Subsidiarität – Recht und Kontrolle: Eine Untersuchung zur gerichtlichen Kontrolldichte des Art. 5 Abs. 3 EUV [1 ed.] 9783428583331, 9783428183333

Seit dem Vertrag von Lissabon scheint die Frage nach der Justiziabilität des Subsidiaritätsprinzips als Maßstab der Komp

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Subsidiarität – Recht und Kontrolle: Eine Untersuchung zur gerichtlichen Kontrolldichte des Art. 5 Abs. 3 EUV [1 ed.]
 9783428583331, 9783428183333

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Schriften zum Europäischen Recht Band 205

Subsidiarität – Recht und Kontrolle Eine Untersuchung zur gerichtlichen Kontrolldichte des Art. 5 Abs. 3 EUV

Von Frederike Fründ

Duncker & Humblot · Berlin

FREDERIKE FRÜND

Subsidiarität – Recht und Kontrolle

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera · Detlef Merten Matthias Niedobitek · Karl-Peter Sommermann

Band 205

Subsidiarität – Recht und Kontrolle Eine Untersuchung zur gerichtlichen Kontrolldichte des Art. 5 Abs. 3 EUV

Von Frederike Fründ

Duncker & Humblot · Berlin

Die Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Jahr 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 978-3-428-18333-3 (Print) ISBN 978-3-428-58333-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für meine Großeltern

Danksagung Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Hatje. Er hat mir die Erstellung der vorliegenden Arbeit erst ermöglicht und stand mir in dieser herausfordernden Phase meiner akademischen Laufbahn stets mit seiner herausragenden Expertise im Recht der Europäischen Union und seinem beeindruckenden Erfahrungsschatz unterstützend zur Seite. Mein Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Kotzur, der meine Arbeit als Zweitgutachter wissenschaftlich betreute. Der fördernde und zugleich ungemein herzliche Umgang meiner Betreuer wird mir stets in dankbarer Erinnerung bleiben. Ebenso möchte ich mich bei allen (ehemaligen) wissenschaftlichen und nicht wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg bedanken, die mich in den vergangenen Jahren unterstützt und begleitet haben. Besonders zu erwähnen sind hier: Mohammed El-Taki, Annegret Hartig, Mathias Honer, Lili-Marie Iwen und Matthias K. Klatt. Zuletzt gehört mein Dank meiner Familie. Nur durch ihre liebevolle Fürsorge und bedingungslose Unterstützung konnte ich diese Arbeit fertigstellen. Ich bin meinen Eltern und Geschwistern unendlich dankbar. Steinhausen, 2021

Frederike Fründ

Inhaltsverzeichnis Einleitung 17 A. Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Aufgabe des EuGH . . . . . . . . 17 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Teil I

Grundlagen der Untersuchung 20

A. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 B. Terminologie der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Der Begriff der prozeduralen Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Wortbedeutung und rechtlicher Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Die Differenzierung zwischen vorgangs- und verfahrensbezogenen Pflichten 21 II. Der Begriff der prozessualen Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Die Begriffe der Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 a) Der Begriff der Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 b) Der Begriff der Darlegungslast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. Terminologische Inkonsistenzen und fehlende dogmatische Zuordnung in der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 C. Der Unionsgesetzgeber als Adressat von prozeduralen Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Der Begriff des Unionsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Innere Organisation der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Das besondere Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Bezugspunkte für prozedurale Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1. Der Begriff des Gesetzgebungsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Der Begriff des Entwurfs eines Gesetzgebungsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

