Die medizinische Wissenschaft / De Medicina. Band I: Lateinisch und deutsch 9783534267309, 9783534740994, 9783534741007, 3534267303

Aulus Cornelius Celsus hat mit seinem Werk 'De medicina' das gesamte medizinische Wissen seiner Zeit umfassend

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Die medizinische Wissenschaft / De Medicina. Band I: Lateinisch und deutsch
 9783534267309, 9783534740994, 9783534741007, 3534267303

Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Einleitung: Celsus und seine medizinische Wissenschaft
Inhalt des ersten Bandes
Aulus Cornelius Celsus, Die medizinische Wissenschaft (zweisprachig)
- Buch 1
- Buch 2
- Buch 3
Kommentar
Römische Maßeinheiten
Zur Textgestaltung
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EDITION ANTIKE Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose

A. CORNELIUS CELSUS

DIE MEDIZINISCHE WISSENSCHAFT Band I

Lateinisch und deutsch

Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Thomas Lederer

Verantwortlicher Bandherausgeber: Martin Hose

Die EDITION ANTIKE wird gefördert durch den Wilhelm-Weischedel-Fonds der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Wissenschaftliche Redaktion und Schriftleitung: Federica Casolari-Sonders (Ludwig-Maximilians-Universität München)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http: / / www.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2016 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de Gesamtnummer Band I–III:

ISBN 978-3-534-26730-9 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74099-4 eBook (epub): 978-3-534-74100-7

Inhalt Einleitung: Celsus und seine medizinische Wissenschaft ....................... VII Inhalt des ersten Bandes ............................................................................ 1

Aulus Cornelius Celsus, Die medizinische Wissenschaft (zweisprachig) ......................................... 7 - Buch 1 ........................................................................................................ 8 - Buch 2 ........................................................................................................ 60 - Buch 3 ........................................................................................................ 146

Kommentar.................................................................................................. 237 Römische Maßeinheiten ............................................................................ 247 Zur Textgestaltung ..................................................................................... 249

Einleitung Celsus und seine medizinische Wissenschaft Im 16. Jahrhundert machte der Arzt Theophrastus Bombastus von Hohen­ heim unter dem Humanistennamen Paracelsus europäische Karriere – eine Kar­riere, die in einem gewissen Sinn bis heute andauert. Paracelsus ist Fach­ leuten ein Begriff – aber daneben auch Menschen, die sich ansonsten für die Geschichte der Medizin nur wenig interessieren. Die Deutsche Ärzteschaft ver­leiht alljährlich ihre Paracelsus-Medaille, und zahlreiche andere Ehrungen, Ein­richtungen und Bildungsinstitute tragen den Namen Paracelsus. Ihm wäre das recht gewesen, ist der Name doch Programm, mit dem Ziel, seinen Träger als eine fixe Größe in der Geschichte der Medizin zu etablieren und ihn an den Bedeu­tendsten des Fachs zu messen. An den Bedeutendsten des Fachs: konkret an Aulus Cornelius Celsus, mit des­sen Cognomen Theophrastus Bombastus in seiner Namenswahl spielt. Je nach dem Zusammenhang lässt sich Para-Celsus ja als „Neben-Celsus“ oder auch „Über-Celsus“ übersetzen. Wer aber war dieser Aulus Cornelius Celsus, neben und über den sich der Renaissancemediziner stellte? Genau ein lapidarer Absatz im Oxford companion to classical literature fasst zusammen, was über ihn zu wissen ist – nämlich nicht viel. Er war Römer (ob Stadtrömer, ist nicht bekannt), hat wohl unter Tiberius gelebt, also im frühen 1. Jahrhundert, und er ist als der Ver­fasser eines umfangreichen enzyklopädischen Werkes hervorgetreten, von dem nur acht Bücher De medicina erhalten sind. Dieser Text wurde 1478 – also 15 Jahre vor der Geburt Paracelsusʼ – erstmals gedruckt und war somit das erste medi­ zinische Werk der Antike, das auch im Druck erschienen ist.1 Als Paracelsus hat sich Theophrastus Bombastus einerseits in eine gro­ße Tradition eingereiht, andererseits aber auch die Überwindung dieser Tradi­tion schlagwortartig angekündigt. Als „Neben-Celsus“ hat er sich für die genaue Beobachtung der Natur und der Krankheitsbilder, der Diät und der Lebens­ rhythmen eingesetzt, genauso wie es Celsus im 1. Jahrhundert getan hat. Als „Über-Celsus“ hat er sich von der hippokratischen Humoralpathologie distan­ ziert, an der der Römer Celsus festhielt und die die Ursachen der verschiedenen

1

P. Harvey, The Oxford companion to classical literature, Oxford 1966, 96.

VIII

Einleitung

Erkran­kungen in einem Missverhältnis der vier Körpersäfte Blut, Schleim und schwarze sowie gelbe Galle sehen wollte. Sie hat das Mittelalter hindurch die ärztliche Wissenschaft beherrscht. Beides, eine äußerst scharfsichtige praktische Beob­achtungsgabe und eine umfassende Buchgelehrsamkeit in der direkten Nach­folge des Hippokrates, haben Celsusʼ De medicina zu einer der wichtigsten medi­zinischen Schriften der Antike werden lassen. Ihre acht Bücher beschäftigen sich im Einzelnen mit folgenden Themen­ schwerpunkten: 1. Buch: Geschichte der Medizin und Überblick über die Diätetik 2. Buch: Allgemeine Pathologie 3. Buch: Erkrankungen, die den gesamten Körper betreffen 4. Buch: Erkrankungen einzelner Körperteile 5. und 6. Buch: Pharmazeutik 7. Buch: Chirurgie 8. Buch: Knochenbehandlung In diesen Büchern entwickelt Celsus ein lateinisches medizinisches, anatomi­ sches und chirurgisches Fachvokabular, das eigenständig an die Stelle der bis dahin verwendeten griechischen Terminologie treten konnte.2 Er stellt seine latei­nischen Termini konsequent den etablierten griechischen Fachbegriffen gegen­über, um die Zuordnung zu erleichtern und seinen Wortschatz nachhaltig ein­zu­führen. Welche Bedeutung diese Leistung hat, zeigt ein Blick in ein moder­nes medizinisches Lehrbuch oder einen anatomischen Atlas:3 das latei­ nische Vokabular des Celsus ist im Großen und Ganzen dasjenige der modernen Wis­sen­schaft. Das geht vor allem auf die weite Verbreitung des Werkes zurück. Von der Edi­tio princeps (Florenz 1478) an bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts und sogar noch darüber hinaus war Celsusʼ De medicina ein grundlegendes Lehrbuch für die medizinische Ausbildung, das in Dutzenden Ausgaben nachgedruckt wur­de. So erschien z. B. 1837 in London ein sorgfältig ausgearbeiteter zwei­ spra­chiger „Schmierer“ für die ersten vier Bücher, der die elliptischen und verkürzenden Konstruktionen ergänzt und eine interlineare englische Über­ setzung und eine höchst kursorische Einführung in die lateinische Gramma­tik und Übersetzungstechnik bietet. Der ausgewiesene Zweck dieses Ban­des war,

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Zum Begriff einer lateinischen medizinischen Fachsprache siehe D. R. Langslow, Medi­cal Latin in the Roman empire, Oxford 2000. Zum pharmazeutischen Vokabular sie­he auch N. Everett, The alphabet of Galen. Pharmacy from antiquity to the middle ages, Toronto 2012. 3 Z. B. R. Putz und R. Pabst, Sobotta. Atlas der Anatomie des Menschen (21. Auflage), 2 Bände, München/Jena 2000.

Einleitung

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Studierende der Pharmazeutik (wohl solche ohne ausreichende Latein­ kenntnisse) auf ihre Abschlussprüfung vorzubereiten.4 Der Arzt Die letzte Celsus-Ausgabe, die sich ausdrücklich an Mediziner und nicht Phi­lo­lo­gen rich­tete, erschien 1876 in Paris.5 Zu diesem Zeitpunkt waren die For­schungen Pasteurs zur Keimtheorie und die Bestrebungen Semmelweisʼ zur Asepsis daran, das Verständnis vom Wesen der Krankheit grundlegend zu ver­ än­dern. Damit ver­lor das Werk Celsusʼ an Relevanz, da die Behandlung von Krankheiten (nicht Ver­letzungen!) bei Celsus naturgemäß nie über eine empi­ri­ sche Diagnose sowie lin­dernde Maßnahmen und Symptombekämpfung hinaus­ geht – und mangels Kenn­tnis der mikrobiellen Ursachen von Erkrankungen auch nicht hinausgehen kann. Dass er dabei im Rahmen seiner Weltsicht und seiner wissenschaftlichen Para­digmen eine Höchstleistung vollbrachte, ist unstrittig. Vom Standpunkt eines Mediziners ist ihm beschieden worden: „Cel­ sus meets the modern criteria addressed to a surgeon-scientist, who apart from practical surgical activity, also had a role as teacher of surgery and scientist.“6 Aber war Celsus praktizierender Arzt? Das moderne Berufsbild akademisch aus­­ge­bil­deter und staatlich approbierter Ärzte und Ärztinnen existierte in der Anti­ke freilich nicht. Es erscheint aber doch eher wahrscheinlich, dass der Verfasser von De medicina aus einem professionell erworbenen Wissens­ fundus schöpfen konn­te. Die in der (älteren) Literatur mitunter vertretene Auf­ fas­sung, Celsus habe als Zielpublikum an Gutsbesitzer gedacht, die ver­mittels dieses Handbuchs sich, ihre Familienmitglieder, Landarbeiter und Haussklaven selbst behandeln konn­ten, ist wenig glaublich. Dagegen spricht schon einmal das Fehlen aller Haus­m ittel und improvisierten Behand­lungen. Wer nach der Anleitung Celsusʼ prak­tizieren will, braucht ein vollständiges ärztliches Instrumentarium sowie Zugang zu einer reich ausgestatteten Apotheke, und einige Eingriffe, besonders sol­che der kosme­ti­schen und der Unfallchirurgie,

4

R. Venables, A literal interlinear translation of the first four books of Celsus de medi­ cina; with ‚ordo‘ and text. Translated from the text selected for the exami­nation of the Apothecariesʼ Hall, and other public boards; in which the elliptical con­­structions are completed by supplying the suppressed words, shewing the relations and concords of the different words with each other, London 1837. 5 A. Védrènes, Traité de médecine de A. C. Celse, traduction nouvelle avec texte latin, Paris 1876. 6 F. Köckerling, D. Köckerling, C. Lomas, Cornelius Celsus – ancient encyclopedist, surgeon-scientist or master of surgery?, in: Langenbeckʼs Archives of Surgery 398 (2013), 609–616, hier 609.

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Einleitung

übersteigen wohl die Fähig­keiten und auch den Tatendrang des ungeschulten Laien. Ferner ist auch deut­lich sicht­bar, dass die Patienten, von denen Celsus spricht, keine Arbeiter oder Skla­ven sein können. Was zum Beispiel im 1. Kapitel des 1. Buches über die „Lebensführung des gesunden Menschen“ gesagt wird, ist offenbar für wohlhabende Menschen bürgerlichen Standes mit ausreichend Muße bestimmt. Eben­so setzen die Vorschriften für die Behandlung von seelischen Erkrankungen (3,18,11) ein gewisses Maß an Bildung beim Pati­ en­ten voraus. Auch der Text selbst bietet einige Anhaltspunkte, den Verfasser als einen Fach­mann zu sehen, der für ein Fachpublikum schrieb. So wäre etwa das erste Proö­mium – die Geschichte der Medizin mit einem Abriss verschiedener Gedan­ken zur Wissenschaftstheorie – in einem rein praktischen Hausbuch voll­ kom­men überflüssig. Auch die Erwähnung eines offenbar bekannten und in medizinischen Kreisen vieldiskutierten Falls im 49. Abschnitt des ersten Proö­ miums setzt Insiderwissen und Professionalismus seitens der Leserschaft vor­ aus. Ebenso ist das Proömium des 7. Buches ohne jede Bedeutung für den medi­ zinisch dilettierenden Pater familias. In dieser ungeheuer gedrängten Ein­ leitung in die Chirurgie wird der ideale Kandidat für den chirurgischen Beruf vor­gestellt, wobei der Autor nebenher einige Streiflicher auf interne Fragen wirft, die nur für Fachleute von Relevanz sein können: Welche Fälle soll ich behan­deln, welche nicht? Das 4. Kapitel des 3. Buches legt eine ganz praktische ärztli­c he Ethik vor, die den Arzt als Diener seiner Patienten begreift, der Zuversicht schenken, aber keine falschen Hoffnungen vorspiegeln soll. Eine sar­donisch formulierte Spitze richtet sich gegen solche Ärzte, denen es in erster Linie um ihren eigenen finanziellen Vorteil zu tun ist (3,4,9–10). Solche Details sind ganz offenbar an Kollegen gerichtet. Aus diesen und zahlreichen anderen Anhaltspunkten7 ergibt sich mit ziem­ licher Sicherheit, dass Celsus nicht Laie war, sondern als Fachmann für ein Fach­­publikum schrieb. Selbst die Struktur des Textes kann gegebenenfalls als Hin­­weis auf eine Verwendung als Lehrwerk für den medizinischen Nachwuchs oder zumindest als eine Handreichung für Fachkollegen verstanden werden. Cel­­sus entwickelt seinen Stoff narrativ. Seine mitunter mehr assoziativ als struk­turiert erscheinende Verknüpfung von Gedanken erweckt eher den Ein­ druck eines Vortrags als den eines Nachschlagewerks. Als beliebiges Beispiel seien Celsusʼ zitierte Äußerungen über zu sehr gewinnorientierte Mediziner her­ausgegriffen (3,4,9–10). Diese Bemerkungen erscheinen recht unvermittelt im Verlauf einer Reihe von diätetischen Vorschriften im Fall von fiebrigen 7

Ch. Schulze, Aulus Cornelius Celsus – Arzt oder Laie? Autor, Kon­zept und Adressaten der De medicina libri octo, Trier 1999 (Bochumer Alter­tumswissenschaftliches Colloquium 42).

Einleitung

XI

Erkran­kungen. Nach der „Kollegenkritik“ wendet Celsus sich wieder dem eigent­lichen Thema zu, dies allerdings fast in der Form eines Postskriptums oder einer nachträglichen Anmerkung. Ganz Ähnliches geschieht im Abschnitt über Bisswunden (5,27), wo auf die Erörterung verschiedener Arten sol­cher Wunden ein Abschnitt über Vergiftungen und Gegengifte bis hin zu vor­ beugender Behandlung folgt. Das Stichwort für diesen Exkurs bieten selbst­ verständlich Schlangenbisse (5,27,11), aber er erscheint doch eher unvermutet und nicht als Bestandteil eines systematischen Kapitels. Das muss Abschreibern und Herausgebern späterer Jahrhunderte als eine Schwäche des Textes erschienen sein, der sie mittels einer Kapiteleinteilung und besonders mit zusam­menfassenden Kapitelüberschriften abhelfen wollten. Diese Einteilung und die verschiedenen Zusammenfassungen – unsere Ausgabe enthält solche aus einer Kölner Studienausgabe des 19. Jahrhunderts – decken sich nicht immer exakt mit dem Inhalt. Sie erwecken fallweise einen falschen Eindruck von einer Systematik, die durchaus nicht immer so streng vorhanden ist, wie das Inhalts­­verzeichnis glauben macht. So einleuchtend die Annahme auch ist, dass Celsus als Mediziner für Medi­ ziner schrieb, stellt sie uns dennoch vor ein anderes Problem. Wie eingangs gesagt, stellt De medicina nur einen Teil einer größer angelegten Enzyklopädie dar. Darauf weist bereits der erste Satz des Proömiums hin, der klarerweise nur dann Sinn ergibt, wenn er nicht als Ein-, sondern als Überleitung von einem Teil eines enzyklopädischen Werks zum nächsten gelesen wird. Dieses Werk, dessen Titel wohl Artes war, befasste sich außer mit der medizinischen Wis­ sen­schaft auch mit Bodenkultur, Rhetorik, Militärwesen, Philosophie und Jurisprudenz. Ist jedes dieser Fachgebiete mit ähnlicher Ausführlichkeit behan­ delt worden? Hat sein Verfasser zu jedem dieser Themen mit so viel Sach­ kenntnis geschrieben, wie er es zur medizinischen Wissenschaft getan hat? Wer war das Zielpublikum dieser verschollenen Bücher? Wenn wir annehmen wol­ len, dass Celsus in De medicina Wissen aus erster Hand darstellt, ist es schwer zu glauben, dass er sich mit ähnlicher Beherrschung des Stoffs zu jedem der doch eher disparaten Themen äußern konnte. Der Sprachschöpfer Für Karl Büchner ist Celsusʼ Enzyklopädie „ein Beispiel dafür, dass zu die­­­ser Zeit auch ein mittlerer Geist, dem es auf die Vermittlung von Sachen ankommt, klar und anständig schreiben kann.“8 Dieses Werturteil sei dahin­ gestellt – auch wenn gelegentlich Zweifel an der Qualität des über­lieferten Tex­ 8

K. Büchner, Römische Literaturgeschichte. Ihre Grundzüge in interpretierender Dar­ stellung (6. Auflage), Stuttgart 1994, 402.

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Einleitung

tes von De medicina laut wurden,9 dessen Mängel allerdings teil­weise sicher auf allgemeine Verständnisfehler auf Grund fehlenden medizini­schen, ana­ tomischen, pharmazeutischen und botanischen Spezialwissens der geistlichen Kopis­ten des Mittelalters zurückzuführen sind.10 Seine Sprachkunst im Dienst des Stoffs ist beachtlich. Als praktischer Lehr­ meister hält sich Celsus hinter den Tatsachen verborgen und tritt nur sel­ten mit persönlichen Meinungen aus dem Hintergrund. Sein Ziel ist eine Hand­ reichung, eine Unterweisung, nicht eine Streitschrift. Im Proömium des 1. Buches positioniert er sich als gemäßigter Anhänger der empirischen Schule und findet schroffe Worte der Ablehnung für die Vivisektion am Menschen. Er verurteilt das künstlich herbeigeführte Erbrechen der Schlemmer (1,3,17), das heute beinahe ein Gemeinplatz in Bezug auf römische Genusssucht geworden ist, und steht dem Luxusleben im Allgemeinen so kritisch gegenüber, dass sein engli­scher Übersetzer W. G. Spencer ihn lobend als Korrektiv für derartige Kli­ scheevorstellungen hervorgehoben hat.11 In dieser Funktion gibt der Praktiker und Pragmatiker Celsus Zeugnis vom „anwendungsorientierten, auf praktischen Nut­zen hin abzielenden Erkenntnisinteresse der Römer“.12 Warum also heute noch Celsus? Es ist unstrittig, dass der eine oder andere Rat des Praktikers Celsus auch heute noch seine Berechtigung hat. Besonders sei­ne Vorschriften zur gesunden Lebensführung klingen bisweilen geradezu modern. Wichtiger ist aber, was uns der Sprachschöpfer Celsus mitzuteilen hat. Das eigentlich Bleibende seiner Leistung, über die Klarheit des Ausdrucks hin­ aus, besteht darin, dass Celsus erst einen brauchbaren lateinischen Wortschatz für einen Fachbereich geschaffen hat, für den die Römer zuvor keine eigenen Aus­drücke besessen hatten. Die Beschäftigung mit seiner lateinischen Medi­ zinersprache macht uns Heutigen klar, „dass die Korrektheit des sprachli­ chen Ausdrucks kein Selbstzweck, dass sie nicht deshalb notwendig und wünschenswert ist, um ein als nicht mehr zeitgemäß empfundenes philolo­ gisches Steckenpferd zu reiten, sondern um auch in Zukunft zunehmend kom­ 9

D. Ollero Granados, New light on Celsusʼ „De medicina“, in: Sudhoffs Archiv 62,4 (1978), 359–377, hier 361. 10 K.-D. Fischer, Überlieferungs- und Verständnisprobleme im medizinischen Latein des frühen Mittelalters, Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte 17 (1994), 153–165, hier 155. Abschreib-, Druck- und Verständnisfehler sind selbstverständlich zu allen Zeiten möglich gewesen. 11 W. G. Spencer, Celsusʼ De medicina – a learned and experienced practitioner upon what the art of medicine could then accomplish, in: Proceedings of the Royal Society of Medicine 19 (1926), 129–139, hier 130. 12 K.-W. Weeber, Heureka! rief der Forscher in seinem Bade, in: Die schöne Mut­ter der Kultur. Unsere Grundlagen in der antiken Welt, hrsg. von W. Schön, Darmstadt 1998, 127–149, hier 130.

Einleitung

XIII

plexere Inhalte verstehen und präzise mitteilen zu können.“13 Hier steht Cel­sus an den Quellen der abendländischen, der europäischen medizinischen Wis­sen­ schaft. Und hierin hat ihn Paracelsus ganz deutlich in seiner Bedeutung erkannt. Erst er, der „Neben-Celsus“, der „Über-Celsus“ war, 15 Jahrhunderte spä­ter, der nächste Höhe- und Wendepunkt von ähnlicher Bedeutung. In diesem Sinn sind aber auch moderne Mediziner und Medizinerinnen ParaCel­si: Nachfolger, Weggefährten des Celsus, die das weiterführen, was der römi­sche Lehrmeister zur Grundlage der medizinischen Wissenschaft gemacht hat, aber auch Celsus-Vollender und -Überwinder, die, in letzter Konsequenz auf seinem Werk aufbauend, weit über das hinausgehen, was er geschaffen hat.

In Bezug auf die Benutzung spitzer Klammern (‹›) in unserer Ausgabe ist Folgendes anzumerken: Dem lateinischen Text liegt die bei Teubner erschienene textkritische Edition von Friedrich Marx zugrunde (A. Cornelii Celsi quae supersunt, recensuit Fridericus Marx, Lipsiae et Berolini 1915 = Corpus medicorum Latinorum 1). Weil aus drucktechnischen Gründen aber Marxʼ Unterscheidung zwi­s chen Konjekturen (kursiv gesetzt) und Ergänzungen (zumeist aus dem codex J, bei Marx in spitzen Klammern) nicht abgebildet werden kann, sind im vorliegenden Werk für beides spitze Klammern verwendet. Für eine aus­f ührlichere Behandlung dieser Frage sei auf die textkritische Ausgabe von Marx und auf M. D. Reeve, Celsus, in: Reynolds, L. D. (Hrsg.), Texts and trans­mission. A survey of the Latin classics, Oxford 1983, 46f. (s. auch Anm. 1 zur Textgestaltung des zweiten Bandes und die Biblio­­ graphie im dritten Band) verwiesen. 13

Fischer (wie Anm. 10), 161.

Nachwort Celsus, der praktische Denker, scharfe Beobachter und ausgezeichnete Schil­­ de­rer und Stilist bedarf eigentlich keiner abschließenden Würdigung, da sein Werk ganz ohne Weiteres für sich selbst sprechen kann. Seine Leistun­gen als Wissenschaftler, Kompilator, Systematiker und vor allen Dingen Sprach­­ schöp­fer, die ihn den bedeutenden Gestalten der europäischen Wissen­schafts­ geschichte zur Seite stellen, sind bereits in der Einleitung angedeutet wor­den. Die Klarheit seiner Argumentation und die Schlüssigkeit seiner Dar­stellung sind auf jeder Seite seiner Abhandlung erkennbar und müssen nicht eigens her­­vor­gehoben werden. Ich möchte mich an dieser Stelle also einfach darauf beschränken, jenen Personen und Einrichtungen aufrichtig zu danken, ohne deren Hilfe und Förderung dieses Buch nicht hätte entstehen können: Herrn Prof. Dr. Martin Hose, dem Bandherausgeber, der die Arbeit überhaupt erst ermöglicht hat, Frau Dr. Federica Casolari-Sonders, der für die Wissenschaftliche Redaktion und Schriftleitung der Reihe Edition Antike Verantwortlichen, die diese Bände in bei­spiel­hafter Weise und mit herausragender Sorgfalt betreut und begleitet hat, Herrn Prof. (em.) Dr. Dr. h. c. Reinhard Putz, der die Übersetzung ebenso wie den Kommentar durch zahlreiche anatomische und medizinische Hinweise berei­­­chert hat, Herrn Prof. Dr. Maximilian Fussl für praktische und ideelle Unterstützung, Frau Julia Rietsch von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft sowie der Foley Center Library der Gonzaga University, Spokane (USA), die ihr Exemplar der Marxschen kritischen Ausgabe zur Verfügung gestellt hat.

Walla Walla (USA), im Oktober 2015

Thomas Lederer

Inhalt des ersten Bandes Liber I / 1. Buch Prooemium / Einleitung Caput I. Quemadmodum sanos agere conveniat / 1. Kapitel: Die Lebensführung des gesunden Menschen Caput II. Quae imbecillis servanda sint / 2. Kapitel: Vorschriften für Krank­ heits­­anfällige Caput III. Observationes quaedam, prout res novae incidunt, et corporum gene­ ra et sexus et aetates et tempora anni sunt / 3. Kapitel: Allgemeine Bemerkun­ gen über außergewöhnliche Umstände, die körperliche Konstitution, das Geschlecht, das Alter und die Jahreszeit Caput IV. De iis, qui aliqua parte corporis laborant, et primum de iis, quibus caput infirmum est / 4. Kapitel: Beschwerden an verschiedenen Körperteilen, vor­­rangig Kopfschmerzen Caput V. De iis, qui lippitudine, gravedine, destillatione tonsillisque laborant /  5. Kapi­tel: Patienten mit Augenentzündung, Schnupfen, Katarrh und Mandel­ ent­zündung Caput VI. Ad solutam alvum remedia / 6. Kapitel: Mittel für einen zu lockeren Stuhl Caput VII. Remedia ad coli dolorem / 7. Kapitel: Mittel bei Schmerzen im Dick­darm Caput VIII. Quae agenda sint stomacho laborantibus / 8. Kapitel: Maßnahmen bei Magenschmerzen

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Inhalt

Caput IX. Quid observandum sit dolore nervorum laborantibus / 9. Kapi­ tel: Verhaltensmaßregeln bei Muskelschmerzen Caput X. Observatio in pestilentia / 10. Kapitel: Verhalten bei Seuchen

Liber II / 2. Buch Praefatio / Vorbemerkung Caput I. Quae anni tempora, quae tempestatum genera, quae partes aetatis, qua­ lia corpora vel tuta vel morbis opportuna sint, et quod valetudinis genus in quo­que timeri possit / 1. Kapitel: Welche Jahreszeiten, welche Witterungs­ver­ hältnisse, welche Lebensabschnitte, welche Arten von körperlicher Ver­fassung gefahrlos sind und welche Krankheitsrisiken bergen, und welche gesund­ heitlichen Probleme in jedem dieser Fälle besonderen Anlass zur Sorge geben Caput II. De signis adversae valetudinis futurae  / 2. Kapitel: Anzeichen nahen­ der Krankheit Caput III. Quae bona in aegrotantibus signa sint / 3. Kapitel: Anzeichen von Bes­se­rung Caput IV. Mala signa aegrotantium / 4. Kapitel: Schlechte Anzeichen bei Kran­ ken Caput V. De signis longae valetudinis / 5. Kapitel: Die Anzeichen einer lang­ wie­ri­gen Krankheit Caput VI. De indiciis mortis / 6. Kapitel: Die Vorzeichen des Todes Caput VII. De notis, quas aliquis in singulis morborum generibus habere pos­ sit / 7. Kapitel: Die Vorzeichen verschiedener Arten von Erkrankungen Caput VIII. Quae notae in quoque morbi genere vel spem vel pericula osten­ dant / 8. Kapitel: Vorzeichen, die je nach Art der Krankheit Anlass zur Hoff­ nung oder Sorge geben Caput IX. De morborum curationibus / 9. Kapitel: Die Behandlung von Krank­ heiten

2. Buch

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Caput X. De sanguinis detractione per venas / 10. Kapitel: Der Aderlass Caput XI. De sanguinis detractione per cucurbitulas / 11. Kapitel: Die Blut­ abnahme mittels Schröpfköpfen Caput XII. De deiectione. De alvi ductione / 12. Kapitel: Das Abführen. Der Ein­lauf Caput XIII. De vomitu / 13. Kapitel: Das Erbrechen Caput XIV. De frictione / 14. Kapitel: Die Massage Caput XV. De gestatione / 15. Kapitel: Die Wiegebewegung Caput XVI. De abstinentia / 16. Kapitel: Das Fasten Caput XVII. De sudore / 17. Kapitel: Das Schwitzen Caput XVIII. Qui cibi potionesque aut valentis aut mediae aut imbecillae mate­ riae sint / 18. Kapitel: Speisen und Getränke, je nachdem, ob sie stofflich kräf­ tig, durchschnittlich oder schwach sind Caput XIX. Quae natura ac proprietas cuiusque rei sit, qua vescimur / 19. Kapi­ tel: Das Wesen und die Eigenschaften unserer Nahrungsmittel Caput XX. De iis, quae boni suci sunt / 20. Kapitel: Lebensmittel mit gutem Saft Caput XXI. De iis, quae mali suci sunt / 21. Kapitel: Lebensmittel mit schlech­ tem Saft Caput XXII. Quae res lenes quaeve acres sint / 22. Kapitel: Schale und scharfe Lebens­mittel Caput XXIII. De iis, quae crassiorem quaeve tenuiorem pituitam faciunt /  23. Kapi­tel: Dinge, die den Schleim verdicken oder verdünnen Caput XXIV. De iis, quae stomacho idonea sunt / 24. Kapitel: Dinge, die sich dem Magen gut fügen

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Inhalt

Caput XXV. Quae res alienae stomacho sint / 25. Kapitel: Dinge, die dem Magen unverträglich sind Caput XXVI. De iis, quae inflant / 26. Kapitel: Dinge, die Blähungen hervorru­ fen Caput XXVII. De iis, quae calefaciunt aut refrigerant / 27. Kapitel: Dinge, die erwär­men oder abkühlen Caput XXVIII. De iis, quae intus facile corrumpuntur / 28. Kapitel: Dinge, die sich im Körper leicht zersetzen lassen Caput XXIX. De iis, quae alvum movent / 29. Kapitel: Dinge, die den Stuhl­ gang fördern Caput XXX. De iis, quae alvum adstringunt / 30. Kapitel: Dinge, die den Stuhl­gang hemmen Caput XXXI. De iis, quae urinam movent / 31. Kapitel: Dinge, die den Harn­ drang fördern Caput XXXII. De iis, quae ad somnum apta sunt / 32. Kapitel: Dinge, die dem Schlaf förderlich sind Caput XXXIII. De iis, quae materiam evocant / 33. Kapitel: Dinge, die den Krank­heitsstoff abziehen

Liber III / 3. Buch Caput I. De morborum generibus / 1. Kapitel: Die Krankheiten nach Kate­ gorien Caput II. Quomodo morbi cognoscantur, et an increscant an minuantur, et qua ratio­ne ab initio, qui languere incipit, curari debeat / 2. Kapitel: Die Diagnose von Krankheiten, ob Verschlechterung oder Besserung eintritt, und auf welche Wei­se der Patient bei beginnender Mattigkeit von Anfang an behandelt werden muss Caput III. De febrium generibus / 3. Kapitel: Das Fieber nach Kategorien

3. Buch

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Caput IV. De curationum diversis generibus / 4. Kapitel: Behandlungsmethoden nach Kategorien Caput V. De febrium speciebus et singularum curationibus; quando cibus febri­ citantibus dandus sit / 5. Kapitel: Das Fieber, seine Erscheinungsformen und deren Heilung. Wann soll man einem Fieberkranken Nahrung reichen? Caput VI. Quando potiones febricitantibus dari expediat / 6. Kapitel: Wann man einem Fiebernden am besten zu trinken gibt Caput VII. Quomodo pestilentes febres curari debeant. Curatio ardentis febris / 7. Kapitel: Die Heilung von Seuchenfiebern und brennendem Fieber Caput VIII. Curatio semitertianae febris, quae ἡμιτριταῖος dicitur / 8. Kapi­ tel: Das Semitertianfieber oder Hemitritaios und seine Behandlung Caput IX. Curatio lentarum febrium / 9. Kapitel: Schleichende Fiebererkran­ kun­gen und ihre Behandlung Caput X. Remedia in febribus ad capitis dolorem et praecordiorum inflamma­ tio­nem et ariditatem et scabritiem linguae / 10. Kapitel: Heilmittel gegen Kopf­ schmerz, Entzündung der Brust und trockene, belegte Zunge bei Fiebererkran­ kungen Caput XI. Remedia contra frigus, quod febrem praecedit / 11. Kapi­ tel: Heilmittel gegen das Kältegefühl, das dem Fieber vorangeht Caput XII. Curatio horroris in febribus / 12. Kapitel: Die Behandlung von Schüt­tel­frost bei Fieber Caput XIII. Curatio quotidianae febris / 13. Kapitel: Die Behandlung von Quo­ ti­dian­fieber Caput XIV. Curatio tertianae febris / 14. Kapitel: Die Behandlung von Tertian­ fieber Caput XV. Curatio quartanae febris / 15. Kapitel: Die Behandlung von Quar­ tanfieber Caput XVI. Curatio duarum quartanarum / 16. Kapitel: Die Behandlung von zwei (gleichzeitigen) Quartanfiebern

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Inhalt

Caput XVII. Curatio quotidianae febris, quae ex quartana facta sit / 17. Kapi­­ tel: Die Behandlung eines aus einem Quartanfieber entstandenen Quoti­ dianfiebers Caput XVIII. De tribus insaniae generibus, et primum, de eius curatione, quae a Graecis φρένησις dicitur. / 18. Kapitel: Die drei Arten von Geisteskrankheit. Erstens: Die Behandlung jener Geisteskrankheit, die die Griechen Phrenesis nen­nen Caput XIX. De cardiacis / 19. Kapitel: Magenkranke Caput XX. De lethargicis / 20. Kapitel: Lethargiker Caput XXI. De hydropicis / 21. Kapitel: Wassersüchtige Caput XXII. De tabe et eius speciebus / 22. Kapitel: Die Auszehrung und ihre Erschei­nungsformen Caput XXIII. De comitiali morbo / 23. Kapitel: Die Epilepsie Caput XXIV. De regio morbo / 24. Kapitel: Die Gelbsucht Caput XXV. De elephantia / 25. Kapitel: Elephantiasis Caput XXVI. De attonitis / 26. Kapitel: Wenn einen der Schlag trifft Caput XXVII. De resolutione nervorum. De dolore nervorum. De tremore ner­ vo­rum. De suppurationibus internis / 27. Kapitel: Muskellähmung, Muskel­ schmer­zen, Muskelzittern, innere Eiterungen

A. CORNELII CELSI DE MEDICINA LIBRI VIII (LIBRI I–III)

A. CORNELIUS CELSUS DIE MEDIZINISCHE WISSENSCHAFT IN ACHT BÜCHERN (BÜCHER 1–3)

LIBER I Prooemium (1)  Ut alimenta sanis corporibus agricultura, sic sanitatem aegris Medicina pro­­­­mittit. Haec nusquam quidem non est, siquidem etiam inperitissimae gen­­tes her­bas aliaque promta in auxilium vulnerum morborumque nove­runt.  (2)  Verum tamen apud Graecos aliquanto magis quam in ceteris natio­nibus exculta est, ac ne apud hos quidem a prima origine, sed paucis ante nos saeculis. Ut pote cum vetustissimus auc­tor Aesculapius celebretur, qui quo­niam adhuc rudem et vulgarem hanc scientiam paulo subtilius excoluit, in deorum numerum receptus est.  (3)  Huius deinde duo filii Podalirius et Machaon bello Troiano ducem Aga­ memnonem secuti non mediocrem opem com­militonibus suis attulerunt; quos tamen Homerus non in pestilentia neque in variis generibus morborum aliquid adtu­lisse auxilii, sed vulneribus tantum­modo ferro et medicamentis mederi soli­ tos esse proposuit.  (4)  Ex quo apparet has partes medicinae solas ab is esse te‹m›tatas, easque esse vetustissimas. Eodem vero auctore disci potest morbos tum ad iram deorum inmortalium rela­­tos esse, et ab isdem opem posci solitam verique simile est inter *** nulla auxi­lia adver­sae valetudinis, plerumque tamen eam bonam contigisse ob bonos mores, quos neque desidia neque luxuria vitiarant;  (5)  siquidem haec duo corpora prius in Graecia, deinde apud nos adflixerunt ideoque multiplex ista medi­cina, neque olim neque apud alias gentes necessaria, vix aliquos ex nobis ad senectutis principia per­­ducit. Ergo etiam post eos, de quibus re‹t›tuli, nulli clari viri medicinam exercu­ erunt, donec maiore studio litterarum disciplina agitari coepit;

1. BUCH Einleitung (1)  Ebenso wie die Landwirtschaft dem gesunden Menschen Nahrung gibt, gibt die Medizinische Wissenschaft den Kranken die Gesundheit wieder. Diese Wis­sen­schaft ist nirgendwo gänzlich unbekannt, besaßen doch sogar völlig unzivilisierte Völ­kerschaften ein Wissen um Kräuter und andere Hilfsmittel zur Heilung von Wunden und Krankheiten.  (2)  Bei den Griechen ist sie jedoch mehr als bei anderen Völkern gepflegt worden. Dies war allerdings nicht von allem Anfang an der Fall, sondern erst in den Jahrhunderten unmittelbar vor unserer Zeit. Darum ist Asklepios als der früheste medizinische Fachmann allgemein anerkannt, und man hat ihn sogar unter die Götter versetzt, denn er hat diese Wissenschaft, schon als sie noch roh und unbeholfen war, etwas ver­feinert.   (3)  Später zogen seine beiden Söh­ne, Podaleirios und Machaon, mit Agamemnon in den Trojanischen Krieg und waren ihren Kameraden von großem Nutzen. Allerdings berichtet Homer nicht etwa, dass sie irgendein Mit­tel gegen die Pest oder verschiedenste Krankheiten besaßen, son­dern nur, dass sie regelmäßig Wunden behandelten, und zwar sowohl operativ als auch mit Medikamenten.  (4)  Das erlaubt nun den Schluss, dass sie nur diese zwei Bereiche der Heilkunst ausübten und dass diese eben auch die ältesten sind. Aus derselben Quelle erfahren wir freilich, dass man Krankheit damals mit dem Zorn der unsterblichen Götter in Verbindung brachte und diese gewöhn­ lich um Hilfe dagegen anrief. Auch ist anzunehmen, dass die Menschen sich damals, wie­wohl . . . noch keine Heilmittel für gesundheitliche Probleme vor­ handen waren, meist guter Gesundheit erfreuten, und zwar wegen ihrer guten Lebens­führung, die weder durch Müßiggang noch durch Las­ter angekränkelt war.  (5)  Diese beiden sind es nämlich, was – zuerst in Grie­chenland und nun auch bei uns – die Leute krank macht. Also ist die Heil­kunst selbst auf jenem hohen Niveau, das früher nicht not­wendig war und bei ande­ren Völkern nicht not­wendig ist, kaum imstande, auch nur einige von uns an die Schwelle des Greisenalters zu bringen. Im Anschluss an die Erwähnten haben denn auch keine bedeutenden Män­ner mehr die Heilkunst ausgeübt, bis man sich mit größerem Ernst den schöngeis­ tigen Wis­sen­schaften zu widmen begann.

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(6)  quae ut animo praecipue omnium necessaria, sic corpori inimica est. Pri­ mo­que medendi scientia sapientiae pars habebatur, ut et morborum curatio et rerum naturae contemplatio sub isdem auctoribus nata sit:  (7)  scilicet is hanc maxime requi­rentibus, qui corporum suorum robora quie­ ta cogitatione nocturnaque vigilia minuerant. Ideoque multos ex sapientiae profes­sori­bus peritos eius fuisse accipimus, clarissimos vero ex is Pythagoran et Enpe­doclen et Democritum.  (8)  Huius autem, ut quidam crediderunt, dis­ci­pulus Hip­po­crates Cous, primus ex omnibus memoria dignus, a studio sapi­entiae disciplinam hanc sepa­ravit, vir et arte et facundia insig­nis. Post quem Diocles Carystius, dein­de Praxagoras et Chrysippus, tum Hero­philus et Erasistratus sic artem hanc exercu­erunt, ut etiam in diversas curandi vias pro­cesserint.  (9)  Isdemque temporibus in tres partes medicina diducta est, ut una esset quae victu, altera quae medicamentis, tertia quae manu mederetur. Pri­mam διαιτητικὴν secundam φαρμακευτικὴν tertiam χειρουργίαν Graeci nomina­runt. Eius autem, quae victu morbos curat, longe clarissimi auctores etiam altius quae­­­dam agitare cona­ti, rerum quoque naturae sibi cognitionem vindicarunt, tam­­quam sine ea trun­ca et debilis medicina esset.  (10)  Post quos Serapion, pri­ mus omnium nihil hanc rationalem disciplinam pertinere ad medicinam pro­­fes­­ sus, in usu tan­tum et expe­rimentis eam posuit. Quem Apollonius et Gla­­u­­cias et ali­quan­to post Heraclides Taren­tinus et aliqui non mediocres viri secu­ti ex ipsa pro­fessione se empiricos [ἐμπειρικοὺς] appellaverunt. (11)  Sic in duas partes ea quoque, quae victu curat, medicina divisa est, aliis ratio­­nalem artem, aliis usum tantum sibi vindicantibus, nullo vero quicquam post eos, qui supra comprehensi sunt, agitante, nisi quod acceperat, donec Ascle­­pia­des medendi rationem ex magna parte mutavit. Ex cuius successoribus The­mison nuper ipse quoque quaedam in senectute deflexit. Et per hos quidem maxi­me viros salu­taris ista nobis professio increvit. (12)  Quoniam autem ex [tribus] medicinae partibus ut difficillima, sic etiam cla­ris­sima est ea, quae morbis medetur, ante omnia de hac dicendum est. Et quia

1, Einleitung 6–12

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(6)  So nützlich dies nämlich für den Geist ist, so schädlich ist es für den Kör­­ per. Anfangs wurde die Heilkunde als Teil der Philosophie begriffen, sodass die­ selben Fach­leute sich mit der Behandlung von Krankheiten und der Erfor­schung von Natur­erscheinungen befassten. (7)  Das war aber auch sehr notwendig für sie, da das viele Denken im Sit­ zen und die durchwachten Nächte ihre körperliche Verfassung arg in Mit­lei­ denschaft zogen. So wissen wir, dass viele Lehrmeister der Philosophie eben auch in der medi­zinischen Wissenschaft bewandert waren, wie etwa Pytha­go­ ras, Empedokles und Demokritos.  (8)  Manche nehmen an, dass ein Schü­ler des letzteren, Hippokra­tes von Kos, als erster die medizinische Wis­sen­schaft aus dem Bereich der Phi­lo­so­phie herausgelöst habe. Dieser war ein ganz bemer­ kenswerter Mann und zeich­nete sich durch Kenntnisreichtum und Über­zeu­­­ gungskraft aus. Nach ihm übten Diokles von Karystos, Praxagoras und Chrys­ ippos sowie Herophilos und Era­sistratos die Heilkunst aus, und zwar mit so viel Erfolg, dass sie verschiedene Behand­lungsverfahren heraus­arbeiten konn­­ten. (9)  Damals wurde die medizinische Wissenschaft in drei Bereiche geglie­ dert. Der erste befasste sich mit Krankheiten, die durch Änderung der Lebens­ führung behan­d elt werden, der zweite mit Krankheiten, die mit Arzneien behan­delt werden, und der dritte mit Krankheiten, die durch Handanlegung geheilt werden. Die Griechen bezeich­neten den ersten Bereich als Diätetik, den zweiten als Pharmazeutik und den dritten als Chirurgie. Doch gerade in dem Bereich, der die Krankheiten durch Ände­rungen der Lebensführung heilt, stell­ten die herausragendsten Lehrmeister einge­hendere Forschungen an und nah­men für sich auch ein Wissen um das Wesen der Din­ge in Anspruch, als sei die medizinische Wissenschaft ohne dieses unvollständig und nichtig.  (10)  Im Anschluss an die oben Genannten erklärte Serapion, dass das deduk­tive Ver­ fah­ren für die medizinische Wissenschaft gänzlich ungeeignet sei, und stellte sie ausschließlich auf praktische und experimentelle Grundlagen. Ihm folg­ten Apollonios und Glaukias sowie etwas später Herakleides von Tarent und ande­ re Männer von einiger Bedeutung. Ihrer Auffassung entsprechend nann­ten sie sich Empiriker. (11)  So wurde auch jener Bereich der medizinischen Wissenschaft, dessen Erfolg auf Änderung der Lebensführung beruht, in zwei Teile gegliedert. Eini­ ge postu­lier­ten eine rein spekulative Wissenschaft, andere eine praktische. Aber nach den Obgenannten befasste sich jeder eigentlich bloß noch mit der Tra­di­ tion, der er jeweils selber entstammte, bis Asklepiades die medizinische Wis­sen­ schaft von Grund auf umbaute. Unter seinen Nachfolgern wich erst The­mi­son im hohen Alter von der Lehre des Meisters ab. Und es sind Männer wie diese, die unserem gesund­heitsfördernden Beruf erst zum Gedeihen ver­hal­fen. (12)  Von den [drei] Bereichen der medizinischen Wissenschaft ist derjenige der schwierigste, aber auch der bedeutendste, welcher sich mit der Heilung

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pri­ma in e‹o› dissensio est, quod alii sibi experimentorum tantummodo notitiam neces­­sariam esse contendunt, alii nisi corporum rerumque ratione comperta non satis potentem usum esse proponunt, indicandum est, quae maxime ex utraque par­­­­te dicantur, quo facilius nostra quoque opinio interponi possit. (13)  Igitur ii, qui rationalem medicinam profitentur, haec necessaria esse pro­­­ponunt: abditarum et morbos continentium causarum notitiam, deinde evi­ den­­tium; post haec etiam naturalium actionum, novissime partium interiorum. (14)  Abditas causas vocant, in quibus requiritur, ex quibus principiis nostra cor­­pora sint, quid secundam, quid adversam valetudinem faciat. Neque enim cre­­dunt posse eum scire, quomodo morbos curare conveniat, qui unde sint igno­ ret; neque esse dubium quin alia curatione opus sit, si ex quattuor principiis vel superans aliquod vel deficiens adversam valetudinem creat, ut quidam ex sapi­­en­­tiae professoribus dixerunt:   (15)  alia, si in umidis omne vitium est, ut Hero­­philo visum est; alia, si in spiritu, ut Hippocrati; alia, si sanguis in eas venas, quae spiritui accommodatae sunt, transfunditur et inflammationem, quam Grae­­ci φλεγμονὴν nominant, excitat, eaque inflammatio talem motum efficit, qua­lis in febre est, ut Erasistrato pla­cuit;  (16)  alia, si manantia corpuscula per invi­sibilia foramina subsistendo iter clau­dunt, ut Asclepiades contendit: eum vero recte curaturum, quem prima origo causae non fefellerit. Neque vero infi­ tian­tur experimenta quoque esse necessaria, sed ne ad haec quidem aditum fie­ri potuisse nisi ab aliqua ratione contendunt:  (17)  non enim quidlibet anti­ quiores viros aegris inculcasse, sed cogitasse quid maxime con­ve­niret, et id usu explo­rasse, ad quod ante coniectura aliqua duxisset. Neque inter­esse, an nunc iam pleraque explorata sint ***, si a consilio tamen coeperunt. Et id quidem in multis ita se habere. Saepe vero etiam nova incidere genera morborum, in quibus nihil adhuc usus ostenderit et ideo necessarium sit animadvertere, unde ea coeperi‹n›t; sine quo nemo reperire mortalium possit, cur hoc quam illo potius utatur. Et ob haec quidem in obscuro positas causas persecuntur.

1, Einleitung 12–17

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von Krank­heiten befasst. Darum müssen wir ihn hier auch zuerst erörtern. Es besteht hier aber eine grundsätzliche Verschiedenheit der Auffassungen. Eini­ ge behaupten, dass alles notwendige Wissen allein auf experimentellem Wege erwor­ben werden kön­ne. Andere halten dawider, die Praxis reiche nicht aus, es sei denn, wenn ihr eine theo­re­tisch erworbene Kenntnis des menschlichen Kör­pers und der Welt vorangehe. Darum möchte ich hier die wichtigsten Argu­ mente für beide Standpunkte vorstellen, um dann umso leichter meine eige­nen Ansichten einflechten zu können. (13)  Die Vertreter einer deduktiven medizinischen Wissenschaft behaupten, Fol­­gen­­des sei unabdingbar: Kenntnis verborgener Ursachen, die mit Krank­hei­ ten zu tun haben, sodann Kenntnis offensichtlicher Ursachen und schlussend­lich Kenntnis der inneren Organe. (14)  Als verborgene Ursachen bezeichnen sie alles, wodurch sich erforschen lässt, worin der Urstoff des menschlichen Körpers bestehe, sowie was der Gesundheit zu- und was ihr abträglich sei. Sie glauben nämlich, es sei nicht möglich, dass jemand Krank­heiten zu heilen verstehe, der nicht wis­se, woher sie kämen. Auch bestehe kein Zweifel, dass unterschiedlichste Behand­­ lungs­­weisen notwendig seien: etwa, wenn ein Zuviel oder Zuwenig unter den vier Elementen die Gesundheit schwäche, wie einige Philosophen lehr­ ten,  (15)  oder wenn das Leiden ganz in den Säften, wie Hero­philos es für richtig hielt, oder im Atem begründet liege, wie Hippokrates meinte, oder wenn Blut in jene Gefäße eindringe, die dem Lebenshauch vorbehalten sei­ en, und dort jene Entzündung hervorrufe, die die Griechen Phlegmone nen­ nen, wobei die­se Entzündung dieselbe Wallung wie das Fieber mit sich brin­ ge, wie Erasistratos annahm,  (16)  oder wenn kleinste Teilchen, die durch nicht sichtbare Poren dringen und dort steckenbleiben und den Durchgang ver­­sperren, wie Asklepiades behauptet hat. Die richtige Behandlung werde also derjenige wählen, der sich im Erkennen der Ursache nicht habe täuschen las­­sen. Freilich leugnen sie nicht, dass auch die Erfah­rung notwendig sei. Sie behaup­ten jedoch, es sei unmöglich, diese anders als durch deduktives Denken zu erlangen.  (17)  Schließlich seien die Alten ja auch nicht den Kranken ein­ fach irgendwie auf den Leib gerückt, sondern hätten überlegt, was wohl am ehesten angemessen sei, und hätten dann die Ergebnisse ihrer Mut­ma­ßungen einer experimentellen Untersuchung anheimgestellt. Es sei auch neben­­sächlich, dass heutzutage bereits so vieles erforscht sei . . . , wenn sie doch eine Aus­ gangs­hypothese aufstellten. Und dies sei oft der Fall gewesen. Oft zeigten sich auch neue Krankheiten, bei denen es noch überhaupt keine Erfahrungswerte gebe, und daher sei es einfach notwendig, gedanklich nach­zu­voll­ziehen, woher sie ihren Ursprung genommen haben könnten. Ohne der­lei könne kein Mensch feststellen, ob ein bestimmtes Heilmittel einem ande­ren vorzuziehen sei. Und eben deswegen erfor­schen sie die Ursachen, die im Verborgenen liegen.

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(18)  Evidentes vero has appellant, in quibus quaerunt, initium morbi calor attu­lerit an frigus, fames an satietas, et quae similia sunt: occursurum enim vitio dicunt eum, qui originem non ignorarit. (19)  Naturales vero corporis actiones appellant, per quas spiritum trahimus et emit­timus, cibum potionemque et adsumimus et concoquimus, itemque per quas eadem haec in omnes membrorum partes digeruntur. Tum requirunt etiam, qua­re venae nostrae modo summittant se, modo attollant; quae ratio som­ni, quae vigiliae sit; sine quorum notitia neminem putant vel occurrere vel mederi mor­bis inter haec nas­centibus posse.  (20)  Ex quibus quia maxime per­tinere ad rem concoctio videtur, huic potissimum insistunt; et duce alii Era­sistrato teri cibum in ventre contendunt, alii Plistonico Praxagorae discipulo putres­cere; alii credunt Hippocrati per calorem cibos concoqui; acceduntque Ascle­piadis aemuli, qui omnia ista vana et supervacua esse proponunt: nihil enim concoqui, sed crudam materiam, sicut adsumpta est, in corpus omne didu­­ci. (21)  Et haec quidem inter eos parum constant: illud vero convenit, alium dan­­­dum cibum laborantibus, si hoc, alium, si illud verum est: nam si teritur in­tus, eum quaerendum esse, qui facillime teri possit; si putrescit, eum, in quo hoc expeditis­simum est; si calor concoquit, eum, qui maxime calorem movet:  (22)  at nihil ex his esse quaerendum, si nihil concoquitur, ea vero sumen­da, quae maxime manent, qualia adsumpta sunt. Eademque ratione, cum spi­ritus gravis est, cum somnus aut vigilia urguet, eum mederi posse arbi­trantur, qui prius illa ipsa qualiter eveniant per­ceperit. (23)  Praeter haec, cum in interioribus partibus et dolores et morborum varia gene­ra nascantur, neminem putant his adhibere posse remedia, qui ipsa‹s› igno­­ ret. Ergo necessarium esse incidere corpora mortuorum, eorumque vis­cera atque intestina scrutari; longeque optime fecisse Herophilum et Erasistratum,

1, Einleitung 18–23

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(18)  Als offensichtlich bezeichnen sie solche Ursachen, hinsichtlich welcher sie fra­gen, ob die Ursache der Krankheit Hitze oder Kälte, Hunger oder Über­ druss oder etwas dergleichen sei. Sie sagen, dass man gegen ein Leiden auf­tre­ ten könne, wenn man über dessen Ursprung genau Bescheid wisse. (19)  Als natürliche körperliche Vorgänge bezeichnen sie das Ein-und Aus­ atmen, die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, die Verdauung und den Vor­­gang, durch wel­chen jedem kleinsten Körperteil Nahrung und Flüssigkeit zuge­führt werde. Sie erforschen auch, warum die Blutgefäße sich bald zusam­­­ men­­ziehen und bald erweit­e rn und was die Beziehung von Schlafen und Wachen untereinander sei. Ohne Kenntnis dieser Dinge, so meinen sie, kön­ne niemand gegen die Krank­heiten unternehmen, die aus deren Wech­selwirkungen ent­stünden, oder sie gar heilen.  (20)  Unter diesen Vorgän­gen scheint die Ver­ dauung der wesentlichste zu sein, daher befassen sie sich beson­ders intensiv damit. Einige behaupten mit Era­si­stratos, die Speisen wür­den im Magen zer­ mahlen, andere behaupten mit Pleis­tonikos, einem Schüler des Pra­xagoras, sie ver­westen dort. Wieder andere schlie­ßen sich der Lehre des Hippo­krates an, die Verdauung erfolge durch Wärme. Daneben gibt es auch noch die Jünger des Asklepiades, die das alles für falsch und über­flüssig erklä­ren, da überhaupt kei­ne Verdauung stattfinde und die Stoffe sich roh, wie sie verzehrt würden, auf den ganzen Körper verteilten. (21)  In diesen Dingen herrscht wenig Übereinkunft. Eines aber folgt daraus: Wenn die eine Auffassung zutrifft, bedürfen Kranke einer Art von Diät, aber wenn die andere Auffassung zutrifft, bedürfen sie einer anderen. Werden die Spei­sen näm­lich zermahlen, so wird man sich für solche entscheiden, die leicht zer­­mahlen wer­den können. Verwesen sie, wird die Wahl auf etwas fallen, das rasch verwest.1 Erfolgt die Verdauung durch Wärme, wird man etwas wäh­len, das am ehesten die Wär­me fördert.2  (22)  Nichts von alledem müsse jedoch erör­tert werde, wenn keine Ver­dauung stattfinde, denn dann sei es am bes­ten, Din­ge zu verzehren, die am ehes­ten ihren Zustand auch nach dem Ver­zehr bei­ behielten. In gleicher Weise halten sie auch bei Atembeschwerden, Schlaf­sucht oder Schlaflosigkeit dafür, dass derjenige am besten Heilung verschaf­fen könne, der Einblick in den Ablauf dieser Vorgänge habe (23)  Weil ferner in den inneren Organen sowohl Schmerzen als auch ver­ schiedene Arten von Krankheit entstehen, glauben sie, niemand könne ein Heil­mittel anwen­den, der nicht Kenntnis von diesen Organen habe. Darum sei es notwendig, Leich­na­me zu sezieren und deren Eingeweide und Gedärme zu untersuchen. Herophilos und Erasistratos hätten auf diesem Gebiet die bedeu­ tend­sten Leistungen vollbracht, indem sie nämlich Verbrecher, die ihnen ihre 1 2

2,28. 2,27.

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qui nocentes homines a regibus ex carcere acceptos vivos inciderint,  (24)  con­ siderarintque etiamnum spi­ritu remanente ea, quae natura ante clau­­­­­­­sis­­set, eorumque positum, colorem, figuram, magnitudinem, ordinem, duri­tiem, mol­ litiem, l‹e›vorem, contactum, pro­ces­sus deinde singulorum et recessus, et sive quid inseritur alteri, sive quid partem alterius in se reci­pit:  (25)  neque enim, cum dolor intus incidit, scire quid doleat eum, qui, qua par­te quo‹d›que viscus intestinumve sit, non cognoverit neque curari id, quod aegrum est, posse ab eo, qui quid sit ignoret; et cum per volnus alicuius viscera pate­facta sunt, eum, qui sanae cuiusque colorem partis ignoret, nescire quid inte­grum, quid cor­rup­tum sit; (26)  ita ne succurrere quidem posse corruptis. Aptiusque extrinsecus inpo­ni remedia conpertis interiorum et sedibus et figuris cognitaque eorum magnitu­ dine; similesque omnia, quae posita ‹supra› sunt, rationes habere. Neque esse cru­dele, sicut plerique proponunt, hominum nocentium et horum quoque pau­ corum suppli­ciis remedia populis innocentibus saeculorum omnium quaeri. (27)  Contra ii, qui se Enpiricos [ἐμπειρικοὺς] ab experientia nominant, evi­dentes quidem causas ut necessarias amplectuntur: obscurarum vero cau­ sarum et natura­lium actionum quaestionem ideo supervacuam esse con­tendunt, quoniam non con­prehensibilis natura sit.  (28)  Non posse vero con­prehendi patere ex eorum, qui de his disputarunt, discordia, cum de ista re neque inter sapientiae professores, neque inter ipsos medicos conveniat. Cur enim potius aliquis Hippocrati credat quam Herophilo? cur huic potius quam Ascle­pia­ di?  (29)  Si rationes sequi velit, omnium posse videri non inprobabiles; si cura­ tiones, ab omnibus his aegros perductos esse ad sanitatem. Ita neque dis­pu­ta­ tioni neque auctoritati cuiusquam fidem derogari oportuisse. Etiam sapi­en­tiae studiosos maximos medicos esse, si ratiocinatio hoc faceret: nunc illis ver­ba superesse, deesse medendi scientiam.  (30)  Differre quoque pro natura loco­rum genera medicinae, et aliud opus esse Romae, aliud in Aegypto, aliud in Gallia. Quod si morbos haec [causae] facerent, quae ubique eadem essent, eadem reme-

1, Einleitung 23–30

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Herrscher aus dem Gefängnis bereit­g estellt hätten, bei lebendigem Leibe seziert hätten.  (24)  Während diese Menschen noch atmeten, hätten die For­ scher Körperteile, die die Natur bis dahin nicht zugäng­lich gemacht hat­te, unter­sucht, und ebenso deren Lage, Farbe, Gestalt, Größe, Anor­dnung, Festig­ keit, Weichheit und Glätte, die Zusammenhänge untereinander, die Anhängsel und Vertiefungen eines jeden Organs sowie deren wechselseitiges Durch­drin­ gen.  (25)  Wenn nämlich innerer Schmerz auftrete, meinen sie, könne man unmög­­lich feststellen, was da schmerze, wenn man nicht wisse, um welches inne­­­re Organ es sich handle und wo es gelegen sei. Auch könne niemand ein kran­­kes Organ heilen, der nicht wisse, welches Organ es sei. Wenn jemand eine Wunde habe, durch die die Eingeweide zutage träten, so könne ein Arzt, der die Farbe eines gesun­den Körperteils nicht kenne, nicht feststellen, was heil und was verletzt sei. (26)  Also könne er auch die verletzten Stellen nicht behandeln. Auch habe die äußer­liche Anwendung von Heilmitteln dann mehr Erfolg, wenn die Lage, Form und Größe der inneren Organe bekannt sei. Ähnliches gelte für alles oben Gesagte. Auch sei es nicht grausam, wie viele behaupten, Verbrecher – und zwar nur einige weni­ge! – zu töten, um Heilmittel für unschuldige Men­schen auf Jahrhunderte hin­aus zu finden. (27)  Im Gegensatz dazu erkennen diejenigen, die sich Empiriker nennen, weil sie Wert auf die praktische Erfahrung legen, sehr wohl die Notwendigkeit von offen­sichtlichen Ursachen an, behaupten allerdings, die Frage nach den ver­bor­ genen Ursa­chen und den natürlichen Vorgängen seien überflüssig, da die Natur sich dem Ver­ständnis entziehe.  (28)  Dass sie sich nicht verstehen las­se, sagen sie, ergebe sich deutl­ich aus der Uneinigkeit derer, die sich mit diesen Dingen auseinandersetzen. Denn weder die Philosophen noch die Ärzte selber sind in diesen Dingen einer Mei­nung. Warum sollte also Hippo­kra­tes eher glaubwürdig sein als Herophilos? Warum dieser eher als Askle­piades?  (29)  Wollte man spekulativen Gedankengänge als Autorität anerken­nen, so scheine es, mei­nen sie, alle könnten irgendwie Recht haben. Richte man sich aber nach den Heilun­ gen, so habe schließlich noch jeder Arzt kranke Men­schen gesund gemacht. Darum sei es unzulässig, jemanden als unglaub­wür­dig darzustellen, sei es in der Forschung oder in der Lehre. Außerdem, wenn spe­ku­latives Denken einen zum Arzt machte, so wären ja wohl die Philo­so­phen zugleich die größten Ärzte geworden. Tatsächlich aber besäßen die­s e zwar große spra­c hliche Aus­druckskraft, aber gar keine medizinischen Kenn­tnisse.  (30)  Auch unter­ schieden sich die Behandlungsverfahren von Ort zu Ort, und eines finde in Rom Anerkennung, ein anderes in Ägypten und wie­der ein anderes in Gallien. Wenn aber diese Krankheiten auf Ursachen zurück­gingen, die überall dieselben sei­en, so müssten ja auch überall dieselben Heil­mittel dagegen helfen. Und in vie­len

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dia quoque ubique esse debuisse. Saepe etiam causas apparere, ut puta lippitudi­ nis, vulneris, neque ex his patere medicinam. (31)  Quod si scientiam hanc non subiciat evidens causa, multo minus eam posse subicere, quae in dubio est. Cum igitur illa incerta, inconprehensibilis sit, a certis potius et exploratis peten­­­dum esse praesidium, id est is, quae experientia in ipsis curationibus docu­­erit, sicut in ceteris omnibus artibus.  (32)  Nam ne agricolam quidem aut gubernatorem disputatione sed usu fieri. Ac nihil istas cogitationes ad medi­ cinam pertinere eo quoque disci, quod qui diversa de his senserint, ad eandem tamen sanitatem homines perduxerint: id enim fecisse, quia non ab obscuris cau­sis neque a naturalibus actio­­nibus, quae apud eos diversae erant, sed ab expe­rimentis, prout cuique respon­derant, medendi vias traxerint.  (33)  Ne inter initia quidem ab istis quaestionibus deductam esse medicinam, sed ab expe­ rimentis: aegrorum enim, qui sine medicis erant, alios propter aviditatem pri­mis diebus protinus cibum adsumpsisse, alios prop­ter fastidium abstinuisse; leva­ tumque magis eorum morbum esse, qui absti­nu­erant.  (34)  Itemque alios in ipsa febre aliquid edisse, alios paulo ante eam, alios post remissionem eius; optime deinde iis cessisse, qui post finem febris id fecer‹a›nt; eademque rati­­o­­ne alios inter principia protinus usos esse cibo pleniore, alios exiguo; gra­vi­o­­res­­que eos factos, qui se implerant.  (35)  Haec similiaque cum cot­tidie inci­derent, diligentes homines notasse quae plerumque melius responderent; dein­de aegrotantibus ea praecipere coepisse. Sic medicinam ortam, subinde ali­or­um salute, aliorum interitu perniciosa discernentem a salutaribus. (36)  Repertis deinde iam remediis, homines de rationibus eorum disserere coe­pis­se; nec post rationem medicinam esse inventam, sed post inventam medi­ ci­nam ratio­nem esse quaesitam. Requirere etiam s‹e›, ratio idem doce­at quod

1, Einleitung 30–36

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Fällen – etwa bei entzündeten Augen oder bei Wunden –, seien die Ursachen offen­sicht­lich, erlaubten aber keinerlei Rück­schlüsse auf die Behandlung. (31)  Wenn also die Kenntnis der richtigen Behandlung sich schon aus einer offen­­sichtlichen Ursache nicht erschließen lasse, könne es noch weitaus weni­ ger aus einer unklaren Ursache erschlossen werden. Da die Ursache von Krankheit, so meinen sie, ungewiss und unverständlich sei, so müsse man aus wohlbekannten und bereits erforschten Tatsachen Gewiss­­heit erlan­gen, das heißt, aus solchen Tatsachen, die die Erfahrung im Lauf der Behand­lung zutage gebracht hat, wie es auch in allen anderen Wis­­sens­bereichen der Fall sei.   (32)  Landwirt oder Seemann werde man ja schließ­lich auch nicht auf theoreti­schem, sondern auf praktischem Wege. Und dass solche Spekulationen nichts mit der medizinischen Wissenschaft zu tun hätten, lasse sich daraus ersehen, dass die Ärzte zwar in diesen Berei­ chen verschiedener Meinung seien, aber gleichwohl den Leu­ten wieder zur Gesundheit verhälfen. Dies geschehe nicht etwa darum, weil sie ihre Heilver­ fahren vom Wissen um verborgene Ursachen oder natürliche Vor­gänge her­ ge­lei­tet hätten, über die ihre Vorstellungen ja ganz verschiedene gewe­sen seien, sondern von Erfahrungswerten, je nachdem, was schon einmal gehol­fen habe.  (33)  Übrigens sei die medizinische Wissenschaft nicht einmal in ihren frü­­hes­ten Anfängen auf solchen Fragestellungen aufgebaut worden, sondern auf prak­ti­schen Erfahrungen. Als es noch keine Ärzte gegeben habe, hätten eben eini­ge Kranke während der ersten Tage ihres Leidens aus Heißhunger Nah­rung zu sich genommen, während andere wegen Appetitlosigkeit gefas­tet hätten. Die Krank­heit habe dann bei denen, die gefastet hätten, eher nachgelas­ sen.  (34)  Auch hät­ten einige im Verlauf ihres Fiebers etwas gegessen, andere kurz vor dessen Auf­tre­ten und wieder andere nach dem Abklingen des Fie­ bers, und die besten Ergeb­nisse hätten jene erzielt, die nach dem Erlöschen des Fiebers gegessen hätten. Gleichermaßen hätten in diesen frühen Tagen man­che Menschen eine üppige Kost genossen und andere eine karge, und die Gesund­ heit der Völlerer habe sich dann verschlechtert.  (35)  Weil diese und ähn­li­che Dinge jeden Tag vorgefallen sei­en, hätten aufmerksame Menschen erkannt, was regelmäßig gut angeschlagen habe, und daher begonnen, den Kran­ken genau dies zu verschreiben. So sei die medi­zinische Wissenschaft ent­standen und habe anhand der Heilung einiger Patien­ten und des Todes ande­rer allmählich das Zuträgliche vom Gefährlichen zu unterschei­den gelernt. (36)  Somit hätten die Menschen erst nach der Entdeckung von Heilverfahren begon­­nen, deren Ursachen zu erörtern. Die medizinische Wissenschaft habe sich auch nicht aus Lehrsätzen entwickelt, sondern man habe auf Lehrsätze hin­ge­ar­beitet, nach­dem man ärztliche Vorgehensweisen entdeckt habe. Die Frage sei auch, ob die deduktive Arbeitsweise dasselbe lehre wie die Erfah­ rung oder etwas anderes. Leh­r e sie dasselbe, so sei sie überflüssig, lehre

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experientia an aliud: si idem, supervacuam esse; si aliud, etiam con­­­­­tra­riam. Pri­­­mo tamen remedia exploranda summa cura fuisse; nunc vero iam explora­ta esse; neque aut nova genera morborum reperiri, aut novam desiderari medi­ci­ nam.  (37)  Quod si iam incidat mali genus aliquod igno­tum, non ideo tamen fore medico de rebus cogitandum obscuris, sed eum pro­tinus visurum cui morbo id proximum sit, temptaturumque remedia simi­lia illis, quae vicino malo saepe succurrerint, et per eius similitudines opem reperturum.  (38)  Neque enim se dicere medicum consilio non egere et inrationale animal hanc artem pos­se praestare; sed has latentium rerum con­iecturas ad rem non pertinere, quia non intersit, quid morbum faciat, sed quid tollat; neque ad rem pertineat, quomodo, sed quid optime digeratur, sive hac de causa concoctio incidat sive illa, et sive concoctio sit illa sive tantum diges­tio.  (39)  Neque quaerendum esse quomodo spiremus, sed quid gravem et tardum spiritum expediat; neque quid venas moveat, sed quid quaeque motus genera significent. Haec autem cognosci experi­mentis. Et in omnibus eius­modi cogitationibus ‹in› utramque partem disseri posse; itaque ingenium et facun­diam vincere, morbos autem non eloquentia sed remediis curari. Quae si quis elinguis usu discreta bene norit, hunc aliquanto maiorem medi­cum futu­rum, quam si sine usu linguam suam excoluerit. (40)  Atque ea quidem, de quibus est dictum, supervacua esse tantummodo: id vero, quod restat, etiam crudele, vivorum hominum alvum atque praecordia inci­­di, et salutis humanae praesidem artem non solum pestem alicui, sed hanc etiam atro­cissimam inferre; cum praesertim ex his, quae tanta violentia quae­ rantur, alia non possint omnino cognosci, alia possint etiam sine scelere. (41)  Nam colorem, l‹e›vorem, mollitiem, duritiem, similiaque omnia non esse talia inciso corpore, qualia integro fuerint, quia, cum corpor‹a› inviolata sint, haec tamen metu, dolore, inedia, cruditate, lassitudine, mille aliis mediocribus adfectibus sae­pe mutentur; multo magis veri simile esse interiora, qui­bus maior

1, Einleitung 36–41

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sie etwas anderes, so sei sie verderblich. Trotz­dem habe man als erstes mit äußers­­ter Sorg­falt die Heilverfahren erforschen müs­sen. Heute seien diese aber bereits erforscht, und man brauche weder neue Krank­heiten zu entdecken noch nach neuen Heilverfahren zu suchen.  (37)  Denn wenn sich heute eine unbekannte Krankheit zeige, so werde der Arzt ja nicht über Unge­w is­s es spekulieren wollen, sondern als erstes feststellen, welcher Krankheit sie am ähnlichsten sähe, um sodann die Behandlung mit solchen Heilmitteln in Angriff zu nehmen, die bei einer vergleichbaren Krankheit schon öfter geholfen hät­ ten, und somit durch Analogieschluss zu helfen.  (38)  Allerdings hätten die Empi­riker nicht behauptet, ein Arzt könne ohne Plan vorgehen und es könne somit auch das unvernünftige Vieh die medizinische Wissenschaft betreiben. Es sei viel­mehr so, dass derlei Mutmaßungen über verborgene Ursachen mit der Sache an sich nichts zu tun hätten, da es schließlich nicht wichtig sei, was eine Krankheit aus­löse, sondern nur, was sie heile. Die Funktionsweise der Verdauung sei nämlich nicht wichtig, sondern nur das Wissen darum, was am leichtesten verdaulich sei. Es sei nicht wichtig, weshalb die Speisen im Magen aufgelöst würden, oder ob sie dort wirklich aufgelöst und nicht bloß digeriert würden.  (39)  Auch sei es nicht nötig, sich mit dem Atmungsvorgang zu befassen, sondern nur mit der Hilfeleistung bei Atembeschwerden, und nicht mit der Ursache des Pulsierens der Blutgefäße, son­dern nur mit der Bedeutung der unterschiedlichen Pulsrhythmen. Dies alles las­se sich zuver­ lässig experimentell feststellen. Dagegen könne man, wenn ein Gegen­stand nur theoretisch erörtert werde, immer Argumente und Gegenargumente vor­brin­ gen, sodass sich am Ende einfach Schlagfertigkeit und ein gutes Mundwerk durch­­setzen müssten. Krankheiten aber würden nicht mit Rhetorik, sondern mit Arznei­en behandelt. Wenn ein wortkarger Mann aus Erfahrung gelernt habe, Krank­heitsbilder ordnungsgemäß zu beurteilen, so werde er einen bes­se­ren Arzt abgeben als ein Unerfahrener, der nur seine Zunge geübt habe.  (40)  Das vorhin Beschriebene aber halten die Empiriker für überflüssig, aber darüber hinaus halten sie es für eine Grau­samkeit, den Unterleib und die Brusthöhle lebender Menschen zu sezieren und 1eine Wissenschaft, die ja eigentlich das menschliche Leben schützen solle, den Tod bringen zu las­sen, und zwar auf grässliche Weise. Denn von den Dingen, die da mit so viel Roh­heit erforscht würden, entzögen sich einige grundsätzlich der Erkenn­tnis, und ande­re ließen sich ganz ohne Gräueltaten erforschen. (41)  Denn die Farbe, die Glätte, die Weichheit, die Festigkeit und so weiter sei­en ja am sezierten Körper nicht dieselben wie am gesunden. Schließlich ver­­­än­dere wegen Furcht, Schmerz, Hunger, Magenverstimmung, Ermattung und tausend anderen klei­nen Leiden auch ein unverletzter Körper oftmals sein Erscheinungsbild. So sei es weitaus wahrscheinlicher, dass die inneren Orga­ ne, die weicher seien und nie ans Licht des Tages kämen, nach einer schwe­

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mollities, lux ipsa nova sit, sub gravissimis vulneribus et ipsa tru­ci­datione muta­­ri.   (42)  Neque quicquam esse stultius, quam quale quidque vivo homi­ ne est, tale existimare esse moriente, immo iam mortuo. Nam uterum quidem, qui minus ad rem pertineat, spirante homine posse diduci: simul atque vero fer­­rum ad praecordia accessit et discissum transversum saeptum est, quod mem­b rana quaedam ‹est quae› supe­r iores partes ab inferioribus ‹di›­d u­c it (διάφραγμα Graeci vocant), hominem animam protinus amittere: ita mor­tui demum praecordia et viscus omne in con­spectum latrocinantis medici dari ut‹ique› necesse est tale, quale mortui sit, non quale vivi fuit.  (43)  Itaque con­ se­qui medicum, ut hominem crudeliter iugulet, non ut sciat, qualia vivi vis­ce­ra habeamus. Si quid tamen sit, quod adhuc spirante homine conspectu sub­­icia­ tur, id saepe casum offerre curantibus. Interdum enim gladiatorem in harena vel militem in acie vel viatorem a latronibus exceptum sic vulnerari, ut eius inte­rior aliqua pars aperiatur, et in alio alia; ita sedem, positum, ordinem, figu­­ ram, similiaque alia cognoscere prudentem medicum, non caedem sed sani­ tatem molientem, idque per misericordiam discere, quod alii dira crudelitate cog­norint.   (44)  Ob haec ne mortuorum quidem lacerationem necessariam esse (quae etsi non crudelis, tamen foeda sit), cum aliter pleraque in mortuis se habeant; quantum vero in vivis cognosci potest, ipsa curatio ostendat. (45)  Cum haec per multa volumina perque magnas contentionis [disputatio­ nes] a medicis saepe tractata sint atque tractentur, subiciendum est, quae pro­xi­ ma vero videri possint. Ea neque addicta alterutri opinioni sunt, neque ab utra­ que nimium abhorrentia, ‹sed› media quodammodo inter diversas sen­tentias; quod in plurimis contentionibus deprehendere licet sine ambitione verum scru­ tantibus: ut in hac ipsa re. (46)  Nam quae demum causae vel secundam valetudinem praestent, vel mor­ bos excitent, quo modo spiritus aut cibus vel trahatur vel digeratur, ne sapientiae quidem professores scientia conprehendunt, sed coniectura perse­cuntur. Cuius autem rei non est certa notitia, eius opinio certum reperire reme­dium non potest.  (47)  Verumque est ad ipsam curandi rationem nihil plus con­ferre quam experientiam. Quamquam igitur multa sint ad ipsas artes proprie non pertinen-

1, Einleitung 41–47

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ren Verletzungen, ja Verstümmelung, eben anders aussähen.  (42)  Es gebe auch nichts Dümmeres, als anzunehmen, dass etwas das am lebenden Men­schen ein bestimmtes Aussehen habe, auch an einem Ster­benden oder gar Toten gleich aussehen müsse. Den Bauch, der nicht viel zur Sache tue, könne man wohl öffnen, wenn der Mensch noch atme, aber sowie ein Messer in die Brust­höhle eindringe und das Zwerchfell durchtrenne – das ist eine Art Mem­bran, die die oberen Bereiche von den unteren scheidet (die Griechen nennen es Dia­­ phragma) –, versterbe der Mensch auf der Stelle. Somit werde der Arzt zum Mörder und bekomme die Brusthöhle und die Eingeweide erst nach Ein­tritt des Todes zu sehen, und es sind zwangsläufig die eines Toten, nicht eines Lebenden.  (43)  Dies bedeu­t e, dass der Arzt einfach nur einen Menschen abschlach­te, und nicht, dass er feststelle, wie die Eingeweide im lebenden Kör­ per beschaffen seien. Wenn sich etwas am noch atmenden Menschen betrach­ten lasse, sagen sie, biete der Zufall dem behandelnden Arzt oft die Gele­gen­heit dazu. Bisweilen werde nämlich ein Gla­diator in der Arena, ein Sol­dat in der Schlacht oder ein Reisender, der unter die Räuber falle, derart ver­letzt, dass irgendein inneres Organ freigelegt werde, beim einen dies, beim ande­ren jenes. Ein kluger Arzt erfasse also den Sitz dieser Orga­ne und deren Lage, Anordnung, Gestalt und dergleichen nicht durch Mord, son­dern indem er um das Leben des Verletzten kämpfe, und er lerne durch ein Werk der Barm­herzigkeit, was andere durch herzlose Grausamkeit feststellten.  (44)  Aus dem­­selben Grund sei es nicht einmal notwendig, Leichen zu zergliedern, was zwar nicht grausam, aber doch abscheulich sei. Denn an Toten seien viele kör­perliche Gege­benheiten eben anders. Alles, was am lebenden Menschen erkannt werden kön­ne, zeige sich eben im Laufe der Behandlung. (45)  Weil diese Fragestellungen von den Ärzten schon oft und in vielen Büchern und in ausgedehnten und leidenschaftlichen Disputen erörtert worden sind und erörtert werden, verbleibt uns nur, festzustellen, was wir am ehesten für wahr­schein­lich halten. Dabei klammern wir uns weder an das eine noch das andere Extrem, noch halten wir uns krampfhaft von beiden fern, sondern wir suchen den Mit­telweg zwischen den kontroversiellen Lehrmeinungen. Dies kann man bei vie­len Debatten beobachten, wenn ohne Parteilichkeit nach der Wahrheit geforscht wird, und eben auch hier. (46)  Nicht einmal die Philosophen wissen mit Bestimmtheit, welche Ursa­ chen die Gesund­heit fördern oder Krankheiten hervorrufen, wie der Atem ein­g e­s ogen oder wie die Nahrung verdaut wird, sondern sie ergehen sich darüber in Spekulationen. Wenn man aber über eine Sache nichts Genaues weiß, kann man durch bloßes Spe­ku­lieren auch kein zuverlässiges Heilmittel fin­den.  (47)  Durch nichts wird die plan­mäßige ärztliche Behandlung so sehr begüns­tigt wie durch die Erfahrung. Zwar kommt dabei vieles vor, das mit der eigent­li­chen Wissenschaft nichts zu tun hat, doch es ist immerhin hilfreich, da

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tia, tamen eas adiuvant excitando artificis ingenium: itaque ista quo­que naturae rerum contemplatio, quamvis non faciat medicum, aptiorem tamen medicinae red­­dit perfectumque. Veri‹que› simile est et Hippocraten et Erasistratum, et qui­ cum­que alii non contenti [sint] febres et ulcera agitare rerum quoque naturam ali­qua parte scrutati sunt, non ideo quidem medicos fuis­se, verum id‹eo› quoque maiores medicos extitisse.  (48)  Ratione vero opus est ipsi medicinae, etsi non inter obscuras causas neque inter naturales actio­nes, tamen saepe ***: est enim haec ars coniecturalis. Neque respondet ei plerumque non solum coniectura sed etiam experientia et interdum non febris, non †cibus, non somnus subsequitur, sicut adsuevit.  (49)  Rarius sed ali­quando morbus quoque ipse novus est: quem non incidere manifeste fal­sum est, cum aetate nostra *** quae ex naturalibus par­tibus carne prolapsa et arente intra paucas horas exspiraverit, sic ut nobi­ lissimi medici neque genus mali neque remedium invenerint.  (50)  Quos ego nihil temptasse iudi­co, quia nemo in splendida persona periclitari coniectura sua voluerit, ne occidisse, nisi servasset, videretur: veri tamen simile est potuisse ali­­­­­­quid cogitare, detracta tali verecundia, et fortasse responsurum fuisse id, quod ali­quis esset expertus. (51)  Ad quod medicinae genus neque semper similitudo aliquid confert, et si quan­­do confert, tamen id ipsum rationale est, inter similia genera et morborum et remediorum cogitare, quo potissimum medicamento sit utendum. Cum igitur talis res incidit, medicus aliquid oportet inveniat, quod non utique fortasse sed saepius tamen etiam respondeat.  (52)  Petet autem novum quodque consilium non ab rebus latentibus (istae enim dubiae et incertae sunt), sed ab iis, quae explorari possunt, id est evidentibus causis. Interest enim fatigatio morbum an sitis, an frigus an calor, an vigilia an fames fecerit, an cibi vinique abundantia, an intemperantia libi­dinis.  (53)  Neque ignorare hunc oportet, quae sit aegri natura, umidum magis an magis siccum corpus eius sit, validi nervi an infirmi, fre­quens adversa valetudo an rara, eaque, cum est, vehemens esse soleat an levis, brevis an longa; quod is vitae genus sit secutus, laboriosum an quietum,

1, Einleitung 47–53

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es den Wissenschaftler geistig anregt. Niemand wird zum Arzt, indem er einfach natür­liche Vorgänge beobachtet, aber es macht ihn für die medizinische Wis­sen­ schaft zugänglicher und rundet seine Bildung ab. Hip­po­krates und Era­sistratos und andere mehr gaben sich nicht damit zufrieden, bloß Fie­ber und Geschwüre zu behandeln, sondern untersuchten zumindest teilweise das Wesen der Dinge. Dies scheint sie zwar nicht zu Ärzten gemacht zu haben, aber in Folge dessen waren sie am Ende eben bessere Ärzte.  (48)   Die medi­zinische Wis­sen­schaft bedarf in der Tat des deduktiven Denkens, vielleicht nicht über ver­borgene Ursachen und natürliche Vorgänge, aber oft . . . denn es handelt sich um eine spekulative Wissenschaft. In vielen Fällen versagt aber nicht nur die Spekula­ tion, sondern auch die Erfahrung, und es kann gesche­hen, dass weder das Fieber noch . . . noch der Schlaf ihrem natürlichen Lauf fol­gen.  (49)  Seltener, aber doch hie und da geschieht es, dass eine Krankheit ganz neuartig ist. Dass es der­lei nicht gebe, ist offensichtlich unrichtig, ist doch in unseren Tagen . . . , aus deren Unterleib Gewebe her­vor­ge­treten ist, das sich entzündet hat, binnen weni­ger Stunden ver­storben. Dabei haben auch hochberühmte Ärzte weder die Art des Leidens benennen noch ein Heilmittel finden können.  (50)  Nach mei­ ner Einschätzung haben sie nichts unternommen, weil keiner im Fall die­ser ange­sehenen Persönlichkeit eine Mut­maßung riskieren wollte, damit es dann nicht heißen solle, er habe sie getötet, wenn die Heilung missglückt wäre. Wahr­ schein­lich hätte aber irgendeine Lösung gefunden werden können, hätte man die­se Sorge über­wunden, und irgendetwas hätte wohl helfen können, wenn es nur jemand ver­sucht hätte. (51)  Für diese Schule innerhalb der medizinischen Wissenschaft ist es nicht immer von Nutzen, wenn die Krankheitsbilder einander gleichen, und wenn es von Nutzen ist, so bleibt es doch Spekulation, angesichts einer Anzahl ähnlicher Krank­heiten und Heilmittel zu überlegen, welche Arznei am ehesten anzuwenden sei. Wenn also ein solcher Fall eintritt, so muss der Arzt etwas fin­­den, das nicht nur möglicherweise, sondern verlässlich immer wieder anschlägt.  (52)  Er wird aber sei­ne neuen Einsichten nicht aus ver­borgenen Din­ gen zu gewinnen suchen, denn diese sind zweifelhaft und unge­wiss, sondern aus solchen, die sich erforschen lassen, das heißt also: aus offensichtlichen Ursa­ chen. Es kommt nämlich darauf an, ob eine Erkran­kung von Ermattung, Durst, Käl­te oder Hitze, Schlaflosigkeit oder Hunger, einem Übermaß an Speisen und Wein oder Zügellosigkeit in sexuellen Dingen her­rührt.  (53)  Auch darf die Wesensart des Kranken nicht außer Acht gelassen wer­den, so etwa, ob sein Körper eher zur Feuchtigkeit oder zur Trockenheit neige, ob sei­ne Muskeln stark oder kraftlos seien, ob er öfters oder selten an angegriffener Gesund­heit leide, und wenn, ob die Anfälle schwer oder leicht, kurz oder dauerhaft seien, was für ein Leben er geführt habe, ein arbeits­reiches oder ein geruhsames, in

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cum luxu an cum frugalitate: ex his enim similibusque saepe curandi nova ratio ducenda est. (54)  Quamvis ne haec quidem sic praeteriri debent, quasi nullam contro­ versiam recipiant. Nam et Erasistratus non ex illis ‹causis› fieri morbos dixit, quo­niam et alii et idem alias post istas non febricitarent; et quidam medici sae­ culi nostri sub auctore, ut ipsi videri volunt, Themisone contendunt nullius cau­sae notitiam quicquam ad curationes pertinere; satisque esse quaedam com­munia morborum intueri.  (55)  Siquidem horum tria genera esse, unum adstric­tum, alterum fluens, tertium mixtum. Nam modo parum excernere aegros, modo nimium, modo alia parte parum, alia nimium: haec autem gene­­ra mor­borum modo acuta esse, modo longa, et modo increscere, modo consistere, modo minui. (56)  Cognito igitur eo, quod ex his est, si corpus adstrictum est, dige­ren­dum esse; si profluvio laborat, continendum; si mixtum vitium habet, occurrendum sub­­inde vehementiori malo. Et aliter acutis morbis meden­dum, aliter vetustis, aliter incres­c entibus, aliter subsistentibus, aliter iam ad sanitatem incli­ natis.  (57)  Horum observationem medicinam esse; quam ita finiunt, ut quasi viam quandam quam μέθ­οδον nominant, eorumque, quae in morbis communia sunt, contemplatricem esse contendant. Ac neque rationalibus se neque expe­ ri­menta tantum spectantibus adnu­merari volunt, cum ab illis eo nomine dis­ sentiant, quod in coniectura rerum laten­tium nolunt esse medicinam; ab his eo, quod parum artis esse in observatione expe­rimentorum credunt. (58)  Quod ad Erasistratum pertinet, primum ipsa evidentia eius opinioni repug­ nat *** quia raro nisi post horum aliquid morbus venit; deinde non sequi­tur, ut, quod alium non adficit aut eundem alias, id ne alteri quidem aut eidem tempore alio noceat. Pos­sunt enim quaedam subesse corpori vel ex infir­mitate eius vel ex aliquo adfectu, quae vel in alio non sunt, vel in hoc alias non fuerunt eaque per se non tanta, u‹t› con­citent morbum, tamen obnoxium magis aliis iniuriis

1, Einleitung 53–58

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Üppig­keit oder in Einfachheit. Aus diesen und ähnlichen Dingen lässt sich oft­ mals eine neue Behandlungsmethode erar­beiten. (54)  Doch darf man diese Dinge nicht einfach übergehen, so, als schlössen sie jeden Widerspruch aus. Denn auch Erasistratos hat festgestellt, dass Krank­ heiten nicht aus diesen Ursachen entstehen, da sie bei manchen – und wohl auch bei ein- und dem­selben Patienten bei verschiedenen Gelegen­heiten – kein Fieber hervorriefen. Auch behaupten gewisse Ärzte in unse­ren Tagen, dass die Kenntnis von Ursachen über­haupt keinen Einfluss auf die Behandlungsverfahren habe, sondern, dass es aus­reiche, gewisse Gemeinsam­keiten der Krankheiten zu beobachten. Darin folgen sie, wie sie uns glauben machen wollen, dem Vorbild Themisons.  (55)  Denn, so sagen sie, es gebe drei Arten von Krankheiten: eine sei eine Beengung, die zweite ein Fließen, die drit­te aus den ersten beiden zusammengesetzt. Einmal schieden die Kranken näm­lich zu wenig aus, einmal zu viel und dann wieder teils zu viel, teils zu we­nig. Diese Arten von Krank­ heiten seien bald akut und bald chronisch, und bald verschlechterten sie sich, bald blieben sie gleich und bald zeige sich Bes­se­rung. (56)  Habe man also festgestellt, um welche dieser Arten von Krankheit es sich han­dele, so müsse der Körper, wenn er beengt sei, gelockert werden, wenn er am Fluss leide, müsse dem Einhalt geboten werden, wenn er aber ein zusammengesetztes Lei­den habe, so müsse zuerst dem heftigeren Übel begeg­ net werden. Ferner seien akute Krank­heiten anders zu heilen als langwierige, zune­hmende anders als gleichbleibende und wieder anders solche, die bereits abzuklingen begännen.  (57)  Die Beobachtung die­s er Dinge sei eben die medizinische Wissenschaft. Sie wird mithin als eine Art Weg definiert. Das nen­nen sie Methodos und behaupten, seine Aufgabe sei die Betrachtung des­ sen, was den Krankheiten gemeinsam sei. Diese Leute wollen sich weder den spe­ku­lativen Forschern zurechnen lassen noch denen, die nur auf die Erfah­­rung achten, denn durch die Wahl ihres Namens grenzen sie sich von den ersteren ab, die die medizinische Wissenschaft nicht als Spekulationen über ver­borgene Din­ge begreifen wollen, und von letztere grenzen sie sich ab, indem sie mei­nen, das bloße Beobachten von Erfahrungswerten sei kaum wis­sen­schaftlich. (58)  Was Erasistratos betrifft, so widerspricht der Augenschein zuerst einmal sei­­ner Meinung . . . da nur selten eine Krankheit eintritt, die nicht auf diese Din­ge folgt. Zweitens geht daraus nicht hervor, dass, was dem einen, oder bei ein- und dem­selben bei verschiedenen Gelegenheiten, nicht geschadet hat, einem anderen, oder ein- und demselben zu einer anderen Zeit, nicht schaden wer­de. Es können sich bei einem Menschen nämlich entweder aufgrund von Kraft­losigkeit oder auf­grund einer bestimmten Gemütsverfassung Gegeben­ heiten einstellen, die sich ent­we­der bei anderen nicht finden oder die sich bei eben diesem Menschen zu einem anderen Zeitpunkt nicht einstellen. Für sich allein reichen sie nicht aus, um als Krankheit zu gelten, aber sie machen doch

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corpus effici‹a›nt.  (59)  Quod si contemplationem rerum natu­rae, quam temere medi­ci ‹isti› sibi vindicant, satis con­prehendisset, etiam illud scisset, nihil omni­ no ob unam causam fieri, sed id pro cau­sa adpre­hendi, quod contulisse plu­ ri­­mum videtur. Potest autem id, dum solum est, non move­re, quod iunctum aliis maxime moveat.  (60)  Accedit ad haec, quod ne ipse qui­dem Erasistratus, qui transfuso in arterias sanguine febrem fieri dicit idque nimis repleto corpore inci­dere, repperit, cur ex duobus aeque repletis alter in mor­­bum incideret, alter omni periculo vacaret; quod cotidie fieri apparet. (61)  Ex quo disci potest, ut vera sit illa transfusio, tamen illam non per se, cum ple­num corpus est, fieri, sed cum horum aliquid accesserit. (62)  Themisonis vero aemuli, si perpetua quae promittunt habent, magis etiam quam ulli rationales sunt. Neque enim, si quis non omnia tenet, quae ratio­­nalis alius pro­bat, protinus alio [novo] nomine artis indiget, si modo, (quod pri­mum est,) non memo­riae soli sed rationi quoque insistit.  (63)  Si, vero quod pro­pius est, vix ulla per­petua praecepta medicinalis ars recipit, idem sunt quod ii, quos experimenta sola sustinent; eo magis quoniam, con­pres­serit aliquem mor­bus an fuderit, quilibet etiam inperitissimus videt: quid autem conpressum cor­pus resolvat, quid solutum teneat, si a ratio­ne tractum est, rationalis est medi­ cus; si, ‹ut› ei, qui se rationalem negat, confiteri necesse est, ab experientia, empe­­­ri­cus.   (64)  Ita apud eum morbi cog­nitio extra artem, medicina intra usum est; neque adiectum quicquam empe­ricorum professioni, sed demptum est, quoniam illi multa circum­­spiciunt, hi tan­tum facillima, et non plus quam vulga­ ria.  (65)  Nam et ii, qui pecoribus ac iumen­tis medentur, cum propria cuiusque ex mutis animalibus nos­se non possint, com­munibus tantummodo insistunt; et exterae gentes, cum sup­tilem medicinae rationem non noverint, communia tan­ tum vident; et qui ampla valetudinaria nutriunt, quia sin­gulis summa cura con­ sulere non sustinent, ad communia ista confugiunt.

