Fasti / Festkalender. Band I: Lateinisch und deutsch 9783534181612, 9783534735112, 3534181611

Die 'Fasti' des des Publius Ovidius Naso (43 v. Chr. bis wohl 17 n. Chr.) sind ein in der Tradition des antike

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Fasti / Festkalender. Band I: Lateinisch und deutsch
 9783534181612, 9783534735112, 3534181611

Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Einleitung
Chronologie der Werke und Sonderstellung der Fasti
Quellen und Vorbilder
Sind die Fasti vollendet?
Der römische Kalender
Sternbilder in Ovids Fasti
Zu dieser Ausgabe
Textüberlieferung
Publii Ovidii Nasonis Fasti – Ovid, Festkalender
Liber primus
Erstes Buch
Anmerkungen zum ersten Buch
Liber secundus
Zweites Buch
Anmerkungen zum zweiten Buch
Liber tertius
Drittes Buch
Anmerkungen zum dritten Buch
Über den Inhalt
Über die Reihe
Back Cover

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EDITION ANTIKE Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose

OVID

FASTI FESTKALENDER Band I Lateinisch und deutsch

Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Andrea Themann-Steinke

Verantwortlicher Bandherausgeber: Thomas Baier Die EDITION ANTIKE wird gefördert durch den Wilhelm-Weischedel-Fonds der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Wissenschaftliche Redaktion und Schriftleitung: Federica Casolari-Sonders (Ludwig-Maximilians-Universität München)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2018 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Satz: COMPUTUS Druck Satz & Verlag, 55595 Gutenberg Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-18161-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73511-2

Inhalt Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  7 Chronologie der Werke und Sonderstellung der Fasti  . . . . . . . . .  7 Quellen und Vorbilder  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  8 Sind die Fasti vollendet?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  9 Der römische Kalender  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  10 Sternbilder in Ovids Fasti  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  12 Zu dieser Ausgabe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  13 Textüberlieferung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  14 Publii Ovidii Nasonis Fasti – Ovid, Festkalender  .. . . . . . . . . . . .  15 Liber primus / Erstes Buch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  16/17 Anmerkungen zum ersten Buch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  68 Liber secundus / Zweites Buch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  82/83 Anmerkungen zum zweiten Buch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  144 Liber tertius / Drittes Buch   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  156/157 Anmerkungen zum dritten Buch  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .  218

Einleitung Die wichtigsten Informationen über Ovids Leben erhalten wir durch das letzte Gedicht des 4. Buches seiner Exildichtung Tristia (trist. 4.10). Geboren wurde er demnach in Sulmo, 90 Meilen von Rom entfernt, am 20. März des Jahres 43 v. Chr. als Mitglied einer Ritterfamilie. Sein Vater ließ seine beiden fast gleichaltrigen Söhne in einer Rhetorikschule in Rom ausbilden. Während der ältere Bruder die übliche Ämterlaufbahn anstrebte, begnügte sich Ovid damit, zwei Verwaltungsämter der mittleren Laufbahn zu übernehmen, zog sich aber bald vom Forum zurück, um den Dichterberuf auszuüben. Er war dreimal verheiratet, wovon nur die dritte Ehe glücklich war (trist. 4.10.69–74). Durch seine Tochter hatte er Enkelkinder (trist. 4.10.75f.). In Rom verkehrte Ovid im literarischen Kreis des Messalla Corvinus, dessen Söhne Ovid in seinen Exildichtungen anspricht, um ihre Unterstützung in dem Versuch zu erbitten, aus dem Exil zurückberufen zu werden (z. B. trist. 4.4.27–32, Pont. 1.7.27f., 2.3.75–78). Die Verbannung im Jahre 8 n. Chr. nach Tomi ans Schwarze Meer scheint Ovid völlig überraschend getroffen zu haben. Er selbst nennt carmen et error (trist. 2.207) als Grund. Die communis opinio sieht die Ars amatoria wegen ihrer erotischen Freizügigkeit, die dem sittenstrengen Augustus übel aufstieß, als das besagte carmen, obwohl zwischen dem Publikationszeitpunkt um die Zeitenwende und dem Verbannungsurteil ungefähr acht Jahre vergingen. Worin der error bestanden haben könnte, ist noch nicht abschließend geklärt. Ovid könnte unabsichtlich von einem Fehltritt oder einer Intrige am Kaiserhofe erfahren haben oder da hineingeraten sein (trist. 2.103f.). Ein anderer Grund könnte möglicherweise auch der Versuch gewesen sein, Agrippa Postumus, einen Enkel des Augustus, der 7 n. Chr. verbannt worden war, als Thronfolger aufzubauen (s. dazu Albrecht, Literatur 625). Letztlich waren Ovids Bemühungen um die Rückberufung nach Rom vergeblich, er starb im Jahre 17 oder 18 n. Chr. in Tomi. Chronologie der Werke und Sonderstellung der Fasti Ovids Werke Ars amatoria (mit ihrem Annex der Remedia amoris) und die Fasti gehören zwar zu den klassischen Lehrgedichten, sind allerdings insofern sehr innovativ für die römische Literatur, als sie statt des üblichen Versmaßes

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Einleitung

des Hexameters in elegischen Distichen verfasst sind. Ovid orientiert sich dabei an dem hellenistischen Dichter Kallimachos, dessen Aitia in vier Büchern auch in Elegieform die Ursprünge von Festen, Bräuchen, Heiligtümern und weiteren religiösen Aspekten erklären. In jungen Jahren verfasst Ovid seine einzige Tragödie Medea. Danach wendet er sich der Liebeselegie zu, deren Vertreter in Rom die etwas älteren Dichter Tibull und Properz waren. In deren Tradition gestaltet er nun die Amores mit den für die Elegie typischen Topoi und einer Erzählerfigur, die dem Rezipienten ihre Gefühle und Gedanken offenbart. Anders als seine römischen Vorgänger spielt Ovid oft mit den Erwartungen seiner Leser und man hat das Gefühl, dass das Ganze für ihn lediglich ein amüsanter Zeitvertreib, wenn nicht sogar ein literarisches Spiel ist. Um die Zeitenwende geht Ovid noch einen Schritt weiter und verbindet die Thematik der „Liebe“ und ihrer typischen äußeren Form der Elegie mit einem didaktischen Auftrag. Entstanden ist mit der Ars amatoria nunmehr das erste römische Lehrgedicht im Distichon. Ungefähr zur selben Zeit muss Ovid auch die Vorarbeiten zu seinen beiden Hauptwerken, den Metamorphosen, einem Epos im daktylischen Hexameter, und den Fasti, einem Lehrgedicht über den römischen Kalender, Feste, Heiligtümer, Gottheiten und Astronomie begonnen haben. Mit der Wahl des elegischen Distichons für die Fasti folgt Ovid einerseits Kallimachos und dessen aitiologischen Erläuterungen, behält aber andererseits auch das Versmaß seiner Amores und der Ars amatoria bei. Quellen und Vorbilder Bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. hat Pherekydes von Athen Katasterismoi, also mythologische Erklärungen von Sternbildern, literarisch aufbereitet. Aber erst der alexandrinische Kallimachos von Kyrene, dessen wohl bekannteste Verstirnungssage, die „Locke der Berenike“, von Catull in seinem carmen 66 adaptiert wurde, legt den Grundstein für die Gattung der aitiologischen Elegie, die später im vierten Buch des Properz und schließlich in den Fasti des Ovid weiterentwickelt wurde. Eine Generation später schrieb wahrscheinlich (die Echtheit des Werkes ist umstritten) der Dichter und Astro­nom Eratosthenes von Kyrene 44 Verstirnungssagen und aitiologische Geschichten zum mythologischen Ursprung der Sternbilder. Einer der bedeutendsten Universalgelehrten Roms, M. Terentius Varro, stellte seinen Zeitgenossen und späteren Generationen mit seinen Antiquitates rerum humanarum et divinarum ein wichtiges Nachschlagewerk zu jeglichen Belangen der Menschen und Götter, u. a. über Riten und Feste, zusammen. Daneben verfasste er auch Schriften über die mythische Vorgeschichte Roms, die Geschichte der römischen Republik von der Königszeit bis hin zum Bürger-

Sind die Fasti vollendet?

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krieg zwischen Caesar und Pompeius und eine Schrift über trojanische Familienverbünde. Zur selben Zeit entstand auch ein Traktat über den römischen Kalender (De fastis). Ovid wird wohl diese Abhandlung des L. Cincius rege benutzt haben, wie es auch Macrobius später tat. Aus augusteischer Zeit ist insbesondere das Werk De fastis Romanis zu nennen, in dem Verrius Flaccus weitere Kalendererklärungen zu den von ihm kommentierten fasti Praenestini veröffentlichte (s. dazu auch unten) und die Ovid zur Verfügung standen. Eine weitere wichtige Quelle Ovids stellt schließlich noch der Freigelassene und spätere Bibliothekar C. Iulius Hyginus dar, der Werke über berühmte Persönlichkeiten, über die Penaten, über trojanische Familien und eine Exempla-Sammlung schrieb. Ob hingegen auch die Fabulae und De astronomia von ihm sind, ist in der Forschung umstritten. Sind die Fasti vollendet? Anders als die Metamorphosen, die bereits vollendet, aber noch nicht überarbeitet waren, als Ovid 8 n. Chr. verbannt wurde, wurden die Fasti durch diesen einschneidenden Schicksalsschlag unterbrochen. Der Vers sex ego Fastorum scripsi totidemque libellos (trist. 2.549) ist in der Literatur reichlich diskutiert worden. Ein Interpretationsansatz verweist auf die schriftlichen Notizen, die Ovid noch in Rom angefertigt und möglicherweise mit nach Tomi genommen habe; scripsi müsste dann als „ich habe entworfen“ bzw. „Notizen gemacht“ aufgefasst werden. Allerdings ist eine andere Erklärung denkbar: Nimmt man an, dass Ovid mit seinen hellenistischen Einschlägen scripsi mit einem ingressiven Aspekt verstanden wissen will, so kommt man inhaltlich zu der Aussage: „ich habe begonnen, zwölf Bücher zu schreiben“. Die Frage bleibt dann allerdings: Warum hat Ovid das Werk nicht vollendet, obwohl es laut eigener Aussage und diversen textimmanenten Prolepsen (z. B. fast. 3.57f., 3.199f., 5.147f.) sein Vorhaben war? Fehlten ihm in der Abgeschiedenheit Tomis das Großstadtflair, die Möglichkeiten zur Recherche und zum Austausch und letztlich auch die urbanen Monumente und Tempel, die zu erläutern waren – die Inspiration für sein literarisches Schaffen in den Fasti? Obwohl Ovid also in Tomi einerseits nicht an den Monaten Juli – Dezember weiterarbeitete, muss er doch Teile des Werkes überarbeitet oder redigiert haben. Am offensichtlichsten ist eine Überarbeitung direkt zu Beginn der Fasti in der Umwidmung des Œuvres. Augustus war der logische Widmungsträger, solange Ovid in Rom an seinem Werk arbeitete. Eine derartige Widmung in einem Prooemium findet sich allerdings seltsamerweise erst zu Beginn von Buch 2, während in der überlieferten Form im Prooemium des ersten Buches der kai-

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Einleitung

serliche Prinz Germanicus als Widmungsträger erscheint. Eine Dedikation des Gesamtwerkes an Germanicus scheint nur sinnvoll, wenn Ovid nach Augustus’ Tod versuchte, über ein anderes Mitglied der Kaiserfamilie sein Schicksal zu verbessern und rehabilitiert zu werden. Hierfür schien Germanicus besonders geeignet, da er ein umgänglicher Mensch und aufgrund seiner dichterischen Tätigkeit und der Übersetzung von Arats Phainomena zudem ein Seelenverwandter Ovids war. Ovids Hoffnungen auf eine Rückberufung sollten sich jedoch bekanntermaßen nicht erfüllen. Als markantestes Beispiel für eine sicher nach 14 n. Chr. zu datierende Stelle seien die Verse 285f. des ersten Buches genannt, in denen Ovid in einer Apostrophe des Germanicus an dessen Triumph über germanische Stämme am 26.5.17 n. Chr. erinnert. Der römische Kalender Das römische Jahr sei vom ersten römischen König Romulus in zehn Monate untergliedert worden und ein Mondjahr gewesen (fast. 3.883). Ursprünglich habe dieses Jahr im März begonnen, was Ovid in fast. 1.39f., 3.135–150, 4.25–28, 4.130 untermauert. Der zweite König Numa Pompilius habe das Kalenderwesen reformiert, sodass die Monate Januar und Februar den bereits bestehenden Monaten vorangestellt worden seien (vgl. fast. 1.42– 44, 3.152– 155). Die Monate März, Mai, Juli und Oktober behielten dabei ihre anfänglichen 31 Tage, die übrigen Monate, die zuvor 30 Tage aufwiesen, wurden auf 29 gekürzt, ebenso wie der neu eingefügte Januar; der Februar hingegen erhielt 28 Tage. Damit umfasste das Jahr nun 355 Tage, sodass ein kompliziertes Schaltsystem angewandt wurde, um das Jahr mit dem Sonnenjahr von 365 Tagen in Einklang zu bringen. Dieses Konstrukt wurde erst unter Iulius Caesar reformiert, der den Astronomen Sosigenes hinzuzog. 46 v. Chr. wurden schließlich die heute noch gültigen Monatslängen festgelegt. Das Jahr zählte nun 365 Tage und erhielt alle vier Jahre einen Schalttag zusätzlich. Da in diesem Julianischen Kalender das Jahr um etwa einen Vierteltag zu lang war, ließ Papst Gregor XIII. 1582 mit dem sog. Gregorianischen Kalender eine letzte Kalenderreform folgen. Um den Aufbau der ovidischen Fasti verstehen und nachvollziehen zu können, ist es unabdingbar, eine kleine Einführung in das römische Kalenderwesen zu geben. Die fasti der frühen Republik waren im Wesentlichen nur der Senatsaristokratie zugänglich, sodass das römische Volk z. B. in der Regel keinen Einblick hatte, wann Gerichtsverhandlungen abgehalten werden konnten oder noch essentieller, an welchen Tagen der Markt stattfand. Daher fertigte Cn. Flavius, der Schreiber des Censors von 312–307 v. Chr., App. Clau­dius

Der römische Kalender

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Caecus, erstmalig eine Abschrift der fasti an und machte sie für jedermann öffentlich (dazu auch Val. Max. 2.5.2). Aus der republikanischen Zeit sind einige Fragmente derartiger Kalender auf uns gekommen, z. B. die jeweils nach ihrem Fundort benannten fasti Ostienses, fasti Maffeiani, fasti Antiates veteres oder fasti Praenestini. All diesen Kalendern ist folgendes Merkmal gemein: Insgesamt gibt es drei obligatorische Spalten. Hierbei zeigten die sog. Nundinalbuchstaben von A bis H in der ersten Spalte den Wochentag an, d. h. die Römer hatten eine Acht-Tage-Woche. Der erste Januar fiel immer auf den Wochentag A. Der zweiten Spalte konnte man das Datum entnehmen, wobei stets von den festgelegten Monatstagen Kalenden, Nonen und Iden aus rückwärts gezählt wurde; hierbei wurden interessanterweise der „Start-“ und der „Zieltag“ mitgerechnet. Mit den Kalenden bezeichnete man den Monatsersten, mit den Iden den 15. (im März, Mai, Juli und Oktober) eines Monats bzw. den 13. (in den übrigen Monaten) und mit den Nonen den neunten Tag vor den Iden. Hier fanden sich auch die Staatsfeste, die sog. feriae publicae (s. dazu unten). Den Tagescharakter konnte man in der dritten Spalte ablesen. Abkürzungen zeigten an, ob der jeweilige Tag ein Werktag oder ein Feiertag war. An einem dies fastus (abgekürzt mit F) konnte man allen Staats- und Rechtsgeschäften nachgehen. N kennzeichnete den dies nefastus, an dem jegliche Geschäfte untersagt waren. Die dies nefasti publici (mit dem Kürzel NP) waren spezielle Feiertage (s. dazu Scullard, Feste 65f.). Die mit C markierten Tage waren dies comitiales, d. h. sie waren Volksversammlungen vorbehalten. An den „zweigeteilten“ Tagen, den sog. dies intercisi bzw. endotercisi (EN) durfte man Geschäften nachgehen, sofern vorher rituelle Opfer erfolgreich beendet worden waren. Auch die Tage mit der Abkürzung QRCF (quando rex comitiavit fas, 24. März und 24. Mai) und der Tag QStDF (quando stercus delatum fas, 15. Juni) fallen in diese Rubrik der „gespaltenen“ Tage. Vergleichbar mit den modernen Feiertagen muss auch für die antiken zwischen den fest im Kalender verankerten (z. B. den Lupercalia am 15. Februar als feriae stativae), bei uns z. B. dem Weihnachtsfest am 25. und 26. Dezember, und denen unterschieden werden, die sich von Jahr zu Jahr um einige Tage oder aber Wochen verschieben konnten (z. B. die Sementivae im Januar als feriae conceptivae), heutzutage z. B. das Osterfest oder Fronleichnam. Feiertage, denen ein besonderes Ereignis zugrunde lag, hießen feriae imperativae. Während in Rom zumeist imperiale Ereignisse oder bedeutende Schlachten diesen Status erhielten, sind es für uns bedeutende Errungenschaften des Volkes wie z. B. der „Tag der Arbeit“ oder der „Tag der deutschen Einheit“. Die nicht eigens im Kalender verzeichneten dies religiosi waren mit einem Tabu belegt, d. h. es war zwar nicht verboten, bestimmten Geschäften nachzugehen, allerdings galt es als abträglich (z. B. an den Lemuria am 9., 11. und

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Einleitung

13. Mai), ähnlich unserem mit Aberglauben behafteten Freitag, dem 13. Aber auch die sog. dies atri, die Folgetage aller Kalenden, Nonen und Iden, galten als unheilvoll. Bisweilen finden sich in den verschiedenen Textausgaben abweichende Tages- bzw. Datumsangaben. Der Grund dafür ist Ovids poetische und hellenistisch geprägte Art, konkrete Angaben zu meiden und den Rezipienten aktiv zum Mitdenken zu animieren. Grundsätzlich lässt sich allerdings die typisch römische Eigenart, bei der Zählung von Tagen inklusiv den ersten und letzten Tag mitzurechnen, beobachten, sodass z. B. im ersten Buch tertia lux post Idus („der dritte Tag nach den Iden“: 1.617) der 15. Januar sein muss. Diese „Inklusivzählung“ befolgt Ovid also bei der Angabe mit Ordinalzahlen, wenn er hingegen Kardinalzahlen angibt, rechnet er exklusiv, ohne den ersten Tag mitzuzählen. In 1.317 schreibt er am 5. Januar: quattuor adde dies („füge vier Tage hinzu“) und meint mit dieser Angabe den 9. Januar (nämlich: 6, 7, 8, 9). Es verbleiben allerdings einige Tagesangaben, die sich nicht mit letzter Sicherheit entschlüsseln lassen. Sternbilder in Ovids Fasti Um die Vielzahl der Sterne am Himmel zu ordnen und dann letztlich auch beobachten zu können, was den Grundstein für die Astronomie legte, versuchten schon die alten Ägypter und Babylonier, Sterne zu Figuren und zu Tieren zu verbinden (s. dazu Allen, Names 16–18). Literarisch findet sich, obwohl auf einzelne Sternbilder und Sterne bereits bei Homer verwiesen wird, eine gezielte Abhandlung erst in dem astronomischen Lehrgedicht Phainomena des Arat aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. Arat erörtert 45 Sternbilder. Etwas jünger ist der alexandrinische Naturwissenschaftler Eratosthenes (ca. 285 – ca. 205 v. Chr.), der in seinen Katasterismoi 44 Verstirnungssagen sowie weitere Details, z. B. die Anzahl der Sterne der einzelnen Sternbilder, bot. Leider nicht erhalten ist der Sternenkatalog des Hipparch, des bedeutendsten Astronomen aus dem 2. Jahrhundert v. Chr., mit seinen 48 Sternbildern. Schaut man in den nächtlichen Himmel, so muss man konstatieren, dass oft erhebliche Phantasie vonnöten ist, um tatsächlich die Figuren nachvollziehen zu können. Sternbilder wie der Orion, der Große Bär und der Stier sind in der griechischen bzw. römischen Götter- und Heroen-Welt beheimatet. Eine besondere Rolle kommt den zwölf Tierkreissternbildern an der sog. Ekliptik zu, weil die Sonne sie scheinbar im Jahresverlauf am Himmel durchwandert. Der antike Sternenhimmel sah aufgrund der sog. Präzession anders aus als heutzutage. Dadurch dass die Erdachse sich in einer Kreisbewegung um eine virtuelle Achse durch den Erdmittelpunkt, die senkrecht zur Umlaufbahn der

Zu dieser Ausgabe

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Erde um die Sonne steht, dreht, verändern sich die Positionen der Sternbilder am Himmel allmählich. Die Sonne stand zum Frühlingsäquinoktium um die Zeitenwende im „Widder“, während sie im Laufe der letzten 2000 Jahre ins nächste Tierkreiszeichen „Fische“ weitergezogen ist. Auch die Höhe, die die Konstellationen am Himmel erreichen, ändert sich; so stand zum Beispiel der „Große Bär“ vor 2000 Jahren um etwa 10° höher am Himmel, der „Perseus“ hingegen um etwa 10° tiefer. Heutzutage ist es tatsächlich möglich, sich mit Hilfe eines Computerprogramms den Sternenhimmel virtuell anzeigen zu lassen, wie ihn Ovid sah, und somit seine Aussagen zu überprüfen. Unter Ovids 53 astronomischen Bemerkungen finden sich viele, die, manchmal sehr offensichtlich, von den tatsächlichen Gegebenheiten abweichen. Einige dieser Angaben könnten auf Informationen beruhen, die zu Ovids Zeit schon veraltet waren bzw. nicht den Breitengraden Roms entsprachen, da sie aus sog. Parapegmata, Listen von Sternpositionen und Auf- und Untergängen, stammten, deren älteste sich bis ins 5. Jahrhundert v. Chr. u. a. nach Ägypten zurückverfolgen lassen. In den letzten Jahren gab es einige Aufsätze mit Neuinterpretationen zu Stellen, die bislang als Fehler oder Unkenntnis Ovids gescholten wurden. Daher ist es in diesem beschränkten Rahmen nicht mein Ziel, diese Probleme zu behandeln und zu lösen. In der Forschungsliteratur ließen sich einige derartige Textstellen klären1, allerdings bleiben andere strittige Angaben Ovids ungelöst. Einige unauflösbare Widersprüche zwischen Ovids Darstellung und den astronomischen Gegebenheiten zu seinen Lebzeiten bleiben weiterhin bestehen; hierzu gehört zum Beispiel die Angabe zum 25. April über den Aufgang des „Großen Hundes“. Zu dieser Ausgabe Mit dieser Ausgabe soll eine moderne Gesamtübersetzung vorgelegt werden, die den heutigen Ansprüchen genügt und auf die Bedürfnisse heutiger Leser, insbesondere Studierender, eingeht. In den letzten Jahren sind gute und aktuelle Kommentare zu einzelnen Büchern der Fasti erschienen, die ausführlicher und detailreicher kommentieren, als es diese Ausgabe leisten kann. Auch die Einleitungen in diesen Kommentaren sind sehr umfangreich, sodass an dieser Stelle nur ein kurzer Überblick und eine Einführung in das Gesamtwerk der Fasti, die Besonderheit des römischen Kalenderwesens und die Reformen, die damit einhergingen, geboten werden sollte. 1 S. dazu z. B. Fox, Stars 111 (Aufgang der Sternbilder Rabe, Becher und Wasserschlange), ders. 116f. (Aufgang des Sterns Capella) und Lewis, Accuracy 428– 430 (Auf- bzw. Untergang der Pleiaden am 6. April).

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Einleitung

Grundsätzlich folgt der Text der Teubner-Ausgabe von Alton/Wormell/Courtney, in Einzelfällen ist allerdings auch eine andere Textvariante für sinnvoll erachtet und demnach abgedruckt worden. Antike Autoren und ihre Werke werden in dieser Ausgabe in der Regel nach den Maßgaben des Thesaurus linguae Latinae für lateinische bzw. des Liddell/Scott/Jones für griechische Texte abgekürzt. Textüberlieferung Von den mehr als 170 Handschriften, die die Fasti des Ovid überliefern, sind im Wesentlichen folgende fünf bedeutsam: A Vaticanus Reginensis 1709 aus dem 10. Jahrhundert (überliefert wird der Text bis fast. 5.24) U Vaticanus Latinus 3262 aus dem 11. Jahrhundert I fragmentum Ildfeldense aus dem 11. Jahrhundert (überliefert werden fast. 2.568–3.204 sowie 4.317–814) G Bruxellensis 5369-73 aus dem 11. Jahrhundert (überliefert wird der Text ab fast. 1.505) M Oxoniensis Bodleianus Auct. F. 4.25 aus dem 15. Jahrhundert Aufgrund ihrer Ähnlichkeit werden die Handschriften IGM an den Stellen, an denen sie dieselbe Lesart bezeugen, zusammenfassend mit Z gekennzeichnet.

Fasti Festkalender

LIBER PRIMVS

Tempora cum causis Latium digesta per annum   lapsaque sub terras ortaque signa canam. Excipe pacato, Caesar Germanice, voltu   hoc opus et timidae derige navis iter officioque, levem non aversatus honorem,   en tibi devoto numine dexter ades! Sacra recognosces annalibus eruta priscis   et quo sit merito quaeque notata dies. Invenies illic et festa domestica vobis;   saepe tibi pater est, saepe legendus avus, quaeque ferunt illi, pictos signantia fastos,   tu quoque cum Druso praemia fratre feres. Caesaris arma canant alii, nos Caesaris aras   et quoscumque sacris addidit ille dies. Adnue conanti per laudes ire tuorum   deque meo pavidos excute corde metus! Da mihi te placidum, dederis in carmina vires:   ingenium voltu statque caditque tuo. Pagina iudicium docti subitura movetur   principis, ut Clario missa legenda deo. Quae sit enim culti facundia sensimus oris,   civica pro trepidis cum tulit arma reis.

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ERSTES BUCH Januar Die Zeiten mit den Erklärungen, wie sie in Latium durch das Jahr hindurch angeordnet sind, und die Sternbilder, die unter die Erde gleiten und wieder aufgehen, will ich besingen.1 Caesar Germanicus2, nimm dieses Werk mit versöhnlicher Miene an und lenke meines furchtsamen Schiffes Reise 5 und verschmähe die geringe Ehre nicht, sei der ehrenvollen Aufgabe, die dir gewidmet ist, mit deinem göttlichen Willen gnädig gewogen! Heilige Riten wirst du wiedererkennen, die ich aus altehrwürdigen Annalen ausgegraben habe, und womit jeder einzelne Tag verdientermaßen gekennzeichnet ist. Du wirst dort auch die Feste finden, die euch eigen sind. 10 Oft bekommst du von deinem Vater3 zu lesen, oft von deinem Großvater4, und auch du wirst zusammen mit deinem Bruder Drusus5 die Auszeichnungen erwerben, die jene mitbringen und die die bemalten Fasten schmücken. Caesars Waffen sollen andere besingen, ich will Caesars Altäre besingen und alle Tage, die jener den Festtagen hinzugefügt hat. 15 Billige es mir zu, der ich versuche, durch die Ruhmestaten deiner Familie zu schreiten, und vertreibe aus meinem Herzen die verzagten Ängste! Zeig dich mir gnädig, dann wirst du mir Kräfte für mein Gedicht schenken: mein Talent steht und fällt mit deiner Miene. Die Seite, die kurz davor steht, sich dem Urteil des gelehrten Prinzen zu unterziehen, 20 erzittert, als wäre sie dem Gott von Clarus6 zum Lesen geschickt. Ich habe nämlich wahrgenommen, wie die Beredsamkeit deines gebildeten Mundes ist, wenn sie die Waffen des bürgerlichen Rechts zugunsten der zitternden Angeklagten trug.

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LIBER PRIMVS

Scimus et, ad nostras cum se tulit impetus artes,   ingenii currant flumina quanta tui. Si licet et fas est, vates rege vatis habenas,   auspice te felix totus ut annus eat. Tempora digereret cum conditor Urbis, in anno   constituit menses quinque bis esse suo. Scilicet arma magis quam sidera, Romule, noras   curaque finitimos vincere maior erat. Est tamen et ratio, Caesar, quae moverit illum,   erroremque suum quo tueatur, habet. Quod satis est, utero matris dum prodeat infans,   hoc anno statuit temporis esse satis; per totidem menses a funere coniugis uxor   sustinet in vidua tristia signa domo. Haec igitur vidit trabeati cura Quirini,   cum rudibus populis annua iura daret. Martis erat primus mensis Venerisque secundus;   haec generis princeps, ipsius ille pater: tertius a senibus, iuvenum de nomine quartus,   quae sequitur, numero turba notata fuit. At Numa nec Ianum nec avitas praeterit umbras,   mensibus antiquis praeposuitque duos. Ne tamen ignores variorum iura dierum,   non habet officii Lucifer omnis idem. Ille nefastus erit, per quem tria verba silentur,   fastus erit, per quem lege licebit agi. Nec toto perstare die sua iura putaris:   qui iam fastus erit, mane nefastus erat;

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ERSTES BUCH

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Ich weiß auch, wie breit die Ströme deines Talents dahin fließen, wenn Leidenschaft sich zu unserer Dichtkunst wandte. 25 Wenn es erlaubt und recht ist, lenke als Dichter die Zügel des Dichters, damit das gesamte Jahr unter deinem Schutz glücklich vonstatten geht. Als der Gründer der Stadt die Zeitabschnitte einteilte, setzte er fest, dass sein Jahr zweimal fünf Monate7 habe. Natürlich kanntest du, Romulus, dich mehr mit Waffen als mit Sternen aus, 30 und deine größere Sorge bestand darin, die Nachbarn zu besiegen. Dennoch gibt es sogar einen vernünftigen Grund dafür, Caesar, der jenen bewog, und er hat etwas, womit er seinen Irrtum verteidigen kann. Er setzte fest, dass das, was genug ist, bis der Säugling aus dem Leib der Mutter hervorkommt8, für das Jahr genug Zeit sei; 35 ebensoviele Monate vom Begräbnis des Gatten an behält die Ehefrau im Witwenhaus die Zeichen der Trauer bei. Die Fürsorge des Quirinus9 in seinem Königsgewand hatte also diese Dinge im Blick, als er den unzivilisierten Völkern Rechtsregeln für das Jahr gab. Des Mars war der erste Monat10 und der Venus der zweite; 40 sie war die Begründerin des Geschlechts, jener der Vater von ihm selbst11: Der dritte war nach den alten Männern bezeichnet12, der vierte von der Bezeichnung der jungen13, die Menge, die folgt, war von der Zahl her bezeichnet.14 Numa15 jedoch übergeht weder Ianus16 noch die Schatten der Vorfahren17 und schaltete den alten Monaten zwei voran.18 45 Aber damit du genau über die Rechtsnormen der verschiedenen Tage Bescheid weißt, : Nicht jeder Morgenstern hat dieselbe Funktion. Jener wird ein Feiertag sein, an welchem die drei Worte nicht ausgesprochen werden19, ein Werktag20 wird sein, an dem es durch das Gesetz erlaubt sein wird, Verhandlungen zu führen. Und glaube nicht, dass seine Regeln für den ganzen Tag Bestand haben: 50 welcher bald schon ein Werktag sein wird, war morgens ein Feiertag21;

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LIBER PRIMVS

nam simul exta deo data sunt, licet omnia fari   verbaque honoratus libera praetor habet. Est quoque, quo populum ius est includere saeptis;   est quoque, qui nono semper ab orbe redit. Vindicat Ausonias Iunonis cura Kalendas;   Idibus alba Iovi grandior agna cadit; Nonarum tutela deo caret. Omnibus istis   (ne fallare, cave) proximus ater erit. Omen ab eventu est: illis nam Roma diebus   damna sub averso tristia Marte tulit. Haec mihi dicta semel totis haerentia fastis,   ne seriem rerum scindere cogar, erunt.

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A K IAN F Ecce tibi faustum, Germanice, nuntiat annum   inque meo primum carmine Ianus adest. Iane biceps, anni tacite labentis origo,   solus de superis qui tua terga vides, dexter ades ducibus, quorum secura labore   otia terra ferax, otia pontus habet! Dexter ades patribusque tuis populoque Quirini   et resera nutu candida templa tuo! Prospera lux oritur: linguis animisque favete!   Nunc dicenda bona sunt bona verba die. Lite vacent aures insanaque protinus absint   iurgia: differ opus, livida turba, tuum! Cernis, odoratis ut luceat ignibus aether   et sonet accensis spica Cilissa focis? Flamma nitore suo templorum verberat aurum   et tremulum summa spargit in aede iubar.

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denn sobald dem Gott die Eingeweide dargebracht worden sind, darf man alles sagen und der Praetor hat als Amtsträger freie Wortwahl. Es gibt auch einen Tag, an dem es erlaubt ist, das Volk mit den Schranken zu umschließen22, und es gibt auch einen, der immer im Kreislauf von neun wiederkehrt.23 55 Der Iunokult nimmt für sich die ausonischen24 Kalenden25 in Anspruch, an den Iden wird Iuppiter ein weißes, recht großes Lamm geopfert; der Schutz der Nonen muss auf eine Gottheit verzichten. Zu all diesen wird der Folgetag ein schwarzer26 Tag sein (gib Acht, dass du nicht zu Fall kommst). Das Omen kommt vom Ergebnis her: denn Rom trug an jenen Tagen 60 beklagenswerte Verluste davon, weil Mars sich abgewandt hatte. Auch wenn es zu den ganzen Fasten gehört, habe ich dies nur ein Mal gesagt, damit ich nicht gezwungen werde, den Faden der Dinge abzuschneiden. 1. Januar Siehe da, Germanicus, Ianus verheißt dir ein glückliches Jahr und ist in meinem Gedicht an erster Stelle anwesend. 65 Doppelköpfiger Ianus, des still dahingleitenden Jahres Ursprung, der du als einziger von den Göttern deinen Rücken siehst, sei den Heerführern gnädig gewogen, durch deren Mühe das fruchtbare Land und das Meer sich eines unbekümmerten Friedens erfreuen! Sei sowohl deinen Senatoren als auch dem Volk des Quirinus27 gnädig 70 gewogen und öffne durch deine Zustimmung die weißen Tempel! Ein günstiger Tag bricht an: seid mit Mund und Herz andächtig! Nun dürfen an einem guten Tag nur gute Worte gesprochen werden. Die Ohren sollen nicht durch Streit belastet werden und unsinnige Streitereien sollen unverzüglich verschwinden: missgünstige Menge, vertage dein Werk! 75 Siehst du, wie der Aether von wohlriechenden Feuern leuchtet und die cilicische28 Ähre auf den entzündeten Herden knistert? Die Flamme trifft mit ihrem Strahlen auf das Gold der Tempel und breitet flackernden Glanz hoch oben am Heiligtum aus.

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Vestibus intactis Tarpeias itur in arces   et populus festo concolor ipse suo est iamque novi praeeunt fasces, nova purpura fulget   et nova conspicuum pondera sentit ebur. Colla rudes operum praebent ferienda iuvenci,   quos aluit campis herba Falisca suis. Iuppiter arce sua totum cum spectat in orbem,   nil nisi Romanum, quod tueatur, habet. Salve, laeta dies, meliorque revertere semper,   a populo rerum digna potente coli! Quem tamen esse deum te dicam, Iane biformis?   Nam tibi par nullum Graecia numen habet. Ede simul causam: Cur de caelestibus unus,   sitque quod a tergo sitque quod ante, vides? Haec ego cum sumptis agitarem mente tabellis,   lucidior visa est, quam fuit ante, domus. Tum sacer ancipiti mirandus imagine Ianus   bina repens oculis obtulit ora meis. Extimui sensique metu riguisse capillos   et gelidum subito frigore pectus erat. Ille tenens baculum dextra clavemque sinistra   edidit hos nobis ore priore sonos: “Disce metu posito, vates operose dierum,   quod petis, et voces percipe mente meas! Me Chaos antiqui (nam sum res prisca) vocabant:   aspice, quam longi temporis acta canam! Lucidus hic aer et quae tria corpora restant,   ignis, aquae, tellus, unus acervus erat.

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Man geht in reiner Kleidung zur tarpeischen29 Burganlage 80 und das Volk selbst trägt dieselbe Farbe wie sein Fest, und schon schreiten die neuen Fasces voran30, der neue Purpur glänzt und der stattliche Elfenbeinstuhl31 spürt das neue Gewicht.32 Es bieten ihren Nacken zur Opferung Jungstiere, unerfahren in der Feldarbeit, dar, die faliscisches33 Gras auf seinen Feldern nährte. 85 Immer wenn Iuppiter von seiner Burg aus auf den ganzen Erdkreis herabschaut, hat er nur Römisches, was er anschauen könnte. Sei gegrüßt, glückverheißender Tag, und kehre immer besser wieder, der du würdig bist, vom Volk, das über alle Dinge herrscht, verehrt zu werden!

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Als welchen Gott soll ich dich jedoch bezeichnen, zweigestaltiger Ianus? Denn Griechenland hat keine Gottheit, die dir entspricht. Nenn’ auch zugleich den Grund: Warum siehst du als Einziger von den Göttern im Himmel, sowohl was hinter deinem Rücken als auch was vor dir ist? Als ich die Schreibtäfelchen zur Hand genommen hatte und dies in meinem Geiste erwog, schien mir das Haus heller zu sein, als es vorher war. Da zeigte plötzlich der heilige Ianus, bewundernswert wegen seiner zweifachen Gestalt, meinen Augen seine beiden Gesichter. Ich erschrak sehr und spürte, dass sich meine Haare vor Angst sträubten, und plötzlich war mein Herz eiskalt. Jener hielt einen Stab mit der rechten Hand und einen Schlüssel mit der linken und verkündete mir mit dem vorderen Mund folgende Worte: „Dichter, der du dich mit den Tagen beschäftigst, leg deine Furcht ab, erfahre, was du wissen willst, und nimm im Geiste meine Worte auf! Die Altvorderen nannten mich Chaos34 (ich bin nämlich ein altes Geschöpf): Sieh, Geschehnisse einer wie lang Zeit ich besinge! Diese klare Luft und die drei Elemente35, die übrig sind, Feuer, Wasser und Erde, waren eine einzige unförmige Masse.

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Ut semel haec rerum secessit lite suarum   inque novas abiit massa soluta domos, flamma petit altum, propior locus aera cepit,   sederunt medio terra fretumque solo. Tunc ego, qui fueram globus et sine imagine moles,   in faciem redii dignaque membra deo. Nunc quoque, confusae quondam nota parva figurae,   ante quod est in me postque, videtur idem. Accipe, quaesitae quae causa sit altera formae,   hanc simul ut noris officiumque meum! Quicquid ubique vides, caelum, mare, nubila, terras,   omnia sunt nostra clausa patentque manu. Me penes est unum vasti custodia mundi   et ius vertendi cardinis omne meum est. Cum libuit Pacem placidis emittere tectis,   libera perpetuas ambulat illa vias. Sanguine letifero totus miscebitur orbis,   ni teneant rigidae condita bella serae. Praesideo foribus caeli cum mitibus Horis   (it, redit officio Iuppiter ipse meo): inde vocor Ianus; cui cum Ceriale sacerdos   imponit libum farraque mixta sale, nomina ridebis: modo namque Patulcius idem   et modo sacrifico Clusius ore vocor. Scilicet alterno voluit rudis illa vetustas   nomine diversas significare vices. Vis mea narrata est; causam nunc disce figurae;   iam tamen hanc aliqua tu quoque parte vides. Omnis habet geminas, hinc atque hinc, ianua frontes,   e quibus haec populum spectat, at illa Larem, utque sedens primi vester prope limina tecti   ianitor egressus introitusque videt,

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Sobald diese Masse sich einmal aufgrund des Zwistes ihrer Einzelelemente getrennt hatte und aufgelöst zu neuen Wohnstätten gegangen war, strebte die Flamme in die Höhe, der benachbarte Raum nahm die Luft auf, Erde und Meer ließen sich in der Mitte nieder. Damals kam ich, der ich eine Kugel und Masse ohne Gestalt gewesen war, zu meinem Antlitz und den Gliedern, die eines Gottes würdig sind. Auch jetzt – ein kleines Merkmal meiner einst konfusen Form – scheint dasselbe zu sein, was an mir vorn und hinten ist. Vernimm, welcher der andere Grund für die Gestalt ist, nach der du fragtest, damit du zugleich diese und meine Aufgabe kennenlernst! Was auch immer du überall siehst, Himmel, Meer, Wolken und Länder, alles ist durch meine Hand geschlossen und steht offen. In meiner Macht allein befindet sich der Schutz der unermesslichen Welt und mein ist jegliches Recht, die Weltachse zu drehen. Wenn es mir beliebt, die Pax aus den friedlichen Häusern hinauszuschicken, schweift jene ungehindert auf endlosen Straßen herum. Der Erdkreis wird von todbringendem Blut ganz getränkt sein, wenn nicht die Riegel unnachgiebig die Kriege eingesperrt halten.36 Mit den mildgestimmten Horen37 wache ich über die Tore des Himmels (Iuppiter selbst kommt und geht , wenn ich meinen Dienst verrichte): Daher werde ich Ianus genannt; wenn der Priester mir Getreidekuchen und mit Salz gemischtes Mehl darbringt, wirst du dich über die Namen amüsieren: denn bald werde ich, ein und dieselbe Person, durch den Mund des Opferpriesters Patulcius38 und bald Clusius39genannt. Natürlich wollte jene ungebildete alte Zeit durch die wechselnden Namen meine verschiedenen Aufgaben bezeichnen. Mein Machtbereich ist erzählt; nun erfahre den Grund meiner Gestalt; gleichwohl erkennst auch du diese schon zu einem gewissen Teil. Jede Tür hat zwei Fronten, eine auf dieser und eine auf jener Seite, von denen diese auf das Volk schaut, jene jedoch auf den Lar40, wie euer Türhüter, der an der Schwelle ganz vorn im Hause sitzt, sieht, wer ein- und ausgeht,

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sic ego perspicio, caelestis ianitor aulae,   Eoas partes Hesperiasque simul. Ora vides Hecates in tres vertentia partes,   servet ut in ternas compita secta vias: et mihi, ne flexu cervicis tempora perdam,   cernere non moto corpore bina licet.“ Dixerat: et voltu, si plura requirere vellem,   difficilem mihi se non fore fassus erat. Sumpsi animum gratesque deo non territus egi   verbaque sum spectans pauca locutus humum: “Dic, age, frigoribus quare novus incipit annus,   qui melius per ver incipiendus erat? Omnia tunc florent, tunc est nova temporis aetas   et nova de gravido palmite gemma tumet et modo formatis operitur frondibus arbor   prodit et in summum seminis herba solum et tepidum volucres concentibus aera mulcent   ludit et in pratis luxuriatque pecus. Tum blandi soles ignotaque prodit hirundo   et luteum celsa sub trabe figit opus. Tum patitur cultus ager et renovatur aratro.   Haec anni novitas iure vocanda fuit.” Quaesieram multis; non multis ille moratus   contulit in versus sic sua verba duos: “Bruma novi prima est veterisque novissima solis:   principium capiunt Phoebus et annus idem.” Post ea mirabar, cur non sine litibus esset   prima dies. “Causam percipe!”, Ianus ait. “Tempora commisi nascentia rebus agendis,   totus ab auspicio ne foret annus iners.

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so überblicke ich, der Türhüter der himmlischen Residenz, 140 die Gebiete im Osten und im Westen zugleich. Du siehst, wie sich die Gesichter der Hecate41 nach drei Seiten wenden, damit sie die Scheidewege, die sich in drei Straßen aufteilen, überwacht: auch mir ist es erlaubt, zweierlei zu sehen, ohne dass ich meinen Körper bewege, damit ich keine Zeit beim Drehen des Halses verliere.“ 145 Er hatte zu Ende gesprochen: und er hatte durch seine Miene zu erkennen gegeben, dass er mir keine Schwierigkeiten bereiten würde, wenn ich mich nach mehr erkundigen wollte. Ich fasste Mut und dankte unerschrocken dem Gott und sprach mit gesenktem Blick wenige Worte: „Wohlan, sprich: Warum beginnt das neue Jahr mit frostigen Temperaturen, 150 das doch besser mit Frühling zu beginnen wäre? Dann blüht alles, dann gibt es die neue Jahreszeit, und die neue Knospe wächst prall aus dem fruchtbaren Weinstock heraus, und der Baum bedeckt sich mit eben erst gebildetem Laub und die junge Saat sprießt an der Erdoberfläche hervor, 155 und die Vögel bezaubern mit ihrem Gesang die laue Luft, und das Vieh spielt auf den Wiesen und springt dort umher. Dann zeigen sich lockende Sonnenstrahlen und die fast schon vergessene Schwalbe und befestigt ihr Nest aus Lehm hoch unter dem Dachbalken. Dann lässt der Acker die Landwirtschaft zu und wird vom Pflug neu umgegraben. 160 Diese Zeit hätte zu Recht „Neujahr“ genannt werden sollen.“ Gefragt hatte ich mit vielen Worten; nicht mit vielen Worten fasste jener ohne zu zögern seine Antwort so in zwei Verse zusammen: „Die Wintersonnenwende42 ist der erste Tag des neuen und der letzte des alten Sonnenjahres: Phoebus43 und das Jahr haben denselben Anfang.“ 165 Nach diesen Worten wunderte ich mich, warum der erste Tag nicht frei von Rechtstreitigkeiten ist. „Vernimm nun den Grund!“, sagte Ianus. „Ich habe das neugeborene Jahr mit Rechtsgeschäften in Verbindung gebracht, damit das ganze Jahr nicht vom Symbolgehalt des Anfangs her träge werde.

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Quisque suas artes ob idem delibat agendo   nec plus quam solitum testificatur opus.” Mox ego: “Cur, quamvis aliorum numina placem,   Iane, tibi primum tura merumque fero?” “Ut possis aditum per me, qui limina servo,   ad quoscumque voles”, inquit, “habere deos.” “At cur laeta tuis dicuntur verba Kalendis   et damus alternas accipimusque preces?” Tum deus incumbens baculo, quod dextra gerebat,   “omina principiis”, inquit, “inesse solent. Ad primam vocem timidas advertitis aures   et visam primum consulit augur avem. Templa patent auresque deum nec lingua caducas   concipit ulla preces dictaque pondus habent.” Desierat Ianus. Nec longa silentia feci,   sed tetigi verbis ultima verba meis: “Quid volt palma sibi rugosaque carica”, dixi,   “et data sub niveo condita mella cado?” “Omen”, ait, “causa est, ut res sapor ille sequatur   et peragat coeptum dulcis ut annus iter.” “Dulcia cur dentur, video: stipis adice causam,   pars mihi de festo ne labet ulla tuo!” Risit et “o quam te fallunt tua saecula”, dixit,   “qui stipe mel sumpta dulcius esse putes! Vix ego Saturno quemquam regnante videbam,   cuius non animo dulcia lucra forent. Tempore crevit amor, qui nunc est summus, habendi:   vix ultra, quo iam progrediatur, habet. Pluris opes nunc sunt quam prisci temporis annis,   dum populus pauper, dum nova Roma fuit,

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Deshalb kostet ein jeder sozusagen durch sein Handeln sein Metier 170 und legt lediglich Zeugnis von seiner gewohnten Arbeit ab.“ Daraufhin fragte ich: „Warum bringe ich dir, Ianus, zuerst44 Weihrauchkörner und ungemischten Wein herbei, auch wenn ich die Wesen anderer Götter besänftigen möchte?“ Er sagt: „Damit du durch mich, der ich die Schwellen hüte, den Zugang zu allen Göttern hast, zu denen du es willst.“ 175 „Doch warum werden an deinen Kalenden glückverheißende Worte gesprochen und warum äußern wir einander gute Wünsche und nehmen sie entgegen?“ Da antwortet der Gott an seinen Stab gelehnt, den seine rechte Hand hielt: „Besondere Vorbedeutung wohnt gewöhnlich den Anfängen inne.45 Dem ersten Wort wendet ihr eure ängstlichen Ohren zu 180 und der Augur zieht den Vogel zu Rate, den er zuerst sieht. Die Tempel und die Ohren der Götter stehen offen und keine Zunge spricht vergebliche Gebete und die Worte haben Gewicht.“ Ianus hatte beendet. Und ich blieb nicht lange still, sondern schloss mit meinen Worten direkt an seine letzten Worte an: 185 „Was hat die Dattel und die runzlige Feige zu bedeuten?“ fragte ich, „und der Honig, der verborgen in einem schneeweißen Krug gereicht wird?“46 Er sagt: „Das Vorzeichen ist der Grund dafür, dass jener Geschmack dem Lauf der Dinge folgen und dass das Jahr süß den begonnenen Weg vollenden soll.“ „Warum Süßigkeiten gereicht werden, sehe ich ein: Füg den Grund für das Geldgeschenk hinzu, 190 damit mir nicht irgendein Teil von deinem Fest ungewiss bleibt!“ Er lachte und sagte: „O wie wenig weißt du über dein Jahrhundert, wenn du glaubst, Honig sei süßer als ein angenommenes Geldgeschenk! unter Saturns Herrschaft47 sah ich kaum einen, für dessen Gemüt Gewinn nicht süß war. 195 Die Gier nach Besitz, die nun auf ihrem Höhepunkt ist, wuchs mit der Zeit: sie hat beinahe nichts, wohin sie noch weiter fortschreiten könnte. Reichtum gilt heutzutage mehr als in den Jahren der alten Zeit solange als das Volk arm, solange als Rom jung war,

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dum casa Martigenam capiebat parva Quirinum   et dabat exiguum fluminis ulva torum. Iuppiter angusta vix totus stabat in aede   inque Iovis dextra fictile fulmen erat. Frondibus ornabant, quae nunc Capitolia gemmis,   pascebatque suas ipse senator oves: nec pudor in stipula placidam cepisse quietem   et fenum capiti subposuisse fuit. Iura dabat populis posito modo praetor aratro   et levis argenti lammina crimen erat. At postquam Fortuna loci caput extulit huius   et tetigit summo vertice Roma deos, creverunt et opes et opum furiosa cupido   et, cum possideant plurima, plura petunt. Quaerere, ut absumant, absumpta requirere certant   atque ipsae vitiis sunt alimenta vices: sic quibus intumuit suffusa venter ab unda,   quo plus sunt potae, plus sitiuntur aquae. In pretio pretium nunc est: dat census honores,   census amicitias; pauper ubique iacet. Tu tamen auspicium si sit stipis utile, quaeris,   curque iuvent nostras aera vetusta manus, aera dabant olim: melius nunc omen in auro est   victaque concessit prisca moneta novae. Nos quoque templa iuvant, quamvis antiqua probemus,   aurea: maiestas convenit ista deo. Laudamus veteres, sed nostris utimur annis:   mos tamen est aeque dignus uterque coli.“

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solange als eine kleine Hütte48 groß genug für Quirinus49, den Sprössling des Mars, war und des Flusses Schilf ein spärliches Lager gewährte. Iuppiter konnte kaum in voller Größe in dem beengten Tempel stehen und in Iuppiters Rechter befand sich ein Blitz aus Ton. Man schmückte mit Laubwerk die capitolinischen Gebäude, die nun mit Edelsteinen geschmückt sind, und der Senator ließ selbst seine Schafe weiden: Und es gab keine Scham, sich friedliche Ruhe im Stroh ausgesucht und sein Haupt auf Heu gebettet zu haben. Nachdem der Praetor50 eben erst den Pflug beiseitegelegt hatte, sprach er für die Bevölkerung Recht und eine dünne Platte aus Silber war ein Anklagepunkt. Aber nachdem die Fortuna51 dieses Ortes ihr Haupt erhoben und Rom mit seinem Scheitel hoch oben die Götter erreicht hatte, nahmen Reichtum und rasende Gier nach Reichtum zu und man erstrebt noch mehr, obwohl man das meiste schon besitzt. Man kämpft darum, sich zu verschaffen, um ihn auszugeben, was man ausgegeben hat, wiederzuerlangen und die Wechselfälle selbst sind ein Nährboden für Laster: So lechzen die, denen der Bauch von eingeschlürftem üppigen Getränk angeschwollen ist, umso mehr nach Wasser, je mehr sie getrunken haben. Wert hat heutzutage nur Geld: das Vermögen verschafft Ehrenämter, das Vermögen Freundschaften; überall liegt der Arme am Boden niedergestreckt. Dennoch fragst du, ob der Symbolgehalt des Geldgeschenkes einen Nutzen hat und warum altes Kupfergeld unsere Hände erfreut. Kupfer gab man früher: heutzutage wohnt dem Gold ein besseres Vorzeichen inne und die alte Münze machte verdrängt der neuen Platz. Auch uns gefallen goldene Tempel, obwohl wir auch die alten akzeptieren: Solcher Glanz passt zu einem Gott. Wir loben die alten Jahre, aber wir erfreuen uns an den neuen: dennoch verdienen es beide Bräuche gleichermaßen gepflegt zu werden.“

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Finierat monitus. Placidis ita rursus, ut ante,   clavigerum verbis adloquor ipse deum: “Multa quidem didici: Sed cur navalis in aere   altera signata est, altera forma biceps?” “Noscere me duplici posses ut imagine”, dixit,   “ni vetus ipsa dies extenuasset opus. Causa ratis superest: Tuscum rate venit ad amnem   ante pererrato falcifer orbe deus. Hac ego Saturnum memini tellure receptum   (caelitibus regnis a Iove pulsus erat). Inde diu genti mansit Saturnia nomen;   dicta quoque est Latium terra latente deo. At bona posteritas puppem formavit in aere,   hospitis adventum testificata dei. Ipse solum colui, cuius placidissima laevum   radit harenosi Thybridis unda latus. Hic, ubi nunc Roma est, incaedua silva virebat   tantaque res paucis pascua bubus erat. Arx mea collis erat, quem volgo nomine nostro   nuncupat haec aetas Ianiculumque vocat. Tunc ego regnabam, patiens cum terra deorum   esset et humanis numina mixta locis. Nondum Iustitiam facinus mortale fugarat   (ultima de superis illa reliquit humum) proque metu populum sine vi pudor ipse regebat;   nullus erat iustis reddere iura labor. Nil mihi cum bello: pacem postesque tuebar   et”, clavem ostendens, “haec”, ait, “arma gero.” Presserat ora deus. Tunc sic ego nostra resolvi   voce mea voces eliciente dei:

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Er hatte seine Ermahnungen beendet. Ich selbst spreche den schlüsseltragenden Gott mit freundlichen Worten wieder so an, wie vorher: „Viel habe ich gewiss gelernt: Aber warum ist die eine Abbildung auf der Kupfermünze als Schiff, die andere als Doppelkopf geprägt?“52 Er sagte: „Damit du mich anhand des doppelköpfigen Bildes erkennen kannst, wenn die Dauer der Zeit selbst nicht das alte Erzeugnis abgerieben hat. Übrig bleibt der Grund für das Schiff: Zum tuscischen Strom53 kam auf einem Schiff der sicheltragende Gott54, nachdem er vorher den Erdkreis durchwandert hatte. Ich erinnere mich, dass Saturn von diesem Land empfangen wurde; aus den himmlischen Sphären war er von Iuppiter verbannt worden. Daher blieb dem Volk lange der Name „Saturnier“ erhalten; das Land wurde auch Latium genannt, weil der Gott sich dort verborgen hielt.55 Die rechtschaffene Nachwelt jedoch prägte ein Schiff in die Kupfermünze und bezeugte somit die Ankunft des fremden Gottes. Ich selbst bewohnte den Boden56, dessen linke Seite die ganz sanfte Welle des sandigen Thybris57 bespült. Hier, wo sich heutzutage Rom befindet, grünte ein unbehauener Wald, und dieses so bedeutende Gebiet diente als Weideland für ein paar Rinder. Meine Burg war der Hügel, den dieses Zeitalter gewöhnlich mit meinem Namen benennt und als „Ianiculum“ bezeichnet. Damals regierte ich, als die Erde empfänglich für Götter war und die Götter sich Orten der Menschen zugesellten. Noch hatte Iustitia menschliches Verbrechen nicht verscheucht, als Letzte von den Göttern verließ jene den Erdboden; und statt Furcht regierte das Schamgefühl selbst gewaltlos das Volk; es stellte keine Mühe dar, für Gerechte Recht zu sprechen. Nichts hatte ich mit Krieg zu schaffen: Frieden und Tore hütete ich, und diese Waffen trage ich“, sagte er und zeigt dabei den Schlüssel vor.

255 Der Gott hatte die Lippen zusammengepresst. So öffnete ich dann die meinen, und meine Stimme versuchte, die Worte des Gottes hervorzulocken:

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“Cum tot sint iani, cur stas sacratus in uno,   hic ubi iuncta foris templa duobus habes?” Ille manu mulcens propexam ad pectora barbam   protinus Oebalii rettulit arma Tati, utque levis custos armillis capta Sabinos   ad summae tacitos duxerit arcis iter. “Inde, velut nunc est, per quem descenditis”, inquit,   “arduus in valles per fora clivus erat. Et iam contigerat portam, Saturnia cuius   dempserat oppositas invidiosa seras, cum tanto veritus committere numine pugnam,   ipse meae movi callidus artis opus oraque, qua pollens ope sum, fontana reclusi   sumque repentinas eiaculatus aquas. Ante tamen madidis subieci sulpura venis,   clauderet ut Tatio fervidus umor iter. Cuius ut utilitas pulsis percepta Sabinis,   quae fuerat, tuto reddita forma loco est; ara mihi posita est parvo coniuncta sacello:   haec adolet flammis cum strue farra suis.” “At cur pace lates motisque recluderis armis?”   Nec mora, quaesiti reddita causa mihi est: “Ut populo reditus pateant ad bella profecto,   tota patet dempta ianua nostra sera. Pace fores obdo, ne qua discedere possit;   Caesareoque diu numine clausus ero.” Dixit et attollens oculos diversa videntes   aspexit toto quicquid in orbe fuit: pax erat et vestri, Germanice, causa triumphi:   tradiderat famulas iam tibi Rhenus aquas.

