißen. (15) Keiner jedoch fand sich, der einen Nahkampf mit ihm wagte. Aus der Ferne warf man mit Geschossen nach ihm, die er selbst wieder gegen den Feind schleuderte, bis ihm eine Lanze in die ungeschützte Brust fuhr. Als er sie aus der Wunde gezogen hatte, lehnte er das geneigte und ermattende Haupt ein wenig gegen den Schild und sank dann, indem mit dem strömenden Blut zugleich der Atem entwich, sterbend auf seine Waffen nieder.3 (16) Von den Lakedaimoniern fielen 5 300, von den Makedonen nicht mehr als 1 000; doch kehrte kaum einer von ihnen unverwundet ins Lager zurück.4 Dieser Sieg brach nicht nur den Mut Spartas und seiner Bundesgenossen, sondern auch aller derer, die Kriegsglück erwartet hatten. (17) Auch entging es Antipatros nicht, dass die Mienen deren, die ihn beglückwünschten, nicht mit ihrer inneren Einstellung übereinstimmten; doch da er den Krieg zu beenden wünschte, musste er sich täuschen lassen. Obwohl also der Erfolg seiner Taten ihm schmeichelte, fürchtete er dennoch den Neid, weil seine Erfolge größer waren, als es der beschränkten Stellung eines Statthalters angemessen schien. (18) Denn Alexander hatte zwar den Sieg über die Feinde gewünscht, den Unmut aber darüber, dass Antipatros der Sieger war, verschwieg er nicht einmal, da er meinte, seinem Ruhm sei entzogen, was fremdem zuteil geworden war. (19) Darum wagte Antipatros, der den Stolz des Königs gut kannte, nicht, die Entscheidungen nach seinem Sieg selbst zu treffen, sondern befragte eine Versammlung der Griechen5 nach ihrer Meinung. (20) Die Lake-

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tere ad regem liceret precati veniam defectionis praeter auctores impetraverunt. Megalopolitanis, quorum urbs obsessa erat a defectionis sociis, Achaei et Elei centum XX talenta dare iussi sunt. (21) Hic fuit exitus belli, quod repente ortum prius tamen finitum est, quam Dareum Alexander apud Arbela superaret. 2 (1) Sed ut primum instantibus curis laxatus est animus militarium rerum quam quietis otiique patientior, excepere eum voluptates, et quem arma Persarum non fregerant, vitia vicerunt: (2) tempestiva convivia et perpotandi pervigilandique insana dulcedo ludique et greges paelicum. Omnia in externum lapsa morem; quem quidem aemulatus quasi potiorem suo ita popularium animos oculosque pariter offendit, ut a plerisque amicorum pro hoste haberetur. (3) Tenaces quippe disciplinae suae solitosque parco ac parabili victu ad implenda naturae desideria defungi in peregrina et devictarum gentium mala impulerat. (4) Hinc saepius comparatae in caput eius insidiae, secessio militum et liberior inter mutuas querelas dolor, ipsius deinde nunc ira nunc suspiciones, quas excitabat inconsultus pavor, ceteraque his similia, quae deinde dicentur. (5) Igitur cum tempestivis conviviis dies pariter noctesque consumeret, satietatem epularum ludis interpellabat, non contentus artificum, quos e Graecia exciverat, turba: quippe captivae iubebantur suo ritu canere inconditum et abhorrens peregrinis auribus carmen. (6) Inter quas unam rex ipse conspexit maestiorem quam ceteras et producentibus eam verecunde reluctantem. Excellens erat forma, et formam pudor honestabat: deiectis in terram oculis et, quantum licebat, ore velato suspicionem praebuit regi nobiliorem esse, quam ut inter convivales ludos deberet ostendi. (7) Ergo interrogata, quaenam esset, neptim se Ochi, qui nuper regnasset in Persis, filio eius genitam esse respon-

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daimonier erlangten nur die Erlaubnis, Gesandte an den König zu schicken, und sie erwirkten Verzeihung für ihre Abtrünnigkeit, mit Ausnahme von deren Urhebern. Den Megalopolitanern, deren Stadt von den verbündeten Abtrünnigen belagert worden war, mussten die Achaier und Eleer 120 Talente zahlen. (21) Dies war der Ausgang des Krieges, der plötzlich entbrannt und doch bereits beendet war, bevor Alexander den Dareios bei Arbela besiegte.6 2 (1) Sobald jedoch Alexanders Sinn von den bedrängenden Sorgen entlastet war, stürzte er sich – eher geeignet, die Anstrengung des Krieges als Ruhe und Muße zu ertragen – ins Vergnügen, und so besiegten ihn, den die Waffen der Perser nicht bezwungen hatten, die Laster: (2) Gelage schon früh am Tag, unsinnige Lust an nächtlichen Trinkgelagen, Spiele und ganze Scharen von Dirnen – alles neigte zu den fremden Sitten hin. Und indem er diese so nachahmte, als wären sie besser als die einheimischen, beleidigte er die Gemüter und Augen seiner Landsleute so sehr, dass er von den meisten seiner Freunde wie ein Feind betrachtet wurde7. (3) Denn er hatte die, die treu an ihrer alten Sitte hingen und gewohnt waren, sich mit sparsamer und leicht zu beschaffender Kost zur Stillung ihrer natürlichen Bedürfnisse zu begnügen, zu den fremdartigen Lastern besiegter Völker verlockt. (4) Die Folgen waren gegen sein Leben gerichtete Nachstellungen, Empörung der Soldaten und freiere Äußerungen des Unwillens bei ihren wechselseitigen Klagen – und auf seiner Seite bald Zorn, bald Misstrauen, wie es ihm unbedachte Furcht eingab, und anderes dieser Art, wovon später berichtet werden soll. (5) Während er also Tage wie Nächte mit frühzeitig begonnenen Gelagen verbrachte, unterbrach er die Übersättigung durch die reich auftragenen Speisen durch Spiele, wobei er sich nicht mit dem Künstlervolk begnügte, das er aus Griechenland hatte holen lassen; vielmehr ließ er auch die gefangenen Frauen ihre gewohnten Weisen singen – eine rohe und für fremde Ohren misstönende Musik. (6) Unter diesen Frauen erblickte der König eine, die trauriger war als die anderen und die sich ihrer Vorführung sittsam widersetzte. Sie war von ausgezeichneter Schönheit, und ihre Schönheit wurde durch Züchtigkeit geadelt. Ihre Augen zu Boden gesenkt und das Antlitz so weit als möglich verhüllt, erweckte sie beim König die Vermutung, dass sie vornehmeren Standes sei, als dass es sich gehört hätte, sie unter den Belustigungen beim Gastmahl aufzuführen. (7) Sie wurde befragt, wer sie sei, und erwiderte, sie sei die Enkeltochter des Ochos, der noch vor kurzem in Persien

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dit, uxorem Hystaspis fuisse. Propinquus hic Darei fuerat, magni et ipse exercitus praetor. (8) Adhuc in animo regis tenues reliquiae pristini moris haerebant. Itaque fortunam regia stirpe genitae et tam celebre nomen [neptem] Ochi reveritus, (9) non dimitti modo captivam, sed etiam restitui ei suas opes iussit, virum quoque requiri, ut reperto coniugem redderet. Postero autem die praecepit Hephaestioni, ut omnes captivos in regiam iuberet adduci. Ibi singulorum nobilitate spectata secrevit a vulgo, quorum eminebat genus. M hi fuerunt; inter quos repertus est Oxathres, Darei frater, non illius fortuna quam indole animi sui clarior. (10) XXVI ‹milia› talentum proxima praeda redacta erant; e quis duodecim milia in congiarium militum absumpta sunt, par huic pecuniae summa custodum fraude subtracta est. (11) Oxydates erat nobilis Perses, qui a Dareo capitali supplicio destinatus cohibebatur in vinculis; huic liberato satrapeam Mediae attribuit, fratremque Darei recepit in cohortem amicorum omni vetustae claritatis honore servato. (12) Hinc in Parthienen perventum est, tunc ignobilem gentem, nunc caput omnium, qui post Euphraten et Tigrim amnes siti Rubro mari terminantur. (13) Scythae regionem campestrem ac fertilem occupaverunt, graves adhuc accolae. Sedes habent et in Europa et in Asia: qui super Bosphorum colunt, adscribuntur Asiae, at qui in Europa sunt, a laevo Thraciae latere ad Borysthenem atque inde ad Tanaim [alium amnem] recta plaga attinent. (14) Tanais Europam et Asiam medius interfluit. Nec dubitatur, quin Scythae, qui Parthos condidere, non a Bosphoro sed ex Europae regione penetraverint. (15) Urbs erat ea tempestate clara Hecatompylos, condita a Graecis; ibi stativa rex habuit

Geschichte Alexanders des Großen 6,2,7–6,2,15

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geherrscht habe8, und zwar die Tochter seines Sohnes; vermählt sei sie mit Hystaspes gewesen, einem Verwandten des Dareios und selbst auch Befehlshaber einer großen Heeresabteilung. (8) Noch hatten sich im Gemüt des Königs geringe Spuren seines früheren Charakters erhalten. Daher befahl er aus Achtung vor dem Rang der Königstochter und dem so berühmten Namen des Ochos, (9) die Gefangene zu entlassen und ihr auch ihre Schätze zurückzuerstatten, außerdem nach ihrem Mann zu forschen, um ihm, wenn man ihn ausfindig gemacht habe, seine Gattin zurückzugeben. Am folgenden Tag aber befahl er dem Hephaistion, alle Gefangenen in den königlichen Palast9 bringen zu lassen. Dort erforschte er die Abkunft jedes Einzelnen und sonderte diejenigen, die durch Geburt ausgezeichnet waren, von der übrigen Menge ab. Es waren tausend Mann, darunter der Bruder des Dareios, Oxathres, weniger durch die hohe Stellung seines Bruders als durch seinen edlen Charakter hervorragend. (10) Von der zuletzt gemachten Beute waren 26 000 Talente eingebracht worden, von denen 12 000 als Geschenk an die Soldaten verwendet wurden; die gleiche Summe wurde durch den Betrug der Wächter unterschlagen. (11) Oxydates10 war ein vornehmer Perser, der von Dareios zum Tode verurteilt worden war und in Ketten gehalten wurde. Diesen befreite Alexander und gab ihm die Satrapie Medien; Dareios’ Bruder aber nahm er in das Korps der so genannten Freunde auf und ließ ihm alle Ehrenzeichen seiner früheren Stellung.11 (12) Von hier aus kam man in die Landschaft Parthyene12, die, damals wenig bekannt, jetzt die wichtigste Region für alle Völker ist, die hinter dem Euphrat und Tigris bis zum Indischen Ozean hin wohnen. (13) Skythen haben das ebene und fruchtbare Land in Besitz genommen, ein Volksstamm, der noch heute für seine Nachbarn gefährlich ist. Ihre Wohnsitze haben sie sowohl in Europa als auch in Asien: Die Skythen, die östlich des kimmerischen Bosporus wohnend, rechnet man zu Asien; die europäischen erstrecken sich von der linken Seite Thrakiens bis zum Borysthenes und von da in gerader Richtung bis zum Tanaïs, (14) einem anderen Fluss, der genau auf der Grenze zwischen Europa und Asien verläuft13. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass die Skythen, die das Partherreich gegründet haben, nicht vom Bosporus, sondern aus den Gegenden Europas bis dorthin vorgedrungen sind. (15) Es befand sich dort eine damals bedeutende Stadt namens Hekatompylos14, die von Griechen gegründet war; hier hielt der König ein Standlager, für das er von allen Seiten Zufuhr hatte her-

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commeatibus undique advectis. Itaque rumor, otiosi militis vitium, sine auctore percrebuit regem contentum rebus, quas gessisset, in Macedoniam protinus redire statuisse. (16) Discurrunt lymphatis similes ‹in› tabernacula et itineri sarcinas aptant: signum datum crederes, ut vasa colligerent. Totis castris tumultus hinc contubernales suos requirentium, hinc onerantium plaustra perfertur ad regem. (17) Fecerant fidem rumori temere vulgato Graeci milites redire iussi domos; quorum equitibus singulis denarium sena milia ‹cum distributa essent, peditibus singula›, ipsis quoque finem militiae adesse credebant. (18) Haud secus quam par erat territus, qui Indos atque ultima Orientis peragrare statuisset, praefectos copiarum in praetorium contrahit obortisque lacrimis ex medio gloriae spatio revocari se victi magis quam victoris fortunam in patriam relaturum conquestus est; (19) nec sibi ignaviam militum obstare, sed deum invidiam, qui fortissimis viris subitum patriae desiderium admovissent, paulo post in eandem cum maiore laude famaque redituris. (20) Tum vero pro se quisque operam suam offerre, difficillima quaeque poscere, polliceri militum quoque obsequium, si animos eorum leni et apta oratione permulcere voluisset: (21) numquam infractos et abiectos recessisse, quotiens ipsius alacritatem et tanti animi spiritus haurire potuissent. Ita se facturum esse respondit; illi modo vulgi aures praepararent sibi. Satisque omnibus, quae in rem videbantur esse, compositis vocari ad contionem exercitum iussit, apud quem talem orationem habuit: 3 (1) ‘Magnitudinem rerum, quas gessimus, milites, intuentibus vobis minime mirum est et desiderium quietis et satietatem gloriae occurrere. (2) Ut omittam Illyrios, Triballos, Boeotiam, Thraciam, Spartam, Achaeos, Peloponnesum, quorum alia ductu meo alia imperio auspicioque perdomui, (3) ecce orsi bellum ab Helles-

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beiführen lassen. Daher verbreitete sich – man weiß nicht durch wen – ein Gerücht, wie so oft, wenn Soldaten müßig sind: Der König habe, zufrieden mit den vollbrachten Taten, beschlossen, sofort nach Makedonien zurückzukehren. (16) Alles rannte wie unsinnig in die Zelte und machte das Gepäck für den Marsch zurecht; man hätte glauben können, es sei das Signal zum Packen gegeben worden. Der Tumult im ganzen Lager, in dem man hier seine Zeltkameraden suchte, dort die Wagen belud, drang bis zum König vor. (17) Das törichterweise verbreitete Gerücht hatte um so mehr Glauben gefunden, da die griechischen Söldner Befehl erhalten hatten, in die Heimat zurückzukehren, und jedem ihrer Reiter 6 000 Denare ausgezahlt worden waren. So glaubten sie auch für sich das Ende ihres Kriegsdienstes gekommen. (18) Natürlich war Alexander sehr erschrocken, weil er sich vorgenommen hatte, Indien und die äußersten Gegenden des Ostens zu durchziehen. Also berief er die Führer der Truppen in sein Zelt zusammen und klagte unter Tränen, dass er mitten aus seinem Ruhmeslauf gerissen sei und nun eher wie ein Besiegter als wie ein Sieger in das Vaterland zurückkehren werde; (19) nicht aber die Feigheit seiner Soldaten stelle sich ihm in den Weg, sondern der Neid der Götter, die in so tapferen Männern plötzlich die Sehnsucht nach dem Vaterland erweckt hätten, wohin sie doch nur wenig später mit weit mehr Ehre und Ruhm zurückkehren könnten. (20) Da bot sich ihm jeder für seine Person zu Diensten an, verlangte für sich die schwierigsten Aufgaben und versprach auch Gehorsam von Seiten der Soldaten, wenn er ihre Gemüter durch eine milde und geeignete Anrede beruhigen wolle. (21) Diese seien von einer gebrochenen und niedergebeugten Haltung zurückgewichen, so oft sie sich an seinem Feuer und am Schwung seiner Begeisterung hätten erquicken können. Er versprach dies zu tun, bat aber darum, dass man ihm die Ohren der Menge vorher geneigt mache. Nachdem er sich alles zurechtgelegt hatte, was ihm für seinen Zweck dienlich schien, befahl er, das Heer zur Versammlung zu berufen und hielt vor ihm folgende Rede:15 3 (1) „Wenn ihr, Soldaten, die Größe unserer Taten überblickt, so ist es durchaus kein Wunder, dass ihr Sehnsucht nach Ruhe und Sättigung am Ruhm empfindet. (2) Um nicht die Illyrer und Triballer16, Boiotien, Thrakien, Sparta, Achaia und die Peloponnes zu erwähnen, die teils unter meiner eigenen Führung, teils doch unter meinem Oberbefehl und meiner Leitung bezwungen wurden, (3) lasst uns nur den Verlauf des Krieges vom Hellespont an betrach-

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ponto Ionas, Aeolidem servitio barbariae impotentis exemimus, Cariam, Lydiam, Cappadociam, Phrygiam, Paphlagoniam, Pamphyliam, Pisidas, Ciliciam, Syriam, Phoenicen, Armeniam, Persidem, Medos, Parthienen habemus in potestate. (4) Plures provincias complexus sum, quam alii urbes ceperunt, et nescio an enumeranti mihi quaedam ipsa rerum multitudo subduxerit. (5) Itaque si crederem satis certam esse possessionem terrarum, quas tanta velocitate domuimus, ego vero, milites, ad penates meos, ad parentem sororesque et ceteros cives vel retinentibus vobis erumperem, ut ibi potissimum parta vobiscum laude et gloria fruerer, ubi nos uberrima victoriae praemia expectant, liberum, coniugum parentumque laetitia, pax, quies, rerum per virtutem partarum secura possessio. (6) Sed in novo et – si verum fateri volumus – precario imperio adhuc iugum eius rigida cervice subeuntibus barbaris tempore, milites, opus est, dum mitioribus ingeniis imbuuntur et efferatos melior consuetudo permulcet. (7) Fruges quoque maturitatem stato tempore expectant: adeo etiam illa sensus omnis expertia tamen sua lege mitescunt. (8) Quid? creditis tot gentes alterius imperio ac nomine adsuetas, non sacris, ‹non› moribus, non commercio linguae nobiscum cohaerentes eodem proelio domitas esse, quo victae sunt? Vestris armis continentur, non suis moribus, et qui praesentes metuunt, in absentia hostes erunt. Cum feris bestiis res est, quas captas et inclusas, quia ipsarum natura non potest, longior dies mitigat. (9) Et adhuc sic ago, tamquam omnia subacta sint armis, quae fuerunt in dicione Darei. Hyrcaniam Nabarzanes occupavit, Bactra non possidet solum parricida Bessus, sed etiam minatur; Sogdiani, Dahae, Massagetae, Sacae, Indi sui iuris sunt. (10) Omnes hi, simul terga nostra viderint, insequentur: illi enim eiusdem nationis sunt, nos

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ten: Ionien und Aiolien haben wir von der Knechtschaft eines unbändigen Barbarentums befreit, Karien, Lydien, Kappadokien, Phrygien, Paphlagonien, Pamphylien, Pisidien, Kilikien, Syrien, Phoinikien, Armenien, Persis17, Medien und Parthyene sind in unserer Gewalt. (4) So habe ich mehr Länder gewonnen als andere Städte erobert haben, und vielleicht habe ich bei meiner Aufzählung gerade angesichts der Fülle noch dies und das vergessen. (5) Hielte ich nun den Besitz der Länder, die wir in solcher Schnelligkeit bezwungen haben, für hinlänglich gesichert, dann, ihr Soldaten, würde ich bestimmt in die Heimat zu Mutter und Schwestern18 und den übrigen Mitbürgern aufbrechen, selbst wenn ihr mich zurückhalten wolltet, und würde am liebsten dort den Ruhm und die Ehre, die ich mit euch gewonnen habe, genießen, wo uns der reichste Lohn unseres Sieges erwartet: der Jubel unserer Kinder, Gattinnen und Eltern, Frieden, Ruhe und sorgenfreier Besitz der durch unsere Tapferkeit gewonnenen Güter. (6) Aber in einer neuen und – wollen wir die Wahrheit gestehen – noch unsicheren Herrschaft, unter deren Joch sich die Barbaren mit störrischem Nacken beugen, da, ihr Soldaten, braucht es einige Zeit, bis sie mildere Sinnesart annehmen und bis eine bessere Gewöhnung die Verwilderten zähmt. (7) Auch die Feldfrüchte erwarten ihre Reife erst zur bestimmten Zeit – also werden selbst die Dinge, die gar nichts empfinden können, nur nach einem eigenen Gesetz weich. (8) Oder meint ihr etwa, so viele Völker, die an die Herrschaft und den Namen eines anderen gewöhnt waren und die mit uns weder durch Religion noch Sitte noch Umgangssprache verbunden sind, seien durch die Schlacht, durch die wir sie besiegt haben, auch schon bezwungen? Von euren Waffen werden sie im Zaum gehalten, nicht etwa durch ihre Gesinnung, und sie, die euch fürchten, solange ihr gegenwärtig seid, werden eure Feinde sein, wenn ihr fort seid. Mit wilden Tieren haben wir es zu tun, die, wenn man sie gefangen und eingeschlossen hält, nicht ihre eigene Natur, sondern nur die Länge der Zeit zu zähmen vermag. (9) Und bisher habe ich so gesprochen, als ob alles mit den Waffen unterworfen wäre, was unter Dareios Herrschaft gestanden hat. Aber Hyrkanien hat nun Nabarzanes besetzt; der Königsmörder Bessos hat Baktra nicht nur inne, sondern bedroht uns auch von dort; die Sogdianer, Daher, Massageten, Saker und Inder sind noch ganz unabhängig. (10) Alle diese werden uns verfolgen, sobald sie unsere Rücken sehen, denn sie gehören zu ein und derselben Nation; wir sind von fremder Abstammung und Ausländer. Seinen

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alienigenae et externi. Suis ‹quis›que autem placidius paret, etiam cum is praeest, qui magis timeri potest. (11) Proinde aut, quae cepimus, omittenda sunt aut, quae non habemus, occupanda. Sicut in corporibus aegris, milites, nihil, quod nociturum est, medici relinquunt, sic nos quicquid obstat imperio recidamus. Parva saepe scintilla contempta magnum excitavit incendium. Nil tuto in hoste despicitur: quem spreveris valentiorem neglegentia facias. (12) Ne Dareus quidem hereditarium Persarum accepit imperium, sed in sedem Cyri beneficio Bagoae, castrati hominis, admissus: ne vos magno labore credatis Bessum vacuum regnum occupaturum. (13) Nos vero peccavimus, milites, si Dareum ob hoc vicimus, ut servo eius traderemus imperium, qui ultimum ausus scelus regem suum, etiam externae opis egentem, certe cui nos victores pepercissemus, quasi captivum in vinculis habuit, ad ultimum, ne a nobis conservari posset, occidit. (14) Hunc vos regnare patiemini? Quem equidem cruci adfixum videre festino omnibus regibus gentibusque et fidei, quam violavit, meritas poenas solventem. (15) At, hercules, si mox eundem Graecorum urbes aut Hellespontum vastare nuntiatum erit vobis, quo dolore adficiemini Bessum praemia vestrae occupavisse victoriae? Tunc ad repetendas res festinabitis, tunc arma capietis. Quanto autem praestat territum adhuc et vix mentis suae compotem opprimere! (16) Quadridui nobis iter superest, qui tot proculcavimus nives, tot amnes superavimus, tot montium iuga transcucurrimus. Non mare illud, quod exaestuans iter fluctibus occupat, euntes nos moratur, non Ciliciae fauces et angustiae includunt: plana omnia et prona sunt. In ipso limine victoriae stamus. (17) Pauci nobis fugitivi et domini sui interfectores supersunt. Egregium, mehercule, opus et inter prima gloriae vestrae numerandum posteritati famaeque tra-

Geschichte Alexanders des Großen 6,3,10–6,3,17

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eigenen Stammesgenossen aber gehorcht jedermann bereitwilliger, selbst wenn einer an der Spitze steht, den man eher fürchten müsste. (11) Demnach müssen wir entweder aufgeben, was wir gewonnen haben, oder erobern, was wir noch nicht besitzen. Wie die Ärzte in einem kranken Körper keinen schädlichen Stoff zurücklassen, so, ihr Soldaten, wollen wir alles, was sich unserer Herrschaft widersetzt, mit dem Schwert fällen. Oftmals hat ein kleiner Funke, den man vernachlässigte, einen großen Brand verursacht. Nichts wird beim Feind ohne Gefahr für die eigene Sicherheit gering geachtet, denn verachtet man ihn, so macht man ihn durch seine Nachlässigkeit nur noch stärker. (12) Auch Dareios hat die Herrschaft über die Perser nicht durch Erbschaft gewonnen, sondern ist durch die Begünstigung des Eunuchen Bagoas auf den Thron des Kyros erhoben worden19. Glaubt also ja nicht, dass es dem Bessos schwerfallen wird, sich der freigewordenen Herrschaft zu bemächtigen. (13) Wir aber, Soldaten, hätten falsch gehandelt, wenn wir Dareios nur besiegt hätten, um sein Reich dann seinem Sklaven zu überliefern: Dem, der das äußerste Verbrechen gewagt hat und seinen König, der sogar den Beistand von Fremden benötigte und den wir, die Sieger, sicherlich verschont hätten, wie einen Gefangenen in Banden gehalten, ja ihn zuletzt getötet hat, damit er nicht von uns gerettet werden könnte! (14) Diesen Menschen wollt ihr herrschen lassen? Ich eile, ihn ans Kreuz geschlagen zu sehen, zur verdienten Genugtuung für alle Könige und Völker und für die gebrochene Treue! (15) Nein, beim Herakles! Wenn euch in Kürze gemeldet würde, dass eben dieser Mensch die griechischen Städte oder den Hellespont verheert, welchen Schmerz würdet ihr da empfinden, dass dieser Bessos den Lohn eures Sieges davongetragen hat! Dann werdet ihr heraneilen, um das Verlorene wiederzugewinnen, dann zu den Waffen greifen. Wie viel besser ist es jedoch, ihn zu überwältigen, solange er uns noch fürchtet und kaum bei Sinnen ist! (16) Nur ein Marsch von vier Tagen steht uns noch bevor, die wir so viele Schneefelder überschritten, so viele Ströme durchsetzt, so viele Bergjoche überstiegen haben. Hier hält unseren Marsch nicht jenes Meer auf, das mit seinen Wogen aufbrausend den Weg bedeckt, und auch die Schluchten und Engpässe Kilikiens schließen uns nicht ein: Alles ist vielmehr eben und abschüssig! Wir stehen an der Schwelle des Sieges. (17) Nur mit einigen wenigen Flüchtlingen und Mördern ihres Gebieters haben wir es noch zu tun. Beim Herakles! Eine herrliche Tat, die unter eure ruhmvollsten zu zählen sein wird, werdet ihr der

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detis, Dareum quoque hostem finito post mortem illius odio parricidae ‹caede› esse vos ultos, neminem impium effugisse vestras manus. (18) Hoc perpetrato quanto creditis Persas obsequentiores fore, cum intellexerint vos pia bella suscipere et Bessi sceleri, non nomini suo irasci?’ 4 (1) Summa militum alacritate iubentium, quocumque vellet, duceret, oratio excepta est. (2) Nec rex moratus impetum tertioque per Parthienen die ad fines Hyrcaniae penetrat Cratero relicto cum iis copiis, quibus praeerat, et ea manu, quam Amyntas ducebat, additis DC equitibus et totidem sagittariis, ut ab incursione barbarorum Parthienen tueretur. (3) Erigyium impedimenta modico praesidio dato campestri itinere ducere iubet. Ipse cum phalange et equitatu CL stadia emensus castra in valle, qua Hyrcaniam adeunt, communit. Nemus praealtis densisque arboribus umbrosum est pingue vallis solum rigantibus aquis, quae ex petris imminentibus manant. (4) Ex ipsis radicibus montium Ziobetis amnis effunditur, qui tria fere stadia in longitudinem universus fluit, deinde saxo, quod alveolum interpellat, repercussus duo itinera velut dispensatis aquis aperit. (5) Inde torrens et saxorum, per quae incurrit, asperitate violentior terram praeceps subit. Per CCC stadia conditus labitur rursusque velut ex alio fonte conceptus editur et novum alveum intendit priore sui parte spatiosior – (6) quippe in latitudinem X et trium stadiorum diffunditur – rursusque angustioribus coercitus ripis iter cogit. Tandem in alterum amnem cadit: Rhidagno nomen est. (7) Incolae adfirmabant, quaecumque demissa essent in cavernam, quae propior est fonti, rursus, ubi aliud os amnis aperitur, existere. Itaque Alexander duos ‹equos›, qua subeunt aquae terram, praecipitari iubet, quorum corpora, ubi rursus erumpit, expulsa videre, qui missi erant, ut exciperent. (8) Quartum iam diem eodem loco quietem