1, Einleitung 58–65

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den Körper anfälliger für andere Bedro­hungen.  (59)  Hätte Erasistratos aber genü­gend Kenntnis der Ursachen der Dinge gehabt, wie es diese Ärzte für sich in Anspruch nehmen, dann hätte er wohl gewusst, dass niemals etwas aus einer einzigen Ursache hervorgeht, sondern dass wir das für die Ursache hal­ ten, was offenbar einfach den letzten Anstoß gegeben hat. Es ist aber möglich, dass etwas, das in Verbindung mit anderen Dingen sehr wohl eine Wir­kung hat, für sich alleine ohne Wirkung bleibt.  (60)  Dazu kommt, dass nicht ein­mal Erasistratos selber – der ja behauptet, dass das Fieber davon herrühre, dass Blut in die Atemwege eindringe, und dass dies geschehe, wenn der Kör­per zu viel Stoff enthalte –, erklären kann, warum von zwei Menschen, die bei­de zu viel Stoff im Körper haben, der eine krank wird, während für den ande­ren überhaupt keine Gefahr besteht. Das kann man schließlich jeden Tag beob­achten. (61)  Daraus lässt sich lernen, dass, auch wenn es sich tatsächlich um eine Ein­dringen von Blut handelt, dies nicht einfach von sich aus geschieht, wenn der Körper zu viel Stoff enthält, sondern nur dann, wenn noch etwas anderes dazu­kommt. (62)  Aber wenn Themisons Schüler ihre Lehre für allgemeingültig halten, so sind sie bei weitem mehr Theoretiker als alle anderen. Denn wenn jemand nicht alle Lehrmeinungen akzeptiert, die ein anderer Theoretiker gutheißt, so braucht er sei­ner Wissenschaft nicht sofort einen anderen Namen zu geben, vorausgesetzt, dass er sich – und darauf kommt es vor allem an – nicht nur auf sein Gedächtnis verlässt, son­dern auch auf die deduktive Beweis­füh­rung.  (63)  Wenn aber die medizinische Wis­sen­schaft kaum allge­meingültige Regeln zulässt, was recht wahrscheinlich ist, so befinden sie sich in derselben Lage wie jene, die sich auf die bloße Praxis verlassen, und zwar umso mehr, weil schließlich auch ein gänzlich Ungebildeter sieht, ob ein Kran­ker Verstopfung oder Durchfall hat. Der Arzt ist ein Theoretiker, wenn er das Mit­tel, das einen harten Leib löst oder einen sich auflösenden Leib in Schranken hält, auf theoretischem Wege herleitet, und ein Empiriker, wenn er es aus der Praxis her­leitet, was jeder von sich zugeben muss, der kein Theoretiker sein will.  (64)  So meint er, das Erken­nen der Krankheit liege außer­halb der Wissenschaft, und die Heil­kunst sei auf die Praxis beschränkt. Auch sei dem Lehrgebäude der Empiriker nichts hinzugefügt worden, sondern viel­mehr habe man etwas davon abgezogen, denn die Theoretiker erwögen vielerlei, die Empiriker nur die einfachsten Dinge, und nichts lieber als das All­tägliche.  (65)  Denn auch diejenigen, die Nutz- und Zug­tiere behandeln, ver­lassen sich auf allgemeine Dinge, da sie ja das stumme Vieh nicht nach Ein­zel­heiten befragen können. Ausländer, die die Feinheiten der medi­zini­schen Theorie nicht kennen, achten lediglich auf allgemeine Dinge, und die, die in großen Krankenhäusern arbeiten, nehmen zu allgemeinen Dingen ihre Zuflucht, da sie den Einzelpersonen nicht ihre volle Aufmerksamkeit zuzu­ wen­den vermögen.

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(66)  Neque Hercules istud antiqui medici nescierunt, sed his contenti non fue­runt. Ergo etiam vetustissimus auctor Hippocrates dixit mederi oportere et com­­munia ‹et› propria intuentem. Ac ne isti quidem ipsi intra suam profes­ sionem consistere ullo modo possunt: siquidem et conpressorum et fluentium mor­borum genera diver­sa sunt; faciliusque id in iis, quae fluunt, inspici potest. (67)  Aliud est enim sanguinem, aliud bilem, aliud cibum vomere; aliud deiec­­tionibus, aliud torminibus laborare; aliud sudore digeri, aliud tabe con­ su­mi. Atque in partes quoque umor erumpit, ut oculos aurisque; quo peri­cu­ lo nullum humanum mem­brum vacat. Nihil autem horum sic ut aliud cura­ tur.  (68)  Ita protinus in his a com­m uni fluentis morbi contemplatione ad pro­­priam medicin‹a› descendit. Atque in hac quoque rursus alia proprietatis noti­­­tia saepe necessaria est; quia non eadem omni­bus etiam in similibus casi­bus opi­­tulantur: siquidem certae qu‹aeda›m res sunt, quae in pluribus ven­trem aut adstringunt aut resolvunt. Inveniuntur tamen, in quibus aliter atque in ceteris idem eveniat: in his ergo communium inspectio con­traria est, propriorum tan­ tum salutaris.  (69)  Et causae quoque aestimatio sae­pe mor­­bum solvit. Ergo etiam ingeniosissimus saeculi nostri medicus, quem nuper vidi­mus, Cassius febri­citanti cuidam et magna siti adfecto, cum post ebrie­tatem eum premi coe­­pisse cognosset, aquam frigidam ingessit; qua ille ‹e›pota cum vini vim miscendo fregisset, protinus febrem somno et sudore dis­cus­sit.  (70)  Quod auxi­ lium medicus opportune providit non ex eo, quod aut adstrictum corpus erat aut flu­e­bat, sed ex ea causa, quae ante praecesserat. Est­que etiam proprium aliquid et loci et temporis istis quoque auctoribus: qui, cum disputant, quemadmodum sanis homi­nibus agendum sit, praecipiunt, ut gra­vibus aut locis aut temporibus magis vite­tur frigus, aestus, satietas, labor, libi­do; magisque ut conquiescat isdem locis aut tem­poribus, si quis gravitatem cor­poris sensit, ac neque vomitu sto­machum neque pur­gatione alvum sollicitet. (71)  Quae vera quidem sunt; a communibus tamen ad quaedam propria des­c en­d unt, nisi persuadere nobis volunt sanis quidem considerandum esse, quod cae­lum, quod tempus anni sit, aegris vero non esse; quibus tanto magis omnis obser­vatio necessaria est, quanto magis obnoxia offensis infir­ mi­tas est. Qui‹n› etiam morborum in isdem hominibus aliae atque aliae pro-­

1, Einleitung 66–71

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(66)  Den Alten war dies alles weiß Gott wohlbekannt, aber sie gaben sich damit nicht zufrieden. Daher meinte auch ein sehr früher Fachmann, Hippo­ krates, in der Heilkunst sei es notwendig, sowohl allgemeine Dinge als auch Ein­­­zel­heiten in Erwä­gung zu ziehen. Außerdem ist der Standpunkt der Theo­ retiker ja nicht einmal inner­halb ihres eigenen Lehrgebäudes schlüssig: wenn es nämlich verschiedene Arten hartleibig machender und Fluss erzeugender Krank­heiten gibt, so sind jene, die fließen machen, leichter zu beobachten. (67)  Es besteht nämlich ein Unterschied, ob jemand Galle, Blut oder Nahrung erbricht, ob jemand an Durchfall oder an der Ruhr leidet, ob jemand in Schweiß auf­­ge­löst ist oder an Auszehrung vergeht. Körperflüssigkeiten können an ver­ schie­denen Stellen austreten, etwa den Augen und den Ohren, und gegen die­se Gefahr ist kein Körperteil gefeit. Aber nichts von alledem wird mit den glei­ chen Mit­teln behandelt.  (68)  Daher geht die medizinische Wissenschaft in sol­chen Fällen schritt­weise vor, von der allgemeinen Erörterung von fließen machenden Krankheiten zu den Einzelheiten. Und man muss auch in diesen Din­gen über Einzelheiten zusätz­lich Bescheid wissen, weil nicht alle Mittel in allen Fällen gleichermaßen hel­fen, wenn es auch gewisse Dinge gibt, die in verschiedenen Menschen den Leib ent­weder verfestigen oder lösen. Aber bei einigen Menschen wirken sie anders als bei anderen. Hier ist es abträglich, auf Allgemeines, und nützlich, auf Einzelheiten ein­zu­gehen.  (69)  Auch wird Krank­heit oft durch Abschätzen der Ursache geheilt. Cas­sius zum Beispiel, der fähigste Arzt unserer Tage, der unlängst verstorben ist, hat in einem Fall von Fieber und unmäßigem Durst festgestellt, dass das Leiden im Zuge eines Rausches aufgetreten sei, und kaltes Wasser verordnet. Dieser Trunk hat den Wein verdünnt, dessen Kraft gebrochen und das Fieber durch Schlaf und Schwitzen ver­trieben.   (70)  Dieses Hilfsmittel hat der Arzt mit Vorteil ange­ wen­­­det, hat es aber nicht daraus hergeleitet, ob der Leib verhärtet oder in Auf­­lö­sung sei, sondern aus der direkten Krankheitsursache. Die genannten Quel­­len unterscheiden auch noch Einzelheiten bezüglich der Gegend und der Jah­res­zeit. In Erwägung dessen, was ein gesunder Mensch tun solle, lehren sie, dass in ungesunden Gegenden und Jahreszeiten Kälte, Hitze, Überfüllung, Anstren­­gung, Geschlechtsverkehr beson­ders zu vermeiden seien, dass in sol­ chen Gegenden und Jahreszeiten Ruhe wichtig sei, besonders, wenn der Leib sich matt fühle, und dass man weder den Magen durch ein Brechmittel noch den Ver­dauungstrakt durch ein Abführmittel reizen sol­le. (71)  All dies ist freilich wahr, aber diese Leute nähern sich den Einzelheiten von allgemeinen Dingen her an, es sei denn, sie wollten uns glauben machen, die Gesun­den, nicht die Kranken müssten sich wegen des Himmelsstrichs und der Jah­res­zeit Sorgen machen, wobei doch eben den Kranken umso mehr zur Vorsicht zu raten ist, je krankheitsanfälliger ihre Schwäche sie macht. Es sind ja sogar die Ein­zel­heiten eines Krankheitsbildes bei ein- und demselben Pati­

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prietates sunt; et qui secundis ali­quando frustra curatus est, contrariis saepe resti­tui­tur.   (72)  Plurimaque in dando cibo discrimina reperiuntur, ex quibus con­­tentus uno ero. Nam famem facilius adu­lescens quam puer, facilius in den­ so caelo quam in tenui, facilius hieme quam aes­tate, facilius uno cibo quam pran­dio quoque adsuetus, facilius inexercitatus quam exer­citatus homo sus­ tinet:  (73)  saepe autem in eo magis necessaria cibi festinatio est, qui minus ine­ diam tolerat. Ob quae conicio eum, qui propria non novit, commu­nia tan­tum debere intueri; eumque, qui nosse proprietates potest, non illas quidem opor­­tere neglegere, sed his quoque insistere; ideoque, cum par scientia sit, uti­liorem tamen medicum esse amicum quam extraneum. (74)  Igitur, ut ad propositum meum redeam, rationalem quidem puto medi­ cinam esse debere, instrui vero ab evidentibus causis, obscuris omnibus non ab cogitatione arti­ficis sed ab ipsa arte reiectis. Incidere autem vivorum cor­ pora et crudele et super­vacuum est, mortuorum discentibus necessarium: nam positum et ordinem nosse debent, quae cadaver melius quam vivus et vul­neratus homo repraesenta[n]t.  (75)  Sed et cetera, quae modo in vivis cognosci pos­sunt, in ipsis curationibus vulneratorum pau­lo tardius sed aliquanto mitius usus ipse monstrabit. His propositis, primum dicam, quemadmodum sanos agere conveniat, tum ad ea trans­ibo, quae ad morbos curationesque eorum pertinebunt.

1, Einleitung 71–75

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en­ten bald so und bald so, und wenn eine unterstützende Behandlungsweise keinen Erfolg gezeigt hat, führt oft ein Gegenmittel zur Heilung.  (72)  Auch las­­sen sich in der Ernährung viele Unter­schiede feststellen, von denen ich nur einen einzigen erwähnen will. Der Hun­ger ist für einen jungen Erwachsenen leich­­ter zu ertragen, in einem drückenden Kli­ma leichter als in einem luftigen, im Win­ter leichter als im Sommer, für einen Men­schen, der nur einmal am Tag isst, leichter als für einen, der an ein zweites Früh­stück gewöhnt ist, für einen Stu­­ben­hocker leichter als für jemanden, der sich kör­perlich anstrengt.  (73)  Oft muss sich einer umso mehr mit dem Essen beeilen, je weniger er mit dem Fas­ ten zurechtkommt. Daher vermute ich, dass jemand, der nicht um die Einzel­ heiten weiß, nur die allgemeinen Dinge in Erwägung ziehen muss, dann, dass jemand, der Einblick in die Einzelheiten hat, sich auf sie verlassen soll, aber die allgemeinen Dinge nicht zu vernachlässigen braucht, und schließlich, dass man besser einen vertrauten Freund als einen Fremden zum Arzt hat, wenn bei­­­de ihre Sache gleich gut verstehen. (74)  Um also auf mein eigentliches Thema zurückzukommen: ich halte dafür, dass die medizinische Wissenschaft deduktiv sein muss, aber ihr Wissen aus den offen­sicht­lichen Ursachen herleiten soll, wobei sich die verborgenen zwar nicht den Gedankengängen des Wissenschaftlers, wohl aber der Wissenschaft sel­ber ent­ziehen. Lebende Menschen zu sezieren, ist sowohl grausam als auch über­ flüssig. Tote zu sezieren, ist für die Lernenden unerlässlich, denn sie müs­sen die Lage und Anordnung der Organe kennen, und diese zeigen sich an Leich­namen besser als an lebenden und verletzten Menschen.  (75)  Alles ande­re jedoch, das man nur an leben­den Menschen erkennen kann, lässt sich in der Pra­xis aus der Behandlung von Ver­letzten zwar langsamer, aber doch viel behut­samer erlernen. Nach diesen Darlegungen will ich als erstes die Lebensführung des gesunden Men­­­schen erörtern, um mich dann den Krankheiten und deren Behandlungen zuzu­­­wen­den.

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Caput I Quemadmodum sanos agere conveniat (1)  Sanus homo, qui et bene valet et suae spontis est, nullis obligare se legi­­ bus debet, ac neque medico neque iatroalipta egere. Hunc oportet varium habe­re vitae genus: modo ruri esse, modo in urbe, saepiusque in agro; navi­ga­re, vena­ri, quiescere interdum, sed frequentius se exercere; siquidem igna­via cor­pus hebe­ tat, labor firmat, illa maturam senectutem, hic longam adulescen­tiam red­dit. (2)  Prodest etiam interdum balineo, interdum aquis frigidis uti; modo ungui, modo id ipsum neglegere; nullum genus cibi fugere, quo populus utatur; inter­ dum in convictu esse, interdum ab eo se retrahere; modo plus iusto, modo non amplius adsumere; bis die potius quam semel cibum capere, et semper quam plu­­­rimum, dummodo hunc concoquat.   (3)  Sed ut huius generis exercitationes cibi­­que necessariae sunt, si‹c› athletici supervacui: nam et intermissus propter civi­­les aliquas necessitates ordo exercitationis corpus adfligit, et ea corpora, quae more eorum repleta sunt, celerrime et senescunt et aegrotant. (4)  Concubitus vero neque nimis concupiscendus, neque nimis pertimes­ cendus est. Rarus corpus excitat, frequens solvit. Cum autem frequens non nume­­ro sit sed natura ***, ratione aetatis et corporis, scire licet eum non inuti­ lem esse, quem corporis neque languor neque dolor sequitur.  (5)   Idem inter­diu peior est, noctu tutior, ita tamen, si neque illum cibus, neque hunc cum vigilia labor statim sequitur. Haec firmis servanda sunt, cavendumque ne in secunda vale­­­tudine adversae praesidia consumantur. Caput II Quae imbecillis servanda sint (1)  At inbecillis, quo in numero magna pars urbanorum omnesque paene cupi­di litterarum sunt, observatio maior necessaria est, ut, quod vel corporis vel loci vel studii ratio detrahit, cura restituat.  (2)  Ex his igitur qui bene con­­coxit,

1,1,1–1,2,2

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1. Kapitel Die Lebensführung des gesunden Menschen (1)  Ein gesunder Mensch, der sowohl von guter Verfassung als auch Herr seiner selbst ist, braucht keinen Verhaltensmaßregeln zu folgen und bedarf auch keines Arztes oder Masseurs. Seine Lebensführung sollte abwechs­lungs­ reich sein. Er sollte sich bald auf dem Land, bald in der Stadt aufhalten, öfter aber auf den Feldern. Er sollte zur See fahren und auf die Jagd gehen, bis­wei­ len ruhen, aber sich öfter anstrengen, denn wird der Körper durch Müßig­gang geschwächt, so wird er durch Arbeit gekräftigt. Müßiggang bedingt frühzei­tiges Altern, Arbeit erhält lange jung. (2)  Es hilft auch, von Zeit zu Zeit ins Bad zu gehen, fallweise kaltes Was­ ser zu gebrauchen, manchmal Salböle anzuwenden und manchmal darauf zu ver­­zichten, keine landläufigen Speisen zu verschmähen, von Zeit zu Zeit in Gesell­schaft zu gehen, von Zeit zu Zeit sich davon fernzuhalten, manch­mal zu viel zu essen und manchmal zu wenig, besser zwei Mahlzeiten am Tag als nur eine einzunehmen, und immer so viel davon, wie man will, vorausge­setzt, man kann es verdauen.  (3)  Aber während Körperertüchtigung und Diätvor­schrif­ten dieser Art doch notwendig sind, so sind diejenigen der Berufssportler über­ flüs­sig. Wird nämlich deren Training wegen gewisser Notwendigkeiten des bürgerlichen Lebens unterbrochen, so schadet dies dem Körper, und ein Kör­ per, der nach der Art dieser Leute überernährt wird, altert und verfällt auch sehr schnell. (4)  Den Geschlechtsverkehr jedoch soll man weder in übertriebenem Maße anstreben noch vermeiden. Selten genossen, kräftigt er den Körper, zu oft genossen, schwächt er ihn. Da aber die Menge nicht nach der Zahl, son­dern nach der Art und Weise geht . . . , in Erwägung des Alters und des Gesund­ heitszustandes, so soll man ihn nicht als nutzlos abtun, wenn er weder Mattig­ keit noch Schmerzen hervorruft.  (5)  Am Tag ist er nicht so gut, in der Nacht ist er ohne Gefahr, wenn nämlich auf den Geschlechtsverkehr am Tag keine Mahl­zeit folgt und auf jenen in der Nacht nicht Nachtwache und Arbeit. Hier­auf muss der kräftige Mensch achten, damit im gesunden Körper die Abwehr­kraft nicht geschwächt werde. 2. Kapitel Vorschriften für Krankheitsanfällige (1)  Die Krankheitsanfälligen – und dazu gehört ein Gutteil aller Stadt­ bewohner sowie beinahe alle in den schöngeistigen Wissenschaften Tätigen – müs­sen strengeren Vorschriften folgen, damit gute Pflege das wiederherstelle, was durch ihre körperliche Verfassung, ihren Wohnort oder ihre Denkarbeit in Mitleidenschaft gezogen worden ist.  (2)  Wenn ein solcher Mensch eine gute Verdauung hat, kann er gefahrlos früh aufstehen, ist sie nicht so gut, soll er

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Liber primus

mane tuto surget; qui parum, quiescere debet, et si mane surgendi necessitas fuit, redormire; qui non concoxit, ex toto conquiescere ac neque labori se neque exer­­citationi neque negotiis credere. Qui crudum sine praecordiorum dolo­re ructat, is ex intervallo aquam frigidam bibere, et se nihilo minus con­tinere. (3)  Habitare vero aedificio lucido, perflatum aestivum, hibernum solem haben­­te; cavere meridianum solem, matutinum et vespertinum frigus, itemque auras fluminum atque stagnorum; minimeque nubilo caelo soli aperienti se *** com­mittere, ne modo frigus, modo calor moveat; quae res maxime grave­dines destillationesque concitat. Magis vero gravibus locis ista servanda sunt, in qui­ bus etiam pestilentiam faciunt. (4)  Scire autem licet integrum corpus esse, quo die mane urina alba, dein rufa est: illud concoquere, hoc concoxisse significat. Ubi experrectus est aliquis, pau­­lum intermittere; deinde, nisi hiemps est, fovere os multa aqua frigida debet; lon­gis diebus meridiari potius ante cibum; si minus, post eum.  (5)  Per hiemem potis­­simum totis noctibus conquiescere; sin lucubrandum est, non post cibum id facere, sed post concoctionem. Quem interdiu vel domestica vel civilia offi­ cia tenuerunt, huic tempus aliquod servandum curationi corporis sui est. Pri­ma autem eius curatio exercitatio est, quae semper antecedere cibum debet, in eo, qui minus laboravit et bene concoxit, amplior; in eo, qui fatigatus est et minus concoxit, remissior. (6)  Commode vero exercent clara lectio, arma, pila, cursus, ambulatio, atque haec non utique plana commodior est, siquidem melius ascensus quo­­­ que et descensus cum quadam varietate corpus moveat, nisi tamen id per­ quam inbecillum est: melior autem est sub divo quam in porticu; melior, si caput patitur, in sole quam in umbra, ‹melior in umbra› quam paries aut viri­ dia efficiunt, quam quae tecto subest; melior recta quam flexuosa.  (7)  Exer­ citationis autem plerumque finis esse debet sudor aut certe lassitudo, quae citra fatigationem sit, idque ipsum modo minus, modo magis faciendum est. Ac ne his quidem athletarum exemplo vel certa esse lex vel inmodicus labor debet. Exercitationem recte sequitur modo unctio, vel in sole vel ad ignem; modo balineum, sed conclavi quam maxime et alto et lucido et spatioso. Ex his vero

1,2,2–1,2,7

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liegenbleiben, und wenn er früh aufstehen muss, soll er nachher wieder zu Bett gehen. Wenn seine Verdauung aber überhaupt nicht funktioniert, soll er das Bett hüten und nicht arbeiten, sich nicht anstrengen und keinen Geschäf­ten nachgehen. Wer Unverdautes aufstößt, jedoch ohne Sodbrennen, soll regel­­mäßig kaltes Wasser trinken und trotzdem Mäßigung üben. (3)  Auch soll seine Wohnung hell und im Sommer luftig und im Winter son­ nig sein. Die Mittagssonne und die Morgen- und Abendkühle sowie die Aus­ dünstungen von Flüssen und stehenden Gewässern soll er vermeiden. Er soll sich nur sehr wenig der Sonne aussetzen, wenn sie sich bei wolkigem Himmel zeigt . . . , damit ihn nicht bald die Hitze, bald die Kälte anrührt, denn dies führt vor allem zu Schnupfen und Katarrh. Darauf ist besonders an ungesunden Orten zu achten, wo es sogar ansteckende Krankheiten hervorrufen kann. (4)  Dass der Körper in guter Verfassung ist, kann man aber daran erkennen, dass der Harn in der Früh hell und später orangefarben ist. Das erstere bedeutet, dass die Verdauung im Gange ist, das zweitere, dass sie stattgefunden hat. Nach dem Aufwachen soll man ein wenig liegenbleiben und sodann – außer im Win­ter – das Gesicht mit viel kaltem Wasser pflegen. Sind die Tage lang, hält man die Mittagsruhe besser vor der Mahlzeit, sind sie kürzer, nach der Mahl­­ zeit.  (5)  Im Winter ist es am besten, die ganze Nacht durchzuschlafen. Wenn bei Kunstlicht gearbeitet werden muss, dann soll dies nicht gleich nach der Mahlzeit geschehen, sondern erst nach erfolgter Verdauung. Wenn man unter­ tags durch öffentliche oder private Geschäfte in Anspruch genommen wird, muss man sich dennoch die Zeit nehmen, für seinen Körper zu sorgen. Dazu dienen vor allem Leibesübungen. Diese sollen stets vor der Mahlzeit statt­finden, und zwar ausgiebiger, wenn man weniger gearbeitet und besser ver­­daut hat, und knapper, wenn man ermüdet ist und weniger gut verdaut hat. (6)  Zweckmäßige Übungen sind lautes Lesen, Fechten, Ballspiel, Laufen, Gehen, aber auf ebenem Boden ist dies ist nicht sehr zuträglich, weil nämlich das Auf- und Abwärtsgehen den Körper auf unterschiedliche Weise in Bewe­ gung versetzt, außer freilich, wenn er sehr krankheitsanfällig ist. Es ist aber besser, unter freiem Himmel als in einer Wandelhalle zu gehen. Wenn der Kopf es aushält, ist es besser, in der Sonne als im Schatten zu gehen, bes­ser im Schatten einer Mauer oder eines Baumes als eines Daches, besser auf einem geraden als auf einem kurvigen Weg.  (7)  Das Ziel der Übung soll sein, dass man in Schweiß gerät oder doch müde wird, allerdings nicht bis zur Erschöpfung, und man soll bald mehr, bald weniger leisten. Aber auch in diesen Dingen soll man nicht, dem Beispiel der Berufssportler folgend, star­re Regeln aufstellen und sich überanstrengen. Auf die Leibesübung folgt manch­mal passenderweise eine Salbung, entweder in der Sonne oder vor einem Feuer, und fallweise ein Bad, aber in einem möglichst großen, hohen, hel­len und weiten Raum. Keines von beiden soll aber ständig angewendet wer­den, sondern eines oder das andere

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neutrum semper fieri oportet, sed saepius alterutrum pro corporis natura. Post haec paulum conquiescere opus est. (8)  Ubi ad cibum ventum est, numquam utilis est nimia satietas, saepe inutilis nimia abstinentia: si qua intemperantia subest, tutior est in potione quam in esca. Cibus a salsamentis, holeribus similibusque rebus melius incipit; tum caro adsumenda est, quae assa optima aut elixa est.  (9)  Condita omnia duabus cau­­sis inutilia sunt, quoniam et plus propter dulcedinem adsumitur, et quod modo par est, tamen aegrius concoquitur. Secunda mensa bono stomacho nihil nocet, in inbecillo coacescit. Si quis itaque hoc parum valet, palmulas pomaque et similia melius primo cibo adsumit. Post multas potiones, quae aliquantum sitim excesserunt, nihil edendum est, post satietatem nihil agendum.  (10)  Ubi expletus est aliquis, facilius concoquit, si, quicquid adsumpsit, potione aquae fri­gidae includit, tum paulisper invigilat, deinde bene dormit. Si quis inter­diu se inplevit, post cibum neque frigori neque aestui neque labori se debet com­mit­ tere: neque enim tam facile haec inani corpore quam repleto nocent. Si qui­bus de causis futura inedia est, labor omnis vitandus est. Caput III Observationes quaedam, prout res novae incidunt, et corporum genera et sexus et aetates et tempora anni sunt (1)  Atque haec quidem paene perpetua sunt. Quasdam autem observationes desi­­derant ‹et› novae res et corporum genera et sexus et aetates et tempora anni. Nam neque ex salubri loco in gravem, neque ex gravi in salubrem trans­itus satis tutus est. Ex salubri in gravem prima hieme, ex gravi in eum, qui salu­bris est, prima aestate transire melius est.  (2)  Neque ex multa vero fame nimia satietas neque ex nimia satietate fames idonea est. Periclitaturque et qui semel et qui bis die cibum incontinenter contra consuetudinem adsumit. Item neque ex nimio labore subitum otium neque ex nimio otio subitus labor sine gravi noxa est. Ergo cum quis mutare aliquid volet, paulatim debe­bit adsuescere. Omnem etiam laborem facilius vel puer vel senex quam insue­tus homo sustinet.  (3)  Atque ideo quoque nimis otiosa vita utilis non est, quia potest incidere laboris necessitas. Si quando tamen insuetus aliquis labo­ra­vit, aut si multo plus quam solet etiam si qui adsuevit, huic ieiuno dormiendum est, multo magis etiam si os amarum

1,2,7–1,3,3

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häufiger, je nach der Beschaffenheit des Kör­pers. Nachher soll man ein wenig ruhen. (8)  Was das Essen betrifft, so ist Überfüllung niemals zuträglich und Fasten oft­mals abträglich. Erlaubt man sich eine Unmäßigkeit, dann besser beim Trin­ ken als beim Essen. Eine Mahlzeit beginnt besser mit pikanten Speisen und Salaten, danach soll man Fleisch essen, und zwar am besten gebraten oder gekocht.  (9)  Alles Eingemachte ist aus zwei Gründen abträglich: erstens isst man mehr davon, weil es süß ist, und zweitens ist es auch in angemessenen Men­­gen schwer verdaulich. Eine Nachspeise schadet einem gesunden Magen nicht, versäuert aber in einem krankheitsanfälligen. Wer hierin also nicht auf der Höhe ist, soll Datteln, Äpfel und dergleichen als ersten Gang einnehmen. Hat man zu viel und über den Durst getrunken, soll man nichts essen, ist man satt, soll man keine Bewegung machen.  (10)  Wenn man sich sattgegessen hat, ver­­daut man umso besser, wenn man die Mahlzeit mit einem Trunk kalten Was­ sers abschließt, nachher noch ein bisschen wach bleibt und sodann gut schläft. Wer sich zu Mittag satt isst, soll sich nach dem Essen weder der Kälte noch der Hitze aussetzen noch anstrengen, denn dies schadet dem hungrigen Kör­per nicht so sehr wie dem gesättigten. Wenn man aus irgendeinem Grund zu fasten beabsichtigt, soll man alle Anstrengung vermeiden. 3. Kapitel Allgemeine Bemerkungen über außergewöhnliche Umstände, die kör­per­ liche Konstitution, das Geschlecht, das Alter und die Jahreszeit (1)  Dies alles hat beinahe immer Geltung. Allerdings bedingen unerwartete Vor­gänge, die körperliche Konstitution, das Alter und die Jahreszeit gewis­ se Vorsichtsmaßnahmen. Es ist nämlich nicht ungefährlich, sich von einem gesundheitsfördernden an einen ungesunden oder von einem unge­s un­d en an einen gesundheitsfördernden Ort zu begeben. Von einem gesund­heits­för­ dernden begibt man sich an einen ungesunden am besten zu Winter­anfang, von einem ungesunden an einen, der gesundheitsfördernd ist, zu Som­meran­ fang.  (2)  Auch ist es nicht gut, sich nach langem Fasten zu übersät­tigen oder nach Übersättigung zu fasten. Wer ein- oder zweimal am Tag gegen sei­ne Gewohn­heit zu viel isst, gefährdet sich. Ebenso sehr schadet ein plötz­licher Über­gang zur Ruhe nach zu viel Anstrengung oder zur Anstrengung nach zu viel Ruhe. Wünscht man also eine Veränderung, muss man sich nach und nach umgewöhnen. Alle Anstrengung ist jedoch für ein Kind oder einen alten Menschen leichter zu ertragen als für einen Erwachsenen, der es nicht gewöhnt ist.  (3)  So ist auch ein zu geruhsames Leben abträglich, weil man ja ein­­mal zur Anstrengung gezwungen sein kann. Wenn man sich aber entgegen sei­­ner Gewohnheit anstrengt oder sich mehr vornimmt, als man gewöhnt ist, soll man mit nüchternem Magen schlafen gehen, und zwar besonders bei bitte­

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est vel oculi caligant, aut venter per­turbatur: tum enim non dormiendum tantum­ modo ieiuno est, sed etiam *** in posterum diem permanendum, nisi cito id quies sustulit. Quod si fac­tum est, surgere oportet et lente paulum ambulare. At si somni necessitas non fuit, quia modice magis aliquis laboravit, tamen ingre­­di aliquid eodem modo debet.  (4)  Communia deinde omnibus sunt post fati­­gationem cibum sump­turis: ubi paulum ambulaverunt, si balneum non est, cali­do loco vel in sole vel ad ignem ungui atque sudare; si est, ante omnia in tepidario sedere, deinde ubi pau­lulum conquierunt, intrare et descendere in solium; tum multo oleo ungui leni­terque perfricari, iterum in solium descendere, post haec os aqua calida, dein­de frigida fovere.  (5)  Balineum his fervens ido­ neum non est. Ergo si nimium alicui fatigato paene febris est, huic abunde est loco tepido demittere se inguinibus tenus in aquam calidam, cui paulum olei sit adiectum, deinde totum quidem corpus, maxime tamen eas partes, quae in aqua fuerunt, leviter per­fricare ex oleo, cui vinum et paulum contriti salis sit adiec­tum. (6)  Post haec omnibus fatigatis aptum est cibum sumere, eoque umido uti, aqua vel certe diluta potione esse contentos, maximeque ea, quae move­ at urinam. Illud quoque nosse oportet, quod ex labore sudanti frigida potio perniciosissima est atque etiam, cum sudor se remisit, itinere fatigatis inuti­ lis.  (7)  A balineo quoque venientibus Asclepiades inutilem eam iudicavit; quod in iis verum est, quibus alvus facile nec tuto resolvitur quique facile inhor­­res­ cunt; perpetuum in omnibus non est, cum potius naturale sit potione aes­tuan­tem stomachum refrigerari, frigentem calefieri. Quod ita praecipio, ut tamen fate­ar, ne ex hac quidem causa sudanti adhuc frigidum bibendum esse. (8)  Solet etiam prodesse post varium cibum frequentesque dilutas potiones vomi­tus, et postero die longa quies, deinde modica exercitatio. Si adsidua fati­ ga­tio urguet, in vicem modo aquam, modo vinum bibendum est, raro balineo uten­dum. Levatque lassitudinem etiam laboris mutatio; eumque, quem novum genus eiusdem laboris pressit, id quod in consuetudine est, reficit.  (9)  Fatigato coti­dia­num cubile tutissimum est: lassat enim quod contra consuetudinem, seu molle seu durum est. Proprie quaedam ad eum pertinent, qui ambulando fatiga-

1,3,3–1,3,9

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rem Geschmack im Mund, trüben Augen und Bauchgrimmen. Dann soll man näm­lich nicht nur mit nüchternem Magen schlafen gehen, sondern auch . . . am nächs­ten Tag bleiben, außer wenn die Ruhe rasche Besserung gebracht hat. Ist dies der Fall, soll man aufstehen und vorsichtig einen kleinen Spa­ ziergang machen. Aber auch wenn kein Schlaf notwendig ist, weil man nur mäßig gear­­bei­tet hat, muss man doch auf dieselbe Weise ein bisschen spazieren gehen.  (4)  Eines gilt aber für alle, die im Zustand der Erschöpfung Nahrung zu sich nehmen wollen: zuerst ein kleiner Spaziergang, und dann, wenn keine Mög­ lichkeit zum Baden besteht, an einem warmen Ort in der Sonne oder am Feuer sich salben lassen und schwitzen. Wenn aber eine solche Möglichkeit besteht, so soll man zuerst im Tepidarium sitzen, sodann nach einer kurzen Ruhezeit in die Badewanne steigen und untertauchen, sich nachher mit viel Öl salben und ein wenig massieren lassen, abermals in der Badewanne untertauchen und sich anschließend das Gesicht erst mit warmem, dann mit kaltem Wasser pfle­ gen.  (5)  In solchen Fällen ist ein sehr heißes Bad nicht angemessen. Wenn also jemand so erschöpft ist, dass er beinahe fiebert, dann ist es ausreichend, wenn er in einem mild temperierten Raum bis zum Bauch in warmes Wasser ein­taucht, dem ein wenig Öl beigefügt worden ist, und sich dann den ganzen Kör­per, aber besonders jene Teile, die im Wasser gewesen sind, leicht mit Öl unter Beigabe von Wein und gestoßenem Salz massieren lässt. (6)  Hierauf ist man trotz Erschöpfung imstande, Nahrung zu sich zu nehmen und insbesondere flüssigkeitshaltige Nahrung zu genießen. Trinken soll man Was­­ser oder auf jeden Fall gemischten Wein, der Harn treibend ist. Ferner muss man wissen, dass kalte Getränke höchst ungesund sind, wenn man vor Anstren­gung schwitzt, und abträglich, wenn man von der Reise erschöpft ist, auch wenn der Schweiß nachgelassen hat.  (7)  Asklepiades hat sie auch unmit­ tel­bar nach dem Bad als nachteilig eingeschätzt, und dies trifft auf Menschen zu, deren Eingeweide erregbar ist und bei Unruhe zu Durchfall neigt, und die zum Schüttelfrost neigen. Es ist aber keine allgemein gültige Regel, da es doch natür­licher ist, einen erhitzten Magen durch Trinken abzukühlen und einen kal­ ten zu erwärmen. Dies stelle ich fest, bemerke aber, dass man darum nicht etwa auf den Gedanken verfallen soll, bei Schweiß etwas Kaltes zu trinken. (8)  Gewöhnlich hilft es nach einer reichhaltigen Mahlzeit und viel gemisch­ tem Wein, sich zu erbrechen, nachher längere Zeit zu ruhen und dann wenig Bewe­gung zu machen. Wird man von langanhaltender Erschöpfung bedrückt, muss man abwechselnd bald Wasser, bald Wein trinken und nur in Einzelfällen das Bad aufsuchen. Ermüdung wird auch durch Abwechslung in der Arbeit beho­ben. Trägt man schwer an einer neuartigen Arbeit, so wird einen die gewohnte Arbeit erfrischen.  (9)  Ist man erschöpft, so ist das gewohnte Bett die sicherste Wahl, denn etwas Ungewohntes ermattet nur noch mehr, sei es nun weich oder hart. Gewisse Dinge gelten für den vom Fußmarsch Erschöpf­ten. Ihn

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Liber primus

tur. Hunc reficit in ipso quoque itinere frequens frictio, post iter primum sedi­le, deinde unctio; tum calida aqua in balineo magis superiores partes quam infe­ riores foveat.  (10)  Si quis vero exustus in sole est, huic in balneum pro­tinus eun­­dum perfundendumque oleo corpus et caput; deinde in solium bene calidum descendendum est; tum multa aqua per caput infundenda, prius cali­da, deinde fri­gida. At ei, qui perfrixit, opus est in balineo primum involuto sedere, donec insudet; tum ungui, deinde lavari; cibum modicum, deinde potio­nes meracas adsu­mere. (11)  Is vero, qui navigavit et nausea pressus est, si multam bilem evomuit, vel absti­nere a cibo debet vel paulum aliquid adsumere. Si pituitam acidam effu­dit, uti­que sumere cibum, sed adsueto leviorem: si sine vomitu nausea fuerit, vel abstinere vel post cibum vomere.  (12)  Qui vero toto die vel in vehiculo vel in spec­taculis sedit, huic nihil currendum sed lente ambulandum est. Lenta quo­ que in balineo mora, dein cena exigua prodesse cons‹u›erunt. Si quis in bali­neo aestuat, reficit hunc ore exceptum et in eo retentum acetum; si id non est, eodem modo frigida aqua sumpta. (13)  Ante omnia autem norit quisque naturam sui corporis, quoniam alii gra­­ci­les, alii obessi sunt, alii calidi, alii frigidiores, alii umidi, alii sicci; alios adstric­­ta, alios resoluta alvus exercet. Raro quisquam non aliquam partem cor­ po­ris inbecillam habet.  (14)  Tenuis vero homo inplere se debet, plenus exte­­­­­ nuare; calidus refrigerare, frigidus calefacere; madens siccare, siccus made­­­­­­­facere; itemque alvum firmare is, cui fusa, solvere is, cui adstricta est: suc­cur­­ren­­dumque sem­per parti maxime laboranti est. (15)  Implet autem corpus modica exercitatio, frequentior quies, unctio et, si post prandium est, balineum; contracta alvus, modicum frigus hieme, somnus et ple­nus et non nimis longus, molle cubile, animi securitas, adsumpta per cibos et potio­nes maxime dulcia et pinguia; cibus et frequentior et quantus ple­nis­simus potest concoqui. (16)  Extenuat corpus aqua calida, si quis in ea descendit, magisque si sal­sa est; ieiuno balineum, inurens sol ut omnis calor, cura, vigilia; somnus nimium vel brevis vel longus, per aestatem durum cubile; cursus, multa ambu­latio, omnis­que vehemens exercitatio; vomitus, deiectio, acidae res et auste­rae; et

1,3,9–1,3,16

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erfrischen häufige Massagen während des Marsches, und daran anschließend soll er erst sitzen, sich dann salben lassen und sich dann in einem warmen Bad pfle­gen, und zwar die oberen Körperteile mehr als die unte­ren.  (10)  Hat man einen Sonnenbrand, soll man zuerst ins Bad gehen und sich den Körper und den Kopf mit Öl übergießen. Nachher soll man in eine sehr heiße Badewanne eintauchen und sich sodann viel Wasser über den Kopf schüt­ten, erst heißes, dann kaltes. Wenn man aber friert, soll man zuerst in Tücher gehüllt im Cal­ darium sitzen, bis man schwitzt, sich sodann salben und nachher abwa­schen las­­sen. Man soll mäßig essen und nachher ungemischten Wein trin­ken. (11)  Ist man aber zu Schiff unterwegs und wird seekrank, soll man, wenn man viel Galle erbrochen hat, entweder ganz auf Nahrung verzichten oder nur sehr wenig zu sich nehmen. Wenn man sauren Schleim gespien hat, soll man unbe­­dingt Nahrung zu sich nehmen, aber leichtere als gewöhnlich. Ist einem übel, aber ohne Brechreiz, soll man entweder auf Nahrung verzichten oder etwas essen und sich dann erbrechen.  (12)  Wenn man aber den ganzen Tag im Wagen oder im Theater sitzt, soll man nachher nicht laufen, sondern langsam spa­­­zieren. Auch langes Verweilen im Bad, gefolgt von einer kleinen Mahlzeit, hilft gewöhnlich. Erhitzt man sich im Bad, erfrischt man sich dadurch, dass man Essig in den Mund nimmt und dort behält, ist kein Essig vorhanden, tut es auch Wasser, das man nach derselben Weise in den Mund nimmt. (13)  Vor allen Dingen aber soll jeder Mensch mit der Beschaffenheit seines Kör­pers vertraut sein, denn der eine ist zierlich, der andere fettleibig, der eine hit­­zig, der andere kühler, der eine feucht, der andere trocken, und einen plagt ein harter Leib, einen anderen ein lockerer Stuhl.  (14)  Magere müssen also zune­h­­men, Dicke abnehmen, Hitzige müssen abkühlen, Kalte sich erwärmen, Feuch­te austrocknen, Trockene sich befeuchten, und ebenso muss man den Stuhl festigen, wenn er gewohnheitsmäßig zu locker ist, und lockern, wenn man harten Leibes ist. Man muss immer jenem Körperteil Hilfe bringen, der sich am meisten plagt. (15)  Will man zunehmen, so helfen mäßige Leibesübungen, häufigere Ruhe, Sal­bun­gen und das Bad, wenn es nach der Mittagsmahlzeit geschieht, ein har­ter Leib, mäßige Winterkälte, ausreichender Schlaf, aber nicht zu viel, ein wei­ ches Bett, ein sorgloses Gemüt, der Genuss von äußerst Fettem und Süßem in Nah­rung und Getränk und eher häufige und so reichliche Mahlzeiten, wie man verdauen kann. (16)  Will man abnehmen, helfen heißes Wasser, wenn man darin untertaucht, und besonders, wenn es salzig ist, Bäder auf nüchternen Magen, glühende Son­ ne und überhaupt Hitze, Sorgen, Nachtwachen, zu viel oder zu wenig Schlaf, ein hartes Lager im Sommer, Läufe, ausgedehnte Spaziergänge und jede Art von hef­tiger Anstrengung, Erbrechen, Abführen, der Verzehr saurer und herber

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Liber primus

semel die adsumptae epulae; et vini non praefrigidi ieiuno potio in consue­tudi­ nem adducta. (17)  Cum vero inter extenuantia posuerim vomitum et deiectionem, de his quo­que proprie quaedam dicenda sunt. ‹R›eiectum esse ab Asclepiade vomitum in eo volumine, quod de tuenda sanitate composuit, video; neque reprehendo, si offen­sus eorum est consuetudine, qui cotidie eiciendo vorandi facultatem moli­un­tur. Paulo etiam longius processit; idem purgationes quoque eodem volu­mine expulit: et sunt eae perniciosae, si nimis valentibus medicamentis fiunt.  (18)  Sed haec tamen summovenda esse non est perpetuum, quia corpo­ rum temporumque ratio potest ea facere necessaria, dum et modo et non nisi cum opus est adhibeantur. Ergo ille quoque ipse, si quid iam corruptum esset, expel­li debere confessus est: ita non ex toto res condemnanda est. Sed esse eius etiam plures causae possunt; estque in ea quaedam paulo subtilior obser­vatio adhi­benda. (19)  Vomitus utilior est hieme quam aestate: nam tunc et pituitae plus et capi­tis gravitas maior subest. Inutilis est gracilibus et inbecillum stomachum haben­tibus: utilis plenis, biliosis omnibus, si vel nimium se replerunt, vel parum con­coxerunt. Nam sive plus est quam quod concoqui possit, periclitari ne con­ rumpatur non oportet: si vero corruptum est, nihil commodius est quam id, qua via primum expelli potest, eicere.  (20)  Itaque ubi amari ructus cum dolore et gravitate praecordiorum sunt, ad hunc protinus confugiendum est. Item prodest ei, cui pectus aestuat et frequens saliva vel nausea est, aut sonant aures, aut madent oculi, aut os amarum est; similiterque ei, qui vel cae­lum vel locum mutat; isque, quibus, si per plures dies non vomuerunt, dolor prae­cordia infestat. (21)  Neque ignoro inter haec praecipi quietem, quae non semper contingere potest agendi necessitatem habentibus, nec in omnibus idem facit. – Itaque istud luxuriae causa fieri non oportere confiteor: interdum valetudinis causa rec­te fieri experimentis credo cum eo tamen, ne quis, qui valere et senescere volet, hoc cottidianum habeat.  (22)  Qui vomere post cibum volt, si ex facili facit, aquam tantum tepidam ante debet adsumere; si difficilius, aquae vel salis vel mellis paulum adicere. At qui mane vomiturus est, ante bibere mul­sum vel

1,3,16–1,3,22

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Dinge, eine einzige Mahlzeit am Tag und der gewohnheitsmäßige Genuss von nicht zu kaltem Wein auf nüchternen Magen. (17)  Da ich aber das Erbrechen und das Abführen unter die Abmagerungs­ kuren gezählt habe, muss ich mich näher dazu äußern. Ich stelle fest, dass Asklepiades das Erbrechen in seinem Werk „Wie man sich gesund erhält“ abgelehnt hat. Ich tadle ihn nicht dafür, dass er Anstoß an dieser Gewohnheit gewisser Leute nimmt, ihre Fertigkeit als Fresser dadurch zu steigern, dass sie sich täglich über­geben. Er geht sogar ein wenig weiter, denn in demselben Werk lehnt er auch das Abführen ab. Nun ist das natürlich schädlich, wenn es durch allzu star­ke Medikamente hervorgerufen wird.  (18)  Beide Maßnahmen sollen aber nicht zur Gänze abgelehnt werden, da sie bei verschiedenen körperlichen Gege­ben­heiten und zu verschiedenen Zeiten erforderlich sein können, wenn man sie denn in Maßen anwendet und nur dann, wenn es wirklich notwendig ist. Asklepiades stellt auch fest, dass man nur solche Dinge verwerfen müsse, mit denen Missbrauch betrieben werde. Daher braucht man das Erbrechen und das Abführen nicht von vornherein abzulehnen. Vielmehr können meh­rere Gründe dafür vorgebracht werden. Darum soll sie hier etwas genauer betrach­tet werden. (19)  Das Erbrechen ist im Winter eher zuträglich als im Sommer, denn im Win­ter sind Schleimbildung und Kopfschmerzen häufiger. Es ist abträglich für zier­liche Personen und solche, die einen schwachen Magen haben. Zuträglich ist es für Füllige und für alle Gallenleidenden, sei es wegen Überernährung, sei es wegen mangelnder Verdauung. Ist nämlich mehr im Magen, als verdaut wer­­­den kann, soll man nicht riskieren, dass es verdirbt. Ist es aber schon ver­ dor­­ben, so ist nichts naheliegender, als es auf raschestem Weg wieder von sich zu geben.  (20)  Empfindet man also bitteres Aufstoßen mit Schmerz und Druck in der Brusthöhle, so muss man sofort zum Erbrechen seine Zuflucht nehmen. Es hilft auch bei Sodbrennen, bei übermäßigem Speichelfluss oder Übelkeit, bei Ohrensausen, tränenden Augen und einem bitteren Geschmack im Mund und gleichermaßen bei Luftveränderung oder Ortswechsel und dann, wenn man einen Schmerz in der Brusthöhle verspürt, wenn man sich einige Tage lang nicht erbrochen hat. (21)  Ich weiß wohl, dass in solchen Fällen Ruhe verschrieben wird, aber das ist für einen vielbeschäftigten Menschen nicht immer möglich. Auch hilft es nicht in allen Fällen gleich. Und so stelle ich ausdrücklich fest: Man soll das Erbre­chen nicht der Völlerei wegen anwenden. Ich glaube aber aus Erfahrung, dass es aus gesundheitlichen Gründen fallweise zu Recht praktiziert wird. Aller­dings soll man es nicht täglich tun, will man gesund bleiben und lange leben.  (22)  Will man sich nach einer Mahlzeit erbrechen und tut sich leicht dabei, so muss man zuerst reines, lauwarmes Wasser zu sich nehmen. Hat man Schwie­rig­keiten, muss man dem Wasser ein wenig Salz oder Honig beigeben. Will man sich in der Früh erbrechen, muss man zuerst Honig- oder Ysopwein

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Liber primus

hysopum, aut esse radiculam debet, deinde aquam tepidam, ut supra scrip­ tum est, bibe­re. Cetera, quae antiqui medici praeceperunt, stomachum omnia infes­tant.   (23)  Post vomitum, si stomachus infirmus est, paulum cibi, sed huius idonei, gustandum, et aquae frigidae cyathi tres bibendi sunt, nisi tamen fauces vomi­tus exasperarint. Qui vomuit, si mane id fecit, ambulare debet, tum ungi, dein cenare; si post cenam, postero die lavari et in balneo suda­re.  (24)  Inde pro­­ximus cibus mediocris utilior est isque esse debet cum pane hesterno, vino aus­tero meraco et carne assa cibisque omnibus quam siccissimis. Qui vomere bis in mense vult, melius consulet, si biduo continua­rit, quam si post quintum deci­mum diem vomuerit, nisi haec mora gravitatem pectori faciet. (25)  Deiectio autem medicamento quoque petenda est, ubi venter suppressus parum reddit, ex eoque inflationes, caligines, capitis dolores, aliaque superioris par­­tis mala increscunt. Quid enim inter haec adiuvare possunt quies et inedia ***, quae per illas maxime eveniunt? Qui deicere volet, primum cibis vinisque ute­tur is, qui hoc praestant; dein, si parum illa proficient, aloen sumat. (26)  Sed purgationes quoque, ut interdum necessariae sunt, sic, ubi fre­quentes sunt, periculum adferunt: adsuescit enim non ali corpus, cum omnibus mor­bis obno­xia maxime infirmitas sit. (27)  Calefacit autem unctio, aqua salsa, magisque si calida est, omnia salsa, ama­ra, carnosa; si post cibum est, balneum, vinum austerum. Refrigerant in ieiu­­­nio et balneum et somnus, nisi nimis longus est, omnia acida, aqua ‹quam› fri­­­gi­dissima, oleum, si aqua miscetur. (28)  Umidum autem corpus efficit labor maior quam ex consuetudine, fre­ quens balineum, cibus plenior, multa potio, post hanc ambulatio et vigilia; per se quoque ambulatio multa et matutina et vehemens, exercitationi non proti­nus cibus adiectus; ea genera escae, quae veniunt ex locis frigidis et pluviis et inri­ guis.  (29)  Contra siccat modica exercitatio, fames, unctio sine aqua, calor, sol modicus, frigida aqua, cibus exercitationi statim subiectus, et is ipse ex sic­cis et aestuosis locis veniens.

1,3,22–1,3,29

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trin­ken oder Rettich essen und dann lauwarmes Wasser trinken, wie oben beschrie­ben. Alles andere, das die Ärzte der Alten verschrieben haben, greift den Magen an.  (23)  Wenn der Magen nach dem Erbrechen schwach ist, soll man wenig, aber geeignete Nahrung genießen und drei Becher kaltes Wasser trin­ken, sofern die Kehle nicht noch vom Erbrechen gereizt ist. Erbricht man sich am Morgen, soll man spazieren gehen, sich dann salben lassen und darauf­ hin zu Tisch gehen. Geschieht es nach der Hauptmahlzeit, soll man sich am nächsten Tag waschen und im Bad schwitzen.  (24)  Daraufhin ist das nächs­te Mahl besser bescheiden und soll aus altem Brot bestehen, herbem, unge­misch­ tem Wein und gebratenem Fleisch und allen Speisen so trocken wie mög­lich. Will man sich zweimal im Monat erbrechen, soll man eher planen, es an zwei aufeinander folgenden Tagen zu tun, als sich alle vierzehn Tage zu erbre­chen, solange diese Wartezeit nicht die Brust beschwert. (25)  Das Abführen kann ebenfalls durch ein Mittel hervorgerufen werden, wenn der Leib verstopft ist und zu wenig ausscheidet und daraus Blähungen, Schwin­delgefühle, Kopfschmerzen und andere Leiden der oberen Körperteile ent­stehen. Denn was helfen Ruhe und Fasten schon gegen diese Dinge . . . , die doch eben dadurch hervorgerufen werden? Wer sich abführen will, soll zuerst sol­chen Wein und solche Speisen anwenden, die den Stuhl fördern, und dann, wenn dies zu wenig Wirkung zeigt, soll er Aloe einnehmen. (26)  Doch sind auch Abführmittel, obwohl sie bisweilen notwendig sind, gefähr­lich, und zwar bei häufiger Anwendung. Der Körper gewöhnt sich näm­ lich an die Unterernährung, während ihn seine Schwäche anfällig für jegliche Krank­heit macht. (27)  Den Körper erwärmen Salbungen, Salzwasser, besonders, wenn es warm ist, überhaupt alles Salzige, Bittere und Fleischige, und Bäder und her­ber Wein nach dem Essen. Abkühlung verschaffen Bäder und Schlaf auf nüch­ter­nen Magen, wenn sie nicht zu lange dauern, alles Saure, möglichst kaltes Was­ser sowie Öl, wenn es mit Wasser gemischt wird. (28)  Der Körper erlangt Feuchtigkeit durch Anstrengung über das gewohnte Maß hinaus, durch häufiges Baden, reichhaltigeres Essen, vieles Trinken, gefolgt von Spaziergängen und Nachtwachen, auch durch Spaziergänge allein, wenn sie häufig und hastig sind und frühmorgens erfolgen, durch Zuwar­ten mit dem Essen nach der Leibesübung und durch jene Arten von Spei­sen, die aus kühlen, regnerischen und wasserreichen Gegenden stammen.  (29)  Ausgetrocknet wird der Körper dagegen durch mäßige Anstren­gung, Fas­ten, Salbungen ohne Wasser, Hitze, mäßige Sonne, kaltes Wasser, Essen unmit­tel­b ar nach der Leibesübung und Speisen, die aus trockenen und heißen Gegen­den stammen.

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Liber primus

(30)  Alvum adstringit labor, sedile, creta figularis corpori inlita, cibus inmi­ nu­­tus, et is ipse semel die adsumptus ab eo, qui bis solet; exigua potio neque adhi­­bita, nisi cum cibi quis, quantum adsumpturus est, cepit, post cibum quies. (31)  Contra solvit aucta ambulatio atque esca po‹tusque›, motus, qui post cibum est, subinde potiones cibo inmixtae. Illud quoque scire oportet, quod ven­­trem vomitus solutum conprimit, compressum solvit; itemque conprimit is vomi­­tus, qui statim post cibum est, solvit is, qui tarde supervenit. (32)  Quod ad aetates vero pertinet, inediam facillime sustinent mediae aeta­ tes, minus iuvenes, minime pueri et senectute confecti. Quo minus fert faci­le quis­que, eo saepius debet cibum adsumere, maximeque eo eget, qui incres­ cit. Calida lavatio et pueris et senibus apta est. Vinum dilutius pueris, seni­ bus meracius: neutri aetati, quae inflationes movent.  (33)  Iuvenum minus quae adsumant et quomodo curentur, interest. Quibus iuvenibus fluxit alvus, ple­ rumque in senectute contrahitur: quibus in adulescentia fuit adstricta, saepe in senectute solvitur. Melior est autem in iuvene fusior, in sene adstrictior. (34)  Tempus quoque anni considerare oportet. Hieme plus esse convenit, minus sed meracius bibere; multo pane uti, carne potius elixa, modice hole­ribus; semel ‹die› cibum capere, nisi si nimis venter adstrictus est. Si prandet ali­quis, utilius est exiguum aliquid, et ipsum siccum sine carne, sine potione sume­re. Eo tempore anni calidis omnibus potius utendum est vel calorem moven­tibus. Venus tum non aeque perniciosa est.  (35)  At vere paulum cibo demen­dum, adicien­dum potioni, sed dilutius tamen bibendum est; magis car­ne utendum, magis holeribus; transeundum paulatim ad assa ab elixis. Venus eo tempore anni tutissima est. (36)  Aestate vero et potione et cibo saepius corpus eget; ideo prandere quo­ que commodum est. Ei tempori aptissima sunt et caro et holus, potio quam dilu­ tissima, ut et sitim tollat nec corpus incendat; frigida lavatio, caro assa, fri­gidi cibi vel qui refrigerent. Ut saepius autem cibo utendum, sic exiguo est.  (37)  Per autumnum propter caeli varietatem periculum maximum est. Ita­que neque sine veste neque sine calciamentis prodire oportet, praecipueque die­bus frigidioribus,

1,3,30–1,3,37

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(30)  Der Stuhl wird durch Anstrengung verfestigt, durch Stillsitzen, durch Bestrei­chen des Körpers mit Tonerde, durch Zurückhaltung beim Essen und die Beschränkung auf eine Mahlzeit am Tag, wenn man an zwei gewöhnt ist, durch weniges Trinken, und auch das nur, wenn man es mit der zugemessenen Menge an Speise einnimmt und durch Ruhe nach der Mahlzeit. (31)  Gelöst wird er dagegen durch längere Spaziergänge und mehr Essen und Trinken, durch Bewegung nach dem Essen sowie durch Trinken während des Essens. Man muss auch wissen, dass das Erbrechen einen lockeren Unter­leib fes­tigt und einen festen löst. Das Erbrechen festigt den Leib, wenn es unmit­ telbar nach dem Essen stattfindet, und löst ihn, wenn es später erfolgt. (32)  Was aber das Alter betrifft, so ertragen Menschen mittleren Alters den Hun­ger sehr leicht, junge Leute weniger und Kinder und Altersschwache am wenigs­­ten. Je weniger leicht man ihn aushält, desto öfter muss man Nahrung zu sich neh­men. Der größte Bedarf herrscht während des Wachstums. Warme Bäder eig­nen sich für Kinder und alte Leute am besten. Wein wird für Kinder bes­ser ver­dünnt, für alte Leute ist er besser ungemischt. In Zu keinem Lebensal­ ter soll es solcher sein, der Blähungen hervorruft.  (33)  Bei jungen Leuten macht es weniger aus, was sie zu sich nehmen und wie sie behandelt werden. Wer als jun­­ger Mensch zu Durchfall neigt, ist im Alter oft verstopft. Wer in der Jugend ver­­stopft ist, dem löst sich der Leib oft im Alter. Besser ist aber, wenn der Leib eines jungen Menschen lockerer und der eines alten Menschen härter ist. (34)  Man muss auch die Jahreszeit in Erwägung ziehen. Im Winter ist es gut, mehr zu essen und weniger zu trinken, aber ungemischten Wein, viel Brot zu nehmen, das Fleisch am besten gesotten, Gemüse nur in Maßen und nur einmal am Tag zu essen, außer, der Unterleib ist allzu verstopft. Wenn man zu Mittag isst, ist es besser, nur ganz wenig, und das trocken, fleischlos und ohne Wein, zu sich zu nehmen. Zu dieser Jahreszeit soll man am besten Hei­ ßes und die Hitze Förderndes gebrauchen. Der Geschlechtsverkehr ist dann nicht so gesundheitsgefährdend.  (35)  Aber im Frühjahr soll man sich beim Essen einschränken, mehr trinken, aber besser verdünnten Wein trinken, mehr Fleisch und mehr Gemüse essen und langsam vom Gesottenen zum Gebra­­tenen übergehen. Zu dieser Jahreszeit ist der Geschlechtsverkehr am sichers­ten. (36)  Im Sommer aber hat der Körper häufiger Bedarf nach Nahrung und Getränk, und daher sind Mittagsmahlzeiten zu dieser Zeit angemessen. Am pas­sends­ten für diese Jahreszeit sind Fleisch und Gemüse, der Wein möglichst ver­dünnt, sodass er den Durst löscht, ohne den Körper in Hitze zu bringen, fer­ner kalte Bäder, gebratenes Fleisch, kalte Speisen oder solche, die einen abküh­len. Wenn man aber schon öfters essen muss, dann soll die Kost sehr knapp sein.  (37)  Im Herbst besteht wegen des wechselnden Wetters die größ­te Gefahr für die Gesundheit. Darum soll man nicht ohne Obergewand und Schuh­ werk aus dem Haus gehen, vor allem an kälteren Tagen, noch soll man in der

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Liber primus

neque sub divo nocte dormire, aut certe bene operiri. Cibo vero iam paulo ple­ niore uti licet, minus sed meracius bibere.  (38)  Poma noce­re quidam putant, quae inmodice toto die plerumque sic adsumuntur, ne quid ex densiore cibo remit­tatur. Ita non haec sed consummatio omnium nocet; ex quibus in nullo tamen minus quam in his noxae est. Sed his uti non saepius quam alio cibo con­venit.   (39)  Denique aliquid densiori cibo, cum hic accedit, necessarium est demi. Neque aestate vero neque autumno utilis venus est, tolerabilior tamen per autum­num: aestate in totum, si fieri potest, absti­nen­dum est. Caput IV De iis, qui aliqua parte corporis laborant, et primum de iis, quibus caput infirmum est (1)  Proximum est, ut de iis dicam, qui partes aliquas corporis inbecillas habent. Cui caput infirmum est, is si bene concoxit, leniter ‹per›fricare id mane mani­bus suis debet; numquam id, si fieri potest, veste velare; ad cutem ton­­­deri. (2)  Utileque lunam vitare, maximeque ante ipsum lunae solisque concursum; sed nusquam post cibum ***. Si cui capilli sunt, cottidie pectere, multum ambu­­ lare, sed, si licet, neque sub tecto neque in sole; ubique autem vitare solis ardo­ rem, maximeque post cibum et vinum; potius ungui quam lavari, num­quam ad flam­mam ungui, interdum ad prunam. Si in balineum venit, sub veste pri­mum pau­lum in tepidario insudare, ibi ungui; tum transire in caldarium; ubi suda­vit, in solium non descendere, sed multa calida aqua per caput se totum per­fundere, tum tepida, deinde frigida, diutiusque ea caput quam ceteras par­­tes perfundere; deinde id aliquamdiu perfricare, novissime detergere et ungu­­ere.  (3)  Capiti nihil aeque prodest ‹atque› aqua frigida: itaque is, cui hoc infirmum est, per aestatem id bene largo canali cotidie debet aliquamdiu sub­­icere. Semper autem, etiamsi sine balineo unctus est neque totum corpus refri­­gerare sustinet, caput tamen aqua frigida perfundere: sed cum ceteras par­­tes adtingi nolit, demittere id, ne ad cervices aqua descendat; eamque, ne quid oculis aliisve partibus noceat, defluentem subinde manibus [ad os] rege­re‹re›.  (4)  Huic modicus cibus necessa-­

1,3,37–1,4,4

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Nacht im Freien schlafen, oder man soll sich doch wenigstens gut zude­cken. Essen darf man aber ein wenig mehr einnehmen und dazu weniger, aber eher ungemischten Wein trinken.  (38)  Manche glauben, Obst schade der Gesund­ heit, wenn man nämlich den ganzen Tag lang große Mengen davon verzehre und nicht zugleich auf reichhaltigere Nahrung verzichte. Dabei schadet nicht das Obst, sondern das Alles-Durcheinander-Essen, und von alledem ist nichts weni­ger schädlich als eben das Obst. Man soll es aber doch nicht häufiger als andere Speisen genießen.  (39)  Und dazu ist es in solchen Fällen auch erfor­ derlich, sich bei anderer, reichhaltigerer Nahrung einzuschränken. Weder im Som­mer noch im Herbst ist der Geschlechtsverkehr gesundheitsfördernd, aber im Herbst ist er noch eher hinzunehmen. Im Sommer soll man nach Möglich­keit gänzlich darauf verzichten. 4. Kapitel Beschwerden an verschiedenen Körperteilen, vorrangig Kopfschmerzen (1)  Als nächstes muss ich erläutern, wie verschiedene Körperteile von Krank­­heiten befallen werden können. Wenn der Kopf angegriffen ist, soll man ihn nach erfolgter guter Verdauung in der Früh leicht mit den Händen mas­sie­ ren, ihn nach Möglichkeit niemals mit dem Obergewand verhüllen und ihn glatt rasieren. (2)  Es hilft, wenn man das Mondlicht meidet, insbesondere vor Neumond, aber niemals nach dem Abendessen . . . Trägt man sein Haar, soll man es täg­­lich kämmen, viel spazieren gehen, aber, wenn möglich, weder unter Dach noch in der Sonne, überhaupt immer die Sonnenglut meiden, besonders nach der Mahlzeit und dem Weingenuss, sich lieber salben lassen als baden, sich nie­mals vor offenem Feuer salben lassen, fallweise vor einem Kohlenbecken. Geht man ins Bad, soll man zuerst im Tepidarium ein wenig in Schweiß gera­ten, wobei man das Obergewand anbehält, sich dort salben lassen, dann ins Caldarium wei­ tergehen. Hat man geschwitzt, soll man nicht ins heiße Bad eintauchen, sondern sich von Kopf bis Fuß erst mit heißem, dann mit lauwar­mem und nachher mit kaltem Wasser übergießen lassen, es aber öfter auf den Kopf als auf die übrigen Körperteile schütten. Der Kopf soll nachher eine Zeit­lang massiert werden und abschließend abgetrocknet und gesalbt.  (3)  Nichts ist gesünder für den Kopf als kaltes Wasser. Wenn er also anfällig ist, soll man ihn im Sommer täglich eine Zeitlang ordentlich unter den Strahl einer großen Wasserleitung halten. Aber selbst wenn man sich ohne zu baden sal­ben lässt und es nicht erträgt, den ganzen Körper abzukühlen, soll man doch kaltes Wasser über den Kopf schüt­ ten, aber wenn man nicht will, dass es mit den übrigen Körperteilen in Berüh­ rung kommt, soll man den Kopf vorn­über neigen, sodass einem das Wasser nicht in den Nacken rinnt, und den Was­ser­strahl mit den Händen [zum Gesicht] len­k en, sodass er nicht die Augen oder andere Stellen reizt.  (4)  Man soll

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Liber primus

rius est, quem facile concoquat; isque, si ieiu­no caput laeditur, adsumendus etiam medio die est; si non laeditur, semel potius. Bibere huic adsidue vinum dilu­­tum leve quam aquam magis expedit, ut, cum caput gravius esse coeperit, sit quo confugiat.  (5)  Eique ex toto neque vinum neque aqua semper utilia sunt: medicamentum utrumque est, cum in vicem adsumitur. Scribere, legere, voce contendere huic opus non est, utique post cenam; post quam ne cogitatio qui­ dem ei satis tuta est; maxime tamen vomi­tus alienus est. Caput V De iis, qui lippitudine, gravedine, destillatione tonsillisque laborant (1)  Neque vero iis solis, quos capitis inbecillitas torquet, usus aquae frigidae prod­est, sed iis etiam, quos adsiduae lippitudines, gravidines, destillationes ton­­­sil­laeque male habent. His autem non caput tantum cottidie perfundendum est, sed os quoque multa frigida aqua fovendum est; praecipueque omnibus, qui­­bus hoc utile auxilium est, eo utendum est, ubi gravius caelum austri reddi­ de­runt.   (2)  Cumque omnibus inutilis sit post cibum aut contentio aut agitatio animi, tum iis praecipue, qui vel capitis vel arteriae dolores habere consuerunt, vel quoslibet alios oris adfectus. Vitari etiam gravedines destillationesque pos­ sunt, si quam minime qui his oportunus est loca aquasque mutet; si caput in sole protegit, ne incendatur, neu subito ex repentino nubilo frigus id moveat; si post concoctionem ieiunus caput radit; si post cibum neque legit neque scribit. Caput VI Ad solutam alvum remedia (1)  Quem vero frequenter cita alvus exercet, huic opus est pila similibusque supe­riores partes exercere; dum ieiunus est, ambulare; vitare solem, continua bali­­nea; ungi citra sudorem; non uti cibis variis, minimeque iurulentis, aut legu­ mi­nibus holeribusque, iisque, quae celeriter descendunt; omnia denique fuge­re, quae tarde concocuntur.  (2)  Venatio durique pisces et ex domesticis animalibus assa caro maxime iuvant. Numquam vinum salsum bibere expedit, ne tenue

1,4,4–1,6,2

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einfache Nahrung zu sich nehmen, die leicht verdaulich ist. Wenn der Hunger zu Kopfschmerz führt, soll man auch mit­tags essen, ist dies nicht der Fall, ist eine ein­zige Mahlzeit vorzuziehen. Es ist besser, wenn man gewöhnlich leichten, ver­dünnten Wein trinkt und nicht Was­ser, sodass man gleich eine Lösung hat, wenn der Kopf zu schmerzen beginnt.  (5)  Im Allgemeinen sind weder der stän­ dige, ausschließliche Was­ser- noch der Weingenuss gesundheitsfördernd: beides ist Arznei, wenn es zwi­schen­durch eingenommen wird. Man soll nicht schreiben, lesen oder debat­­tie­ren, ins­besondere nach dem Abendessen, und da ist nicht ein­mal das Den­ken ohne Gefähr­dung möglich. Am wenigsten passend ist hier jedoch das Erbre­chen. 5. Kapitel Patienten mit Augenentzündung, Schnupfen, Katarrh und Mandelent­ zündung (1)  Aber der Gebrauch von kaltem Wasser hilft nicht nur, wenn man von Kopf­­schmerz gequält wird, sondern auch bei anhaltender Augenentzündung, Ver­kühlungen, Katarrhen und Mandelbeschwerden. In diesem Fall soll man aber nicht nur den Kopf täglich mit Wasser übergießen, sondern auch das Gesicht mit viel kaltem Wasser pflegen. Wer hierdurch Linderung verspürt, soll es besonders dann anwenden, wenn die Südwinde ein drückendes Klima schaf­ fen.  (2)  Und obgleich Streit oder Sorgen nach dem Abendessen allge­mein der Gesundheit abträglich sind, gilt dies besonders für Leute, die zu Schmerzen im Kopf oder den Atemwegen oder zu jedweden anderen Erkran­kungen des Rachens neigen. Denn auch wenn man zu Verkühlungen und Kata­r­rhen neigt, las­sen sich diese dadurch vermeiden, dass man sich so wenig wie möglich Luft- und Wasserveränderungen unterzieht, dass man den Kopf vor der Son­ne schützt – so holt man sich keinen Sonnenbrand, und durch plötz­liche Bewöl­ kung hervorgerufene Kälte greift den Kopf nicht an –, dass man nach erfolgter Ver­dauung auf nüchternen Magen den Kopf rasiert und dass man nach dem Abend­essen weder liest noch schreibt. 6. Kapitel Mittel für einen zu lockeren Stuhl (1)  Wird man oft von Durchfall geplagt, muss man den Oberkörper mit Ball­ spie­len und Ähnlichem kräftigen, auf nüchternen Magen spazieren gehen, die Son­ne meiden sowie auf andauerndes Baden verzichten, sich salben lassen, auch wenn man nicht geschwitzt hat, keine abwechslungsreiche Kost genießen, und vor allem keine Suppen, Hülsenfrüchte und Gemüse und alles, was rasch durch den Körper geht: kurz, allem ausweichen, was nicht gut verdaut wird.  (2)  Am zuträglichsten sind Wildbret, Fische mit festem Fleisch und Braten von zahmen Tieren. Mit Meerwasser versetzten Wein soll man nie trinken, auch keinen

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Liber primus

qui­­dem aut dulce, sed austerum et plenius, neque id ipsum pervetus. Si mulso uti volet, id ex decocto melle faciendum est. Si frigidae potiones ven­trem eius non turbant, his utendum potissimum est. Si quid offensae in cena sen­sit, vomere debet, idque postero quoque die facere; tertio modici ponderis panem ex vino esse, adiecta uva ex olla vel ex defruto similibusque aliis; dein­de ad con­ sue­tudinem redire. Semper autem post cibum conquiescere, ac neque inten­dere animum, neque ambulatione quamvis levi dimoveri. Caput VII Remedia ad coli dolorem At si laxius intestinum dolere consuevit, quod colum nominant, cum id nihil nisi genus inflationis sit, id agendum est, ut concoquat aliquis; ut lectione aliis­ que generibus exerceatur; utatur balineo calido, cibis quoque et potionibus cali­ dis, denique omni modo frigus vitet, item dulcia omnia leguminaque et quic­quid inflare consuevit. Caput VIII Quae agenda sint stomacho laborantibus (1)  Si quis vero stomacho laborat, legere clare debet et post lectionem ambu­ lare; tum pila et armis aliove quo genere, quo superior pars movetur, exerceri; non aquam sed vinum calidum bibere ieiunus; cibum bis die adsumere, sic tamen ut facile concoquat; uti vino tenui et austero, et si post cibum, frigidis pot­ius potionibus.   (2)  Stomachum autem infirmum indicant pallor, macies, prae­cord­iorum dolor, nausea, et nolentium vomitus, ieiuno dolor capitis; quae in quo non sunt, is firmi stomachi est. Neque credendum utique nostris est, qui cum in adversa valetudine vinum aut frigidam aquam concupiverunt, deli­ciarum patrocinium in accusatione[m] non merentis stomachi habent.  (3)  At qui tarde concocunt, et quorum ideo praecordia inflantur, quive propter ardo­rem aliquem noctu sitire consuerunt, ante quam conquiescant duos tres­ve cyathos per tenuem fistulam bibant. Prodest etiam adversus tardam concoc­tionem clare legere, deinde ambulare, tum vel ungui vel lavari; adsidue vinum frigidum bibere, et post cibum magnam potionem, sed, ut supra dixi, per siphonem; deinde omnes potiones aqua frigida includere.  (4)  Cui vero cibus acescit, is ante eum bibere

1,6,2–1,8,4

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leichten oder lieblichen, sondern trockenen und solchen mit vol­le­rem Bouquet, aber keinen sehr alten. Will man Honigwein trinken, so muss es solcher aus aufgekochtem Honig sein. Kalte Getränke einzunehmen ist ganz vorzüglich, solange sie einem nicht den Leib in Unordnung bringen. Merkt man, dass einem etwas in einer Speise nicht bekommt, muss man sich erbre­chen, soll dies aber am folgenden Tag nochmals tun und am dritten Tag eine beschei­dene Menge Brot essen, das in Wein eingeweicht ist, und dazu Trauben im Tiegel oder in eingedicktem Most. Daraufhin soll man wieder essen, wie man es gewöhnt ist. Nach dem Essen soll man aber immer ruhen und darf weder geistig tätig sein noch sich durch Spazieren Bewegung verschaffen, auch nicht ganz kurz. 7. Kapitel Mittel bei Schmerzen im Dickdarm Wenn aber der räumigere Darm, den man Dickdarm nennt, zu Schmerzen neigt und es sich dabei nur um eine Form von Blähungen handelt, soll man darauf ach­ten, dass die Verdauung funktioniere, und sich durch Lesen und andere Din­g e Bewegung verschaffen, heiß baden und heiße Speisen und Getränke zu sich nehmen, kurz, alles Kalte vermeiden, auch Süßes, Hülsen­ früchte und alles, was erfahrungsgemäß bläht. 8. Kapitel Maßnahmen bei Magenschmerzen (1)  Leidet man am Magen, so soll man laut lesen und nach der Lektüre spazie­ ren gehen, sich dann durch Ballspiel, Fechten und andere Übungen Bewegung ver­schaf­fen, die den Oberkörper beanspruchen, auf nüchternen Magen nicht Was­ser, sondern Glühwein trinken, zwei Mahlzeiten am Tag einnehmen, sofern die Verdauung gut ist, ferner leichten, trockenen Wein und nach dem Essen besser kalte Getränke genießen.  (2)  Anzeichen eines schwachen Magens sind Blässe, Magerkeit, Schmerzen in der Brust, Brechreiz, unwillkürliches Erbre­ chen und Kopfschmerz bei leerem Magen. Sind diese Anzeichen nicht vor­ han­den, so ist der Magen gesund. Man darf auch nicht unbedingt jenen Zeit­ genossen glauben, die bei angegriffener Gesundheit Verlangen nach Wein oder kaltem Wasser verspüren und zur Rechtfertigung ihrer Gelüste den selbst­ verständlich vollkommen unschuldigen Magen vorschützen.  (3)  Erfolgt die Verdauung aber schleppend und fühlt man Blähungen in der Brust, oder neigt man aufgrund irgendwelcher Hitze zu nächtlichem Durst, soll man vor dem Schlafengehen zwei oder drei Becher durch einen dünnen Strohhalm trin­ken. Gegen schleppende Verdauung hilft es, wenn man laut liest, dann spa­zie­ren geht und sich hinterher salben lässt oder badet, wenn man kalten Wein trinkt und nach dem Essen überhaupt viel trinkt, aber, wie oben gesagt, durch ein Röhrchen, und endlich alles Trinken mit kaltem Wasser abschließt.  (4)  Wenn

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Liber primus

aquam egelidam debet et vomere: at si cui ex hoc frequens deiectio incidit, quo­ tiens alvus ei constiterit, frigida potione potis­simum utatur. Caput IX Quid observandum sit dolore nervorum laborantibus (1)  Si cui vero dolere nervi solent, quod in podagra cheragrave esse con­ suevit, huic, quantum fieri potest, exercendum id est, quod adfectum est, obici­ en­dumque labori et frigori, nisi cum dolor increvit. Sub divo quies opti­ma est.  (2)  Venus semper inimica est; concoctio, sicut in omnibus corporis adfec­ tibus, necessaria: cruditas enim id maxime laedit, et quotiens offensum cor­pus est, vitiosa pars maxime sentit. (3)  Ut concoctio autem omnibus vitiis occurrit, sic rursus aliis frigus, aliis calor; quae sequi quisque pro habitu corporis sui debet. Frigus inimicum est seni, tenui, vulneri, praecordiis, intestinis, vesicae, auribus, coxis, scapulis, natu­­ralibus, ossibus, dentibus, nervis, vulvae, cerebro.  (4)  Idem summam cutem facit pallidam, aridam, duram, nigram; ex hoc horrores tremoresque nas­cun­tur. At prodest iuvenibus et omnibus plenis; erectiorque mens est, et melius con­ co­qui­tur, ubi frigus quidem est sed cavetur.  (5)  Aqua vero fri­gida infusa, prae­ terquam capiti, etiam stomacho prodest, etiam articulis dolo­ribusque, qui sunt sine ulceribus, item rubicundis nimis hominibus, si dolore vacant. Calor autem adiuvat omnia, quae frigus infestat, item lippientis, si nec dolor nec lacrimae sunt, nervos quoque, qui contrahuntur, praecipueque ea ulcera, quae ex frigore sunt. Idem corporis colorem bonum facit, urinam movet.  (6)  Si nimius est, cor­ pus effeminat, nervos emollit, stomachum solvit. Mini­me vero frigus et calor tuta sunt, ubi subita insuetis sunt: nam frigus late­ris dolores aliaque vitia, frigida aqua strumas excitat. Calor concoctionem pro­hibet, somnum aufert, sudorem digerit, obnoxium morbis pestilentibus cor­pus efficit.

1,8,4–1,9,6

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aber die Nahrung versäuert, soll man vor dem Essen lauwarmes Wasser trin­ken und sich erbrechen. Führt dies aber zu häufigem Stuhlgang, soll man am besten nach jeder Darmentleerung etwas Kaltes trinken. 9. Kapitel Verhaltensmaßregeln bei Muskelschmerzen (1)  Neigt man aber zu Muskelschmerzen, wie es bei Podagra und Chiragra der Fall ist, so soll man den betroffenen Körperteil bewegen, soweit dies möglich ist, und ihn der Anstrengung und der Kälte aussetzen, es sei denn, der Schmerz nimmt zu. Ruhe unter freiem Himmel ist das Beste.  (2)  Geschlechtsverkehr ist immer abträglich, gute Verdauung ist eine Notwendigkeit, unabhängig von der körperlichen Verfassung. Ein verdorbener Magen schadet hier nämlich sehr, und immer, wenn der Körper angegriffen ist, spürt es der geschwächte Kör­per­teil ganz besonders. (3)  Aber gleich wie die Verdauung mit allen möglichen Beschwerden zusam­ men­hängt, hängt mit einigen auch die Kälte zusammen, mit anderen die Hit­ ze, und jeder soll es diesbezüglich so halten, wie sein Körper es gewöhnt ist. Die Kälte ist abträglich für alte Menschen, für Magere, bei Wunden, für die Brust, die Eingeweide, die Blase, die Ohren, die Hüfte, die Schultern, die Geschlechts­teile, die Knochen, die Zähne, die Muskeln, die Gebärmutter und das Gehirn.  (4)  Sie macht die Oberhaut bleich, trocken, hart oder schwarz, und sie führt zu Schüttelfrost und Schlottern. Aber für junge Menschen und Füllige ist sie nützlich. Der Geist ist beweglicher und die Verdauung bes­ser, wenn einem kalt ist, aber Vorsicht ist geboten.  (5)  Kalte Sturzbäder sind nicht nur dem Kopf, sondern auch dem Magen zuträglich, ferner bei Gelenk­schmerzen, wenn diese nicht von Wundsein begleitet sind, auch bei zu roter Gesichtsfarbe, wenn kein Schmerz dazukommt. Wärme dagegen hilft bei allen Dingen, bei denen die Kälte schadet, wie etwa bei Augenentzündung, wenn weder Schmerz noch Ausfluss vorhanden sind, auch bei verkrampften Muskeln sowie insbe­ son­dere bei durch die Kälte hervorgerufenem Wundsein. Sie verleiht dem Kör­ per eine gesunde Farbe und fördert den Harn.  (6)  Zu viel davon macht den Kör­per weichlich, lässt die Muskeln erschlaffen und schwächt den Magen. Am gefähr­lichsten sind aber sowohl Kälte als auch Wärme, wenn sie unversehens auf­tre­ten und man es nicht gewöhnt ist, denn die Kälte führt zu Schmerzen in der Seite und anderen Übeln, kaltes Wasser zu geschwollenen Drüsen. Hitze ver­langsamt die Verdauung, führt zu Schlaflosigkeit, treibt den Schweiß und macht den Körper anfällig für ansteckende Krankheiten.

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Liber primus

Caput X Observatio in pestilentia (1)  Est etiam observatio necessaria, qua quis in pestilentia utatur adhuc inte­ger, cum tamen securus esse ‹non› possit. Tum igitur oportet peregrinari, navi­gare, ubi id non licet, gestari, ambulare sub diu ante aestum leniter eodem­ que modo ungui; et, ut supra conprensum est, vitare fatigationem, cru­ditatem, frigus, calorem, libidinem, multoque magis ‹se› continere, si qua gravitas in cor­pore est.   (2)  Tum neque mane surgendum neque pedibus nudis ambulandum est, minime post cibum aut balineum; neque ieiuno neque cenato vomendum est, neque movenda alvus; atque etiam, si per se mota est, conprimenda est.  (3)  Abstinendum potius, si plenius corpus est, item­que vitandum balneum, sudor, somnus meridianus, utique si cibus quoque ante­ces­sit; qui tamen semel die tum commodius adsumitur, insuper etiam modi­cus, ne cruditatem moveat. Alternis diebus in vicem modo aqua modo vinum bibendum est. Quibus servatis ex reliqua victus consuetudine quam mini­mum mutari debet.  (4)  Cum vero haec in omni pestilentia facienda sint, tum in ea maxime, quam austri excitarint. Atque etiam peregrinantibus eadem neces­saria sunt, ubi gravi tempore anni discesserunt ex suis sedibus, vel ubi in gra­ves regiones venerunt. Ac si cetera res aliqua prohibebit, utique retineri debe­bit a vino ad aquam, ab hac ad vinum qui supra positus est transitus.

1,10,1–1,10,4

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10. Kapitel Verhalten bei Seuchen (1)  Es gibt auch notwendige Verhaltensmaßregeln für gesunde Menschen in Seuchenzeiten, obwohl man durch sie nicht vor der Krankheit gefeit ist. Es ist also in einem solchen Fall hilfreich, zu verreisen, über Land oder zur See, und wenn dies nicht möglich ist, sich in der Sänfte tragen zu lassen, zu Fuß nur vor der Tageshitze unterwegs zu sein, und da nur langsam, und sich in glei­ cher Weise salben zu lassen, und, wie oben zusammengefasst, Erschöpfung, Ver­­dau­­ungsprobleme, Kälte, Hitze, sexuelle Erregung zu vermeiden und sich noch viel mehr einzuschränken, wenn irgendein körperliches Unwohlsein auf­ tritt.  (2)  In einem solchen Fall soll man weder früh aufstehen noch mit bloßen Füßen umhergehen, und dies besonders nach dem Essen oder dem Bad, und sich weder auf nüchternen Magen noch nach dem Essen erbrechen oder den Darm entleeren. Neigt dieser von sich aus zum Durchfall, muss er gefestigt wer­­den.   (3)  Einschränkung ist umso besser, je fülliger man von Leibe ist. Auch soll man das Bad meiden, das Schwitzen, den Mittagsschlaf, zumal, wenn man vorher etwas gegessen hat. Überhaupt ist es angemessener, nur eine Mahl­zeit am Tag zu genießen, und zwar eine bescheidene, damit es nicht zu Magen­ verstimmung komme. Man soll tageweise abwechselnd Wasser und Wein trinken. Hält man diese Vorschriften ein, so braucht man seine übrigen Lebens­­ gewohnheiten kaum zu ändern.  (4)  Gilt dies alles aber für Seuchen aller Art, so gilt es doch besonders für jene, die der Südwind hervorruft. Es ist auch für Reisende notwendig, wenn sie zu einer ungesunden Jahreszeit ihren Wohn­­ sitz verlassen oder wenn sie in ungesunde Landstriche kommen. Die oben beschriebene Abfolge von Wasser und Wein muss man aber auch dann ein­­ hal­­ten, wenn man aus irgendeinem Grund an der Einhaltung der übrigen Vor­­ schriften verhindert wird.