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Inhaltsverzeichnis Teil II



Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH 31

A. Entwicklungsgeschichtlicher Ursprung des Subsidiaritätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Europarechtliche und -politische Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips . . . . . . . . . . . 32 I. Das Subsidiaritätsprinzip als mitgliedstaatliche Idee einer rechtlichen Kompetenzausübungsschranke der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 II. Weitere europarechtliche und -politische Genese des Subsidiaritätsprinzips . . . . 34 C. Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 I. Subsidiarität als materiell-rechtliches Ordnungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1. Überblick über die Regelung des Art. 5 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 b) Das Subsidiaritätsprinzip i. e. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 c) Das Verhältnismäßigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Das Problem der rechtlichen Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als materiell-rechtliches Ordnungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Normative Steuerungswirkung der Kriterien des Subsidiaritätsprinzips . . 40 b) Unscharfe Bezugspunkte der Subsidiaritätsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 II. Subsidiarität als politisches Mitwirkungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Das Verfahren des Frühwarnmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 a) Die Abgabe von begründeten Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 b) Das Verfahren der „gelben Karte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 c) Das Verfahren der „orangen Karte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Das Verfahren des Frühwarnmechanismus als Rahmen für einen mehrebenen­ übergreifenden Subsidiaritätsdiskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3. Leistungsfähigkeit des Frühwarnmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 D. Folgerungen für die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH 50 I. Aufgaben des EuGH im Subsidiaritätsklageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 II. Gerichtliche Überprüfung durch Verfahrenskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 III. Verfahrenskontrolle durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre des Unionsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

Inhaltsverzeichnis

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Teil III

Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre 56

A. Vorgangsbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 I. Die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Die Pflicht zur Durchführung „umfangreicher“ Anhörungen . . . . . . . . . . . . . 56 a) Der Kreis der Anzuhörenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 aa) Die verpflichtende Anhörung des Ausschusses der Regionen . . . . . . 56 bb) Weiterer Kreis der Anzuhörenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 b) Grenzen der Anhörungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Die Pflicht zum Abtasten der Gesetzesfolgenwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Das Instrument der Gesetzesfolgenabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 b) Normative Anordnung zur Erfassung und Dokumentation von Gesetzes­folgen 60 c) Anforderungen an das Verfahren der Gesetzesfolgenabschätzung . . . . . . 61 II. Die Pflicht zur Heranziehung des Entscheidungsmaterials sowie zur Abwägung der wesentlichen Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Die Pflicht zur Heranziehung des ermittelten Entscheidungsmaterials . . . . . 62 2. Die Pflicht zur Abwägung der wesentlichen Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . 63 III. Die Pflicht zur Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1. Die Pflicht zur Offenlegung im Entwurf des Gesetzgebungsakts . . . . . . . . . . 65 a) Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 b) Inhaltliche Anforderungen an die Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 c) Die Offenlegung in Form eines Vermerks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 d) Die Detaillierung der Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Die Pflicht zur Offenlegung im fertigen Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Abgrenzung zu Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 c) Rechtstechnische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 d) Inhalt und Detaillierung der Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 aa) Offenlegung der Subsidiaritätserwägungen bei Gesetzgebungsakten . 71 bb) Offenlegung der Subsidiaritätserwägungen bei Rechtsakten ohne Gesetzgebungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 IV. Fehlerfolge eines Verstoßes gegen vorgangsbezogene Pflichten . . . . . . . . . . . . . 73 1. Fehlerfolge bei einem Verstoß gegen die Anforderungen des Art. 296 Abs. 2 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 2. Fehlerfolge bei einem Verstoß gegen die Anforderungen des Subsidiaritäts­ protokolls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

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Inhaltsverzeichnis

B. Verfahrensbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 I. Die Pflicht zur Berücksichtigung der begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 II. Prozedurale Pflichten im Verfahren der „gelben Karte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1. Die Pflicht zur Überprüfung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts . . . . . . . . 78 2. Die Pflicht zur Offenlegung des Ergebnisses der Überprüfung . . . . . . . . . . . 79 a) Anforderungen an Inhalt und Umfang der Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . 79 b) Anforderungen an die Form der Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 III. Prozedurale Pflichten im Verfahren der „orangen Karte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Das ungeklärte Verhältnis von Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll 82 2. Die unbestimmte Rechtsnatur des Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 Subsidiaritäts­ protokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 a) Ausgangsperspektive: Das Rügerecht der nationalen Parlamente . . . . . . 83 b) Vergleichende Betrachtung mit anderen prozeduralen Pflichten . . . . . . . 84 aa) Anwendungsbereich und Adressatenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 bb) Notwendiger Inhalt und Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3. Die Pflicht zur Überprüfung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts in der ersten Lesung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 IV. Fehlerfolge bei einem Verstoß gegen die Anforderungen des Frühwarnmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 C. Prozessuale Pflichten des Unionsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 I. Die Darlegungs- und Beweislastverteilung im Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 II. Der Darlegungs- und Beweislastgehalt des Art. 5 Abs. 3 EUV . . . . . . . . . . . . . . . 90 D. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