Geschichte Alexanders des Großen 6,3,17–6,4,8

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Nachwelt und der Geschichte überliefern, dass ihr sogar an den Mördern eures Feindes Dareios, nachdem mit seinem Tod der Hass gegen ihn erloschen war, Rache genommen habt, und dass kein Verräter euren Händen entronnen ist. (18) Wenn ihr dies vollbracht habt, um wie viel eher, glaubt ihr, werden sich die Perser fügen, wenn sie einsehen, dass ihr gerechte Kriege führt und ihr nur wegen der Schandtat des Bessos, nicht aber wegen ihrer Nation zürnt?“ 4 (1) Mit der lebhaftesten Zustimmung wurde diese Rede von den Soldaten aufgenommen. Sie riefen ihm zu, er solle sie führen, wohin auch immer er wolle. (2) Der König nutzte ihre Begeisterung und gelangte nach einem dreitägigen Marsch durch Parthyene an die Grenzen von Hyrkanien, nachdem er den Krateros mit den von ihm angeführten Truppen und der Abteilung, die Amyntas führte, sowie 600 Reiter und ebenso viele Bogenschützen zurückgelassen hatte, um Parthyene vor einem Einfall der Barbaren zu schützen.20 (3) Dem Erigyios21 befahl er, das Gepäck mit mäßigem Begleitschutz auf ebenem Weg zu befördern; er selbst legte mit der Phalanx und der Reiterei eine Strecke von 150 Stadien zurück und befestigte dann in einem Tal, das den Zugang zu Hyrkanien bildet, sein Lager. Hier erhebt sich ein schattiger Wald aus sehr hohen und dichten Bäumen; der Talboden ist fruchtbar und von Quellen bewässert, die den darüber emporragenden Felsen entströmen. (4) Am Fuße des Gebirges selbst entspringt der Fluss Ziobetis22, der ungefähr drei Stadien weit ungeteilt fließt, dann aber an einem Felsen zurückprallt, der das Flussbett unterbricht, und seine Gewässer wie in zwei Hälften teilt und dabei jeder von beiden einen eigenen Lauf eröffnet. (5) Von hier ab fließt er schneller und durch die rauen Felsen, zwischen denen er hinschießt, noch reißender, stürzt unter die Erde hinab und fließt unsichtbar 300 Stadien weit fort. Dann bricht er wieder wie aus einer anderen Quelle hervor23 und bereitet sich ein neues Flussbett, geräumiger als das seines Oberlaufs, (6) denn er fließt in einer Breite von 13 Stadien; darauf schränkt er, zwischen engere Ufer gebannt, wieder seinen Lauf ein, bis er schließlich in einen anderen Fluss mündet, den Rhidagnos24. (7) Die Einwohner versicherten, wer in den der Quelle nächstliegenden Schlund stürze, komme wieder zum Vorschein, wo der Fluss wieder aus der Erde tritt. Daher ließ Alexander, wo die Gewässer unter die Erde strömen, zwei Männer hinabstürzen, und die, die ausgeschickt waren, um sie aufzufangen, sahen in der Tat ihre Körper ausgeworfen, wo der Fluss wieder hervorbricht. (8) Schon vier Tage lang hatte er an

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militi dederat, cum litteras Nabarzanis, qui Dareum cum Besso interceperat, accepit, quarum sententia haec erat: se Dareo non fuisse inimicum, immo etiam, quae credidisset utilia esse, suasisse et, quia fidele consilium regi dedisset, prope occisum ab eo. (9) Agitasse Dareum custodiam corporis sui contra ius fasque peregrino militi tradere damnata popularium fide, quam per ducentos et triginta annos inviolatam regibus suis praestitissent. (10) Se in praecipiti et lubrico stantem consilium a praesenti necessitate repetisse. Dareum quoque, cum occidisset Bagoan, hac excusatione satisfecisse popularibus, quod insidiantem interemisset. (11) Nihil esse miseris mortalibus spiritu carius: amore eius ad ultima esse propulsum. Sed ea magis esse secutum quam optasse. (12) In communi calamitate suam quemque habere fortunam. Si venire se iuberet, sine metu esse venturum. Non timere, ne fidem datam tantus rex violaret: deos a deo falli non solere. (13) Ceterum si, cui fidem daret, videretur indignus, multa exilia patere fugienti: patriam esse, ubicumque vir fortis sedem sibi elegerit. (14) Nec dubitavit Alexander fidem, quo Persae modo accipiebant, dare, inviolatum, si venisset, fore. Quadrato tamen agmine et composito ibat speculatores subinde praemittens, qui explorarent loca. (15) Levis armatura ducebat agmen, phalanx eam sequebatur, post pedites erant impedimenta. Et gens bellicosa et naturae situs difficilis aditu curam regis intenderat. (16) Namque perpetua vallis iacet usque ad mare Caspium patens. Duo terrae eius velut bracchia excurrunt: media flexu modico sinum faciunt lunae maxime similem, cum eminent cornua nondum totum orbem sidere implente. (17) Cercetae et Mossyni et Chalybes a

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diesem Ort den Soldaten Rast gegönnt, als er von Nabarzanes, der sich mit Bessos den Dareios gefangen genommen hatte, einen Brief mit folgendem Inhalt erhielt: Er sei dem Dareios nicht feindselig gesinnt gewesen, vielmehr habe er ihm sogar geraten, was ihm als das Nützlichste erschienen sei, und weil er dem König einen treuen Rat gegeben habe, sei er von diesem beinahe getötet worden. (9) Dareios habe beabsichtigt, die Bewachung seiner Person gegen Recht und Herkommen fremden Söldnern anzuvertrauen, und habe über die Treue seiner Stammesgenossen, die sie doch 230 Jahre lang25 ihren Königen unverletzt bewahrt hätten, den Stab gebrochen. (10) In einer gefährlichen und unsicheren Lage habe er seinen Entschluss nach der augenblicklichen Notwendigkeit gefasst. Als Dareios den Bagoas getötet habe, habe er sich bei seinen Landsleuten auch damit gerechtfertigt, dass er diesen wegen der gegen ihn gerichteten Nachstellungen selbst umgebracht habe. (11) Nichts sei den elenden Sterblichen teuerer als ihr Leben. Die Liebe dazu habe ihn zum Äußersten getrieben, aber es sei dies mehr aus Notwendigkeit als aus freier Wahl geschehen. (12) Bei gemeinsamem Unglück treffe jeden sein besonderes Schicksal. Heiße ihn Alexander zu sich kommen, so werde er ohne Furcht kommen. Er befürchte nicht, dass ein so großer König das gegebene Wort brechen könne: Von einem Gott pflegten die Götter nicht betrogen zu werden. (13) Scheine er ihm jedoch eines Schutzversprechens unwert, so ständen seiner Flucht viele Orte außerhalb Persiens offen: Ein tapferer Mann finde überall ein Vaterland, wo er sich seinen Wohnsitz wähle. (14) Alexander aber hatte keinerlei Bedenken, ihm in der bei den Persern üblichen Form das Versprechen zu geben, es werde ihm nichts geschehen, wenn er komme. Doch marschierte er, die Truppen geordnet und im Viereck aufgestellt, und von Zeit zu Zeit sandte er Späher voraus, um die Gegend zu erforschen. (15) Die Leichtbewaffneten zogen voran, ihnen folgte die Phalanx, hinter dem Fußvolk der Tross. Sowohl die kriegerische Bevölkerung als auch die natürliche Lage des Landes, die es schwer zugänglich machte, erhielten den König in gespannter Sorge. (16) Dort dehnt sich nämlich ununterbrochen ein Tal aus, das sich bis zum Kaspischen Meer hin öffnet. Das Land erstreckt sich gleichsam in zwei Armen, die in ihrer Mitte einen Busen von mäßiger Krümmung bilden, der am ehesten dem Mond ähnelt, wenn bei noch nicht gefüllter Scheibe seine Hörner hervorragen. (17) Zur Linken wohnen die Kerketen, Mosyner und Chalyber; rechts sind die Leukosyrer und

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laeva sunt et ab altera parte Leucosyri et Amazonum campi; et illos, qua vergit ad septentrionem, hos ad occasum conversa prospectat. (18) Mare Caspium dulcius ceteris ingentis magnitudinis serpentes alit; piscium in eo longe diversi ab aliis colores. Quidam Caspium, quidam Hyrcanium appellant; alii sunt, qui Maeotiam paludem in id cadere putent et argumentum adferant aquam, quod dulcior sit quam cetera maria, infuso paludis humore mitescere. (19) A septentrione ingens in litus mare incumbit longeque agit fluctus et magna parte exaestuans stagnat. Idem alio caeli statu recipit in se fretum eodemque impetu, quo effusum est, relabens terram naturae suae reddit. Et quidam credidere non clausum mare esse, sed ex India in Hyrcaniam cadere, cuius fastigium, ut supra dictum est, perpetua valle submittitur. (20) Hinc rex XX stadia processit semita propemodum invia, cui silva imminebat, torrentesque et eluvies iter morabantur. Nullo tamen hoste obvio penetrat, tandemque ad cultiora perventum est. (21) Praeter alios commeatus, quorum tum copia regio abundabat, pomorum quoque ingens modus nascitur, et uberrimum gignendis uvis solum est. (22) Frequens arbor faciem quercus habet, cuius folia multo melle tinguntur, sed, nisi solis ortum incolae occupaverint, vel modico tepore sucus extinguitur. (23) XXX hinc stadia processerat, cum Phrataphernes ei occurrit, seque et eos, qui post Darei mortem profugerant, dedens; quibus benigne exceptis ad oppidum Arvas pervenit. Hic ei Craterus et Erigyius occurrunt. (24) Praefectum Tapurorum gentis Phradatem adduxerant; hic quoque in fidem receptus multis exemplo fuit experiendi clementiam regis. (25) Satrapen deinde Hyrcaniae dedit Manapin: exul hic regnante Ocho ad Philippum pervenerat. Tapurorum quoque gentem Phradati reddidit.

Geschichte Alexanders des Großen 6,4,17–6,4,25

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die Gebiete der Amazonen26: Das Gebiet umfasst jene, wo es im Norden liegt, diese, wo es nach Westen gewandt ist. (18) Das Kaspische Meer, dessen Wasser süßer ist als das der anderen Meere, nährt Schlangen von ungeheurer Größe. Die Farbe der Fische in ihm ist von der anderer Fische ganz verschieden. Manche nennen es das Kaspische, manche das Hyrkanische Meer; auch glauben manche, der Maiotische See27 ergieße sich hinein, und führen als Beweis dafür an, dass das Wasser aus dem Grund süßer sei als in den übrigen Meeren, dass es durch das Einströmen der Gewässer des Sees gemildert werde. (19) Von Norden her wirft sich das Meer mit großer Gewalt auf das Küstenland, treibt weithin seine Wogen und bildet durch eine ausgedehnte Überflutung stehende Gewässer. Unter anderen Witterungsverhältnissen dagegen zieht es seine Gewässer wieder an sich, strömt mit derselben Gewalt zurück, mit der es sich ergoss, zurück und gibt dem Land seine natürliche Gestalt zurück.28 Manche haben auch geglaubt, es sei dies nicht das Kaspische Meer, sondern die Flut ergieße sich aus Indien nach Hyrkanien, dessen oberer Teil, wie oben gesagt wurde, sich in einem ununterbrochenen Tal hinabsenkt. (20) Von hier aus rückte der König zwanzig Stadien weit auf einem beinahe unwegsamen Pfad vor, über dem sich ein Wald erhob und wo Gießbäche und Wasserrisse den Marsch hemmten. Da sich ihm jedoch kein Feind entgegenstellte, drang er hindurch und gelangte endlich in kultiviertere Gegenden. (21) Außer anderen Lebensmitteln, an denen diese Gegend damals einen großen Überfluss hatte, gedeiht hier auch eine ungeheure Menge von Obst; Weintrauben erzeugt der Boden in reichster Fülle. (22) Ein häufig vorkommender Baum hat das Aussehen der Eiche, aber seine Blätter tropfen von reichlichem Honig; sammeln ihn jedoch die Einwohner nicht vor Sonnenaufgang, so vertrocknet der Saft schon bei mäßiger Wärme29. (23) Dreißig Stadien war er von hier aus vorgerückt, als ihm Phrataphernes30 begegnete und sich ihm mit denen ergab, die nach Dareios’ Tod entflohen waren. Er nahm sie gütig auf und gelangte dann zu der Stadt Arvai31, wo er mit Krateros und Erigyios zusammentraf, (24) die den Befehlshaber des Stammes der Tapurer, Phradates, mit sich gebracht hatten. Da auch diesem Schutz versprochen wurde, veranlasste sein Beispiel viele, die Milde des Königs zu erproben. (25) Als Satrapen über Hyrkanien setzte er dann den Manapis ein, der unter der Herrschaft des Ochos als Verbannter zu Philipp gekommen war. Das Volk der Tapurer übergab er wieder dem Phradates.32

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5 (1) Iamque ultima Hyrcaniae intraverat, cum Artabazus, quem Dareo fidissimum fuisse supra diximus, cum propinquis Darei ac suis liberis modicaque Graecorum militum manu occurrit. (2) Dextram venienti obtulit rex: quippe et hospes Philippi fuerat, cum Ocho regnante exularet, et hospitii pignora in regem suum ad ultimum fides conservata vincebat. (3) Comiter igitur exceptus, ‘Tu quidem’ inquit, ‘rex, deos quaeso, perpetua felicitate floreas; ego ceteris laetus hoc uno torqueor, quod praecipiti senectute diu frui tua bonitate non possum.’ Nonagesimum et quintum annum agebat. (4) Novem iuvenes omnes eadem matre geniti patrem comitabantur; hos Artabazus dexterae regis admovit precatus, ut tam diu viverent, donec utiles Alexandro essent. (5) Rex pedibus iter plerumque faciebat; tunc admoveri sibi et Artabazo equos iussit, ne ipso ingrediente pedibus senex equo vehi erubesceret. (6) Ut deinde castra sunt posita, Graecos, quos Artabazus adduxerat, convocari iubet; at illi, nisi fides Lacedaemoniis quoque et Sinopensibus daretur, respondent se, quid agendum ipsis foret, deliberaturos. (7) Legati erant Lacedaemoniorum missi ad Dareum; quo victo adplicuerant se Graecis mercede apud Persas militantibus. (8) Rex omissis sponsionum fideique pignoribus venire eos iussit, fortunam, quam ipse dedisset, habituros. Diu cunctantes plerisque consilia variantibus tandem venturos se pollicentur. (9) At Democrates Atheniensis, qui maxime Macedonum opibus semper obstiterat, desperata venia gladio se transfigit. Ceteri, sicut constituerant, dicioni Alexandri ipsos se permittunt. (10) M et D milites erant, praeter hos legati ad Dareum missi XC. In supplementum distributus miles, ceteri remissi domum praeter Lacedaemonios, quos tradi in custodiam iussit. (11) Mardorum erat gens confinis Hyrcaniae, cultu

Geschichte Alexanders des Großen 6,5,1–6,5,11

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5 (1) Und er war bereits in die entlegensten Gegenden von Hyrkanien vorgedrungen, als ihm Artabazos, den wir schon oben als vertrautesten Freund des Dareios genannt haben, mit dessen Verwandten, seinen eigenen Kindern und einer mäßigen Anzahl griechischer Söldner entgegenkam. (2) Dem Herantretenden reichte der König die Rechte, denn er war schon ein Gastfreund Philipps gewesen, als er während der Herrschaft des Ochos in der Verbannung lebte, und noch mehr als die Pfänder der Gastfreundschaft galt die seinem König bis zuletzt bewahrte Treue. (3) Auf diese freundliche Aufnahme erwiderte er: „Du, König, mögest, so bitte ich die Götter, in dauerndem Glück blühen; ich, sonst hocherfreut, empfinde nur den einen Kummer, dass ich, dem Tode nahe, deine Güte nicht lange genießen kann.“ Er war nämlich im fünfundneunzigsten Lebensjahr. (4) Neun junge Männer, alle von derselben Mutter geboren, begleiteten ihren Vater.33 Diese brachte Artabazos, damit sie dem König die Hand geben, wobei er den Wunsch aussprach, sie mögen nur so lange leben, wie sie nützliche Diener Alexanders wären. (5) Meistens machte der König seinen Weg zu Fuß; jetzt aber ließ er für sich und Artabazos Pferde herbeibringen, damit nicht der Greis sich scheue zu reiten, wenn er selbst zu Fuß ginge. (6) Als dann das Lager aufgeschlagen war, ließ er die Griechen zusammenrufen, die Artabazos mit sich gebracht hatte; jene erwiderten jedoch, wenn nicht auch den Lakedaimoniern und Sinopensern Sicherheit versprochen würde, so wollten sie erst überlegen, was sie zu tun hätten. (7) Es waren nämlich lakedaimonische Gesandte an Dareios geschickt worden, die sich nach dessen Niederlage an die griechischen Söldner angeschlossen hatten. (8) Ohne ihnen Pfänder eines vertragsmäßigen Schutzes zu gewähren, befahl ihnen der König, zu ihm zu kommen: Ihr Los solle so sein, wie er es bestimme. Nach langem Zögern, da die meisten schwankender Meinung waren, versprachen sie schließlich zu kommen. (9) Der Athener Demokrates jedoch, der immer einer der unerbittlichsten Gegner der makedonischen Macht gewesen war, erstach sich, da er nicht auf Gnade hoffen konnte, selbst mit dem Schwert. Die Übrigen ergaben sich, wie sie sich entschieden hatten, der Gnade Alexanders.34 (10) Dies waren 1 500 Soldaten, dazu 90 an Dareios geschickte Gesandte. Die Soldaten wurden zur Ergänzung unter die anderen Mannschaften verteilt, die Übrigen nach Hause geschickt, mit Ausnahme der Lakedaimonier, die er in Gewahrsam zu nehmen befahl. (11) An Hyrkanien grenzten die Marder35, ein Volk von rauer

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vitae aspera et latrociniis adsueta; haec sola nec legatos miserat nec videbatur imperata factura. Itaque rex indignatus, si una gens posset efficere, ne invictus esset, impedimentis cum praesidio relictis valida manu comitante procedit. (12) Noctu iter fecerat, et prima luce hostis in conspectu erat. Tumultus magis quam proelium fuit. Deturbati ex collibus, quos occupaverant, barbari profugerunt, proximique vici ab incolis deserti capiuntur. (13) Interiora regionis eius haud sane adiri sine magna vexatione exercitus poterant: iuga montium praealtae silvae rupesque inviae saepiunt; ea, quae plana sunt, novo munimenti genere impedierant barbari. (14) Arbores densae sunt de industria consitae, quarum teneros adhuc ramos manu flectunt, quos intortos rursus inserunt terrae; inde velut ex alia radice laetiores virent trunci. (15) Hos, qua natura fert, adolescere non sinunt, quippe alium alii quasi nexu conserunt; qui ubi multa fronde vestiti sunt, operiunt terram. Itaque occulti ramorum velut laquei perpetua saepe iter cludunt. (16) Una ratio erat caedendo aperire saltum, sed hoc quoque magni operis. Crebri namque nodi duraverant stipites, et in se implicati arborum rami suspensis circulis similes lento vimine frustrabantur ictus. (17) Incolae autem ritu ferarum virgulta subire soliti tum quoque intraverant saltum occultisque telis hostem lacessebant. Ille venantium modo latibula scrutatus plerosque confodit; ad ultimum circumire saltum milites iubet, ut, si qua pateret, inrumperent. (18) Sed ignotis locis plerique oberrabant, exceptique sunt quidam, inter quos equus regis – Bucephalam vocabant – quem Alexander non eodem quo ceteras pecudes animo aestimabat. Namque ille nec in dorso insidere suo patiebatur alium et regem, cum vellet escendere, sponte genua submittens excipiebat credebaturque sentire, quem veheret. (19) Maiore ergo,

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Lebensart, das an Räuberei gewöhnt ist. Dieses allein hatte weder Gesandte geschickt, noch schien es sich den Befehlen fügen zu wollen. Der König war darüber entrüstet, dass dieser eine Stamm bewirken könne, dass er nicht als unbesiegbar dastehe; er ließ deshalb das Gepäck mit einer Bewachung zurück und rückte, von starken Truppen begleitet, vor. (12) In der Nacht war man marschiert; bei Tagesanbruch war der Feind in Sicht. Es gab eher ein wildes Durcheinander als ein Gefecht. Von den Hügeln, die sie besetzt gehalten hatten, herabgeworfen, flohen die Barbaren, und die nächsten Dörfer, die von ihren Bewohnern verlassen wurden, nahm man ein. (13) In das Innere dieser Gegend hingegen konnte man nicht ohne große Strapazen für das Heer eindringen. Die Gebirgsrücken sind von tiefen Waldungen und unwegsamen Felsen umschlossen; den ebenen Teil hatten die Barbaren durch eine neuartige Befestigung unzugänglich gemacht: (14) Bäume hat man mit Absicht dicht aneinandergepflanzt; deren noch schwache Zweige biegt man mit der Hand und steckt sie verkehrt wieder in die Erde, so dass daraus wie aus einer neuen Wurzel noch üppigere Stämme ergrünen. (15) Diese nun lassen sie nicht in ihrer natürlichen Richtung wachsen, sondern verflechten sie gleichsam miteinander, weshalb sie, wenn sie mit reichlichem Laub bekleidet sind, die Erde ganz bedecken. So versperrt also das Gezweig wie mit verborgenen Schlingen den Weg durch einen ununterbrochenen Verhau. (16) Das einzige Gegenmittel bestand darin, den Wald durch Niederfällen zugänglich zu machen, doch auch dies war sehr schwierig, da die Stämme durch häufige Knoten verhärtet waren und die untereinander verflochtenen Äste, die schwebenden Ringen glichen, mit ihren biegsamen Zweigen die Beilhiebe wirkungslos machten. (17) Die Eingeborenen aber waren wilden Tieren gleich durch das Gestrüpp zu kriechen gewohnt, drangen auch jetzt in den Wald ein und setzten dem Feind aus ihren Verstecken durch Geschosse zu. Der König ließ wie bei einer Jagd die Schlupfwinkel durchstöbern, und viele wurden getötet. Zuletzt befahl er den Soldaten, den Wald rings einzuschließen, um dort einzubrechen, wo sich eine Öffnung biete. (18) Aber in der unbekannten Gegend verirrten sich sehr viele, und einige wurden abgefangen, unter anderen auch das Pferd des Königs mit Namen Bukephalas, das Alexander mehr als die übrigen Tiere liebte36. Es ließ nämlich keinen anderen auf seinem Rücken sitzen, und wenn der König aufsteigen wollte, bog es aus freien Stücken die Knie, ihn aufzunehmen, so dass man meinte, es fühle, wen es trage. (19) So wurde er hefti-

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quam decebat, ira simul ac dolore stimulatus equum vestigari iubet et per interpretem pronuntiari, ni reddidissent, neminem esse victurum. Hac denuntiatione territi cum ceteris donis equum adducunt. (20) Sed ne sic quidem mitigatus caedi silvas iubet adgestaque humo e montibus planitiem ramis impeditam exaggerari. (21) Iam ‹in› aliquantum altitudinis opus creverat, cum barbari desperato regionem, quam occupaverant, posse retineri gentem suam dedidere. Rex obsidibus acceptis Phradati ‹se› tradere eos iussit. (22) Inde quinto die in stativa revertitur. Artabazum deinde geminato honore, quem Dareus habuerat ei, remittit domum. Iam ad urbem Hyrcaniae, in qua regia Darei fuit, ventum erat; ibi Nabarzanes accepta fide occurrit dona ingentia ferens. (23) Inter quae Bagoas erat, specie singulari spado atque in ipso flore pueritiae, cui et Dareus adsuetus fuerat et mox Alexander adsuevit; eiusque maxime precibus motus Nabarzani ignovit. (24) Erat, ut supra dictum est, Hyrcaniae finitima gens Amazonum, circa Thermodonta amnem Themiscyrae incolentium campos. (25) Reginam habebant Thalestrin, omnibus inter Caucasum montem et Phasin amnem imperitantem. Haec cupidine visendi regis accensa finibus regni sui excessit et, cum haud procul abesset, praemisit indicantes venisse reginam adeundi eius cognoscendique avidam. (26) Protinus facta potestate veniendi, ceteris iussis subsistere, trecentis feminarum comitata processit atque, ut primum rex in conspectu fuit, equo ipsa desiluit duas lanceas dextera praeferens. (27) Vestis non toto Amazonum corpori obducitur: nam laeva pars ad pectus est nuda, cetera deinde velantur. Nec tamen sinus vestis, quem nodo colligunt, infra genua descendit. (28) Altera papilla intacta servatur, qua muliebris sexus liberos alant; aduritur dextera, ut arcus facilius intendant et tela

Geschichte Alexanders des Großen 6,5,19–6,5,29

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ger, als es recht gewesen wäre, von Zorn und Schmerz gereizt und befahl, nach dem Pferd zu forschen; durch einen Dolmetscher ließ er den Feinden ankündigen, wenn sie es nicht zurückgäben, solle keiner am Leben bleiben. Durch diese Drohung erschreckt, führten sie nebst anderen Geschenken das Pferd herbei. (20) Doch auch so noch nicht besänftigt, befahl er, die Waldung niederzuhauen und mit Erde, die man von den Bergen herbeischaffte, die durch das Gestrüpp verschlossene Fläche aufzudämmen. (21) Das Werk war bereits bis zu einer gewissen Höhe angewachsen, als die Barbaren daran verzweifelten, die von ihnen besetzte Gegend behaupten zu können, und sich ihm unterwarfen. Der König nahm Geiseln und befahl ihnen, sich dem Phradates auszuliefern. (22) Hierauf kehrte er am fünften Tag in sein Standlager zurück, von wo er den Artabazos mit doppelt so vielen Ehrenbeweisen nach Hause entließ, wie Dareios sie ihm erwiesen hatte. Man war schon zu der Stadt Hyrkaniens gelangt, in der sich der Palast des Dareios befand37: Dort kam ihm Nabarzanes, nachdem er freies Geleit erhalten hatte, mit einer großen Menge Geschenken entgegen. (23) Darunter befand sich auch ein Eunuch namens Bagoas, von ungemeiner Schönheit und gerade in der Blüte der Jugend, mit dem Dareios häufigen Umgang gehabt hatte, und Alexander bald ebenso. Vor allem auf seine Bitten hin erlangte Nabarzanes beim König Gnade. (24) Wie oben gesagt wurde, grenzte an Hyrkanien das Volk der Amazonen, die um den Fluss Thermodon die Region von Themiskyra bewohnen. (25) Ihre Königin war Thalestris, die über alle Amazonen zwischen dem Kaukasos und dem Fluss Phasis herrschte. Diese wollte Alexander sehen, verließ die Grenzen ihres Reiches und schickte, als sie nicht mehr fern war, die Nachricht, die Königin sei mit dem Wunsch gekommen, ihn zu sehen und kennen zu lernen.38 (26) Nachdem ihr sofort die Erlaubnis zu kommen erteilt worden war, befahl sie ihrem übrigen Gefolge, Halt zu machen; sie selbst näherte sich, von dreihundert Frauen begleitet. Sobald sie den König erblickten, sprang sie vom Pferd, zwei Lanzen in der Rechten. (27) Das Gewand der Amazonen bedeckt nicht den ganzen Körper, vielmehr ist die linke Seite bis zur Brust nackt, das Übrige dann verhüllt; doch fallen die Falten des Gewandes, das sie in einen Knoten zusammenknüpfen, nicht über die Knie hinab. (28) Die eine Brust bleibt unversehrt, um daran die Kinder weiblichen Geschlechtes zu nähren, die rechte wird ausgebrannt, um leichter den Bogen spannen und Geschosse schleudern zu können. (29) Mit unerschrocke-