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„Wenn es doch so viele Ianusbögen gibt, warum stehst du hier an dem einen verehrt, wo du einen Tempel hast, der mit zwei Foren verbunden ist?“58 Jener kraulte mit der Hand seinen Bart, der bis zur Brust hinabfiel, und erzählte sofort von den Kriegstaten des oebalischen Tatius59, wie die Hüterin60 durch Armreife bestochen leichtfertig die stillen Sabiner zum Weg zur hoch oben befindlichen Burg geführt habe. Er erklärte: „Von dort gab es einen steilen Weg in die Täler über die Foren, auf dem ihr heutzutage noch hinabsteigt. Und schon hatte sie das Tor erreicht, dessen vorgeschobene Riegel die gehässige Tochter Saturns61 weggenommen hatte, als ich selbst aus Furcht, mit einer so großen Gottheit kämpfen zu müssen, ein Produkt der mir eigentümlichen Geschicklichkeit raffiniert hervorbrachte und mit aller Kraft, über die ich verfüge, die Quellenmündungen öffnete und plötzlich Wassermassen hervorschießen ließ. Vorher habe ich jedoch den Wasseradern Schwefel untergemischt, sodass eine heiße Flut dem Tatius den Weg versperrte. Als deren Nützlichkeit durch die Vertreibung der Sabiner klar zutage trat, wurde dem sicheren Ort das Aussehen zurückgegeben, wie es gewesen war; mir wurde ein Altar errichtet, verbunden mit einem kleinen Heiligtum: dieser verbrennt mit seinen Flammen Opferschrot mit Gebäck.“ „Aber warum hältst du dich im Frieden verborgen und öffnest dich wieder, wenn man zu den Waffen greift?“ Und ohne Zögern wurde mir die Erklärung für das Gefragte gegeben: „Damit dem Volk, das in den Krieg gezogen ist, die Rückkehr offensteht, ist meine Tür ganz geöffnet, wenn der Riegel entfernt ist. Im Frieden verschließe ich die Türflügel, damit er nicht irgendwohin verschwinden kann; und ich werde lange verschlossen bleiben, weil es Caesars (Augustus’) göttlicher Wille ist.“ Sprach’s, hob die Augen, die in entgegengesetzte Richtungen schauten, und erblickte, was auch immer auf dem ganzen Erdkreis war: Es herrschte Frieden und es gab einen Grund für euren Triumphzug, Germanicus62: der Rhein hatte dir schon seine Wassermassen als Diener übergeben.

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Iane, fac aeternos pacem pacisque ministros   neve suum praesta deserat auctor opus! Quod tamen ex ipsis licuit mihi discere fastis,   sacravere patres hac duo templa die. Accepit Phoebo nymphaque Coronide natum   insula, dividua quam premit amnis aqua. Iuppiter in parte est: cepit locus unus utrumque   iunctaque sunt magno templa nepotis avo.

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CC Quid vetat et stellas, ut quaeque oriturque caditque,   dicere? Promissi pars sit et ista mei. Felices animae, quibus haec cognoscere primis   inque domos superas scandere cura fuit! Credibile est illos pariter vitiisque locisque   altius humanis exseruisse caput. Non Venus et vinum sublimia pectora fregit   officiumque fori militiaeve labor; nec levis ambitio perfusaque gloria fuco   magnarumque fames sollicitavit opum. Admovere oculis distantia sidera nostris   aetheraque ingenio subposuere suo. Sic petitur caelum, non ut ferat Ossan Olympus   summaque Peliacus sidera tangat apex. Nos quoque sub ducibus caelum metabimur illis   ponemusque suos ad vaga signa dies. Ergo ubi nox aderit venturis tertia Nonis   sparsaque caelesti rore madebit humus, octipedis frustra quaerentur bracchia Cancri:   praeceps occiduas ille subibit aquas.

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Ianus, verleih dem Frieden und den Dienern des Friedens ewige Dauer und gewähre, dass der Urheber sein Werk niemals aufgibt! Dies war mir jedoch vergönnt, aus den Fasten selbst zu lernen: 290 Zwei Tempel haben die Väter an diesem Tag geweiht. Den Sprössling des Phoebus und der Nymphe Coronis63 nahm die Insel in Empfang, die der Strom mit seinem geteilten Wasser bedrängt.64 Auf einer Seite ist Iuppiter: ein und derselbe Ort nahm beide auf und der Tempel des Enkels ist mit dem seines mächtigen Großvaters verbunden.65 3. Januar 295 Was verbietet , auch die Sterne zu besprechen, wie jeder einzelne auf- und wieder untergeht? Auch das soll ein Teil meines Versprechens sein. Glücklich sind die Seelen, denen es als Ersten am Herzen lag, dies zu erkennen und zu den himmlischen Wohnstätten aufzusteigen! Es ist glaubhaft, dass jene ihr Haupt gleichermaßen höher über 300 menschliche Verfehlungen und Bereiche erhoben. Nicht Venus und Wein schwächten erhabene Herzen und nicht der Dienst auf dem Forum oder die Mühe des Kriegsdienstes; auch leichtfertiger Ehrgeiz und mit Purpur getränkter Ruhm und der Hunger nach großem Reichtum verführten sie nicht. 305 Sie brachten die weit entfernten Gestirne unseren Augen nahe und sie unterwarfen den Aether ihrem Intellekt. So strebt man zum Himmel, nicht so, dass der Olymp66 die Ossa67 trägt und der Gipfel des Pelion68 die höchsten Sterne berührt. Auch wir werden unter deren Anleitung den Himmel durchwandern 310 und wir werden den unsteten Sternbildern die ihnen eigentümlichen Tage zuweisen. Sobald also die dritte Nacht vor den herannahenden Nonen anbrechen und der Erdboden feucht sein wird, besprengt mit himmlischen Tau, wird man nach den Scheren des achtfüßigen Krebses vergeblich Ausschau halten: Kopfüber wird jener in die Wasser des Westens eintauchen.

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E NON F Institerint Nonae, missi tibi nubibus atris   signa dabunt imbres exoriente Lyra.

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A AGON NP Quattuor adde dies ductos ex ordine Nonis,   Ianus Agonali luce piandus erit. Nominis esse potest succinctus causa minister,   hostia caelitibus quo feriente cadit, qui calido strictos tincturus sanguine cultros   semper agatne rogat nec nisi iussus agit. Pars, quia non veniant pecudes, sed agantur, ab actu   nomen Agonalem credit habere diem. Pars putat hoc festum priscis Agnalia dictum,   una sit ut proprio littera dempta loco. An, quia praevisos in aqua timet hostia cultros,   a pecoris lux est ipsa notata metu? Fas etiam fieri solitis aetate priorum   nomina de ludis Graeca tulisse diem. Et pecus antiquus dicebat agonia sermo;   veraque iudicio est ultima causa meo. Utque ea non certa est, ita rex placare sacrorum   numina lanigerae coniuge debet ovis. Victima quae dextra cecidit victrice, vocatur;   hostibus a domitis hostia nomen habet. Ante, deos homini quod conciliare valeret,   far erat et puri lucida mica salis.

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5. Januar 315 Dass die Nonen da sind, werden dir aus schwarzen Wolken entsandte Regenfluten Hinweise geben, dann geht auch die Leier auf. 9. Januar Vier Tage zähle der Reihe nach zu den Nonen hinzu, dann wird Ianus am Tag der Agonalien69 zu besänftigen sein. Der Grund für den Namen kann der gegürtete Gehilfe sein, 320 unter dessen Hieb das Opfertier für die himmlischen Götter fällt und der, kurz bevor er das gezückte Messer mit warmem Blut tränkt, immer fragt, ob er es tun soll, und es nur tut, wenn es ihm befohlen wird. Ein Teil glaubt, der Tag habe den Namen „Agonalia“ vom Führen her, weil das Kleinvieh nicht komme, sondern herbeigeführt werde. 325 Ein Teil glaubt, dass dieser Festtag in den alten „Agnalia“ genannt worden sei, sodass ein Buchstabe von seinem eigentlichen Platz weggenommen worden sei. Oder ist der Tag selbst von der Furcht des Viehs her bezeichnet worden, weil das Opfertier das Messer fürchtet, das es vorher im Wasser sah? Es ist auch möglich, dass der Tag einen griechischen Namen von den Spielen 330 bekommen haben könnte, die zur Zeit der Vorfahren stattzufinden pflegten. Und die altertümliche Sprache bezeichnete das Kleinvieh als agonia; und der letzte Grund ist nach meinem Urteil der wahre. Zwar ist dieser Grund nicht sicher , aber der Opferkönig70 muss die Gottheiten mit dem Gatten des wolltragenden Schafes besänftigen. 335 Victima71 wird genannt, was durch die siegreiche Rechte gefallen ist; hostia72 bekommt seinen Namen von den bezwungenen Feinden. Früher gab es Opferspelt und ein strahlend weißes Körnchen puren Salzes, was die Götter für den Menschen zu gewinnen vermochte.

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Nondum pertulerat lacrimatas cortice murras   acta per aequoreas hospita navis aquas, tura nec Euphrates nec miserat India costum   nec fuerant rubri cognita fila croci. Ara dabat fumos herbis contenta Sabinis   et non exiguo laurus adusta sono; siquis erat, factis prati de flore coronis   qui posset violas addere, dives erat. Hic, qui nunc aperit percussi viscera tauri,   in sacris nullum culter habebat opus. Prima Ceres avidae gavisa est sanguine porcae,   ulta suas merita caede nocentis opes: nam sata vere novo teneris lactentia sulcis   eruta saetigerae comperit ore suis. Sus dederat poenas: exemplo territus huius   palmite debueras abstinuisse, caper. Quem spectans aliquis dentes in vite prementem,   talia non tacito dicta dolore dedit: “Rode, caper, vitem! Tamen hinc, cum stabis ad aram,   in tua quod spargi cornua possit, erit.” Verba fides sequitur: noxae tibi deditus hostis   spargitur adfuso cornua, Bacche, mero. Culpa sui nocuit, nocuit quoque culpa capellae:   Quid bos, quid placidae commeruistis oves? Flebat Aristaeus, quod apes cum stirpe necatas   viderat inceptos destituisse favos; caerula quem genetrix aegre solata dolentem   addidit haec dictis ultima verba suis: “Siste, puer, lacrimas! Proteus tua damna levabit,   quoque modo repares quae periere, dabit.

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Noch nicht hatte ein fremdes Schiff, durch die Wassermassen des Meeres getrieben, die Myrrhe, die tränengleich aus der Rinde tropft, hergebracht, weder hatte der Euphrat Weihrauchkörner noch Indien Balsam geschickt und die Fäden des rötlichen Krokus waren auch noch nicht bekannt. Der Altar gab, zufrieden mit sabinischen Kräutern, Rauch von sich und der Lorbeer wurde mit lautem Knistern verbrannt; wenn es jemanden gab, der den Kränzen aus Wiesenblumen Veilchen einflechten konnte, dann war der reich. Dieses Messer, das heutzutage die Eingeweide des durchbohrten Stieres offenlegt, hatte bei den religiösen Handlungen keine Aufgabe. Ceres freute sich als Erste über das Blut der unersättlichen Sau und rächte ihre Schätze durch den verdienten Tod des Schädlings: Denn sie erfuhr, dass die saftigen Saaten im neuen Frühling von der Schnauze der borstentragenden Sau aus den frischen Furchen herausgewühlt worden waren. Die Sau hatte ihre Strafe erhalten: Durch deren Beispiel abgeschreckt, hättest du dich, Ziegenbock, vom Weinstock fernhalten sollen. Jemand erblickte ihn, wie er seine Zähne in den Weinstock schlug, und gab solche Worte mit lautem Ärger von sich: „Ziegenbock, knabber am Weinstock! Wenn du am Altar stehen wirst, wird es jedoch von diesem etwas geben, was auf deine Hörner gespritzt werden kann.“ Die Erfüllung folgt den Worten auf dem Fuße: Der Feind wurde dir zur Bestrafung ausgeliefert, Bacchus, und er wird mit purem Wein besprengt, der über seine Hörner ausgegossen wird. Die Schuld wurde der Sau zum Verhängnis, zum Verhängnis auch wurde die Schuld der Ziege: Was hast du, Rind, was habt ihr, friedliche Schafe, euch zu Schulden kommen lassen? Aristaeus73 weinte, weil er gesehen hatte, dass die Bienen, mit ihrer Nachkommenschaft getötet, die begonnenen Waben im Stich gelassen hatten; ihn konnte die aquamarinfarbene Mutter74 in seiner Pein kaum trösten und fügte diese als letzte Worte dem Gesagten hinzu: „Knabe, hemme deine Tränen! Proteus75 wird deinen Schaden lindern und wird aufzeigen, wie du wiedergewinnen kannst, was verloren ging.

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Decipiat ne te versis tamen ille figuris,   impediant geminas vincula firma manus!” Pervenit ad vatem iuvenis resolutaque somno   alligat aequorei bracchia capta senis. Ille sua faciem transformis adulterat arte;   mox domitus vinclis in sua membra redit oraque caerulea tollens rorantia barba   “qua”, dixit, “repares arte, requiris, apes? Obrue mactati corpus tellure iuvenci:   quod petis a nobis, obrutus ille dabit.” Iussa facit pastor; fervent examina putri   de bove: mille animas una necata dedit. Poscit ovem fatum: verbenas improba carpsit,   quas pia dis ruris ferre solebat anus. Quid tuti superest, animam cum ponat in aris   lanigerumque pecus ruricolaeque boves? Placat equo Persis radiis Hyperiona cinctum,   ne detur celeri victima tarda deo. Quod semel est geminae pro virgine caesa Dianae,   nunc quoque pro nulla virgine cerva cadit. Exta canum vidi Triviae libare Sapaeos   et quicumque tuas accolit, Haeme, nives. Caeditur et rigido custodi ruris asellus;   causa pudenda quidem, sed tamen apta deo. Festa corymbiferi celebrabas, Graecia, Bacchi,   tertia quae solito tempore bruma refert. Di quoque cultores in idem venere Lyaei   et quicumque iocis non alienus erat,

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Damit jener dich jedoch nicht durch eine Verwandlung seines Aussehens in die Irre führt, sollen stramme Fesseln seine beiden Hände behindern!“ Der junge Mann gelangt zu dem Seher, er ergreift die im Schlaf erschlafften Arme des Meergreises und bindet sie fest. Wandelbar verfälscht er mit der ihm eigenen Geschicklichkeit sein Aussehen; überwältigt durch die Fesseln, kehrt er bald wieder in seine Glieder zurück, hob sein triefendes Gesicht mit dem bläulichen Bart und sagte: „Du willst wissen, mit welchem Kunstgriff du die Bienen wiedergewinnen kannst? Bedecke den Kadaver eines geschlachteten Jungstieres mit Erde: Was du von mir erbittest, das wird jener gewähren, wenn er vergraben worden ist.“ Der Hirte führt die Anweisung aus; Schwärme schwirren aus dem verwesenden Rind heraus: Ein getötetes Leben brachte tausend Leben hervor.76 Das Schicksal fordert ein Schaf ein: Dreist rupfte es die Kräuter aus, die eine fromme alte Frau üblicherweise den ländlichen Göttern darbrachte. Was bleibt an Sicherem über, wenn ihr Leben auf den Altären sowohl das wolltragende Schaf als auch die feldpflügenden Rinder lassen? Persien besänftigt mit einem Pferd den strahlengekrönten Hyperion, damit dem schnellen Gott nicht ein langsames Opfertier gegeben wird. Weil einmal für seine Zwillingsschwester Diana77 anstelle einer Jungfrau eine Hirschkuh geopfert wurde, fällt auch jetzt eine Hirschkuh, anstelle keiner Jungfrau. Ich habe gesehen, dass die Sapäer78 Eingeweide von Hunden der Trivia79 zum Opfer darbringen, und wer auch immer auf deinen Schneemassen wohnt, Haemus80. Auch dem steifen Bewacher der Flur wird geopfert ein Eselchen;81 gewiss muss man sich für den Grund schämen, aber er passt dennoch zu dem Gott.82 Die Festivitäten des efeutragenden Bacchus, die dritte Winter zur angestammten Zeit wiederbringt, begingst du gerade, Griechenland. Auch die Götter kamen als Verehrer des Lyaeus83 an denselben Ort und jeder, der Scherzen nicht abgeneigt war,

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Panes et in Venerem Satyrorum prona iuventus   quaeque colunt amnes solaque rura deae. Venerat et senior pando Silenus asello,   quique ruber pavidas inguine terret aves. Dulcia qui dignum nemus in convivia nacti   gramine vestitis accubuere toris: vina dabat Liber, tulerat sibi quisque coronam,   miscendas parce rivus agebat aquas. Naides effusis aliae sine pectinis usu,   pars aderant positis arte manuque comis; illa super suras tunicam collecta ministrat,   altera dissuto pectus aperta sinu; exserit haec umerum, vestes trahit illa per herbas,   impediunt teneros vincula nulla pedes. Hinc aliae Satyris incendia mitia praebent,   pars tibi, qui pinu tempora nexa geris. Te quoque, inexstinctae Silene libidinis, urunt:   nequitia est, quae te non sinit esse senem. At ruber, hortorum decus et tutela, Priapus   omnibus ex illis Lotide captus erat: hanc cupit, hanc optat, sola suspirat in illa   signaque dat nutu sollicitatque notis. Fastus inest pulchris sequiturque superbia formam:   inrisum voltu despicit illa suo. Nox erat et vino somnum faciente iacebant   corpora diversis victa sopore locis; Lotis in herbosa sub acernis ultima ramis,   sicut erat lusu fessa, quievit humo. Surgit amans animamque tenens vestigia furtim   suspenso digitis fert taciturna gradu. Ut tetigit niveae secreta cubilia nymphae,   ipsa sui flatus ne sonet aura, cavet;

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Pane84 und die Jugend der Satyrn, die Venus zugetan ist, und die Göttinnen, die Ströme und einsame Flure bewohnen85. Auch der recht alte Silenus86 war auf seinem Eselchen mit krummem Rücken gekommen und der Rote87, der mit seinem Glied die furchtsamen Vögel erschreckt. Als diese auf einen passenden Hain für ihre feuchtfröhlichen Gelage gestoßen waren, legten sie sich auf Liegen, die mit Gras ausgekleidet waren: Liber88 spendierte Weinsorten, ein jeder hatte einen Kranz für sich selbst dabei, ein Flüsschen führte Wassermassen, die sparsam vermischt werden sollten. Die Naiaden waren anwesend, teils ungekämmt mit offenen Haaren, teils mit kunstvoll hergerichteter Frisur; jene trägt auf, die Tunica bis über die Waden hochgesteckt, die andere, die Brust bei geöffnetem Gewandbausch zur Schau gestellt; diese entblößt ihre Schulter, jene zieht das Gewand durchs Gras, keine Schuhriemen behindern ihre zarten Füße. Aus diesem Grund erregen die einen den Satyrn sanft aufflackernde Liebesglut, der andere Teil dir, der du deine Schläfen mit Fichtenzweigen umkränzt hast. Sie entflammen auch dich, Silenus, mit deiner unstillbaren Begierde: Geilheit ist es, die dich nicht einen Greis sein lässt. Der rote Priapus jedoch, Zierde und Schutz der Gärten, war von jenen allen von Lotis89 gefesselt: Sie begehrt er, sie wünscht er sich, nach ihr allein schmachtet er und er gibt Zeichen durch Kopfbewegungen und versucht, sie durch Winken zu verlocken. Stolze Verachtung wohnt schönen Menschen inne und Hochmut folgt einer hübschen Gestalt auf dem Fuße: Jene verspottet ihn und schaut mit verächtlicher Miene auf ihn herab. Es war Nacht und, da der Wein Schlaf mit sich brachte, lagen die Körper, dem Schlummer erlegen, an verschiedenen Orten; erschöpft, wie sie vom Spiel war, ruhte Lotis ganz hinten auf dem grasigen Boden unter Ahornzweigen. Der Verliebte richtet sich auf, hält den Atem an und geht leisen Fußes verstohlen mit schwankendem Schritt auf Zehenspitzen . Sobald er das abseits gelegene Lager der schneeweißen Nymphe erreichte, passt er auf, dass sogar kein Hauch seines Atems vernehmbar ist;

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et iam finitima corpus librabat in herba:   illa tamen multi plena soporis erat. Gaudet et a pedibus tracto velamine vota   ad sua felici coeperat ire via. Ecce rudens rauco Sileni vector asellus   intempestivos edidit ore sonos. Territa consurgit nymphe manibusque Priapum   reicit et fugiens concitat omne nemus. At deus, obscena nimium quoque parte paratus,   omnibus ad lunae lumina risus erat. Morte dedit poenas auctor clamoris; et haec est   Hellespontiaco victima grata deo. Intactae fueratis aves, solacia ruris,   adsuetum silvis innocuumque genus, quae facitis nidos et plumis ova fovetis   et facili dulces editis ore modos; sed nihil ista iuvant, quia linguae crimen habetis   dique putant mentes vos aperire suas. (Nec tamen hoc falsum: nam, dis ut proxima quaeque,   nunc pinna veras, nunc datis ore notas.) Tuta diu volucrum proles tum denique caesa est   iuveruntque deos indicis exta sui. Ergo saepe suo coniunx abducta marito   uritur Idaliis alba columba focis. Nec defensa iuvant Capitolia, quo minus anser   det iecur in lances, Inachi lauta, tuas. Nocte deae Nocti cristatus caeditur ales,   quod tepidum vigili provocet ore diem. Interea Delphin clarum super aequora sidus   tollitur et patriis exserit ora vadis.

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und schon versuchte er, auf dem angrenzenden Stück Rasen den Körper auszubalancieren: 430 Jene aber schlief tief und fest. Er frohlockt, zieht das Kleid von den Füßen weg und fing an, auf beglückendem Weg zur seiner Wünsche zu gelangen. Siehe da, das Eselchen, das Reittier des Silenus, gab brüllend mit rauher Stimme zeitlich unpassende Laute von sich. 435 Erschrocken steht die Nymphe auf und stößt mit den Händen Priapus zurück und scheucht auf ihrer Flucht den gesamten Hain auf. Der Gott jedoch, nur allzu bereit mit seinem schamlosen Glied, war allen beim Mondlicht Gegenstand des Gelächters. Der Verursacher des Gebrülls wurde mit dem Tode bestraft; 440 und dies ist ein angenehmes Opfertier für den Gott vom Hellespont90. Ihr Vögel wart unangetastet gewesen, Tröster der Flur, ihr an die Wälder gewöhntes, harmloses Volk, die ihr Nester baut und eure Eier mit den Federn wärmt und mit angenehmer Stimme süße Weisen erklingen lasst; 445 aber das hilft nichts, weil man euch Schwatzhaftigkeit vorwirft und die Götter glauben, dass ihr ihre Gedanken offenbart. (Aber das ist auch nicht falsch: denn in dem Maße, wie ein jeder den Göttern am nächsten ist, gebt ihr wahre Zeichen bald durch die Feder, bald durch die Stimme.)91 Die lange Zeit sichere Brut der Vögel ist dann schließlich geopfert worden 450 und die Eingeweide ihres Verräters erfreuten die Götter. Deshalb wird oft das Weibchen von ihrem Männchen getrennt, die weiße Taube92, und auf den idalischen Herden verbrannt. Auch die Verteidigung der Capitolsgebäude hilft der Gans nicht93, dass sie nicht ihre Leber in deine Schüsseln legen muss, reine Tochter94 des Inachus. 455 Nachts wird für die Göttin Nox der Vogel mit dem Kamm geopfert, weil er mit wachsamer Stimme den milden Tag weckte. Inzwischen geht der Delfin, das helle Sternbild, über dem Meer auf und hebt das Gesicht aus den heimatlichen Fluten.

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B EN Postera lux hiemem medio discrimine signat   aequaque praeteritae, quae superabit, erit.

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C CAR NP Proxima prospiciet Tithono nupta relicto   Arcadiae sacrum pontificale deae. Te quoque lux eadem, Turni soror, aede recepit,   hic ubi Virginea Campus obitur aqua. Unde petam causas horum moremque sacrorum?   Deriget in medio quis mea vela freto? Ipsa mone, quae nomen habes a carmine ductum,   propositoque fave, ne tuus erret honor. Orta prior luna, de se si creditur ipsi,   a magno tellus Arcade nomen habet. Hinc fuit Euander, qui, quamquam clarus utroque,   nobilior sacrae sanguine matris erat; quae, simul aetherios animo conceperat ignes,   ore dabat vero carmina plena dei. Dixerat haec nato motus instare sibique   multaque praeterea tempore nacta fidem. Nam iuvenis nimium vera cum matre fugatus   deserit Arcadiam Parrhasiumque larem. Cui genetrix flenti “fortuna viriliter”, inquit,   “(siste, precor, lacrimas!) ista ferenda tibi est.

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10. Januar Der nächste Tag schneidet den Winter durch die Trennlinie in der Mitte ein 460 und gleich groß wird , der übrig ist, dem vergangenen sein. 11. Januar

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Als Nächstfolgende, wenn sie Tithonos95 verlassen hat, wird seine Gattin die Zeremonie, die für die arcadische Göttin96 von den Priestern vollzogen wird, erblicken. Auch dir, Schwester des Turnus97, gewährte derselbe Tag Aufnahme in einen Tempel98 hier, wo die Aqua Virgo99 auf das Marsfeld trifft. Woher soll ich über die Ursprünge und die Sitte dieser heiligen Riten Erkundigungen einholen? Wer wird meine Segel mitten auf dem Meer lenken? Unterweise du selbst , die du deinen Namen abgeleitet trägst vom Gedicht,100 und sei meinem Vorhaben günstig gewogen, damit deine Ehrung ohne Fehler vonstatten geht. Das Land, das früher als der Mond entstanden ist101, hat seinen Namen, wenn man ihm selbst (sc. dem Land) über sich Glauben schenkt, vom großen Arcas102. Von hier stammte Euander103, der, wiewohl ruhmvoll durch beide Seiten, adliger durch das Blut der ehrwürdigen Mutter war. Sobald sie himmlische Feuer im Geiste empfangen hatte, verkündete sie mit wahrhaftigem Mund Sprüche voll von Göttlichkeit. Sie hatte kundgetan, dass ihrem Sohne und ihr selbst Unruhen bevorstünden und vieles überdies, das durch die Zeit Bestätigung erlangt hatte. Der junge Mann wird nämlich zusammen mit der allzu wahrhaftigen Mutter vertrieben und verlässt Arcadien und den parrhasischen104 Lar105. Als er weinte, sprach zu ihm die Mutter: „Dieses Schicksal musst du mannhaft ertragen! Ich bitte dich, unterdrück’ deine Tränen!

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Sic erat in fatis nec te tua culpa fugavit,   sed deus: offenso pulsus es urbe deo. Non meriti poenam pateris, sed numinis iram:   est aliquid magnis crimen abesse malis! Conscia mens ut cuique sua est, ita concipit intra   pectora pro facto spemque metumque suo. Nec tamen ut primus maere mala talia passus:   obruit ingentes ista procella viros. Passus idem est, Tyriis qui quondam pulsus ab oris   Cadmus in Aonia constitit exul humo; passus idem Tydeus et idem Pagasaeus Iason,   et quos praeterea longa referre mora est. Omne solum forti patria est, ut piscibus aequor,   ut volucri, vacuo quicquid in orbe patet. Nec fera tempestas toto tamen horret in anno:   et tibi, crede mihi, tempora veris erunt.” Vocibus Euander firmata mente parentis   nave secat fluctus Hesperiamque tenet. Iamque ratem doctae monitu Carmentis in amnem   egerat et Tuscis obvius ibat aquis: Fluminis illa latus, cui sunt vada iuncta Tarenti,   aspicit et sparsas per loca sola casas; utque erat, immissis puppem stetit ante capillis   continuitque manum torva regentis iter et procul in dextram tendens sua bracchia ripam   pinea non sano ter pede texta ferit, neve daret saltum properans insistere terrae,   vix est Euandri vixque retenta manu; “di” que “petitorum”, dixit, “salvete locorum   tuque, novos caelo terra datura deos,

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So stand es in den Schicksalssprüchen; nicht deine Schuld hat dich in die Verbannung getrieben. sondern ein Gott: Weil ein Gott erzürnt war, bist du aus der Stadt verbannt worden. Nicht die Strafe für etwas Verdientes erleidest du, sondern einer Gottheit Zorn: Es bedeutet etwas, dass es in großem Unglück kein Verbrechen gibt! Wie ein jeder sein eigenes Gewissen hat, so empfängt er in seinem Herzen seiner Tat entsprechend sowohl Hoffnung als auch Furcht. Und doch sei nicht traurig, als ob du als Erster solche schlimmen Dinge erlitten hättest: Es hat gewaltige Männer dieser Sturm106 umgemäht. Erlitten hat dasselbe Cadmus107, der von den tyrischen Küsten einst vertrieben als Verbannter sich auf aonischem Boden ansiedelte. Erlitten hat dasselbe Tydeus108 und dasselbe Iason109 aus Pagasae, und solche, die darüber hinaus zu erwähnen, zu lange dauern würde. Jeden Erdboden hat der Tapfere als Heimat, wie die Fische das Meer und der Vogel, was auch immer im unbesetzten Himmelsgewölbe offensteht. Und der grimmige Sturm weht doch nicht ein ganzes Jahr heftig: auch für dich, glaube mir, wird es Frühlingszeiten geben.“ Weil sein Geist durch die Worte seiner Mutter bestärkt wurde, durcheilt Euander mit seinem Schiffe die Fluten und hält auf Hesperia110 zu. Und schon hatte er sein Schiff auf Weisung der klugen Carmentis zum Strom hingelenkt und fuhr den tuscischen Wassern entgegen: Des Flusses Ufer, mit dem die Untiefen von Tarentum111 verbunden sind, erblickt jene und die Hütten, die überall in der einsamen Gegend verstreut sind; und wie sie war, stand sie mit lang herabwallendem Haar vor dem Heck und hielt mit wildem Blick die Hand des Steuermannes fest und breitet ihre Arme weit zum rechten Ufer hin aus, tritt dreimal mit rasendem Fuße das Gefüge aus Pinienholz und, damit sie nicht in der Eile, das Land zu betreten, einen Sprung machte, konnte sie kaum, ja kaum von Euanders Hand zurückgehalten werden und sie sprach: „Götter der erstrebten Landschaft, seid gegrüßt, und du, Land, das du neue Götter dem Himmel schenken wirst,

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fluminaque et fontes, quibus utitur hospita tellus,   et nemorum silvae Naiadumque chori, este bonis avibus visi natoque mihique,   ripaque felici tacta sit ista pede! Fallor, an hi fient ingentia moenia colles   iuraque ab hac terra cetera terra petet? Montibus his olim totus promittitur orbis.   Quis tantum fati credat habere locum? Et iam Dardaniae tangent haec litora pinus:   hic quoque causa novi femina Martis erit. Care nepos Palla, funesta quid induis arma?   Indue: non humili vindice caesus eris. Victa tamen vinces eversaque, Troia, resurges:   obruit hostiles ista ruina domos. Urite, victrices, Neptunia Pergama, flammae:   Num minus hic toto est altior orbe cinis? Iam pius Aeneas sacra et, sacra altera, patrem   adferet: Iliacos accipe, Vesta, deos! Tempus erit, cum vos orbemque tuebitur idem   et fient ipso sacra colente deo et penes Augustos patriae tutela manebit:   hanc fas imperii frena tenere domum. Inde nepos natusque dei, licet ipse recuset,   pondera caelesti mente paterna feret, utque ego perpetuis olim sacrabor in aris,   sic Augusta novum Iulia numen erit.” Talibus ut dictis nostros descendit in annos,   substitit in medio praescia lingua sono. Puppibus egressus Latia stetit exul in herba:   felix, exilium cui locus ille fuit!

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und Flüsse und Quellen, über die die gastfreundliche Erde verfügt, und voller Haine Wälder und der Naiaden Reigen, lasst euch unter guten Vorzeichen von meinem Sohn und mir sehen, und dieses Ufer sei mit glücklichem Fuße berührt worden! Täusche ich mich, oder werden diese Hügel zu ungeheuer großen Mauern werden und werden von diesem Land die übrigen Länder Rechtsregeln erbitten? Diesen Bergen wird dereinst der ganze Erdkreis versprochen. Wer könnte glauben, dass soviel Schicksalsträchtiges ein Ort haben könnte? Und bald werden dardanische112 Schiffe diese Küsten berühren: auch hier wird eine Frau die Ursache für einen neuen Krieg sein.113 Lieber Enkel, Pallas114, was legst du unheilvolle Waffen an? Leg sie an: du wirst fallen, aber es wird keinen unbedeutenden Rächer geben. Besiegt wirst du doch siegen und zerstört wieder neu erstehen, Troja: Dieser Einsturz verschüttet feindliche Häuser. Verbrennt das neptunische Pergamon115, ihr siegreichen Flammen: Ist nicht diese Asche höher als der ganze Erdkreis? Bald wird der fromme Aeneas Kultgegenstände116 und seinen Vater117, die andere heilige Sache, herbeibringen: ilische Götter nimm an, Vesta! Es wird eine Zeit geben, da euch und den Erdkreis ein und derselbe schützen wird, und Opfer stattfinden werden unter der Leitung von ihm selbst als Gott118, und bei den Augusti der Heimat Schutz bleiben wird: Es ist vom Schicksal bestimmt, dass dieses Haus die Zügel des Reiches hält. Danach wird der Enkel und der Sohn eines Gottes, mag er selbst sich auch weigern,119 die väterlichen Bürden mit gottgleicher Gesinnung tragen, und wie ich dereinst auf ewig währenden Altären verehrt werde, so wird Iulia Augusta120 eine neue Gottheit sein.“ Sobald sie mit solchen Aussagen bis zu unseren Jahren gekommen war, machte die weissagende Zunge mitten im Sprechen halt. Der Verbannte stieg vom Schiff und stand auf latinischem Gras: Ein Gesegneter, der jenen Ort als Exil hatte!121

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Nec mora longa fuit: stabant nova tecta nec alter   montibus Ausoniis Arcade maior erat. Ecce boves illuc Erytheidas adplicat heros   emensus longi claviger orbis iter, dumque huic hospitium domus est Tegeaea, vagantur   incustoditae lata per arva boves. Mane erat: excussus somno Tirynthius actor   de numero tauros sentit abesse duos. Nulla videt quaerens taciti vestigia furti:   traxerat aversos Cacus in antra ferox, Cacus, Aventinae timor atque infamia silvae,   non leve finitimis hospitibusque malum. Dira viro facies, vires pro corpore, corpus   grande (pater monstri Mulciber huius erat) proque domo longis spelunca recessibus ingens,   abdita, vix ipsis invenienda feris; ora super postes adfixaque bracchia pendent   squalidaque humanis ossibus albet humus. Servata male parte boum Iove natus abibat.   Mugitum rauco furta dedere sono. “Accipio revocamen”, ait vocemque secutus   impia per silvas ultor ad antra venit. Ille aditum fracti praestruxerat obice montis;   vix iuga movissent quinque bis illud opus. Nititur hic umeris (caelum quoque sederat illis)   et vastum motu conlabefactat onus. Quod simul eversum est, fragor aethera terruit ipsum   ictaque subsedit pondere molis humus.

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Und es verstrich keine lange Zeit: es standen neue Häuser da und kein anderer war in den ausonischen Bergen bedeutender als der Arcader. Siehe da, die erytheischen Kühe122 lenkt dorthin der keulentragende Halbgott123, der den Erdkreis auf einer langen Reise durchmessen hat, und während ihm das tegeische124 Haus als Herberge dient, irren unbehütet durch die weiten Fluren die Kühe umher. Morgen war es: aus dem Schlafe gerissen, bemerkt der tirynthische125 Viehtreiber, dass aus der Zahl zwei Stiere fehlen. Obwohl er sich suchend umschaut, sieht er keine Spuren des heimlichen Diebstahles: es hatte sie der wilde Cacus126 umgekehrt in die Höhlengewölbe gezogen, Cacus, des aventinischen Waldes Furcht und Schande, ein nicht leichtes Ärgernis für Nachbarn und Gäste. Der Mann hatte ein schreckliches Aussehen, Kräfte entsprechend seinem Körperbau, einen gewaltigen Leib ( der Vater dieses Unholdes war Mulciber127) und anstelle eines Heims eine gewaltige Höhle mit weitläufigen Rückzugsmöglichkeiten, verborgen, selbst von Wildtieren kaum zu finden; Gesichter und Arme baumeln über den Türpfosten angeheftet und die schmutzige Erde ist weiß von menschlichen Knochen.128 Nachdem ein Teil der Rinder schlecht bewacht worden war, zog Iuppiters Sohn von dannen. Ein Muhen gab das Geraubte mit einem dumpfen Ton von sich. „Ich vernehme euren Hilferuf“, sagt er, folgt der Stimme und kommt als Rächer durch die Wälder zu den ruchlosen Höhlengewölben. Jener hatte den Eingang mit einer Barrikade aus gebrochenem Berggestein vorne verrammelt; kaum hätten zweimal fünf Gespanne jenes Bollwerk wegbewegen können. Er stemmt sich mit den Schultern dagegen (auch der Himmel hatte auf jenen gesessen129) und bringt die riesige Last durch eine Bewegung zum Wanken. Sobald sie zu Fall gebracht worden war, versetzte das Getöse den Aether selbst in Schrecken und getroffen von dem Gewicht der Masse senkte der Erdboden sich.

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LIBER PRIMVS

Prima movet Cacus conlata proelia dextra   remque ferox saxis stipitibusque gerit. Quis ubi nil agitur, patrias male fortis ad artes   confugit et flammas ore sonante vomit; quas quotiens proflat, spirare Typhoea credas   et rapidum Aetnaeo fulgur ab igne iaci. Occupat Alcides adductaque clava trinodis   ter quater adverso sedit in ore viri. Ille cadit mixtosque vomit cum sanguine fumos   et lato moriens pectore plangit humum. Immolat ex illis taurum tibi, Iuppiter, unum   victor et Euandrum ruricolasque vocat constituitque sibi, quae Maxima dicitur, aram,   hic, ubi pars Urbis de bove nomen habet. Nec tacet Euandri mater prope tempus adesse,   Hercule quo tellus sit satis usa suo. At felix vates, ut dis gratissima vixit,   possidet hunc Iani sic dea mense diem.

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E EID NP Idibus in magni castus Iovis aede sacerdos   semimaris flammis viscera libat ovis; redditaque est omnis populo provincia nostro   et tuus Augusto nomine dictus avus. Perlege dispositas generosa per atria ceras:   contigerunt nulli nomina tanta viro! Africa victorem de se vocat, alter Isauras   aut Cretum domitas testificatur opes; hunc Numidae faciunt, illum Messana superbum;   ille Numantina traxit ab urbe notam:

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Cacus beginnt die ersten Kampfhandlungen mit Faustschlägen 570 und führt die Sache mit Felsbrocken und Keulen grimmig aus. Sobald damit nichts erreicht werden kann, flüchtet er sich wenig mannhaft zu den väterlichen Kniffen und speit Flammen aus dem röhrenden Mund aus. Sooft er sie hervorbläst, könnte man glauben, Typhoeus130 atme und ein rasend schneller Blitz werde aus dem Feuertopf des Aetna geschleudert. 575 Es kommt der Alcide131 zuvor und die dreiknotige Keule wurde geschwungen und fand drei-, viermal den Sitz im gegnerischen Gesicht. Jener stürzt hin, speit Rauchschwaden vermischt mit Blut aus und schlägt im Sterben mit der breiten Brust auf den Boden. Es opfert einen Stier von jenen dir, Iuppiter, der Sieger, 580 ruft Euander und die Landbewohner herbei und er errichtet sich selbst den Altar, der Maxima132 genannt wird, hier, wo ein Teil der Stadt seinen Namen vom Rind trägt. Und es verschweigt nicht Euanders Mutter, dass die Zeit beinahe da sei, in der die Erde ihres Hercules habe genug genießen dürfen. 585 Aber die gesegnete Seherin besitzt so, wie sie bei den Göttern äußerst beliebt lebte, als Göttin diesen Tag im Monat des Ianus. 13. Januar An den Iden bringt der reine Priester133 im Tempel des großen Iuppiter die Eingeweide eines kastrierten Schafes den Flammen zum Opfer dar; zurückgegeben wurde unserem Volk jede Provinz 590 und dein134 Großvater wurde mit dem Titel „Augustus“135 benannt. Betrachte genau die Wachsmasken136, die überall in den ahnenreichen Atrien angeordnet sind: keinem Mann wurden so bedeutende Ehrentitel zuteil! Africa benennt den Sieger137 nach sich, ein anderer nimmt die isaurischen138 oder die bezwungenen Mächte der Creter139 als Zeugen. 595 Diesen machen die Numider140, jenen die Stadt Messana141 stolz; jener bekam seinen ehrenden Beinamen von der numantinischen Stadt142:

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et mortem et nomen Druso Germania fecit;   me miserum, virtus quam brevis illa fuit! Si petat a victis, tot sumet nomina Caesar   quot numero gentes maximus orbis habet! Ex uno quidam celebres aut torquis adempti   aut corvi titulos auxiliaris habent. Magne, tuum nomen rerum est mensura tuarum:   sed qui te vicit, nomine maior erat. Nec gradus est supra Fabios cognominis ullus:   illa domus meritis Maxima dicta suis. Sed tamen humanis celebrantur honoribus omnes,   hic socium summo cum Iove nomen habet. Sancta vocant augusta patres, augusta vocantur   templa sacerdotum rite dicata manu. Huius et augurium dependet origine verbi   et quodcumque sua Iuppiter auget ope. Augeat imperium nostri ducis, augeat annos,   protegat et vestras querna corona fores! auspicibusque deis tanti cognominis heres   omine suscipiat, quo pater, orbis onus!

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G CAR NP Respiciet Titan actas ubi tertius Idus,   fient Parrhasiae sacra relata deae. Nam prius Ausonias matres carpenta vehebant   (haec quoque ab Euandri dicta parente reor); mox honor eripitur matronaque destinat omnis   ingratos nulla prole novare viros,

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Sowohl Tod als auch Namen hat Germanien Drusus143 gegeben; oh ich Elender, wie kurzlebig ist jene Tapferkeit gewesen! Wenn Caesar von den Besiegten seine Ehrentitel fordern sollte, dann wird er so viele annehmen, wie viele Völker der riesige Erdkreis besitzt! Wegen einer einzigen Begebenheit haben gewisse Berühmtheiten Ehrentitel entweder von einer erbeuteten Halskette144 oder einem hilfreichen Raben145. Magnus146, dein Beiname ist Maßstab deiner Taten: Aber wer147 dich bezwang, war größer im Hinblick auf seinen Namen. Und es gibt keine Stufe des Beinamens oberhalb der Fabier148: Jene Familie wurde aufgrund ihrer Verdienste „Maxima“ genannt. Aber dennoch werden alle mit menschlichen Ehrungen gefeiert, dieser149 hat einen gemeinsamen Namen mit dem höchsten Iuppiter. Heilige Dinge nennen die Altvorderen augusta, augusta werden die Tempelstätten genannt, die von Priesterhand dem Ritus gemäß geweiht wurden. Sowohl augurium ist etymologisch von diesem Wort abhängig als auch alles, was Iuppiter mit seiner Macht vermehrt. Er möge das Reich unseres Herrschers vergrößern, er möge der Jahre vergrößern, der Eichenkranz150 möge auch euer Tor beschützen! Unter dem Schutz der Götter möge der Erbe eines so bedeutenden Cog­nomens die Last des Erdkreises unter Vorzeichen auf sich laden wie der Vater! 15. Januar

Sobald der dritte Titan151 auf die vergangenen Iden zurückblicken wird, werden die heiligen Riten, die der parrhasischen Göttin152 erneut dargebracht werden, stattfinden. Denn ehedem fuhren ausonische153 Mütter Prunkwagen154 620 (auch sie sind nach Euanders Mutter benannt, glaube ich); bald wird die Ehre entzogen und jede Matrone beschließt, ihrem undankbaren Mann durch keine Nachkommenschaft in eine neue Generation zu bringen

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neve daret partus, ictu temeraria caeco   visceribus crescens excutiebat onus. Corripuisse patres ausas immitia nuptas,   ius tamen exemptum restituisse ferunt binaque nunc pariter Tegeaeae sacra parenti   pro pueris fieri virginibusque iubent. Scortea non illi fas est inferre sacello,   ne violent puros exanimata focos. Siquis amas veteres ritus, adsiste precanti!   Nomina percipies non tibi nota prius. Porrima placatur Postvertaque, sive sorores,   sive fugae comites, Maenali diva, tuae; altera, quod porro fuerat, cecinisse putatur,   altera, venturum postmodo quicquid erat.

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HC Candida, te niveo posuit lux proxima templo,   qua fert sublimes alta Moneta gradus, nunc bene prospicies Latiam, Concordia, turbam,   nunc te sacratae constituere manus. Furius antiquam, populi superator Etrusci,   voverat et voti solverat ille fidem. Causa, quod a patribus sumptis secesserat armis   volgus et ipsa suas Roma timebat opes. Causa recens melior: passos Germania crines   porrigit auspiciis, dux venerande, tuis. Inde triumphatae libasti munera gentis   templaque fecisti, quam colis ipse, deae. Haec tua constituit genetrix et rebus et ara,   sola toro magni digna reperta Iovis.

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und, damit sie keine Leibesfrucht hervorbringe, trieb sie leichtfertig mit einem blindwütigen Schnitt den wachsenden Fötus aus der Gebärmutter ab. 625 Es hätten die Senatoren die Frauen gescholten, weil sie Hartes gewagt hätten, jedoch das weggenommene Vorrecht wieder zugestanden, so erzählt man, und sie ordnen an, dass nunmehr zwei Feste gleichermaßen für die tegeische155 Mutter zugunsten von Jungen und Mädchen durchgeführt werden. Dinge aus Leder in jenes Heiligtum hineinzubringen, ist nicht rechtens, 630 damit nichts Totes die reinen Herdstätten besudle. Wenn du einer bist, der althergebrachte Riten liebt, tritt zu einem Betenden hinzu! Dir vorher nicht bekannte Namen wirst du vernehmen. Porrima156 wird versöhnt und Postverta157, sei es dass sie Schwestern oder die Gefährtinnen deiner Flucht sind, maenalische158 Göttin. 635 Die eine, so glaubt man, habe besungen, was vordem gewesen war, die andere, was auch immer bald darauf kommen sollte. 16. Januar Strahlend weiße, dich hat der nächste Tag in den schneeweißen Tempel gestellt, wohin die hoch aufragende Moneta159 ihre erhabenen Schritte lenkt, nun wirst du, Concordia160, die Menge von Latium gut erblicken, 640 nun haben geweihte Hände dich angesiedelt. Furius161, der Bezwinger des etruscischen Volkes, hatte den alten gelobt und hatte das Versprechen bezüglich des Gelübdes eingelöst. Der Grund dafür war, dass von den Senatoren nach Waffenaufnahme die Volksmasse sich abgewandt hatte, und Rom selbst seine eigenen Kräfte fürchtete. 645 Der neue Grund ist besser: die aufgelösten Haare streckt Germanien unter deinem Kommando, ehrwürdiger Anführer162, hin. Dann hast du die Abgaben des bezwungenen Volkes geweiht und einen Tempel für die Göttin erbaut, die du selbst verehrst. Ihn hat deine Mutter163 sowohl mit Ausstattung als auch mit einem Altar eingerichtet, 650 sie, die einzig für würdig der Ehe mit dem großen Iuppiter befunden wurde.

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AC Haec ubi transierint, Capricorno, Phoebe, relicto   per iuvenis curres signa regentis aquam. GC Septimus hinc oriens cum se demiserit undis,   fulgebit toto iam Lyra nulla polo. HC Sidere ab hoc ignis venienti nocte, Leonis   qui micat in medio pectore, mersus erit. Ter quater evolvi signantes tempora fastos   nec Sementiva est ulla reperta dies, cum mihi (sensit enim) “lux haec indicitur”, inquit   Musa, “quid a fastis non stata sacra petis? Utque dies incerta sacri, sic tempora certa,   seminibus iactis est ubi fetus ager.” State coronati plenum ad praesepe, iuvenci!   Cum tepido vestrum vere redibit opus. Rusticus emeritum palo suspendat aratrum:   omne reformidat frigore volnus humus. Vilice, da requiem terrae semente peracta!   Da requiem, terram qui coluere, viris! Pagus agat festum: pagum lustrate, coloni,   et date paganis annua liba focis! Placentur frugum matres, Tellusque Ceresque   farre suo gravidae visceribusque suis:

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17. Januar Sobald das vorübergegangen ist, wirst du, Phoebus, nach Verlassen des Steinbocks durch das Sternbild des jungen Mannes laufen, der das Wasser beherrscht. 23. Januar Sobald , der von da an als siebter aufgeht, sich in die Wellen gesenkt hat, wird keine Leier mehr am ganzen Himmel strahlen. 24. Januar 655 Wenn von diesem Sternbild her die Nacht kommt, wird der Stern, der mitten auf der Brust des Löwen funkelt, untergegangen sein. Drei-, viermal habe ich die Festkalender, welche die Zeiten bezeichnen, auseinandergerollt und habe keinen Tag Sementiva164 gefunden, als mir die Muse (denn sie bemerkte es) sagte: „Dieser Tag wird öffentlich bekanntgemacht. 660 Was suchst du aus Festkalendern bewegliche Feiertage? Zwar ist der Tag für das heilige Fest nicht festgelegt, aber der Zeitraum ist festgelegt, wenn der Acker nach der Aussaat fruchtbar ist.“ Bekränzt steht an der gefüllten Krippe, Jungstiere! Mit dem lauen Frühling wird eure Mühe zurückkehren. 665 Der Bauer soll den verdienten Pflug am Pfahle aufhängen: vor jeder Wunde schreckt die Erde aufgrund der eisigen Kälte zurück. Gutsverwalter, gönn’ der Erde Ruhe, wenn die Aussaat vollzogen ist! Gönn’ den Männern Ruhe, die die Erde bebaut haben! Die Dorfgemeinde soll ein Fest begehen: eure Gemeinde entsühnt, Landwirte, 670 und opfert auf ländlichen Herdstätten jährliche Kuchen! Es sollen die Mütter der Feldfrüchte, Tellus165 und Ceres166, versöhnt werden mit ihrem eigenen Spelt und den Eingeweiden einer trächtigen Sau:

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officium commune Ceres et Terra tuentur;   haec praebet causam frugibus, illa locum. Consortes operis, per quas correcta vetustas   quernaque glans victa est utiliore cibo, frugibus immensis avidos satiate colonos,   ut capiant cultus praemia digna sui! Vos date perpetuos teneris sementibus auctus   nec nova per gelidas herba sit usta nives! Cum serimus, caelum ventis aperite serenis!   Cum latet, aetheria spargite semen aqua! Neve graves cultis Cerialia rura, cavete,   agmine laesuro depopulentur aves! Vos quoque, formicae, subiectis parcite granis!   Post messem praedae copia maior erit. Interea crescat scabrae robiginis expers   nec vitio caeli palleat ulla seges et neque deficiat macie nec pinguior aequo   divitiis pereat luxuriosa suis; et careant loliis oculos vitiantibus agri   nec sterilis culto surgat avena solo! triticeos fetus passuraque farra bis ignem   hordeaque ingenti fenore reddat ager! Haec ego pro vobis, haec vos optate, coloni,   efficiatque ratas utraque diva preces! Bella diu tenuere viros: erat aptior ensis   vomere, cedebat taurus arator equo; sarcula cessabant versique in pila ligones   factaque de rastri pondere cassis erat.

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für eine gemeinsame Aufgabe tragen Ceres und Terra Sorge; diese bietet den Ursprung für die Feldfrüchte, jene den Ort. Ihr, die ihr gleichen Anteil an der Mühe habt und mittels derer die Frühzeit verbessert und der Eiche Eichel durch eine nützlichere Speise überwunden wurde167, sättigt die habgierigen Landbewohner mit unermesslich vielen Feldfrüchten, auf dass sie den Lohn, der ihrer Feldarbeit würdig ist, erhalten! Gebt den zarten Pflänzchen unaufhörliches Wachstum und das junge Kraut soll nicht durch eisige Schneefälle erfrieren! Sooft wir aussäen, öffnet den Himmel für heitere Winde! Sooft es bedeckt liegt, besprengt mit Wasser aus dem Himmel das Saatgut! Gebt Acht, dass die Vögel, die für die bebauten Felder gefährlich sind, die Fluren der Ceres nicht ausplündern in ihrem Schaden bringenden Schwarm! Auch ihr, Ameisen, verschont die vergrabenen Körner! Nach der Ernte wird die Menge der Beute größer sein. In der Zwischenzeit soll die Saat frei von pustelnbildendem Schwarzrost168 wachsen und keine soll bleich werden aufgrund eines Fehlers aus dem Himmel und sie soll weder abnehmen durch Dürre noch zugrundegehen, weil sie fetter ist, als es gut ist, und aufgrund ihrer eigenen Fruchtbarkeit üppig wächst. Und die Felder sollen ohne Lolchpflanzen sein, die die Augen schädigen, und der unfruchtbare Hafer soll sich nicht auf dem bebauten Boden erheben! Weizentriebe und Dinkelpflanzen, die zweimal das Feuer erdulden können, und Gerstenpflanzen soll das Feld mit riesigem Gewinn hervorbringen! Darum bitte ich für euch, darum bittet selbst, Landbewohner, und beide Göttinnen mögen die Bitten erfüllen! Kriege hielten lange Zeit die Männer in Beschlag: es war das Schwert angemessener als der Pflug, es ließ der Pflugstier dem Pferd den Vorzug; Karste setzten aus, in Spieße wurden Hacken verwandelt, aus der Masse einer Hacke wurde ein Helm gemacht.

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LIBER PRIMVS

Gratia dis domuique tuae: religata catenis   iampridem vestro sub pede bella iacent. Sub iuga bos veniat, sub terras semen aratas:   Pax Cererem nutrit, Pacis alumna Ceres. CC At quae venturas praecedit sexta Kalendas,   hac sunt Ledaeis templa dicata deis: fratribus illa deis fratres de gente deorum   circa Iuturnae composuere lacus.

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F NP Ipsum nos carmen deduxit Pacis ad Aram:   haec erit a mensis fine secundKpfzeilena dies. Frondibus Actiacis comptos redimita capillos,   Pax, ades et toto mitis in orbe mane! Dum desint hostes, desit quoque causa triumphi:   tu ducibus bello gloria maior eris. Sola gerat miles, quibus arma coerceat, arma,   canteturque fera nil nisi pompa tuba! Horreat Aeneadas et primus et ultimus orbis;   siqua parum Romam terra timebit, amet! Tura, sacerdotes, Pacalibus addite flammis   albaque perfusa victima fronte cadat! Utque domus, quae praestat eam, cum pace perennet,   ad pia propensos vota rogate deos! Sed iam prima mei pars est exacta laboris,   cumque suo finem mense libellus habet.

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Dank gebührt den Göttern und deinem Hause: in Ketten verschnürt liegt der Krieg schon seit langer Zeit unter eurem Fuße darnieder169. Unter das Joch soll das Rind gehen, unter die gepflügte Erde die Saat: Pax lässt Ceres gedeihen, der Pax Zögling ist Ceres. 27. Januar 705 Aber an dem Tag, der als sechster den kommenden Kalenden vorangeht, wurde den ledaeischen Göttern170 ein Tempel geweiht: Den Götterbrüdern stifteten jenen die Brüder aus der Familie der Götter bei dem Bassin171 der Iuturna172. 30. Januar Das Gedicht selbst hat uns zur Ara Pacis173 geführt: 710 dies wird der zweite Tag vor dem Monatsende sein. Pax, das hübsch frisierte Haar umkränzt mit dem Siegeslorbeer von Actium,174 sei zugegen und bleib gnädig auf der ganzen Welt! Wenn nur Feinde fehlen, dann mag auch der Grund für einen Triumph fehlen: du wirst für die Feldherren größeren Ruhm bedeuten als ein Krieg. 715 Der Soldat soll nur Waffen führen, um damit Waffen abzuwehren, und nichts außer einem Festzug soll von der wilden Trompete musikalisch begleitet werden! Der nächste und der entfernteste Flecken Erde soll vor den Aeneas-Sprösslingen erschaudern; wenn irgendein Land Rom zu wenig fürchten wird, so soll es Rom lieben! Ihr Priester, gebt den Flammen des Friedens Weihrauchkörner hinzu 720 und es soll, die Stirn mit Wein besprengt, ein weißes Opfertier sterben! Und bittet die Götter, die frommen Gebeten geneigt sind, darum, dass das Haus, das für den Frieden einsteht, mit ihm ewig Bestand haben möge! Aber schon ist der erste Teil meiner Arbeit beendet, und mit seinem Monat findet das Büchlein ein Ende.

Anmerkungen zum ersten Buch 1.