LIBER II Praefatio (1)  Instantis autem adversae valetudinis Signa conplura sunt. In quibus expli­ candis non dubitabo auctoritate antiquorum virorum uti, maximeque Hippo­ cratis, cum recentiores medici, quamvis quaedam in curationibus mutarint, tamen haec illos optime praesagisse fateantur.  (2)  Sed antequam dico, quibus prae­­cedentibus morborum timor subsit, non alienum videtur exponere, quae tem­­pora anni, quae tempestatum genera, quae partes aetatis, qualia corpora maxi­me tuta vel periculis oportuna sint, quod genus adversae valetudinis in quo time­ri maxime possit, non quo non omni tempore, in omni tempestatum genere omnis aetatis, omnis habitus homines per omnia genera morborum et aegrotent et moriantur, sed quo minus *** frequentius tamen quaedam eve­niant, ideoque uti­le sit scire unumquemque, quid et quando maxime caveat. Caput I Quae anni tempora, quae tempestatum genera, quae partes aetatis, qua­lia cor­pora vel tuta vel morbis opportuna sint, et quod valetudinis genus in quo­­que timeri possit (1)  Igitur saluberrimum ver est, proxime deinde ab hoc hiemps; periculosior quam ‹salub›rior aestas, autumnus longe periculosissimus.  (2)  Ex tempestati­ bus vero optimae aequales sunt, sive frigidae sive calidae; pessimae, quae maxi­­me variant; quo fit, ut autumnus plurimos opprimat. Nam fere meridianis tem­poribus calor, nocturnis atque matutinis simulque etiam vespertinis frigus est. Corpus ergo, et aestate ‹et› subinde meridianis caloribus relaxatum, subito fri­­gore excipitur. Sed ut eo tempore id maxime fit, sic, quandocumque evenit, noxi­um est. (3)  Ubi aequalitas autem est, tamen saluberrimi sunt sereni dies; meliores plu­­vii quam tantum nebulosi nubilive, optimique hieme qui omni vento vacant, aestate quibus favonii perflant. Si genus aliud ventorum est, salu­briores

2. BUCH Vorbemerkung (1)  Gesundheitliche Probleme kündigen sich durch mancherlei Vorzeichen an. Um diese zu erklären, werde ich einfach die Äußerungen der Alten heran­ zie­hen, vor allem jene des Hippokrates, da ja auch die Ärzte unserer Tage erklä­ren, diese Männer hätten die Krankheiten am besten erkannt, wenn­gleich sich seitdem manche Behandlungsmethoden geändert hätten.  (2)  Aber bevor ich feststelle, welche Vorzeichen Anlass zur Sorge vor Erkrankung geben, scheint es nicht unpassend, darzulegen, welche Jahreszeiten, welche Wit­te­ rungs­verhältnisse, welche Lebensabschnitte, welche Arten von körper­li­cher Ver­fassung ungefährlich sind und welche Gefahr bergen, welche gesundheit­ lichen Probleme in jedem dieser Fälle besonderen Anlass zur Sorge geben. Frei­­lich geschieht es zu allen Jahreszeiten, dass Menschen jeglichen Alters und jeglicher körperlichen Verfassung erkranken und sterben, aber umso weni­ ger . . . , geschehen manche Dinge jedoch häufiger, und daher ist es für jeden Menschen hilfreich, zu wissen, wovor er sich wann am meisten hüten muss. 1. Kapitel Welche Jahreszeiten, welche Witterungsverhältnisse, welche Lebensab­ schnitte, welche Arten von körperlicher Verfassung gefahrlos sind und wel­­che Krankheitsrisiken bergen, und welche gesundheitlichen Probleme in jedem dieser Fälle besonderen Anlass zur Sorge geben (1)  Das Frühjahr ist also der Gesundheit am zuträglichsten, gleich gefolgt vom Winter. Der Sommer ist mehr ab- als zuträglich, und bei weitem am abträg­lichsten ist der Herbst.  (2)  Am gesündesten ist die Witterung, wenn sie gleich­förmig ist, sei sie nun kalt oder heiß. Ist sie stark veränderlich, so ist das sehr schädlich. Daher kommen im Herbst die meisten Menschen um. Es herrscht dann nämlich um die Mittagszeit Hitze, in der Nacht, in der Früh und am Abend ist es aber kalt. So wird der Körper, der vom Sommer und dann von der Mittagshitze gelöst ist, von der plötzlichen Kälte überrascht. Dies geschieht zwar am häufigsten zur genannten Tageszeit, aber schädlich ist es immer, gleich wann es geschieht. (3)  Bei gleichförmigem Klima sind heitere Tage der Gesundheit am zuträg­ lichs­ten und regnerische besser als nur neblige oder bewölkte. Im Winter sind es die ganz windstillen, im Sommer jene, an denen ein Westwind weht. Was die anderen Winde betrifft, so sind die westlichen besser für die Gesundheit als

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Liber secundus

sep­tentrionales quam subsolani vel austri sunt, sic tamen haec, ut interdum regio­­­num sorte mutentur.   (4)  Nam fere ventus ubique a mediterra­neis regionibus veniens salubris, a mari gravis est. Neque solum in bono tem­pestatium habitu cer­­tior valetudo est, sed priores morbi quoque, si qui inci­derunt, leviores sunt ‹et› promptius finiuntur. Pessimum aegro caelum est, quod aegrum fecit, adeo ut in id quoque genus, quod natura peius est, in hoc sta­tu salubris mutatio sit. (5)  At aetas media tutissima est, quae neque iuventae calore, neque senectutis fri­­gore infestatur. Longis morbis senectus, acutis adulescentia magis patet. Cor­ pus autem habilissimum quadratum est, neque gracile neque obesum. Nam lon­ ga statura, ut in iuventa decora est, sic matura senectute conficitur, gra­cile cor­ pus infirmum, obesum hebes est. (6)  Vere tamen maxime, quae cum umoris motu novantur, in metu esse con­ sue­runt. Ergo tum lippitudines, pustulae, profusio sanguinis, abscessus cor­po­ ris, quae apostemata [ἀποστήματα] Graeci nominant, bilis atra, quam μελαγ­ χο­λίαν appellant, insania, morbus comitialis, angina, gravedines, destil­la­tio­nes oriri solent. Ii quoque morbi, qui in articulis nervisque modo urguent modo quiescunt, tum maxime et inchoantur et repetunt. (7)  At aestas non quidem vacat plerisque his morbis, sed adicit febres vel con­tinuas vel ardentis vel tertianas, vomitus, alvi deiectiones, auricularum dolo­ res, ulcera oris, cancros et in ceteris quidem partibus, sed maxime obsce­nis, et quic­quid sudore hominem resolvit. (8)  Vix quicquam ex his in autumnum non incidit: sed oriuntur quoque eo tem­­pore febres incertae, lienis dolor, aqua inter cutem, tabes, quam Graeci φθί­ σιν nominant, urinae difficultas, quam στραγγουρίαν appellant, tenuioris intes­ tini morbus quem ileon [εἰλεὸν] nominant, levitas intestinorum, qui lien­teria [λειεντερία] vocatur, coxae dolores, morbi comitiales.  (9)  Idemque tem­pus et diutinis malis fatigatos, et ab aestate tantum proxima pressos interemit, et alios novis morbis conficit; et quosdam longissimis inplicat, maximeque quar­tanis, quae per hiemem quoque exerceant. Nec aliud magis tempus pesti­lentiae patet, cuiuscumque ea generis est; quamvis variis rationibus nocet. Hiemps autem capitis dolores, tussim et quicquid in faucibus in lateribus in vis­ce­ribus mali contrahitur, inritat.

2,1,3–2,1,9

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die östlichen und südlichen, diese aber wechseln bisweilen nach der Beschaf­ fenheit des Himmelsstrichs.  (4)  Denn fast überall ist der Wind vom Binnen­ land gesundheitsfördernd und jener vom Meer ungesund. Und nicht nur ist die Gesundheit unter guten klimatischen Verhältnissen sicherer, sondern auch seit langem bestehende Krankheiten, wenn sie denn vorkommen, sind leichter und klingen rascher ab. Das schädlichste Wetter für einen Kranken ist jenes, wel­ches sei­ne Krankheit hervorruft, sodass ein Wechsel zu einem eigentlich schlech­teren Wet­ter in seinem Zustand sogar gesundheitsfördernd sein kann. (5)  Die Mitte des Lebens ist das gesündeste Alter, denn da ist weder die Hitze der Jugend noch die Kälte des Alters eine Bedrohung. Für chronische Erkran­ kungen macht das hohe Alter anfälliger, für akute die Jugend. Am tauglichsten ist ein untersetzter Körperbau, weder zu zierlich noch übergewichtig, denn eine hochgewachsene Gestalt, wenn auch in der Jugend ansehnlich, wird mit vor­ gerücktem Alter gebeugt, ein zierlicher Körper ist krankheitsanfällig, ein über­ gewichtiger ist träge. (6)  Im Frühjahr muss man besonders vor solchen Krankheiten, die durch Bewe­gung der Säfte von neuem entstehen, auf der Hut sein. Daher treten dann ger­ne Augenentzündungen auf, Pusteln, Blutstürze, Entzündungen des Kör­pers, die die Griechen Apostemata, schwarze Galle, die sie Melancholie nen­nen, Wahn­sinn, Epilepsie, Schwellungen im Hals, Verkühlungen und Katar­rhe. Auch treten jene Krankheiten der Gelenke und Muskeln, die einen bald quä­len, bald unbe­helligt lassen, zu jener Zeit am ehesten in Erscheinung oder wie­der auf. (7)  Doch auch im Sommer fehlen die meisten dieser Krankheiten nicht, son­­dern vielmehr treten hinzu: Fieber, ob chronisch, akut oder Tertianfieber, Brech­­reiz, Durchfall, Ohrenschmerzen, Geschwüre im Mund, Schwären, auch an anderen Körperstellen, aber vor allem an den Schamteilen, und alles, was den Menschen schwitzen lässt und dadurch erschöpft macht. (8)  So gut wie alle diese Dinge kommen auch im Herbst vor, aber zusätzlich tre­ten auch noch unregelmäßige Fieber auf, Schmerzen in der Milz, Ödeme unter der Haut, Schwindsucht, die die Griechen Phthisis, Harnverhaltung, die sie Strangurie nennen, jene Krankheit des Dünndarms, die sie Eileos nen­nen, der Darmkatarrh, der auch Leienterie heißt, Schmerzen der Hüften sowie Epi­ lepsie.  (9)  Diese Jahreszeit ist Tod bringend für Menschen, die von chroni­ schem Leiden erschöpft und noch vom Sommer her ermattet sind, wirft andere mit neuen Krankheiten nieder und verstrickt wieder andere in langwierige chro­ nische Erkrankungen, vor allem in solche Quartanfieber, die den ganzen Win­ter vorhalten können. Auch gibt es zu keiner Jahreszeit mehr Seuchen, gleich wel­ cher Art. So ist sie auf vielerlei Weise schädlich. Der Winter ruft auch Kopfschmerzen hervor, Husten und alle Leiden der Keh­le, der Lungen und der Brust.

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Liber secundus

(10)  Ex tempestatibus aquilo tussim movet, fauces exasperat, ventrem adstrin­git, urinam sup‹p›rimit, horrores excitat, item dolores lateris et pectoris. Sanum tamen corpus spissat et mobilius atque expeditius reddit. (11)  Auster aures hebetat, sensum tardat, capitis dolores movet, alvum solvit, totum corpus efficit hebes, umidum, languidum. Ceteri venti, quo vel huic vel illi propiores sunt, eo magis vicinos his illisve affectus faciunt. Denique omnis calor iecur et lienem inflat, mentem hebetat; ut anima deficiat, ut sanguis pro­­rum­pat, efficit.  (12)  Frigus modo nervorum distentionem, modo rigorem infert; illud spasmos, hoc tetanos Graece nominatur; nigritiem in ulceribus, hor­­ro­res in febribus excitat. In siccitatibus acutae febres, lippitudines, tor­ mina, urinae difficultas, articulorum dolores oriuntur; per imbres longae febres, alvi deiectiones, angina, cancri, morbi comitiales, resolutio nervorum (para­ lysin [παράλυσιν] Graeci nominant).  (13)  Neque solum interest, quales dies sint, sed etiam, quales ante praecesserint. Si hiemps sicca septentrionales ven­tos habuit, ver autem austros et pluvias exhibet, fere subeunt lippitudines, tor­mina, febres, maximeque in mollioribus corporibus, ideoque praecipue in mulie­bribus.   (14)  Si vero austri pluviaeque hiemem occuparunt, ver autem fri­gi­dum et siccum est, gravidae quidem feminae, quibus tum adest partus, abor­tu periclitantur; eae vero, quae gignunt, inbecillos vixque vitales edunt. Cete­ros lippitudo arida et, si seniores sunt, gravedines atque destillationes male habent.  (15)  At si a prima hieme austri ad ultimum ver continuarint, laterum dolo­res et insania febricitantium, quam ‹ph›renesin [φρένησιν] appellant, celer­ rime rapiunt. Ubi vero calor a primo vere orsus aestatem quoque similem exhi­ bet, necesse est multum sudorem in febribus subsequi. At si sicca aestas aqui­ lones habuit, autumno vero imbres austrique sunt, tota hieme, quae pro­xima est, tussis, destillatio, raucitas, in quibusdam etiam tabes oritur. (16)  Sin autem autumnus quoque aeque siccus isdem aquilonibus perflatur, omni­bus quidem mollioribus corporibus, inter quae muliebria esse proposui, secun­da valetudo contingit: durioribus vero instare possunt et aridae lippitu­ di­nes, et febres partim acutae partim longae, et i morbi, qui ex ‹a›tra bile nas­ cun­tur.

2,1,10–2,1,16

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(10)  Zu verschiedenen Jahreszeiten fördert der Nordwind den Husten, reizt die Kehle, verstopft den Unterleib, hemmt den Harn und verursacht Schüttel­ frost und Schmerzen in der Lunge und im Herzen. Einen gesunden Körper aber härtet er ab und macht ihn beweglicher und flinker. (11)  Der Südwind schafft Schwerhörigkeit, stumpft die Sinne ab, erregt Kopf­ schmerzen, fördert den Durchfall und macht den ganzen Körper schlaff, feucht und kraftlos. Die anderen Winde, je nachdem, ob sie dem Nord- oder dem Süd­ wind näher sind, rufen dieselben Zustände wie der Nord- oder der Südwind her­­vor. Ferner macht die Hitze immer die Leber und die Milz anschwellen, erschlafft den Geist und führt zu Ohnmacht und Blutungen.  (12)   Die Käl­te aber bringt bald eine Verkrampfung, bald einen Starrkrampf der Mus­keln mit sich – jenes nennen die Griechen Spasmos, dieses Tetanos –, sodann schwarze Ver­färbung von Wunden und Schüttelfrost bei Fieber. Bei Trockenheit zeigen sich akute Fieberbeschwerden, Augenentzündung, Ruhr, Harnverhaltung, Gelenksschmerzen, in Regenzeiten zeigen sich chro­nische Fieberbeschwerden, Durchfall, Herzbeklemmungen, Schwären, Epi­lepsie, Muskellähmung – die Griechen nennen dies Paralysis.  (13)  Und es kommt nicht nur darauf an, wie das Wetter an einem bestimmten Tag ist, son­dern auch, wie es an den voran­ gegangenen war. Ist der Winter trocken und bringt er Westwinde, oder kommt der Frühling mit Südwinden und Regen­güssen, so treten in aller Regel Augen­ entzündungen, die Ruhr und fiebrige Erkrankungen auf, vor allem bei schwä­ cheren Menschen, und daher ganz besonders bei Frau­en.  (14)  Herrschen aber im Winter Südwinde und Regengüsse vor und ist der Frühling kalt und trocken, so besteht für Schwangere, die kurz vor der Entbindung stehen, die Gefahr einer Fehlgeburt, die Gebärenden aber brin­­gen schwache und kaum lebens­ fähige Kinder zur Welt. Andere werden von trockener Augenentzündung und, zumal wenn sie vorgerückten Alters sind, von Verkühlung und Katarrh heimge­ sucht.  (15)  Wenn aber die Südwinde vom Winteranfang bis zum Frühlingsende andauern, führen Lun­genschmer­zen und der Fieberwahnsinn, den man Phrene­ sis nennt, sehr rasch zum Tod. Wenn aber die Hitze zu Frühlingsanfang beginnt und den Sommer hin­durch gleichbleibt, so folgt notwendigerweise starkes Schwit­zen bei Fie­ber­be­schwerden. Ist aber der Sommer trocken und bringt er Nord­winde, und eignen dem Herbst Regengüsse und Südwinde, so zeigen sich während des gesamten darauffolgenden Winters Husten, Katarrh, Heiserkeit und bei eini­gen sogar Schwindsucht. (16)  Wenn aber der Herbst gleichbleibend trocken ist und Nordwinde wehen, dür­­fen sich alle, die von schwächerer Konstitution sind – darunter, wie gesagt, die Weiblichkeit –, bester Gesundheit erfreuen. Den stärker Veranlagten dro­ hen unter Umständen sowohl trockene Augenentzündungen als auch akute sowie chronische Fieberbeschwerden und dazu jene Erkrankungen, die von der schwar­zen Galle herrühren.

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Liber secundus

(17)  Quod ad aetates vero pertinet, pueri proximique his vere optime valent, et aestate prima tutissimi sunt, senes aestate et autumni prima parte, iuvenes hie­me quique inter iuventam senectutemque sunt. Inimicior senibus hiemps, aes­tas adulescentibus est.  (18)  Tum si qua inbecillitas oritur, proximum est, ut infantes tenerosque adhuc pueros serpentia ulcera oris, quae ἄφθας Grae­ci nominant, vomitus, nocturnae vigiliae, aurium umor, circa umbilicum infla‹m­ ma›tio­nes exerceant. Propriae etiam dentientium gingivarum exulcerationes, febriculae, interdum nervorum distentiones, alvi deiectiones; maximeque cani­ nis dentibus orientibus male habent; quae pericula plenissimi cuiusque sunt, et cui maxime venter adstrictus est.  (19)  At ubi aetas paulum processit, glan­ dulae, et vertebrarum, quae in spina sunt, aliquae inclinationes, struma, ver­ ru­carum quaedam genera dolentia (ἀκροχορδόνας Graeci appellant) et plu­ra alia tubercula oriuntur. Incipiente vero iam pube, et ex isdem mult‹a›, et lon­ gae febres, sanguinis ex naribus cursus.  (20)  Maximeque omnis pueritia, pri­ mum circa quadragesimum diem, deinde septimo mense, tum septimo anno, postea circa pubertatem periclitatur. Si qua etiam genera morborum in infantem inciderunt, ac neque pubertate neque primis coitibus neque in femi­na primis menstruis finita sunt, fere longa sunt: saepius tamen morbi pueriles, qui diutius manserunt, terminantur. (21)  Adulescentia morbis acutis item comitialibus tabique maxime obiecta est; fereque iuvenes sunt, qui sanguinem expuunt. Post hanc aetatem laterum et pulmonis dolores, lethargus, cholera, insania, sanguinis per quaedam velut ora venarum (αἱμο‹ρ›ροΐδας Graeci appellant) profusio.  (22)  In senectute spi­ ritus et urinae difficultas, gravedo, articulorum et renum dolores, nervorum reso­lutiones, malus corporis habitus (καχεξίαν Graeci appellant), nocturnae vigi­liae, vitia longiora aurium, oculorum, etiam narium, praecipueque soluta alvus, et quae secuntur hanc, tormina vel levitas intestinorum ceteraque ven­ tris fusi mala.  (23)  Praeter haec graciles tabes, deiectiones, destillationes, item viscerum et laterum dolores fatigant. Obesi plerumque acutis morbis et dif­ ficultate spirandi strangulantur, subitoque saepe moriuntur; quod in cor­pore tenuiore vix evenit.

2,1,17–2,1,23

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(17)  Was nun die verschiedenen Lebensabschnitte betrifft, so erfreuen sich Kin­der und die dem Kindesalter gerade Entwachsenen im Frühling der bes­ ten Gesundheit und leben im Frühsommer am gefahrlosesten. Für alte Leute ent­­spricht dem der Sommer und der Frühherbst, für junge Erwachsene und Leu­te mitt­leren Alters der Winter. Der Winter schadet den Alten mehr, der Som­­­mer den Halbwüchsigen.   (18)  Tritt zu diesen Zeiten eine Krankheit auf, so liegt es nahe, dass Kleinkinder und Kinder, die noch zart gebaut sind, an schlei­chen­­­den Geschwüren im Mund leiden – die Griechen nennen das Aphthai –, an Erbrechen, nächtlicher Schlaflosigkeit, Eiterfluss aus den Ohren und Ent­­zündungen rund um den Nabel. Besonders für zahnende Kinder drohen Geschwü­re des Zahnfleisches, leichtes Fieber, fallweise Verkrampfung der Mus­ keln, Durchfall, und am schlechtesten geht es ihnen, wenn die Eckzähne durch­ brechen. Dies ist eine Gefahr für alle sehr fülligen Kinder sowie für die stark verstopften.  (19)  Kinder, die etwas älter sind, erkranken an den Mandeln, an verschiedenen Verkrümmungen der Wirbelsäule, an Schwellungen des Hal­ses, an einer bestimmten Art von schmerzhaften Warzen, die die Griechen Akro­ chor­dones nennen, und an zahlreichen anderen Geschwülsten. Zu Beginn der Pubertät zeigen sich viele der genannten Beschwerden sowie chronisches Fie­ber und Nasenbluten.  (20)  Die gesamte Kindheit ist höchst gefahrenreich, zuerst um den vierzigsten Tag, dann den siebenten Monat, dann das siebente Jahr, dann um die Pubertät. Wenn aber gewisse Krankheiten in der Kindheit auf­treten und weder bis zur Pubertät noch bis zum ersten Geschlechtsverkehr oder – bei Mädchen – zur Menarche überstanden sind, so werden sie meist chro­nisch. Öfter aber endigen Kinderkrankheiten, auch wenn sie lange ange­dauert haben, einfach von selber. (21)  Die Jugendjahre machen besonders anfällig für akute Erkrankungen wie Epilepsie und Schwindsucht. Oft sind es Jugendliche, die Blut husten. Im Anschluss an diesen Lebensabschnitt treten Schmerzen in der Brust und Lunge auf, Teilnahmslosigkeit, Cholera, Wahnsinn und Blutfluss aus verschiedenen Öffnun­gen der Blutgefäße. Die Griechen sprechen von Haimorrhoidai.  (22)  Im hohen Alter treten Schwierigkeiten mit der Atmung und dem Harnlassen auf, Ver­­küh­lung, Schmerzen in den Gelenken und den Nieren, Muskellähmung, die schlechte körperliche Verfassung, die die Griechen Kachexie nennen, näch­t­ li­che Schlaflosigkeit, länger anhaltende Beschwerden der Ohren, der Augen und selbst der Nasenlöcher, ganz besonders Durchfall und was damit zusam­ menhängt, Ruhr oder Darmkatarrh und andere Leiden, wie sie von einem zum Fluss neigenden Unterleib herrühren.  (23)  Ferner werden zier­lich Gebaute von Schwind­sucht, Durchfall, Katarrh sowie Schmerzen der Ein­ge­weide und der Brust ermattet. Viele Übergewichtige geraten in den Wür­gegriff von akuten Erkran­kungen und von Atembeschwerden. Oft sterben sie unversehens, was bei einem schlankeren Körperbau kaum vorkommt.

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Liber secundus

Caput II De signis adversae valetudinis futurae (1)  Ante adversam autem valetudinem, ut supra dixi, quaedam Notae oriun­ tur, quarum omnium commune est aliter se corpus habere atque consuevit, neque in peius tantum sed etiam in melius. Ergo si plenior aliquis et speciosior et coloratior factus est, suspecta habere bona sua debet; quae quia neque in eodem habitu subsistere neque ultra progredi possunt, fere retro quasi rui­na quadam revolvuntur.  (2)  Peius tamen signum est, ubi aliquis contra consuetu­ dinem emacuit et colorem decoremque amisit, quoniam in is, quae superant, e‹s›t quod morbus demat; in is, quae desunt, non est quod ipsum morbum ferat. Prae­ter haec protinus timeri debet, si graviora membra sunt, si crebra ulcera ori­un­tur, si corpus supra consuetudinem incaluit; si gravior somnus pressit, si tumultuosa somnia fuerunt, si saepius expergiscitur aliquis quam adsuevit, dein­ de iterum soporatur; si corpus dormientis circa partes aliquas contra con­sue­ tudinem insudat, maximeque si circa pectus, aut cervices, aut crura vel genua vel coxas.  (3)  Item si marcet animus, si loqui et moveri piget, si corpus tor­ pet; si dolor praecordiorum est aut totius pectoris aut, qui in plurimis ‹e›ve­ nit, capitis; si salivae plenum os est, si oculi cum dolore vertuntur, si tempora adstricta sunt, si membra inhorrescunt, si spiritus gravior est; si circa frontem inten­­tae venae moventur, si frequentes oscitationes; si genua quasi fatigata sunt, totum­ve corpus lassitudinem sentit.  (4)  Ex quibus saepe plura, numquam non ali­qua febrem antecedunt. In primis tamen illud considerandum est, nu‹m› cui saepius horum aliquid eveniat neque ideo corporis ulla difficultas sub­sequatur. Sunt enim quaedam proprietates hominum, sine quarum notitia non facile quicquam in futurum praesagiri potest. Facile itaque securus est in is aliquis, quae saepe sine periculo evasit: ille sollicitari debet, cui haec nova sunt, aut qui ista numquam sine custodia sui tuta habuit. Caput III Quae bona in aegrotantibus signa sint (1)  Ubi vero febris aliquem occupavit, scire licet non periclitari, si in latus aut dextrum aut sinistrum, ut ipsi visum est, cubat, cruribus paulum reductis, qui

2,2,1–2,3,1

69

2. Kapitel Anzeichen nahender Krankheit (1)  Wie oben gesagt, zeigen sich gewisse Vorzeichen, bevor eine Krankheit aus­­bricht. Ihnen allen ist gemeinsam, dass der Körper sich gegen über sei­ner gewöhnlichen Beschaffenheit verändert, und zwar nicht immer zum Schlech­ te­ren, sondern manchmal sogar zum Besseren. Wenn man also fülliger wird und an Aussehen und Farbe gewinnt, sollte dieser Aufschwung Anlass zur Vor­­sicht sein, da es, weil es ja weder so bleiben noch besser werden kann, in aller Regel wieder abbauen und gewissermaßen in sich zusammenbrechen wird.  (2)  Ein noch schlechteres Zeichen ist aber, wenn jemand entgegen sei­ner Natur abmagert und an Farbe und Aussehen verliert, denn von dem, was der Körper an Überfluss hat, kann die Krankheit sich ernähren, während das, was mangelt, nicht der Krankheit entgegengestellt werden kann. Ferner muss man sich sogleich Sorgen machen, wenn die Glieder schwer werden, wenn zahl­ reiche wunde Stellen auftreten, wenn der Körper sich über das gewöhn­liche Maß hinaus erhitzt, wenn das Schlafbedürfnis größer ist, wenn wirre Träu­ me kommen, wenn man öfter als gewöhnlich aufwacht und wieder ein­schläft, wenn der Körper im Schlaf an ungewöhnlichen Stellen in Schweiß gerät, und zwar besonders an der Brust, im Nacken, an den Beinen, den Knien oder den Hüf­ten,   (3)  außerdem, wenn der Lebensmut nachlässt, wenn einem die Kraft fehlt, zu sprechen oder sich zu bewegen, wenn der Körper starr wird, wenn Schmer­zen in der Brusthöhle, der gesamten Brust oder, was bei vie­len der Fall ist, im Kopf auftreten, wenn der Mund sich mit Speichel füllt, wenn es schmerzt, die Augen zu bewegen, wenn man Druck in den Schläfen spürt, wenn die Glieder von Schüttelfrost gepackt werden, wenn die Atmung erschwert ist, wenn die Stirnadern geschwollen sind und pulsieren, wenn die Knie sozusagen weich sind oder wenn man den gesamten Körper erschlaffen fühlt.  (4)  Viele von diesen Dingen sind häufig, manche aber immer, Vorboten des Fiebers. Vor allen Dingen muss man jedoch erörtern, ob sich alle diese Din­ge häufig ereig­nen, ohne dass körperliche Beschwerden darauf folgen. Ver­schiedene Men­schen haben nämlich verschiedene Eigenschaften, ohne deren Kenn­tnis man nicht leicht auf die zukünftige Entwicklung schließen kann. Es kann also ein jeder ohne Weiteres beruhigt sein, wenn Dinge vorfallen, die schon zuvor vor­übergegangen sind, ohne Schaden zu tun. Sorgen machen muss sich der, der neuartige Vorzeichen feststellt, oder der nie welche erlebt hat, die ohne Vorsichtsmaßnahmen seinerzeit gefahrlos geblieben sind. 3. Kapitel Anzeichen von Besserung (1)  Wird man aber vom Fieber gepackt, so muss man wissen dass kei­ ne Gefahr besteht, wenn man auf der Seite liegt, rechts oder links, wie es

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Liber secundus

fere sani quoque iacentis habitus est; si facile convertitur, si noctu dormit, inter­ diu vigilat; si ex facili spirat, si non conflictatur; si circa umbilicum et pubem cutis plena est; si praecordia eius sine ullo sensu doloris aequaliter mol­lia in utra­que parte sunt:  (2)  quod si paulo tumidiora sunt, sed tamen digi­tis cedunt et non dolent, haec valetudo, ut spatium aliquod habebit, sic tuta erit. Corpus quoque, quod aequaliter molle et calidum est, quodque aequaliter totum insudat, et cuius febricula eo sudore finitur, securitatem pollice­tur.  (3)  Sternumentum etiam inter bona indicia est, et cupiditas cibi vel a primo ser­va­ta, vel etiam post fastidium orta. Neque terrere debet ea febris, quae eodem die finita est, ac ne ea quidem, quae, quamvis longiore tempore evanuit, tamen ante alteram accessionem ex toto quievit, sic ut corpus integrum, quod εἰλι­κρινὲς Graeci vocant, fieret.  (4)  Si quis autem incidit vomitus, mixtus esse et bile et pituita debet, et in urina subsidere album, leve, aequale, sic ut etiam, si quae quasi nube­­culae innatarint, in imum deferantur.  (5)  At venter ei, qui a periculo tutus est, reddit mollia, figurata, eodem fere tempore, quo secunda vale­tudine adsue­ vit, modo convenientia iis, quae adsumuntur. Peior cita alvus est: sed ne haec qui­dem terrere protinus debet, si matutinis temporibus coact­a magis est, aut si procedente tempore paulatim contrahitur et rufa est neque foeditate odoris simi­ lem alvum sani hominis excedit.  (6)  Ac lumbricos quo­que aliquos sub finem morbi descendisse nihil nocet. Si infl‹a›tio in supe­rioribus partibus dolorem tumo­remque fecit, bonum signum est sonus ventris inde ad inferiores partes evo­lutus, magisque etiam, si sine difficultate cum ster­core excessit. Caput IV Mala signa aegrotantium (1)  Contra gravis morbi periculum est, ubi supinus aeger iacet porrectis mani­ bus et cruribus; ubi residere volt in ipso acuti morbi impetu, praecipueque pul­ mo­nibus laborantibus; ubi nocturna vigilia premitur, etiamsi interdiu somnus acce­dit; ex quo tamen peior est, qui inter quartam horam et noctem est, quam qui matutino tempore ad quartam.  (2)  Pessimum tamen est, si som­nus neque noctu neque interdiu accedit: id enim fere sine continuo dolore esse non potest.

2,3,1–2,4,2

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beliebt, die Beine ein wenig angezogen, wie es oft die Gewohnheit gesun­der Menschen ist, wenn sie sich hinlegen, ferner, wenn man sich ohne Schwie­ rig­keiten umdreht, nachts schläft, tagsüber wach ist, leicht atmet, sich nicht hin und her wirft, wenn die Haut zwischen dem Nabel und der Scham straff ist und wenn der Oberbauch ohne jedes Schmerzempfinden beiderseits gleich­ mäßig weich ist.  (2)  Denn auch wenn er ein wenig geschwollen ist, ist die­ser Zustand, selbst wenn er eine Weile andauert, ungefährlich, wenn das Gewe­ be dort dem Fingerdruck nach­gibt und nicht schmerzt. Ist der Körper gleich­ mäßig weich und warm, gerät er überall gleichmäßig in Schweiß und beendigt der Schweißausbruch das vor­ü­ber­gehende Fieber, darf man sich sicher füh­ len.  (3)  Weitere Anzeichen von Bes­serung sind Niesreiz und Appetit, wobei es bei diesem egal ist, ob er nie ver­gangen ist oder ob er nach Appetitlosigkeit wie­der­kehrt. Keinen Anlass zur Sorge gibt auch Fieber, wenn es noch am selben Tag zu Ende geht, und ebenso wenig Fieber, das wohl erst nach längerer Zeit ver­schwindet, aber doch vor jedem nächsten Anfall völlig nachlässt, sodass der ganze Körper tadel­los oder, wie es die Griechen ausdrücken, „eilikrines“ ist.  (4)  Kommt es aber zu Brechreiz, so muss das Erbrochene sich aus Galle und Schleim zusam­men­setzen, und der Niederschlag im Harn muss weiß, schmierig und gleichmäßig sein, sodass, auch wenn Wölkchen im Harn zu schweben schei­­nen, diese sich doch am Boden absetzen.  (5)  Wenn man außer Gefahr ist, gibt der Unterleib weichen, doch geformten Stuhl ab, und zwar etwa mit der­selben Regel­mäßigkeit wie im gesunden Zustand und der aufgenommenen Nahrung ent­sprechend. Durchfall ist nicht so gut, aber auch das muss noch kein Anlass zur Furcht sein, wenn er am nächsten Morgen fester ist oder wenn der Stuhl im Lauf der Zeit immer härter und rot wird und nicht übler riecht als der Stuhl eines gesunden Menschen.  (6)  Auch schadet es nicht, wenn man bei abklin­­gender Krankheit einige Würmer ausscheidet. Verursachen Blähungen in den obe­ren Bereichen des Leibes Schmerzen und Schwellung, so ist es ein gutes Zei­­chen, wenn das Rumpeln im Bauch sich abwärts bewegt, und besser noch, wenn es ohne Beschwerden mit dem Kot abgeht. 4. Kapitel Schlechte Anzeichen bei Kranken (1)  Dagegen besteht die Gefahr einer schweren Erkrankung, wenn der Kran­ ke auf dem Rücken liegt und Arme und Beine von sich streckt, wenn er zu Beginn der akuten Krankheit sitzen will – besonders bei Lungenleiden –, wenn er an nächtlicher Schlaflosigkeit leidet, auch wenn er tagsüber schlafen kann, wobei es mehr schadet, wenn man zwischen der vierten Stunde und dem Abend schläft als zwischen dem Morgen und der vierten Stunde.  (2)   Am meis­­ ten schadet es aber, wenn man weder in der Nacht noch am Tag schläft, denn dies kann kaum der Fall sein, wenn man nicht beständig Schmerzen lei­det.

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Liber secundus

Neque vero signum bonum est etiam somno ultra debitum urgu­eri, peiusque, quo magis se sopor interdiu noctuque continuat.  (3)  Mali etiam morbi testimo­ nium est vehementer et crebro spirare, a sexto die coepis­se inhorrescere, pus expu­ere, vix excreare, dolorem habere continuum, difficul­ter morbum ferre, iac­­tare bracchia et crura, sine voluntate lacrimare; habere umo­rem glutinosum den­­tibus inhaerentem, cutem circa umbilicum et pubem macram, praecordia inflam­mata, dolentia, dura, tumida, intenta, magisque si haec dextra parte quam sinis­tra sunt; periculosissimum tamen est, si venae quoque ibi vehementer agit­antur.   (4)  Mali etiam morbi signum est nimis celeriter emacrescere; caput et pedes manusque calidas habere ventre et lateribus frigentibus, aut frigidas extre­mas partes acuto morbo urguente, aut post sudorem inhorrescere; aut post vomi­­tum singultum esse vel rubere ocu­los; aut post cupiditatem cibi postve lon­gas febres hunc fastidire;  (5)  aut mul­tum sudare, maximeque frigido sudore, aut habere sudores non per totum cor­pus aequales, quique febrem non finiant, et febres eas, quae cotidie tempore eodem revertantur, quaeve semper pares acces­siones habeant neque tertio quo­que die leventur quaeque continuent, ut per accessiones increscant, tantum per de‹c›essiones molliantur, neque umquam inte­grum corpus dimittant. (6)  Pessimum est, si ne levatur quidem febris, sed aeque concitata continuat. Peri­cu­losum etiam est post arquatum morbum febrem oriri, utique si praecor­ dia dextra parte dura manserunt. Ac dolentibus his nulla acuta febris leviter ter­rere nos debet; neque umquam in acuta febre aut a somno non est terribilis nervorum distentio.  (7)  Timere etiam ex somno mali morbi est, itemque in prima protinus febre mentem esse turbatam membrumve aliquod esse resolu­ tum; ex quo casu quamvis vita redditur, tamen id fere membrum debilitatur. Vomi­­tus etiam periculosus est si sincer‹us est nec ei› pituita vel bilis est mixta, pei­or­que, si viridis aut niger.  (8)  At mala urina est, in qua subsidunt subrubra et levia; deterior, in qua quasi folia quaedam tenuia atque alba; pessima ex his, si tamquam ex furfuribus factas nubeculas repraesentat. Diluta quoque atque alba vitiosa est, sed in ‹ph›reneticis maxime.  (9)  Alvus autem mala est ex toto

2,4,2–2,4,9

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Auch ist es kein gutes Zeichen, wenn das Schlafbedürfnis größer als not­wen­ dig ist, und umso schlechter, je mehr die Schläfrigkeit tagsüber und in der Nacht andauert.  (3)  Auch ist es ein Anzeichen einer schweren Erkrankung, wenn die Atmung gepresst und rasch ist, wenn man nach sechs Tagen an Schüt­­­tel­frost leidet, wenn man Eiter hustet, wenn man kaum Ausscheidung hat, beständig Schmerzen verspürt, die Krankheit nur schwer erträgt, mit Armen und Beinen um sich schlägt, wenn die Augen tränen, wenn klebrige Feuch­­tig­keit an den Zähnen haftet, wenn die Haut zwischen dem Nabel und der Scham eingefallen ist, wenn der Oberbauch entzündet, schmerzhaft, hart, geschwol­­len und angespannt ist, und zwar umso mehr, wenn dies auf der rech­ ten Seite mehr als auf der linken so ist. Besonders groß ist die Gefahr aber, wenn auch die Blutgefäße dort heftig pulsieren.  (4)  Ein Anzeichen einer erns­ ten Erkrankung ist es aber, wenn man zu rasch abmagert, wenn der Kopf, die Füße und die Hände heiß sind und der Bauch und die Weichen kalt, oder wenn die Extremitäten unter dem Einfluss einer akuten Erkrankung kalt sind, wenn nach einem Schweißausbruch Schüttelfrost auftritt, wenn man nach dem Erbrechen aufstoßen muss oder gerötete Augen hat, wenn man im Anschluss an Heißhunger oder an lang anhaltendes Fieber Appetitlosigkeit ver­spürt  (5)  oder wenn man viel schwitzt, insbesondere kalten Schweiß, oder nicht am ganzen Körper gleichmäßige Schweißausbrüche hat, die das Fieber nicht beenden, und wenn das Fieber so beschaffen ist, dass es täglich zur sel­ben Zeit wiederkehrt oder dass es immer gleiche Anfälle mit sich bringt und nicht nach drei Tagen nachlässt, sondern sich fortsetzt, sodass es sich zu Anfällen steigert und im Abnehmen schwächer wird, aber den Körper nie ganz gesund werden lässt. (6)  Am schlechtesten ist es jedoch, wenn das Fieber überhaupt nie nachlässt, son­­dern immer gleich heftig andauert. Gefährlich ist es auch, wenn das Fieber nach einer Gelbsucht auftritt, besonders, wenn der Oberbauch auf der rechten Sei­te hart bleibt. Bei Patienten mit diesem Leiden dürfen wir akutes Fieber nie­ mals auf die leichte Schulter nehmen, und jede Muskelverkrampfung bei akutem Fie­ber oder gleich nach dem Aufwachen muss Besorgnis erre­gen.  (7)  Ferner ist es ein Zeichen einer schweren Erkrankung, wenn der Pati­ent gleich nach dem Aufwachen von Furcht gepackt wird, und ebenso, wenn man unmittelbar nach Ausbruch des Fiebers verwirrt ist oder irgend eine Glied­maße gelähmt ist. In diesem Fall wird die Gliedmaße wohl unbrauchbar blei­ben, selbst wenn die Lebenskraft wiederkehrt. Ein anderes Anzeichen von Gefahr ist, wenn das Erbrochene des Kranken durchgehend gleich beschaf­fen ist, ohne Beimengung von Schleim oder Galle. Noch schlechter ist es, wenn das Erbrochene grün oder schwarz ist.  (8)  Es ist schlecht, wenn der Harn rötlichen, schmierigen Nie­ derschlag enthält, schlechter, wenn es wie zar­te weiße Blättchen erscheint, am schlechtesten, wenn sich Wölkchen wie aus Kleie zeigen. Dünner und heller Harn ist ebenfalls verderblich, und zwar vor allem bei Geisteskranken.  (9)  Es ist

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Liber secundus

sup­pressa; periculosa etiam, quae inter febres fluens conquiescere hominem in cubi­­li non patitur, utique, si quod descendit est perliquidum aut albidum aut pal­­­li­­dum aut spumans. Praeter haec periculum ostendit id quod excernitur, si est exi­­guum, glutinosum, leve, album, idemque subpallidum; vel si est aut livi­dum aut biliosum aut cruentum aut peioris odoris quam ex consuetudine. Malum est etiam, quod post longas febres sincerum est. Caput V De signis longae valetudinis (1)  Post haec indicia votum est longum morbum fieri: si‹c› enim necesse est, nisi occidit. Neque vitae alia spes in magnis malis est, quam ut impetum morbi tra­hendo aliquis effugiat porrigaturque in id tempus, quod curationi locum prae­ stet. Protinus tamen signa quaedam sunt, ex quibus colligere possimus mor­ bum, etsi non interemit, longius tamen tempus habiturum:  (2)  ubi frigi­dus sudor inter febres non acutas circa caput tantum aut cervices oritur, aut ubi febre non quiescente corpus ‹insudat, aut ubi corpus› modo frigidum modo calidum est et color alius ex alio fit, aut ubi, quod inter febres aliqua par­te abscessit, ad sanitatem non pervenit, aut ubi aeger pro spatio parum ema­cres­cit;  (3)  item si urina modo pura et liquida est, modo habet quaedam sub­sidentia, ‹aut si› levia atque alba rubrave ‹sunt,› quae in ea subsidunt, aut si quas­dam quasi m‹i›culas repraesentat, aut si bull‹ul›as excitat. Caput VI De indiciis mortis (1)  Sed inter haec quidem proposito metu spes tamen superest: ad ultima vero iam ventum esse testantur nares acutae, conlapsa tempora, oculi concavi, frigi­dae languidaeque aures et imis partibus leviter ‹a›versae, cutis circa frontem dura et intenta:  (2)  color aut niger aut perpallidus, multoque magis, si ita haec sunt, ut neque vigilia praecesserit neque ventris resolutio neque inedia. Ex qui­ bus causis interdum haec spe‹cie›s oritur, sed uno die finitur: itaque diutius durans mortis index est.  (3)  Si vero in morbo vetere iam triduo talis est, in pro­ pinquo mors est, magisque, si praeter haec oculi quoque lumen refugiunt et inla­­crimant, quaeque in iis alba esse debent, rubescunt, atque in isdem venulae

2,4,9–2,6,3

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schlecht, wenn der Stuhl ganz aus­bleibt, auch ist es gefährlich, wenn Durchfall zwi­schen Fieberanfällen die Bett­ruhe unmöglich macht, vor allem, wenn die Aus­scheidung ganz flüssig ist und entweder hell oder fahl oder schaumig. Außer­dem bedeutet es Gefahr, wenn der Stuhl nur geringfügig ist oder wenn er klebrig, schmierig oder weiß ist, ebenso, wenn er fahl ist, oder wenn er blei­farbig, gallig oder blutig ist oder übler riecht als gewöhnlich. Es ist auch schlecht, wenn er nach langer Krank­heit durchgehend gleich beschaffen ist. 5. Kapitel Die Anzeichen einer langwierigen Krankheit (1)  Nach solchen Anzeichen kann man nur hoffen, dass die Krankheit lang­ wie­rig wird, denn das muss sie sein, sonst führt sie zum Tod. Bei schwer­wie­ genden Übeln gibt es auch keine andere Hoffnung auf Überleben, als dass man dem Ansturm der Krankheit durch Verzögerung ausweicht und dadurch Zeit gewinnt, um für die Heilung Gelegenheit zu schaffen. Zu Beginn der Erkran­­kung kommen aber gewisse Vorzeichen vor, aus denen wir ersehen kön­­nen, dass sie, wenn sie schon nicht tötet, doch eine längere Zeit vorhalten wird,  (2)  nämlich, wenn bei nicht akutem Fieber kalter Schweiß nur am Kopf und im Nacken ausbricht, wenn der ganze Körper in Schweiß gerät, ohne dass das Fieber nachlässt, wenn der Körper bald heiß, bald kalt ist und seine Farbe erst so und dann anders ist, wenn man nicht gesund wird, weil sich zwischen Fie­­ber­anfällen an einer Körperstelle eine Entzündung bildet, oder wenn der Kran­­ke im Lauf der Zeit ein wenig abmagert,  (3)  ferner, wenn der Harn bald rein und klar ist und bald Schwebstoffe enthält, oder wenn diese Schwebstoffe schlei­­mig und weiß oder rot sind, wenn sie sozusagen wie Körnchen aussehen oder wenn Bläschen aufsteigen. 6. Kapitel Die Vorzeichen des Todes (1)  Doch obwohl dies alles Anlass zur Furcht gibt, bleibt doch noch Hoff­ nung. Dass aber das Ende nahe ist, erkennt man, wenn die Nase spitz wird, die Schläfen einfallen, die Augen hohl und die Ohren kalt und schlaff wer­ den, wobei ihre Spitzen sich etwas herabsenken, die Haut der Stirn sich här­ tet und anspannt,  (2)  die Gesichtsfarbe dunkel oder völlig bleich wird, und zwar um vieles mehr so, wenn dem weder Schlaflosigkeit noch Durchfall noch Appetitlosigkeit vorangegangen ist. Letztgenannte Ursachen führen näm­ lich fallweise zu diesen Erscheinungen, aber sie sind dann nach einem Tag vor­über. Daher zeigen sie den Tod an, wenn sie länger dauern.  (3)  Stellt es sich aber nach langer Krankheit noch am dritten Tag so dar, dann steht der Tod bevor, und dies umso mehr, wenn außerdem noch die Augen das Licht scheu­­en und tränen und wenn, was in ihnen weiß sein sollte, sich rötet und

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pal­lent, pituitaque in iis innatans novissime angulis inhaerescit, alterque ex his minor est, iique aut vehementer subsederunt, aut facti tumidiores sunt, per­que som­­­num palpebrae non committuntur, sed inter has ex albo oculorum ali­quid ap­pa­­ret, neque id fluens alvus expressit;  (4)  eaedemque palpebrae pal­lent, et idem pallor labra et nares decolorat; eademque labra et nares oculi­que et pal­ pebrae et supercilia aliquave ex his pervertuntur; isque propter inbe­cil­li­tatem iam non audit, aut non videt.  (5)  Eadem mors denuntiatur, ubi aegri supini cuban­­tis genua contracta sunt; ubi is deorsum ad pedes subinde dela­bitur; ubi bra­chia et crura nudat et inaequaliter dispergit, neque iis calor sub­est; ubi hiat, ubi adsidue dormit; ubi is, qui mentis suae non est, neque id face­re sanus solet, den­tibus stridet; ubi ulcus, quod aut ante aut in ipso morbo natum est, aridum et aut pallidum aut lividum factum est. (6)  Illa quoque mortis indicia sunt: ungues digitique pallidi, frigidus spiritus; aut si manibus quis in febre et acuto morbo vel insania pulmonisve dolore vel capitis in veste floccos legit fimbriasve deducit, vel in adiuncto pariete, si qua minuta eminent, ca‹r›pit. Dolores etiam circa coxas et inferiores partes orti, si ad viscera transierunt, subitoque desierunt, mortem subesse testantur, magis­ que si alia quoque signa accesserunt.  (7)  Neque is servari potest, qui sine ullo tumo­re febricitans subito strangulatur, aut devorare salivam suam non potest; cui­­ve in eodem febris corporisque habitu cervix convertitur sic, ut devorare aeque nihil possit; aut cui simul et continua febris et ultima corporis infirmitas est; aut cui febre non quiescente exterior pars friget, interior sic calet, ut etiam sitim faciat; aut qui febre ‹aeque› non quiescente simul et delirio et spirandi dif­fic­ ul­tate vexatur; aut qui epoto veratro exceptus distentione nervorum est; aut qui ebrius ommutuit:  (8)  is enim [febre adiecta] nervorum distentione con­ su­mitur, nisi aut febris accessit, aut eo tempore, quo ebrietas solvi debet, loqui coe­pit. Mulier quoque gravida acuto morbo facile consumitur; et is, cui somnus dolo­rem auget; et cui protinus in recenti morbo bilis atra vel infra vel supra se

2,6,3–2,6,8

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die Blutgefäße darin blass sind, wenn Schleim in ihnen schwebt und sich zum Schluss in den Augenwinkeln festsetzt, und wenn eines von ihnen kleiner ist als das andere und beide entweder stark eingesunken sind oder vorquellen, wenn sich die Augenlider auch im Schlaf nicht völlig schließen, sondern zwi­ schen ihnen ein wenig vom Weißen der Augen erscheint, solange dies nicht vom Durchfall herrührt,  (4)  ferner, wenn die Augenlider selbst blass sind und die Lippen und die Nase sich zu ähnlicher Blässe verfärben, wenn die Lippen, die Nase und die Ohren sowie die Augenlider und die Augenbrauen oder eines davon sich verzerren, und wenn einer vor Schwäche nichts mehr hört oder sieht.  (5)  Ebenso kündigt es den Tod an, wenn der Kranke mit angezogenen Knien auf dem Rücken liegt, wenn er immer wieder ans Fußende des Bettes hin­­un­ter­­gleitet, wenn er Arme und Beine entblößt und mit ihnen unbeherrscht um sich schlägt, wobei sie ganz erkaltet sind, wenn er den Mund weit öffnet, wenn er ständig einschläft, wenn einer, der entweder nicht bei Besinnung ist oder dies als Gesunder nicht getan hat, mit den Zähnen knirscht, wenn eine Schwä­­re, ob sie nun vor oder während der Krankheit entstanden ist, trocken und ent­weder fahl oder bleifarben wird. (6)  Dies sind weitere Vorzeichen des Todes: blasse Nägel und Finger, kalter Atem, oder dass jemand bei Fieber und akuter Erkrankung, bei Irrsinn oder Schmer­zen in der Lunge oder im Kopf mit den Händen Wollflocken aus der Decke rupft oder Fransen abreißt oder an der Wand neben ihm kleine Uneben­ heiten herunterkratzt. Schmerzen, die in den Hüften und den unteren Tei­len ent­stehen, kündigen ebenfalls das Nahen des Todes an, wenn sie sich in den Unter­leib fortpflanzen und dann sofort verschwinden, vor allem, wenn noch ande­re Vorzeichen dazukommen.   (7)  Auch gibt es keine Rettung mehr für einen Patienten, der Fieber ohne Schwellungen hat und der plötzlich würgt oder seinen Speichel nicht mehr hinunterschlucken kann, oder für einen, dem sich in demselben Zustand des Fiebers und des Körpers der Hals der­art ver­ dreht, dass er überhaupt nicht mehr schlucken kann, oder für einen, der sich an beständigem Fieber und äußerster körperlicher Schwäche lei­det, oder für einen, des­sen Fieber zwar nicht nachlässt, aber dessen Kör­peroberfläche kalt wird, wobei er innerlich so erhitzt bleibt, dass es ihn durstig macht, oder aber für einen, dessen Fieber gleichfalls nicht nachlässt, und der von Wahn­vorstellungen und Atembeschwerden gequält wird, oder der nach einem Trank von Nieswurz Muskelverkrampfungen bekommt oder der im Zustand der Voll­trunkenheit plötzlich die Sprache verliert.  (8)  Ein solcher Patient stirbt durch Mus­ kelverkrampfung, es sei denn, es kommt noch ein Fie­ber dazu oder er beginnt zu dem Zeitpunkt zu sprechen, wo sein Rausch ver­flogen sein sollte. Auch wird eine schwangere Frau eher an einer akuten Krank­heit sterben, und ebenso ein Mann, wenn seine Schmerzen sich im Schlaf steigern, und einer, der zu Beginn einer neu ausgebrochenen Krankheit schwar­ze Galle von sich gibt, und zwar

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ostendit; cuive alterutr‹o› modo se prompsit, cum iam longo morbo corpus eius esset extenuatum et adfectum.  (9)  Sputum etiam biliosum et purulentum, sive separatim ista sive mixta proveniunt, interitus periculum ostendunt. Ac si circa septimum diem tale esse coepit, in proximum est, ut is circa quartum deci­­mum diem decedat, nisi alia signa mitiora peiorave accesserint; quae quo levi­o­ra graviorave subsecuta sunt, eo vel seriorem mortem vel maturiorem denun­­tiant.   (10)  Frigidus quoque sudor in acuta febre pestifer est, atque in omni mor­bo vomitus, qui varius et multorum colorum est, praecipueque si malus in hoc odor est. Ac sanguinem quoque in febre vomuisse pestiferum est. (11)  Urina vero rubra et tenuis in magna cruditate esse consuevit, et saepe, ante­­quam spatio maturescat, hominem rapit: itaque si talis diutius permanet, peri­culum mortis ostendit. Pessima tamen est praecipueque mortifera nigra, cras­­sa, mali odoris; atque in viris quidem et mulieribus talis deterrima est: in pueris vero quae tenuis et diluta est.  (12)  Alvus quoque varia pestifera est, quae strigmentum, sanguinem, bilem, viride aliquid, modo diversis tempo­ ribus, modo simul, et in mixtura quadam, discreta tamen repraesentat. Sed haec quidem potest paulo diutius trahere: in praecipiti vero iam esse denuntiat, quae liquida eademque vel nigra vel pallida vel pinguis est, utique si magna foe­ditas odo­ris accessit. (13)  Illud interrogari me posse ab aliquo scio: si certa futurae mortis indicia sunt, quomodo interdum deserti a medicis convalescunt? *** quosdamque fama prodiderit in ipsis funeribus revixisse.  (14)  Quin etiam vir iure magni nomi­ nis Democritus ne finitae quidem vitae satis certas notas esse proposuit, qui­ bus medici credidissent: adeo illud non reliquit, ut certa aliqua signa futurae mor­tis essent.   (15)  Adversus quos ne dicam illud quidem, quod in vicino sae­pe quaedam notae positae non bonos sed inperitos medicos decipiunt, quod Ascle­ piades funeri obvius intellexit [quendam] vivere qui efferebatur; nec pro­tinus crimen artis esse, si quod professoris sit. (16)  Illa tamen moderatius subiciam, coniecturalem artem esse medicinam, ratio­nemque coniecturae talem esse, ut, cum saepius aliquando responderit, inter­dum tamen fallat. Non si quid itaque vix in millensimo corpore ali­quan­­do

2,6,8–2,6,16

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ent­we­der oben oder unten, oder bei dem sie auf einem der beiden Wege zum Vor­schein kommt, wenn sein Körper schon von langer Krankheit erschöpft und ange­schlagen ist.   (9)  Galliger oder eitri­ger Auswurf, ob diese nun zusammen auftreten oder jedes einzeln für sich, zeigt ebenfalls Todesgefahr an. Und wenn es sich um den siebenten Tag so zu ver­halten anfängt, wird der Kranke um den vierzehnten Tag sterben, wenn nicht andere Vorzeichen, bessere oder schlech­ tere, dazukommen. Je nachdem, ob diese nun leichter oder schwerer sind, kün­ digen sie einen rascheren oder lang­sameren Tod an.  (10)  Auch ist ein kalter Schweiß bei akutem Fieber unheil­voll, und gleichermaßen Erbrechen in jedem Krank­heits­fall, wenn es von unterschiedlicher Konsistenz und vielfärbig ist, und beson­ders, wenn es übel riecht. Auch ist es verderblich, wenn einer Fieber hat und dabei Blut erbricht. (11)  Bei starker Verdauungsstörung ist der Harn gewöhnlich rot und dünn­ flüs­sig, und oft tötet diese Erkrankung den Menschen, bevor sie überstanden ist. Auch wenn der Harn über lange Zeit so beschaffen ist, zeigt dies Todesge­ fahr an. Am schlimmsten ist es und sofortigen Tod bedeutet es, wenn der Harn schwarz, dickflüssig und übelriechend ist. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen ist Harn von dieser Art der schlechteste, bei Kindern aber der dün­ne und wäss­ri­ge.   (12)  Ein Stuhl von unterschiedlicher Zusammensetzung ist unheilvoll, wenn er Streifen aufweist, Blut, Galle und Grünes, bald zu ver­schiedenen Zei­ ten, bald gleichzeitig, und zwar gemischt, aber doch jedes für sich. Doch selbst wenn sich dies ein wenig verzögern lässt, zeigt ein Stuhl, der flüs­sig und dabei schwarz oder fahl oder fettig ist, doch an, dass der Patient am Ran­de des Todes steht, insbesondere, wenn ein sehr übler Geruch dazukommt. (13)  Ich bin mir bewusst, dass man mich nun fragen könnte: Wenn es also siche­re Vorzeichen des nahenden Todes gibt, wie kommt es dann, dass Pati­en­ ten, die von den Ärzten schon aufgegeben worden sind, die Gesundheit wieder­ erlan­gen? . . . Man hört doch sogar von Leuten, die während ihres eigenen Lei­­chen­begängnisses wieder zum Leben erwacht sind.  (14)  Demokritos, ein zu Recht berühmter Mann, hat sogar gemeint, dass die Vorzeichen für das Lebens­ ende, auf die die Ärzte sich verlassen, nicht ausreichend sicher seien, und so ließ er es nicht einmal gelten, dass es überhaupt gewisse sichere Anzeichen des Todes geben solle.  (15)  Im Widerspruch zu diesen Leuten will ich nicht ein­mal so viel sagen, dass unklare Vorzeichen nicht die guten, sondern die uner­fah­re­ nen Ärzte irreführen. Zum Beispiel stellte Asklepiades, als ihm ein Lei­chen­zug ent­­ge­genkam, klar fest, dass der lebte, der da hinausgetragen wur­de. Es ist nicht in erster Linie ein Irrtum der medizinischen Wissenschaft, wenn ein Praktiker irrt. (16)  Mit mehr Zurückhaltung möchte ich aber die Meinung äußern, die Medi­z in sei eine Wissenschaft, die auf Mutmaßungen beruhe, und es sei eben charakteristisch für eine Mutmaßung, dass sie zwar öfters zutreffe, aber doch mitunter auch irre. Wenn also etwas in knapp einem von tausend Fällen

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decipit, id notam non habet, cum per innumerabiles homines respon ­ deat.  (17)  Idque non in is tantum, quae pestifera sunt, dico, sed in is quoque, quae salutaria; siquidem etiam spes interdum frustratur, et moritur aliquis, de quo medicus securus primo fuit: quaeque medendi causa reperta sunt, non­num­ quam in peius aliquid convertunt.  (18)  Neque id evitare humana inbe­cillitas in tanta varietate corporum potest. Sed tamen medicinae fides est, quae multo saepius perque multo plures aegros prodest. Neque tamen ignorare opor­tet in acutis morbis fallaces magis notas esse et salutis et mortis. Caput VII De notis, quas aliquis in singulis morborum generibus habere possit (1)  Sed cum proposuerim signa, quae in omni adversa valetudine com­munia esse consuerunt, eo quoque transibo, ut, quas aliquis in singulis mor­bo­rum gene­ribus habere possit notas, indicem. Quaedam autem sunt quae ante febres, quae­dam quae inter eas, quid aut intus sit aut venturum sit, osten­dunt   (2)  Ante febres, si caput grave est, aut ex somno oculi caligant, aut frequentia sternu­ menta sunt, circa caput aliquis pituitae impetus timeri pot­est. Si sanguis aut calor abundat, proxumum est, ut aliqua parte profluvium san­guinis fiat. Si sine cau­sa quis emacrescit, ne in malum habitum corpus eius reci­dat, metus est. Si praecordia dolent, aut inflatio gravis est, aut toto die non con­cocta fertur uri­na, cruditatem esse manifestum est.  (3)  Quibus diu color sine morbo regio malus est, ii vel capitis doloribus conflictantur, vel terram edunt. Qui diu habent faciem pallidam et tumidam, aut capite aut visceribus aut alvo laborant. Si in con­tinua febre puero venter nihil reddidit, mutaturque ei color, neque somnus accedit, ploratque is adsidue, metuenda nervorum dis­tentio est.  (4)  Frequens autem destillatio in corpore tenui longoque tabem timen­dam esse testatur. Ubi pluribus diebus non descendit alvus, docet aut subitam deiectionem aut febri­ culam instare. Ubi pedes turgent, longae deiec­tio‹nes sunt;› ubi dolor in imo ven­tre et coxis est, aqua inter cutem instat: sed hoc morbi genus ab ilibus oriri solet.  (5)  Idem propositum periculum est iis, qui­bus voluntas desidendi est, venter nihil reddit nisi et aegre et durum, tumor in pedibus est, idemque modo

2,6,16–2,7,5

81

fehl­geht, ist es darum doch ein Anzeichen, da es bei unzähligen Menschen zutrifft.  (17)  Dies sage ich nicht nur in Hinsicht auf unheilvolle Vorzeichen, son­­dern auch in Hinsicht auf solche, die die Genesung ankünden, insofern manch­­mal die Hoffnung zunichtewird und der Patient stirbt, den der Arzt schon in Sicherheit geglaubt hat, und was als Heilmittel beigebracht wird, wen­det die Sache bisweilen zum Schlimmeren.  (18)  Der schwache Mensch kann dies in Anbe­tracht der großen Unterschiede im Körperbau auch gar nicht ver­hin­dern. Und doch vertrauen wir der medizinischen Wissenschaft, weil sie weit­aus öfter und in weitaus mehr Fällen den Kranken hilft. Wir dürfen auch nicht übersehen, dass die Vorzeichen sowohl für Tod als auch für Leben bei aku­ter Erkrankung eher irreführen. 7. Kapitel Die Vorzeichen verschiedener Arten von Erkrankungen (1)  Nachdem ich nun die Anzeichen dargelegt habe, die allen Fällen von ange­­­grif­fe­ner Gesundheit gemeinsam sind, will ich damit fortfahren, dass ich erläutere, welche Vorzeichen Patienten bei verschiedenen Arten von Erkran­­­kun­g en haben können. Manche davon können vor Ausbruch eines Fie­­­bers, andere während des Fiebers anzeigen, was im Inneren des Körpers vor sich geht oder geschehen wird.  (2)  Wenn vor Ausbruch des Fiebers der Kopf schwer ist, die Augen unmittelbar nach dem Aufwachen trüb sind und man häufig niest, so muss man einen Anfall von Verschleimung des Kopfes befürch­­ten. Hat man in reichem Maß Hitze oder Blut, so liegt es nahe, dass an irgendeiner Körperstelle eine Blutung erfolgen wird. Wenn man ohne ersicht­ lichen Grund abmagert, ist zu befürchten, dass der Körper in einen schlech­ ten Zustand verfällt. Wenn die Brusthöhle schmerzt oder schwere Blä­hungen stattfinden oder den ganzen Tag unverdauter Harn ausgeschieden wird, liegt offensichtlich eine Verdauungsstörung vor.  (3)  Wer lange Zeit eine schlechte Gesichtsfarbe hat, ohne an Gelbsucht zu leiden, wird entweder Kopf­schmerzen bekommen oder Erde verzehren. Wer lange Zeit ein fahles oder geschwollenes Gesicht hat, leidet am Kopf, an den Eingeweiden oder am Stuhl­gang. Wenn ein Kind bei anhaltendem Fieber keinen Stuhl hat, wenn die Gesichtsfarbe wech­ selt und wenn es keinen Schlaf findet und beständig weint, muss man Mus­ kelverkrampfung befürchten.  (4)  Häufige Katarrhe bei groß gewachsenen, mageren Menschen bedeuten Anlass zur Sorge vor Schwind­sucht. Hat man einige Tage lang keinen Stuhl, heißt das, dass eine plötz­li­che Entleerung oder ein leichtes Fieber bevorsteht. Schwellen die Füße und hat man langwierigen Durch­fall, wobei sich Schmerzen im Unterleib und den Hüften zeigen, so ist dies der Beginn eines Ödems, doch diese Art von Krank­heit geht meist von den Weichen aus.  (5)  In derselben Gefahr befinden sich auch Leute, die den Darm entleeren wollen, deren Leib aber nur mit Mühe eine harte Ausscheidung

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dextra modo sinistra parte ventris invicem ori­tur atque finitur: sed a iocinere id malum proficisci videtur. (6)  Eiusdem morbi nota est, ubi circa umbilicum intestina torquentur (στρό­ φους Graeci nominant), coxaeque dolores manent, eaque neque tempore neque remediis solvuntur. Calor autem articulorum prout in pedibus mani­ bus­ve aut alia qualibet parte sic est ut eo loco nervi contrahantur, aut si id mem­brum ex levi causa fatigatum aeque frigido calidoque offenditur, poda­ gram cheragramve, vel eius articuli, in quo id sentitur, morbum futurum esse denuntiat.  (7)  Quibus in pueritia sanguis ex naribus fluxit, deinde fluere desiit, vel capitis doloribus conflictentur necesse est, vel in articulis aliquas exul­ cerationes gravis habeant, vel aliquo morbo etiam debilitentur. Quibus femi­ nis menstrua non proveniunt, necesse est capitis acerbissimi dolores sint, vel quae­libet alia pars morbo infestetur.  (8)  Eademque iis pericula sunt, quibus arti­ culorum vitia, dolores tumoresque, sine podagra similibusque morbis, ori­un­tur et desinunt, utique, si saepe tempora isdem dolent noctuque corpora insu­dant. Si frons prurit, lippitudinis metus est. Si mulier a partu vehementes dolo­res habet, neque alia praeterea signa mala sunt, circa vicensimum diem aut sanguis per nares erumpet, aut in inferioribus partibus aliquid absce­det.  (9)  Quicumque etiam dolorem ingentem circa tempora et frontem habe­bit, is alterutra ratione eum finiet, magisque si iuvenis erit, per sanguinis pro­fu­sio­nem, si senior, per suppurationem. Febris autem, quae subito sine ratione, sine bonis signis finita est, fere revertitur.  (10)  Cui sanguine fauces et interdiu et noctu replentur, sic ut neque capitis dolores neque praecordiorum neque tus­sis neque vomitus neque febricula praecesserit, huius aut in naribus aut in fau­cibus ulcus reperietur. Si mulieri inguen et febricula orta est, neque causa appa­ret, ulcus in vulva est. (11)  Urina autem crassa, ex qua quod desidet album est, significat circa arti­ culos aut circa viscera dolorem metumque morbi esse. Eadem viridis aut vis­ cerum dolorem tumoremque cum aliquo periculo subesse, aut certe corpus inte­ grum non esse testatur. At si sanguis aut pus in urina est, vel vesica vel renes exulcerati sunt.  (12)  Si haec crassa carunculas quasdam exiguas quasi capillos habet, aut si bullat et male olet, et interdum quasi harenam, interdum qua­si

2,7,5–2,7,12

83

her­­­vor­­bringt, deren Füße geschwollen sind, und ebenso deren Unterleib abwechselnd erst rechts und dann links an- und abschwillt. Diese Krankheit scheint von der Leber auszugehen. (6)  Ein Anzeichen derselben Krankheit ist eine Verschlingung der Gedärme auf der Höhe des Nabels (die Griechen nennen das Strophos) zusammen mit anhal­tenden Schmerzen in den Hüften, die weder mit der Zeit noch durch Behand­lung nachlassen. Je nachdem aber, ob die Hitze, die in den Gelen­ken der Füße, der Hände oder anderswo entsteht, eine Verkrampfung der Muskeln her­vor­ruft oder ob dieselbe Gliedmaße, aus geringfügiger Ursa­che geschwächt, glei­chermaßen Hitze und Kälte leidet, kündigt dies das Nahen­eines Podagra oder Chiragra oder Erkrankung des Gelenks, in dem das Lei­den wahrgenommen wird, an.  (7)  Hat man als Kind Nasenbluten und legt es sich später, führt dies auf jeden Fall zu Kopfschmerzen oder starken Geschwü­ren an den Gelenken, oder man wird von einer anderen Krankheit in Mitleidenschaft gezogen. Frauen, deren Monatsblutung ausbleibt, haben auf jeden Fall furchtbare Kopf­schmer­ zen, oder aber es greift die Krankheit einen anderen Körperteil an.  (8)  Dieselbe Gefahr besteht, wenn, ohne dass Podagra oder eine ähnliche Krank­h eit vorhanden ist, Gelenksbeschwerden, -schmerzen und -schwellungen auf­treten und wieder abklingen, vor allem, wenn Schmerzen in den Schläfen und nächt­ liche Schweißausbrüche dazu­kommen. Bei Jucken an der Stirn besteht Anlass zur Sorge wegen Augen­entzündung. Wenn eine Frau nach der Geburt ihres Kin­des starke Schmerzen lei­det, aber keine anderen schlechten Vorzeichen vor­handen sind, so wird um den zwanzigsten Tag entweder Nasenbluten oder an den unteren Teilen eine Entzündung auftreten.  (9)  Hat man fürchterliche Schmer­zen an den Schlä­fen und der Stirn, so vergehen diese auf eine von zwei Arten: ist man jung, eher nach einer starken Blutung, ist man älter, durch Abgang von Eiter. Wenn aber Fieber plötzlich, ohne Grund und ohne günstige Vor­zeichen vergangen ist, so kehrt es meist wieder.  (10)  Wenn sich die Kehle in der Nacht oder auch untertags mit Blut füllt, und zwar ohne vorhergehende Kopf- oder Brust­schmerzen oder Husten, leichtes Fieber oder Erbrechen, so wird sich ent­weder in der Nase oder in der Kehle ein Geschwür befinden. Hat eine Frau eine Geschwulst in der Leistengegend sowie leichtes Fieber, so hat sie ein Geschwür in der Gebärmutter. (11)  Dickflüssiger Harn aber, in dem sich weiße Schwebstoffe befinden, bedeu­­tet Schmerzen in den Gelenken und Eingeweiden und gibt Anlass zur Sor­­ge, diese könnten erkranken. Ist er grün, bedeutet dies, dass Schmerzen oder Schwel­lungen der Eingeweide vorliegen oder dass zumindest der Körper nicht beschwerdefrei ist. Wenn aber der Harn Blut oder Eiter enthält, so befin­den sich entweder in der Blase oder in den Nieren Geschwüre.  (12)  In den Nieren sitzt das Leiden, wenn der Harn dickflüssig ist und haarfeine Fleisch­stückchen ent­hält, oder aber, wenn er schäumt oder übel riecht und bisweilen etwas wie

84

Liber secundus

san­guinem trahit, dolent autem coxae et quae inter has superque pubem sunt, et accedunt frequentes ructus, interdum vomitus biliosus, extremaeque par­ tes frigescunt, urinae crebra cupiditas sed magna difficultas est, et quod inde excre­tum est, aquae simile vel rufum vel pallidum est, paulum tamen in eo leva­menti est, alvus vero cum multo spiritu redditur, utique in renibus vitium est.  (13)  ‹A›t si paulatim destillat, vel si sanguis per hanc editur, et in eo quae­ dam cruenta concreta sunt, idque ipsum cum difficultate redditur, et circa pubem infe­riores partes dolent, in eadem vesica vitium est.  (14)  Calculosi vero his indi­ ciis cognoscuntur: difficulter urina redditur paulatimque; inter­dum etiam sine volun­tate destillat; eadem harenosa est; nonnumquam sanguis aut cruentum aut purulentum aliquid cum ea excernitur; eamque quidam promp­tius recti, qui­dam resupinati, maximeque ii, qui grandes calculos habent, quidam etiam incli­nati reddunt, colemque extendendo dolorem levant.  (15)  Gravitatis quoque cuius­ dam in ea parte sensus est; atque ea cur­su omnique motu augentur. Quidam etiam, cum torquentur, pedes inter se, sub­inde mutatis vicibus, inplicant. Femi­ nae vero oras naturalium suorum mani­bus admotis scabere coguntur: nonnum­ quam, si digitum admoverunt, ubi vesi­cae cervicem is urguet, calculum sentiunt. (16)  At qui spumantem sanguinem excreant, iis in pulmone vitium est. Muli­ e­ri gravidae sine modo fusa alvus excutere partum potest. Eidem si lac ex mam­ mis profluit, inbecillum est quod intus gerit: durae mammae sanum illud esse testantur.  (17)  Frequens singultus et praeter consuetudinem continuus iecur inflammatum esse significat. Si tumores super ulcera subito esse des­ierunt, idque a tergo incidit, vel distentio nervorum vel rigor timeri potest: at si a priore parte id evenit, vel lateris acutus dolor vel insania expectanda est:  (18)  interdum etiam eiusmodi casum, quae tutissima inter haec est, pro­fusio alvi sequitur. Si ora venarum, sanguinem solita fundere, subito sup­pressa sunt, aut aqua inter cutem aut tabes sequitur.  (19)  Eadem tabes sub­it, si in lateris dolore orta suppuratio intra quadraginta dies purgari non potu­it. At si longa tristitia cum longo timore et vigilia est, atrae bilis morbus sub­est.  (20)  Quibus saepe ex naribus fluit sanguis, iis aut lienis tumet, aut capitis dolo­res sunt, quos sequitur, ut quaedam ante oculos tamquam imagines obver­sentur.

2,7,12–2,7,20

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Sand, bisweilen Blut mit sich führt, jedoch die Hüften und der Bereich zwischen die­sen und oberhalb der Scham schmerzen, wozu häufiges Auf­stoßen und bis­ weilen galliges Erbrechen kommt, und wenn ferner die Extre­mitäten kalt sind und man häufigen Harndrang verspürt, aber nur unter Schwie­rigkeiten Wasser las­sen kann, und wenn das, was man da von sich gibt, wässrig, rot oder fahl ist und man nur wenig Erleichterung empfindet, und wenn der Stuhlgang von viel Wind begleitet wird.  (13)  Wenn der Harn nur tröpfchenweise kommt oder man zugleich mit ihm Blut ausscheidet und dies blutige Klümpchen enthält, wenn man dies nur unter Schwierigkeiten von sich gibt und wenn der Unterleib in der Scham­gegend schmerzt, so liegt das Übel in der Blase.  (14)  Blasensteine lassen sich hingegen an folgenden Vor­zei­chen erkennen: das Wasserlassen erfolgt unter Schwierigkeiten und lang­sam, bisweilen lässt man unwillkürlich Wasser, der Harn ist sandig, nicht sel­ten scheidet man mit dem Harn Blut oder etwas Blu­ti­ges oder Eitriges aus, und manche geben den Harn leichter im Stehen von sich, manche in der Rückenlage, besonders, wenn die Blasensteine groß sind, und einige, indem sie sich vornüberbeugen und ihr Glied langziehen, um den Schmerz zu lin­dern.  (15)  Auch hat man in dieser Körpergegend ein Gefühl der Schwere, dies wird beim Laufen und überhaupt bei Bewegung schlimmer. Man­ che über­kreuzen auch die Beine, wenn sie von Schmerzen gequält werden, ein­ mal in die eine Richtung, dann in die andere. Frauen hingegen empfinden einen Drang, die Hände an die Öffnung ihrer Geschlechtsteile zu legen und sich dort zu kratzen. Nicht selten kann man den Stein auch fühlen, wenn man den Fin­ger an die Stelle legt, wo er im Hals der Blase feststeckt. (16)  Wenn man aber blutigen Schaum von sich gibt, so sitzt das Übel in der Lun­­ge. Übermäßiger Durchfall bei einer schwangeren Frau kann eine Fehlgeburt aus­­lösen. Wenn Milch aus ihren Brüsten fließt, so ist ihre Leibesfrucht schwäch­­ lich. Feste Brüste bedeuten eine gesunde Leibesfrucht.  (17)  Häufiger und ungewöhnlich lang anhaltender Schluckauf bedeutet, dass die Leber ent­zün­ det ist. Wenn Schwellungen an Geschwüren plötzlich nachlassen und dies am Rücken geschieht, kann man entweder Verkrampfung der Muskeln oder Starr­krampf befürchten, geschieht es aber vorne, muss man mit akuten Lun­ gen­schmerzen oder Wahnsinn rechnen.  (18)  Mitunter erfolgt in einem sol­ chen Fall ein heftiger Durchfall, aber noch am wenigsten gefährlich ist. Wenn Hämorr­hoiden, die gewöhnlich bluten, sich plötzlich schließen, so folgt ent­ weder ein Ödem oder aber Schwindsucht.  (19)  Ebenso führt es zu Ödemen, wenn eine Eiterung, die mit Lungenschmerzen entstanden ist, nicht binnen vier­­zig Tagen behoben werden kann. Bei dauerhafter Niedergeschlagenheit mit dauerhafter Furcht und Schlaflosigkeit liegt eine Erkrankung der schwar­zen Gal­le vor.   (20)  Blutet man oft aus der Nase, so hat man entweder eine Schwel­ lung der Milz oder Kopfschmerzen, die bei einigen auch zu Trugbildern vor den Augen führen.

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Liber secundus

(21)  At quibus magni lienes sunt, iis gingivae malae sunt, et os olet, aut san­ guis aliqua parte prorumpit; quorum si nihil evenit, necesse est in cruribus mala ulcera, et ex his nigrae cicatrices fiant. Quibus causa doloris neque sen­sus eius est, his mens labat. Si in ventrem sanguis confluxit, ibi in pus ver­titur.  (22)  Si a coxis et inferioribus partibus dolor in pectus transit, neque ullum signum malum accessit, suppurationis eo loco periculum est. Quibus sine febre aliqua [ex] parte dolor aut prurigo cum rubore et calore est, ibi ali­quid suppurat. Urina quoque, quae in homine sano parum liquida est, circa aures futuram aliquam suppurationem esse denuntiat. (23)  Haec vero, cum sine febre quoque vel latentium vel futurarum rerum notas habeant, multo certiora sunt, ubi febris accessit, atque etiam aliorum mor­ borum tum signa nascuntur.  (24)  Ergo protinus insania timenda est, ubi expe­ ditior alicuius, quam sani fuit, sermo subitaque loquacitas orta est, et haec ipsa solito audacior; aut ubi raro quis et vehementer spirat, venasque conci­tatas habet praecordiis duris et tumentibus.  (25)  Oculorum quoque frequens motus, et in capitis dolore offusae oculis tenebrae, vel nullo dolore substante som­nus ereptus, continuataque nocte et die vigilia, vel prostratum contra con­su­etudinem corpus in ventrem, sic ut ipsius alvi dolor id non coegerit, item robusto adhuc corpore insolitus dentium stridor insaniae signa sunt. (26)  Si quid etiam abscessit, et antequam suppuraret manente adhuc febre sub­sedit, periculum adfert primum furoris, deinde interitus. Auris quoque dolor acutus cum febre continua vehementique saepe mentem turbat; ex eo casu iuveniores interdum intra septimum diem moriuntur, seniores tardius, quo­­niam neque aeque magnas febres experiuntur, neque aeque insaniunt: ita sus­tinent, dum is adfectus in ‹p›us ver‹t›atur.  (27)  Suffusae quoque sanguine muli­eris ­­ mammae furorem venturum esse testantur. Quibus autem longae febres sunt, iis aut abscessus aliqui aut articulorum dolores erunt. Quorum fau­ cibus in febre inliditur spiritus, instat his nervorum distentio. Si angina subito finita est, in pulmone‹m› id malum transit; idque saepe intra septimum diem occidit.  (28)  Quod nisi incidat, sequitur, ut aliqua parte suppuret. Dein­de post alvi longam resolutionem tormina, post haec intestinorum levi­tas oritur; post nimias destillationes tabes, post lateris dolorem vitia pul­­mo­num, post haec insa­ nia; post magnos fervores corporis nervorum rigor aut distentio; ubi caput vul­-

2,7,21–2,7,28

87

(21)  Ist aber die Milz vergrößert, so bekommt man Zahnfleischerkrankungen, üblen Mundgeruch oder Blutungen an irgendeiner Stelle des Körpers. Wenn nichts davon eintritt, entstehen unweigerlich üble Schwären an den Beinen, die schwarz vernarben. Wer Ursache für Schmerzen hat, diese aber nicht spürt, ist geistig umnachtet. Wenn Blut in den Bauch fließt, wird es dort zu Eiter.  (22)  Wenn der Schmerz von den Hüften und den unteren Teilen zur Brust wandert, ohne dass ein übles Vorzeichen dazukommt, besteht Gefahr einer Eiterung an dieser Stelle. Ist man fieberfrei, aber hat man Schmerz oder Juck­ reiz mit Rötung und Hitze an einer Körperstelle, so ist dort etwas ver­eitert. Eben­so deutet es auf eine Vereiterung an den Ohren hin, wenn der Harn nicht so durchsichtig ist, wie er es beim gesunden Menschen sein sollte. (23)  Dies alles zeigt auch ohne Fieber verborgene oder künftige Zustände an, aber es ist doch weitaus zuverlässiger, wenn Fieber hinzutritt, und dann kön­­nen auch Anzeichen anderer Erkrankungen auftreten.  (24)  Man muss also dro­­hen­den Wahnsinn befürchten, wenn der Kranke rascher spricht, als er es bei guter Gesundheit getan hat, und plötzlich geschwätzig wird, und zwar mit mehr Übermut als gewöhnlich, oder wenn er langsam und mit Mühe atmet und erweiterte Blutgefäße hat, wobei der Oberbauch hart und geschwollen ist.  (25)  Anzeichen von Wahnsinn sind auch rasche Bewegungen der Augen und vor­übergehende Trübung der Augen bei Kopfschmerzen, mangelndes Schlaf­ bedür­fnis, aber ohne Schmerzen, fortgesetzte Schlaflosigkeit bei Tag und bei Nacht, ungewöhnliche Bauchlage, ohne dass man durch Leibschmerzen dazu gezwun­gen wird, und sodann auffallendes Zähneknirschen, solange der Kör­per noch bei Kräften ist. (26)  Wenn dazu auch etwas entzündet gewesen ist und dies zwar ohne Eite­­rung abgeklungen, das Fieber aber nicht gewichen ist, bedeutet dies, dass erst Tobsucht und dann der Tod droht. Akute Ohrenschmerzen mit anhal­tendem hohen Fieber greifen oft den Geist an. Oft versterben an die­ sem Zustand jüngere Menschen binnen Wochenfrist, ältere später, weil die­se weder derart hohes Fieber verspüren noch derartig in Raserei verfallen. Dies hält vor, bis die Entzündung vereitert.  (27)  Bei Frauen bedeuten blut­unter­ lau­fene Brüste beginnende Tobsucht. Hat man aber langanhaltendes Fie­ber, wer­den sich entweder irgendwelche Entzündungen oder aber Gelenk­schmer­ zen einstellen. Wem bei Fieber der Atem im Hals steckenbleibt, der wird eine Mus­kelverkrampfung bekommen. Wenn diese Schwellung des Halses plötzlich abklingt, so wandert das Übel in die Lunge weiter, und dies tötet den Patienten oft binnen Wochenfrist.  (28)  Geschieht dies nicht, erfolgt eine Eiterung an einer ande­ren Körperstelle. Ferner zeigt sich nach langanhaltendem Durchfall Ruhr und nach dieser ein Darmkatarrh, nach übermäßigem Schnupfen Schwindsucht, nach Lungenschmerzen Lungenlei­den und nach diesen Wahnsinn, nach hohem Fieber Starrkrampf oder Mus­kel­ver­krampfung, bei Kopfwunden Wahnvor­

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Liber secundus

ne­ratum est, delirium; ubi vigilia torsit, nervorum distentio; ubi vehementer venae super ulcera moventur, sanguinis profluvium.  (29)  Suppuratio vero plu­ ri­bus morbis excitatur: nam si longae febres sine dolore, sine manifesta causa rema­­nent, in aliquam partem id malum incumbit, in iuvenioribus tamen: nam senio­ribus ex eiusmodi morbo quartana fere nascitur.  (30)  Eadem suppuratio fit, si praecordia dura, dolentia ante vicensimum diem hominem non sustu­lerunt, neque sanguis ex naribus fluxit, maximeque in adulescentibus, utique si inter prin­cipia aut oculorum caligo aut capitis dolores fuerunt: sed tum ‹in› infe­ rioribus partibus aliquid abscedit. (31)  Aut si praecordia tumorem mollem habent, neque habere intra sexaginta dies desinunt, haeretque per omne id tempus febris; sed tum in superioribus par­ti­bus fit abscessus; ac si inter ipsa viscera non f‹i›t, circa aures erumpit. Quo‹m›que omnis longus tumor ad suppurationem fere spectet, magis eo ten­ dit is, qui in praecordiis quam is, qui in ventre est; is, qui supra umbilicum quam is, qui infra est.  (32)  Si lassitudinis etiam sensus in febre est, vel in maxil­lis vel in articulis aliquid abscedit. Interdum quoque urina tenuis et cru­ da sic diu fertur, ut alia salutaria signa sint, exque eo casu plerumque infra trans­ver­sum septum, quod διάφραγμα Graeci vocant, fit abcessus.  (33)  Dolor etiam pulmonis, si neque etiam per sputa neque per sanguinis detractionem neque per victus rationem finitus est, vomicas aliquas intus excitat aut cir­ca vicesimum diem ‹aut circa tricesimum› aut circa quadragesimum, nonnum­ quam etiam circa sexagensimum.  (34)  Numerabimus autem ab eo die, quo pri­ mum febricitavit aliquis aut inhorruit aut gravitatem eius partis sensit. Sed hae vomicae modo a pulmone modo a contraria parte nascuntur. Quod sup­purat, ab ea parte, quam adficit, dolorem inflammationemque concitat: ipsum calidius est ‹et,› si in partem sanam aliquis decubuit, onerare eam ex pon­dere aliquo vide­tur.   (35)  Omnis etiam suppuratio, quae nondum oculis patet, sic deprehendi potest: si febris non dimittit, eaque interdiu levior est, noctu incres­cit, multus sudor oritur, cupiditas tussiendi est, et paene nihil in tussi excrea­tur, oculi cavi sunt, malae rubent, venae sub lingua inalbescunt, in mani­bus fiunt adunci ungues, digiti maximeque summi ‹ca›lent, in pedibus tumo­res sunt, spiritus difficilius trahitur, cibi fastidium est, pustulae toto cor­pore oriuntur.  (36)  Quod si protinus initio dolor et tussis fuit et spiritus dif­fi­cul­tas, vomica vel ante vel

2,7,28–2,7,36

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stellungen, bei quälender Schlaf­­lo­sig­keit Muskelverkrampfung, und wenn Blut­ ge­fäße bei Wunden stark pulsieren, erfolgen Blutungen.  (29)  Eiterung aber wird durch ver­schie­dene Krankheiten hervorgerufen: wenn nämlich langanhaltendes schmerz­freies Fieber ohne sichtbare Ursache nicht vergeht, wird dieses Übel an irgendeiner Körperstelle auftreten, allerdings wohl bei jüngeren Patien­ten, denn bei älteren Leuten entsteht aus dieser Art von Krankheit oft ein Quar­tan­ fieber.  (30)  Gleichermaßen erfolgt Eiterung, wenn der Oberbauch hart ist und schmerzt, dies aber den Menschen nicht binnen zwanzig Tagen hin­weg­ge­rafft hat, oder wenn keine Nasenblutung stattfindet, besonders bei Jugend­lichen, vor allem, wenn von Anfang an eine Trübung der Augen und Kopf­schmerzen vorge­ le­gen sind. Doch in diesen Fällen entzündet sich etwas in den unteren Teilen. (31)  Oder aber, wenn der Oberbauch weich und geschwollen ist, dies nicht bin­­nen sechzig Tagen nachlässt und man während der gesamten Zeit fiebert, aber dann erfolgt eine Entzündung in den oberen Teilen, und geschieht es nicht in den Eingeweiden, so bricht sie aus den Ohren hervor. Obwohl in jeder lang­ wie­rigen Entzündung eine Eiterung angelegt ist, neigt eine Entzündung im Ober­bauch mehr dazu als eine im Unterleib und eine Entzündung oberhalb des Nabels mehr als eine unterhalb.  (32)  Empfindet man bei Fieber eine Schlaff­heit des Unterkiefers oder der Gelenke, so bildet sich irgendwo eine Ent­zündung. Bis­weilen bleibt der Harn so lange dünnflüssig und unverdaut, dass die übrigen Anzeichen schon die Genesung ankündigen, und in diesem Fall entsteht die Ent­zündung oft unterhalb des Zwerchfells, das die Griechen Dia­phragma nen­ nen.  (33)  Lungenschmerzen aber, die sich weder durch Aus­wurf noch durch Ader­lass oder diätetisch lindern lassen, führen zu inneren Eiter­geschwüren, und zwar um den zwanzigsten, dreißigsten oder vierzigsten Tag, nicht selten aber auch um den sechzigsten.  (34)  Man zählt das aber von jenem Tag an, wo Fie­ber und Schüttelfrost zuerst aufgetreten sind und man Beschwer­den dieses Kör­perteils verspürt hat. Diese Eitergeschwüre aber ent­stehen bald in der Lun­ ge, bald an der entgegengesetzten Seite. Die Eiterung führt zu Schmerzen und Ent­zün­dung an der betroffenen Seite des Körpers, sie selbst ist erhitzt, und wenn man sich auf seine gesunde Seite legt, scheint man sie mit einer Art von Gewicht niederzudrücken.  (35)  Jede Eiterung aber, die noch nicht sichtbar ist, lässt sich folgendermaßen feststellen: wenn das Fieber nicht nachlässt, aber doch tagsüber leichter ist und in der Nacht steigt, wenn man viel schwitzt, man das Bedürfnis zu husten hat, aber mit dem Husten nichts auswirft, wenn die Augen eingefallen, die Wangen gerötet und die Blutgefäße unter der Zunge fahl sind, die Fingernägel sich krümmen, die Finger heiß sind, besonders an den Spitzen, an den Füßen Schwellungen auf­treten, die Atmung schwerfällt, man den Appetit verliert und am ganzen Kör­per Pusteln auftreten.  (36)  Wenn am Anfang sofort Schmerzen, Husten und Atembeschwerden aufgetreten sind, so wird das Eitergeschwür vor dem oder um den zwanzigsten Tag aufbrechen.