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vibrent. (29) Interrito vultu regem Thalestris intuebatur habitum eius haudquaquam rerum famae parem oculis perlustrans: quippe omnibus barbaris in corporum maiestate veneratio est, magnorumque operum non alios capaces putant quam quos eximia specie donare natura dignata est. (30) Ceterum interrogata, num aliquid petere vellet, haud dubitavit fateri ad communicandos cum rege liberos se venisse, dignam, ex qua ipse regni generaret heredes; feminini sexus se retenturam, marem reddituram patri. (31) Alexander, an cum ipso militare vellet, interrogat; et illa causata sine custode regnum reliquisse petere perseverabat, ne se inritam spei abire pateretur. (32) Acrior ad venerem feminae cupido quam regis, [ac] ut paucos dies subsisteret, perpulit. XIII dies in obsequium desiderii eius absumpti sunt. Tum illa regnum suum, rex Parthienen petiverunt. 6 (1) Hic vero palam cupiditates suas solvit continentiamque et moderationem, in altissima quaque fortuna eminentia bona, in superbiam ac lasciviam vertit. (2) Patrios mores disciplinamque Macedonum regum salubriter temperatam et civilem habitum velut leviora magnitudine sua ducens, Persicae regiae par deorum potentiae fastigium aemulabatur. (3) Iacere humi venerabundos ipsum paulatimque servilibus ministeriis tot victores gentium imbuere et captivis pares facere expetebat. (4) Itaque purpureum diadema distinctum albo, quale Dareus habuerat, capiti circumdedit vestemque Persicam sumpsit, ne omen quidem veritus, quod a victoris insignibus in devicti transiret habitum. (5) Et ille se quidem spolia Persarum gestare dicebat, sed cum illis quoque mores induerat, superbiamque habitus animi insolentia sequebatur. (6) Litteras quoque, quas in Europam mitteret, veteris anuli gemma obsignabat, iis, quas in Asiam scriberet, Darei anulus imprimebatur, ut appareret unum animum duorum non capere fortunam. (7) Amicos vero et equites – hi namque principes militum – aspernantes quidem, sed

Geschichte Alexanders des Großen 6,5,29–6,6,7

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ner Miene schaute Thalestris den König an und musterte eingehend seine Gestalt, die keineswegs dem Ruhm seiner Taten zu entsprechen schien. Alle Barbaren empfinden nämlich vor einer majestätischen Körpergestalt Ehrfurcht, halten aber niemand für großer Taten fähig, den die Natur nicht mit einem ausgezeichneten Äußeren begabt hat. (30) Auf die Frage, ob sie etwas von ihm zu erbitten wünsche, zögerte sie nicht zu gestehen, sie sei gekommen, um mit dem König Kinder zu zeugen; sie sei es wert, dass er von ihr Erben seines Reiches empfange. Sei es ein Mädchen, so wolle sie es selbst behalten, einen Knaben aber dem Vater zurückgeben. (31) Alexander fragte sie, ob sie mit ihm in den Krieg ziehen wolle, doch sie gab vor, ihr Reich ohne Schutz zurückgelassen zu haben, und beharrte bei ihrer Bitte, dass er sie nicht in ihrer Hoffnung getäuscht weggehen lassen möge. (32) Die Frau, die in ihrer Begierde heftiger war als der König, veranlasste ihn, einige Tage Halt zu machen, und nachdem 13 Tage auf Erfüllung ihres Wunsches verwendet worden waren, machte sie sich in ihr Reich auf, der König nach Parthyene.39 6 (1) Hier ließ er seinen Begierden freien Lauf und wandelte seine Enthaltsamkeit und Mäßigung – Tugenden, die gerade auf dem höchsten Gipfel des Glückes am herrlichsten hervorstrahlen – in Übermut und Zügellosigkeit. (2) Die heimischen Sitten sowie die heilsam geregelte Lebensweise und bürgerliche Haltung der makedonischen Könige hielt er in Anbetracht seiner Größe und für zu gering und strebte nach der göttergleichen Erhabenheit der persischen Königsmacht. (3) Er verlangte, man solle ihn, am Boden liegend, anbeten, und die Sieger über so viele Völker sollten sich allmählich an knechtische Dienste gewöhnen und Gefangenen gleich werden. (4) Daher legte er um sein Haupt ein purpurnes, weißbesticktes Diadem, wie es Dareios getragen hatte,40 und legte ein persisches Gewand an, ohne es als schlechtes Vorzeichen zu fürchten, wenn er die Herrscherzeichen des Siegers mit der Tracht des Besiegten vertauschte. (5) Er sagte zwar, er trage die den Persern abgenommene Siegesbeute – doch hatte er damit er auch ihre Sitten angenommen, und dieses stolze Äußere hatte Überheblichkeit zur Folge. (6) Die Briefe, die er nach Europa schickte, siegelte er mit dem Zeichen seines früheren Siegelringes; denen aber, die er nach Asien schrieb, wurde Dareios’ Siegelring aufgedrückt – ein deutlicher Beweis dafür, wie die Seele des einen die Stellung beider nicht in sich zu vereinigen vermochte. (7) Die Freunde aber und die Reiter – diese waren nämlich die vorzüglichsten unter seinen Soldaten

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recusare non ausos Persicis oneraverat vestibus. (8) Paelices CCC et LX, totidem quot Darei fuerant, regiam implebant; quas spadonum greges, et ipsi muliebria pati adsueti, sequebantur. (9) Haec luxu et peregrinis infecta moribus veteres Philippi milites, rudis natio ad voluptates, palam aversabantur, totisque castris unus omnium sensus ac sermo erat plus amissum victoria quam bello esse quaesitum: (10) ‹tum› cum maxime vinci ipsos dedique alienis moribus et externis. Quo tandem ore domos quasi in captivo habitu reversuros? Pudere iam sui regem: victis quam victoribus similiorem ex Macedoniae imperatore Darei satrapen factum. (11) Ille non ignarus et principes amicorum et exercitum graviter offendi gratiam liberalitate donisque reparare temptabat; sed, opinor, liberis pretium servitutis ingratum est. (12) Igitur, ne in seditionem res verteretur, otium interpellandum erat bello, cuius materia opportune alebatur. (13) Namque Bessus veste regia sumpta Artaxerxen appellari se iusserat Scythasque et ceteros Tanais accolas contrahebat. Haec Satibarzanes nuntiabat, quem receptum in fidem regioni, quam antea obtinuerat, praefecit. (14) Et cum grave spoliis apparatuque luxuriae agmen vix moveretur, suas primum, deinde totius exercitus sarcinas exceptis admodum necessariis conferri iussit in medium. (15) Planities spatiosa erat, in quam vehicula onusta perduxerant. Expectantibus cunctis, quid deinde esset imperaturus, iumenta iussit abduci, suisque primum sarcinis face subdita ceteras incendi praecepit. (16) Flagrabant exurentibus dominis, quae ut intacta ex urbibus hostium raperent, saepe flammas restinxerant, nullo sanguinis pretium audente deflere, cum regias opes idem ignis exureret. (17) Brevi deinde ratio mitigavit dolorem, habilesque militiae et ad omnia parati laetabantur sarcinarum potius quam dis-

Geschichte Alexanders des Großen 6,6,7–6,6,17

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– hatte er gegen ihren Willen und, ohne dass sie es jedoch zurückzuweisen wagten, mit persischen Gewändern geschmückt. (8) 360 Dirnen, ebensoviel wie bei Dareios, füllten die königliche Hofburg, gefolgt von einem Heer Eunuchen, die ebenfalls gewohnt waren, der Wollust zu dienen. (9) Gegen diesen durch Schwelgerei und fremde Sitten verderbten Zustand sprachen die alten Soldaten Philipps – diese an Genüsse wenig gewöhnten Leute – offen ihren Abscheu aus, und im ganzen Lager war unter allen ein Gedanke und eine Stimme, dass durch ihren Sieg mehr verloren als durch den Krieg gewonnen worden sei. (10) Jetzt würden sie ihrerseits besiegt, indem man ihnen fremde Sitten auswärtiger Völker aufnötige; zum Lohn für so langes Ausharren würden sie wie Gefangene bekleidet nach Hause zurückkehren. Schon müsse man sich vor sich selbst schämen, und der König, den Besiegten ähnlicher als den Siegern, sei vom Beherrscher Makedoniens zum Satrapen des Dareios geworden. (11) Alexander wusste genau, wie schwer seine engsten Freunde und das Heer beleidigt seien, und versuchte, durch Freigebigkeit und Geschenke ihre Gunst wiederzugewinnen; doch freien Männern, meine ich, ist an einem Knechtssold nichts gelegen. (12) Damit es also nicht zur Empörung kam, musste das müßige Leben durch Krieg unterbrochen werden, wozu sich auch Gelegenheit bot. (13) Bessos nämlich hatte das Königsgewand angelegt, ließ sich Artaxerxes nennen, und zog nun die Skythen und übrigen Anwohner des Tanaïs zusammen. Diese Nachrichten brachte ihm Satibarzanes41, der sich ihm unterwarf; ihn setzte er als Statthalter über das Land ein, das er zuvor innegehabt hatte. (14) Und da sich der Heereszug, von Beutestücken und Luxusgegenständen beschwert, nur mühsam vorwärts bewegte, ließ er zuerst sein Gepäck und dann auch das des ganzen Heeres – mit Ausnahme des Nötigsten – in die Mitte zusammenbringen. (15) Es war eine große Fläche, auf die man die beladenen Wagen gefahren hatte. Alle warteten gespannt, was er weiter befehlen werde. Er ließ die Zugtiere fortführen, warf zuerst in sein eigenes Gepäck Feuer und befahl dann, auch das Übrige anzuzünden. (16) So verbrannte, von den eigenen Besitzern angezündet, die Beute, zu deren unversehrtem Abtransport aus feindlichen Städten man oftmals Flammen gelöscht hatte, ohne dass es einer gewagt hätte, diesen Lohn für ihr vergossenes Blut zu beklagen, da das Feuer auch die Schätze des Königs verzehrte. (17) Bald darauf besiegte dann die Vernunft ihren Unmut, und, an den Dienst gewöhnt und zu allem bereit, freuten sie sich, lieber eine Einbuße

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ciplinae fecisse iacturam. (18) Igitur Bactrianam regionem petebant. Sed Nicanor, Parmenionis filius, subita morte correptus magno desiderio sui adfecerat cunctos. (19) Rex ante omnes maestus cupiebat quidem subsistere funeri adfuturus, sed penuria commeatuum festinare cogebat: itaque Philotas cum duobus milibus et DC relictus, ut iusta fratri persolveret; ipse contendit ad Bessum. (20) Iter facienti ei litterae adferuntur a finitimis satraparum, e quibus cognoscit Bessum quidem hostili animo occurrere cum exercitu, ceterum Satibarzanen, quem satrapeae Ariorum ipse praefecisset, defecisse ab eo. (21) Itaque quamquam Besso imminebat, tamen Satibarzanen opprimendum praeverti optimum ratus levem armaturam et equestres copias educit, totaque nocte itinere strenue facto improvisus hosti supervenit. (22) Cuius cognito adventu Satibarzanes cum duobus milibus equitum – nec plures subito contrahi poterant – Bactra perfugit; ceteri proximos montes occupaverunt. (23) Praerupta rupes est, qua spectat occidentem; eadem, qua vergit ad orientem, leniore summissa fastigio multis arboribus obsita perennem habet fontem, ex quo large aquae manant. Circuitus eius XXX et duo stadia comprendit. (24) In vertice herbidus campus: in hoc multitudinem imbellem considere iubent; ipsi, qua rupes deerat, arborum truncos et saxa obmoliuntur. XIII milia armata erant. (25) In quorum obsidione Cratero relicto ipse Satibarzanen sequi festinat. Et quia longius abesse eum cognoverat, ad expugnandos eos, qui edita montium occupaverant, redit. (26) Ac primo repurgari iubet, quicquid ingredi possent; deinde, ut occurrebant inviae cotes praeruptaeque rupes, inritus labor videbatur obstante natura. (27) Ille, ut erat animi semper obluctantis difficultatibus, cum et progredi arduum et reverti periculosum esset, versabat se ad omnes cogitationes aliud atque aliud – ita ut fieri solet, ubi prima quaeque damnamus – subiciente animo. Haesitanti, quod ratio non potuit, fortuna

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an Gepäck als an Disziplin erlitten zu haben. (18) So marschierte er nach der Provinz Baktrien. Doch der plötzliche Tod des Nikanor, eines Sohnes Parmenions42, hatte das ganze Heer mit großer Trauer erfüllt. (19) Der König, der am meisten von allen trauerte, wünschte zwar haltzumachen, um dem Leichenbegängnis beizuwohnen, allein Mangel an Lebensmitteln nötigte zur Eile. Darum wurde Philotas mit 2 600 Mann zurückgelassen, um seinem Bruder die schuldigen Ehren zu erweisen; er selbst zog gegen Bessos. (20) Auf dem Marsch wurden ihm von den nächsten Satrapen Briefe mit der Nachricht überbracht, dass Bessos ihm mit einem Heer feindlich entgegenziehe, und überdies Satibarzanes, den er selbst zum Statthalter über die Areier eingesetzt hatte, von ihm abgefallen sei.43 (21) Obwohl er eigentlich gegen Bessos unterwegs war, hielt er es für das Beste, zuvor Maßnahmen zur Überwältigung des Satibarzanes zu ergreifen. Er nahm die Leichtbewaffneten und die Reiterei mit sich, und nachdem er die ganze Nacht angestrengt marschiert war, überraschte er den Feind ganz unerwartet. (22) Auf die Nachricht von seiner Annäherung floh Satibarzanes mit 2 000 Reitern – mehr konnte er nämlich in der Eile nicht sammeln – nach Baktrien, die übrigen Soldaten besetzten die nächsten Berge. (23) Es war ein nach Westen steil abfallender Felsen, der sich aber gegen Osten sanfter erhebt, mit vielen Bäumen bedeckt ist und eine nie versiegende Quelle hat, der viel Wasser entströmt. Sein Umfang beträgt 23 Stadien; (24) auf dem Gipfel ist eine mit Gras bewachsene Fläche. Hier ließen sie die kampfunfähige Menge Lager errichten; sie selbst wälzten, wo der Fels zugänglich war, Baumstämme und große Steine in den Weg. Es waren 13 000 Bewaffnete, (25) zu deren Belagerung Krateros zurückgelassen wurde, während Alexander selbst dem Satibarzanes zu folgen eilte. Weil er jedoch erfuhr, dass dieser schon zu weit entfernt sei, kehrte er zur Eroberung des von den Areiern besetzten Berggipfels zurück. (26) Und zuerst befahl er, den Weg, so weit er gangbar war, wieder frei zu machen; als sich dann aber unzugängliche Klippen und schroffe Felsen entgegenstellten, schien den natürlichen Hindernissen gegenüber alle Anstrengung vergeblich. (27) Wie er nun gewohnt war, immer gegen Schwierigkeiten anzukämpfen, überlegte er hin und her, da sowohl vorzurücken gewagt als zurückzukehren gefährlich war. Dabei fiel ihm – wie es zu geschehen pflegt, wenn man eines nach dem anderen verwirft – immer wieder anderes ein. Während er so schwankte, gab ihm der Zufall ein Mittel an die Hand, das er durch Überlegung nicht hatte finden

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consilium subministravit. (28) Vehemens favonius erat, et multam materiam ceciderat miles aditum per saxa molitus. Haec vapore torrido iam inaruerat; (29) ergo adgeri alias arbores iubet et igni dari alimenta, celeriterque stipitibus cumulatis fastigium montis aequatum est. (30) Tunc undique ignis iniectus cuncta comprendit. Flammam in ora hostium ventus ferebat, fumus ingens velut quadam nube absconderat caelum. (31) Sonabant incendio silvae, atque ea quoque, quae non incenderat miles, concepto igne proxima quaeque adurebant. Barbari suppliciorum ultimum, si qua intermoreretur ignis, effugere temptabant; sed, qua flamma dederat locum, hostis obstabat. (32) Varia igitur caede consumpti sunt: alii in medios ignes, alii petris praecipitavere se, quidam hostium manibus obtulerunt, pauci semustulati venere in potestatem. (33) Hinc ad Craterum, qui Artacana obsidebat, redit. Ille omnibus praeparatis regis expectabat adventum, captae urbis titulo, sicut par erat, cedens. (34) Igitur Alexander turres admoveri iubet, ipsoque aspectu barbari territi e muris supinas manus tendentes orare coeperunt, iram in Satibarzanen, defectionis auctorem, reservaret, supplicibus semet dedentibus parceret. Rex data venia non obsidionem modo solvit, sed omnia sua incolis reddidit. (35) Ab hac urbe digresso supplementum novorum militum occurrit: Zoilus D equites ex Graecia adduxerat, III milia ex Illyrico Antipater miserat, Thessali equites C et XXX cum Philippo erant, ex Lydia II milia et sescenti, peregrinus miles, advenerant, CCC equites gentis eiusdem sequebantur. (36) Hac manu adiecta ‹adit› Drangas: bellicosa natio est. Satrapes erat Barzaentes, sceleris in regem suum particeps Besso: is suppliciorum, quae meruerat, metu profugit in Indiam. 7 (1) Iam nonum diem stativa erant, cum ‹ab› externa vi non tutus modo rex, sed invictus, intestino facinore petebatur. (2) Dym-

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können: (28) Es wehte ein heftiger Westwind, und die Soldaten hatten beim Bahnen der Wege über die Felsen viel Holz gefällt. Dieses war, von der Hitze ausgedörrt, bereits in Brand geraten. (29) Er ließ also noch mehr Bäume aufhäufen und dem Feuer Nahrung geben; schnell kamen die aufgetürmten Stämme der Höhe des Berggipfels gleich. (30) Dann warf man von allen Seiten Feuer hinein, von dem alles ergriffen wurde. Der Wind jagte dem Feind die Flamme ins Gesicht; ein ungeheurer Rauch überzog den Himmel wie mit einer Wolke. (31) Der Wald knarrte in der Hitze, und durch das Feuer geriet auch das in Flammen, was sich in der Nähe befand und was die Soldaten nicht angezündet hatten. Die Barbaren suchten, wo irgend das Feuer nachließ, dem qualvollen Tod zu entgehen; wo ihnen aber die Flamme Raum gab, stellte sich der Feind in den Weg. (32) Auf verschiedene Weise also kamen sie um: Die einen stürzten sich mitten ins Feuer, andere von Felsen herab; manche rannten den Feinden in die Hände, nur wenige gerieten halb versengt in Gefangenschaft. (33) Von hier aus kehrte er zu Krateros zurück, der Artakoana44 belagerte. Dieser erwartete, nachdem er alles vorbereitet hatte, die Ankunft des Königs, indem er selbst, wie es sich gehört, auf den Ruhm verzichtete, die Stadt gewonnen zu haben. (34) Alexander ließ also die Türme heranrücken; die Barbaren jedoch waren bereits durch diesen Anblick erschreckt, streckten ihm von den Mauern die Hände bittend entgegen und begannen ihn anzuflehen, seinen Zorn für Satibarzanes, den Urheber ihres Abfalls, aufzusparen, sie aber zu schonen, die sich seine Gnade anrufend ergäben. Der König gewährte ihnen Verzeihung und hob nicht nur die Belagerung auf, sondern gab auch den Einwohnern alles zurück, was ihnen gehörte. (35) Als er von dieser Stadt abgezogen war, traf er auf einen Zug neuer Ergänzungsmannschaften. Zoilos hatte 500 Reiter aus Griechenland herbeigeführt, Antipater aus Illyrien 3 000 Mann geschickt; mit Philipp kamen 130 thessalische Reiter und aus Lydien 2 600 fremde Söldner, gefolgt von 300 Reitern desselben Stammes. (36) Durch diese Truppen verstärkt, gelangte er zu dem kriegerischen Volk der Dranger. Statthalter dort war Barsaentes, der sich mit Bessos an dem Verbrechen gegen seinen König beteiligt hatte, jetzt aber aus Furcht vor der verdienten Strafe nach Indien geflohen war.45 7 (1) Schon neun Tage befand man sich in einem Standlager, als der König, der äußeren Feinden gegenüber gesichert und zudem unbesiegt war, sich aus der Mitte der Seinen durch ein Verbrechen

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nus, modicae apud regem auctoritatis et gratiae, exoleti, cui Nicomacho erat nomen, amore flagrabat obsequio uni sibi dediti corporis vinctus. (3) Is, quod ex vultu quoque perspici poterat, similis attonito remotis arbitris cum iuvene secessit in templum arcana se et silenda adferre praefatus, (4) suspensumque expectatione per mutuam caritatem et pignora utriusque animi rogat, ut adfirmet iureiurando, quae commisisset, silentio esse tecturum. (5) Et ille ratus nihil, quod etiam cum periurio detegendum foret, indicaturum per praesentes deos iurat. (6) Tum Dymnus aperit in tertium diem regi insidias comparatas seque eius consilii fortibus viris et inlustribus esse participem. (7) Quibus iuvenis auditis se vero fidem in parricidio dedisse constanter abnuit nec ulla religione, ut scelus tegat, posse constringi. (8) Dymnus et amore et metu amens dexteram exoleti complexus et lacrimans orare primum, ut particeps consilii operisque fieret; (9) si id sustinere non posset, attamen ne proderet se, cuius erga ipsum benevolentiae praeter alia hoc quoque haberet fortissimum pignus, quod caput suum permisisset fidei adhuc inexpertae. (10) Ad ultimum aversari scelus perseverantem mortis metu terret: ab illo capite coniuratos pulcherrimum facinus incohaturos. (11) Alias deinde effeminatum et muliebriter timidum, alias proditorem amatoris appellans, nunc ingentia promittens, interdumque regnum quoque, versabat animum tanto facinore procul abhorrentem. (12) Strictum deinde gladium modo illius modo suo admovens iugulo, supplex idem et infestus, expressit, ut tandem non solum silentium, sed etiam operam polliceretur. (13) Namque abunde constantis animi et dignus, qui pudicus esset, nihil ex pristina voluntate mutaverat, sed captum Dymni amore simulabat nihil

Geschichte Alexanders des Großen 6,7,1–6,7,13

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bedroht sah. (2) Dymnos, der beim König bis zu einem gewissen Grad in Ansehen und Gunst stand46, entbrannte in Liebe zu einem jungen Lustknaben namens Nikomachos; er war durch die Willfährigkeit von dessen Körper gefesselt, der nur ihm ergeben war. (3) Dieser führte in großer Aufregung, die sich schon an seiner Miene ablesen ließ, den jungen Menschen ohne einen Zeugen in einen Tempel, wobei er ihm andeutete, dass er ihm ein Geheimnis mitzuteilen habe, das Verschwiegenheit erfordere. (4) Dort bat er den erwartungsvollen jungen Mann bei ihrer gegenseitigen Liebe und den Beweisen ihrer beiderseitigen Gesinnung, ihm eidlich zu versprechen, Stillschweigen über das zu bewahren, was er ihm nun anvertrauen werde. (5) Der vermutete nichts Arges, das er selbst mit einer Verletzung des Eides enthüllen müsste, und schwor es ihm bei den Gottheiten des Tempels. (6) Hierauf eröffnet ihm Dymnos, in drei Tagen solle ein Anschlag gegen den König ausgeführt werden; er sei mit tapferen und ausgezeichneten Männern an diesem Plan beteiligt. (7) Nachdem der junge Mann dies vernommen hatte, lehnte er es entschieden ab, sein Versprechen für einen Königsmord gegeben zu haben, und kein Eid könne ihn binden, dies Verbrechen zu verschweigen. (8) Vor Liebe und Furcht von Sinnen, ergriff Dymnos die Hand seines Lieblings und beschwor ihn erst unter Tränen, sich an der Ausführung des Planes zu beteiligen; (9) brächte er das nicht über sich, so solle er ihn doch wenigstens nicht verraten, für dessen Wohlwollen er außer anderen den stärksten Beweis dadurch erhalten habe, dass er seiner noch unerprobten Treue sein Leben anvertraut habe. (10) Als jener dabei blieb, dass er eine solche Tat aufs äußerste verabscheue, suchte er ihn durch Morddrohungen zu erschrecken: Mit seiner Tötung würden die Verschworenen ihre herrliche Tat beginnen. (11) Dann nannte er ihn einen Weichling und ein feiges Weib, dann wieder einen Verräter ihrer Liebe; darauf machte er ihm wieder ungeheure Versprechungen, bisweilen sogar bis zum Anteil an der Herrschaft, und setzte so dem von einer solchen Untat weit Entfernten auf jede Weise zu. (12) Ja, er zog sein Schwert, und indem er es bald jenem, bald sich selbst an die Kehle setzte, erpresste er schließlich mit flehentlichen Bitten und mit Drohungen von ihm das Versprechen nicht nur des Stillschweigens, sondern auch der Beihilfe. (13) Voll fester Beharrlichkeit nämlich und wert, einen gesitteten Lebenswandel zu führen, hatte er zwar an seinem vorigen Entschluss nichts geändert, doch stellte er sich, als könne er aus Liebe zu Dymnos diesem nichts

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recusare. (14) Sciscitari inde pergit, cum quibus tantae rei societatem inisset: plurimum referre, quales viri tam memorabili operi admoturi manus essent. (15) Ille et amore et scelere male sanus simul gratias agit, simul gratulatur, quod fortissimis iuvenum non dubitasset se adiungere, Demetrio, corporis custodi, Peucolao, Nicanori; adicit his Aphobetum, Iolaum, Dioxenum, Archepolim, Amyntam. (16) Ab hoc sermone dimissus Nicomachus ad fratrem – Cebalino erat nomen – quae acceperat defert. Placet ipsum subsistere in tabernaculo, ne, si regiam intrasset non adsuetus adire regem, coniurati proditos se esse resciscerent. (17) Ipse Cebalinus ante vestibulum regiae – neque enim propius aditus ei patebat – consistit opperiens aliquem ex prima cohorte amicorum, ‹a› quo introduceretur ad regem. (18) Forte ceteris dimissis unus Philotas, Parmenionis filius – incertum quam ob causam – substiterat in regia. Huic Cebalinus ore confuso magnae perturbationis notas prae se ferens aperit, quae ex fratre compererat, et sine dilatione nuntiari regi iubet. (19) Philotas conlaudato eo protinus intrat ad Alexandrum multoque invicem de aliis rebus sermone consumpto nihil eorum, quae ex Cebalino cognoverat, nuntiat. (20) Sub vesperam eum prodeuntem in vestibulo regiae excipit iuvenis, an mandatum executus foret, requirens. (21) Ille non vacasse sermoni suo regem causatus discessit. Postero die Cebalinus venienti in regiam praesto est intrantemque admonet pridie communicatae cum ipso rei. Ille curae sibi esse respondet: ac ne tum quidem regi, quae audierat, aperit. (22) Coeperat Cebalino esse suspectus. Itaque non ultra interpellandum ratus nobili iuveni – Metron erat ei nomen – super armamentarium posito, quod scelus pararetur, indicat. (23) Ille Cebalino in armamentario abscondito protinus regi corpus forte curanti, quid index detulisset, ostendit. (24) Rex ad comprehenden-