Mit dieser metapoetischen Einleitung erläutert der auktoriale Erzähler, was das Thema seines Werkes sein soll, Aitiologien zu religiösen Festen, Tempelweihungen und Katasterismoi. 2. Widmungsträger ist Nero Claudius Drusus (*24. Mai 15 v. Chr. wohl in Rom, † 10. Okt. 19 n. Chr. in Antiochia), Sohn von Tiberius’ Bruder Drusus und Antonia. Um die Erbfolge zu sichern, wurde er von Tiberius auf Veranlassung des Augustus adoptiert, der seinerseits wiederum Tiberius adoptierte (s. fast. 1.10). Seit diesem Zeitpunkt wurde er Germanicus Iulius Caesar genannt. Er beschäftigte sich mit den „schönen Künsten“, übersetzte u. a. Arats Phainomena ins Lateinische und verfasste Komödien. Weiterhin war er auch als brillanter Anwalt bekannt (s. zu beidem fast. 1.19–26). Zur Annahme, dass ein ursprüngliches Proömium überarbeitet und innerhalb des Werkes verschoben wurde, s. Einleitung. 3. Gemeint ist Imperator Tiberius Caesar Augustus (*16. Nov. 42 v. Chr. in Rom, † 16. März 37 n. Chr. in Misenum). 4. Bei dem Großvater handelt es sich um C. Octavianus, den späteren Augustus (*23. Sept. 63 v. Chr. in Rom, † 19. Aug. 14 n. Chr. in Nola) und Großneffen des Gaius Iulius Caesar. 5. Gemeint ist Nero Claudius Drusus (*7. Okt. 15 oder 14 v. Chr., † 23 n. Chr.), leiblicher Sohn von Tiberius und Vipsania Agrippina. 6. Gemeint ist Apollon Klarios, der eine Orakelstätte im ionischen Klaros bei Kolophon hat (z. B. Str. 14.1.27, Paus. 7.3.1, 7.5.4). Somit wird Germanicus sozusagen für Ovid zur Muse. 7. In der Frühzeit gab es das sog. lunare System (s. auch fast. 3.121); vgl. dazu und zur Entwicklung des römischen Kalenders die Erläuterungen in der Einleitung. 8. D.h. 10 Mondmonate = 40 Wochen. 9. Quirinus war ein altitalischer Gott der frühesten Siedler des Berges Quirinal, wurde aber ab dem 3. Jh. v. Chr. mit dem vergöttlichten Romulus identifiziert. Streng genommen liegt hier ein Anachronismus vor, da Romulus erst nach seinem Tod und der Apotheose zu Quirinus wurde. 10. Zu Mars als Widmungsträger des ursprünglichen ersten Monats s. auch fast. 3.1–98. 11. Der April, im alten römischen Kalender der zweite Monat, soll Venus gewidmet gewesen sein (s. dazu fast. 4.23–60, 117–132). Venus wird in der augusteischen Propaganda als Mutter des Aeneas (so schon Lucr. 1.1) angegeben und dadurch zur Ahnherrin des iulisch-claudischen Geschlechts. Über Aeneas’ Sohn Iulus wird die Namensfolge hergeleitet (s.

Anmerkungen zum ersten Buch

12. 13. 14.

15.

16.

17. 18. 19.

20. 21. 22. 23. 24.

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dazu fast. 4.39f. m. Anm.). Mars ist der „biologische“ Vater von Romulus und Remus. Etymologisch von Maiores abgeleitet; s. auch 5.55–78. Etymologisch von Iuniores abgeleitet; s. auch 6.87f. Im altrömischen Kalender wurden die Monate Juli bis Dezember nach ihrer Reihenfolge beginnend von März als erstem Monat her bezeichnet – Namen, die wir auch heute noch in September (der 7. Monat), Oktober (der 8. Monat), November (der 9. Monat) und Dezember (der 10. Monat) beibehalten. Der Quinctilis (5. Monat) ist nach Iulius Caesar in Juli sowie der Sextilis (6. Monat) nach Augustus umbenannt worden (dazu Plu. Num. 19.1–6, Macr. Sat. 1.12.34f., Cens. 22.16). Laut Livius folgt Numa Pompilius auf Romulus. Er soll u. a. die römische Sakralgesetzgebung initiiert, den Kalender überarbeitet (Hinzufügung der Monate Ianuarius und Februarius, s. dazu fast. 3.151–154, Einteilung der Tage in fasti und nefasti: Liv. 1.19.7) und Kulte reformiert haben. Der Name Ianus für den römischen Gott des Durchgangs wurde etymologisch von ianua („Tür“) abgeleitet. Ianus fungiert als Bindeglied zwischen dem alten und dem neuen Jahr. Dementsprechend wird er in der Regel mit zwei Gesichtern abgebildet. Zum ursprünglichen Wesen des Ianus s. Frazer ad loc. Z. T. wird der Monat Februar mit februa („Sühnemittel“) in Verbindung gebracht; vgl. hierzu 2.19–46. Anders hingegen die dargelegte Kalendergestaltung in 2.47–54 (vgl. auch die Anm. zu 2.49 m. Belegen). Etymologisch wird (dies) nefastus in Verbindung gebracht mit ne fari (oder auch nefas), d. h. der Praetor mit seinem magistratischen Imperium als Instanz der Gerichtsbarkeit darf die Worte: do („ich genehmige die Gerichtsverhandlung“), dico („ich spreche Recht“), addico („ich fälle ein Urteil“) nicht sprechen. I. e. dies fastus. Die Bezeichnung wird etymologisch hergeleitet von fari (oder auch fas est). I. e. ein sog. dies endotercisus, vgl. die Einleitung dazu und auch zu den folgenden besonderen Tagen. Bei den comitia wurden die wahlberechtigten Bürger mittels Schranken (saepta) eingeteilt. I. e. dies nundinae: an jedem neunten Tag gab es Markttage. Gemeint ist (Süd-)Italien, also das Gebiet von der Südgrenze Latiums an gen Süden, benannt nach dem Stammvater Auson, einem Sohn von Odysseus und Kirke oder Kalypso (Serv. Aen. 8.328 bzw. 3.171, Fest. s. v. Ausoniam 16L).

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Festkalender

25. Zu den markanten Tagen eines jeden Monats, den sog. Kalenden, Iden und Nonen, vgl. die Erläuterung in der Einleitung. 26. Der dies ater („Unglückstag“) schlechthin ist eigentlich der 18. Juli, der Tag der Niederlage der Römer gegen die Gallier an der Allia im Jahr 390 v. Chr. Als Ursache für die Niederlage wurde das falsch durchgeführte Opfer beim Auszug der Truppen am 16. Juli ausgemacht, sodass dieser Tag das Prädikat ater erhielt, welches dann auf alle Tage übertragen wurde, die auf Kalenden, Nonen oder Iden folgen (s. Varro ling. 6.29, Liv. 6.1.11). 27. S. Anm. zu 1.37. 28. Kilikia liegt an der Südküste Kleinasiens. 29. Namensgebend für diesen kleinen Teil des Capitols, Tarpeium saxum, war die Verräterin Tarpeia (vgl. zu ihr Anm. zu 1.261). 30. Lictoren gehen mit den sog. Fasces (Rutenbündeln) den Consuln voran. 31. I. e. die sog. sella curulis, ein Insigne der curulischen Magistrate. 32. Ab dem Jahr 153 v. Chr. wurden neue Amtsträger an den Kalenden des Januar eingeführt statt der früheren Inauguration am 1. März (z. B. Liv. 22.1.4, CIL 1.1 pp. 231, 286). 33. Die Falisker waren ein Volksstamm nordöstlich von Rom mit den Haupt­ orten Falerii, Capena, Nepi und Sutri. 34. Chaos („Loch“, „klaffende Öffnung“ aus dem Griechischen χάσκω). Schon bei Hesiod (Th. 116–125) bezeichnete das Chaos den Urzustand, aus dem sich die allgemeine Ordnung entwickelte; dazu auch Fest. s. v. Chaos 45L. 35. Vgl. auch Ov. met. 1.5–31. 36. Das Heiligtum des sog. Ianus Geminus (Varro ling. 5.156, Plin. nat. 34.33) bzw. die Porta Ianualis (Varro ling. 5.165) stand vor der Senatstagungsstätte auf dem Forum und hatte in Friedenszeiten seine Türen geschlossen, nur im Krieg standen sie offen. 37. Bei Hesiod (Th. 901–903) werden die drei Horen, Eunomia, Dike und Eirene, als Töchter des Zeus und der Themis genannt. In der Ilias (5.749– 751, 8.393–395) hüten sie die Pforten des Himmels. 38. Patulcius („Öffner“) etymologisch wohl mit patere verbunden. 39. Etymologisch ist es mit claudere / cludere verbunden; s. zu den Epitheta auch Macr. Sat. 1.9.15, Serv. Aen. 7.610. 40. Hier sind die Lares familiares gemeint, die als Hausgötter daheim angebetet wurden. Vgl. zu den anderen Laren Anm. zu fast. 2.616. 41. Hekate ist in Rom unter dem Namen Trivia („Göttin der Dreiwege“) bekannt und wird daher auch als Göttin mit drei Köpfen oder als Einheit von drei Göttinnen dargestellt.

Anmerkungen zum ersten Buch

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42. Nach Varro (ling. 6.8), Plinius (nat. 2.151) und Censorinus (21.13) bezeichnet bruma in der Regel den kürzesten Tag des Jahres, der nach römischer Auffassung auf den 25. Dezember fiel (Colum. 9.14.12), tatsächlich findet die Wintersonnenwende jedoch am 21. oder 22. Dezember statt. 43. Phoebus ist seit Homer (49 Mal!) das häufigste Epitheton von Apoll. In seiner Eigenschaft als „Strahlender“ wird er bereits vereinzelt im 5. Jahrhundert v. Chr. mit Helios identifiziert, topisch wird die Bezeichnung allerdings erst im Hellenismus. 44. Anders hingegen bestätigt Ovid in fast. 6.304 (s. dazu auch Anm.) bei Hausgebeten Vesta eine herausragende Rolle. 45. Der erste Tag des Jahres gilt als Vorbote für das ganze Jahr, daher war man einerseits bestrebt, Glückwünsche auszutauschen, andererseits betrieben die einzelnen Professionen emsig ihr Tagewerk, damit auch das bevorstehende Jahr hold sei, an den 12 Tagen danach gab man sich jedoch der Muße hin (Col. 11.2.98). 46. Süßspeisen (strenae) sollten ein glücklich verlaufendes Jahr sichern. 47. Saturn soll als römische Entsprechung des Kronos nach dem Sturz durch seinen Sohn Iuppiter nach Latium geflohen sein. Er soll sich dort versteckt gehalten haben (vgl. hierzu fast. 1.238), u. a. Ackerbau und Gesetze eingeführt und im „Goldenen Zeitalter“ als König über eine römische Zivilisation geherrscht haben (vgl. Verg. Aen. 8.319–325). Zu Italien als tellus oder terra Saturnia vgl. Ov. fast. 1.235–238, Varro ling. 5.42, auch Enn. ann. Fr. 21 Skutsch. 48. Die sog. Casa Romuli am Südwestrand des Palatins war der Inbegriff der Bedürfnislosigkeit und Demut und stand im krassen Gegensatz zu der Üppigkeit und Luxussucht der späten Republik und Kaiserzeit (Sen. dial. 12.9.3, Val. Max. 4.4.11). 49. Hier liegt wieder ein Anachronismus vor; s. Anm. zu 1.37. 50. Gemeint ist L. Quinctius Cincinnatus, der 458 v. Chr. beim Pflügen mit der Nachricht überrascht worden sein soll, er sei zum Dictator ernannt worden, und seine Feldarbeit ruhen ließ, um den Staat zu retten. Danach sei er wieder aufs Feld zurückgekehrt. 51. Fortuna ist ursprünglich eine aus Latium importierte Gottheit; vgl. zum Thema Fortuna-Gottheiten besonders Latte, Religionsgeschichte 176–183. 52. Weitere Beschreibungen des As finden sich bei Plin. nat. 33.45, Ps. Aur. Vict. orig. 3.4, Plu. quaest. R. 41. 53. Ovid verwendet oft den Ausdruck Tuscus amnis o. ä. als Umschreibung für den Tiber (fast. 1.500, 4.48, 294, 5.628). 54. Gemeint ist Saturn, dessen Attribut oft eine Erntesichel ist.

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55. Etymologisch soll Latium mit latere („sich verborgen halten“) zusammenhängen; vgl. hierzu auch Verg. Aen. 8.319–323. 56. I. e. der Hügel Ianiculum. 57. I. e. der Tiber. 58. Gemeint ist das Heiligtum des Ianus Geminus zwischen dem Forum Romanum und dem Forum Iulium. 59. Dieser mythische sabinische König aus Cures konnte durch den Verrat der Tarpeia das Capitol einnehmen. Er wird oebalisch genannt, weil die Sabiner sich auf den Spartaner Oebalus zurückführen. 60. Gemeint ist Tarpeia, die bestochen durch Schmuck den Sabinern half, in Rom einzudringen. 61. Hera / Iuno hilft den Sabinern aufgrund ihrer Rivalität mit Venus; vgl. die analoge Passage bei Ov. met. 14.778–799. 62. Gemeint ist Nero Claudius Drusus, der Sohn des Drusus und der Antonia Minor. Im Mai 17 n. Chr. feierte er einen Triumph über die germanischen Völker. Hier findet sich ein Hinweis auf die Bearbeitung des ersten Buches, anders sieht es Holzberg (ad loc.). 63. Die Nymphe Koronis war durch Apoll mit Asklepios schwanger; allerdings war sie dem Gott untreu und wurde sodann zur Strafe mit Pfeilen durchbohrt. Das ungeborene Kind aber wurde verschont und dem Kentauren Chiron zur Erziehung übergeben. 64. Die Sibyllinischen Bücher forderten im Jahre 293 v. Chr., Asklepios solle von Epidauros nach Rom kommen, um Rettung aus einer schrecklichen grassierenden Seuche zu bringen. Auf der Tiberinsel wurde ihm 291 ein Heiligtum geweiht. S. zum Tod und der Vergöttlichung des Asklepios fast. 6.733–762 m. Anm. zu 735. 65. Asklepios ist durch seinen Vater Apoll ein Enkel von Zeus / Iuppiter. Iuppiter wird hier mit Veiovis identifiziert. Ihm wurde 194 v. Chr. von C. Servilius ein Tempel auf der Tiberinsel geweiht. Zur Identifikation von Iuppiter mit Veiovis vgl. fast. 3.429–448 und Frazer ad loc. Vgl. auch Liv. 34.53.7, Vitr. 3.2.3, CIL 1.1 pp. 231, 305: (Aescu)lapio Vediovi in insula. 66. Es findet sich ein Anklang an Homer, nach dem die Aloaden, Otos und Ephialtes, die Ossa auf den Olymp und dann wiederum das Pelion auf die Ossa geschichtet haben sollen (Hom. Od. 11.307–316); anders hingegen bei Verg. georg. 1.278–283. 67. Berg in Thessalien. 68. Gebirge in Thessalien. 69. Weitere agonia in Rom fanden am 17. März (CIL 1.1 p. 312), 21. Mai (CIL 1.1 p. 318) und am 11. Dezember (CIL 1.1 p. 336) statt.

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70. Der rex sacrorum opferte an den Agonalien im Haus des Königs einen Widder für Ianus (Varro ling. 6.12). In seiner sakralen Funktion führte er staatliche Opfer durch, sofern nicht andere Priester, wie z. B. die flamines, damit betraut waren. 71. Ein Opfer(tier), das nach einer erfolgreichen Schlacht dargebracht wird und etymologisch von vincere abzuleiten ist. 72. Hostia ist in ähnlicher Ableitung ein Opfer, das vor dem Kampf gegen einen Feind (hostis) dargebracht wird. 73. Zum Sterben der Bienenvölker des Aristaeus s. Verg. georg. 4.315–558. 74. I. e. die Wassernymphe Kyrene. 75. Meeresgott mit Sehergabe und Verwandlungsfähigkeit. 76. Aus dem verwesenden Kadaver werden keine Bienenschwärme, sondern vielmehr Schmalzfliegen ausgetreten sein. Zu dieser Bugonie s. besonders Verg. georg. 4.281–314, Plin. nat. 11.70, Varro rust. 2.5.5. 77. Für Iphigenie, die Tochter des Agamemnon, wird eine Hirschkuh geopfert, um Diana zu besänftigen (vgl. E. IA. 1578–1589). 78. Volk in Thrakien. 79. Ovid identifiziert Trivia mit Diana, die mit Straßen bzw. Straßenkreuzungen assoziiert wird. Zu Trivia s. auch Anm. zu 1.141. Auch bei anderen römischen Riten sind Hunde geopfert worden, so z. B. an den Lupercalien oder den Robigalien. 80. I. e. Balkangebirge im heutigen Bulgarien und Serbien. 81. I. e. Priapus, dessen Begleiter oft ein Esel ist. Zum Eselsopfer für Priapus s. fast. 6.339–346. 82. In den folgenden Versen 393–440 liegt offensichtlich eine Dublette vor. Die Geschichte wird in leicht abgewandelter Form (nicht Lotis, sondern Vesta wird bedrängt) in 6.319–346 wiederholt, was als Hinweis gedeutet werden kann, dass die Überarbeitung der Fasti in Tomi nicht abgeschlossen worden ist. 83. Lyaeus ist ein Beiname des Dionysos („der alles Gebundene lösende Gott“), zu dessen Ehre die Dionysien gefeiert wurden. 84. Der Hirtengott Pan wird mit Füßen und Kopf eines Bockes dargestellt. 85. Gemeint sind die Nymphen, insbesondere die Najaden (Quell- und Flussnymphen) sowie die Leimoniaden (Wiesennymphen). 86. Der Silen, ein alter Satyr mit dickem Bauch und Glatze, gilt als Erzieher des Dionysos. 87. I. e. Priapus, der sich durch einen auffallenden, roten Phallus auszeichnet. 88. Liber Pater wird mit Dionysos oder Bacchus identifiziert (Plu. quaest. R. 104). S. zu seinem Fest, den Liberalia, fast. 3.713–790. 89. Anders als in met. 9.347–348, wo Lotis in einen Lotosbaum verwandelt wird, kann sie hier, durch den Esel des Silen gewarnt, fliehen.

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90. I. e. Priapus, der in Lampsakos am Hellespont verehrt wird. 91. Im römischen Augurwesen wird das Ess- und Flugverhalten von Vögeln beobachtet, um den göttlichen Willen zu erfahren. S. auch später fast. 4.813–818, 6.765f. 92. Tauben waren der Aphrodite heilig und wurden besonders in Idalion auf Zypern verehrt (Stat. Theb. 5.61–64, 12.16, Ach. 1.372). 93. 386 v. Chr. konnte nur das beherzte Schnattern der heiligen Gänse Rom vor der Einnahme durch die Gallier retten. Vgl. dazu Liv. 5.47.1–5, Verg. Aen. 8.652–662, Plu. Cam. 27. 94. Die Tochter des Inachos, des ersten Königs von Argos, ist Io. Nachdem Zeus sie vergewaltigt hatte, verwandelte er sie aus Angst vor seiner Gattin Hera in eine Kuh, die fortan über die Kontinente fliehen musste. Io wird auch mit der ägyptischen Isis assoziiert (s. auch Apollod. 2.5–9, D.S. 1.24.8, Hyg. fab. 145). 95. Tithonos, ein Sohn des Laomedon und somit Bruder des Priamos, ist der Gatte von Eos/Aurora. Diese bittet Zeus um Unsterblichkeit für ihren Mann; dabei vergisst sie aber, dass er als Sterblicher altert, sodass Tithonos Eos schließlich nur noch als geschrumpfte Zikade weiterhin begleiten kann. 96. I. e. Carmentis bzw. Carmenta, eine Weissagungsgottheit (etymologisch von carmen), die auch als Geburtsgöttin verehrt wurde. Zu Einzelheiten und Diskussion dieser Gottheit s. Frazer und Bömer jeweils ad loc. mit weiterer Literatur. 97. Turnus ist der König der Rutuler aus Ardea und Aeneas’ Gegner. 98. Gemeint ist Iuturna, eine Wassernymphe, die erst durch Vergils Epos mit der Schwester des Turnus assoziiert wurde. Lutatius Catulus hat ihr, wahrscheinlich im Jahre 241 v. Chr., einen Tempel auf dem Marsfeld in der Nähe der späteren Aqua Virgo geweiht. 99. Im Jahre 19 v. Chr. wurde die heute noch betriebene Wasserleitung, die Agrippa für seine Thermen erbauen ließ, fertiggestellt. 100. S. Anm. zu 1.462. 101. Die Bewohner Arkadiens, einer gebirgigen Gegend auf der Peloponnes, seien älter als der Mond (vgl. dazu Ov. fast. 2.289f., A.R. 4.264f.) und darüber hinaus autochthon. Auch sei der Urmensch dort beheimatet gewesen (Hes. Fr. 160f. Merkelbach/West). 102. Arkas, Sohn des Zeus und der Kallisto, ist der eponyme König Arkadiens. Zum Katasterismos des Arktophylax und der Bärin s. fast. 2.153–192. 103. Der Arkader Euander, Sohn von Hermes und Carmentis, gelangte unfreiwillig nach Italien und soll sich auf dem Palatin niedergelassen haben. Euander steht aufseiten des Aeneas im Krieg gegen Turnus, in dem er seinen Sohn Pallas verliert. Vgl. dazu Verg. Aen. 10.479–495. Ety-

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mologisch wird der Palatin auf Pallantion (s. dazu Liv. 1.5.1, Plin. nat. 4.20, D.H. 1.31.4, 2.1.3) oder Euanders Sohn Pallas (Fest. s. v. palatium 245L) zurückgeführt. 104. Parrhasia ist ein altes Siedlungsgebiet in West-Arkadien. Meist steht es synonym für „arkadisch“. 105. S. Anm. zu 1.136. 106. Es ist denkbar, dass Ovid in dieser Passage sein eigenes Exil verarbeitet. Der angesprochene Gott könnte der göttliche Augustus sein, der Ovid aus Rom verbannte, ohne dass dieser sich etwas Schlimmes zu Schulden habe kommen lassen. In seinen Tristien 2.207 spricht er als Grund für die Verbannung ein carmen und einen error an, relativiert den möglichen Grund des „Fehlers“ jedoch (s. dazu auch Einleitung). 107. Nach der Entführung Europas durch Iuppiter (vgl. Ov. met. 2.833–875) befahl Agenor aus dem phönizischen Tyros seinem Sohn Cadmus, sie wieder nach Hause zu bringen (Ov. met. 3.1–5). Dieser erschlug auf seiner Reise einen Drachen und säte auf den Rat der Minerva die Zähne aus, aus denen Menschen wuchsen, mit denen er das aonische (= boiotische) Theben gründete. 108. Tydeus, Sohn des Oineus von Kalydon, musste nach einem Verwandtenmord fliehen und suchte Zuflucht bei Adrastos in Argos (zu deren Beziehung s. Anm. zu fast. 6.433). 109. Iason, Sohn des Aison, segelte zusammen mit den Argonauten aus dem thessalischen Pagasai los, um das Goldene Vlies aus Aia, der Hauptstadt von Kolchis, zu holen. Im Gegenzug sollte er von seinem Onkel Pelias, der sich unrechtmäßig die Herrschaft über Iolkos angeeignet hatte, diese zurückerhalten. Nach der Rückkehr und Übergabe des Vlieses erwies sich Pelias jedoch als wortbrüchig, woraufhin Medea, die Verbündete und Geliebte des Iason, eine perfide Rache ersann. Auf ihren Rat hin kochten Pelias’ Töchter ihn in dem Glauben, sie könnten ihren Vater auf diese Weise verjüngen. Medea und Iason mussten schließlich vor dem überlebenden Sohn Akastos fliehen und kamen nach Korinth, wo Iason um die Hand der dortigen Königstocher Glauke anhielt. 110. Hesperia ist die Bezeichnung für Italien als „im Westen liegendes Land“; auch in fast. 1.140, 2.73. 111. Bei Tarentum handelt es sich um ein sumpfiges Gebiet auf dem späteren Marsfeld mit einem unterirdischen Altar für Dis Pater und Proserpina, wo seit 249 v. Chr. auch die sog. ludi Tarentini stattfanden; vgl. dazu Val. Max. 2.4.5 und die Erläuterungen bei Themann-Steinke 243ff. sowie bei Frazer ad loc. 112. S. Anm. zu 4.31. „Dardanisch“ steht für „trojanisch“. Es wird hier die Ankunft des Aeneas vorausgesagt.

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113. Bei der kriegerischen Auseinandersetzung (s. Verg. Aen. 7–12) geht es um Lavinia, die Tochter des Königs Latinus und der Amata, die eigentlich dem Rutuler Turnus versprochen worden war. Vergleichbar damit ist der Kampf um Helena in der Ilias. 114. Pallas, Euanders Sohn, kämpft mit Aeneas gegen Turnus und fällt dabei (Verg. Aen. 10.439–509, bes. 474–489), wird jedoch von Aeneas gerächt (Verg. Aen. 12.919–952, 940–952). 115. I. e. Troja, deren Mauern von Neptun/Poseidon und Apoll gebaut worden sein sollen (s. Hom. Il. 7.452f., 21.441–449). 116. Gemeint sind insbesondere das Palladion (s. dazu die Anm. zu fast. 6.421) und die Penaten (s. auch Verg. Aen. 2.293–297, 2.717, 3.148– 152, 5.744f.). 117. Anchises soll von seinem Sohn Aeneas auf den Schultern aus dem brennenden Troja getragen worden sein. 118. Gemeint ist Augustus. 119. Gemeint ist Tiberius als Adoptivsohn des Augustus (Konsekration: 14 n. Chr.) und somit Adoptivenkel des Caesar (Konsekration: zwischen 42 und 40 v. Chr. s. dazu Anm. zu fast. 2.144). Tiberius wollte laut Velleius (2.99.1–3) zunächst nicht herrschen, andere Quellen stellen es anders dar (Tac. ann. 1.11–13, Suet. Tib. 24.1). M.E. kann man dieser Stelle entnehmen, dass diese Verse nach Augustus’ Tod überarbeitet wurden, da erst nach Thronbesteigung des Tiberius auf die neuen Bürden mit gottgleicher Gesinnung verwiesen werden kann. 120. Gemeint ist die als Livia Drusilla (*30.1.58 v. Chr., † 29 n. Chr.) geborene Tochter des M. Livius Drusus Claudianus und der Alfidia, die Octavian (Augustus) am 17.1.38 v. Chr., obwohl sie bereits mit ihrem zweiten Sohn, Nero Claudius Drusus, aus erster Ehe (der erste Sohn aus der gescheiterten Ehe war der spätere Kaiser Tiberius) schwanger war, heiratete. Testamentarisch erfolgte nach Augustus’ Tod Livias Adoption in die Gens Iulia, sodass sie fortan auch den Ehrennamen „Augusta“ tragen konnte (vgl. dazu Suet. Aug. 101.2, Tac. ann. 1.8.1, D.C. 56.46.1). 121. Gut denkbar ist hier eine metapoetische Äußerung des Sprechers. Verglichen mit dem Exil in Latium ist Ovids eigener Exilort Tomi wesentlich öder. Somit kommt der Vers als weiterer Hinweis auf eine Überarbeitung in der Verbannung infrage. 122. Erytheia ist eine sagenumwobene Insel im Westen, jenseits der sog. „Säulen des Herkules“, in der Nähe von Gadeira bzw. Cadiz. Hier hielt das Ungeheuer Geryones seine Rinder, die Herakles als eine der zwölf Aufgaben stehlen musste. 123. Gemeint ist Herakles bzw. Hercules, der als Sohn von Zeus und Alkmene dem Zorn und Hass Heras ausgesetzt ist. Hera veranlasst Eurystheus

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von Mykene und Tiryns dazu, dem jungen Herakles die berühmten zwölf Heldentaten (Dodekathlos) aufzutragen, u. a. musste er die Rinder des Geryones stehlen. Die folgende Cacus-Episode wird oft als aitiologische Erklärung für die Ara Maxima auf dem Forum Boarium angeführt (so auch in Verg. Aen. 8.185–275, Liv. 1.7.4–11, D.H. 1.39). 124. Tegea wird hier synonym für „arkadisch“ verwendet und weist auf die Heimat des Euander hin. 125. Herakles wird hier verrätselt bezeichnet. In Vers 575 wird er mit dem Papponymikon „Alkide“ benannt, hier wird ebenfalls auf Alkaios von Tiryns verwiesen, allerdings mit Hilfe seiner geographischen Herkunft. Eine andere Erklärung wäre, dass er nach seinem Auftraggeber Eurystheus von Tiryns benannt ist. 126. Beheimatet ist Cacus, eine alte Feuergottheit, dessen Vater Volcanus ist (s. 1.554), entweder beim Palatin oder beim Aventin (s. 1.551 und Verg. Aen. 8.231). Eine sehr ausführliche Erläuterung hierzu bei Frazer ad loc. 127. Mulciber ist ein Beiname des Volcanus. 128. Hier gibt es eine Reminiszenz an Verg. Aen. 8.193–197. 129. Angespielt wird hier auf die Anekdote, nach der Herakles für kurze Zeit den Himmel mit seinen Schultern getragen habe. Durch Eurystheus beauftragt, die Äpfel der Hesperiden zu bringen, übernahm Herakles in Übereinkunft mit Atlas die Last der Welt, sodass Atlas das Obst aus dem verwunschenen Garten holte. 130. Typhoeus ist der Sohn des Tartaros und der Gaia mit einhundert Köpfen, die Feuer ausspeien. Im Gigantenkampf kann ihn Zeus besiegen, verbannt ihn in den Tartaros und setzt ihm den Aetna auf den Kopf (Pi. O. 4.6–8, P.1.15–20, fast. 4.491f.). 131. Nach seinem Großvater Alkaios von Tiryns wird Herakles oft „Alkide“ genannt (so auch Call. Dian. 145, Moschos 3.117). 132. Zur Gründung der Ara Maxima durch Herakles selbst s. auch: Verg. Aen. 8.271, Prop. 4.9.63–70, Liv. 1.7.11, D.H. 1.39.4. Der Altar am Forum Boarium könnte eventuell bei der heutigen Kirche S. Maria in Cosmedin gestanden haben, so Frazer ad loc. und Coarelli, Rom 310. Bömer hingegen verortet das Heiligtum eher beim Circus Maximus. Zur Benennung des Forum Boarium und Geographie s. auch Anm. zu fast. 6.478. 133. An den Iden vollzog der „reine“ flamen Dialis das Opfer. Zum flamen und den einzelnen Vorschriften, die zu beachten waren, s. Anm. zu 2.282. 134. Angesprochen wird Germanicus Iulius Caesar (s. fast. 1.3). Folglich gehört dieser Vers in die überarbeitete Version. 135. Augustus selbst beschreibt in seinen Res gestae die Ereignisse aus dem Jahr 27 v. Chr., wonach er nach Beendigung des Bürgerkrieges im Zuge der weiteren Maßnahmen (s. dazu Mon. Ancyr. 34.2, D.C. 53.2–10) auch

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den Ehrennamen „Augustus“ verliehen bekam. Mommsen datiert nach einer Konjektur die Verleihung dieses Namens auf den 16. Januar (CIL 1.1 p. 229). 136. Gemeint sind die sog. imagines maiorum, die Totenmasken, die als Erinnerung an die Geschichte der eigenen Gens in den Atrien der vornehmen Familien hingen und neben den Gesichtszügen auch die besonderen militärischen oder politischen Leistungen in Form von Inschriften (tituli) aufzeigten. 137. Gemeint ist P. Cornelius Scipio (Maior) einerseits, der nach dem Sieg über Hannibal 201 v. Chr. den Ehrentitel verliehen bekam (Liv. 30.45.6f.), sowie später sein „Adoptivenkel“ P. Cornelius Scipio Aemilianus (‑Mi­ nor), der sein Cognomen 146 v. Chr. nach dem endgültigen Sieg über Karthago erhielt. 138. P. Servilius Vatia (cos. 79 v. Chr.) bekämpfte insbesondere die kilikischen Piraten und eroberte 75 oder 74 v. Chr. das Gebiet Isauria, wofür ihm der Ehrentitel „Isauricus“ zuerkannt wurde (CIL 1.1 p. 178). 139. Q. Caecilius Metellus (cos. 69 v. Chr.) bekämpfte in den Jahren 69–67 v. Chr. die Piraten bei Kreta. 62 v. Chr. erhielt er in Anerkennung dafür einen Triumph mit Verleihung des Ehrentitels (CIL 1.1 p. 179). 140. Q. Caecilius Metellus (cos. 109 v. Chr.) konnte erhebliche Erfolge im Kampf gegen die Numider in Nordafrika, insbesondere gegen Iugurtha, verzeichnen, sodass ihm 106 v. Chr. (CIL 1.1 p.177) für seine Verdienste der Ehrentitel „Numidicus“ verliehen wurde. 141. M’. Valerius Maximus konnte 263 v. Chr. als Consul im Kampf gegen die karthagischen Mächte auf Sizilien mehrere Städte der Insel, u. a. Messana einnehmen (Plb. 1.16f., Plin. nat. 7.214) und erhielt infolgedessen den Beinamen „Messalla“ (Macr. Sat. 1.6.26, Sen. dial. 10.13.5: hier allerdings falsch Valerius Corvinus). 142. Die spanische Stadt Numantia wurde im Jahr 133 v. Chr. von P. Cornelius Scipio Aemilianus (s. auch Anm. zu 1.593) erobert und zerstört, woraufhin dieser zusätzlich zu dem ihm bereits verliehenen Beinamen „Africanus“ (Minor) noch das Cognomen „Numantinus“ erhielt (s. dazu auch Ps. Aur. Vict. vir. ill. 58.6, Liv. perioch. 57, 59.1). 143. Gemeint ist Nero Claudius Drusus, Sohn des Ti. Claudius Nero und der Livia Drusilla, und somit Bruder des späteren Kaisers Tiberius und Vater des Widmungsträgers Germanicus aus fast. 1.3. Er besiegte 9 v. Chr. die Chatten, Sueben, Markomannen und erhielt dafür, allerdings erst posthum, das vererbbare Cognomen „Germanicus“ (s. auch trist. 4.2.39f., Suet. Claud. 1.3, D.C. 55.2.3). 144. T. Manlius Imperiosus Torquatus (cos. 347, 344, 340) soll entweder 367 oder 361 v. Chr. einem Gallier im Kampf die Halskette (torquis) entris-

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sen und daher das Cognomen „Torquatus“ erhalten haben (ausführliche Schilderungen bei: Quadrig. FRH 14, Fr. 10ab Beck/Walter, Liv. 7.10). 145. Hier wird auf M. Valerius Corvus bzw. Corvinus (u. a. cos. 348 v. Chr.) angespielt, dem 349 v. Chr. ein herbeigeflogener Rabe geholfen habe, den Zweikampf gegen einen Gallier zu gewinnen (Liv. 7.26.1–13, Gell. 9.11). 146. Mit „Magnus“ ist der berühmte Cn. Pompeius (*29. September 106 v. Chr., † 28. September 48 v. Chr.) gemeint, Konsul der Jahre 70 und 55, der sich zunächst mit Caesar und Crassus zum ersten Triumvirat zusammenschloss, 48 v. Chr. allerdings als Feind Caesars in Alexandria ermordet wurde. 147. Kein geringerer als Iulius Caesar hat Pompeius, seinen einstigen Vertrauten und Schwiegersohn, vernichtet und kann somit als maior bezeichnet werden. 148. Hier ist Q. Fabius Maximus Rullianus (cos. 304 v. Chr.) gemeint. Für seine Bemühung, die öffentliche Ordnung und den Frieden wiederherzustellen, wurde ihm dieses Cognomen verliehen (s. dazu Liv. 9.46.14f., Val. Max. 2.2.9 und den erklärenden Vergleich der Stellen bei Themann-Steinke ad loc.). 149. Gemeint ist der Ehrentitel „Augustus“, den Octavian im Jahre 27 v. Chr. verliehen bekam. Vgl. dazu die Anm. zu 1.590. Augustus von augurium hergeleitet findet sich allenthalben in der Antike (so z. B. bei Suet. Aug. 7.2, D.C. 53.16.8); in der Regel wird das Adjektiv für Tempel und andere heilige Dinge verwendet, die nach einem rituellen Augurium geweiht worden sind. 150. I. e. die sog. corona querna civica, die Augustus im Januar 27 v. Chr. ob cives servatos erhielt (Ov. trist. 3.1.33–48, Val. Max. 2.8.7, auch Mon. Ancyr. 34.2). 151. I. e. der Sonnengott. 152. Gemeint ist Carmentis; vgl. auch Anm. zu 1.462 und 478. 153. Vgl. Anm. zu 1.55. 154. Die zweirädrigen Wagen (carpenta), mit denen Matronen im Stadtgebiet Roms fahren durften, werden hier etymologisch mit Carmentis in Verbindung gebracht. 155. Steht für „arkadisch“ wie in V. 545 und meint Carmentis. 156. Porrima (auch Antevorta vgl. Hygin bei Macr. 1.7.20 oder Prorsa vgl. Varro bei Gell. 16.16.4) soll Vergangenes wissen. Als Göttin ist sie bei Geburten von Kindern, die mit den Füßen voran entbunden werden, zugegen.

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157. Postverta kann Zukünftiges weissagen. Auch sie wird als Geburtsgöttin gesehen, allerdings für Geburten, bei denen die Kinder mit dem Kopf voran geboren werden. 158. Mainalos ist der bedeutendste Berg Ostarkadiens, sodass das Adjektiv synonym für „arkadisch“ verwendet wird. 159. Es gab einen Tempel für Iuno Moneta auf dem Capitol (vgl. Anm. zu 6.183), der im Jahre 344 v. Chr. nach einem Erfolg im Krieg gegen die Auruncer von L. Furius Camillus geweiht wurde (Liv. 7.28.4–6). Dieser Camillus ist der Sohn oder Enkel des Camillus aus V. 641. 160. In Rom sind zu Ehren der Göttin der Eintracht mehrere Tempel erbaut worden. Der Tempel, der hier in V. 639f. gemeint ist, ist derjenige auf der Arx in der Nähe des Heiligtums der Iuno Moneta; dieser wurde von L. Manlius 218 v. Chr. gelobt und schließlich von M. und C. Atilius zwei Jahre später eingeweiht. 161. Hier ist der ältere M. Furius Camillus gemeint, der in seiner aktiven Laufbahn viele politische Ämter bekleidete und 367 v. Chr., nach Beilegung der secessio plebis, der Concordia einen ersten Tempel auf dem Forum gelobte (Plu. Cam. 42.4, 6). 162. Tiberius gelobte im Jahre 7 v. Chr., einen älteren Tempel der Concordia (D.C. 55.8.2) aus der Siegesbeute vom Germanienfeldzug zu restaurieren. Erst 10 n. Chr. wurde dieser Tempel allerdings eingeweiht. Die relativ späte Datierung liefert erneut einen Terminus post quem für das Redigieren (dazu D.C. 56.25.1, Suet. Tib. 20). Nur dieser Concordia-Tempel hat den 16. Januar als sicheres Stiftungsdatum (vgl. CIL 1.1 p. 231). 163. I. e. Livia Drusilla (später Iulia Augusta), die in ihrer ersten Ehe den späteren Kaiser Tiberius gebar. Aus Dankbarkeit für die harmonische Ehe mit Kaiser Augustus stiftete sie Concordia einen Tempel. S. dazu und zur porticus Liviae fast. 6.637f. m. Anm. 164. Hierbei handelt es sich um feriae conceptivae, ohne festgelegtes Datum im Kalender. 165. Tellus erhielt als „Mutter Erde“ an verschiedenen Festen gemeinsam mit Ceres Opfer, z. B. eine trächtige Sau. 166. Ceres entspricht der griechischen Demeter und ist die Göttin des Ackerbaus, insbesondere des Getreideanbaus und der Fruchtbarkeit. Ihre Tochter Proserpina bzw. Persephone wurde von Hades entführt. Vgl. hierzu fast. 4.417–620, zu den Cerialia, dem Ceres-Fest, s. fast. 4.393 m. Anm. 167. Zur Eichel als einfacher Speise der frühen Menschen s. auch Verg. georg. 1.7f., 147–149, Ov. fast. 4.401f., Plin. nat. 7.191. 168. Hierbei handelt es sich um eine typische Pflanzenkrankheit (vgl. Plin. nat. 18.154, 18.275–277). Im Folgenden werden weitere für die Land-

Anmerkungen zum ersten Buch

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wirtschaft ungünstige Pflanzen angeführt: die krankmachende Lolchpflanze sowie der sog. „Taube Hafer“. 169. Durch seinen Sieg bei Actium über Antonius im Jahr 31 v. Chr. hat Augustus die Pax Romana etabliert und im Zuge dessen den Ianus-Tempel geschlossen; vgl. dazu auch fast. 1.124 m. Anm. 170. Gemeint sind Castor und Pollux, Söhne von Leda und Iuppiter. Hintergrund des aus Dankbarkeit vom Dictator Postumius gelobten Tempels (Liv. 2.20.12) ist ihre Rolle, die sie in der Schlacht am See Regillus gegen die Tarquinier am 15. Juli 499 v. Chr. spielten. Das von Livius (2.42.5) angegebene Datum 15. Juli 484 v. Chr. als Einweihungsdatum passt nicht zu dem hiesigen 27. Januar. Da aber im Folgenden von dem Brüderpaar aus der Familie der Götter die Rede ist, wird sich die Aussage auf das Restaurationsdatum beziehen. Tiberius und Drusus stellten durch die Kriegsbeute aus Germanien den Tempel 6 n. Chr. wieder her (vgl. Suet. Tib. 20, D.C. 55.27.4). Zur Geschichte und zum Aussehen des Tempels vgl. Frazer ad loc. 171. Das Wasserbecken der Iuturna soll dort erbaut worden sein, wo die Dioskuren sich und die Streitrosse erfrischten und die blutigen Spuren der Schlacht vom See Regillus abwuschen. 172. Vgl. Anm. zu fast. 1.463. 173. Die Ara Pacis ist die kunstvoll gestaltete Manifestation der augusteischen Pax Romana. Am 4. Juli 13 v. Chr. wurde sie vom Senat für Augustus’ erfolgreiche Kampagnen in Spanien und Gallien beschlossen (s. Mon. Ancyr. 12.2, Inscr. Ital. 13.2.208, Inscr. Ital. 13.2.189) und am 30. Januar 9 v. Chr. geweiht (s. CIL 1.1 p. 232, Inscr. Ital. 13.2.161). Ausführlich bei Frazer ad loc. 174. Gemeint ist die legendäre Schlacht bei Actium, in der Octavian im Jahr 31 v. Chr. den Sieg über Antonius davontrug.

LIBER SECVNDVS

Ianus habet finem. Cum carmine crescit et annus:   alter ut hic mensis, sic liber alter eat! Nunc primum velis, elegi, maioribus itis:   exiguum, memini, nuper eratis opus. Ipse ego vos habui faciles in amore ministros,   cum lusit numeris prima iuventa suis. Idem sacra cano signataque tempora fastis:   Ecquis ad haec illinc crederet esse viam? Haec mea militia est; ferimus, quae possumus arma,   dextraque non omni munere nostra vacat. Si mihi non valido torquentur pila lacerto   nec bellatoris terga premuntur equi nec galea tegimur nec acuto cingimur ense   (his habilis telis quilibet esse potest), at tua prosequimur studioso pectore, Caesar,   nomina, per titulos ingredimurque tuos. Ergo ades et placido paulum mea munera voltu   respice, pacando siquid ab hoste vacat! Februa Romani dixere piamina patres,   nunc quoque dant verbo plurima signa fidem. Pontifices ab rege petunt et flamine lanas,   quis veterum lingua februa nomen erat; quaeque capit lictor domibus purgamina certis,   torrida cum mica farra, vocantur idem; nomen idem ramo, qui caesus ab arbore pura   casta sacerdotum tempora fronde tegit. Ipse ego flaminicam poscentem februa vidi;   februa poscenti pinea virga data est.

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ZWEITES BUCH Februar Ianus hat sein Ende. Mit dem Gedicht wächst auch das Jahr: wie dieser andere Monat, so soll auch das andere Buch voranschreiten! Nun bewegt ihr, Elegien, euch zum ersten Mal mit größeren Segeln fort:1 Ich erinnere mich, vor kurzem wart ihr ein bescheidenes Werk. 5 Mir selbst wart ihr bereitwillige Diener in der Liebesdichtung, als frühe Jugend mit ihren Versfüßen spielte. Zugleich besinge ich heilige Feste und in den Fasten eingetragene Zeiten: Wer würde glauben, dass es von dort einen Weg hierhin gibt? Dies ist mein Kriegsdienst; ich trage die Waffen, zu denen ich imstande bin 10 und meine Rechte ist nicht frei von jeglicher Aufgabe.2 Wenn die Wurfspieße von mir nicht mit starkem Arm geschleudert werden und der Rücken eines Kavalleriepferdes nicht von mir belastet wird und ich nicht von einem Helm geschützt werde und ich mich nicht mit einem scharfen Schwert gürte, (mit diesen Waffen kann jeder Beliebige behände sein), 15 so beschäftige ich mich doch eifrigen Herzens mit deinen Ruhmesnamen, Caesar3, und schreite deine Ehrentitel ab. Sei also gewogen und betrachte meine Gabe ein wenig mit gnädiger Miene, wenn etwas Zeit übrig bleibt vom Unterwerfen des Feindes! Unsere römischen Vorfahren nannten die Sühnemittel februa4, 20 auch heute verleihen sehr viele Zeichen dem Begriff Glaubwürdigkeit. Die Priester verlangen vom Opferkönig5 und vom Flamen6 Wollkleider, die in der Sprache der Altvorderen die Bezeichnung februa trugen; und das, was der Lictor7 als Sühnemittel für bestimmte Häuser ergreift, getrockneten Spelt mit Salzkörnern, wird genauso genannt; 25 der Zweig trägt denselben Namen, der vom reinen Baum abgeschnitten die gottesfürchtigen Schläfen der Priester mit seinem Laub bedeckt.8 Ich selbst sah die Gattin eines Flamen februa fordern; ein Fichtenzweig wurde ihr gegeben, weil sie februa forderte.

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Denique quodcumque est, quo corpora nostra piantur,   hoc apud intonsos nomen habebat avos. Mensis ab his dictus, secta quia pelle Luperci   omne solum lustrant idque piamen habent, aut quia placatis sunt tempora pura sepulcris,   tum cum ferales praeteriere dies. Omne nefas omnemque mali purgamina causam   credebant nostri tollere posse senes. Graecia principium moris dedit: illa nocentes   impia lustratos ponere facta putat. Actoriden Peleus, ipsum quoque Pelea Phoci   caede per Haemonias solvit Acastus aquas; vectam frenatis per inane draconibus Aegeus   credulus immerita Phasida fovit ope; Amphiareiades Naupactoo Acheloo   “solve nefas”, dixit, solvit et ille nefas. Ah nimium faciles, qui tristia crimina caedis   fluminea tolli posse putatis aqua! Sed tamen, antiqui ne nescius ordinis erres,   primus, ut est, Iani mensis et ante fuit; qui sequitur Ianum, veteris fuit ultimus anni.   Tu quoque sacrorum, Termine, finis eras. Primus enim Iani mensis, quia ianua prima est:   qui sacer est imis manibus, imus erat. Postmodo creduntur spatio distantia longo   tempora bis quini continuasse viri.

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H K FEB N Principio mensis Phrygiae contermina Matri   Sospita delubris dicitur aucta novis. Nunc ubi sunt, illis quae sunt sacrata Kalendis   templa deae? Longa procubuere die.

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Schließlich trug alles, was es gibt, womit unsere Körper entsühnt werden, bei unseren bärtigen Vorfahren diese Bezeichnung. wurde der Monat danach benannt, weil die Luperci9 jeden Ort durchstreifen mit ihren zurechtgeschnittenen Fellriemen und dies als Sühnemaßnahme begreifen oder weil die Zeiten rein sind, wenn die Gräber versöhnt sind, dann, wenn die Tage der Totenfeiern vorbeigegangen sind.10 Unsere Alten waren der Ansicht, dass die Sühnemittel jeden Frevel und jede Ursache des Bösen aufheben könnten. Griechenland gab den Ursprung für diese Sitte: Jenes glaubt, dass die Übeltäter, wenn sie entsühnt sind, die frevelhaften Taten ablegen. Peleus11 löste den Actoriden12, Acastus13 auch Peleus selbst mittels der haemonischen14 Gewässer vom Mord an Phocus15. Aegeus begünstigte in seiner leichtgläubigen Art die Frau vom Phasis16 mit unverdienter Hilfe, die mit gezäumten Drachen durch den leeren Raum gefahren war. Der Amphiaride sagte zu Acheloos von Naupactos17: „Löse den Frevel“, und jener löste den Frevel. Ah, ihr allzu leicht zu Beeinflussenden, die ihr glaubt, dass grässliche Mordverbrechen durch Flusswasser beseitigt werden können! Aber damit du nicht ohne Kenntnis der alten Reihenfolge in die Irre läufst, war gleichwohl der Monat des Ianus auch früher der erste, wie er es jetzt ist; welcher dem Ianus folgt, war der letzte Monat des alten Jahres.18 Auch du, Terminus19, warst das Ende der heiligen Feste. Der erste war nämlich der Monat des Ianus, weil die Tür das Erste ist: der Monat, der den Manen20 der Unterwelt heilig ist, war der letzte. Danach sollen die zweimal fünf Männer Zeiten aneinandergereiht haben, die durch einen langen Zeitraum entfernt waren. 1. Februar

55 Am Monatsanfang soll Sospita21, die Nachbarin der phrygischen Mutter22, durch ein neues Heiligtum verherrlicht worden sein. Wo ist der Tempel jetzt, der an jenen Kalenden der Göttin geweiht worden ist? Er stürzte an einem Tag ein, der lange her ist.

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Cetera ne simili caderent labefacta ruina,   cavit sacrati provida cura ducis, sub quo delubris sentitur nulla senectus;   nec satis est homines, obligat ille deos. Templorum positor, templorum sancte repostor,   sit superis, opto, mutua cura tui. Dent tibi caelestes, quos tu caelestibus, annos   proque tua maneant in statione domo! Tum quoque vicini lucus celebratur Alerni,   qua petit aequoreas advena Thybris aquas. Ad penetrale Numae Capitolinumque Tonantem   inque Iovis summa caeditur arce bidens. Saepe graves pluvias adopertus nubibus aether   concitat, aut posita sub nive terra latet.

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AN Proximus Hesperias Titan abiturus in undas   gemmea purpureis cum iuga demet equis, illa nocte aliquis tollens ad sidera voltum   dicet: “Ubi est hodie, quae Lyra fulsit heri?” Dumque Lyram quaeret, medii quoque terga Leonis   in liquidas subito mersa notabit aquas.

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BN Quem modo caelatum stellis Delphina videbas,   is fugiet visus nocte sequente tuos, seu fuit occultis felix in amoribus index,   Lesbida cum domino seu tulit ille lyram. Quod mare non novit, quae nescit Ariona tellus?   Carmine currentes ille tenebat aquas.

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Dass die Übrigen nicht erschüttert in ähnlichem Einsturz zusammenfielen, 60 dafür sorgte die vorausschauende Fürsorge des göttlichen Herrschers, unter dem von den Heiligtümern kein Alter gespürt wird. Und es reicht nicht, die Menschen , jener verpflichtet die Götter. Errichter von Tempeln, erhabener Restaurator von Tempeln23, ich wünsche, dass die Götter eine wechselseitige Fürsorge für deine Person haben. 65 Die Himmelsbewohner mögen dir Jahre schenken, die du den Himmelsbewohnern gegeben hast, und mögen für dein Haus auf dem Wachposten bleiben! Dann wird auch der Hain des benachbarten Alernus24 gefeiert, wo der ankommende Thybris25 die Wasser des Meeres erreicht. Beim Heiligtum des Numa26 und beim capitolinischen Tonans27 70 und ganz oben auf der Burg des Iuppiter wird ein Schaf geopfert. Oft ruft der wolkenverhangene Himmel schwere Regengüsse hervor oder die Erde verbirgt sich unter darauf liegendem Schnee. 2. Februar Wenn der nächste Titan28, im Begriff in die hesperischen Wogen29 hinabzutauchen, den purpurnen Pferden die edelsteinbesetzten Geschirre abnehmen wird, 75 wird in jener Nacht irgendeiner, wenn er sein Antlitz zu den Sternen hebt, sagen: „Wo ist die Leier heute, die gestern geleuchtet hat?“ Und solange er die Leier suchen wird, wird er bemerken, dass auch die Rückenpartien in der Mitte des Löwen plötzlich in den klaren Fluten versunken sind. 3. Februar Dieser Delfin, den du gerade noch mit Sternen geschmückt 80 sahst, wird deinen Blicken in der folgenden Nacht fliehen, sei es dass er in verborgenen Liebschaften einen glücklichen Hinweis gab30 oder jener die Leier von Lesbos31 zusammen mit dem Herren trug. Welches Meer kennt nicht Arion, welches Land weiß nichts von ihm? Mit seinem Lied hielt er die fließenden Wassermassen an.

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Saepe sequens agnam lupus est a voce retentus,   saepe avidum fugiens restitit agna lupum; saepe canes leporesque umbra iacuere sub una   et stetit in saxo proxima cerva leae et sine lite loquax cum Palladis alite cornix   sedit et accipitri iuncta columba fuit. Cynthia saepe tuis fertur, vocalis Arion,   tamquam fraternis obstipuisse modis. Nomen Arionium Siculas impleverat urbes   captaque erat lyricis Ausonis ora sonis; inde domum repetens puppem conscendit Arion   atque ita quaesitas arte ferebat opes. Forsitan, infelix, ventos undasque timebas,   at tibi nave tua tutius aequor erat. Namque gubernator destricto constitit ense   ceteraque armata conscia turba manu. Quid tibi cum gladio? Dubiam rege, navita, puppem:   non haec sunt digitis arma tenenda tuis. Ille, metu pavidus, “mortem non deprecor”, inquit,   “sed liceat sumpta pauca referre lyra.” Dant veniam ridentque moram: capit ille coronam,   quae possit crines, Phoebe, decere tuos; induerat Tyrio bis tinctam murice pallam:   reddidit icta suos pollice chorda sonos, flebilibus numeris veluti canentia dura   traiectus penna tempora cantat olor. Protinus in medias ornatus desilit undas;   spargitur impulsa caerula puppis aqua. Inde (fide maius) tergo delphina recurvo   se memorant oneri subposuisse novo. Ille sedens citharamque tenens pretiumque vehendi   cantat et aequoreas carmine mulcet aquas.

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85 Oft wurde der Wolf bei der Jagd auf das Lamm von seiner Stimme zurückgehalten, oft kam das Lamm auf seiner Flucht vor dem gierigen Wolf zum Stehen; oft lagen Hunde und Häschen zusammen in demselben Schatten, und die Hirschkuh stand auf einem Felsen gleich neben der Löwin und ohne Streit saß die geschwätzige Krähe beim Vogel der Pallas32 90 und das Täubchen war in Gesellschaft des Habichts. Die cynthische Göttin33 soll oft über deine Weisen, wohlklingender Arion, wie über die ihres Bruders gestaunt haben. Der berühmte Name Arions hatte die sizilischen Städte erfüllt und die ausonische Küste34 war im Bann der Melodien der Leier; 95 Arion strebte daraufhin nach Hause und bestieg ein Schiff und führte so die durch seine Kunst erworbenen Reichtümer mit sich. Vielleicht fürchtetest du, Unglücklicher, Winde und Wogen, jedoch war das Meer dir sicherer als dein Schiff. Sowohl der Steuermann baute sich mit gezücktem Schwert auf 100 als auch die übrige Mannschaft mitwissend mit bewaffneter Hand. Was willst du mit dem Schwert? Seemann, lenke das Schiff in Gefahr: Nicht dürfen deine Finger diese Waffen halten! Jener spricht, bleich vor Furcht: „Ich versuche nicht meinen Tod abzuwenden, sondern es möge erlaubt sein, die Leier zu nehmen und weniges vorzutragen.“ 105 Sie geben ihm die Erlaubnis und belächeln die Verzögerung: Jener greift zu dem Kranz, der wohl auch deine Lockenpracht schmücken könnte, Phoebus; er hatte den Mantel, der zweifach mit der tyrischen Purpurschnecke gefärbt worden war, angezogen: Die mit dem Daumen geschlagene Saite ließ ihre Töne erklingen, wie ein Schwan mit kläglichen Weisen singt, wenn er an 110 seinen weißen Schläfen von einem harten Pfeil durchbohrt worden ist. Unverzüglich springt er im vollen Ornat mitten in die Fluten; das blaue Schiff wird bespritzt durch das aufschäumende Wasser. Danach habe (mehr als man glauben kann) ein Delfin, wie man erzählt, sich mit seinem gekrümmten Rücken unter die neuartige Last geschoben. 115 Jener sitzt da, hält die Leier, besingt den Wert der Fahrt und besänftigt mit seinem Lied die Meeresfluten.

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Di pia facta vident: astris delphina recepit   Iuppiter et stellas iussit habere novem. D NON NP Nunc mihi mille sonos, quoque est memoratus Achilles,   vellem, Maeonide, pectus inesse tuum, dum canimus sacras alterno carmine Nonas.   Maximus hic fastis accumulatur honor. Deficit ingenium maioraque viribus urgent:   haec mihi praecipuo est ore canenda dies. Quid volui demens elegis imponere tantum   ponderis? Heroi res erat ista pedis. Sancte pater patriae, tibi plebs, tibi curia nomen   hoc dedit, hoc dedimus nos tibi nomen, eques. Res tamen ante dedit: sero quoque vera tulisti   nomina, iam pridem tu pater orbis eras. Hoc tu per terras, quod in aethere Iuppiter alto,   nomen habes: hominum tu pater, ille deum. Romule, concedes: facit hic tua magna tuendo   moenia, tu dederas transilienda Remo. Te Tatius parvique Cures Caeninaque sensit,   hoc duce Romanum est solis utrumque latus; tu breve nescioquid victae telluris habebas,   quodcumque est alto sub Iove, Caesar habet. Tu rapis, hic castas duce se iubet esse maritas;   tu recipis luco, reppulit ille nefas; vis tibi grata fuit, florent sub Caesare leges;   tu domini nomen, principis ille tenet; te Remus incusat, veniam dedit hostibus ille;   caelestem fecit te pater, ille patrem. Iam puer Idaeus media tenus eminet alvo   et liquidas mixto nectare fundit aquas.