Teil IV

Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH 93

A. Methodik der Rechtsprechungsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 I. Erkenntnisgrundlage der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 II. Ordnungspunkte der Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 B. Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Aufgabe des Unionsrichters . 95 C. Überprüfung der materiell-rechtlichen Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips . . . . . . . 96 I. Harmonisierungsziel und Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips . . . . . . . . . . . . . 97 II. Floskelhafte Überprüfung der Subsidiaritätskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

Inhaltsverzeichnis

13

III. Reformbestrebungen und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 1. Die Entscheidung zur Tabakwerbe-Richtlinie II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Die Entscheidung zur EU-Roaming-Verordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3. Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 IV. Materielle Subsidiarität nach Lissabon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 D. Überprüfung der prozeduralen Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . 107 I. Die vorgangsbezogenen Pflichten des Unionsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Anerkennung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Anforderungen an die Sachverhaltsermittlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Die Pflicht zur Offenlegung der Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Die Pflicht zur Offenlegung im Entwurf des Gesetzgebungsakts . . . . . . . 111 b) Die Pflicht zur Offenlegung im erlassenen Rechtsakt . . . . . . . . . . . . . . . . 113 aa) Anerkennung durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 bb) Anforderungen an die Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 (1) Maßstab für die erforderlichen Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . 115 (2) Anforderungen an den Inhalt der Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . 116 (a) Widerspruchsfreiheit und Klarheit der Ausführungen . . . . . 116 (b) Die wichtigsten tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen . 118 (3) Anforderungen an die Detaillierung der Offenlegung . . . . . . . . . 121 (a) Differenzierung zwischen der Art der Maßnahme . . . . . . . . . 121 (b) Begrenzung durch die Kenntnis der klagenden Parteien . . . . 123 cc) Anforderungen an die Form der Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Verfahrensbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 E. Prozessuale Pflichten des Unionsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

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Inhaltsverzeichnis Teil V



Zusammenfassung der Untersuchung in Thesen 131

A. Teil II: Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 B. Teil III: Die rechtliche Kontrolle durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre des Unionsgesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 C. Teil IV: Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH . . . . . . 134

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Rechtsprechungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

Abkürzungsverzeichnis ABl. Amtsblatt Abs. Absatz AdR Ausschuss der Regionen AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Art. Artikel BVerfG Bundesverfassungsgericht C. M. L. Rev Common Market Law Review Cambridge L. J. Cambridge Law Journal Colum. J. Eur. Columbia Journal of European Law Croatian Y. B. Eur. L. & Pol’y Croatian Yearbook of European Law and Policy ders. derselbe DÖV Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) E. L. Rev. European Law Review EEA Einheitliche Europäische Akte EGKSV Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften EJRR European Journal of Risk Regulation EL. Ergänzungslieferung endg. endgültig EU Europäische Union EuG Gericht der Europäischen Union EuGH Gerichtshof der Europäischen Union EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift EuR Europarecht (Zeitschrift) EUV Vertrag über die Europäische Union EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft f. folgend ff. fortfolgend Gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik GASP GFA Gesetzesfolgenabschätzung Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GG GO Gemeindeordnung GRC Europäische Grundrechtecharta Hrsg. Herausgeber i. e. S. im engeren Sinne im Sinne des i. S. d.

16

Abkürzungsverzeichnis

im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne Journal of Legislation Juristische Schulung (Zeitschrift) JuristenZeitung (Zeitschrift) Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Neubegründung seit 1986) lit. litera mit weiteren Nachweisen m. w. N. Neue Zeitung für Verwaltungsrecht NVwZ Österreichische Juristenzeitung (Zeitschrift) ÖJZ Regulatory Fitness and Performance Programme REFIT Rn. Randnummer Rs. Rechtssache s. siehe Sammlung der Rechtsprechung des EuGH und des Gerichtes Slg. Erster Instanz ständige Rechtsprechung st. Rspr. Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaften StudZR unter anderem u. a. UAbs. Unterabsatz verb. verbundene Verfasser, Verfassung Verf. Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) VerwArch vgl. vergleiche Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen StaatsVVDStRL rechtslehre VwGO Verwaltungsgerichtsordnung VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz zum Beispiel z. B. Zeitschrift für europäische Studien ZEuS Zeitschrift für Rechtsvergleichung (Österreich) ZfRV Zeitschrift für Gesetzgebung ZG Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht ZGR Zeitschrift für Parlamentsfragen ZParl Zeitschrift für Politikwissenschaft ZPol Zeitschrift für Rechtspolitik ZRP Zeitschrift für Umweltrecht ZUR i. S. v. i. V. m. i. w. S. J. Legis. JuS JZ KritV