Geschichte Alexanders des Großen 6,7,13–6,7,24

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abschlagen. (14) Dann fragte er ihn nach den Leuten aus, mit denen er sich zu dieser Tat verbündet habe; es komme nämlich sehr darauf an, welche Männer Hand an ein so denkwürdiges Unternehmen legten. (15) Dieser, durch seine Liebe und sein Verbrechen ganz blind gemacht, dankte ihm nicht nur, sondern beglückwünschte ihn auch, dass er nicht weiter zögere, sich an so tapfere Männer anzuschließen: Demetrios, den königlichen Leibwächter Peukolaos und Nikanor. Hierzu fügte er noch die Namen Aphobeios, Iolaos, Dioxenos, Archepolis und Amyntas. (16) Von dieser Unterredung losgekommen, berichtete Nikomachos seinem Bruder Kebalinos, was er gehört hatte. Sie beschlossen, er selbst solle in seinem Zelt bleiben, damit die Verschworenen – wenn er, der sonst nicht zum König ging, in das königliche Quartier ginge – nicht merkten, dass sie verraten worden seien. (17) Kebalinos selbst stellte sich vor den Eingang des königlichen Zeltes, da ihm ein näherer Zutritt nicht offen stand, und wartete auf einen aus der Leibgarde der Freunde, um sich von ihm zum König führen zu lassen. (18) Zufällig – ich weiß nicht, aus welchem Grund – war nach Entlassung der Übrigen nur noch Philotas, der Sohn des Parmenion im königlichen Zelt zurückgeblieben. Diesem erzählte Kebalinos, der in seinem erschrockenen Gesicht große Bestürzung verriet, was er von seinem Bruder vernommen hatte, und bat ihn, dies unverzüglich dem König zu melden. (19) Philotas lobte ihn und trat sofort bei Alexander ein, aber sie sprachen lange über andere Dinge, und Philotas meldete nichts von dem, was er von Kebalinos erfahren hatte. (20) Als er gegen Abend heraustrat, hielt ihn der junge Mann in der Vorhalle des königlichen Zeltes an und fragte, ob er den Auftrag ausgerichtet habe. (21) Jener gab vor, dass der König keine Zeit gehabt habe, mit ihm zu sprechen, und entfernte sich. Als er am folgenden Tag zum König ging, war Kebalinos wieder zur Stelle und erinnerte ihn bei seinem Kommen an die Mitteilung, die er ihm am Tag zuvor gemacht hatte. Jener entgegnete, er denke schon daran, sagte aber auch jetzt dem König nicht, was er gehört hatte. Nun begann er dem Kebalinos verdächtig zu werden. (22) Deshalb glaubte dieser, sich nicht mehr mit ihm besprechen zu sollen, sondern berichtete einem jungen Adligen namens Metron, der die Waffenkammer leitete, welches Verbrechen vorbereitet werde.47 (23) Dieser verbarg den Kebalinos in der Waffenkammer und teilte dem König, der gerade im Bad war, sofort mit, was ihm jener angezeigt hatte. (24) Der König schickte sogleich Leibwächter los, die den Dymnos ergreifen

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dum Dymnum missis satellitibus armamentarium intrat. Ibi Cebalinus gaudio elatus ‘Habeo te’ inquit ‘incolumem ex impiorum manibus ereptum.’ (25) Percontatus deinde Alexander, quae noscenda erant, ordine cuncta cognoscit. Rursusque institit quaerere, quotus dies esset, ex quo Nicomachus ad eum detulisset indicium. (26) Atque illo fatente iam tertium esse, existimans haud incorrupta fide tanto post deferre, quae audierat, vinciri eum iussit. (27) Ille clamitare coepit eodem temporis momento, quo audisset, ad Philotan decucurrisse: ab eo ‹o›per‹iri› comperta. (28) Rex identidem quaerens, an Philotan adisset, an institisset ei, ut pervenirent ad se, perseverante eo adfirmare, quae dixerat, manus ad caelum tendens manantibus lacrimis hanc sibi a carissimo quondam amicorum relatam gratiam querebatur. (29) Inter haec Dymnus haud ignarus, quam ob causam accerseretur a rege, gladio, quo forte erat cinctus, graviter se vulnerat occursuque satellitum inhibitus perfertur in regiam. (30) Quem intuens rex ‘Quod’ inquit ‘in te, Dymne, tantum cogitavi nefas, ut tibi Macedonum regno dignior Philotas me quoque ipso videretur?’ Illum iam defecerat vox; itaque edito gemitu vultuque a conspectu regis averso subinde conlapsus extinguitur. (31) Rex Philota venire in regiam iusso, ‘Cebalinus’ inquit ‘ultimum supplicium meritus, si in caput meum praeparatas insidias biduo texit, huius criminis Philotan reum substituit, ad quem protinus indicium detulisse se adfirmat. (32) Quo propiore gradu amicitiae me contingis, hoc maius est dissimulationis tuae facinus, et ego Cebalino magis quam Philotae id convenire fateor. Faventem habes iudicem, si, quod admitti non potuit, saltem negari potest.’ (33) Ad haec Philotas haud sane trepidus, si animus vultu aestimaretur, Cebalinum quidem scorti sermonem ad se detulisse, sed ipsum tam levi auctore

Geschichte Alexanders des Großen 6,7,24–6,7,33

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sollten, und trat dann selbst in die Rüstkammer. Hocherfreut rief ihm hier Kebalinos entgegen: „So sehe ich dich denn unversehrt den Händen der Verräter entrissen!“ (25) Darauf fragte ihn Alexander nach allem, was er wissen musste, und erfuhr der Reihe nach den ganzen Vorgang. Als aber auf die erneute Frage, der wievielte Tag es sei, seit ihm Nikomachos die Anzeige hinterbracht habe, (26) jener bekannte, es sei schon der dritte Tag, vermutete er, dass Kebalinos erst so viel später das Vernommene zur Anzeige bringe, weil er bestochen worden sei, und gab Befehl, ihn in Fesseln zu legen. (27) Dieser aber erhob ein Geschrei und sagte, er sei, sobald er die Sache vernommen habe, zu Philotas gelaufen48; den solle er fragen. (28) Weiter fragte der König, ob er wirklich den Philotas aufgesucht, ob er ihn gedrängt habe, die Sache vor ihn zu bringen, und als jener dabei blieb, seine Aussage entspreche der Wahrheit, hob er die Hände zum Himmel und klagte unter Tränen, dass ihm von einem vorher so teuren Freund solcher Dank vergolten werde. (29) Unterdessen brachte sich Dymnos, der wohl wusste, weshalb er vor den König gerufen werde, mit dem Schwert, das er gerade trug, eine schwere Wunde bei, aber die Leibwächter sprangen dazwischen und trugen ihn zum Zelt des Königs. (30) Den Blick auf ihn geheftet, rief Alexander: „Dymnos, welches große Unrecht habe ich denn gegen dich geplant, dass dir Philotas der Herrschaft über die Makedonen würdiger schien als ich selbst?“ Dieser aber hatte bereits die Sprache verloren. Er stieß einen Seufzer aus, wandte sein Antlitz von den Augen des Königs weg, sank gleich darauf zusammen und starb. (31) Der König ließ Philotas in sein Zelt kommen und sprach: „Kebalinos, der den härtesten Tod verdient, wenn er die gegen mein Leben angesponnene Verschwörung zwei Tage lang verschwiegen hat, wälzt die Schuld dieses Vergehens auf Philotas, indem er behauptete, er habe diesem unverzüglich Anzeige gemacht. (32) Je näher du meiner Freundschaft stehst, desto schwerer ist das Vergehen, dies verheimlicht zu haben, so dass es mir, offen gestanden, eher dem Kebalinos als dem Philotas angemessen erscheint. Du findest an mir einen gnädigen Richter, wenn du, was nicht hätte begangen werden sollen, wenigstens in Abrede stellen kannst.“ (33) Hierauf erwiderte Philotas nicht eben bestürzt, wenn man seinen Seelenzustand aus der Miene abnehmen durfte, Kebalinos habe ihm allerdings das Gespräch eines liederlichen Menschen hinterbracht, er selbst aber habe einem so unzuverlässigen Gewährsmann keinen Glauben geschenkt und gefürchtet, ausgelacht zu werden, wenn er

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nihil credidisse respondit, veritum, ne iurgium inter amatorem et exoletum non sine risu aliorum detulisset: (34) cum Dymnus semet interemerit, qualiacumque erant, non fuisse reticenda. Complexusque regem orare coepit, ut praeteritam vitam potius quam culpam, silentii tamen, non facti ullius, intueretur. (35) Haud facile dixerim, credideritne ei rex an altius iram suppresserit; dexteram reconciliatae gratiae pignus obtulit et contemptum magis quam celatum indicium esse videri sibi dixit. 8 (1) Advocato tum consilio amicorum, cui tamen Philotas adhibitus non est, Nicomachum introduci iubet. (2) Is eadem, quae detulerat ad regem, ordine exposuit. Erat Craterus regi carus in paucis et eo Philotae ob aemulationem dignitatis adversus, (3) neque ignorabat saepe Alexandri auribus nimia iactatione virtutis atque operae gravem fuisse et ob ea non quidem sceleris, sed contumaciae tamen esse suspectum. (4) Non aliam premendi inimici occasionem aptiorem futuram ratus odio suo pietatis praeferens speciem, ‘Utinam’ inquit ‘in principio quoque huius rei nobiscum deliberasses! (5) Suasissemus, si Philotae velles ignoscere, patereris potius ignorare eum, quantum deberet tibi, quam usque ad mortis metum adductum cogeres saepius de periculo suo quam de tuo cogitare beneficio. Ille enim semper insidiari tibi poterit, tu non semper Philotae poteris ignoscere. (6) Nec est, quod existimes eum, qui tantum ausus est, venia posse mutari. Scit eos, qui misericordiam consumpserunt, amplius sperare non posse. (7) At ego, etiamsi ipse vel paenitentia vel beneficio tuo victus quiescere volet, patrem eius Parmenionem, tanti ducem exercitus et inveterata apud milites tuos auctoritate haud multum infra magnitudinis tuae fastigium positum, scio non aequo animo salutem filii sui debiturum tibi. (8) Quaedam benefi-

Geschichte Alexanders des Großen 6,7,33–6,8,8

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den Streit zwischen einem liederlichen Burschen und seinem Liebhaber zur Anzeige brächte. (34) Da sich Dymnos nun selbst getötet habe, hätte er die Sache freilich, wie geringfügig sie auch immer sein möge, nicht verschweigen sollen. Dann umfasste er den König und beschwor ihn, mehr sein bisheriges Leben als seine Schuld ins Auge zu fassen, die doch nur im Verschweigen, nicht in irgendeiner Tat bestehe. (35) Schwer lässt sich entscheiden, ob der König ihm geglaubt oder nur seinen Zorn tiefer im Herzen verschlossen habe. Er reichte ihm als Pfand seiner Versöhnung die Rechte und sagte, es scheine ihm, jener habe die Anzeige eher zu leicht genommen als verheimlicht. 8 (1) Hierauf berief er einen Rat seiner Freunde, zu dem jedoch Philotas nicht hinzugezogen wurde, und befahl, den Nikomachos hereinzuführen, (2) der genau das Gleiche berichtete, was er dem König bereits hatte hinterbringen lassen.49 Nah wie wenige stand Krateros dem König, eben deshalb aber war er dem Philotas aus Eifersucht auf dessen Ansehen feindlich gesinnt. (3) Er wusste genau, dass dieser dem Alexander oftmals durch zu viel Anpreisen seiner Tüchtigkeit und seiner Verdienste lästig geworden war und deshalb zwar nicht als ein verbrecherischer, doch aber trotziger Mensch beargwöhnt wurde. (4) Da er nun keine günstigere Gelegenheit erwarten konnte, seinen Gegner zu stürzen, sagte er, wobei er seinen Hass unter dem Schein der Treue gegenüber dem König verbarg: „Ach hättest du doch gleich von Anfang an über diese Angelegenheit mit uns beratschlagt! (5) Wir hätten dir geraten, wenn du dem Philotas verzeihen wolltest, ihn lieber in Unkenntnis zu lassen, welche große Gnade er dir verdanke, als ihn, nachdem er die Todesstrafe hat fürchten müssen, zu zwingen, öfter an seine Gefahr als an deine Wohltat zu denken. Er nämlich kann dir immer nachstellen, du aber nicht immer dem Philotas verzeihen. (6) Und es besteht kein Grund für die Annahme, dass einer, der so etwas gewagt hat, durch seine Begnadigung geändert werden könne. Er weiß, dass diejenigen, die das Maß der Nachsicht erschöpft haben, nichts weiter hoffen dürfen. (7) Wenn auch er selbst – sei es aus Reue oder durch deine Gnade gerührt – Ruhe halten will, so weiß ich doch, dass sein Vater Parmenion, der ein so großes Heer anführt und durch sein altgewohntes Ansehen bei seinen Soldaten nur wenig unter dem Rang deiner Hoheit steht, nicht mit Gleichmut ertragen wird, dass er dir das Leben seines Sohnes schuldet. (8) Manche Wohltaten betrachtet man mit Hass im Herzen. Man schämt

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cia odimus. Meruisse mortem confiteri pudet: superest, ut malit videri iniuriam accepisse quam vitam. Proinde sci‹t›o tibi cum illis de salute esse pugnandum. (9) Satis hostium superest, ad quos persequendos ituri sumus: latus a domesticis hostibus muni. Hos si submoves, nihil metuo ab externo.’ Haec Craterus. (10) Nec ceteri dubitabant, quin coniurationis indicium suppressurus non fuisset nisi auctor aut particeps. Quem enim pium et bonae mentis, non amicum modo, sed ex ultima plebe, auditis, quae ad eum delata erant, non protinus ad regem fuisse cursurum? (11) ne Cebalini quidem exemplo, qui ex fratre comperta ipsi nuntiasset, Parmenionis filium, praefectum equitatus, omnium arcanorum regis arbitrum! Simulasse etiam non vacasse sermoni suo regem, ne index alium internuntium quaereret. (12) Nicomachum religione quoque deum adstrictum conscientiam suam exonerare properasse: Philotam consumpto per ludum iocumque paene toto die gravatum esse pauca verba pertinentia ad caput regis tam longo et forsitan supervacuo inserere sermoni. (13) At enim non credidisse talia deferentibus pueris! Cur igitur extraxisset biduum, tamquam indicio haberet fidem? dimittendum fuisse Cebalinum, si delationem eius damnabat. (14) In suo quemque periculo magnum animum habere, cum de salute regis timeretur, credulos esse debere, vana quoque deferentis admittere. (15) Omnes igitur quaestionem de eo, ut participes sceleris indicare cogeretur, habendam esse decernunt. Rex admonitos, uti consilium silentio premerent, dimittit. Pronuntiari deinde iter in posterum iubet, ne qua novi initi consilii daretur nota. (16) Invitatus est etiam Philotas ad ultimas ipsi epulas, et rex non

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sich, einzugestehen, den Tod verdient zu haben; dann bleibt nur übrig, dass man lieber in dem Ruf stehen möchte, Unrecht erlitten als das Leben geschenkt bekommen zu haben. Du musst wissen, dass du mit jenen beiden um dein Leben zu kämpfen hast. (9) Genug äußere Feinde gibt es noch, zu deren Verfolgung wir ausziehen wollen; schirme deine Brust vor denen im eigenen Lager. Beseitigst du diese, dann fürchte ich nichts vom auswärtigen Feind.“ So sprach Krateros. (10) Auch den anderen war es nicht zweifelhaft, dass Philotas die Anzeige von der Verschwörung nicht unterdrückt hätte, wäre er nicht selbst Urheber oder Teilnehmer daran gewesen. Welcher pflichtgetreue und wohlgesinnte Mensch, nicht einmal Freund, sondern aus der untersten Schicht des Volkes, wäre denn nicht, nachdem er jene Mitteilung erhalten hätte, sogleich zum König gelaufen? (11) Parmenions Sohn aber, der Befehlshaber der Reiterei – er, dem der König alle seine geheimsten Pläne vorzulegen pflegte – habe nicht einmal nach dem Beispiel des Kebalinos gehandelt, der ihm gemeldet hatte, was er aus dem Mund seines Bruders erfahren hatte! Ja, er habe sogar vorgegeben, der König hätte zu einer Unterredung mit ihm keine Zeit gehabt, damit der Anzeigende keinen anderen Mittelsmann suche. (12) Nikomachos habe sich, obgleich er durch einen heiligen Eid gebunden gewesen sei, beeilt, sein Gewissen zu entlasten; dem Philotas sei es, nachdem er fast den ganzen Tag unter Spiel und Scherz hingebracht, zu viel gewesen, die wenigen Worte, die das Leben seines Königs angingen, einer so langen und vielleicht überflüssigen Unterhaltung einfließen zu lassen. (13) Freilich, er habe den Burschen, die ihm solche Sachen hinterbrachten, nicht geglaubt! Warum aber habe er es zwei Tage hinausgezogen, gleich als ob er der Anzeige Glauben schenkte? Abweisen hätte er den Kebalinos müssen, wenn er seine Mitteilung verwarf! (14) In eigenen Gedanken dürfe jeder Großzügigkeit beweisen, wo aber für des Königs Leben zu fürchten sei, da müsse man leichter glauben und auch solche zulassen, die Nichtiges hinterbrächten. (15) Alle entschieden also, dass man eine Untersuchung über ihn anstellen müsse, um ihn zu nötigen, die Teilnehmer an dem Verbrechen anzuzeigen; darauf entließ sie der König mit der Mahnung, über ihren Beschluss Stillschweigen zu bewahren. Dann ließ er für den nächsten Tag den Weitermarsch anordnen, damit nichts darauf hindeutete, dass ein neuer Beschluss gefasst worden sei. (16) Auch Philotas wurde zur Mahlzeit eingeladen, die seine letzte werden sollte, und der König brachte es fertig, mit dem, den er bereits

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cenare modo sed etiam familiariter conloqui cum eo, quem damnaverat, sustinuit. (17) Secunda deinde vigilia luminibus extinctis cum paucis in regiam coeunt Hephaestion et Craterus et Coenus et Erigyius, hi ex amicis, ex armigeris autem Perdiccas et Leonnatus. Per hos imperatum, ut, qui ‹ad› praetorium excubabant, armati vigilarent. (18) Iam ad omnes aditus dispositi erant equites, itinera quoque obsidere iussi, ne quis ad Parmenionem, qui tum Mediae magnisque copiis praeerat, occultus evaderet. (19) Atarrhias autem cum CCC armatis intraverat regiam; huic decem satellites traduntur, quorum singulos deni armigeri sequebantur. (20) Hi ad alios coniuratos comprehendendos distributi sunt; Atarrhias cum trecentis ad Philotam missus clausum aditum domus moliebatur L iuvenum promptissimis stipatus: nam ceteros cingere undique domum iusserat, ne occulto aditu Philotas posset elabi. (21) Illum sive securitate animi sive fatigatione resolutum somnus oppresserat; quem Atarrhias torpentem adhuc occupat. (22) Tandem ei sopore discusso cum inicerentur catenae, ‘Vicit’ inquit ‘bonitatem tuam, rex, inimicorum meorum acerbitas.’ Nec plura elocutum capite velato in regiam adducunt. (23) Postero die rex edixit, omnes armati coirent. VI milia fere militum venerant, praeterea turba lixarum calonumque impleverant regiam. (24) Philotan armigeri agmine suo tegebant, ne ante conspici posset a vulgo, quam rex adlocutus milites esset. (25) De capitalibus rebus vetusto Macedonum modo inquirebat exercitus – in pace erat vulgi – et nihil potestas regum valebat, nisi prius valuisset auctoritas. (26) Igitur Dymni primum cadaver infertur plerisque, quid parasset quove casu extinctus esset, ignaris.

Geschichte Alexanders des Großen 6,8,16–6,8,26

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verdammt hatte, nicht nur zu speisen, sondern auch sich freundschaftlich zu unterhalten. (17) Dann in der zweiten Nachtwache, als die Lichter gelöscht waren, versammelten sich im königlichen Hauptquartier von den Freunden des Königs Hephaistion, Krateros, Koinos und Erigyios sowie von seinen Leibwächtern Perdikkas und Leonnatos mit einigen wenigen Begleitern.50 Von ihnen erhielt der Posten beim königlichen Zelt Befehl, in vollen Waffen Wache zu halten. (18) An allen Zugängen waren bereits Reiter mit dem Auftrag verteilt, auch die Straßen besetzt zu halten, damit niemand heimlich zu Parmenion entkommen könne, der damals über Medien und eine große Truppenmacht gebot. (19) Inzwischen war Atharrias mit dreihundert Bewaffneten im Hauptquartier erschienen, wo ihm noch zehn Leibwächter gegeben wurden, deren jedem wieder zehn Bewaffnete folgten. (20) Diese letzteren verteilten sich, um die übrigen Verschworenen zu verhaften, Atharrias aber mit den Dreihundert wurde zu Philotas geschickt und brach – von fünfzig der tapfersten Männer umgeben – den verschlossenen Eingang seiner Wohnung auf. Den Übrigen hatte er befohlen, die Wohnung von allen Seiten zu umzingeln, damit Philotas nicht durch einen verborgenen Ausgang entschlüpfen könne. (21) Dieser lag – mochte er sich nun so sicher fühlen oder von Ermüdung erschöpft sein – in tiefem Schlaf, als Atharrias den noch Schlaftrunkenen überwältigte. (22) Als er endlich seine Schläfrigkeit abgeschüttelt hatte und ihm Ketten angelegt wurden, rief er aus: „So hat denn, oh König, der Hass meiner Feinde den Sieg über deine Güte davongetragen!“ – und ohne dass er weitergesprochen hätte, führte man ihn mit verhülltem Kopf in das Hauptquartier.51 (23) Am folgenden Tag ließ der König bekannt machen, dass sich alle Bewaffneten versammeln sollten. Etwa 6 000 Soldaten waren zugegen, und außerdem füllte eine Menge von Tross und Packknechten das Hauptquartier. (24) Philotas stand hinter einer Schar Phalangiten verborgen, damit er nicht von der Menge gesehen werden könnte, bis der König zu den Soldaten gesprochen hätte. (25) Über todeswürdige Verbrechen nämlich hielt nach altmakedonischer Sitte das Heer Gericht; im Frieden war dies Sache des Volkes, und der König hatte nur dann Gewalt zum Vollzug, wenn die von ihm vorgetragene Meinung Geltung gewonnen hatte. (26) Zuerst also wurde der Leichnam des Dymnos herangebracht, ohne dass die Mehrzahl wusste, was er beabsichtigt und durch welches Ereignis er sein Leben verloren habe.

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9 (1) Rex deinde in contionem procedit vultu praeferens dolorem animi. Amicorum quoque maestitia expectationem haud parvam rei fecerat. (2) Diu rex demisso in terram vultu attonito stupentique similis stetit. Tandem recepto animo, ‘Paene’ inquit, ‘milites, hominum scelere vobis ereptus sum: deum providentia et misericordia vivo. Conspectusque vestri venerabilis coegit, ut vehementius parricidis irascerer, quoniam is primus, immo unus vitae meae fructus est, tot fortissimis viris et de me optime meritis referre adhuc gratiam posse.’ (3) Interrupit orationem militum gemitus, obortaeque sunt omnibus lacrimae. Tum rex ‘Quanto’ inquit ‘maiorem in animis vestris motum excitabo, cum tanti sceleris auctores ostendero! Quorum mentionem adhuc reformido et, tamquam salvi esse possint, nominibus abstineo. (4) Sed vincenda est memoria pristinae caritatis et coniuratio impiorum civium detegenda. Quomodo autem tantum nefas sileam? Parmenio, illa aetate, tot meis, tot parentis mei meritis devinctus, omnium nobis amicorum vetustissimus, ducem se sceleri tanto praebuit. (5) Minister eius Philotas Peucolaum et Demetrium et hunc Dymnum, cuius corpus aspicitis, ceterosque eiusdem amentiae in caput meum subornavit.’ (6) Fremitus undique indignantium querentiumque tota contione obstrepebat, qualis solet esse multitudinis et maxime militaris, ubi aut studio agitur aut ira. (7) Nicomachus deinde et Metron et Cebalinus producti, quae quisque detulerat, exponunt. Nullius eorum indicio Philotas ut particeps sceleris destinabatur. Itaque indignatione expressa vox indicum silentio excepta est. (8) Tum rex ‘Qualis’ inquit ‘ergo animi vobis videtur, qui huius rei delatum indicium ad ipsum suppressit? Quod non fuisse vanum Dymni exitus declarat. (9) Incertam rem deferens tormenta non timuit Cebalinus, ‹Metron› ne momentum quidem temporis distulit exonerare se, ut eo, ubi lavabar, inrumperet: (10) Philotas solus nihil timuit, nihil credidit. O

Geschichte Alexanders des Großen 6,9,1–6,9,10

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9 (1) Hierauf trat der König vor die Versammlung; seine Miene verriet schmerzliche Bewegung. Auch der traurige Ernst seiner Freunde hatte die Erwartung der Dinge nicht wenig gesteigert. (2) Lange stand der König mit zu Boden gesenktem Blick, einem Betäubten und Bestürzten gleich. Endlich fasste er sich und sagte: „Beinahe, Soldaten, wäre ich euch durch verbrecherische Menschen entrissen worden; durch der Götter Vorsehung und Gnade aber lebe ich noch. Und euer verehrungswürdiger Anblick zwingt mich, den Mördern heftiger zu zürnen, weil es der beste, ja der einzige Gewinn meines Lebens ist, mich so vielen tapferen und um mich hochverdienten Männern noch dankbar erweisen zu können.“ (3) Hier unterbrach seine Rede das Schluchzen der Soldaten, da alle in Tränen ausbrachen. Dann fuhr er fort: „Um wie viel größeren Kummer werde ich in euern Herzen erwecken, wenn ich euch die Urheber eines solchen Frevels zeige, die ich mich noch zu nennen scheue und ihre Namen verschweige, als ob sie sich noch retten ließen. (4) Doch weichen muss die Erinnerung an die alte Liebe zu ihnen, und die Verschwörung treuloser Mitbürger muss enthüllt werden. Wie könnte ich auch ein solches Verbrechen verschweigen! Parmenion – ein Mann in so hohem Alter, der mir wie auch meinem Vater durch unzählige Wohltaten verbunden und unter allen mein ältester Freund ist – hat sich zum Anführer bei diesem Frevel aufgeworfen. (5) Als sein Gehilfe hat Philotas den Peukolaos, Demetrios, diesen Dymnos, dessen Leichnam ihr hier seht, und andere gleich Wahnwitzige gegen mein Leben angestiftet.“ (6) Von allen Seiten aus der ganzen Versammlung tönten ihm Laute des Unwillens und des Schmerzes entgegen, wie es bei großen Massen, besonders Soldaten, üblich ist, wenn sie entweder von Teilnahme oder Zorn in Bewegung gesetzt werden. (7) Dann wurden Nikomachos, Metron und Kebalinos vorgeführt, die jeweils darlegten, was sie schon vorher ausgesagt hatten. Keiner von ihnen bezeichnete Philotas als Teilnehmer an dem Verbrechen. Darum hörte man, nachdem sich der Unwille gelegt hatte, ihre Worte mit Stillschweigen an. (8) Hierauf begann der König: „Welche Gesinnung muss eurer Meinung nach der haben, der die ihm von dieser Sache gemachte Anzeige unterdrückt hat? Denn dass sie nicht grundlos war, zeigt offenbar der Tod des Dymnos. (9) Kebalinos fürchtete nicht die Folter, der nur eine unsichere Sache zur Anzeige brachte, Metron verschob es nicht einen Augenblick, sich zu entlasten, so dass er sogar in mein Bad eindrang; (10) Philotas allein fürchtete nichts, glaubte nichts. Was für