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Die Götter sehen das fromme Geschehen: Iuppiter nahm den Delfin unter die Sterne auf und ließ ihn neun Sterne haben. 5. Februar Jetzt wünschte ich, dass mir tausend Klänge innewohnten und dein 120 Gemüt, Maeonide35, mit dem Achill gepriesen wurde, während ich die heiligen Nonen im wechselnden Vers besinge. Diese höchste Ehre wird den Fasti verliehen. Mein Talent schwindet und, was meine Kräfte übersteigt, setzt mir zu: Diesen Tag muss ich mit herausragender Stimme besingen. 125 Was wollte ich, Dummkopf, den Elegien so viel Last aufladen? Diese Sache war Aufgabe des heroischen Verses36. Ehrwürdiger Vater des Vaterlandes,37 dir gab das Volk, gab die Curie diesen Titel, diesen Titel haben auch wir38, die Ritterschaft, dir gegeben. Die Sachlage hat ihn dir dennoch vorher gegeben: Erst spät auch hast du 130 den wahren Titel getragen, schon längst warst du der Vater des Erdkreises. Du trägst diesen Titel überall auf der Erde, den Iuppiter hoch oben im Aether trägt: Der Menschen Vater bist du, jener der der Götter. Romulus, du wirst weichen: Dieser macht deine Mauern groß durch seinen Schutz, du hattest sie Remus zum Überspringen überlassen.39 135 Dich bekamen Tatius40, das kleine Cures41 und Caenina42 zu spüren, unter dessen Führung sind Westen und Osten römisch; du hattest irgendetwas Kleines an bezwungenem Land, was auch immer unter dem hohen Himmelszelt liegt, besitzt Caesar43. Du raubst Ehefrauen, dieser gebietet, dass sie unter seiner Herrschaft keusch sind44; 140 du nimmst das Unrecht im Hain auf45, jener vertrieb es; dir war Gewalt willkommen, unter Caesar florieren die Gesetze; du trägst den Namen eines dominus, jener den eines princeps,46 dich klagt Remus an47, Gnade schenkte den Feinden jener; dich machte dein Vater zu einem Himmelsbewohner, jener seinen Vater.48 145 Schon ragt der idaeische49 Junge bis zur Mitte des Bauches hervor und vergießt klare Wassermassen mit untergemischtem Nektar.

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En etiam, siquis Borean horrere solebat,   gaudeat: a Zephyris mollior aura venit. HN Quintus ab aequoreis nitidum iubar extulit undis   Lucifer, et primi tempora veris erunt. Ne fallare tamen, restant tibi frigora, restant   magnaque discedens signa reliquit hiems.

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BN Tertia nox veniat, Custodem protinus Ursae   aspicies geminos exseruisse pedes. Inter hamadryadas iaculatricemque Dianam   Callisto sacri pars fuit una chori. Illa deae tangens arcus, “quos tangimus arcus,   este meae testes virginitatis!”, ait. Cynthia laudavit, “promissa” que “foedera serva   et comitum princeps tu mihi”, dixit, “eris.” Foedera servasset, si non formosa fuisset:   cavit mortales, de Iove crimen habet. Mille feras Phoebe silvis venata redibat   aut plus aut medium sole tenente diem; ut tetigit lucum (densa niger ilice lucus,   in medio gelidae fons erat altus aquae), “hic”, ait, “in silva, virgo Tegeaea, lavemur!”   Erubuit falso virginis illa sono. Dixerat et nymphis. Nymphae velamina ponunt;   hanc pudet et tardae dat mala signa morae.

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Wohlan, wenn irgendjemand vor dem Boreas50 zu schaudern pflegte, soll er sich auch freuen: von den Zephyrn51 kommt mildere Luft. 9. Februar Der Morgenstern brachte zum fünften Mal seinen 150 strahlenden Glanz aus den Meereswogen hervor und es werden die Zeiten des ersten Frühlings sein. Damit du aber dennoch nicht getäuscht wirst: es bleiben dir frostige Zeiten übrig, sie bleiben übrig und der Winter hinterließ tiefe Spuren, obwohl er schied. 11. Februar

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Die dritte Nacht möge nahen, du wirst sehen, dass der Wächter der Bärin52 seine zwei Füße unverzüglich hervorgestreckt hat. Unter den Hamadryaden53 und der Wurfspieß schleudernden Diana war Callisto54 ein Teil des geweihten Reigens. Jene berührte der Göttin Bogen und sprach: „Bogen, den ich berühre, sei Zeuge meiner Jungfräulichkeit!“ Die cynthische Göttin55 lobte sie und sprach: „Bewahre die versprochenen Gelübde und du wirst mir die Wichtigste der Gefährtinnen sein.“ sie hätte die Gelübde wohl bewahrt, wenn sie nicht so schön gewesen wäre: Sie nahm sich vor den Sterblichen in Acht, von Iuppiter lädt sie Schuld auf sich. Phoebe56 kehrte zurück, nachdem sie tausend Tiere in den Wäldern gejagt hatte, als die Sonne sich mitten im Zenit oder etwas weiter befand; sobald sie den Hain erreicht hatte (der Hain war dunkel wegen des dichten Eichenbewuchses, in Mitte gab es eine tiefe Quelle von eiskaltem Wasser), sagte sie: „Hier im Wald, tegaeische57 Jungfrau, wollen wir uns waschen!“ Jene errötete vor Scham wegen der falschen Bezeichnung „Jungfrau“. Sie hatte auch die Nymphen angesprochen. Die Nymphen legen ihre Gewänder ab; sie empfindet Scham und sie fügt dem trägen Zögern schändliche Indizien hinzu.

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Exuerat tunicas; uteri manifesta tumore   proditur indicio ponderis ipsa suo. Cui dea, “virgineos, periura Lycaoni, coetus   desere nec castas pollue”, dixit, “aquas!” Luna novum decies implerat cornibus orbem:   quae fuerat virgo credita, mater erat. Laesa furit Iuno formam mutatque puellae:   Quid facis? Invito est pectore passa Iovem. Utque ferae vidit turpes in paelice voltus,   “huius in amplexus, Iuppiter,” inquit, “eas!” Ursa per incultos errabat squalida montes,   quae fuerat summo nuper amata Iovi. Iam tria lustra puer furto conceptus agebat,   cum mater nato est obvia facta suo. Illa quidem, tamquam cognosceret, adstitit amens   et gemuit: gemitus verba parentis erant. Hanc puer ignarus iaculo fixisset acuto,   ni foret in superas raptus uterque domos. Signa propinqua micant: prior est, quam dicimus Arcton,   Arctophylax formam terga sequentis habet. Saevit adhuc canamque rogat Saturnia Tethyn,   Maenaliam tactis ne lavet Arcton aquis. D EID NP Idibus agrestis fumant altaria Fauni   hic, ubi discretas insula rumpit aquas.

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Sie hatte die Tunica abgelegt; überführt durch des Bauches Wölbung verrät sie sich selbst aufgrund des eigenen Hinweises auf ihre Leibesfrucht. Ihr sagte die Göttin: „Meineidige Tochter des Lycaon, verlass die Gesellschaft der Jungfrauen und verunreinige nicht die reinen Wasser.“ Luna hatte zehnmal mit ihren Hörnern einen neuen Kreis vollendet: Sie war eine Mutter, die für eine Jungfrau gehalten worden war. Die verletzte Iuno rast vor Wut und verändert die Gestalt des Mädchens: Was machst du da? Gegen den Willen ihres Herzens hat sie Iuppiter erlitten. Und sobald sie die hässlichen Gesichtszüge des wilden Tieres an der Nebenbuhlerin gesehen hatte, sagte sie: „Iuppiter, in ihre Umarmungen sollst du gehen!“ Als schmutzige Bärin irrte sie durch die unwirtlichen Berge, die vor kurzem dem höchsten Iuppiter eine Geliebte gewesen war. Schon verlebte der Knabe, der durch eine List empfangen worden war, drei Lustren58, als die Mutter ihrem Sohn begegnete. Freilich blieb jene betäubt stehen, als ob sie ihn erkannte, und ließ einen dumpfen Ton erklingen: das Tönen waren die Worte der Mutter. Der Knabe hätte sie in seiner Unwissenheit mit seinem spitzen Speer durchbohrt, wenn nicht beide zu himmlischen Sitzen entrückt worden wären. Sie strahlen als benachbarte Sternbilder: früher ist sie die, die wir „Bärin“ nennen, der „Bärenhüter“ hat die äußere Erscheinung von einem, der ihrem Rücken folgt. Die Saturn-Tochter59 ist immer noch erzürnt und bittet die graue Tethys60, die maenalische61 Bärin nicht die Fluten berühren und darin baden zu lassen. 13. Februar An den Iden raucht der Altar des ländlichen Faunus62 hier, wo die Insel die durch sie geteilten Wassermassen bricht.

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Haec fuit illa dies, in qua Veientibus armis   ter centum Fabii ter cecidere duo. Una domus vires et onus susceperat urbis:   sumunt gentiles arma professa manus. Egreditur castris miles generosus ab isdem,   e quis dux fieri quilibet aptus erat. Carmentis portae dextro est via proxima iano:   ire per hanc noli, quisquis es; omen habet. Illa fama refert Fabios exisse trecentos:   porta vacat culpa, sed tamen omen habet. Ut celeri passu Cremeram tetigere rapacem   (turbidus hibernis ille fluebat aquis), castra loco ponunt: destrictis ensibus ipsi   Tyrrhenum valido Marte per agmen eunt non aliter quam cum Libyca de gente leones   invadunt sparsos lata per arva greges. Diffugiunt hostes inhonestaque volnera tergo   accipiunt: Tusco sanguine terra rubet. Sic iterum, sic saepe cadunt; ubi vincere aperte   non datur, insidias armaque tecta parant. Campus erat, campi claudebant ultima colles   silvaque montanas occulere apta feras. In medio paucos armentaque rara relinquunt,   cetera virgultis abdita turba latet. Ecce velut torrens undis pluvialibus auctus   aut nive, quae Zephyro victa tepente fluit, per sata perque vias fertur nec, ut ante solebat,   riparum clausas margine finit aquas, sic Fabii vallem latis discursibus implent,   quodque vident, sternunt nec metus alter inest.

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195 Dies war jener Tag, an dem durch veientische63 Waffen dreimal hundert und dreimal zwei Fabier fielen. Ein einziges Haus hatte die Bedrängnis und Last der Stadt auf sich genommen: Die Hände derselben Gens ergreifen die von ihr zugesicherten Waffen. Ein edler Soldat kommt aus demselben Lager heraus, 200 aus dem jeder Beliebige in der Lage war, ein Heerführer zu werden. Der Weg ist äußerst nah am rechten Bogen des Tores der Carmentis: Wer auch immer du sein magst, gehe nicht hindurch; es hält ein schlechtes Vorzeichen bereit. Das Gerücht berichtet, dreihundert Fabier seien aus jenem herausgezogen: Das Tor ist frei von Schuld, aber es hält dennoch ein schlechtes Vorzeichen bereit. 205 Sobald sie mit raschem Schritt die reißende Cremera erreicht hatten (jene floss durch die winterlichen Wasser aufgewühlt dahin), schlagen sie an dem Ort ihr Lager auf: mit gezückten Schwertern gehen sie selbst durch den tyrrhenischen64 Heereszug mit starker Kampfkraft; nicht anders als wenn Löwen von libyscher Herkunft in die Herden, 210 die überall auf den weitläufigen Fluren verteilt sind, einfallen. Die Feinde fliehen auseinander und empfangen auf dem Rücken unehrenhafte Wunden: die Erde färbt sich vom tuscischen65 Blute rot. So fallen sie wiederum, so fallen sie oft; wo es ihnen nicht vergönnt ist, im offenen siegreich zu sein, bereiten sie einen Hinterhalt und verborgene Waffen vor. 215 Es gab ein offenes Feld, die äußersten Ränder des Feldes umgaben Hügel und ein Wald, der geeignet war, wilde Bergtiere zu verstecken. In seiner Mitte lassen sie wenige Männer und vereinzelt Rinder zurück, die übrige Schar ist verborgen im Gebüsch versteckt. Siehe da, wie ein Wildbach durch Regenfluten oder Schnee 220 angeschwollen, der schmilzt, weil er durch den warmen Zephyrus66 bezwungen wurde, durch die Saatfelder und Feldwege sich ergießt und nicht, wie er es vorher zu tun pflegte, Wassermassen durch den Uferrand eingeschlossen begrenzt, so füllen die Fabier mit weiten Streifzügen das Tal aus, und strecken nieder, was sie sehen, und keine andere Furcht wohnt ihnen inne.

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Quo ruitis, generosa domus? Male creditis hosti:   simplex nobilitas, perfida tela cave! Fraude perit virtus: in apertos undique campos   prosiliunt hostes et latus omne tenent. Quid faciant pauci contra tot milia fortes?   Quidve, quod in misero tempore restet, adest? Sicut aper longe silvis latratibus actus   fulmineo celeres dissipat ore canes, mox tamen ipse perit, sic non moriuntur inulti   volneraque alterna dantque feruntque manu. Una dies Fabios ad bellum miserat omnes,   ad bellum missos perdidit una dies. Ut tamen Herculeae superessent semina gentis,   credibile est ipsos consuluisse deos: nam puer impubes et adhuc non utilis armis   unus de Fabia gente relictus erat, scilicet ut posses olim tu, Maxime, nasci,   cui res cunctando restituenda foret.

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EN Continuata loco tria sidera, Corvus et Anguis   et medius Crater inter utrumque, iacent. Idibus illa latent, oriuntur nocte sequenti;   quae tibi, cur tria sint tam sociata, canam. Forte Iovi Phoebus festum sollemne parabat   (non faciet longas fabula nostra moras): “I, mea”, dixit, “avis, ne quid pia sacra moretur,   et tenuem vivis fontibus adfer aquam!” Corvus inauratum pedibus cratera recurvis   tollit et aerium pervolat altus iter.

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225 Wohin stürzt ihr, adliges Haus? Ihr vertraut zu eurem Verderben dem Feinde: Argloser Adel, hüte dich vor den treulosen Geschossen! Durch Tücke geht Tapferkeit zugrunde: von allen Seiten springen die Feinde auf die offen liegenden Felder hervor und nehmen jede Flanke ein. Was sollen wenige Wackere gegen so viele Tausend bewirken? 230 Oder was hilft , was in einer elenden Zeit noch bleibt? So wie ein Eber weit in den Wäldern durch Gebell der Hunde getrieben wird und dann die schnellen Hunde mit seinem mörderischen Maul auseinandertreibt, dennoch selbst bald zugrunde geht, so sterben sie, jedoch nicht ungerächt, und fügen mit ihrer Hand wechselseitig Wunden zu und empfangen sie . 235 Ein einziger Tag hatte alle Fabier in den Krieg geschickt, in den Krieg geschickt vernichtete sie ein einziger Tag. Dass jedoch noch Samen vom Geschlecht des Hercules67 übrig blieben, dafür hätten die Götter selbst gesorgt, so ist’s glaubhaft: Denn nur ein einziger Knabe, der noch unmündig und für die Waffen 240 nicht zu gebrauchen war, war aus der Gens Fabia übrig geblieben, natürlich damit du, Maximus68, der den Staat durch das Zaudern wiederherstellen musste, einst geboren werden konntest. 14. Februar Drei Sternbilder liegen an einem Orte nahe beieinander: der „Rabe“, die „Schlange“ und in der Mitte zwischen den beiden der „Mischkrug“. 245 An den Iden sind jene verborgen und gehen in der folgenden Nacht auf; warum die drei so verbunden sind, will ich dir besingen. Zufällig traf Phoebus69 Vorkehrungen für das jährliche Fest zu Ehren Iuppiters (meine Geschichte wird nicht lange andauern): Er sprach: „Flieg, mein Vogel, damit nicht irgendetwas die frommen Riten verzögert 250 und bring aus lebendiger Quelle frisches Wasser herbei!“ Der Rabe hebt den vergoldeten Mischkrug mit seinen Krallenfüßen hoch und nimmt hoch in der Luft den Flugweg.

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Stabat adhuc duris ficus densissima pomis:   temptat eam rostro, non erat apta legi; immemor imperii sedisse sub arbore fertur,   dum fierent tarda dulcia poma mora. Iamque satur nigris longum rapit unguibus hydrum   ad dominumque redit fictaque verba refert: “Hic mihi causa morae, vivarum obsessor aquarum:   hic tenuit fontes officiumque meum.” “Addis”, ait, “culpae mendacia”, Phoebus, “et audes   fatidicum verbis fallere velle deum? At tibi, dum lactens haerebit in arbore ficus,   de nullo gelidae fonte bibentur aquae.” Dixit, et, antiqui monimenta perennia facti,   Anguis, avis, Crater sidera iuncta micant.

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F LVPER NP Tertia post Idus nudos aurora Lupercos   aspicit et Fauni sacra bicornis eunt. Dicite, Pierides, sacrorum quae sit origo,   attigerint Latias unde petita domos! Pana deum pecoris veteres coluisse feruntur   Arcades; Arcadiis plurimus ille iugis. Testis erit Pholoe, testes Stymphalides undae,   quique citis Ladon in mare currit aquis, cinctaque pinetis nemoris iuga Nonacrini   altaque Tricrene Parrhasiaeque nives. Pan erat armenti, Pan illic numen equarum,   munus ob incolumes ille ferebat oves. Transtulit Euander silvestria numina secum:   hic, ubi nunc urbs est, tum locus urbis erat.

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Es stand ein Feigenbaum, der mit noch unreifen Früchten sehr dicht behangen war: Er probiert ihn mit seinem Schnabel, er war nicht geeignet, abgeerntet zu werden; 255 er soll, ohne an den Auftrag zu denken, unter dem Baum gesessen haben, bis die Früchte durch die vertane Zeit süß wurden. Und schon gesättigt, ergreift er eine lange Wasserschlange mit seinen schwarzen Klauen und kehrt zu seinem Herrn zurück und berichtet erlogene Worte: „Diese hier ist der Grund für meine Verspätung, die die erquickenden Wasser heimsuchte: 260 Sie hielt die Quelle besetzt und hielt meinen Dienst auf!“ Phoebus spricht: „Fügst du Lügengeschichten deiner Schuld hinzu und wagst es, den Weissage-Gott durch deine Worte hinters Licht führen zu wollen? Du wirst jedoch, solange die Feige milchig am Baume hängen wird, aus keiner Quelle kaltes Wasser trinken!“ 265 Sprach’s und Schlange, Vogel und Mischkrug funkeln als verbundene Sternbilder, ewige Zeugnisse des alten Geschehens. 15. Februar Die dritte Morgenröte nach den Iden erblickt die nackten Luperci und die heiligen Riten des Faunus mit seinen zwei Hörnern nehmen ihren Lauf. Sprecht, Pieriden70, welches der Ursprung dieser heiligen 270 Riten ist und woher geholt sie zu den Häusern Latiums kamen! Pan71 sollen die alten Arcader als Gott des Viehs verehrt haben; am häufigsten hielt jener sich in den arcadischen Bergketten auf. Zeuge wird sein Pholoe72, Zeugen werden sein die stymphalischen73 Wogen und Ladon74, der mit seinen schnellen Wassermassen ins Meer fließt 275 und die Bergketten des Waldes von Nonacris75, umgeben von Fichtengehölz, und die hohe Tricrene76 und die Schneemassen von Parrhasien77. Pan war dort die Gottheit der Rinder, Pan war dort die Gottheit der Stuten, ein Weihgeschenk trug jener davon um der Unversehrtheit der Schafe willen. Euander78 führte die Waldgottheiten mit sich: 280 Hier, wo sich nun die Stadt befindet, war dereinst Platz für eine Stadt.

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Inde deum colimus devectaque sacra Pelasgis:   flamen ad haec prisco more Dialis erat. Cur igitur currant et cur (sic currere mos est)   nuda ferant posita corpora veste, rogas? Ipse deus velox discurrere gaudet in altis   montibus et subitas concipit ipse fugas: ipse deus nudus nudos iubet ire ministros;   nec satis ad cursus commoda vestis erat. Ante Iovem genitum terras habuisse feruntur   Arcades et luna gens prior illa fuit. Vita feris similis nullos agitata per usus:   artis adhuc expers et rude volgus erat. Pro domibus frondes norant, pro frugibus herbas;   nectar erat palmis hausta duabus aqua. Nullus anhelabat sub adunco vomere taurus,   nulla sub imperio terra colentis erat: nullus adhuc erat usus equi; se quisque ferebat:   ibat ovis lana corpus amicta sua. Sub Iove durabant et corpora nuda gerebant   docta graves imbres et tolerare Notos. Nunc quoque detecti referunt monimenta vetusti   moris et antiquas testificantur opes. Sed cur praecipue fugiat velamina Faunus,   traditur antiqui fabula plena ioci. Forte comes dominae iuvenis Tirynthius ibat:   vidit ab excelso Faunus utrumque iugo; vidit et incaluit, “montana” que “numina”, dixit,   “nil mihi vobiscum est: hic meus ardor erit.” Ibat odoratis umeros perfusa capillis   Maeonis aurato conspicienda sinu:

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Seitdem verehrten wir den Gott und die heiligen Riten, die von den Pelasgern79 gekommen sind: Dafür war der Flamen Dialis80 nach alter Sitte da. Warum sie also laufen und warum (so zu laufen ist’s Brauch) sie ihre Kleidung ablegen und ihre Körper nackt zur Schau stellen, fragst du? Der Gott selbst erfreut sich daran, schnell auf hohen Bergen herumzurennen, und er selbst ergreift plötzlich die Flucht: Der Gott selbst gebietet nackt seinen Dienern nackt zu laufen; denn ein Gewand war nicht bequem genug zum Laufen. vor der Geburt Iuppiters sollen die Arcader ihre Gebiete bewohnt haben und jenes Volk gab es eher als den Mond.81 Ihr Leben war, ähnlich dem der wilden Tiere, durch keine Gebräuche geregelt: noch unerfahren in Künsten und roh war das Volk. Anstelle von Häusern kannten sie Laub, anstelle von Getreide Kräuter; Nektar war ihnen das mit beiden Händen geschöpfte Wasser. Kein Stier keuchte unter dem gekrümmten Pflug, kein Land stand unter der Gewalt eines Bauern: bis dahin gab es noch keine Nutzung des Pferdes; ein jeder trug sein eigenes Gewicht: es ging das Schaf, den Körper umhüllt von seiner eigenen Wolle. Unter dem Himmelszelt Iuppiters harrten sie aus und liefen mit nackten Körpern umher, die darin geübt waren, heftige Regengüsse und feuchte Südwinde zu ertragen. Auch jetzt rufen sie, dadurch dass sie entblößt sind, die Erinnerung an die alte Sitte ins Gedächtnis und bezeugen die Besitztümer von ehedem.

Aber warum besonders Faunus Kleidung verschmäht, wird eine sehr lustige, alte Geschichte erzählt. 305 Zufällig lief der Jüngling aus Tiryns82 als Begleiter seiner Herrin83: es sah Faunus die beiden von der Höhe eines Bergkamms; er sah sie und wurde geil und sprach: „Berggöttinnen, nichts habe ich mit euch vor: dies wird meine Flamme sein.“ Es schritt mit duftendem Haar, das über die Schultern 310 herabwallte, die Maeonierin84, hübsch anzuschauen mit dem goldbe­ hangenen Busen:

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aurea pellebant tepidos umbracula soles,   quae tamen Herculeae sustinuere manus. Iam Bacchi nemus et Tmoli vineta tenebat,   Hesperos et fusco roscidus ibat equo. Antra subit tofis laqueata et pumice vivo;   garrulus in primo limine rivus erat. Dumque parant epulas potandaque vina ministri,   cultibus Alciden instruit illa suis: dat tenues tunicas Gaetulo murice tinctas,   dat teretem zonam, qua modo cincta fuit. Ventre minor zona est; tunicarum vincla relaxat,   ut posset magnas exseruisse manus. Fregerat armillas non illa ad bracchia factas,   scindebant magni vincula parva pedes. Ipsa capit clavamque gravem spoliumque leonis   conditaque in pharetra tela minora sua. Sic epulis functi sic dant sua corpora somno   et positis iuxta secubuere toris: causa, repertori vitis quia sacra parabant,   quae facerent pure, cum foret orta dies. Noctis erat medium. Quid non amor improbus audet?   Roscida per tenebras Faunus ad antra venit: utque videt comites somno vinoque solutos,   spem capit in dominis esse soporis idem. Intrat et huc illuc temerarius errat adulter   et praefert cautas subsequiturque manus. Venerat ad strati captata cubilia lecti   et felix prima sorte futurus erat; ut tetigit fulvi saetis hirsuta leonis   vellera, pertimuit sustinuitque manum attonitusque metu rediit, ut saepe viator   turbatum viso rettulit angue pedem. Inde tori, qui iunctus erat, velamina tangit   mollia mendaci decipiturque nota.

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Ein goldener Sonnenschirm wehrte die warmen Sonnenstrahlen ab, den freilich die Hände des Hercules hielten. Schon erreichte sie den Hain des Bacchus und die Weinberge des Tmolus85, und Hesperos86 kam voller Tau auf seinem bräunlichen Ross. Sie betritt die Höhlengewölbe, die gleichsam getäfelt mit Tuff und unbehauenem Bimsstein sind; ganz vorn an der Schwelle befand sich ein plätschernder Bach. Und während Diener den Festschmaus und Weinsorten zum Trinken vorbereiten, stattet jene den Alciden87 mit ihren Frauenkleidern aus: Sie reicht dünne Gewänder, die mit gaetulischem Purpur88 gefärbt sind, sie reicht den glattpolierten Gürtel, mit dem sie eben noch gegürtet war. Der Gürtel ist zu klein für seinen Bauchumfang; er löst die Bänder der Kleider, um seine großen Hände herausstrecken zu können. Er hatte die Armreifen zerbrochen, die nicht für jene Arme gemacht waren, seine großen Füße zerrissen die kleinen Riemen der Schuhe. Sie selbst ergreift die schwere Keule und das Löwenfell und die kleineren Pfeile, die in ihrem Köcher verstaut sind. So beendeten sie ihr Mahl, so geben sie ihre Körper dem Schlaf hin und legten sich auf nebeneinander aufgestellten Betten getrennt hin: Der Grund war, dass sie ein Opfer für den Entdecker89 der Weinrebe vorbereiteten, das sie rein begehen wollten, wenn der Tag angebrochen sei. Es war Mitternacht. Was wagt nicht unanständige Liebe? Zur feuchten Grotte kommt durch die Dunkelheit Faunus: Und als er die Gefolgschaft von Schlaf und Wein besiegt sieht, keimt Hoffnung in ihm auf, dass derselbe Schlaf bei den Herren zu finden sei. Der Liebhaber tritt verwegen ein und irrt hierhin und dorthin und streckt vorsichtig die Hände nach vorn und folgt ihnen nach. Er war an die Stelle gekommen, wo das Bett zurechtgemacht war, langt dorthin und wäre er beim ersten Anlauf erfolgreich gewesen; sobald er das struppige Fell des bräunlichen Löwen mit seinen Borsten berührte, erschrak er heftig, hielt mit der Hand inne und wich bestürzt vor Furcht zurück, wie häufig ein Wanderer seinen Fuß zurückzieht, verstört durch den Anblick einer Schlange. Dann berührt er des benachbarten Bettes weiche Bezüge und wird durch dieses trügerische Zeichen getäuscht.

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Ascendit spondaque sibi propiore recumbit   et tumidum cornu durius inguen erat. Interea tunicas ora subducit ab ima:   horrebant densis aspera crura pilis. Cetera temptantem subito Tirynthius heros   reppulit: e summo decidit ille toro. Fit sonus, inclamat comites et lumina poscit   Maeonis: inlatis ignibus acta patent. Ille gemit lecto graviter deiectus ab alto   membraque de dura vix sua tollit humo. Ridet et Alcides et qui videre iacentem,   ridet amatorem Lyda puella suum. Veste deus lusus fallentes lumina vestes   non amat et nudos ad sua sacra vocat. Adde peregrinis causas, mea Musa, Latinas   inque suo noster pulvere currat equus! Cornipedi Fauno caesa de more capella   venit ad exiguas turba vocata dapes. Dumque sacerdotes veribus transuta salignis   exta parant, medias sole tenente vias, Romulus et frater pastoralisque iuventus   solibus et campo corpora nuda dabant. Vectibus et iaculis et misso pondere saxi   bracchia per lusus experienda dabant: pastor ab excelso, “per devia rura iuvencos,   Romule, praedones, et Reme”, dixit, “agunt.” Longum erat armari: diversis exit uterque   partibus occursu praeda recepta Remi. Ut rediit, veribus stridentia detrahit exta   atque ait: “Haec certe non nisi victor edet.” Dicta facit Fabiique simul. Venit inritus illuc   Romulus et mensas ossaque nuda videt.

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345 Er steigt hinauf und legt sich auf dem Bett, das ihm näher war, hin und sein geschwollener Schwanz war härter als sein Horn. Unterdessen zieht er heimlich das Gewand ganz unten am Saum weg: rau und struppig von dichten Haaren waren die Beine. Als er das Übrige versuchte, stieß ihn der Held aus Tiryns 350 plötzlich zurück: von ganz oben vom Bett fällt jener herunter. Es entsteht ein Getöse, die Maeonierin schreit nach ihrem Gefolge und fordert Licht: im Schein der hereingebrachten Fackeln liegt das Geschehene offen zutage. Jener stöhnt auf, weil er vom hohen Bett heftig herabgeworfen wurde, und kann seine Glieder kaum vom harten Boden aufrichten. 355 Es lacht der Alcide und , die ihn dort liegen sahen, und es lacht das lydische Mädchen über ihren Liebhaber. Weil er durch Kleidung hereingelegt wurde, mag dieser Gott keine Kleidung, da sie ja die Augen täuscht, und ruft Nackte zu seinen heiligen Riten. Füge den fremdländischen latinische Ursachen hinzu, meine 360 Muse,90 und in seinem heimatlichen Staub soll laufen unser Pferd! Als dem hornhufigen Faunus dem Brauch gemäß ein Zicklein geschlachtet worden war, kam auf Einladung hin eine Menge zum kargen Mahl. Und während Priester die Eingeweide auf Weidenspieße steckten und dann zubereiteten – die Sonne befand sich gerade in der Mitte ihrer Wegstrecke –, 365 gaben Romulus, sein Bruder und die Hirtenjugend ihre nackten Körper den Sonnenstrahlen und dem Feld preis. Mit Holzbalken, Wurfspießen und dem Stoßen schwerer Steine probierten sie im Spiel ihrer Arme aus: Ein Hirte rief von der Höhe: „Durch unwegsame Fluren, 370 Romulus und Remus, treiben Räuber unsere Jungstiere weg!“91 Es hätte zu lang gedauert, sich zu bewaffnen: in verschiedene Richtungen rücken beide aus, durch die Begegnung mit Remus wurde die Beute zurückgebracht. Sobald er zurückkam, zieht er von den Spießen die brutzelnden Eingeweide und spricht: „Diese wird gewiss nur der Sieger verspeisen!“ 375 Er tut, was er gesagt hat, und ebenso die Fabier. Es kommt unverrichteter Dinge Romulus dorthin und sieht die leeren Tische und die bloßen Knochen.

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Risit et indoluit Fabios potuisse Remumque   vincere, Quintilios non potuisse suos. Fama manet facti: posito velamine currunt   et memorem famam, quod bene cessit, habet. Forsitan et quaeras, cur sit locus ille Lupercal   quaeve diem tali nomine causa notet. Silvia Vestalis caelestia semina partu   ediderat patruo regna tenente suo. Is iubet auferri parvos et in amne necari:   Quid facis? Ex istis Romulus alter erit. Iussa recusantes peragunt lacrimosa ministri   (flent tamen) et geminos in loca iussa ferunt. Albula, quem Tiberim mersus Tiberinus in undis   reddidit, hibernis forte tumebat aquis: hic, ubi nunc fora sunt, lintres errare videres,   quaque iacent valles, Maxime Circe, tuae. Huc ubi venerunt (neque enim procedere possunt   longius), ex illis unus et alter ait: “At quam sunt similes! At quam formosus uterque!   Plus tamen ex illis iste vigoris habet. Si genus arguitur voltu, nisi fallit imago,   nescioquem in vobis suspicor esse deum. At siquis vestrae deus esset originis auctor,   in tam praecipiti tempore ferret opem: ferret opem certe, si non ope mater egeret,   quae facta est uno mater et orba die. Nata simul, moritura simul, simul ite sub undas,   corpora!” Desierat deposuitque sinu. Vagierunt ambo pariter: sensisse putares;   hi redeunt udis in sua tecta genis.

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Er lachte und es schmerzte ihn dennoch, dass die Fabier und Remus den Sieg davon tragen konnten und seine Quintilier es nicht vermochten.92 Die Kunde von der Tat dauert fort: Sie laufen nach Ablegen der Klei380 dung und das, was gut gelang, bleibt in lebendiger Erinnerung.

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Vielleicht möchtest du auch fragen, warum jener Ort Lupercal heißt oder welcher Grund diesen Tag mit einem solchen Namen bezeichnet?93 Silvia, obwohl eine Vestalin, hatte göttliche Sprösslinge geboren, als ihr Onkel die Königsherrschaft innehatte.94 Er befiehlt, die Kleinen wegzuschaffen und im Strom zu ersäufen: Was tust du da? Von diesen wird der eine Romulus sein. Die jammervollen Befehle führen die Diener widerwillig aus, doch wenigstens weinen sie und bringen die Zwillinge an die befohlene Stelle. Die Albula, die Tiberinus95 durch das Ertrinken in ihren Wogen zum Tiber machte, war gerade durch winterliche Regengüsse angeschwollen: Hier, wo sich jetzt die Foren befinden und wo deine Niederungen liegen, Circus Maximus, hätte man Kähne herumfahren sehen können. Sobald sie hierhin kamen (sie können nämlich nicht weiter voranschreiten), sagt der eine oder der andere von ihnen: „Wie ähnlich sie sich doch sind! Wie hübsch doch beide sind! Dennoch hat dieser da von jenen mehr Kraft. Wenn die Abstammung durch das Antlitz bewiesen wird, wenn die Gestalt nicht täuscht, vermute ich, dass irgendein Gott in euch ist. Wenn jedoch irgendein Gott der Begründer eurer Abstammung wäre, würde er in einer so gefahrvollen Zeit Hilfe bringen: Gewiss brächte er Hilfe, wenn die Mutter nicht der Hilfe bedürfte, die an einem einzigen Tag Mutter und verwaist geworden ist. Zugleich geboren, zugleich dem Tode geweiht, taucht, Körper, zugleich unter die Wogen.“ Er hatte geendet und setzte sie vom Schoße ab. Beide wimmerten gleichermaßen: man hätte glauben können, sie hätten es verstanden; diese gehen mit tränenfeuchten Wangen zu ihren Häusern zurück.

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Sustinet impositos summa cavus alveus unda:   heu quantum fati parva tabella tulit! Alveus in limo silvis adpulsus opacis   paulatim fluvio deficiente sedet. Arbor erat: remanent vestigia, quaeque vocatur   Rumina nunc ficus, Romula ficus erat. Venit ad expositos, mirum, lupa feta gemellos:   Quis credat pueris non nocuisse feram? Non nocuisse parum est, prodest quoque. Quos lupa nutrit,   perdere cognatae sustinuere manus. Constitit et cauda teneris blanditur alumnis   et fingit lingua corpora bina sua. Marte satos scires: timor abfuit. Ubera ducunt   nec sibi promissi lactis aluntur ope. Illa loco nomen fecit, locus ipse Lupercis;   magna dati nutrix praemia lactis habet. Quid vetat Arcadio dictos a monte Lupercos?   Faunus in Arcadia templa Lycaeus habet. Nupta, quid exspectas? Non tu pollentibus herbis   nec prece nec magico carmine mater eris; excipe fecundae patienter verbera dextrae,   iam socer optatum nomen habebit avi. Nam fuit illa dies, dura cum sorte maritae   reddebant uteri pignora rara sui. “Quid mihi”, clamabat, “prodest rapuisse Sabinas”,   Romulus (hoc illo sceptra tenente fuit),

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Die hineingelegten hält die gewölbte Wanne hoch oben auf der Welle: Oh weh, welch große Bestimmung trug eine kleine Wanne! Die Wanne wurde an einen schattigen Wald herangetrieben 410 und setzt sich im Schlamm fest, weil die Flusstiefe allmählich abnimmt. Dort gab es einen Baum: Es sind noch Spuren übrig und der Baum, der nun Feigenbaum der Rumina96 genannt wird, war der Feigenbaum des Romulus. Zu den ausgesetzten Zwillingen kam – o Wunder – eine Wölfin, die gerade geworfen hatte: Wer könnte glauben, dass das wilde Tier den Jungen nichts angetan hat? 415 Nichts anzutun, ist zu wenig, sie ist auch hilfreich. Blutsverwandte Hände brachten es übers Herz, die ins Verderben zu stürzen, die eine Wölfin nährt. Sie blieb stehen, streichelt die jungen Zöglinge mit dem Schwanz und leckt mit ihrer Zunge die beiden Körper ab.97 Man hätte erkennen können, sie stammten von Mars ab: Es gab keine Furcht. Sie ziehen die Zitzen zu sich heran 420 und werden mit Hilfe der Milch, die ihnen nicht verheißen worden war, genährt. Jene gab dem Ort den Namen, der Ort selbst den Luperci; die Ziehmutter hat große Belohnungen für dargereichte Milch. Was hindert, dass die Luperci nach dem Arcadischen Berg98 benannt sind? In Arcadien hat der lycaeische Faunus seine Tempelanlagen. 425 Braut, was wartest du ab? Nicht durch starke Kräutertränke und nicht durch eine Bitte und nicht durch einen Zauberspruch wirst du eine Mutter sein; nimm geduldig die Schläge der fruchtbringenden Rechten an,99 wird schon dein Schwiegervater den ersehnten Namen „Großvater“ tragen. Es gab nämlich jenen Zeitpunkt, als aufgrund eines harten 430 Loses die Ehefrauen selten ein Liebespfand ihres Bauches hervorbrachten. „Was nützt es mir, die sabinischen Frauen100 geraubt zu haben?“, rief Romulus (dies war die Zeit, als jener die Königsinsignien trug),

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“si mea non vires, sed bellum iniuria fecit?   Utilius fuerat non habuisse nurus.” Monte sub Esquilio multis incaeduus annis   Iunonis magnae nomine lucus erat. Huc ubi venerunt, pariter nuptaeque virique   suppliciter posito procubuere genu, cum subito motae tremuere cacumina silvae   et dea per lucos mira locuta suos. “Italidas matres”, inquit, “sacer hircus inito!”   Obstipuit dubio territa turba sono. Augur erat, nomen longis intercidit annis,   nuper ab Etrusca venerat exul humo; ille caprum mactat: iussae sua terga puellae   pellibus exsectis percutienda dabant. Luna resumebat decimo nova cornua motu   virque pater subito nuptaque mater erat. Gratia Lucinae! Dedit haec tibi nomina lucus,   aut quia principium tu, dea, lucis habes. Parce, precor, gravidis, facilis Lucina, puellis   maturumque utero molliter aufer onus! Orta dies fuerit, tu desine credere ventis!   Perdidit illius temporis aura fidem. Flamina non constant et sex reserata diebus   carceris Aeolii ianua lata patet. Iam levis obliqua subsedit Aquarius urna;   proximus aetherios excipe, Piscis, equos! Te memorant fratremque tuum (nam iuncta micatis   signa) duos tergo sustinuisse deos. Terribilem quondam fugiens Typhona Dione,   tum, cum pro caelo Iuppiter arma tulit,

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„wenn mein Unrecht nicht Streitkräfte, sondern Krieg hervorgerufen hat? Es wäre nützlicher gewesen, die Schwiegertöchter nicht zu haben.“ Am Fuße des Esquilin-Hügels gab es viele Jahre lang einen ungerodeten Hain mit dem Namen der großen Iuno101. Sobald sie hierhergekommen waren, beugten sich gleichermaßen verheiratete Frauen und Männer demütig bittend nieder auf die Knie gestützt, als plötzlich die Wipfel des erschütterten Waldes zu zittern begannen und die Göttin Sonderbares in ihrem gesamten Hain sprach. Sie sprach: „In die italischen Mütter soll der geweihte Bock eindringen!“ Die Menge wurde durch den schwer zu deutenden Ausspruch erschreckt und erstarrte. Es gab einen Augur, sein Name geriet wegen der langen Jahre in Vergessenheit, kürzlich war er aus etruscischem Land als Verbannter hergekommen. Jener schlachtet einen Ziegenbock: Die so unterwiesenen Mädchen hielten ihre Rücken den zugeschnittenen Lederriemen zum Auspeitschen hin. Der Mond erhielt im zehnten Umlauf neue Hörner und der Mann war plötzlich ein Vater und die verheiratete Frau eine Mutter. Dank der Lucina! Diesen Namen gab dir der Hain oder weil du, Göttin, den Beginn des Lichtes hast.102 Schone die schwangeren Mädchen, gewogene Lucina, ich bitte dich darum, und trage sanft die reife (Leibes-)Frucht aus dem Mutterleib heraus!

Der Zeitpunkt wird gekommen sein, höre du auf, den Winden zu vertrauen! Der Lufthauch jener Zeit hat die Vertrauenswürdigkeit verloren. 455 Das Wehen ist nicht konstant und an sechs Tagen entriegelt steht die breite Tür des aeolischen Kerkers offen.103 Schon ging der leichte Wassermann mit seiner schrägen Urne unter; als Nächster nimm’ du die himmlischen Pferde auf, Fisch! Man erinnert daran, dass du und dein Bruder (denn ihr 460 funkelt als verbundenes Sternbild) zwei Götter auf eurem Rücken aufgenommen habt. Einst floh Dione104 vor dem furchtbaren Typhon105 und kam damals, als Iuppiter für den Himmel Waffen trug,

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venit ad Euphraten comitata Cupidine parvo   inque Palaestinae margine sedit aquae. Populus et cannae riparum summa tenebant   spemque dabant salices hos quoque posse tegi. Dum latet, insonuit vento nemus: illa timore   pallet et hostiles credit adesse manus, utque sinu tenuit natum, “succurrite, nymphae,   et dis auxilium ferte duobus!”, ait. Nec mora, prosiluit. Pisces subiere gemelli:   pro quo nunc, cernis, sidera nomen habent. Inde nefas ducunt genus hoc imponere mensis   nec violant timidi piscibus ora Syri.

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G EN et H QVIR NP Proxima lux vacua est; at tertia dicta Quirino;   qui tenet hoc nomen, Romulus ante fuit, sive quod hasta curis priscis est dicta Sabinis   (bellicus a telo venit in astra deus), sive suum regi nomen posuere Quirites,   seu quia Romanis iunxerat ille Cures. Nam pater armipotens postquam nova moenia vidit   multaque Romulea bella peracta manu, “Iuppiter”, inquit, “habet Romana potentia vires:   sanguinis officio non eget illa mei. Redde patri natum! Quamvis intercidit alter,   pro se proque Remo, qui mihi restat, erit. ‘Unus erit, quem tu tolles in caerula caeli’,   tu mihi dixisti: sint rata dicta Iovis!”

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in Begleitung des kleinen Cupido zum Euphrat und setzte sich ans Ufer des palaestinischen Wassers106. 465 Pappel und Schilfrohre standen ganz oben am Rand der Ufer und die Weidengewächse nährten die Hoffnung, dass auch sie versteckt werden könnten. Während sie im Versteck kauerte, raschelte der Hain aufgrund des Windes: Jene erbleicht vor Furcht und glaubt, die Klauen des Feindes seien nahe, und sagt, wie sie den Jungen auf dem Schoße hielt: „Eilt 470 herbei, ihr Nymphen, und bringt zwei Göttern Hilfe!“ Und es gab kein Zögern, sie sprang hervor. Die Zwillingsfische nahmen sie auf den Rücken: dafür haben sie jetzt, du siehst es, als Sternbilder ihren Namen. Daher halten die furchtsamen Syrer es für einen Frevel, diese Spezies auf ihre Tische zu legen und beflecken ihre Münder nicht mit Fischen. 16. Februar und 17. Februar 475 Der nächste Tag ist unbesetzt; der dritte jedoch ist nach Quirinus107 benannt; derjenige, der diesen Namen trägt, war ehedem Romulus, sei es weil die Lanze von den alten Sabinern curis genannt wurde108 (der Krieger kam durch eine Waffe als Gott zu den Sternen) oder die Quiriten ihren Namen dem König gaben 480 oder weil jener Cures109 mit den Römern in Freundschaft vereinigt hatte. Nachdem nämlich der waffengewaltige Vater110 gesehen hatte, dass die neuen Mauern vollendet und die vielen Kriege durch des Romulus Hand durchgeführt worden waren, sprach er: „Iuppiter, die römische Macht hat ihre Kräfte: Jene bedarf nicht des Dienstes meines Blutes. 485 Gib dem Vater seinen Sohn zurück! Mag auch der eine gestorben sein, derjenige, der mir übrig bleibt, wird für sich selbst und für Remus stehen. ‚Einer wird es sein, den du ins Himmelsblau erheben wirst’, hast du mir gesagt: die Worte Iuppiters mögen Gültigkeit haben!“

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LIBER SECVNDVS

Iuppiter adnuerat: nutu tremefactus uterque   est polus et caeli pondera novit Atlas. Est locus, antiqui Caprae dixere paludem:   forte tuis illic, Romule, iura dabas. Sol fugit et removent subeuntia nubila caelum   et gravis effusis decidit imber aquis. Hinc tonat, hinc missis abrumpitur ignibus aether;   fit fuga, rex patriis astra petebat equis. Luctus erat falsaeque patres in crimine caedis   haesissetque animis forsitan illa fides; sed Proculus Longa veniebat Iulius Alba   lunaque fulgebat nec facis usus erat, cum subito motu saepes tremuere sinistrae:   rettulit ille gradus horrueruntque comae. Pulcher et humano maior trabeaque decorus   Romulus in media visus adesse via et dixisse simul, “prohibe lugere Quirites   nec violent lacrimis numina nostra suis! tura ferant placentque novum pia turba Quirinum   et patrias artes militiamque colant!” Iussit et in tenues oculis evanuit auras;   convocat hic populos iussaque verba refert. Templa deo fiunt: collis quoque dictus ab illo est   et referunt certi sacra paterna dies. Lux quoque cur eadem Stultorum festa vocetur,   accipe: parva quidem causa, sed apta, subest. Non habuit doctos tellus antiqua colonos:   lassabant agiles aspera bella viros.

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Iuppiter hatte zugestimmt: Beide Himmelspole erzitterten 490 durch das Nicken und Atlas lernte die Gewichte des Himmels kennen. Es gibt einen Ort, die Altvorderen haben „Sumpf der Ziege“ genannt: Zufällig gabst du dort deinen Anhängern, Romulus, Rechtsregeln. Die Sonne entschwindet und aufziehende Wolken lassen den Himmel verschwinden und starker Regen ergießt sich in einem Wolkenbruch. 495 Von hier ertönt Donner, von hier wird der Aether durch herabsausende Blitze durchbrochen;111 es entsteht eine Flucht112, der König strebte mit des Vaters Pferden zu den Sternen. Es gab eine Trauer und die Senatoren standen im Verdacht eines nicht begangenen Mordes und jene Überzeugung wäre vielleicht in den Gemütern haften geblieben; aber Iulius Proculus kam von Alba Longa113, 500 und der Mond strahlte und es wurde kein Gebrauch von einer Fackel gemacht, als plötzlich die Zäune zur Linken aufgrund der Erschütterung erzitterten: Jener lenkte die Schritte zurück und die Haare standen ihm zu Berge. Schön und größer als ein menschliches Wesen und prachtvoll in seinem Königsgewand schien ihm Romulus mitten auf dem Weg zu stehen und 505 zugleich zu sagen: „Lass nicht zu, dass die Quiriten trauern, und sie sollen meinen göttlichen Geist nicht durch ihre Tränen entweihen! Sie sollen als fromme Menge Weihrauch herbeitragen und den neuen Quirinus besänftigen und die väterlichen Künste und das Kriegswesen pflegen!“ Er befahl es und entschwand den Blicken in die leichten Lüfte. 510 Dieser ruft die Volksstämme zusammen und berichtet die befohlenen Worte. Tempel114 werden für den Gott errichtet: auch der Hügel wurde nach jenem benannt, und bestimmte Tage rufen die väterlichen Riten ins Gedächtnis. Warum auch derselbe Tag „Festtag der Dummen“ genannt wird,115 vernimm: Freilich liegt eine unbedeutende, aber treffende Ursache zugrunde. 515 Die alte Erde hatte noch keine kultivierten Bewohner: raue Kriege erschöpften tatkräftige Männer.

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LIBER SECVNDVS

Plus erat in gladio quam curvo laudis aratro:   neglectus domino pauca ferebat ager. Farra tamen veteres iaciebant, farra metebant,   primitias Cereri farra resecta dabant: usibus admoniti flammis torrenda dederunt   multaque peccato damna tulere suo; nam modo verrebant nigras pro farre favillas,   nunc ipsas ignes corripuere casas. Facta dea est Fornax: laeti Fornace coloni   orant, ut fruges temperet illa suas. Curio legitimis nunc Fornacalia verbis   maximus indicit nec stata sacra facit inque foro multa circum pendente tabella   signatur certa curia quaeque nota stultaque pars populi, quae sit sua curia, nescit,   sed facit extrema sacra relata die.

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D FERAL NP Est honor et tumulis animas placare paternas   parvaque in exstinctas munera ferre pyras. Parva petunt manes: pietas pro divite grata est   munere; non avidos Styx habet ima deos. Tegula porrectis satis est velata coronis   et sparsae fruges parcaque mica salis inque mero mollita Ceres violaeque solutae:   haec habeat media testa relicta via! Nec maiora veto, sed et his placabilis umbra est:   adde preces positis et sua verba focis!

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Mehr Ruhm lag beim Schwerte als bei der gekrümmten Pflugschar: vernachlässigt brachte das Feld seinem Besitzer wenig ein. Speltkörner säten die Altvorderen dennoch aus, Speltkörner 520 ernteten sie, als erste Erntegabe reichten sie die abgeschnittenen Spelthalme Ceres dar: Durch praktische Erfahrung dazu verleitet, übergaben sie sie den Flammen zum Dörren und erlitten durch den eigenen Fehler viel Schaden; denn bald kehrten sie statt Spelt schwarze Asche zusammen, bald ergriffen Flammen die Hütten selbst. 525 wurde die Göttin Fornax geschaffen: die Bewohner, froh über Fornax, bitten, dass sie ihre Erträge verschone. Der Curio maximus kündigt jetzt mit gesetzlich vorgeschriebenen Worten die Fornacalia an und begeht die heiligen Handlungen, die zeitlich nicht festgesetzt sind. Und auf dem Forum wird, weil viele Tafeln ringsum hängen, 530 jede einzelne Curie durch ein festgesetztes Zeichen bestimmt und der dumme Teil des Volkes weiß nicht, welche seine eigene Curie ist, sondern begeht die heiligen Handlungen, neu angesetzt am letzten Tage. 21. Februar Es ist auch für die Grabhügel eine Ehrung, die elterlichen Seelen zu besänftigen116 und kleine Geschenke zu den gelöschten Scheiterhaufen zu bringen. 535 Geringes fordern die Manen117: Frömmigkeit ist statt eines kostbaren Geschenkes gern gesehen; tief unten hat die Styx118 keine habgierigen Götter. Ein Ziegelsteinchen, das mit dargereichten Kränzen bedeckt ist, ist genug und verstreute Früchte und ein spärliches Körnchen Salz und ein Stückchen Brot, in Wein aufgeweicht, und lose Veilchen: 540 diese soll ein Tontopf, der mitten auf dem Wege zurückgelassen ist, in sich tragen! Und ich verbiete keine größeren , aber der Schatten ist sogar durch diese Dinge zu besänftigen: füge Gebete und angemessene Worte hinzu, wenn der Opferherd errichtet ist!

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Hunc morem Aeneas, pietatis idoneus auctor,   attulit in terras, iuste Latine, tuas. Ille patris Genio sollemnia dona ferebat.   Hinc populi ritus edidicere pios. At quondam, dum longa gerunt pugnacibus armis   bella, Parentales deseruere dies. Non impune fuit; nam dicitur omine ab isto   Roma suburbanis incaluisse rogis. Vix equidem credo: bustis exisse feruntur   et tacitae questi tempore noctis avi perque vias Urbis latosque ululasse per agros   deformes animas, volgus inane, ferunt. Post ea praeteriti tumulis redduntur honores   prodigiisque venit funeribusque modus. Dum tamen haec fiunt, viduae, cessate, puellae:   exspectet puros pinea taeda dies nec tibi, quae cupidae matura videbere matri,   comat virgineas hasta recurva comas! Conde tuas, Hymenaee, faces et ab ignibus atris   aufer: habent alias maesta sepulcra faces. Di quoque templorum foribus celentur opertis,   ture vacent arae stentque sine igne foci! Nunc animae tenues et corpora functa sepulcris   errant, nunc posito pascitur umbra cibo. Nec tamen haec ultra, quam tot de mense supersint   Luciferi, quot habent carmina nostra pedes. Hanc, quia iusta ferunt, dixere Feralia lucem;   ultima placandis manibus illa dies. Ecce anus in mediis residens annosa puellis   sacra facit Tacitae (vix tamen ipsa tacet)

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Diese Sitte führte Aeneas, ein geeignetes Vorbild für Frömmigkeit,119 in deine Länder ein, gerechter Latinus120. 545 Jener brachte alljährlich dem Genius121 seines Vaters Geschenke dar. Daher lernten die Volksstämme genau die frommen Riten kennen. Einst jedoch, während sie lange Kriege mit angriffslustigen Waffen führten, vernachlässigten sie die Parentalia. Es blieb nicht ungestraft; Rom soll nämlich von diesem unheilkündenden Vorzeichen 550 durch Scheiterhaufen vor der Stadt erhitzt worden sein. Freilich kann ich das kaum glauben: Die Vorfahren sollen klagend zur Zeit sogar der stummen Nacht aus den Gräbern herausgekommen sein und man berichtet, dass überall auf den Wegen der Stadt und der weiten Flur scheußliche Geister, eine wesenlose Schar, geheult hätten. 555 Danach werden die übergangenen Ehrungen den Grabmälern zurückgegeben und es kehrt wieder ein Maß für Vorzeichen und Beerdigungen ein. Während aber dies geschieht, unternehmt nichts, ledige Mädchen122: erwarten soll die Fackel aus Fichtenholz reine Tage und dir, die du der ehrgeizigen Mutter ehereif erscheinen wirst, 560 soll der gekrümmte Speer die jungfräulichen Haare nicht frisieren! Hymenaeus123, verwahre deine Hochzeitsfackeln und trag sie von den düsteren Feuern weg: andersartige Fackeln haben die trauerkündenden Gräber. Auch die Götter sollen verborgen werden, nachdem die Tore der Tempel verschlossen wurden, von Weihrauch sollen die Altäre frei sein und die Herdstätten sollen ohne Feuer dastehen! 565 Bald irren leichte Seelen und gestorbene Körper aus ihren Gräbern umher, bald nährt sich der Schatten von dem dargereichten Mahle. Und trotzdem gibt es diese nicht länger, als so viele Tage von einem Monat übrig sind, wie viele Füße mein Gedicht hat.124 Diesen Tag nannten sie „Feralia“, weil man Rechtmäßiges herbei570 bringt125; jener Tag ist der letzte, um die Manen zu versöhnen. Siehe da, die betagte Greisin sitzt mitten unter den Mädchen und vollzieht die heiligen Riten für Tacita126 (jedoch schweigt sie selbst kaum)

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et digitis tria tura tribus sub limine ponit,   qua brevis occultum mus sibi fecit iter: tum cantata ligat cum fusco licia plumbo   et septem nigras versat in ore fabas, quodque pice adstrinxit, quod acu traiecit aena,   obsutum maenae torret in igne caput; vina quoque instillat: vini quodcumque relictum est,   aut ipsa aut comites, plus tamen ipsa, bibit. “Hostiles linguas inimicaque vinximus ora”,   dicit discedens ebriaque exit anus. Protinus a nobis, quae sit dea Muta, requires:   disce, per antiquos quae mihi nota senes! Iuppiter inmodico Iuturnae victus amore   multa tulit tanto non patienda deo. Illa modo in silvis inter coryleta latebat,   nunc in cognatas desiliebat aquas. Convocat hic nymphas, Latium quaecumque tenebant,   et iacit in medio talia verba choro: “Invidet ipsa sibi vitatque, quod expedit illi,   vestra soror, summo iungere membra deo. Consulite ambobus: nam quae mea magna voluptas,   utilitas vestrae magna sororis erit. Vos illi in prima fugienti obsistite ripa,   ne sua fluminea corpora mergat aqua!” Dixerat; adnuerant nymphae Tiberinides omnes   quaeque colunt thalamos, Ilia diva, tuos. Forte fuit Nais, Lara nomine; prima sed illi   dicta bis antiquum syllaba nomen erat, ex vitio positum. Saepe illi dixerat Almo:   “Nata, tene linguam!” Nec tamen illa tenet. Quae simul ac tetigit Iuturnae stagna sororis,   “effuge”, ait, “ripas!” dicta refertque Iovis.

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und legt drei Körnchen Weihrauch mit drei Fingern unter die Schwelle, wo ein Mäuschen sich einen geheimen Weg bahnte: Dann verbindet sie verhexte Fäden mit schwärzlichem Blei und dreht sieben schwarze Bohnen im Munde herum und dörrt den Kopf einer Sardelle, den sie mit Pech bestrichen und mit einer ehernen Nadel durchbohrt und zugenäht hat, im Feuer; auch Weintropfen lässt sie darauf träufeln: was auch immer vom Wein übrig geblieben ist, trinkt entweder sie selbst oder die Gefährtinnen, mehr aber sie selbst. „Feindselige Zungen und feindliche Münder haben wir gebannt“, sagt die Greisin im Weggehen und geht betrunken hinaus. Unverzüglich wirst du von mir erfragen, welche Göttin Muta ist: Vernimm, was mir durch Greise aus der alten Zeit bekannt ist! Weil Iuppiter durch maßlose Liebe zu Iuturna127 überwältigt war, ertrug er viele Dinge, die von einem so großen Gott nicht erduldet werden sollten. Bald versteckte sich jene in den Wäldern inmitten von Haselnuss­sträuchern, bald sprang sie in verwandte Gewässer hinab. Er ruft die Nymphen zusammen, welche auch immer Latium bewohnten, und stößt mitten in ihrer Schar derartige Worte aus: „Sie selbst, eure Schwester, missgönnt sich selbst und meidet, was ihr nützt, ihre Glieder mit dem höchsten Gott zu vereinigen. Sorgt für uns beide: Denn was meine große Lust ist, das wird ein großer Vorteil für eure Schwester sein. Ihr, tretet am Rand des Ufers ihr entgegen, wenn sie flieht, damit sie ihren Leib nicht ins Flusswasser eintauchen kann!“ Sprach’s; die Nymphen, die Tiberiniden128, hatten alle zustimmend genickt und die, die deine Kammern bewohnen, göttliche Ilia129. Zufällig war eine Naiade, mit dem Namen Lara130, da; aber die erste Silbe, zweimal gesprochen, war ihr alter Name, der ihr aufgrund ihres Charakterfehlers beigelegt worden war. Oft hatte ihr Almo131 gesagt: „Tochter, hüte deine Zunge!“ Aber sie hütet sie trotzdem nicht. Sobald sie die Quelle ihrer Schwester Iuturna erreicht hatte, spricht sie: „Meide die Uferregionen!“, und plaudert Iuppiters Worte aus.