Einleitung A. Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Aufgabe des EuGH Gem. Art. 19 Abs. 1 EUV sichert der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge. „Wahrung des Rechts“ – das bedeutet auf der Ebene der Europäischen Union zuvörderst die Kontrolle der Wahrung der von den Mitgliedstaaten als den „Herren der Verträge“ im Unionsprimärrecht abgebildeten vertikalen Kompetenzordnung.1 Die Sicherung der vertikalen Kompetenzordnung ist dabei Teil der Funktion des EuGH als die Exekutive und die Legislative kontrollierende dritte Gewalt im Gefüge der Europäischen Union.2 Die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung der europäischen (vertikalen) Kompetenzordnung muss grundsätzlich zweidimensional erfolgen: im positiven Sinne haben die Unionsrichter zu prüfen, ob der Unionsgesetzgeber die im Vertrag festgesetzten Pflichten, die ihn zu einem gesetzgeberischen Handeln ermächtigen, erfüllt – etwa bei der schrittweisen Verwirklichung des Binnenmarktes. Im negativen Sinne hat die Rechtsprechung die Grenzen der Kompetenzzuweisung und damit der Handlungsbefugnisse der Europäischen Union zu wahren.3 Gerade im letzten Punkt wird die Rechtsprechung des Gerichtshofs allerdings zunehmend als verfehlt bewertet.4 Einen Teilaspekt dieser Problematik bildet die gerichtliche Kon­ trolle des Grundsatzes der Subsidiarität durch den EuGH ab. Dem Gericht wird in Bezug auf das Subsidiaritätsprinzip überwiegend eine unzureichende rechtliche Durchsetzung und Kontrolle vorgeworfen.5

1

Vgl. Mayer, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 68. EL. 2019, Art. 19 EUV, Rn. 27. 2 Vgl. bereits: Dauses, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs als Verfassungsgericht der Europäischen Union, integration 1994, S. 215 (222 f.). Des Weiteren: Schütze, Subsidiarity after Lisbon: Reinforcing the Safeguards of Federalism, 68 Cambridge L. J. (2009), S. 525 (531 ff.). 3 Vgl. Mayer, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 68. EL. 2019, Art. 19 EUV, Rn. 27. 4 Vgl. Nettesheim, Subsidiarität durch politische Verhandlung – Art. 5 Abs. 3 EUV als Verständigungsauftrag, in: König / Uwer (Hrsg.), Grenzen europäischer Normgebung. EU-Kompetenzen und Europäische Grundrechte, 2015, S. 35 (44); Albin, Das Subsidiaritätsprinzip in der EU. Anspruch und Rechtswirklichkeit, NVwZ 2006, S. 629 ff.; Sander, Subsidiarity Infringement before the European Court of Justice: Futile Interference with Politics or a Substantial Step towards EU Federalism, 12 Colum. J. Eur. (2006), S. 517 (542 ff.). 5 Ebenda.