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Liber secundus

circa vicesimum diem erumpet: si serius ista coe­perint, necesse est quidem incres­­cant, sed quo minus cito adfecerint, eo tar­dius solventur. Solent etiam in gra­vi morbo pedes cum digitis unguibusque nigres­cere: quod si non est mors con­secuta et reliquum corpus invaluit, pedes tamen decidunt. Caput VIII Quae notae in quoque morbi genere vel spem vel pericula ostendant (1)  Sequitur, ut in quoque morbi genere proprias notas explicem, quae vel spem vel periculum ostendant. Ex vesica dolenti si purulenta urina processit, inque ea leve et album sub­sedit, metum detrahit. (2)  In pulmonis morbo si sputo ipso levatur dolor, quamvis id purulentum est, tamen aeger facile spirat, facile excreat, morbum ipsum non difficulter fert, potest ei secunda valetudo contingere. Neque inter initia terreri convenit, si pro­tinus sputum mixtum est rufo quodam et sanguine, dummodo statim eda­tur. (3)  Laterum dolores suppuratione facta, deinde intra quadragesimum diem pur­gata, finiuntur. Si in iocinere vomica est, et ex ea fertur pus purum et album, salus facilis est: id enim malum in tunica est. (4)  Ex suppurationibus vero eae tolerabiles sunt, quae in exteriorem partem feruntur et acuuntur. At ex iis, quae intus procedunt, eae leviores, quae contra se cutem non adficiunt, eamque et sine dolore esse et eiusdem coloris, cuius reli­ quae partes sunt, sinunt esse. Pus quoque, quacumque parte erumpit, si est leve, album, unius coloris, sine ullo metu est, et quo effuso febris protinus con­quievit desieruntque urguere cibi fastidium et potionis desiderium.  (5)  Si quan­do etiam sup­puratio descendit in crura, sputumque eiusdem factum pro rufo purulentum est, periculi minus est. (6)  At in tabe eius, qui salvus futurus est, sputum esse debet album, aequale totum, eiusdemque coloris, sine pituita; eique etiam simile esse oportet, si quid in nares a capite destillat. Longe optimum est febrem omnino non esse; secun­ dum est tantulam esse, ut neque cibum inpediat neque crebram sitim faciat. Alvus in hac valetudine ea tuta est, quae cotidie, quae coacta, quae con­ve­nientia iis, quae adsumuntur, reddit; corpus id, quod minime tenue maxi­meque lati pec-­

2,7,36–2,8,6

91

Wenn dies später einsetzt, muss es sich notwendigerweise steigern, aber je weniger rasch es einen angreift, desto spä­ter klingt es ab. Bei schwerer Erkrankung aber werden gewöhnlich die Füße mit­samt den Zehen und den Nägeln schwarz, und folgt hierauf nicht der Tod und erholt sich der übrige Kör­ per, so fallen doch die Füße ab. 8. Kapitel Vorzeichen, die je nach Art der Krankheit Anlass zur Hoffnung oder Sorge geben (1)  Im Folgenden werde ich die Vorzeichen erläutern, die den jeweiligen Krank­­heiten eignen und die Anlass zur Hoffnung oder Sorge geben. Wenn die Blase schmerzt und aus ihr eitriger Harn mit schleimigen, weißen Schweb­­stoffen abgeht, muss man sich keine Sorgen mehr machen. (2)  Wenn bei Lungenkrankheit durch Auswurf der Schmerz gelindert wird, auch wenn dieser eitrig ist, kann der Kranke seine Gesundheit wieder erlan­gen, wenn er leicht atmet, leicht aushustet und die Krankheit selber ohne Schwie­ rig­­keiten erträgt. Auch muss man sich zu Beginn der Krankheit nicht fürch­ten, wenn der Auswurf mit etwas Rotem und mit Blut vermischt ist, solange es sofort ausgeschieden wird. (3)  Lungenschmerzen vergehen, wenn eine Eiterung auftritt und dann bin­nen vier­zig Tagen ausgeräumt wird. Liegt ein Abszess in der Leber vor und ist der abgesonderte Eiter gleichförmig weiß, so ist eine Heilung leicht zu erzielen, da die erkrankte Stelle in eine Haut­ kap­sel eingeschlossen ist. (4)  Eiterungen sind aber dann erträglich, wenn sie nach außen drücken und platzen. Von denen, die nach innen gehen, sind jene leichter, die die entgegen­ lie­gende Haut nicht angreifen, sondern sie gleich gefärbt wie die übrige Haut belas­sen. Auch ist der Eiter, wo immer er austritt, kein Anlass zur Sorge, wenn er schleimig, weiß und von einheitlicher Farbe ist, und wenn sich nach seinem Abgang das Fieber sofort legt und die Appetitlosigkeit und der Durst weniger hef­­tig sind.   (5)  Auch ist die Gefahr geringer, wenn die Eiterung sich in die Bei­ ne absetzt und der Auswurf des Patienten statt rot eitrig wird. (6)  Wenn man sich aber bei Tuberkulose auf dem Weg der Besserung befin­ det, muss der Auswurf weiß und durchgehend von gleicher Beschaffenheit sein, von einheitlicher Farbe, ohne Schleim, und er muss dem gleichen, was vom Kopf durch die Nase herabtropft. Bei weitem am besten ist es, wenn überhaupt kein Fieber vorhanden ist, und am zweitbesten, wenn es nur ganz unbedeutend ist, sodass es weder den Appetit beeinträchtigt noch brennenden Durst verur­ sacht. Ein Zeichen der Gefahrlosigkeit ist bei dieser Befindlichkeit, wenn der Stuhl täglich abgeht, fest ist und dem Verzehrten entspricht, und wenn der Kör­per so wenig wie möglich abgemagert ist, der Brustkasten so breit und

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Liber secundus

to­ris atque saetosi est, cuiusque cartilago exigua et carnosa est.  (7)  Super tabem si mulieri suppressa quoque menstrua fuerunt, et circa pec­tus atque sca­pu­las dolor mansit subitoque sanguis erupit, levari morbus solet: nam et tussis minui­ tur, et sitis atque febricula desinunt. Sed isdem fere, nisi redit sanguis, vomi­ca erum­pit; quae quo cruentior, eo melior est. (8)  Aqua autem inter cutem minime terribilis est, quae nullo antecedente mor­bo coepit; deinde, quae longo morbo supervenit, utique si firma viscera sunt, si spiritus facilis, si nullus dolor, si sine calore corpus est, aequaliterque in extremis partibus macrum est, si mollis venter, si nulla tussis, nulla sitis, si lin­­gua ne ‹su›per somnum quidem inarescit;  (9)  si cibi cupiditas est, si venter medi­­camentis movetur, si per se excernit mollia et figurata, si extenuatur; si uri­na et vini mutatione et epotis aliquibus medicamentis mutatur; si corpus sine lassitudine est et morbum facile sustinet: siquidem in quo omnia haec sunt, is ex toto tutus est; in quo plura ex his sunt, is in bona spe est. (10)  Articulorum vero vitia, ut podagrae cheragraeque, si iuvenes temptarunt neque callum induxerunt, solvi possunt; maximeque torminibus leniuntur et quo­­cumque modo venter fluit. (11)  Item morbus comitialis ante pubertatem ortus non aegre finitur; et in quo ab una parte corporis venientis accessionis sensus incipit, optimum est a mani­ bus pedibusve initium fieri, deinde a lateribus; pessimum inter haec ‹a› capite. (12)  Atque in his quoque ea maxime prosunt, quae per deiectiones excer­ nuntur. Ipsa autem deiectio sine ulla noxa est, quae sine febre est, si celeriter desi­nit, si cont‹a›cto ventre nullus motus eius sentitur, si extremam alvum spi­ ritus sequitur. (13)  Ac ne tormina quidem periculosa sunt, si sanguis et strigmenta descen­ dunt, dum febris ceteraeque accessiones huius morbi absint, adeo ut etiam gra­ vi­da mulier non solum reservari possit, sed etiam partum reservare; prod­est­que in hoc morbo, si iam aetate aliquis processit. (14)  Contra intestinorum levitas facilius a teneris aetatibus depellitur, utique si ferri urina et ali cibo corpus incipit.

2,8,6–2,8,14

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behaart wie möglich und wenn seine Knorpel klein und von Fleisch bedeckt sind.  (7)  Wenn zusätzlich zur Tuberkulose bei einer Frau auch die Monats­blu­­­ tung ausbleibt und der Schmerz in Brust und Schultern nicht vergeht und plötz­­ lich Blut hervorbricht, wird die Krankheit gewöhnlich behoben, denn der Hus­ ten geht zurück und der Durst und das leichte Fieber lassen nach. Doch wenn in die­sen Fällen das Blut nicht zurückkehrt, bricht häufig eine Eiter­beule auf, und je blutiger, desto besser. (8)  Ein Ödem in der Haut ist am wenigsten Besorgnis erregend, wenn es auf­­tritt, ohne dass eine Krankheit vorangegangen wäre, und am zweitbesten, wenn es auf lange Krankheit folgt, insbesondere, wenn die Eingeweide kräftig sind, die Atmung keine Schwierigkeiten macht, kein Schmerz vorhanden und der Körper nicht erhitzt ist und wenn die Extremitäten gleichmäßig abge­ma­­ gert sind, wenn der Bauch weich ist und weder Husten noch Durst sich ein­ stellen, wenn auch die Zunge gleich nach dem Aufwachen nicht ausge­trock­net ist,  (9)  wenn man Appetit verspürt, wenn mit Medikamenten Stuhl­gang her­bei­ geführt werden kann, wenn man ohne Hilfsmittel weiche und geformte Aus­ schei­dungen hervorbringt, wenn man Gewicht verliert, wenn der Harn durch einen Wechsel der Weinsorte und gewisse Heiltränke beeinflusst wer­den kann, und wenn der Körper nicht ermattet ist und die Krankheit leicht erträgt. Trifft dies alles zu, so besteht überhaupt keine Gefahr, trifft einiges davon zu, darf man das Beste hoffen. (10)  Gelenksleiden aber, wie etwa Podagra und Chiragra, können geheilt wer­ den, wenn sie in jungen Jahren auftreten und keine Knoten verursachen. Am ehesten werden sie durch Ruhr und Durchfall jedweder Art gelindert. (11)  Ferner ist es nicht schwer, Epilepsie zu beheben, wenn sie vor der Puber­ tät ausbricht, und sofern sich das Gefühl eines beginnenden Anfalls in einem Kör­perteil zeigt. Es ist am besten, wenn dies in den Händen oder Füßen sei­nen Anfang nimmt, gefolgt von den Flanken, doch vom Kopf ist es am schlech­tes­ ten. (12)  Hierbei ist aber auch diese Form der Erkrankung am zuträglichsten, die mit dem Durchfall ausgeschieden werden kann. Der Durchfall selber ist dann unge­fährlich, wenn er ohne Fieber erfolgt, er schnell vorübergeht, seine Bewe­ gun­gen bei Berühren des Leibes nicht fühlbar sind und auf das Ende der Aus­ schei­dung ein Darmwind folgt. (13)  Doch ist die Ruhr auch dann nicht gefährlich, wenn in der Ausscheidung Blut und Streifen enthalten sind, solange weder Fieber noch die anderen Beglei­ terscheinungen dieser Krankheit auftreten, sodass es möglich ist, nicht nur eine schwangere Frau, sondern sogar ihre Leibesfrucht zu retten. Bei die­ser Krank­­heit hilft es auch, wenn der Patient von reiferen Jahren ist. (14)  Darmkatarrh hingegen lässt sich am leichtesten in zartem Alter heilen, beson­­ders wenn der Harn abzugehen beginnt und der Kranke essen kann.

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Liber secundus

Eadem aetas prodest ‹et› in coxae dolore et umerorum et omni resolutione ner­­­vorum; ex quibus coxa, si sine torpore est, si leviter friget, quamvis magnos dolo­­­res habet, tamen et facile et mature sanatur, resolutumque membrum, si nihilo minus alit‹ur›, fieri sanum potest. Oris resolutio etiam alvo cita finitur; omni­s­que deiectio lippienti prodest.  (15)  At varix ortus vel per ora venarum sub­ita profusio sanguinis vel tormina insaniam tollunt. Umerorum dolores, qui ad scapulas vel manus tendunt, vomitu atrae bilis sol­vuntur; et quisquis dolor deorsum tendit, sanabilior est. Singultus sternumento finitur. (16)  Longas deiectiones supprimit vomitus. Mulier sanguinem vomens profusis menstruis liberatur. Quae menstruis non purgatur, si sanguinem ex naribus fudit, omni periculo vacat. Quae locis labo­rat aut difficulter partum edit, sternumento levatur. Aestiva quartana fere brevis est. Cui calor et tremor est, saluti delirium est. Lie­nosis bono tormina sunt. (17)  Denique ipsa febris, quod maxime mirum videri potest, saepe praesidio est. Nam et praecordiorum dolores, si sine inflammatione sunt, finit; et iocine­ris dolori succurrit; et nervorum distentionem rigoremque, si postea coepit, ex toto tol­lit; et ex difficultate urinae morbum tenuioris intestini ortum, si uri­nam per calo­rem movet, levat. (18)  At dolores capitis, quibus oculorum caligo et rubor cum quadam fron­tis prurigine accedunt, sanguinis profusione vel fortuita vel etiam petita summo­ ventur. Si capitis ac frontis dolores ex vento vel frigore aut aestu sunt, gra­ve­dine et sternumentis finiuntur. (19)  Febrem autem ardentem, quam Graeci causoden [καυσώδη] vocant, subitus horror exsol­vit. Si in febre aures obtunsae sunt, si sanguis naribus fluxit, aut venter reso­lutus est, illud malum desinit ex toto. Nihil plus adversus surditatem quam biliosa alvus potest.  (20)  Quibus in fistula urinae ‹vel›uti minutiores absces­sus, quos φύματα vocant, esse coeperunt, is, ubi pus ea parte profluxit, sanitas red­ditur. *** Ex quibus cum pleraque per se proveniant, scire licet inter ea quoque, quae ars adhibet, naturam plurimum posse.

2,8,14–2,8,20

95

Ein zartes Alter ist auch von Vorteil bei Schmerzen der Hüfte und der Schul­ tern sowie stets bei Muskellähmung. Hiervon ist die Hüfte am leichtesten und rasches­ten zu heilen, wenn keine Schwellung vorliegt, wenn sie etwas kühl ist, auch wenn man große Schmerzen hat, und eine gelähmte Gliedmaße kann man gesund machen, wenn die Nahrungszufuhr doch weitergeht. Lähmung des Gesichtes wird auch durch raschen Stuhlgang beendet, und jedwede Art Durch­­fall hilft bei Augenentzündung.   (15)  Wenn aber Krampfadern, plötzlich blu­­tende Hämorrhoiden oder die Ruhr eintreten, behebt dies den Wahnsinn. Schmerzen in den Schultern, die sich zu den Schulterblättern oder den Hän­ den fortpflanzen, lassen sich beheben, wenn man schwarze Galle erbricht, und alle Schmerzen, die sich abwärts bewegen, sind leichter zu kurieren. Schluckauf wird durch Niesen beendet. (16)  Andauernden Durchfall unterdrückt man durch Erbrechen. Erbricht eine Frau Blut, wird sie davon durch die Monatsblutung befreit. Wird sie nicht durch die Monatsblutung gereinigt, bringt Nasenbluten ein Ende der Gefahr. Wenn sie an ihren Fortpflanzungsorganen leidet oder eine schwe­re Geburt hat, wird dies durch Niesen behoben. Quartanfieber im Sommer ist meist kurz. Bei hohem Fieber und Schüttelfrost sind Wahnvorstellungen heilsam. Bei ent­­­zün­deter Milz hilft die Ruhr. (17)  Schließlich ist selbst das Fieber oft ein Schutzmittel, was recht erstaun­ lich schei­nen mag. Es beendet nämlich die Schmerzen in der Brusthöhle, sofern die­­­se ohne Entzündung sind, es bringt Linderung bei Leberschmerzen, und wenn es nach Muskelverkrampfung und Starrkrampf einsetzt, beendet es die­se. Auch schenkt es Linderung bei Erkrankung des Dünndarms, die von Schwie­­rig­ kei­­ten beim Wasserlassen herrührt. (18)  Kopfschmerzen aber, bei denen trübe, gerötete Augen und Jucken der Stirn hinzukommen, werden durch Blutung erledigt, sei sie nun zufällig oder wil­­­lent­­lich herbeigeführt. Wenn Schmerzen im Kopf oder der Stirn von Wind, Käl­­te oder Hitze herrühren, enden sie durch Schnupfen und Niesen. (19)  Brennendes Fieber aber, das die Griechen Kausodes nennen, wird durch plötz­­li­chen Schüttelfrost gelöst. Sind bei Fieber die Ohren verstopft, gibt sich die­­ses Übel ganz und gar durch Nasenbluten oder eine vollständige Darment­ lee­­rung. Nichts hilft besser gegen Taubheit als Stuhlgang, wenn er Galle ent­ hält.  (20)  Zeigt sich in der Harnröhre etwas wie kleinere Entzündungen, die man auch Phymata nennt, so wird man genesen, wenn der Eiter vor dort abfließt. . . . Weil davon das meiste von selber geschieht, darf man wissen, dass auch bei den Schritten, die die Wissenschaft hier setzt, die Natur immer noch mehr ver­­mag.

96

Liber secundus

(21)  Contra si ve‹si›ca ‹cum› febre continenti dolet, neque ‹venter› quicquam red­dit, malum atque mortiferum est; maximeque id periculum est pueris a sep­ti­ mo anno ad quartum decimum. (22)  In pulmonis morbo, si sputum primis diebus non fuit, deinde a septimo die coepit et ultra septimum mansit, periculosum est; quantoque magis mix­­tos neque inter se diductos colores habet, tanto deterius. Et tamen nihil pei­us est quam sincerum id edi, sive rufum est sive cruentum sive album sive glu­tinosum sive pallidum sive spumans; nigrum tamen pessimum est. In eodem mor­bo peri­ culosa sunt tussis, destillatio, etiam quod alias salutare habetur, ster­nu­mentum; peri­cu­losissimumque est, si haec secuta subita deiectio est. Fere vero quae in pulmonis, eadem in lateris dolore et mitiora signa et aspe­ riora esse consuerunt. Ex iocinere si pus cruentum exit, mortiferum est. (23)  At ex suppurationibus eae pessimae sunt, quae intus tendunt, sic ut exte­ riorem quoque cutem decolorent: ex is deinde, quae in exteriorem partem pro­ rum­punt, eae pessimae, quae maximae quaeque planissimae sunt. Quod si, ne rupta quidem vomica vel pure extrinsecus emisso, febris quievit, aut quam­vis quierit, tamen repetit, item si sitis est, si cibi fastidium, si venter liquidus, si pus est lividum et pallidum, si nihil aeger excreat nisi pituitam spumantem, peri­ culum certum est. Atque ex is quidem suppurationibus, quas pulmonum mor­bi concitarunt, fere senes moriuntur: ex ceteris iuniores. (24)  At in tabe sputum mixtum, purulentum, febris adsidua, quae et cibi tem­pora eripit et siti adfligit, in corpore tenui subesse periculum testantur. Si quis etiam in eo morbo diutius traxit, ubi capilli fluunt, ubi urina quaedam ara­neis similia subsidentia ostendit, atque in iis odor foedus est, maximeque ubi post haec orta deiectio est, protinus moritur, utique si tempus autumni est, quo fere qui cetera parte anni traxerunt, resolvuntur. Item pus expuisse in hoc morbo, deinde ex toto spuere desisse mortiferum est.  (25)  Solent etiam in adulescentibus ex eo morbo vomicae fistulaeque oriri; quae non faci­le sanescunt, nisi si multa signa bonae valetudinis subsecuta sunt. Ex reli­quis vero minime facile sanantur virgines aut eae mulieres, quibus super tabem menstrua suppressa sunt. Cui vero sano subitus dolor capitis ortus est, dein somnus oppres­ sit, sic ut stertat neque expergiscatur, intra septimum diem pereundum est;

2,8,21–2,8,25

97

(21)  Wenn dagegen die Blase schmerzt und man beständig fiebert und nichts aus­­scheidet, so ist dies schlecht und sogar tödlich, besonders gefährlich ist es für Kinder vom siebenten bis zum vierzehnten Lebensjahr. (22)  Wenn bei Lungenkrankheiten während der ersten Tage kein Auswurf erfolgt ist, jedoch dann am siebenten Tag anfängt und länger als noch sieben Tage andauert, ist das gefährlich, und zwar ist es umso schlimmer, je mehr der Auswurf verschiedene untereinander getrennte Farben enthält. Und doch ist nichts schlechter, als wenn das, was man von sich gibt, durchgehend gleich beschaffen ist, sei es nun rot oder blutig, weiß oder klebrig, fahl oder schau­mig. Schwarz ist aber am schlechtesten. Gefährlich sind bei dieser Krankheit Hus­­ten und Katarrh, ja auch das Niesen – das in anderen Fällen als Zeichen der Gene­ sung gilt – wenn darauf sofort Durchfall erfolgt. In aller Regel gelten bei Schmerzen in der Seite dieselben günstigen und ungüns­ti­gen Vorzeichen wie bei Schmerzen der Lunge. Wenn aus der Leber blutiger Eiter kommt, so ist dies tödlich. (23)  Von den Eiterungen sind aber die die schlimmsten, die nach innen gehen und dabei doch die darüber liegende Haut verfärben. Von denen, die nach außen auf­platzen, sind die gefährlichsten die, die besonders groß und flach sind. Aber selbst, wenn eine Eiterbeule geplatzt ist oder der Eiter nach außen abgegangen ist besteht auf jeden Fall Gefahr, wenn das Fieber nicht nachlässt oder wenn es nach dem Nachlassen wieder auftritt, ferner, wenn man Durst lei­det, wenn man keinen Appetit hat, wenn der Kranke zu Durch­fall neigt, wenn der Eiter blei­farben und fahl ist, und wenn der Kranke nichts als schaumigen Schleim ausscheidet. Auch sterben alte Leute meistens an Eite­run­gen, die von Lun­gen­ krankheiten hervorgerufen werden, junge Leute aber an anderen. (24)  Wenn aber ein zartgliedriger Mensch die Schwindsucht hat, so erkennt man Gefahr an zusammengesetztem, eitrigem Auswurf und an beharrlichem Fie­­­ber, das ihm den Appetit nimmt und qualvollen Durst verursacht. Wenn man aber mit dieser Krankheit lange laboriert, wenn einem die Haare ausgehen, und wenn der Harn Schwebstoffe wie Spinnweben enthält und diese übel riechen, beson­­­ders, wenn darauf Durchfall erfolgt, tritt bald der Tod ein, vor allem im Herbst. Da werden vielfach Leute, die das übrige Jahr durchgehalten haben, dahin­­­gerafft. Auch ist es bei dieser Krankheit tödlich, zuerst Eiter zu spucken und danach überhaupt keinen Auswurf mehr zu haben.  (25)  Es bilden sich an jugend­­­lichen Patienten gewöhnlich Eitergeschwüre mit Fisteln, die sich nicht leicht heilen lassen, wenn nicht viele Anzeichen auf Besserung folgen. Von den ande­­ren lassen sich junge Mädchen am wenigsten leicht heilen, oder aber Frau­ en, bei denen zusätzlich zur Schwindsucht die Regelblutung ausgesetzt hat. Wenn man bei guter Gesundheit plötzlich Kopfschmerzen bekommt und darauf vom Schlaf überfallen wird, sodass man schnarcht und nicht zu wecken ist, so muss man binnen Wochenfrist sterben, und dies umso mehr, wenn zuvor kein

98

Liber secundus

magis si eum alvus cita non antecesserit, si palpebrae dormien­tis non coeunt, si album oculorum apparet. Quos tamen ita mors sequitur, si id malum non est febre discussum. (26)  At aqua inter cutem, si ex acuto morbo coepit, ad sanitatem raro per­ ducitur, utique si contraria iis, quae supra posita sunt, subsecuntur. Aeque in ea quoque tussis spem tollit, item, si sanguis sursum deorsumque erupit et aqua medium corpus inplevit. Quibusdam etiam in hoc morbo tumores ori­un­tur, deinde desinunt, deinde rursus adsurgunt: hi tutiores quidem sunt, quam qui supra conprehensi sunt, si adtendun‹t›; sed fere fiducia secundae vale­tudinis opprimuntur.  (27)  Illud iure aliquis mirabitur, quomodo quaedam simul et adfligant nostra corpora, et parte aliqua tueantur: nam sive aqua inter cutem quem implevit, sive in magno abscessu multum puris coit, simul id omne effudisse aeque mortiferum est, ac si quis sani corporis vulnere factus exsan­ guis est. (28)  Articulis vero qui sic dolent, ut super eos ex callo quaedam tubercula inna­ta sint, numquam liberantur: quaeque eorum vitia vel in senectute coe­ perunt, vel ad senectutem ab adulescentia pervenerunt, ut aliquando leniri pos­ sunt, sic numquam ex toto finiuntur. (29)  Morbus quoque comitialis post annum XXV ortus aegre curatur, mul­to­ que aegrius is, qui post XL annum coepit, adeo ut in ea aetate aliquid in natu‹ra› spei, vix quicquam in medicina sit. In eodem morbo si simul totum cor­pus adfi­ citur, neque ante in partibus aliquis venientis mali sensus est, sed homo inpro­ viso concidit, cuiuscumque is aetatis est, vix sanescit: si vero aut mens laesa est, aut nervorum facta resolutio, medicinae locus non est. (30)  Deiectionibus quoque si febris accessit, si inflammatio iocineris aut prae­cordiorum aut ventris, si inmodica sitis, si longius tempus, si alvus varia, si cum dolore est, etiam periculum mortis subest, maximeque si inter haec tor­mina ve‹r›a esse coeperunt; isque morbus maxime pueros absumit usque ad annum decimum: ceterae aetates facilius sustinent. Mulier quoque gravida eius­modi casu rapi potest; atque, etiamsi ipsa convaluit, tamen partum perdit. (31)  Quin etiam tormina ab atra bile orsa mortifera sunt, aut si sub his exte­ nuato iam corpore subito nigra alvus profluxit.

2,8,25–2,8,31

99

eili­­ger Stuhlgang erfolgt ist und die Lider sich beim Schlafen nicht schließen, sodass das Weiße der Augen sichtbar ist. Auf diese Zeichen folgt aber der Tod, wenn das Übel nicht durch ein Fieber verscheucht wird. (26)  Ein Ödem, das von einer akuten Erkrankung herrührt, wird sich aber nur selten zum Guten wenden, insbesondere, wenn Anzeichen folgen, die den oben dargelegten entgegengesetzt sind. Ebenso bedeutet bei dieser Krankheit der Husten das Ende jeder Hoffnung, und gleichfalls, wenn oben oder unten Blut ausbricht und Wasser die Mitte des Leibes erfüllt. Bei einigen Patienten bil­­­den sich bei dieser Krankheit auch Schwellungen, die dann abklingen und dann wieder wachsen. Für diese besteht ein bisschen weniger Gefahr als für die oben Beschriebenen, wenn sie wachsam sind, doch in der Regel wird ihnen ihr Glaube an eine Besserung zum Verhängnis.  (27)  Es kann einen mit Recht wun­der nehmen, dass dieselben Dinge unserem Leib schaden und ihm doch zu einem gewissen Grad auch Schutz bieten, denn gleich, ob einer nun wegen eines Ödems aufgequollen ist oder ob sich in einer großen Geschwulst eine Menge Eiter ansammelt, es ist ebenso tödlich, wenn dies alles auf einmal abgeht, wie wenn ein gesunder Mensch verletzt wird und verblutet. (28)  Wer aber an den Gelenken leidet, sodass sich auf diesen eine Art harte Kno­­ten bilden, wird nie davon befreit werden, und diese Leiden, die entweder im hohen Alter auftreten oder von der Jugend bis ins hohe Alter andauern, kön­ nen wohl gelindert, aber doch niemals ganz und gar beendet werden. (29)  Auch die Epilepsie ist schwierig zu heilen, wenn sie nach dem 25. Jahr auf­­tritt, und noch schwieriger, wenn sie nach dem 40. Jahr auftritt, sodass in die­ sem Alter wohl noch Hoffnung auf den natürlichen Verlauf, aber kaum welche auf die medizinische Wissenschaft gesetzt werden kann. Gleicherma­ßen werden Patien­ten ungeachtet ihres Alters von dieser Krankheit kaum gene­sen, wenn der gesamte Körper auf einmal befallen wird, ohne dass sich zuvor in den einzelnen Kör­perteilen ein Vorgefühl eines nahenden Übels gezeigt hat, und der Mensch unver­sehens getroffen wird. Wenn aber entweder der Geist angegriffen ist oder Mus­kellähmung eingesetzt hat, ist die medizinische Wis­senschaft hilflos. (30)  Bei Durchfall besteht Lebensgefahr, wenn Fieber dazukommt, wenn die Leber, die Brusthöhle oder der Bauch entzündet sind, bei unmäßigem Durst, wenn es lange währt oder wenn der Stuhl verschiedengestaltig oder schmerz­haft ist, besonders, wenn zu alledem noch die echte Ruhr einsetzt. Die­se Krank­heit rafft vor allem Kinder bis zum zehnten Lebensjahr dahin, andere Alters­­stufen ertra­­gen sie leichter. Eine schwangere Frau kann ebenfalls einem Anfall zum Opfer fallen, und selbst wenn sie selber wieder gesund wird, ver­liert sie doch die Leibesfrucht. (31)  Darüber hinaus ist die Ruhr tödlich, wenn sie von der schwarzen Galle her­stammt oder wenn man plötzlich schwarzen Durchfall hervorbringt, nach­ dem der Körper bereits von der Ruhr geschwächt ist.

100

Liber secundus

(32)  At intestinorum levitas periculosior est, si frequens deiectio est, si ven­ter omnibus horis et cum so‹n›o et sine hoc profluit; si similiter noctu et inter­diu, si, quod excernitur, aut crudum est aut nigrum et praeter id etiam leve et mali odoris; si sitis urget, si post potionem urina non redditur (quod eve­nit, quia tunc liquor omnis non in vesicam sed intestina descendit);  (33)  si os exulceratur, rubet facies et quasi maculis quibusdam colorum omnium distin­guitur; si venter est quasi fermentatus, pinguis atque rugosus, si cibi et *** cupi­ditas non est; inter quae cum evidens mors sit, multo evidentior est, si iam lon­gum quoque id vitium est, id maxime etiam, si in corpore senili est. (34)  Si vero in tenuiore intestino morbus est, vomitus, singultus, nervorum dis­tentio, delirium mala sunt. At in morbo arquato durum fieri iecur perniciosissimum est. Quos lienis male habet, si tormina prenderunt, deinde inversa sunt vel in aquam inter cutem vel intestinorum levitatem, vix ulla medicina periculo sub­ trahit. (35)  Morbus intestini tenuioris *** nisi resolutus est, intra septimum diem occi­dit. Mulier ex partu si cum febre vehementibus etiam et adsiduis capitis doloribus pre­mitur, in periculo mortis est. Si dolor atque inflammatio est in iis partibus, quibus viscera continentur, fre­ quen­ter spirare signum malum est. (36)  Si sine causa longus dolor capitis est, et in cervices ac scapulas transit, rur­­susque in caput revertitur, aut a capite ad cervices scapulasque pervenit, per­ ni­ciosus est, nisi vomicam aliquam excitavit, sic ut pus extussiretur, aut nisi sanguis aliqua parte prorupit, aut nisi in capite multa porrigo totove cor­pore pustulae ortae sunt.  (37)  Aeque magnum malum est, ubi torpor atque pru­rigo pervagantur, modo per totum caput, modo in parte, aut sensus alicuius ibi quasi frigoris est, eaque ad summam quoque linguam perveniunt. Et cum in isdem abscessibus auxilium sit, eo difficilior sanitas est, quo minus saepe sub his malis illi subsecuntur. (38)  In coxae vero doloribus si vehemens torpor est, frigescitque crus et coxa, alvus nisi coacta non reddit, idque quod excernitur muccosum est, iam­que aetas eius hominis XL annum excessit, is morbus erit longissimus mini­meque ann‹u›us, neque finiri poterit nisi aut vere aut autumno.

2,8,32–2,8,38

101

(32)  Doch Darmkatarrh ist gefährlich, wenn häufiger Durchfall erfolgt, wenn der Leib sich allstündlich entleert, mit oder ohne Geräusch, wenn es sich bei Nacht und bei Tag gleich verhält, wenn die Ausscheidungen entweder unverdaut sind oder schwarz und dazu noch schleimig und übel riechend, wenn der Durst quält, wenn nach dem Trinken kein Harn abgeht – dies geschieht, weil die gesamte Flüssigkeit nicht in die Blase, sondern in die Gedärme abfließt –,  (33)  wenn sich im Mund Schwären bilden und das Gesicht sich rötet und von Flecken in allen Farben sozusagen gescheckt ist, wenn der Bauch sich wie in Gärung befindet und fett und faltig ist, wenn man nicht nach Essen und . . . verlangt. Ist bei allen diesen Anzeichen der Tod zu erwarten, so ist dies noch viel mehr der Fall, wenn das Leiden schon lange dauert, und am meisten, wenn es an einem alten Men­ schen geschieht. (34)  Erkrankt man aber am Dünndarm, so sind Erbrechen, Schluckauf, Mus­­ kellähmung und Wahnvorstellungen üble Vorzeichen. Doch bei Gelbsucht ist es höchst gefährlich, wenn die Leber hart wird. Leidet man an der Milz und hat man dazu die Ruhr, die sich dann in Ödeme oder Darmkatarrh verwandelt, so kann die medizinische Wissenschaft die Gefahr kaum abwehren. (35)  Eine Erkrankung des Dünndarms . . . , die nicht behoben wird, tötet bin­ nen Wochenfrist. Leidet eine Frau nach der Geburt ihres Kindes an hohem Fieber und anhal­ tenden Kopfschmerzen, so schwebt sie in Lebensgefahr. Wenn die Teile, die Eingeweide enthalten, schmerzen und entzündet sind, so ist erhöhte Atemfrequenz ein schlechtes Zeichen. (36)  Wenn ohne Grund ein lang anhaltender Kopfschmerz auftritt, der zum Nacken und den Schultern wandert und daraufhin zum Kopf zurückkehrt oder sich vom Kopf zum Nacken und den Schultern fortpflanzt, so ist dies gefähr­­lich, außer, es entsteht eine Art von Eitergeschwür, sodass Eiter aus­ gehus­tet wird, oder es erfolgt eine Blutung an irgendeiner Stelle, oder aber es bildet sich großflächig Schorf auf dem Kopf oder Pusteln am ganzen Kör­ per.  (37)  Gleichermaßen groß ist das Übel, wenn sich ein Taubheitsgefühl und Schorf über den ganzen Kopf oder Teile davon ausbreiten oder wenn man dort ein Gefühl wie von Kälte verspürt und sich dies bis zur Zungenspitze fort­ pflanzt. Und obwohl bei diesen Leiden die genannten Entzündungen Hilfe brin­ gen können ist, so ist doch die Heilung umso schwieriger, da sie sich in sol­chen Fäl­len nicht gerade häufig einstellen. (38)  Wenn bei Hüftschmerzen starke Gefühllosigkeit eintritt, die Beine und die Hüften kalt werden, nur mit Mühe ein Stuhl abgeht und die Ausscheidung schlei­­mig ist und der Patient bereits über 40 Jahre alt ist, dann wird die Krank­ heit sehr lange währen, mindestens ein Jahr, und nur im Frühjahr oder im Herbst been­det werden können.

102

Liber secundus

(39)  Difficilis aeque curatio est in eadem aetate, ubi umerorum dolor vel ad manus pervenit vel ad scapulas tendit torporemque et dolorem creat, neque bilis vomitu levatur. (40)  Quacumque vero corporis parte membrum aliquod resolutum est, si neque movetur et emacrescit, in pristinum habitum non revertitur, eoque minus, quo vetustius id vitium est, et quo magis in corpore senili est. Omnique reso­ lu­­tioni nervorum ad medicinam non idonea tempora sunt hiemps et autum­nus: aliquid sperari potest vere et aestate; is morbus mediocris vix sanatur, vehe­mens sanari non potest. Omnis etiam dolor minus medicinae patet, qui sursum procedit. (41)  Mulieri gravidae si subito mammae emacuerunt, abortus periculum est. Quae neque peperit neque gravida est, si lac habet, a menstruis defecta est. (42)  Quartana ‹aestiva brevis,› autumnalis fere longa est maximeque quae coe­pit hieme adpropinquante. Si sanguis profluit, dein secuta est dementia cum distentione nervorum, periculum mortis est, itemque si medicamentis pur­gatum et adhuc inanem nervorum distentio oppressit, ‹item› si in magno ‹alvi› dolore extremae partes frigent. (43)  Neque is ad vitam redit, qui ex suspendio spumante ore detractus est. Alvus nigra, sanguini atro similis, repentina, sive cum febre sive etiam sine hac est, perniciosa est. Caput IX De morborum curationibus (1)  Cognitis indiciis, quae nos vel spe consolentur vel metu terreant, ad cura­ tiones morborum transeundum est. Ex his quaedam communes sunt, quae­dam propriae. Communes, quae pluribus opitulantur morbis; propriae, quae singulis. Ante de communibus dicam: ex quibus tamen quaedam non aegros solum sed sanos quoque sustinent, quaedam in adversa tantum vale­tudine adhibentur. (2)  Omne vero auxilium corporis aut demit aliquam materiam aut adicit, aut ‹e›vocat aut reprimit, aut refrigerat aut calefacit, simulque aut durat aut mollit:

2,8,39–2,9,2

103

(39)  Die Behandlung ist in diesem Alter auch schwierig, wenn Schmerz der Schul­tern sich zu den Händen fortgepflanzt hat oder zu den Schulterblättern aus­strahlt und Gefühllosigkeit und Schmerz hervorruft, es sei denn, er wird durch galliges Erbrechen gelindert. (40)  In jedem beliebigen Körperteil wird eine Gliedmaße, die bei Läh­mung nicht bewegt wird und abmagert, ihre ursprüngliche Gestalt nicht wieder­ gewinnen, und zwar umso weniger, je länger das Leiden besteht und je älter der Patient ist, bei dem dies auftritt. Zur Heilung jeder Art von Muskellähmung nicht geeignete Jahreszeiten sind der Winter und der Herbst. Einige Hoffnung besteht im Frühjahr und im Sommer. Ist die Krankheit mäßig, wird sie kaum geheilt werden, ist sie heftig, so ist sie unheilbar. Auch ist jeder Schmerz, der sich aufwärts bewegt, für die Heilkunst unzu­ gänglich. (41)  Wenn die Brüste einer schwangeren Frau plötzlich abmagern, besteht die Gefahr einer Fehlgeburt. Wenn eine Frau weder geboren hat noch schwanger ist, aber Milch hat, so ist ihre Monatsblutung gestört. (42)  Quartanfieber ist im Sommer rasch vorüber, im Herbst aber in der Regel langwierig, besonders, wenn es bei nahendem Winter ausbricht. Wenn eine Blutung erfolgt und darauf Gedächtnisverlust und Verkrampfung der Mus­keln ein­tritt, besteht Lebensgefahr, ebenso, wenn man nach Einnahme abfüh­render Mit­tel und auf noch nüchternen Leib von Muskelverkrampfung gequält wird, und ebenso, wenn bei heftigem Schmerz in den Gedärmen die Extre­mitäten kalt werden. (43)  Auch erhält ein Erhängter seine Lebenskraft nicht wieder, wenn er mit Schaum vor dem Mund vom Strick genommen wird. Ein schwarzer Stuhl, der schwarzem Blut gleicht und plötzlich abgeht, ist ver­­derblich, ob nun mit oder ohne Fieber. 9. Kapitel Die Behandlung von Krankheiten (1)  Haben wir also die Vorzeichen kennengelernt, die uns entweder tröstliche Hoff­nung schenken oder qualvolle Sorge bereiten, müssen wir uns als nächs­ tes die Behandlungsmethoden der Krankheiten vornehmen. Hiervon sind eini­ ge allge­mein gültig, andere spezifisch. Allgemein gültig sind jene, die bei den meis­ten Krankheiten helfen, spezifisch jene, die dies bei einzelnen tun. Ich wer­­de zuerst die allgemein gültigen darlegen: manche von diesen schüt­zen aller­­dings nicht nur Kranke, sondern auch Gesunde, manche werden nur bei ange­­griffener Gesundheit angewendet. (2)  Jedes Heilmittel für den Körper aber vermindert entweder Stoff oder ver­­mehrt ihn, ruft etwas hervor oder unterdrückt es, kühlt oder erwärmt und macht hart oder weich. Manche davon helfen nicht nur auf eine Art, sondern

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Liber secundus

quae­dam non uno modo tantum sed etiam duobus inter se non contrariis adiu­ vant. Demitur materia sanguinis detractione, cucurbitula, deiectione, vomitu, fric­tione, gestatione omnique exercitatione corporis, abstinentia, sudore; de qui­ bus protinus dicam. Caput X De sanguinis detractione per venas (1)  Sanguinem incisa vena mitti novum non est: sed nullum paene esse mor­ bum, in quo non mittatur, novum est. Item mitti iunioribus feminis uterum non geren­tibus vetus est: in pueris vero idem experiri et in senioribus et in gravidis quo­que mulieribus vetus non est: siquidem antiqui primam ultimamque aeta­tem sustinere non posse hoc auxilii genus iudicabant, persuaserantque sibi mulie­rem gravidam, quae ita curata esset, abortum esse facturam.  (2)  Postea vero usus ostendit nihil in his esse perpetuum, aliasque potius observationes adhi­ben­das esse, ad quas derigi curantis consilium debeat. Interest enim, non quae aetas sit, neque quid in corpore intus geratur, sed quae vires sint. Ergo si iuve­nis inbecillus est, aut si mulier, quae gravida non est, parum valet, male san­guis emittitur: emoritur enim vis, si qua supererat, hoc modo erepta.  (3)  At fir­mus puer et robustus senex et gravida mulier valens tuto curatur. Maxime tamen in his medicus inperitus falli potest, quia fere minus roboris illis aeta­tibus subest; mulierique praegnati, post curationem quoque, viribus opus est, non tantum ad se, sed etiam ad partum sustinendum.  (4)  Non quicquid autem inten­tionem animi et prudentiam exigit protinus faciendum est, cum praecipua in hoc ars sit, quae non annos numeret, neque conceptionem solam videat, sed vires aestimet, et eo colligat, possit necne superesse, quod vel puerum vel senem vel in una muliere duo corpora simul sustineat.  (5)  Interest etiam inter valens corpus et obesum, inter tenue et infirmum: tenuioribus magis sanguis, ple­nio­ribus magis caro abundat. Facilius itaque illi detractionem eiusmodi sus­tinent: celeriusque ea, si nimium est pinguis, aliquis adfligitur; ideoque vis corporis melius ex venis quam ex ipsa specie aestimatur. Neque solum haec consideranda sunt, sed etiam

2,9,2–2,10,5

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auf zwei untereinander nicht widersprüchliche Arten. Stoff wird vermindert durch Aderlass, Schröpfen, Abführen, Erbrechen, Massage, Wiegebewegung und jede Art körperlicher Anstrengung, Fasten, Schwitzen. Dies will ich als erstes darlegen. 10. Kapitel Der Aderlass (1)  Einen Kranken zur Ader zu lassen ist keine neuartige Maßnahme. Neu­ artig ist aber die Auffassung, dass es beinahe keine Krankheit gibt, bei der der man nicht zur Ader lassen soll. Ebenso ist es altes Herkommen, jungen Frauen, die nicht schwanger sind, zur Ader zu lassen, aber nicht, dies bei Kindern oder alten Leuten sowie auch schwangeren Frauen zu versuchen, da ja die Alten urteil­ten, dass der Mensch am Beginn und am Ende des Lebens eine Therapie die­ser Art nicht ertragen könne, und sie waren überzeugt, dass eine schwangere Frau, wenn sie so behandelt würde, eine Fehlgeburt haben müsse.  (2)  Die Pra­ xis hat im Lauf der Zeit aber gezeigt, dass es in diesem Punkt nichts unwandel­­ bar ist und dass hierbei andere Beobachtungen anzustellen seien, auf die sich das Augenmerk des Behandelnden richten müsse. Es kommt nämlich nicht auf das Alter an, noch, ob eine Schwangerschaft vorliegt, sondern wie kräftig der Patient ist. Einem schwächlichen jungen Menschen oder einer Frau, die zwar nicht schwanger, aber doch wenig bei Kräften ist, wird man nicht gut zur Ader lassen, denn welche Kraft ihnen verblieben ist, geht ganz zugrunde, wenn sie auf diese Weise abgezogen wird.  (3)  Für kräftige Kinder, rüstige Grei­se und gesunde Schwangere ist diese Behandlungsweise jedoch risikofrei. Aller­dings läuft in diesen Dingen ein unerfahrener Arzt die größte Gefahr, einen Irrtum zu begehen, da Menschen in diesen Altersstufen in der Regel weni­ger stark sind und da eine schwangere Frau auch nach der Behandlung Kraft braucht, um nicht nur sich selber, sondern auch ihr ungeborenes Kind zu erhal­ten.  (4)  In Dingen, die unsere Aufmerksamkeit und Klugheit erfordern, dür­fen wir aber nicht überstürzt handeln, denn eben darin liegt die Kunst, dass man nicht einfach die Jahre zählt oder die Schwangerschaft berücksichtigt, son­dern dass man die Kräfte der Kranken einschätzt und daraus ableitet, ob etwa zu viel oder zu wenig davon vorhanden ist, um entweder ein Kind oder einen Greis oder aber zwei Leben in einer Frau zu erhalten.  (5)  Man muss aber zwi­schen kräftigen und übergewichtigen Körpern und zwischen zierlichen und schwächlichen einen Unter­schied machen. Zierlichere Körper haben eher einen Überfluss an Blut, fül­ligere an Fleisch. Daher ertragen erstere diese Art der Wegnahme leichter, und daher wird einer, der zu beleibt ist, durch sie in Mitleidenschaft gezogen. Daher wird die Kraft eines Körpers wohl besser anhand der Blutgefäße als der äußeren Erscheinung eingeschätzt. Und nicht nur dies allein muss man in Erwägung ziehen, sondern auch, welcher Art die Krankheit sei, ob ein Überfluss

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Liber secundus

mor­bi genus quod sit, utrum superans an defi­ciens materia laeserit, corruptum cor­pus sit an integrum. (6)  Nam si materia vel deest vel integra est, istud alienum est: at si vel copia sui male habet, vel corrupta est, nullo modo melius succurritur. Ergo vehemens febris, ubi rubet corpus, venaeque plenae tument, sanguinis detractionem requi­­rit; item viscerum morbi, nervorum et resolutio et rigor et distentio, quic­ quid denique fauces difficultate spiritus strangulat, quicquid supprimit subito vocem, quisquis intolerabilis dolor est, et quacumque de causa ruptum ali­ quid intus atque collisum est;  (7)  item malus corporis habitus omnesque acu­ti morbi, qui modo, ut supra dixi, non infirmitate sed onere nocent. Fieri tamen potest, ut morbus quidem id desideret, corpus autem vix pati posse videa­tur: sed ‹si› nullum tamen appare‹a›t aliud auxilium, periturusque sit qui labo­rat, nisi temeraria quoque via fuerit adiutus, in hoc statu boni medici est ostendere, quam nulla spes sit sine sanguinis detractione, faterique, quantus in hac ipsa metus sit, et tum demum, si exigetur, sanguinem mittere.  (8)  De quo dubi­tari in eiusmodi re non oportet: satius est enim anceps auxilium experiri quam nullum; idque maxime fieri debet, ubi nervi resoluti sunt; ubi subito ali­quis ommutuit; ubi angina strangulatur; ubi prioris febris accessio paene con­fecit, paremque subsequi verisimile est neque eam videntur sustinere aegri vires posse.  (9)  Cum sit autem minime crudo sanguis mittendus, tamen ne id quidem perpetuum est: neque enim semper concoctionem res expectat. Ergo si ex superiore parte aliquis decidit, si contusus est, si ex aliquo subito casu sanguinem vomit, quam­vis paulo ante sumpsit cibum, tamen protinus ei demenda materia est, ne, si subsederit, corpus adfligat; idemque etiam in aliis casibus repentinis, qui strangulabunt, dictum erit.  (10)  At si morbi ratio patie­tur, tum demum nulla cruditatis suspicione remanente id fiet; ideoque ei rei videtur aptissimus adversae valetudinis dies secundus aut tertius. Sed ut ali­quando etiam primo die sanguinem mittere necesse est, sic numquam utile post diem quartum est, cum iam spatio ipsa materia et exhausta est et corpus con­r‹u›pit, ut detractio inbe­cillum id facere possit, non possit integrum.

2,10,5–2,10,10

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oder ein Mangel an Stoff den Schaden ange­richtet habe oder ob der Körper angegriffen oder unversehrt sei. (6)  Wenn nämlich zu wenig Stoff oder die richtige Menge vorhanden ist, ist der Aderlass nicht angemessen. Wenn aber der Stoff an einem Überfluss sei­ner selbst krankt oder verdorben ist, so gibt es kein besseres Heilmittel. Daher ist es notwendig, bei heftigem Fieber, wenn sich der Körper rötet und die Blutgefäße voll und geschwollen sind, Blut abzuzapfen, und ebenso bei Erkrankungen der Eingeweide und Erschlaffung sowie Starre und Ver­krampfung der Muskeln, sodann bei allem, was bei Atembeschwerden die Keh­le zusammenschnürt, was die Stimme plötzlich versagen lässt, was uner­träg­li­che Schmerzen verursacht, und immer dann, wenn aus irgendeinem Grund im Inneren des Körpers etwas gerissen oder gequetscht ist,  (7)  ferner bei schlechter körperliche Verfassung und jeder akuten Erkrankung, wenn das Übel, wie oben festgestellt, nicht in einer Schwäche, sondern in einem Zuviel begründet liegt. Es kann aber geschehen, dass zwar eine Erkrankung den Aderlass erforderlich macht, der Zustand des Patienten ihn aber kaum zuzu­lassen scheint. Wenn aber kein anderes Hilfsmittel zu finden ist und für den Kranken ohne Behandlung, sei sie auch noch so waghalsig, Lebensgefahr besteht, dann muss ein guter Arzt darauf hinweisen, dass ohne Aderlass keine Hoff­nung besteht, eingestehen, wie riskant das ist, und sodann, wenn er dazu auf­ge­fordert wird, den Aderlass vor­ nehmen.  (8)  In einer solchen Lage soll man nicht zögern, denn es ist besser, eine riskante Maßnahme zu ergreifen als gar keine. Dies sollte insbesondere gesche­ hen, wenn die Muskeln erschlaffen, wenn einer plötzlich die Sprache verliert, wenn er an geschwollenem Hals zu ersticken droht, wenn ihm ein früherer Fie­beranfall beinahe das Leben gekos­tet hat und es wahrscheinlich ist, dass ein weiterer von derselben Art folgen wird, dem die Kräfte des Kranken nicht gewachsen zu sein scheinen.  (9)  Der Ader­lass ist am wenigsten angemessen, wenn noch keine Verdauung statt­gefunden hat, aber dies ist keine allgemein gül­tige Vorschrift, denn man wird nicht in jedem Fall auf die Verdauung warten können. Wenn also einer von einer Höhe herabgefallen ist, Knochenbrüche hat oder wegen eines sonstigen Unfalls Blut erbricht, so muss ihm sofort Stoff entzogen werden, selbst wenn er kurz zuvor etwas gegessen hat, denn andern­ falls setzt der Stoff sich fest und scha­­det dem Körper. Dasselbe gilt für ande­ re plötzliche Krankheitsfälle, in denen Ersticken droht.  (10)  Wenn es aber das Wesen der Erkrankung zulässt, dann soll nur zur Ader gelassen werden, wenn kein Verdacht mehr besteht, dass noch kei­ne Verdauung erfolgt ist. Daher erscheint der zweite oder dritte Tag nach Auf­treten der Krankheit angemessen. Obwohl es aber bisweilen not­wendig ist, auch am ersten Tag Blut abzuzapfen, ist es doch nach dem vier­ten Tag nie­mals zuträglich, denn in diesem Zeitraum ist der Stoff selbst auf­gebraucht wor­den und hat den Körper angegriffen, sodass eine Wegnahme den Körper nur schwächen, nicht aber heilen könnte.

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Liber secundus

(11)  Quod si vehemens febris urget, in ipso impetu eius sanguinem mittere homi­nem iugulare est; expectanda ergo remissio est: si non decrescit, sed cres­ cere desiit, neque speratur remissio, tum quoque, quamvis peior, sola tamen occa­sio non omittenda est.  (12)  Fere etiam ista medicina, ubi necessaria est, in biduum dividenda est: satius est enim in primo levare aegrum, deinde per­ purgare, quam simul omni ‹vi› effusa fortasse praecipitare. Quod si in pure quo­ que aquaque, quae inter cutem est, ita respondet, quanto magis necesse est in sanguine respondeat. Mitti vero is debet, si totius corporis causa fit, ex brachio; si partis alicuius, ex ea ipsa parte aut certe quam proxima, quia non ubique mitti potest, sed in temporibus, in brachiis, iuxta talos.  (13)  Neque igno­ro quosdam dicere quam longissime sanguinem inde, ubi laedit, esse mit­ten­dum: sic enim averti materiae cursum: at illo modo in id ipsum, quod gra­vat, evocari. Sed id falsum est: proximum enim locum primum exhaurit, ex ulterioribus autem eatenus sanguis sequitur, quatenus emittitur; ubi is suppressus est, quia non trahitur, ne venit quidem.  (14)  Videtur tamen usus ipse docuisse, si caput fractum est, ex brachio potius sanguinem esse mitten­dum; si quod in umero vitium est, ex altero brachio: credo quia, si quid parum ces­serit, opportuniores hic eae partes iniuriae sunt, quae iam male habent. Aver­titur quoque interdum sanguis, ubi alia parte prorumpens alia emittitur. Desi­n it enim fluere qua nolumus, inde obiectis quae prohibeant, alia dato iti­nere.  (15)  Mittere autem sanguinem cum sit expeditissimum usum habenti, tum ignaro difficillimum est: iuncta enim est venae arteria, his nervi. Ita, si nervum scalpellus attingit, sequitur nervorum distentio, eaque hominem cru­de­liter consumit. At arteria incisa neque coit neque sanescit; interdum etiam, ut sanguis vehementer erumpat, efficit. (16)  Ipsius quoque venae, si forte praecisa est, capita comprimuntur, neque san­gui­nem emittunt. At si timide scalpellus demittitur, summam cutem lacerat neque venam incidit: nonnumquam ‹etiam› ea latet neque facile reperitur. Ita mul­tae res id difficile inscio faciunt, quod perito facillimum est. Incidenda ad

2,10,11–2,10,16

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(11)  Wird der Patient aber von heftigem Fieber gequält, so hieße es ihn ermor­den, wollte man ihm zur Ader lassen. Erst muss man einen Rückgang des Fiebers abwarten. Wenn das Fieber nicht nachlässt, sondern lediglich zu stei­­gen aufhört, und wenn keine Hoffnung besteht, dass es zurückgehen wird, so muss man die Gelegenheit einfach ergreifen, auch wenn sie wenig günstig ist.  (12)  In der Regel muss der Aderlass, wenn er notwendig geworden ist, auf zwei Tage verteilt erfolgen. Es ist besser, den Kranken am ersten Tag zu erquicken, um ihn dann zu reinigen, als ihm womöglich alle Kraft auf ein­mal zu entziehen und dadurch sein Ableben zu beschleunigen. Wenn diese Behand­­lung im Fall von Eiter oder dem Wasser eines Ödems derart anschlägt, so dürf­te sie umso zwingender anschlagen, wenn es um Blut handelt. Sofern die Krankheit den ganzen Körper betrifft, soll der Aderlass am Arm erfolgen, sofern sie einen einzelnen Körperteil betrifft, soll er an diesem Teil erfolgen, oder jedenfalls so nahe daran wie möglich, denn man kann nicht an jeder belie­bi­gen Stelle Blut abzapfen, sondern nur an den Schläfen und den Armen sowie nahe den Fußknöcheln.  (13)  Nun bin ich mir wohl bewusst, dass einige mei­nen, man solle das Blut so weit wie möglich von der angegriffenen Stelle ent­fernt abzap­ fen, denn auf diese Weise werde der Strom des Krankheitsstoffs abge­lenkt, und mit der erstgenannten Methode werde er genau dorthin gelei­tet, wo das Lei­den sitze. Dies ist jedoch unrichtig. Zuerst wird nämlich der nächst­ge­le­gene Körper­ teil ausgeblutet, und dann fließt das Blut aus den entfernteren Tei­len so lange nach, wie es abgezapft wird. Wird die Blutung gestillt, kommt nichts mehr nach, weil nichts angesogen wird.  (14)  Die Praxis lehrt ganz deut­lich, dass man bei einem Schädelbruch das Blut am besten an einem Arm abzapft und bei einem Schulterleiden am entgegengesetzten Arm – ich glaube, weil dann, wenn es nicht gut ausgeht, jene Teile viel eher Schaden nehmen wer­den, die bereits angegriffen sind. Mitunter leitet man das Blut auch ab, so zum Beispiel zapft man bei Blutungen an einem Körperteil das Blut an einer ande­ren Stelle ab. Unerwünschter Blutfluss hört nämlich auf, wenn man die Bahn des Blutes behin­dert und umleitet.  (15)  Der Aderlass kann von einem erfahre­nen Arzt sehr rasch durchgeführt werden, gleichwohl ist er für den Ungeüb­ten höchst schwie­ rig, denn die Vene hängt mit der Arterie zusammen und beide mit einem Mus­ kel. Verletzt also das Skalpell einen Muskel, so folgt eine Verkrampfung, und diese bringt den Menschen auf qualvolle Weise ums Leben. Wird jedoch eine Arterie eingeschnitten, so schließt sie sich nicht wie­der, noch heilt sie, und mit­ unter wird die Blutung heftig. (16)  Wenn aber etwa eine Vene durchschnitten wird, so muss man die bei­ den Enden zusammendrücken, um kein Blut austreten zu lassen. Setzt man das Skal­pell zaghaft an, so verletzt es nur die Oberhaut und ritzt nicht die Vene. Gar nicht selten verbirgt sich diese auch und ist schwer zu finden. So ist aus ver­s chie­d enen Gründen für einen Unerfahrenen schwierig, was für einen

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Liber secundus

medium vena est. Ex qua cum sanguis erumpit, colorem eius habitumque opor­ tet attendere.  (17)  Nam si is crassus et niger est, vitiosus est, ideoque uti­liter effun­ditur: si rubet et perlucet, integer est; eaque missio sanguinis adeo non prod­est, ut etiam noceat; protinusque is supprimendus est. Sed id eve­nire non pot­est sub eo medico, qui scit, ex quali corpore sanguis mittendus sit.  (18)  Illud magis fieri solet, ut aeque niger adsidue ac primo die profluat; quod quamvis ita est, tamen si iam satis fluxit, supprimendus est, semperque ante finis faciendus est, quam anima deficiat, deligandumque brachium super­in­po­sito expresso ex aqua frigida penicillo, et postero die averso medio digi­to vena ferienda, ut recens coitus eius resolvatur iterumque sanguinem fun­dat.  (19)  Sive autem primo sive secundo die sanguis, qui crassus et niger initio flu­xerat, et rubere et perlucere coepit, satis materiae detractum est, atque quod super­est sincerum est; ideoque protinus brachium deligandum habendumque ita est, donec valens cicatricula sit; quae celerrime in vena confirmatur. Caput XI De sanguinis detractione per cucurbitulas (1)  Cucurbitularum duo vero genera sunt, aeneum et corneum. Aenea altera par­te patet, altera clausa est: altera cornea parte aeque patens altera foramen habet exiguum. In aeneam linamentum ardens coicitur, ac sic os eius corpori aptatur inprimiturque, donec inhaereat.  (2)  Cornea corpori per se inponitur, dein­d e, ubi ea parte, qua exiguum foramen est, ore spiritus adductus est, super­que cera cavum id clausum est, aeque inhaerescit. Utraque non ex his tantum materiae generibus, sed etiam ex quolibet alio recte fit: ac si cetera defecerunt, caliculus quoque aut pultarius oris compressioris ei rei commode aptatur.  (3)  Ubi inhaesit, si concisa ante scalpello cutis est, sanguinem extrahit, si integra est, spiritum. Ergo ubi materia, quae intus est, laedit, illo modo, ubi inflatio, hoc inponi solet. Usus autem cucurbitulae praecipuus est, ubi non in toto corpore sed in parte aliqua vitium est, quam exhauriri ad confirmandam vale­­tu­dinem satis est.   (4)  Idque ipsum testimonium est etiam scalpello sangui-­

2,10,16–2,11,4

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Geüb­ten höchst einfach ist. Die Vene soll zur Hälfte eingeschnitten wer­den. Wenn Blut aus ihr austritt, soll man dessen Farbe und Beschaffenheit genau in Augenschein nehmen.  (17)  Ist es nämlich dick und schwarz, so ist es verdorben, und es ist nützlich, wenn man es ableitet. Ist es rot und hell, so ist es gesund, und der Aderlass ist daher nicht hilfreich, sondern sogar schäd­lich und muss daher sofort abgebrochen werden. Doch dieses Problem wird gar nicht erst vor­ kom­men, wenn der Arzt weiß, aus welchem Körperteil er das Blut abzapfen muss.  (18)  Es geschieht öfter, dass das Blut am ersten Tag schwarz ist und auch später in dieser Form fließt. Trotzdem muss man die Blutung stillen, wenn eine angemessene Menge Blut abgeflossen ist, und überhaupt muss man immer aufhören, bevor der Patient die Besinnung ver­liert. Man muss den Arm abbin­­den, nachdem man ein in kaltem Wasser getränk­tes und ausgedrücktes Tüch­­lein aufgelegt hat, und am folgenden Tag muss man mit dem Rücken des Mit­­tel­fin­gers die Vene klopfen, sodass der fri­sche Verschluss aufbricht und sie wiederum Blut vergießt.  (19)  Wird aber am ersten oder zweiten Tag das Blut, das anfangs dick und schwarz geflossen ist, rot und hell, so ist genug Krank­ heits­stoff abgezogen worden, und was übrig ist, ist unverdorben. Daher muss der Arm sofort abgebunden und so belassen wer­den, bis die kleine Narbe kräftig ist, und an der Vene wird sie sehr schnell fest. 11. Kapitel Die Blutabnahme mittels Schröpfköpfen (1)  Von Schröpfköpfen gibt es aber zwei Arten: solche aus Bronze und sol­ che aus Horn. Der bronzene Schröpfkopf ist an einem Ende offen, am anderen geschlossen. Der aus Horn ist an dem einen Ende gleichfalls offen, am anderen hat er ein winziges Loch. In den bronzenen gibt man brennendes Werg, hält dann die Öffnung an den Körper und presst sie fest, bis der Schröpfkopf haf­ tet.  (2)  Der hörnerne wird, wie er ist, an den Körper angesetzt. Wird dann an dem Ende, wo eine winzige Bohrung ist, die Luft mit dem Mund ausgesogen und daraufhin das Loch mit Wachs versiegelt, haftet er gleichermaßen. Bei­ de Arten können passenderweise aus jedem beliebigen Material verfertigt wer­­den, nicht nur aus den genannten, und wenn sonst nichts vorhanden ist, kann man auch praktischerweise ein kleines Trinkgeschirr oder eine Essschale heran­­­zie­hen.   (3)  Haftet der Schröpfkopf, so zieht er Blut aus dem Körper, wenn man die Haut zuvor mit dem Skalpell eingeritzt hat, und Luft, wenn die Haut unverletzt ist. Ist es also Stoff im Inneren des Körpers, was die Krankheit ver­­ursacht, wendet man gewöhnlich die erste Art an, ist es eine Blähung, die zweite. Schröpfköpfe werden vorzugsweise angewendet, wenn das Übel nicht im ganzen Körper, sondern nur in einem Teil davon steckt, und wenn es zur Wie­der­erlangung der Gesundheit ausreicht, es herauszusaugen.  (4)  Und dies ist der Beweis dafür, dass auch der Aderlass mit dem Skalpell, der einer Glied­maße

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nem, ubi membro succurritur, ab ea potissimum parte, quae iam laesa est, esse mit­ten­dum, quod nemo cucurbitulam diversae parti inponit, nisi cum pro­ fusionem sanguinis eo avertit, sed ei ipsi, quae dolet quaeque liberanda est. Opus etiam esse cucurbit‹ul›a potest in morbis longis, quamvis iam ‹e›is spa­ tium aliquod accessit, sive corrupta materia sive spiritu male habente:  (5)  in acutis quoque quibusdam, si et levari corpus debet et ex vena sanguinem mitti vires non patiuntur; idque auxilium ut minus vehemens, ita magis tutum neque umquam periculosum est, etiamsi in medio febris impetu, etiamsi in cruditate adhibetur.  (6)  Ideoque ubi sanguinem mitti opus est, si incisa vena praeceps peri­culum est, aut si in parte corporis etiam‹num› vitium est, huc potius con­ fugiendum est, cum eo tamen, ut sciamus hic ut nullum periculum, ita levius prae­sidium esse, nec posse vehementi malo nisi aeque vehemens auxilium succurrere. Caput XII De deiectione. De alvi ductione (1a)  Deiectionem autem antiqui variis medicamentis crebraque alvi duc­tione in omnibus paene morbis moliebantur; dabantque aut nigrum veratrum aut filiculam aut squamam aeris, quam λεπίδα χαλκοῦ Graeci vocant, aut lac­­tu­c ae marinae lac, cuius gutta pani adiecta abunde purgat, aut lac vel asi­n inum aut bubulum, vel caprinum, eique salis paulum adiciebant, decoquebantque id et sublatis is, quae coierant, quod quasi serum supererat, bibe­re cogebant.  (1b)  Sed medicamenta stomachum fere laedunt: alvus si vehementius fluit aut sae­pius ducitur, hominem infirmat. Ergo numquam in adversa valetudine medica­mentum eius rei causa rec­te datur, nisi ubi is morbus sine febre est, ut cum veratrum nigrum aut atra bile vexa­tis aut cum tristitia insa­nien­tibus aut iis, quorum nervi parte aliqua resoluti sunt, datur.  (1c)  At ‹ubi› febres sunt, satius est eius rei causa cibos potionesque adsu­me­re, qui simul et alant et ventrem molliant; suntque valetudinis genera, qui­bus ex lacte purgatio con­venit.

2,11,4–2,12,1c

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Hei­lung bringen soll, am besten an der bereits verletzten Stelle erfolgt, da ja auch niemand einen Schröpfkopf an der entgegengesetzten Stelle ansetzt – es sei denn, um den Blutfluss dahin abzuleiten –, sondern dort, wo es schmerzt und wo Linderung gebracht werden soll. Außerdem kann der Schröpfkopf bei chronischen Erkrankungen erforderlich sein, auch wenn diese schon eine Zeit­ lang andauern, wenn verdorbener Körperstoff oder ungesunde Luft vor­han­ den ist,  (5)  sowie auch bei akuten Erkrankungen, wenn dem Körper Erleich­ te­rung verschafft werden soll und die Kräfte des Kranken für einen Ader­lass nicht ausreichen. Und ebenso wie dieses Heilmittel weniger heftig wirkt, ist es auch eher ohne Risiko und überhaupt niemals wirklich gefährlich, selbst wenn es während eines Fieberanfalls oder bei mangelnder Verdauung ange­wen­­det wird.  (6)  Wenn daher ein Aderlass nötig ist, es aber unmittelbare Gefahr bedeu­ ten würde, eine Vene zu öffnen, oder wenn ein Teil des Körpers noch von der Krank­heit frei ist, so nimmt man am besten zu diesem Mittel sei­ne Zuflucht, obwohl wir wissen, dass es umso schwächer wirkt ist, je weni­ger Gefahr es bringt, und dass bei heftiger Erkrankung nur durch ein gleicherma­ßen heftiges Mit­tel Hilfe geschaffen werden kann. 12. Kapitel Das Abführen. Der Einlauf (1a)  Das Abführen wurde von den Alten in beinahe allen Krankheitsfällen mit verschiedenen Medikamenten und häufigen Einläufen bewerkstelligt. Sie ver­abreichten entweder schwarze Nieswurz oder Tüpfelfarn oder Kupferspäne, die die Griechen Lepis chalkou nennen, oder den Saft des Giftlattichs, 1 von dem ein Tropfen, auf Brot gereicht, hinlänglich abführt, oder Esels-, Rindsoder Ziegenmilch, die sie unter Beigabe von etwas Salz abkochten, sodann das Geron­nene abschöpften und den Patienten anhielten, das sozusagen als Mol­ke Zurück­gebliebene zu trinken.  (1b)  Doch reizen Medikamente in der Regel den Magen. Wenn der Durchfall zu heftig erfolgt oder zu häufig ein Einlauf vor­ge­ nom­­men wird, schwächt dies den Patienten. Daher darf man bei angegriffener Gesundheit niemals ein Medikament zum Abführen verabreichen, es sei denn, der Patient ist fieberfrei und man verab­ reicht schwarze Nieswurz, und zwar solchen Leuten, die an der schwar­zen Gal­le leiden oder irrsinnig und depressiv sind, oder solchen, deren Mus­keln an irgendeinem Körperteil erschlafft sind.  (1c)  Liegt jedoch Fieber vor, ist es völ­lig ausreichend, das Abführen mit Speisen und Getränken hervorzu­ru­fen, die sowohl nahrhaft sind als auch den Stuhl fördern. Auch gibt es Krank­heiten, bei denen man passenderweise Milch zum Abführen nimmt.

1

3,21,13.

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Liber secundus

(2a)  Plerumque vero alvus potius ducenda est; quod ab Asclepiade quoque sic temperatum, ut tamen servatum sit, video plerumque saeculo nostro prae­ te­riri. Est autem ea moderatio, quam is secutus videtur, aptissima, ut neque sae­pe ea medicina temptetur, et tamen semel, summum vel bis non omitta­ tur:  (2b)  si caput grave est; si oculi caligant; si morbus maioris intestini est, quod Graeci colum [κῶλον] nominant; si in imo ventre aut si in coxa dolores sunt; si in stomachum quaedam biliosa concurrunt, vel etiam pituita eo s‹e› umor­ve aliquis aquae similis confert; si spiritus difficilius redditur; si nihil per se venter excernit, utique si iuxta quoque stercus est et intus remanet, aut si stercoris odorem nihil deiciens aeger ex spiritu suo sentit, aut si corruptum est quod excernitur; aut si prima inedia febrem non sustulit; aut si sanguinem mit­ ti, cum opus sit, vires non patiuntur tempusve eius rei praeterit, aut si mul­ tum ante morbum aliquis potavit;  (2c)  aut si is, qui saepe vel sponte vel casu purgatus est, subito habet alvum suppressam. Servanda vero illa sunt, ne ante tertium diem ducatur; ne ulla cruditate substante; ‹ne› in corpore infir­ mo diuque in adversa valetudine exhausto, neve in eo, cui satis alvus cotti­die reddit quive eam liquidam habebit; ne in ipso accessionis impetu, quia quod tum infusum est, alvo continetur, regestumque in caput multo gravius peri­ culum efficit.  (2d)  Pridie vero abstineri debet aeger, ut aptus tali curationi sit, eodem die ante aliquot horas aquam calidam bibere, ut superiores eius partes madescant; tum inmittenda in alvum est, si levi medicina contenti sumus, pura aqua, si paulo valentiore, mulsa;  (2e)  si leni, ea, in qua faenum Graecum vel tisa­na vel malva decocta sit, [si reprimendi causa, ex verbenis] acris autem est mari­na aqua vel alia sale adiecto; atque utraque decocta commodior est. Acrior fit adiecto vel oleo vel nitro vel melle: quoque acrior est, eo plus extrahit, sed minus facile sustinetur. Idque, quod infunditur, neque frigidum esse oportet neque calidum, ne alterutro modo laedat. Cum infusum est, quantum fieri pot­est, continere se in lecticulo debet aeger, nec primae cupiditati deiectionis pro­tinus cedere: ubi necesse est, tum demum desidere.  (2f)  Fereque eo modo dempta materia, superioribus partibus levatis, morbum ipsum mollit. Cum vero,

2,12,2a–2,12,2f

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(2a)  Oftmals ist es aber besser, einen Einlauf vorzunehmen. Dies wurde auch von Asklepiades wohl eingeschränkt, aber doch beibehalten. In unse­ren Tagen, stelle ich fest, wird es meist übergangen. Die Einschränkung, die er offen­bar gelten hat lassen, ist sehr berechtigt, dass nämlich dieses Heil­ver­ fahren nicht häufig angewendet werden soll, man aber nicht auf ein-, höchs­ tens aber zweimalige Anwendung verzichten soll,  (2b)  wenn der Kopf schwer ist, wenn die Augen getrübt sind, wenn die Krankheit im Dickdarm sitzt, den die Griechen Kolon nennen, wenn im Unterleib oder den Hüften Schmer­ zen auftreten, wenn sich im Magen Galliges sammelt oder wenn dort sogar Schleim oder eine andere wässerige Flüssigkeit zusammenkommt, wenn das Atmen schwerfällt, wenn der Leib von sich aus nichts ausscheidet, ins­be­son­­ dere wenn der Kot nahe am After ist und doch im Leib bleibt, oder wenn der Kranke nichts ausscheidet und einen Geruch von Kot in seinem Atem wahr­ nimmt, wenn die Ausscheidung verdorben ist, wenn das Fieber nicht rasch durch Fasten vertrieben wird, wenn die Kräfte des Kranken einen Ader­lass, sei dieser auch erforderlich, nicht gestatten oder die Zeit dafür abgelaufen ist, wenn jemand vor Ausbruch der Krankheit viel getrunken hat,  (2c)  oder wenn jemand, der zuvor oft Stuhlgang gehabt hat – sei es willentlich oder unwillkür­ lich – plötzlich verstopft ist. Man muss aber auf Folgendes achten: der Einlauf darf nicht vor dem dritten Tag appliziert werden, nicht, wenn noch unverdaute Nah­­rung vorhanden ist, nicht an einem schwachen und von schlechter Gesund­ heit erschöpften Körper, nicht an einem, der täglich ausreichend Stuhl hat oder des­sen Stuhl flüssig ist, und auch nicht auf dem Höhepunkt eines Anfalls, denn was da eingeführt wird, wird im Darm behalten und bringt noch viel größere Gefahr mit sich, wenn es in den Kopf hinaufsteigt.  (2d)  Am Tag zuvor muss der Kran­ke aber fasten, damit er für diese Behandlung bereit sei, und am bewussten Tag soll er einige Stunden vorher warmes Wasser trin­ken, damit seine oberen Tei­le feucht sind. Sodann soll in den Darm reines Was­ser eingeleitet werden, wenn eine mäßige Kur genügt, oder Honigwein, wenn es eine etwas kräftigere ist,  (2e)  wenn es eine milde ist, ein Absud von Bocks­hornklee, Gerstenschrot oder Malve [, und wenn es um des Verstopfens wil­len geschieht, einen solchen von Verbenen]. Ein scharfes Mittel jedoch ist Meer­wasser oder anderes Wasser unter Zusatz von Salz, und beides ist besser, wenn es abgekocht ist. Noch schär­ fer wird es, wenn man Öl, Speisesoda oder Honig dazugibt, und je schärfer es ist, desto mehr fördert es zutage, aber desto weni­ger angenehm ist es zu ertra­ gen. Auch darf die eingeleitete Flüssigkeit weder kalt noch heiß sein, damit kein Extrem schade. Ist die Flüssigkeit eingeleitet, so soll der Kranke so lan­ ge wie möglich auf einer Ruhebank liegen bleiben und nicht seinem ersten Drang nach Stuhlgang nachgeben. Er soll sich erst dann ent­leeren, wenn es sein muss.  (2f)  In aller Regel bedeutet es Linderung der Krank­heit, wenn auf diese Wei­se Krankheitsstoff abgeführt worden und den obe­ren Teilen Erleichterung

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quo­tiens res coegit, desidendo aliquis se exhausit, paulisper debet con­quies­cere; et ne vires deficiant, utique eo die cibum adsumere; qui plenior an exiguus sit, ex ratione eius accessionis, quae expectabitur aut in metu non erit, aes­timari opor­tebit. Caput XIII De vomitu (1)  At vomitus ut in secunda quoque valetudine saepe necessarius biliosis est, sic etiam in is morbis, quos bilis concitavit. Ergo omnibus, qui ante febres hor­rore et tremore vexantur, omnibus, qui cholera laborant, omnibus etiam cum quadam hilaritate insanientibus, et comitiali quoque morbo oppressis neces­sa­rius est.   (2)  Sed si acutus morbus est, sicut in cholera, si febris est, ut inter horrores, asperioribus medicamentis opus non est, sicut in deiectionibus quo­que supra dictum est; satisque est ea vomitus causa sumi, quae sanis quo­ que sumenda esse proposui. At ubi longi valentesque morbi sine febre sunt, ut comitialis, ut insania, veratro quoque albo utendum est.  (3)  Id neque hieme ‹neque› aestate recte datur, optime vere, tolerabiliter autumno. Quisquis datu­rus erit, id agere ante debebit, ut accepturi corpus umidius sit. Illud scire opor­tet, omne eiusmodi medicamentum, quod potui datur, non semper aegris prod­esse, semper sanis nocere. Caput XIV De frictione (1)  De frictione vero adeo multa Asclepiades tamquam inventor eius posuit in eo volumine, quod communium Auxiliorum inscripsit, ‹ut,› cum trium faceret tan­tum mentionem, huius et aquae et gestationis, tamen maximam partem in hac consumpserit. Oportet autem neque recentiores viros in is fraudare, quae vel reppererunt vel recte secuti sunt, et tamen ea, quae apud antiquiores aliquos posi­­ta sunt, auctoribus suis reddere.  (2)  Neque dubitari potest, quin latius qui­­ dem et dilucidius, ubi et quomodo frictione utendum esse‹t,› Asclepiades prae-

2,12,2f–2,14,2

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ver­schafft worden ist. Ist man aber erschöpft, weil man sich bei jedem Drang ent­leeren hat müssen, so soll man sich ein wenig aus­ruhen, und um seine Kräfte nicht zu verlieren, soll man auf jeden Fall noch am selben Tag Nahrung zu sich neh­men. Ob diese jedoch reichhaltiger oder kärglich ist, muss nach Maßgabe des zu erwartenden oder aber nicht zu befürch­tenden Anfalls eingeschätzt wer­ den. 13. Kapitel Das Erbrechen (1)  Das Erbrechen jedoch, das oft notwendig ist, wenn man anderweitig bei guter Gesundheit ist, aber zu viel Galle hat, ist ebenso bei jenen Krankheiten not­­wen­­dig, die durch die Galle hervorgerufen werden. Also ist es notwendig für alle, die vor Fieberanfällen von Schüttelfrösten und Zittern geplagt wer­den, für alle, die an der Cholera2 leiden, für alle, die irrsinnig und dabei in ausge­las­ sener Stimmung sind, und für alle, die mit Epilepsie beladen sind.  (2)  Ist die Krankheit aber akut, wie etwa im Fall der Cholera, und zeigt sich Fieber, etwa zwischen Anfällen von Schüttelfrost, so sind drastischere Maßnahmen nicht erforderlich, wie ich oben bezüglich des Abführens dargelegt habe, und es ist ausreichend, zum Erbrechen etwas von dem einzunehmen, was ich auch Gesun­ den einzunehmen empfohlen habe. Bei chronischen und heftigen Erkran­kungen ohne Fieber aber, wie etwa Epilepsie oder Irrsinn, ist schwarze oder weiße Nies­ wurz anzuwenden.  (3)  Diese zu verabreichen ist aber weder im Winter noch im Sommer risikolos. Im Frühjahr ist es am besten, und im Herbst ist es annehm­ bar. Will man Nieswurz verabreichen, soll man sich ver­ge­wissern, dass der Kör­ per des zu Behandelnden feucht ist. Man muss wissen, dass jede Arznei dieser Art, die als Trank verabreicht wird, den Kranken nicht immer nützt und den Gesun­den immer schadet. 14. Kapitel Die Massage (1)  Über die Massage aber hat Asklepiades gleichsam als ihr Erfinder vie­les in seinem Buch mit dem Titel „Allgemeine Hilfsmittel“ dargelegt, wobei er wohl er drei solcher Hilfsmittel erwähnt, nämlich die Massage sowie das Wasser und die Wiegebewegung, jedoch den meisten Raum auf das erstere auf­wendet. Wir dürfen auch keine Falschmeldungen darüber ver­b reiten, was jüngere Fach­leute zu diesem Thema entdeckt oder richtig befolgt haben, sondern müs­sen alles, was bei Anderen, Älteren dargelegt wird, den eigent­lichen Verfas­ sern zuordnen.  (2)  Es kann gar kein Zweifel bestehen, dass Askle­­­piades mit gro­­ßer Ausführlichkeit und Klarheit gelehrt hat, wo und auf welche Weise die 2

4,18.