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Illa etiam Iunonem adiit miserataque nuptas   “Naida Iuturnam vir tuus”, inquit, “amat.” Iuppiter intumuit, quaque est non usa modeste,   eripit huic linguam Mercuriumque vocat: “Duc hanc ad manes: locus ille silentibus aptus.   Nympha, sed infernae nympha paludis erit.” Iussa Iovis fiunt. Accepit lucus euntes:   dicitur illa duci tum placuisse deo. Vim parat hic, voltu pro verbis illa precatur   et frustra muto nititur ore loqui fitque gravis geminosque parit, qui compita servant   et vigilant nostra semper in urbe, Lares.

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EC Proxima cognati dixere Caristia cari   et venit ad socios turba propinqua deos. Scilicet a tumulis et, qui periere, propinquis   protinus ad vivos ora referre iuvat, postque tot amissos, quicquid de sanguine restat,   aspicere et generis dinumerare gradus. Innocui veniant: procul hinc, procul impius esto   frater et in partus mater acerba suos, cui pater est vivax, qui matris digerit annos,   quae premit invisam socrus iniqua nurum! Tantalidae fratres absint et Iasonis uxor   et, quae ruricolis semina tosta dedit,

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605 Sie trat auch an Iuno heran und sagte, wobei sie die verheirateten Frauen bedauerte: „Die Naiade Iuturna liebt dein Gatte .“ Iuppiter platzte fast vor Wut und reißt ihr die Zunge heraus, die sie nicht besonnen benutzt hat, und ruft Mercur132 herbei: „Führe sie zu den Manen herab: Jener Ort ist für die Schweigenden geeignet. 610 Nymphe , aber sie wird eine Nymphe des unterirdischen Sumpfes sein.“ Die Befehle Iuppiters werden in die Tat umgesetzt. Ein Hain nahm sie auf ihrem Weg auf: Jene soll daraufhin dem Gotte gefallen haben, der sie hinabführte. Er tut ihr Gewalt an, sie bittet mit ihrem Gesichtsausdruck statt mit Worten und strengt sich vergeblich an, mit ihrem verstummten Munde zu sprechen, 615 und wird schwanger und gebiert Zwillinge133, die die Wegkreuzungen behüten und in unserer Stadt immer Wache halten, die Laren134. 22. Februar Die lieben Verwandten bezeichneten die nächsten Caristia135 und die Schar der Verwandten kommt zu den gemeinsamen Göttern zusammen. Freilich ist es erfreulich, die Blicke von den Gräbern und den 620 Verwandten, die verstorben sind, unverzüglich zu den Lebenden wieder hinzuwenden, und nach so vielen, die man verloren hat, das in Augenschein zu nehmen, was von der Blutlinie noch übrig ist, und die Verwandtschaftsstufen abzuzählen. Die Unschuldigen mögen kommen: fern von hier, fern soll der pflichtvergessene Bruder sein, und die Mutter, die gegenüber ihren eigenen Kindern harsch ist, 625 und, wem der Vater langlebig ist, und, wer die Lebensjahre seiner Mutter abzählt, und, welche Schwiegermutter ungerecht der ihr verhassten Schwiegertochter hart zusetzt! Die Brüder, die Tantaliden136, sollen fern sein und des Iason Gattin137 und diejenige, die den Landbewohnern geröstete Samen gab138,

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LIBER SECVNDVS

et soror et Procne Tereusque duabus iniquus   et quicumque suas per scelus auget opes! Dis generis date tura boni: Concordia fertur   illa praecipue mitis adesse die; et libate dapes, ut, grati pignus honoris,   nutriat incinctos missa patella Lares! Iamque, ubi suadebit placidos nox umida somnos,   larga precaturi sumite vina manu et “bene vos, bene te, patriae pater, optime Caesar”,   dicite; suffuso sint bona verba mero.

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F TER NP Nox ubi transierit, solito celebretur honore,   separat indicio qui deus arva suo. Termine, sive lapis, sive es defossus in agro   stipes, ab antiquis tu quoque numen habes. Te duo diversa domini de parte coronant   binaque serta tibi binaque liba ferunt. Ara fit: huc ignem curto fert rustica testo   sumptum de tepidis ipsa colona focis. Ligna senex minuit concisaque construit arte   et solida ramos figere pugnat humo; tum sicco primas inritat cortice flammas;   stat puer et manibus lata canistra tenet. Inde ubi ter fruges medios immisit in ignes,   porrigit incisos filia parva favos. Vina tenent alii: libantur singula flammis;   spectant et linguis candida turba favet. Spargitur et caeso communis Terminus agno   nec queritur, lactans cum sibi porca datur.

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und die Schwester und Procne und Tereus, der beiden 630 feindlich gesinnt war,139 und wer auch immer seinen Besitz durch ein Verbrechen mehrt! Den Göttern eures Stammes opfert Weihrauchkörner, ihr Guten: Concordia soll an jenem Tag besonders sanft zugegen sein; und opfert Speisen, damit das dargebotene Schälchen, ein Unterpfand dankbarer Ehrung, die Laren mit ihren kurzen Kleidern ernährt!140 635 Und gleich, wenn die feuchte Nacht zum sanften Schlaf raten wird, ergreift reichlich Wein mit der Hand, um zu beten, und sprecht: „Euch zum Wohle, dir zum Wohle, pater patriae141, bester Caesar“; die Worte mögen gut sein, wenn ihr den Wein spendet. 23. Februar Sobald die Nacht vorüber ist, soll mit angestammter Ehre der Gott 640 gefeiert werden, der die Fluren mit seinem Zeichen trennt. Terminus142, sei es dass du als Stein oder als Baumstamm in den Acker eingelassen worden bist, auch du hast deine Göttlichkeit seit alten Zeiten. Dir bringen zwei Herren Kränze von verschiedenen Seiten und bringen dir zwei Girlanden und zwei Opferküchlein. 645 Ein Altar wird errichtet: hierher bringt die Bäuerin selbst ein Feuer in einer beschädigten Tonschüssel, nachdem sie es vom warmen Herd hernahm. Holzstücke spaltet der Greis und schichtet die Holzscheite kunstvoll auf und kämpft damit, die Zweige in den festen Boden zu stecken; dann entfacht er mit trockener Rinde die ersten Flammen; 650 sein Sohn steht dabei und hält in seinen Händen einen breiten Korb. Sobald er dann dreimal Früchte mitten in die Gluten hineingeworfen hat, reicht die kleine Tochter in Streifen geschnittene Honigwaben dar. Weinsorten halten andere bereit: von jeder wird den Flammen ein Trankopfer gebracht. Die weißgekleidete Menge schaut zu und schweigt andächtig. 655 Der gemeinsame Terminus wird mit eines geopferten Lammes besprengt und beklagt sich nicht, wenn ihm ein noch milchsaugendes Schwein dargereicht wird.

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Conveniunt celebrantque dapes vicinia simplex   et cantant laudes, Termine sancte, tuas: “Tu populos urbesque et regna ingentia finis:   omnis erit sine te litigiosus ager. Nulla tibi ambitio est, nullo corrumperis auro,   legitima servas credita rura fide. Si tu signasses olim Thyreatida terram,   corpora non leto missa trecenta forent nec foret Othryades congestis lectus in armis.   O quantum patriae sanguinis ille dedit! Quid, nova cum fierent Capitolia? Nempe deorum   cuncta Iovi cessit turba locumque dedit; Terminus, ut veteres memorant, inventus in aede   restitit et magno cum Iove templa tenet. Nunc quoque, se supra ne quid nisi sidera cernat,   exiguum templi tecta foramen habent. Termine, post illud levitas tibi libera non est:   qua positus fueris in statione, mane; nec tu vicino quicquam concede roganti,   ne videare hominem praeposuisse Iovi, et, seu vomeribus seu tu pulsabere rastris,   clamato: ‘Tuus est hic ager, ille tuus’.” Est via, quae populum Laurentes ducit in agros,   quondam Dardanio regna petita duci: illa lanigeri pecoris tibi, Termine, fibris   sacra videt fieri sextus ab Urbe lapis. Gentibus est aliis tellus data limite certo:   Romanae spatium est Urbis et orbis idem.

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Die einfache Nachbarschaft kommt zusammen, feiert das Mahl und singt deine Lobeshymnen, heiliger Terminus: „Du begrenzt Volksstämme, Städte und riesige Königreiche: jeder Acker wird ohne dich Grund des Streites sein. Keinen Ehrgeiz hast du, durch kein Gold wirst du bestochen, mit gesetzmäßiger Treue bewahrst du die anvertrauten Ländereien. Wenn du ehedem das thyreatische Land143 durch Markierungen begrenzt hättest, wären nicht dreihundert Leiber in den Tod geschickt worden und man hätte nicht ‚Othryades‘144 auf den aufgehäuften Waffen lesen können. O wie viel Blut hat jener für die Heimat gelassen! Was , als die neuen Capitolsgebäude errichtet wurden? Freilich wich die ganze Götterschar dem Iuppiter und überließ ihm den Platz; Terminus fand sich, wie die Altvorderen erzählen, im Tempel ein, verblieb dort und teilt sich mit dem großen Iuppiter den Tempel. Auch jetzt hat das Dach des Tempels ein winziges Oberlicht, damit er über sich nichts anderes sieht als die Sterne. Terminus, seit jenem Ereignis hast du keine unbeschränkte Beweglichkeit : verharre an dem Ort, wo du hingestellt worden bist; und gib keinem Nachbarn nach, der dich um irgendetwas bittet, damit du nicht den Anschein erweckst, einen Menschen dem Iuppiter vorzuziehen, und, sei es dass du mit Pflugscharen oder mit Hacken misshandelt werden wirst, so sollst du rufen: ‚Dieses Land ist deins, jenes deins.‘!“ Es gibt einen Weg, der das Volk ins Gebiet der Laurenter145 führt, das Königreich, das ehedem von dem dardanischen Feldherrn146 begehrt wurde: Dass jene heiligen Opferungen für dich, Terminus, mit den Eingeweiden eines wolltragenden Schafes durchgeführt werden, sieht der sechste Meilenstein von der Stadt aus . Anderen Völkern wurde Land mit einer festgelegten Grenze gegeben: Der Raum der Stadt Rom und des Erdkreises ist derselbe.

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LIBER SECVNDVS

G REGIF N Nunc mihi dicenda est regis fuga. Traxit ab illa   sextus ab extremo nomina mense dies. Ultima Tarquinius Romanae gentis habebat   regna, vir iniustus, fortis ad arma tamen. Ceperat hic alias, alias everterat urbes   et Gabios turpi fecerat arte suos. Namque trium minimus, proles manifesta Superbi,   in medios hostes nocte silente venit. Nudarant gladios; “occidite”, dixit, “inermem:   hoc cupiant fratres Tarquiniusque pater, qui mea crudeli laceravit verbere terga.”   (Dicere ut hoc posset, verbera passus erat). Luna fuit: spectant iuvenem gladiosque recondunt   tergaque deducta veste notata vident: flent quoque et, ut secum tueatur bella, precantur.   Callidus ignaris adnuit ille viris. Iamque potens misso genitorem appellat amico,   perdendi Gabios quod sibi monstret iter. Hortus odoratis suberat cultissimus herbis,   sectus humum rivo lene sonantis aquae: illic Tarquinius mandata latentia nati   accipit et virga lilia summa metit. Nuntius ut rediit decussaque lilia dixit,   filius “agnosco iussa parentis”, ait. Nec mora: principibus caesis ex urbe Gabina   traduntur ducibus moenia nuda suis. Ecce, nefas visu, mediis altaribus anguis   exit et exstinctis ignibus exta rapit.

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24. Februar 685 Nun habe ich die Königsflucht147 zu behandeln. Daher bekam der sechste Tag vom Ende des Monats her seinen Namen.148 Die letzte Königsherrschaft über das römische Volk hatte Tarquinius149 inne, ein ungerechter Mann, gleichwohl tapfer bei den Waffen. Eingenommen hatte er die einen Städte, die anderen hatte er dem Erdboden gleichgemacht 690 und durch seine niederträchtige Tücke hatte er sich Gabii150 einverleibt. Denn der Jüngste von Dreien, ein unverkennbarer Spross des Superbus, kommt in stiller Nacht mitten unter die Feinde. Sie hatten die Schwerter blankgezogen; er sagte: „Tötet den Unbewaffneten: dies dürften wohl meine Brüder und mein Vater Tarquinius sich wünschen, 695 der mit grausamer Peitsche meinen Rücken zerfetzt hat.“ (Um dies sagen zu können, hatte er Schläge erlitten). Der Mond schien: sie sehen den jungen Mann an, bergen ihre Schwerter und sehen den gezeichneten Rücken, nachdem er das Gewand hinuntergezogen hat: Auch kommen ihnen die Tränen und sie bitten ihn, mit ihnen gemeinsam am Krieg teilzunehmen. 700 Jener stimmt verschlagen den ahnungslosen Männern zu. Und schon zu Einfluss gekommen, lässt er den Vater nach Entsendung eines Freundes fragen, welchen Weg, Gabii zu vernichten, er ihm aufzeige. Ein höchst gepflegter Garten von wohlriechenden Kräutern war ganz in der Nähe, sein Boden war durch einen Bach von sanft rauschendem Wasser durchflossen: 705 Dort vernimmt Tarquinius des Sohnes verstohlene Mitteilung und schlägt mit einem Stock die Köpfe der Lilien ab. Sobald der Bote zurückkam und von den abgeschlagenen Lilien erzählte, sagt der Sohn: „Ich verstehe des Vaters Befehle.“ Und es gab keinen Aufschub und nach Ermordung der führenden Männer aus der Stadt Gabii 710 wird die Stadt151, ihrer Anführer beraubt, übergeben. Siehe da, scheußlich anzuschauen, kriecht eine Schlange aus der Mitte des Altars heraus und schnappt die Eingeweide aus dem gelöschten Feuer.

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LIBER SECVNDVS

Consulitur Phoebus. Sors est ita reddita: “Matri   qui dederit princeps oscula, victor erit.” Oscula quisque suae matri properata tulerunt,   non intellecto credula turba deo. Brutus erat stulti sapiens imitator, ut esset   tutus ab insidiis, dire Superbe, tuis. Ille iacens pronus matri dedit oscula Terrae   creditus offenso procubuisse pede. Cingitur interea Romanis Ardea signis   et patitur longas obsidione moras. Dum vacat et metuunt hostes committere pugnam,   luditur in castris, otia miles agit. Tarquinius iuvenis socios dapibusque meroque   accipit; ex illis rege creatus ait: “Dum nos sollicitos pigro tenet Ardea bello   nec sinit ad patrios arma referre deos, ecquid in officio torus est socialis? Et ecquid   coniugibus nostris mutua cura sumus?” Quisque suam laudat: studiis certamina crescunt   et fervet multo linguaque corque mero. Surgit, cui dederat clarum Collatia nomen:   “Non opus est verbis, credite rebus”, ait. “Nox superest: tollamur equis Urbemque petamus!”   Dicta placent, frenis impediuntur equi. Pertulerant dominos. Regalia protinus illi   tecta petunt: custos in fore nullus erat. Ecce nurum regis fusis per colla coronis   inveniunt posito pervigilare mero. Inde cito passu petitur Lucretia, cuius   ante torum calathi lanaque mollis erat. Lumen ad exiguum famulae data pensa trahebant,   inter quas tenui sic ait illa sono:

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Phoebus wird um Rat befragt. Der Orakelspruch ist so verkündet: „Wer als Erster der Mutter Küsse gegeben hat, wird Sieger sein.“ Flugs trug jeder seiner Mutter Küsse an – leichtgläubige Menge, weil sie den Gott nicht verstand! Brutus spielte klug den Dummen, um vor deinen Anschlägen geschützt zu sein, grausiger Superbus.152 Nach vorn gab er im Liegen Mutter Erde Küsse, wobei man glaubte, er sei hingefallen, weil er gestrauchelt sei. Umzingelt wird in der Zwischenzeit von römischen Feldzeichen Ardea153 und erduldet die Zeiten, die durch die Belagerung lang erscheinen. Während man Zeit hat und sich die Feinde fürchten, den Kampf zu beginnen, spielt man im Lager und der Soldat gibt sich der Ruhe hin. Der junge Tarquinius154 empfängt seine Freunde mit leckeren Speisen und purem Wein; unter ihnen spricht der Königssohn: „Während uns Ardea sorgenvoll im langwierigen Krieg festhält und uns nicht die Waffen zu den heimischen Göttern zurücktragen lässt, ist da das Ehebett seiner Verpflichtung treu? Und erwidern unsere Gattinnen unsere Sorge um sie?“ Jeder preist die Seine: im Übereifer nehmen die Wortgefechte zu und es glühen vom vielen ungemischten Wein Zunge und Herz. Es erhebt sich der, dem Collatia den berühmten Namen gegeben hatte155, und spricht: „Man braucht keine Worte, glaubt den Taten! Die Nacht ist noch jung: schwingen wir uns auf die Pferde und eilen zur Stadt!“ Die Worte finden Gefallen und die Pferde werden gezäumt. Sie hatten ihre Herren ans Ziel gebracht. Unverzüglich streben jene zum königlichen Palast: kein Wächter war an der Tür. Schau an, sie treffen die Schwiegertochter156 des Königs an, wie sie mit Kränzen, die über den Nacken gerutscht sind, mit aufgetischtem Wein die Nacht durchmacht. Dann eilt man schnellen Schrittes zu Lucretia157, vor deren Bett sich Körbchen voll weicher Wolle befanden. Bei schummrigem Licht spannen die Mägde das ihnen zugeteilte Pensum, unter denen jene mit leiser Stimme folgendermaßen spricht:

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“Mittenda est domino (nunc, nunc properate, puellae)   quamprimum nostra facta lacerna manu. Quid tamen auditis (nam plura audire potestis)?   Quantum de bello dicitur esse super? Postmodo victa cades: melioribus, Ardea, restas,   improba, quae nostros cogis abesse viros. Sint tantum reduces! Sed enim temerarius ille   est meus et stricto qualibet ense ruit. Mens abit et morior, quotiens pugnantis imago   me subit, et gelidum pectora frigus habet.” Desinit in lacrimas inceptaque fila remisit,   in gremio voltum deposuitque suum. Hoc ipsum decuit: lacrimae decuere pudicam   et facies animo dignaque parque fuit. “Pone metum, veni”, coniunx ait; illa revixit   deque viri collo dulce pependit onus. Interea iuvenis furiales regius ignes   concipit et caeco raptus amore furit. Forma placet niveusque color flavique capilli   quique aderat nulla factus ab arte decor: verba placent et vox et quod corrumpere non est;   quoque minor spes est, hoc magis ille cupit. Iam dederat cantus lucis praenuntius ales,   cum referunt iuvenes in sua castra pedem. Carpitur attonitos absentis imagine sensus   ille; recordanti plura magisque placent. Sic sedit, sic culta fuit, sic stamina nevit,   iniectae collo sic iacuere comae, hos habuit voltus, haec illi verba fuerunt,   hic color, haec facies, hic decor oris erat. Ut solet a magno fluctus languescere flatu,   sed tamen a vento, qui fuit, unda tumet,

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745 „Geschickt werden muss unserem Herrn (schnell, schnell, beeilt euch, ihr Mädchen) so bald wie möglich das Cape, das unsere Hand verfertigt hat. Aber was hört ihr (ihr könnt nämlich mehr erfahren)? Wie viel vom Krieg, sagt man, stehe noch aus? Letztendlich geschlagen, wirst du fallen: Besseren leistest 750 du Widerstand, gemeines Ardea, das du unsere Männer zwingst, fern zu sein. Mögen sie nur heimkehren! Aber mein Mann ist ja leichtsinnig und mit gezücktem Schwert stürzt er überall hin. Ich werde ohnmächtig und bin dem Tode nahe, sooft die Vorstellung von ihm als Kämpfendem mich aufsucht und eiskalte Furcht umklammert mein Herz.“ 755 Sie endet in Tränen und ließ die aufgenommenen Fäden los, und barg ihr Gesicht in ihrem Schoß. Diese selbst gereichte ihr zur Zierde: die Tränen passten zu der keuschen , und ihr Antlitz war würdig und gleich der inneren Haltung. „Leg’ die Furcht ab, ich bin hier!“, sagte der Ehemann; jene 760 schöpfte neue Kraft und hing am Halse ihres Mannes, eine süße Last. Unterdessen wird der junge Thronfolger von wahnsinniger Leidenschaft ergriffen und rast hingerissen von blinder Liebe. Ihr Aussehen gefällt ihm und die schneeweiße Farbe und die blonden Haare und ihre Anmut, die sie von Natur aus besaß, ohne ihr künstlich nachzuhelfen: 765 Ihre Worte und ihre Stimme finden Gefallen und, dass sie nicht zu verführen ist; und je geringer die Hoffnung ist, desto mehr begehrt jener sie. Schon hatte der Vogel, der den Tag ankündigt, gekräht, als die jungen Männer ihren Schritt wieder in ihr Lager zurücklenken. Jener wird in seinen erschütterten Sinnen durch den Gedanken an die Abwesende aufgerieben; 770 und in seiner Erinnerung gefällt ihm recht viel mehr. So saß sie da, so war sie gekleidet, so spann sie die Wolle, so lagen die Haare offen auf dem Nacken, diesen Gesichtsausdruck hatte sie, dies waren ihre Worte, dies ihre Gesichtsfarbe, dies ihre äußere Erscheinung, dies die Anmut ihres Antlitzes. 775 Wie die Flut nach einem heftigen Sturm abzunehmen pflegt, aber dennoch vom Wind, der abgeflaut ist, die Welle noch geschwollen ist,

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sic, quamvis aberat placitae praesentia formae,   quem dederat praesens forma, manebat amor. Ardet et iniusti stimulis agitatus amoris   comparat indigno vimque metumque toro. “Exitus in dubio est: audebimus ultima”, dixit,   “viderit! Audentes forsque deusque iuvat. Cepimus audendo Gabios quoque.” Talia fatus   ense latus cinxit tergaque pressit equi. Accipit aerata iuvenem Collatia porta   condere iam voltus sole parante suos. Hostis ut hospes init penetralia Collatini:   comiter excipitur; sanguine iunctus erat. Quantum animis erroris inest! Parat inscia rerum   infelix epulas hostibus illa suis. Functus erat dapibus: poscunt sua tempora somnum;   nox erat et tota lumina nulla domo. Surgit et aurata vagina liberat ensem   et venit in thalamos, nupta pudica, tuos; utque torum pressit, “ferrum, Lucretia, mecum est”,   natus ait regis, “Tarquiniusque loquor.” Illa nihil neque enim vocem viresque loquendi   aut aliquid toto pectore mentis habet; sed tremit, ut quondam stabulis deprensa relictis   parva sub infesto cum iacet agna lupo. Quid faciat? Pugnet? Vincetur femina pugnans.   Clamet? At in dextra, qui vetet, ensis erat.

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so blieb die Liebe, die die Schönheit in ihrer Anwesenheit hervorgerufen hatte, erhalten, obschon die Gegenwart ihrer Schönheit, die ihm so gefallen hatte, nicht mehr präsent war. Er brennt und angetrieben von den Stacheln der unrechtmäßigen Liebe sinnt er auf Gewalt und Angst, weil die Ehe unwürdig158 ist. „Der Ausgang ist zweifelhaft: wir werden das Äußerste wagen“, sagte er, „man wird’s sehen! Den Wagemutigen stehen Glück und ein Gott bei. Wir haben Gabii auch durch Wagemut eingenommen.“ Solche Gedanken äußerte er, umschlang seine Seite mit dem Schwertgürtel und legte sein Gewicht auf den Rücken des Pferdes. Collatia empfängt an seinem ehernen Tor den jungen Mann, als die Sonne sich schon anschickte, ihr Antlitz zu verbergen. Wie ein Gastfreund betritt der Feind das Innere von Collatinus’ Haus: freundlich wird er empfangen; war er blutsverwandt. Wie viel an Irrtum wohnt den Herzen inne! Ahnungslos, was bevorsteht, bereitet die Unglückliche ihrem Feind ein Festmahl. Er war mit dem Mahle fertig: die ureigene Zeit fordert den Schlaf; es war Nacht und im ganzen Haus gab es kein Licht. Er steht auf, zückt sein Schwert aus der vergoldeten Scheide und kommt in dein Schlafgemach, tugendhafte Ehefrau; und sobald er sich auf das Bett legte, sagt der Königssohn: „Ich habe ein Schwert bei mir, Lucretia, und ich Tarquinius spreche.“ Jene nichts, denn ihr fehlen die Stimme und die Kraft zu sprechen und es bleibt sogar keine Besinnung in ihrem ganzen Herzen zurück; aber sie zittert, wie wenn ein kleines Lämmchen, nachdem es seinen Stall verlassen hat, ergriffen unter einem bedrohlichen Wolf liegt. Was soll sie tun? Soll sie sich wehren? Eine Frau wird im Kampf verlieren. Soll sie schreien? Aber in seiner rechten Hand befand sich das Schwert, das es ihr verbietet.

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Effugiat? Positis urgentur pectora palmis,   tum primum externa pectora tacta manu. Instat amans hostis precibus pretioque minisque:   nec prece nec pretio nec movet ille minis. “Nil agis. Eripiam”, dixit, “per crimina vitam,   falsus adulterii testis adulter ero: interimam famulum, cum quo deprensa fereris.”   Succubuit famae victa puella metu. Quid, victor, gaudes? Haec te victoria perdet!   Heu quanto regnis nox stetit una tuis! Iamque erat orta dies: passis sedet illa capillis,   ut solet ad nati mater itura rogum, grandaevumque patrem fido cum coniuge castris   evocat: et posita venit uterque mora. Utque vident habitum, quae luctus causa, requirunt,   cui paret exsequias, quove sit icta malo. Illa diu reticet pudibundaque celat amictu   ora: fluunt lacrimae more perennis aquae. Hinc pater, hinc coniunx lacrimas solantur et orant,   indicet, et caeco flentque paventque metu. Ter conata loqui ter destitit ausaque quarto   non oculos ideo sustulit illa suos. “Hoc quoque Tarquinio debebimus? Eloquar”, inquit,   “eloquar infelix dedecus ipsa meum?” Quaeque potest, narrat; restabant ultima: flevit   et matronales erubuere genae.

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Soll sie fliehen? Die Handflächen werden auf die Brüste gepresst und sie werden gequetscht, die Brüste, die damals zum ersten Mal von einer fremden Hand angetastet wurden. Der Feind bedrängt sie im Liebeswahn mit Bitten und Belohnung und Drohungen: nicht durch Bitte, nicht durch Belohnung und nicht durch Drohungen bewegt sie jener. „Nichts erreichst du. Ich werde dir dein Leben unter Anschuldigungen entreißen“, sagte er, „eines Ehebruches falscher Zeuge werde ich, der Ehebrecher, sein: Ich werde einen Diener abstechen, mit dem du ertappt wurdest – so werden die Leute sagen.“ Das Mädchen gab nach, bezwungen durch Angst vor üblem Leumund. Was freust du dich, Sieger? Dieser Sieg wird dich vernichten!159 Ach, wie teuer kam eine einzige Nacht deiner Herrschaft zu stehen! Und schon war der Tag angebrochen: mit gelöstem Haar sitzt jene da, wie eine Mutter pflegt, auf dem Wege zur Brandbestattung ihres Sohnes, ruft ihren hochbetagten Vater zusammen mit ihrem treuen Gemahl aus dem Lager herbei: und ohne Verzögerung eilen beide herbei.160 Und wie sie ihren Zustand sehen, versuchen sie herauszufinden, was der Grund für ihre Betrübnis ist, für wen sie die Bestattung vorbereite oder welches Unglück ihr zugestoßen sei. Jene bleibt lange stumm und verhüllt voll Scham ihr Gesicht im Umhang: ihre Tränen strömen, nach Art eines nie versiegenden Wassers. Von der einen Seite versucht der Vater, von der anderen der Gemahl die Tränen zu trocknen und bitten darum, sie möge offenbaren, und sie weinen und ängstigen sich in blinder Furcht. Dreimal hob sie zu sprechen an, dreimal brach sie ab und als sie es beim vierten Male wagte, traute jene sich deshalb nicht, ihren Blick zu heben. „Muss ich auch das dem Tarquinius verdanken? Soll ich“, sagte sie, „soll ich , ich Unglückliche, selbst meine Schande aussprechen?“ Was sie kann, erzählt sie; ungesagt blieb das Äußerste: sie weinte, und der ehrbaren Ehefrau Wangen erröteten.

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Dant veniam facto genitor coniunxque coactae:   “Quam”, dixit, “veniam vos datis, ipsa nego.” Nec mora: celato fixit sua pectora ferro   et cadit in patrios sanguinulenta pedes. Tum quoque iam moriens, ne non procumbat honeste,   respicit: haec etiam cura cadentis erat. Ecce super corpus communia damna gementes   obliti decoris virque paterque iacent. Brutus adest tandemque animo sua nomina fallit   fixaque semanimi corpore tela rapit stillantemque tenens generoso sanguine cultrum   edidit impavidos ore minante sonos: “Per tibi ego hunc iuro fortem castumque cruorem   perque tuos manes, qui mihi numen erunt, Tarquinium profuga poenas cum stirpe daturum.   Iam satis est virtus dissimulata diu.” Illa iacens ad verba oculos sine lumine movit   visaque concussa dicta probare coma. Fertur in exsequias animi matrona virilis   et secum lacrimas invidiamque trahit. Volnus inane patet: Brutus clamore Quirites   concitat et regis facta nefanda refert. Tarquinius cum prole fugit: capit annua consul   iura: dies regnis illa suprema fuit. Fallimur, an veris praenuntia venit hirundo   et metuit ne qua versa recurrat hiems? Saepe tamen, Procne, nimium properasse quereris,   virque tuo Tereus frigore laetus erit.

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Vater und Ehemann verzeihen ihr, weil sie gezwungen 830 wurde: „Die Gnade“, sprach sie, „die ihr mir gewährt, versage ich mir selbst.“ Und ohne zu zögern, durchbohrte sie ihre Brust mit dem verborgenen Dolch und fällt blutüberströmt ihrem Vater vor die Füße. Dann achtet sie, obwohl sie schon mit dem Tode ringt, noch darauf, besonders ehrenhaft niederzusinken: sogar als sie fiel, war das noch Teil ihrer Sorge. 835 Siehe da, über dem Körper, den gemeinsamen Verlust beklagend, liegen Mann und Vater unter Vernachlässigung schicklichen Verhaltens. Brutus ist da, und mit seiner Beherztheit straft er endlich seinen Namen Lügen, und reißt die Waffe heraus, die im halbtoten Körper steckte, und hielt den Dolch, der vom edlen Blute troff, in die Höhe 840 und verkündete furchtlos mit drohendem Mund diese Worte: „Bei diesem tapferen und reinen Blut schwöre ich dir, und bei deinen Manen, die mir eine Gottheit sein werden, dass Tarquinius mit seiner verbannten Brut bestraft werden wird. Schon lange genug habe ich meine Tapferkeit verheimlicht.“ 845 Jene bewegte auf dem Boden liegend ihre leblosen Augen zu seinen Worten und schien das Gesagte durch ein leichtes Beben ihres Haares zu billigen. Zu Grabe getragen wird die ehrbare Ehefrau, die männlichen Mut bewiesen hat, und mit sich führt sie Tränen und Hass. Die klaffende Wunde ist sichtbar: Brutus ruft mit lautem 850 Geschrei die Quiriten zusammen und berichtet von den Schandtaten des König. Tarquinius flieht mit seiner Brut: der Consul übernimmt für ein Jahr die Rechte seines Amtes: Jener war der letzte Tag für die Königsherrschaft. Täusche ich mich oder kam die Schwalbe als Vorbote des Frühlings und fürchtete sich , dass sich irgendwie der Winter wendet und zurückkommt? 855 Dennoch wirst du, Procne161, dich häufig beklagen, dass du allzu sehr dich gesputet hast, und dein Mann Tereus162 wird über dein Frieren froh sein.

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B EQ NP Iamque duae restant noctes de mense secundo   Marsque citos iunctis curribus urget equos; ex vero positum permansit Equirria nomen,   quae deus in campo prospicit ipse suo. Iure venis, Gradive: locum tua tempora poscunt   signatusque tuo nomine mensis adest. Venimus in portum libro cum mense peracto.   Naviget hinc alia iam mihi linter aqua!

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27. Februar Und schon bleiben zwei Nächte vom zweiten Monat übrig und Mars spornt die flinken Pferde an, nachdem er den Wagen angeschirrt hat; von der wahren Bezeichnung abgeleitet, blieb der Name equirria bestehen, 860 die Equirria163, die der Gott selbst auf seinem Felde anschaut. Mit Recht kommst du, Gradivus164: deine Zeit fordert ihren Platz ein, und der mit deinem Namen bezeichnete Monat ist da. Ich bin in den Zielhafen eingelaufen und mein Buch ist zusammen mit dem Monat abgeschlossen. Möge von hier aus mein Kahn schon in anderen Gewässern dahingleiten!165

Anmerkungen zum zweiten Buch 1.

2.

3. 4.

5. 6.

7. 8.

Die Aussage, die Elegien bewegten sich nun zum ersten Mal mit größeren Segeln fort, ist nur sinnvoll, wenn mit diesen Versen das ursprüngliche Proömium des Gesamtwerkes vorliegt, d. h. dass nach den spielerischen und leichten Amores und der Ars Amatoria nun ein ernsthafteres Sujet behandelt wird. Der Dichter hätte keinen Grund, an dieser vorliegenden Stelle sein erstes Buch der Fasti mit einer derartigen Aussage zu degradieren. Diese mutmaßlich erste Version des Proömiums war Augustus gewidmet und ist schließlich zugunsten eines späteren ersetzt worden, da es aufgrund von Augustus’ Tod opportun war, einen anderen Widmungsträger, Germanicus, anzusprechen. Während Ovid in seinen Liebeselegien den realen Kriegsdienst mit der Aufgabe eines Liebenden vergleicht, kommt der militia hier eine andere Funktion zu, die sich in der literarischen Beschreibung von kriegerischen Leistungen äußert und Augustus’ Heldentaten huldigt – so gibt es Ovid jedenfalls vor. Gemeint ist Augustus als Widmungsträger des ursprünglichen Gesamtproömiums. Zu den einzelnen Ehrentiteln vgl. 3.419f. Der Februar wird von februare oder februum / februm hergleitet, so z. B. in Varro ling. 6.13, 6.34. Auch Festus (s.v. februarius 75f.L), Macrobius (1.13.3) und Plutarch (quaest. R. 68, Rom. 21.4, Num. 19.8) gehen auf spezielle Reinigungsriten ein. Als dem letzten Monat des alten Jahres kommt dem Februar besondere Bedeutung zu, weil man das neue Jahr gesühnt begehen möchte. Gemeint ist der rex sacrorum.Vgl. dazu Anm. zu 1.333. Das collegium pontificum besteht aus dem pontifex maximus, dem rex sacrorum, den flamines und den Vestales, wobei die flamines Priester einzelner Götter und somit für deren spezifische rituelle Handlungen und Opfer zuständig sind. Der bedeutendste flamen war der flamen Dialis, der zumeist auch gemeint ist, wenn keine Gottheit im Einzelnen benannt wird (zu ihm s. Anm. zu fast. 2.282); daneben gibt es noch die archaischen Einzelpriester flamen Martialis und flamen Quirinalis. Über die Funktion dieses Lictors und den Ritus ist nichts belegt. Denkbar ist, dass hier der Zweig eines Olivenbaums gemeint ist, der in der Regel den flamen Dialis bekränzte (Fest. s.v. Albogalerus 9L); die Türen des flamen hingegen waren mit Lorbeer geschmückt (vgl. fast. 3.137– 139). Seine Frau, die flaminica, trug am Kopftuch den Zweig eines Granatapfelbaums (Fest. s.v. inarculum 101L) bzw. einen Fichtenzweig (s. im Folgenden).

Anmerkungen zum zweiten Buch

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13. 14. 15. 16.

17. 18.

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Zur Priesterschaft der Luperci und dem Lupercalien-Fest am 15. Februar, bei dem diese Priester mit Fellschurz bekleidet durch die Straßen liefen, s. fast. 2.267–452. Vgl. ausführlich Frazer zu 2.267. Zu den Totenfesten im Februar gehörten die Parentalia (13.–21. Februar) und die an deren letztem Tag vollzogenen Feralia (s. dazu auch fast. 2.533– 570 m. Anmerkungen). Peleus, der Vater des Achill, wird nach seinem Mord am Halbbruder Phokos direkt von Akastos in Iolkos (s.u.) entsühnt (met. 11.267–269, 11.409); anders bei Apollodor (3.160–164). Gemeint ist Patroklos, der Sohn des Argonauten Menoitios und somit Enkel des Aktor. In Opus stirbt durch seine Hand unbeabsichtigt ein Mann, sodass er von Peleus entsühnt werden muss und fortan bei ihm mit seinem späteren treuen Freund Achill aufwächst (vgl. dazu Hom. Il. 11.785, 23.83–90). Zu Akastos s. Anm. zu fast. 1.491. Haemonien, benannt nach dem tatsächlich in Thrakien liegenden Haimos-Gebirge, wird synonym für „thessalisch“ verwendet. S.o. Anm. zu Peleus in 2.39. Medea, die hier nach dem Fluss Phasis in Kolchis benannt ist, flieht gemeinsam mit Iason aus Iolkos (s. dazu Anm. zu fast. 1.491) nach Korinth und tötet dort König Kreon, seine Tochter Glauke, die Iason nach der Ankunft heiraten will, und die Kinder, die sie mit Iason bereits hat, sodass sie schließlich nach Athen zu König Aigeus flieht (Ov. met. 7.394–403, Apollod. 1.145f., vgl. auch Anm. zu 3.876). Sie heiratet Aigeus und wird somit zur Stiefmutter des Theseus, den sie beseitigen möchte (Ov. met. 7.406f.). Aigeus selbst stürzt sich aus Kummer über den vermeintlichen Tod des Theseus von den Klippen ins Meer im Glauben, sein Ziehsohn sei dem Minotaurus zum Opfer gefallen, und verleiht der Ägeis ihren Namen (s. Catull. 64.207–245, Ov. Ib. 495f., Apollod. Epit. 1.10). I. e. Alkmaion, der Sohn des Amphiaraos, der seinen Vater an seiner Mutter Eriphyle rächt und schließlich durch den Flussgott Acheloos in der aitolischen Stadt Naupaktos entsühnt wird. Anders die Darstellung in 1.43f., nach der Numa Januar und Februar dem alten Zehnmonatsjahr des Romulus vorgeschaltet habe. Dass der Februar den alten Kalender beendete, klingt plausibel, da er mit seinen Sühneritualen tatsächlich einen sinnvollen Abschluss des alten Jahres gebildet haben könnte (Varro ling. 6.13, Plu. quaest. R. 19). Entsprechend dazu erfolgte die Inauguration der neuen Magistrate im März; vgl. Anm. zu fast. 1.82. Zu Terminus als „Gott der Grenzsteine“, des Endes generell und seinem Fest, den Terminalia, am 23. Februar, s. fast. 2.639–684.

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20. Der manes oder auch di parentes wurde als wohlwollend gesinnter Geister der Toten besonders an den im Februar begangenen Parentalia (fast. 2.533–556) gedacht. 21. Gemeint ist Iuno Sospes, die „Retterin“. Consul C. Cornelius gelobte ihr 197 v. Chr. ein Heiligtum in Rom, wenn die bevorstehende Schlacht glücklich verlaufen würde. 194 v. Chr. wurde es auf dem forum holitorium eingeweiht. Frazer (ad loc.) lokalisiert den Sospes-Tempel im Fundament der heutigen Kirche S. Nicola in Carcere (vgl. auch Coarelli, Rom 307). 22. I. e. Kybele, die im zweiten Punischen Krieg in Form eines heiligen schwarzen Steins aus Phrygien nach Rom gebracht (Liv. 29.14.8–14) und fortan als Magna Mater verehrt wurde. Ihr wurde 191 v. Chr. ein Tempel auf dem Palatin erbaut. Zu ihren Spielen, den ludi Megalenses, vom 4. bis 10. April s. fast. 4.179–214, 4.350–372. Frazer vermutet, Ovid habe den Tempel der Magna Mater mit dem der Mater Matuta an der Porta Carmentalis (Liv. 24.47.15, 25.7.6), direkt neben dem forum holitorium, auf dem sich der besagte Tempel der Sospes befand, verwechselt, da die Aussage ansonsten geographisch recht unzutreffend sei. 23. Zu den Bau- und Restaurationsaktivitäten des Augustus s. unter anderem Mon. Ancyr. 19.1–21.1, Liv. 4.20.7, Suet. Aug. 30.2. 24. Archaische Gottheit mit einem Hain in der Nähe der Tibermündung (fast. 6.105f.). 25. I. e. der Tiber. 26. Gemeint ist das Heiligtum der Vesta (s. dazu 6.263–282). Zu Numa vgl. Anm. zu fast. 1.43. 27. I. e. Iuppiter Tonans, dem Augustus im Jahre 26 v. Chr. einen Tempel nahe dem des Iuppiter Optimus Maximus stiftete. 28. I. e. Sol bzw. Helios. 29. Zu Hesperia als geographischer Angabe vgl. Anm. zu fast. 1.498. 30. Der Delfin wurde für seine treuen Dienste verstirnt, da er Poseidon half, die von ihm begehrte Amphitrite, die vor seiner Liebe floh, zurückzuholen (vgl. Eratosth. Cat. 31, Hyg. astr. 2.17). 31. Eine andere Mythenvariante folgt nun VV. 91–118, die sich auch bei Hdt. 1.23–24, Hyg. astr. 2.17, fab. 194 findet. 32. Topisch geworden ist die Feindschaft zwischen der Eule, der Begleiterin der Pallas Athene, und der Krähe (z. B. Ael. NA 3.9, 5.48, vgl. auch die Raben bei Paus. 10.15.4–5, Plu. Moralia 397F). 33. Gemeint ist Diana, die Zwillingsschwester des Musengottes Apoll, dessen Beiname Cynthius ist (vgl. dazu Anm. zu fast. 3.346). 34. Vgl. Anm. zu fast. 1.55. 35. Mit diesem Patronymikon ist Homer gemeint, dessen Vater in der antiken Tradition Maion aus Smyrna war (Ps. Plu. Vit. Hom. 2, Vit. Hom. 4.1).

Anmerkungen zum zweiten Buch

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36. Hier wird auf das Metrum von Ovids Fasti, das elegische Distichon, in Abgrenzung zum heroischen Versmaß, dem daktylischen Hexameter, hingewiesen. 37. Am 5. Februar 2 v. Chr. nahm Augustus offiziell den Titel pater patriae an, nachdem die drei Volksgruppen, die Curie (= Senatoren), die plebs und der ordo equester, ihn damit angesprochen hatten (vgl. auch Mon. Ancyr. 35.1). Zu weiteren Ehrentiteln vgl. Anm. zu fast. 3.419f. 38. Dass Ovid aus einer alteingesessenen Ritterfamilie in Sulmo stammte, sagt er selbst (trist. 4.10.7f.). 39. S. dazu fast. 4.811–858. 40. Vgl. Anm. zu fast. 1.260. 41. Aus Cures, einer Stadt rund 24 Meilen von Rom entfernt, wurden der Sage nach die Sabinerinnen geraubt; vgl. dazu fast. 3.187–228. 42. Auch von hier soll Romulus Frauen geraubt haben (Liv. 1.9–10, D.H. 2.32.2–34.1, Plu. Rom. 16.2f.). 43. Gemeint ist Augustus; vgl. fast. 1.13, 2.16, 2.141, 2.638 u.ö. 44. Mit der sog. lex Iulia de adulteriis coercendis und der sog. lex Iulia de maritandis ordinibus versuchte Augustus, die Ausschweifungen im Privatleben der Römer zu unterbinden. 45. Zum Asylum des Romulus s. fast. 3.431f. 46. Dominus bezeichnet zunächst den Herren in Abgrenzung zu seinen Sklaven und somit eine dominante Herrscherbeziehung zu seinen Untergebenen. Vor diesem Hintergrund lehnten sowohl Augustus (Suet. Aug. 53.1, D.C. 55.12.2) als auch Tiberius (Tac. ann. 2.87, Suet. Tib. 27, D.C. 57.8.1f.) diesen Titel ab. Sie wollten vielmehr princeps, also der „Erste“ genannt werden. 47. Anders in fast. 4.837–854, wo Romulus keine Schuld am Tod des Bruders trägt. 48. Romulus erfährt durch seinen Vater Mars eine Apotheose (fast. 2.481– 512). Augustus hingegen setzt sich für die Divinisierung Caesars ein (z. B. Suet. Iul. 88, Ov. met. 15.746–750, 760f., CIL 9.2628). Allerdings kann kein konkretes Datum für diesen „schleichenden“ Prozess angegeben werden; so auch Gesche, H.: Caesar, Darmstadt 1976, 169–172, anders Bömer (ad loc.). 49. Der hübsche Ganymed wurde aus Troja, das dem Gebirgszug Ida benachbart ist, geraubt, um den Göttern als Mundschenk zu dienen. 50. Dieser Nord-Ost-Wind bringt Kälte und Schnee. 51. Der Westwind ist ein Bruder von Boreas und Notos. 52. Es folgt der Katasterismos der Kallisto (Große Bärin) und ihres Sohnes Arkas (Bärenhüter). Zum Arktophylax s. auch fast. 3.405 m. Anm. 53. Die Hamadryaden gehören zu den Baumnymphen (Dryaden).

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54. Die Nymphe Kallisto, Tochter des arkadischen Königs Lykaon, empfängt von Zeus Arkas, den Namensgeber Arkadiens (s. zur Namensgebung fast. 1.470). Der Mythos wird ausführlicher in met. 2.409–507 erzählt. 55. I. e. Diana; vgl. dazu Anm. zu 2.91, 3.346. 56. Auch mit Phoebe ist Diana gemeint; vgl. dazu Anm. zu Phoebus als Bei­ namen des Apoll in 1.164. 57. Tegea ist eine Stadt in Arkadien, aus der Kallisto stammt. 58. Arkas ist 15 Jahre alt; zum lustrum vgl. die Anm. zu 3.120. 59. Gemeint ist Iuno; ähnlich in fast. 1.266. 60. Die Titanin Tethys steht metonymisch für das Meer. 61. Mainalos ist ein Berg in Arkadien. 62. Der Faunus korrespondiert mit der griechischen Waldgottheit Pan und ist ein Mischwesen aus Mensch und Ziegenbock. Sein Tempel auf der Tiberinsel ist 194 v. Chr. eingeweiht worden (Liv. 34.53.4). Die ihm zu Ehren gefeierten Lupercalien fanden am 15. Februar statt (s. fast. 2.267–452). 63. Nach Auszug durch die Porta Carmentalis wurden Vertreter der Gens Fabia beim Bemühen, Rom gegen den etruskischen Rivalen zu verteidigen, im Jahre 477 v. Chr. von den Bewohnern Veiis am Fluss Cremera geschlagen. Die meisten antiken Autoren datieren diese Niederlage genau wie die Schlacht an der Allia auf den 18. Juli (Liv. 6.1.11, Tac. hist. 2.91.1, Plu. Cam. 19.1). 64. Als griechisches Lehnwort bezeichnet Tyrrhenoi die Etrusker. 65. Hier synonym für „etruskisch“. 66. S.o. Anm. zu fast. 2.148. 67. Hercules ist als Stammvater der Gens Fabia bei Plutarch (Fab. 1.2), Silius Italicus (6.627–636) und Juvenal (8.14) bezeugt. 68. Gemeint ist Q. Fabius Maximus Cunctator, dessen Verzögerungstaktik im Kampf gegen Hannibal 217 v. Chr. auch für die Folgejahre den Römern ein erfolgreiches strategisches Konzept gegen Hannibal bescherte. 69. I. e. Apoll s. fast. 1.164, 291, 2.106. 70. Gemeint sind die Musen, benannt nach ihrer Heimat Pierien am Fuße des Olymp (Hes. Th. 53–55). 71. Der Hirtengott hat die Füße und die Hörner eines Bockes. 72. In Pholoe (in Arkadien) wohnen die Kentauren (Theoc. 7.149f.). 73. Stymphalos ist ein See in Nordarkadien. Oft steht das Adjektiv synonym für „arkadisch“ (z. B. Ov. met. 5.585, 9.187), ebenso verhält es sich mit den folgenden geographischen Bezeichnungen. 74. Fluss in Nordarkadien. 75. Ort in Nordarkadien, nahe dem Wasserfall der Styx. 76. Trikrene („die drei Quellen“) ist ein Gebirgszug in Arkadien. 77. Parrhasien ist ein Teil von Westarkadien.

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78. Zu Euander vgl. v.a. 1.465–586 sowie speziell die Anm. zu 1.471. 79. Pausanias (8.4.1) erläutert, die Pelasger hätten unter Arkas ihren Namen „Arkadier“ erhalten. 80. Der flamen Dialis war der Priester des Iuppiter. Die Regeln, die der flamen befolgen musste, um eine Schwächung seiner Person oder seines Priesteramtes zu unterbinden, waren sehr ausdifferenziert und für den modernen Geschmack oft nicht nachvollziehbar, z. B. dass er nicht auf einem Pferd sitzen oder keinen Ring oder Knoten an sich tragen durfte (Gell. 10.15.3, 6,9, Fest. s. v. ederam 72L). Nur Ovid nennt den flamen Dialis als zuständigen Priester für die Lupercalien; s. dazu die Diskussionen bei Bömer und Frazer ad loc. 81. So auch in fast. 1.469f. 82. I. e. Herakles vgl. Anm. zu fast. 1.548. 83. Um den Mord an Iphitos zu entsühnen, muss Herakles der Omphale, der Witwe des Tmolos und Königin Lydiens, dienen (Apollod. 2.131f.). Omphale demütigt den Heros, u. a. indem sie ihn zwingt, Frauenkleider zu tragen (Ov. epist. 9.55–64). 84. I. e. Omphale; „Maeonia“ gilt als alter Namen Lydiens. 85. Berg in Lydien, berühmt für seinen Wein (Str. 14.1.15, Plin. nat. 14.74, Vitr. 8.3.12). 86. Gemeint ist der Abendstern. 87. Zu dem Papponymikon vgl. Anm. zu fast. 1.575 und zu Herakles generell Anm. zu fast. 1.543. 88. Gaetulischer Purpur stammt aus Nordafrika. 89. I. e. Dionysos bzw. Bacchus. 90. Da Ovid eine Muse als Autorität anruft, wird das römische Aition um Romulus und Remus als das glaubwürdigste dargestellt (während er in 2.304 von fabula plena ioci spricht!). 91. Zum Kampf gegen die Räuber s. auch fast. 3.63f. 92. Die Priesterschaft ist in die sog. Luperci Fabiani und die Quinctiales bzw. Quinctilii unterteilt (vgl. auch Frazer zu 2.267). 93. Der Ort am Fuße des Palatin, an dem die Zwillinge nach der Aussetzung durch ihren Onkel Amulius strandeten, wird nach der Wölfin (lupa), die sie säugte, „Lupercal“ genannt. Namensgebend war er sekundär auch für die Luperci, deren Lauf dort startete. Weitere Episoden aus dem jungen Leben der Zwillinge in 3.9–48 (Empfängnis und Geburt), 3.49–52, 2.385f., 403– 406 (Befehl des Amulius) und 2.407–422 (Wölfin als Amme). 94. Amulius setzt seinen Bruder Numitor, den rechtmäßigen König, ab, tötet den Thronfolger Lausus und zwingt die Prinzessin Rhea Silvia, Vestalin zu werden und somit ein Keuschheitsgelübde abzulegen. Allerdings vergewaltigt Mars sie und zeugt mit ihr Romulus und Remus; vgl. dazu 3.9–70.

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95. Tiberinus, Sohn des Königs Calpetus (oder Capetus) aus Alba Longa, ertrank im Fluss Albula (so Ov. met. 14.614–616, Liv. 1.3.8), der nach seiner Entrückung und Apotheose fortan Tiber hieß. Vgl. zum Stammbaum Alba Longas fast. 4.29–58. 96. Die sog. ficus Ruminalis wurde mit der alten Gottheit Rumina, einer Göttin des Säugens, verbunden. In historischer Zeit war allerdings lediglich eine ficus Ruminalis auf dem Comitium des Forums bekannt (D.H. 3.71.5), die unter Tarquinius Priscus durch die Zauberkräfte des Augurs Attus Na­vius dorthin versetzt worden sein soll (Plin. nat. 15.77, Fest. s. v. Navia 168, 170L). Dieser Baum ist 58 v. Chr. verdorrt. 97. Vgl. die Ekphrasis auf Aeneas’ Schild (Verg. Aen. 8.630–634). 98. Anders als in 2.381f. m. Anm. werden hier die Luperci-Priester etymologisch vom arkadischen Mons Lycaeus abgeleitet. Dort gab es Heiligtümer sowohl für Pan Lykaios als auch für Zeus Lykaios (Paus. 8.38.5); es wird also eine Verbindung zwischen dem Wolfs-Pan (griech. λύκος) und dem Wolfs-Faunus (lat. lupus) hergestellt und die Priesterschaft danach benannt (Liv. 1.5.1f.; vgl. auch Plu. quaest. R. 68, Rom. 21.4). 99. Die Luperci schlugen Frauen, die sie trafen, mit Fellriemen der geopferten Tiere. So sollte die Fruchtbarkeit unterstützt und die Geburt erleichtert werden (Plu. Rom. 21.7, Caes. 61.2, Iuv. 2.142). 100. Zum Raub der Sabinerinnen vgl. auch fast. 3.187–234. 101. Zum Tempel der Iuno Lucina vgl. fast. 3.245–248. 102. Der Beiname der Iuno Lucina wird von lux (= „Licht“) hergleitet, entweder weil Lucina den Säugling „ans Licht holt“ (auch heute wird davon gesprochen, dass ein Kind das Licht der Welt erblickt) oder aber Lucina mit dem Mond und seinem Einfluss auf die Geburt in Verbindung gebracht wird, so z. B. bei Plu. quaest. R. 77, Moralia 658F–659A, Varro ling. 5.69). Neben Ovid führt nur noch Plinius (nat. 16.235) lucus (= „Hain“) als mögliche Erklärung an. 103. Aiolos, König der Winde, hält die Winde eingekerkert. 104. Nach Homer ist Dione Zeus’ erste Frau. Aus dieser Verbindung entstand Aphrodite (Il. 5.370f.), die hier in hellenistisch verrätselnder Manier auch gemeint ist (so auch: Ov. ars 3.3f., Stat. Theb. 1.288, Ach. 2.340, Val. Fl. 7.187). 105. Typhon/Typhoeus kämpft gegen Zeus; vgl. Anm. zu fast. 1.573. 106. Plinius definiert das antike Palästina als Teil des antiken Syriens (nat. 5.66). 107. Gemeint sind die sog. Quirinalia am 17. Februar. Im Folgenden legt Ovid die Apotheose des ersten römischen Königs Romulus dar, der daraufhin als Quirinus verehrt wurde; vgl. Anm. zu 1.37. 108. So Festus (s. v. curis 43L), Plutarch (Rom. 29.1, quaest. R. 87) und Macrobius (Sat. 1.9.16); allerdings zieht Festus auch die Stadt Cures in Betracht.