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magni animi virum! Iste regis periculo commoveretur, vultum mutaret, indicem tantae rei sollicitus audiret! (11) Subest nimirum silentio facinus, et avida spes regni praecipitem animum ad ultimum nefas impulit. Pater Mediae praeest; ipse apud multos copiarum duces meis praepotens viribus maiora, quam capit, spirat. (12) Orbitas quoque mea, quod sine liberis sum, spernitur. Sed errat Philotas: in vobis liberos, parentes, consanguineos habeo: vobis salvis orbus esse non possum.’ (13) Epistulam deinde Parmenionis interceptam, quam ad filios Nicanorem et Philotan scripserat, recitat haud sane indicium gravioris consilii praeferentem. (14) Namque summa eius haec erat: ‘Primum vestri curam agite, deinde vestrorum: sic enim, quae destinavimus, efficiemus.’ (15) Adiecitque rex sic esse scriptam, ut, sive ad filios pervenisset, a consciis posset intellegi, sive intercepta esset, falleret ignaros. (16) ‘At enim Dymnus, cum ceteros participes sceleris indicaret, Philotan non nominavit! Hoc quidem illius non innocentiae sed potentiae indicium est, quod sic ab iis timetur etiam, a quibus prodi potest, ut, cum de se fateantur, illum tamen celent. Ceterum Philotan ipsius indicat vita. (17) Hic Amyntae, qui mihi consobrinus fuit et in Macedonia capiti meo impias comparavit insidias, socium se et conscium adiunxit. Hic Attalo, quo graviorem inimicum non habui, sororem suam in matrimonium dedit. (18) Hic, cum scripsissem ei pro iure tam familiaris usus atque amicitiae, qualis sors edita esset Iovis Hammonis oraculo, sustinuit rescribere mihi se quidem gratulari, quod in numerum deorum receptus essem, ceterum misereri eorum, quibus vivendum esset sub eo, qui modum hominis excederet. (19) Haec sunt et iam pridem animi alienati a me et invidentis gloriae meae indicia. Quae equidem, milites, quamdiu licuit, in animo meo pressi: videbar enim mihi partem viscerum meorum abrumpere, si, in quos tam magna

Geschichte Alexanders des Großen 6,9,10–6,9,19

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ein mutiger Mann! Er hätte sich durch die Gefahr seines Königs in Schrecken setzen lassen sollen, hätte die Miene verändern, den Hinterbringer so wichtiger Dinge mit Besorgnis anhören sollen! (11) Unter diesem Stillschweigen birgt sich offenbar ein Verbrecher; und seine gierige Hoffnung auf Herrschaft hat ihn kopfüber zur äußersten Untat getrieben. Sein Vater gebietet über Medien. Er selbst hat bei vielen Führern meiner Truppen durch die ihm von mir verliehene Macht großem Einfluss und hegt Hoffnungen, die weit über seine Möglichkeiten gehen. (12) Dass ich keine Verwandten und keine Kinder habe, steigert seinen Übermut. Dennoch irrt Philotas. Ihr seid meine Kinder, Eltern und Verwandte. Solange ich euch habe, kann ich nicht verlassen sein.“ (13) Hierauf las er einen abgefangenen Brief Parmenions an seine Söhne Nikanor und Philotas vor, in dem sich jedoch nicht gerade Zeichen eines belastenden Plans fanden. (14) Der Hauptinhalt war vielmehr dieser: „Sorgt zuerst für euch selbst, dann für die Eurigen; so werden wir, was wir uns vorgesetzt haben, erreichen.“ (15) Dazu bemerkte der König, der Brief sei so geschrieben, dass er – wenn er an seine Söhne gelange – von den Eingeweihten verstanden werde; werde er aber abgefangen, könne er Ahnungslose täuschen. (16) „Ja, aber Dymnos hat, als er die übrigen Teilnehmer des Verbrechens bezeichnete, den Philotas nicht genannt! Dies ist jedoch kein Beweis für seine Unschuld, sondern für seinen großen Einfluss, da er selbst von denen, die ihn verraten könnten, so gefürchtet wird, dass sie ihn verschweigen, selbst wenn sie sich selbst bezichtigen. Im Übrigen klagt den Philotas sein eigenes Leben an. (17) Er hat sich an Amyntas52, der mein Vetter war und mir in Makedonien nach dem Leben trachtete, als Genosse und Mitverschworener angeschlossen, er hat dem Attalos, dem ärgsten meiner Feinde53, seine Schwester zur Gattin gegeben. (18) Als ich ihm als meinem Vertrauten und Freund mitteilte, welchen Ausspruch ich vom Orakel des Zeus Ammon erhalten hatte, erdreistete er sich, in seiner Antwort zu schreiben, er für seinen Teil wünsche mir Glück, dass ich unter die Götter aufgenommen worden sei, doch müsse er diejenigen bedauern, die unter einem Herren leben müssten, der über die Grenzen der Menschheit hinausgehe. (19) Das sind Beweise dafür, dass er mir schon längst entfremdet ist und mir meinen Ruhm neidet. Doch habe ich dies, ihr Soldaten, solange es ging, in mir zurückgedrängt, denn ich glaubte, einen Teil von mir selbst abzureißen, wenn ich von denen weniger

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contuleram, viliores mihi facerem. (20) Sed iam non verba punienda sunt: linguae temeritas pervenit ad gladios. Hos, si mihi creditis, Philotas in me acuit, si ipsi, admisit. (21) Quo me conferam, milites? cui caput meum credam? Equitatui, optimae exercitus parti, principibus nobilissimae iuventutis, unum praefeci; salutem, spem, victoriam meam fidei eius tutelaeque commisi. (22) Patrem in idem fastigium, in quo me ipsi posuistis, admovi; Mediam, qua nulla opulentior regio est, et tot civium sociorumque milia imperio eius dicionique subieci. Unde praesidium petieram, periculum extitit. (23) Quam feliciter in acie occidissem, potius hostis praeda quam civis victima! Nunc servatus ex periculis, quae sola timui, in haec incidi, quae timere non debui. (24) Soletis identidem a me, milites, petere, ut saluti meae parcam. Ipsi mihi praestare potestis, quod suadetis, ut faciam. Ad vestras manus, ad vestra arma confugio: invitis vobis salvus esse nolo, volentibus non possum, nisi vindicor.’ (25) Tum Philotan religatis post tergum manibus obsoleto amiculo velatum iussit induci. Facile apparebat motos esse tam miserabili habitu non sine invidia paulo ante conspecti. (26) Ducem equitatus pridie viderant, sciebant regis interfuisse convivio: repente ne reum quidem, sed iam damnatum, immo vinctum intuebantur. (27) Subibat animos Parmenionis quoque, tanti ducis, tam clari civis fortuna, qui [quo] modo duobus filiis, Hectore ac Nicanore, orbatus cum eo, quem reliquum calamitas fecerat, absens diceret causam. (28) Itaque Amyntas, regius praetor, inclinantem ad misericordiam contionem rursus aspera in Philotan oratione commovit: proditos eos esse barbaris, neminem ad coniugem suam in patriam et ad parentes fuisse rediturum: velut truncum corpus dempto capite sine spiritu, sine nomine

Geschichte Alexanders des Großen 6,9,19–6,9,28

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hielte, auf die ich doch so große Wohltaten gehäuft habe. (20) Doch jetzt sind nicht mehr bloß Worte zu bestrafen: Der Frevel der Zunge hat sich zum Schwert verstiegen. Dies Schwert hat, wenn ihr mir glaubt, Philotas gegen mich geschärft, wenn ihr ihm selbst glaubt, nicht abgewendet. (21) Wohin, Soldaten, soll ich mich wenden? Wem soll ich mein Haupt anvertrauen? Über die Reiterei, den besten Teil meines Heeres, die Blüte der edelsten jungen Männer, habe ich ihn zum alleinigen Anführer gesetzt, und habe damit mein Leben, meine Hoffnung und meinen Sieg seiner Treue und seinem Schutz anvertraut. (22) Seinen Vater habe ich fast zu gleichem Rang mit mir, eurem König, erhoben: Medien, bei weitem die reichste unter allen Provinzen, und so viele Tausende von Landsleuten und Bundesgenossen habe ich seiner Gewalt und Herrschaft unterstellt. Aber dort, wo ich Schutz gesucht hatte, ist mir Gefahr erstanden. (23) Oh wie glücklich wäre ich in der Schlacht gefallen, lieber eine Beute des Feindes als das Opfer eines Landsmannes! Jetzt bin ich aus Gefahren errettet, die ich allein fürchtete, aber in solche geraten, die ich nie hätte furchten dürfen. (24) Oftmals, Soldaten, bittet ihr mich, mein Leben zu schonen. Ihr selbst könnt mir jetzt gewähren, was ihr mir zu tun ratet. Zu eurem Arm, zu euren Waffen flüchte ich mich: Wollt ihr es nicht, so will ich nicht länger leben, wollt ihr dies aber, so kann ich es nur, wenn ihr mich in euren Schutz nehmt.“ (25) Hierauf ließ er den Philotas, mit auf den Rücken gebundenen Händen und in einen alten Mantel gehüllt, in den Kreis führen. Leicht konnte man bemerken, wie durch diesen kläglichen Aufzug des noch kurz zuvor nicht ohne Neid Betrachteten die Gemüter bewegt wurden. (26) Gestern noch hatte man ihn als Führer der Reiterei gesehen und wusste, dass er bei der königlichen Tafel gewesen sei; plötzlich aber erblickte man ihn nicht einmal als Angeklagten, sondern als schon Verurteilten, ja Gefesselten. (27) Und es beschlich sie auch der Gedanke an das Schicksal Parmenions, dieses großen Feldherrn und ausgezeichneten Landsmanns, der – eben erst zweier seiner Söhne, des Hektor und Nikanor, beraubt54 – jetzt mit dem ihm in seinem Unglück allein übrig gebliebenen Sohn in Abwesenheit unter der gleichen Anklage stand. (28) Daher brachte Amyntas, einer der königlichen Generale, die zum Mitleid geneigte Versammlung wieder durch eine heftige Rede gegen Philotas auf: Man sei an die Barbaren verraten worden; niemand werde zu seiner Frau, zu seinen Eltern und in die Heimat zurückkehren; wie ein verstümmelter Leichnam ohne Haupt, Leben

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aliena terra ludibrium hostis futuros. (29) Haudquaquam pro spe ipsius Amyntae oratio grata regi fuit, quod coniugum, quod patriae admonitos pigriores ad cetera munia exequenda fecisset. (30) Tum Coenus, quamquam Philotae sororem matrimonio secum coniunxerat, tamen acrius quam quisquam in Philotan invectus est parricidam esse regis, patriae, exercitus clamitans (31) saxumque, quod forte ante pedes iacebat, arripuit emissurus in eum, ut plerique crediderunt, tormentis subtrahere cupiens. Sed rex manum eius inhibuit, dicendae prius causae debere fieri potestatem reo nec aliter iudicari passurum se adfirmans. (32) Tum dicere iussus Philotas, sive conscientia sceleris sive periculi magnitudine amens et attonitus, non attollere oculos, non hiscere audebat. (33) Lacrimis deinde manantibus linquente animo in eum, a quo tenebatur, incubuit abstersisque amiculo eius oculis paulatim recipiens spiritum ac vocem dicturus videbatur. (34) Iamque rex intuens eum ‘Macedones’ inquit ‘de te iudicaturi sunt: quaero, an patrio sermone sis apud eos usurus.’ (35) Tum Philotas ‘Praeter Macedonas’ inquit ‘plerique adsunt, quos facilius, quae dicam, percepturos arbitror, si eadem lingua fuero usus, qua tu egisti non ob aliud, credo, quam ut oratio tua intellegi posset a pluribus.’ (36) Tum rex: ‘Ecquid videtis odio etiam sermonis patrii Philotan teneri? solus quippe fastidit eum discere. Sed dicat sane, utcumque ei cordi est, dum memineritis aeque illum a nostro more quam sermone abhorrere.’ Atque ita contione excessit. 10 (1) Tum Philotas ‘Verba’ inquit ‘innocenti reperire facile est, modum verborum misero tenere difficile. (2) Itaque inter optimam conscientiam et iniquissimam fortunam destitutus ignoro, quomodo et animo meo et tempori paream. (3) Abest quidem optimus causae meae iudex: qui cur me ipse audire noluerit, non, mehercule,

Geschichte Alexanders des Großen 6,9,28–6,10,3

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und Namen sei man in fremdem Land ein Spott der Feinde geworden. (29) Doch war diese Rede des Amyntas, dem König keineswegs so angenehm, wie jener gehofft hatte, weil er fürchtete, sie könnten durch die Erinnerung an ihre Frauen und Heimat weniger willig zur Ableistung ihrer weiteren Dienste geworden sein. (30) Hierauf fuhr Koinos, obwohl er mit der Schwester des Philotas verheiratet war, heftiger als irgendein anderer gegen diesen los, schrie, er sei ein Mörder an König, Heimat und Heer, (31) und ergriff einen Stein, der ihm gerade vor den Füßen lag, um ihn auf Philotas zu schleudern – wie die meisten glaubten, in der Absicht, ihn der Folter zu entziehen. Der König aber hielt seine Hand zurück und sagte, dem Angeklagten müsse zuvor Gelegenheit gegeben werden, sich zu verteidigen; sonst werde er ihn nicht verurteilen lassen. (32) Als nun Philotas zu sprechen beginnen wollte, vermochte er, sei es durch das Schuldbewusstsein oder die Größe der Gefahr seiner Besinnung beraubt und betäubt, weder die Augen aufzuschlagen noch einen Laut hervorzubringen. (33) Dann brach er in Tränen aus und sank ohnmächtig auf den, der ihn bewachte, und erst allmählich, nachdem man ihm mit seinem Mantel die Augen getrocknet, gewann er Atem und Stimme wieder und schien sprechen zu wollen. (34) Da sagte der König, den Blick auf ihn richtend: „Makedonen sind deine Richter. Ich frage dich, ob du in der heimischen Sprache vor ihnen sprechen willst.“ (35) Philotas entgegnete: „Außer den Makedonen sind sehr viele zugegen, die, wie ich glaube, leichter meine Worte verstehen werden, wenn ich mich derselben Sprache bediene, die du eben gesprochen hast – wohl aus keinem anderen Grund, als dass deine Rede von möglichst vielen verstanden werden soll.“55 (36) Hierauf der König: „Seht ihr wohl, wie dem Philotas sogar unsere Sprache zuwider ist? Denn er allein verschmäht es, sich in ihr auszudrücken. Doch mag er immerhin reden, wie es ihm beliebt; denkt ihr aber auch daran, dass er ebenso unseren Sitten wie unserer Sprache entfremdet ist.“ Und damit verließ er die Versammlung. 10 (1) Hierauf begann Philotas: „Worte zu finden ist für den Unschuldigen leicht, in seinen Worten Maß zu halten für den Unglücklichen schwer. (2) So zwischen ein reines Gewissen und ein grausames Geschick verlassen gestellt, weiß ich nicht, wie ich zugleich meinen Gefühlen und der kurz bemessenen Zeit gerecht werden soll. (3) Nicht zugegen ist zwar, der in meiner Sache am besten richten kann, und beim Herakles, keinen Grund kann ich mir

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excogito, cum illi utrimque cognita causa tam damnare me liceat quam absolvere, non cognita vero liberari ‹ab› absente non possum, qui a praesente damnatus sum. (4) Sed quamquam vincti hominis non supervacua solum sed etiam invisa defensio est, qui iudicem non docere videtur sed arguere, tamen, utcumque licet me dicere, memet ipse non deseram nec committam, ut damnatus etiam mea sententia videar. (5) Equidem, cuius criminis reus sim, non video: inter coniuratos nemo me nominat, de me Nicomachus nihil dixit, Cebalinus plus quam audierat scire non potuit. (6) Atqui coniurationis caput me fuisse credit rex! Potuit ergo Dymnus eum praeterire, quem sequebatur, praesertim cum quaerenti socios vel falso fuerim nominandus, quo facilius, qui temptabatur, posset impelli? (7) Non enim detecto facinore nomen meum praeterit, ut possit videri socio pepercisse: Nicomacho, quem taciturum arcana credebat, de semet ipso confessus aliis nominatis me unum subtrahebat. (8) Quaeso, commilitones, si Cebalinus me non adisset, nihil me de coniuratis scire voluisset, num hodie dicerem causam nullo me nominante? (9) Dymnus sane et vivat adhuc et velit mihi parcere: quid ceteri? qui de se confitebuntur, me videlicet subtrahent! Maligna est calamitas, et fere noxius, cum suo supplicio crucietur, adquiescit alieno. (10) Tot conscii nec in eculeum quidem impositi verum fatebuntur? Atqui nemo parcit morituro nec cuiquam moriturus, ut opinor. (11) Ad verum crimen et ad unum praevertendum mihi est: cur rem delatam ad te tacuisti? cur tam securus audisti? Hoc, qualecumque est, confesso mihi, ubicumque es, Alexander, remisisti: dexteram tuam amplexus, reconciliati pignus animi, convivio quoque interfui.

Geschichte Alexanders des Großen 6,10,3–6,10,11

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ausdenken, warum er mich nicht selbst hat anhören wollen. Steht es ihm doch nach Anhörung der beiderseitigen Gründe frei, mich zu verdammen oder los zu sprechen! Hört er mich aber nicht an, so kann ich von dem Abwesenden nicht freigesprochen werden, nachdem er mich hier in eigner Person verurteilt hat. (4) Wenn auch die Verteidigung eines gefesselten Mannes nicht allein überflüssig, sondern auch verhasst ist, da er den Richter weniger zu belehren als anzuklagen scheint, so will ich doch, unter welchen Umständen mir auch immer zu reden gestattet ist, mich nicht selbst aufgeben oder zulassen, dass ich auch durch meine eigene Stimme verurteilt erscheine. (5) In der Tat sehe ich nicht, welcher Schuld man mich anklagt. Niemand nennt mich unter den Verschworenen, von mir hat Nikomachos nichts gesagt, und Kebalinos konnte nicht mehr wissen, als er gehört hatte. (6) Nun glaubt aber der König, ich sei das Haupt der Verschwörung gewesen! War es also überhaupt möglich, dass Dymnos den überging, dessen Plan er folgte? Zumal da ich auf die Frage nach den Teilnehmern selbst fälschlich hätte von ihm genannt werden müssen, um dadurch den, welchen er zu gewinnen suchte, desto eher zu bewegen? (7) Denn nicht nach Aufdeckung des Verbrechens hat er meinen Namen übergangen, so dass es scheinen könnte, er habe den Genossen schonen wollen – nein, bei seinem Bekenntnis vor Nikomachos, von dem er annahm, er werde das Geheimnis bewahren, verschwieg er, als er die Übrigen nannte, nur mich. (8) Nun frage ich euch, Kameraden, wäre Kebalinos nicht zu mir gekommen, hätte er mich nicht über die Verschwörung unterrichten wollen, müsste ich, dessen Namen niemand genannt hat, mich dann heute hier verteidigen? (9) Dymnos allerdings – wenn er doch noch lebte! – würde mich vielleicht schonen wollen – wie aber die Übrigen? Werden die wohl ihre eigene Schuld eingestehen und mich verschweigen? Das Unglück ist bösartig, und meist findet der Schuldige, wenn er sich unter der eigenen Strafe krümmt, einen Trost in der Qual des anderen. (10) So viele Mitwisser sollen unter der Folter nicht die Wahrheit gestehen? Aber niemand schont ja den, der doch sterben muss, und niemanden, meine ich auch, schont der, welcher sterben soll. (11) Ich komme nun zu der einzigen stichhaltigen Anschuldigung: Warum hast du das dir Hinterbrachte verschwiegen? Warum es so sorglos angehört? Dieses Vergehen, wie groß es immer sein mag, hast du, Alexander, wo du auch sein magst, mir auf mein Eingeständnis verziehen. Ich habe deine Rechte umfasst als Pfand deines versöhnten Herzens und bin

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(12) Si credidisti mihi, absolutus sum, si pepercisti, dimissus: vel

iudicium ‹vel beneficium› tuum serva. Quid hac proxima nocte, qua digressus sum a mensa tua, feci? quod novum facinus delatum ad te mutavit animum tuum? (13) Gravi sopore adquiescebam, cum me malis indormientem meis inimici vinciendo excitaverunt. Unde et parricidae et proditori tam alti quies somni? (14) Scelerati conscientia obstrepente condormire non possunt: agitant eos Furiae, non consummato modo sed etiam cogitato parricidio. At mihi securitatem primum innocentia mea, deinde tua dextera obtulerat: non timui, ne plus alienae crudelitati apud te liceret quam clementiae tuae. (15) Sed ne te mihi credidisse paeniteat, res ad me deferebatur a puero, qui non testem, non pignus indicii exhibere poterat, impleturus omnes metu, si coepisset audiri. (16) Amatoris et scorti iurgio interponi aures meas credidi infelix et fidem eius suspectam habui, quod non ipse deferret, sed fratrem potius subornaret. (17) Timui, ne negaret mandasse se Cebalino et ego viderer multis amicorum regis fuisse periculi causa. (18) Sic quoque, cum laeserim neminem, inveni, qui mallet perire me quam incolumem esse: quid inimicitiarum creditis excepturum fuisse, si insontes lacessissem? (19) At enim Dymnus se occidit! Num igitur facturum eum divinare potui? Minime. Ita, quod solum indicio fidem fecit, id me, cum a Cebalino interpellatus sum, movere non poterat. (20) At hercules, si conscius Dymno tanti sceleris fuissem, biduo illo proditos esse nos dissimulare non debui: Cebalinus ipse tolli de medio nulloque negotio potuit. (21) Denique post delatum indicium, ‹quod› operturus eram, cubiculum regis solus intravi, ferro quidem cinctus: cur distuli

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sogar als Gast bei deinem Mahl gewesen. (12) Wenn du mir Glauben geschenkt hast, bin ich dadurch freigesprochen, wenn du mich geschont hast, wenigstens von der Untersuchung entbunden: Halte nun auch deinen Richterspruch aufrecht. Was habe ich in dieser letzten Nacht, an der ich von deinem Tisch heimgekehrt bin, denn getan? Welches neue Verbrechen ist dir gemeldet worden und hat deinen Sinn geändert? (13) In tiefem Schlummer ruhte ich, als mich, der ich in mein Unglück hinein schlief, meine Feinde durch die Fesseln aufweckten, in die sie mich banden. Woher kommt bei einem Mörder und Verräter die Ruhe eines so tiefen Schlafes? (14) Bösewichter können vor lauter Vorwürfen ihres Gewissens nicht schlafen; die Rachegöttinnen verfolgen sie ebenso nach ersonnenem wie nach vollbrachtem Mord. Mir dagegen hatte erstens meine Unschuld, sodann deine mir gereichte Rechte Sicherheit gegeben. Ich habe nicht gefürchtet, dass fremde Grausamkeit mehr Einfluss auf dich habe als deine eigene Milde. (15) Doch damit es dich nicht reue, mir geglaubt zu haben: Die Sache wurde mir von einem Burschen hinterbracht, der keinen Zeugen, kein Pfand für seine Anzeige vorbringen konnte, aber alle mit Schrecken erfüllen musste, wenn man ihm einmal Gehör schenkte. (16) Ich Unseliger meinte, man ziehe mich in den Streit eines Liebhabers und seines Geliebten hinein, und zweifelte an seiner Glaubwürdigkeit, weil er nicht selbst die Anzeige machte, sondern vielmehr seinen Bruder dazu anstellte. (17) Ich fürchtete, er könnte abstreiten, den Kebalinos beauftragt zu haben, und ich dann in den Ruf kommen, viele Freunde des Königs in Gefahr gestürzt zu haben. (18) Auch so, wo ich niemand geschadet habe, fanden sich Leute, die eher meinen Untergang wünschten als meine Rettung. Wie viele Anfeindungen, glaubt ihr wohl, hätte ich mir zugezogen, wenn ich Unschuldige angegriffen hätte? (19) Ja, aber Dymnos hat sich doch umgebracht! Konnte ich denn aber ahnen, dass er dies tun würde? Gewiss nicht. Somit konnte das, was allein der Anzeige Glauben verschafft hat, damals, als ich von Kebalinos angegangen wurde, kein Beweggrund für mich sein. (20) Ferner, wenn ich mit Dymnos in das schwere Verbrechen eingeweiht gewesen wäre, hätte ich doch wahrlich nicht an jenen beiden Tagen verheimlichen dürfen, dass wir verraten sind. Kebalinos selbst konnte – und zwar ohne große Mühe – aus dem Weg geräumt werden. (21) Endlich bin ich, nachdem die Anzeige hinterbracht war, die ich verheimlichen wollte, allein in das Gemach des Königs eingetreten, und zwar mit dem Schwert umgürtet. Warum verschob

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facinus? An sine Dymno non sum ausus? (22) Ille igitur princeps coniurationis fuit! sub illius umbra Philotas latebam, qui regnum Macedonum adfecto! Ecquis e vobis corruptus est donis? Quem ducem, quem praefectum impensius colui? (23) Mihi quidem obicitur, quod societatem patrii sermonis asperner, quod Macedonum mores fastidiam: sic ego imperio, quod dedignor, immineo. Iam pridem nativus ille sermo commercio aliarum gentium exolevit: tam victoribus quam victis peregrina lingua discenda est. (24) Non, mehercule, ista me magis laedunt, quam quod Amyntas, Perdiccae filius, insidiatus est regi. Cum quo quod amicitia fuerit mihi, non recuso defendere, si fratrem regis non oportuit diligi a nobis. (25) Sin autem in illo fortunae gradu positum etiam venerari necesse erat, utrum, quaeso, quod non divinavi, reus sum, an impiorum amicis insontibus quoque moriendum est? Quod si aequum est, cur tam diu vivo? si iniustum, cur nunc demum occidor? (26) At enim scripsi misereri me eorum, quibus vivendum esset sub eo, qui se Iovis filium crederet. Fides amicitiae, veri consilii periculosa libertas, me decepistis! vos, quae sentiebam, ne reticerem, impulistis! (27) Scripsisse me haec fateor regi, non de rege scripsisse. Non enim faciebam invidiam, sed pro eo timebam. Dignior mihi Alexander videbatur, qui Iovis stirpem tacitus agnosceret, quam qui praedicatione iactaret. (28) Sed quoniam oraculi fides certa est, sit deus causae meae testis: retinete me in vinculis, dum consulitur Hammon, num arcanum et occultum scelus inierim. Qui regem nostrum dignatus est filium, neminem eorum, qui stirpi suae insidiati sunt, latere patietur. (29) Si certiora oraculis creditis esse tormenta, ne hanc quidem exhibendae veritatis fidem deprecor. (30) Solent rei capitis adhi-