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ceperit, nihil tamen reppererit, quod ‹non› a vetustissimo auctore Hippo­crate pau­cis verbis comprehensum sit, qui dixit frictione, si vehemens sit, durari cor­ pus, si lenis, molliri: si multa, minui, si modica, inpleri. Sequitur ergo, ut tum uten­­dum sit, cum ‹aut› adstringendum corpus sit, quod hebes est, aut mol­lien­ dum, quod induruit, aut digerendum in eo, quod copia nocet, aut alen­dum id, quod tenue et infirmum est.  (3)  Quas tamen species si quis curio­s‹i›us aestimet (quod iam ad medicum non pertinet), facile intelleget omnes ex una causa pen­ dere, quae demit. Nam et adstringitur aliquid eo dempto, quod inter­positum, ut id laxaretur, effecerat, ‹et› mollitur eo detracto, quod duri­tiem crea­bat, et inple­ tur non ipsa frictione sed eo cibo, qui postea usque ad cutem diges­tione quadam rela­xatam penetrat.   (4)  Diversarum vero rerum in modo causa est. Inter unctionem autem et frictionem multum interest. Ungui enim leviterque per­tractari corpus etiam in acutis et recentibus morbis oportet, in remissione tamen et ante cibum. Longa vero frictione uti ‹ne›que in acutis morbis neque increscentibus convenit, praeterquam cum phreneticis somnus ea quaeri­ tur.  (5)  Amat autem hoc auxilium valetudo longa et iam a primo inpetu incli­ nata. Neque ignoro quosdam dicere omne auxilium necessarium esse incres­cen­ tibus morbis, non cum iam per se finiuntur. Quod non ita se habet. Potest enim mor­bus, etiam qui per se finem habiturus est, celerius tamen adhibito auxi­lio pelli. (6)  Quod duabus de causis necessarium est, et ut quam primum bona vale­ tudo contingat, et ne morbus, qui remanet, iterum, quamvis levi de causa, exas­peretur. Potest morbus minus gravis esse quam fuerit, neque ideo tamen solvi, sed reliquiis quibusdam inhaerere, quas admotum aliquod auxilium dis­ cutit.  (7)  Sed ut levata quoque adversa valetudine recte frictio adhibetur, sic numquam adhibenda est fe‹b›re increscente: verum, si fieri potest, cum ex toto cor­pus ea vacabit; si minus, certe cum ea remiserit. Eadem autem modo in totis

2,14,2–2,14,7

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Mas­sage anzuwenden sei. Er hat aber nichts entdeckt, was nicht schon von Hip­po­­krates, dem frühesten Fachmann, in wenigen Wor­­­ten zusammengefasst wor­­den wäre. Dieser hat gesagt, dass der Körper durch die Massage, wenn sie hef­tig sei, abgehärtet, und wenn sie sanft sei, ent­­spannt werde, und dass er durch häufige Massage zu- und durch gelegentliche abneh­me. Daraus ergibt sich also, dass sie dann anzuwenden ist, wenn ein schlaf­­fer Körper angespannt oder ein verhärteter aufgelockert werden soll, wenn, was durch ein Zuviel im Körper Schaden anrichtet, verteilt werden soll, oder wenn ein zarter und schwäch­­li­cher Körper zum Wachsen gebracht wer­den soll.  (3)  Wenn man aber die Arten der Massage genauer betrachtet – was jedoch nicht mehr im Auf­­ga­ ben­bereich des Arztes liegt – so erkennt man ohne Weiteres, dass sich alles um einen Punkt dreht, nämlich den Entzug von Stoff. Denn Anspannung kann auch dadurch erreicht werden, dass man weg­nimmt, was Erschlaffung bedingt hat, während es vorhanden war, und Auf­lockerung dadurch, dass man weg­nimmt, was Verhärtung bedingt hat, und das Wachstum kommt nicht von der Mas­sage allein, sondern auch von der Nah­rung, die in der Folge durch eine Art Ver­ teilung bis in die Haut gelangt, die sich so entspannt.  (4)  Die Ursache dieser Ver­schiedenheiten liegt in der Art und Weise der Anwendung. Zwischen der Salbung und der Massage besteht ein gewaltiger Unterschied. Sal­­ben und dann mäßig bewegen soll man den Körper nämlich sogar bei akuter und gerade erst überstandener Krankheit, aber nur bei auftretender Besserung sowie vor den Mahlzeiten. Eine ausgedehnte Massage anzuwenden ist aber weder bei akuten noch bei sich verschlimmernden Krankheiten angemessen, es sei denn, sie erfolgt, um bei Geisteskranken Schlaf herbeizuführen.  (5)  Aber eine chronische Erkrankung und eine, die ihre erste Heftigkeit hinter sich gelas­ sen hat, profitieren sehr von diesem Mittel. Zwar weiß ich wohl, dass einige sagen, ein Bedarf nach Hilfsmitteln bestehe dann, wenn die Krankheit sich ver­ schlim­mere, und nicht dann, wenn sie ohnehin schon von sich aus abklin­ge. Dem ist aber nicht so. Es kann nämlich eine Krankheit, auch wenn sie von sich aus zu einem Ende kommen würde, durch Anwendung eines Hilfsmittels rascher vertrieben werden. (6)  Dies ist aus zwei Gründen notwendig: sowohl, damit die Gesundheit so bald wie möglich wieder hergestellt werde, als auch, damit die Krankheit, die noch vorhanden ist, aus ganz unbedeutender Ursache nicht wieder erwache. Eine Krank­heit kann zwar weniger schwer sein, als sie war, und doch noch nicht ganz abgeklungen sein, sondern in Resten noch festsitzen. Diese werden durch die Anwendung eines Hilfsmittels gelöst.  (7)  Die Massage wird sinn­ vol­ler­weise angewendet, wenn eine Linderung der Krankheit eintritt, aber nie­ mals dann, wenn das Fieber eben steigt, sondern nach Möglichkeit dann, wenn der Kranke gänzlich fieberfrei ist. Wenn das nicht möglich ist, wendet man sie erst an, wenn das Fieber nachgelassen hat. Auch muss man den Kran­ken in

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cor­poribus esse debet, ut cum infirmus aliquis implendus est, modo in partibus, aut quia ipsius eius membri inbecillitas id requirit aut quia alterius.  (8)  Nam et capitis longos dolores ipsius frictio levat, non in inpetu tamen doloris, et mem­brum aliquod resolutum ipsius frictione con­fir­ma­tur. Longe tamen saepius aliud perfricandum est, cum aliud dolet; maxi­meque cum a summis aut a mediis partibus corporis evocare materiam volu­mus, ideoque extremas partes perfricamus.  (9)  Neque audiendi sunt qui nume­ro finiunt, quotiens aliquis perfricandus sit: id enim ex viribus hominis colligen­dum est; et si is perinfirmus est, potest satis esse quinquagies, si robustior, pot­est ducenties esse faciendum; inter utrum‹que› deinde, prout vires sunt. Quo fit, ut etiam minus saepe in mulie­ re quam in viro, minus saepe in puero vel sene quam iuvene manus dimovendae sint.  (10)  Denique si certa membra per­fri­can­tur, multa valentique frictione opus est: nam neque totum corpus infir­mari cito per partem potest, et opus est quam plurimum materiae digeri, sive id ipsum membrum sive per id aliud levamus. At ubi totius corporis inbe­cil­li­tas hanc curationem per totum id exigit, brevior esse debet et lenior, ut tan­tum­modo summam cutem emolliat, quo facilius capax ex recenti ‹ci›bo novae mate­riae fiat.  (11)  In malis iam aegrum esse, ubi exterior pars corporis friget, inte­rior cum siti calet, [ut] supra posui. Sed tunc quoque unicum in frictione prae­si­dium est; quae si calorem in cutem evocavit, potest alicui medicinae locum facere. Caput XV De gestatione (1)  Gestatio quoque longis et iam inclinatis morbis aptissima est; utilisque est et iis corporibus, quae iam ex toto febre carent sed adhuc exerceri per se non possunt, et iis, quibus lentae morborum reliquiae remanent neque aliter eli­ dun­­tur. Asclepiades etiam in recenti vehementique praecipueque ardente febre ad discutiendam eam gestatione dixit utendum.  (2)  Sed id periculose fit, meli­us­ que quiete eiusmodi impetus sustinetur. Si quis tamen experiri volet, sic expe­ riatur: si lingua non erit aspera, si nullus tumor, nulla durities, nul­lus dolor vis­

2,14,7–2,15,2

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man­chen Fällen am ganzen Körper massieren, etwa wenn ein schwäch­licher Mensch gekräftigt werden soll, und bisweilen nur an bestimmten Kör­per­teilen, ent­weder weil eine Erkrankung eben dieser oder einer anderen Glied­maße es erfor­derlich macht.   (8)  Die Massage schafft nämlich Linderung bei chronischen Kopfschmerzen, wenngleich nicht auf dem Höhepunkt des Schmer­zes, und bei Erschlaffung einer Gliedmaße wirkt sie kräftigend. Viel öfter aber muss eine andere Stelle als die schmerzende massiert wer­den, besonders, wenn wir aus den obersten oder mittleren Bereichen des Kör­pers Stoff abziehen wollen und zu diesem Zweck die Extremitäten mas­sieren.  (9)  Wir sollen auch nicht auf jene hören, die zahlenmäßig festlegen wol­len, wie viele Male jemand abge­rieben werden soll, denn dies muss man ent­spre­chend der Konstitution jedes Patien­ten beurteilen. Wenn einer sehr schwach ist, sind vielleicht schon fünfzig Hand­ striche genug, wenn er kräftiger ist, muss man vielleicht zweihundert machen, und irgendwo dazwischen, je nach der Konstitution. Darum muss auch bei einer Frau weniger Hand ange­legt werden als bei einem Mann, weniger bei einem Kind oder einem alten Men­schen als bei einem jungen Erwachsenen.  (10)  Und zu guter Letzt muss die Massage reichlich und kräftig sein, wenn nur bestimmte Glied­maßen mas­siert werden, denn der gesamte Körper kann nicht von einem ein­zi­gen Teil her rasch geschwächt werden, und es ist nötig, so viel Stoff wie möglich zu ver­teilen, sodass wir der betroffenen Gliedmaße – oder einer ande­ ren durch sie – Erleichterung schaffen. Wenn aber der gesamte Körper angegrif­ fen ist und dies eine Anwendung dieser Behandlungsweise am ganzen Körper erfor­­derlich macht, so darf dies nur kurz und schonend erfolgen, sodass es nur die äußere Haut erweicht. Hierdurch ist der Patient leichter imstande, aus frisch auf­­genommener Nahrung neuen Körperstoff zu schaffen.  (11)  Wie oben dar­ge­ legt, ist der Kranke in einem üblen Zustand, wenn sein Körper äußerlich kalt ist, aber innerlich glüht, und wenn er Durst leidet. Doch selbst dann ist die Massage die einzige Rettung: wenn sie die Hitze in die Haut hinaus abzieht, kann sie für eine andere Behandlung Raum schaffen. 15. Kapitel Die Wiegebewegung (1)  Die Wiegebewegung eignet sich sehr bei chronischen und bereits abklin­ gen­den Krankheiten. Sie ist dann nützlich, wenn der Körper ganz fieberfrei ist, jedoch noch nicht selbständig Gymnastik machen kann, und wenn noch leich­­te Spuren von Krankheit vorhanden sind, die sich nicht anders vertreiben las­­sen. Asklepiades lehrte, dass das Wiegen auch geeignet sei, ein eben auf­ ge­­tre­­te­­nes heftiges Fieber zu vertreiben, besonders, wenn es sehr hoch ist.  (2)  Dies kann allerdings gefährlich werden, und es ist besser, einen Anfall die­ser Art in Ruhe zu vorübergehen zu lassen. Will man es dennoch ver­su­ chen, so soll man es dann versuchen, wenn die Zunge nicht belegt ist und

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ce­ribus aut capiti aut praecordiis suberit. Et ex toto numquam ges­tari corpus dolens debet, sive id in toto sive in parte est, nisi tamen solis nervis dolentibus, neque umquam increscente febre sed in remissione eius.  (3)  Genera autem ges­ ta­­tionis plura sunt adhibendaque sunt et pro viribus cui­us­que et pro opibus, ‹ne› aut inbecillum hominem nimis digerant, aut humi­li desint. Lenissima est navi vel in portu vel in flumine, vehementior vel in alto mari navi vel lectica, etiam­num acrior vehiculo: atque haec ipsa et intendi et leni­ri possunt.  (4)  Si nihil eorum est, suspendi lectus debet et moveri: si ne id qui­demst, at certe uni pedi subiciendum fulmentum est, atque ita lectus huc et illuc manu inpellendus. Et levia quidem genera exercitationis infirmis conveniunt, valentiora vero iis, qui iam pluribus diebus febre liberati sunt, aut iis, qui gravium morborum ini­tia sic sentiunt, ut adhuc febre vacent (quod et in tabe et in stomachi vitiis, et cum aqua cutem subit, et interdum in regio fit), aut ubi quidam morbi, qua­ lis comitialis, qualis insania est, sine febre quamvis diu manent.  (5)   In qui­bus adfectibus ea quoque genera exercitationum necessaria sunt, quae conprehen­ dimus eo loco, quo, quemadmodum sani neque firmi homines se gererent, prae­ cepimus. Caput XVI De abstinentia (1)  Abstinentiae vero duo genera sunt, alterum ubi nihil adsumit aeger, alte­ rum ubi non nisi quod oportet. Initia morborum primum famem sitimque desi­ de­rant, ipsi deinde morbi moderationem, ut neque aliud quam expedit neque eius ipsius nimium sumatur: neque enim convenit iuxta inediam protinus satie­ ta­tem esse. Quod si sanis quoque corporibus inutile est, ubi aliqua neces­sitas famem fecit, quanto inutilius est etiam in corpore aegro?  (2)  Neque ulla res magis adiuvat laborantem quam tempestiva abstinentia. Intemperantes homi­nes apud nos ipsi cibi *** tempora curantibus dantur: rursus alii tempora medi­cis

2,15,2–2,16,2

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kei­ne Schwellung, keine Verhärtung und kein Schmerz im Bauch, dem Kopf oder dem Brustraum vorliegt. Im Allgemeinen darf der Körper bei Schmer­ zen keinesfalls gewiegt werden, seien sie im ganzen Körper oder nur in einem Teil davon, außer dann, wenn lediglich die Muskeln schmerzen, und niemals bei steigendem Fieber, sondern nur, wenn es nachlässt.  (3)  Es gibt aber viele Möglichkeiten, einen Kranken zu schaukeln, und man soll sie entsprechend der körperlichen Verfassung des Kranken und seinen finanziel­len Möglichkeiten anwenden, damit ein schwacher Mensch nicht zu sehr erschöpft werde und einem mittellosen nicht zu hohe Kosten entstehen. Am scho­nendsten erfolgt das Schaukeln auf einem Schiff, sei es im Hafen oder auf einem Fluss, hefti­ ger ist es zu Schiff auf hoher See oder in einer Sänfte, und noch schärfer ist es in einem Wagen, aber selbst dies kann noch verstärkt oder gemildert wer­ den.  (4)  Wenn nichts von alledem möglich ist, kann man ein Bett aufhängen und in Schwingungen versetzen, und wenn nicht einmal dies möglich ist, doch zumin­dest einen Keil unter einen Bettfuß schieben und so das Bett mit der Hand hin- und herbewegen. Diese schonenden Formen von Bewegung sind für Kranke geeignet; die anstren­­gen­deren aber für Patienten, die schon einige Tage fieberfrei sind, oder sol­che, die wohl schwere Krankheit nahen fühlen, aber noch ohne Fie­ber sind (dies geschieht bei Schwindsucht, Magenleiden, Ödemen und fall­wei­se bei Gelb­sucht), oder aber, wenn gewisse Krankheiten, wie etwa Epi­lepsie oder etwa Irrsinn, wenn auch ohne Fieber, so doch unbestimmt lange vorhalten.  (5)  Bei die­sen Beschwerden ist Bewegung von jener Art notwendig, wie wir sie dort beschrie­ben haben, wo wir die Lebensführung des gesunden, jedoch nicht kräf­ tigen Menschen erläutert haben.3 16. Kapitel Das Fasten (1)  Zu fasten aber gibt es zwei Arten: bei der ersten nimmt der Kranke über­ haupt nichts zu sich und bei der anderen nur das Nötigste. Hunger und Durst sind beim Auftreten von Krankheit erforderlich, Mäßigung aber, wenn die Krank­heit etabliert ist. Das heißt, man soll nur das zu sich nehmen, dessen man bedarf, und davon nicht zu viel, denn es ist nicht gut, auf das Fasten gleich eine Sättigung folgen zu lassen. Wenn dies sogar dem gesunden Körper nicht zuträg­ lich ist, etwa wenn man aus äußerer Notwendigkeit gehungert hat, um wie­viel abträg­licher muss es dann für den kranken Körper sein!  (2)  Nichts ist ja bei schlech­­tem Befinden heilsamer als zeitweiliges Fasten. Unmäßige Zeit­genossen, die Speisen selbst . . . billigen den behandelnden Ärzten zu, die Essenszeiten fest­zulegen. Wieder andere gestehen den Ärzten wohl die Essenszeiten zu, die 3

1,2,6.

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pro dono remittunt, sibi ipsis modum vindicant. Liberaliter age­re se credunt, qui cetera illorum arbitrio relinquant, in genere cibi liberi sunt: quasi quaeratur quid medico liceat, non quid aegro salutare sit, cui vehe­men­ter nocet, quotiens in eius, quod adsumitur, vel tempore vel modo vel gene­re peccatur. Caput XVII De sudore (1)  Sudor etiam duobus modis elicitur, aut sicco calore aut balneo. Siccus calor est et harenae calidae et Laconici et clibani et quarundam naturalium suda­ tionum, ubi terra profusus calidus vapor aedificio includitur, sicut super Baias in murtetis habemus. Praeter haec sole quoque et exercitatione movetur. Uti­ liaque haec genera sunt, quotiens umor intus nocet, isque digerendus est. Ac ner­­vo­rum quoque quaedam vitia sic optime curantur.  (2)  Sed cetera infirmis pos­­­sunt convenire: sol et exercitatio tantum robustioribus, qui tamen sine febre vel inter initia morborum vel etiam gravibus morbis tenentur. Cavendum autem est, ne quid horum vel in febre vel in cruditate temptetur. At balnei duplex usus est: nam modo discussis febribus initium cibi plenioris vinique fir­mio­ris [valetudinis] facit, modo ipsam febrem tollit; fereque adhibetur, ubi summam cutem relaxari evocarique corruptum umorem et habitum corpo­ris mutari expedit.  (3)  Antiqui timidius eo utebantur, Asclepiades audacius. Neque terrere autem ea res, si tempestiva est, debet: ante tempus nocet. Quis­quis febre liberatus est, simulatque ea uno die non accessit, eo, qui proximus est post tempus accessionis, tuto lavari potest. At si circumitum habere ea febris solita est, sic ut tertio quartove die revertatur, quandocumque non accessit, balneum tutum est.  (4)  Manentibus vero adhuc febribus, si eae sunt quae lentae lenesque iam diu male habent, recte medicina ista temptatur, cum eo tamen, ne praecordia dura sint neve ea tumeant, neve lingua aspe­ra sit, neve aut in medio corpore aut in capite dolor ullus sit, neve tum febris incres­cat. Atque in iis quidem febribus,

2,16,2–2,17,4

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Men­­ge jedoch behalten sie sich vor. Sie glauben, großmü­tig zu handeln, wenn sie das andere dem Urteil der Ärzte überlassen, und bei der Wahl der Speisen sind sie frei, als käme es darauf an, was man dem Arzt gestat­ten wolle, nicht, was für den Kranken heilsam sei, dem es doch heftig scha­det, sooft er sich beim Essen etwas zu Schulden kommen lässt, sei es in Bezug auf die Essenszeiten oder auf die Menge oder die Beschaffenheit der Spei­sen. 17. Kapitel Das Schwitzen (1)  Ebenso erfolgt das Schwitzen auf zweierlei Arten: durch trockene Hit­ze oder im Bad. Trocken ist die Hitze von erwärmtem Sand, die des spar­ta­nischen Ofens und die des Backofens4 sowie gewisser natürlicher Schwitz­­stätten, wo hei­ßer Dampf aus der Erde hervortritt und in Aufbauten fest­ge­hal­ten wird, wie wir das in den Myrtenhainen oberhalb von Baiae sehen. Darüber hinaus fördern auch Sonne und Bewegung das Schwitzen. Die­­se Verfahren sind der Gesundheit zuträglich, wenn ein Leiden von der Feuch­tig­keit im Inneren herrührt und diese verarbeitet werden muss. Aber auch gewisse Muskelleiden werden solcher­ maßen aufs Beste behandelt.  (2)  Es kön­nen aber auch andere Dinge für Kranke von Nutzen sein: Sonne und Bewe­gung nur für die Kräftigeren unter ihnen, die dazu aber fieberfrei sein müs­sen, sei es bei Beginn einer Krankheit oder bei schwe­ren Erkrankungen. Auch ist darauf zu achten, dass nichts von alledem bei Fieber oder mangelnder Ver­dauung ver­sucht werde. Das Bad dient jedoch einem dop­pelten Zweck: einer­seits berei­tet es Genesende auf reichhaltigere Speisen und Weine vor, wenn erst das Fie­ber vertrieben ist, und andererseits lindert es eben dieses Fie­ber. In der Regel wird es angewendet, wenn es sinnvoll ist, der Oberhaupt Entspannung zu verschaffen, verdorbene Feuchtigkeit abzuleiten und die kör­perliche Beschaf­fen­heit zu verändern.  (3)  Die Alten gebrauchten es mit eini­ger Vor­sicht, Asklepiades war schon draufgängerischer. Auch gibt dies Mittel keinen Grund zur Besorgnis, wenn es denn zur rechten Zeit angewen­det wird. Vor­zei­tig angewendet, schadet es. Ist man fieberfrei und hat einen gan­ zen Tag kei­nen Anfall gehabt, kann man gefahrlos am ersten Tag nach dem letz­ten Fie­ber­anfall baden. Aber wenn das Fieber gewöhnlich einem Zyklus folgt, sodass es alle drei oder vier Tage wiederkehrt, so ist das Bad immer dann gefahr­­­los, wenn kein Fieber auftritt.  (4)  Sogar bei anhaltendem Fieber – wenn es nur schleichend und leicht und schon längere Zeit beschwerlich ist – kann die­­se Behandlung berechtigterweise angewendet werden, solange näm­lich der Ober­bauch nicht hart oder geschwollen und die Zunge nicht belegt ist, kein Schmerz des Rumpfs oder Kopfs vorliegt und das Fieber gerade nicht im Stei­ gen begriffen ist. Bei diesen Arten von Fieber aber, die einem zuver­läs­sigen 4

3,21,6.

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quae certum circuitum habent, duo balnei tempora sunt, alterum ante horrorem, alterum febre finita:  (5)  in is vero, qui lentis febri­culis diu detinentur, cum aut ex toto recessit accessio, aut si id non solet, certe leni­ta est, iamque corpus tam integrum est, quam maxime esse in eo genere vale­tudi­nis solet. Inbecillus homo iturus in balneum vitare debet, ne ante frigus ali­quod expe­riatur. (6)  Ubi in balneum venit, paulisper resistere experirique, num tempora adstrin­gan­tur, et an sudor aliqui oriatur: si illud incidit, hoc non secutum est, inutile est eo die balineum perunguendusque is leniter et auferendus est, vitan­ dum­que omni modo frigus, et abstinentia utendum.  (7)  At si temporibus inte­gris primum ibi, deinde alibi sudor incipit, fovendum os aqua calida; tum in solio descendendum est, atque ibi quoque videndum est, num sub primo con­tac­tu aquae calidae summa cutis inhorrescat, quod vix fieri potest, si prio­ra recte cesserunt: certum autem signum inutilis balinei est. Ante vero an postea quam in aquam calidam se demittat aliquis perungui debeat, ex ratione valetudinis suae cognoscat.  (8)  Fere tamen, nisi ubi nominatim ut pos­tea fiat praecipietur, moto sudore leviter corpus perunguendum, deinde in aquam calidam demittendum est. Atque hic quoque habenda virium ratio est; neque committendum, ut per aestum anima deficiat; sed maturius is aufe­ren­dus curioseque vestimentis involvendus est, ut neque ad eum frigus adspi­ret, et ibi quoque, antequam aliquid adsumat, insudet.  (9)  Fomenta quoque cali­da sunt milium, sal, harena, quidlibet eorum calfactum et in linteum coni­ec­­tum: si minore vi opus est, etiam solum linteum, at si maiore, exstincti ti‹ti›­on­ es involutique panniculis et sic circumdati. Quin etiam calido oleo replen­tur utriculi, et in vasa fictilia, [similitudine] quas lenticulas vocant, aqua coicitur;  (10)  et sal sacco linteo excipitur, demittiturque in aquam bene calidam, tum super id membrum, quod fovendum est, conlocatur *** iuxta­que ignem ferramenta duo sunt, capitibus paulo latioribus, alterumque ex iis demittitur in eum salem, et super aqua leviter aspergitur: ubi frigere coepit, ad ignem refertur, et idem in altero fit, deinde invicem in utroque: inter quae descendit salsus et calidus sucus, qui contractis

2,17,4–2,17,10

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Zyklus folgen, badet man an zwei Zeitpunkten: einmal vor dem Schüt­telfrost, dann nach Abklingen des Fiebers.  (5)  Aber bei Leuten, die längere Zeit von leich­tem Fieber befallen sind, wird der ganze Körper soweit wieder her­gestellt, wie dies bei diesem Zustand gewöhnlich der Fall sein kann, wenn die Anfälle ent­weder ganz aufhören oder, wenn das nicht erwar­tungsgemäß ein­tritt, doch nach­lassen. Wenn ein schwacher Mensch baden will, muss er darauf achten, sich nicht zuvor der Kälte auszusetzen. (6)  Kommt er in die Badeanstalt, soll er ein wenig sitzen und tasten, ob sich seine Schläfen straffen und sich Schweiß zeigt. Tritt das erste ein, ohne dass das zweite folgt, ist das Bad an diesem Tag nicht zuträglich, und er soll sich leicht salben und nach Hause tragen lassen, jedwede Kälte vermeiden sowie fasten.  (7)  Aber wenn sich die Schläfen nicht verändern und zuerst dort und dann an anderen Stellen Schweiß auftritt, soll er sich das Gesicht mit warmem Wasser pflegen und dann in das Sitzbad eintauchen. Dort muss aber darauf geachtet werden, dass die Haut nicht bei der ersten Berührung mit dem warmen Wasser erschauert, was aber kaum der Fall sein wird, wenn das Obgenannte ordnungsgemäß vonstattengegangen ist. Es ist dies näm­lich ein siche­r es Zeichen, dass das Bad nicht zuträglich ist. Ob man sich aber vor oder nach dem warmen Bad salben lassen soll, ist aus dem Grad der Genesung zu bestim­ men.  (8)  In aller Regel muss der Körper von oben bis unten eingeölt werden, sowie sich der Schweiß zu zeigen beginnt – es sei denn, es ist ausdrücklich ange­ordnet worden, dass dies erst hinterher zu erfol­gen habe –, und danach muss man in warmes Wasser eintauchen. Und man muss hierbei auch ein Auge auf die Körperkräfte des Patienten haben; man soll es nicht soweit kommen las­ sen, dass er vor Hitze besinnungslos wird, sondern man muss ihn beizeiten aus dem Wasser nehmen, sorgsam mit Decken einwickeln, sodass keine kalte Luft an ihn herankommen kann, und sodass er ein wenig in Schweiß gerät, bevor er etwas zu sich nimmt.  (9)  Als war­me Kompressen dienen Hirse, Salz, Sand, jedes davon erwärmt und in ein Leinentuch eingeschlagen. Soll es weniger kräftig sein, genügt ein bloßes Lei­nentuch; soll es kräftiger sein, löscht man brennende Holzscheite, wickelt sie in Lappen und macht daraus Umschlä­ ge. Gleichermaßen werden auch Leder­schläuche mit heißem Öl gefüllt und tönerne Gefäße, die man [wegen ihres Aussehens] Linsen nennt, mit Wasser voll­gefüllt,   (10)  auch wird Salz in einen Leinenbeutel getan und dieser in ordent­lich heißes Wasser getaucht und dann auf jene Körperstelle gelegt, die erwärmt werden soll . . . und zwei Brenn­­eisen mit etwas verbreiterten Enden sind nahe am Feuer. Eines davon wird in dieses Salz getaucht und darüber leicht mit Wasser beträufelt. Wenn es abzukühlen beginnt, wird es wieder ins Feuer gebracht, und das zweite Eisen wird ebenso behandelt, und so abwechselnd mit beiden. Hierbei bildet sich eine heiße, salzige Flüssigkeit, die heilsam ist, wenn die Muskeln durch irgend­­eine Krankheit verkrampft sind. Allen die­sen

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aliquo morbo nervis opitulatur. His omnibus commune est digerere id, quod vel praecordia onerat, vel fauces stran­gulat, vel in aliquo membro nocet. Quando autem quoque utendum sit, in ipsis morborum generibus dicetur. Caput XVIII Qui cibi potionesque aut valentis aut mediae aut imbecillae materiae sint (1)  Cum de iis dictum sit, quae detrahendo iuvant, ad ea veniendum est, quae alunt, id est, cibum et potionem. Haec autem non omnium tantum morborum sed etiam secundae valetudinis communia praesidia sunt; pertinetque ad rem omni­um proprietates nosse, primum ut sani sciant, quomodo his utantur, dein­de ut exsequentibus nobis morborum curationes liceat species rerum, quae adsu­ mendae erunt, subicere, neque necesse sit subinde singulas eas nominare. (2)  Scire igitur oportet omnia legumina, quaeque ex frumentis panificia sunt, gene­ris valentissimi esse (valentissimum voco, in quo plurimum alimenti est); item omne animal quadrupes domi natum; omnem grandem feram, quales sunt caprea, cervus, aper, onager; omnem grandem avem, quales sunt anser et pavo et grus; omnes beluas marinas, ex quibus cetus est quaeque his pares sunt; item mel et caseum. Quo minus mirum est opus pistorium valentissimum esse, quod ex frumento, adipe, melle, caseo constat. (3)  In media vero materia numerari ex holeribus debere ea, quorum radices vel bulbos adsumimus; ex quadrupedibus leporem; aves omnes a minimis ad phoenicopterum; item pisces omnes, qui salem non patiuntur solidive saliun­tur. Inbecillissimam vero materiam esse omnem caulem holeris et quicquid in cau­le nascitur, qualis est cucurbita et cucumis et capparis, omnia poma, oleas, cochleas, itemque conchylia. (4)  Sed quamvis haec ita discreta sunt, tamen etiam quae sub eadem specie sunt, magna discrimina recipiunt, aliaque res alia vel valentior est vel infirmior: siqui­dem plus alimenti est in pane quam in ullo alio, firmius est triticum quam mili­um, id ipsum quam hordeum; et ex tritico firmissima siligo, deinde simila, dein­­de cui nihil demptum est, qu‹em› αὐτόπυρον Graeci vocant: infirmior est ex polline, infirmissimus cibarius panis.

2,17,10–2 18,4

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Dingen ist gemeinsam, dass sie auflösen, was die Brust belastet, die Keh­le zusammenschnürt oder in irgendeiner Gliedmaße Schaden anrichtet. Wann aber welches Mittel ange­wendet werden soll, wird unter den jeweiligen Erkran­ kungen abgehandelt wer­den. 18. Kapitel Speisen und Getränke, je nachdem, ob sie stofflich kräftig, durchschnittlich oder schwach sind (1)  Nachdem wir nun erörtert haben, was durch Wegnahme heilt, wollen wir uns dem zuwenden, was nährt, nämlich den Speisen und Getränken. Diese schüt­­zen nämlich allgemein nicht nur bei allen Krankheiten, sondern auch bei gutem Gesundheitszustand. Hierzu ist es vonnöten, dass man alle mit ihren Eigen­­schaften kennt – erstens, damit die Gesunden wissen, auf welche Weise sie sie gebrauchen sollen, und dann, damit wir, wenn wir zur Behandlung der Krank­­heiten übergehen, die Arten der Lebensmittel darstellen können, die jeweils verzehrt werden sollen, und es nicht mehr notwendig ist, sie immer wie­­der einzeln anzuführen. (2)  Man muss also wissen, dass sämtliche Hülsenfrüchte und alles Körnerbrot von der kräftigsten Art sind – ich nenne kräftig, was den höchsten Nährwert hat –, und dass dasselbe auf alle vierfüßigen Haustiere zutrifft, auf alles grö­ße­re Wild, wozu das Reh, der Hirsch, das Wildschwein und der Wildesel zäh­len, auf alles gro­ße Geflügel, wozu Gans, Pfau und Kranich zählen, auf alle Mee­res­säuger, dar­unter der Wal und alle, die ihm gleichkommen, und sodann auf Honig und Käse. So ist es nicht verwunderlich, dass Gebäck, das aus Getrei­de, Schmalz, Honig und Käse hergestellt wird, besonders kräftig ist. (3)  Unter die stofflich durchschnittlichen Lebensmittel müssen wir aber jene Gemüse zählen, deren Wurzeln oder Knollen wir verzehren, von den Vier­füß­ lern den Hasen, sämtliches Geflügel vom kleinsten bis hinauf zum Flamin­go, sodann alle Fische, die sich entweder nicht einsalzen lassen oder die im gan­zen gesal­zen werden. Die stofflich schwächsten Lebensmittel sind alle Stielgemüse und alles, was an Stängeln gedeiht, wozu der Kürbis, die Gurke und die Kaper zählen, alles Obst, Oliven, Schnecken und Muscheln. (4)  Doch auch wenn sich dies so einteilen lässt, bestehen doch große Unter­ schiede zwischen den Lebensmitteln, die jeweils in einer Gruppe zusammen­ge­ fasst werden, und die eine Sache ist entweder kräftiger oder schwächer als die andere. So ist zum Beispiel mehr Nährkraft im Brot als in jeder anderen Spei­se, Wei­zen ist kräftiger als Hirse, diese ist kräftiger als Gerste, und von Wei­zen ist die Gattung Siligo am kräftigsten, sodann Simila, und schließlich Voll­kornmehl, das die Griechen Autopyros nennen. Brot aus sehr feinem Mehl ist schwächer, und am schwächsten ist Schwarzbrot.

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Liber secundus

(5)  Ex leguminibus vero valentior faba vel lenticula quam pisum. Ex hole­ ribus valentior rapa napique et omnes bulbi, in quibus cepam quoque et alium nume­ro, quam pastinaca vel ‹quae› specialiter radicula appellatur. Item fir­mior brassica et beta et porrum quam lactuca vel cucurbita vel asparagus. (6)  At ex fructibus surculorum valentiores uvae, ficus, nuces, palmulae quam quae poma proprie nominantur; atque ex his ipsis firmiora quae sucosa quam quae fragilia sunt. Item‹que› ex is avibus, quae in media specie sunt, valentior ea, quae pedibus quam quae volatu magis nititur: et ex is, ‹quae› volatu fidunt, firmiores quae gran­­dio­res aves quam quae minutae sunt, ut ficedula et turdus. Atque eae quo­ que, quae in aqua degunt, leviorem cibum praestant, quam quae natandi scien­ tiam non habent. (7)  Inter domesticas vero quadrupedes levissima suilla est, gravissima bubu­ la. Itemque ex feris, quo maius quodque animal, eo robustior ex eo cibus est. Pisciumque eorum, qui ex media materia sunt, quibus maxime utimur, tamen gra­vissimi sunt, ex quibus salsamenta quoque fieri possunt, qualis lacertus est; deinde ii qui, quamvis teneriores, tamen duri sunt, ut aurata, corvus, spa­rus, ocu­­lata, tunc plani, post quos etiamnum leviores lupi mullique, et post hos omnes saxatiles. (8)  Neque vero in generibus rerum tantummodo discrimen est, sed etiam in ipsis; quod et aetate fit et membro et solo et caelo et habitu. Nam quadrupes omne animal, si lactens est, minus alimenti praestat, itemque quo tenerior pul­ lus cohortalis est; in piscibus quoque media aetas, quae non summam magni­ tudinem inplevit. Deinde ex eodem sue ungulae, rostrum, aures, cerebellum, ex agno haedove cum petiolis totum caput aliquanto quam cetera membra levi­ora sunt, adeo ut in media materia poni possint.  (9)  Ex avibus colla alaeve rec­ te infirmis adnumerantur. Quod ad solum vero pertinet, frumentum quo­que valentius est collinum quam campestre; levior piscis inter saxa editus quam in harena, levior in harena quam in limo. Quo fit, ut e‹x› stagno vel lacu vel flu­­ mi­ne eadem genera graviora sint, leviorque qui in alto quam qui in vado vixit. Omne etiam ferum animal domestico levius, et quodcumque umi­do cae­lo quam

2,18,5–2,18,9

131

(5)  Von den Hülsenfrüchten aber sind die Bohne und die Linse kräftiger als die Erbse. Von den Gemüsen sind die Rübe und die Kohlrüben und alle Knol­ lengewächse, zu denen ich auch die Zwiebel und den Knoblauch zähle, kräf­tiger als der Pastinak oder das, was spezifisch Rettich heißt. Auch sind Kohl, rote Rüben und Porree kräftiger als Lattich, Gurke oder Spargel. (6)  Von den Früchten, die an Zweigen wachsen, sind die Weintraube, die Fei­ ge, die Nuss, die Dattel kräftiger als das, was eigentlich Obst genannt wird, und von letzteren sind die saftigen Sorten stärker als die mürben. Gleichfalls sind von jenen Vögeln, die zur mittleren Kategorie zählen, jene kräftiger, die sich mehr auf den Füßen als auf den Flügeln fortbewegen, und von denen, die dazu Flügel gebrauchen, sind die größeren stärker als die kleineren, wie etwa der Fliegenschnäpper und die Drossel. Und ebenso ergibt Geflügel, das im Wasser lebt, eine leichtere Kost als solches, das nicht schwim­men kann. (7)  Von den Haustieren aber ist das Schwein die leichteste Kost, das Rind die schwerste. Und beim Wildbret ist es gleich: je größer das Tier umso schwerer die Speise daraus. Von den Fischen, die zur mittleren Kategorie zählen, die wir am häufigsten genie­­ßen, sind aber diejenigen die schwersten, die man auch in Salz einlegen kann, wie etwa die Makrele, sodann jene, die, wenngleich zarter, doch fest sind, wie etwa die Goldbrasse, der Knurrhahn, die Meerbrasse, die Großaugenbras­se, dann die Plattfische und nach diesen die noch leichteren: der Wolfsbarsch und die Meerbarbe, und sodann alle Lippfische. (8)  Ein Unterschied besteht aber nicht nur zwischen den Gattungen der Lebens­­mittel, sondern auch innerhalb dieser, und er ergibt sich aus dem Lebens­­­alter und dem verwendeten Stück, dem Herkunftsort, dem Wetter und der Lebensweise. Denn jedes vierfüßige Tier bietet weniger Nährstoff, wenn es noch Milch saugt, ebenso ein zahmes Huhn, je zarter es ist, und glei­cher­maßen ein halb­wüchsiger Fisch, der noch nicht seine volle Größe erreicht hat. Und dann sind auch die Füße, der Rüssel, die Ohren und das Hirn ein- und desselben Schweins sowie der gesamte Schädel und die Füße vom Lamm oder Kitz ein wenig leichtere Kost als die übrigen Fleischteile, sodass sie zu Recht unter die durch­schnittlichen Lebensmittel gezählt wer­den können.  (9)  Hals und Flügel des Federviehs werden zu Recht unter die stoff­lich schwachen Nahrungsmittel gezählt. Was den Boden betrifft, so ist auch Getreide, das in Hügellage wächst, nahr­hafter als solches in der Ebene, der Fisch, der zwischen Felsen aus dem Ei geschlüpft ist, leichter als der im Sand geschlüpf­te, und der im Sand geschlüpfte Fisch ist leichter als der im lehmigen Was­ser geschlüpfte. So kommt es, dass von Fischen derselben Kategorie die in Teichen, Seen oder Flüssen gefangenen schwe­rere Kost sind und solche, die in der Tiefe leben, leichtere Kost sind, als sol­che, die im Seichten leben. Auch sind alle Wildtiere leichtere Kost als die Haus­tiere, und was in feuchtem Kli­ma zur Welt gekommen ist, ist leichtere

132

Liber secundus

quod sicco natum est.  (10)  Deinde etiam omnia pinguia quam macra, recentia quam salsa, nova quam vetusta plus alimenti habent. Tum res eadem magis alit iurulenta quam assa, magis assa quam elixa. Ovum durum valen­tis­simae materiae est, molle vel sorbile inbecillissimae. Cumque pani­f icia omnia firmissima sint, elota tamen quaedam genera frumenti, ut halica, ory­za, tisa­na, vel ex isdem facta sorbitio aut pulticula, et aqua quoque madens panis inbe­ cillissimis adnumerari potest. (11)  Ex potionibus vero quaecumque ex frumento facta est, itemque lac, mul­sum, defrutum, passum, vinum aut dulce aut vehemens aut mustum aut mag­nae vetustatis valentissimi generis est. ‹At› acetum et ‹id› vinum, quod pau­co­rum annorum vel austerum vel pingue est, in media materia est; ideoque infir­mis numquam generis alterius dari debet. Aqua omnium inbecillissima est; firmiorque ex frumento potio est, quo firmius est ipsum frumentum; fir­mior ex eo vino, quod bono solo quam quod tenui, quodque temperato caelo quam quod nimis aut umido aut nimis sicco nimiumque aut frigido aut calido natum est.  (12)  Mulsum, quo plus mellis habet, defrutum, quo magis incoctum est, passum, ex quo sicciore uva est, eo valentius est. Aqua levissima pluvialis est, deinde fontana, tum ex flumine, tum ex puteo, post haec ex nive aut glacie: gra­vior his ex lacu, gravissima ex palude. Facilis etiam et necessaria cognitio est naturam eius requirentibus. Nam levis pondere apparet, et ex is, quae pon­ dere pares sunt, eo melior quaeque est, quo celerius et calfit et frigescit, quo­que celerius in ea legumina percoquuntur.  (13)  Fere vero sequitur, ut, quo valen­tior quaeque materia est, eo minus facile concoquatur, sed, si concocta est, plus alat. Itaque utendum est materiae genere pro viribus, modusque omni­um pro genere sumendus. Ergo inbecillis hominibus rebus infirmissimis opus est: mediocriter firmos media materia optime sustinet, et robustis apta vali­dis­sima est. Plus deinde aliquis adsumere ex levioribus potest: magis in iis, quae valentissima sunt, temperare sibi debet.

2,18,9–2,18,13

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Kost, als was in trockenem Klima zur Welt gekommen ist.  (10)  Ferner hat alles fette Fleisch mehr Nährwert als das magere, alles frische Fleisch mehr als das ein­ge­salzene, alles frischgeschlach­tete mehr als das abgehangene. Sodann nährt Gedünstetes besser als Gebrate­nes, Gebratenes mehr als Gesottenes. Ein hartes Ei ist von höchst nahrhafter Stoff­lichkeit; ein weiches oder rohes von äußerst schwa­cher. Und obwohl das Brot stets eine sehr kräftige Nahrung ist, kann man doch gewisse Körner, wie etwa Dinkel, Reis und Gerstenschrot, und zwar in gewäs­sertem Zustand, oder auch den aus ihnen hergestellten Schleim oder Brei eben­so wie eingeweichtes Brot unter die schwächsten Nahrungsmittel rechnen. (11)  Von den Getränken aber gehört alles zu den stärksten, was man aus Getrei­de herstellen kann, sodann Milch, Honigwein, Süßmost, Trockenbeeren­ aus­­lese, Süßwein, schwerer Wein, noch gärender Most und sehr alter Wein. Doch Essig und jener Wein, der erst wenige Jahre alt ist, sei er trocken oder schwer, ist von durchschnittlicher Stofflichkeit, und daher soll man Kranken nie­­mals eine dieser beiden Arten geben. Wasser ist von allen das schwächste Getränk; Getränke aus Getreide sind umso kräftigere Nahrung, je kräftiger das Getreide selbst ist; beim Wein ist derjenige, der von einem guten Boden stammt, kräftiger als solcher von einem mageren Boden und solcher aus einem gemä­ßigten Klima kräftiger als solcher aus einem zu feuchten, zu trockenen, zu kalten oder zu heißen.  (12)  Honigwein ist umso kräftiger, je mehr Honig er enthält, Süßmost, je mehr er eingekocht wird, und Trockenbeerenauslese, je trockener die Trauben sind, aus denen sie gewonnen wird. Das leichteste Was­­ser ist das Regenwasser, dann Quellwasser, dann Flusswasser, dann Grund­ wasser, dann Schnee- oder Eiswasser. Schwerer als dies ist Wasser aus einem See und am schwersten Wasser aus einem Sumpf. Will man die Beschaf­fen­heit des Wassers feststellen, so gibt es eine einfache und auch prak­ti­sche Art, es zu unter­suchen. Denn leichtes Wasser wiegt auch leicht, und von Proben gleichen Gewichts sind solche besser, die sich rascher erhitzen und abkühlen lassen und in denen sich Hülsenfrüchte schneller weichkochen las­sen.  (13)  Gewöhnlich liegt aber der Schluss nahe, dass ein Lebensmittel umso weniger leicht ver­ daulich ist, je kräftiger es ist, dafür aber mehr nährt, wenn es einmal verdaut ist. So muss man nun verschiedene Kategorien von Lebens­mitteln entsprechend den Körperkräften anwenden und eine der Kategorie ent­sprechende Menge davon zu sich nehmen. Kränkliche Menschen bedürfen also sehr schwacher Nahrung. Mittelmäßig Gesunde nährt am besten ein Lebens­mittel aus der mittleren Kategorie, und für Gesunde ist sehr kräftige Nah­rung angemessen. Ferner kann man von den leichteren Speisen mehr zu sich nehmen, soll sich aber bei den sehr kräftigen zurückhalten.

134

Liber secundus

Caput XIX Quae natura ac proprietas cuiusque rei sit, qua vescimur (1)  Neque haec sola discrimina sunt; sed etiam aliae res boni suci sunt, aliae mali, quas εὐχύλους vel κακοχύλους Graeci vocant; aliae lenes, aliae acres; ali­ae crassiorem pituitam in nobis faciunt, aliae tenuiorem; aliae idoneae sto­ ma­cho, aliae alienae sunt; itemque aliae inflant, aliae ab hoc absunt; aliae cal­ faciunt, aliae refrigerant;  (2)  aliae facile in stomacho acescunt, aliae ‹non› faci­le intus corrumpuntur; aliae movent alvum, aliae supprimunt; aliae citant uri­nam, aliae tardant; quaedam somnum movent, quaedam sensum excitant. Quae omnia ideo noscenda sunt, quoniam aliud alii vel corpori vel valetudini con­venit. Caput XX De iis, quae boni suci sunt (1)  Boni suci sunt triticum, siligo, halica, oryza, amulum, tragum, tisana, lac, caseus mollis, omnis venatio, omnes aves, quae ex media materia sunt, ex mai­ oribus quoque eae, quas supra nominavi; medii inter teneros durosque pis­­ces, ut mullus, ut lupus; verna lactuca, urtica, malva, [cucumis,] cucurbita, ‹ovum sor­bile,› portulaca, cocleae, palmulae;  (2)  ex pomis quodcumque neque acer­­ bum neque acidum est; vinum dulce vel lene, passum, defrutum; oleae, quae ex his duobus in altero utro servatae sunt; vulvae, rostra, trunculique suum, omnis pinguis caro, omnis glutinosa, omne iecur. Caput XXI De iis, quae mali suci sunt Mali vero suci sunt milium, panicium, hordeum, legumina; caro domestica per­macra omnisque caro salsa, omne salsamentum, garum, vetus caseus; siser, radi­cula, rapa, napi, bulbi; brassica magisque etiam cyma eius, asparagus, beta, cucumis, porrus, eruca, nasturcium, thymum, nepeta, satureia, hysopum, ruta, anethum, feniculum, cuminum, anesum, lapatium, sinapi, alium, cepe; lie­nes, renes, intestina; pomum quodcumque acidum vel acerbum est; acetum, omnia acria, acida, acerba, oleum; pisces quoque saxatiles, omnesque, qui ex tener­rimo genere sunt, aut qui rursus nimium duri vir‹o›sique sunt, ut fere quos stagna, lacus limosique rivi ferunt, quique in nimiam magnitudinem exces­serunt.

2,19,1–2,21

135

19. Kapitel Das Wesen und die Eigenschaften unserer Nahrungsmittel (1)  Auch sind dies nicht die einzigen Unterschiede. Vielmehr haben manche Din­ge guten Saft, andere schlechten – die Griechen nennen dies euchylos und kakochylos. Manche sind schal, andere scharf; einige verdicken den Schleim in uns, andere verdünnen ihn; manche fügen sich dem Magen gut, andere sind ihm unverträglich; sodann blähen manche, und andere tun dies nicht; man­­che erwärmen, und andere kühlen ab;  (2)  manche versäuern leicht im Magen, andere lassen sich nicht leicht im Körper zersetzen; manche fördern den Stuhlgang, andere hemmen ihn; manche führen zu Harndrang, andere ver­ zögern ihn; einige machen schläfrig, einige schärfen die Sinne. All dies muss man nun kennen, weil Verschiedenes davon je nach Körperbau und Ver­fassung zuträglich ist. 20. Kapitel Lebensmittel mit gutem Saft (1)  Lebensmittel mit gutem Saft sind Weizen, Siligo-Weizen, Dinkel, Reis, Grieß, Gerstenschrot, Milch, Weichkäse, alle Arten von Wildbret, alles Geflü­­ gel von durchschnittlicher Stofflichkeit und von größerem Geflügel das Obge­ nannte, die Fische halbwegs zwischen mürbe und hart, wie die Meerbar­be und der Wolfsbarsch, dann Wintersalat, Brennnesseln, Malve, Kürbis, rohe Eier, Por­tulak, Schnecken, Datteln;  (2)  auch alles Obst, das weder herb noch sauer ist, süßer oder lieblicher Wein, Trockenbeerenauslese, Süßmost, Oliven, wenn sie in einem der beiden erwähnten Dinge eingelegt sind, dann vom Schwein die Gebärmutter, der Rüssel und die Füße, jedes fette und gallertige Fleisch und jede Art von Leber. 21. Kapitel Lebensmittel mit schlechtem Saft Lebensmittel mit schlechtem Saft sind Rispen- und Kolbenhirse, Gerste, Hül­ sen­früchte, sehr mageres Fleisch von zahmen Tieren, jedwedes eingesalzene Fleisch, jedweder eingesalzene Fisch, Fischsauce, reifer Käse, Feldsalat, Ret­ tich, Rüben, Kohlrüben, Knollengewächse, Kohl und besonders dessen Keim­ lin­ge, Spargel, rote Rübe, Gurke, Porree, Senfrauke, Kresse, Thymian, Minze, Boh­nen­kraut, Ysop, Weinraute, Anis, Fenchel, Kümmel, Dill, Ampfer, Senf, Knob­­lauch, Zwiebel; Milzen, Nieren, Innereien; jegliches saure oder herbe Obst; Essig, alles Bittere, Saure und Herbe, Öl; auch Lippfische und alle Fische von sehr mürber Beschaffenheit oder im Gegenteil solche, die zu hart und gehalt­reich sind, wie in der Regel jene, die aus stehenden Gewässern, Seen und leh­mi­gen Flüssen stammen und die allzu groß geworden sind.

136

Liber secundus

Caput XXII Quae res lenes quaeve acres sint (1)  Lenes autem sunt sorbitio, pulticula, laganus, amulum, tisana, pinguis caro et quaecumque glutinosa est; quod fere quidem in omni domestica fit, prae­ cipue tamen in ungulis trunculisque suum, in pe‹t›iolis capitulisque hae­dorum et vitulorum et agnorum, omnibusque cerebellis; item qui proprie bulbi nomi­ nantur, lac, defrutum, passum, nuclei pinei.  (2)  Acria sunt omnia nimis aus­te­ra, omnia acida, omnia salsa, et mel quidem, quo melius est, eo magis. Item alium, cepa, eruca, ruta, nasturcium, cucumis, beta, brassica, asparagus, sina­pi, radi­ cu­la, intubus, ocimum, lactuca, maximaque holerum pars. Caput XXIII De iis, quae crassiorem quaeve tenuiorem pituitam faciunt Crassiorem autem pituitam faciunt ova sorbilia, halica, oryza, amu­lum, tisa­ na, lac, bulbi, omniaque fere glutinosa. Extenuant eandem omnia sal­sa, atque acria atque acida. Caput XXIV De iis, quae stomacho idonea sunt (1)  Stomacho autem aptissima sunt, quaecumque austera sunt; etiam quae aci­­da sunt, quaeque contacta sale modice sunt; item panis sine fermento, et elo­­ta halica, vel oriza vel tisana; omnis avis, omnis venatio; atque utraque vel assa vel elixa: ex domesticis animalibus bubula:  (2)  si quid ex ceteris sumi­tur, macrum potius quam pingue; ex sue ungulae, rostra, aures, volvae ste­ri­les­que; ex holeribus intubus, lactuca, pastinaca, cucurbita elixa, siser; ex pomis cera­ sium, morum, sorbum, pirum fragile, quale Crustuminum vel Mae­via­num est; item pira, quae reponuntur, Tarentina atque Signina, malum orbi­culatum aut Scandianum vel Amerinum vel Cotoneum vel Punicum, uvae ex olla;  (3)   mol­le ovum, palmulae, nuclei pinei, oleae albae ex dura muria, eae­dem aceto intinc­ tae, vel nigrae, quae in arbore bene permaturuerunt, vel quae in passo defru­to­ve servatae sunt; vinum austerum, licet etiam asperum sit, item resina­tum; duri ex media materia pisces, ostrea, pectines, murices, pur­­pu­rae, cocleae, cibi potio­ nesque vel frigidae vel ferventes, apsinthium.

2,22,1–2,24,3

137

22. Kapitel Schale und scharfe Lebensmittel (1)  Schale Lebensmittel sind diese: klare Suppe, Brei, Krapfen, Grieß, Gers­­ ten­­schrot, fettes Fleisch und alles Gallertige; in der Regel alles, was vom Haus­ tier kommt, vor allem aber die Stelzen und die Füße vom Schwein, die Füße und der Schädel vom Kitz, Kalb und Lamm, überhaupt Hirn, alle eigent­lichen Knol­len­gewächse, Milch, Süßmost, Trockenbeerenauslese und Pinien­ker­ ne.  (2)  Scharfe Lebensmittel sind diese: alles stark Herbe, alles Saure, alles Sal­­zi­ge, auch Honig, und zwar je besser die Qualität, desto eher ist er scharf. Fer­­ner Knoblauch, Zwiebel, Senfrauke, Weinraute, Kresse, Gurke, rote Rübe, Kohl, Spargel, Senf, Rettich, Endivie, Basilikum, Lattich, überhaupt fast alle Gemü­­se­­arten. 23. Kapitel Dinge, die den Schleim verdicken oder verdünnen Den Schleim verdicken rohe Eier, Dinkel, Reis, Grieß, Gerstenschrot, Milch, Knol­­lengewächse, generell alles Gallertige. Es verdünnen ihn aber alle salzigen, scharfen und sauren Lebensmittel. 24. Kapitel Dinge, die sich dem Magen gut fügen (1)  Am besten fügt sich dem Magen aber, was herb ist, ja sogar, was sauer ist, was leicht gesalzen ist; ferner ungesäuertes Brot, dann Dinkel, Reis oder Gers­­ten­schrot, und zwar in gewässertem Zustand; alles Geflügel, alles Wildbret, und zwar beiderlei entweder gebraten oder gesotten; und von zahmem Vieh das Rind.  (2)  Wenn man anderes Fleisch zu sich nimmt, dann soll es eher mage­­res als fettes sein; vom Schwein die Füße, der Rüssel, die Ohren und die Gebär­­mutter von der Jungsau; von den Gemüsen Endivie, Lattich, Pastinak, gekoch­­ter Kürbis, Feldsalat; vom Obst Kirschen, Maulbeeren, Vogelbeeren, But­­­ter­bir­nen, etwa jene aus Crustumeria oder die mävianische; ferner Birnen, die sich lagern lassen, etwa die aus Tarent oder Signia, runde Äpfel oder jene von Scandianum, oder aber jene von Ameria, Quitten oder Granatäpfel, ein­ ge­leg­­te Weintrauben;   (3)  weiche Eier, Datteln, Pinienkerne, weiße Oliven in star­ker Salzlake, diese auch in Essig eingelegt, oder aber schwarze, am Baum aus­ge­reift und entweder in Trockenbeerenauslese oder in Süßmost kon­ser­viert; tro­ckener Wein, auch wenn er herb ist, sodann geharzter Wein, fes­te Fische von durch­schnittlicher Stofflichkeit,5 Austern, Kammmuscheln, Sta­chel­schne­cken, Pur­pur­schnecken, Weinbergschnecken, eiskalte oder kochend hei­ße Speisen und Getränke, Wermut. 5

2,18,3.

138

Liber secundus

Caput XXV Quae res alienae stomacho sint (1)  Aliena vero stomacho sunt omnia tepida, omnia salsa, omnia iurulenta, omnia praedulcia, omnia pinguia, sorbitio, panis fermentatus, itemque vel ex milio vel ex hordeo, radices holerum, et quodcumque holus ex oleo garove estur, mel, mulsum, defrutum, passum, lac, omnis caseus, uva recens, ficus et viri­des et aridae, legumina omnia, quaeque inflare consuerunt;  (2)  item thy­ mum, nepeta, satureia, hysopum, nasturcium, lapatium, lapsanum, iuglandes. Ex his autem intellegi potest non, quicquid boni suci est, protinus stomacho con­venire, neque, ‹quic›quid stomacho convenit, protinus boni suci esse. Caput XXVI De iis, quae inflant (1)  Inflant autem omnia fere legumina, omnia pinguia, omnia dulcia, omnia iurulenta, mustum, atque etiam id vinum, cui nihil adhuc aetatis acces­sit; ex holeribus alium, cepa, brassica, omnesque radices, excepto sisere et pas­ti­ naca;  (2)  bulbi, ficus etiam aridae sed magis virides, uvae recentes, nuces omnes, exceptis nucleis pineis, lac, omnisque caseus; quicquid deinde subcru­ dum aliquis adsumpsit. Minima inflatio fit ex venatione, aucupio, piscibus, pomis, oleis, conchyliisve, ovis vel mollibus vel sorbilibus, vino vetere. Feni­ cu­lum vero et anethum, inflationes etiam levant. Caput XXVII De iis, quae calefaciunt aut refrigerant At calfaciunt piper, sal, caro omnis iurulenta, alium, cepa, ficus aridae, salsa­ mentum, vinum, et quo meracius est, eo magis. Refrigerant holera, quorum cru­di caules adsumuntur, ut intubus et lactuca, et item coriandrum, cucumis, eli­xa cucurbita, beta, mora, cerasia, mala austera, pira fragilia, caro elixa, prae­ ci­pueque acetum, sive cibus ex eo sive potio adsumitur. Caput XXVIII De iis, quae intus facile corrumpuntur (1)  Facile autem intus corrumpuntur panis fermentatus, et quisquis alius quam ex tritico est, lac, mel; ideoque etiam lactentia atque omne pistorium opus, teneri pisces, ostrea, holera, caseus et recens et vetus, crassa vel tenera

2,25,1–2,28,1

139

25. Kapitel Dinge, die dem Magen unverträglich sind (1)  Dem Magen ist aber Folgendes unverträglich: alles Lauwarme, alles Gesal­­ze­ne, alles Gedünstete, alles zu Süße, alles Fette, dann klare Suppe, Sau­ er­teig­brot und Brot aus Hirse oder Gerste, Wurzelgemüse und überhaupt Gemü­ se, das man mit Öl oder Fischsauce isst, Honig, Honigwein, Süßmost, Milch, jed­weder Käse, junge Trauben, Feigen, sowohl grün als auch gedörrt, sämt­liche Hül­senfrüchte und alles, was für gewöhnlich bläht;  (2)   sodann Thy­mian, Minze, Boh­nen­kraut, Ysop, Kresse, Ampfer, Ackersenf, Walnüsse. Hier­aus erkennt man, dass nicht alles, was guten Saft hat, dem Magen zuträglich ist, und dass nicht alles, was dem Magen zuträglich ist, auch von vornherein guten Saft hat. 26. Kapitel Dinge, die Blähungen hervorrufen (1)  Blähungen aber werden in der Regel von allen Hülsenfrüchten hervorge­ ru­fen, von jedwedem Fetten, jedwedem Süßen, jedwedem Gedünsteten, vom Süß­most und auch von solchem Wein, der nicht lang gelagert ist; unter den Gemü­­sen vom Knoblauch, der Zwiebel, dem Kohl und von allen Wurzelgemü­ sen mit Ausnahme von Feldsalat und Pastinaken;  (2)  von Knollengewächsen, Fei­­­gen – auch trockenen, aber besonders den frischen –, von jungen Trauben, von allen Nüssen mit Ausnahme von Pinienkernen, Milch, von jeder Art von Käse, schlussendlich von allem, was halb roh verzehrt wird. Am wenigsten blä­ hen Wildbret, Wildgeflügel, Fisch, Obst, Oliven, Schalentiere, weiche oder rohe Eier und alter Wein. Fenchel und vor allem Anis beheben die Blähungen. 27. Kapitel Dinge, die erwärmen oder abkühlen Es erwärmen aber folgende Dinge: Pfeffer, Salz, jedwedes gedünstete Fleisch, Knoblauch, Zwiebel, gedörrte Feigen, eingesalzener Fisch sowie Wein, und je stärker er ist, desto mehr. Folgendes kühlt ab: Gemüse, wenn man die Strün­ke roh isst, wie etwa Endivie und Lattich, sodann Koriander, Gur­ken, gekoch­ter Kürbis, rote Rüben, Maulbeeren, Kirschen, herbe Äpfel, But­ter­bir­ nen, gesottenes Fleisch und ganz besonders Essig, sowohl in einem Gericht ver­kocht oder als Getränk genossen. 28. Kapitel Dinge, die sich im Körper leicht zersetzen lassen (1)  Im Körper lassen sich diese Dinge leicht zersetzen: Sauerteigbrot und jedes andere Brot, das nicht aus Weizen gemacht ist, Milch, Honig; daher auch sämt­liche Milchprodukte und Bäckereien, mürbe Fische, Austern, Gemüse, jun­­ger und gereifter Käse, fettes oder mürbes Fleisch, Süßwein, Honigwein,

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Liber secundus

caro, vinum dulce, mulsum, defrutum, passum; quicquid deinde vel iurulentum est vel nimis dulce vel nimis tenue.  (2)  At minime intus vitiantur panis sine fer­­­men­to, aves et eae potius duriores, duri pisces: neque solum aurata tuta aut spa­­rus sed etiam lolligo, lucusta, polypus; item bubula omnisque dura caro; eadem­­que aptior est, si macra, si salsa est; omniaque salsamenta, cocleae, muri­ ces, purpurae; vinum austerum vel resinatum. Caput XXIX De iis, quae alvum movent (1)  At alvum movent panis fermentatus, magisque si cibarius vel hordiacius est, brassica, si subcruda est, lactuca, anethum, nasturcium, ocimum, urtica, por­ tulaca, radicula, capparis, alium, cepa, malva, lapatium, beta, asparagus, cucur­ bita, cerasia, mora, uva ‹ex olla›, omnia mitia, ficus etiam arida, sed magis viridis, uvae recentes;  (2)  pingues minutae aves, cocleae, garum, salsa­mentum, ostrea, pelorides, echini, musculi, et omnes fere conchulae, maxi­meque ius earum, saxatiles et omnes teneri pisces, sepiarum atramentum; si qua caro adsumitur, pinguis, eadem vel iurulenta vel elixa, aves quae natant, mel crudum, lac, lact‹e›ntia omnia, mulsum, vinum dulce vel salsum, aqua tene­ra; omnia dulcia, tepida, pinguia, elixa, iurulenta, salsa vel diluta. Caput XXX De iis, quae alvum adstringunt (1)  Contra astringunt panis ex siligine vel ex simila, magis si sine fermento est, magis etiam si ustus est, intenditurque vis eius etiam, si bis coquitur, pul­ ti­cula vel ex halica vel ex panicio vel ex milio, itemque ex isdem sorbitio, et magis si haec ante fricta sunt; lenticula, cui vel beta vel intubus vel ambu­beia vel plantago adiecta est, magisque etiam si illa ante fricta est, per se etiam intubus vel ex plantagine vel ambubeia f‹ri›cta, minuta holera, brassica bis decocta;  (2)  dura ova, magisque si assa sunt; minutae aves, merula, palum­bus, magisque in posca si decoctus est, grues, omnes aves, quae magis cur­runt quam volant; lepus, caprea, iecur ex eis, quae sebum habent, maxime­que bubulum, ac sebum ipsum; caseus, qui vehementior vetustate fit vel ea mutatione, quam in eo trans­marino videmus, aut si recens est, ex melle mul­­­sove decoctus;  (3)  item mel coc­­tum, pira inmatura, sorba, magisque ea, quae torminalia nominantur,

2,28,1–2,30,3

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Süß­­most, Trockenbeerenauslese und außerdem alles Gedünstete, alles sehr Süße und alles stark Verdünnte.  (2)  Am wenigsten aber lässt sich Folgendes im Körper zersetzen: ungesäuertes Brot, Geflügel – und da besonders, wenn es hart ist –, harte Fische, ganz sicher die Goldbrasse und die Meerbrasse, aber auch der Kalmar, die Languste und der Krake; ferner Rindfleisch und jed­we­des harte Fleisch – Fleisch ist überhaupt zuträglicher, wenn es mager oder eingesalzen ist –, sowie jedweder Salzfisch, Weinbergschnecken, Stachel­schnecken, Pur­ purschne­cken und trockener oder geharzter Wein. 29. Kapitel Dinge, die den Stuhlgang fördern (1)  Den Stuhlgang fördern Sauerteigbrot, besonders Schwarzbrot und Gers­ ten­brot, Kohl, wenn er halb roh ist, Lattich, Anis, Kresse, Basilikum, Brennnes­ seln, Portulak, Rettich, Kapern, Knoblauch, Zwiebeln, Eibisch, Ampfer, rote Rüben, Spargel, Kürbis, Kirschen, Maulbeeren, eingelegte Trauben, jeg­li­ches rei­fe Obst, auch gedörrte Feigen, aber noch mehr frische, junge Weintrau­ ben,  (2)  Fette Kleingeflügel, Schnecken, Fischsauce, Salzfische, Austern, Rie­­ sen­­­mu­scheln, Seeigel, Miesmuscheln und fast alle Schalentiere, besonders aber Suppe daraus, Lippfische und überhaupt alle mürben Fische, die Tinte des Tin­ten­fischs; wenn Fleisch, dann fettes, und zwar gedünstet oder gesotten, Schwimm­vögel, roher Honig, Milch und alle Milchprodukte, Honigwein, Süß­ wein oder gesalzener Wein, weiches Wasser; alles Süße, Lauwarme, Fettes, Gesot­tene, Gedünstete, Gesalzene und Verdünnte. 30. Kapitel Dinge, die den Stuhlgang hemmen (1)  Dagegen hemmen folgende Dinge den Stuhlgang: Brot aus Siligo- oder Simila-Weizen, besonders, wenn es ungesäuert, und noch mehr, wenn es gerös­ tet ist – und diese Eigenschaft ist im Zwieback in noch mehr verstärktem Maß vor­handen –, dann Brei aus Dinkel oder Kolben- oder Rispenhirse, auch aus diesen hergestellter Schleim, besonders, wenn man sie zuvor zerrieben hat; Linsengemüse, dem man entweder rote Rüben, Endivie, Zichorie oder Wege­ rich hinzugefügt hat, besonders, wen man sie zuvor zerrieben hat, dann klei­ ne Gemüsesorten, aufgewärmter Kohl,  (2)  harte Eier, besonders in der Asche gebraten, kleine Vögel, die Amsel, die Ringeltaube, besonders in der Bei­ze gegart, dann der Kranich, alle Vögel, die mehr laufen als fliegen, der Hase, das Reh, die Leber von Tieren, die Talg geben, vor allem das Rind, sowie der Talg selbst; Käse, der entweder aufgrund seines Alters oder wegen jener Ver­ände­ run­gen, die wir bei importiertem Käse wahrnehmen, einen Hautgout hat, oder fri­scher Käse, der in Honig oder Honigwein gekocht worden ist,  (3)  sodann gekoch­ter Honig, unreife Birnen, Vogelbeeren, besonders die so genannten

142

Liber secundus

mala Coto­nea et Punica, oleae vel albae vel per­maturae, murta, palmulae, pur­ pu­rae, muri­ces, vinum resinatum vel aspe­rum, item meracum, acetum, mulsum quod infer­vuit, item defrutum, passum, aqua vel tepida vel praefrigida, dura, id est ea, quae tarde put‹r›escit, ideoque plu­via potissimum; omnia dura, macra, austera, aspera, tosta, ‹et in eadem› car­ne assa potius quam elixa. Caput XXXI De iis, quae urinam movent Urinam autem movent quaecumque in horto nascentia boni odoris sunt, ut apium, ruta, anethum, ocimum, menta, hysopum, anesum, coriandrum, nas­tur­ cium, eruca, feniculum; praeter haec asparagus, capparis, nepeta, thymum, satu­ reia, lapsanum, pastinaca, magisque agrestis, radicula, siser, cepa; ex vena­­­tione maxime lepus; vinum tenue, piper et rotundum et longum, sinapi, absin­­­thium, nuclei pinei. Caput XXXII De iis, quae ad somnum apta sunt Somno vero aptum est papaver, lactuca, maximeque aestiva, cuius coliculus iam lacte repletus est, morum, porrus. Sensus excitat nepeta, thymum, satu­reia, hysopum, praecipueque puleium, ruta et cepe. Caput XXXIII De iis, quae materiam evocant (1)  Evocare vero materiam multa admodum possunt, sed ea cum ex pere­ grinis medicamentis maxime constent, aliisque magis, quam quibus ratione vic­ tus succurritur, opitulentur, in praesentia differam: ponam vero ea, quae promp­ ta et is morbis, de quibus protinus dicturus sum, apta corpus erodunt, et sic eo quod mali est extrahunt. Habent autem hanc facultatem semen erucae, nas­tur­cii, radi­culae, praecipue tamen omnium sinapi. Salis quoque et fici eadem vis est. (2)  Leniter vero simul et reprimunt et molliunt lana sucida quo cum aceto vel vino oleum adiectum est, contritae palmulae, furfures in salsa aqua vel ace­to decoc­tae.

2,30,3–2,33,2

143

Ruhr­birnen, Quitten, Granatäpfel, Oliven, und zwar sowohl wei­ße als auch aus­ ge­reifte, dann die Myrtenbeere, Datteln, Purpurschnecken, Stachelschne­cken, geharz­ter oder herber Wein, sodann unverdünnter Wein, Essig, abge­­koch­ter Honig­wein, sodann Süßmost, Trockenbeerenauslese, lauwarmes oder eis­kaltes Was­ser, und zwar hartes – das heißt solches, das nicht rasch faulig wird, darum am besten Regenwasser –; alles, was hart, mager, herb, scharf und trocken ist, und das Fleisch besser gebraten als gesotten, wenn es sich um das­selbe Stück han­delt. 31. Kapitel Dinge, die den Harndrang fördern Alle aromatischen Gartenkräuter führen zu Harndrang, wie etwa Sellerie, Rau­­te, Anis, Basilikum, Pfefferminze, Ysop, Dill, Koriander, Kresse, Senfrau­ke, Fen­chel; ferner Spargel, Kapern, Katzenminze, Thymian, Bohnenkraut, Acker­ senf, Pastinaken, vor allem wild wachsende, dann Rettich, Feldsalat, Zwie­bel, Knoblauch; vom Wildbret vor allem der Hase, dann leichter Wein, Pfef­fer, sowohl der runde als auch der längliche, Senf, Wermut und Pinienkerne. 32. Kapitel Dinge, die dem Schlaf förderlich sind Dem Schlaf förderlich sind Mohn, Lattich, besonders Sommerlattich, wenn sein Stängel schon im Milchsaft steht, Maulbeeren und Porree. Minze, Thy­ mian, Bohnenkraut, Ysop und vor allen Dingen Flohkraut, Raute und Zwie­beln machen munter. 33. Kapitel Dinge, die den Krankheitsstoff abziehen (1)  Gewiss vermögen viele Dinge den Krankheitsstoff abzuziehen, aber weil sie zum Gutteil aus fremdländischen Heilmitteln zusammengesetzt sind und eher bei anderen Krankheitsbildern helfen als bei jenen, die durch Diät­ vor­schriften behandelt werden, will ich sie hier bis auf Weiteres übergehen. Viel­­mehr will ich solche Dinge erörtern, die unmittelbar vorhanden sind und die, den Krankheiten entsprechend, von denen ich in Kürze sprechen will, den Kör­­per abbauen und ihm so alles zur Krankheit Gehörige entziehen. Diese Eigen­­schaft besitzen die Samenkörner der Senfrauke, der Kresse und des Ret­ tichs, vor allem aber jene des Senfs. Auch das Salz und die Feige haben diese Kraft. (2)  Folgendes bietet der Krankheit auf schonende Weise Einhalt und löst den Kör­per: Rohwolle unter Beifügung von Essig oder Wein sowie Öl, zerstoßene Dat­­teln und in Salzwasser oder Essig gesottene Kleie.

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Liber secundus

At simul et reprimunt et refrigerant herba muralis (παρθένιον vel περδί­ κιον appellant), serpullum, puleium, ocimum, herba sanguinalis, quam Grae­ci πολύγονον vocant, portulaca, papaveris folium, capriolique vitium, corian­drum, folia hyoscyamu, muscus, siser, apium, solanum (quam strychnon [στρύχ­νον] Graeci vocant), brassicae folia, intubus, plantago, feniculi semen;  (3)  contrita pira vel mala, praecipueque Cotonea, lenticula; aqua fri­g ida, maximeque pluvialis, vinum, acetum, et horum aliquo madens vel panis vel farina vel spongia vel cinis vel lana sucida vel etiam linteolum; creta Cimo­lia, gypsum; melinum, murteum, rosa, acerbum oleum; verbenarum contusa cum teneris colibus folia;  (4)  cuius generis sunt olea, cupressus, myrtus, len­tiscus, tamarix, ligus­trum, rosa, rubus, laurus, hedera, Punicum malum. Sine frigore autem reprimunt cocta mala Cotonea, malicorium, aqua calda, in qua verbenae coctae sunt, quas supra posui, pulvis vel ex faece vini vel ex mur­ti foliis, amarae nuces. (5)  Calfacit vero ex qualibet farina cataplasma sive ex tritici sive farris sive hordei sive ervi sive lolii sive milii vel panicii vel lenticulae vel fabae vel lupini ‹vel lini› vel feni Graeci, ubi ea defer‹v›uit calidaque inposita est. Valentior tamen ad id omnis farina est ex mulso quam ex aqua cocta. Prae­terea cyprinum, irinum, medulla, adeps ex fele, oleum, magisque si vetus est, iunc­taque oleo sal, nitrum, git, piper, quinquefolium. (6)  Fereque quae vehementer reprimunt et refrigerant, durant: quae calfa­ ciunt, digerunt et emolliunt, praecipueque ad emolliendum potest cataplasma ex lini vel feni Graeci semine. His autem omnibus, et simplicibus et permixtis, varie medici utuntur, ut magis quid quisque persuaserit sibi appareat, quam quid evidenter compererit.

2,33,2–2,33,6

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Gleichermaßen bietet Folgendes der Krankheit Einhalt und kühlt den Kör­ per: der Bertram (die Griechen nennen ihn Parthenion oder Perdikion), der Quen­­del, das Flohkraut, das Basilikum, der Knöterich, den die Griechen Poly­ go­non nennen, der Portulak, die Blätter des Mohns, die Sprossranken der Wein­­rebe, der Koriander, die Blätter des Bilsenkrautes, das Moos, der Feld­ sa­lat, der Sellerie, der Nachtschatten (den die Griechen Strychnon nennen), die Blätter des Kohls, die Endivie, der Wegerich, die Samenkörner des Fen­ chels,  (3)  zerstoßene Birnen oder Äpfel, besonders Quitten, Linsen, kaltes Was­ ser, vor allem Regenwasser, Wein und Essig und alles darin Eingeweichte, wie Brot, Mehl, Schwämme, Asche, Rohwolle oder auch Leinwandfetzen, Kalk von der Insel Kimolos, Gips, Quitten-, Myrten- oder Rosenöl, scharfes Oli­ven­öl, zerstoßene Blätter und zarte Triebe von Verbenen –  (4)  zu dieser Gat­tung zäh­ len der Ölbaum, die Zypresse, die Myrte, der Mastixbaum, die Tama­riske, der Liguster, die Rose, die Brombeere, der Lorbeerbaum, der Efeu und der Gra­ natapfel. Folgendes bietet der Krankheit Einhalt, ohne den Körper abzukühlen: gekoch­te Quitten, Quittenschalen, heißes Wasser, in dem die oben genannten Ver­benen aufgekocht worden sind, pulverisierte Weinhefe oder Myrtenblätter sowie bittere Nüsse. (5)  Wärme verschaffen dagegen Umschläge aus jeder Art von Schrot, sei es aus Weizen, Dinkel, Gerste, Wicken, Lolch, Rispen- oder Kolbenhirse, Lin­sen, Bohnen, Lupinen, Leinsamen oder Bockshornklee, vorausgesetzt, er wird auf­ gekocht und noch heiß angewendet. In Honigwein aufgekochte Schro­tum­schlä­ ge sind hierbei aber viel wirksamer als in Wasser aufgekochte. Fer­ner gibt es Zypres­senumschläge, Schwertlilienumschläge, solche aus Knochen­mark, solche aus Katzenfett und solche aus Olivenöl, vor allem aus altem, und zwar unter Hin­zufügung von Salz, Soda, Schwarzkümmel, Pfeffer und Fin­ger­kraut. (6)  In der Regel verhärtet alles, was der Krankheit energisch Einhalt gebietet und dabei Kühlung verschafft, den Körper. Was Wärme verschafft, bringt auch Auflösung und erweicht den Körper – und vor allen Dingen erweicht ein Umschlag aus Leinsamen oder Bockshornkleesamen den Körper. Die Ärzte gebrau­­chen all dies in verschiedenster Weise, sowohl jedes für sich als auch in Ver­­bin­dung mit anderen, sodass sich jeder nach seinen eigenen Vorurteilen zu rich­­ten scheint und nicht nach Erfahrungswerten.

LIBER III Caput I De morborum generibus (1)  Provisis omnibus, quae pertinent ad universa genera morborum, ad sin­ gu­­lorum curationes veniam. Hos autem in duas species Graeci diviserunt, alios­ que ex his acutos, alios longos esse dixerunt. Ide‹m›que quoniam non sem­­per eodem modo respondebant, eosdem alii inter acutos, alii inter longos ret­­tu­­le­ runt; ex quo plura eorum genera esse manifestum est.  (2)  Quidam enim bre­ ves utique sunt, qui cito vel tollunt hominem, vel ipsi cito finiuntur; qui­dam longi, sub quibus neque sanitas in propinquo neque exitium est; tertium­que genus eorum est, qui modo acuti, modo longi sunt, idque non in febribus tan­ tummodo, in quibus frequentissimum est, sed in aliis quoque fit.  (3)  Atque etiam praeter hos quartum est, quod neque acutum dici potest, quia non per­emit, neque utique longum, quia, si occurritur, facile sanatur. Ego cum de sin­gu­lis dicam, cuius quisque generis sit indicabo. Dividam autem omnes in eos, qui in totis corporibus consistere videntur, et eos, qui oriuntur in partibus. Inci­piam a prioribus, pauca de omnibus praefatus. (4)  In nullo quidem morbo minus fortuna sibi vindicare quam ars potest: ut pote qu‹o›m repugnante natura nihil medicina proficiat. Magis tamen ignos­cen­ dum medico est parum proficienti in acutis morbis quam in longis: hic enim breve spatium est, intra quod, si auxilium non profuit, aeger extinguitur: ibi et deliberationi et mutationi remediorum tempus patet, adeo ut raro, si inter ini­tia medicus accessit, obsequens aeger sine illius vitio pereat.  (5)  Longus tamen

3. BUCH 1. Kapitel Die Krankheiten nach Kategorien (1)  Nachdem ich nun alles dargelegt habe, was mit Erkrankungen allgemeiner Natur zu tun hat, möchte ich zur Behandlung einzelner Krankheiten übergehen. Die Griechen haben diese in zwei Kategorien eingeteilt und die einen als akut, die anderen als chronisch bezeichnet. Weil die Krankheiten aber nicht immer in der gleichen Weise auf Behandlung ansprachen, haben manche als akut ein­ge­stuft, was für andere chronisch war. Daraus geht klar hervor, dass es mehr als nur zwei Kategorien gibt.  (2)  Denn einige Krankheiten sind von kur­­zer Dauer, sodass sie binnen kurzem entweder den Patienten töten oder aber ein­fach vorübergehen. Andere sind chronisch, und bei diesen sind weder Bes­ serung noch der Tod sehr bald zu erwarten. Eine dritte Kategorie umfasst jene Krankheiten, die manchmal von kurzer Dauer, manchmal chronisch sind. Dies kommt nicht nur bei Fiebererkrankungen vor – da freilich besonders häufig –, son­dern auch bei anderen Erkrankungen.  (3)  Daneben gibt es aber auch noch eine vierte Kategorie, die man nicht akut nennen kann, weil sie nicht tödlich ist, aber auch nicht chronisch, weil sie leicht zu heilen ist, wenn sie auftritt. Wenn ich die Krankheiten einzeln erörtere, werde ich auch anmerken, zu welcher Kategorie sie jeweils gehören. Ich will aber alle Krankheiten so einteilen, dass ich jene, die augenscheinlich im gesamten Körper ihren Sitz haben, von jenen unterscheide, die in einzelnen Körperteilen in Erscheinung treten. Ich will mit ersteren beginnen, aber zuvor ein paar Worte über Krankheiten im Allge­meinen verlieren. (4)  Bei jeder Erkrankung kann der Zufall von ebensolcher Bedeutung sein wie die ärztliche Kunst, weil nämlich medizinische Wissenschaft gegen den Wider­stand der Natur überhaupt nichts ausrichten kann. Man muss aber mit einem erfolglosen Arzt bei akuten Erkrankungen mehr Nachsicht haben als bei chronischen, denn im ersten Fall steht ihm ja nur ein knapper Zeitraum zur Verfügung, in welchem der Kranke verlöscht, wenn die Behandlung kei­ ne Heilung bringt, während er im zweiten Fall genügend Zeit hat, sich zu informieren und auf die eine Behandlungsweise eine andere folgen zu las­sen, sodass es nur selten vorkommt, dass ein willfähriger Patient, der von Beginn seiner Krankheit an einen Arzt um sich hatte, stirbt, ohne dass ein Kunst­fehler vorliegt.  (5)  Was aber die Schwierigkeit der Behandlung betrifft, so ist eine

148

Liber tertius

morbus cum penitus insedit, quod ad difficultatem pertinet, acuto par est. Et acutus quidem quo vetustior est, longus autem quo recentior, eo facilius cura­tur. Alterum illud ignorari non oportet, quod non omnibus aegris eadem auxi­ lia conveniunt. Ex quo incidit, ut alia atque alia summi auctores quasi sola vindicarint, prout cuique cesserat.  (6)  Oportet itaque, ubi aliquid non respon­det, non tanti putare auctorem quanti aegrum, et experiri aliud atque aliud, sic tamen ut in acutis morbis cito mutetur quod nihil prodest, in longis, quos tem­pus ut facit sic etiam solvit, non statim condemnetur, si quid non statim pro­fuit, minus vero removeatur, si quid paulum saltem iuvat, quia profectus tem­pore expletur. Caput II Quomodo morbi cognoscantur, et an increscant an minuantur, et qua ratio­ ne ab initio, qui languere incipit, curari debeat (1)  Protinus autem inter initia scire facile est, quis acutus morbus, quis lon­ gus sit, non in is solis, in quibus semper ita se habet, sed in is quoque, in qui­ bus variat. Nam ubi sine intermissionibus accessiones et dolores graves urgent, acutus est morbus: ubi lenti dolores lentaeve febres sunt et spatia inter accessio­ nes porrigunt, acceduntque ea signa, quae priore volumine exposita sunt, lon­ gum hunc futurum esse manifestum est.  (2)  Videndum etiam est, morbus an incres­cat, an consistat, an minuatur, quia quaedam remedia increscentibus mor­ bis, plura inclinatis conveniunt; eaque, quae decrescentibus apta sunt, ubi acu­ tus increscens urget, in remissionibus potius experienda sunt. Increscit autem morbus, dum graviores dolores accessionesque veniunt, eaeque et ante, quam proximae, revertuntur et postea desinunt.  (3)  Atque in longis quoque mor­bis etiam tales notas non habentibus scire licet increscere, si somnus incertus est, si dete­rior concoctio, si foediores deiectiones, si tardior sensus, si pigrior mens, si

3,1,5–3,2,3

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chro­­nische Erkrankung, wenn sie tief eingewurzelt ist, einer akuten gleichwer­ tig. Eine akute Krankheit ist umso leichter zu behandeln, je länger sie schon vor­­­liegt, eine chronische Erkrankung aber desto leichter, je rezenter sie ist. Noch etwas darf man nicht vergessen, nämlich, dass nicht jedes Heilmittel für jeden Patienten gleichermaßen gut geeignet ist. Daraus ergibt sich, dass die bedeutendsten Fachleute das eine oder andere Heilmittel beinahe als das allein gültige für sich beansprucht haben, so wie es eben für jeden von ihnen sei­ne Wirkung gezeigt hat.  (6)  Wenn ein Heilmittel nicht anschlägt, ist es bes­ ser, sich nicht so sehr nach einem Fachbuch zu richten als vielmehr nach dem Kranken, und ein neues Mittel nach dem anderen auszuprobieren, wobei aber im Fall einer akuten Erkrankung darauf zu achten ist, ein wirkungsloses Mit­tel schnell durch ein anderes zu ersetzen. Bei chronischen Erkrankungen, die mit der Zeit entstehen und auch wieder abklingen, darf man ein Mittel nicht gleich verwerfen, nur weil es nicht sofort wirkt, und noch viel weniger soll man etwas absetzen, das nur wenig hilft, da ein geduldiges Beharren ans Ziel gelangt. 2. Kapitel Die Diagnose von Krankheiten, ob Verschlechterung oder Besserung ein­ tritt, und auf welche Weise der Patient bei beginnender Mattigkeit von Anfang an behandelt werden muss (1)  Ob eine Krankheit akut oder chronisch ist, lässt sich gleich bei ihrem Aus­bruch feststellen, und zwar nicht nur bei Krankheiten, die stets gleichartig ver­laufen, sondern auch bei solchen, deren Verlauf verschiedenartig ist. Wenn nämlich schwere Anfälle und Schmerzen den Kranken pausenlos quä­len, ist die Krankheit akut. Wenn das Fieber und die Schmerzen nur leicht sind, zwischen den Anfällen beschwerdefreie Episoden auftreten und jene Anzei­ chen dazukommen, die ich im vorigen Buch beschrieben habe,1 so ist es klar, dass diese Erkrankung chronisch sein wird.  (2)  Es ist auch darauf zu achten, ob die Krankheit sich verschlechtert, gleichbleibt oder nachlässt, weil gewisse Heilmittel bei Verschlechterung, eine größere Zahl jedoch bei Abklin­gen der Krankheit wirken. Quält ein akutes Leiden den Patienten und ver­schlimmert es sich, so soll man Mittel, die sonst bei Besserung angemessen sind, eher dann versuchen, wenn das Fieber einmal nachlässt. Eine Krankheit ver­schlech­ tert sich aber, wenn heftigere Schmerzen und Anfälle auftreten und wenn sie rascher als die jeweils vorigen wiederkehren und nur langsamer wie­der nachlassen.  (3)  Aber auch bei chronischen Erkrankungen, bei denen sich diese Anzeichen nicht zeigen, lässt sich die Verschlechterung doch daran feststellen, dass der Patient unregelmäßig schläft, schlecht verdaut, übel riechenden Stuhl ausscheidet und nachlassende Sinnenkraft und trägen Geist hat, wenn ein Kälte1

2,5,2–3.

150

Liber tertius

pe­rcurrit corpus frigus aut calor, si id magis pallet. Ea vero, quae contraria his sunt, decedentis eius notae sunt. *** Praeter haec in acutis mor­bis serius aeger alen­dus est, nec nisi iam is inclinatis, ut primo dempta mate­ria impetum frangat, in longis maturius, ut sustinere spatium adfecturi mali possit.  (4)  Ac si quando is non in toto corpore sed in parte est, magis tamen ad rem pertinet vim totius cor­poris moliri quam proprie partis aegrae sani­tatem. Multum etiam interest, ab initio quis recte curatus sit an perperam, quia curatio minus is prodest, in quibus adsidue frustra fuit. Si qui temere habi­tus adhuc integris viribus vivit, admota curatione momento restituitur. (5)  Sed cum ab is coeperim, quae notas quasdam futurae adversae valetudinis exhi­bent, curationum quoque principium ab animadversione eiusdem temporis faciam. Igitur si quid ex is, quae proposita sunt, incidit, omnium optima sunt quies et abstinentia: si quid bibendum est, aqua, idque interdum uno die fieri satis est, interdum, si terrentia manent, biduo; proximeque abstinentiam sumen­ dus est cibus exiguus, bibenda aqua, postero die etiam vinum, deinde invi­cem alternis diebus modo aqua modo vinum, donec omnis [causae] metus finia­ tur.  (6)  Per haec enim saepe instans gravis morbus discutitur. Plurimique fal­ lun­tur, dum se primo die protinus sublaturos languorem aut exercitatione aut bal­neo aut coacta deiectione aut vomitu aut sudationibus aut vino sperant; non quo non interdum incidat aut non dec‹e›per‹i›t sed quo saepius fallat, solaque absti­nentia sine ullo periculo medeatur: cum praesertim etiam pro modo ter­ro­ris moderari liceat, et, si leviora indicia fuerunt, satis sit a vino tantum absti­nere, quod subtractum plus, quam si cibo quid dematur, adiuvat;  (7)  si pau­lo graviora, facile sit non aquam tantum bibere sed etiam cibo carnem sub­tra­here, interdum panis quoque minus quam pro consuetudine adsumere, umi­doque cibo esse contentos et holere potissimum, satisque sit tum ex toto a cibo, a vino, ab omni motu corporis abstinere, cum vehementes notae ter­ruerunt. Neque dubium est, quin vix quisquam, qui non dissimulavit sed per haec mature morbo occurrit, aegrotet.

3,2,3–3,2,7

151

oder Hitzegefühl den Körper durchläuft oder dieser blas­ser wird. Gegenteilige Anzeichen jedoch weisen auf ein Nachlassen der Krank­­heit hin. . . . Außerdem muss man bei akuten Krankheiten länger zuwar­­ten, bevor man dem Kranken zu essen gibt, und dies erst dann tun, wenn die Krankheit abzuklingen beginnt, so dass der Nahrungsentzug die Kraft der Krankheit bricht. Bei chronischen Krankheiten kann man dem Patien­ten schon früher Nahrung reichen, um ihm damit für die Dauer der Krank­heit Lebenskraft zu verleihen.  (4)  Aber wenn die Krankheit bisweilen nicht im ganzen Körper, sondern nur in einem Teil davon steckt, ist es doch eher im Sinn der Sache, den gesamten Körper bei Kräften zu erhalten als nur die Genesung des erkrankten Körperteils zu bewerkstelligen. Es besteht auch ein großer Unterschied, ob der Kranke von Anfang an richtig oder falsch behan­delt wird, weil nämlich die Behandlung weniger Nutzen hat, wenn sie beharr­lich, jedoch ohne Erfolg angewandt worden ist. Wenn jemand auf gut Glück behandelt wird und dies bei Kräften übersteht, kann ihn die richtige Behand­lung im Nu wieder herstellen. (5)  Doch weil ich von jenen Vorzeichen ausgegangen bin, die das Nahen einer Krankheit ankündigen, will ich den Beginn der Behandlung zu dem Zeit­ punkt ansetzen, wo diese Vorzeichen festgestellt werden. Wenn also eines der erwähnten Vorzeichen auftritt, empfehlen sich am besten Ruhe und Fas­ten. Muss man etwas trinken, dann nur Wasser. Oft genügt es, sich einen Tag lang hiernach zu richten, manchmal – wenn nämlich die bedrohlichen Vorzei­chen anhalten – sind es zwei. Am Tag nach dem Fasten soll man eine winzige Men­ ge Nahrung zu sich nehmen und Wasser trinken, am folgenden Tag auch Wein, und dann abwechselnd einen Tag Wasser, einen Tag Wein, bis der Grund zur Besor­gnis vorüber ist.  (6)  Auf diese Weise gelingt es oft, eine drohende schwere Erkran­kung zu verhindern. Viele begehen den Fehler, gleich am ersten Tag die Ermattung durch Bewegung, Baden, Abführen, Erbre­chen, Schwitzen oder Weinkonsum bekämpfen zu wollen – so etwas ist bisweilen durchaus erfolg­ reich und gar nicht verfehlt, häufiger aber misslingt es, und das einzige wirk­lich gefahrlose Mittel ist das Fasten, zumal man es auch in Hinsicht auf die Art der Beschwerde abstufen kann. So genügt es, bloß auf den Wein zu ver­zich­ten, wenn die Vorzeichen nicht sehr ernst sind, da ein Verzicht auf die­sen mehr hilft als der Nahrungsentzug.  (7)  Sind die Vor­zeichen ein wenig ernster, so ist es ein Leichtes, nur Wasser zu trinken und dazu fleischlos zu essen, mitunter auch weniger Brot zu essen als gewöhnlich, sich mit feuchter Kost zufriedenzugeben, besonders mit Gemüse, und ein völliger Verzicht auf Nah­r ung, Wein und körperliche Bewegung ist nur erforderlich, wenn man von heftigen Vorzeichen erschreckt wird. Auch besteht kein Zweifel, dass man kaum krank werden wird, wenn man seine Vor­zeichen nicht verleugnet, son­dern mit diesen Hilfsmitteln beizeiten der Krank­heit entgegenwirkt.