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Nachdem Titus Tatius und Romulus Frieden geschlossen hatten, vereinigten sie ihre beiden Völker, die fortan Quiriten genannt wurden (Fest. s. v. Quirites 304L, Liv. 1.13.5). 109. Vgl. zu Cures Anm. zu fast. 2.135. 110. Gemeint ist Mars. 111. So auch die Beschreibung in met. 14.816–825 und Hor. carm. 3.3.15f. Etwas unspezifischer die Ereignisse bei Liv. 1.16, Ps. Aur. Vict. vir. ill. 2.13f. und Plu. Rom. 27.1–28.3, Cam. 33.9f., fort. R. 8: Romulus sei am „Sumpf der Ziege“ bei einem Unwetter in den Himmel hinfort getragen worden. Hingegen finden sich auch Stimmen, die einen Mord durch Senatoren in Betracht ziehen (s. fast. 2.497f., D.H. 2.56.4, Plu. Rom. 27.3– 5, Liv. 1.16.4). 112. Es ist ungewiss, ob Ovid mit der Aussage fit fuga die Apotheose auf den Tag der sog. Poplifugia, die allerdings am 5. Juli stattfanden (CIL 1.1 pp. 225, 244, 248, 320), datieren wollte (so auch D.H. 2.56.5). Auch ist nicht klar, welche Bedeutung diesen Poplifugia zukam (s. Latte, Reli­ gionsgeschichte 128f.). 113. Aeneas’ Sohn Ascanius soll Alba Longa gegründet haben. Sie gilt als Mutterstadt Roms, da die späteren Gründer Roms, Romulus und Remus, von der dorther stammenden Prinzessin Rhea Silvia geboren wurden. 114. 293 v. Chr., wahrscheinlich am 17. Februar, ließ der Consul Papirius Cursor dem Gott Quirinus einen Tempel auf dem Quirinal errichten. Augustus restaurierte dieses Heiligtum und ließ es am 29. Juni 16 v. Chr. wiedereröffnen (zur Restauration s. fast. 6.795f. m. Anm., D.C. 54.19.4, Mon. Ancyr. 19.2). 115. Die der Göttin des Ofens, Fornax (V. 525), gewidmeten Fornacalia (V. 528) gehörten zu den sog. feriae conceptivae, die von den curiones maximi (V. 527f.), den Vorstehern einer jeden Curie, per Aushang auf dem Forum (tabulae: V. 529) für einen bestimmten Tag festgelegt wurden. Der späteste Termin, die Fornacalia zu begehen, war der 17. Februar, zeitgleich mit den Quirinalia, (V. 532; Varro ling. 6.13). „Fest der Dummen“ wurde es auch genannt, da insbesondere Ungebildete diesen letztmöglichen Termin wahrnahmen (s. auch Festus s. v. Quirinalia und stul­torum feriae 304f., 418–420L, Plu. quaest. R. 89. 116. Die Parentalia (CIL 1.1 pp. 258, 309) begannen am 13. Februar und dauerten bis zum 21. Februar an, welcher mit den Feralia (fast. 2.569, CIL 1.1 pp. 212, 223, 250, 258, 310) eine individuelle Bezeichnung trug und das Abschlussfest bildete. An den Feralia wurde inbesondere an die verstorbenen Eltern und an andere verstorbene Familienmitglieder gedacht, die mit rituellen Handlungen besänftigt wurden. Im Mai fanden mit den Lemuria

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weitere Totenfeste statt (s. fast. 5.419–492), die mit ähnlichen Tabus (s. fast. 5.485–488) behaftet waren wie die hier beschriebenen. 117. S. dazu Anm. zu 2.52. 118. Styx steht hier als Pars pro toto für die Unterwelt insgesamt. 119. Die Pietät des Aeneas ist topisch geworden (vgl. 1.527f. m. Anm. und 3.423f.). U. a. soll er seinem verstorbenen Vater Anchises diverse Opfergaben, verbunden mit Blumen, am Grab dargebracht haben (Verg. Aen. 5.42–103). 120. Latinus war der Vater der Lavinia, in die sich Aeneas nach seiner Ankunft in Latium verliebte und die er heiraten wollte. Da Lavinia allerdings bereits Turnus versprochen war, entstand ein Kampf zwischen dem Trojaner und seinem Rivalen Turnus. 121. Gemeint ist der persönliche Schutzgeist eines römischen Mannes (der einer Frau wurde „Iuno“ genannt). Im frühen Glauben existierte er nur so lang, wie ein Römer lebte, später wurde er allerdings auch mit den dei manes identifiziert. S. dazu Latte, Religionsgeschichte 103f. 122. An Tagen zu heiraten, an denen der Toten gedacht wurde, also an den Parentalia und Lemuria, galt als schlechtes Vorzeichen. Im Folgenden werden einige besondere Hochzeitsriten angesprochen: So wurde die Braut in typisch römisch apotropäischer Haltung mit einer sog. hasta caelibaris, einem Eisenspeer, frisiert (s. Fest. s. v. Caelibari hasta 55L, Plu. quaest. R. 87) und von einem Jungen mit Hochzeitsfackel zu Hause abgeholt (s. zu diesem Aberglauben auch Frazer ad loc.). 123. I. e. der Gott, der bei Hochzeiten zugegen ist. 124. Ein Distichon weist elf Versfüße auf, sodass die ovidische Aussage zu vielen Spekulationen führte. Während einige Philologen (z. B. Bömer und Binder) eine Fehldatierung Ovids postulieren, gehen andere von einer Korruptele aus und versuchen, den Text beispielsweise mit der Konjektur deas statt pedes (Winter, H.: De fastis Verrii Flacci ab Ovidio adhibitis, Diss. Berlin 1885, 8f.) zu heilen. Eine brillante Erklärung bietet Nick (Kritisches und Exegetisches zu Ovids Fasten, in: Philologus 41, 1882, 445–464), indem er das Problem damit zu lösen sucht, dass nicht von der Länge des kürzesten Monats Februar, sondern von einem regulären Monat mit 31 Tagen aus gerechnet wird. 125. Etymologisch verbinden auch Varro (ling. 6.13) und Festus (s. v. Feralia 75L) die Feralia mit ferre, allerdings erwägt Festus auch die Herleitung von ferire, d. h. Tiere seien geopfert worden. 126. Tacita ist auch unter dem Namen „Muta“ bekannt. 127. Vgl. Anm. zu 1.463. 128. Gemeint sind die Wassernymphen, die im Tiber wohnen. 129. Rhea Silvia / Ilia soll von Amulius in den Tiber gestürzt worden sein. Der Flussgott Tiberinus habe sich ihrer angenommen und sie zu seiner Frau

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gemacht (Serv. Aen. 1.273, Hor. carm. 1.2.17–20). Zur Identifikation von Rhea mit Ilia s. Anm. zu fast. 3.62, 3.233. 130. Die Nymphe Lara (einstmals Lala) lässt sich etymologisch aus dem griechischen λαλεῖν (= „plappern“) herleiten. 131. Almo ist ein in den Tiber mündender Fluss aus den Albanerbergen und der damit verbundene Flussgott. Zu seiner Funktion bei den Ludi Megalenses vgl. fast. 4.337–340 m. Anm. 132. Merkur / Hermes fungiert unter anderem als Psychopompos (Hom. Od. 24.1–10, Hor. carm. 1.10.17–20, Verg. Aen. 4.242–244), der die Seelen der Verstorbenen in die Unterwelt geleitet. 133. Lara ist nach Ovid also die Mutter der Zwillingslaren, daher auch oft mater Larum genannt. 134. Hier sind augenscheinlich die öffentlichen Laren gemeint: die lares compitales (Schutzgötter der Wegkreuzungen), deren Fest, Compitalia, im Januar stattfand, und die lares praestites (Götter, die ganz Rom schützen sollten) mit ihrem eigenen Fest am 1. Mai (s. auch fast. 5.129–146). S. auch Latte, Religionsgeschichte 90–94. 135. Nach den Feralia wird am 22. Februar das Fest der lebenden Verwandten, Caristia oder Cara cognatio, gefeiert. 136. Atreus und Thyestes werden nach ihrem Großvater Tantalos mit einem Papponymikon bezeichnet. In dieser Rache erfüllten Familienbande spielt besonders die Tat des Atreus eine zentrale Rolle, der, nachdem Thyestes mit Atreus’ Frau Ehebruch begangen hat, seine Neffen tötet und ihrem Vater Thyestes als Mahl reicht. Weitere Verbrechen, die mit diesem Frevel in Zusammenhang stehen, s. bei Apollod. Epit. 2.10–14, teilweise auch: E. El. 706–736, Or. 995–1010, Hyg. fab. 88. 137. Gemeint ist Medea, s. Anm. zu fast. 1.491 und zu fast. 2.41. 138. Gemeint ist Ino mit ihren Intrigen; s. dazu fast. 3.853–876. 139. Prokne heiratet Tereus, den König Thrakiens, und gebiert ihm den Sohn Itys. Tereus vergewaltigt jedoch seine Schwägerin Philomela und schneidet ihr die Zunge heraus. Die Geschädigte kann sich ihrer Schwester dadurch offenbaren, dass sie in einem gewebten Teppich in einer Art Ekphrasis von der Gräueltat erzählt. Auch hier findet sich ein Kannibalismus, indem Prokne das gemeinsame Kind Tereus zum Mahl reicht, woraufhin dieser die Schwestern verfolgt, bis sie die Metamorphose in eine Schwalbe und eine Nachtigall rettet. S. dazu Ov. met. 6.412–674. 140. Anders als in den Versen 615f. sind hier die lares familiares gemeint, denen an den heimischen Lararien Opfergaben in einer heiligen Schale gereicht werden. 141. Vgl. zum Ehrentitel „Pater patriae“ fast. 2.127f. m. Anm. 142. Vgl. dazu sehr ausführlich Frazer ad loc.

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143. Der Kampf um die Region Thyreatis gipfelte in einem Krieg zwischen Spartanern und Argivern, von denen auf Argiver-Seite zwei, auf der der Spartaner nur Othryades überlebten. 144. Entweder beging Othryades unverzüglich nach der Niederlage Selbstmord (Hdt. 1.82) oder hat vor dem Freitod die Rüstungen gesammelt, aufeinandergeschichtet und mit seinem eigenen Blut eine Widmung hinterlassen (Lucianus Cont. 24). 145. Gemeint ist die sog. Via Laurentina, die von Rom nach Laurentum, der Stadt des mythischen Königs Latinus, Aeneas’ Schwiegervater, führte. S. die Abhandlung bei Frazer ad loc. 146. I. e. Aeneas; s. auch Anm. zu fast. 1.519, 4.31. 147. Viele Spekulationen ranken sich um das sog. Regifugium. Gemeinhin galt es als Erinnerungsfest an die Flucht des letzten römischen Königs, Tarquinius Superbus (Fest. s. v. regifugium 347L, Aus. eclogae 23.13f.). Frazer (ad loc.) erörtert mehrere Ansätze; Latte, Religionsgeschichte 128 verweist auf die Unsicherheit um dieses Fest. 148. Nur wenn man, vergleichbar mit fast. 2.567f., nicht von der Länge des aktuell thematisierten Monats Februar ausgeht, sondern von einem Monat, wie er sich am häufigsten im Kalender zeigte, geht die Rechnung auf. Anders allerdings als an der o.g. Stelle muss Ovid hier den vorjulianischen Kalender oder ältere Aufzeichnungen zugrunde gelegt haben, deren Monate am häufigsten 29 Tage aufwiesen, damit die Rechnung für das Regifugium am 24. Februar stimmt. 149. Nach dem Mord an König Servius Tullius (vgl. dazu fast. 6.585–616) wurde Lucius Tarquinius Superbus nach antiker Tradition der siebte und letzte König Roms, bis er 509 v. Chr. vertrieben wurde. In seinen Eroberungsfeldzügen war Tarquinius sehr erfolgreich und konnte u. a. Ardea und Gabii seinem Reich einverleiben, allerdings herrschte er äußerst brutal und auch seine Söhne standen ihm darin in nichts nach (s. dazu die Einnahme Gabiis 2.689–710 und die Vergewaltigung der Lucretia in 2.779–834). 150. Die durch List eingenommene Stadt liegt östlich von Rom. 151. Pars pro toto; moenia = „Stadt“. 152. L. Iunius Brutus, der Neffe des Tarquinius Superbus, war der einzige Überlebende seiner Familie, nachdem sein Vater und sein älterer Bruder von Tarquinius beseitigt worden waren. Ihn schützte allein seine gespielte Naivität (Liv. 1.56.7–8, Val. Max. 7.3.2, D.H. 4.68–69), die er in fast. 2.837– 844 aufgibt (s. D.H. 4.77). 153. Diese südlich von Rom gelegene Stadt in Latium wurde ursprünglich vom Rutulerkönig Turnus regiert. 154. Gemeint ist der jüngste Sohn des Tarquinius, Sextus.

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155. Gemeint ist Tarquinius Collatinus. Tarquinius Priscus hatte Collatia, nordöstlich von Rom, eingenommen und seinem Neffen Egerius, mit dem Beinamen Collatinus (abgeleitet von der anvertrauten Stadt) zur Verwaltung übertragen. Tarquinius Collatinus, der das Cognomen übernehmen konnte, war ein Sohn des Egerius und der Ehemann von Lucretia. 156. Gemeint ist die Gattin des Sextus Tarquinius, die durch ihren Lebenswandel die negative Kontrastfolie zur sittsamen Lucretia bildet und damit den Zorn ihres Mannes erregt. 157. Die Episode um Lucretia ist das Exemplum für Sittsamkeit schlechthin in der römischen Welt. Nach ihrer Vergewaltigung durch Sextus Tarquinius kann sie mit der Schande nicht weiterleben und begeht Selbstmord, obwohl Vater und Ehemann sie von jeglicher Schuld freisprechen. Daraufhin werden die herrschenden Tarquinier aus Rom vertrieben und mit Collatinus und Brutus als Consuln wird die römische Republik geboren. Vgl. z. B. Liv. 1.57–60, D.H. 4.64.4–76.2. 158. Interpretiert man torus metonymisch für „Ehe“, so gewinnt der Vers folgende Bedeutung: Tarquinius hält Collatinus der Ehe mit der reizenden Lucretia für nicht würdig, nur er selbst als Königssohn habe sie als Gattin verdient. Man kann allerdings torus auch wörtlich auffassen, indem das „Ehebett“ eine solche Freveltat, begangen durch Tarquinius, nicht verdient habe; s. zu ähnlichen Stellen: Ov. met. 1.508, 1.631. 159. Der allwissende Erzähler verlässt seine extradiegetische Ebene und spricht eine intradiegetische Figur seiner Erzählung an. Apostrophen dieser Art finden sich auch in fast. 1.441, 2.97, 2.106, 2.178, 3.55f., 4.133f., 5.591– 594, 6.319f. 160. Die meisten Quellen geben an, Lucretias Vater sei aus Rom herbeigeeilt, während ihr Mann tatsächlich aus dem Feldlager kam, so Livius (1.58.5) und Dio Cassius (2.11.18f.). 161. Hier mit einer Schwalbe identifiziert, vgl. Anm. zu fast. 2.630. 162. S. o. Anm. zu fast. 2.630. 163. Das von Romulus eingeführte Fest (etymologisch abgeleitet von equi curria) wurde mit Pferde- bzw. Wagenrennen für Mars auf dem Marsfeld durchgeführt, so Festus (s. v. equirria 71L), Varro (ling. 6.13) und Tertul­ lian (spect. 5.5). Seltsam mutet die zeitliche Nähe der beiden Equirria-Feste am 17. Februar und 14. März (fast. 3.517–522) an. 164. Festus (s. v. gradivus 86L) und Servius (Aen. 3.35) leiten diesen Bei­namen des Mars von gradior her. Romulus benannte in seiner Kalendergestaltung den ersten Monat nach seinem mythischen Vater Mars mensis Martis. 165. Die nautische Metapher umrahmt in gewisser Weise das zweite Buch; s. fast. 2.3. Schiffsmetaphern finden sich an einigen Stellen des Werkes, z. B. in fast. 1.4, 1.466, 3.790, 4.18, 4.729f.

LIBER TERTIVS

Bellice, depositis clipeo paulisper et hasta,   Mars, ades et nitidas casside solve comas! Forsitan ipse roges, quid sit cum Marte poetae:   a te, qui canitur, nomina mensis habet. Ipse vides manibus peragi fera bella Minervae:   Num minus ingenuis artibus illa vacat? Palladis exemplo ponendae tempora sume   cuspidis: invenies et quod inermis agas. Tum quoque inermis eras, cum te Romana sacerdos   cepit, ut huic urbi semina magna dares. Silvia Vestalis (quid enim vetat inde moveri?)   sacra lavaturas mane petebat aquas. Ventum erat ad molli declivem tramite ripam;   ponitur e summa fictilis urna coma. Fessa resedit humo ventosque accepit aperto   pectore turbatas restituitque comas. Dum sedet, umbrosae salices volucresque canorae   fecerunt somnos et leve murmur aquae; blanda quies furtim victis obrepsit ocellis   et cadit a mento languida facta manus. Mars videt hanc visamque cupit potiturque cupita   et sua divina furta fefellit ope. Somnus abit, iacet ipsa gravis; iam scilicet intra   viscera Romanae conditor urbis erat.

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DRITTES BUCH März Kriegerischer Mars, nachdem du deinen Schild und Lanze ein Weilchen beiseitegelegt hast, sei hold und befreie die glänzenden Haare vom Helm! Vielleicht dürftest du selbst fragen, was der Dichter mit Mars zu tun hat: Von dir, der besungen wird, hat der Monat seinen Namen1. 5 Du selbst siehst, dass wilde Kriege von den Händen Minervas2 geführt werden: Hat sie etwa weniger Muße für die edlen Künste? Nimm dir Zeit, den Speer abzulegen, nach dem Beispiel der Pallas: du wirst auch etwas finden, was du unbewaffnet betreiben kannst. Auch damals warst du unbewaffnet, als dich die römische Priesterin3 10 in ihren Bann zog, sodass du dieser Stadt bedeutenden Samen schenktest. Die Vestalin Silvia (was hindert nämlich daran, von hier aus in Gang zu bringen?) ging morgens üblicherweise zu den Wassern, die die Kultgegenstände abwaschen sollten.4 Man war auf einem sanft abfallenden Pfad zum abschüssigen Ufer gekommen; ein tönernes Gefäß wird oben vom Haupthaar herabgenommen. 15 Erschöpft nahm sie auf dem Boden Platz und hieß mit entblößter Brust die Winde willkommen und brachte ihr zerzaustes Haar wieder in Ordnung. Während sie dasaß, ließen schattenspendende Weiden, wohlklingende Vögel und das leichte Plätschern des Wassers sie einschlummern; lockende Ruhe kroch verstohlen in die bezwungenen Äuglein 20 und die kraftlos gewordene Hand fällt vom Kinn herab. Mars sieht sie, begehrt sie, weil er sie sieht, bemächtigt sich ihrer, weil er sie begehrt, und verschleierte seine heimlichen Machenschaften mit göttlicher Macht. Der Schlaf geht, sie selbst liegt mit schweren Gliedern da; freilich war ja schon in ihrer Bauchhöhle der Gründer der römischen Stadt.

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Languida consurgit nec scit, cur languida surgat,   et peragit tales arbore nixa sonos: “Utile sit faustumque, precor, quod imagine somni   vidimus: an somno clarius illud erat? Ignibus Iliacis aderam, cum lapsa capillis   decidit ante sacros lanea vitta focos. Inde duae pariter, visu mirabile, palmae   surgunt: ex illis altera maior erat et gravibus ramis totum protexerat orbem   contigeratque sua sidera summa coma. Ecce meus ferrum patruus molitur in illas:   terreor admonitu corque timore micat. Martia, picus, avis gemino pro stipite pugnat   et lupa: tuta per hos utraque palma fuit.” Dixerat et plenam non firmis viribus urnam   sustulit: implerat, dum sua visa refert. Interea crescente Remo, crescente Quirino   caelesti tumidus pondere venter erat. Quo minus emeritis exiret cursibus annus,   restabant nitido iam duo signa deo: Silvia fit mater; Vestae simulacra feruntur   virgineas oculis opposuisse manus. Ara deae certe tremuit pariente ministra   et subiit cineres territa flamma suos. Hoc ubi cognovit, contemptor, Amulius, aequi,   (nam raptas fratri victor habebat opes), amne iubet mergi geminos. Scelus unda refugit:   in sicca pueri destituuntur humo. Lacte quis infantes nescit crevisse ferino   et picum expositis saepe tulisse cibos? Non ego te, tantae nutrix, Larentia, gentis,   nec taceam vestras, Faustule pauper, opes:

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25 Matt erhebt sie sich und weiß nicht, warum sie sich so matt erhebt, und auf einen Baumstamm gestützt gibt sie derartige Laute von sich: „Es möge nützlich und glückverheißend sein, ich bitte darum, was ich in einem Traumbild erblickt habe: oder war es deutlicher als ein Traum? Bei den ilischen5 Feuerstellen war ich zugegen, als von den Haaren die 30 Opferbinde aus Wolle herabgeglitten vor die geweihten Herdstätten hinabfällt.6 Von dieser Stelle erheben sich gleichzeitig – wundersam zu schauen – zwei Palmen: die eine davon war größer, sie hatte mit ihren schwerbeladenen Palmwedeln den ganzen Erdkreis bedeckt und hatte mit ihrer Krone die Sterne ganz oben berührt. 35 Siehe da, mein Onkel setzt eine Waffe gegen sie an7: Ich werde durch die bloße Erinnerung erschreckt und mein Herz zuckt vor Furcht. Der Marsvogel, der Specht, und die Wölfin kämpfen für den Zwillingsstamm8: mittels dieser waren beide Palmen sicher.“ Sprach’s und hob das volle Gefäß mit nicht wieder erstarkten Kräften 40 hoch: Sie hatte es gefüllt, während sie ihre Traumvision berichtete. Während in der Zwischenzeit Remus wuchs, Quirinus9 wuchs, war der Bauch angewachsen aufgrund der göttlichen Leibesfrucht. Zwei Tierkreiszeichen fehlten dem strahlenden Gott10 noch, dass das Jahr nach Vollendung des Laufes zu Ende ging. 45 Silvia wird zur Mutter; die Statue der Vesta soll die jungfräulichen Hände vor die Augen gehalten haben.11 Der Altar der Göttin erzitterte gewiss, als die Dienerin gebar, und die erschrockene Flamme sank unter ihre eigene Asche. Sobald dies Amulius12, der Verächter des Rechtes, erfahren hatte 50 (denn er hatte als Sieger die dem Bruder geraubte Macht inne), gibt er den Befehl, die Zwillinge im Strom zu ertränken.13 Die Woge schreckte vor der grausamen Tat zurück: auf trockenem Boden stranden die Kinder. Wer weiß nicht, dass die Kleinkinder mit Milch von einem wilden Tier aufwuchsen und ein Specht den Ausgesetzten häufig Nahrung brachte? 55 Nicht möchte ich dich, Larentia14, Amme eines so bedeutenden Geschlechtes, verschweigen und nicht eure Hilfe, armer Faustulus:

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vester honos veniet, cum Larentalia dicam:   acceptus geniis illa December habet. Martia ter senos proles adoleverat annos   et suberat flavae iam nova barba comae: omnibus agricolis armentorumque magistris,   Iliadae, fratres iura petita dabant. Saepe domum veniunt praedonum sanguine laeti   et redigunt actos in sua rura boves. Ut genus audierunt, animos pater editus auget   et pudet in paucis nomen habere casis Romuleoque cadit traiectus Amulius ense   regnaque longaevo restituuntur avo. Moenia conduntur, quae, quamvis parva fuerunt,   non tamen expediit transiluisse Remo. Iam, modo quae fuerant silvae pecorumque recessus,   urbs erat, aeternae cum pater urbis ait: “Arbiter armorum, de cuius sanguine natus   credor et, ut credar, pignora multa dabo, a te principium Romano dicimus anno:   primus de patrio nomine mensis erit.” Vox rata fit patrioque vocat de nomine mensem:   dicitur haec pietas grata fuisse deo. Et tamen ante omnes Martem coluere priores;   hoc dederat studiis bellica turba suis. Pallada Cecropidae, Minoia Creta Dianam,   Volcanum tellus Hypsipylaea colit, Iunonem Sparte Pelopeiadesque Mycenae,   pinigerum Fauni Maenalis ora caput: Mars Latio venerandus erat, quia praesidet armis;   arma ferae genti remque decusque dabant.

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Eure Ehre wird kommen, wenn ich die Larentalia15 besprechen werde: Jene hält der Dezember, der den Schutzgeistern willkommen ist16, bereit. Dreimal sechs Jahre lang war des Mars Nachkommenschaft 60 herangewachsen und unter dem blonden Haar kam schon der ungewohnte Bart zum Vorschein: Allen Bauern und Viehhütern gaben die Brüder, die Söhne der Ilia17, das erwünschte Recht. Oftmals kommen sie nach Hause, glücklich wegen des Blutes der Räuber und bringen weggetriebene Rinder in ihre Fluren zurück.18 65 Sobald sie von ihrer Abstammung erfahren hatten, vermehrt die Bekanntgabe des Vaters ihren Mut, es beschämt , einen Namen in wenigen Hütten zu haben, Amulius wurde vom Schwert des Romulus durchbohrt und fällt, und die Königswürde wird für den hochbetagten Großvater19 wiederhergestellt. Stadtmauern werden errichtet, die, mögen sie auch klein gewesen sein, 70 übersprungen zu haben, Remus trotzdem nicht zuträglich war.20 Schon war das, was eben Wälder und Rückzugsorte für Vieh war, eine Stadt, als der Vater der ewigen Stadt sagt: „Gebieter über Waffen, von dessen Blute ich abstamme, wie man glaubt, und der ich viele Garantien geben werde, damit man es von mir glaubt, 75 nach dir benenne ich den Beginn des römischen Jahres: der erste Monat wird vom väterlichen Namen hergeleitet sein.“ Die Aussage geht in Erfüllung und nach dem väterlichen Namen bezeichnet er den Monat: Diese kindliche und fromme Pflichterfüllung soll dem Gott angenehm gewesen sein. Auch abgesehen davon verehrten die früheren Menschen Mars vor allen ; 80 darin hatte die kriegerische Masse ihren Neigungen nachgegeben. Die Cecropiden21 verehren Pallas22, das minoische Creta23 Diana24, das Land der Hypsipyle25 Volcanus26, Sparta27 Iuno28 und das Mycene29 der Pelopeiaden30, die maenalische31 Küste das fichtenumkränzte Haupt des Faunus32: 85 Mars musste von Latium verehrt werden, weil er den Waffen vorsteht; die Waffen gaben dem wilden Volksstamm Herrschaft und Glanz.

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Quod si forte vacas, peregrinos inspice fastos:   mensis in his etiam nomine Martis erit. Tertius Albanis, quintus fuit ille Faliscis,   sextus apud populos, Hernica terra, tuos; inter Aricinos Albanaque tempora constat   factaque Telegoni moenia celsa manu; quintum Laurentes, bis quintum Aequiculus acer,   a tribus hunc primum turba Curensis habet; et tibi cum proavis, miles Paeligne, Sabinis   convenit; huic genti quartus utrique deus. Romulus, hos omnes ut vinceret ordine saltem,   sanguinis auctori tempora prima dedit. Nec totidem veteres, quot nunc, habuere Kalendas:   ille minor geminis mensibus annus erat. Nondum tradiderat victas victoribus artes   Graecia, facundum, sed male forte genus: qui bene pugnabat, Romanam noverat artem;   mittere qui poterat pila, disertus erat. Quis tunc aut Hyadas aut Pliadas, Atlanteas,   senserat, aut geminos esse sub axe polos, esse duas Arctos, quarum Cynosura petatur   Sidoniis, Helicen Graia carina notet, signaque quae longo frater percenseat anno,   ire per haec uno mense sororis equos? Libera currebant et inobservata per annum   sidera; constabat sed tamen esse deos. Non illi caelo labentia signa tenebant,   sed sua, quae magnum perdere crimen erat,

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Wenn du aber gerade zufällig nichts zu tun hast, betrachte die Fasten fremder Stämme: einen Monat wird es auch bei diesen mit dem Namen des Mars geben. Der dritte war jener bei den Albanern33, der fünfte bei den Faliscern34, der sechste bei deinen Völkerschaften, hernicisches35 Land; es gibt eine Übereinstimmung zwischen den Bewohnern von Aricia36 und den Albanern der alten Zeit und den steilen Mauern, die von der Hand des Telegonos37 erbaut worden waren; als den fünften betrachten ihn die Laurenter38, als den zweimal fünften der hitzige Aequiculer39, als den ersten nach drei die Schar von Cures40. Auch für dich, paelignischer41 Soldat, stimmt er überein mit deinen sabinischen Vorfahren; diese beiden Völker betrachten ihn als Gott des vierten Monats. Damit er diese alle an Rang jedenfalls übertraf, widmete Romulus die erste Zeit dem Begründer seiner Blutlinie42. Und die Altvorderen hatten nicht ebenso viele Kalenden, wie jetzt : jenes Jahr war um zwei Monate kürzer43. Noch hatte Griechenland nicht seine besiegten Künste den Siegern überlassen, dieses redegewandte, aber wenig tapfere Volk: Wer gut im Kampf war, verstand sich auf die römische Kunst; wer Speere schleudern konnte, war beredet. Wer hatte damals die Hyaden44 oder die Pleiaden45, Atlas­töchter, wahrgenommen, oder dass es zwei Pole unter dem Himmelszelt gibt, dass es zwei Bären gibt, deren einer, der Kleine Bär46, von den Sido­ niern47 angepeilt wird, deren anderen, den Großen Bären48, das griechische Schiff beachtet, und dass die Rosse der Schwester in einem Monat durch die Sternbilder ziehen, die der Bruder in einem langen Jahr durchmustert?49 Die Gestirne liefen frei und unbeobachtet durch das Jahr; aber dennoch stand fest, dass sie Götter sind. Jene erfassten nicht, wie die Zeichen am Himmel dahinglitten, sondern hielten ihre eigenen (Feld-)Zeichen gefasst, die zu verlieren, ein schweres Verbrechen bedeutete,

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illa quidem feno, sed erat reverentia feno   quantam nunc aquilas cernis habere tuas. Pertica suspensos portabat longa maniplos,   unde maniplaris nomina miles habet. Ergo animi indociles et adhuc ratione carentes   mensibus egerunt lustra minora decem. Annus erat, decimum cum Luna receperat orbem:   hic numerus magno tunc in honore fuit, seu quia tot digiti, per quos numerare solemus,   seu quia bis quinto femina mense parit, seu quod adusque decem numero crescente venitur,   principium spatiis sumitur inde novis. Inde patres centum denos secrevit in orbes   Romulus hastatos instituitque decem et totidem princeps, totidem pilanus habebat   corpora, legitimo quique merebat equo. Quin etiam partes totidem Titiensibus ille,   quosque vocant Ramnes, Luceribusque dedit. Adsuetos igitur numeros servavit in anno;   hoc luget spatio femina maesta virum. Neu dubites, primae fuerint quin ante Kalendae   Martis, ad haec animum signa referre potes. Laurea flaminibus quae toto perstitit anno   tollitur et frondes sunt in honore novae; ianua tum regis posita viret arbore Phoebi;   ante tuas fit idem, Curia prisca, fores. Vesta quoque ut folio niteat velata recenti,   cedit ab Iliacis laurea cana focis. Adde, quod arcana fieri novus ignis in aede   dicitur et vires flamma refecta capit! Nec mihi parva fides annos hinc isse priores,   Anna quod hoc coepta est mense Perenna coli.

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115 jene waren freilich aus Heu, aber man erwies dem Heu einen so großen Respekt, wie ihn heutzutage deine Adler besitzen – kannst du es sehen. Eine lange Stange trug hoch oben die Bündel, die Manipel, woher der Manipelsoldat50 seinen Namen hat. Daher zählte ihr ungebildeter Intellekt, der bis dahin auch noch ohne Rechenfähigkeit war, 120 die Lustren51 um zehn Monate zu kurz. Es war ein Jahr, wenn Luna den zweimal fünften Kreis eingenommen hatte: diese Zahl stand ehedem in großer Ehre, sei es, weil es so viele Finger gibt, anhand derer wir zu zählen pflegen, sei es, weil die Frau im zweimal fünften Monat gebiert, 125 sei es, weil man bis zur Zehn kommt mit wachsender Zahl und von da der Anfang für neue Runden genommen wird. Daher teilte Romulus die hundert Senatoren in je zehn Kreise ein und richtete zehn Hastati52 ein, und ebenso viele Abteilungen hatten die Principes53, ebenso viele 130 die Pilani54 und sie, die mit dem Staatspferd dienten. Den Titiensern55 gab jener ja sogar ebenso viele Körperschaften und denen, die man Ramnes56 nennt, und den Lucerern57. Also bewahrte er die vertrauten Zahlen beim Jahr; dieselbe Zeitdauer klagt die Frau in Trauer um ihren Mann58. 135 Und damit du nicht daran zweifelst, dass dereinst die Kalenden des März die ersten waren, kannst du deinen Verstand zu diesen Hinweisen hinlenken. Der Lorbeer59, der für die Flamines60 ein ganzes Jahr da war, wird abgenommen und frisches Laub ist an dem Ehrenplatz; dann leuchtet die Tür des Opferkönigs grün, weil der Baum des Phoe­ bus61 dort aufgestellt ist; 140 vor deinen Pforten geschieht dasselbe, altehrwürdige Curie. Damit auch Vesta, eingehüllt in frisches Laub, erstrahlt, weicht der ausgeblichene Lorbeer von den ilischen62 Herden. Ergänze , dass ein neues Feuer im geheimen Tempelinneren entstehen soll und dass die neu angefachte Flamme Kräfte gewinnt! 145 Und ich habe darin nicht wenig Vertrauen, dass die früheren Jahre von hier ihren Lauf nahmen, weil man in diesem Monat begann, Anna Perenna63 zu verehren.

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Hinc etiam veteres initi memorantur honores   ad spatium belli, perfide Poene, tui. Denique quintus ab hoc fuerat Quintilis et inde   incipit, a numero nomina quisquis habet. Primus oliviferis Romam deductus ab arvis   Pompilius menses sensit abesse duos, sive hoc a Samio doctus, qui posse renasci   nos putat, Egeria sive monente sua. Sed tamen errabant etiam nunc tempora, donec   Caesaris in multis haec quoque cura fuit. Non haec ille deus tantaeque propaginis auctor   credidit officiis esse minora suis promissumque sibi voluit praenoscere caelum   nec deus ignotas hospes inire domos. Ille moras solis, quibus in sua signa rediret,   traditur exactis disposuisse notis; is decies senos ter centum et quinque diebus   iunxit et a pleno tempora quinta die. Hic anni modus est: in lustrum accedere debet,   quae consummatur partibus, una dies.

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D K MAR NP “Si licet occultos monitus audire deorum   vatibus, ut certe fama licere putat, cum sis officiis, Gradive, virilibus aptus,   dic mihi, matronae cur tua festa colant!” Sic ego. Sic posita dixit mihi casside Mavors   (sed tamen in dextra missilis hasta fuit):

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Die altehrwürdigen Ämter wurden auch an diesem Tage angetreten64, wie man sich erinnert, bis zu der Zeit des Krieges, den wir mit dir, treuloser Punier65, führten. Schließlich war der fünfte Monat ab diesem der Quintilis gewesen und von da an beginnen alle die Monate, die ihren Namen nach einer Zahl tragen66. Pompilius67, der von den olivenreichen Fluren nach Rom geleitet worden war, bemerkte als Erster, dass zwei Monate fehlten, sei es, weil er von diesem Samier68 belehrt worden war, der glaubt, dass wir wiedergeboren werden können, sei es, weil seine Egeria69 ihn darauf aufmerksam machte. Aber dennoch liefen die Zeiten auch jetzt noch in die Irre, solange bis unter vielem auch dies eine Sorge Caesars wurde.70 In seiner Eigenschaft als Gott71 und Begründer eines so bedeutenden Stammbaums, glaubte er nicht, dass dies zu unbedeutend für seine Aufgaben sei, und er wollte den Himmel, der ihm in Aussicht gestellt war, im Vorfeld kennenlernen und nicht, obwohl ein Gott, als Fremder unbekannte Räume betreten. Jener soll die Zeitabschnitte, innerhalb derer die Sonne in ihre jeweiligen Tierkreiszeichen zurückkehren sollte, mit präzisen Markierungen festgesetzt haben; er fügte 365 Tage zusammen und ein Fünftel von einem vollen Tag .72 Dies ist das Maß des Jahres: In jedem Lustrum muss genau ein Tag dazukommen, der aus den Teilen aufsummiert wird. 1. März

„Wenn es den Dichtern gestattet ist, geheime Mahnungen der Götter zu vernehmen, wie man gewiss landläufig glaubt, dass es gestattet sei, sag’ mir, Gradivus73, weshalb die Matronen dein Fest begehen74, 170 obwohl du für männliche Geschäfte geeignet bist!“ So ich. So sprach Mavors75 zu mir, nachdem er den Helm abgelegt hatte (aber trotzdem befand sich in seiner rechten Hand die Wurflanze):

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“Nunc primum studiis pacis deus utilis armis   advocor et gressus in nova castra fero. Nec piget incepti: iuvat hac quoque parte morari,   hoc solam ne se posse Minerva putet. Disce, Latinorum vates operose dierum,   quod petis, et memori pectore dicta nota! Parva fuit, si prima velis elementa referre,   Roma, sed in parva spes tamen huius erat. Moenia iam stabant, populis angusta futuris,   credita sed turbae tum nimis ampla suae. Quae fuerit nostri, si quaeris, regia nati,   aspice de canna straminibusque domum! In stipula placidi capiebat munera somni   et tamen ex illo venit in astra toro. Iamque loco maius nomen Romanus habebat   nec coniunx illi nec socer ullus erat. Spernebant generos inopes vicinia dives   et male credebar sanguinis auctor ego. In stabulis habitasse et oves pavisse nocebat   iugeraque inculti pauca tenere soli. Cum pare quaeque suo coeunt volucresque feraeque   atque aliquam, de qua procreet, anguis habet. Extremis dantur conubia gentibus: at quae   Romano vellet nubere, nulla fuit. Indolui patriamque dedi tibi, Romule, mentem.   ʻTolle preces’, dixi, ʻquod petis, arma dabunt.’ Festa parat Conso. Consus tibi cetera dicet   illa facta die, dum sua sacra canes.

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„Jetzt werde ich als Gott, der nützlich für Waffen ist, zum ersten Mal zu Beschäftigungen im Frieden gerufen und lenke meine Schritte in ein neues Lager. Und bereue das Unterfangen nicht: es freut , mich auch auf dieser Seite aufzuhalten, damit Minerva nicht glaubt, sie allein könne es. Lerne, emsiger Dichter der latinischen Tage, was du erstrebst, und merke dir die Worte in erinnerungsvollem Herzen! Klein war, wenn du die ersten Anfänge anführen willst, Rom, aber doch gab es in der kleinen eine Hoffnung auf diese . Die Stadtmauern standen bereits, zu eng für die zukünftigen Volksmassen, aber damals allzu weitläufig für ihre Schar, der sie anvertraut waren. Wenn du fragst, welches der Königspalast meines Sohnes gewesen ist, betrachte das Haus aus Schilfrohr und Stroh76! Auf der Matratze aus Stroh nahm er die Geschenke eines angenehmen Schlafes entgegen und gelangte doch von jener Schlafstatt zu den Sternen. Und schon besaß der Römer einen Namen, größer als der Ort, jener hatte aber weder eine Gattin noch irgendeinen Schwiegervater. Über mittellose Schwiegersöhne rümpfte die reiche Nachbarschaft die Nase und ich wurde kaum noch für den Begründer der Blutlinie gehalten. Es brachte Schaden, dass sie in Ställen hausten und Schafe weideten und wenige Morgen unbebauten Bodens besaßen. Mit ihrem Partner kommen Vögel und wilde Tiere zusammen, jedes einzelne, und das Schlangenmännchen hat irgendeine Partnerin, von der es Nachkommenschaft hervorbringt. Völkern ganz am Rande wird das Recht zur Eheschließung gegeben: doch gab es keine Frau, die einen Römer heiraten wollte. Ich habe darüber Schmerz empfunden und habe dir, Romulus, die väterliche Gesinnung gegeben. Ich sprach: ‚Unterlasse die Bitten, was du einforderst, werden die Waffen geben.‘ Er trifft Festvorbereitungen für Consus77. Consus wird dir Übrige sagen, was an jenem Schicksalstage geschah, während du sein heiliges Fest besingen wirst.

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Intumuere Cures et quos dolor attigit idem,   tum primum generis intulit arma socer. Iamque fere raptae matrum quoque nomen habebant   tractaque erant longa bella propinqua mora: conveniunt nuptae dictam Iunonis in aedem,   quas inter mea sic est nurus ausa loqui: ʻO pariter raptae, quoniam hoc commune tenemus,   non ultra lente possumus esse piae! Stant acies: sed utra di sint pro parte rogandi,   eligite! Hinc coniunx, hinc pater arma tenet. Quaerendum est, viduae fieri malitis an orbae.   Consilium vobis forte piumque dabo.’ Consilium dederat. Parent crinesque resolvunt   maestaque funerea corpora veste tegunt. Iam steterant acies ferro mortique paratae,   iam lituus pugnae signa daturus erat, cum raptae veniunt inter patresque virosque   inque sinu natos, pignora cara, tenent. Ut medium campi scissis tetigere capillis,   in terram posito procubuere genu; et, quasi sentirent, blando clamore nepotes   tendebant ad avos bracchia parva suos. Qui poterat, clamabat avum tum denique visum,   et qui vix poterat, posse coactus erat. Tela viris animique cadunt gladiisque remotis   dant soceri generis accipiuntque manus laudatasque tenent natas scutoque nepotem   fert avus: hic scuti dulcior usus erat.

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Zornig wurde Cures78 und diejenigen, die derselbe Schmerz betraf, damals trug zum ersten Mal der Schwiegervater Waffen gegen die Schwiegersöhne. Und schon trugen sogar beinahe die geraubten Frauen die Bezeichnung „Mütter“ und die Kriegsgeschehnisse unter Nahestehenden waren über lange Zeit hingezogen worden: Die verheirateten Frauen kommen in dem vorher bestimmten Tempel der Iuno zusammen, unter denen meine Schwiegertochter79 folgendermaßen zu sprechen wagte: ‚O gleichermaßen Geraubte, da wir ja dieses gemeinsame haben, können wir nicht länger den Verwandten gegenüber nachlässig die Pflicht erfüllen! Die Fronten stehen bereit: aber wählt, für welche der beiden Seiten die Götter anzubeten sind! Hier hält der Ehemann, dort der Vater die Waffen. Ihr müsst euch fragen, ob ihr lieber Witwen werden wollt oder Waisen. Ich werde euch einen Rat geben, der tapfer und pflichtbewusst ist.‘ Sie hatte ihren Rat gegeben. Sie gehorchen, lösen die Haare und bedecken die traurigen Leiber mit Trauerkleidung. Schon hatten die Fronten sich aufgestellt, zum Kampf und Tode bereit, schon war das Krummhorn im Begriff, das Zeichen zur Schlacht zu geben, als die geraubten Frauen zwischen ihre Väter und Männer treten und an ihrer Brust die Kinder, kostbare Zeugnisse der Liebe, halten. Sobald sie zur Mitte des Schlachtfeldes mit zerrauften Haaren gelangt waren, knieten sie sich hin und neigten sich zur Erde; und als ob sie es verstünden, streckten die Enkel mit herzzerreißendem Geschrei ihre kleinen Arme zu ihren Großvätern hin. Wer dazu in der Lage war, der rief den Großvater, den er da gerade erst gesehen hatte, und wer kaum in der Lage war, war gezwungen, in der Lage zu sein. Waffen und Mut sinken den Männern, die Schwiegerväter reichen den Schwiegersöhnen die Hände und weisen sie nicht zurück, nachdem die Schwerter abgelegt worden waren, und halten die gelobten Töchter fest und der Großvater trägt den Enkel auf dem Schilde: Dieser Gebrauch des Schildes war angenehmer .

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Inde diem, quae prima mea est, celebrare Kalendas   Oebaliae matres non leve munus habent, aut quia committi strictis mucronibus ausae   finierant lacrimis Martia bella suis; vel quod erat de me feliciter Ilia mater,   rite colunt matres sacra diemque meum. Quid, quod hiems adoperta gelu tum denique cedit   et pereunt lapsae sole tepente nives; arboribus redeunt detonsae frigore frondes   uvidaque in tenero palmite gemma tumet; quaeque diu latuit, nunc, se qua tollat in auras,   fertilis occultas invenit herba vias. Nunc fecundus ager, pecoris nunc hora creandi,   nunc avis in ramo tecta laremque parat. Tempora iure colunt Latiae fecunda parentes,   quarum militiam votaque partus habet. Adde, quod, excubias ubi rex Romanus agebat   – qui nunc Esquilias nomina collis habet – illic a nuribus Iunoni templa Latinis   hac sunt, si memini, publica facta die! Quid moror et variis onero tua pectora causis?   Eminet ante oculos, quod petis, ecce tuos. Mater amat nuptas: matrum me turba frequentat.   Haec nos praecipue tam pia causa decet.” Ferte deae flores! Gaudet florentibus herbis   haec dea; de tenero cingite flore caput! Dicite: “Tu nobis lucem, Lucina, dedisti!”   Dicite: “Tu, voto parturientis ades!” Siqua tamen gravida est, resoluto crine precetur,   ut solvat partus molliter illa suos! Quis mihi nunc dicet, quare caelestia Martis   arma ferant Salii Mamuriumque canant?

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Daher haben die oebalischen80 Mütter die nicht leichte Aufgabe, den Tag, der als erster der meine ist, als Kalenden zu feiern, oder weil sie es gewagt hatten, sich den gezückten Dolchen auszuliefern, und des Mars Kriegsgeschehnisse mit ihren Tränen beendet hatten; oder weil Ilia81 von mir in gesegneter Weise Mutter war, feiern die Mütter dem Ritus entsprechend das Fest und meinen Tag. Ja, mehr noch, der mit Eis bedeckte Winter weicht dann endlich und geschmolzen durch die wärmende Sonne lösen sich die Schneemassen auf. Den Bäumen kehrt das Laub zurück, das durch den Frost abgepflückt wurde, und am jungen Trieb schwillt die feuchte Knospe; und das fruchtbare Kraut, das lange verborgen war, sucht sich nun versteckte Wege, wo es ans Tageslicht emporwachsen kann. Jetzt ist der Acker fruchtbar, jetzt ist die Stunde, Viehnachwuchs zu zeugen, jetzt bereitet der Vogel auf einem Ast seine Behausung und Heimstatt. Zu Recht verehren die fruchtbaren Zeiten die latinischen Mütter, deren Kriegsdienst und Bitten die Geburt mit sich bringt. Füg’ hinzu, dass dort, wo der römische König Wache halten ließ, – dieser Hügel hat nun den Namen Esquilin82 – von den latinischen Schwiegertöchtern der Iuno83 an diesem Tage ein Tempel öffentlich gemacht wurde, wenn ich mich erinnere! Was vertrödele ich meine Zeit und belaste mit verschiedenen Erklärungen dein Innerstes? Sieh da, vor deinen Augen sticht hervor, was du mich fragst. Meine Mutter84 liebt die verheirateten Frauen: der Mütter Schar kommt oft zu mir. Diese so fromme Erklärung ziemt sich besonders für mich.“ Tragt der Göttin Blumen herbei! Diese Göttin erfreut sich an blühenden Kräutern; umkränzt ihr Haupt mit jungen Blumen! Sprecht: „Du hast uns das Licht gegeben, Lucina85!“ Sprecht: „Du, sei dem Gebet der Gebärenden hold!“ Wenn jedoch irgendeine Frau schwanger ist, so soll sie mit gelöstem Haar beten86, dass jene auf sanfte Art ihre Leibesfrucht entbinde!

Wer wird mir nun sagen, weshalb die Salier87 Mars’ 260 himmlische Waffen tragen und den Mamurius88 besingen?

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Nympha, mone, nemori stagnoque operata Dianae!   Nympha, Numae coniunx, ad tua facta veni! Vallis Aricinae silva praecinctus opaca   est lacus, antiqua religione sacer; hic latet Hippolytus loris direptus equorum,   unde nemus nullis illud aditur equis. Licia dependent longas velantia saepes   et posita est meritae multa tabella deae. Saepe potens voti, frontem redimita coronis,   femina lucentes portat ab Urbe faces. Regna tenent fortes manibus pedibusque fugaces   et perit exemplo postmodo quisque suo. Defluit incerto lapidosus murmure rivus:   saepe, sed exiguis haustibus, inde bibi. Egeria est, quae praebet aquas, dea grata Camenis:   illa Numae coniunx consiliumque fuit. Principio nimium promptos ad bella Quirites   molliri placuit iure deumque metu. Inde datae leges, ne firmior omnia posset,   coeptaque sunt pure tradita sacra coli. Exuitur feritas armisque potentius aequum est   et cum cive pudet conseruisse manus atque aliquis, modo trux, visa iam vertitur ara   vinaque dat tepidis farraque salsa focis. Ecce deum genitor rutilas per nubila flammas   spargit et effusis aethera siccat aquis. Non alias missi cecidere frequentius ignes:   rex pavet et volgi pectora terror habet. Cui dea “ne nimium terrere: piabile fulmen   est”, ait, “et saevi flectitur ira Iovis.

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Nymphe, unterweise mich, die du dem Hain und dem Teich der Diana dienst89! Nymphe, Gattin des Numa90, komm’ zu deinen Taten! Von einem schattigen Wald des Tales von Aricia91 umgeben gibt es einen See, heilig durch einen althergebrachten religiösen Brauch. Hier verbirgt sich Hippolytus92, der von den Zügeln seiner Pferde zerrissen wurde, weshalb jener Hain keinen Pferden Zutritt gewährt. Bänder hängen herab, die die langen Umzäunungen verhüllen, und viele Tafeln sind aufgestellt für die verdiente Göttin. Eine Frau trägt, wenn ihr Wunsch erfüllt wird, ihre Stirn umkränzt, oft leuchtende Fackeln aus der Stadt heraus. Die Königswürde haben Männer inne93, die tapfer mit den Händen und flink mit den Füßen sind, und ein jeder stirbt bald darauf nach seinem eigenen Vorbild. Ein steiniger Bach fließt mit unbeständigem Geplätscher herab: oft trank ich daraus, aber mit kleinen Schlucken. Es ist die Göttin Egeria, die den Camenen94 lieb ist und das Wasser darreicht: jene war Numas Gattin und Ratgeberin. Man beschloss, die Quiriten, die anfangs allzu sehr zu Kriegen neigten, durch Recht und Furcht vor den Göttern zu zähmen.95 Dann wurden Gesetze erlassen, damit nicht der Stärkere alles vermochte, und man begann, die überlieferten heiligen Riten in reiner Form durchzuführen. Abgelegt wird die Wildheit, mächtiger als Waffen ist das Recht, mit einem Mitbürger aneinandergeraten zu sein, erfüllt mit Scham, und manch einer, eben grimm, wandelt sich schon nach Anblick des Altars und spendet Wein und gesalzenen Opferspelt auf warmen Herdstätten. Siehe da, der Göttervater schleudert rötliche Flammen durch die Wolken und trocknet den Aether, nachdem er die Wasserfluten hatte ausströmen lassen. Bei keiner anderen Gelegenheit fielen häufiger herabgesandte Feuer hernieder: Der König ängstigt sich und Schrecken hält die Herzen der Masse in Besitz. Ihm sagt die Göttin: „Erschrick nicht allzu sehr: Der Blitz kann entsühnt werden und der Zorn des wütenden Iuppiter kann abgeleitet werden.

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Sed poterunt ritum Picus Faunusque piandi   tradere, Romani numen utrumque soli. Nec sine vi tradent: adhibe tu vincula captis!”   atque ita qua possint edidit arte capi. Lucus Aventino suberat niger ilicis umbra,   quo posses viso dicere “numen inest”. In medio gramen muscoque adoperta virenti   manabat saxo vena perennis aquae; inde fere soli Faunus Picusque bibebant:   huc venit et fonti rex Numa mactat ovem plenaque odorati disponit pocula Bacchi   cumque suis antro conditus ipse latet. Ad solitos veniunt silvestria numina fontes   et relevant multo pectora sicca mero. Vina quies sequitur: gelido Numa prodit ab antro   vinclaque sopitas addit in arta manus. Somnus ut abscessit, pugnando vincula temptant   rumpere; pugnantes fortius illa tenent. Tum Numa: “Di nemorum, factis ignoscite nostris,   si scelus ingenio scitis abesse meo, quoque modo possit fulmen, monstrate, piari!”   Sic Numa; sic quatiens cornua Faunus ait: “Magna petis, nec quae monitu tibi discere nostro   fas sit: habent fines numina nostra suos. Di sumus agrestes et qui dominemur in altis   montibus; arbitrium est in sua tecta Iovi. Hunc tu non poteris per te deducere caelo,   at poteris nostra forsitan usus ope.” Dixerat haec Faunus; par est sententia Pici.   “Deme tamen nobis vincula!”, Picus ait. “Iuppiter huc veniet, valida perductus ab arte:   nubila promissi Styx mihi testis erit.”

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Aber den Sühnebrauch werden Picus96 und Faunus97, beides Gottheiten des römischen Bodens, zu überliefern imstande sein. Aber sie werden ihn nicht ohne Gewaltanwendung überliefern: Ergreif sie und nimm die Fesseln hinzu!“ und sie tat kund, mit welchem Kniff sie so gefangen werden könnten. Am Fuße des Aventin lag ein Hain, duster vom Schatten der Eichen, bei dessen Betrachtung man wohl sagen könnte: „Hier wohnt eine Gottheit.“ Mittendrin gab es Gras und von grünem Moos überdacht floss von einem Felsen herab eine Ader mit nie versiegendem Wasser; daraus tranken üblicherweise fast ausschließlich Faunus und Picus: hierher kommt König Numa, opfert der Quelle ein Schaf, verteilt Becher, die mit wohlduftendem Wein gefüllt sind, und er selbst versteckt sich mit seinen Leuten, verborgen in einer Höhle. Zu der angestammten Quelle kommen die Waldgottheiten und erquicken ihre trockenen Kehlen mit viel Wein. Dem Weingenuss folgt der Schlaf: Numa tritt aus der kalten Grotte hervor und legt die eingeschlafenen Hände in enge Fesseln. Sobald sich der Schlaf entfernt hatte, versuchen sie durch Gegenwehr die Fesseln zu sprengen; als sie sich abmühen, halten jene sie stärker fest. Da spricht Numa: „Götter der Haine, verzeiht meine Taten, wenn ihr wisst, dass ein Verbrechen meinem Wesen fern ist, und unterweist mich, auf welche Weise ein Blitz entsühnt werden kann!“ So spricht Numa; so antwortet Faunus, wobei er seine Hörner schüttelt: „Große Dinge verlangst du und keine, die durch unsere Belehrung zu lernen dir erlaubt sind: unser göttlicher Wille hat seine Grenzen. Wir sind ländliche Götter und solche, die auf hohen Bergen herrschen; unbeschränkte Macht über seinen Palast hat Iuppiter. Ihn wirst du nicht eigenständig vom Himmel herabholen können, jedoch wirst du es vielleicht können, wenn du unsere Hilfe genossen hast.“ Dies hatte Faunus gesagt; gleich ist die Meinung des Picus. „Nimm uns doch die Fesseln ab!“, sagt Picus, „Iuppiter wird hierher kommen, durch eine starke Kunst veranlasst: die finstere Styx98 wird mir Zeuge für mein Versprechen sein.“

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Emissi laqueis quid agant, quae carmina dicant   quaque trahant superis sedibus arte Iovem, scire nefas homini. Nobis concessa canentur   quaeque pio dici vatis ab ore licet. Eliciunt caelo te, Iuppiter, unde minores   nunc quoque te celebrant Eliciumque vocant. Constat Aventinae tremuisse cacumina silvae   terraque subsedit pondere pressa Iovis: corda micant regis totoque e corpore sanguis   fugit et hirsutae deriguere comae. Ut rediit animus, “da certa piamina”, dixit,   “fulminis, altorum rexque paterque deum, si tua contigimus manibus donaria puris,   hoc quoque, quod petitur, si pia lingua rogat!” Adnuit oranti, sed verum ambage remota   abdidit et dubio terruit ore virum. “Caede caput!”, dixit; cui rex “parebimus”, inquit;   “caedenda est hortis eruta cepa meis.” Addidit hic “hominis”; “sumes”, ait ille, “capillos.”   Postulat hic animam; cui Numa “piscis”, ait. Risit et “his”, inquit, “facito mea tela procures,   o vir conloquio non abigende deum! Sed tibi, protulerit cum totum crastinus orbem   Cynthius, imperii pignora certa dabo.” Dixit et ingenti tonitru super aethera motum   fertur adorantem destituitque Numam. Ille redit laetus memoratque Quiritibus acta:   tarda venit dictis difficilisque fides. “At certe credemur”, ait, “si verba sequetur   exitus: en audi crastina, quisquis ades!

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Für einen Menschen ist es nicht rechtens zu wissen, was sie, befreit von den Stricken, tun, welche Zaubersprüche sie sagen, mit welchem Kunstgriff sie Iuppiter aus den überirdischen Wohnsitzen herabziehen. Uns Zugestandenes wird besungen werden und was vom frommen Munde eines Dichters gesagt werden darf. Sie locken dich aus dem Himmel herbei, Iuppiter, weshalb dich auch jetzt die Nachwelt feiert und dich Elicius99 nennt. Es steht fest, dass die Wipfel des Aventin-Waldes erzitterten, und die Erde senkte sich, niedergedrückt von Iuppiters Last: Das Herz des Königs erzittert, aus seinem ganzen Körper wich das Blut und seine Haare standen struppig zu Berge. Sobald der Mut wieder zurückgekommen war, sprach er: „Gib’ eindeutige Sühnemittel für den Blitz vor, König und Vater der hohen Götter, wenn wir deine Weihgeschenke mit reinen Händen berührten, wenn die fromme Zunge auch um das bittet, was erstrebt wird!“ Er nickte dem Bittsteller zu, aber verschleierte die Wahrheit durch ein entlegenes Rätsel und versetzte den Mann aufgrund der zweideutigen Aussage in Schrecken. Er sprach: „Schlag’ ein Haupt ab!“; ihm erwiderte der König: „Wir werden dir willfahren: eine aus meinen Gärten ausgegrabene Zwiebel muss geköpft werden.“ Dieser fügte hinzu: „Eines Menschen!“; jener sagte: „Du wirst Haare bekommen.“ Dieser fordert ein Leben ein; ihm erwidert Numa: „Eines Fisches.“ Er lachte auf und sprach: „Damit sollst du bewirken, dass du meine Blitze entsühnst, o Mann, der du dich nicht von einer Diskussion mit Göttern abschrecken lässt! Aber dir werde ich eindeutige Unterpfänder der Herrschaft geben, sobald der cynthische Gott100 morgen seinen ganzen Kreis zum Vorschein bringt.“ Sprach’s, schwingt sich mit ungeheurem Donner über den erschütterten Aether und lässt Numa in seinem Gebet zurück. Jener kehrt fröhlich zurück und berichtet den Quiriten die Geschehnisse: langsam und mühsam wird den Worten Vertrauen zuteil. Er spricht: „Gewiss jedoch wird mir Vertrauen geschenkt werden, wenn den Worten das Ergebnis folgen wird: wer auch immer hier ist, höre die morgigen Dinge!