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Einleitung

Als Ursache dieser als unzureichend erachteten Rechtsprechung wurde vor den Reformbestrebungen von Lissabon der Umstand ausgemacht, dass das Prinzip der Subsidiarität in der normativen Ausgestaltung, die es im Unionsprimärrecht vor dem Reformprozess von Lissabon gefunden hat, schlicht nicht justiziabel sei.6 Eine justiziable Kompetenzabgrenzung zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten anhand des Subsidiaritätsprinzips avancierte deshalb zu einem rechtlichen und politischen Schlüsselthema des europäischen Reformprozesses in den 2000er Jahren.7 Der politische Wille, den Grundsatz der Subsidiarität einer justiziablen gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen, ist dabei sehr deutlich artikuliert und im Unionsprimärrecht normiert worden.8 Das Problem der Nichtjustiziabilität versuchte man durch die Einführung eines normativen Unterbaus aufzulösen, der umfassende prozedurale Pflichten für den Unionsgesetzgeber bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips vorsieht.9 Ein Blick in die europäische Rechtspraxis lässt allerdings Zweifel daran aufkommen, ob diese Reformen die erhoffte Durchschlagskraft entfalten konnten: über zehn Jahre nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon existiert kein Verdikt der Unionsgerichtsbarkeit, in dem sie einen europäischen Rechtsakt wegen eines Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip für nichtig erklärt hat. Gleichwohl sollen an dieser Stelle keine vorschnellen Schlüsse gezogen werden, denn hinter dem Ergebnis der Rechtsprechung hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips lassen sich zwei mögliche Szenarien vermuten. Das erste Szenario ist, dass der EuGH das Subsidiaritätsprinzip gegenüber den Unionsorganen nicht oder nicht ausreichend rechtlich durchsetzt. Dies würde gleichzeitig bedeuten, dass das Gericht seinem durch Art. 19 Abs. 1 EUV zugewiesenen Auftrag zur Rechtswahrung in der Praxis nicht ausreichend nachkommt. Das zweite Szenario ist hingegen, dass die Reformbestrebungen von Lissabon in der Praxis umfassend Früchte getragen haben, sodass das Subsidiaritätsprinzip bereits durch die Europäischen Organe selbst rechtlich effektiv zur Anwendung gebracht wird. Dann wäre die gerichtliche Nichtigkeitserklärung eines Rechtsaktes wegen eines Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip in der Praxis bisher nicht erforderlich gewesen. Die aufgezeichneten Szenarien stehen sich mit ihren Folgen für die rechtliche Kontrolle und Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH freilich 6 Vgl. insbesondere: Grimm, Effektivität und Effektivierung des Subsidiaritätsprinzips, KritV 1/1994, S. 6 ff. Des Weiteren: Blanke, Der Unionsvertrag von Maastricht – Ein Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Bundesstaat?, DÖV 1993, S. 412 (421); Möschel, Zum Subsidiaritätsprinzip im Vertrag von Maastricht, NJW 1993, S. 3025 (3027). 7 S. ausführlich zum Reformprozess in der vorliegenden Untersuchung: Teil II. B. II., S. 34 ff. 8 Vgl. Art. 8 des Protokolls Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (Subsidiaritätsprotokoll), ABl. EU 2007 C 306/150, der gem. Art. 51 EUV Unionsprimärrecht ist. Das Subsidiaritätsprotokoll ist als zentrale Rechtsquelle der Untersuchung im Anhang abgebildet. 9 S. ausführlich zu den prozeduralen Pflichten des Unionsgesetzgebers im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips in der vorliegenden Untersuchung: Teil III., S. 56 ff.

B. Gang der Untersuchung

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diametral gegenüber. Gerade in dieser Ambivalenz liegt der Anlass für die vorliegende Untersuchung, sich mit dem Subsidiaritätsprinzip, trotz der bereits bestehenden umfangreichen Subsidiaritätsliteratur10, abermals wissenschaftlich auseinanderzusetzen. Sie verfolgt dabei das Ziel, die Frage nach der rechtlichen Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH umfassend zu erhellen.

B. Gang der Untersuchung Die Arbeit gliedert sich in fünf Teile. In einem ersten Teil wird eine einheitliche Verständigungsgrundlage geschaffen. Die die Untersuchung anleitenden Begriffe sowie Grundprinzipien werden dargestellt und erörtert. Der zweite Teil der Arbeit widmet sich sodann dem Subsidiaritätsprinzip und seiner Ausgestaltung auf der Ebene der Europäischen Union. Es wird herausgearbeitet, wo die Schwierigkeiten und die Herausforderungen für eine rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH liegen. Gleichzeitig wird ausgelotet, welche Direktiven das Unionsprimärrecht bereithält, die eine gerichtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips anzuleiten vermögen. Diese Direktiven greift der dritte Teil der Arbeit auf und stellt sie umfassend dar. Im vierten Teil der Untersuchung wird sodann der Versuch unternommen, zu analysieren, ob und wie sich die im Unionsprimärrecht widerspiegelnden Direktiven in der Rechtspraxis bewährt haben. Die Ergebnisse der Arbeit werden in einem fünften und letzten Teil in Thesen zusammengefasst.