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Liber tertius

Caput III De febrium generibus (1)  Atque haec quidem sanis facienda sunt tantum cum causa metuentibus. Sequi­tur vero curatio febrium quod et in toto corpore et vulgare maxime mor­ bi genus est. Ex his una cotidiana, altera tertiana, altera quartana est. Interdum etiam longiore circuitu quaedam redeunt, sed id raro fit. In prioribus et morbi *** sunt et medicina. Et quartanae quidem simpliciores sunt. Incipiunt fere ab horrore, deinde calor erumpit, finitaque febre biduum integrum est: ita quarto die revertitur. (2)  Tertianarum vero duo genera sunt. Alterum eodem modo, quo quartana, et incipiens et desinens, illo tantum interposito discrimine, quod unum diem praestat integrum, tertio redit. Alterum longe perniciosius, quod tertio qui­dem die revertitur, ex quadraginta autem et octo horis fere triginta et sex per acces­ sionem occupat (interdum etiam vel minus vel plus), neque ex toto in remis­ sione desistit, sed tantum levius est. Id genus plerique medici ἡμιτριταῖον appel­ lant. (3)  Cottidianae vero variae sunt et multiplices. Aliae enim protinus a calore inci­­piunt, aliae a frigore, aliae ab horrore. Frigus voco, ubi extremae partes mem­­bro­rum inalgescunt, horrorem, ubi corpus totum intremit. Rursus aliae sic desinunt, ut ex toto sequatur integritas; aliae sic, ut aliquantum quidem minua­tur ex febre, nihilo minus tamen quaedam reliquiae remaneant, donec alte­ra accessio accedat; ac saepe aliae *** vix quicquam aut nihil remittant sed continuent.  (4)  Deinde aliae fervorem ingentem habent, aliae tolerabilem: aliae cotidie pares sunt, aliae inpares, atque invicem altero die lenior, altero vehe­ men­tior ***: aliae tempore eodem postridie revertuntur, aliae vel serius vel celerius: aliae diem noctemque accessione et decessione implent, aliae minus, aliae plus: aliae cum decedunt, sudorem movent, aliae non movent; atque alias per sudorem ad integritatem venitur, alias tantum corpus inbecillius red­di­ tur.  (5)  At accessiones etiam modo singulae singulis diebus fiunt, modo binae pluresve concurrunt. Ex quo saepe evenit, ut cotidie plures accessiones remis­ sio­nesque sint, sic tamen, ut unaquaeque alicui priori respondeat. Inter­dum vero accessiones quoque confunduntur, sic ut notari neque tempora earum neque spatia possint. Neque verum est, quod dicitur a quibusdam, nul­lam febrem

3,3,1–3,3,5

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3. Kapitel Das Fieber nach Kategorien (1)  All dies sind Verhaltensmaßregeln für gesunde Menschen, die bloß vor­ sich­tig sein wollen. Dagegen folgt nun die Behandlung des Fiebers, einer Art von Erkrankung, die den ganzen Körper betrifft und äußerst weit verbreitet ist. Man unterscheidet zwischen Quotidian-, Tertian- und Quartanfieber. Fall­weise tritt das Fieber auch in längeren Phasen auf, dies kommt jedoch selten vor. Unter den erstgenannten gibt es . . . Erkrankungen und Heilmittel. Quartanfieber sind recht einfach. In der Regel beginnen sie mit Schüttelfrost, dann steigt die Körpertemperatur, und wenn das Fieber vorbei ist, folgen zwei besch­werdefreie Tage. So beginnt es am vierten Tag von vorn. (2)  Das Tertianfieber tritt in zwei Formen auf. Einmal beginnt und vergeht es in der gleichen Weise wie das Quartanfieber, von dem es sich aber dadurch unter­­scheidet, dass der Kranke nur einen Tag beschwerdefrei ist und das Fieber am dritten Tag wiederkehrt. Die andere Form ist bei weitem gefährlicher. Da beginnt es ebenfalls am dritten Tag wieder von vorn, aber die Anfälle füllen bei­­nahe sechsunddreißig von achtundvierzig Stunden aus, bisweilen weniger, bis­­weilen mehr, und es klingt nie ganz ab, sondern geht nur ein wenig zurück. Die­­se Kategorie nennen viele Ärzte Hemitritaios. (3)  Das Quotidianfieber aber kommt in vielen verschiedenen Gestalten vor. Eini­ge beginnen mit Hitze, andere mit Kälte, wieder andere mit Schüttelfrost. Als Kälte bezeichne ich es, wenn die äußersten Extremitäten kalt werden, als Schüt­telfrost, wenn ein Schauder den ganzen Körper überläuft. Außerdem klin­­gen manche Formen des Quotidianfiebers dermaßen ab, dass der Patient ganz beschwerdefrei ist, andere dagegen dermaßen, dass das Fieber zwar ein wenig nachlässt, aber ein Rest davon zurückbleibt, bis ein neuer Anfall kommt. Wie­der andere . . . lassen kaum oder gar nicht nach, sondern gehen ein­fach ineinander über.  (4)  Sodann bedingen einige Formen eine sehr starke Erhö­ hung der Temperatur, andere eine erträgliche. Manche bleiben von Tag zu Tag gleich, andere nicht, sodass . . . den einen Tag stärker und den anderen Tag schwä­cher ist. Einige beginnen anderntags um dieselbe Uhrzeit wieder, ande­ re früher oder später. Einige brauchen für das Auftreten und Abklingen der Fieberanfälle einen Tag und eine Nacht, andere weniger, wieder andere mehr. Einige führen im Abklingen zu Schweißausbrüchen, andere tun das nicht, und das eine Mal führt das Schwitzen zur Genesung, das andere Mal schwächt es den Körper.  (5)  Aber die Anfälle treten bisweilen einmal am Tag auf, bisweilen zweimal oder öfter. Daher kommt es oft, dass an einem Tag meh­rere Anfälle vorkommen und wieder nachlassen, aber so, dass jeder dem voran­gegangenen entspricht. Manchmal fließen die Anfälle auch ineinander, sodass man weder ihren Zeitpunkt noch ihre Dauer festlegen kann. Es ist aber nicht wahr, wie einige behaupten, dass es kein unregelmäßiges Fieber gebe, es sei denn, wenn

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Liber tertius

inordinatam esse, nisi aut ex vomica aut ex inflammatione aut ex ulcere: faci­ lior enim semper curatio foret, si hoc verum esset: sed quod evi­den­tes cau­ sae faciunt, facere etiam abditae possunt.  (6)  Neque de re sed de verbo con­ troversiam movent, qui, cum aliter aliterque in eodem morbo febres accedunt, non easdem inordinate redire, sed alias aliasque subinde ori­ri dicunt; quod tamen ad curandi rationem nihil pertineret, etiamsi vere dice­retur. Tempora quo­ que remissionum modo liberalia, modo vix ulla sunt. Caput IV De curationum diversis generibus (1)  Et febrium quidem ratio maxime talis est: curationum vero diversa gene­ra sunt, prout auctores aliquos habent. Asclepiades officium esse medici dicit, ut tuto, ut celeriter, ut iucunde curet. Id votum est, sed fere periculosa esse nimia et festinatio et voluptas solet. Qua vero moderatione utendum sit, ut, quan­tum fieri potest, omnia ista contingant prima semper habita salute, in ipsis partibus curationum considerandum erit. (2)  Et ante omnia quaeritur, primis diebus aeger qua ratione continendus sit. Anti­qui medicamentis quibusdam datis concoctionem moliebantur, eo quod cru­ditatem maxime horrebant: deinde eam materiem, quae laedere videbatur, ducen­do saepius alvum subtrahebant. Asclepiades medicamenta sustulit; alvum non totiens sed fere tamen in omni morbo subduxit; febre vero ipsa prae­cipue se ad remedium eius uti professus est: convellendas enim vires aegri putavit luce, vigilia, siti ingenti, sic ut ne os quidem primis diebus elui sine­ret.  (3)  Quo magis falluntur, qui per omnia iucundam eius disciplinam esse concipiunt: is enim ulterioribus quidem diebus cubantis etiam luxuriae sub­scrip­sit, primis vero tortoris vicem exhibuit. Ego autem medicamentorum dari potiones et alvum duci non nisi raro debere concedo: non ideo tamen id agendum, ut aegri vires convellantur, existimo, quoniam ex inbecillitate sum­mum periculum est.  (4)  Minui ergo tantum materiam superantem opor­tet, quae naturaliter digeritur, ubi nihil novi accedit. Itaque abstinendus a cibo pri­mis diebus est; in luce habendus aeger, nisi infirmus, interdiu est, quo­niam cor­pus ista quoque

3,3,5–3,4,4

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es von Erbrechen, Entzündungen oder Geschwüren her­r ühre. Wenn dem so wäre, müsste die Behandlung immer recht einfach sein. Aber verborgene Ursachen können ja dieselben Wirkungen haben wie offen­sicht­liche.  (6)  Man streitet hier auch nicht um die Sache, sondern um Wor­te, denn wenn sich bei ein- und demselben Krankheitsfall das Fieber mehr­mals in verschiedener Weise zeigt, nennt man es nicht ein „unregelmäßig wie­der­kehrendes Fieber“, sondern man nennt es „gesondert nacheinander auf­tretende Fieberanfälle“. Doch selbst wenn diese Aussage wahr wäre, hätte sie doch nichts mit der Behandlungsweise zu tun. Manchmal lässt das Fieber auch für geraume Zeit nach, manchmal für kaum einen Augenblick. 4. Kapitel Behandlungsmethoden nach Kategorien (1)  Dies ist im Großen und Ganzen die Systematik der Fiebererkrankungen. Die Behandlungsweisen fallen aber in verschiedene Kategorien, je nach Ein­ schät­zung der Fachleute. Asklepiades meinte, es sei die Pflicht des Arztes, gefahr­los, rasch und angenehm zu heilen. Dies ist unser Wunsch, aber in der Regel ist zu große Hast und Annehmlichkeit mit Gefahr verbunden. Wie man aber Maß halten muss, damit alle drei soweit wie möglich erzielt werden kön­ nen, wobei die Gesundheit des Patienten stets im Vordergrund steht, wird unter den Einzelheiten der Behandlungsmethoden zu erörtern sein. (2)  Vor allen Dingen muss man sich die Frage stellen, nach welchen Grund­ sätzen sich der Kranke während der ersten Tage richten soll. Die Alten bemüh­­ ten sich, durch Arzneien den Stoffwechsel zu bewerkstelligen, da sie Ver­dau­ ungs­störungen am meisten fürchteten, und daraufhin leiteten sie den ihrer Ansicht nach gesundheitsgefährdenden Stoff durch wiederholte Ein­l äufe ab. Asklepiades verzichtete auf Arzneien und wandte den Einlauf nicht so häufig an, aber dennoch in der Regel bei jeder Erkrankung. Er bekannte sich aber dazu, das Fieber eben durch das Fieber zu heilen, denn er meinte, man müsse die Kräfte des Kranken durch Licht, Nachtwachen und heftigen Durst zermürben, sodass er während der ersten Tage nicht einmal den Mund auszu­ spülen gestattete.  (3)  Ganz falsch liegt also, wer diese Methode für besonders ange­nehm hält. Im Verlauf der Krankheit gestand er dem Bettlägrigen durch­aus einige Behaglichkeit zu, aber während der ersten Tage gebärdete er sich ganz und gar als Folterknecht. Ich hingegen möchte Arzneimittel und Einläufe nur höchst selten gestatten. Ich denke auch, dass sie nicht angewendet werden sol­ len, um die Kräfte des Kranken zu zermürben, weil es doch recht gefährlich ist, wenn dieser zu schwach wird.  (4)  Überflüssiger Stoff soll also nur soweit ver­min­dert werden, wie er auf natürlichem Weg abgeht, solange nicht neuer Stoff dazukommt. Daher muss der Kranke ja auch an den ersten Tagen fasten und sich untertags im Hellen aufhalten, wenn er nicht zu schwach ist, denn

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Liber tertius

digerit, isque cubare quam maxime *** conclavi debet. Quod ad sitim vero som­num­que pertinet, moderandum est, ut vigilet inter­diu.  (5)  Noctu, si fieri pot­ est, conquiescat: ac neque potet, neque nimium siti cru­­cie­tur; os etiam eius elui pot­est, ubi et siccum est, et ipsi faetet, quamvis id tempus potioni aptum non est. Com­modeque Erasistratus dixit saepe in‹t›e­riore parte umorem non requirente os et fauces requirere, neque ad rem male habe­ri aegrum pertinere. Ac primo qui­dem sic tenendus est. (6)  Optimum vero medicamentum eius est oportune cibus datus; qui quando pri­mum dari debeat, quaeritur. Plerique ex antiquis tarde dabant, saepe quin­to die, saepe sexto; et id fortasse vel in Asia vel in Aegypto caeli ratio pati­tur. Asclepiades ubi aegrum triduo per omnia fatigarat, quartum diem cibo desti­­na­bat. At Themison nuper, non quando coepisset febris, sed quando desis­set, aut cer­te levata esse‹t›, considerabat; et ab illo tempore expectato die ter­tio, si non acces­ serit febris, statim; si accesserat, ubi ea vel desierat, vel si adsidue inhae­rebat, cer­te si se inclinaverat, cibum dabat.  (7)  Nihil autem horum utique per­petuum est. Nam potest primo die primus cibus dandus esse, potest secundo, potest tertio, potest non nisi quarto aut quinto, potest post unam accessionem, potest post duas, potest post plures. Refert enim qua­lis morbus sit, quale cor­pus, quale cae­lum, quae aetas, quod tempus anni; mini­meque in rebus inter se multum dif­ ferentibus perpetuum esse prae­cep­tum temporis potest.  (8)  Ex mor­bo, qui plus virium aufert, celerius cibus dandus est, itemque eo caelo, quo magis digerit. Ob quam causam in Afri­ca nulla die aeger abstineri recte videtur. Matu­rius etiam puero quam iuve­ni, aestate quam hieme dari debet. Unum illud est, quod sem­ per, quod ubi­que servandum est, ut aegri vires subinde adsidens medi­cus inspi­ ciat; et quam­diu supererunt, abstinentia pugnet; si inbecillitatem vereri coeperit, cibo sub­­veniat. Id enim eius officium est, ut aegrum neque supervacua materia one­ret, neque inbecillitatem fame prodat.  (9)  Idque apud Erasistratum quoque inve­nio; qui quamvis parum docuit, quando venter, quando corpus ipsum exi-

3,4,4–3,4,9

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auch dies zieht Stoff vom Körper ab. Auch soll er in einem möglichst . . . Raum liegen. Was den Durst und das Schlafbedürfnis angeht, soll man es so einrichten, dass der Kranke tagsüber wach bleibt.  (5)  In der Nacht soll er ruhen, wenn dies möglich ist. Auch soll er weder trinken noch aber zu sehr von Durst gequält werden. Er kann sich den Mund ausspülen, wenn dieser tro­cken ist oder einen üblen Geschmack hat, aber dies ist nicht die Zeit zu trin­ken. Erasistratos hat ganz zutreffend gesagt, dass der Mund und die Kehle oft ein Bedürfnis nach Flüssigkeit verspürten, wenn das Innere dies nicht tut, und dass es nicht zweckmäßig sei, einen Kranken leiden zu lassen. Und genau hieran soll man sich in der ersten Zeit halten. (6)  Die beste Arznei für den Kranken ist jedoch Nahrung, zur rechten Zeit ver­ab­reicht. Die Frage ist nun: Wann soll man damit anfangen? Von den Alten haben viele erst spät, oft am fünften, oft am sechsten Tag, Nahrung verabreicht, und dies ist im Klima Asiens oder Ägyptens wohl möglich. Askle­p iades bestimmte den vierten Tag für das Essen, nachdem er dem Kran­ken drei Tage lang auf jede erdenkliche Weise zugesetzt hatte. In der jün­ge­ren Vergangenheit hat Themison nicht darauf geachtet, wann das Fieber auf­ge­treten ist, sondern wann es abgeklungen oder doch gemildert worden ist, und von diesem Zeitpunkt an hat er den dritten Tag abgewartet, und wenn dann kein Fieber aufgetreten ist, hat er sogleich Nahrung gereicht. Ist es aber aufge­treten, hat er Nahrung gereicht, wenn es wieder abgeklungen ist, und wenn es sich hartnäckig gehalten hat, hat er es getan, wenn sich Linderung gezeigt hat.  (7)  Nichts von alledem ist jedoch eine allgemein gültige Vorschrift. Man kann die erste Nahrung nämlich am ersten Tag reichen, man kann sie am zwei­ten reichen, am dritten, erst nach dem vierten oder fünften, man kann sie nach einem Anfall reichen, man kann sie nach zwei Anfällen reichen oder nach mehre­ren. Es kommt nämlich darauf an, welche Krankheit einer hat, wie seine kör­perliche Verfassung ist, wie das Klima ist, wie alt er ist, was die Jahreszeit ist. Auf gar keinen Fall kann es bei derart unterschiedlichen Umständen eine allge­mein gültige Vorschrift in Bezug auf den Zeitrahmen geben.  (8)  Im Fall einer Krankheit, die stark Kräfte raubend ist, muss man die Nahrung frü­her reichen, und ebenso, je mehr das Klima zehrt. Darum ist zu Recht anzu­neh­men, dass ein Kranker in Afrika nicht einmal einen Tag lang fasten soll. Nahrung muss einem Kind eher als einem jungen Erwachsenen und im Som­mer eher als im Winter gereicht werden. Eines jedoch muss immer und überall beachtet werden, nämlich, dass der Arzt sein Augenmerk stets auf die Kräfte des Kranken richten soll. Solange Stoff im Übermaß vorhanden ist, soll man dies durch Fasten bekämpfen. Befürchtet man eine Schwächung, soll man dem durch Nahrungszufuhr entgegenwirken. So ist es die Pflicht des Arztes, dafür zu sorgen, dass kein überflüssiger Stoff den Kranken belastet und dass ihn nicht der Hunger schwächt.  (9)  Dies finde ich auch bei Erasistratos, der zwar keine Vorschriften erließ, wann der Unterleib,

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Liber tertius

n­ aniretur, dicendo tamen haec esse visenda et tum cibum dan­dum, cum cor­po­ri debe­retur, satis ostendit, dum vires superessent, dari non opor­tere: ne defi­ce­­ rent, consulendum esse. Ex his autem intellegi potest ab uno medi­co multos non posse curari, eumque, si artifex sit, idoneum esse, qui non mul­tum ab aegro recedit.  (10)  Sed qui quaestui serviunt, quoniam ‹is› maior ex popu­lo est, libenter amplectuntur ea praecepta, quae sedulitatem non exigunt, ut in hac ipsa re. Facile est enim dies vel accessiones numerare is quoque, qui aegrum raro vident: ille adsid‹e›at necesse est, qui quod solum opus est visurus est, quan­do nimis inbecillus futurus sit, nisi cibum acceperit. In pluribus tamen ad initium cibi dies quartus aptissimus esse consuevit. (11)  Est autem alia etiam de diebus ipsis dubitatio, quoniam antiqui potissi­ mum impares sequebantur, eosque, tamquam tum de aegris iudicaretur, κρισί­ μους nominabant. Hi erant dies tertius, quintus, septimus, nonus, undecimus, quar­tus decimus, unus et vicesimus, ita ut summa potentia septimo, deinde quar­ to decimo, deinde uni et vicensimo daretur.  (12)  Igitur sic aegros nutri‹e›­bant, ut dierum inparium accessiones expectarent, deinde postea cibum quasi levio­ ribus accessionibus instantibus darent, adeo ut Hippocrates, si alio die febris desisset, recidivam timere sit solitus. Id Asclepiades iure ut vanum repu­diavit, atque in nullo die, qua par inparve esset, is vel maius vel minus peri­culum esse dixit. Interdum enim peiores dies pares fiunt, et oportun‹i›us post eorum accessiones cibus datur.  (13)  Nonnumquam etiam in ipso morbo die­rum ratio mutatur, fitque gravior, qui remissior esse consuerat; atque ipse quar­tus decimus par est, in quo magnam vim esse antiqui fatebantur. Qui cum octa­vum primi die naturam habere contenderent, ut ab eo secundus septenarius nume­rus inciperet, ipsi sibi repugnabant non octavum, neque decimum, neque duo­de­cimum diem sumendo quasi potentiorem: plus enim tribuebant nono et unde­cimo.  (14)  Quod cum fecissent sine ulla probabili ratione, ab undecimo non ad tertium decimum sed ad quartum decimum transibant. Est etiam apud Hippocrate‹n› eis, qu‹os› septimus dies liberaturus sit, quartum esse gravissi­mum. Ita illo quoque auctore in die pari et gravior febris esse potest et certa futu­ri nota. Atque idem alio loco

3,4,9–3,4,14

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wann der gesamte Körper zu entleeren sei, der aber doch meinte, man solle auf solche Dinge achten und dann Nahrung zuführen, wenn der Körper es brauche, und der hierdurch zur Genü­ge zeigte, dass dann keine Nahrungszufuhr angemessen sei, wenn der Kran­ke noch Kräfte im Überfluss habe, dass man aber Sorge darum zu tragen habe, dass kein Mangel auftrete. Hieraus lässt sich ersehen, dass ein einzelner Arzt nicht für viele Kranke zugleich sorgen kann, und dass ein Arzt, der sein Fach versteht, den Kranken besser nicht oft allein lässt.  (10)  Doch jene Ärzte, die auf Gewinn aus sind, halten viel auf Lehren, die keine Mühe machen, da eine große Patientenschar eben reicheren Gewinn bedeutet. So auch hier. Tage oder Anfälle zu zählen, ist nämlich auch dann leicht, wenn man seine Patie­nten selten zu Gesicht bekommt. Der Arzt muss immer in der Nähe sein, wenn er das einzig Wichtige sehen will: den Zeitpunkt, an dem der Kranke zu schwach zu werden beginnt, wenn er keine Nahrung erhält. Für die meisten ist aber der vierte Tag gewöhnlich eine sehr gute Zeit, mit der Nah­rungszufuhr zu beginnen. (11)  Eine weitere Ungewissheit besteht aber in Bezug auf die Tage selber, da die Alten bevorzugt auf die ungeraden Tage geachtet und diese die Tage der Entscheidung genannt haben, als ob an ihnen über die Kranken zu Gericht gesessen würde. Diese waren der dritte, fünfte, siebente, neunte, elf­ te, vierzehnte und einundzwanzigste Tag, wobei dem siebenten die größ­te Bedeutung beigelegt wurde, dann dem vierzehnten und dann dem einund­ zwanzigsten.  (12)  Also ernährten sie die Kranken derart, dass sie an ungeraden Tagen Anfälle erwarteten und gleich darauf Nahrung verabreichten, als wären leich­tere Anfälle zu erwarten, sodass Hippokrates gewöhnlich einen Rückfall befürch­tete, wenn das Fieber an einem anderen Tag nachließ. Asklepiades hat dies mit Recht als unhaltbar getadelt und festgestellt, dass, gerade oder unge­ra­­ de, die Gefahr nicht je nach dem Tag größer oder geringer sei. Bisweilen sind die geraden Tage die schlechteren, und es ist angemessener, nach den Anfäl­len an diesen Tagen Nahrung zu reichen.  (13)  Manchmal ändert sich der Rhyth­mus der Tage während ein- und derselben Erkrankung, und der Tag, der gewöhn­ lich Milderung bedeutet, bringt eine Verschlechterung. Ja, und der vier­zehnte Tag, dem die Alten solche Bedeutung beimaßen, ist ein gerader Tag. Da sie behaupteten, der achte Tag habe das Wesen des ersten Tages, weil an ihm die zweite Siebenzahl beginne, widersprachen sie sich selbst, indem sie dem achten, den zehnten und den zwölften Tag nicht mehr Wert beilegten, denn diese gaben sie dem neunten und dem elften.  (14)  Und wie sie dies ohne jede Grundlage der Wahrscheinlichkeit taten, sprangen sie vom elften nicht zum dreizehnten Tag, sondern zum vierzehnten weiter. Es steht sogar bei Hippokrates, dass der vierte Tag für jene der schwerste sei, denen der sie­bente die Genesung bringe. Nach der Meinung dieses Fachmanns also kann ein gerader Tag zugleich ein schwereres Fieber und ein sicheres Vorzeichen der Zukunft bringen. Und

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Liber tertius

quartum quemque diem ut in utrumque effi­c a­c is­s i­m um adprehendit, id est quartum, septimum, undecimum, quartum deci­m um, septimum deci­ mum.  (15)  In quo et ab inparis ad paris numeri ratio­nem transit et ne hoc qui­ dem propositum conservavit, cum a septimo die unde­cimus non quartus sed quin­­tus sit. Adeo apparet, quacumque ratione ad nume­rum respeximus, nihil ratio­­nis sub illo quidem auctore reperiri. Verum in his quidem antiquos tum cele­bres admodum Pythagorici numeri fefellerunt, cum hic quoque medicus non numerare dies debeat, sed ipsas accessiones intueri, et ex his coniectare, quan­do dandus cibus sit. (16)  Illud autem magis ad rem pertinet scire, tum oporteat dari, cum iam bene venae conquieverunt, an etiamnum manentibus reliquiis febris. Antiqui enim quam integerrimis corporibus alimentum offerebant: Asclepiades inclinata qui­ dem febre sed etiamnu‹m› tamen inhaerente. In quo vanam rationem secu­tus est, non quo non sit interdum maturius cibus dandus, si mature timetur alte­ra accessio, sed quo scilicet quam sanissimo dari debeat: minus enim con­rum­pitur quod integro corpori infertur.  (17)  Neque tamen verum est, quod The­mi­soni videbatur, si duabus horis integer futurus esset aeger, satius esse tum dare, ut ab integro potissimum corpore diduceretur. Nam si diduci tam cele­riter posset, id esset optimum: sed cum id breve tempus non praestet, satius est principia cibi a decedente febre quam reliquias ab incipiente excipi. Ita si longius tempus secundum est, quam integerrimo dandum est; si breve, etiam antequam ex toto integer fiat. Quo loco vero integritas est, eodem est remis­sio, quae maxime in febre continua potest esse. (18)  Atque hoc quoque quaeritur, utrum tot horae expectandae sint, quot febrem habuerunt, an satis sit primam partem earum praeteriri, quo[d] aegris iucun­dius insidat †si interdum non vacat. Tutissimum est autem ante totius acces­sionis tempus praeterire, quamvis, ubi longa febris fuit, potest indulgeri

3,4,14–3,4,18

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an anderer Stelle betrachtet er jeden vierten Tag, das heißt, den vierten, sie­ benten, elften, vierzehnten, siebzehnten, als höchst bedeut­sam für beide Zwe­ cke.  (15)  So ist er von einem ungeraden zu einem gera­den Zählverfahren über­ gegangen und ist dabei nicht einmal seiner eige­nen Lehre treu geblieben, da ja der elfte Tag nicht der vierte, sondern der fünf­te nach dem siebenten ist. So ist es ganz deutlich, dass wir hier keine Logik fin­den werden, ganz gleich, wie logisch wir an die Zahlen herangehen. Jedoch haben sich die Alten in diesen Din­gen von den pythagoräischen Zahlen über­listen lassen, die damals berühmt waren, denn auch hier darf der Arzt nicht die Tage zählen, sondern muss auf die eigentlichen Anfälle achten und daraus erschlie­ßen, wann Nahrung verabreicht werden soll. (16)  Es ist aber in diesem Zusammenhang viel wichtiger, wenn man weiß, ob erst dann Nahrung gereicht werden soll, wenn der Puls sich weitgehend beru­higt hat, oder bereits dann, während noch Reste des Fiebers übrig sind. Die Alten haben Speisen nämlich erst dann angeboten, wenn der Körper möglichst beschwerdefrei war; Asklepiades tat es, wenn das Fieber im Sinken begrif­fen, aber schon noch vorhanden war. Hierin folgte er einer ganz sinn­lo­sen Vor­ schrift. Nicht, dass man nicht mitunter schon früher Nahrung rei­chen soll, wenn bin­nen kurzem ein neuer Anfall zu befürchten ist, aber sie soll doch einem möglichst gesunden Menschen gegeben werden, denn Nah­rung, die in einen beschwerdefreien Körper eingeht, wird nicht so leicht verder­ben.  (17)  Auch trifft die Ansicht Themisons nicht zu, dass es besser sei, dem Kranken Nahrung zu reichen, wenn er für ein paar Stunden fieberfrei sein werde, damit sie von einem möglichst beschwerdefreien Körper verdaut wer­de. Der Gedanke wäre sehr gut, wenn die Nahrung denn so rasch verdaut wer­den könnte, aber weil diese kurze Zeit nicht ausreicht, ist es doch besser, die ersten Bissen bei schwin­denden Fieber einzunehmen als die letzten bei beginnen­dem Fieber. So soll die Nahrung also bei möglichst beschwerdefreiem Körper ver­abreicht wer­den, wenn die günstige Zeit etwas länger ist, und bei noch nicht ganz beschwerdefreiem, wenn sie knapper bemessen ist. Was für die Frei­heit von Beschwerden gilt, gilt auch für die zeitweilige Besserung, wie sie am ehesten bei chronischem Fieber eintreten kann. (18)  Man muss sich auch die Frage stellen, ob man ebenso viele Stunden zuwar­ten muss, wie das Fieber gedauert hat, oder ob es ausreicht, nur einen Teil dieser Zeit verstreichen zu lassen, sodass die Speise sich für die Kranken ange­ nehmer absetzt . . . , wenn zwischendurch keine Unterbrechung vorkommt. Am sichersten ist es aber, wenn man zuerst die gesamte Zeit verstreichen lässt, die der vorhergegangene Anfall gedauert hat. Jedoch kann man den Bedürf­nissen des Kranken schon früher nachgeben, wenn das Fieber lange ange­hal­ten hat,

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Liber tertius

aegro maturius, dum tamen ante minime pars dimidia praeterea‹tur›. Idque non in ea sola febre, de qua proxime dictum est, sed in omnibus ita servandum est. Caput V De febrium speciebus et singularum curationibus; quando cibus febricitan­ ti­bus dandus sit (1)  Haec magis per omnia febrium genera perpetua sunt: nunc ad singulas earum species descendam. Igitur si semel tantum accessit, deinde desiit, eaque vel ex inguine vel ex lassitudine vel ex aestu aliave re simili fuit, sic ut interior nulla causa metum fecerit, postero die, cum tempus accessionis ita trans­iit, ut nihil mover‹i›t, cibus dari potest.  (2)  At si ex alto calor venit et gra­ vi­tas vel capitis vel praecordiorum secuta est neque apparet quid corpus con­ fuderit, quamvis unam accessionem secuta integritas est, tamen quia ter­tiana timeri potest, expectandus est dies tertius; et ubi accessionis tempus prae­teriit, cibus dandus est, sed exiguus, quia quartana quoque timeri potest; et die quarto demum, si corpus integrum est, eo cum fiducia utendum. Si vero pos­tero tertiove aut quarto die secuta febris est, scire licet morbum esse. Sed ter­tia­narum vel quartanarum, ‹quarum› et certus circumitus est et finis in inte­gritate et liberaliter quieta tempora sunt, expeditior ratio est; de quibus suo loco dicam.  (3)  Nunc vero eas explicabo, quae cotidie urgent. Igitur ter­tio quoque die cibus aegro commodissime datur, ut alter febrem minuat, alter viribus subveniat. Sed is dari debet, si cotidiana febris est, quae ex toto desi­nat, simul atque corpus integrum factum est: si quamvis non accessiones, febres tamen iunguntur et cotidie quidem increscunt sed sine integritate tamen remittunt, cum corpus ita se habet, ut maior remissio non expectetur; si altero die gravior, ‹altero levior› accessio est, post graviorem.  (4)  Fere vero gra­viorem accessionem levior nox sequitur;

3,4,18–3,5,4

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vorausgesetzt, dass zuerst mindestens die Hälfte der Zeit ver­strichen ist, die es gedauert hat. Hieran muss man sich nicht nur bei dem eben beschrie­benen Fie­­ ber, sondern in allen Fällen halten. 5. Kapitel Das Fieber, seine Erscheinungsformen und deren Heilung. Wann soll man einem Fieberkranken Nahrung reichen? (1)  Diese Vorschriften sind eher von allgemeiner Gültigkeit für alle Arten von Fieber. Nun will ich zu den einzelnen Erscheinungsformen übergehen. Wenn also nur ein Anfall erfolgt ist, der wieder nachgelassen hat, und das Fie­ ber sodann aus der Lendengegend oder aus der Ermattung oder aus der Hitze oder einer ähnlichen Ursache wieder entsteht, sodass kein Grund zur Sorge besteht, die Ursache könne innerlicher Natur sein, kann man am folgenden Tag, wenn der Zeitpunkt für den Anfall ereignislos verstrichen ist, Nahrung rei­chen.   (2)  Zeigt sich jedoch eine tief sitzende Hitze und folgt darauf ein Schwe­­re­gefühl, sei es im Kopf oder in der Brust, und ist nicht deutlich, was den Körper in Unordnung gebracht hat, muss man doch den dritten Tag selbst dann abwarten, wenn auf einen Anfall ein beschwerdefreier Zustand folgt, denn es besteht Grund zur Sorge, dass es sich um Tertianfieber handelt. Ist der Zeit­punkt für diesen Anfall verstrichen, kann man Nahrung reichen, aber nur ganz wenig, denn es besteht immer noch Grund zur Sorge, dass es sich um Quartanfieber handelt. Erst wenn der Körper auch am vierten Tag beschwer­ defrei ist, kann der Patient mit Zuversicht Nahrung zu sich nehmen. Wenn aber das Fieber am zweiten, dritten oder vierten Tag wieder auftritt, lässt sich die Krankheit identifizieren. Mit Tertian- oder Quartanfiebern, die sowohl einen fest umrissenen Verlauf, der in Beschwerdefreiheit endet, als auch lange Ruhe­ zeiten haben, kann man rascher fertig werden. Ich werde sie an passender Stel­ le besprechen.2  (3)  Als nächstes will ich jene Arten von Fieber erläutern, die täglich Beschwerden verursachen. Darum verabreicht man dem Kranken pas­ sen­der­weise nur jeden zweiten Tag Nahrung, sodass an einem Tag das Fie­ ber reduziert wird und am anderen die Kräfte erneuert werden. Wenn es sich aber um ein Fieber im Tagesrhythmus handelt, das jeweils ganz abklingt, muss man sie sofort reichen, wenn der Körper beschwerdefrei ist. Wenn zwar keine Anfälle erfolgen, aber das Fieber dennoch stetig von Tag zu Tag steigt und wohl auch nachlässt, ohne ganz abzuklingen, muss man Nahrung dann reichen, wenn der Körper in einem Zustand ist, der kein ernsthaftes Abklin­gen des Fiebers erwarten lässt. Wenn die Anfälle an abwechselnden Tagen hef­tiger und leichter sind, soll man die Nahrung nach einem heftigeren Anfall rei­chen.  (4)  In der Regel folgt auf einen heftigen Anfall eine leichtere Nacht, daher kommt es, 2

3,14–15.

164

Liber tertius

quo fit, ut graviorem accessionem nox quoque tristior antecedat. At si continua­ tur febris neque levior umquam fit et dari cibum necesse est, quando dari debe­ at, magna dissensio est. Quidam, quia fere remissius matutinum tempus aegris est, tum putant dandum. Quod si respondet, non quia mane est, sed quia remis­ sior aeger est, dari debet.  (5)  Si vero ne tum quidem ulla requies aegris est, hoc ipso peius id tempus est, quod, cum sua natura melius esse debeat, morbi vitio non est; simulque insequitur tem­pus meridianum, a quo cum omnis aeger fere peior fiat, timeri potest, ne ille magis etiam quam ex consuetudine urgeatur. Igi­tur alii vespere tali aegro cibum dant: sed cum eo tempore fere pessimi sint qui aegrotant, verendum est, ne, si quid tunc moverimus, fiat aliquid asperius. (6)  Ob haec ad mediam noctem decurro, id est, finito iam gravissimo tem­pore eodemque longissime distante, secuturis vero antelucanis horis, quibus omnes fere maxime dormiunt, deinde matutino tempore, quod natura sua levis­simum est. Si vero febres vagae sunt, quia verendum est, ne cibum sta­tim subsequantur, quan­documque quis ex accessione levatus est, tunc debet adsu­mere.  (7)  At si plu­res accessiones eo‹dem› die veniunt, considerare opor­tet, paresne per omnia sint, quod vix fieri potest, an inpares. Si per omnia pares sunt, post eam potius accessionem cibus dari debet, quae non inter meridiem et vesperum desinit. Si inpares sunt, considerandum est, quo distent: nam si gravior altera, altera levior est, post graviorem dari debet; si altera longior, altera brevior, post longiorem: si altera gravior, altera longior est, considerandum est, utra magis adfligat, illa vi, an haec tempore, et post eam dandum.  (8)  Sed paene plurimum interest, quantae qualesque inter eas remissiones sint: nam si post alteram febrem motio manet, post alteram inte­grum corpus est, integro corpore cibo tempus aptius est. Si semper febricula manet, sed alterum tamen longius tempus remissionis est, id potius eligendum est, adeo ut, ubi accessiones continuantur, protinus inclinata

3,5,4–3,5,8

165

dass einem schweren Anfall eine schlechte Nacht vorangeht. Wenn das Fieber aber andauert und nie leichter wird und es notwendig ist, Nah­rung zu reichen, herr­­schen verschiedene Meinungen darüber, wann man sie rei­chen soll. Weil die Beschwerden bei Kranken in der Regel eher am Morgen nach­lassen, mei­nen einige, man müsse die Nahrung zu diesem Zeitpunkt rei­chen. Wenn dies aber zutrifft, soll man die Nahrung doch nicht reichen, weil es Morgen ist, son­dern weil die Beschwerden des Kranken nachgelassen haben.  (5)  Wenn der Kran­ke aber nicht einmal am Morgen Erleichterung emp­findet, ist dies ein sehr schlech­ ter Zeitpunkt dafür, weil er an und für sich gut sein sollte, es aufgrund der Krank­heit aber nicht ist. Außerdem folgt darauf die Mittagszeit, von der an der Zustand aller Kranken sich gewöhnlich ver­schlechtert. Man muss befürchten, dass der Patient dann Beschwerden über das gewohnte Maß hinaus verspürt. Einem solchen Kranken geben daher man­che am Abend Nahrung. Aber in der Regel ist der Zustand der Kranken zu dieser Zeit am schlechtesten, und man muss befürchten, dass es schlimmer wird, wenn wir dann irgendetwas unter­ nehmen. (6)  Darum warte ich bis Mitternacht, das heißt, bis die kritische Phase vor­ über ist und die nächste noch in ferner Zukunft liegt. Außerdem stehen dann die Stunden vor Sonnenaufgang unmittelbar bevor, während derer der Schlaf in der Regel am besten ist, und darauf folgt die Morgenzeit, die ihrem Wesen nach besonders entspannt ist. Sind die Fieberanfälle unberechenbar, soll der Patient, wenn er sich von einem Anfall erholt, sofort Nahrung zu sich neh­men, da zu befürchten ist, dass unmittelbar auf die Nahrungsaufnahme ein Anfall erfolgt.  (7)  Wenn aber mehrere Anfälle an ein- und demselben Tag gesche­hen, muss festgestellt werden, ob sie in jeder Hinsicht gleichartig sind, was kaum der Fall sein kann, oder ob sie verschieden sind. Sind sie in jeder Hinsicht gleichartig, sollte man die Nahrung am ehesten nach einem sol­­chen Anfall, der nicht zwischen Mittag und Abend wieder nachlässt, rei­chen. Wenn sie nicht gleichartig sind, muss man erwägen, worin sie sich unter­scheiden. Sind sie nämlich abwechselnd schwerer und leichter, muss man die Nahrung nach dem schwereren Anfall reichen, sind sie abwechselnd län­ger und kürzer, nach dem längeren, sind sie abwechselnd schwerer und län­ger, muss man erwägen, welcher Anfall den Kranken mehr belastet, der eine durch seine Stärke oder der andere durch seine Dauer, und nach dem soll man dann die Nahrung reichen.  (8)  Beinahe das Wichtigste ist aber, wie lang und von welcher Art die beschwerdefreien Phasen zwischen den Anfällen sind. Wenn nämlich der Patient nach dem einen Fieberanfall weiterhin zittert und nach dem anderen beschwerdefrei ist, dann ist die beschwerdefreie Zeit für die Nahrungsaufnahme eher geeignet. Wenn stets ein leichtes Fieber vor­han­den ist, aber mitunter längere beschwerdefreie Phasen auftreten, ent­schei­det man sich am besten für diese, sodass man, wenn ein Anfall in den ande­ren übergeht, die Nahrung

166

Liber tertius

priore dandus cibus sit. Etenim perpetuum est, ad quod omne consilium derigi pot­est, cibum quam maxime semper ab accessione futura reducere, et hoc salvo, dare quam inte­ger­rimo corpore.  (9)  Quod non inter duas tantum sed etiam inter plu­res acces­sio­nes servabitur. Sed cum sit aptissimum tertio quoque die cibum dare, tamen si corpus infirmum est, cotidie dandus est; multoque magis, si conti­ nen­tes febres sine remissione sunt, quanto magis corpus adfligunt; aut si duae plu­­res­­ve accessiones eodem die veniunt. Quae res efficit, ut et a primo die pro­ ti­nus cibus dari cotidie debeat, si protinus venae conciderunt; et saepius eodem die, si inter plures accessiones subinde vis corpori deest.  (10)  Illud tamen in his servandum est, ut post eas febres minus cibi detur, post quas, si per corpus lice­ret, omnino non daretur. Cum vero febris instet, incipiat, augea­tur, consistat, dece­­dat, deinde in decessione consistat aut finiatur, scire licet opti­mum cibo tem­pus esse febre finita; deinde, cum decessio eius consistit; tertium, si necesse est, quandocumque decedit: cetera omnia periculosa esse. Si tamen prop­ter infir­mi­ta­tem necessitas urget, satius esse consistente iam incremento febris ali­ quid offerre quam increscente, satius esse instante quam incipiente, cum eo tamen, ut nullo tempore is, qui deficit, non sit sustinendus.  (11)   Neque Her­cules satis est ipsas tantum febres medicum intueri, sed etiam totius cor­poris habi­tum et ad eum d‹e›rigere curationem, sive supersunt vires seu desunt seu qui­dam alii affectus interveniunt. Cum vero semper aegros securos agere con­veniat, ut corpore tantum, non etiam animo laborent, tum praecipue, ubi cibum sump­se­ runt. Itaque si qua sunt, quae exasperatura eorum animos sunt, opti­mum est ea, dum aegrotant, eorum notitiae subtrahere: si id fieri non potest, sustinere tamen post cibum usque somni tempus, et cum experrecti sunt, tum exponere. Caput VI Quando potiones febricitantibus dari expediat (1)  Sed de cibo quidem facilior cum aegris ratio est, quorum saepe stomachus hunc respuit, etiamsi mens concupiscit: de potione vero ingens pugna est, eoque

3,5,8–3,6,1

167

dann verabreicht, wenn der vorangegangene Anfall eben im Abklingen ist. Es ist nämlich eine feste Regel, an der sich jede Behandlungsmethode ausrichten soll, dass die Nahrungsaufnahme immer möglichst lange vor dem nächsten Anfall und, unbeschadet dessen, bei möglichster Beschwerdefreiheit erfolgen soll.  (9)  Dies gilt auch dann, wenn es nicht nur zwei, sondern mehrere Anfälle sind. Doch wenn es auch am ehesten angemessen ist, jeden zweiten Tag Nahrung zu reichen, muss sie doch täglich gereicht werden, wenn der Körper schwach ist, und dies noch viel mehr, wenn die Fieberanfälle ohne Besserung ineinander übergehen und den Körper umso mehr belasten, oder wenn zwei oder mehrere Anfälle am sel­ben Tag erfolgen. Dies macht es notwendig, dass sogleich vom ersten Tag an täglich Nahrung gereicht werden muss, wenn der Puls schon zu Beginn erlahmt ist, und mehrmals am Tag, wenn die Körperkräfte von Anfall zu Anfall schwinden.  (10)  Man muss aber in diesen Dingen darauf achten, nach sol­chen Fieberanfällen weniger Nahrung zu reichen, nach denen man, wenn es der körperliche Zustand gestattet, eigentlich gar nichts geben sollte. Wenn aber ein Fieberanfall bevorsteht, auftritt, sich steigert, anhält, nachlässt und sodann in vermindertem Maß anhält oder abklingt, dann muss man wissen, dass die beste Zeit für die Nahrungsaufnahme nach dem Abklingen des Fie­bers ist, die nächstbeste dann, wenn es in vermindertem Maß anhält, und die dritt­beste – wenn es sein muss – dann, wenn es nachgelassen hat, und dass alle anderen Zeiten Gefahren bergen. Besteht aber dringender Bedarf, weil der Patient schwach ist, ist es besser, etwas zu essen anzubieten, wenn das Fie­ber auf einer gewissen Höhe stehen geblieben ist, als wenn es noch steigt, bes­ ser, wenn ein Anfall bevorsteht, als wenn er bereits angefangen hat, aber unter diesem Vorbehalt, dass ein Patient, dessen Kräfte schwinden, zu jeder Zeit gestärkt werden muss.  (11)  Es ist nämlich weiß Gott nicht genug, wenn der Arzt nur auf die Fieberanfälle achtet, sondern er muss auf den Zustand des gesamten Körpers achten und seine Behandlung danach richten, sei es nun, dass die Patienten zu viel oder zu wenig Kraft haben, sei es, dass andere Beschwer­den dazukommen. Sorgenfrei zu sein ist zwar für die Kranken immer von Vorteil, sodass sie nur körperlich, nicht aber auch seelisch leiden, aber ganz besonders ist dies der Fall, nachdem sie Nahrung zu sich genommen haben. Wenn also etwas vorliegt, das ihren Geist aufwühlen könnte, ist es bes­ser, ihnen dies für die Dauer ihrer Krankheit zu verschweigen. Ist dies nicht mög­lich, soll man es doch bis nach der Mahlzeit und bis zur Schlafenszeit unter­drücken und es ihnen dann beim Aufwachen mitteilen. 6. Kapitel Wann man einem Fiebernden am besten zu trinken gibt (1)  Das Maßhalten bei der Nahrung fällt den Kranken oft recht leicht, weil ihr Magen wieder von sich gibt, wonach sie sehr wohl Appetit verspürt haben.

168

Liber tertius

magis, quo maior febris est. Haec enim sitim accendit, et tum maxime aquam exi­git, cum illa periculosissima est. Sed docendus aeger est, ubi febris quie­ rit, protinus sitim quoque quieturam, longioremque accessionem fore, si quod ei datum fuerit alimentum: ita celerius eum desinere sitire, qui non bibit.  (2)  Necesse est tamen, quanto facilius etiam sani famem quam sitim susti­ nent, tanto magis aegris in potione quam in cibo indulgere.  (3)  Sed primo qui­ dem die nullus umor dari debet, nisi subito sic venae ceciderunt, ut cibus quo­ que dari debeat, secundo vero ceterisque etiam, quibus cibus non dabitur, tamen si magna sitis urgebit, potio dari debet.  (4)  Ac ne illud quidem ab Hera­clida Tarentino dictum ratione caret: ubi aut bilis aegrum aut cruditas male habet, expedire quoque per modicas potiones misceri nova‹m› materia‹m› cor­rupta‹e›. Illud videndum est, ut qualia tempora cibo leguntur, talia potioni quo­que, ubi sine illo datur, deligantur ***, aut cum aegrum dormire cupiemus, quod fere sitis prohibet. Satis autem convenit, cum omnibus febricitantibus nimius umor alienus sit, tum praecipue esse feminis, quae ex partu in febres inci­derunt. (5)  Sed cum tempora cibo potionique febris et remissionis ratio det, non est expeditissimum scire, quando aeger febricitet, quando melior sit, quan­do deficiat; sine quibus dispensari illa non possunt. Venis enim maxime credi­mus, fallacissimae rei, quia saepe istae leniores celerioresve sunt et aetate et sexu et corporum natura. Et plerumque satis sano corpore, ‹si› stomachus infir­mus est, nonnumquam etiam incipiente febr‹e›, subeunt et quiescunt, ut inbe­cil­lus is videri possit, cui facile laturo gravis instat accessio.  (6)  Contra sae­pe eas concitare solet balneum et exercitatio et metus et ira et quilibet alius animi adfectus, adeo ut, cum primum medicus venit, sollicitudo aegri dubi­tantis, quomodo illi se habere videatur, eas moveat. Ob quam causam peri­ti medici est non protinus ut venit adprehendere manu brachium, sed primum desidere hilari vultu percontarique, quemadmodum se habeat, et si quis eius metus est, eum probabili sermone lenire, tum deinde eius corpori manum admo­ve­re. Quas venas autem conspectus medici movet, quam facile mille res turbant.  (7)  Altera

3,6,1–3,6,7

169

Was aber das Trinken betrifft, gibt es gewaltige Meinungsverschiedenheiten: je mehr, desto höher das Fieber ist. Fieber steigert nämlich den Durst und lässt das Verlangen nach Wasser am heftigsten sein, wenn es am gefährlichsten ist. Der Kranke muss aber belehrt werden, dass der Durst sofort abklingen wird, geht erst das Fieber zurück, dass ein Anfall länger dauert, wenn der Patient Nah­rung jeglicher Art erhält, und dass man umso rascher aufhören wird, durs­tig zu sein, wenn man nichts trinkt.  (2)  Man muss dem Kranken aber eher in Bezug auf das Trinken als auf das Essen Zugeständnisse machen, weil ja selbst ein Gesunder den Hunger leichter erträgt als den Durst.  (3)  Aber am ersten Tag darf man übe­rhaupt keine Flüssigkeit reichen, außer wenn der Puls so erlahmt ist, dass man auch Nahrung reichen muss, aber am zweiten Tag und auch an späteren Tagen, an denen man keine Nahrung reicht, muss man dem Kranken doch zu trinken geben, wenn ihn großer Durst quält.  (4)  Nicht ohne Wahrheitsgehalt ist auch die Meinung des Herakleides von Tarent, dass man sinnvollerweise durch mäßiges Trinken den verdorbenen Körperstoff mit frischem zu vermischen habe, wenn Galle oder eine schlechte Verdauung den Kranken plagen. Man muss darauf achten, dass dieselben Fristen, die zum Essen bestimmt werden, auch für das Trinken bestimmt werden, wenn dies ohne Essen gereicht wird . . . , oder wenn wir wünschen, dass der Kran­­ke schlafe, woran der Durst ihn gewöhnlich hindert. Es herrscht aber Über­einkunft, dass für alle Fieberkranken ein Zuviel an Flüssigkeit unange­mes­sen ist, ganz besonders aber für Frauen, die nach der Entbindung zu fie­bern begon­nen haben. (5)  Aber wenn auch der Rhythmus von Fieber und Besserung die Frist für Essen und Trinken festlegt, ist es doch nicht ganz einfach, festzustellen, wann ein Kranker fiebert, wann es ihm besser geht und wann schlechter. Ohne dieses Wis­sen kann man Essen und Trinken nicht zuteilen. Denn wir verlassen uns vor allem auf den Puls, eine höchst unzuverlässige Sache, da er je nach Alter, Geschlecht und Körperbau oftmals langsamer oder schneller geht. In vielen Fäl­len ist der Puls des gesunden Menschen bei Magenbeschwerden, oft aber auch bei beginnendem Fieber, langsam und gedämpft, sodass einer schwach erschei­nen könnte, der doch einen bevorstehenden Anfall mit Leichtigkeit ertra­gen würde.   (6)  Dagegen spornen Baden, körperliche Anstrengung, Furcht, Wut und andere Seelenregungen gewöhnlich den Puls an, sodass bei der ers­ ten Visite des Arztes die Sorge des Kranken, der nicht weiß, was die Diagnose sein wird, den Puls beschleunigt. Darum wird ein erfahrener Arzt ja auch nicht sofort beim Eintreten nach dem Arm des Kranken fassen, sondern zuerst mit freundlicher Miene Platz nehmen und im Plauderton nach dem Befin­den fra­ gen. Ist der Patient in Furcht, wird er ihn mit zuvorkommenden Wor­ten beru­ higen und erst dann seine Hand dem Körper des Kranken nähern. Wenn aber der Anblick des Arztes den Puls beschleunigt, wie leicht werden ihn tau­send andere Dinge in Unordnung bringen!  (7)  Das andere, worauf wir ver­trauen, die

170

Liber tertius

res est, cui credimus, calor, aeque fallax: nam hic quoque exci­tatur aestu, labore, som­­no, metu, sollicitudine. Intueri quidem etiam ista oportet, sed ‹e›is non omnia credere. Ac protinus quidem scire est, non febri­citare eum, cuius venae natu­­raliter ordinatae sunt, teporque talis est, qua­­lis esse sani solet: non protinus autem sub calore motuque febrem esse con­­ci­pere, sed ita: si summa quoque arida inaequaliter cutis est; si calor et in fronte est et ex imis praecordiis oritur; si spiritus ex naribus cum fervore pro­­rum­pit; si color aut rubore aut pallore novo mutatus est; si oculi graves et aut persicci aut subumidi sunt; si sudor, cum sit, inaequalis est; si venae non aequalibus intervallis moventur.  (8)  Ob quam causam medicus neque in tenebris neque a capite aegri debet residere, sed inlustri loco adversus, ut omnes notas ex voltu quoque cubantis percipiat. Ubi vero febris fuit ac decre­vit, expectare oportet, num tempora partesve corporis aliae paulum mades­cant, quae sudorem venturum esse testentur; ac si qua nota est, tum demum dare potui aquam calidam, cuius salubris effectus est, si sudorem per omnia mem­bra diffundit.  (9)  Huius autem rei causa continere aeger sub veste satis mul­ta manus debet, eademque crura pedesque contegere; qua male plerique aegros in ipso febris impetu, pessimeque, ubi ardens ea est, male habent. Si suda­re corpus coepit, linteum tepefacere oportet paulatimque sin­gula membra dete‹r›gere. At ubi sudor omnis finitus est, aut si is non venit, ubi quam maxi­me potuit idoneus esse cibo aeger videtur, leviter sub veste ungendus est, tum deter­gendus, deinde ei cibus dandus. (10)  Cibus autem febricitantibus umidus est aptissimus aut umori certe quam pro­ximus, utique ex materia quam levissima maximeque sorbitio; eaque, si mag­­nae febres fuerint, quam tenuissima esse debet. Mel quoque despumatum huic recte adicitur, quo corpus magis nutriatur: sed id si stomachum offendit, super­va­cuum est, sicut ipsa quoque sorbitio. Dari vero in vicem eius potest vel intri­ta ex aqua calida vel halica ‹e›lota; si firmus est stomachus et compressa alvus, ex aqua mulsa; si vel ille languet vel haec profluit, ex posca.  (11)  Et pri­ mo quidem cibo id satis est: secundo vero aliquid adici potest, ex eodem tamen genere materiae, vel holus vel conchylium vel pomum. Et dum febres qui­dem increscunt, hic solus cibus idoneus est: ubi vero aut desinunt aut levantur,­

3,6,7–3,6,11

171

Körpertemperatur, ist ebenso unzuverlässig, denn auch sie wird durch Hitze, Anstrengung, Schlaf, Furcht und Sorge gesteigert. Auf sol­che Din­ge soll man wohl achten, ihnen aber nicht ganz und gar vertrauen. Und wir wissen sofort, dass der Patient nicht fiebert, wenn sein Puls sein natürliches Gleichmaß hat und seine Temperatur so ist, wie gewöhnlich bei gesun­den Menschen. Wir dürfen aber von erhöhter Temperatur und raschem Puls nicht sofort auf Fieber schließen, sondern nur dann, wenn die Oberfläche der Haut an verschiedenen Stellen trocken ist, wenn die Stirn heiß ist und ganz unten am Bauch Hitze entsteht, wenn der Atem glühend aus der Nase kommt, wenn der Patient sich zu einer untypischen Röte oder Blässe verfärbt, wenn die Augen schwer und entweder ganz trocken oder sehr feucht sind, wenn der Schweiß, falls er auftritt, dies stellenweise tut und wenn der Puls unregel­mäßig ist.  (8)  Aus diesem Grund darf der Arzt nicht im Finsteren oder zu Häup­­ten des Kranken sitzen, sondern muss dem Kranken in einem hellen Zim­­mer gegenübertreten, sodass er alle Anzeichen im Gesicht erkennen kann, auch wenn der Kranke bettlägrig ist. War Fieber vorhanden und ist es zurückgegangen, muss man darauf achten, ob die Schläfen oder andere Kör­­per­­stellen ein wenig feucht sind, was ein Anzeichen von beginnendem Schweiß ist. Erst, wenn man dergleichen bemerkt, soll man dem Kranken hei­ßes Wasser zu trinken geben, das eine heilsame Wirkung hat, wenn es den Schweiß­­ausbruch auf den ganzen Körper verteilt.  (9)  Aus ebendiesem Grund soll der Kranke seine Hände gänzlich unter der Bettdecke behalten und mit die­ser auch seine Beine und Füße einhüllen. Viele Ärzte quälen allerdings die Kran­­ken, indem sie sie während der Fieberanfälle zude­ cken, und dies ist am ärgsten, wenn das Fieber am heftigsten ist. Beginnt der Kör­per zu schwitzen, soll man ein Leinentuch erwärmen und nach und nach die Kör­perteile einzeln abwi­­schen. Wenn der Schweißausbruch ganz vorüber ist oder wenn er über­haupt nicht stattgefunden hat, muss man den Kranken, sofern sein Zustand nach Möglichkeit Nahrungszufuhr erlaubt, unter der Bettdecke leicht sal­­ben, ihn dann abwischen und ihm Nahrung reichen. (10)  Am besten für Fieberkranke geeignet ist flüssige oder doch möglichst flüs­si­ge Nahrung, vor allem aus möglichst leichten Zutaten, und ganz beson­ ders Suppe. Nach hohem Fieber muss diese so dünn wie möglich sein. Dazu kann passenderweise auch filtrierter Honig treten, um dem Körper mehr Nähr­ stoffe zukommen zu lassen. Wenn er aber den Magen belastet, lässt man ihn besser aus, ebenso wie auch die Suppe. Statt dessen kann man gerie­benes Brot in heißem Wasser oder eingeweichten Dinkel reichen – ist der Magen bei Kräften und der Stuhl hart, in Honigwein, ist der Magen schwach und der Stuhl weich, in Essig.  (11)  Als erste Mahlzeit wird dies ganz ausreichend sein; bei der nächsten kann man aber andere Speisen von dersel­ben Stofflichkeit hinzufügen: Gemüse, Schalentiere oder Obst. Wenn das Fie­ber freilich steigt, ist dies die einzige geeignete Nahrung, wenn es aber nach­lässt oder abklingt, muss man

172

Liber tertius

semper quidem incipiendum est ab aliquo ex materia levissima, adicien­dum vero aliquid ex media, ratione habita subinde et virium hominis et mor­bi. Ponen­di vero aegro varii cibi, sicut Asclepiades praecepit, tum demum sunt, ubi fastidio urgetur neque satis vires sufficiunt, ut paulum ex singulis degus­ tando famem vitet.  (12)  At si neque vis neque cupiditas deest, nulla varietate sol­­licitandus aeger est, ne plus adsumat quam concoquat. Neque verum est, quod ab eo dicitur, facilius concoqui cibos varios: eduntur enim facilius, ad con­coctionem autem materiae genus et modus pertinent. Neque inter magnos dolo­res neque increscente morbo tutum est aegrum cibo impleri, sed ubi incli­ nata iam in melius valetudo est. (13)  Sunt aliae quoque in febribus observationes necessariae. Atque id quo­ que videndum est, quod quidam solum praecipiunt, adstrictum corpus sit an pro­fluat; quorum alterum strangulat, alterum digerit. Nam si adstrictum est, ducenda alvus est, movenda urina, eliciendus omni modo sudor. In hoc genere morborum emisisse sanguinem, concussisse vehe­ men­ti‹b›us gestationibus corpus, in lumine habuisse, imperasse famem, sitim, vigi­liam prodest.   (14)  Utile est etiam ducere in balneum, prius demittere in solium, tum ungere, iterum ad solium redire multaque aqua fovere inguina; inter­dum etiam oleum in solio cum aqua calida miscere; uti cibo serius et rarius, tenui, simplici, molli, calido, exiguo, maximeque holeribus, qualia sunt lapatium, urtica, malva, vel iure etiam concharum musculorumve aut lucusta­ rum: neque danda caro nisi elixa est. At potio esse debet magis liberalis, et ante cibum et post hunc et cum hoc ultra quam sitis coget. Poteritque a bali­neo etiam pinguius aut dulcius dari vinum; poterit semel aut bis interponi Grae­cum sal­sum. (15)  Contra vero si corpus profluit, sudor coercendus, requies habenda erit, tenebris somnoque, quandoque volet, utendum, non nisi leni gestatione cor­ pus agitandum, et pro genere mali subveniendum. Nam si venter fluit, aut si sto­machus non continet, ubi febris decrevit, liberaliter oportet aquam tepidam

3,6,11–3,6,15

173

den Anfang immer mit Speisen von sehr leich­ter Stofflichkeit machen und dann zu etwas stofflich Durchschnittlichem über­gehen, wobei immer auf die Kräfte des Patienten und auf seine Krankheit zu achten ist. Dass man dem Kranken verschiedene Gerichte zur Auswahl vor­legt, wie Asklepiades es gelehrt hat, soll nur dann geschehen, wenn er von Appe­titlosigkeit geplagt wird oder nicht mehr genügend Kraft hat, sodass er dem Hun­ger entgehen kann, indem er von allem ein wenig kostet.  (12)  Wenn aber weder die Kraft noch der Appetit fehlen, soll der Kranke nicht durch eine rei­che Auswahl verlockt werden, damit er nicht mehr isst, als er verdauen kann. Es stimmt auch nicht, was Asklepiades sagt: dass es nämlich leichter sei, eine bun­te Mischung von Speisen zu verdauen. Es ist wohl leichter, so etwas zu ver­zehren, aber die Verdauung hängt von der Art und der Menge des Stoffs ab. Wenn der Kranke große Schmerzen leidet oder wenn sein Zustand sich ver­schlech­tert, ist es gefährlich, ihn mit Essen vollzustopfen; dies ist aber nicht der Fall, wenn er sich schon auf dem Weg der Besserung befindet. (13)  Man muss aber bei Fiebererkrankungen noch auf andere Dinge achten. So muss man feststellen – für einige ist dies der gesamte Inhalt ihrer Lehre –, ob der Leib verstopft ist oder zum Durchfall neigt. Ersteres erstickt ihn, letz­te­ res löst ihn auf. Ist er nämlich verstopft, muss man einen Einlauf machen, den Harn fördern und mit allen Mitteln einen Schweißausbruch herbeiführen. Bei dieser Art von Erkran­­kung ist es förderlich, den Patienten zur Ader zu lassen, seinen Körper durch heftiges Schaukeln anzuregen, ihn in einen hellen Raum zu verlegen und ihn fasten, dürsten und wachen zu lassen.  (14)  Es hilft auch, wenn man ihn ins Bad bringt, ihn erst in die Wanne eintauchen lässt, dann salbt und dann wieder zur Wanne zurückbringt und seine Leistengegend mit viel Wasser erwärmt sowie mitunter auch Öl in das heiße Wasser der Badewanne mischt, erst später ein wenig Essen reicht, und zwar leichte, einfache, weiche, warme, magere Spei­­­sen, vor allem Gemüse, wie etwa Sauerampfer, Brennnessel und Malve, aber auch Suppe aus Schalentieren, Miesmuscheln oder Langusten. Fleisch darf man aber nur reichen, wenn es gesotten ist. Mit den Getränken muss man groß­­ zügiger sein, sowohl vor als auch nach und während der Mahlzeit und über das Durstgefühl hinaus. Nach dem Bad kann man auch schwereren und süße­ren Wein reichen, und ein- oder zweimal kann man zur Abwechslung gesal­zenen griechischen Wein reichen. (15)  Neigt der Kranke aber im Gegenteil zum Durchfall, muss man den Schweiß hemmen, Bettruhe verordnen, den Kranken nach Belieben im Dunkeln schla­fen lassen, den Körper nur ganz leicht schaukeln und der Krankheit auf pas­sende Weise begegnen. Wenn der Stuhl flüssig ist und der Magen nichts bei sich behalten kann, muss man, wenn erst das Fieber gesunken ist, reichlich lau­­war­mes Wasser zu trinken geben und Brechreiz herbeiführen, es sei denn

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Liber tertius

potui dare, et vomere cogere, nisi aut fauces aut praecordia aut latus dolet, aut vetus morbus e‹s›t.  (16)  Si vero sudor exercet, duranda cutis est nitro vel sale, quae cum oleo miscentur; ac si levius id vitium est, oleo corpus ungendum; si vehe­­mentius, rosa vel melino vel murteo, cui vinum austerum sit adiectum. Quis­­­quis autem fluore aeger est, cum venit in balineum, prius ungendus, dein­ de in solium d‹e›mittendus est.  (17)  Si in cute vitium est, frigida quoque quam cali­­da aqua melius utetur. Ubi ad cibum ventum est, dari debet is valens, fri­gi­ dus, siccus, simplex, qui quam minime corrumpi possit, panis tostus, caro assa, vinum austerum vel certe subausterum; si venter profluit, calidum, si sudo­res nocent vomitusve sunt, frigidum. Caput VII Quomodo pestilentes febres curari debeant. Curatio ardentis febris (1a)  Desiderat quoque propriam animadvorsionem in febribus pestilentiae casus. In hac utile minime est aut fame aut medicamentis uti, aut ducere alvum. Si vires sinunt, sanguinem mittere optimum est, praecipueque si cum dolore febris est: si id parum tutum est, ubi febris aut tenuata est aut levata est, vomitu pectus purgare. Sed in hoc maturius quam in aliis morbis ducere in balineum opus est, vinum calidum et meracius dare, et omnia glutinosa; inter quae carnem quoque generis eiusdem.  (1b)  Nam quo celerius eiusmodi tem­ pestates corripiunt, eo maturius auxilia etiam cum quadam temeritate rapien­da sunt. Quod si puer est qui laborat, neque tantum robur eius est, ut ei sanguis mitti possit, siti ei utendum est, ducenda alvus vel aqua vel tisanae cre­more, tum denique is levibus cibis nutriendus. Et ex toto non sic pueri ut viri curari debent.  (1c)  Ergo, ‹ut› in alio quoque genere morborum, parcius in his agen­ dum est: non facile sanguinem mittere, non facile ducere alvum, non cruciare vigi­lia fameque aut nimia siti, non vino curare satis convenit. Vomi­tus post febrem eliciendus est, deinde dandus cibus ex levissimis, tum is dormiat; pos­ te­ro­que die, si febris manet, abstineatur; tertio ad similem cibum redeat. Dan­ daque opera est, quantum fieri potest, ut inter oportunam absti­nentiam cibos­que oportunos, omissis ceteris, nutriatur.

3,6,15–3,7,1c

175

bei Schmerzen in der Kehle, dem Brustkorb oder den Flanken oder bei einer lang­­wierigen Erkrankung.   (16)  Wenn das Schwitzen anstrengt, muss die Haut mit Salpeter oder Salz, beides mit Öl vermischt, gefestigt werden. Wenn das Lei­den nur leicht ist, muss man den Körper mit Öl salben, wenn es schwerer wiegt, nimmt man Quitten-, Myrten- oder Rosenöl, dem man trockenen Wein bei­gemischt hat. Einen Durchfallkranken muss man sofort salben lassen, wenn er ins Bad kommt, und dann in die Badewanne eintauchen lassen.  (17)  Liegt ein Hautleiden vor, benützt man besser kaltes Wasser als heißes. Was das Essen angeht: man soll dem Patienten nahrhafte, kal­te, trockene Kost ver­ab­reichen, die so wenig wie möglich verderben kann – geröstetes Brot, gebra­tenes Fleisch, trockenen oder wenigstens halbtrockenen Wein, und zwar warm, wenn der Leib zum Fließen neigt, und kalt bei quälen­dem Schweiß und bei Erbrechen. 7. Kapitel Die Heilung von Seuchenfiebern und brennendem Fieber (1a)  Unter den Fiebererkrankungen verdienen Seuchenfälle unser besonderes Augen­merk. Bei solchen ist es fast ganz nutzlos, Fasten oder Arzneien zu ver­ schreiben oder Einläufe zu machen. Wenn es die Kräfte zulassen, erfolgt am bes­ten ein Aderlass, vor allem, wenn das Fieber von Schmerzen begleitet ist. Ist dies aber nicht ohne Gefahr, wird die Brust durch ein Brechmittel erleich­ tert, wenn das Fieber nachlässt oder abklingt. Es ist in diesen Fällen nötig, den Kranken rascher als bei anderen Erkrankungen ins Bad zu bringen, und ihm war­men und eher unverdünnten Wein und jedwede gallertigen Speisen zu rei­­ chen, darunter auch Fleisch von dieser Art.  (1b)  Je rascher nämlich solche Ver­ häng­nisse um sich greifen, umso schneller müssen Hilfsmaßnahmen in Angriff genom­men werden, selbst aufs Geratewohl. Wenn ein Kind befallen wird und zum Aderlass nicht kräftig genug ist, muss man es dürsten lassen, einen Ein­ lauf mit Wasser oder Gerstenschleim machen und es dann mit leichter Kost ernähren. Überhaupt darf man Kinder nicht gleich wie Erwachsene behan­ deln.  (1c)  Man muss daher in diesen Dingen, wie bei allen Arten von Erkran­ kun­gen, schonender vorgehen. Es geht nicht einfach an, ohne Weiteres Ader­ läs­se vorzunehmen, ohne Weiteres Einläufe zu machen, den Patienten mit Wachen, Hunger und allzu viel Durst zu martern und Wein als Heilmittel zu verwenden. Nach einem Fieberanfall muss man Erbrechen hervorrufen, dann die leichtestmögliche Nahrung reichen, dann soll der Patient schlafen. Hält das Fieber am nächsten Tag an, soll er fasten, am dritten Tag soll er sich wie­der der erwähnten Kost zuwenden. Unser Bemühen soll es sein, ihn bei Kräf­ten zu erhalten, soweit dies möglich ist, durch Nahrung, wo angemessen, und Fas­ten, wo angemessen, und sonst nichts.

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Liber tertius

(2a)  Si vero febris ardens extorret, nulla medicamenti danda potio est, sed in ipsis accessionibus oleo et aqua refrigerandus est; quae miscenda manu sunt, donec albescant. Eo conclavi tenendus, quo multum et purum aerem trahere pos­sit; neque multis vestimentis strangulandus, sed admodum levibus tantum velan­dus est. Possunt etiam super stomachum inponi folia vitis in aqua frigida tinc­ta.   (2b)  Ac ne siti quidem nimia vexandus est. Alendus maturius est, id est a tertio die, et ante cibum idem perungendus. Si pituita in stomachum coit, incli­nata iam accessione vomere cogendus est; tum dandum frigidum holus, aut pomum ex is, quae stomacho conveniunt. Si siccus manet stomachus, pro­ ti­nus vel tisanae vel halicae vel orizae cremor dandus est, cum quo recens adeps cocta sit.  (2c)  Cum vero in summo incremento morbus est, utique non ante quartum diem, magna siti antecedente, frigida aqua copiose praestanda est, ut bibat etiam ultra satietatem. Cum iam venter et praecordia ultra modum reple­ta satisque refrigerata sunt, vomere debet. Quidam ne vomitum quidem exi­gunt, sed ipsa aqua frigida tantum ad satietatem data pro medicamento utun­ tur. Ubi utrumlibet factum est, multa veste operiendus est, et collocandus ut dormiat; fereque post longam sitim et vigiliam, post multam satietatem, post infractum calorem plenus somnus venit;  (2d)  per quem ingens sudor effun­ditur, idque praesentissimum auxilium est, sed in is tamen, in quibus prae­ter ardorem nulli dolores, nullus praecordiorum tumor, nihil prohibens vel in thorace vel in pulmone vel in faucibus, non ulcera, non deiectio, non pro­fluvium alvi fuit. Si quis autem in huiusmodi febre leviter tussit, is neque vehe­menti siti conflictatur, neque bibere aquam frigidam debet, sed eo modo curan­dus est, quo in ceteris febribus praecipitur. Caput VIII Curatio semitertianae febris, quae ἡμιτριταῖος dicitur (1)  At ubi id genus tertianae est, quod emitritaeon [ἡμιτριταῖον] medici appel­lant, magna cura opus est, ne id fallat: habet enim plerumque frequentes acces­siones decessionesque, ut aliud genus morbi videri possit porrigique febris

3,7,2a–3,8,1

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(2a)  Wenn aber ein glühendes Fieber den Kranken verbrennt, darf man ihm kei­nen Heiltrank reichen, sondern muss ihn, während die Anfälle andauern, mit Wasser und Öl kühlen, die man mit der Hand verrühren muss, bis die Mischung weiß ist. Man muss ihn auf ein Zimmer beschränken, wo er reichlich rei­ne Luft atmen kann, er soll nicht durch zu viel Zudecken erstickt werden, son­ dern man soll leichte Decken einfach auf ihn legen. Man kann ihm auch mit kaltem Wasser getränktes Weinlaub auf den Magen legen.  (2b)  Auch soll man nicht zulassen, dass der Patient zu sehr vom Durst gequält wird. Zu essen muss man ihm bald geben, das heißt vom dritten Tag an, und vor dem Essen muss er am ganzen Körper gesalbt werden. Wenn sich im Magen Schleim ansam­ melt, soll man bei Abklingen des Fiebers Brechreiz herbeiführen und sodann kaltes Gemüse oder Obst von jenen Arten reichen, die der Magen leicht verträgt. Bleibt der Magen trocken, muss man sogleich mit frischem Schmalz verkochten Gersten-, Dinkel- oder Reisschleim anbieten.  (2c)  Ist die Krank­heit auf ihrem Höhepunkt, aber auf keinen Fall vor dem vierten Tag, und hat sich heftiger Durst gezeigt, muss man dem Patienten reichlich kaltes Wasser geben, von dem er seinen Durst stillen und noch darüber hinaus trinken soll. Sind Magen und Oberbauch übermäßig voll und ausreichend abgekühlt, soll der Kranke sich erbrechen. Manche verordnen nicht einmal Erbrechen, son­dern verwenden als Arznei nur kaltes Wasser, bis der Durst gelöscht ist. Wenn eines davon erledigt ist, muss sich der Patient in viele Decken einhüllen lassen und zum Schlafen hinlegen, denn meistens schläft man tief, wenn man zuvor lan­ge wach und durstig gewesen ist und sich dann voll und satt getrunken und die Fieberhitze gesenkt hat.  (2d)  Dieser Schlaf führt zu einem heftigen Schweiß­ausbruch, der unmittelbar Erleichterung verschafft, aber nur bei Patien­ten, bei denen außer erhöhter Temperatur keine Schmerzen, keine Schwel­lung des Oberbauchs, kein Hindernis im Brustkorb, der Lunge oder der Kehle, keine schwärenden Wunden, kein Durchfall und kein Ausfluss aus dem Darm vorhanden waren. Wenn der Patient an dieser Art von Fieber leidet und leicht hustet, soll man ihn nicht mit zu viel Durst belasten, und er soll auch kein kaltes Wasser trinken. Vielmehr ist er so zu behandeln, wie wir es für ande­re Arten von Fieber vorgeschrieben haben.3 8. Kapitel Das Semitertianfieber oder Hemitritaios und seine Behandlung (1)  Handelt es sich aber um jene Art von Tertianfieber, die die Ärzte Hemitri­ taios nennen, muss man sich sehr vor Behandlungsfehlern hüten. Es kommt dabei nämlich zu zahlreichem und häufigem Auftreten und Abklingen von Anfäl­len, sodass man es für eine andere Erkrankung halten könnte, und das Fie-­ 3

3,4–6.

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Liber tertius

inter horas XXIIII et XXXVI, ut quod idem est, non idem esse videatur.  (2)  Et magnopere necessarium est neque dari cibum nisi in ea remissione, quae vera est, et ubi ea venit, protinus dari. Plurimique sub alterutro curantis errore subi­ to moriuntur. Ac nisi magnopere res aliqua prohibet, inter initia sanguis mitti debet, tum dari cibus, qui neque incitet febrem, et tamen longum eius spatium susti­neat. Caput IX Curatio lentarum febrium (1)  Nonnumquam etiam lentae febres sine ulla remissione corpus tenent, ac neque ‹cibo neque› ulli remedio locus est. In hoc casu medici cura esse debet, ut morbum mutet: fortasse enim curationi oportunior fiet. Saepe igi­tur ex aqua frigida, cui oleum sit adiectum, corpus eius pertractandum est, quo­niam interdum sic evenit, ut horror oriatur et fiat initium quoddam novi motus exque eo, cum magis corpus incaluit, sequatur etiam remissio. In his frictio quoque ex oleo et sale salubris videtur.  (2)  At si diu frigus est et tor­por et iactatio corporis, non alienum est in ipsa febre mulsi dare tres aut quat­tuor cyathos, vel cum cibo vinum bene dilutum. Intenditur enim saepe ex eo febris, et maior ortus calor simul et priora mala tollit et spem remissionis inque ea curationis ostendit. Neque Hercules ista curatio nova est, qua nunc qui­dem traditos sibi aegros, qui sub cautioribus medicis trahebantur, interdum con­trariis remediis sanant. Siquidem apud antiquos quoque ante Herophilum et Erasistratum maximeque post Hippocratem fuit *** Petro quidam, qui febri­c itantem hominem ubi acceperat, multis vestimentis operiebat, ut simul calo­rem ingentem sitimque excitaret.  (3)  Deinde ubi paulum remitti coeperat febris, aquam frigidam potui dabat, ac si moverat sudorem, explicuisse se aegrum iudicabat; si non moverat, plus etiam aquae frigidae ingerebat et tum vomere cogebat. Si alterutro modo febre liberaverat, protinus suillam assam et vinum homini dabat; si non liberaverat, decoquebat aquam sale adiec­to eamque bibere cogebat, ut movendo ventrem purgaret. Et intra haec omnis eius medicina erat: eaque non minus grata fuit is, quos Hippocratis succes­sores non refecerant, quam nunc est is, quos

3,8,1–3,9,3

179

ber hält zwischen 24 und 36 Stunden an, sodass man ein- und denselben Anfall eben nicht für ein- und denselben ansehen könnte.  (2)  Es ist auch von gro­ßer Wich­tig­keit, Nahrung nur im Fall eines wirklichen Nachlassens des Fie­bers zu rei­chen, dann aber unverzüglich. Viele sterben plötzlich, wenn der behandelnde Arzt in einem dieser Punkte irrt. Wenn kein zwingendes Hin­der­nis vorliegt, soll man den Patienten zu Beginn der Krankheit zur Ader las­sen, ihm dann Speisen anbie­ten, die zwar das Fieber nicht steigern, aber doch Kraft für einen langen Krank­heits­verlauf geben. 9. Kapitel Schleichende Fiebererkrankungen und ihre Behandlung (1)  Manchmal ergreift ein schleichendes Fieber Besitz vom Patienten, ohne jemals nachzulassen In diesem Fall besteht keine Gelegenheit, dem Patien­ten zu essen zu geben oder irgendwie Besserung herbeizuführen. Dann muss der Arzt sich bemühen, die Krankheit abzuändern, denn dann wird sie womöglich leichter zu behandeln. Daher muss er den Kranken öfters mit kaltem Wasser unter Beimengung von Öl besprengen, denn dies führt mit­­­unter zu Schüttelfrost, und es beginnt neue Bewegung, und dann kann es zu einer Besserung kommen, wenn der Körper sich mehr erwärmt. Dabei schei­­nen auch Massagen mit Öl und Salz heilsam zu sein.  (2)  Wenn aber ein Käl­te­gefühl mit Starrheit des Körpers und Zuckungen länger andauert, ist es nicht verfehlt, während das Fieber anhält, drei bis vier Becher Honigwein oder aber gut verdünnten Wein zusammen mit einer Mahlzeit zu reichen. Dies steigert nämlich oft das Fieber, und die dabei entstehende höhere Kör­per­tem­pe­ratur schafft dem vorhandenen Leiden Erleichterung und lässt zugleich auf Besserung und damit Heilung hoffen. Es ist weiß Gott keine neu­ar­tige Behandlungsmethode, wenn heutzutage einige Leute Kranke, die unter zaghafteren Ärzten dahingesiecht sind, wieder gesund machen, wobei sie oftmals ganz verkehrte Heilmittel anwenden. Denn auch bei den Alten, noch vor Herophilos und Erasistratos und besonders vor Hippokrates, war . . . ein gewisser Petron, der, wenn er einen Fieberkranken in Behandlung nahm, diesen in eine Menge Decken einpackte, um zugleich eine Erhöhung der Temperatur und heftigen Durst hervorzurufen.  (3)  Wenn das Fieber dann ein wenig zurückzugehen begann, gab er ihm kaltes Wasser zu trin­ken, und wenn dies den Kranken in Schweiß versetzte, erklärte er, dass er ihn gerettet habe. Wenn es ihn nicht in Schweiß versetzte, verabreichte er ihm noch mehr kaltes Wasser und nötigte ihn dann zu erbrechen. Hatte er den Patienten, entweder so oder so, vom Fieber befreit, bot er ihm sogleich gebra­ te­nes Schweinefleisch und Wein an. War es ihm nicht gelungen, kochte er Was­ ser mit Salz ab und nötigte ihn, es zu trinken, damit es ihn abführe und somit reinige. Hierin bestand seine gesamte Heilkunst, und sie war bei den Patien­ten, die von den Hippokrates-Schülern nicht geheilt worden waren, nicht weniger

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Herophili vel Erasistrati aemuli diu tractos non adiuverunt.  (4)  Neque ideo tamen non est temeraria ista medi­cina, quia, si plures protinus a principiis exce­ pit, interemit. Sed, cum eadem omnibus convenire non possint, fere quos ratio non restituit, temeritas adiu­vat; ideoque eiusmodi medici melius alienos aegros quam suos nutriunt. Sed est circumspecti quoque hominis et novare interdum et augere morbum et febres accendere, quia curatio‹nem› ubi id quod est non reci­pit, potest recipere id quod futurum est. Caput X Remedia in febribus ad capitis dolorem et praecordiorum inflammationem et ariditatem et scabritiem linguae (1)  Considerandum est etiam, febresne solae sint, an alia quoque his mala acce­dant, id est, num caput doleat, num lingua aspera, num praecordia intenta sint. Si capitis dolores sint, rosam cum aceto miscere oportet et in id ingerere; dein­­­de habere duo pittacia, quae frontis latitudinem longitudinemque aequent, ex his invicem alterum in aceto et rosa habere, alterum in fronte; aut intinctam isdem lanam sucidam inponere. Si acetum offendit, pura rosa utendum est; si rosa ipsa laedit, oleo acerbo.  (2)  Si ista parum iuvant, teri potest vel iris arida vel nuces amarae vel quaelibet herba ex refrigerantibus; quorum quidlibet ex ace­­to inpositum dolorem minuit, sed magis aliud in alio. Iuvat etiam panis cum papa­­vere iniectus, vel cum rosa, cerussa spumave argenti. Olfacere quo­que vel ser­­pullum vel anethum non alienum est. At si in praecordiis inflammatio et dolor est, primo superimponenda sunt cataplasmata reprimentia, ne, si calidiora fuerint, plus eo materiae concur­rat; deinde si prima inflammatio se remisit, tum demum ad calida et umi­da venien­ dum est, ut ea, quae remanserunt, discutiant.  (3)  Notae vero inflamma­tio­nis sunt quat­tuor: rubor et tumor cum calore et dolore. Quo magis erravit Era­si­stratus, cum febrem nullam esse sine hac dixit. Ergo si sine inflammatione dolor est, nihil imponendum est: hunc enim statim ipsa febris solvet. At si neque inflam-

3,9,3–3,10,3

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willkommen, als sie es heute bei jenen ist, die unter den Jüngern des Herophilos oder des Erasistratos lange dahinsiechen, ohne Besserung zu fin­den.  (4)  Diese Behandlungsweise ist allerdings recht abenteuerlich, denn gleich zu Beginn der Krankheit angewendet, hat sie schon viele das Leben gekos­tet. Aber weil eben nicht bei allen Kranken dieselben Dinge helfen kön­nen, hilft oftmals eine abenteuerliche Maßnahme solchen Kranken, die ein planmäßiges Vorgehen nicht geheilt hat. Ärzte dieser Schule sind daher eher geeignet, die Patienten anderer Leute zu pflegen, als ihre eigenen. Aber auch ein umsichtiger Mensch wird fallweise die Krankheit intensivieren und das Fieber steigern, denn wenn das Bestehende auf eine Behandlung nicht anspricht, kann doch das Zukünftige darauf ansprechen. 10. Kapitel Heilmittel gegen Kopfschmerz, Entzündung der Brust und trockene, beleg­ te Zunge bei Fiebererkrankungen (1)  Man muss auch erwägen, ob das Fieber allein auftritt oder ob andere Lei­ den dazukommen, das heißt, ob der Kopf schmerzt, ob die Zunge rau ist und ob der Brustkorb beengt ist. Bei Kopfschmerz hilft es, Rosenöl mit Essig zu mischen und den Kopf damit einzureiben, dann zwei Leinenstreifen zu nehmen, jeder so breit und hoch wie die Stirn, und diese jeweils abwechselnd in die Öl-Essig-Mischung ein­zu­tau­ chen und auf die Stirn zu legen. Außerdem hilft es, wenn man Roh­wolle in die­selbe Mischung taucht und sie dann auflegt. Wird der Essig als unan­genehm empfunden, muss man reines Rosenöl verwenden, und wenn selbst das Rosenöl Schmerz verursacht, nimmt man herbes Olivenöl.  (2)  Hilft dies alles nur wenig, kann man getrocknete Schwertlilien oder Bittermandeln oder aber beliebige kühlende Kräuter zerstoßen. Jedes beliebige hiervon lin­dert den Schmerz, wenn es mit Essig aufgelegt wird, die einen mehr, die ande­ren weniger. Auch helfen Brot, in Mohnsaft oder Rosenöl getränkt, sowie Blei­weiß und Lithargyrum. Es ist auch nicht verfehlt, wenn man Thymian oder Anis schnupft. Bei Entzündung oder Schmerz des Brustraumes aber muss man zuerst krank­heits­hem­mende Umschläge machen, damit sich dort nicht etwa mehr Krankheitsstoff sammle, wenn man heißere anwendet. Ist die erste Entzün­dung dann ein wenig zurückgegangen, und erst dann, darf man zu heißen, feuch­ten Umschlägen übergehen, um die verbliebene Entzündung zu ver­trei­ben.  (3)  Eine Entzündung erkennt man an vier Anzeichen: Rötung, Schwel­lung, Hitze und Schmerz. Wie sehr war Erasistratos im Irrtum, als er lehrte, es gebe kein Fieber ohne Entzündung! Wenn also Schmerz ohne Entzündung vor­liegt, soll man gar nichts auflegen, denn dann wird das Fieber den Schmerz unver­züglich lösen.

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Liber tertius

matio neque febris sed tantum praecordiorum dolor est, protinus cali­dis et siccis fomentis uti licet. (4)  Si vero lingua sicca et scabra est, detergenda primum penicillo est ex aqua calida, deinde unguenda mixtis inter se rosa et melle. Mel purgat, rosa repri­ mit simulque siccescere non sinit. At si scabra non est sed arida, ubi peni­cillo detersa est, ungi rosa debet, cui cerae paulum sit adiectum. Caput XI Remedia contra frigus, quod febrem praecedit (1)  Solet etiam ante febres esse frigus idque vel molestissimum morbi genus est. Ubi id expectatur, omni potione prohibendus est aeger: haec enim paulo ante data multum malo adicit. Item maturius veste multa tegendus est; admovenda par­tibus is, pro quibus metuimus, sicca et calida fomenta sic, ne statim vehe­ mentissimi calores incipiant, sed paulatim increscant.  (2)  Perfricandae quoque eae partes manibus unctis ex vetere oleo sunt eique adiciendum aliquid ex cale­facientibus. Contentique medici quidam una frictione etiam ex quolibet oleo sunt. In harum febrium remissionibus nonnulli tres aut quattuor cyathos sor­bi­tionis etiamnu‹m› manente febre dant, deinde ea bene finita reficiunt sto­ machum cibo frigido et levi. Tum hoc ego puto temptandum, quo‹m› parum cibus semel et post febrem datus prodest.  (3)  Sed curiose prospiciendum, ne tem­pus remissionis decipiat: saepe enim ‹in› hoc quoque genere valetudinis iam minui febris videtur, et rursus intenditur. Aliqua ei remissioni credendum est, quae etiam moratur et iactationem foetoremque quendam oris, quem oze­n‹am› [ὄζην] Graeci vocant, minuit. Illud satis convenit, si cottidie pares acces­siones sunt, cotidie parvum cibum dandum: si inpares, post graviorem, cibum; post leviorem, aquam mulsam.

3,10,3–3,11,3

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Liegt aber weder Entzündung noch Fieber vor, sondern nur Schmerz im Brust­ raum, kann man gleich von Anfang an heiße, trockene Umschlä­ge verwenden. (4)  Ist aber die Zunge trocken und belegt, muss man sie zuerst mit einem in heißes Wasser getauchten Bürstchen reinigen und sie sodann mit einem Gemisch aus Rosenöl und Honig salben. Der Honig reinigt, und das Öl hemmt die Krankheit und verhindert zugleich, dass die Zunge austrocknet. Ist die Zun­ ge nicht belegt, sondern nur trocken, muss man sie erst mit dem Bürstchen rei­ ni­gen und dann mit Rosenöl unter Beimischung von ein wenig Wachs sal­ben. 11. Kapitel Heilmittel gegen das Kältegefühl, das dem Fieber vorangeht (1)  Gewöhnlich geht fiebrigen Erkrankungen ein Kältegefühl voran, und dies ist eine höchst unangenehme Art von Krankheit. Wenn man damit rechnet, muss man dem Kranken jede Art von Flüssigkeitsaufnahme verbieten, denn erfolgt eine solche kurz vorher, verschlimmert sie die Sache sehr. Sodann muss man ihn eilends mit vielen Decken einhüllen und jenen Körperteilen, für die man Käl­te befürchtet, trockene, heiße Umschläge machen, und zwar so, dass sie nicht sofort gewaltige Hitze hervorrufen, sondern die Temperatur allmählich stei­gern.   (2)  Auch muss man diese Körperteile massieren, nachdem man sich die Hände mit altem Öl unter Zusatz eines von jenen Stoffen eingerieben hat, die Wärme erzeugen. Ja, einige Ärzte geben sich sogar mit einer einmaligen Abrei­bung mit einem beliebigen Öl zufrieden. Einige verabreichen, wenn das Fieber zeitweilig nachlässt, drei bis vier Becher Suppe, auch wenn noch etwas Fieber zurückgeblieben ist, und wenn es dann endgültig vergangen ist, stärken sie den Magen mit leichten, kalten Gerichten. Ich denke, dies soll man nur dann versuchen, wenn ein kleiner Imbiss, einmalig und nach einem Fie­ber­ anfall eingenommen, nur wenig Besserung gebracht hat.  (3)  Man muss aber mit großer Vorsicht darauf achten, sich durch das zeitweilige Nachlassen des Fiebers nicht in die Irre leiten zu lassen, denn bei dieser Art von Krankheit scheint das Fieber oft zu sinken, um darauf umso heftiger zu steigen. Bis zu einem gewissen Grad kann man einem zeitweiligen Nachlassen des Fiebers Ver­trauen schenken, wenn es andauert und dabei sowohl die Unruhe des Patien­ ten als auch den schlechten Mundgeruch verringert, den die Griechen Oze nennen. Auch sind sich die Fachleute weitestgehend einig, dass Patienten mit regelmäßigen täglichen Anfällen jeden Tag ein wenig Nahrung erhalten sol­len, und dass sie bei unregelmäßigen Anfällen nach den schwereren Nah­rung und nach den leichteren Wasser mit Honigwein bekommen sollen.