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Protulerit terris cum totum Cynthius orbem,   Iuppiter imperii pignora certa dabit.” Discedunt dubii promissaque tarda videntur   dependetque fides a veniente die. Mollis erat tellus rorata mane pruina:   ante sui populus limina regis adest. Prodit et in solio medius consedit acerno;   innumeri circa stantque silentque viri. Ortus erat summo tantummodo margine Phoebus:   sollicitae mentes speque metuque pavent. Constitit atque caput niveo velatus amictu   iam bene dis notas sustulit ille manus atque ita “tempus adest promissi muneris”, inquit;   “pollicitam dictis, Iuppiter, adde fidem!” Dum loquitur, totum iam sol emoverat orbem   et gravis aetherio venit ab axe fragor. Ter tonuit sine nube deus, tria fulgura misit.   Credite dicenti: mira sed acta loquor: a media caelum regione dehiscere coepit:   summisere oculos cum duce turba suo. Ecce levi scutum versatum leniter aura   decidit: a populo clamor ad astra venit. Tollit humo munus caesa prius ille iuvenca,   quae dederat nulli colla premenda iugo, idque ancile vocat, quod ab omni parte recisum est,   quaque notes oculis, angulus omnis abest. Tum memor imperii sortem consistere in illo   consilium multae calliditatis init: plura iubet fieri simili caelata figura,   error ut ante oculos insidiantis eat.

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Sobald der cynthische Gott den Ländern seinen ganzen Kreis zum Vorschein bringt, wird Iuppiter eindeutige Unterpfänder der Herrschaft geben.“ Im Zweifel gehen sie auseinander, die Versprechen scheinen zu spät und das Vertrauen hängt vom kommenden Tag ab. Weich war der Erdboden, weil morgens Raureif gefallen war: vor der Schwelle seines Königs erscheint das Volk. Er kommt hervor und setzte sich in der Mitte auf einen Ahornthron hin; unzählige Männer stehen ringsum und schweigen. Aufgegangen war eben erst Phoebus mit seinem obersten Rand: die aufgewühlten Gemüter erzittern vor Hoffnung und Furcht. Er stand auf und hob, sein Haupt mit einem schneeweißen Umhang verhüllt, die Hände, die den Göttern schon wohl bekannt waren, und sprach so: „Die Zeit ist da für das versprochene Geschenk. Iuppiter, füge den Worten die versprochene Bestätigung hinzu!“ Während er sprach, hatte die Sonne schon ihren ganzen Kreis hervorbewegt und ein gewaltiger Donner kam vom Himmelsgewölbe herab. Dreimal ließ es der Gott aus heiterem Himmel donnern, drei Blitze sandte er hinab. Glaubt mir, wenn ich erzähle: Wundersames, doch Geschehenes berichte ich: Von seiner Mitte her begann der Himmel sich klaffend aufzutun: die Schar senkte zusammen mit ihrem Herrscher die Augen. Siehe da, ein Schild kreiste langsam in der leichten Luft und fiel herab: vom Volk steigt ein Aufschrei zu den Sternen empor. Jener hebt das Geschenk vom Boden auf nach Opferung einer Färse, die ihren Nacken noch von keinem Joch hatte bedrücken lassen, und nennt es ancile101, weil es auf jeder Seite abgeschnitten ist, und es keine Ecke gibt, die man mit den Augen wahrnehmen könnte. Dann fasst er einen Plan von großer Schläue, weil er sich daran erinnert, dass das Schicksal der Herrschaft bei jenem liege: Er lässt mehrere von ähnlichem Aussehen ziselieren und fertigen, damit ein Irrtum die Augen eines hinterhältigen Feindes heimsuche.

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Mamurius, morum fabraene exactior artis   difficile est, illud, dicere, clausit opus. Cui Numa munificus “facti pete praemia!”, dixit.   “Si mea nota fides, inrita nulla petes.” Iam dederat Saliis a saltu nomina ducta   armaque et ad certos verba canenda modos; tum sic Mamurius: “Merces mihi gloria detur   nominaque extremo carmine nostra sonent!” Inde sacerdotes operi promissa vetusto   praemia persolvunt Mamuriumque vocant. Nubere siqua voles, quamvis properabitis ambo,   differ; habent parvae commoda magna morae. Arma movent pugnas, pugna est aliena maritis;   condita cum fuerint, aptius omen erit. His etiam coniunx apicati cincta Dialis   lucibus impexas debet habere comas.

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FC Tertia nox de mense suos ubi moverit ortus,   conditus e geminis Piscibus alter erit. Nam duo sunt: Austris hic est, Aquilonibus ille   proximus; a vento nomen uterque tenet. HC Cum croceis rorare genis Tithonia coniunx   coeperit, et quintae tempora lucis aget,

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Mamurius – schwierig ist es zu sagen, ob er vollkommener in seinen Sitten oder seinem Kunsthandwerk war – stellte jenes Werk fertig. 385 Zu ihm sprach der großzügige Numa: „Erbitte eine Belohnung für dein Werk! Wenn meine Zuverlässigkeit bekannt ist, wirst du nichts umsonst erbitten.“ Schon hatte er den Saliern102 den vom Sprung hergeleiteten Namen gegeben und ihre Waffen und Worte, die zu bestimmten Weisen gesungen werden sollten; da sprach Mamurius folgendermaßen: „Der Ruhm soll mir als Lohn gegeben werden 390 und mein Name soll ganz am Ende des Liedes erklingen!“ Daher teilen die Priester die Belohnung zu, die für das alte Werk versprochen worden war und rufen Mamurius . Wenn du, irgendeine junge Frau, heiraten wollen wirst, verschieb’ es, auch wenn ihr beide es eilig haben werdet; kleiner Aufschub hält großen Nutzen bereit.103 395 Waffen bewirken Kämpfe, Kampf ist Eheleuten fremd. Wenn sie verborgen sind, wird günstiger das Vorzeichen sein. An diesen Tagen muss auch die Gattin des Dialis104 mit seiner spitzen Mütze einen Gürtel und die Haare ungekämmt tragen. 3. März Sobald die dritte Nacht des Monats ihre Sternenaufgänge in Gang gesetzt hat, 400 wird von den Zwillingsfischen der eine verborgen sein. Es gibt nämlich zwei: dieser ist ganz nah an den Auster-Winden105, jener an den Aquilo-Winden106; vom Winde her haben beide ihren Namen.107 5. März Sobald die Gattin108 des Tithonus109 begonnen hat, Tau von ihren saf­ ranfarbenen Wangen tropfen zu lassen, wird sie auch die Zeit des fünften Tages bringen,

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sive est Arctophylax, sive est piger ille Bootes,   mergetur visus effugietque tuos. At non effugiet Vindemitor: hoc quoque causam   unde trahat sidus, parva docere mora est. Ampelon intonsum satyro nymphaque creatum   fertur in Ismariis Bacchus amasse iugis. Tradidit huic vitem pendentem frondibus ulmi,   quae nunc de pueri nomine nomen habet. Dum legit in ramo pictas temerarius uvas,   decidit: amissum Liber in astra tulit.

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A NP Sextus ubi Oceano clivosum scandit Olympum   Phoebus et alatis aethera carpit equis, quisquis ades castaeque colis penetralia Vestae,   gratare Iliacis turaque pone focis! Caesaris innumeris, quos maluit ille mereri,   accessit titulis pontificalis honor. Ignibus aeternis aeterni numina praesunt   Caesaris: imperii pignora iuncta vides. Di veteris Troiae, dignissima praeda ferenti,   qua gravis Aeneas tutus ab hoste fuit, ortus ab Aenea tangit cognata sacerdos   numina. Cognatum, Vesta, tuere caput! Quos sancta fovet ille manu, bene vivitis, ignes:   vivite inexstincti, flammaque duxque, precor!

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B NON F Una nota est Marti Nonis, sacrata quod illis   templa putant lucos Veiovis ante duos. Romulus, ut saxo lucum circumdedit alto,   “quilibet huc”, inquit, “confuge; tutus eris!”

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405 es wird untergehen, sei es der Bärenhüter110, sei es jener träge Ochsentreiber, und deinen Blicken entschwinden. Jedoch wird der Vindemitor111 nicht entschwinden: woher auch dieser Stern seinen Ursprung nimmt, zu erklären, bedeutet eine kleine Verzögerung. Man sagt, Bacchus habe den Ampelos mit seinen langen Haaren, 410 von einem Satyr und einer Nymphe gezeugt, auf den ismarischen112 Gipfeln geliebt. Er überließ ihm eine Weinrebe, die vom Laub einer Ulme herabhing und die jetzt von des Knaben Namen ihren eigenen hat. Während er auf einem Ast leichtsinnig bunte Trauben auswählte, fällt er hinab: den Verlorenen trug Liber113 unter die Sterne. 6. März 415 Sobald Phoebus zum sechsten Male aus dem Ozean heraus den steilen Olymp erklimmt und den Aether mit seinen geflügelten Rossen durchzieht, statte Dank ab, wer auch immer da ist und das Heiligtum der keuschen Vesta verehrt, und lege Weihrauchkörner auf die ilischen114 Herdstätten ab! Zu den unzähligen Ehrentiteln Caesars115, um die jener sich lieber verdient machen wollte, 420 gesellte sich die Priesterehre hinzu. Den ewigen Feuern steht das göttliche Wesen des ewigen Caesar vor: wie des Reiches Pfänder116 verbunden sind, sieht man. Ihr Götter des alten Troja, würdigstes Mitbringsel für seinen Träger, unter dessen Last Aeneas geschützt vor dem Feind war, 425 ein von Aeneas abstammender Priester berührt die Gottheit, die mit ihm verwandt ist. Das verwandte Haupt beschütze, Vesta!117 Ihr Flammen, die jener mit seiner geweihten Hand pflegt, lebt gut: Lebt unvergänglich, Flamme und Herrscher, – dafür bete ich! 7. März Es gibt an den Nonen des März nur eine Sache zu bemerken, 430 nämlich dass an ihnen vor den zwei Hainen des Veiovis118 ein Tempel, so glaubt man, eingeweiht wurde. Sobald Romulus den Hain mit einer hohen Steinmauer umgeben hatte, sagte er: „Jeder beliebige, nimm hierhin deine Zuflucht; wirst du sicher sein!“119

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O quam de tenui Romanus origine crevit,   turba vetus quam non invidiosa fuit! Ne tamen ignaro novitas tibi nominis obstet,   disce, quis iste deus, curve vocetur ita! Iuppiter est iuvenis: iuvenales aspice voltus!   Aspice deinde manum: fulmina nulla tenet. Fulmina post ausos caelum adfectare Gigantas   sumpta Iovi: primo tempore inermis erat, ignibus Ossa novis et Pelion, altius Ossa,   arsit et in solida fixus Olympus humo. Stat quoque capra simul: nymphae pavisse feruntur   Cretides, infanti lac dedit illa Iovi. Nunc vocor ad nomen: vegrandia farra coloni,   quae male creverunt, vescaque parva vocant; vis ea si verbi est, cur non ego Veiovis aedem   aedem non magni suspicer esse Iovis? Iamque, ubi caeruleum variabunt sidera caelum,   suspice: Gorgonei colla videbis equi. Creditur hic caesae gravida cervice Medusae   sanguine respersis prosiluisse iubis. Huic supra nubes et subter sidera lapso   caelum pro terra, pro pede penna fuit; iamque indignanti nova frena receperat ore,   cum levis Aonias ungula fodit aquas. Nunc fruitur caelo, quod pinnis ante petebat,   et nitidus stellis quinque decemque micat.

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CF Protinus aspicies venienti nocte Coronam   Cnosida: Theseo crimine facta dea est.

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O, von einem wie kleinen Ursprung der Römer erwachsen ist, wie wenig missgünstig beäugt war die damalige Schar! 435 Damit dir aber dennoch in deiner Unkenntnis die Neuheit des Namens nicht hinderlich ist, lerne, wer dieser Gott ist oder warum er so genannt wird!120 Iuppiter ist jugendlich: betrachte die jugendlichen Gesichtszüge! Betrachte sodann die Hand: keine Blitze hält sie. Blitze wurden von Iuppiter ergriffen, nachdem die Giganten121 es gewagt hatten, nach dem Himmel zu trachten: 440 in der ersten Zeit war er unbewaffnet; die Ossa wurde mit neuartigen Feuern in Brand gesetzt und das Pelion, höher als die Ossa, und der Olymp, verankert in der festen Erde. Auch steht zugleich eine Ziege da: die cretischen Nymphen sollen sie geweidet haben, jene gab Baby-Iuppiter Milch.122 445 Jetzt komme ich zu seinem Namen: als vegrande bezeichnen die Bauern Spelt, der schlecht gediehen ist, und als vesca kleine Dinge; wenn dies die Bedeutung des Wortes ist, warum soll ich dann nicht vermuten, dass Ve-Iovis’ Tempel der Tempel des nicht großen Iovis ist? Und blick’ schon hoch, wo die Sternbilder verändern werden 450 den dunkelblauen Himmel: des gorgonischen Rosses123 Hals wirst du schauen. Man glaubt, es sei aus dem schwangeren Hals der getöteten Medusa herausgesprungen, die Mähne mit Blut bespritzt. Es glitt über den Wolken und unter den Sternbildern dahin und hatte den Himmelsraum anstelle der Erde, anstelle eines Fußes den Flügel. 455 Und schon hatte es mit empörten Maul ungewohnte Zügel entgegengenommen, als der flinke Huf die aonischen Gewässer aufwühlte. Nun genießt es den Himmelsraum, zu dem es vorher mit seinen Flügeln strebte, und funkelt glänzend mit seinen fünf und zehn Sternen. 8. März Unmittelbar darauf wirst du in der kommenden Nacht die Krone von 460 Cnossos124 sehen: Durch das Verbrechen des Theseus125 ward sie zur Göttin.

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Iam bene periuro mutarat coniuge Bacchum,   quae dedit ingrato fila legenda viro; sorte tori gaudens “quid flebam rustica?”, dixit.   “Utiliter nobis perfidus ille fuit!” Interea Liber depexos crinibus Indos   vicit et Eoo dives ab orbe redit. Inter captivas facie praestante puellas   grata nimis Baccho filia regis erat. Flebat amans coniunx spatiataque litore curvo   edidit incultis talia verba comis: “En iterum, fluctus, similes audite querellas!   En iterum lacrimas accipe, harena, meas! Dicebam, memini, ʻperiure et perfide Theseu!’   Ille abiit, eadem crimina Bacchus habet. Nunc quoque ʻnulla viro’, clamabo, ʻfemina credat!’;   nomine mutato causa relata mea est. O utinam mea sors, qua primum coeperat, isset   iamque ego praesenti tempore nulla forem! Quid me desertis morituram, Liber, harenis   servabas? Potui dedoluisse semel. Bacche, levis leviorque tuis, quae tempora cingunt,   frondibus, in lacrimas cognite, Bacche, meas, ausus es ante oculos adducta paelice nostros   tam bene compositum sollicitare torum? Heu, ubi pacta fides? Ubi, quae iurare solebas?   Me miseram, quotiens haec ego verba loquar?

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Schon hatte sie, die dem undankbaren Mann den Faden zum Auflesen gegeben hatte, Bacchus126 gegen den wortbrüchigen Verlobten in guter Manier eingetauscht. Weil sie sich über das Ehelos freute, sagte sie: „Was weinte ich Bauerntrampel ? In nützlicher Weise war er mir treulos!“ In der Zwischenzeit besiegte Liber die Inder127 mit ihren heruntergekämmten Haaren und kehrt reich aus dem Land der Eos zurück. Eine Königstochter war für Bacchus allzu lieblich, weil ihr Aussehen unter den Beutemädchen hervorstach. Die Gattin weinte in ihrer Liebe, lief ziellos an dem geschwungenen Gestade herum und stieß solche Worte, ihr Haar unfrisiert, aus: „Wohlan, ihr Fluten, hört erneut ähnliche Klagen! Wohlan, Sand, nimm’ erneut meine Tränen auf! Ich sprach immer wieder, ich erinnere mich : ‚Wortbrüchiger und treuloser Theseus!ʻ Jener verließ mich und macht Bacchus sich desselben Verbrechens schuldig. Auch nun werde ich rufen: ‚Keine Frau soll einem Mann vertrauen!ʻ Obwohl der Name verändert ist, mein Fall hat sich wiederholt. O wäre doch mein Schicksal dahingegangen, wo es zuerst begonnen hatte, und wäre ich doch jetzt in der Gegenwart nicht mehr da! Warum, Liber, hast du mich gerettet, als ich kurz davor war, im einsamen Sand zugrunde zu gehen? Ich hätte ein für alle Mal den Schmerz beenden können. Bacchus, du Leichtfertiger und leichter als dein Laub zu Bewegender, das deine Schläfen umkränzt, Bacchus, der zum Zweck meiner Tränen bekannt wurde, du wagtest es, die so schön eingerichtete Ehe zu erschüttern, dadurch dass du eine Nebenbuhlerin vor meine Augen geführt hast? O weh, wo ist die gelobte Treue? Wo das, was du zu schwören pflegtest? O ich Elende, wie oft soll ich diese Worte sprechen?

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Thesea culpabas fallacemque ipse vocabas:   iudicio peccas turpius ipse tuo! Ne sciat haec quisquam tacitisque doloribus urar,   ne totiens falli digna fuisse puter! Praecipue cupiam celari Thesea, ne te   consortem culpae gaudeat esse suae! At, puto, praeposita est fuscae mihi candida paelex!   Eveniat nostris hostibus ille color! Quid tamen hoc refert? Vitio tibi gratior ipso est.   Quid facis? Amplexus inquinat illa tuos! Bacche, fidem praesta nec praefer amoribus ullam   coniugis! Adsuevi semper amare virum. Ceperunt matrem formosi cornua tauri,   me tua; at hic laudi est, ille pudendus amor. Ne noceat, quod amo: neque enim tibi, Bacche, nocebat,   quod flammas nobis fassus es ipse tuas, nec, quod nos uris, mirum facis: ortus in igne   diceris et patria raptus ab igne manu. Illa ego sum, cui tu solitus promittere caelum.   Ei mihi, pro caelo qualia dona fero!” Dixerat; audibat iamdudum verba querentis   Liber, ut a tergo forte secutus erat. Occupat amplexu lacrimasque per oscula siccat   et “pariter caeli summa petamus!”, ait. “Tu mihi iuncta toro mihi iuncta vocabula sumes,   nam tibi mutatae Libera nomen erit, sintque tuae tecum, faciam, monimenta coronae,   Volcanus Veneri quam dedit, illa tibi.”

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Theseus hast du selbst immer wieder beschuldigt und Betrüger genannt: Du selbst begehst dein Urteil durch ein schändlicheres Vergehen! Dass das nur niemand wisse und ich mich mit stillen Schmerzen verzehre, damit man nicht glaubt, dass ich es verdient habe, so oft getäuscht zu werden! Besonders soll ich mir wünschen, dass es Theseus nicht zu Ohren kommt, damit er sich nicht freuen kann, dass du ein Gefährte seiner Schuld bist! Doch ist mir Dunkelhäutigen, glaube ich, eine hellhäutige Nebenbuhlerin vorgesetzt worden! Unseren Feinden soll jene Farbe zukommen! Doch was bringt das? Durch den Makel selbst ist sie dir noch lieber. Und was machst du ? Deine Umarmung beschmutzt sie! Bacchus, halte dein Eheversprechen und ziehe nicht irgendeine Andere der Liebe deiner Frau vor! Ich bin es gewohnt, einen Mann für immer zu lieben. Meine Mutter haben die Hörner des wohlgestalteten Stieres gefesselt,128 mich die deinen; jedoch gereicht diese Liebe zum Lob, für jene muss man sich schämen. Es möge mir nicht schaden, dass ich liebe: weder schadete es dir nämlich, Bacchus, dass du selbst mir deine Liebesgluten gestanden hast, noch machst du etwas Erstaunliches, dass du mich entflammst: Du sollst im Feuer entstanden sein und von des Vaters Hand dem Feuer entrissen worden sein.129 Ich bin die, der du gewöhnlich den Himmel versprachst. Weh mir, statt des Himmels – was für Geschenke trage ich davon!“ Sprach’s; schon lange hörte Liber die Worte der Jammernden, insofern als er zufällig in ihrem Rücken gefolgt war. Er schließt sie fest in die Arme und trocknet ihre Tränen mit seinen Küssen und spricht: „Lass uns zusammen zu den höchsten Punkten des Himmels eilen! Weil du mir durch unsere Ehe verbunden bist, wirst du einen mit mir verbundenen Namen annehmen, denn du wirst nach deiner Metamorphose den Namen Libera haben,130 und ich werde bewirken, dass deine Kronen als Andenken bei dir bleiben, die Volcanus der Venus gegeben hat und sie dir.“

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LIBER TERTIVS

Dicta facit gemmasque novem transformat in ignes:   aurea per stellas nunc micat illa novem.

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A EQ NP Sex ubi sustulerit, totidem demerserit orbes,   purpureum rapido qui vehit axe diem, altera gramineo spectabis Equirria Campo,   quem Tiberis curvis in latus urget aquis; qui tamen eiecta si forte tenebitur unda,   Caelius accipiat pulverulentus equos!

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B EID NP Idibus est Annae festum geniale Perennae   non procul a ripis, advena Thybri, tuis. Plebs venit ac virides passim disiecta per herbas   potat et accumbit cum pare quisque sua. Sub Iove pars durat, pauci tentoria ponunt,   sunt, quibus e ramis frondea facta casa est; pars, ubi pro rigidis calamos statuere columnis,   desuper extentas imposuere togas. Sole tamen vinoque calent annosque precantur,   quot sumant cyathos, ad numerumque bibunt. Invenies illic, qui Nestoris ebibat annos,   quae sit per calices facta Sibylla suos. Illic et cantant, quicquid didicere theatris,   et iactant faciles ad sua verba manus et ducunt posito duras cratere choreas   cultaque diffusis saltat amica comis. Cum redeunt, titubant et sunt spectacula volgi   et fortunatos obvia turba vocat.

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515 Er setzt die Worte in die Tat um und verwandelt die neun Edelsteine in Sterne: Gülden funkelt sie nun durch ihre neun Sterne. 14. März Sobald er sechs Sonnenkreise in die Höhe gehoben und ebenso viele untergetaucht hat, er, der mit seinem flinken Wagen den purpurnen Tag fährt, wirst du die anderen Equirria131 auf dem Gras des Marsfeldes sehen, 520 an dem ganz nahe der Tiber an der einen Längsseite mit seinem geschwungenen Flusslauf liegt; wenn es jedoch zufällig in Besitz genommen wird, weil die Wogen sich darüber ergossen haben, dann möge der staubige Caelius132 die Rosse empfangen! 15. März

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An den Iden gibt es ein fröhliches Fest für Anna Perenna133, nicht weit entfernt von deinen Ufern, Ankömmling Thybris134. Die Volksmasse kommt herbei, veranstaltet, überall in dem grünen Gras verstreut, ein Trinkgelage und es legt sich darnieder ein jeder mit seiner Partnerin. Unter freiem Himmel harrt ein Teil aus, wenige schlagen Zelte auf, es gibt welche, die aus Blättern ein Laubhüttchen erbauen; sobald ein Teil Schilfrohre statt starrer Säulen aufgestellt hatte, legten sie Togen darüber ausgebreitet. Jedoch werden sie aufgeheizt durch Sonneneinstrahlung und Weingenuss, bitten um so viele Jahre, wie sie Becher zu sich nehmen können, und trinken gemäß der Zahl. Du wirst ebendort einen finden, der die Jahre eines Nestor135 austrinkt, und eine, die durch ihre Becher zu einer Sibylle136 geworden ist. Ebendort singen sie, was auch immer sie in den Theatern gelernt haben, bewegen zu ihren Worten rhythmisch die beschwingten Hände, führen schwerfällige Reigen auf nach Absetzen des Mischkruges und die aufgetakelte Freundin tanzt mit offenen Haaren. Wenn sie zurückkehren, schwanken sie und sind für die Masse ein Spektakel und glückselig nennt sie die Menge, die sie trifft.

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LIBER TERTIVS

Occurrit nuper (visa est mihi digna relatu)   pompa: senem potum pota trahebat anus. Quae tamen haec dea sit, quoniam rumoribus errat,   fabula proposito nulla tegenda meo. Arserat Aeneae Dido miserabilis igne,   arserat exstructis in sua fata rogis compositusque cinis tumulique in marmore carmen   hoc breve, quod moriens ipsa reliquit, erat: PRAEBVIT AENEAS ET CAVSAM MORTIS ET ENSEM:   IPSA SVA DIDO CONCIDIT VSA MANV. Protinus invadunt Numidae sine vindice regnum   et potitur capta Maurus Iarba domo seque memor spretum “thalamis tamen”, inquit, “Elissae   en ego, quem totiens reppulit illa, fruor!” Diffugiunt Tyrii, quo quemque agit error, ut olim   amisso dubiae rege vagantur apes. Tertia nudandas acceperat area messes   inque cavos ierant tertia musta lacus: pellitur Anna domo lacrimansque sororia linquit   moenia; germanae iusta dat ante suae. Mixta bibunt molles lacrimis unguenta favillae   vertice libatas accipiuntque comas terque “vale!”, dixit, cineres ter ad ora relatos   pressit et est illis visa subesse soror. Nacta ratem comitesque fugae pede labitur aequo   moenia respiciens, dulce sororis opus. Fertilis est Melite sterili vicina Cosyrae   insula, quam Libyci verberat unda freti. Hanc petit hospitio regis confisa vetusto:   hospes opum dives rex ibi Battus erat.

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Neulich begegnete mir ein Festzug (er scheint mir erwähnenswert): einen besoffenen Greis schleppte eine besoffene Greisin ab. Weil ja in Gerüchten kursiert, wer diese Göttin ist, darf aufgrund meines Vorhabens keine Geschichte verschleiert werden. Entbrannt war die beklagenswerte Dido137 durch ihr Liebesfeuer zu Aeneas, verbrannt war sie auf dem Scheiterhaufen, der für ihr Todesschicksal errichtet war, beigesetzt war die Asche und dieses Gedicht auf dem Marmorstein des Grabmals, das sie selbst im Sterben hinterließ, war kurz: „Aeneas brachte sowohl den Grund für den Tod als auch das Schwert dar: Dido benutzte es und fiel selbst von eigener Hand.“ Unverzüglich fallen die Numider138 in das Königreich, ohne dass es einen Rächer gibt, der Maure Iarba139 nimmt den Palast ein und bemächtigt sich dessen und sagt in Erinnerung daran, dass er selbst verschmäht wurde: „Siehe da, ich erfreue mich doch an dem Schlafzimmer der Elissa140, den sie so oft zurückgewiesen hat!“ Die Tyrier stieben auseinander, wohin die Verblendung einen jeden führt, wie bisweilen Bienen nach dem Tode ihres Königs verunsichert umherfliegen. Die dritte Tenne hatte die Ernteerträge zum Dreschen empfangen und der dritte Most war in die hohlen Kufen gelangt: Vertrieben wird Anna aus dem Palast und verlässt unter Tränen die Mauern der Schwester; vorher bringt sie ihrer Schwester Totenopfer dar. Mit Tränen vermischte Salböle saugt die weiche Asche auf, nimmt die vom Scheitel als Opfer abgeschnittenen Haare an, und sie sprach dreimal: „Leb wohl!“, drückte die hochgehobene Asche dreimal an ihren Mund und ihre Schwester schien darunter zu liegen.141 Sie traf auf ein Schiff und Gefährten für die Flucht und gleitet zur Stadtmauer zurückschauend, dem lieben Werk ihrer Schwester, vor dem Wind dahin. Die fruchtbare Insel Melite142, die die Woge des libyschen Meeres peitscht, ist der unfruchtbaren Cosyra143 nahe. Zu ihr strebt sie, weil sie auf die alte Gastfreundschaft des Königs vertraute: Gastgeber war dort König Battus144, der reich an Streitkräften war.

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LIBER TERTIVS

Qui postquam didicit casus utriusque sororis,   “haec”, inquit, “tellus quantulacumque tua est.” Et tamen hospitii servasset ad ultima munus,   sed timuit magnas Pygmalionis opes. Signa recensuerat bis sol sua, tertius ibat   annus et exilio terra paranda nova est. Frater adest belloque petit. Rex arma perosus   “nos sumus inbelles, tu fuge sospes!”, ait. Iussa fugit ventoque ratem committit et undis:   asperior quovis aequore frater erat. Est prope piscosos lapidosi Crathidis amnes   parvus ager, Cameren incola turba vocat. Illuc cursus erat. Nec longius abfuit inde,   quam quantum novies mittere funda potest. Vela cadunt primo et dubia librantur ab aura:   “Findite remigio”, navita dixit, “aquas!” Dumque parant torto subducere carbasa lino,   percutitur rapido puppis adunca Noto inque patens aequor frustra pugnante magistro   fertur et ex oculis visa refugit humus. Adsiliunt fluctus imoque a gurgite pontus   vertitur et canas alveus haurit aquas. Vincitur ars vento nec iam moderator habenis   utitur, at votis is quoque poscit opem. Iactatur tumidas exul Phoenissa per undas   umidaque opposita lumina veste tegit. Tum primum Dido felix est dicta sorori   et quaecumque aliquam corpore pressit humum. Ducitur ad Laurens ingenti flamine litus   puppis et expositis omnibus hausta perit.

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Nachdem er die Schicksalsschläge beider Schwestern gehört hatte, sprach er: „Wie klein auch immer dieses Land sein mag, es ist deins!“ Und doch hätte er bis zum Äußersten die Aufgabe eines Gastgebers gewahrt, aber er fürchtete die großen Streitkräfte des Pygmalion145. Ihre Sternbilder hatte die Sonne zweimal durchmustert, das dritte Jahr schritt voran und fürs Exil musste ein neues Land verschafft werden. Ihr Bruder ist nahe und fordert ihn mit Krieg heraus. Der König spricht, weil er Waffen sehr hasst: „Wir sind unkriegerische Leute, flieh du und wohlbehalten!“ Auf Befehl flieht sie und vertraut ihr Schiff dem Wind und den Wogen an: Gröber als jedes beliebige Meer war der Bruder. In der Nähe der fischreichen Strömungen des steinigen Crathes146 gibt es ein kleines Feld, die einheimische Menge nennt es Camere.147 Dorthin verlief die Fahrt. Und sie war nicht weiter von dort entfernt, als wie weit eine Schleuder neunmal Steine schießen kann. Die Segel fallen zum ersten Mal und werden vom unzuverlässigen Windhauch in der Schwebe gehalten: Der Seemann sagte: „Teilt mit dem Ruder die Wasser!“ Und während sie sich anschicken, die Segel mit dem gedrehten Tau einzuholen, wird das krummschnäblige Schiff vom ungestümen Sturm148 erschüttert und aufs offene Meer hinausgetrieben, wobei der Kapitän vergeblich dagegen ankämpft, und das erblickte Land entschwindet den Augen. Die Fluten springen hoch und ganz unten vom Schlund her wird das Meer umgewälzt und das Schiff nimmt graue Wassermassen in sich auf. Bezwungen vom Wind wird die Marinekunst und der Steuermann benutzt schon nicht mehr die Taue, hingegen fordert auch er mit Gebeten Hilfe ein. Hin- und hergeworfen durch die sich auftürmenden Wogen wird die heimatlose Phönizierin und bedeckt ihre feuchten Augen mit davorgehaltenem Gewand. Zu dem Zeitpunkt wurde Dido zum ersten Mal von ihrer Schwester glückselig genannt und jede, die mit ihrem Körper auf irgendeinen Boden trat. An die laurentische Küste wird durch ein ungeheuerliches Wehen das Schiff geworfen und geht in die Tiefe gezogen unter, nachdem es alle an Land geschafft hatten.

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Iam pius Aeneas regno nataque Latini   auctus erat populos miscueratque duos. Litore dotali solo comitatus Achate   secretum nudo dum pede carpit iter, aspicit errantem nec credere sustinet Annam   esse: Quid in Latios illa veniret agros? Dum secum Aeneas, “Anna est!”, exclamat Achates.   Ad nomen voltus sustulit illa suos. Heu, quid agat? Fugiat? Quos terrae quaerat hiatus?   Ante oculos miserae fata sororis erant. Sensit et adloquitur trepidam Cythereius heros   (flet tamen admonitu motus, Elissa, tui): “Anna, per hanc iuro, quam quondam audire solebas   tellurem fato prosperiore dari, perque deos comites hac nuper sede locatos   saepe meas illos increpuisse moras! Nec timui de morte tamen: metus abfuit iste.   Ei mihi, credibili fortior illa fuit. Ne refer! Aspexi non illo corpore digna   volnera Tartareas ausus adire domos. At tu, seu ratio te nostris adpulit oris   sive deus, regni commoda carpe mei! Multa tibi memores, nil non debemus Elissae:   nomine grata tuo, grata sororis eris.” Talia dicenti (neque enim spes altera restat)   credidit errores exposuitque suos; utque domum intravit Tyrios induta paratus,   incipit Aeneas (cetera turba tacet):

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Schon war der pflichtbewusste Aeneas durch das Königreich und der Tochter des Latinus149 beglückt worden und hatte zwei Völker verquickt. Während er in Begleitung nur von Achates150 am Strand, der seine Mitgift war, einen abgelegenen Weg barfuß zurücklegt, sieht er, wie Anna ziellos umherirrt, und kann es nicht ertragen zu glauben, dass es Anna sei: Was käme sie in latinische Gefilde? Während Aeneas noch bei sich selbst verharrt, ruft Achates aus: „Es ist Anna!“ Auf ihres Namens hob sie ihren Blick. Ach weh, was soll sie tun? Soll sie fliehen? Welche Erdspalten soll sie suchen? Vor ihren Augen war doch das Schicksal ihrer bemitleidenswerten Schwester. Der cytherische151 Held bemerkte es und spricht die Zitternde an (dennoch weint er, bewegt durch die Erinnerung an dich, Elissa): „Anna, bei diesem Land, das einst durch ein günstigeres Schicksal gegeben wurde, wie du zu hören pflegtest, und bei den Göttern, meinen Begleitern, die neulich erst an dieser Wohnstätte ihren Platz gefunden haben, schwöre ich, dass sie oft meine Verzögerungstaktiken schalten! Und doch habe ich nicht ihren Tod befürchtet: diese Furcht war nicht da. Weh mir, sie war tapferer, als man glauben konnte. Berichte nicht davon! Ich habe die Wunden gesehen, die jenes Körpers nicht würdig waren, als ich es wagte, die Häuser des Tartarus152 aufzusuchen. Du jedoch, genieße die Annehmlichkeiten meines Reiches, sei es dass die Vernunft dich an meine Küsten getrieben hat, sei es ein Gott! Viel schulde ich dir – ich erinnere mich daran –, besonders viel der Elissa: Aufgrund deines eigenen Namens wirst du willkommen, willkommen aufgrund des Namens deiner Schwester sein.“ Weil er solches sagte, glaubte sie ihm (es bleibt nämlich keine andere Hoffnung übrig) und legte ihm ihre Irrfahrten dar; und sobald sie mit tyrischer Tracht bekleidet das Haus betreten hatte, hebt Aeneas zu sprechen an (die übrige Schar schweigt):

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“Hanc tibi cur tradam, pia causa, Lavinia coniunx,   est mihi: consumpsi naufragus huius opes. Orta Tyro est, regnum Libyca possedit in ora:   quam precor ut carae more sororis ames.” Omnia promittit falsumque Lavinia volnus   mente premit tacita dissimulatque metus; donaque cum videat praeter sua lumina ferri   multa, tamen mitti clam quoque multa putat. Non habet exactum, quid agat: furialiter odit   et parat insidias et cupit ulta mori. Nox erat: ante torum visa est adstare sororis   squalenti Dido sanguinulenta coma et “fuge, ne dubita, maestum fuge”, dicere, “tectum!”   Sub verbum querulas impulit aura fores. Exsilit et velox humili super ausa fenestra   se iacit (audacem fecerat ipse timor) cumque metu rapitur tunica velata recincta,   currit ut auditis territa damma lupis, corniger hanc cupidis rapuisse Numicius undis   creditur et stagnis occuluisse suis. Sidonis interea magno clamore per agros   quaeritur: apparent signa notaeque pedum; ventum erat ad ripas: inerant vestigia ripis;   sustinuit tacitas conscius amnis aquas. Ipsa loqui visa est: “Placidi sum nympha Numici:   amne perenne latens Anna Perenna vocor.”

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„Liebe Gattin Lavinia, mein Grund ist fromm, weshalb ich sie dir 630 anvertraue: Als Schiffbrüchiger habe ich ihre Hilfen in Anspruch genommen. Sie stammt aus Tyrus, die Herrschaft hatte sie an der libyschen Küste inne: Ich bitte darum, dass du sie nach Art einer lieben Schwester liebst.“ Lavinia verspricht alles und unterdrückt die unbegründete Kränkung, nachdem der Verstand zum Schweigen gebracht wurde, und verbirgt die Furcht; 635 obwohl sie sieht, dass viele Geschenke vor ihren Augen hergebracht werden, glaubt sie dennoch, dass viel auch heimlich geschickt wird. Sie hat nicht entschieden, was sie tun solle: Nach Furienart hasst sie, bereitet einen Hinterhalt vor und begehrt nach vollzogener Rache zu sterben. Es war Nacht: vor dem Lager der Schwester stand die 640 blutüberströmte Dido als Erscheinung mit ungepflegtem Haar und sprach: „Flieh, zögere nicht, flieh aus dem trauerbringenden Haus!“ Unmittelbar nach der Aufforderung schlug ein Luftzug gegen die Tür, die klagend quietschte. Sie springt , wagt es und wirft sich rasch von oben herab153 aus dem niedrigen Fenster (kühn hatte sie die Furcht selbst gemacht) 645 und, indem sie, gehüllt in ihre gelöste Tunica, von Furcht hinfort gerissen wird, läuft sie wie eine von Wolfsgeheul aufgeschreckte Hindin, der Horn tragende154 Numicius155 habe sie mit seinen geilen Wogen mitgerissen und in seinen Wassern verborgen, so glaubt man. In der Zwischenzeit wird die Sidonierin156 mit lautem Geschrei 650 überall auf den Feldern gesucht: Hinweise und Fußspuren sind offensichtlich; man kam zu den Uferzonen: es gab Spuren an den Uferzonen; der Strom hielt, weil er eingeweiht war, die Wassermassen an, auf dass sie schwiegen. Sie selbst schien zu sprechen: „Des sanften Numicius Nymphe bin ich : im niemals versiegenden Strom verborgen, werde ich Anna Perenna157 genannt.“

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Protinus erratis laeti vescuntur in agris   et celebrant largo seque diemque mero. Sunt, quibus haec Luna est, quia mensibus impleat annum;   pars Themin, Inachiam pars putat esse bovem. Invenies, qui te nymphen Azanida dicant   teque Iovi primos, Anna, dedisse cibos. Haec quoque, quam referam, nostras pervenit ad aures   fama nec a veri dissidet illa fide. Plebs vetus et nullis etiam tunc tuta tribunis   fugit et in Sacri vertice Montis erat; iam quoque, quem secum tulerant, defecerat illos   victus et humanis usibus apta Ceres. Orta suburbanis quaedam fuit Anna Bovillis,   pauper, sed multae sedulitatis anus; illa levi mitra canos incincta capillos   fingebat tremula rustica liba manu atque ita per populum fumantia mane solebat   dividere: haec populo copia grata fuit. Pace domi facta signum posuere Perennae,   quod sibi defectis illa ferebat opem. Nunc mihi, cur cantent, superest, obscena puellae,   dicere; nam coeunt certaque probra canunt. Nuper erat dea facta: venit Gradivus ad Annam   et cum seducta talia verba facit: “Mense meo coleris, iunxi mea tempora tecum;   pendet ab officio spes mihi magna tuo. Armifer armiferae correptus amore Minervae   uror et hoc longo tempore volnus alo.

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655 Unverzüglich speisen sie fröhlich auf den durchwanderten Fluren und feiern mit reichlich Wein sich und den Tag. Es gibt Leute, für die sie Luna158 ist, weil sie das Jahr mit Monaten anfülle; ein Teil glaubt, dass sie Themis159 ist, ein anderer die Inachische Kuh160. Du wirst Leute finden, die behaupten, du seist eine azanische161 Nymphe 660 und du habest Iuppiter die ersten Speisen gereicht, Anna. Auch diese Sage, die ich berichten will, drang zu meinen Ohren und sie weicht nicht von der Glaubwürdigkeit des Wahren ab. Das Volk, das ehedem lebte und damals noch durch keine Tribunen geschützt war, floh162 und befand sich auf dem Gipfel des heiligen Berges. 665 Schon war auch die Nahrung, die sie mit sich geführt hatten, ihnen ausgegangen und das Getreide, das für den menschlichen Bedarf geeignet ist. Es gab eine gewisse Anna, mit der Abstammung aus Bovillae163, das vor der Stadt lag, eine arme alte Frau, aber von großer Betriebsamkeit; sie, ihre grauen Haare mit einer leichten Kopfbinde umwunden, 670 formte mit zitternder Hand rustikale Küchlein und verteilte sie für gewöhnlich so morgens noch warm unter das Volk: Dieses Lebensmittel kam dem Volke gelegen. Nach dem Friedensschluss zu Hause stellten sie Perenna ein Standbild auf, weil sie ihnen in ihrer Entkräftung Hilfe brachte. 675 Nun bleibt es für mich noch übrig zu erzählen, warum die Mädchen obszöne Dinge besingen; sie kommen nämlich zusammen und besingen gewisse unkeusche Taten. Neulich war sie zur Göttin geworden: Gradivus164 kommt zu Anna und spricht mit der beiseite Genommenen solche Worte: „In meinem Monat wird dir gehuldigt, ich habe meine Zeiten mit dir verbunden; 680 von deiner Unterstützung hängt meine große Hoffnung ab. Ich, der Waffentragende, bin entflammt, durch Liebe zur waffentragenden Minerva165 ergriffen, und lasse diese Liebeswunde schon lange Zeit wachsen.

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Effice, di studio similes coeamus in unum:   conveniunt partes hae tibi, comis anus.” Dixerat; illa deum promisso ludit inani   et stultam dubia spem trahit usque mora. Saepius instanti “mandata peregimus”, inquit,   “evicta est: precibus vix dedit illa manus.” Credit amans thalamosque parat. Deducitur illuc   Anna tegens voltus, ut nova nupta, suos. Oscula sumpturus subito Mars aspicit Annam:   nunc pudor elusum, nunc subit ira, deum. Ridet amatorem carae nova diva Minervae   nec res hac Veneri gratior ulla fuit. Inde ioci veteres obscenaque dicta canuntur   et iuvat hanc magno verba dedisse deo. Praeteriturus eram gladios in principe fixos,   cum sic a castis Vesta locuta focis: “Ne dubita meminisse: meus fuit ille sacerdos;   sacrilegae telis me petiere manus. Ipsa virum rapui simulacraque nuda reliqui:   quae cecidit ferro, Caesaris umbra fuit.” Ille quidem caelo positus Iovis atria vidit   et tenet in magno templa dicata foro. At quicumque nefas ausi prohibente deorum   numine polluerant pontificale caput, morte iacent merita: testes estote, Philippi,   et quorum sparsis ossibus albet humus! Hoc opus, haec pietas, haec prima elementa fuerunt   Caesaris, ulcisci iusta per arma patrem.

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Bewirke, dass wir Götter, die wir in unserem Interesse ähnlich sind, an einem Orte zusammenkommen können: Diese Rolle passt zu dir, leutselige Alte.“ 685 Sprach’s; sie treibt mit dem Gott ein Spiel durch ihr leeres Versprechen und die törichte Hoffnung zieht sie ununterbrochen in die Länge durch eine dubiose Verzögerungstaktik. Sie sagt dem recht oft Drängenden: „Ich habe den Auftrag ausgeführt, völlig willig ist sie: den Bitten hat sie soeben nachgegeben.“ In seiner Verliebtheit glaubt er ihr und bereitet das Ehebett vor. Dorthin wird 690 Anna geführt, ihr Gesicht, wie eine junge Braut, verdeckt. Als Mars sie küssen will, erblickt er plötzlich Anna: bald befällt Scham, bald Zorn den verhöhnten Gott. Die gerade zur Göttin Gewordene lacht den Liebhaber der teuren Minerva aus und keine andere Sache war für Venus erfreulicher als diese Begebenheit. 695 Daher werden die alten Scherze und obszönen Worte gesungen und es bringt Freude, dass sie den großen Gott hinters Licht geführt hat. Ich war schon im Begriff, die Schwerter, die den Ersten Mann im Staat durchbohrt hatten166, zu übergehen, als Vesta von ihrem reinen Herd folgendermaßen sprach: „Zögere nicht, daran zu erinnern: Jener war mein Priester167; 700 auf mich sind die gottlosen Hände mit ihren Waffen losgegangen. Ich selbst habe den Mann fortgerissen und ein leeres Trugbild zurückgelassen: Was durch das Schwert fiel, war Caesars Schatten!“ Jener freilich, in den Himmel erhoben, sah die Hallen Iuppiters und besitzt auf dem großen Forum einen Tempel, der ihm geweiht ist.168 705 Aber alle, die den Frevel gewagt und das Haupt des Priesters entehrt hatten, obwohl der Wille der Götter es verbot, liegen da in einem verdienten Tod: Philippi169, sei du Zeuge und ihr, von deren verstreuten Knochen der Erdboden bleich ist! Dies war das Werk, dies die fromme Pflichterfüllung, dies die Anfänge 710 Caesars170, den Vater mittels gerechter Waffen zu rächen.

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CF Postera cum teneras Aurora refecerit herbas,   Scorpios a prima parte videndus erit. D LIB NP Tertia post Idus lux est celeberrima Baccho:   Bacche, fave vati, dum tua festa cano! Nec referam Semelen, ad quam nisi fulmina secum   Iuppiter adferret, parvus inermis eras; nec, puer ut posses maturo tempore nasci,   expletum patrio corpore matris opus. Sithonas et Scythicos longum narrare triumphos   et domitas gentes, turifer Inde, tuas. Tu quoque, Thebanae mala praeda, tacebere, matris,   inque tuum furiis acte, Lycurge, genus. Ecce libet subitos pisces Tyrrhenaque monstra   dicere; sed non est carminis huius opus. Carminis huius opus causas exponere, quare   vilis anus populos ad sua liba vocet. Ante tuos ortus arae sine honore fuerunt,   Liber, et in gelidis herba reperta focis. Te memorant Gange totoque Oriente subacto   primitias magno seposuisse Iovi: cinnama tu primus captivaque tura dedisti   deque triumphato viscera tosta bove. Nomine ab auctoris ducunt libamina nomen   libaque, quod sanctis pars datur inde focis;

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16. März Wenn die nächste Aurora die jungen Kräuter neu belebt hat, wird der Skorpion in seinem ersten Teil zu sehen sein. 17. März

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Der dritte Tag nach den Iden ist zu Ehren des Bacchus ein sehr hoher Feiertag: Bacchus, sei dem Dichter gewogen, während ich deine Feierlichkeiten171 besinge! Weder von Semele172 will ich berichten; wenn Iuppiter nicht zu ihr Blitze mit sich gebracht hätte, dann wärst du ein kleiner, schutzloser Knabe gewesen; noch von der Aufgabe deiner Mutter, die durch den Körper deines Vaters erfüllt wurde, damit du als Kind zur rechten Zeit geboren werden konntest. Es wäre zu lang, von den Triumphen über die Sithonen173 und Scythen174 und deinen bezwungenen Volksstämmen zu erzählen, weihrauchtragender Indus175. Auch du, schlechte Beute176 der thebanischen Mutter177, wirst verschwiegen werden, und du, der du durch den Wahnsinn gegen deine eigene Familie getrieben wurdest, Lycurgus178! Siehe da, es beliebt, von plötzlich zu Fisch Gewordenen und seltsamen tyr­rhenischen Verwandlungen179 zu erzählen. Aber das ist nicht die Aufgabe dieses Gedichtes. Es ist die Aufgabe dieses Gedichtes, die Gründe darzulegen, weshalb die unbedeutende alte Frau die Volksstämme zu ihren Küchlein zusammenruft. Vor deiner Geburt, Liber, gab es Altäre ohne Schmuck und auf den kalten Herdstätten fand man Kraut. Man erzählt, du habest nach der Unterwerfung des Ganges und des ganzen Orients die Erstlingsgaben für den großen Iuppiter reserviert: Zimtstangen und erbeutete Weihrauchkörner und die gerösteten Eingeweide vom Stier aus dem Triumphzug hast du als Erster geopfert. Vom Namen des ersten Veranstalters leitet man den Namen libamina180 und liba ab, weil seither ein Teil auf die geweihten Herdstätten gelegt wird;

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liba deo fiunt, sucis quia dulcibus idem   gaudet, et a Baccho mella reperta ferunt. Ibat harenoso satyris comitatus ab Hebro   (non habet ingratos fabula nostra iocos); iamque erat ad Rhodopen Pangaeaque florida ventum:   aeriferae comitum concrepuere manus. Ecce novae coeunt volucres tinnitibus actae,   quosque movent sonitus aera, sequuntur apes; colligit errantes et in arbore claudit inani   Liber et inventi praemia mellis habet. Ut satyri levisque senex tetigere saporem,   quaerebant flavos per nemus omne favos. Audit in exesa stridorem examinis ulmo,   aspicit et ceras dissimulatque senex; utque piger pandi tergo residebat aselli,   adplicat hunc ulmo corticibusque cavis. Constitit ipse super ramoso stipite nixus   atque avide trunco condita mella petit. Milia crabronum coeunt et vertice nudo   spicula defigunt oraque sima notant. Ille cadit praeceps et calce feritur aselli   inclamatque suos auxiliumque rogat. Concurrunt satyri turgentiaque ora parentis   rident: percusso claudicat ille genu. Ridet et ipse deus limumque inducere monstrat;   hic paret monitis et linit ora luto. Melle pater fruitur liboque infusa calenti   iure repertori splendida mella damus. Femina cur praesit, non est rationis opertae:   femineos thyrso concitat ille choros. Cur anus hoc faciat, quaeris? Vinosior aetas   haec est et gravidae munera vitis amat. Cur hedera cincta est? Hedera est gratissima Baccho;   hoc quoque cur ita sit, discere nulla mora est.

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735 Küchlein werden für den Gott gebacken, weil er sich über süße Säfte freut, und man erzählt, Honig sei von Bacchus entdeckt worden. In Begleitung von Satyrn ging er vom sandigen Hebrus181 weg (nicht unersprießliche Scherze beinhaltet meine Geschichte); und schon war man zur Rhodope182 und dem blühenden Pangaeus183 gekommen: 740 die Hände der Begleiter mit ihren Zimbeln lärmten. Siehe da, neuartige, geflügelte Tiere fliegen zusammen, angezogen durch das Geklingel und Bienen folgen den Tönen, die die Erzinstrumente erklingen lassen; Liber sammelt die herumschwirrenden Tiere ein und schließt sie in einem hohlen Baum ein und er erhält die Belohnung, die in der Entdeckung des Honigs besteht. 745 Sobald die Satyrn und der glatzköpfige Alte184 die Leckerei probiert hatten, suchten sie fortwährend gelbe Honigwaben überall im Hain. Der Alte hört das Geschwirr des Schwarms in einer ausgehöhlten Ulme, erblickt auch die wächsernen Waben und verheimlicht es; und wie er faul auf dem Rücken eines von der Last durchgedrückten Eselchens saß, 750 lässt er ihn an der Ulme und der gekrümmten Rinde anlehnen. Er selbst stützte sich auf den astreichen Stamm, stellte sich auf und versucht begierig, den im Stamm verborgenen Honig zu erreichen. Tausende von Hornissen fliegen zusammen, stoßen ihre Stacheln in den kahlen Scheitel und zeichnen sein plattnasiges Gesicht. 755 Jener fällt vornüber, wird vom Huf des Esels getreten, ruft seine Begleiter herbei und bittet um Hilfe. Die Satyrn stürmen zusammen und lachen über das geschwollene Gesicht des Vaters: weil er sich das Knie aufgeschlagen hat, humpelt er. Sogar der Gott selbst lacht und lehrt, Lehm aufzulegen; 760 er gehorcht den Verordnungen und beschmiert sein Gesicht mit Lehm. Der Vater185 genießt den Honig und mit Recht spenden wir dem Finder glänzenden Honig, der auf das warme Küchlein gegossen ist. Warum eine Frau den Vorsitz innehat, ist nicht Inhalt einer geheimen Lehre: Reigen von Frauen erregt er mit seinem Thyrsos-Stab186. 765 Warum eine alte Frau dies tut, möchtest du wissen? Dieses Alter ist recht weinselig und liebt die Gaben des schwerbeladenen Weinstocks. Warum ist sie mit Efeu umkränzt? Efeu mag Bacchus ganz besonders. Zu lernen, warum auch dies so ist, kann sogleich geschehen.

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LIBER TERTIVS

Nysiadas nymphas puerum quaerente noverca   hanc frondem cunis opposuisse ferunt. Restat, ut inveniam, quare toga libera detur   Lucifero pueris, candide Bacche, tuo. Sive quod ipse puer semper iuvenisque videris   et media est aetas inter utrumque tibi, seu quia tu pater es, patres sua pignora, natos,   commendant curae numinibusque tuis, sive quod es Liber, vestis quoque libera per te   sumitur et vitae liberioris iter, an quia, cum colerent prisci studiosius agros   et faceret patrio rure senator opus et caperet fasces a curvo consul aratro   nec crimen duras esset habere manus, rusticus ad ludos populus veniebat in Urbem –   sed dis, non studiis ille dabatur honor. Luce sua ludos uvae commentor habebat,   quos cum taedifera nunc habet ille dea – ergo ut tironem celebrare frequentia possit,   visa dies dandae non aliena togae? Mite caput, pater, huc placataque cornua vertas   et des ingenio vela secunda meo! Itur ad Argeos (qui sint, sua pagina dicet)   hac, si commemini, praeteritaque die. Stella Lycaoniam vergit declinis ad Arcton   Miluus: haec illa nocte videnda venit. Quid dederit volucri, si vis cognoscere, caelum:   Saturnus regnis a Iove pulsus erat; concitat iratus validos Titanas in arma,   quaeque fuit fatis debita, temptat opem. Matre satus Terra, monstrum mirabile, taurus,   parte sui serpens posteriore fuit:

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Die Nymphen, die Nysiaden187, hätten, als die Stiefmutter den Jungen gesucht habe, 770 dieses Laub vor seine Wiege gelegt, so erzählt man.

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Es bleibt übrig, dass ich herausfinde, warum die „freie“ Toga188 an deinem Tag den Knaben gegeben wird, strahlender Bacchus. Sei es, weil du selbst immer als Knabe und jugendlicher Mann auftrittst und du ein Alter mitten zwischen den beiden hast, oder weil du ein Vater bist und Väter ihr Wertvollstes, ihre Söhne, deiner Fürsorge und deinem göttlichen Wirken anvertrauen, oder weil du Liber bist und mit deiner Hilfe auch die Toga libera entgegengenommen wird und ein Weg zu einem freieren Leben, oder weil, als die Altvorderen recht eifrig ihre Felder bestellten, der Senator sein Werk auf der väterlichen Flur verrichtete, der Consul seine Fascen vom gekrümmten Pflug her wegnahm und es kein Vorwurf war, raue Hände zu haben, die Landbevölkerung zu den Spielen in die Stadt kam – aber den Göttern, nicht den eigenen Interessen wurde jene Ehre erwiesen. An seinem eigenen (Fest-) Tag hatte der Erfinder des Weins seine Spiele, die er jetzt mit der fackeltragenden Göttin189 hat – also, damit die Masse den Jungspund feiern kann, schien der Termin besonders passend für das Verleihen der Toga? Dein gnädig Haupt, Vater, mögest du hierhin wenden und deine friedvollen Füllhörner und meinem Talent günstige Segel gewähren!

Man kommt an diesem, wenn ich mich recht erinnere, und am Vortage zu den Argeern190 (wer sie sind, wird ein eigener Streifen erzählen). Das Sternbild Milan neigt sich abwärts zur Bärin des Lycaon191: es kommt in jener Nacht sichtbar zum Vorschein. 795 Wenn du erfahren willst, was dem Vogel den Himmel zur Verfügung gegeben hat: Saturn192 war von Iuppiter aus dem Königreich vertrieben worden; in seinem Zorne stachelt er die mächtigen Titanen193 zu den Waffen an und versucht die Hilfe zu erreichen, die vom Schicksal geschuldet war. Ein Spross von Mutter Terra, ein erstaunliches Ungeheuer, ein Stier, 800 war in dem hinteren Teil seiner selbst eine Schlange:

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hunc triplici muro lucis incluserat atris   Parcarum monitu Styx violenta trium. Viscera qui tauri flammis adolenda dedisset,   sors erat aeternos vincere posse deos. Immolat hunc Briareus facta ex adamante securi   et iamiam flammis exta daturus erat: Iuppiter alitibus rapere imperat: attulit illi   miluus et meritis venit in astra suis.