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Der Stand der Literatur wird an dieser Stelle exemplarisch wiedergegeben. Zuletzt erschienen: Hanstein, Subsidiarität und die demokratische Legitimation europäischer Legislativakte, 2019. Zur Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch die nationalen Parlamente: Mellein, Subsidiaritätskontrolle durch nationale Parlamente, 2007. Grundlegend: Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 2. Aufl. 1999.

Teil I

Grundlagen der Untersuchung A. Allgemeines Ohne der nachstehenden Darstellung vorzugreifen, kann gesagt werden, dass das Problem der rechtlichen Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips im Unionsprimärrecht durch eine weitreichende prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre gelöst ist. Adressat dieser Fehler- und Pflichtenlehre ist der europäische Gesetzgeber. Dies ergibt sich aus dem Begriff der „Maßnahme“ im Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 EUV, der bestimmt, welche Tätigkeiten der Unionsorgane dem Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips unterfallen. Dies sind nach der Systematik1 sowie dem Sinn und Zweck des Subsidiaritätsprinzips2 gesetzgeberische Tätigkeiten der Europäischen Union.3 Um eine fruchtbare Verständigung über die Reichweite der gesetzgeberischen Verfahrensbindungen im Hinblick auf die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips zu erreichen, soll zunächst dem Begriff der „prozeduralen Pflichten“ ein einheitlicher Inhalt zugeordnet werden. Abgegrenzt werden muss der Terminus der „prozeduralen Pflichten“ inhaltlich von dem Begriff der „prozessualen Pflichten“, der für die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips im Verfahren vor dem EuGH ebenfalls eine entscheidende Bedeutung einnimmt. Nachdem die Terminologie der Untersuchung dargestellt wurde, wird die Eigenschaft des Unionsgesetzgebers als Adressat von prozeduralen Pflichten beleuchtet. Dazu wird das europäische Gesetzgebungsverfahren in seinen Grundzügen dargestellt und es werden wichtige Bezugspunkte für prozedurale Pflichten herausgearbeitet.

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S. zur Systematik, Teil II. C., S. 37 ff. S. zum Sinn und Zweck des Subsidiaritätsprinzips, Teil II. B., S. 31 ff. 3 Vgl. Calliess, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 5 EUV, Rn. 28. 2

B. Terminologie der Untersuchung

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B. Terminologie der Untersuchung I. Der Begriff der prozeduralen Pflichten 1. Wortbedeutung und rechtlicher Inhalt Die Bedeutung der meisten Worte einer gewachsenen Sprache kann in eine Vielzahl verschiedener Teilaspekte gegliedert werden. Auf unterschiedlicher terminologischer Basis lässt sich aber keine oder nur eine unvollständige Verständigung durchführen. Deshalb muss zunächst über die Bedeutung des Wortes „prozedural“ referiert werden. Einen einleitenden Zugriff erlaubt der allgemeine Sprachgebrauch: Dem Wort „prozedural“ wird die Bedeutung „verfahrensmäßig bzw. den äußeren Ablauf einer Sache betreffend“ zugeschrieben.4 Die semantische Wortbetrachtung zeigt, dass es sich bei dem Begriff „prozedural“ um einen abstrakten Terminus handelt, dessen konkreter Inhalt davon abhängt, auf welches Verfahren bzw. auf welchen Ablauf einer Sache er sich bezieht. Der Inhalt des Begriffs „prozedural“ ist mithin kontextabhängig und bedarf eines Referenzpunktes, um ihn hinreichend verständlich zu machen. Die nachstehende Untersuchung beschäftigt sich mit der Frage nach der rechtlichen Kontrolle des Grundsatzes der Subsidiarität durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre des Unionsgesetzgebers. Im vorliegenden Kontext findet das Wort „prozedural“ seinen Referenzpunkt also in der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. Wenn in der nachstehenden Untersuchung der Terminus der „prozeduralen Pflichten“ verwendet wird, versteht sich der Begriff mithin als Sammelbegriff für alle im Unionsprimärrecht statuierten anwendungsbezogenen Verfahrensbindungen des Unionsgesetzgebers im Hinblick auf das in Art. 5 Abs. 3 EUV statuierte Subsidiaritätsprinzip. 2. Die Differenzierung zwischen vorgangs- und verfahrensbezogenen Pflichten Die nachstehende Darstellung unterscheidet im Rahmen der prozeduralen Pflichten hinsichtlich der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips durch den Unionsgesetzgeber zwischen vorgangs- und verfahrensbezogenen Pflichten. Die vorgangsbezogenen Pflichten betreffen die Methodik der Entscheidungsfindung des Unionsgesetzgebers im Hinblick auf die Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes. Dagegen finden die verfahrensbezogenen Pflichten ihren Bezugspunkt in dem durch den Vertrag von Lissabon eingeführten Verfahren des sog. Frühwarn 4