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Caput XII Curatio horroris in febribus (1)  Horror autem eas fere febres antecedit, quae certum habent circuitum et ex toto remittuntur; ideoque tutissimae sunt maximeque curationes admittunt. Nam ubi incerta tempora sunt, neque alvi ductio neque balineum neque vinum neque medicamentum aliud recte datur: incertum est enim, quando febris ven­ tura sit: ita fieri potest, ut, si subito venerit, summa in eo pernicies sit, quod auxilii causa sit inventum.  (2)  Nihilque aliud fieri potest, quam ut primis die­ bus bene abstineatur aeger, deinde sub decessu febris eius, quae gravissima est, cibum sumat. At ubi certus circumitus est, facilius illa omnia temptantur, quia magis proponere nobis accessionum et decessionum vices possumus. In his autem, cum inveteraverunt, utilis fames non est: primis tantummodo die­ bus ea pugnandum est; deinde dividenda curatio est, et ante horror, tum febris discutienda.  (3)  Igitur cum primum aliquis inhorruit, et ‹ex› horrore inca­luit, dare oportet ei potui tepidam aquam subsalsam et vomere eum cogere: nam fere talis horror ab is oritur, quae biliosa in stomacho resederunt. Idem facien­ dum est, si proximo quoque circuitu aeque accessit: saepe enim sic discutitur, iam­que, quod genus febris sit, scire licet. Itaque sub expectatione proximae acces­sionis, quae instare tertia potest, deducendus in balineum est, dandaque ope­ra, ut per tempus horroris in solio sit.  (4)  Si ibi quoque ‹frigus› senserit, nihi­lo minus idem sub expectatione quartae accessionis faciat: siquidem eo quoque modo saepe id discutitur. Si ne balneum quidem profuit, ante accessio­ nem alium edat, aut bibat aquam calidam cum pipere: siquidem ea quoque adsumpta calorem movent, qui horrorem non admittit. Deinde eodem modo, quo in frigore praeceptum est, antequam inhorrescere possit, operiatur, fomen­ tis­que, sed protinus validioribus, totum corpus circumdet maximeque involu­tis extinctis testis et titionibus.  (5)  Si nihilo minus horror perruperit, multo oleo calefacto inter ipsa vestimenta perfundatur, cui aeque ex calfacientibus ali­quid sit adiectum; adhibeaturque frictio, quantam is sustinere poterit, maxi­meque in manibus et cruribus; et spiritum ipse contineat. Neque desisten­dum est, etiamsi horret: saepe ‹enim› pertinacia iuvantis malum corporis vin­cit.  (6)  Si quid

3,12,1–3,12,6

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12. Kapitel Die Behandlung von Schüttelfrost bei Fieber (1)  Schüttelfrost leitet oftmals Fieberanfälle ein, deren Verlauf regelmäßig ist und die wieder vollständig nachlassen. Sie sind daher die am wenigsten gefähr­ lichen und lassen sich am ehesten behandeln. Sind nämlich die Ver­laufs­zeiten ungewiss, kann man Einlauf, Bad, Wein und Arznei nie zum rich­tigen Zeitpunkt anwenden, denn es ist ungewiss, wann sich das Fieber zei­gen wird. Wenn es sich plötzlich zeigt, kann es daher geschehen, dass das, was eigentlich Hilfe bringen sollte, den größten Schaden tut.  (2)  Man kann gar nichts anderes tun, als den Kranken während der ersten Tage ordentlich fas­ten zu lassen und ihm sodann, wenn der schwerste Anfall nachgelassen hat, Nah­rung zu sich nehmen zu lassen. Aber wenn der Verlauf regelmäßig ist, las­sen sich all diese Mittel eher anwenden, weil ja den Wechsel von Anfall und zeitweiligem Nachlassen besser vorherzusagen ist. Bei Erkrankungen, die sich fest eingewurzelt haben, ist das Fasten nicht zuträglich. Nur in den ersten Tagen darf man diese Waffe einsetzen; daraufhin muss man die Behand­lung differenzieren und zuerst den Schüttelfrost und nachher das Fie­ber vertreiben.  (3)  Wenn der Patient also den ersten Schüttelfrost verspürt und sich daraufhin seine Temperatur erhöht, muss man ihm leicht gesalzenes lau­war­mes Wasser zu trinken geben und Brechreiz herbeiführen, denn in aller Regel rührt dieser Schüttelfrost von galligen Rückständen im Magen her. Wenn beim nächsten regelmäßigen Anfall der Schüttelfrost in gleicher Form wie­der­kehrt, muss man dieselben Schritte nochmals setzen, denn oft lässt sich das Fieber auf diese Weise vertreiben, und man kann feststellen, von welcher Art es ist. Ist ein weiterer Anfall wahr­ scheinlich und befürchtet man einen dritten, so muss man den Kranken ins Bad bringen und darauf achten, dass er in der Wan­ne sitzenbleibt, solange der Schüt­ tel­frost vorhält.   (4)  Empfindet er auch dort Kälte, soll er es doch ange­sichts der Möglichkeit eines vierten Anfalls aus­hal­ten, denn auf diese Weise wird oft der Schüttelfrost vertrieben. Nützt auch das Bad nichts, soll der Patient vor dem Anfall Knoblauch essen oder hei­ßes Wasser mit Pfeffer trinken, weil diese Dinge Hitze erregen, die dem Schüt­telfrost entgegenwirkt. Daraufhin muss man ihn so einhüllen, wie es für das dem Schüttelfrost vorangehende Kältegefühl beschrieben worden ist, und den ganzen Körper mit Umschlägen bedecken – aber gleich von Anfang an mit stärkeren –, und besonders mit Wickeln von heißen Ziegelsteinen und Glut.  (5)  Wenn dennoch Schüttelfrost ausbricht, muss der Patient unter diesen Decken mit reichlich erwärmtem Öl übergossen werden, dem ebenso etwas von den Wärme erzeugenden Dingen beigefügt wird. Auch eine Massage soll man anwenden, soweit er es ertragen kann, besonders an den Händen und Bei­nen, und er soll dabei den Atem anhalten. Man soll nicht damit aufhören, auch wenn er zittert. Oft bezwingt die Beharrlichkeit des Behandelnden das Leiden des Körpers.  (6)  Wenn der Kranke sich erbricht, muss

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Liber tertius

evomuit, danda aqua tepida, iterumque vomere cogendus est; uten­dumque eis­ dem est, donec horror finiatur. Sed praeter haec ducenda alvus est, si tardius hor­ror quiescit: siquidem id quoque exonerato corpori prodest. Ulti­maque post haec auxilia sunt gestatio et fricatio. Cibus autem in eiusmodi mor­bis maxime dan­dus est, qui mollem alvum praestet, caro glutinosa: vinum, cum dabitur, aus­te­rum. Caput XIII Curatio quotidianae febris Haec ad omnes circuitus febrium pertinent: discernendae tamen singulae sunt, sicut rationem habent dissimilem. Si cottidiana est, triduo primo magnopere absti­neri oportet, tum cibis altero quoque die uti: si res inveteraverit, post febrem experiri balneum et vinum, magisque si horrore sublato haec superest. Caput XIV Curatio tertianae febris (1)  Si vero tertiana, quae ex toto intermittit, aut quartana est, mediis die­bus et ambulationibus uti oportet aliisque exercitationibus et unctionibus. Qui­dam ex antiquis medicis Cleophantus in hoc genere morborum multo ante acces­ sionem per caput aegrum multa calida aqua perfundebat, deinde vinum dabat. Quod, quamvis pleraque praecepta eius viri secutus est Asclepiades, rec­te tamen praeteriit: est enim anceps.  (2)  Ipse, si tertiana febris est, tertio die post accessionem dicit alvum duci oportere, quinto post horrorem vomi­tum elicere, deinde post febrem, sicut illi mos erat, adhuc calidis dari cibum et vinum, sexto die in lectulo detineri: sic enim fore, ne septimo die febris acce­­dat. Id saepe posse fieri verisimile est. Tutius tamen est, ut hoc ipso ordi­ne utamur, tria remedia, vomitus, alvi ductionis, vini per triduum, id est ter­tio die et quinto et septimo temptare, ne vinum nisi post accessionem die sep­timi bibat.  (3)  Si vero primis diebus discussus morbus non est, inciditque in vetus­tatem, quo die febris expectabitur, in lectulo se contineat, post febrem confri­cetur, tum cibo adsumpto

3,12,6–3,14,3

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man ihm lau­warmes Wasser geben und dann erneut Brechreiz hervorrufen. Diese Maß­nahmen muss man fortsetzen, bis der Schüttelfrost vorüber ist. Aber wenn der Schüttelfrost nur langsam nachlässt, muss man zusätzlich einen Ein­ lauf machen; dies nützt, indem es den Körper entlastet. Als äußerste Hilfsmaß­ nahmen verbleiben dann noch Schaukeln und Massage. Speisen, die bei die­sem Krankheitsbild angeboten werden, sollen vor allem solche sein, die den Leib weich machen: das Fleisch gallertig und der Wein, wenn man welchen reicht, trocken. 13. Kapitel Die Behandlung von Quotidianfieber All dies betrifft alle Fiebererkrankungen mit periodischem Verlauf. Man muss sie aber im Einzelnen je nach ihren verschiedenen Gesetzmäßigkeiten unter­ scheiden. Wenn ein Fieber täglich wiederkehrt, ist es besonders wichtig, dass der Kranke während der ersten drei Tage fastet und dann nur jeden zwei­ten Tag Nahrung zu sich nimmt. Wenn die Sache sich einwurzelt, muss man nach dem Fieberanfall Bäder und Wein anwenden, umso mehr, wenn der Anfall anhält, nachdem der Schüttelfrost behoben ist. 14. Kapitel Die Behandlung von Tertianfieber (1)  Handelt es sich aber um ein Tertianfieber mit vollkommen fieberfreien Inter­­vallen oder um ein Quartanfieber, soll man an den Tagen zwischen den Anfäl­len Gebrauch von Spaziergängen sowie anderen Leibesübungen und auch von Ölmassagen machen. In früheren Zeiten hat ein Arzt, ein gewis­ ser Kleophantos, bei solchen Erkrankungen reichlich heißes Wasser über den Kopf des Kranken geschüttet und ihm daraufhin Wein verabreicht. Askle­ pia­des, der viele Lehren dieses Mannes übernommen hat, hat diese eine zu Recht abgelehnt, denn sie ist zweifelhaft.  (2)  Er selber lehrt, man solle bei Ter­­tianfieber am dritten Tag nach dem Anfall einen Einlauf machen, am fünf­ ten Tag nach dem Schüttelfrost Brechreiz herbeiführen und sodann nach dem Fie­beranfall dem Patienten Speise und Wein reichen, wie auch Kleophantos es gehal­ten hat, und ihm am sechsten Tag Bettruhe verordnen. So sei es nämlich zu bewerkstelligen, dass sich am siebenten Tag kein Fieber mehr zeige. Dies wird wahrscheinlich oft der Fall sein. Weniger gefährlich ist es aber, wenn wir nach dieser Reihenfolge verfahren und die drei Heilmittel, nämlich Erbrechen, Ein­­lauf und Wein, an drei Tagen, also am dritten, fünften und siebenten, anzu­ wen­den, wobei der Kranke den Wein nicht nach dem Anfall am siebenten Tag trinken soll.  (3)  Wenn diese Krankheit aber nicht nach ein paar Tagen ver­trieben ist, sondern chronisch wird, soll der Patient an dem Tag, an dem man das Fieber erwartet, im Bett bleiben. Nach dem Fieber soll er massiert werden, und dann

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Liber tertius

bibat aquam; postero die, qui vacat, ab exercitatione unc­tioneque aqua tantum con­ten­tus conquiescat. Et id quidem optimum est: si vero inbecillitas urgebit, et post febrem vinum ‹et› medio die paulum cibi debe­bit adsumere. Caput XV Curatio quartanae febris (1)  Eadem in quartana facienda sunt. Sed cum haec tarde admodum finiatur nisi primis diebus discussa est, diligentius ab initio praecipiendum est, quid in ea fieri debeat. Igitur si cui cum horrore febris accessit eaque desiit, eodem die et postero tertioque continere se debebit, et aquam tantummodo calidam primo die post febrem sumere; biduo proximo, quantum fieri potest, ne hanc quidem: si quarto die cum horrore febris revertitur, vomere, sicut ante praeceptum est; deinde post febrem modicum cibum sumere, vini quadrantem.  (2)  Postero ter­ tio­que die abstineri, aqua tantummodo calida, si sitiet, adsumpta. Septimo die balineo frigus praevenire; si febris redierit, ducere alvum; ubi ex eo cor­pus conquieverit, in unctione vehementer perfricari; eodem modo sumere cibum et vinum; biduo proximo se abstinere, frictione servata. Decimo die rur­sus balneum experiri; et si postea febris accessit, aeque perfricari, vinum copio­ sius bibere. Ac proximum est, tot dierum ut abstinentia cum ceteris, quae praecipiuntur, febrem tollant.  (3)  Si vero nihilo minus remanet, aliud ex toto sequendum est curationis genus, idque agendum, ut id, quod diu susti­nendum est, corpus facile sustineat. Quo minus etiam probari curatio Hera­clidis Tarentini debet, qui primis diebus ducendam alvum, deinde absti­nendum in septimum diem dixit. Quod ut sustinere aliquis possit, tamen etiam febre liberatus vix refectioni valebit: adeo, si febris saepius accesserit, con­cidet . (4)  Igitur, si tertio decimo die morbus manebit, balineum neque ante febrem neque postea temptandum erit, nisi interdum iam horrore discusso. Hor­ror ipse per ea, quae

3,14,3–3,15,4

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soll er Nahrung zu sich nehmen und Wasser trinken. Am nächsten Tag, der ein fie­berfreier ist, soll er sich von Leibesübungen und Salbungen fern­hal­ten, sich mit Wasser zufriedengeben und ruhen. Dies ist die beste Vor­ge­hens­weise. Wenn es sein geschwächter Zustand aber erforderlich macht, soll er sowohl nach den Fieberanfällen Wein als auch an den Tagen zwischen den Anfällen ein wenig Nahrung zu sich nehmen. 15. Kapitel Die Behandlung von Quartanfieber (1)  Beim Quartanfieber muss man dieselben Maßnahmen ergreifen. Wenn es aber nicht in den ersten Tagen vertrieben wird, ist es nur langsam einzudäm­men. Also muss man von Anfang an mit Sorgfalt planen, was in einem solchen Fall zu tun ist. Wenn also ein Fieberanfall mit Schüttelfrost auftritt und wieder ver­ geht, muss der Kranke sich an diesem und am nächsten Tag einschränken, am ersten Tag nach dem Fieberanfall lediglich heißes Wasser trinken und an den nächsten zwei Tagen, wenn es möglich ist, nicht einmal das. Wenn am vierten Tag wieder ein Fieberanfall mit Schüttelfrost auftritt, soll er sich erbrechen, wie oben dargelegt, und dann nach dem Fieberanfall ein wenig Speise und einen Quadrans Wein zu sich nehmen.  (2)  An den nächsten zwei Tagen soll er fasten und, wenn er Durst verspürt, nur heißes Wasser zu sich nehmen. Am sie­ben­ten Tag soll er dem Kältegefühl mit einem Bad zuvorkommen. Wenn das Fieber wieder auftritt, soll er einen Einlauf bekommen, und wenn sein Kör­ per danach zur Ruhe kommt, soll er mit Öl heftig massiert werden. Dann soll er wie beschrieben Speise und Wein zu sich nehmen und die nächsten zwei Tage fasten und sich massieren lassen. Am zehnten Tag soll er abermals baden, und wenn nachher ein Fieberanfall auftritt, sich auf dieselbe Weise mas­sie­ren lassen und reichlich Wein trinken. Es ist naheliegend, dass diese Rei­he von Fast­tagen zusammen mit den anderen beschriebenen Maßnahmen das Fieber wegnimmt.  (3)  Wenn es aber dennoch anhält, muss man eine gänz­lich andere Vorgehensweise wählen und so handeln, dass der Körper ohne Schwie­rigkeiten ertragen kann, was er lange Zeit wird ertragen müssen. Umso weni­ger können wir die Behandlungsmethode des Herakleides von Tarent gut­heißen, der für die ersten Tage Einläufe und dann Fasten bis zum siebenten Tag vorgeschrieben hat. Selbst wenn der Patient dies ertragen kann, so wird er doch, ist er erst fieberfrei, kaum die Kraft haben, wieder gesund zu werden und daher zugrunde gehen, wenn die Fieberanfälle häufiger auftreten.  (4)  Wenn die Krankheit daher auch noch am dreizehnten Tag andauert, soll man weder vor noch nach einem Fieberanfall das Bad versuchen, außer wenn der Schüt­telfrost bisweilen nachlässt. Den Schüttelfrost selber muss man mit den oben beschrie­benen

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supra scripta sunt, expugnandus; deinde post febrem opor­tebit ungui et vehe­ menter perfricari, cibum et validum et fortiter adsumere, vino uti quantum libe­ bit; postero die, cum satis quieverit, ambulare, exerceri, ungui, perfricari fortiter, cibum capere sine vino, tertio die abstinere.  (5)  Quo die vero febrem expectabit, ante surgere, exerceri dareque operam, ut in ipsa exer­ci­tatione febris tempus incur­­rat: sic enim saepe illa discutitur. At si in ope­re occupavit, tum demum se reci­­pere. In eiusmodi valetudine medicamenta sunt oleum, frictio, exercitatio, cibus, vinum.  (6)  Si venter adstrictus est, sol­ven­dus est. Sed haec facile validio­ res faciunt: si inbecillitas occupavit, pro exer­citatione gestatio est; si ne hanc qui­­dem sustinet, adhibenda tamen frictio est. Si haec quoque [vehemens] onerat, intra quietem et unctionem et cibum sisten­dum est; dandaque opera est, ne qua cru­ditas in cotidianam id malum ver­tat. Nam quartana neminem iugulat: sed si ex ea cotidiana facta est, in malis aeger est; quod tamen nisi culpa vel aegri vel curan­tis numquam fit. Caput XVI Curatio duarum quartanarum (1)  A t si duae quartanae sunt, neque eae, quas proposui, exercitationes adhi­beri possunt, aut ex toto quiescere opus est, aut, si id difficile est, levi­ter ambulare, considere diligenter involutis pedibus et capite; quotiens febris acces­ sit et desiit, cibum modicum sumere et vinum, reliquo tempore, nisi inbe­cillitas urguet, abstinere. ‹A›t si duae febres paene iunguntur, post utram­que cibum sumere, deinde vacuo tempore et moveri aliquid et post unctionem cibo uti. Cum vero vetus quartana raro nisi vere solvatur, uti­que eo tempore atten­dendum est, ne quid fiat, quod valetudinem impe­diat.  (2)  Prodestque in vetere quar­tana sub­inde mutare victus genus, a vino ad aquam, ab aqua ad vinum, a lenibus cibis ad acres, ab acribus ad lenes transire; esse radicem, deinde vomere;­iure

3,15,4–3,16,2

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Mitteln4 bekämpfen, und nach dem Fieberanfall ist es gut, wenn der Kranke sich salben und kraftvoll massieren lässt, tüchtig isst, und zwar kräftige Speisen, und so viel Wein trinkt, wie er mag. Am nächsten Tag, wenn er ausgiebig geruht hat, soll er spazieren gehen, Leibesübungen machen, sich salben lassen, sich tüchtig massieren lassen und essen, aber ohne Wein zu trinken. Am dritten Tag soll er fasten.  (5)  An dem Tag, an dem man einen Fieberanfall erwartet, soll der Kran­ke früher aufstehen und die Lei­bes­übungen so einteilen, dass der Anfall zeitl­ich während der Übungen ein­tritt. So kann man den Anfall nämlich oft ver­hindern. Überwältigt ihn aber der Fieberanfall während seiner Tätigkeit, so soll er sich sofort hinlegen. Bei die­ser Art von Leiden sind Öl, Massagen, Lei­bes­übungen, Speise und Wein die richtigen Heilmittel.  (6)  Ist der Kranke hart­leibig, soll er einen Einlauf bekom­men. Kräftige Patienten können dies wohl mit Leichtigkeit ertragen, aber ist der Kranke schon geschwächt, soll man anstelle der Leibesübungen Wie­gebewegungen anwenden. Wenn der Kranke auch dies nicht ertragen kann, soll man ihn doch massieren. Wenn dies auch [– ist es kraftvoll –] den Kran­ken belastet, muss man sich auf Bettruhe, Sal­ bung und Diät beschränken. Man muss aber darauf achten, dass nicht etwa eine Verdauungsstörung aus dem Quartan- ein Quotidianfieber macht. Das Quar­ tanfieber bringt nämlich kei­nen um, wird daraus aber ein Quotidianfieber, so ist der Kranke in einer üblen Lage. Dies geschieht aber nur durch Verschulden des Kran­ken oder des behan­delnden Arztes. 16. Kapitel Die Behandlung von zwei (gleichzeitigen) Quartanfiebern (1)  Liegen zwei Quartanfieber zugleich vor, so können die empfohlenen Übun­gen nicht angewendet werden. Der Kranke muss entweder völlige Ruhe hal­ten oder, wenn dies nicht leicht möglich ist, vorsichtig spazieren gehen sowie sitzen, wobei die Füße und der Kopf sorgfältig eingewickelt sein sollen. Sooft ein Fieberanfall aufgetreten und wieder vergangen ist, soll er ein wenig Nah­ rung und Wein zu sich nehmen und die übrige Zeit fasten, es sei denn, er ist zu schwach dazu. Wenn zwei Fieberanfälle fast unmittelbar aufeinander fol­gen, soll der Kranke etwas Nahrung zu sich nehmen, wenn beide vorüber sind, und sich dann in der fieberfreien Periode ein wenig bewegen, sich salben las­sen und dann etwas zu sich nehmen. Weil sich aber ein eingewurzeltes Quar­tanfieber meist nur im Frühjahr beheben lässt, muss man zu dieser Jah­res­zeit besonders darauf achten, dass nichts geschieht, was der Gesundheit scha­det.  (2)  Bei einem eingewurzelten Quartanfieber hilft es, bisweilen die Art der Kost zu ändern, von Wein zu Wasser zu wechseln, von Wasser zu Wein, von milden zu scharfen Speisen überzugehen, von scharfen zu milden, Ret­tich zu essen und sich dann zu 4

3,12.

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vel *** pulli gallinacei ventrem resolvere; oleo ad frictiones adice­re calfa­cien­ tia; ante accessionem sorbere vel aceti cyathos duos, vel unum sinapis cum tri­­­bus Graeci vini [salsi], vel mixta paribus portionibus et in aqua diluta piper, cas­­toreum, laser, murram. Per haec enim similiaque cor­pus agitandum est, ut movea­­tur ex eo statu, quo detinetur. Si febris quievit, diu meminisse eius diei con­­venit, eoque vitare frigus, calorem, cruditatem, las­si­tu­dinem: facile enim rever­­titur, nisi a sano quoque aliquamdiu timetur. Caput XVII Curatio quotidianae febris, quae ex quartana facta sit At si ex quartana facta cotidiana est, cum id vitio inciderit, per biduum absti­ nere oportet, et frictione uti, vespere tantummodo aquam potui dare: tertio die sae­pe fit, ne febris accedat. Sed sive fuit sive non fuit, cibus post accessionis tem­pus est dandus. At si manet, per biduum abstinentia, quanta maxime impe­ rari corpori potest, frictione cotidie utendum est. Caput XVIII De tribus insaniae generibus, et primum, de eius curatione, quae a Graecis φρέ­νησις dicitur (1)  Et febrium quidem ratio exposita est. Supersunt vero alii corporis adfec­ tus, qui huic superveniunt, ex quibus eos, qui certis partibus adsignari non possunt ­­ , protinus iungam. Incipiam ab insania, primamque huius ipsius partem adgrediar, quae et acuta et in febre est: φρένησιν Graeci appellant.  (2)  Illud ante omnia scire oportet, inter­dum in accessione aegros desipere et loqui aliena. Quod non quidem leve est neque incidere potest nisi in febre vehementi; non tamen aeque pestiferum est: nam plerumque breve esse consuevit levatoque accessionis impetu proti­ nus mens redit. Neque id genus morbi remedium aliud desiderat, quam quod in curanda febre praeceptum est.  (3)  Phrenesis vero tum demum est, cum continua

3,16,2–3,18,3

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erbrechen, mit Suppe oder . . . vom Huhn den Leib zu lockern, dem Massageöl Wär­me erzeugende Stoffe beizumengen, vor dem Anfall entweder zwei Becher Essig oder einen Becher Senf in drei Bechern [gesalzenem] griechischen Wein oder aber Pfeffer, Bibergeil, Laser und Myrrhe, zu gleichen Teilen gemischt und in Wasser aufgelöst, zu schlür­fen. Dies alles und dergleichen mehr regt den Kör­per an, sodass er aus dem Zustand ausbrechen kann, in dem er sich befindet. Wenn das Fieber vergeht, muss man sich den Tag, an dem dies geschehen ist, lan­ge Zeit merken und an diesem Tag Kälte, Hitze, Verdauungsstörungen und Erschöpfung zu vermei­den, denn das Fieber kehrt ohne Weiteres wieder, wenn man diesen Tag nicht für einige Zeit mit besonderer Vorsicht behandelt, selbst wenn man wieder bei Gesund­heit ist. 17. Kapitel Die Behandlung eines aus einem Quartanfieber entstandenen Quotidianfie­ bers Wenn aber aus einem Quartan- ein Quotidianfieber entsteht und dies aus Fahr­lässigkeit geschieht, so muss man den Kranken zwei Tage lang fasten las­ sen, Massagen anwenden und ihm nur am Abend Wasser zu trinken geben. Es geschieht oft, dass am dritten Tag kein Anfall erfolgt. Aber gleichgültig, ob es so kommt oder nicht, man muss dem Kranken nach dem Zeitpunkt des Anfalls Nahrung anbieten. Wenn das Fieber aber andauert, soll man zweitägi­ges Fasten anwenden, sofern der Körper dazu genötigt werden kann, und dazu tägliche Massagen. 18. Kapitel Die drei Arten von Geisteskrankheit. Erstens: Die Behandlung jener Geis­­tes­ krank­heit, die die Griechen Phre­ne­sis nennen (1)  Damit ist nun auch die Systematik der Fiebererkrankungen darge­legt. Hierzu kommen aber noch andere körperliche Leiden, die aus Fiebererkran­ kun­gen hervorgehen. Von diesen will ich jene, die sich keinem bestimmten Kör­ perteil zuordnen lassen, als erstes folgen lassen. Den Anfang werde ich mit dem Geisteskrankheit machen und mich vorerst der­je­ni­gen Form zuwenden, die sowohl akut ist als auch in Verbindung mit Fie­ ber auftritt. Die Griechen nennen sie Phrenesis.  (2)  Als erstes aber muss man sich bewusst sein, dass Kranke fallweise während ihrer Fieberanfälle Wahn­ vorstellungen haben und wirres Zeug reden. Dies ist keine geringfügige Sache, und es kann auch nur bei heftigem Fieber vorkommen. Auch ist es nicht immer gleichermaßen unheilvoll, denn oft pflegt es nur kurzfristig zu sein, und wenn der Sturm des Anfalls vorbei ist, kehrt der Verstand schnell wie­der. Diese Art der Erkrankung bedarf keines anderen Heilmittels als jenes, das auch für die Behandlung von Fieber vorgeschrieben ist.  (3)  Jedoch liegt Geisteskrankheit

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dementia esse incipit, cum aeger, quamvis adhuc sapiat, tamen quasdam vanas imagines accipit: perfecta est, ubi mens illis imaginibus addicta est. Eius autem plura genera sunt: siquidem ex phreneticis alii tristes sunt; alii hila­­res; alii facilius continentur et intra verba desipiunt; alii consurgunt et vio­­len­ter quaedam manu faciunt; atque ex his ipsis alii nihil nisi impetu pec­cant, alii etiam artes adhibent summamque speciem sanitatis in captandis malo­rum operum occasionibus praebent, sed exitu deprenduntur. –  (4)  Ex his autem eos, qui intra verba desipiunt, aut leviter etiam manu peccant, one­rare aspe­rioribus coercitionibus supervacuum est: eos, qui violentius ‹s›e gerunt, vincire con­ venit, ne vel sibi vel alteri noceant. Neque credendum est, si vinctus aliqui, dum levari vinculis cupit, quamvis prudenter et miserabiliter loqui­tur, quoniam is dolus insanientis est.  (5)  Fere vero antiqui tales aegros in tene­bris habebant, eo quod is contrarium esset exterreri, et ad quietem animi tene­bras ipsas confer­re aliquid iudicabant. At Asclepiades, tamquam tenebris ipsis terrentibus, in lumi­ ne habendos eos dixit. Neutrum autem perpetuum est: alium enim lux, alium tene­brae magis turbant; reperiunturque, in quibus nul­lum discrimen deprehendi vel hoc vel illo modo possit. Optimum itaque est utrum­que experiri, et habere eum, qui tenebras horret, in luce, eum qui lucem, in tenebris. At ubi nullum tale discrimen est, aeger, si vires habet, loco lucido; si non habet, obscuro continen­ dus est. (6)  Remedia vero adhibere, ubi maxime furor urget, supervacuum est: simul enim febris quoque increscit. Itaque tum nihil nisi continendus aeger est: ubi vero res patitur, festinanter subveniendum est. Asclepiades perinde esse dixit his sanguinem mitti ac si trucidentur: rationem hanc secutus, quod neque insania esset, nisi febre intenta, neque sanguis nisi in remissione eius rec­te mitteretur.   (7)  Sed ipse in his somnum ‹multa frictione quaesivit, cum et inten­tio febris somnum› impediat et frictio non nisi in remissione eius utilis sit. Itaque hoc quoque auxilium debuit praeterire. Quid igitur est? Multa in prae­ci­ piti periculo recte fiunt alias omittenda. Et continuata quoque febris habet tem-

3,18,3–3,18,7

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vor, wenn die Verstandestrübung dauerhaft zu werden beginnt und wenn sich der Kranke, obwohl noch bei klarem Verstand, gewis­sen Wahnvorstellungen hingibt, und sie ist vollständig vorhanden, wenn der Geist ganz in der Gewalt dieser Wahnvorstellungen ist. Es gibt verschiedene Arten davon: so sind einige Geis­­teskranke niedergeschlagen, andere überaus fröh­lich, einige lassen sich leicht beruhigen und äußern ihren Irrsinn nur in Wor­ten, andere toben und sind gewalttätig, und von diesen richten einige nur Schaden an, indem sie sich gehen lassen, während andere listig sind und vollkommene geistige Gesundheit vor­ täuschen, um sich Gelegenheit zu Untaten zu verschaffen. Man erkennt sie aber dann doch an dem, was sie bewerk­stelligen.  (4)  Es ist überflüssig, diejenigen unter ihnen, die ihren Irrsinn nur in Worten äußern, oder die mit ihren Händen nur geringfügigen Schaden anrich­ten, mit strengeren Sicherheitsvorkehrungen zu quälen. Diejenigen, die sich als eher zur Gewalt bereit erweisen, soll man hin­gegen tunlichst fesseln, damit sie weder sich noch anderen schaden können. Auch darf man niemals darauf eingehen, wenn ein derart Gefesselter einen darum bittet, seine Fesseln abzu­nehmen, auch wenn seine Rede verständig ist und Mitleid erregt, denn dies ist die Tücke des Geisteskranken.  (5)  Die Alten haben diese Patienten meist im Dunkeln gehalten, weil sie meinten, es sei ihnen abträglich Furcht zu empfinden, die Dunkelheit aber trage zur Beruhigung des Gemüts bei. Askle­pia­des dagegen lehrte, man solle sie im Licht belassen, da die Finsternis sie in Angst versetze. Keines von beiden ist aber eine allgemein gültige Vorschrift. Den einen ängstigt eher das Licht, den anderen die Finsternis, und es gibt auch Leute, bei denen sich kein Unterschied nach der einen oder der anderen Sei­te feststellen lässt. Am besten ist es also, man versucht beides und belässt den­jenigen, der das Dunkel fürchtet, im Licht und denjenigen, der das Licht fürch­tet, im Dunkeln. Ist aber kein Unterschied, so soll sich ein Kranker, der bei Kräften ist, in einem erleuchteten Raum aufhalten, und einer, der kraftlos ist, in einem abgedunkelten. (6)  Es ist sinnlos, Heilmittel anwenden zu wollen, wenn der Kranke von einem schweren Tobsuchtsanfall gepackt wird, denn dann steigt zugleich auch das Fieber. Also bleibt da nichts zu tun als den Kranken zu bändigen. Wenn es die Umstände aber erlauben, muss man ihm eilends zu Hilfe kommen. Askle­piades meinte, einem solchen Patienten zur Ader zu lassen, hieße ihn umbrin­gen. Seine Überlegung war, dass Geisteskrankheit niemals ohne Fie­ ber auftrete, und dass der Aderlass nur dann angebracht sei, wenn das Fieber im Schwinden sei.  (7)  Aber derselbe Asklepiades hat in solchen Fällen durch ausgiebige Massage den Schlaf herbeizuführen gesucht, obwohl ja die Anspan­ nung, die das Fieber verursacht, den Schlaf verhindert und die Massage nur hilft, wenn das Fieber im Schwinden ist. Also hätte er auch auf dieses Mittel bes­ser verzichtet! Was bleibt also? In akuten Gefahrensituationen findet man­ ches passenderweise Anwendung, das ansonsten wohl zu unterlassen ist. Und

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pora, quibus, etsi non remittit, non tamen crescit, estque hoc ut non opti­mum, sic tamen secundum remediis tempus, quo, si vires aegri patiuntur, san­guis quo­ que mitti debet. Minus deliberari potest, an alvus ducenda sit.  (8)  Tum inter­ po­si­to die convenit caput ad cutem tondere, aqua deinde fove­re, in qua ver­ be­nae aliquae decoctae sint [vel ex reprimentibus]; aut prius fove­re, deinde radere, et iterum fovere; ac novissime rosa caput naresque imple­re, offerre etiam naribus rutam ex aceto contritam, movere sternumenta medi­ca­men­tis in id efficacibus.  (9)  Quae tamen facienda sunt in is, quibus vires non desunt: si vero inbecillitas est, rosa tantum caput adiecto serpullo simi­li­que aliquo ‹m›ade­ faciendum est. Utiles etiam in quibuscumque viribus duae herbae sunt, solanum et muralis, ‹si› simul ex utraque suco expresso caput imple­tur. Cum febris remi­ sit, frictione utendum est, parcius tamen in is, qui nimis hilares quam in is, qui nimis tristes sunt.  (10)  Adversus autem omnium sic insanientium animos gere­­re se pro cuiusque natura necessarium est. Quorun­dam enim vani metus levan­­di sunt, sicut in homine praedivite famem timente inci­dit, cui subinde fal­­sae here­ ditates nuntiabantur. Quorundam audacia coer­cen­da est, sicut in is fit, in quibus continendis plagae quoque adhibentur. Quo­rundam etiam intem­pes­ti­vus risus obiurgatione et minis finiendus: quo­rundam discutiendae tristes cogi­tationes; ad quod symphoniae et cymbala stre­pitusque proficiunt. (11)  Saepius tamen adsentiendum quam repugnandum et paulatim et non evi­ denter ab iis, quae stulte dicentur, ad meliora mens eius adducenda. Interdum etiam elicienda ipsius intentio; ut fit in hominibus studiosis litterarum, quibus liber legitur ‹a›ut recte, si delectantur, aut perperam, si id ipsum eos offendit: emen­dando enim convertere animum incipiunt. Quin etiam recitare, si qua memi­nerunt, cogendi sunt. Ad cibum quoque quosdam non desiderantes redu­ xerunt i, qui inter epulantes eos conlocarunt.  (12)  Omnibus vero sic adfec­tis somnus et difficilis et praecipue necessarius est: sub hoc enim plerique sanes­ cunt. Prodest ad id atque etiam ad mentem ipsam conponendam croci­num

3,18,7–3,18,12

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auch bei einem langwierigen Fieber sind mitunter Zeiträume, wo das Fieber zwar nicht weicht, aber doch gerade nicht steigt, und dieser Zeitraum ist wohl nicht der beste, aber doch der zweitbeste für die Behandlung. Der Kranke darf dann, wenn es seine Kräfte erlauben, sogar zur Ader gelassen werden. Ob ein Einlauf gemacht werden soll, bedarf keiner langen Erwägung.  (8)  Dann soll man einen Tag verstreichen lassen und dem Kranken dann den Kopf glatt rasieren, ihn mit Wasser erwärmen, in dem man einige Verbenen [oder etwas Fieberhemmendes] aufgekocht hat. Oder man wärmt ihn zuerst, rasiert ihn dann und wärmt ihn nachher nochmals und gibt zum Schluss Rosenöl auf den Kopf und in die Nasenlöcher, hält ihm in Essig zerstoßene Raute vor die Nasenlöcher und bringt ihn mit dafür geeigneten Medikamenten zum Nie­ sen.  (9)  Diese Dinge sollte man aber nur bei Patienten anwenden, die nicht kraft­los sind. Liegt Entkräftung vor, soll man nur den Kopf mit Rosenöl unter Bei­gabe von Thymian oder dergleichen salben. Unabhängig von den Kör­ perkräften sind zwei Kräuter von Nutzen, nämlich Nachtschatten und Bert­ram, und zwar dann, wenn man den Kopf mit dem ausgepressten Saft von bei­den zugleich einreibt. Wen das Fieber zurückgeht, soll man Massagen anwen­den, und zwar mit größerer Zurückhaltung bei den Überfröhlichen als bei den zu sehr Niedergeschlagenen.  (10)  Man muss sich aber gegenüber der Gesin­nung aller derart Geisteskranken so verhalten, wie es die Wesensart eines jeden erforderlich macht. Bei einigen muss man unbegründete Ängste zer­streu­en, wie es etwa bei dem steinreichen Mann der Fall war, der sich vor dem Verhungern gefürchtet hat: man hat ihm immer wieder falsche Erb­schaften vorgespiegelt. Bei anderen muss man den unbesonnenen Tatendrang ein­schränken, wie es bei jenen geschieht, zu deren Zähmung man sogar Prü­gel anwendet. Bei einigen muss man auch unangebrachte Heiterkeit durch Schimp­fen und Drohungen abstellen, bei anderen muss man trübe Gedanken ver­treiben. Hierbei helfen Instru­mentalmusik, Zimbelschläge und Lärm. (11)  Dem Patienten muss man öfter Zustimmung als Widerspruch zeigen, und sein Geist muss langsam und unmerklich von seinen törichten Reden zu bes­­s­eren Dingen gelenkt werden. Mitunter muss man auch seine Anteilnahme wecken, zum Beispiel im Fall literarisch gebildeter Menschen, denen man ein Buch vorliest, und zwar ordnungsgemäß, wenn sie das freut, und fehlerhaft, wenn es sie stört, denn dann korrigieren sie es und kommen so auf andere Gedan­­ken. Ja, man soll sie sogar nötigen, Dinge auswendig herzusagen, wenn sie sich an etwas erinnern. Leute, die nicht essen wollten, sind wieder auf den Geschmack gebracht worden, wenn man sie sich gemeinsam mit Schmau­ senden zu Tisch hat liegen lassen.  (12)  Für alle von diesem Leiden Befal­le­ nen ist der Schlaf sowohl schwierig als auch höchst notwendig, denn vie­le erlangen durch den Schlaf die Gesundheit wieder. Zu diesem Zweck, sowie auch um überhaupt den Geist zu kräftigen, nützt es, wenn man dem Kran­

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unguentum cum irino in caput additum. Si nihilo minus vigila‹n›t, qui­dam som­ num moliuntur potui dando aquam, in qua papaver aut hyoscya­mos decocta si‹n›t, alii mandragorae mala pulvino subiciunt, alii vel amo­mum vel sycamini lacri­mam fronti inducunt. Hoc nomen apud medicos repe­rio.  (13)  Sed cum Grae­ci morum sycaminon [συκάμινον] appellant, mori nulla lacri­ma est. Sic vero significatur lacrima arboris in Aegypto nascentis, quam ibi sycomoron [συκό­μορον] appellant. Plurimi, decoctis papaveris corticibus, ex ea aqua spon­ gia os et caput subinde fovent.  (14)  Asclepiades ea supervacua esse dixit, quo­ niam in lethargum saepe converterent: praecepit autem, ut pri­mo die a cibo, potione, somno abstineretur, vespere ei daretur potui aqua, tum frictio admo­ ve­re­tur lenis, ut ne manum quidem qui perfricaret vehe­men­ter inprimeret; pos­tero deinde die isdem omnibus factis vespere ei dare­tur sorbitio et aqua, rur­sus­que frictio adhiberetur: per hanc enim nos conse­cuturos, ut somnus acce­ dat.  (15)  Id interdum fit, et quidem adeo, ut illo con­fitente nimia frictio etiam lethargi periculum adferat. Sed si sic somnus non accessit, tum demum illis medicamentis arcessendus est, habita scilicet eadem moderatione, quae hic quoque necessaria est, ne, quem obdormire volu­mus, excitare postea non pos­ si­mus. Confert etiam aliquid ad somnum sila­nus iuxta cadens, vel gestatio post cibum et noctu, maximeque suspensi lec­ti motus.  (16)  Neque alienum est, si neque sanguis ante missus est, neque mens constat, neque somnus accedit, occi­ pitio inciso cucurbitulam admovere; quae quia levat morbum, potest etiam som­ num facere. Moderatio autem in cibo quoque adhibenda est: nam neque aeger implen­dus est, ne insaniat, neque ieiunio utique vexandus, ne inbecillitate in cardiacum incidat. Opus est cibo infir­mo maximeque sorbitione, potione aquae mulsae, cuius ternos cyathos bis hieme, quater aestate dedisse satis est. (17)  Alterum insaniae genus est, quod spatium longius recipit, quia fere sine febre incipit, leves deinde febriculas excitat. Consistit in tristitia, quam vide­tur bilis atra contrahere. – In hac utilis detractio sanguinis est: si quid hanc ‹poterit›

3,18,12–3,18,17

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ken Safranöl unter Zusatz von Schwertlilie auf den Kopf gibt. Können die Patienten trotzdem nicht einschlafen, versuchen einige Ärzte, den Schlaf herbeizuführen, indem sie den Kranken Wasser zu trinken geben, in dem Mohn oder Bilsenkraut abgekocht worden sind, andere legen Alraunen­früchte unter den Kopfpolster, wieder andere bestreichen die Stirn mit Amo­mum oder den Harztropfen des Sykaminon. Diese Bezeichnung finde ich in der medizinischen Literatur.  (13)  Nun ist Sykaminon die griechische Bezeich­nung für den Maulbeerbaum, aber der Maulbeerbaum schwitzt keine Harz­tropfen aus. Gemeint sind vielmehr die Harztropfen eines aus Ägypten stam­menden Baumes, den man dort Sykomoron nennt. Viele kochen auch Mohn­köpfe ab, tränken einen Schwamm in diesem Wasser und erwärmen dem Kranken damit das Gesicht und den Kopf.  (14)  Asklepiades erklärte dies für überflüssig, da es den Kranken oft zur Lethargie treibe. Dagegen war es seine Lehre, dass der Kranke am ersten Tag auf Nahrung, Getränk und Schlaf verzichten solle, dass man ihm am Abend Wasser zu trinken geben und nachher eine leichte Mas­sage anwenden solle, wobei der Masseur nicht ein­mal mit der Hand zu stark andrücken solle. Dann solle man am folgenden Tag gleich verfahren und ihm am Abend Suppe und Wasser reichen und ihn noch­mals massieren. Hierdurch sei es uns möglich, das gewünschte Ziel zu errei­chen und den Schlaf herbeizuführen.  (15)  Dies geschieht auch fallweise, und zwar derart, dass auch er selber zugeben muss, dass zu heftiges Massieren die Gefahr der Lethargie mit sich bringt. Stellt sich aber der Schlaf auf diese Wei­se nicht ein, so ist er doch zu guter Letzt mit den oben genannten Arzneien her­beizurufen, wobei natürlich auf dieselbe Mäßigung zu achten ist, die hier auch angebracht ist, damit wir nicht etwa einen Patienten, den wir einschlafen machen wollen, hinterher nicht mehr aufwecken können. Den Schlaf fördert auch das Plätschern eines Waldbächleins in der Nähe oder Wiegebewegungen nach dem Essen oder in der Nacht, und vor allem das Schaukeln in einer Hän­gematte.  (16)  Wenn noch kein Aderlass stattgefunden hat, der Geist des Kran­ken nicht beständig ist und der Schlaf sich nicht einstellt, ist es auch nicht ver­fehlt, am Hinterkopf einen Einschnitt zu machen und einen Schröpfkopf anzu­setzen. Dies zieht die Krankheit ab und kann auch Schlaf bringen. Aber auch bei der Nahrung ist auf Mäßigung zu achten. Weder darf der Kranke sich mästen und so in den Wahnsinn verfallen, noch soll er mit Fasten gequält wer­d en und so womöglich aus Schwäche magenkrank werden. Er braucht leichte Kost, besonders Suppe, und soll gewässerten Honigwein trinken. Hiervon sind drei Becher ganz hinlänglich, zweimal täglich im Winter und viermal im Sommer. (17)  Eine andere Art von Geisteskrankheit gibt es, die einen langwierigeren Ver­lauf hat, weil sie in der Regel nicht durch ein Fieber ausgelöst wird, später aber ganz leichtes Fieber verursacht. Diese Art besteht in Trübseligkeit, die anschei­nend von der schwarzen Galle hervorgerufen wird. In diesem Fall ist

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prohibere, prima est abstinentia, secunda per album veratrum vomi­tumque pur­ ga­tio, post utrumlibet adhibenda bis die frictio est; si magis valet, frequens etiam exer­ci­tatio: in ieiuno vomitus. Cibus sine vino dandus ex media materia est; quam quotiens posuero, scire licebit etiam ex infirmissima dari posse, dum ne ‹illa sol›a quis utatur: valentissima tantummodo esse remo­venda.  (18)  Praeter haec servanda alvus est quam tenerrima, removendi terro­res, et potius bona spes offe­renda; quaerenda delectatio ex fabulis ludisque, maxi­me quibus capi sanus adsue­rat; laudanda, si qua sunt, ipsius opera et ante ocu­los eius ponenda; leviter obiur­ganda vana tristitia; subinde admonendus, in is ipsis rebus, quae sollicitant, cur potius laetitiae quam sollicitudinis causa sit. Si febris quoque accessit, sicut aliae febres curanda est. (19)  Tertium genus insaniae ‹est› ex his longissimum, adeo ut vitam ipsam non impediat; quod robusti corporis esse consuevit. Huius autem ipsius species duae sunt: nam quidam imaginibus, non mente falluntur, quales insanientem Aia­cem vel Orestem percepisse poetae ferunt: quidam animo desipiunt. (20)  Si imagines fallunt, ante omnia videndum est, tristes an hilares sint. In tris­titia nigrum veratrum deiectionis causa, in hilaritate album ad vomitum exci­ tandum dari debet; idque si in potione non accepit, in pane adiciendum est, quo facilius fallat: nam si bene se purgaverit, ex magna parte morbum leva­bit. Ergo etiamsi semel datum veratrum parum profecerit, interposito tem­pore iterum dari debet. Neque ignorare oportet leviorem esse morbum cum risu quam cum serio insanientium. Illud quoque perpetuum est in omni­bus morbis, ubi ab inferiore parte purgandus aliquis est, ventrem eius ante sol­vendum esse; ubi a superiore, comprimendum. (21)  Si vero consilium insanientem fallit, tormentis quibusdam optime cura­ tur. Ubi perperam aliquid dixit aut fecit, fame, vinculis, plagis coercendus est.

3,18,17–3,18,21

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ein Ader­lass zuträglich, aber zur Vorbeugung dient vor allen Dingen das Fasten, dann eine Reinigung der Eingeweide mit weißer Nieswurz und Erbrechen. Ist das eine oder das andere erledigt, soll man zweimal täglich Massagen anwen­­ den, ist der Kranke gut bei Kräften, auch häufige Leibesübungen und Erbre­ chen auf nüchternen Magen. Das Essen soll ohne Wein gereicht und von durchschnittlicher Stofflichkeit sein. Aber auch in Anbetracht dieser Vor­schrift muss man wissen, dass auch Speisen von geringster Stofflichkeit ange­bo­ten werden können, solange diese nicht ausschließlich genossen wer­den, und dass lediglich solche von stärkster Stofflichkeit zu vermeiden sind.  (18)  Darüber hinaus muss man den Stuhl so locker wie möglich halten und alles, was Angst macht, vermeiden, dafür aber eher Anlass zur Hoffnung geben. Man muss mit Geschich­ten und Spielen für Ablenkung sorgen, beson­ders mit solchen, die ihn schon als Gesunden in ihrem Bann gehalten haben; man muss seine Arbeit loben, wenn er denn welche leistet, und sie ihm vor Augen führen; man muss sei­ne sinnlose Niedergeschlagenheit sanft tadeln; man muss es ihm immer wie­ der vorhalten, wie die Dinge, die ihm Sorgen berei­ten, viel eher zur Freude als zur Sorge Anlass bieten. Kommt auch noch Fie­ber dazu, so ist dies wie jedes ande­re Fieber zu behandeln. (19)  Die dritte Art der Geisteskrankheit ist die langwierigste, wobei sie kei­ne unmittelbare Lebensgefahr darstellt, denn sie stellt sich gewöhnlich bei guter körperlicher Gesundheit ein. Diese Art hat zwei Erscheinungsformen. Man­che Kranke werden nicht durch ihr eigenes Denken, sondern durch Trugbilder irre­ ge­leitet, wie Aias und Orestes sie nach der Meinung der Dichter im Wahnsinn gese­hen haben. Andere dagegen verblöden. (20)  Wird der Kranke von Trugbildern genarrt, so müssen wir als erstes fest­stellen, ob sie bedrückend oder erheiternd sind. Bei Niedergeschlagenheit müs­sen wir schwarze Nieswurz zum Abführen verordnen, bei Ausgelassenheit wei­ße, um Brechreiz herbeizuführen, und wenn der Kranke sie nicht als Trank annehmen will, so müssen wir sie ins Brot mischen, um ihn umso eher über­ lis­ten zu können. Wenn ein Kranker nämlich sein Inneres gründlich ent­leert hat, wird er weitestgehend von der Krankheit befreit sein. Wenn also eine ein­ malige Gabe von Nieswurz wenig bewirkt, muss man ihm nach einer kleinen Wei­le noch eine Gabe verabreichen. Man muss auch unbedingt wis­sen, dass Geis­teskrankheit weniger gefährlich ist, wenn sie mit Gelächter und nicht mit Schwermut einhergeht. Auch ist es eine allgemein gültige Regel bei allen Erkrankungen, dass man den Leib des Kranken locker machen muss, wenn die Rei­nigung durch den unteren Ausgang erfolgen soll, und verfestigen, wen sie durch den oberen Ausgang erfolgen soll. (21)  Hat der Geisteskranke den Verstand verloren, so erfolgt die Behandlung am besten durch bestimmte Leibesstrafen. Wenn er etwas Falsches sagt oder tut, muss man ihn mit Fasten, Fesseln und Prügeln auf den rechten Weg bringen.

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Cogendus est et attendere et ediscere aliquid et meminisse: sic enim fiet, ut pau­ la­tim metu cogatur considerare quid faciat. Subito etiam terreri et expa­vescere in hoc morbo prodest, et fere quicquid animum vehementer tur­bat.  (22)  Potest enim quaedam fieri mutatio, cum ab eo statu mens, in quo fue­rat, abducta est. Inter­est etiam, ipse sine causa subinde rideat, an maestus demis­susque sit: nam demens hilaritas terroribus iis, de quibus supra dixi, melius curatur. Si nimia tris­titia, prodest lenis sed multa bis die frictio, item per caput aqua frigida infu­ sa, demissumque corpus in aquam et oleum.  (23)  Illa com­munia sunt, insa­ nientes vehementer exerceri debere, multa frictione uti, neque pinguem carnem neque vinum adsumere; cibis uti post purgationem ex media materia quam levis­simis; non oportere esse vel solos vel inter ignotos, vel inter eos, quos aut contemnant aut neglegant; mutare debere regiones et, si mens redit, annua pere­ gri­natione esse iactandos. (24)  Raro sed aliquando tamen ex metu delirium nascitur. Quod genus insa­ nientium specie *** similique victus genere curandum est, praeterquam quod in hoc insaniae genere solo recte vinum datur. Caput XIX De cardiacis (1)  His morbis praecipue contrarium est id genus, quod cardiacum [καρ­ διακὸν] a Graecis nominatur, quamvis saepe ad eum phrenetici transeunt: siqui­ dem mens in illis labat, in hoc constat. Id autem nihil aliud est quam nimia inbe­ cil­li­tas corporis, quod stomacho languente inmodico sudore digeritur. Licet­que pro­tinus scire id esse, ubi venarum exigui inbecillique pulsus sunt, sudor autem et supra consuetudinem et modo *** et tempore ex toto thorace et cervicibus atque etiam capite prorumpit, pedibus tantummodo et cruribus sic­cio­ribus atque fri­gen­tibus; acutique id morbi genus est. (2)  Curatio prima est supra praecordia imponere quae reprimant cata­plasmata, secun­da sudorem prohibere. Id praestat acerbum oleum vel rosa vel melinum aut myrteum, quorum aliquo corpus leviter perunguendum, cera­tumque ex ali­ quo horum tum inponendum est. Si sudor vincit, delinendus homo est vel gypso

3,18,21–3,19,2

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Auch muss man ihn zur Konzentration, zum Lernen und zum Auswendiglernen zwin­gen, denn so wird er nach und nach durch Furcht genötigt, zu bedenken, was er eigentlich tut. Plötzlicher Schreck und in die Knochen gehende Furcht ist bei dieser Krankheit ebenfalls von Nutzen, wie überhaupt alles, was den Geist hef­tig erschüttert.  (22)  Es ist möglich, dass sich etwas ändert, wenn der Geist von seinem bisherigen Zustand abgebracht wird. Auch ist es bedeutsam, wenn der Kranke ohne Anlass plötzlich lacht oder traurig und niedergeschlagen ist, denn die Ausgelassenheit eines Geisteskranken lässt sich leichter heilen als die Angstvorstellungen, die ich oben beschrieben habe. Ist die Schwermut zu groß, hilft sanfte, aber ausgiebige Massage zweimal am Tag und sodann kalte Was­­ser­güsse über den Kopf und Eintauchen des gesamten Körpers in Wasser und Öl.  (23)  Folgendes sind allgemeine Vorschriften: Geisteskranke müssen aus­giebig Leibesübungen betreiben und sich ausgiebig massieren lassen, sie dür­fen kein fettes Fleisch und keinen Wein zu sich nehmen, sie müssen nach einer Darmreinigung möglichst leichte Speisen von mittlerer Stofflichkeit zu sich nehmen, sie dürfen nicht allein, in fremder Gesellschaft oder unter Leu­ten sein, die sie entweder verachten oder um die sie sich nicht scheren, sie brauchen Luftveränderung, und wenn der Verstand sich wieder einstellt, sol­len sie durch eine jährliche Reise angeregt werden. (24)  Es kommt vor, wenn auch nur selten, dass Furcht Bewusstseinsstörungen ver­ur­sacht. Diese Art von Geisteskrankheit nach der Form . . . und muss mit Diät­vorschriften ähnlicher Art behandelt werden, wobei nur bei dieser Art von Geisteskrankheit passenderweise Wein verabreicht werden soll. 19. Kapitel Magenkranke (1)  Vollkommen anders geartet als die genannten Erkrankungen ist jene Art, die die Griechen Kardiakos nennen, auch wenn sie oftmals aus der Phrenesis her­vorgeht. Die genannten Erkrankungen schwächen den Geist, während er durch diese nicht beeinträchtigt wird. Es handelt sich hierbei um nichts ande­res als eine Schwäche des Körpers, der sich bei Untätigkeit des Magens in hef­tigem Schweiß auflöst. Dieser Zustand ist ohne Weiteres an einem sehr lang­samen und schwachen Puls sowie an ungewohnten und sowohl nach Art und Wei­se wie auch nach dem Zeitpunkt . . . Schweißausbrüchen an Brust, Nacken und Kopf festzustellen, wobei die Füße und Beine trocken und kalt bleiben. Dies ist eine akute Erkrankung. (2)  Als erste Maßnahme muss man Wickel auf die Brust legen, die der Krank­ heit Einhalt gebieten. Als zweites muss man den Schweiß hemmen. Dazu hilft herbes Olivenöl oder aber Rosen-, Quitten- oder Myrtenöl. Mit einem dieser Öle soll man den Körper leicht salben, und dann soll man eine Sal­be aus einem dieser Öle auftragen. Setzt sich der Schweiß durch, muss man den Menschen

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vel spuma argentea vel Cimolia creta, vel etiam subinde horum pulvere resper­ gen­dus. Idem praestat pulvis ex contritis aridi myrti vel rubi foliis, aut ex aus­ teris et boni vini arida faece; pluraque similia sunt, quae si desunt, satis utilis est quilibet ex via pulvis iniectus.  (3)  Super haec vero, quo minus corpus insu­det, levi veste debet esse contectus, loco non calido, fenes­tris patentibus, sic ut per­ flatus quoque aliquis accedat. Tertium auxilium est inbecillitati iacentis cibo vinoque succurrere. Cibus non multus quidem, sed saepe tamen nocte ac die dandus est, ut nutriat, neque one­ ret. Is esse debet ex infirmissima materia et stomacho aptus. Nisi si necesse est, ad vinum festinare non oportet.  (4)  Si verendum est, ne deficiat, tum et intri­ta ex hoc, et hoc ipsum austerum quidem, sed tamen tenue, meraculum, ege­lidum subinde et liberaliter dandum est, adiecta polenta, si modo is aeger parum cibi adsumit; idque vinum esse debet neque nullarum virium, neque ingen­tium: recteque toto die ac nocte vel tres heminas aeger bibet; si vastius cor­pus est, plus etiam: si cibum non accipit, perunctum perfundere aqua fri­gi­da ante conveniet, et tunc dare.  (5)  Quod si stomachus resolutus parum conti­net, et ante cibum et post eum sponte vomere oportet, rususque post vomitum cibum sumere. Si ne id quidem manserit, sorbere vini cyathum, interpositaque hora sumere alterum. Si id quoque stomachus reddiderit, totum corpus bul­bis contritis superinlinendum est; qui ubi inaruerunt, efficiunt, ut vinum in stomacho contineatur, exque eo toti corpori calor, venisque vis redeat. Ulti­mum auxilium est in alvum tisanae vel halicae cremorem ex inferioribus par­tibus indere, siquidem id quoque vires tuetur.  (6)  Neque alienum est nari­bus quoque aestuantis admovere quod reficiat [id est rosa et vinum]: si qua in extremis partibus frigent, unctis et calidis mani­ bus fovere. Per quae si conse­qui potuimus, ut et sudoris impetus minuatur, et vita prorogetur, incipit iam tem­pus ipsum esse praesidio. Ubi esse in tuto vide­ tur, verendum tamen, ne in eandem infirmitatem cito recidat; itaque vino tan­ tummodo remoto cotidie vali­diorem cibum debet adsumere, donec satis virium corpori redeat.

3,19,2–3,19,6

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mit Gips, Lithargyrum oder Kreide von Kimolos einreiben oder sogar von Zeit zu Zeit damit bestäuben. Denselben Erfolg verspricht ein Pulver aus getrockneten und zerriebenen Myrten- oder Brombeerblättern oder aus der getrockneten Hefe von gutem herben Wein. Es gibt noch viele ähnli­che Sachen, und wenn man nichts davon zur Verfügung hat, ist es immer noch ausreichend, ihn mit irgendwelchem Straßenstaub zu bestreuen.  (3)   Um hef­ti­ges Schwitzen zu verhindern, soll sich der Kranke nur mit einer leichten Decke verhüllt ihn in einem kühlen Raum mit offenen Fenstern befinden, damit ihn ein Luftzug bestreicht. Als dritte Maßnahme muss man seiner Schwäche mit Speisen und Wein ent­ gegenwirken, wenn er bettlägrig ist. Um den Kranken zu ernähren, aber nicht zu belasten, soll man ihm Speisen zwar nicht in großen Mengen, dafür aber häu­­fig anbieten. Sie sollen von äußerst geringer Stofflichkeit und dem Magen zuträg­lich sein. Wenn es nicht gerade notwendig ist, muss man sich mit dem Wein nicht allzu sehr beeilen.  (4)  Befürchtet man einen Ohnmachtsanfall, soll man ihm immer wieder und großzügig Wein mit eingebrocktem Brot geben, und zwar trockenen, aber leichten Wein, unverdünnt und erwärmt, und wenn der Kranke zur wenig Nahrung zu sich nimmt, soll man dem Wein Rollgerste bei­ ge­ben. Dieser Wein darf nicht ganz kraftlos sein, aber auch nicht sehr stark, und der Kranke kann passenderweise im Verlauf eines Tages und einer Nacht drei Heminen trinken, und auch mehr, wenn er stark gebaut ist. Wenn er auch dann keine Nahrung annimmt, soll er sich vorher salben lassen, ein kal­tes Sturzbad nehmen und dann zu essen bekommen.  (5)  Wenn der Magen schwach ist und nur wenig bei sich behält, so soll sich der Kranke vor und nach dem Essen erbrechen, wie es ihm beliebt, und dann nach dem Erbrechen wie­der Nahrung zu sich nehmen. Wenn auch dies nicht im Magen bleibt, soll er einen Becher Wein schlürfen und nach Ablauf einer Stunde einen weite­ren Becher zu sich nehmen. Wenn der Magen dies ebenfalls von sich gibt, muss man den ganzen Körper mit zerstoßenen Zwiebeln abreiben. Wenn die­se eintrocknen, bewirken sie, dass der Wein im Magen behalten wird, und dies wärmt den ganzen Körper warm und kräftigt den Puls. Als äußerste Maß­nah­me dient ein Einlauf von Gerstenoder Dinkelschleim, denn auch dies gibt Kraft.  (6)  Es ist auch nicht verfehlt, dem Patienten, wenn er erhitzt ist, etwas Belebendes vor die Nase zu halten [, nämlich Rosenöl und Wein]. Wenn er an den Extremitäten friert, soll man ihn mit eingeölten und erhitzten Hän­den wärmen. Wenn wir es damit soweit bringen, dass die Heftigkeit des Schwei­ßes gemildert und das Leben verlängert wird, kommt uns die Zeit selber zu Hilfe. Selbst wenn der Kranke außer Gefahr zu sein scheint, ist doch zu befürch­ten, dass er einen raschen Rückfall erleidet. Daher muss er den Wein lang­sam absetzen und jeden Tag kräftigere Nahrung zu sich nehmen, um wieder genü­gend Körperkraft zu erlangen.

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Caput XX De lethargicis (1)  Alter quoque morbus est aliter phrenetico contrarius. In eo difficilior som­ nus, prompta ad omnem audaciam mens est: in hoc marcor et inexpugnabilis pae­n e dormiendi necessitas. Lethargum [Λήθαργον] Graeci nominarunt. Atque id quoque genus acutum est, et nisi succurritur, celeriter iugulat. – Hos aegros quidam subinde excitare nituntur admotis is, per quae sternu[ta]men­ta evocentur, et is, quae odore foedo movent, qualis est pix cruda, lana suci­da, piper, veratrum, castoreum, acetum, ‹alium, cepa.  (2)   Iuxta etiam› gal­ba­num incendunt, aut pilos aut cornu cervinum; si id non est, quodlibet aliud: haec enim cum conburuntur, odorem foedum movent. Tharrias vero qui­dam acces­ sionis id malum esse dixit, levarique, cum ea decessit; itaque eos, qui subinde exci­­tant, sine usu male habere. Interest autem, in decessione expergis­catur aeger, an aut febris non levetur aut levata quoque ea somnus urgue‹a›t. Nam si expergiscitur, adhibere †eum sopito supervacuum est: neque enim vigi­lando melior fit, sed per se, si melior est, vigilat.  (3)  Si vero continens ei som­nus est, utique excitandus est, sed iis temporibus, quibus febris levissima est, ut et excer­ nat aliquid et sumat. Excitat autem validissime repente aqua fri­gi­da infusa. Post remissionem itaque perunctum multo oleo corpus tribus aut quattuor ampho­ris totum per caput perfundendum est. Sed hoc utemur, si aequalis aegro spi­ritus erit, si mollia praecordia: sin aliter haec erunt, ea potio­ra, quae supra compre­ hensa sunt. Et quod ad somnum quidem pertinet, com­modissima haec ratio est. (4)  Medendi autem causa caput radendum, deinde posca fovendum est, in qua laurus aut ruta decocta sit. Altero die inponendum castoreum, aut ruta ex aceto contrita aut lauri bacae aut hedera cum rosa et aceto; praecipueque pro­ficit ‹et› ad excitandum hominem naribus admotum et ad morbum ipsum depel­lendum capiti frontive inpositum sinapi.  (5)  Gestatio etiam in hoc morbo pro­dest, maximeque oportune cibus datus, id est in remissione, quanta maxime inve­niri poterit. Aptissima autem sorbitio est, donec morbus decrescere inci­piat, sic ut, si

3,20,1–3,20,5

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20. Kapitel Lethargiker (1)  Noch eine weitere Krankheit steht im Gegensatz zur Phrenesis, aber auf eine andere Weise. Die Phrenesis führt zu Schlafstörungen, und der Patient neigt zu unbesonnenem Tatendrang. Hier aber verfällt der Kranke und verspürt ein unstillbares Schlafbedürfnis. Die Griechen nennen diesen Zustand lethargisch. Er ist auch eine akute Erkrankung und führt unbehandelt rasch zum Tod. Manche Ärzte bemühen sich, solche Patienten zu stimulieren, wozu sie ihnen Niesmittel verabreichen und solche Dinge, deren scharfer Geruch anregend wirkt, wie etwa frisches Pech, Rohwolle, Pfeffer, Nieswurz, Biber­geil, Essig, Knoblauch, Zwiebel.  (2)  Auch verbrennen sie neben ihnen Gal­ba­num oder Hirschhorn und -haare, und wenn das nicht zu haben ist, etwas Ähnli­ ches, denn wenn man solche Dinge verbrennt, verströmen sie einen scharfen Geruch. Ein gewisser Tharrias meinte allerdings, bei dieser Krankheit handle es sich um Fieberanfälle, und sie vergehe, wenn diese nachließen. Daher, mein­te er, richteten jene, die die Patienten fortwährend reizten, nur Schaden ohne Nutzen an. Es ist aber von Bedeutung, ob der Kranke bei nachlassendem Fie­ber wach wird, ob das Fieber nicht sinkt oder ob es sinkt und er dennoch von Schläfrigkeit niedergedrückt wird. Ist der Patient nämlich wach, ist es überflüssig, ihn . . . wie einen Schlafenden zu behandeln. Er wird nicht gesün­ der, wenn man ihn wach hält, sondern vielmehr bleibt er von sich aus wach, wenn er gesünder ist.  (3)  Wenn der Kranke aber dauernd schläft, ist er auf jeden Fall aufzuwecken, aber nur dann, wenn das Fieber gerade sehr leicht ist, und zwar, damit er eine Ausscheidung hat und etwas zu sich nimmt. Am besten weckt man ihn, indem man ihn unvermittelt mit kaltem Wasser über­gießt. Wenn also das Fieber nachgelassen hat und der Körper mit viel Öl gesalbt worden ist, soll man dem Patienten drei bis vier Amphoren Wasser über den Kopf schütten. Die­ses Mittel wollen wir jedoch nur anwenden, wenn der Atem des Kranken regel­mäßig geht und sein Oberbauch weich ist. Andernfalls sind die oben genann­ten Mittel eher angemessen. Dies ist die güns­tigste Vorge­hens­weise in Bezug auf die Schläfrigkeit. (4)  Zur ihrer Heilung aber muss man den Schädel rasieren und dann mit Mischtrank wärmen, in dem Lorbeer oder Raute abgekocht worden ist. Am nächsten Tag soll man Bibergeil oder in Essig zerstoßene Raute anwenden, oder aber Lorbeerbeeren oder Efeu in Rosenöl und Essig. Vor die Nase gehalten, ist Senf ganz besonders geeig­net, den Menschen wach zu machen, und auf den Schädel und die Stirn gestri­chen, vertreibt er sogar die Krankheit.  (5)  Ebenfalls von Nutzen sind bei dieser Erkrankung Schaukelbewegungen und ganz besonders Nahrung, wenn sie im geeignetsten Moment angeboten wird, nämlich dann, wenn das Fie­ber wahrnehmbar am stärksten nachgelassen hat. Suppe ist am ehesten angemes­sen, bis die Krankheit zu schwinden beginnt, und zwar

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cotidie gravis accessio est, haec cotidie detur; si alternis, post gra­vio­rem sorbi­ tio, post leviorem mulsa aqua. Vinum quoque cum tempestivo cibo datum non medio­criter adiuvat.   (6)  Quod si post longas febres eiusmodi tor­por ‹corpori› acces­sit, cetera eadem servanda sunt: ante accessionem autem tribus quattuorve horis castoreum, si venter adstrictus est, mixtum cum sca­monea; si non est, per se ipsum cum aqua dandum est. Si praecordia mollia sunt, cibis utendum ple­nio­ribus; si dura, in isdem sorbitionibus subsistendum, inpo­nendumque prae­ cordiis quod simul et reprimat et molliat. Caput XXI De hydropicis (1)  Sed hic quidem acutus est morbus. Longus vero fieri potest eorum, quos aqua inter cutem male habet, nisi primis diebus discussus est: hydropa [ὕδρωπα] Graeci vocant. Atque eius tres species sunt. Nam modo ventre vehe­ men­ter intento creber intus ex motu spiritus sonus est; modo corpus inae­quale est tumoribus ‹aliter› aliterque per totum id orientibus; modo intus in unum aqua contrahitur et moto corpore ita movetur, ut impetus eius conspici pos­ sit.  (2)  Primum τυμπανίτην, secundum λευκοφλεγματίαν vel ὑπὸ σάρκα, ter­ tium ἀσκίτην Graeci nominarunt. Communis tamen omnium est umoris nimia abundantia, ob quam ne ulcera quidem in his aegris facile sanescunt. Sae­pe vero hoc malum per se incipit, saepe alteri vetusto morbo maximeque quar­ tanae supervenit. Facilius in servis quam in liberis tollitur, quia, cum desi­de­ret famem, sitim, mille alia taedia longamque patientiam, promptius is suc­curritur, qui facile coguntur, quam quibus inutilis libertas est.  (3)  Sed ‹ne› i quidem, qui sub alio sunt, si ex toto sibi temperare non possunt, ad salutem per­ducuntur. Ideo­que *** non ignobilis medicus, Chrysippi discipulus, apud Anti­gonum regem, amicum quendam eius, notae intemperantiae, mediocriter eo morbo inpli­citum, negavit posse sanari; cumque alter medicus Epirotes Phi­lip­pus se sanaturum polliceretur, respondit illum ad morbum aegri respicere, se ad ani-

3,20,5–3,21,3

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dergestalt, dass man dem Kranken jeden Tag Suppe anbieten soll, wenn sich jeden Tag ein schwerer Anfall einstellt. Wenn sich nur jeden zweiten Tag ein schwerer Anfall ein­stellt, soll man ihm nach den schwereren Anfällen Suppe anbieten und nach den leichteren gewässerten Honigwein. Wein, zur rechten Zeit mit dem Essen gereicht, ist ebenfalls von außerordentlicher Heilkraft.  (6)  Wenn diese Starre aber nach einer langwierigen Fiebererkrankung den ganzen Körper befällt, muss man alle anderen Maßnahmen ergreifen: entweder drei bis vier Stunden vor dem Anfall muss man Bibergeil mit Wasser reichen, vermischt mit Pur­gier­win­de, wenn der Leib verstopft ist, und unvermischt, wenn er nicht ver­stopft ist. Ist der Oberbauch weich, kann man mehr Nahrung reichen, ist er hart, muss sich der Kranke auf die genannte Suppe beschränken, und man muss einen Wickel applizieren, der sowohl der Krankheit Einhalt gebietet als auch den Leib erweicht. 21. Kapitel Wassersüchtige (1)  Das oben Beschriebene ist eine akute Erkrankung. Sie kann aber bei Patien­ten chronisch werden, die an einer Ansammlung von Wasser unter der Haut leiden, wenn dies sich nicht in den ersten Tagen bessert. Die Griechen nen­ nen dies Hydrops. Diese Erkrankung hat drei Erscheinungsformen. In einigen Fällen ist der Bauch sehr hart, und in seinem Inneren entstehen lau­te Geräusche von Darmwinden. In anderen Fällen wird der Körper durch Schwel­­lun­gen verunstaltet, die überall auftreten, bald hier, bald dort. In wie­der anderen Fällen sammelt sich das Wasser im Körperinneren an einem Ort und bewegt sich mit dem Körper derart, dass man ihm dabei zusehen kann.  (2)  Die Griechen nennen die erste Erscheinungsform Tympanites, die zweite Leukophlegmatie oder Hyposarka und die dritte Askites. Allen gemein­sam ist ein Zuviel an Feuchtigkeit, weswegen bei diesen Kranken auch Geschwüre nicht leicht heilen. Oft beginnt dieses Leiden von alleine, oft ent­steht es aber auch aus einer anderen eingewurzelten Krankheit, besonders dem Quartanfieber. Es lässt sich eher bei Sklaven als bei Freien heilen, denn dazu sind Hunger, Durst und tausend andere Unannehmlichkeiten sowie viel Geduld erforderlich, und man kann daher denen eher beistehen, die sich ohne Weiteres zwingen lassen, als jenen, die unbeschränkte Freiheit genie­ßen.  (3)  Aber nicht einmal Unfreie lassen sich heilen, wenn sie nicht zu unbedingter Selbstdisziplin fähig sind. Daher schildert . . . , ein nicht unbe­deu­ten­der Arzt und Schüler des Chrysippos, ein Höfling des Königs Anti­go­nos, wie ein bestimmter Freund des Königs, dessen Maßlosigkeit allge­mein bekannt war, nicht geheilt werden konnte, obwohl er nicht schwer erkrankt war. Drauf habe ein anderer Arzt, Philippos von Epirus, sich erbötig gemacht, den Mann zu heilen, und eben dieser Schüler des Chrysippos habe geant­wortet, Philippos achte nur auf die Krankheit, er

210

Liber tertius

mum. Neque eum res fefellit. Ille enim cum summa diligentia non medi­ci tan­­­tum­­modo, sed etiam regis custodiretur, tamen malagmata sua devo­rando biben­­­doque suam urinam in exitium se praecipitavit.  (4)  Inter initia tamen non difficilis curatio est, si inperata ‹sunt› corpori sitis, requies, inedia: at si malum inveteravit, non nisi magna mole discutitur. Metrodorum tamen Epi­curi discipulum ferunt, cum hoc morbo temptaretur, nec aequo animo neces­sariam sitim sustineret, ubi diu abstinuerat, bibere solitum, deinde evo­mere. Quod si redditur quicquid receptum est, multum taedio demit; si a stomacho reten­tum est, morbum auget; ideoque in quolibet temptandum non est.  (5)  Sed si febris quo­que est, haec in primis summovenda est per eas ratio­nes, per quas huic succurri posse propositum est. Si sine febre aeger est, tum demum ad ea venien­ dum est, quae ipsi morbo mederi solent. Atque hic quo­que, quaecumque species e‹s›t, si nondum nimis occupavit, isdem auxiliis opus est. Multum ambulandum, cur­rendum aliquid est, superiores maxime par­tes sic perfricandae, ut spiritum ipse contineat. (6)  Evocandus est sudor non per exercitationem tantum, sed etiam in harena cali­da vel Laconico vel clibano similibusque aliis; maximeque utiles naturales et siccae sudationes sunt, quales super Baiias in murtetis habemus. Balineum atque omnis umor alienus est. Ieiuno recte catapotia dantur, facta ex apsinthi dua­bus, murrae tertia parte. Cibus esse debet ex media quidem materia, sed tamen generis durioris: potio non ultra danda est quam ut vitam sustineat, opti­maque est, quae urinam movet.  (7)  Sed id ipsum tamen moliri cibo quam med­icamento melius est. Si tamen res coget, ex is aliquid, quae id praestant, erit decoquendum, eaque aqua potui danda. Videntur autem hanc facultatem habe­re iris, nardum, crocum, cinnamomum, casia, murra, balsamum, galba­ num, ladanum, oenanthe, panaces, cardamomum, hebenus, cupressi semen, uva t‹a›minia quam σταφίδα ἀγρίαν Graeci nominant, habrot‹o›num, rosae folia, acorum, amarae nuces, tragoriganum, styrax, costum, iunci quadrati et rotundi semen: illud cyperon [κύπειρον], hoc σχοῖνον Graeci vocant; quae quo­tiens

3,21,3–3,21,7

211

selber jedoch die Einstellung des Kranken. Und er hat Recht behalten. Der Patient hat nämlich, obschon sowohl vom Arzt als auch vom König unter strengster Aufsicht gehalten, sel­ber seinen Tod herbeigeführt, indem er seine Breiumschläge verzehrt und sei­nen Harn getrunken hat.  (4)  Im frühen Stadium ist die Behandlung nicht schwie­rig, wenn man den Körper zu Durst, Ruhe und Fasten zwingt. Ist die Krank­heit aber eingewurzelt, lässt sie sich nur mit großer Mühe vertreiben. Von Metrodoros, einem Schüler des Epikur, heißt es, er habe, von dieser Krank­heit befallen, den notwendigen Durst nicht mit Gleichmut ertragen kön­nen und habe daher nach langer Selbstbeschränkung gewöhnlich etwas getrun­ken und sich sodann erbrochen. Gibt man das Getrunkene nämlich wie­der von sich, wird das Übel stark gemildert, behält man es jedoch bei sich, verschlimmert es die Krankheit. Darum darf man dies nicht bei jedem Kran­ken versuchen.   (5)  Kommt aber Fieber dazu, muss man als erstes die­ses beseitigen, und zwar mit den Mitteln, die ich in Bezug auf mögliche Hilfe­ leis­tung in solchen Fällen dargelegt habe. Ist der Kranke fieberfrei, muss man sofort zu jenen Maßnahmen übergehen, mit denen die Krankheit selbst behan­ delt wird. Auch hier gilt, dass unbeschadet der Art der Erkrankung dieselben Mit­tel anzuwenden sind, solange die Krankheit nicht zu tief verwurzelt ist. Der Patient soll viel spazieren gehen und ein wenig laufen, und vor allem soll er sich den Oberkörper massieren lassen, während er den Atem anhält. (6)  Man soll den Patienten aber nicht nur mit Leibesübungen ins Schwitzen brin­gen, sondern auch mit erwärmtem Sand, dem spartanischen Ofen sowie dem Backofen und ähnlichen Dingen. Am zuträglichsten sind natürliche und trockene Schwitzstätten, wie wir das in den Myrtenhainen oberhalb von Baiae haben. Das Bad und überhaupt jede Art von Feuchtigkeit sind aber ver­ fehlt. Pillen aus zwei Teilen Wermut und einem Teil Myrrhe kann man auf unbedenklich nüchternen Magen verabreichen. Die Nahrung muss von durch­ schnittlicher Stofflichkeit sein, aber von der festen Sorte. Zu trinken soll der Patient nicht mehr bekommen, als was er zum Überleben braucht, und am besten ist, was den Harn fördert.  (7)  Aber auch dies ist besser durch die Nah­rung als durch Arzneien zu bewerkstelligen. Ist die Sache aber dringend, so muss man aus Dingen, die hierbei helfen, einen Absud herstellen und ihn dem Patienten mit Wasser zu trinken geben. Diese Eigenschaft findet sich allem Anschein nach bei der Schwertlilie, der Narde, dem Safran, dem Zimt, der Kassia, der Myrrhe, dem Balsam, dem Galbanum, der Zistrose, der Giftigen Rebendolde, dem Panakes, dem Kardamom, dem Ebenholz, den Zypressensamen, der Tami­ niertraube, die die Griechen wilde Traube nen­nen, der Eberraute, den Rosen­ blättern, der Sumpfschwertlilie, den Bit­ter­man­deln, dem Gliedkraut, dem Storaxbaum, der Costuswurzel, den Samen der vierkantigen und der runden Binse (die Griechen nennen erstere Kype­iron, letztere Schoinos). Wann immer ich im Folgenden diese Dinge erwäh­ne, meine ich damit keine heimischen

212

Liber tertius

posuero, non quae hic nascuntur, sed quae inter aromata adferuntur, sig­ni­fica­ bo.  (8)  Primo tamen quae levissima ex his sunt id est rosae folia vel nardi spi­ca temptanda est. Vinum quoque utile est austerum, sed quam tenuis­simum. Com­ mo­dum est etiam lino cotidie ventrem metiri et, qua conpre­hendit alvum, notam impo­nere, posteroque die videre, plenius corpus sit an extenuetur: id enim, quod extenuatur, medicinam sentit. Neque alienum est metiri et potionem eius et urinam: nam si plus umoris excernitur quam insu­mitur, ita demum secundae vale­tudinis spes est. Asclepiades in eo, qui ex quar­tana in hydropa deciderat, se absti­nen­tia bidui et frictione usum, tertio die iam et febre et aqua liberato cibum et vinum dedisse memoriae prodidit. (9)  Hactenus communiter de omni specie ‹prae›cipi potest: si vehementius malum est, diducenda ratio curandi est. Ergo si inflatio et ex ea dolor creber est, uti­lis cotidianus aut altero quoque die post cibum vomitus est; fomentis siccis cali­disque utendum est. Si per haec dolor non finitur, necessariae sunt sine ferro cucur­bitulae: si ne per has quidem tormentum tollitur, incidenda cutis est; tum his utendum est. Ultimum auxilium est, si cucurbitulae nihil profuerunt, per alvum infundere copiosam aquam calidam eamque recipere.  (10)  Quin etiam coti­die ter quaterque opus est uti frictione vehementi, cum oleo et quibusdam cale­facientibus. Sed in hac frictione a ventre abstinendum est: inponendum vero in eum crebrius sinapi, donec cutem erodat; ferramentisque candentibus plu­ ribus locis venter exulcerandus est; servanda ulcera diutius. Utiliter etiam scil­la cocta delinguitur; sed diu post has infl‹a›tiones abstinendum est ab omni­bus inflantibus. (11)  At si id vitium est, cui λευκοφλεγματία nomen est, eas partes, quae tument, subicere soli oportet, sed non nimium, ne febricula incidat. Si is vehe­ men­­tior est, caput velandum est, utendumque frictione, madefactis tan­tum manibus aqua, cui sal et nitrum et olei paululum sit adiectum, sic ut aut pueri­ les aut muliebres manus adhibeantur, quo mollior earum tactus sit; idque, si vires patiuntur, ante meridiem tota hora, post meridiem semihora fieri opor­ tet.  (12)  Utilia etiam sunt cataplasmata, quae reprimunt, maximeque si corpora tene­riora sunt. Incidendum quoque super talum quattuor fere digitis ex parte

3,21,7–3,21,12

213

Pflan­zen, sondern solche, die als Gewür­ze importiert werden.  (8)  Als erstes muss man die leichtesten unter ihnen anwenden, nämlich Rosenblätter und Narde. Auch ist trockener Wein zuträg­lich, aber nur ganz leichter. Es ist auch angemessen, täglich den Bauch mit einer Schnur zu messen, dort, wo sie um den Leib herumreicht, eine Markierung zu machen und so am folgenden Tag zu sehen, ob der Körper fülliger geworden oder abgemagert sei, denn wenn er abma­gert, so schlägt die Behandlung an. Es ist auch nicht verfehlt, zu messen, wie­viel der Kranke trinkt und wieviel Harn er ausscheidet, denn wird mehr Flüs­sigkeit ausgeschieden als aufgenommen, besteht Hoffnung auf Besserung. Asklepiades beschreibt, wie er bei einem Patien­ten, der vom Quartanfieber in die Wassersucht verfallen ist, zweitägiges Fas­ten und Massagen und dann am dritten Tag, als der Patient schon vom Fie­ber und Wasser befreit war, Nahrung und Wein verordnet hat. (9)  So weit erstreckt sich, was gleichermaßen für alle Erscheinungsformen ver­ord­net werden kann. Ist die Krankheit heftiger, muss die Art der Behandlung abwei­c hend sein. Liegen also Blähungen und davon herrührende heftige Schmer­zen vor, ist es dem Kranken zuträglich, sich täglich oder jeden zweiten Tag nach dem Essen zu erbrechen, und man muss heiße, trockene Umschläge anwen­­den. Wenn dies den Schmerz nicht stillt, ist Schröpfköpfe notwendig, aber unblutig. Wen auch diese die Qual nicht beenden, soll man sie auf ein­­ ge­­­ritz­­ter Haut anwenden. Als äußerste Maßnahme, wenn die Schröpfköpfe auch nicht geholfen haben, soll man reichlich warmes Wasser in den Darm ein­­leiten und es wieder ableiten.  (10)  Auch soll man drei- bis viermal am Tag ener­­gische Massagen mit Öl und Wärme erzeugenden Substanzen machen. Bei diesen Massagen muss man aber den Bauch aussparen. Dort muss man viel­mehr Senfpflaster auflegen, bis die Haut aufgeweicht ist, und sodann mit glü­hen­den Eisen an mehreren Stellen auf dem Bauch schwärende Wunden erzeu­gen, die man längere Zeit offenhalten muss. Es hilft auch, eine gekochte Meer­zwiebel zu lutschen. Der Patient muss sich aber nach solchen Blähungen lan­ge Zeit von allem fernhalten, was bläht. (11)  Wenn aber jenes Leiden vorliegt, das Leukophlegmatie genannt wird, soll man die geschwollenen Körperteile der Sonne aussetzen, aber nicht zu sehr, damit kein Fieber auftritt. Scheint die Sonne zu kräftig, muss man den Kopf des Patienten verhüllen und eine leichte Massage anwenden, wofür die Hän­d e vorher mit Wasser zu befeuchten sind, dem man Salz, Natron und ein wenig Öl beigegeben hat. Am besten geschieht dies durch Kinderoder Frau­en­hän­de, da deren Berührung sanfter ist. Wenn der Kranke kräftig genug ist, soll diese Behandlung am Vormittag eine ganze Stunde lang und am Nachmittag eine halbe Stunde lang erfolgen.  (12)  Auch sind Umschläge zuträg­lich, die der Krankheit Einhalt gebieten, besonders bei schwächlicher Konst­itution. Ferner soll man vier Fingerbreit oberhalb des Knöchels an der

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Liber tertius

inte­riore, qua per aliquot dies frequens umor feratur, atque ipsos tumores inci­ dere altis plagis oportet; concutiendumque multa gestatione corpus est; atque ubi inductae vulneribus cicatrices sunt, adiciendum et exercitationibus et cibis, donec corpus ad pristinum statum revertatur.  (13)  Cibus valens esse debet et glu­ti­no­sus, maximeque caro. Vinum, si per stomachum licet, dulcius, sed ita ut invicem biduo triduove modo aqua, modo id bibatur. Prodest etiam lac­tu­cae mar­inae, quae grandis iuxta maria nascitur, semen cum aqua potui datum. Si valens est qui id accipit, et scilla cocta, sicut supra dixi, delinguitur. Auc­to­res­ que multi sunt inflatis vesicis pulsandos tumores esse. (14)  Si vero id genus morbi est, quo in uterum multa aqua contrahitur, ambu­ lare, sed magis modice, oportet, malagma quod digerat inpositum habe­re, idque ipsum superimposito triplici panno fascia, non nimium tamen vehe­menter, adstrin­gere; quod a Tharria profectum esse servatum a pluribus video. Si iecur aut lienem adfectum esse manifestum est, ficum pinguem contusam adiec­to mel­le superponere: si per talia auxilia venter non siccatur, sed umor nihi­lo minus abundat, celeriore via succurrere, ut is per ventrem ipsum emitta­tur. (15)  Neque ignoro displicuisse Erasistrato hanc curandi viam: morbum enim hunc iocineris putavit: ita illud esse sanandum, frustraque aquam emitti, quae vitiato illo subinde nascatur. Sed primum non huius visceris unius hoc vitium est: nam et liene adfecto et in totius corporis malo habitu fit; deinde ‹ut inde› coeperit, tamen aqua, nisi emittitur, quae contra naturam ibi substitit, et iocineri et ceteris partibus interioribus nocet. Convenitque corpus nihilo minus esse curandum: neque enim sanat emissus umor, sed medicinae locum facit, quam intus inclusus impedit. (16)  Ac ne illud quidem in controversiam venit, quin non omnes in hoc mor­ bo sic curari possint, sed iuvenes robusti, qui vel ex toto carent febre, vel certe satis liberales intermissiones habent. Nam quorum stomachus corruptus est, qui-­

3,21,12–3,21,16

215

Innen­seite einen Einschnitt machen, durch den die Flüssigkeit ein paar Tage lang reichlich abfließen kann, und die Geschwülste selbst soll man mit tiefen Schnit­ten öffnen. Auch soll man den Körper durch häufige Wiegebewegungen anre­gen, und wenn die Wunden zu vernarben beginnen, soll man außerdem noch Leibesübungen und Diät verschreiben, durch die der Körper seinen vor­ he­ri­gen Zustand wieder erlangt.  (13)  Die Kost soll kräftig und gallertig sein, vor allem Fleisch. Wenn der Magen Wein verträgt, so soll es ein lieblicher sein, aber nur so, dass alle zwei oder drei Tage abwechselnd bald Wasser, bald Wein getrunken wird. Es ist auch nützlich, dem Patienten die Samen des Gift­lattichs, wie er an der Meeresküste üppig gedeiht, in Wasser zu trinken zu geben. Ist der zu Behandelnde bei Kräften, soll er dazu eine gekochte Meer­zwiebel lutschen, wie oben beschrieben. Zahlreiche Fachleute wollen auch die Geschwülste mit aufgeblasenen [Rinds-]5 Blasen beklopft wissen. (14)  Ist das Wesen der Krankheit aber so, dass sich im Unterleib viel Wasser ansam­melt, helfen Spaziergänge, aber nur ganz mäßige, und Umschläge, die den Krankheitsstoff abziehen, und darüber noch eine dreifache Leinenbinde, aber nicht zu straff befestigt. Tharrias hat dies begründet und hat offenbar vie­le Nachfolger gefunden. Wenn das Leiden offenbar in der Leber oder Milz sitzt, muss man eine saftige Feige zerstampfen, sie mit Honig vermengen und dies auflegen. Wird der Bauch durch solche Hilfsmittel nicht drainiert, sondern ist trotzdem noch zu viel Flüssigkeit vorhanden, muss man auf rascherem Weg zu Hilfe kommen und die Flüssigkeit unmittelbar aus dem Bauch ablei­ten. (15)  Ich weiß ganz gut, dass Erasistratos diese Behandlungsmethode miss­­ bill­igt hat, da er glaubte, es handle sich um eine Erkrankung der Leber. Daher, so glaubte er, sei es die Leber, die geheilt werden müsse, und es sei zwecklos, Was­­­ser abzuleiten, da es sich in der angegriffenen Leber ja doch immer wie­der neu bilde. Aber erstens handelt es sich hierbei ja nicht eine Erkrankung eines ein­­zigen Organs, denn es tritt auf, wenn auch die Milz befallen ist und der gesam­te Körper sich in einem schlechten Zustand befindet. Zweitens sam­melt sich das Wasser, wenn die Krankheit denn von der Leber ausgeht, auf unna­ türliche Weise eben dort, sofern es nicht abgeleitet wird, und schadet sowohl der Leber als auch den anderen inneren Organen. Und es steht fest, dass der Körper dennoch auch behandelt werden muss. Wird die Feuchtigkeit abge­leitet, stellt dies die Gesundheit zwar nicht wieder her, aber es schafft die Vor­aus­setzung für Heilverfahren, denen sie im Weg steht, wenn sie sich im Kör­per ansammelt. (16)  Unstrittig ist auch, dass nicht alle von dieser Krankheit Befallenen auf die­se Weise behandelt werden können, sondern nur junge, widerstandsfähige Men­schen, die entweder vollkommen fieberfrei sind oder aber verlässlich für hinlängliche Zeitspannen kein Fieber haben. Denn für Leute mit angegriffenem­ 5

3,27,2b.