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E C et F QVIN NP Una dies media est et fiunt sacra Minervae,   nomina quae iunctis quinque diebus habent. Sanguine prima vacat nec fas concurrere ferro:   causa, quod est illa nata Minerva die. Altera tresque super rasa celebrantur harena:   ensibus exsertis bellica laeta dea est. Pallada nunc, pueri teneraeque, orate, puellae!   Qui bene placarit Pallada, doctus erit. Pallade placata lanam mollire puellae   discant et plenas exonerare colos! Illa etiam stantes radio percurrere telas   erudit et rarum pectine denset opus. Hanc cole, qui maculas laesis de vestibus aufers,   hanc cole, velleribus quisquis aena paras! Nec quisquam invita faciet bene vincula plantae   Pallade, sit Tychio doctior ille licet. Et licet antiquo manibus conlatus Epeo   sit prior, irata Pallade mancus erit. Vos quoque, Phoebea morbos qui pellitis arte,   munera de vestris pauca referte deae! Nec vos, turba fere censu fraudata, magistri,   spernite (discipulos attrahit illa novos),

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Ihn hatte mit einer dreifachen Mauer im pechschwarzen Hain die grausame Styx194 auf Anraten der drei Parzen195 eingeschlossen. Es gab einen Schicksalsspruch, dass derjenige, der die Eingeweide des Stieres den Flammen als Brandopfer gegeben habe, die ewigen Götter besiegen könne. 805 Ihn opfert Briareus196, nachdem er aus Stahl ein Beil gefertigt hatte, und bald darauf war er im Begriff, die Innereien den Flammen zu überantworten: Iuppiter gibt Vögeln den Befehl, sie wegzuraffen: Der Milan brachte sie ihm und kam für seine Verdienste zu den Sternen. 18. März und 19. März Ein Tag liegt in der Mitte und es findet das Fest der Minerva statt, 810 welches seinen Namen wegen fünf verbundener Tage hat.197 Der erste Tag ist frei von Blut und es ist versagt, mit einem Schwerte aneinanderzugeraten: Der Grund dafür: An jenem Tag ist Minerva geboren worden. Der zweite und die drei weiteren werden auf geglättetem Sand begangen: über das Zücken der Schwerter ist die kriegsliebende Göttin glücklich. 815 Knaben und junge Mädchen, zu Pallas198 betet nun! Wer sich Pallas gut gewogen gemacht hat, der wird belehrt sein. Wenn Pallas gewogen ist, sollen die Mädchen lernen, Wollfasern zu ordnen und die vollen Spinnrocken abzuspinnen! Sie lehrt auch die senkrechten Kettfäden mit einem Webschiffchen zu durchschießen 820 und verdichtet mit einem Kamm das lockre Webprodukt. Verehre sie, der du Flecken aus beschädigten Gewändern entfernst, verehre sie, der du eherne Kessel für die Wollfäden bereitest! Und niemand wird für den Fuß die Sandale gut herstellen, wenn Pallas es nicht will, mag er auch geschickter sein als Tychius199. 825 Mag er auch im Vergleich an handwerklichem Geschick vorzüglicher sein als der altehrwürdige Epeus200, er wird ein Pfuscher sein, wenn Pallas zornig ist. Auch ihr, die ihr Krankheiten mithilfe der Kunst des Phoebus vertreibt, bringt wenige Gaben von eurem Besitz der Göttin201 als Weihgeschenke dar! Und ihr, Lehrer, ihr Masse, die ihr in der Regel um euer Gehalt betrogen 830 werdet, verachtet sie nicht (neue Schüler bringt sie herbei),

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LIBER TERTIVS

quique moves caelum tabulamque coloribus uris,   quique facis docta mollia saxa manu! Mille dea est operum: certe dea carminis illa est;   si mereor, studiis adsit amica meis! Caelius ex alto qua mons descendit in aequum,   hic, ubi non plana est, sed prope plana via, parva licet videas Captae delubra Minervae,   quae dea natali coepit habere suo. Nominis in dubio causa est. Capitale vocamus   ingenium sollers: ingeniosa dea est. An quia de capitis fertur sine matre paterni   vertice cum clipeo prosiluisse suo? An quia perdomitis ad nos captiva Faliscis   venit? Et hoc signo littera prisca docet. An quod habet legem, capitis quae pendere poenas   ex illo iubeat furta reperta loco? A quacumque trahis ratione vocabula, Pallas,   pro ducibus nostris aegida semper habe!

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B TVBIL NP Summa dies e quinque tubas lustrare canoras   admonet et forti sacrificare deae. Nunc potes ad solem sublato dicere voltu   “hic here Phrixeae vellera pressit ovis.” Seminibus tostis sceleratae fraude novercae   sustulerat nullas, ut solet, herba comas: mittitur ad tripodas, certa qui sorte reportet,   quam sterili terrae Delphicus edat opem. Hic quoque corruptus cum semine nuntiat Helles   et iuvenis Phrixi funera sorte peti. Usque recusantem cives et tempus et Ino   compulerunt regem iussa nefanda pati;

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und du, der du den Meißel regst und die Tafel mit Farben einbrennst, und du, der du mit geschickter Hand Felsbrocken in fließende Formen bringst! Sie ist die Göttin von tausend Tätigkeiten: gewiss ist sie auch die Göttin der Dichtkunst; wenn ich es verdiene, möge sie als Freundin meinen Bemühungen hold sein! 835 Wo der Berg Caelius sich von seiner Höhe in die Ebene herabzieht, da, wo die Straße nicht eben, aber beinahe eben ist, kannst du auch das kleine Heiligtum der Minerva Capta202 sichten, das Göttin an ihrem Geburtstag zu bewohnen begann. Des Namens Ursprung liegt im Ungewissen. Capitale nennen 840 wir ein kunstfertiges Talent: talentvoll ist Göttin. Oder weil sie aus dem Scheitel des väterlichen Hauptes ohne eine Mutter zusammen mit ihrem Schilde herausgesprungen sein soll? Oder weil sie als Gefangene zu uns kam nach dem Bezwingen der Faliscer203? Dies lehrt auch ein altes Dokument mit Siegel. 845 Oder weil sie ein Gesetz hat, das befiehlt, einen aufgeklärten Diebstahl aus jenem Ort mit der Todesstrafe zu ahnden? Von welcher Erklärung auch immer du, Pallas, Beinamen herleitest, zum Schutze für unsere Herrscher halte stets deine Aegis204 bereit! 23. März Der letzte Tag von diesen fünf mahnt, die wohlklingenden Trompeten 850 zu reinigen205 und der tapferen Göttin ein Opfer darzubringen. Nun kannst du sagen, wenn du deinen Blick zur Sonne gehoben hast: „Sie hat gestern das Fell des Schafes des Phrixus206 betreten.“ Weil die Samen durch die Hinterlist der verbrecherischen Stiefmutter geröstet worden waren, hatte die junge Saat keine Ähren, wie üblich, wachsen lassen: 855 Geschickt zum Dreifuß wird einer, der mit eindeutigem Orakelspruch berichten soll, welche Hilfe der delphische Gott207 dem unfruchtbaren Land verkünde. Auch er, verdorben mit der Saat, verkündet, dass das Begräbnis von Helle und dem jugendlichen Phrixus durch das Orakel gefordert werde. Obwohl der König sich immerfort weigerte, nötigten ihn seine Bürger, 860 die Situation und Ino, den befohlenen Frevel zu dulden.

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et soror et Phrixus velati tempora vittis   stant simul ante aras iunctaque fata gemunt. Aspicit hos, ut forte pependerat aethere, mater   et ferit attonita pectora nuda manu inque draconigenam nimbis comitantibus urbem   desilit et natos eripit inde suos. Utque fugam capiant, aries nitidissimus auro   traditur: ille vehit per freta longa duos. Dicitur infirma cornu tenuisse sinistra   femina, cum de se nomina fecit aquae. Paene simul periit, dum volt succurrere lapsae   frater et extentas porrigit usque manus. Flebat, ut amissa gemini consorte pericli,   caeruleo iunctam nescius esse deo. Litoribus tactis aries fit sidus; at huius   pervenit in Colchas aurea lana domos.

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EC Tres ubi Luciferos veniens praemiserit Eos,   tempora nocturnis aequa diurna feres. AC Inde quater pastor saturos ubi clauserit haedos,   canuerint herbae rore recente quater, Ianus adorandus cumque hoc Concordia mitis   et Romana Salus Araque Pacis erit. BC Luna regit menses: huius quoque tempora mensis   finit Aventino Luna colenda iugo.

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DRITTES BUCH

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Phrixus und seine Schwester, an den Schläfen mit Opferbinden umhüllt, stehen gemeinsam vor dem Altar und beklagen ihr verbundenes Schicksal. Ihre Mutter erblickt sie, wie sie zufällig am Aether gehangen hatte, schlägt mit bestürzter Hand auf ihre nackte Brust ein, 865 springt von den Wolken, die sie begleiten, in die von Drachen abstammende208 Stadt hinab und entreißt von dort ihre Kinder. Und damit sie die Flucht ergreifen können, wird ein von Gold sehr hell glänzender Widder übergeben: er trägt die zwei über die weiten Meeresflächen. Das Mädchen soll mit der schwachen linken Hand das Horn festgehal870 ten haben, als sie dem Wasser209 ihren Namen gab. Beinahe wäre der Bruder mit umgekommen, während er der Hin­abgestürzten zu Hilfe eilen wollte und ununterbrochen die ausgestreckten Hände hinhielt. Weil er die Leidensgenossin der zweifachen Gefahr verloren hatte, weinte er in seiner Unwissenheit darüber, dass sie sich nun mit dem bläulichen Gott210 vereinigt hatte. 875 Nach der Ankunft am Gestade wird der Widder zu einem Sternbild211; sein goldenes Vlies jedoch gelangt in den Palast von Colchis212. 26. März Sobald die herannahende Eos drei Morgensterne vorausgeschickt hat, wirst du die Zeiten des Tages als gleich lang denen der Nacht213 bezeichnen. 30. März Sobald dann viermal der Hirte die satten Böcke eingesperrt hat, 880 sobald die Gräser vom frischen Tau viermal weiß geworden sind, wird Ianus214 anzubeten sein und mit ihm die sanftmütige Concordia215 und die römische Salus216 und die Ara Pacis217. 31. März Luna218 regiert die Monate: Die Länge auch dieses Monats begrenzt Luna, die auf dem Gipfel des Aventin zu verehren ist.

Anmerkungen zum dritten Buch 1.

2. 3.

4.

5. 6.

7.

Die Bezeichnung März wird vom römischen Kriegsgott Mars abgeleitet. Bereits in der Antike wurde diskutiert, ob die Ursache für die herausgehobene Stellung dieses Gottes im Kalender die generelle kriegerische Natur der Römer sowie anderer latinischer Volksstämme ist (so auch fast. 3.87–96, Varro in Cens. 22.10f., CIL 1.1 pp. 233, 286) oder ob Romulus in der Gestaltung des Kalenders seinem Vater den ersten Monat gewidmet hat (vgl. 1.39f., 3.75–78, auch Cens. 22.9, Plu. quaest. R. 19). Zu Mars als mythischem Urahn der Römer s. 1.39f., 2.381–422 sowie 3.9–60. Minerva, Teil der kapitolinischen Trias, gilt als kriegerisch, weil sie mit der griechischen (Pallas) Athena identifiziert wird. Aber sie ist auch die Göttin der Künste (fast. 3.6, 3.814–834). Gemeint ist Rhea Silvia. Nachdem ihr Onkel Amulius die Macht in Alba Longa an sich gerissen und ihren Bruder getötet hatte, machte er die Nichte zur Vestalin und zwang sie somit zur Virginität, um zu verhindern, dass ein rechtmäßiger Thronfolger geboren wird. Da Silvia durch die Geburt der Zwillinge erst die Gründung Roms möglich machte, liegt in der Formulierung Romana sacerdos ein Anachronismus vor. Loci amoeni werden bei Ovid oft als Ausgangsort für Entführungen, Vergewaltigungen oder andere verhängnisvolle Ereignisse verwendet, so z. B. im Mythos um Proserpina (met. 5.385–391) oder um Actaeon (met. 3.155–162). Das hier geschilderte Wasserholen gehörte zum täglichen Ritus der Vestalinnen. Mars nutzte nun seine Chance, die arglose Silvia zu schwängern; seine Macht und Überlegenheit wird im Folgenden durch die aktiven Verben (videt – cupit – potitur – fefellit: VV. 21f.) verdeutlicht, wohingegen das Opfer durch passive Partizipien charakterisiert wird (visam – cupita: V. 21). Das ganze Geschehen ist insofern besonders verwerflich, da Silvia im Rahmen einer Kulthandlung in diese ausweglose Situation kommt. Die Vestalinnen wachten über das ilische Feuer; s. fast. 1.527f. Bei rituellen Handlungen trugen oft Opfertiere, aber auch Priester wollene Opferbinden (so z. B. in 2.21, 6.458). Ebenfalls war auch der Kopf der Vestalinnen mit dieser Kopfbinde als Zeichen ihrer Jungfräulichkeit umwunden. Die vitta wurde einer Vestalin genommen und sie wurde auf den sog. Campus Sceleratus gebracht (s. dazu 6.457–460), wenn sie ihre Keuschheit nicht gewahrt hatte. Silvia interpretiert ihren Traum dahingehend, dass sie ihre Jungfräulichkeit verloren hat. Die Palmen stehen für die Zwillinge, die Amulius beseitigen will.

Anmerkungen zum dritten Buch

8.

9. 10. 11.

12.

13.

14. 15.

16. 17.

18. 19. 20.

219

Der Specht gilt als dem Mars heilig und nährt, genauso wie die Wölfin, die Zwillinge nach ihrer Aussetzung (s. fast. 3.54, Plu. Rom. 4.2, quaest. R. 21). Es soll sich hierbei um Picus, einen altitalischen König und Sohn des Saturn, handeln, der von Kirke in einen Specht verwandelt worden sei (vgl. Verg. Aen. 7.188–191, Ov. met. 14.320–396). Zur Wölfin als Amme s. fast. 2.413–422. I. e. Romulus; zum Anachronismus s. auch fast. 1.37, 2.475–512. I. e. Sol. Dass Götterbilder auf menschliche Handlungen reagieren, wie hier Vesta auf die Geburt in ihrem Tempel, findet sich auch an anderer Stelle (z. B. Suet. Cal. 57.1, Val. Max. 1.8.3f.). Interessant ist, dass in fast. 6.295–298 erläutert wird, es gebe kein Bildnis oder Statue im alten Rundtempel der Vesta. Diese Aussage kann man allerdings nicht als absolut auffassen, da sehr wohl Vesta-Abbilder belegt sind, z. B. als Teil der zwölf olympischen Götter auf dem Forum (Enn. ann. 62f. zitiert bei Apul. Socr. 2, Varro rust. 1.1.4) oder im neuen Vesta-Heiligtum des Augustus auf dem Palatin (s. dazu fast. 4.949–954 m. Anm. zu 949). Nach der Usurpation Alba Longas und Maßnahmen zum eigenen Machterhalt ließ Amulius die geborenen Zwillinge, potentielle Rächer, aussetzen. Später jedoch rächten die Jungen die Untat (fast. 3.67f., Liv. 1.5.7, D.H. 1.79–83). Die Verse 49–56 sind eine verkürzte Version der Verse 2.383–422. Die Dublette des vorliegenden Buches wäre wahrscheinlich bei einer vollständigen Überarbeitung getilgt worden (ähnlich der redundanten Episoden in 1.27–44 und 3.99–134). In der gängigen Tradition ist Acca Larentia die Frau des Hirten Faustulus, der die Zwillinge findet und zusammen mit seiner Frau aufzieht (Liv. 1.4.6f., Plu. Rom. 4.3f., quaest. R. 35). In Erinnerung an die aufopfernde Haltung wurden im Dezember die sog. Larentalia begangen, die Latte, Religionsgeschichte 92 und CIL 1.1 pp. 226, 238 auf den 23. Dezember datieren. Ovid gibt an, dass er eigentlich das römische Jahr in seiner Gänze behandeln möchte. Im Dezember fanden auch die den genii gewidmeten Saturnalia statt. Gemeint ist Rhea Silvia; Naevius und Ennius (vgl. Serv. Aen. 1.273, 6.777) nennen Ilia, die Tochter des Aeneas, als Mutter der Zwillinge, später verschmilzt Ilia jedoch mit Rhea Silvia zu einer Person, sodass eine Differenzierung nicht mehr möglich ist, so z. B. Serv. Aen. 6.777, D.S. 7.5.1, D.H. 1.73.2, Plu. Rom. 3.3. Vgl. fast. 2.363–378. I. e. Numitor; zur Genealogie der Könige Alba Longas s. 4.31–56. Zum fatalen Streit unter den Brüdern s. 4.809–858, 5.451–480.

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Festkalender

21. Als „Kekropiden“ wurden die Athener nach ihrem mythischen König Kekrops bezeichnet (s. Hdt. 8.44.2, Ov. met. 7.486, 7.502, 7.671, fast. 4.504). 22. S. Anm. zu fast. 3.5. 23. Der mythische König Minos herrschte in Knossos auf Kreta. 24. Hier ist nicht die römische Göttin Diana gemeint, sondern eher ihr griechisches Gegenstück Artemis, in der die noch älteren Göttinnen Diktynna (s. fast. 6.755 m. Anm.) und Britomartis (Call. Dian. 190–198) aufgegangen sind. 25. Gemeint ist die Insel Lemnos, wo die mythische Prinzessin Hypsipyle gelebt haben soll. 26. Volcanus / Hephaistos ist besonders mit Lemnos verbunden, da er nach seiner Vertreibung aus dem Himmel dort aufgeschlagen (Hom. Il. 1.589– 594, Apollod. 1.19) oder aber von Hera absichtlich dorthin geschleudert worden sein soll (Il. 18.395–397). 27. Stadt auf der südlichen Peloponnes. 28. Schon Homer bezeichnet die Städte Argos, Sparta und Mykene als Heras liebste Orte (Il. 4.51f.; s. auch fast. 6.47f.). 29. Stadt auf der Peloponnes nördlich von Argos. 30. Die Pelopeiaden leiten sich von Pelops ab, Vater des Königs Atreus von Mykene und Großvater des Agamemnon. 31. Der arkadische Berg Mainalos wird besonders mit Faunus / Pan verbunden; vgl. hierzu Paus. 8.36.7f. 32. Zu Faunus / Pan s. Anm. zu fast. 2.193. 33. Die Bewohner der Stadt Alba Longa (s. dazu Anm. zu fast. 2.499); heute: Castel Gandolfo. 34. Zu den Faliscern vgl. Anm. zu 1.84. 35. Die Hernicer lebten nahe Lanuvium und Alba Longa (Str. 5.3.4). 36. Aricia befindet sich am 16. Meilenstein der Via Appia in Latium. 37. Telegonos, ein Sohn von Odysseus und Kirke, soll in den Albaner Bergen Tusculum gegründet haben (D.H. 4.45.1, Liv. 1.49.9). 38. S. Anm. zu fast. 2.679. 39. Die Aequer / Aequiculer waren ein kriegerisches Volk am Anio. 40. Vgl. Anm. zu fast. 2.135. 41. Ein eingewandertes, mit den Sabinern vermischtes Volk, in dessen Gebiet auch Ovids Heimat Sulmo (s. fast. 4.686) lag. 42. I. e. Mars; vgl. dazu fast. 1.39f. und besonders 3.9–78. 43. Zum Kalender unter Romulus vgl. fast. 1.27–44 und Einleitung. 44. Die Hyaden bilden den Kopf des Sternbildes Stier. Zur Anzahl der Sterne gibt es unterschiedliche Angaben; Ovid geht in fast. 5.165f. von sieben Schwestern, den Töchtern des Atlas und der Aithra aus (fast. 5.171;

Anmerkungen zum dritten Buch

45. 46.

47. 48. 49. 50.

51. 52.

53.

54. 55. 56. 57.

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Hyg. fab. 192 nennt als Mutter hingegen Pleione oder Aithra). S. die Abhandlung in fast. 5.163–182. Diese sieben Töchter der Okeanide Pleione und des Atlas (fast. 5.83f.) bilden nach ihrem Katasterismos den Körper des Stiers. Zu den einzelnen Pleiaden s. fast. 4.169–178 mit Anmerkungen. Seit Arat (36–44) wird dieses Sternbild Kynosura genannt. Entweder ist die Nymphe Kynosura, eine Amme des Zeus, aus Dank für ihre Dienste verstirnt worden (Hyg. astr. 2.2, fab. 224) oder die Nymphe Phoinike ist von Artemis in das Sternbild verwandelt worden, nachdem Zeus sie vergewaltigt hat, ohne dass ersichtlich ist, wie es zu dem Namen Kynosura gekommen ist (Eratosth. Cat. 2). Sidon, Stadt in Phönizien; hier als Pars pro toto für „phönizisch“. Arat (36–44) ist mit seiner Bezeichnung Helike für den „Großen Bären“ richtungsweisend. S. auch fast. 2.153–192, met. 2.401–532. Luna, die Mondgöttin, und Sol, der Sonnengott sind Kinder der Titanen Hyperion und Theia. Zur Verehrung der Luna vgl. Anm. zu 3.883f. Ein Manipel im Heerwesen ist ein Heubündel. Die römische Legion wurde in der Heeresreform von 340 v. Chr. umstrukturiert, sodass man fortan drei Reihen mit unterschiedlicher Bewaffnung (hastati, principes, triarii) hatte. S. auch Polybios’ ausführliche Beschreibung (6.19–25) sowie Walbank zu 6.21.7f. (A Historical Commentary on Polybius, 3 Bde., Oxford 1957–1979). Ein lustrum ist ein Begriff, den man in der Regel aus dem von den Censoren durchgeführten Census kennt. Im Allgemeinen bezeichnet es jedoch einen Zeitraum von fünf Jahren. Die Einteilung der Schlachtreihen in die Abteilungen hastati, principes und triarii (bzw. bei Ovid pilani) geht auf die Manipeltaktik zurück (s. Anm. zu fast 3.118). Die jungen und weniger erfahrenen hastati trugen scutum (Schild), pilum (Wurfspeer) und gladius (Schwert). Die principes standen ursprünglich in der ersten Reihe (daher die Bezeichnung). Im Rahmen der Reform um die Manipeltaktik rückten diese erfahrenen Krieger zugunsten der hastati in die zweite Reihe. Auch sie trugen pilum, gladius und scutum. Diese dritte Einheit im Manipularheer bestand aus altgedienten Veteranen. Nach der Heeresreform kamen bei ihnen hasta, gladius und scutum zum Einsatz. Im Folgenden werden die drei frühen römischen Tribus benannt, darunter die Titienses, die vom Sabiner Titus Tatius hergeleitet werden. Die Ramnes waren die Ur-Römer. Livius erläutert, es sei unklar, woher die Luceres ihren Namen haben (Liv. 1.13.8). Varro (bei Serv. Aen. 5.560) deutet ihn als etruskisch (von

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lucumo = „König“), Plutarch (Rom. 20.2) hingegen sieht eine Verbindung zu lucus („Hain“), was eventuell auf das Asylum des Romulus hindeuten kann (s. dazu fast. 3.431f.). S. zu dieser kleinen Dublette fast. 1.35f. Einerseits bestanden Sieger- und später auch Kaiserkränze aus Lorbeer, andererseits besaß sein Laub auch apotropäische Wirkung, sodass es sich vor den Zugängen der Curie, vor dem Haus des Opferkönigs, der flamines und des Vesta-Tempels fand (s. Plin. nat. 15.135). Zu den flamines vgl. Anm. zu 2.21. I. e. der Lorbeerbaum (griech.: δάφνη); nach der Verwandlung der Nymphe Daphne in einen solchen Baum (met. 1.452–567) ist er mit Apoll eng verbunden. Vgl. 3.29. Zu Anna Perenna und ihrem Fest im März s. fast. 3.523–696. Erst ab 153 v. Chr. wurde ein offizielles Amt an den Kalenden des Januar aufgenommen, so belegt in CIL 1.1 pp. 231, 286; Liv. perioch. 47.13: hier allerdings ab 156 v. Chr. Der „treulose Punier“ gehört zur anti-karthagischen Propaganda; s. auch fast. 6.242, Liv. 21.4.9, 22.6.12. Ovid dürfte hier auf den dritten Punischen Krieg (149–146 v. Chr.) verweisen, der zeitlich nahe an dem Jahr der Änderung des Amtsantritts liegt. Zur Monatsbezeichnung s. fast. 1.39–42 m. Anm. I. e. Numa Pompilius, der zweite König Roms; s. Anm. zu 1.43. Gemeint ist der Philosoph Pythagoras, der von der Insel Samos stammte. Schon Cicero und Livius erläutern, dass Pythagoras viel jünger als Numa sei und mindestens ein saeculum nach ihm gelebt haben müsse (Cic. rep. 2.28f., de orat. 2.154, Liv. 1.18.3). Egeria gilt als Ehefrau und weise Ratgeberin des Königs Numa (D.H. 2.60.4–7, Ov. fast. 3.273–299, Plu. Num. 4.2). Nach Numas Tod soll sie in eine Quellnymphe verwandelt worden sein (Ov. met. 15.482–551). Zu ihrer Quelle vgl. auch fast. 3.259–276. 46 v. Chr. führte Caesar die sog. Iulianische Kalenderreform durch, sodass das Jahr, dem nun ein Sonnenjahr zugrunde gelegt worden war, 365 Tage hatte und in jedem vierten Jahr ein Schalttag eingeschoben wurde (vgl. Cens. 20.6–11, Suet. Iul. 40, Macr. Sat. 1.14, Plu. Caes. 59). Da Caesar erst posthum vergöttlicht wurde, stellt die Aussage einen Ana­ chronismus dar. Zur Berechnung der Schalttage vgl. Frazer ad loc. I. e. Mars; zur Etymologie vgl. auch Anm. zu 2.861. An den Kalenden des März feierte man die Matronalia. An diesem antiken „Muttertag“ beteten die Ehemänner für ihre Frauen und sie erhiel-

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ten kleine Geschenke (Mart. 5.84, Tib. 3.1.1–4, Suet. Vesp. 19.1). Hintergrund dieses Festes sei einerseits ihr tapferes Verhalten im Kampf zwischen Römern und Sabinern (s. insbesondere fast. 3.179–232, Plu. Rom. 21.1, Serv. Aen. 8.638), andererseits weil dieser Tag der Schutzpatronin der (werdenden) Mütter, Iuno Lucina, gewidmet sei (s. fast. 3.243–258). Namensvariante des Mars. Die casa Romuli steht sprichwörtlich für die Bedürfnislosigkeit der Frühzeit (s. dazu auch Anm. zu 1.199). Die Consualia, die Feierlichkeiten des Agrargottes Consus, wurden am 21. August sowie am 15. Dezember begangen. Der Hinweis darauf, dass der Sprecher zu gegebener Zeit auf das Fest zurückkommen werde, ist ein textimmanentes Signal auf die Absicht Ovids, das Jahr vollständig zu erörtern. Auch Caenina, Crustumerium und Antemnae sollen von der Entführung betroffen gewesen sein (Liv. 1.9.8–10.2, fast. 2.135). Hersilia ist Romulus’ Frau, somit Schwiegertochter des Mars. Zur Etymologie vgl. Anm. zu 1.260. Mars schwängerte Rhea Silvia (fast. 3.9–48), die oft auch Ilia heißt (D.H. 1.76.3, Plu. Rom. 3.3, vgl. Anm. zu fast. 2.598, 3.62). Etymologisch wird der Esquilin mit excubiae („Wachposten“) in Verbindung gebracht; s. auch Varro ling. 5.49. Der Tempel für Iuno Lucina, die Geburtsgöttin, wurde 375 v. Chr. an den Kalenden des März auf dem Esquilin eingeweiht; s. auch fast. 2.435– 452, m. Anm. zu fast. 2.450, CIL 1.1 p. 233. Iuno ist Mars’ Mutter. Vgl. fast. 2.449f., wo Ovid eine weitere Namensdeutung bietet. Zum Gebot, „gelöst zu sein“, s. auch Frazer, Bough 3.293–317. Dieses alte Priesterkollegium vollzog den Waffentanz für Mars an dreißig Tagen (D.H. 2.70.2, Plb. 21.13.10–12). Dabei tanzten sie im sog. tripudium (= „Dreischritt“) (Liv. 1.20.4, Plu. Num. 13.7f.) und schwangen das ancile. Man leitete die Bezeichnung Salii gemeinhin von salire („hüpfen“) ab (fast. 3.387). Zum Schmied Mamurius s. fast. 3.383–392, zur Vorgeschichte und zur Übergabe des wichtigen ancile s. fast. 3.345–378. Diana habe Egeria in ihrer Trauer über den Tod ihres Mannes Numa erhört und sie aus Mitleid in eine Quellnymphe verwandelt (met. 15.482– 551). Zu Egeria vgl. Anm. zu 3.154. Vgl. zu Numa Pompilius Anm. zu 1.43. S. Anm. zu fast. 3.91.

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92. Hippolytos wurde nach seinem schändlichen Tod und der Wiederbelebung durch Asklepios zum Gott Virbius, der verbunden mit Artemis / Diana im Hain bei Aricia weiterleben konnte. Vgl. zu dieser Familientragödie auch fast. 6.737–762. 93. Der sog. Rex Nemorensis, der Priester der Diana Nemorensis in Aricia, musste seinen Vorgänger mit einem Ast vom heiligen Baum töten, um selbst „Oberpriester“ werden zu können. S. zum Ursprung dieses Ritus Bömer und Frazer ad loc. sowie Bough 1.11. 94. Die Camenen, obwohl sie ursprünglich als Schwestern der Egeria Quellnymphen waren, wurden mit den Musen identifiziert. 95. Numa reformierte einige Bereiche der römischen Gesellschaft und gab der noch recht unzivilisierten Bürgerschaft Rechts- und Verhaltensregeln; s. auch Plu. Num. 8.1, D.H. 2.62.5, Liv. 1.19.1. 96. Zu Picus vgl. fast. 3.37f. m. Anm. 97. Zu Faunus s. Anm. zu 2.193, zu seinem Fest s. fast. 2.267–452. 98. Die Götter rufen die unterirdische Styx bei Eiden an (z. B. Hom. Il. 2.755, 14.271, Ov. met. 3.290f., fast. 5.250, Verg. Aen. 6.323f.). 99. Etymologisch von elicere („hervorlocken“) abzuleiten (Varro ling. 6.94). Elicius’ Altar auf dem Aventin soll Numa errichtet haben (Liv. 1.20.7). 100. Gemeint ist Apoll. Er wird „cynthisch“ genannt, weil die Insel Delos mit dem Berg Kynthos dem Apoll, Bruder der Diana, besonders heilig war. Zur Identifika­tion mit Helios s. Anm. zu 1.164. 101. Etymologisch ist ancile entweder von ambecisus (Varro ling. 7.43) bzw. recisum (Fest. s. v. Mamuri Veturi 117L) oder vom griechischen ἀγκύλος „krumm“ (Plu. Num. 13.9) abzuleiten. 102. Vgl. fast. 3.259 mit Anm. 103. Nicht nur an den dreißig Tagen der Waffentänze im März (s. o.) sollte man eine Vermählung aufschieben, sondern insbesondere auch an allen Tagen, an denen man der Toten gedachte, so z. B. an den Parentalia (13.–21. Februar: s. fast. 2.557–562), an den Lemuria (9., 11., 13. Mai: s. fast. 5.487–490), aber auch in der ersten Juni-Hälfte (fast. 6.223–234). Generell sei auch der Mai ungünstig für Eheschließungen (fast. 5.489f.). 104. Die Gattin des flamen Dialis (zu ihm vgl. Anm. zu 2.282), der die ihm eigene „Spitzmütze“ (apex) trug, war die sog. flaminica, der an den Tagen der Waffentänze bestimmte alltägliche Tätigkeiten verboten waren (s. dazu auch die Verbote im Juni vor dem Fest Quando stercus delatum fas in fast. 6.229–234). 105. Dieser Südwind (griech. Νότος) bringt Regen und Sturm. 106. Zum Aquilo-Wind (bzw. griech. Βορέας) s. Anm. zu fast. 2.147.

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107. Schon Arat (239–247) unterteilt das Sternbild Fische in einen nördlichen Fisch (Boreios /Aquilonius) und einen südlichen (Notios). Zur Verstirnung der Fische s. auch 2.457–474. 108. I. e. Aurora, Göttin der Morgenröte. Sie vergießt safranfarbene Tautränen, aus Trauer über ihren von Achill getöteten Sohn Memnon (met. 13.576–622; s. Anm. zu fast. 4.713). 109. Zu Tithonos vgl. Anm. zu 1.461. 110. Gemeint ist Arkas, Sohn der Kallisto, der nach seinem Katasterismos als Bärenhüter (Arktophylax) am Himmel zu sehen ist (s. dazu und zum Kallisto-Mythos fast. 2.153–192). Dasselbe Sternbild wird auch Ochsentreiber (Bootes: Hom. Od. 5.272, Ov. met. 2.176f., Catull 66.67) genannt, weil er die „Dreschochsen“ (Septentriones) vor sich her treibe. 111. Der Satyr Ampelos, der Geliebte des Dionysos, wird, nachdem er von einer Ulme stürzte und verstarb, von ihm verstirnt und leuchtet fortan als Stern Vindemitor am Himmel. 112. Ismaros ist eine für ihren Wein bekannte Stadt in Thrakien, daher auch mit Bacchus verbunden. 113. Liber Pater wird mit Bacchus identifiziert (s. Anm. zu 1.403). 114. Vgl. fast. 1.527f. und Anm. zu 3.29, 3.142. 115. Nach dem Tode des vorherigen Pontifex Maximus, Aemilius Lepidus, wurde Augustus am 6. März 12 v. Chr. zum Nachfolger gewählt (s. dazu Mon. Ancyr. 7.3, CIL 1.1 pp. 223, 233, 311; nur die beiden letztgenannten Stellen mit der Jahresangabe). Der Pontifex Maximus stand als Oberpriester den Vestalinnen vor und war somit auch eng mit Vesta selbst verbunden. Gerade Augustus hob seine eigene besondere Stellung zu Vesta hervor, da er mit ihr verwandt sei (s. dazu fast. 3.425f. m. Anm.), sodass er ihr sogar ein eigenes kleines Heiligtum in seinem Palast bauen ließ (dazu fast. 4.949–954). Andere frühere Ehrentitel und außerordentliche Privilegien sind u. a. die Verleihung der sacrosanctitas tribunicia (36 v. Chr.), die Verleihung des Titels „Augustus“, der corona civica und des imperium proconsulare (27 v. Chr.) sowie die Verleihung der vollen tribunicia potestas und des imperium proconsulare maius (23 v. Chr.). 116. Gemeint sind insbesondere die Penaten (s. Anm. zu fast. 1.527), das Palladion (s. Anm. zu fast. 6.421), das ilische Feuer, aber auch das ancile des Mars (vgl. fast. 3.373–384). 117. Über Aeneas’ Sohn Iulus (Ascanius) konstruiert die Gens Iulia ihre Abstammung von Venus und Troja her (s. dazu auch 4.39f. m. Anm.). Laut Hesiod (Th. 454) und dem Aphrodite-Hymnos (h. Ven. 22) ist Vesta eine Tochter von Saturn und Rhea und somit Schwester von Iuppiter. Auf diese Weise wird sie zur Tante der Venus, die ihrerseits wiederum die Mutter

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von Aeneas ist. Durch die Konstruktion dieser komplizierten Familien­ bande zeigt sich Ovid hier erneut in hellenistischer gelehrter Manier. 118. Hier ist der Tempel zwischen der Arx und dem Capitol gemeint, der 192 v. Chr. von Q. Marcius Ralla geweiht wurde (s. auch Vitr. 4.8.4, Liv. 35.41.8). Ein weiterer Tempel wurde ihm 194 v. Chr. auf der Tiberinsel geweiht (s. auch Anm. zu 1.294). 119. Zum umzäunten Asylum des Romulus s. Verg. Aen. 8.342, Liv. 1.8.5, D.H. 2.15.4, Str. 5.3.2, Plu. Rom. 9.3. 120. Ovid versucht sich an der Namensklärung für Veiovis und zieht vergleichbare Wörter mit dem Präfix „ve“- (= „klein“ oder „jung“) heran, so z. B. vegrande, vesca (3.445–448). Demnach sei Veiovis ein Deminutiv für der „kleine Iuppiter“. Weitere Erklärungen bei Frazer ad loc. und zu Vers 445. 121. Ovid weicht hier von den beiden gängigen Versionen ab: Homer (Od. 11.307–316) und Apollodor (1.54). S. auch fast. 1.307f. m. Anm., ebenso zu den folgenden Gebirgen. 122. Die Ziege der Nymphe Amalthea soll Zeus auf Kreta genährt haben (vgl. zum Katasterismos fast. 5.111–128 m. Anm. zu 113). 123. Gemeint ist Pegasos, der als geflügeltes Pferd dem Haupt der Gorgone Medusa, deren Blick alles in Stein verwandelte, entsprang, als diese von Perseus getötet wurde (Hes. Th. 280–286, Apollod. 2.42, Ov. met. 4.785f.). Nur mit Hilfe von Hermes und Athene konnte Perseus dies unbeschadet ausführen. 124. Die Krone von Knossos meint die von Hephaistos für Ariadne gefertigte Hochzeitskrone. Nachdem Theseus sie nach der gemeinsamen Flucht von Kreta auf Dia oder Naxos zurückgelassen hatte, heiratete Dionysos die Prinzessin. Nach ihrem Tod wurde die Krone verstirnt (vgl. Arat. 71– 73, Eratosth. Cat. 5). 125. Theseus, Sohn von Poseidon, wuchs bei seinem menschlichen Ziehvater Aigeus, König von Athen, auf. Es gelang ihm, das kretische Unge­heuer Minotaurus zu töten und die Athener damit von der Verpflichtung zu erlösen, alle neun Jahre sieben Jungfrauen und junge Männer nach Kreta zur Opferung zu schicken. Nur mit Hilfe der Ariadne gelang es ihm, aus dem Labyrinth des Minotaurus wieder herauszufinden, sodass beide gemeinsam nach vollzogener Tat vor dem kretischen König Minos fliehen mussten. Auf Naxos ließ Theseus seine Geliebte auf Geheiß des Diony­ sos zurück, der sie für sich haben wollte. S. zum Mythos auch Ov. met. 8.155–182, ars 1.525–562, Catull. 64.76–201. 126. Bacchus entspricht dem griechischen Dionysos. 127. Dionysos (= Liber) soll Indien, also das Morgenland (= „Land der Eos“) erobert haben (z. B. bei D.S. 2.38.3–6, 4.5.2, Arr. An. 5.1.1f., 6.28.1f.).

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128. Da Pasiphaes Mann, König Minos, das göttliche Gebot ignorierte, den sehr hübschen, von Poseidon gesandten Stier als Opfer darzubringen, wurde die Königin zur Strafe für die Hybris von Leidenschaft zu dem Tier gepackt und ließ sich ohne Wissen des Minos von Daidalos eine Kuh­attrappe bauen, um ihrem Verlangen nachzugehen. Daraus entstand der Minotaurus. Auch Dionysos hat als Attribute oft Stierhörner; s. dazu Frazer, Bough 5, Bd. 1.16f., Bd. 2.3–5. 129. Dionysos’ Mutter Semele, die von Zeus schwanger war, wollte ihn nur einmal in ganzer Schönheit sehen und wurde durch seinen Blitz verbrannt. Das ungeborene Kind, Dionysos, rettete Zeus jedoch und nähte es in seinen eigenen Schenkel ein; vgl. E. Ba. 1–3, 242–245, Apollod. 3.27, Ov. met. 3.253–315, fast. 3.715–718. 130. Liber und Libera bilden ein urrömisches Götterpaar (s. z. B. Aug. civ. 4.11, 6.9). Aufgrund der Verbindung von Liber und Dionysos identifiziert Ovid Libera hier mit Ariadne. 131. Zu den Equirria s. Anm. zu 2.859. 132. Einer der sieben Hügel Roms. 133. Die Natur dieser Göttin ist unklar (s. zu Erklärungsversuchen 3.543–660: Didos Schwester; 3.661–674: Anna aus Bovillae). Am 15. März wurde für sie am 1. Meilenstein auf der Via Flaminia ein ausgelassenes Fest gefeiert (CIL 1.1 pp. 242, 311). 134. I. e. der Tiber. 135. Nestor, weiser Mentor des Agamemnon und Begleiter im Trojanischen Krieg, ist sinnbildlich geworden für sein hohes Alter. 136. Sprichwörtlich geworden ist auch das hohe Alter der Sibylle(n) (vgl. z. B. Pont. 2.8.41). 137. Die (ursprünglich phönizische) Prinzessin Dido gründete in Karthago ein neues Königreich. Nach dem Fall Trojas kam Aeneas nach Karthago und verliebte sich in Dido. Allerdings wollte das fatum, dass er in Italien ein neues Reich gründete. Über die heimliche Abreise zutiefst betrübt verfluchte Dido Aeneas und seine Abkömmlinge und beging Selbstmord. Vgl. dazu Verg. Aen. 1.494–756, Buch 4 mit Didos Fluch in 4.607–629. 138. Zur Erklärung der im Folgenden genannten Völker: Die Numider waren ein Volk im heutigen Nordalgerien, westlich von Karthago. Auch wenn Iarba hier Maurus genannt wird, war er eigentlich König der Gaetuler, östlich von Numidien und südlich von Karthago (so bei Verg. Aen. 4.325–327, Ov. epist. 7.125). Tyrii sind die Karthager, benannt nach ihrer phönizischen Stadt Tyros. 139. Iarba / Iarbas überließ Dido ein Territorium in der Hoffnung, sie heiraten zu können. Nach ihrem Freitod erhielt er das blühende Karthago als Entschädigung für die Zurückweisung (s. Verg. Aen. 4.36, 196–218, 326).

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140. I. e. Dido; belegt seit Timaios (FGrHist. 566 F 82). 141. Sich als Zeichen der Trauer die Haare zu schneiden und dem Toten als Grabbeigabe hinzuzulegen (z. B. Hom. Il. 23.135–153), gehörte genauso zum Trauerritual, wie den Toten zu salben (Hom. Il. 18.350, 23.170f., 24.582, 587, Verg. Aen. 6.219, Ov. fast. 4.853) und ihm einen letzten Kuss zu geben. Neben dem abgeschnittenen Haar ist auch die aufgelöste Frisur rituell belegt (z. B. fast. 4.854). 142. Das heutige Malta, das eine phönizische Kolonie war. 143. Insel nahe Malta (Plb. 3.96.13, Str. 17.3.16, Mela 2.120). 144. Battus gehört eigentlich nach Kyrene (Hdt. 4.150–163). 145. Nach der Ermordung von Didos Mann Sychaeus riss deren Bruder Pygmalion die Macht in Tyros an sich. Durch Sychaeus’ Geist veranlasst, ergriffen die Schwestern die Flucht. Anna wurde auch nach Didos Tod weiterhin von Pygmalion verfolgt (s. auch Verg. Aen. 1.346–368, Timaios FGrHist. 566 F 82). 146. Fluss in Bruttium, der bei Thurioi ins Meer mündet. 147. Anderswo nicht belegt. 148. Zu Notus / Auster vgl. Anm. zu 3.402. 149. Vater der Lavinia, vgl. Anm. zu 2.544. 150. Der treueste Gefährte des Aeneas. 151. I. e. Aeneas, bezeichnet nach der griechischen Insel Kythera, auf der Aphrodite/Venus, die mythische Mutter des Aeneas, besonders verehrt wurde. 152. Ursprünglich bezeichnete der Tartaros den Ort in der Unterwelt noch unter dem Hades und war für Verbrecher vorgesehen (Il. 8.477–481, Hes. Th. 717–745, Verg. Aen. 6.542f., 6.573–627 mit „Sünderkatalog“), allerdings wird er später synonym für den Hades gebraucht. In der Aeneis trifft Aeneas Dido auf den sog. lugentes campi, dem Bereich der vor Liebe unglücklich Verstorbenen (Aen. 6.440–476). 153. Super … iacet: Tmesis. 154. Flussgötter haben häufig Hörner als Attribut (z. B. S. Tr. 9–17, 507–510, Ov. met. 14.602, Verg. Aen. 8.77 s. dazu auch Fordyce, C.J., P. Vergili Maronis Aeneidos libri VII–VIII, Oxford 1977). 155. Flussgott und Fluss nahe Lavinium, wo Aeneas in seiner letzten Schlacht ertrunken sein und schließlich eine Apotheose zu Indiges erfahren haben soll (Ov. met. 14.597–608). 156. Zu „Sidonis“ als Synonym für „phönizisch“ s. Anm. zu 3.107. 157. Hier wird die Göttin Anna Perenna erneut mit Didos Schwester Anna in Verbindung gebracht, allerdings nach ihrer Apotheose zur Nymphe, die fortan als „nie versiegender“ Fluss dahingleitet. Der Namensbestandteil „Perenna“ leitet sich, so Ovid, von perennis ab.

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158. Im Folgenden werden Erklärungen gebracht, die auf einer Etymologie zwischen Perenna und annus („Jahr“) beruhen. Erstens: Luna als Mondgöttin; s. zu ihr Anm. zu 3.109f. sowie zu 3.883f. 159. Zweitens: Themis ist eine Göttin des Rechts und als Mutter der Horen eine Gottheit über die Jahreszeiten; somit besteht wieder eine konstruierte Verbindung zwischen Perenna und dem Jahr. 160. Gemeint ist Inachos’ Tochter Io, die in eine Kuh verwandelt wurde; vgl. hierzu Anm. zu 1.454. Durch ihre Identifikation mit der ägyptischen Isis gilt Io auch als Mondgöttin. 161. Neben der Variante, Zeus sei auf Kreta aufgewachsen, wird seine Kindheit auch mit dem arkadischen Berg Lykaion verknüpft (vgl. auch fast. 2.290 m. Anm.). „Azanisch“ leitet sich vom Arkader Azan ab, einem Sohn des Arkas und der Nymphe Erato, und wird ethnographisch syn­ onym für „arkadisch“ verwendet. 162. Durch die sog. erste secessio plebis im Jahre 494 v. Chr. konnten die Plebejer erreichen, dass ihre Vertreter auch Volkstribune werden konnten (s. Liv. 2.32f., D.H. 6.45–90). 163. Stadt ca. 11 Meilen südöstlich von Rom. 164. I. e. Mars; s. fast. 2.861 m. Anm. und 3.169. 165. Zu Minerva als kriegerischer Göttin vgl. Anm. zu 3.5. 166. Gemeint ist die Ermordung Caesars an den Iden des März im Jahre 44 v. Chr. (vgl. dazu Plu. Caes. 66, Suet. Iul. 82, D.C. 44.19). 167. Im Jahre 63 v. Chr. wurde Caesar als Nachfolger des Q. Caecilius Metellus Pius zum Pontifex Maximus, dem für die Vestalinnen und den Vesta-Kult zuständigen Priester, gewählt (Sall. Catil. 49.2, Vell. 2.43.3, Suet. Iul. 13). Vesta sei es auch gewesen, die Caesar nach dem Angriff entrückte und dadurch vor dem „richtigen“ Tod schützte, wohingegen in met. 15.843–851 Venus, die Urahnin der Gens Iulia, dies vollbracht haben soll. 168. Bald nach seinem Tode wurde Caesar divinisiert und ihm wurde ein Heiligtum gelobt. Der Tempel wurde jedoch erst am 18. August 29 v. Chr. auf dem Forum, wo sein Leichnam verbrannt worden war, eingeweiht (Mon. Ancyr. 19.1, D.C. 51.22.3–9). 169. Octavian und Antonius schlugen 42 v. Chr. in der Schlacht bei Philippi die Caesarmörder Brutus und Cassius und konnten auf diese Weise Cae­ sars Ermordung rächen. 170. I. e. der spätere Augustus, der seinen Adoptivvater rächte. 171. Gemeint sind die Liberalia, die zu Ehren des Gottes Bacchus / Liber am 17. März gefeiert wurden. 172. Zur Tragödie um Semele, die Mutter des Dionysos, s. fast. 3.504 m. Anm. und 6.485, met. 3.253–315.

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173. Im Folgenden stellt Ovid in einer Praeteritio eine Verbindung, wie bereits in 3.465f., zwischen dem realen Indienfeldzug des Alexander und dem mythischen des Dionysos her. Die thrakischen Sithonen lebten auf der Halbinsel Sithonia (Str. 7a.1.11, Hdt. 7.122, Plin. nat. 4.41). 174. Die Skythen, ein nomadisches Reitervolk, fand man in den Steppen nördlich des Schwarzen Meeres. Oft wurden auch andere Völker, z. B. die Saken und Massageten, darunter subsumiert. 175. Synonym für ganz Indien. 176. Es folgen, erneut in einer Praeteritio, Anspielungen auf weitere Mythen um Dionysos/Bacchus: Pentheus, Sohn des Echion und der Agaue, zweifelt an der Göttlichkeit des Bacchus und wird daraufhin von seiner eigenen Mutter und den Bacchantes in Stücke zerrissen. Vgl. met. 3.511– 731, sowie E. Ba. 1043–1152. 177. I. e. Agaue, Tochter des Thebaners Kadmos und der Harmonia und somit Schwester der Semele. 178. Weil Lykurg, der Sohn des Dryas, Dionysos vertrieb, schlug dieser ihn mit Wahnsinn, sodass er seinen eigenen Sohn und seine Ehefrau tötete, in dem Glauben, Weinstöcke auszumerzen (s. met. 4.22–24, Apollod. 3.33–35, Hyg. fab. 132). 179. Gemeint sind die Piraten, die Dionysos auf dem Mittelmeer („Tyrrhenisches Meer“ bezeichnet den Teil zwischen der Westküste Italiens, Korsika, Sardinien und Sizilien) gefangen nahmen und die er in Delfine verwandelte (vgl. h. Hom. 7, Apollod. 3.37f., Hyg. fab. 134). 180. Tatsächlich leiten sich jedoch libamina („Trankopfer“) und liba („Opferkuchen“) von libare („ein Trankopfer darbringen“) ab (Varro ling. 7.44). 181. Fluss in Thrakien. 182. Thrakisches Gebirge auf dem Balkan. 183. Gebirgszug in Mazedonien. 184. Im Gefolge des Dionysos fanden sich Satyrn und der alte Silen; s. fast. 1.393–440 m. Anm. zu 1.399. 185. Der gängige Beiname „Liber“ wird einigen der ältesten römischen Götter zuteil. So wie Bacchus tragen auch Iuppiter, Mars oder Ianus häufig dieses Epitheton. Anders als hier bezeichnet parentis in Vers 757 bzw. 758 den Silen als Vater der Satyrn. 186. Dionysischer Stab, umkränzt von Efeu- oder Weinblättern und mit einer Krone geschmückt. 187. Einerseits bezeichnet Nysa den Ort, an dem der kleine Dionysos vor seiner bösen Stiefmutter Hera versteckt wurde, andererseits ist der Name auch für eine Nymphe überliefert, die ihn als Amme genährt habe (met. 3.313–315, Hom. Il. 6.132f.).

Anmerkungen zum dritten Buch

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188. Nach Ablegen der Kindheitskleidung, der toga praetexta mit ihrem charakteristischen roten Purpurstreifen, empfingen die Jungen zwischen 14 und 17 Jahren die weiße wollene toga libera, üblicherweise toga virilis oder toga pura genannt. Diese rituelle „Mannwerdung“ fand oft am 17. März statt. 189. Gemeint ist Ceres / Demeter, die ihre Tochter Persephone überall suchte, eine am Ätna entzündete Fackel bei sich tragend (s. fast. 4.491–494). In der Frühzeit wurden die Spiele allein Liber zu Ehre gefeiert (habebat), zu Ovids Zeit hingegen auch für Ceres (habet). Die Verknüpfung mit Ceres ist sonst nicht belegt. 190. Volksstamm bei Argos auf der Peloponnes. 191. Zur Verstirnung der Nymphe Kallisto, Tochter des Lykaon, vgl. auch fast. 2.153–192. 192. Vgl. zu Saturn fast. 1.193 mit Anm., zur Vertreibung 1.233–238. 193. Die 12 Titanen (u. a. Kronos, Hyperion, Okeanos, Rheia, Tethys und Mnemosyne; vgl. Hes. Th. 133–138) wurden nach ihrem verlorenen Kampf gegen die olympischen Götter zum Teil in den Tartaros verbannt (Hes. Th. 717–745). 194. I. e. der bekannteste Unterweltsfluss. 195. Generell werden sie mit den griechischen Moiren identifiziert: Klotho spinnt den Lebensfaden, Lachesis misst den Lebensfaden ab und Atropos durchtrennt ihn schließlich. 196. Die Brüder Briareus, Kottos und Gyges waren Hekatoncheiren (hundertarmige Monster) und stammten von Uranos und Gaia ab. In der Titanomachie kämpften sie mit Zeus gegen ihre Brüder, die Titanen, und wurden von ihm aus Dank dafür als Wächter vor dem Tartaros eingesetzt. 197. Gemeint sind die „Quinquatrus“, die danach bezeichnet sind, dass sie am fünften Tag nach den Iden des März (15. März) stattfanden. Im Laufe der Zeit wurden sie auf fünf Tage ausgedehnt, wie Ovid es auch etymologisch herleitet. 198. Minerva wird mit Pallas Athene identifiziert und erhält damit ihre Eigenschaften als kriegerische, aber auch künstlerische Göttin; s. auch 3.5–8 m. Anm. 199. Tychios soll dem Aias einen Schild aus sieben aufeinander genähten Rinderhäuten gefertigt haben (Hom. Il. 7.219–223). 200. Epeus soll das hölzerne Pferd vor Troja erbaut haben (Hom. Od. 8.493, Verg. Aen. 2.264). 201. Gemeint ist die Untergottheit Minerva Medica (griech.: Athena Hygieia). 202. Nachdem Falerii 241 v. Chr. durch die Römer eingenommen werden konnte, wurde die dort ansässige Minerva als Minerva Capta nach Rom in ein kleines Heiligtum gebracht. Es folgen drei Erklärungsversuche zur

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Bezeichnung capta: erstens von capitale als Göttin der Künste (V. 839f.), zweitens weil sie dem Haupt (caput) ihres Vaters Zeus entsprungen sei (V. 841f.) und drittens weil sie aus dem besiegten Falerii als gefangene Göttin mitgebracht worden sei (V. 843). 203. S. Anm. zu 1.84. 204. Die Aegis ist eine schildartige Waffe des Zeus, die von Hephaistos verfertigt wurde. Häufig hat sie Athene in Gebrauch (Hom. Il. 2.445, 5.738, Od. 22.297). 205. Das sog. Tubilustrium am 23. März (s. CIL 1.1 pp. 223, 234, 313) diente als Reinigungs- und Entsühnungszeremonie, bei der u. a. die Salier ihren Waffentanz aufführten. 206. Im Folgenden wird das Aition des Sternbildes „Widder“ dargelegt. Nach dem Tod seiner Frau Nephele suchte der boiotische König Athamas für sich und seine beiden verwaisten Kinder, Phrixos und Helle, eine neue Frau bzw. Mutter. Ino behandelte ihre Stiefkinder äußerst schlecht und ersann eine Intrige, um sich ihrer zu entledigen. Nephele sah aus den himmlischen Gefilden das sich anbahnende Unglück und schickte einen goldenen Widder, der die Kinder entrückte. Doch Helle befolgte nicht die Weisung des Widders und stürzte bei der Flucht ins Meer, das fortan Hellespont hieß (Apollod. 1.80–83). 207. I. e. Apoll, dessen Orakelspruch in Delphi eingeholt wurde. Auf dem Dreifuß, einem Schemel, saß die weissagende Pythia über einer Erdspalte, aus der halluzinogene Gase austraten. 208. Gemeint ist Theben; zur Mythologie s. Anm. zu fast. 1.489. 209. I. e. der Hellespont, griechisch für „das Meer der Helle“. 210. Nach ihrem Ertrinken soll sie Poseidons Frau geworden sein. 211. Für seine Dienste an Helle und Phrixos wurde der Widder verstirnt (Apollod. 1.83, Eratosth. Cat. 19). 212. In Kolchis am Schwarzen Meer stand der Palast des Aietes und seiner Tochter Medea. Iason kam mit dem Auftrag aus Iolkos dorthin, seinem despotischen Onkel Pelias das berühmte goldene Vlies des Widders zu bringen. Der Mythos ist Gegenstand der Argonautika des Apollonios; s. auch Anm. zu fast. 1.491. 213. Das sog. Frühlingsaequinoctium findet nach Plinius (nat. 18.246) und Columella (11.2.31) am 25. März statt. 214. Zu Ianus vgl. Anm. zu 1.43 sowie verschiedene Erläuterungen und Rituale für ihn in Buch 1 z. B. 1.89–294. 215. Zu Concordia vgl. Anm. zu 1.639. 216. Salus verkörpert die Sicherheit und das Wohlbefinden des römischen Volkes.

Anmerkungen zum dritten Buch

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217. Augustus errichtete am 30. März 11 v. Chr. Statuen für Concordia, Salus und Pax (D.C. 54.35.2). An der hier vorliegenden Stelle verweist Ovid auf die Statuen der beiden erstgenannten Göttinnen und spielt dann allerdings mit den Erwartungen der Leser, indem er von den anzubetenden Statuen hinwechselt zu der Ara Pacis, die letztendlich zwei Jahre später eingeweiht wurde. Zur Ara Pacis s. Anm. zu 1.709. 218. Der erste fassbare Tempel der Mondgöttin Luna auf dem Aventin ist erst für das Jahr 182 v. Chr. belegt (Liv. 40.2.2), obwohl die Verehrung schon unter Titus Tatius stattgefunden haben soll. 84 v. Chr. gab es einen Blitz­ einschlag; gänzlich ist das Heiligtum dann 64 n. Chr. beim großen Feuer von Rom zerstört worden.

Über den Inhalt Ovids Fasti sind ein großes Lehrgedicht, das Ursprünge, Tradition und Bedeutung der römischen Festtage im Jahreslauf beschreibt. Das eigentlich auf 12 Bücher angelegte Werk, von dem nur sechs überliefert sind, umfasst die Monate Januar bis Juni. Es gehört zu den großen, überzeitlichen Quellen zur Kultur und Religion der Blütezeit des Römischen Reichs. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Andrea Themann-Steinke, geb. 1979, ist Akademische Rätin und lehrt Latinistik und Gräzistik an der Universität Konstanz. Ihre klare, moderne Neuübersetzung der Fasti bietet zusammen mit dem lateinischen Text, mit Kommentaren und einer Einleitung einen hervorragenden Zugang zu diesem wichtigen Text der Hochzeit der antiken, römischen Literatur.

Über die Reihe Edition Antike Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose Die Edition Antike bietet zweisprachige Leseausgaben wichtiger Texte der antiken Literatur mit modernen Übersetzungen und in einer zeitgemäßen Ausstattung. Autoren und Werke werden eingangs kurz vorgestellt. Ein knapper Sachkommentar am Ende des Bandes erleichtert die Lektüre und das Verständnis der Texte. Thomas Baier ist Professor für Klassische Philologie (Latinistik) an der Universität Würzburg. Kai Brodersen ist Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt, deren Präsident er von 2008 bis 2014 war. Martin Hose ist Professor für Klassische Philologie (Gräzistik) an der Ludwig-Maximilians-Universität München.