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ich die Tat? Oder hätte ich sie ohne Dymnos nicht gewagt? (22) Dann war also jener das Haupt der Verschwörung! Unter dessen Fittichen barg ich mich, Philotas, der ich nach der Herrschaft über die Makedonen strebe? Wen von euch habe ich denn durch Geschenke bestochen? Welchem Führer, welchem Befehlshaber heftiger geschmeichelt? (23) Mir wirft man vor, ich verschmähe die Gemeinschaft unserer Muttersprache, verachte die makedonischen Sitten. So also trachte ich nach einem Reich, das ich verschmähe? Schon längst ist jene Sprache unseres Geburtslandes durch den Verkehr mit anderen Völkern außer Gebrauch gekommen; sowohl Sieger als Besiegte müssen eine fremde Sprache lernen. (24) Das trifft mich wahrhaftig ebenso wenig wie der Vorwurf, dass Amyntas, der Sohn des Perdikkas, dem König nachgestellt hat. Dass ich mit diesem in freundschaftlichem Verhältnis gestanden habe – mich dafür zu rechtfertigen weigere ich mich nicht; mussten wir den nächsten Angehörigen des Königs nicht lieben? (25) War es nun aber sogar unsere Pflicht, ihm, der auf eine so hohe Rangstufe gestellt war, Verehrung zu zollen? Bin ich dann, frage ich, schuldig, weil ich kein Kenner der Zukunft war, oder müssen auch die unschuldigen Freunde pflichtvergessener Männer sterben? Wäre dies dem Recht gemäß, warum ließ man mich so lange leben? Ist es aber ungerecht, warum werde ich jetzt schließlich getötet? – (26) Ja, aber ich habe geschrieben, dass ich diejenigen bedauere, die unter der Herrschaft eines Mannes leben müssten, der sich für einen Sohn des Zeus halte. Treue Freundschaft, gefährliche Freimütigkeit eines ehrlichen Ratgebers, ihr habt mich betrogen! Habt mich angetrieben, das, was ich dachte, nicht zu verschweigen! (27) Ja, dass ich dies an den König geschrieben habe, bekenne ich, doch nicht über den König habe ich es geschrieben. Nicht Hass gegen ihn wollte ich erwecken, sondern war nur um ihn besorgt. Würdiger schien es mir eines Alexander, sich im Stillen seiner Abstammung von Zeus bewusst zu sein, als sich ihrer laut zu rühmen. (28) Aber weil die Zuverlässigkeit des Orakels unzweifelhaft ist, so mag die Gottheit mein Zeuge in diesem Prozess sein. Haltet mich in Fesseln, bis Ammon befragt wird, ob ich das geheime und verborgene Verbrechen geplant habe. Er, der unseren König gewürdigt hat, sein Sohn zu sein, wird keinen von denen verborgen lassen, die seinem Abkömmling nachgestellt haben. (29) Haltet ihr aber die Folter für sicherer als das Orakel, so weigere ich mich auch nicht, diesen Wahrheitsbeweis anzutreten. (30) Es pflegen die auf den Tod Angeklagten euch ihre Angehö-

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bere vobis parentes. Duos fratres ego nuper amisi, patrem nec ostendere possum nec invocare audeo, cum et ipse tanti criminis reus sit. (31) Parum est enim tot modo liberum parentem, in unico filio adquiescentem, eo quoque orbari, nisi ipse in rogum meum imponitur. (32) Ergo, carissime pater, et propter me morieris et mecum. Ego tibi vitam adimo, ego senectutem tuam extinguo. Quid enim me procreabas infelicem adversantibus diis? an ut hos ex me fructus perciperes, qui te manent? (33) Nescio, adulescentia mea miserior sit an senectus tua: ego in ipso robore aetatis eripior, tibi carnifex spiritum adimet, quem, si fortuna expectare voluisset, natura poscebat. (34) Admonuit me patris mei mentio, quam timide et cunctanter, quae Cebalinus detulerat ad me, indicare debuerim. Parmenio enim, cum audisset venenum a Philippo medico regi parari, deterrere eum voluit epistula scripta, quominus medicamentum biberet, quod medicus dare constitueret. Num creditum est patri meo? num ullam auctoritatem eius litterae habuerunt? (35) Ego ipse quotiens, quae audieram, detuli et cum ludibrio credulitatis repulsus sum! Si et, cum indicamus, invisi et, cum tacemus, suspecti sumus, quid facere nos oportet?’ (36) Cumque unus e circumstantium turba exclamasset, bene meritis non insidiari, Philotas ‘Recte’ inquit, ‘quisquis es, dicis. (37) Itaque si insidiatus sum, poenam non deprecor, et finem facio dicendi, quoniam ultima verba gravia sunt visa auribus.’ Abducitur deinde ab iis, qui custodiebant eum. 11 (1) Erat inter duces manu strenuus Bolon quidam, pacis artium et civilis habitus rudis, vetus miles, ab humili ordine ad eum gradum, in quo tunc erat, promotus; (2) qui tacentibus ceteris stolida audacia ferox admonere eos coepit, quotiens suis quisque deversoriis, quae occupassent, proturbatus esset, ut purgamenta servorum Philotae reciperentur eo, unde commilitones expulissent. (3) Auro argentoque vehicula eius onusta totis vicis stetisse, ac ne in viciniam quidem deversorii quemquam commilitonum receptum esse, sed per

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rigen vorzuführen. Zwei Brüder habe ich kürzlich verloren, auf den Vater kann ich weder hinweisen noch es wagen, mich auf ihn zu berufen, da er selbst auch unter dieser schweren Anklage steht. (31) Nicht genug ja, dass er, eben noch Vater so vieler Kinder, jetzt aber auf den einzigen Sohn beschränkt, auch dessen beraubt werden soll – nein, er selbst soll mit mir auf einem Scheiterhaufen sterben. (32) Teuerster Vater, meinetwegen und mit mir wirst du sterben! Ich bin es, der dir das Leben raubt, der dich alten Mann tötet. Warum hast du mich Unseligen unter dem Zorn der Götter gezeugt? Etwa, um diese Früchte von mir zu gewinnen, die dich jetzt erwarten? (33) Ich weiß nicht, ob meine Jugend beklagenswerter ist oder dein Alter. Ich werde in den besten Jahren dahingerafft, dir wird der Henker dein Leben, das dir – wenn das Schicksal warten wollte – die Natur abgefordert hätte, nehmen. (34) Die Erwähnung meines Vaters erinnert mich, wie vorsichtig und zögernd nur ich das mir von Kebalinos Hinterbrachte hätte anzeigen dürfen. Wollte doch Parmenion, als er gehört hatte, dass der Arzt Philippos den König mit Gift bedrohe, diesen durch einen Brief abhalten, das Mittel zu trinken, das der Arzt ihm geben wollte. Hat man nun meinem Vater geglaubt? Hat sein Brief irgendwelche Beachtung gefunden? (35) Ich selbst bin, wann immer ich etwas Gehörtes hinterbracht habe, mit dem Spott über meine Leichtgläubigkeit abgewiesen worden. Wenn man sowohl, wenn man etwas anzeigt, unbequem, als auch, wenn man schweigt, verdächtig ist, was soll man dann tun?“ (36) Und als hier einer aus dem umstehenden Haufen ausrief: „Seinen Wohltätern nicht nachstellen!“ entgegnete Philotas: „Ganz recht bemerkt, wer du auch sein magst. (37) Wenn ich wirklich nachgestellt habe, so verweigere ich mich der Strafe nicht und schließe hier meine Rede, weil meine letzten Worte für euch zu schwer anzuhören sind.“ Hierauf wurde er von seinen Wächtern abgeführt. 11 (1) Es gab unter den Führern einen gewissen Bolon, dem Zivilleben und feinerer Sitte fremd, einen alten Soldaten, der sich aus niederem Stand zu seinem jetzigen Rang emporgearbeitet hatte; (2) dieser hob, als die Übrigen schwiegen, in dummdreister und roher Weise an, sie zu erinnern, wie oft jeder von ihnen aus seinem bereits eingenommenen Quartier verjagt worden sei, damit Philotas dort den Abschaum seiner Sklaven unterbringen könne, von wo er seine Kameraden vertrieben hatte. (3) Seine mit Gold und Silber bepackten Wagen hätten ganze Straßen weit gestanden, und nicht einmal in der Nähe seines Quartiers sei einer von den Kameraden

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dispositos, quos supra somnum habebat, omnis procul relegatos, ne femina illa murmurantium inter se silentio verius quam sono excitaretur. (4) Ludibrio ei fuisse rusticos homines Phrygasque et Paphlagonas appellatos, qui non erubesceret, Macedo natus, homines linguae suae per interpretem audire. (5) Nunc cur Hammonem consuli vellet? eundem Iovis arguisse mendacium Alexandrum filium agnoscentis, scilicet veritum, ne invidiosum esset, quod dii offerrent. (6) Cum insidiaretur capiti regis et amici, non consuluisse eum Iovem: nunc ad oraculum mittere, dum pater eius sollicitet, quis praesit in Media, et pecunia, cuius custodia commissa sit, perditos homines ad societatem sceleris impellat. (7) Ipsos missuros ad oraculum, non qui Iovem interrogent, quod ex rege cognoverint, sed qui gratias agant, qui vota pro incolumitate regis optimi persolvant. (8) Tum vero universa contio accensa est, et a corporis custodibus initium factum clamantibus discerpendum esse parricidam manibus eorum. Id quidem Philotas, qui graviora supplicia metueret, haud sane iniquo animo audiebat. (9) Rex in contionem reversus, sive ut in custodia quoque torqueret, sive ut diligentius cuncta cognosceret, concilium in posterum diem distulit et, quamquam in vesperam inclinabat dies, tamen amicos convocari iubet. (10) Et ceteris quidem placebat Macedonum more obrui saxis, Hephaestio autem et Craterus et Coenos tormentis veritatem exprimendam esse dixerunt, et illi quoque, qui aliud suaserant, in horum sententiam transeunt. (11) Consilio ergo dimisso Hephaestion cum Cratero et Coeno ad quaestionem de Philota habendam consurgunt. (12) Rex Cratero accersito et sermone habito, cuius summa non edita est, in intimam deversorii partem secessit et remotis arbitris in multam noctem quaestionis expectavit eventum. (13) Tortores in conspectum Philotae omnia crudelitatis instrumenta proponunt. (14) Et ille

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aufgenommen worden; vielmehr seien sie alle durch Leute, die er als Wächter über seine Nachtruhe aufgestellt habe, weit weg gewiesen worden, damit dieses Weib – man möchte eher sagen durch das Schweigen als das Geräusch ihres Geflüsters – nicht gestört würde. (4) Leute bäuerlicher Abkunft hätten ihm zum Gespött gedient, und er habe sie Phryger und Paphlagonier genannt, ja er – obwohl Makedonier von Geburt – habe sich nicht dafür geschämt, dass er Menschen, die seine Muttersprache redeten, mittels eines Dolmetschers anhörte. (5) Warum wolle er eigentlich, dass man jetzt noch den Ammon befrage? Habe er ja doch den Zeus, als dieser Alexander als seinen Sohn anerkannte, als Lügner bezeichnet, wahrscheinlich aus Besorgnis, es könnte dieser Gnadenbeweis der Götter Anstoß erregen. (6) Als er dem Leben seines Königs und Freundes nachgestellt habe, habe er den Zeus nicht gefragt; jetzt schicke er ans Orakel, bis dass sein Vater die, über die er in Medien gebiete, aufwiegle und mit dem seiner Bewachung anvertrauten Geld verruchte Menschen zur Teilnahme an dem Verbrechen verlocke. (7) Sie selbst wollten zum Orakel schicken, nicht um den Zeus das zu fragen, was sie schon vom König gehört hätten, sondern um ihm Dank zu sagen und ihre Gelübde für die Rettung des besten Königs zu erfüllen. (8) Da vollends geriet die ganze Versammlung in Wut, und alle – voran die königlichen Leibwächter – schrien, dass sie den Königsmörder mit ihren Händen zerreißen wollten. Das nun hörte Philotas, der schrecklichere Martern fürchtete, mit ziemlichem Gleichmut. (9) Als der König in die Versammlung zurückgekehrt war, vertagte er sie auf den folgenden Tag – sei es, um ihn noch im Gefängnis foltern zu lassen oder um alles genauer zu erfahren, und obwohl es bereits dunkel wurde, ließ er die Freunde zusammenrufen.56 (10) Ein Teil stimmte nun dafür, Philotas nach makedonischer Sitte zu steinigen, Hephaistion aber und Krateros und Koinos meinten, man müsse ihm die Wahrheit durch die Folter auspressen, worauf sich auch diejenigen, die anders gestimmt hatten, an deren Meinung anschlossen. (11) Nach dem Ende der Beratung also erhoben sich Hephaistion, Krateros und Koinos, um das Verhör mit Philotas anzustellen. (12) Der König rief noch den Krateros zu sich und hatte mit ihm eine Unterredung, deren Inhalt nicht bekannt geworden ist; dann zog er sich in die inneren Räume seines Quartiers zurück57 und erwartete, nachdem sich alle Zeugen entfernt hatten, bis tief in die Nacht den Ausgang des Verhörs. (13) Die Folterknechte breiteten vor den Augen des Philotas alle ihre Marter-

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ultro ‘Quid cessatis’ inquit, ‘regis inimicum, interfectorem confitentem occidere? quid quaestione opus est? cogitavi, volui.’ Craterus exigere, ut, quae confiteretur, in tormentis quoque diceret. (15) Tum corripitur et, dum obligantur oculi, dum vestis exuitur, deos patrios, gentium iura nequiquam apud surdas aures invocabat. Per ultimos deinde cruciatus, utpote et damnatus et inimicis in gratiam regis torquentibus, laceratur. (16) Ac primo, quamquam hinc ignis illinc verbera iam non ad quaestionem sed ad poenam ingerebantur, non vocem modo sed etiam gemitus habuit in potestate; (17) sed postquam intumescens corpus ulceribus flagellorum ictus nudis ossibus incussos ferre non poterat, si tormentis adhibituri modum essent, dicturum se, quae scire expeterent, pollicetur. (18) Sed finem quaestioni fore iurare eos per Alexandri salutem volebat removerique tortores. Et utroque impetrato, ‘Cratere’ inquit, ‘dic, quid me velis dicere.’ (19) Illo indignante ludificari eum rursusque revocante tortores tempus petere coepit, dum reciperet spiritum, cuncta, quae sciret, indicaturus. (20) Interim equites, nobilissimus quisque et ii maxime, qui Parmenionem propinqua cognatione contingebant, postquam Philotan torqueri fama vulgaverat, legem Macedonum veriti, qua cautum erat, ut propinqui eorum, qui regi insidiati essent, cum ipsis necarentur, alii se interficiunt, alii in devios montes vastasque solitudines fugiunt ingenti per tota castra terrore diffuso, donec rex tumultu cognito legem se ‹de› supplicio coniunctorum sontibus remittere edixit. (21) Philotas verone an mendacio liberare se a cruciatu voluerit, anceps coniectura est, quoniam et vera confessis et falsa dicentibus idem doloris finis ostenditur. (22) Ceterum ‘Pater’ inquit ‘meus Hegelocho quam familiariter usus sit, non ignoratis; illum dico Hegelochum, qui in acie cecidit: omnium malorum

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werkzeuge aus. (14) Er rief er aus freien Stücken: „Was zaudert ihr, den eingestandenen Feind und Mörder des Königs zu töten? Was bedarf es der peinlichen Befragung? Ich habe es beabsichtigt, gewollt.“ Krateros verlangte, er solle, was er jetzt bekenne, auch auf der Folter aussagen. (15) Man ergriff ihn, und während man ihm die Augen verband und die Kleider auszog, rief er die heimischen Gottheiten und das Recht der Völker an – vergeblich, er sprach zu tauben Ohren! Er wurde, da er nun einmal verdammt war und es seine Feinde waren, die ihn dem König zu Gefallen folterten, durch die äußersten Martern gepeinigt. (16) Zuerst hatte er nicht nur seine Worte, sondern auch seine Seufzer in der Gewalt, obwohl bald Feuer, bald Schläge, nicht mehr zur Untersuchung, sondern als Strafe gegen ihn angewendet wurden. (17) Als jedoch der von Beulen geschwollene Leib die auf die bloßen Knochen geführten Peitschenhiebe nicht mehr ertragen konnte, versprach er, wenn sie mit den Folterungen aufhörten, so wollte er sagen, was sie zu wissen verlangten. (18) Doch forderte er, sie sollten ihm beim Leben Alexanders schwören, dass dann das Verhör zu Ende sei, und die Folterknechte entfernen. Nachdem er beides erlangt, sagte er: „Nun, Krateros, sage, was du willst, dass ich aussagen soll.“ (19) Als aber dieser voll Zorn, dass er ihn zum Narren halte, die Folterknechte wieder hereinrief, begann Philotas um Zeit zu bitten, bis er wieder zu Atem gekommen sei, er wolle alles, was er wisse, mitteilen. (20) Auf das Gerücht von Philotas Folterung verbreitete sich unter den Vornehmsten der Reiterei und vor allem unter denen, die mit Parmenion nahe verwandt waren, große Furcht, weil ein Gesetz der Makedonen bestimmte, dass die Verwandten derjenigen, die dem König nachgestellt hätten, zugleich mit diesen getötet würden. Einige brachten sich daher selbst um, andere flohen in die unwegsamen Gebirge und wüsten Einöden, und gewaltiger Schrecken herrschte im ganzen Lager, bis der König, von der Verwirrung in Kenntnis gesetzt, bekannt machen ließ, dass er für die Unschuldigen das Gesetz über die Bestrafung der Verwandten außer Kraft setze. (21) Ob sich Philotas durch ein wahres oder falsches Geständnis von den Martern hat befreien wollen, bleibt eine ungewisse Vermutung, weil dem Gefolterten Beendigung des Schmerzes in Aussicht gestellt wird, ob er nun Wahres oder Falsches aussagt. (22) Seine Aussage war übrigens folgende: „Ihr wisst wohl, wie eng befreundet mein Vater mit Hegelochos war: Ich meine den Hegelochos, der in der Schlacht gefallen ist.58 Er ist für uns die Ursache allen Unglü-

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nobis fuit causa. (23) Nam cum primum Iovis filium se salutari iussit rex, id indigne ferens ille “Hunc igitur regem agnoscimus” inquit, “qui Philippum dedignatur patrem? Actum est de nobis, si ista perpeti possumus. (24) Non homines solum sed etiam deos despicit, qui postulat deus credi. Amisimus Alexandrum, amisimus regem: incidimus in superbiam nec dis, quibus se exaequat, nec hominibus, quibus se eximit, tolerabilem. (25) Nostrone sanguine deum fecimus, qui nos fastidiat? qui gravetur mortalium adire concilium? Credite mihi, et nos, si viri sumus, a dis adoptabimur. (26) Quis proavum huius Alexandrum, quis deinde Archelaum, quis Perdiccan occisos ultus est? Hic quidem interfectoribus patris ignovit.” (27) Haec Hegelochus dixit super cenam; et postero die prima luce a patre accersor. Tristis erat et me maestum videbat: audieramus enim, quae sollicitudinem incuterent. (28) Itaque, ut experiremur, utrumne vino gravatus effudisset illa an altiore concepta consilio, accersi eum placuit. Venit eodemque sermone ultro repetito adiecit, se, sive auderemus duces esse, proximas a nobis partes vindicaturum, sive deesset animus, consilium silentio esse tecturum. (29) Parmenioni vivo adhuc Dareo intempestiva res videbatur: non enim sibi sed hosti esse occisuros Alexandrum, Dareo vero sublato praemium regis occisi Asiam et totum Orientem interfectoribus esse cessura. Adprobatoque consilio in haec fides et data est et accepta. (30) Quod ad Dymnum pertinet, nihil scio, et haec confessus intellego non prodesse mihi, quod praesentis sceleris expers sum.’ (31) Illi rursus tormentis admotis, cum ipsis quoque hastis os oculosque eius everberarent, expressere, ut hoc quoque crimen confiteretur. (32) Exigentibus deinde, ut ordinem cogitati sceleris exponeret, cum diu Bactra retentura regem viderentur, timuisse respondit, ne pater

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ckes geworden. (23) Wie nämlich der König befahl, dass man ihn als Sohn des Zeus begrüßen solle, rief er voll Unwillen darüber: “Den sollen wir also als König anerkennen, der den Philipp als Vater verschmäht hat? Geschehen ist es um uns, wenn wir das zu ertragen vermögen. (24) Nicht nur die Menschen, sondern auch die Götter verachtet, wer für einen Gott gehalten zu werden verlangt. Verloren ist uns Alexander, verloren unser König, und wir sind einem Hochmut verfallen, den weder die Götter ertragen können, denen er sich gleichstellt, noch die Menschen, über die er sich erhebt. (25) Haben wir uns mit unserem Blut einen Gott geschaffen, der uns verachtet? Dem es lästig ist, sich in den Kreis der Sterblichen zu mischen? Glaubt mir, auch wir, wenn wir nur Männer sind, werden von den Göttern zu Söhnen angenommen. (26) Wer hat den Mord von seinem Ahnherrn Alexander, wer dann den des Archelaos und des Perdikkas gerächt?59 Und den Mördern seines Vaters hat er selbst verziehen.” (27) Diese Reden führte Hegelochos bei Tisch. Am folgenden Tag rief mich gleich früh mein Vater zu sich. Er war deprimiert und fand auch mich niedergeschlagen, denn wir hatten etwas gehört, was uns beunruhigen musste. (28) Um also zu erfahren, ob Hegelochos jene Worte ausgestoßen habe, weil er vom Wein betrunken war, oder aber infolge eines in tiefer Seele gefassten Entschlusses, hielten wir es für das Beste, ihn holen zu lassen. Er kam, und nachdem er dieselben Reden freiwillig wiederholt hatte, fügte er hinzu: Wenn wir es wagten, uns an die Spitze zu stellen, wolle er für sich die nächste Rolle nach uns beanspruchen; wenn es uns aber an Mut fehle, wolle er Stillschweigen über den Plan bewahren. (29) Solange Dareios noch lebte, schien dem Parmenion die Sache unzeitgemäß: Denn nicht sich, sondern dem Feind zum Nutzen werde man Alexander töten. Sei aber Dareios beseitigt, so werde als Lohn für die Ermordung des Königs Asien und der ganze Orient seinen Mördern zufallen. Dieser Plan wurde gebilligt, und wir gaben uns gegenseitig das Wort darauf. (30) Was Dymnos betrifft, so weiß ich nichts, obwohl ich nach diesem meinem Bekenntnis einsehe, dass es mir nichts nützt, bei diesem neuesten Verbrechen unbeteiligt zu sein.“ (31) Da jedoch jene aufs Neue die Folter anwandten und ihm sogar mit ihren Spießen Antlitz und Augen zerschlugen, pressten sie ihm das Geständnis auch dieses Verbrechens aus. (32) Auf ihre Forderung, ihnen der Reihe nach den Plan des Verbrechens darzulegen, erwiderte er: Da es den Anschein gehabt habe, dass der König lange in Baktra verweilen werde, habe

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LXX natus annos, tanti exercitus dux [tantus], tantae pecuniae custos, interim extingueretur, ipsique spoliato tantis viribus occidendi regis causa non esset. (33) Festinasse ergo se, dum praemium in manibus haberet, repraesentare consilium; cuius patrem ‹expertem› fuisse nisi crederent, tormenta, quamquam iam tolerare non posset, tamen non recusare. (34) Illi conlocuti satis quaesitum videri ad regem revertuntur, qui postero die et, quae confessus erat Philotas, recitari et ipsum, quia ingredi non poterat, iussit adferri. (35) Omnia agnoscente eo Demetrius, qui proximi sceleris particeps esse arguebatur, producitur. Multa adfirmatione animique pariter [et] constantia et vultus abnuens, quicquam sibi in regem cogitatum esse, tormenta etiam deposcebat in semetipsum, (36) cum Philotas circumlatis oculis, ut incidere in Calin quendam haud procul stantem, propius eum iussit accedere. Illo perturbato et recusante transire ad eum, ‘Patieris’ inquit ‘Demetrium mentiri rursusque me excruciari?’ (37) Calin vox sanguisque defecerant, et Macedones Philotan inquinare innoxios velle suspicabantur, quia nec a Nicomacho nec ab ipso Philota, cum torqueretur, nominatus esset adulescens. Qui ut praefectos regis circumstantes se vidit, Demetrium et semetipsum id facinus cogitasse confessus est. (38) Omnes ergo a Nicomacho nominati more patrio dato signo saxis obruti sunt. (39) Magno non salutis, sed etiam invidiae periculo liberatus erat Alexander: quippe Parmenio et Philotas, principes amicorum, nisi palam sontes, sine indignatione totius exercitus non potuissent damnari. (40) Itaque anceps quaestio fuit: dum infitiatus est facinus, crudeliter torqueri videbatur; post confessionem [et] iam neque [Philotas] amicorum misericordiam meruit.