216

Liber tertius

ve ex atra bile in hoc deciderunt, quive malum corporis habitum habent, ido­nei huic curationi non sunt. Cibus autem, quo die primum umor emissus est, super­ vacuus est, nisi ‹si› vires desunt.  (17)  Insequentibus diebus et is et vinum mera­ cius quidem, sed non ita multum dari debet; paulatimque evocandus aeger est ad exercitationes, frictiones, solem, sudationes, navigationes et idoneos cibos, donec ex toto convalescat. Balneum rarum res amat, frequentiorem in ieiu­nio vomi­tum. Si aestas est, in mari natare commodum est. Ubi convaluit ali­quis, diu tamen alienus ei veneris usus est. Caput XXII De tabe et eius speciebus (1)  Diutius saepe et periculosius tabes eos male habet, quos invasit. Atque huius quoque plures species sunt. Una est, qua corpus non alitur, et naturaliter sem­per aliquis decedentibus, nullis vero in eorum locum subeuntibus, summa macies oritur, et nisi occurritur, tollit: ἀτροφίαν Graeci vocant. Ea duabus fere de causis incidere consuevit: aut enim nimio timore aliquis minus, aut aviditate nimia plus quam debet adsumit: ita quod vel deest infirmat, vel quod superat cor­rumpitur.   (2)  Altera species est quam Graeci καχεξίαν appellant, ubi malus corporis habitus est, ideoque omnia alimenta corrumpuntur. Quod fere fit, quom longo morbo vitiata corpora, etiamsi illo vacant, refectionem tamen non accipiunt; aut cum malis medicamentis corpus adfectum est; aut cum diu neces­ saria defuerunt; aut cum inusitatos aut inutiles cibos aliquis adsumpsit, ali­quid­ ve simile incidit. Hic praeter tabem illud quoque nonnumquam accidere solet, ut per adsiduas pusulas aut ulcera summa cutis exasperetur, vel aliquae cor­ poris partes intumescant.  (3)  Tertia est longeque periculosissima species, quam Graeci ‹phthisin› [φθίσιν] nominarunt. Oritur fere a capite, inde in pul­monem destillat; huic exulceratio accedit; ex hac febricula levis fit, quae etiam cum quievit, tamen repetit; frequens tussis est, pus excreatur, interdum cruen­tum aliquid. Quicquid excreatum est, si in ignem impositum est, mali odoris est. Itaque qui de morbo dubitant, hac nota utuntur.

3,21,16–3,22,3

217

Magen, für Leute, die sich diese Krankheit wegen der schwarzen Gal­le zuge­ zogen haben, sowie für Leute, deren Körper in einer schlechten Verfas­sung ist, eignet sich diese Behandlung nicht. Am ersten der Tage, an denen Flüs­ sigkeit abgeleitet wird, ist keine Nahrungszufuhr nötig, außer wenn der Patient entkräftet ist.  (17)  An den darauf folgenden Tagen soll man sowohl Nahrung als auch völlig unverdünnten Wein reichen, aber nicht zu viel. Man muss den Kranken nach und nach zu Leibesübungen, Massagen, Sonnenbä­dern, Schwitzbädern, Seereisen und geeigneten Speisen auffordern, bis seine Gesund­ heit vollkommen hergestellt ist. Dazu sind selten Bäder erforderlich, dafür aber häufiger Erbrechen auf nüchternen Magen. Im Sommer sind auch See­bä­der in Ordnung. Geschlechtsverkehr ist aber auch noch lange Zeit nach erfol­gter Genesung abträglich. 22. Kapitel Die Auszehrung und ihre Erscheinungsformen (1)  Wer von der Auszehrung befallen wird, leidet oftmals lange Zeit und hef­ tig. Die Auszehrung hat verschiedene Erscheinungsformen. Eine davon tritt auf, wenn der Körper keine Nahrung erhält. Weil von Natur aus immer ein Abbau stattfindet, kommt es, wenn nichts diesen Verlust wettmacht, zu extre­ mer Abmagerung, die ohne Behandlung tödlich ist. Die Griechen nennen dies Atro­phie. Sie tritt gewöhnlich aus zwei Ursachen auf: entweder verzehrt der Patient aus allzu großer Furcht weniger, als er soll, oder er verzehrt aus allzu gro­ßer Gier mehr, als er soll. Das Fasten schwächt ihn, und die überflüssige Nah­rung geht in Verwesung über.  (2)  Eine andere Erscheinungsform ist jene, die die Griechen Kachexie nennen. Hierbei ist der gesamte körperliche Zustand schlecht, und daher geht alle Nahrung in Verwesung über. Dies kommt oft vor, wenn der ganze Körper durch lange Krankheit geschädigt ist, und ist die Krankheit auch überwunden, ist die Gesundheit noch nicht wieder her­gestellt. Oder es kommt vor, wenn der Körper durch schlechte Arzneien ange­grif­fen ist, wenn lange Zeit Mangel an lebensnotwendigen Dingen geherrscht hat, wenn einer ungewohnte oder ungesunde Speisen verzehrt hat oder in ähnlichen Fällen. Hier geschieht es neben der Auszehrung häufig, dass die Oberhaut durch eine Vielzahl an Pusteln und Schwären gereizt wird oder dass andere Körperteile anschwellen.  (3)  Die dritte Erscheinungsform, und bei weitem die gefährlichste, ist die, die die Griechen Phthisis nennen. Gewöhn­lich nimmt sie vom Kopf ihren Ausgang und tröpfelt dann in die Lun­gen hinab, dazu kommen Geschwü­re, woraus ein leichtes Fieber entsteht, das wie­der­kehrt, auch wenn es abgeklungen ist. Husten kommt häufig vor, Eiter wird ausgeworfen, und manch­ mal ist er etwas blutig. Legt man den Auswurf ins Feuer, so riecht er übel. Dies tut man zur Überprüfung, wenn Zweifel an der Art der Erkrankung bestehen.

218

Liber tertius

(4)  Cum haec genera tabis sint, animadvertere primum oportet, quid sit, qui labo­retur; deinde, si tantum non ali corpus apparet, causam eius attendere, et si cibi minus aliquis quam debet adsumpsit, adicere, sed paulatim, ne, si cor­pus insuetum subita multitudine oneraverit, concoctionem impediat. Si vero plus iusto qui adsumere solitus est, abstinere uno die, deinde ab exiguo cibo incipere, cotidie adicere, donec ad iustum modum perveniat.  (5)  Praeter haec convenit ambulare locis quam minime frigidis, sole vitato; per manus quo­que exerceri: si infirmior est, gestari, ungui, perfricari, si potest, maxime per se ipsum, saepius eodem die, et ante cibum et post eum, sic ut interdum oleo quaedam adiciantur calfacientia, donec insudet. Prodestque in ieiuno pren­dere per multas partes cutem et adtrahere, ut relaxetur; aut inposita resina et abduc­ta subinde idem facere. (6)  Utile est etiam interdum balneum, sed post cibum exiguum. Atque in ipso solio recte cibi aliquid adsumitur, aut si sine hoc frictio fuit, post eam pro­ti­nus. Cibi vero esse debent ex iis, quae facile concoquantur: qui maxime alunt. Ergo vini quoque, sed austeri, necessarius usus est; movenda urina. (7)  At si malus corporis habitus est, primum abstinendum est, deinde alvus ducen­da, tum paulatim cibi dandi, adiectis exercitationibus, ‹unctionibus, frictio­ nibus›. Utilius his frequens balineum est, sed ieiunis, ‹etiam› usque sudo­rem. Cibis vero opus est copiosis, variis, boni suci, quique etiam [si] minus facile cor­rumpantur, vino austero. Si nihil reliqua proficiunt, sanguis mitten­dus est, sed paulatim cotidieque pluribus diebus, cum eo ut cetera quoque eodem modo serventur. (8)  Quod si mali plus est et vera pt‹h›isis est, inter initia protinus occurrere neces­sarium est: neque enim facile is morbus, cum inveteravit, evincitur. Opus est, si vires patiuntur, longa navigatione, caeli mutatione, sic ut densius quam id est, ex quo discedit aeger, petatur: ideoque aptissime Alexandriam ex Ita­lia itur. Fereque id posse inter principia corpus pati debet, cum hic morbus aeta­te

3,22,4–3,22,8

219

(4)  Da dies die Erscheinungsformen der Auszehrung sind, muss zuerst fest­ ge­stellt werden, woran der Kranke eigentlich leidet. Wenn sich herausstellt, dass der Patient lediglich unzulänglich ernährt wird, muss man nach der Ursa­che forschen. Hat der Patient weniger Nahrung zu sich genommen als er sollte, muss man ihm mehr zu essen geben, aber nur nach und nach, damit es nicht die Verdauung behindert, wenn der Körper plötzlich entgegen sei­ ner Gewohnheit durch eine Menge Nahrung beschwert wird. Wenn er aber gewöhn­lich mehr isst, als gut für ihn ist, soll er einen Tag fasten und dann, von einer winzigen Mahlzeit ausgehend, jeden Tag mehr essen, bis er das rich­ti­ge Maß findet.  (5)  Außerdem sind Spaziergänge hilfreich, und zwar an Orten, die möglichst wenig kühl sind, nicht in der Sonne, ebenso Gymnastik der Hände. Ist der Patient schwächlich, soll er sich schaukeln, salben und mas­sie­ren lassen, und wenn er kann, soll er so viel wie möglich davon selber tun, mehrmals am Tag, sowohl vor als auch nach dem Essen, und mitunter dem Öl einen Wärme erzeugender Stoff beigeben, bis er in Schweiß gerät. Auf nüchternen Magen hilft es auch, die Haut an verschiedenen Stellen zu ergrei­fen und hochzuziehen, um sie zu entspannen, oder zu demselben Zweck Harz auf­zu­le­gen und es sofort wieder abzuziehen. (6)  Bisweilen hilft ein Bad, aber nur nach sehr kleinen Mahlzeiten. Der Patient kann passenderweise etwas zu sich nehmen, während in der Wan­ne sitzt oder aber sofort nach einer Massage, wenn diese ohne das Bad angewen­ det worden ist. Es müssen aber leicht verdauliche Speisen sein. Diese sind die nahr­haf­testen. Notwendig ist darum auch der Gebrauch von Wein, aber von tro­­ckenem, denn der Harndrang muss gefördert werden. (7)  Ist der körperliche Zustand aber schlecht, muss der Kranke zuerst fasten, sodann einen Einlauf bekommen und dann nach und nach Nahrung erhalten, wozu Leibesübungen, Salbungen und Massagen kommen. Nützlicher als diese sind häufige Bäder, aber auf nüchternen Magen, auch bis er in Schweiß gerät. Auch ist reichliche, abwechslungsreiche, gut saftige Nahrung notwendig, dazu sol­che, die weniger leicht in Verwesung übergeht, und trockener Wein. Wenn sonst nichts nützt, soll man den Kranken einige Tage lang jeden Tag ein wenig zur Ader lassen, wobei ihm auch die anderen Behandlungen ord­nungs­ge­mäß zuteilwerden sollen. (8)  Ist aber das Übel größer und liegt eine wirkliche Phthisis vor, so muss man ihr gleich zu Anfang begegnen, denn diese Krankheit ist nicht leicht zu beseitigen, wenn sie erst eingewurzelt ist. Wenn die Kräfte des Kranken es erlauben, so bedarf er einer langen Seereise und einer Luftveränderung, und zwar derart, dass er in ein schwereres Klima kommt, als es das ist, das er verlässt. Darum ist eine Reise von Italien nach Alexandria am besten. In aller Regel sollte der Körper dies im Frühstadium ertragen können, tritt diese Krank­heit doch am ehesten während des robustesten Lebensabschnittes auf,

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Liber tertius

firmissima maxime oriatur, id est ab anno XIIX ad annum XXXV. Si id inbe­ cil­litas non sinit, nave tamen non longe gestari commodissimum est.  (9)  Si navi­­gationem aliqua res prohibet, lectica vel alio modo corpus moven­dum est; tum a negotiis abstinendum est omnibusque rebus, quae solli­citare ani­mum possunt; somno indulgendum; cavendae destillationes, ne, si quid cura levarit, exasperent; et devitanda cruditas, simulque et sol et frigus; os obtegen­dum; fau­ces velandae; tussicula suis remediis finienda; et quamdiu qui­dem febri­cula incursat, huic interdum abstinentia, interdum etiam tem­pestivis cibis meden­ dum; eoque tempore bibenda aqua.  (10)  Lac quoque, quod in capitis doloribus et in acutis febribus et per eas facta nimia siti, ac, sive praecordia tument, sive bilio­sa urina est, sive sanguis fluxit, pro veneno est, in pt‹h›isi tamen, sicut in omni­bus longis difficilibusque febriculis recte dari potest. Quod si febris aut non­dum incursat, aut iam remisit, decurrendum est ad modicas exercitationes, maxi­meque ambulationes, item lenes frictiones. Bali­neum alienum est. (11)  Cibus esse debet primo acer, ut alium, porrum, idque ipsum ex aceto, vel ex eodem intubus, ocimum, lactuca, dein lenis, ut sorbitio ex tisana vel ex hali­ca vel ex amulo, lacte adiecto. Idem oriza quoque et, si nihil aliud est, far prae­­stat. Tum in vicem modo his cibis, modo illis utendum est; adiciendaque quae­dam ex media materia, praecipueque vel ex pruna cerebellum vel pis­ciculus et his similia. Farina etiam cum sebo ovillo caprinove mixta, deinde incoc­ta pro medicamento est. Vinum adsumi debet leve, austerum. Hactenus non magna mole pugnatur.  (12)  Si vehementior noxa est, ac neque febricula neque tussis quiescit, tenuarique corpus apparet, validioribus auxiliis opus est. Exulcerandum est ferro candenti, uno loco sub mento, altero in gutture, duo­bus ad mammam utramque, item sub imis ossibus scapularum, quas ὠμο­πλάτας Graeci vocant, sic, ne sanescere ulcera sinas nisi tussi finita; cui per se quoque medendum esse manifestum est. Tum ter quaterve die vehementer extre­mae partes perfricandae; thorax levi manu pertractandus; post cibum inter­mittenda hora, et perfricanda crura brachiaque.  (13)  Interpositis denis diebus demittendus aeger in solium, in quo sit aqua calida et oleum. Cete­ris diebus bibenda aqua; tum vinum; si

3,22,8–3,22,13

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näm­lich zwischen dem 18. und dem 35. Jahr. Lässt die Schwäche des Kranken eine Reise nicht zu, ist es am besten für den Kranken, sich wenigstens für kur­ze Zeit auf einem Schiff aufzuhalten.  (9)  Macht ein anderer Grund eine Seereise unmöglich, muss man den Kranken in einer Sänfte oder auf ande­re Art bewegen. Ferner muss sich von Geschäften sowie allen Dingen fern­halten, die das Gemüt in Sorge versetzen können. Er muss sich viel Schlaf gön­nen, er muss sich vor Katarrhen hüten, damit diese nicht verderben, was die Behandlung gebessert hat, und er muss Verdauungsstörungen ebenso wie Son­ne und Kälte vermeiden. Er muss den Mund bedecken und einen Schal um den Hals tragen. Er muss den Husten mit den passenden Heilmitteln ver­trei­ben, und sooft ein leichtes Fieber auftritt, muss es behandelt werden, bis­wei­len durch Fasten, bis­weilen durch zeitgerechte Nahrungsaufnahme, wobei der Kranke Wasser trin­ken soll.   (10)  Auch Milch, die ja bei Kopfweh, aku­tem Fieber und dem dadurch hervorgerufenen heftigen Durst sowie bei Schwel­lung des Oberbauchs, galligem Harn oder Blutfluss das reinste Gift ist, kann im Fall einer Phthisis – und überhaupt bei langwierigem und schwer zu heilendem leichten Fieber – gefahrlos verabreicht werden. Wenn aber ent­we­der gar kein Fieber auftritt oder es schon abgeklungen ist, soll man sich leich­ten Leibesübungen zuwenden, vor allem Spaziergängen, und schonenden Mas­sa­gen. Bäder sind ungeeignet. (11)  Am Anfang müssen die Speisen scharf sein, wie Knoblauch und Porree, letz­te­rer auch in Essig, oder Endivie, Basilikum, Lattich, ebenfalls in Essig. Dann müssen sie mild sein, wie etwa Suppe aus Gerstenschrot, Dinkel oder Stär­ke­mehl unter Beigabe von Milch. Reis ist ebenfalls ausreichend, und wenn sonst nichts da ist, Emmer. In der Folge soll man abwechselnd bald diese, bald jene Speisen gebrauchen, und dazu auch etwas von durchschnittlicher Stoff­ lichkeit, vor allem über der Glut geröstetes Hirn, kleine Fische oder der­gleichen. Auch Mehl, mit Schafs- oder Ziegentalg vermengt und dann gekocht, ist ein Heilmittel. Wein soll man leichten und trockenen trinken. Bis hierher ist es keine große Last, die Krankheit zu bekämpfen.  (12)  Wenn sie aber heftiger ist, weder das Fieber noch der Husten nachlässt und der Kör­per sichtlich verfällt, bedarf es stärkerer Hilfsmittel. Man muss mit dem Brandei­sen Geschwüre erzeugen: an einer Stelle unter dem Kinn, an einer anderen an der Kehle, zwei auf jeder Brust, und dasselbe unterhalb der Schulterblätter, die die Griechen Omoplatai nennen, und zwar so, dass man die Geschwüre nicht verheilen las­ sen darf, bis der Husten vergangen ist. Es ist ganz klar, dass dieser durch sich selbst geheilt werden muss. Dann muss man drei- oder vier­mal am Tag die Extremitäten energisch massieren und den Brustkasten mit leich­tem Druck abreiben. Nach dem Essen soll man eine Stunde verstreichen las­sen und dann die Beine und Arme massieren.  (13)  Alle zehn Tage soll man den Kranken in eine Badewanne mit warmem Wasser und Öl setzen. An den ande­ren Tagen soll er Wasser und dann Wein trinken. Wenn er nicht hustet, soll man ihm etwas

222

Liber tertius

tussis non est, potui frigidum dan­dum; si est, egelidum. Utile est etiam cibos in remi­ssionibus cotidie dari, fric­tio­nes gestationesque similiter adhibere, eadem acri‹a› quarto aut quinto die adsumere, interdum herbam sanguinalem ex aceto vel plantaginem esse.  (14)  Medicamentum etiam est vel plantaginis sucus per se, vel marrubii cum melle incoctus, ita ut illius cyathus sorbi‹l›o sumatur huius cocleare ple­num paulatim delingatur, vel inter se mixta et incocta resinae tere­ benthinae pars dimidia, buturi et mellis pars altera. Praecipua tamen ex his omni­bus sunt victus, vehiculum et navis, et sorbitio. Alvus cita utique vitanda est. Vomi­tus in hoc morbo frequens perniciosus est, maximeque sanguinis. Qui melius­­culus esse coepit, adicere debet exercitationes, frictiones, cibos, deinde ipse se sup­pres­so spiritu perfricare, diu abstinere a vino, balneo, venere. Caput XXIII De comitiali morbo (1)  Inter notissimos morbos est etiam is, qui comitialis vel maior nominatur. Homo subito concidit, ex ore spumae moventur, deinde interposito tempore ad se redit, et per se ipse consurgit. Id genus saepius viros quam feminas occu­pat. Ac solet quidem etiam longum esse usque mortis diem et vitae non periculo­ sum: interdum tamen cum recens est, hominem consumit. Et saepe eum, si reme­­­dia non sustulerunt, in pueris veneris, in puellis menstruorum initium tol­ lit.  (2)  Modo cum distentione autem nervorum prolabitur aliquis, modo sine illa. Quidam hos quoque isdem quibus lethargicos excitare conantur; quod admo­dum supervacuum est, et quia ne letharg‹ic›us quidem his sanatur, et quia, cum possit ille numquam expergisci atque ita fame interire, hic ad se uti­ que revertitur. Ubi concidit aliquis, si nulla nervorum distentio accessit, uti­ que sanguis mitti non debet: si accessit, non utique mittendus est, nisi alia quo­que hortantur.   (3)  Necessarium autem est ducere alvum, vel nigro vera­tro purgare, vel utrumque facere, si vires patiuntur; tunc caput tondere oleo­que et aceto perunguere; cibum post diem tertium, simul transit hora, qua con­ci­dit, dare. Neque sorbitiones autem his aliique molles et faciles cibi neque caro, minimeque suilla, convenit, sed media materia: nam et viribus opus est et crudi-

3,22,13–3,23,3

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Kaltes zu trinken geben, hustet er aber, etwas Warmes. Es ist zuträglich, in fieberfreien Zeiten täglich Essen anzubieten und in gleicher Wei­se Massagen und Schaukeln anzuwenden, am vierten oder fünften Tag die genann­t en scharfen Speisen zu sich zu nehmen und zwischendurch Knöterich in Essig oder aber Wegerich zu essen.  (14)  Ein Heilmittel ist auch purer Wege­rich­saft oder Andornsaft mit Honig verkocht. Von ersterem soll man einen Becher voll schlürfen, von letzterem einen Löffel voll nach und nach auf die Zunge nehmen. Oder man mischt einen halben Teil Terebinthenharz mit einem Teil Butter und Honig. Die wichtigsten unter all diesen Dingen sind die Kost, die Bewegung im Tragsessel oder zu Schiff sowie die Suppe. Vor allem muss man dem Durchfall entgegenwirken. Bei dieser Krankheit ist häu­f i­g es Erbrechen gefährlich, besonders, wenn Blut kommt. Tritt eine leichte Besse­rung ein, soll der Patient sich Leibesübungen und Massagen unterziehen, dem Essen zuwenden, sich selbst abreiben, wobei der Atem anzuhalten ist, und sich lan­ge Zeit von Wein, Bädern und Geschlechtsverkehr fernhalten. 23. Kapitel Die Epilepsie (1)  Zu den wohlbekannten Krankheiten gehört auch jene, die wir die Komi­ tien­krankheit oder „das große Übel“ nennen. Der Mensch stürzt plötz­lich nieder und schäumt aus dem Mund. Nach einiger Zeit kommt er zu sich und steht von selber auf. Diese Art von Krankheit betrifft Männer häufi­ger als Frauen. Auch hält sie gewöhnlich bis ans Lebensende vor, ohne lebensbe­droh­lich zu sein. Bisweilen aber tötet sie den Menschen, wenn sie frisch aufgetre­ten ist. Auch wenn die Behandlung keinen Erfolg gezeitigt hat, vergeht die Epil­epsie doch manchmal bei Knaben mit dem Erlangen der Geschlechtsreife, bei Mädchen mit der ersten Monatsblutung.  (2)  Mitunter stürzt der Patient mit Muskelkrämpfen zu Boden, mitunter ohne. Manche versuchen, diese Patien­ten anzuregen, wie man es mit Lethargikern tut. Dies ist aber vollkommen sinn­los. Einerseits wird auch der Lethargiker nicht auf diese Weise geheilt. Ande­rer­seits mag es wohl vorkommen, dass ein Lethargiker nicht wieder von selber wach wird und daher Hungers stirbt, aber der Epileptiker kommt ja doch wieder zu sich. Wenn der Patient zu Boden stürzt, ohne dass Muskel­krämp­fe auftreten, soll man ihn auf keinen Fall zur Ader lassen. Treten sie auf, soll man ihn nur dann zur Ader lassen, wenn andere Gründe es erforder­lich machen.  (3)  Notwendig ist es aber, einen Einlauf zu machen, den Kran­ken mit schwarzer Nieswurz zu purgieren oder beides zu tun, wenn seine Kräf­te es zulassen. Dann soll man ihm den Kopf rasieren und mit Öl und Essig übergießen, sobald die Stunde seines Anfalls vorbei ist. Auch sind Sup­pen und überhaupt alle weichen und leicht verdaulichen Speisen hier nicht geeig­net, auch kein Fleisch, vor allem nichts vom Schwein, sondern nur Din­ge von durchschnittlicher Stofflichkeit, denn

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Liber tertius

tates cavendae sunt; cum quibus fugere oportet solem, balneum, ignem omnia­ que calfacientia; item frigus, vinum, venerem, loci praecipitis conspec­tum omni­um­que terrentium, vomitum, lassitudines, sollicitudines, negotia omnia. (4)  Ubi tertio die cibus datus est, intermittere quartum et invicem alterum quem­q ue, eadem hora cibi servata, donec quattuordecim dies transeant. Quos ubi morbus excessit, acuti vim deposuit; a‹t› si manet, curandus iam ut longus est. Quod si non, quo die primum incidit, medicus accessit, sed is, qui cadere con­sue­vit, ei traditus est, protinus eo genere victus ‹adhi›bito, qui supra con­pre­hen­sus est, expectandus est dies, quo prolabatur; utendumque tum vel sanguinis missione vel ductione alvi vel nigro veratro, sicut praeceptum est.  (5)  Insequentibus deinde diebus per eos cibos, quos proposui, vitatis omni­ bus, quae cavenda dixi, nutriendus. Si per haec morbus finitus non fuerit, con­ fu­giendum erit ad album veratrum, ac ter quoque aut quater eo utendum non ita multis interpositis diebus, sic tamen ne iterum umquam sumat, nisi con­ci­derit. Mediis autem diebus vires eius erunt nutriendae, quibusdam prae­ter ea, quae supra scripta sunt, adiectis. (6)  Ubi mane experrectus est, corpus eius leviter ex oleo ‹vetere›, cum capi­ te, excepto ventre, permulceatur; tum ambulatione quam maxime recta et lon­ga utatur; post ambulationem loco tepido vehementer et diu, ac non minus ducen­­ ties, nisi infirmus erit, perfricetur; deinde per caput multa aqua fri­gi­da per­fun­ datur; paulum cibi adsumat; conquiescat; rursus ante noctem ambu­latione uta­ tur; iterum vehementer perfricetur, sic ut neque venter neque caput cont­ingatur; post haec cenet, interpositisque tribus aut quattuor diebus uno aut altero acria adsu­mat.   (7)  Si ne per haec quidem fuerit liberatus, caput radat; unguatur oleo vete­ri, adiecto aceto et nitro; perfundatur aqua salsa; bibat ieiunus ex aqua cas­to­reum; nulla aqua nisi decocta potionis causa utatur. Qui­dam iugulati gla­ diatoris calido sanguine epoto tali morbo se liberarunt; apud quos miserum auxi­lium tolerabile miserius malum fecit. Quod ad medicum vero pertinet, ulti­ mum est iuxta talum ex utroque crure paulum sanguinis mit­tere, occipitium inci­dere et cucurbitulas admovere, ferro candenti in occipitio quo­que et infra,

3,23,3–3,23,7

225

man muss Kraft aufbauen und Ver­dauungs­störungen verhüten. Außerdem soll man die Sonne, das Bad, das Feuer und alle Wärmequellen vermeiden und dazu noch Kälte, Wein, Geschlechts­verkehr, den Blick in Abgründe und alles, was einen erschreckt, den Brechreiz, die Erschöpfung, Sorgen und alle Geschäfte. (4)  Wenn man dem Kranken am dritten Tag zu essen gegeben hat, soll dies am vierten Tag unterbleiben und dann jeden zweiten Tag geschehen, immer zur selben Stunde für die Mahlzeit, für die Dauer von vierzehn Tagen. Wenn die Krankheit darüber hinaus dauert, gilt sie nicht mehr als akut; hält sie aber an, so ist sie als chronisch zu behandeln. Wenn nun der Arzt nicht seit dem Tag des ersten Anfalls anwesend war, sondern ein Patient, der zu Anfällen neigt, an ihn überwiesen worden ist, soll er sofort die oben zusammengefasste Art von Kost verschreiben und auf den Tag warten, an dem der Kranke gewöhnlich einen Anfall hat und dann entweder einen Aderlass, einen Einlauf oder schwar­ ze Nieswurz anwenden, wie oben beschrieben.  (5)  An den folgenden Tagen soll der Patient sich von den Speisen ernähren, die ich vorschreibe, und alles vermeiden, vor dem ich warne. Wenn die Krankheit dadurch nicht geheilt wird, muss man zur weißen Nieswurz seine Zuflucht nehmen und diese dreibis viermal mit wenigen Tagen Zwischenraum anwenden. Der Kranke soll sie aber nicht zu wiederholten Malen einnehmen, außer er hat einen Anfall. An den dazwi­schen liegenden Tagen sind seine Kräfte zu stärken, wobei man außer den oben beschriebenen Mitteln noch andere heranziehen kann. (6)  Wenn der Kranke morgens erwacht, muss sein Körper mit Ausnahme des Bauchs mit altem Olivenöl gesalbt werden; danach soll er möglichst weit und geradeaus spazieren gehen und sich nachher, sofern er nicht entkräftet ist, an einem warmen Ort heftig und ausgiebig massieren lassen, aber nicht unter zweihundert Handstrichen. Dann soll er sich viel kaltes Wasser über den Kopf schütten lassen, ein wenig essen und sich zur Ruhe legen. Vor Einbruch der Nacht soll er nochmals spazieren gehen und sich wieder heftig massieren las­sen, ohne dass jedoch der Bauch oder der Kopf berührt werden. Danach soll er zu Abend essen. Jeweils nach einem Zeitraum von drei bis vier Tagen soll er ein oder zwei Tage lang herbe Speisen zu sich nehmen.  (7)  Befreit ihn auch dies nicht von seinem Leiden, soll er sich den Kopf rasieren und ihn mit altem Olivenöl unter Beigabe von Essig und Natron salben und dann mit Salz­ wasser übergießen lassen, auf nüchternen Magen in Wasser aufgelöstes Biber­ geil trinken und lediglich abgekochtes Wasser zum Trinken gebrauchen. Eini­ge Leute haben sich von dieser Krankheit befreit, indem sie das warme Blut eines erstochenen Gladiators getrunken haben: sie waren der Meinung, dies grässliche Heilmittel werde durch eine noch grässlichere Krankheit gerecht­fertigt. Die äußersten Maßnahmen vom Standpunkt des Arztes sind dagegen ein kleiner Aderlass an beiden Beinen nahe dem Fußknöchel, Schröpfköpfe mit Hautschnitt am Hinterkopf sowie die Anwendung eines Brandeisens an zwei Stellen, und

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Liber tertius

qua summa vertebra cum capite committitur, adurere duobus locis, ut per ea per­­ni­­cio­sus umor evadat.   (8)  Quibus si finitum malum non fue­rit, prope est, ut per­­pe­tuum sit. Ad levandum id tantummodo utendum erit exercitatione, multa fric­­tione, cibisque, qui supra conprehensi sunt, praeci­pueque vitanda omnia, quae ne fierent excepimus. Caput XXIV De regio morbo (1)  Aeque notus est morbus, quem interdum arquatum, interdum regium nomi­nant. Quem Hippocrates ait, si post septimum diem febricitante aegro super­venit, tutum esse, mollibus tantummodo praecordiis substantibus: Dio­ cles ex toto, si post febrem oritur, etiam prodesse; si post hunc febris, occidere. Color autem eum morbum detegit, maxime oculorum, in quibus quod album esse debet, fit luteum.  (2)  Soletque accedere et sitis et dolor capitis et frequens sin­gultus et praecordiorum dextra parte durities et, ubi corporis vehemens motus est, spirit‹us difficult›as membrorumque resolutio; atque ubi diutius manet morbus, totum corpus cum pallore quodam inalbescit. Primo die abstinere aegrum oportet, secundo ducere alvum, tum, si febris est, eam victus genere discutere; si non est, scamoniam potui dare, vel cum aqua betam albam contritam, vel cum aqua mulsa nuces amaras, absinthium, ane­sum, sic ut pars huius minima sit.  (3)  Asclepiades aquam quoque salsam, et qui­dem per biduum, purgationis causa bibere cogebat, iis quae urinam movent reiec­tis. Quidam superioribus omissis per haec et per eos cibos, qui extenuant, idem se consequi dicunt. Ego ubique, si satis virium est, validiora; si parum, inbe­cil­liora auxilia praefero.   (4)  Si purgatio fit, post eam triduo primo modice cibum oportet adsumere ex media materia, et vinum bibere Graecum salsum, ut resolutio ventris maneat; tum altero triduo validiores cibos, et carnis quoque ali­ quid esse, intra aquam manere; deinde ad superius genus victus reverti, cum eo ut magis satietur; omisso Graeco vino bibere integrum austerum; atque ita per haec variare, ut interdum ‹acres quoque cibos interponat, interdum› ad sal­sum vinum redeat.  (5)  Per omne vero tempus utendum est exercitatione, fri­ca­tione,

3,23,7–3,24,5

227

zwar gleichfalls am Hinterkopf und unterhalb, wo die Nackenwirbel sich mit dem Schädel verbinden, so dass die schädliche Flüs­sig­keit durch die Brand­ wunden entweichen kann.  (8)  Wenn dies alles das Übel nicht bessert, liegt es nahe, dass es unheilbar ist. Um es doch ein wenig zu lindern, wird man Leibesübungen, ausgiebige Massagen und die oben zusammengefasste Kost anwenden müssen und ganz besonders alles ver­meiden, vor dem wir oben warnen. 24. Kapitel Die Gelbsucht (1)  Ebenso bekannt ist jene Krankheit, die man bisweilen Regenbogenkrank­ heit, bisweilen die königliche Krankheit nennt. Von ihr sagt Hippokrates, dass sie ohne Gefahr sei, wenn sie einen seit sieben Tagen fiebernden Kran­ ken befalle, solange der Oberbauch weich bleibe. Diokles versicherte, sie sei der Gesundheit zuträglich, wenn sie auf das Fieber folge, aber tödlich, wenn ein Fie­ber auf sie folge. Diese Krankheit äußert sich durch Verfär­bung erkannt, besonders jener der Augen, in denen das, was weiß sein muss, gelb wird.  (2)  Dazu kommen gewöhnlich Durst, Kopfschmerz, häufiger Schluck­auf, Ver­härtung des Oberbauchs auf der rechten Seite sowie, bei heftiger Bewe­gung des Körpers, Atembeschwerden und Erschlaffen der Glieder. Wenn die Krank­ heit lange anhält, wird der Kranke am ganzen Leib blass, ja regel­recht weiß. Am ersten Tag muss der Kranke fasten, am zweiten einen Einlauf bekom­ men, und dann muss man das Fieber, wenn welches vorliegt, auf diäteti­schem Weg vertreiben. Liegt kein Fieber vor, muss man dem Kranken Pur­gier­win­ de, zerriebene weiße Rüben in Wasser oder Bittermandeln, Wer­mut und einen winzigen Teil Dill in gewässertem Honigwein zu trinken geben.  (3)  Asklepiades hat seine Patienten auch dazu angehalten, Salzwasser zu trinken, bis zu zwei Tage lang, um sie zu purgieren, wobei er Harn trei­bende Stoffe abgelehnt hat. Einige haben auf das Obgenannte verzichtet und ver­kündet, sie verfolgten dasselbe Ziel durch Harn treibende Stoffe sowie durch sol­che Speisen, die zur Abmagerung führen. Ich persönlich bevorzuge stärkere Hilfs­mittel, wenn der Patient genug bei Kräften ist. Ist dies weniger der Fall, bevor­zuge ich schwächere.  (4)  Wird der Kranke purgiert, soll er die ersten drei Tage mäßig Nahrung von durchschnittlicher Stofflichkeit zu sich nehmen und griechischen Wein mit Salz trinken, sodass der Stuhl weich bleibt. Dann soll er weitere drei Tage kräftigere Speisen und auch etwas Fleisch essen und sich ans Wasser halten und sich sodann wieder der vorigen Kost zuwenden, mit welcher er sich aber besser sättigen soll. Den griechischen Wein soll er absetzen und dafür lieber trockenen Wein unverdünnt trinken und es so abwech­seln, dass er bisweilen auch herbe Speisen einschaltet und bisweilen wie­der gesalzenen Wein trinkt.  (5)  Während der ganzen Zeit aber soll er Lei­bes­übungen betreiben, sich

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Liber tertius

si hiemps est, balneo; si aestas, frigidis natationibus; lecto etiam et conclavi cul­tio­re, lusu, i‹o›co, ludis, lascivia, per quae mens exhilaretur; ob quae regius mor­bus dictus videtur. Malagma quoque, quod digerat, super prae­cordia datum, prod­est, vel arida ibi ficus superimposita, si iecur aut lienis est adfectus. Caput XXV De elephantia (1)  Ignotus autem paene in Italia, frequentissimus in quibusdam regionibus is morbus est, quem ἐλεφαντίασιν Graeci vocant; isque longis adnumeratur: quo totum corpus adficitur, ita ut ossa quoque vitiari dicantur. Summa pars cor­poris crebras maculas crebrosque tumores habet; rubor harum paulatim in atrum colorem convertitur. Summa cutis inaequaliter crassa, tenuis, dura mollisque, quasi squamis quibusdam exasperatur; corpus emacrescit; os, surae, pedes intumescunt.  (2)  Ubi vetus morbus e‹s›t, digiti in manibus pedi­busque sub tumore conduntur; febricula oritur, quae facile tot malis obrutum homi­ nem consumit. – Protinus ergo inter initia sanguis per biduum mitti debet, aut nigro veratro venter solvi. Adhibenda tum, quanta sustineri potest, ine­dia; paulum deinde vires reficiendae et ducenda alvus; post haec ubi corpus leva­ tum est, utendum exercitatione praecipueque cursu;  (3)  sudor primum labo­re ipsius corporis, deinde etiam siccis sudationibus evocandus; frictio adhi­benda, moderandumque inter haec, ut vires conserventur. Balneum rarum esse debet; cibus sine pinguibus, sine glutinosis, sine inflantibus; vinum praeterquam primis diebus recte datur. Corpus contrita plantago et inli­ta optime tueri videtur. Caput XXVI De attonitis Attonitos quoque raro videmus, quorum et corpus et mens stupet. Fit inter­ dum ictu fulminis, interdum morbo: ἀποπληξίαν hunc Graeci appellant. – His sanguis mittendus est; veratro quoque albo, vel alvi ductione utendum; tunc

3,24,5–3,26

229

massieren lassen, winters baden, sommers im kal­ten Wasser schwimmen, ein gepflegtes Bett in einem gepflegten Zimmer haben und sich mit Spiel, Scherz, Spaß und Ausgelassenheit vergnügen, wodurch der Geist aufgeheitert wird. Vermutlich heißt die Krankheit wegen all dieses Auf­wands die „königliche“. Auch ein Zugpflaster, auf den Oberbauch gelegt, ist zuträg­lich, oder eine trockene Feige an derselben Stelle, wenn die Leber oder die Milz angegriffen ist. 25. Kapitel Elephantiasis (1)  In Italien so gut wie unbekannt, ist eine Krankheit, die die Griechen Ele­ phan­tiasis nennen, in gewissen Gegenden sehr häufig. Man zählt sie zu den chro­ni­schen Erkrankungen. Sie befällt den ganzen Körper, sodass selbst die Kno­chen angegriffen zu werden scheinen. Die Körperoberfläche überzieht sich mit zahlreichen Flecken und Schwellungen, die zuerst rot sind und dann nach und nach schwarz werden. Die Oberhaut ist an verschiedenen Stellen abwech­ selnd dick, dünn, hart und weich und schuppig-rau. Der Rumpf magert ab, und das Gesicht, die Waden und die Füße schwellen an.  (2)  Ist die Krankheit ein­ gewurzelt, versinken die Finger und Zehen in den Geschwülsten und es zeigt sich ein leichtes Fieber, das aber dennoch dem derart angegriffenen Kranken ohne Weiteres den Tod bringen kann. – Als erstes muss man den Patienten gleich zu Beginn der Erkrankung zwei Tage hindurch zur Ader lassen oder ihn mit schwarzer Nieswurz purgieren. Dann muss er fasten, soweit er es ertra­gen kann, und später muss man seine Kräfte wieder ein wenig herstellen und einen Einlauf machen. Wenn dies seinen Leib erleichtert hat, soll er Lei­bes­übungen und da vor allem Dauerläufe machen.  (3)  Ins Schwitzen bringen sollen ihn vor allem seine eigenen Anstrengungen und darüber hinaus trockene Schwitz­ mittel. Er muss massiert werden, aber in Maßen, um seine Kräfte zu scho­nen. Ins Bad soll er nur selten gehen, und seine Kost soll ohne Fett und Gal­lerte sein und nicht blähen. Wein kann man ihm passenderweise nach den ersten paar Tagen anbieten. Als gute vorbeugende Maßnahme gilt, den ganzen Kör­per mit zerriebenen Wegerichblättern einzureiben. 26. Kapitel Wenn einen der Schlag trifft Auch sehen wir fallweise vom Schlag Gerührte, deren Körper und Geist bei­de erstarrt sind. Bisweilen wird dies durch Blitzschlag verursacht, bis­weilen durch Krankheit. Die Griechen nennen es Apoplexie. – Solche Patien­ten muss man zur Ader lassen und entweder weiße Nieswurz oder einen Ein­lauf anwenden. Dann

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adhibendae frictiones, et ex media materia minime pingues cibi, quidam etiam acres: a vino abstinendum. Caput XXVII De resolutione nervorum. De dolore nervorum. De tremore nervorum. De suppurationibus internis (1a)  At resolutio nervorum frequens ubique morbus est: interdum ‹tota cor­ pora, interdum› partes infestat. Veteres auctores illud ἀποπληξίαν, hoc παρά­ λυσιν nominarunt: nunc utrumque παράλυσιν appellari video. Solent autem qui per omnia membra ‹vehementer› resoluti sunt, celeriter rapi; ac si correpti non sunt, diutius quidem vivunt, sed raro tamen ad sanitatem perveniunt; ple­ rumque miserum spiritum trahunt, memoria quoque amissa.  (1b)  In partibus vero numquam acutus, saepe longus, fere sanabilis morbus e‹s›t. Si omnia mem­bra vehementer resoluta sunt, sanguinis detractio vel occidit vel liberat. Aliud curationis genus vix umquam sanitatem restituit, saepe mortem tantum dif­fert, vitam interim infestat. Post sanguinis missionem si non redit et motus et mens, nihil spei superest; si redit, sanitas quoque prospicitur.  (1c)  At ubi pars resoluta est, pro vi et mali et corporis vel sanguis mittendus vel alvus ducen­da est. Cetera eadem in utroque casu facienda sunt, siquidem vitare prae­ cipue convenit frigus; paulatimque ad exercitationes revertendum est, sic ut ingrediatur ipse protinus, si potest. Si id crurum inbecillitas prohibet, vel ges­ te­tur, vel motu lecti concutiatur; tum id membrum, quod defici‹t›, si potest, per se, si minus, per alium moveatur, et vi quadam ad consuetudinem suam redeat. (1d)  Prodest etiam torpentibus membris summam cutem exasperare vel urti­ cis caesam vel inposito sinapi, sic ut, ubi rubere coeperit corpus, haec remo­ vea‹n›tur. Scilla quoque contrita bulbique contriti cum ture recte inpo­nun­tur. Neque alienum est resina cutem tertio quoque die diutius vellere; plu­ribus etiam locis aliquando sine ferro cucurbitulas admovere. Unctioni vero aptissimum est vetus oleum vel nitrum aceto et oleo mixtum. Quin etiam fovere aqua calida marina, vel si ea non est, tamen salsa magnopere neces­sarium est.  (1e)  Ac si quo loco vel naturales vel etiam manu factae tales nata­tiones sunt, is potissi­-

3,26–3,27,1e

231

muss man sie massieren und ihnen Speisen von durch­schnitt­licher Stofflichkeit anbie­ten, aber möglichst nichts Fettes, und wohl auch herbe Dinge. Vom Wein sol­len sie sich fernhalten. 27. Kapitel Muskellähmung, Muskelschmerzen, Muskelzittern, innere Eiterungen (1a)  Muskellähmung dagegen ist überall eine häufige Erkrankung, die bis­ weilen den ganzen Körper, bisweilen nur Teile davon befällt. Ältere Quellen spre­chen bei ersterem von Apoplexie und bei zweiterem von Paralysis. In unse­rer Zeit, scheint mir, wird beides als Paralysis bezeichnet. Leute, die an allen Glied­maßen schwer gelähmt sind, werden gewöhnlich rasch dahingerafft. Wenn dies aber nicht eintrifft, können einige durchaus lange leben, aber sie erlan­gen nur selten die Gesundheit wieder. Fürs meiste fristen sie ein elendes Dasein, zumal sie auch das Gedächtnis verlieren.  (1b)  Eine Erkrankung der ein­zel­nen Körperteile dagegen ist niemals akut, oft chronisch, meist heilbar. Wenn alle Gliedmaßen schwer gelähmt sind, führt ein Aderlass entweder zur Genesung oder zum Tod. Andere Behandlungsarten stellen kaum jemals die Gesundheit wieder her. Oftmals verzögern sie nur den Tod und machen dabei das Leben zur Qual. Wenn nach dem Aderlass weder die Beweglichkeit noch der Geist des Kranken wieder hergestellt wird, besteht keine Hoffnung. Wer­ den sie wieder hergestellt, besteht Aussicht auf Heilung.  (1c)  Wenn aber ein Kör­­per­teil gelähmt ist, muss man entsprechend der Schwere der Erkrankung und der Verfassung des Erkrankten entweder einen Aderlass oder einen Ein­lauf vornehmen. Was im Übrigen zu tun ist, ist in beiden Fällen gleich: vor allen Dingen muss der Kranke die Kälte vermeiden und sich langsam wie­der an Lei­ bes­übungen gewöhnen, so dass er sofort wieder zu Fuß zu gehen beginnt, wenn er es kann. Wenn seine geschwächten Beine dies nicht zulas­sen, soll er sich tragen oder im Bett schaukeln lassen. Dann soll er die ange­griffene Gliedmaße aus eigener Kraft bewegen, wenn er kann, und wenn nicht, sie von jemand ande­­rem bewegen lassen, und durch diese Art von Zwang dürfte der gewohnte Zustand der Gliedmaße bald wieder hergestellt sein. (1d)  Es hilft auch, bei geschwollenen Gliedmaßen die Oberhaut zu rei­zen, sei es durch Peitschen mit Brennnesseln oder durch Senfumschläge, die man aber wieder entfernen muss, wenn sich die Haut zu röten beginnt. Es ist auch passend, zerriebene Meerzwiebel oder zerriebene Zwiebeln mit Weih­rauch auf­ zu­legen, und es ist nicht verfehlt, die Haut alle drei Tage eine Weile mit Harz zu zupfen und sie an verschiedenen Stellen unblutig zu schröp­fen. Als Sal­be eignet sich besonders gut altes Olivenöl oder Natron mit Essig und Öl ver­ mischt. Dazu ist es sehr wichtig, den Kranken mit heißem Meerwas­ser oder, wenn dies nicht zur Verfügung steht, mit Salzwasser zu wär­men.  (1e)  Sind natür­­liche oder künstliche Schwimmbäder vorhanden, soll der Kran­ke sie so

232

Liber tertius

mum utendum est; praecipueque in is agitanda membra, quae maxime deficiunt; si id non est, balneum tamen prodest. Cibus esse debet ex materia media, maxi­ me­que ex venatione: potio sine vino aquae calidae. Si tamen vetus morbus est, inter­poni quarto vel quinto die purgationis causa vinum Graecum salsum potest. Post cenam utilis vomitus est. (2a)  Interdum vero etiam nervorum dolor oriri solet. In hoc casu non vome­ re, non urinam medicamentis movere, non sine exercitatione sudorem, ut quidam praecipiunt, expedit: bibenda aqua est, bis die in lectulo leniter satis diu corpus perfricandum est, deinde retento spiritu ab ipsa exercitatione potius superiores partes movendae; balneo raro utendum; mutandum subinde pere­ grinationibus caelum.  (2b)  Si dolor est, ea ipsa pars sine oleo nitro ex aqua per­unguenda ‹est, deinde involvenda,› et subicienda pruna lenis et sulpur, atque ita diu subfumigandum; idque aliquandiu faciendum, sed ieiuno, cum bene iam concoxerit. Cucurbitulae quoque saepe dolenti parti admovendae sunt, pulsandusque leviter inflatis vesicis bubulis ‹is› locus est.  (2c)  Utile est etiam sebum miscere cum hyoscyami et urticae contritis seminibus, sic ut omnium par modus sit, idque inponere; fovere aqua, in qua sulpur decoctum sit. Utriculi quoque recte inponuntur aqua calida repleti, aut bitumen cum hordea­cia farina †iactum. Atque in ipso potissimum dolore utendum gestatione vehe­menti est; quod in aliis doloribus pessimum est. (3a)  Tremor autem nervorum aeque vomitu medicamentisque urinam moven­ tibus intenditur. Inimica etiam habet balinea assasque sudationes. Bibenda aqua est; acri ambulatione utendum, itemque unctionibus frictionibusque, maxi­ me per se ipsum; pila similibusque superiores partes dimovendae; cibo quo­ libet utendum, dum concoctioni utique studeatur.  (3b)  Secundum cibum curis abstinendum; rarissima venere utendum est. Si quando quis in eam pro­lapsus est, tum oleo leviter diuque in lectulo perfricari manibus puerilibus quam virilibus debet. (4a)  Suppurationes autem, quae in aliqua interiore parte oriuntur, ubi notae fuerint, primum id agere oportet per ea cataplasmata, quae reprimunt, ne coi­tus inutilis materiae fiat; deinde, si haec victa sunt, per ea malagmata, quae digerunt,­

3,27,1e–3,27,4a

233

oft wie möglich aufsuchen, und besonders sollen die am meis­ten ange­griffenen Gliedmaßen im Schwimmbad bewegt werden. Gibt es keines, ist das einfache Bad von Nutzen. Die Kost des Kranken soll von durchschnitt­licher Stofflichkeit sein, vor allem Wildbret, und trinken soll er heißes Wasser ohne Wein. Wenn die Krankheit eingewurzelt ist, kann man alle vier bis fünf Tage zur Verbesserung des Stuhlgangs griechischen Wein mit Salz reichen. Nach dem Essen ist es heilsam, sich zu erbrechen. (2a)  Mitunter treten auch Muskelschmerzen auf. In diesem Fall ist es nicht förderlich, Erbrechen hervorzurufen, Harn treibende Medikamente zu verab­rei­chen oder auch den Kranken auf anderem Weg als durch körperliche Anstren­gung zum Schwitzen zu bringen, wie manche es vorschreiben. Der Patient soll Wasser trinken, sich zweimal täglich im Bett am ganzen Körper leicht, aber längere Zeit massieren lassen und dann den Atem anhalten und im Rahmen seiner Leibesübungen am besten die oberen Extremitäten bewe­ gen. Ins Bad soll er nur selten gehen, und von Zeit zu Zeit soll er zum Zweck der Luftveränderung eine Reise tun.  (2b)  Bei Schmerzen soll man den betroffenen Körperteil mit Natron in Wasser, jedoch ohne Öl, salben und ihn einhüllen und darunter nicht zu heiße Glut mit Schwefel bereiten und ihn auf diese Weise lange Zeit räuchern. Dies soll man öfters tun, aber auf nüchternen Magen, wenn der Kranke gut verdaut hat. Auch soll man den schmerzenden Körperteil häufig schröpfen und die Stelle leicht mit aufgebla­se­nen Rindsblasen beklopfen.  (2c)  Es hilft auch, wenn man Talg zu gleichen Tei­len mit den zerriebenen Samen von Bilsenkraut und Brennnessel vermischt und dies auflegt, und wenn man die Stelle mit Wasser erwärmt, in dem Schwefel aufgekocht wur­ de. Auch ist es passend, mit heißem Wasser gefüllte Leders­chläuche aufzulegen, oder aber Asphalt mit Gerstenmehl . . . Für den Schmerz selbst sind heftige Schau­ kelbewegungen am besten, die ja bei ande­ren Schmerzen sehr schädlich sind. (3a)  Muskelzittern wird gleichfalls durch Erbrechen und Harn treibende Medi­kamente verschlimmert. Auch das Bad und trockene Schwitzkuren sind gefähr­lich. Der Kranke soll Wasser trinken, scharfe Fußmärsche machen und sich salben und massieren lassen und dies vor allem selber tun. Die oberen Extre­­mitäten sind durch Ballspiel und dergleichen zu bewegen. Essen kann er, was er will, solange er sich immer um gute Verdauung bemüht.  (3b)  Nach dem Essen soll er sich von Sorgen fernhalten. Geschlechtsverkehr soll er äußerst sel­­ten haben. Wann immer er einen Anfall hat, soll er sich im Bett am gan­zen Kör­­per leicht, aber längere Zeit mit Öl massieren lassen, und zwar von Kin­der­ hän­­den, nicht Männerhänden. (4a)  Wenn sich aber an irgendeiner Stelle im Körperinneren Eiterungen bemerk­bar machen, muss man sie zuerst mit Umschlägen behandeln, die der Krank­heit Einhalt gebieten, damit nicht eine schädliche Ansammlung von Krank­heitssubstanz entsteht. Wenn sich diese als unzulänglich erweisen, muss

234

Liber tertius

dissipentur. Quod si consecuti non sumus, sequitur ut evocetur, deinde, ut ma­tu­res­cat. Omnis tum vomicae finis est, ut rumpatur; indiciumque est pus vel alvo vel ore redditum.  (4b)  Sed nihil facere oportet, quo minus, quic­­ quid est puris, excedat. Utendum maxime sorbitione est, et aqua calida. Ubi pus ferri desiit, transeundum ad faciles quidem sed tamen validiores et fri­­ gi­­dos cibos frigidamque aquam, sic ut ab egelidis tamen initium fiat. Primo­ que cum melle quaedam edenda, ut nuclei pinei vel Graecae nuces vel Abel­lanae; postea summovendum id ipsum, quo maturius induci cicatrix pos­ sit.  (4c)  Medicamentum eo tempore ulceri est sucus adsumptus vel porri vel marrubii, et omni cibo porrum ipsum adiectum. Oportebit autem ut‹i› in is partibus, quae non adficientur, frictionibus, item ambulationibus lenibus; vitan­ dumque erit, ne vel luctando vel currendo vel alia ratione sanescentia ulce­ra exasperentur: in hoc enim morbo perniciosus ideoque omni modo caven­dus sanguinis vomitus est.

3,27,4a–3,27,4c

235

man die Eiterungen durch Zugpflaster verteilen. Bleibt dies erfolglos, ergibt sich daraus, dass die Eiterung herausgezogen werden muss, und sodann, dass sie ausreifen soll. Jedes Geschwür platzt letzten Endes auf. Einen Hin­ weis darauf gibt Eiter, der aus dem Mund oder dem After ausgeschieden wird.  (4b)  Man darf aber nichts tun, wodurch die Ausscheidung allen eitri­ gen Stoffes eingeschränkt wird. Der Kranke soll vor allem Suppe und war­mes Wasser zu sich nehmen. Wenn der Eiterfluss aufhört, muss man zu leich­ten, aber doch eher nahrhaften kalten Speisen und zu kaltem Wasser überge­hen, aber so, dass man mit lauwarmen Dingen den Anfang macht. Zuerst soll der Patient zum Beispiel mit Honig gemischte Pinienkerne, Mandeln oder Haselnüsse essen, und später soll er zu etwas übergehen, das die Narbenbil­dung beschleunigt.  (4c)  Zu diesem Zeitpunkt soll er zur Behandlung des Geschwürs den Saft von Porree oder Andorn einnehmen sowie allen Speisen Porree beigeben. Es wird auch von Nutzen sein, die nicht betroffenen Körper­tei­le massieren zu lassen und behutsam spazieren zu gehen. Man muss aber vor­sichtig sein, weder durch Ringkampf noch durch Laufen die heilenden Geschwü­re zu reizen, denn bei dieser Erkrankung ist es höchst gefährlich, wenn man Blut erbricht. Dies muss mit allen Mitteln vermieden werden.

Kommentar 1. Buch, Einleitung 1

23

Ebenso wie die Landwirtschaft: Diese Eröffnung, für sich selbst sinn­los, muss als Scharnierstelle verstanden werden, die den Über­ gang vom (verschollenen) landwirtschaftlichen ersten Teil der Enzy­ klopädie des Celsus zum medizinischen markiert. Siehe dazu die Ein­ leitung. Verbrecher: Das von Celsus als Mittel zur anatomischen Erkenntnis unzwei­deu­tig abgelehnte Ausweiden des Delinquenten bei leben­di­ gem Leib durch den Scharfrichter war als Bestandteil und Verschär­ fung der Todesstrafe bis in die Neuzeit üblich. So wurde es z. B. in England erst 1870 offiziell abgeschafft, und zwar durch den „Forfeiture Act“ (33&34 Vict. 23, ¶31), allerdings war die Stra­fe zuletzt im 18. Jahrhundert durchgeführt worden, und da oft nicht mehr an lebenden Menschen, sondern erst nach vollzogener Hin­ richtung.

1. Buch 1,1,2

1,2,5

1,2,8

ins Bad: Die frühmittelalterliche Benediktusregel, deren Vorschriften für den monastischen Tagesablauf zum Teil die Gebräuche des römi­ schen bürgerlichen Lebens wiedergeben, sieht häufige Bäder für Kran­­ke vor, warnt aber davor, gesunde, junge Menschen allzu oft baden zu lassen (Kap. 36). die ganze Nacht durchzuschlafen: Bis in die Neuzeit war es üblich, sozu­sagen in Etappen zu schlafen und nach mehrstündigem Schlaf am frü­hen Abend einige Nachtstunden wach mit Essen und Gesprächen zuzu­brin­gen (C. Koslofsky, Eveningʼs empire. A history of the night in early modern Europe, Cambridge 2011). Spuren dieser Pra­xis finden sich unter anderem in den kirchlichen Tagzeiten, vgl. z. B. Kap. 8 bis 11 der Benediktusregel. Fleisch: Diese Vorschriften setzen einen gewissen Wohlstand voraus. Die Benediktusregel (Kap. 36) gestattet nur schwachen, kranken

238 1,4,2 1,4,2 1,4,4

Kommentar

Men­schen den Fleischgenuss zur Wiederherstellung ihrer Kräfte (pro reparatione). vor Neumond: Celsus spricht mit astronomischer Präzision von einer „Kon­junktion des Mondes und der Sonne“. Entstellender Textausfall. Marx konjiziert progredi: „niemals nach dem Abendessen spazierengeht“. eine Lösung: Nämlich, den Weingenuss zeitweise ganz aufzugeben.

2. Buch 2,1,6

Epilepsie: Morbus comitialis, „Volksversammlungskrankheit, Komi­ tien­krank­heit“, so genannt, da die Wahlversammlung der römischen Früh­zeit und Republik (comitium, am 3. und 4. Januar) nicht statt­ finden konnte, wenn einer der Anwesenden einen epileptischen Anfall erlitt. Solchen Anfällen wurden übernatürliche Herkunft und Bedeu­ tung zugeschrieben, worauf auch die Bezeichnungen morbus sacer und ἱερὰ νόσος hinweisen. Vgl. 3,23,1, wo Celsus den Begriff „das gro­ße Übel“ verwendet, der sich als „grand mal“ bis in die Gegenwart erhal­ten hat. Siehe L. Gil, Therapeia. La medicina popular en el mun­ do clasico, Madrid 1969, 270–273. 2,1,19 Akrochordones: Gestielte – wörtlich: „am Ende einer Schnur (ἄκρος, χορ­δή) hängende“ – Warzen. 2,3,3 „eilikrines“: Sonnenklar, ganz deutlich. Von εἵλη, „Sonnenlicht“, und κρί­νω, „scheiden, sichten, auswählen“. 2,4,6 Gelbsucht: Celsus spricht vom morbus arquatus, „Regenbogenkrank­ heit“, so genannt nach der Verfärbung der Bindehaut des Auges beim Ikterus. 2,6,1–2 das Ende nahe ist: Celsus beschreibt die typischen Veränderun­gen im Gesicht des moribunden Patienten, die Facies hippocratica. Die­se wur­den erstmals von Hippokrates von Kos beschrieben, den Cel­sus als den Begründer der medizinischen Wissenschaft anerkennt. Hip­po­ krates empfahl Ärzten, die auf ihre Integrität bedacht waren, von der aussichtslosen Behandlung offensichtlich dem Tod geweihter Kran­ ker abzusehen, um nicht in den Ruf der Unfähigkeit zu geraten – eine Vor­sichtsmaßnahme, der auch Celsus wiederholt Ausdruck ver­leiht. 2,6,12 flüssig: Eine andere Lesart wäre „bleifarbig“ (livida statt liquida). 2,7,6 Podagra, Chiragra: Diese Begriffe sind bei Celsus weit weniger eng gefasst als heute und beziehen sich keineswegs nur auf die Gicht. 2,12,2e [und wenn es um des Verstopfens willen geschieht, einen sol­chen von Verbenen]: Wohl späterer Zusatz, da dem Kontext gewisserma­

2. Buch

239

ßen zuwiderlaufend. Auch erklärt Celsus erst weiter unten (2,33,3, s.d.), was er unter verbenae versteht. 2,13,1 Cholera: Nicht die epidemische Form, die im 19. Jahrhundert aus Asien nach Europa eingeschleppt wurde, sondern die indigene spo­ra­ dische Form (Cholera nostras), eine Form von Enteritis. Die Bezeich­ nung der Krankheit ist von χoλή, „Galle“, abzuleiten. Celsus bietet an ande­rer Stelle (4,18) eine eingehendere Diskussion der Cholera. 2,16,2 In Anschluss an Marx lässt sich die Fehlstelle etwa folgend ergänzen: „Unmä­ßige Zeitgenossen lassen ihre Ärzte weder die Art der Speisen noch den Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme bestimmen, während ande­re sich zwar die Wahl der Speisen vorbehalten, aber den behan­ delnden Ärzten zubilligen, die Essenszeiten festzulegen.“ 2,17,1 des spartanischen Ofens: Λακωνικὸν πυριατήριον, das Trockenluft­ schwitz­bad, im Gegensatz zum Dampfbad (sudatio, καπνιστήριον). Nach Vitruv ein runder, überkuppelter Raum, in dem eine Bronze­ schei­be die Temperatur regelt. 2,17,1 Baiae: Der Hafen von Cumae, in der Antike berühmter Bade- und Kur­ort, später kaiserliche Domäne, erwähnt u.a. bei Cicero, Horaz, Livius, Lukrez, Ovid, Plinius d. Ä., Sueton und Varro. Aufgesucht wur­de Baiae wegen seiner natürlichen Schwefelquellen (Phlegräische Fel­der). 2,17,10 Die Fehlstelle enthält vermutlich die Anweisung, eine Schale mit Salz vorzubereiten. 2,18,4 Siligo: Sehr weißer Weizen, Winterweizen (?). Etymologie ungeklärt. 2,18,4 Simila: Griech. σεμίδαλις. Viell. aus dem Ägyptischen. Davon dt. „Sem­mel“. 2,18,4 Autopyros: Griech. αὐτόπυρος, „vollständiger Weizen, Weizen für sich allein“. 2,18,6 Fliegenschnäpper: Die Fliegenschnäpper (Muscicapinae) sind eine Fami­lie aus der Ordnung der Singvögel. Der griech. Name συκαλίς kenn­zeichnet sie möglicherweise als zur Zeit der Feigenernte jagd­ bar – wohl ein Hinweis darauf, dass die Antike Singvögel in erster Linie als Delikatesse schätzte. Die Wacholderdrossel etwa, der berühmte Krammetsvogel, galt als eine der größten Lecker­bis­sen. Möglicherweise geht die latein. Bezeichnung des Fliegenschnäppers, ficedula, „Feigenfresser“ (wie auch die italieni­sche, beccafico, „Fei­ genpicker“), auf eine Fehldeutung des grch. Namens als „Feigen­ fresser“ zurück, da es sich bei diesen Vögeln selbstver­ständlich um Insek­tenfresser handelt. 2,18,7 in Salz einlegen: In Tonkrügen eingelegte, in Salz konservierte Seefi­ sche (salsamenta) waren in Rom als Speise sowie zu medizinischen

240

2,24,2

2,24,2 2,24,2

2,24,2 2,24,2 2,24,2

2,30,3

2,30,3 2,33,1

Kommentar

Zwecken beliebt (Hinweise u. a. bei Columella, Plinus d. Ä. und Var­ ro). In diese Kategorie fällt auch das bekannte garum oder liqua­men, ein aus mit Gewürzen vergorenen Fischen hergestelltes Genuss­mittel. Martial (7,94,2) beschreibt die Geruchsentwicklung bei der Her­stel­ lung. Trotz gewisser Vorbehalte besonders der stoischen Philoso­phen gegen ein derartiges Luxusgut war das garum sehr beliebt. Medi­ zinisch schätzte man seine den Appetit anregende und die Ver­dauung fördernde Wirkung. Äußerlich angewendet diente es als Des­infek­ tionsmittel bei Wunden, und auch als Klistier schätzte man es für seine abführende Wirkung. Die in der neuzeitlichen Literatur viel­fach geschmähten römischen Salzfischerzeugnisse sind, wie R. I. Curtis in einem geistreichen Aufsatz (In defense of garum, in: The Classical Journal 78,8 [1983], 232–240) meint, wohl den Würzsau­cen der südostasiatischen Küche zu vergleichen und wären darum für den modernen, an die „globale Küche“ gewöhnten Gaumen vermut­lich gar nicht so unangenehm. Crustumeria: Sabinische Stadt nördlich von Rom am linken Tiber­ ufer, heute der römische Stadtteil Marcigliana. Vergil erwähnt die gefeier­ten Birnen von Crustumeria (georg. 2,87–88). mävianische: Eigenname (des Züchters?). Signia: Heute Segni, Stadt in Latium, der Sage nach unter Tarquinius Super­bus von römischen Kolonisten besiedelt. Später nicht mehr so sehr für seine Birnen, sondern als Geburtsort des Papstes Innozenz III. (Lothar, Graf von Segni) bekannt. Scandianum: Heute Scandiano, Stadt in der Provinz Reggio-Emilia, Region Emilia-Romagna. Ameria: Heute Amelia, Stadt in der Provinz Terni, Region Umbrien. Quitten: Lat. malum Cotoneum, griech. κυδώνιον μῆλον, nach dem Volks­stamm der Kydonier (Κύδωνες) an der Nordwestküste von Kre­ta. Die Herleitung des Wortes ist noch in der österreichischen Aus­sprache des Wortes Quitte ersichtlich. Im Spanischen wurde aus malum Cotoneum das Wort für den Pfirsich, melocotón. Ruhrbirnen: Die Elsbeere oder Ruhrbirne (Sorbus torminalis), mit der eigentlichen Birne nicht verwandt, wird als adstringierendes Mit­ tel bei Durchfall eingesetzt, worauf sowohl der lateinische Name als auch die wissenschaftliche sowie die deutsche Trivialbezeichnung hin­wei­sen. Wasser, und zwar hartes: Celsus definiert die Härte des Wassers durch das Fehlen von organischer Materie. bis auf Weiteres übergehen: Und zwar bis zur Praefatio des 5. Buches. Hat Celsus sich in den vorangegangenen Kapiteln mit dem

3. Buch

241

Thema Nahrung als Medizin befasst, wendet er sich hier recht unver­ mit­telt der Wirkung von Heilumschlägen und der Indikation für deren Anwen­dung zu. 2,33,3 Kimolos: Kykladeninsel. 2,33,3–4 Verbenen: Etymologisch von verber „Schlag, Rute“ herzuleiten, bezeich­net der Sammelbegriff verbenae alle frischen Kräuter, die zu reli­giö­sen und gottesdienstlichen Zwecken verwendet wurden (z. B. Verg. Aen. 12,120). Hierzu rechnete man immergrüne aromatische Gewäch­se, wie Lorbeer, Myrte, Ölbaum und Rosmarin (Belege, etwa bei Cicero, Horaz, Ovid, Servius und Sueton, sind zahlreich). Im medizinischen Bereich – also auch hier – bezeichnet das Wort manch­ mal Pflanzen von astringierender Wirkung, darunter das Eisenkraut (Verbena officinalis).

3. Buch 3,3,1

3,3,1 3,3,2 3,3,4 3,4,4 3,4,11

3,4,13



Quotidian-, Tertian- und Quartanfieber: Heute veraltete, aber noch im 20. Jahrhundert gängige medizinische Begriffe zur Beschrei­bung gewisser Krankheitsbilder im Zusammenhang mit der Mala­ria. Vgl. etwa R. Ruge, Einführung in das Studium der Malariakrank­heiten mit besonderer Berücksichtigung der Technik. Ein Leitfaden für Schiffsund Colonialärzte, Jena 1901. Für die Fehlstelle schlägt Marx als Ergänzung varii vor: „. . . gibt es ver­schiedene Erkrankungen und Heilmittel“. Hemitritaios: Subtertianfieber, griech. ἡμιτριταῖος, „Dritthalbtages­ fieber“. Für die Fehlstelle schlägt Marx accessio, „Anfall“, vor, es wäre aber auch febris oder dergleichen denkbar. Marx schlägt et alto et lucido et spatioso vor, was er aus 1,2,7 erschließt: „in einem möglichst großen, hohen und hellen Raum“. Tage der Entscheidung: Die kritischen Tage, von grch. κρίσις, „Schei­dung, Zwiespalt, Streit, (gerichtliche) Entscheidung, Unter­ suchung, Prozess, Urteil“. Manchmal ändert sich der Rhythmus der Tage: Je nachdem, wel­ cher Krankheitserreger das Wechselfieber verursacht hat. Die Erreger der Malaria sind verschiedene parasitische Protozoen, die durch zahl­ reiche Anopheles-Arten übertragen werden: Malaria tertiana wird von Plas­modium vivax und Plasmodium ovale hervorgerufen, Malaria quar­tana von Plasmodium malariae.

242 3,4,15

3,4,18

3,6,5

3,10,2 3,10,2 3,11,2

3,16,2 3,16,2

3,16,2

Kommentar

von den pythagoräischen Zahlen: Pythagoras von Samos befass­ te sich am Ende des 6. vorchristlichen Jahrhunderts mit der Regel­ mäßigkeit von arithmetischen und geometrischen Zahlenver­hält­nis­ sen. Neben dem bekannten Lehrsatz zum rechtwinkeligen Drei­eck, der seinen Namen trägt, stellte er etwa das Verhältnis der Län­ge einer Sai­te zur Tonhöhe fest und stellte Überlegungen zur Pla­ne­ten­har­ mo­­nie und überhaupt zum Wesen der Welt an: Da sich die Ordnung der Welt in einfachen Zahlenwerten ausdrücken lasse, die Zahlen die Grundlage der Welt seien und die Gottheit nach mathema­ti­schen Regeln vorgehe, müsse der Philosoph vor allen Dingen Mathe­ma­ti­ker sein, aber eben auch der Arzt. Als Empiriker lehnt Cel­sus diese Zah­ len­arznei oder Iatromathematik eher ab. w e n n z w i s c h e n d u rc h k e i n e U n t e r b re c h u n g v o r­ kommt: Möglicherweise fehlerhafte Ergänzung. Einige Handschrif­ ten bieten quibus statt si. Die Stelle wäre dann etwa so zu übersetzen: „. . . die bisweilen keine Zeit zur Verfügung haben.“ auf den Puls: Bemerkenswerterweise spielt die erhöhte Körper­tem­ pera­tur, das Symptom, das heute beinahe synonym mit Fiebererkran­ kun­gen ist, in der Celsusschen Diagnostik gar keine Rolle. Tem­ peratur ist für ihn nur eine sekundäre Begleiterscheinung des Fiebers (vgl. 3,9,2). Bleiweiß: Bleiweiß oder Kremser Weiß, Bleikarbonat, ein stark toxi­ sches Weißpigment. Lithargyrum: Bleimonoxid. die Wärme erzeugen: Diese Wärme soll den gesamten Körper in jeder Hinsicht locker und fließend machen und somit die Substanz der Krankheit förmlich aus dem Organismus spülen. Die Fehlstelle ist möglicherweise aus 3,6,14 folgend zu ergänzen: „Sup­pe, entweder von Schalentieren oder vom Huhn“. Bibergeil: Ein Drüsensekret des Bibers, das in den Drüsensäcken (Geil­d­rüsen) nahe dem After gespeichert wird und dem Tier zur Ter­ ri­to­rial­markierung dient. Bis ins 19. Jahrhundert als Arzneimittel gebräuch­lich, findet das Bibergeil heute in der Parfümerieindustrie Ver­wen­dung und ist in den USA als Lebensmittelaroma (Vanillenote!) zuläs­sig. Laser: Laserpicium oder Laser ist eine nicht genau bestimmte Gewürz­­pflan­ze aus der Gattung der Steckenkräuter (Ferula), die heu­ t­e möglicherweise ausgestorben ist. Bisweilen wird Laserpicium mit dem Stinkasant (Asa foetida) gleichgesetzt.

3. Buch

3,16,2

3,18,1

3,18,12

3,18,13 3,18,16 3,18,17 3,18,17

3,18,19

243

den Tag, an dem dies geschehen ist: Die Besorgnis am Jahrestag der Heilung scheint den abergläubischen Praktiken zu gleichen, die Cel­sus im Zusammenhang mit den pythagoräischen Zahlen ablehnt. Phrenesis: Der Wahnsinn wurde als eine dem Fieber verwandte Krank­heit begriffen, eine Art „Entzündung des Verstands“, deren Ursa­che in einer Infektion, aber auch traumatischen Verletzungen lie­ gen konnte. Ebenso wie den menschlichen Verstand lokalisierte man den Wahnsinn im Zwerchfell (griech. φρήν, davon φρέ­ν ησις); vgl. dt. frenetisch, eng. frenzy. Celsus unterscheidet zwischen Tobsucht (Phre­nesis), Depression und Halluzination, die er auf verschiedene kör­perliche Ursachen zurückführt und dementsprechend behandelt sehen will. Alraunenfrüchte: Die Alraune (Mandragora officinarum) ist ein Nacht­schattengewächs, an das sich zahlreiche Sagen und Gebräuche knüp­fen. Die in ihr enthaltenen Alkaloide wirken sedierend, aber auch halluzinogen. Sykaminon, Sykomoron: συκάμινον, die Maulbeere (Morus alba, Morus niger), und συκόμορον, die Maulbeerfeige (Ficus sycomorus). am Hinterkopf: Um die Krankheitssubstanz aus dem Schädel „abzu­ ziehen“ und so das Gehirn zu entlasten. von der schwarzen Galle: Die Melancholie oder „Schwarzgalligkeit“ (griech. μελαγχολία). weiße Nieswurz: Die Nieswurz (auch Schneerose oder Christrose, Hel­le­bo­rus niger) ist eine stark giftige Pflanze aus der Familie der Hah­nen­fuß­gewächse. Celsusʼ Bezeichnung bezieht sich auf die weiße Far­be der Blüte, der moderne botanische Gattungsname beschreibt die dunkle Wurzel der Pflanze. Die Nieswurz wirkt abführend und ruft (naheliegenderweise) Niesreiz hervor. Aias und Orestes: In Sophoklesʼ Tragödie Aias will Aias Rache üben, weil seine Gefährten nach dem Tod Achills dessen Waffen nicht ihm, sondern Odysseus zusprechen, wird aber von Athene mit Wahn­­sinn geschlagen und tötet nicht Odysseus, sondern etliches Klein­­vieh, das er für die griechischen Heerführer hält. Als er sei­nen Wahnsinn erkennt, tötet er sich aus Verzweiflung. Orestes, der seine Mut­ter Klytaimestra ermordet hat, wird von den Erinyen ver­folgt. Wäh­rend diese in der Orestie des Aischylos wirklich und durch­ aus personhaft auftreten, rationalisiert Euripides in seinem Ores­tes die Rachegöttinnen als Wahnvorstellungen des von seinen Schuld­ gefühlen getriebenen Orestes. Hierin folgt ihm Celsus, der dafür zur Genü­ge Rationalist ist.

244

Kommentar

3,18,24 Die Fehlstelle ergänzt Marx mit species similes habet, was zu überset­ zen wäre: „. . . hat der Form nach ähnliche Erscheinungsformen (scil. wie die oben beschriebenen)“. 3,19,1 Marx ergänzt die Fehlstelle mit alieno: „ungünstig“. 3,19,2 Kimolos: Kykladeninsel (venezian. Argentiera), berühmt für ihren krei­­de­hal­tigen Boden. Zahlreiche Erwähnungen u. a. bei Columella, Pli­­nius d. Ä. und Ovid (vgl. auch Anm. zu 2,33,3). 3,20,2 Galbanum: Auch Mutterharz genannter Saft des Steckenkrautes Feru­la erubescens, früher in Klebstoffen sowie als Räucherwerk und zu medizinischen Zwecken (als Zugsalbe) verwendet. Das Wort χαλ­ βάνη ist semit. Ursprungs. 3,20,2 Die Crux ist sinngemäß aus dem Zusammenhang erschlossen. 3,20,4 Mischtrank: Das billige, aus Essig und Wasser hergestellte Erfri­ schungs­getränk der einfachen Leute. Die lateinische Bezeichnung pos­ca ist von poto, „trinken“, abzuleiten. Posca ist auch der „Essig“ (ὄξος, acetum) aus dem Johannesevangelium (19,29). 3,20,6 Purgierwinde: Convolvulus scammonia, eine in Syrien heimische Pflan­­ze. Ihre Wurzel enthält einen Milchsaft, der getrocknet als drasti­sches Abführmittel wirkt. 3,21,3 Für die Fehlstelle schlägt Marx entweder Zenon (vgl. den 1. Abschnitt der Praefatio zum 5. Buch) oder den Aristotelesschüler Menon vor. 3,21,3 Breiumschläge: Da die Bestandteile dieser Umschläge zum Teil hoch­gif­tig sind (siehe 2,17,19; 2,33,1–6), ist es gut möglich, das der Bedauerns­wer­te am Inhalt der Umschläge verstorben ist und nicht, weil er die Anordnungen seines Arztes missachtet hat. 3,21,10 Meerzwiebel: Die Weiße Meerzwiebel, Drimia maritima, seit dem 18. Jahrhundert als das Herz stärkende Arzneipflanze bekannt, dien­ te in der Antike als Diuretikum. Die Pflanze ist stark giftig, und das Abkochen diente wohl dazu, die Giftigkeit herabzusetzen. Die von Celsus verwendete Bezeichnung scilla ist auf die verwandten Blau­ sterne (Sternhyazinthen, Szilla) übergegangen. 3,21,13 Giftlattich: Lactuca virosa, alte Arzneipflanze, beruhigend, schmerz­ stil­lend, diuretisch sowie stark toxisch. 3,21,14 saftige Feige: Vgl. 2 Kön 20,7, wo Jesaja das Geschwür des Königs Hiskija mit „Feigenbrei“ (Einheitsübersetzung; Vulgata: massam fico­rum) behandelt. 3,22 Auszehrung: Weder tabes (von tabum, „verwesende Flüssigkeit“) noch „Auszehrung“ dürfen hier im modernen klinischen Sinn ver­stan­ den werden. Vielmehr beschreiben sie alle „zehrenden“ Krank­hei­ten, etwa Tuberkulose und Mangelkrankheiten bis hin zur lebensbedroh­ lichen Abmagerung.

3. Buch

245

3,22,11 Emmer: Auch Zweikorn genannt, war Triticum diococcum, eine der ältesten kultivierten Weizenarten, in der Antike von großer Bedeu­ tung, wird heute aber nur selten angebaut. Die Römer der Früh­ zeit und der Republik verzehrten den Emmer, der sich zum Brot­ backen nur mäßig eignet, vor allem in Form von Brei (puls). Als die praktische Bedeutung von Emmer zurückging, behielt er doch sei­ne Rolle im Kultus: etwa bei der Zeremonie der confarreatio, der patri­ zi­schen Trauung, während derer die Brautleute ein Opfer von farreus panis darbrachten. 3,22,14 Terebinthenharz: Pistacia terebinthus, die Terpentin-Pistazie, aus deren Harz das zyprische Terpentin gewonnen wird (im Gegensatz zum Terpentin aus Kiefernharz, das auch als „österreichisches Ter­ pen­tin“ im Handel ist). 3,23,7 das warme Blut eines erstochenen Gladiators: Diese einigermaßen schauer­ro­mantische Behandlungsmethode wird vom älteren Plinius (nat. hist. 28,2) als letzte verzweifelte Maßnahme bei Epilepsie erwähnt, wenn auch nicht gebilligt: Sanguinem quoque gladiatorum bibunt, ut viventibus poculis, comitiales morbi, quod spectare facien­ tes in eadem harena feras quoque horror est. At, hercule, illi ex homi­ ne ipso sorbere efficacissimum putant calidum spirantemque et vivam ipsam animam ex osculo vulnerum, cum plagis omnino ne fera­rum quidem admoveri ora mos sit humanus. „Epileptiker trinken auch das Blut von Gladiatoren gleichsam aus lebendigen Bechern. Wenn wir sehen, dass Raubtiere genau dort in der Arena dasselbe tun, erfasst uns ein Grauen. Aber weiß Gott, sie glauben, es sei die wirk­samste Kur für ihr Leiden, den warmen, atmenden Lebenssaft mit einem Kuss aus der Wunde zu saugen, wo es doch als menschlich sitten­ widrig gilt, die Lippen auf eine Verletzung zu pressen, und sei es nur die eines wilden Tieres.“ 3,24,5 „die königliche“: Die Etymologie, die Celsus bietet, ist wenig befrie­ digend. Möglicherweise ist regius (scil. morbus) eine Verballhornung von aurugo, „Goldfarbe“. Im späteren Sprachge­brauch ist regius mor­bus zur Bezeichnung für die Skrofulose gewor­den, also für die bei tuberkulösen Kindern auftretenden Gesichts­veränderungen. Der Name bezieht sich auf den verbreiteten Glauben an die übernatürliche Fähig­keit der französischen (und später der engli­schen) Könige, die­ ses Krankheitsbild durch Handauflegen zu hei­len. Siehe M. Blochs klas­si­sche Studie: Les rois thaumaturges. Étude sur le caractère sur­ naturel attribué à la puissance royale particulièrement en France et en Angleterre, Paris 1924.

246 3,25

Kommentar

Elephantiasis: Diese Krankheit, die Celsus nach Schilderungen aus zwei­ter Hand beschreibt, wird durch Lymphstau nach Befall durch Para­siten (Fadenwürmer) hervorgerufen, was zu einer abnormen Ver­größerung einzelner Körperteile führt. Heute tritt Elephantiasis in erster Linie in Entwicklungsländern auf. 3,27,2c Um die Crux aufzulösen, ersetzt Marx †iactum mit calefactum: „mit Gers­ten­mehl erwärmten Asphalt“. 3,27,4b Haselnüsse: Die nux Abellana, die auch beim älteren Plinius und bei Ver­gil erwähnt wird, hat ihren Namen nach der Stadt Abella (heute Avel­la) in Kampanien, die für ihren Obstbau berühmt war und deren Name dementsprechend möglicherweise auf ein indoeuropäisches Wort für Apfel zurückgeht. Vgl. W. D. Elcock, Place-names in the valley of Tena (Aragon), in: Studies in Romance philology and French literature. Presented to John Orr by pupils, colleagues and friends, Manchester 1953, 51–81, hier 67.

Römische Maßeinheiten Die folgenden Einheiten finden entweder in Celsus’ De medicina Verwendung oder sind zum Verständnis der Herleitung der verwendeten Maße notwendig. Sie bilden die Grundlage für das in Europa bis zur Metrisierung gültige Apothekergewichtssystem. Alle Angaben sind Näherungswerte.

Gewichtseinheiten obolus, Obolos (0,65 g): Von Celsus mit dem Sextans gleichgesetzt (5,17,1c) sextans, Sextans (0,65 g) scripulum, Skrupel (1,14 g) denarius, Denar (3,9 g) = 6 Sextantes = 6 Oboloi uncia, Unze (27,29 g) = 24 Skrupel = 42 Sextantes = 7 Denare libra (pondus), Pfund (327,45 g) = 288 Skrupel = 504 Sextantes = 84 Denare = 12 Unzen

Abkürzungen P. libra, Pfund (327,45 g) P.= = = = bes librae, 2/3 Pfund (218,3 g) P. S. selibra, 1/2 Pfund (163,73 g) P.==- quincunx librae, 5/12 Pfund (136,44 g) P.= = triens librae, 1/3 Pfund (109,15 g) P.=- quadrans librae, 1/4 Pfund (81,86 g) sextans librae, 1/6 Pfund (54,58 g) P.= P.- uncia librae, 1/12 Pfund = 1 Unze (27,29 g) P.* denarius, Denar (3,9 g) P.*dext. dextans denarii, 10/12 Denar (3,25 g) P.*==== bes denarii, 2/3 Denar (2,6 g) P.* S. semidenarius, 1/2 Denar (1,95 g) P.*==- quincunx denarii, 5/12 Denar (1,62 g) P.*== triens denarii, 1/3 Denar (1,3 g) P.*=- quadrans denarii, 1/4 Denar (0,97 g) P.*= sextans denarii, 1/6 Denar (0,65 g) P.*- uncia denarii, 1/12 Denar (0,32 g)

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Römische Maßeinheiten

Hohlmaße cyathus, Becher (45 ml) acetabula, Schale (68 ml) = 1 1/2 Becher quadrans, Quadrans (136 ml) = 3 Becher hemina, Hemine (273 ml) = 6 Becher = 2 Heminen sextarius, Sextarius (546 ml) = 12 Becher = 4 Quadrantes = 2 Heminen congia, Kanne (3,28 l) = 72 Becher = 43 1/2 Schalen = 24 Quadrantes = 12 Hemi­nen = 6 Sextarii urna, Krug (13,1 l) = 288 Becher = 174 Schalen = 96 Quadrantes = 48 Heminen = 24 Sextarii = 4 Kannen amphora, ἀμφορεύς (26,2 l) = 576 Becher = 348 Schalen = 192 Quadrantes = 96 Heminen = 48 Sextarii = 8 Kannen = 2 Krüge Die Amphore entspricht 80 Pfund Wein nach Masse bzw. 1 Kubikfuß (Quadratal, pes quadratus) nach Rauminhalt.

Zeit Die Römer teilten den lichten Tag zwischen Sonnenaufgang und -untergang sowie die Nacht von Sonnenuntergang bis -aufgang jeweils gleichmäßig in zwölf Stunden ein, sodass einerseits die absolute Länge dieser (Temporal-) Stunden nach Jahreszeit und Breite wechselte – und zwar etwa zwischen 3/4 und 1 1/4 einer äquinoktialen Stunde – und andererseits Tag- und Nachtstunden außer zur Zeit der Tagundnachtgleiche verschieden lang waren. Die Zählung der Tag- und Nachtstunden begann mit Sonnenaufgang beziehungsweise -untergang. Mit Ausnahme von Mitternacht (0 Uhr wahre Sonnenzeit) und Mittag (12 Uhr wahre Sonnenzeit) lassen sich daher keine absoluten modernen Entsprechungen für römische Zeitangaben finden. Die Zeitangabe „die vierte Stunde“ (2,4,1) zum Beispiel ist daher so zu lesen, dass sie einen Zeitpunkt zwei Drittel zwischen Sonnenaufgang und Mittag bezeichnet.

Zur Textgestaltung Dem lateinischen Text liegt die Leipziger textkritische Edition von F. Marx zugrunde (A. Cornelii Celsi quae supersunt, recensuit Fridericus Marx, Lipsiae et Berolini 1915 = Corpus medicorum Latinorum 1). Hierbei ist aus Gründen der Vollständigkeit festzustellen, dass Marxʼ vor einem Jahrhundert erschienene Edition zwar die grundlegende kritische Ausgabe des Textes darstellt, aber keineswegs allgemein als endgültig oder auch nur vollständig befriedigend anerkannt ist: „Marxʼs edition did not meet with the satisfaction of the philologists, but it did with that of the doctors.“1 Die den Kapiteln vorangestellten Inhaltsangaben sind nicht antik, sondern stammen aus der Kölner Ausgabe von F. Ritter und H. Albers (A. Cor­­nelii Celsi medi­­cina, ediderunt, brevi annotatione indicibusque locupletissi­mis instruxerunt F. Ritter, H. Albers, Coloniae ad Rhenum 1835). Diese war wohl mehr noch als die Marx-Ausgabe auf die Ansprüche „of the doctors“ zugeschnitten und als Lernbehelf für Mediziner gedacht. Ihr Verdienst ist jedoch die Wiederherstellung der griechischen Fachausdrücke, die Celsus von seinen Lehrmeistern übernommen hat, in deren griechischer Fassung, sowie eine durchaus glückliche Hand beim Erstellen eben dieser Inhaltsangaben.2 Folgende geringfügige Änderungen wurden vorgenommen, wobei unbedeutende Änderungen in der Zeichensetzung und in der Länge der Absätze sowie Korrekturen offensichtlicher Druckversehen hier nicht verzeichnet werden und die konsequente Unterscheidung zwischen u und v im Druckbild ebenfalls stillschweigend durchgeführt wurde:

1

D. Ollero Granados, „New light on Celsusʼ ‚De medicina‘“, in: Sudhoffs Archiv 62,4 (1978), 359–377, hier S. 361 Anm. 7. Vgl. S. 363, Anm. 9. 2 Lediglich die Überschriften zu den Kapiteln 4,27a und 4,27b stammen nicht von Ritter und Albers, sondern sind nach Ollero Granados (a.a.O. S. 369–370) ergänzt. Ritter und Albers versehen dafür den Absatz 4,27,2 mit einer eigenen Überschrift: „De urinae nimia profusione“.

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Zur Textgestaltung

Stelle Marx Unsere Ausgabe 1,2,4 pos post 1,3,19 sive[ro] si vero †prior priores 2,1,4 μελανχολίαν μελαγχολίαν 2,1,6 2,1,8 στρανγουρίαν στραγγουρίαν 2,1,22 †κακεξίαν καχεξίαν (ebenso 3,22,2) arcuatum arquatum 2,4,6 2,6,12 li[q]uida liquida 2,7,8 fros frons 2,7,13 delent dolent 2,8,2 est est, 2,18,3 conculia conchylia 2,21 anetum anethum (ebenso 2,26,2; 2,29,1; 2,31) 2,22,1 amilum amulum 2,23 oriza oryza 2,24,2 Mevianum Maevianum Scaudianum Scandianum 2,24,2 2,30,3 sorva sorba 3,7,1b corpiunt corripiunt Stelle Ritter-Albers Unsere Ausgabe 3,18 (Überschrift) φρενῖτις

φρένησις