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er befürchtet, dass sein Vater, der ein so großes Heer anführe und so große Schätze hüte, aber bereits siebzig Jahre alt sei, inzwischen sterbe und dass es für ihn selbst, wenn er so bedeutende Mittel verloren habe, dann keine Veranlassung mehr gebe, den König zu töten. (33) Deshalb habe er sich beeilt, den Plan auszuführen, solange er den Lohn dafür noch in Aussicht habe, sein Vater aber sei dabei unbeteiligt gewesen. Wenn sie ihm das nicht glaubten, so verweigere er sich nicht neuen Foltern, obwohl er sie bereits nicht mehr ertragen könne. (34) Als sich jene hierauf verständigt hatten, dass er genug verhört scheine, kehrten sie zum König zurück. Dieser ließ am folgenden Tag das Bekenntnis des Philotas vorlesen und ihn selbst, weil er nicht gehen konnte, herantragen. (35) Da er alles bestätigte, wurde Demetrios, der der Teilnahme an dem neuesten Verbrechen beschuldigt war, vorgeführt. Mit vielen Beteuerungen und mit unerschrockenem Mut und Gesicht leugnete dieser, irgendetwas gegen den König beabsichtigt zu haben, und forderte sogar, dass man die Folter gegen ihn anwende. (36) Da sah Philotas sich um und erblickte einen gewissen Kalis, der nicht fern von ihm stand. Er bat ihn näher zu kommen, und als dieser voll Bestürzung sich weigerte, zu ihm hinzugehen, rief er: „Willst du zulassen, dass Demetrios lügt und ich wieder gemartert werde?“ (37) Kalis verstummte und erblasste, und die Makedonen argwöhnten, Philotas wolle Unschuldige in Verdacht bringen, weil der junge Mann weder von Nikomachos noch von Philotas selbst bei der Folterung genannt worden war. Als aber dieser die königlichen Feldherrn um sich sah, bekannte er, Demetrios und er selbst hätten die Tat geplant. (38) Es wurden also alle, die Nikomachos genannt hatte, nach makedonischer Sitte auf ein Zeichen hin zu Tode gesteinigt. (39) So sah sich Alexander von großer Gefahr befreit – um von der Lebensgefahr zu schweigen, besonders auch von der, sich verhasst zu machen; Parmenion und Philotas, die vornehmsten seiner Freunde, hätten nämlich, wenn ihre Schuld nicht offenbar gewesen wäre, nicht ohne große Aufregung des ganzen Heeres verurteilt werden können. (40) Die Folterung wurde verschieden beurteilt: Solange Philotas die Tat leugnete, erschien seine Folterung als Grausamkeit; nach seinem Bekenntnis galt er nicht einmal seinen Freunden mehr für bemitleidenswert.60

Anmerkungen Buch 3 1 Der fehlende Beginn von Buch 3 könnte die Ereignisse des Jahres 334 (alle Jahreszahlen sind v. Chr.) rekapitulieren. Vgl. dazu auch die Inhaltsübersicht zu den verlorenen Büchern 1–2. 2 Kleandros, Sohn des Polemokrates und Bruder des Koinos, warb zwischen 334 und 332 Söldner in Griechenland für Alexander an. Er kehrte mit ca. 4 000 Söldern aus Griechenland zurück (Arr. Anab. 2,20,5) und nahm an der Schlacht von Tyros wieder teil (332). Er war in die Ermordung Parmenions verwickelt und wurde 324 auf Befehl Alexanders hingerichtet. 3 Kelainai ist die alte Hauptstadt Phrygiens. Strabon (12,8,18 p. 579) führt den Namen auf den Flussgott Kelainos zurück. Unter den Seleukiden wurden die Bewohner der Stadt umgesiedelt nach Apameia. Daraufhin verfiel die alte Stadt. 4 Dieser Fluss hat seinen Namen von dem phrygischen Flussgott Marsyas, den Apollon, als er noch ein Kentaur war, in einem musikalischen Wettstreit besiegt und getötet hat. Aus seinem Blut entstand der gleichnamige Fluss(-gott). Zu diesem Mythos vgl. Xen. Anab. 1,2,7–8; Liv. 38,13,6 und Plin. nat. 5,106. Vgl. weiterhin: Apollod. 1,24; Paus. 1,24,1; Ov. fast. 6,697ff. 5 Während der gesamten Auseinandersetzung zwischen Alexander und Dareios kämpften auch auf persischer Seite zahlreiche griechische Söldner (vgl. dazu auch Arr. Anab. 1,16,6. 29,5f.). 6 Vgl. Strab. 12,5,3 p. 568. 7 Gordion ist eine Stadt im Norden Kleinasiens. Der Beschreibung des Curtius liegt die Vorstellung zugrunde, dass Gordion ein Omphalos, „Nabel“, d. h. Mittelpunkt, Kleinasiens sei. Als Stadtgründer werden sowohl Gordios als auch Midas erwähnt. 8 Wie nicht anders zu erwarten, nennt der Römer Curtius die Götter in seiner Muttersprache. In dieser Leseausgabe werden die Ausdrücke in der deutschen Übertragung gräzisiert. Die latinisierten Namen können leicht durch die lateinische Fassung erschlossen werden.

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9 Vgl. zu Alexander und dem gordischen Knoten: Arr. Anab. 2,3; Plut. Alex. 18,1–4; Iust. 11,7,3–16. Zum Mythos: Gordios wurde als einfacher Landmann zum König, da er als Erster auf einem Wagen zum Tempel des Zeus fuhr und somit das Orakel erfüllte. Als Weihgeschenk stiftete Gordios den Wagen. 10 Amphoteros war der Bruder des Krateros und ein makedonischer Flottenkommandant, auf den Alexander am meisten vertraute (vgl. auch Curt. 3,9,8). Hegelochos war ein makedonischer Adeliger, der zusammen mit Amphoteros die Flotte am Hellespont kommandierte (vgl. dazu Arr. Anab. 2,2,3 und 3,2,3ff.). 11 Ein Talent entspricht 6 000 Drachmen. 12 Antipatros ist ein Befehlshaber Alexanders, der von jenem bei Antritt des Perserzuges zum Statthalter Makedoniens und Strategen Europas ernannt wurde. 13 Memnon hatte im Auftrag des Dareios den Oberbefehl über die griechischen Söldnertruppen am Granikos inne. Daraufhin übernahm er das Kommando der persischen Flotte für die Inseln Chios und Lesbos und versuchte von dort, den Krieg nach Griechenland auszuweiten. 14 Das heutige Ankara. Nach der Sage ist Ankyra eine Gründung des Midas gewesen. 15 Vgl. auch Hom. Il. 2,851; Liv. 1,1,2. 16 Kalas war wohl ein Cousin des berühmten Harpalos. 17 Memnon starb nach längerer Krankheit im Frühjahr 333. Dareios hoffte, dass Memnon den Krieg nach Griechenland trage, um Alexander zur Aufgabe seines Feldzuges zu zwingen (vgl. Diod. 17,30,1). 18 Xerxes war der Perserkönig (485–465), der 480 in Griechenland eindrang. Herodot (7,58ff.) berichtet von einer Heerschau bei Doriskos in Thrakien in jenem Jahr. 19 Medien war eine der wichtigsten Satrapien im Persischen Großreich. 20 Die Barkaner, die Hyrkaner sowie die Derbiker wohnten am Kaspischen Meer. 21 Die „Cetra“ ist ein kleiner, leichter Lederschild, der vor allem in Spanien verwendet wurde. Bei Curtius liegt an dieser Stelle ein Anachronismus vor, denn nach diesem Schild nennen die Römer ihre leicht bewaffneten Truppen cetrati. 22 Rotes Meer meint hier nicht, wie Curt. 5,1,15, den Persischen Golf, sondern den Indischen Ozean. 23 Charidemos war ein Söldnerführer aus Athen, der 335 von Alexander verbannt wurde und an den Hof des Dareios ging (vgl. dazu z. B. Arr. Anab. 1,10,6; Diod. 17,25,6. 30,2).

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Anmerkungen

24 Vgl. Diod. 17,30,4–7 zum Tod des Charidemos. Die Rede des Charidemos weist Parallelen zu Demaratos’ Hinweis an Xerxes bei Doriskos auf (vgl. Hdt. 7,101–105). 25 Diod. 17,30,6. 26 Eigentlich Thymondas (Arr. Anab. 2,13,2); dieser war der Sohn Mentors, des Bruders des Memnon. Er war ebenfalls ein Söldnerführer. 27 Pharnabazos war persischer Oberbefehlshaber über die Ägäis-Flotte und Nachfolger seines verstorbenen Onkels Memnon. 28 Vgl. dazu Hdt. 7,12ff. 29 Möglicherweise das persische Gegenstück zu den königlichen Pagen (vgl. Xen. Anab. 1,9,3; Arr. Anab. 4,13,1). 30 Man nannte sie die „Unsterblichen“, da die Anzahl dieser Abteilung niemals unter 10 000 sein durfte (vgl. dazu Hdt. 7,12ff.). 31 „Doryphoroi“ = „Speerträger“: Hierbei handelt es sich um die persönliche Leibwache des Königs. 32 Belos soll ein assyrischer König und Gründer Babylons gewesen sein (Curt. 5,1,24). Er wird ebenfalls mit dem Gott Baal (Bel-Marduk in Babylon) identifiziert. Ninos war der Legende nach der Begründer der assyrischen Dynastie. 33 Unter „Kidaris“ versteht man den oben spitz zulaufenden Kopfschmuck der persischen Könige. 34 Geschlossene Wagen, die insbesondere von Kindern und Frauen benutzt wurden (Xen. Anab. 1,2,16; Plut. Alex. 43,2; Arr. Anab. 3,19,2). 35 Sabiktas (Arr. Anab. 2,4,2). 36 Es handelt sich möglicherweise vielmehr um das Lager des jüngeren Kyros, der einen Feldzug gegen seinen Bruder unternahm (vgl. Xen. Anab. 1,2,21; Arr. Anab. 2,4,3). 37 „Pylai“ ist der griechische Begriff für „Tore“. 38 Vgl. Xen. Anab. 1,2,22. 39 Parmenion war ein Vertrauter und der wichtigste Feldherr Alexanders. Mit ihm nahmen auch seine Söhne Hektor, Philotas und Nikanor am Zug gegen die Perser teil. 40 Möglicherweise im Juli 333. 41 Diese Geschichte findet sich ebenfalls bei Iust. 11,8,3–9; Diod. 17,31, 4–6. Arrian (Anab. 2,4,7–11) sowie Plutarch (Alex. 19,2ff.) geben eine andere Version der Geschichte nach Aristobulos (= FGrHist 139 F 8). 42 Parmenions Brief wurde offensichtlich von Kappadokien abgeschickt (Arr. Anab. 2,4,3; Iust. 11,8,5). Vgl. aber auch Plut. Alex. 19,5. 43 Vgl. dazu auch Plut. Alex. 19,1; Arr. Anab. 2,13,1. 44 Die Stadt Soloi ist an der Westküste Kleinasiens gelegen.

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45 Asklepios (= Aesculapius) und Athene (= Minerva) waren Götter der Heilkunde, denen Alexander nun Dank für seine Genesung abstattete. Beide wurden in dieser Gegend, in der sich Alexander aufhielt, verehrt (vgl. auch Arr. Anab. 2,5,8). 46 Ptolemaios und Asandros, der Satrap von Lydien, hatten Orontobathes, den Satrap von Karien, gefangen genommen (Arr. Anab. 2,5,7). Er wurde durch Ada ersetzt, damit er Alexander weiter Widerstand leiste (Arr. Anab. 1,23,7f.). 47 Das hier Geschilderte findet sich nicht in den anderen Quellen. 48 Von den Anfängen der Karriere des Sisenes ist nichts bekannt. Arrian (Anab. 2,25,3) schreibt, dass er sich am Hof des Perserkönigs Dareios III. aufgehalten habe, nicht aber an dem Alexanders. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Curtius Sisenes’ Rolle in der gesamten Affäre missversteht. 49 Es besteht die Möglichkeit, dass Sisenes auf Befehl Alexanders ermordet wurde, obwohl Curtius keine Gründe für das Warum angibt. Diese Episode weist Gemeinsamkeiten mit der Philotas-Affäre auf (Curt. 6,7,17ff.). 50 Der Ratschlag wird bei Arr. Anab. 2,6,3. 6; Plut. Alex. 20,1–3 Amyntas, dem Sohn des Antiochos, zugeschrieben. 51 Eine möglicherweise exakte Überlegung über die Rivalitäten am persischen Hof: Man beachte die Zurückweisung von Memnons Ratschlag und den Argwohn des Charidemos (vgl. Diod. 17,18,3. 30,4; Arr. Anab. 1,12,10). 52 Vgl. auch Diod. 17,32,3; Arr. Anab. 2,11,9–10. 53 Arrian (Anab. 2,7,1) schreibt, dass die Gefangenen gefoltert und getötet wurden. Curtius scheint hier erneut Herodot zu imitieren, denn es gibt Übereinstimmungen mit der Schilderung der Behandlung von griechischen Spionen durch Xerxes (Hdt. 7,146–147). 54 Nabarzanes war Chiliarch (= Vorsteher der königlichen Leibwache) des Dareios und der wichtigste Beamte an seinem Hof. Vgl. dazu Collins (2001), S. 259ff. 55 Aristomedes von Pherai. Er floh nach der Schlacht von Issos mit Amyntas nach Ägypten (Arr. Anab. 2,13,2–3). Vgl. auch Arr. Anab. 4,1, 27–33; Diod. 17,48. 56 Nikanor war Befehlshaber der Hypaspisten (vgl. Arr. Anab. 2,8,3; Curt. 4,13,27). 57 Ptolemaios, Sohn des Seleukos. Der berühmte spätere König von Ägypten, Ptolemaios, Sohn des Lagos, wird erst Curt. 8,1,4f. erwähnt (KleitosEpisode). 58 Von Herakles und Dionysos (= „Vater Bakchos“) dachte man, dass sie die Grenzen der Erde im äußersten Westen (= die Säulen des Herakles an

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Anmerkungen

der Straße von Gibraltar) und Osten (= Indien bzw. den Indischen Ozean) erreicht hätten. Für Alexander sind beide Helden, denen er nacheifert. 59 Hier und an anderer Stelle benutzt Curtius das Wort Bactra für die Provinz Bactria oder Bactriana. 60 Curtius spielt hier an auf die Schlacht von Chaironeia (338) sowie die Zerstörung von Theben, wobei Alexander das Haus des berühmten Dichters Pindar verschonte (vgl. Plut. Alex. 9,2–4). 61 Vgl. dazu Arr. Anab. 1,12,6ff.; Diod. 17,18,4ff.; Plut. Alex. 16; Iust. 11,6,10–13. 62 Dareios (persischer König, 521–486) hatte die Revolte in Ionien unterdrückt (499–493) und Truppen nach Marathon geschickt (490). Sein Sohn Xerxes drang 480–479 in Griechenland ein und zerstörte unter anderem die Tempel der Athener. Alexander war Anführer einer panhellenischen Expedition, um die Perser für ihre Taten zu bestrafen und sie zu rächen. 63 Vgl. dazu auch Curt. 3,3,14. 18; Diod. 17,18,41. 35,4. 64 An dieser Stelle liegt eine Textverderbnis vor. 65 Opimum decus ist eine Variatio für opima spolia (= dem gefallenen Feldherrn abgenommene Rüstung und Waffen). Vgl. dazu z. B. Liv. 4,20,2 und 5. 66 Vgl. hierzu Diod. 17,34,2. An anderer Stelle heißt er auch Oxyathres (Strab. 12,3,10 p. 544), bei Plut. Alex. 43,7 Exathres. Seine Tochter Amastris wurde die Frau des Krateros. 67 Vgl. zu diesem Arr. Anab. 2,11,8 und Diod. 17,21,3, der unkorrekterweise schreibt, dass er am Granikos gefallen sei. Er war Satrap von Phrygien unter Dareios III. und wurde von Alexander durch Antigonos ersetzt. 68 Vgl. Curt. 4,1,28. 69 Dazu vgl. auch Arr. Anab. 2,12,1; Diod. 17,34,5; Plur. Alex. 20,8; Iust. 11,9,9. 70 Diese Episode wird weder von Ptolemaios noch von Aristobulos erwähnt. Sie geht vielleicht auf Kleitarchos zurück. 71 Vgl. auch Curt. 3,8,12. 72 Die Marder sind ein räuberisches Volk in der südlichen Persis am Kaspischen Meer und in Armenien. 73 Artaxerxes III. Ochos herrschte in Persien von 358 bis 338. Zu seinem Tod vgl. Diod. 17,5,3–6; Iust. 10,3. Alexander heiratete die jüngste Tochter des Ochos, Parysatis, in Susa im Jahre 324. 74 Über Ilioneus wissen wir nichts Näheres. Möglicherweise reflektiert dieser Name die Ansprüche einer Familie aus der Troas. 75 Memnons Witwe war Barsine. Ihr Kind war Herakles (Curt. 10,6,11). Vgl. dazu auch Plut. Alex. 21,7–9; Iust. 11,10,2.

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Onchai: Vielleicht handelt es sich um Sochoi zwischen Issos und Thapsakos (vgl. Arr. Anab. 2,6,1). 2 Dazu Arr. Anab. 2,13,1. 3 Das sog. Koilesyrien bezeichnet das „hohle“ Syrien zwischen dem Libanon und dem Antilibanon, d. h. Nordsyrien. 4 Das heutige Arvad. 5 Das heutige Amrit. 6 Bezugnahme auf den ionischen Aufstand (499–493 v. Chr.). 7 Nach der für die Perser vernichtenden Schlacht von Salamis (480) zog sich Xerxes nach Asien zurück; danach wurde im Jahre 479 das persische Heer bei Plataiai besiegt. 8 Vgl. auch Arr. Anab. 2,14,5. 9 Heute Gebal. 10 Sidon wird von Homer mehrmals in der Ilias und der Odyssee erwähnt. Die Stadt war von Agenor, dem Vater des Kadmos, gegründet worden. 11 Nicht Straton, der König von Arados (Curt. 4,1,6). 12 Im Gegensatz zu Curtius verlegt Diodor (17,47) die Episode fälschlicherweise in das Innere der Stadt. 13 Vgl. auch Curt. 3,11,18. Amyntas, Sohn des Antiochos, floh kurz nach dem Herrschaftsantritt des Alexander aus Makedonien (zu ihm Arr. Anab. 1,17,9). Zu seinem gescheiterten Ägypten-Feldzug äußern sich Arrian (Anab. 2,13,2–3) und Diodor (17,48,2–5). 14 Vgl. auch Curt. 3,11,20. 15 Mazakes war wahrscheinlich der Stellvertreter des gefallenen Statthalters Sabakes. 16 Antigonos war Satrap des größeren Phrygien; Lydien wurde zu dieser Zeit von Asandros verwaltet. 17 Agis III. war König von Sparta. Er hatte für die Geschichte Alexanders eine herausragende Bedeutung. Curtius (6,1) berichtet den Ausgang dieses Unternehmens des Agis. 18 Dieses Ereignis bezieht sich auf den Januar 332. Zur Belagerung von Tyros vgl. Diod. 17,40,2–46,6; Arr. Anab. 2,16,1–24; Plut. Alex. 24f.; Iust. 11,10,10–14. 19 Die makedonischen Könige führten ihre Genealogie auf Herakles zurück. Die Tyrier nannten und verehrten ihn als Melkaart. Er galt als Beschützer der Schifffahrt. 20 Der goldene Kranz gilt als übliche Ehrengabe für einen siegreichen Feldherrn.

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Anmerkungen

Das alte Tyros befand sich auf dem Festland (vgl. auch Curt. 4,7,18). Vgl. auch Arr. Anab. 2,18,3. 23 Die Stadt wurde um 814/13 gegründet. 24 Punisch = karthagisch. 25 Gemeint ist ein sog. Rabe (bzw. Rabenschnabel), d. h. eine Art Haken, der auf Sturm- und Abwehrwerkzeugen montiert wurde (vgl. auch Curt. 4,3,26). 26 Zu seiner Person vgl. auch Curt. 10,5,4ff. 27 Zur Rolle des Krateros in diesem historischen Zusammenhang vgl. Polyainos 4,13. Weitere Details des arabischen Feldzugs bei Plut. Alex. 24,10ff. 28 Laut Arr. Anab. 2,20,5 kam er mit 4 000 Söldnern (vgl. auch Curt. 3,1,1). 29 Arrian (Anab. 2,20,1–3) nennt 224 Schiffe im Ganzen. Pnytagoras war König von Salamis. 30 Nicht „fünfdeckige“ Schiffe waren im Allgemeinen üblich, sondern die Triremen mit drei Ruderbänken übereinander. 31 Die Bedrohung Karthagos durch die Syrakusaner erfolgte erst 309 (vgl. Diod. 20,3,3ff.; Iust. 22,4,11f.). 32 Der Kult des Apollon war in Karthago wohlbekannt. Dort befand sich eine Kultstatue (Plut. Flam. 1; App. Pun. 127; vgl. auch Diod. 13,108,4). Nach Diod. 20,14,1f. und Iust. 18,7,7 haben die Karthager z. B. auch eine Statue des Herakles auf Sizilien erbeutet und sie dem Herakles in Tyros geweiht. 33 Saturnus, der griechische Kronos, ist hier mit Moloch gleichzusetzen. 34 Nach Diod. 20,14,4f. sollen nicht weniger als 300 Karthager Kronos geopfert worden sein (310). 35 Vgl. Diod. 17,41,5f. 36 Curtius erwähnt an dieser Stelle nicht wie Arrian (Anab. 2,23,4f.) und Diodor (17,45,6) den Tod des Admetos. 37 Bei Curtius liegt hier ein Missverständnis vor, da er die Rettungsaktion mit einer Versklavung verwechselt. 38 Plutarch (Alex. 24,5) und Diodor (17,46,5) berichten ebenfalls, dass die Belagerung sieben Monate gedauert hat. Sie wurde im Juli oder August 332 beendet (Arr. Anab. 2,24,5). Arrian (Anab. 2,24,4f.) überliefert auch, dass 8 000 Tyrier getötet worden seien bei (nur) 400 Makedonen. 30 000 Tyrier wurden in die Sklaverei verkauft. Nach Diodor (17,46,3f.) starben 7 000 im Laufe der Auseinandersetzung, 2 000 wurden gekreuzigt und es wurden 13 000 Gefangene gemacht. 39 Zu dieser Stelle vgl. in der Einleitung den Abschnitt „Zur Datierung des Werkes und zum Autor“. 22

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40 Zu diesem Brief vgl. Arr. Anab. 2,25,1, nach dem der Brief bereits während der Belagerung von Tyros angekommen sein soll. Stateira war übrigens auch der Name von Dareios’ III. Gattin (Plut. Alex. 30,5). Tatsächlich heiratete Alexander eine jüngere Stateira in Susa (Plut. Alex. 77,6). Aristobulos nennt sie Barsine (FGrHist 139 F 52 = Arr. Anab. 7,4,4). 41 Der Neid der Götter entspricht häufig der antiken Vorstellung von Hybris, die der Mensch durch sein anmaßendes Verhalten ihnen gegenüber provoziert. 42 Curtius nennt diese beiden an sich weniger bedeutenden Flüsse aus rhetorischen Gründen. 43 Mit Kaukasos ist der „Indische Kaukasos“ gemeint, also der Hindukusch; Tanaïs ist mit Jaxartes zu identifizieren. 44 Balakros war Befehlshaber von Kilikien. Sollte Curtius’ Erwähnung des Sokrates in diesem Kontext stimmen, dann hatte jener wohl nur ein Militärkommando inne. Curtius (5,7,12) nennt ihn unrichtig Platon. Philotas ist hier nicht der berühmte Sohn des Parmenion. 45 Vgl. Curt. 4,8,9–11. 46 Diese Spiele wurden alle zwei Jahre am Isthmos von Korinth abgehalten. 47 Die Anführer wurden in ihre eigenen Städte überführt, um dort bestraft zu werden (Curt. 4,8,11; Arr. Anab. 3,2,7). 48 Achaia und Asia: Mit diesen lateinischen Ausdrücken sind Griechenland und Kleinasien gemeint. 49 Vgl. auch Curt. 5,9,2ff. 50 Auch Batis. Er war nach Arr. Anab. 2,25,4 ein Eunuch. 51 Lücke im Text. 52 Zur berühmten Bestrafung Hektors durch Achill vgl. Hom. Il. 22,395ff.; vgl. auch Arr. Anab. 2,27,1. 53 Amyntas, Sohn des Andromenes (vgl. Diod. 17,49,1). 54 Castra Alexandri bezeichnet die Gegend in der Nähe von Pelusion in Unterägypten. 55 Mazakes diente wahrscheinlich als Feldherr unter Sabakes, der mit einem ägyptischen Kontingent nach Issos zog. Weitere Hintergründe bei Arr. Anab. 3,1,2. 56 Ammon oder auch Hammon war ursprünglich eine lokale Gottheit, die dann zum obersten Gott Ägyptens wurde. Sein Heiligtum befand sich in der Oase Siwa. Vgl. die Parallelberichte: Diod. 17,49–51; Plut. Alex. 26–27; Arr. Anab. 3,3–4; Iust. 11,11,2–13 sowie Strab. 17,1,43 p. 814. 57 Nachdem Alexander in Ägypten angekommen war, war er ebenfalls für einen Sohn des Zeus Ammon gehalten worden (Plut. Alex. 3).

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Anmerkungen

58 An dieser Stelle stimmen die meisten Primärquellen zu Alexander (darunter Aristobulos, Kallisthenes und Kleitarchos) überein, Ptolemaios (FGrHist 138 F 8 = Arr. Anab. 3,3,5) berichtet hingegen, dass das Heer von zwei redenden Schlangen angeführt worden sei. 59 Vgl. Diod. 17,50,3. 60 Vgl. Diod. 17,50,4f. 61 „Sohn Ammons“ hießen alle ägyptischen Pharaonen. Diesen Titel übernahm Alexander einfach. Seitdem wird er häufig mit Widderhörnern abgebildet (so z. B. auf Münzen). 62 Nach der Ermordung des Philipp durch Pausanias ließ Alexander neben allen möglichen Hintermännern auch diejenigen beseitigen, von denen er glaubte, dass sie seiner Herrschaft hätten gefährlich werden können. Nur Alexander Lynkestes ließ er am Leben. 63 Ausgehend von der Troas gründete Alexander auf seinem Zug Städte nach seinem Namen, also Alexandreia. 64 Hier wird auf die Stadt Theben angespielt, deren König Memnon der Sage nach ein Sohn des Tithonos und der Eos gewesen war. 65 Vgl. Plut. Alex. 26,9; Val. Max. 1,4. 66 Arrian (Anab. 3,1,5–2,2) sowie Plutarch (Alex. 26,4) setzen die Gründung der Stadt Alexandreia chronologisch vor Alexanders Besuch der Oase Siwa an. 67 Dies berichtet von den auf uns gekommenen Quellen allein Curtius (6,9,27). 68 Arrian (Anab. 2,13,7) nennt ihn Menon. 69 Auf Kreta befand sich zu dieser Zeit der Überrest der persischen Flotte nach den Verlusten vor z. B. Phoinikien. 70 Vgl. Diod. 17,53,1f.; Xen. Anab. 1,8,10. 71 Auch Atropates ist als Name belegt. 72 Die Schlacht wurde allerdings nicht in Arbela, das 600 Stadien von Gaugamela entfernt ist, ausgefochten (Arr. Anab. 3,8,7), sondern ebendort (Plut. Alex. 31,7). Der Ort Gaugamela wird bei Curtius Rufus nicht erwähnt. Bei dieser Lokalität handelt es sich um das heutige Gomal. 73 Der heutige Fluss Khazir. 74 Vgl. Strab. 11,14,8 p. 529 sowie Arr. Anab. 3,7,5. 75 Diese Stelle beweist, dass Curtius Alexanders Erfolge nicht allein auf sein Glück zurückführt. 76 Diese Mondfinsternis ist auf den 20. September 331 zu datieren (vgl. Arr. Anab. 3,7,6; Plut. Alex. 31,8; Plin. nat. 2,80). Die Schlacht wurde am 1. Oktober 331 ausgetragen.

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77 Die Ausgestaltung an dieser Stelle ist Curtius’ ureigene Idee, wobei es bereits Ressentiments gegen König Alexander wegen seiner Anmaßung durch Verehrung des Zeus „Ammon“ gab (vgl. auch Curt. 6,10,26–28. 11,21ff.; 8,1,42 sowie Plut. Alex. 48). 78 Zum Tod der Stateira vgl. Plut. Alex. 48; Curt. 6,10,26–28. 11,21ff.; Arr. Anab. 4,20,1–3; Diod. 17,54,7; Iust. 11,12,6. Alle Alexanderquellen verlegen ihren Tod in das Jahr 331. 79 Legt man Plut. Alex. 30,2 zugrunde, so war sein Name wahrscheinlich Tireos. 80 Dazu auch Plut. Alex. 30,11–13; Arr. Anab. 4,20,3. 81 Vgl. Plut. Alex. 29,7–9; Arr. Anab. 2,25,1–3 und Diod. 17,54,4. 82 Eine Erfindung des Curtius zur dramatischen Steigerung seiner Geschichte. 83 Bei Arr. Anab. 6,29,2 heißt er Orxines. Die sog. „Sieben Perser“ waren die „Minister“ des persischen Großkönigs. Sie waren Verschwörer gegen Smerdis (ein Magier wie bei Hdt. 3,6ff.). Einer von ihnen war Dareios I. (521–486). Seine Frau, die Königin, war Tochter Kyros’ d. Gr. (559–529). Zu Orisenes’ späteren Aktionen vgl. Curt. 10,1,22ff. 84 Vgl. auch Diod. 17,110,4f. 85 Die Zahlenangaben für die persische Seite sind in den anderen Quellen maßlos übertrieben. Bei Arr. Anab. 3,8,6 sind es 1 000 000 Infanteristen und 40 000 Mann Reiterei; bei Diod. 17,53,3 800 000 Mann Infanterie und 200 000 Reiter; bei Pompeius Trogus (gemäß Iust. 11,12,5) 400 000 Mann Fußvolk und 100 000 Kavalleristen. Nach Erkenntnissen der neueren Forschung handelt es sich um 200 000 Mann Infanterie und 34 000 Mann Reiterei (vgl. Yardley – Heckel 22001, S. 279, Anm. 80). 86 Polyperchon war ebenso wie Parmenion ein erfahrener Soldat; er war auch ein Befehlshaber über Alexanders Truppen. Seine Rolle in diesem Zusammenhang ist wohl eine Erfindung des Curtius Rufus (vgl. dazu Arr. Anab. 3,10,1–2; Plut. Alex. 31,10–14). 87 Vgl. weiterhin Diod. 17,57; Plut. Alex. 32,1–4; Iust. 11,13,1–3. 88 Kleitos kommandierte die sog. i[lh basilikhv, d. h. die persönliche Leibgarde Alexanders, zu Pferd. 89 Dies war eine i[lh der begleitenden Schwadron. Curtius scheint an dieser Stelle Meleagros mit dem Sohn des Neoptolemos zu verwechseln (vgl. dazu Arr. Anab. 3,11,8f.). 90 Ein Anachronismus, da die Argyraspiden vor 327 nicht zum Einsatz kamen. Der Alexanderhistoriker meint an dieser Stelle die sog. Hypaspistai. Vgl. dazu E. M. Anson: Alexander’s hypaspists and the argyraspids, in: Historia 30 (1981), S. 117–120.

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Anmerkungen

91 Perdikkas war ihr Anführer. Curtius übergeht hier die Schwadron von Meleagros (vgl. auch Diod. 17,57,2; Arr. Anab. 3,11,9). 92 In den Handschriften findet sich an dieser Stelle phaligrus, was man zu Philippus (Balakros’ Sohn) verbessert hat (vgl. Diod. 17,53,3). 93 Curtius hat hier seine Vorlage sorgsam übernommen (vgl. auch Arr. Anab. 3,11,10 sowie Diod. 17,57,3). 94 Vgl. auch Curt. 3,11,24. 26. 95 Zu dieser für Parmenion unvorteilhaften Charakterzeichnung vgl. Arr. Anab. 3,5,1; Plut. Alex. 33,10–11 (= Kallisthenes FGrHist 124 F 37) und Diod. 17,60,5–8. 96 Diod. 17,59,6f. 97 Die Agrianer sind Bogenschützen aus Thrakien, die oft bei Curtius hervorgehoben werden. 98 Heute der große Zab, der von Nord-Westen her in den Tigris fließt. 99 Nach Diod. 17,61,3 starben 90 000 Perser und 500 Makedonen (einschließlich der Verwundeten), nach Arr. Anab. 3,15,6 waren es 300 000 Perser und 100 Makedonen. Am realistischsten sind wohl die Angaben des POxy. 1798, wonach 53 000 Perser und 1 200 Makedonen ums Leben kamen (vgl. Yardley – Heckel 22001, S. 280, Anm. 98).

Buch 5 1

Curtius behandelt die Geschehnisse in Europa erst in Buch 6. Vgl. dazu Iustin (12,1,4–2,17), der die Ereignisse nach Dareios’ III. Tod bringt, sowie Diodor (17,62f.). 2 Diodor (17,64,3) berichtet, dass der Schatz des Perserkönigs Dareios 3 000 Talente betrug (vgl. auch Arr. Anab. 3,15,4). 3 An dieser Stelle findet sich nach Atkinson eine Lücke im Text. Er folgt hier Müller, der a ‹dextra› vor Arabia ergänzt. Zwischen dem Euphrat und dem Tigris lebten einige arabische Stämme, die Curtius zu dieser Bemerkung veranlasst haben, da nicht das eigentliche Arabien gemeint sein kann. 4 Diese Vorfahren der heutigen Kurden lebten im Grenzgebiet Armeniens, Assyriens und am Oberlauf des Tigris in Mesopotamien. 5 Curtius meint an dieser Stelle den Persischen Golf. 6 Vgl. auch Plut. Alex. 35. 7 Bei den Chaldaiern handelt es sich um Astronomen und Astrologen sowie Priester des Bel-Marduk (= Baal). Vgl. dazu auch Arr. Anab. 3,16,4. 8 Sammurammat (= Samiramis) war eine assyrische Königin (möglicherweise aus Babylon), die am Ende des 9. Jhs. herrschte. Zu ihrem Hinter-

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grund und ihrer Geschichte vgl. z. B. Diod. 2,4ff.; Iust. 1,1,10ff. Samiramis oder auch Semiramis war die Gattin des von Belos (= Baal) abstammenden Ninos. Mit regia ist der Turm von Babel gemeint. 9 Alle hier erwähnten Bauwerke werden der Sage nach Samiramis zugeordnet, gehören aber in die Herrschaftszeit Nebukadnezars II. (605–562). 10 Diodor diskutiert nicht in Buch 17 die Ausmaße von Babylon, da er sie bereits 2,7,2–10,6 angegeben hat. Zwischen Diodor und Curtius finden sich zahlreiche Übereinstimmungen, so dass möglicherweise Kleitarchos die gemeinsame Quelle für beide ist. 11 Herodot (1,178) gibt 480 Stadien an. Ktesias behauptet, dass es 360 Stadien gewesen seien (vgl. dazu Diod. 2,7,3; Strab. 16,1,5 p. 738). Diese Angabe wird von Kleitarchos auf 365 Stadien korrigiert (vgl. Diod. 2,7,4). 12 Iugerum = „ein Morgen Land“ ist das römische Äquivalent des griechischen plethron. In diesem Kontext ist es aber kein Flächenmaß, sondern ein Längenmaß. 13 Mit cavernae ist der bereits von Herodot (1,178) erwähnte große Grabengürtel gemeint. 14 Die Brücke hatte nach Diod. 2,8,2 eine Länge von fünf Stadien. 15 Dazu und zum Vorangehenden vgl. Diod. 2,8,6. 10,1–6. 16 Syrien meint Assyrien. 17 Die Gattin hatte den Namen Amytis. Sie stammte aus Medien. 18 Dieser Brauch ist im Zusammenhang mit dem Kult der Mutter- und Fruchtbarkeitsgöttin Mylitta zu erklären, zu dem auch die kultische Prostitution gehörte. 19 Vgl. Curt. 4,6,30; Diod. 17,65,1. 20 Vgl. dazu Diod. 17,65,1; Arr. Anab. 4,13,1. 21 Menes war der Statthalter von Kilikien, Syrien und Phoinikien; Apollodoros war der Stadtkommandant von Babylon, während Mazaios als Satrap lediglich die zivile Gewalt innehatte (vgl. dazu Arr. Anab. 3,16,4. 9). 22 Curtius benutzt hier die römische Geldeinheit, meint aber griechische Drachmen. 23 Lücke im Text. 24 Nach Diod. 17,64,6 handelt es sich ebenfalls um zweimonatlichen Sold. 25 Sittakene ist nördlich von Babylon am Tigris in Richtung Susa gelegen. 26 Vgl. ebenfalls Diod. 17,64,2–4; Arr. Anab. 3,16,11. 27 Vgl. auch Curt. 8,1,36; Diod. 17,27,1, wo in beiden Fällen von Atharrias’ Rolle bei Halikarnassos berichtet wird. 28 Es handelt sich möglicherweise um den späteren Befehlshaber über die Argyraspiden (vgl. Curt. 8,5,4).

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Anmerkungen

29 Augaeus bedeutet so viel wie „von Augaia“, der alten makedonischen Hauptstadt in der Chalkidike. 30 Lücke im Text. 31 Es ist Oxathres gemeint (vgl. Arr. Anab. 3,8,5. 19,2). 32 Der Kara Su. 33 Vgl. auch Arr. Anab. 3,16,7. Plutarch (Alex. 36,1) und Iustin (11,14,9) sprechen von 40 000 Talenten, Diodor (17,66,11) von 40 000 Talenten Gold und Silber. 34 Pasitigris, der kleine Tigris, der sich in den Eulaios ergießt, ist heute der Fluss Kuran. 35 Der Persische Golf wird von Curtius, aber auch von anderen antiken Autoren im Allgemeinen als Rotes Meer bezeichnet (vgl. auch Curt. 5,1,16). 36 Medates war ein Vetter des Perserkönigs (Diod. 17,67,4; Curt. 5,3,12). 37 Tauron, der Bruder des Harpalos (vgl. auch Curt. 8,14,15). 38 Lücke im Text. 39 Ariobarzanes war der Satrap von Persien. 40 Dieses „Meereswunder“ spielt sich am Strand von Phaselis in Lydien ab. Das Zurückweichen des Meeres vor dem von den Göttern unterstützten Alexander wurde als gutes Zeichen aufgenommen (vgl. dazu Arr. Anab. 6,6,13). 41 Diodor (17,68,4) hat an dieser Stelle die falsche Angabe (300 Stadien). 42 Gemeint ist der Westen. 43 Der Araxes ist der heutige Fluss Pulvar in der Nähe des alten Persepolis. Er ist auch unter dem Namen Bend-Emir bekannt. 44 Vgl. Diod. 17,68,5; Plut. Alex. 37,1–2. 45 Nach Arr. Anab. 3,18,6 wurden Philotas, Koinos und Amyntas in Richtung Persepolis geschickt, um den Araxes zu überbrücken. 46 Unter „Agema“ versteht man die ersten der acht Schwadronen der berittenen makedonischen Garde, die auch als Alexanders Leibwache fungierte. 47 Nach Arrian (Anab. 3,18,9) entkommt Ariobarzanes „über die Hügel“. Des Weiteren erwähnt er ihn nicht mehr. 48 Bei Diodor (17,69,1) sowie Arrian (Anab. 3,18,10–12), die ebenfalls über den Fall von Persepolis berichten, wird er nicht erwähnt. Tiridates, der Kommandant von Persepolis, konnte unter Alexander seine Stellung behalten. 49 Gemeint ist die Stadt Persepolis, die Sommerresidenz der persischen Könige. 50 Arrian (Anab. 3,18,10) berichtet, dass die Brücke bereits fertiggestellt war, als Alexander ankam.

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51 Nach den Angaben von Diod. 17,69,8 und Iust. 11,14,11 waren es 800 Gefangene. Weder Plutarch noch Arrian erwähnen sie. Höchstwahrscheinlich hat die Geschichte fiktionalen Charakter und soll Curtius’ Anliegen dienen, die Grausamkeiten der Perser nachträglich herauszustellen. Dadurch wird indirekt Alexanders Rolle als ultor Graeciae verdeutlicht (Curt. 5,5,8). 52 Die im Folgenden geschilderte Episode (Curt. 5,5,10ff.) soll Alexander – wo immer möglich – als gütigen und wohlwollenden Menschen darstellen. Seine charakterliche Degeneration wird ab Buch 6 nachgezeichnet. Bezeichnend an dieser Stelle ist auch Curtius’ psychologisches Interesse an der Person Alexanders d. Gr. 53 Einen ähnlichen Bericht gibt Diodor (17,69,8). 54 Dareios im Jahre 490, Xerxes 480–479. 55 Dieselbe Zahl nennt Diodor (17,71,2). 56 Vgl. Arr. Anab. 3,18,10. 57 Zu Alexanders Politik gehörte es, persische Beamte in ihren Ämtern zu belassen, aber die umliegenden Befestigungen unter ein makedonisches Kommando zu stellen. 58 Das Ereignis bezieht sich auf den April 330. 59 Die Marder gelten auch in anderen Teilen des Perserreiches als räuberisches Gebirgsvolk. 60 Thaïs ist die spätere Hetäre des Feldherrn und nachmaligen ägyptischen Königs Ptolemaios. Sie schenkte ihm drei Kinder (vgl. Athenaios 13,576 d–e). Auch Kleitarchos (FGrHist 137 F 11) schildert ihre Rolle im Zusammenhang mit dem Brand von Persepolis. 61 Bei diesen Riesenbauten handelt es sich um eine Brücke über den Hellespont; das Gebirge ist der Athos. Weiterhin könnte auch der Bau des Athoskanals auf der Chalkidike durch Xerxes gemeint sein. 62 Gemeint sind u. a. die Städte Hekatompylos, Susa, Ekbatana. 63 Eine für die Datierung der Alexandergeschichte des Curtius Rufus bedeutsame Stelle. 64 Ekbatana ist heute Hamadan. 65 Arrian (Anab. 3,19,5) schreibt, dass Dareios mit 3 000 Mann der Kavallerie, 6 000 der Infanterie und 7 000 Talenten seines Staatsschatzes die Flucht aus Medien ergriffen habe. 66 Den Frauen und dem Tross wurde befohlen, über die Kaspischen Tore zu ziehen (Arr. Anab. 3,19,2). 67 Zum historischen Hintergrund: Zwischen 513 und 480 war Makedonien ein Vasall Persiens unter den Großkönigen Dareios und Xerxes. Allerdings war die persische Flotte nicht erfolgreich und wurde in der Nähe des Berges

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Anmerkungen

Athos versenkt (492). Äußerst vernichtend für sie war die Niederlage bei Salamis (480). 68 Unter den Verschwörern befand sich auch Barsaentes (vgl. Arr. Anab. 3,21,3; Diod. 17,74,1). Zu seinem weiteren Schicksal vgl. Curt. 8,13,3f.; Arr. Anab. 3,25,8. 69 Die Saker sind ein iranischer Nomadenstamm. 70 Patron und Glaukos befehligten beide die griechischen Söldner (vgl. auch Arr. Anab. 3,16,2). 71 Dieselbe Anzahl von Persern gibt Diodor (17,73,2). Arrian (Anab. 3,16,2) sagt, dass es sich lediglich um 2 000 griechische Söldner handle. 72 Die Landschaft Parthyene befindet sich südöstlich des Kaspischen Meeres im heutigen Iran. 73 Tabai ist hier möglicherweise mit Rhagai verwechselt. 74 Bei der Paraitakene handelt es sich um eine Gebirgslandschaft im Iran. 75 Arrian (Anab. 3,19,4f.) berichtet, dass die Neuigkeiten von Bisthanes, dem Sohn des früheren Königs Ochos, überbracht worden seien. 76 Nach Arr. Anab. 3,21,1 soll Bagistanes, begleitet von Mazaios’ Sohn, die Gefangennahme des Dareios berichtet haben. 77 „Dimachai“ sind Doppelkämpfer, d. h. zu Fuß und zu Pferd (eine Erfindung Alexanders). Nach Arr. Anab. 3,21,7 soll Alexander 500 von ihnen in seinem Heer gehabt haben. 78 Orsilos wird in anderen Quellen nicht erwähnt. Entgegen den Handschriften verbessert Hedicke den Eigennamen an dieser Stelle zu Orsines (vgl. dazu Curt. 4,12,8). Es besteht aber kein triftiger Grund, an der handschriftlichen Überlieferung zu zweifeln. 79 Arrian (Anab. 3,21,1) nennt ihn Antibelos, worin wohl eine Korruption von Artibolos vorliegt. Curtius scheint an dieser Stelle das Richtige zu haben. 80 Plutarch (Alex. 43,1) berichtet, dass Alexander mit 60 Reitern unterwegs gewesen sei, als man den Leichnam des Dareios gefunden habe. 81 Hier weist der überlieferte Text eine große Lücke auf.

Buch 6 1

Der Anfang von Buch 6 ist verloren. Wie Curtius bereits zu Beginn von Buch 4 angekündigt hat, kehrt er nun offenbar zu den Ereignissen in Europa zurück. Vgl. dazu Iust. 12,1,4–2,17; Diod. 17,62,4–6: Der Spartanerkönig Agis III. hetzt zum Aufstand gegen Alexander und bringt, durch die

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Perser mit Geld unterstützt, die ganze Peloponnes hinter sich. Antipatros eilt nach Thrakien, um gegen Agis vorzugehen. Der Krieg (spöttisch auch als „Mäusekrieg“ bezeichnet: vgl. Plut. Ages. 15) beginnt für die Spartaner erfolgreich, doch kam es 330 v. Chr. bei Megalopolis zu einer Schlacht, in der Agis III. fällt. Vgl. E. Badian: Agis III., in: Hermes 95 (1967), S. 170–192. 2 Agis III., König der Lakedaimonier; vgl. Curt. 4,1,39. 3 Vgl. Diod. 17,63,4. 4 Nach Diod. 17,63,3 fielen 5 300 Lakedaimonier, aber nur 3 500 Mann von den Truppen des Antipatros. 5 Als „Versammlung der Griechen“ bezeichnet Curtius hier das Synhedrion des seit Philipp II. vom makedonischen König geleiteten Korinthischen Bundes. 6 Hier liegt wohl ein Irrtum des Curtius vor, denn die Schlacht bei Megalopolis fand erst 330 v. Chr. statt (s. o. Anm. 1). 7 „Wie ein Feind“: Er wurde wohl als Volksverräter betrachtet. 8 Artaxerxes III. Ochos (359–338 v. Chr.) wurde von Bagoas vergiftet. Ihm folgten Arses (338–336 v. Chr.) und Dareios III. (vgl. Diod. 17,5–6; Iust. 10,1–3). 9 Die regia ist der Aufenthaltsort des Königs, was je nach Sachlage den Palast, die Königsburg oder nur das Königszelt bezeichnet – also das jeweilige „Hauptquartier“. Da Curtius nicht näher bezeichnet, wo diese Geschehnisse sich zutragen, könnten sie mit Arr. Anab. 3,20 hinter Curt. 5,13,2 eingeschaltet werden. 10 Vgl. Curt. 7,5,40 sowie Arr. Anab. 3,20,3. 11 Vgl. Curt. 3,11,8; Diod. 17,34,1; Metzer Epitome 2. 12 Zu Parthyene vgl. Curt. 5,12,18. 13 Mit Borysthenes (Dnjepr) und Tanaïs (Don) führt Curtius Flüsse an, die in der antiken Geographie zur Einteilung der Kontinente von Bedeutung sind; was nachstehend zur Geographie gesagt wird, ist freilich teils fehlerhaft. 14 Die Stadt Hekatompylos („die Hunderttorige“) wurde erst nach Alexanders Tod von Seleukos I. gegründet, lag aber an der Stelle einer älteren, für uns namenlosen Siedlung. 15 Diese Episode trug sich Mitte Juli 330 v. Chr. zu. Von Arrian (Anab. 3,22f.) wird sie ausgelassen. 16 Volksstamm im heutigen Serbien. 17 Mit Persis wird das eigentliche Stammland Persiens bezeichnet. 18 Gemeint sind Alexanders Schwester Kleopatra sowie ihre Halbschwestern Kynnane und Thessalonike. Die dritte Halbschwester, Europa, war von Olympias kurz nach dem Tod Philipps II. ermordet worden.

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Anmerkungen

19 Bagoas hatte Artaxerxes III. Ochos und dessen Sohn Arses beseitigt und so 336 v. Chr. die Herrschaftsübernahme von Dareios III. ermöglicht. 20 Krateros wurde mit Parmenion in Ekbatana zurückgelassen. 21 Erigyios war ein Jugendfreund Alexanders; vgl. Curt. 7,3,2 und 7,4,32ff. 22 Der Fluss Ziobetis ist nicht lokalisierbar. 23 Stiboites (Diod. 17,75,2). Vgl. Arr. Anab. 4,6,6 und Curt. 7,10,2f. 24 Der Fluss Rhidagnos ist nicht lokalisierbar. 25 Curtius rechnet ab dem Beginn der Herrschaft des Kyros (559 v. Chr). 26 Die hier erwähnten Stämme sind nicht am Kaspischen, sondern am Schwarzen Meer zu lokalisieren. 27 Der „Maiotische See“ ist das Asowsche Meer. 28 Möglicherweise denkt Curtius in diesem Kontext an Ebbe und Flut (alio caeli statu). Das hier angesprochene „Binnenmeer“ hielt man nicht für ein solches, sondern für einen Bestandteil des großen Weltmeeres, das Indien ringsum umgab. 29 Diodor (17,75,4) bezeichnet die umliegenden Dörfer als „vom Glück begünstigt“. 30 Phrataphernes war der Satrap von Hyrkanien und Parthyene. 31 Arrian (Anab. 3,23,6) gibt als Ort des Treffens Zadrakarta an; Arvai ist sonst unbekannt. 32 Phradates heißt Arr. Anab. 3,23,7 Autophradates, Manapis Arr. Anab. 3,22,1 Amminapes. 33 Nach Arrian (Anab. 3,23,7) waren es nicht neun, sondern drei Söhne (Kophen, Ariobarzanes, Arsames); ihre Mutter war Memnons Schwester gewesen; Diodor (16,52,4) spricht sogar von elf Söhnen und zehn Töchtern des Artabazos. 34 Vgl. Diod. 17,76,1; Arr. Anab. 3,23,8f. 35 Zum Volksstamm der Marder vgl. Curt. 3,13,2f. 36 Zur Namensgebung „Bukephalas“ vgl. Arr. Anab. 5,19,5. Alexander zähmte das Pferd, als er noch ein Junge war (Plut. Alex. 6). Seine Entführung durch die Marder berichten Diodor (17,76,5) und Plutarch (Alex. 44,3); Arrian (Anab. 5,19,6) verlegt diese Episode in das Land der Uxier. Vgl. dazu A. R. Anderson: Bucephalas and his legend, in: AJPh 51 (1930), S. 1–21. 37 Diese (nicht genau lokalisierbare) Stadt ist Zadrakarta; s. o. Anm. 31. 38 Das Zusammentreffen Alexanders mit Thalestris bestreiten Plutarch (Alex. 46) und Arrian (Anab. 7,13), während auch Kleitarch, Diodor, Iustin und Strabon davon sprechen. 39 Vgl. dazu Diod. 17,77,1–3; Iust. 2,4,33; 12,3,5–7 (Thalestris oder Minithyia). Plutarch (Alex. 46,1–2) erwähnt die Primärquellen der Amazonenge-

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schichte, nämlich Onesikritos und Kleitarchos; ihnen ist vielleicht auch Curtius gefolgt. 40 Dazu vgl. Curt. 3,3,19. Zur Übernahme der persischen Hofkleidung vgl. Diod. 17,77,4f.; Iust. 12,3,8ff.; Plut. Alex. 45. 41 Satibarzanes war der Satrap von Areia. 42 Nikanor führte die Hypaspisten an (Curt. 4,13,27). Zu den Umständen seines Todes vgl. Arr. Anab. 3,25,3. Sein Tod isolierte Philotas im makedonischen Heer, nachdem der jüngere Bruder Hektor bereits in Ägypten gestorben (Curt. 4,8,7ff.) und Parmenion in Ekbatana zurückgelassen worden war. 43 Vgl. Arr. Anab. 3,25,1. An einer anderen Stelle (Anab. 3,21,10) rechnet Arrian Satibarzanes fälschlicherweise unter die Mörder des Dareios. Alexander entsandte Anaxippos mit 40 Reitern, um Satibarzanes zu begleiten. Diese töteten die Mörder und wollten Bessos unterstützen. 44 In Artakoana war die Residenz des Satibarzanes. 45 Arrian (Anab. 3,25,8) bezeichnet Barsaentes als Satrap der Zarangaier. Zur Gefangensetzung des Barsaentes vgl. Curt. 8,13,4f. 46 Dymnos wird bei den anderen Autoren nur kurz erwähnt; Plutarch (Alex. 49,3ff.) nennt ihn Limnos. Die folgende Erzählung ist deshalb Curtius’ eigene Version von der Verschwörung des Philotas. Sie füllt den ganzen Rest des Buches aus und ist als eine „Glanzpartie des ganzen Werkes“ (so Vogel – Weinhold II, 31906, S. 27) bezeichnet worden. Die Geschehnisse spielen sich in Phrada ab. 47 Vgl. Diod. 17,79,4. 48 Bisher hat Curtius den Philotas nicht namentlich genannt. Sah Curtius ihn also als unbeteiligt an der Verschwörung an? 49 Die nachstehende berühmte Anekdote bieten auch Plutarch (Alex. 47,10) und Diodor (17,114,2). 50 Hier wird Perdikkas erstmals als einer der Leibwächter erwähnt (vgl. auch Diod. 16,94,4; Arr. Anab. 3,5,5). 51 Vgl. Plut Alex. 49,8. 52 Amyntas war der Sohn des Perdikkas (s. u. Kap. 10,24), des älteren Bruders von Alexanders Vater Philipp II., und daher in der Thronfolge höherrangig als jener; Philipp II. hatte ihn beseitigt. 53 Attalos war der Onkel der Kleopatra, einer der Gemahlinnen Philipps II., der jener den Vorzug vor Alexanders Mutter Olympias gegeben hatte. 54 Vgl. Curt. 4,8,7–9; 6,6,18–19. 55 Plutarch (Alex. 51,6) bemerkt, dass Alexander die Hypaspisten während der Kleitos-Affäre im makedonischen Dialekt (makedonistiv) anspricht.

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Anmerkungen

56 Zu Philotas’ Arroganz vgl. Plut. Alex. 48,3. Bolons Rede ist vermutlich Curtius’ eigene Schöpfung, fasst aber die damaligen Vorwürfe gegenüber Philotas gut zusammen (vgl. auch Arr. Anab. 3,26,1; Plut. Alex. 48,4–49,2). 57 Nach Plutarch hat Alexander hinter einem Vorhang der Folterung des Philotas beigewohnt und sich über dessen Schmerzensschreie verächtlich geäußert. Curtius übergeht das; seine Darstellung wirkt psychologisch glaubhafter. 58 Dieser Hegelochos ist also nicht der bei Curt. 3,1,19 und 4,5,14 genannte. Möglicherweise handelt es sich um den bei Arr. Anab. 3,11,8 erwähnten Reiteroberst. 59 Alexander Philhellen war 494–454 König Makedoniens; dass er ermordet wurde, ist sonst nicht belegt. Archelaos wurde 399 v. Chr. ermordet. Perdikkas, der ältere Bruder Philipps II., war 365–359 v. Chr. König Makedoniens. 60 Auch bei Curtius ist die Schuld des Philotas nicht klar erwiesen. Alexander brauchte dessen Geständnis allerdings, um gegen Parmenion vorgehen zu können.

Über die Reihe Edition Antike Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose Die neue Reihe zweisprachiger Textausgaben bei der WBG bietet wichtige Texte der antiken Literatur mit modernen Übersetzungen und in einer zeitgemäßen Ausstattung. Es sind Leseausgaben – auf einen umfangreichen kritischen Apparat wurde bewusst verzichtet. Die Einleitung stellt jeweils Autor und Werk in ihrer Zeit vor und gibt auch einen kurzen Überblick über das Nachwirken des Textes. Thomas Baier ist Professor für Klassische Philologie (Latinistik) an der Universität Bamberg Kai Brodersen ist Professor für Alte Geschichte an der Universität Mannheim Martin Hose ist Professor für Klassische Philologie (Gräzistik) an der Ludwig-Maximilians-Universität München

Über den Inhalt Die Taten Alexanders des Großen schildert der kaiserzeitliche Autor Curtius Rufus in seiner farbenprächtigen, romanhaften Geschichtserzählung. Trotz fiktiver Elemente und einer Tendenz zur dramatischen Zuspitzung der Geschehnisse bildet der Text auch eine zentrale historische Quelle. Während vieler Jahrhunderte war er das meistgelesene Alexander-Buch, das vor allem in der Frühen Neuzeit zahlreiche Dramen, Opern und Werke der bildenden Kunst inspiriert hat.