https://www.duden.de/rechtschreibung/prozedural [zuletzt abgerufen am 24. 3. 2020].

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Teil I: Grundlagen der Untersuchung

mechanismus. Angelehnt ist diese Differenzierung an die aus dem deutschen Recht bekannte Unterscheidung zwischen dem inneren und dem äußeren Verfahren der Gesetzgebung.5 Eine Übertragung der Kategorien bietet sich für die nachstehende Untersuchung schon deshalb an, da auf ihrer Grundlage eine Systematisierung der Anforderungen an eine optimale Gesetzgebung hinsichtlich der effektiven Durchsetzung und Anwendung des Subsidiaritätsprinzips besonders plastisch gelingt. Darüber hinaus eröffnet das Subsidiaritätsprinzip dem Unionsgesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum im Rechtsetzungsverfahren. Die dogmatische Kategorie des inneren Verfahrens der Gesetzgebung des deutschen Rechts wird gerade in diesen Fällen als Anknüpfungspunkt für eine besondere Fehler- und Pflichtenlehre des Gesetzgebers fruchtbar gemacht.6 Der Rezeption der Kategorien des inneren und des äußeren Gesetzgebungsverfahrens liegt insofern auch der Versuch zugrunde, Ansätze der deutschen Gesetzgebungslehre für den Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips fruchtbar zu machen und weiterzuentwickeln.

II. Der Begriff der prozessualen Pflichten In der vorliegenden Untersuchung werden sowohl der Begriff „prozedural“ als auch der Begriff „prozessual“ verwendet, um Pflichten des Unionsgesetzgebers im Rahmen der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips zu beschreiben. Obgleich beiden Begriffen umgangssprachlich eine ähnliche semantische Bedeutung zugewiesen wird7, sind sie in rechtlicher Hinsicht voneinander zu trennen. Eine operable Abgrenzung beider Begriffe gelingt am ehesten durch die Veranschaulichung ihrer jeweiligen Referenzpunkte. Der Begriff der prozeduralen Pflichten beschreibt diejenigen Pflichten des Unionsgesetzgebers, die ihn im Verfahren der Rechtsetzung treffen. Die prozessualen Pflichten betreffen hingegen die Stellung des Unionsgesetzgebers im gerichtlichen Verfahren vor dem EuGH, sofern die Vereinbarkeit eines Rechtsaktes mit dem Subsidiaritätsprinzip auf dem Prüfstand steht. Ein Verstoß gegen das Prinzip der Subsidiarität kann dabei entweder im Direktklageverfahren in Form der Nichtigkeitsklage8 oder aber im Vorab­ entscheidungsverfahren an den EuGH herangetragen werden. 5

Vgl. zur Unterscheidung: Schwerdtfeger, Optimale Methodik der Gesetzgebung als Verfassungspflicht, in: Stödter / T hieme (Hrsg.), Hamburg, Deutschland, Europa: Beiträge zum deutschen und europäischen Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsrecht, FS für Hans Peter Ipsen, 1977, S. 173 ff. 6 Vgl. Hill, Rechtsdogmatische Probleme der Gesetzgebung, Jura 1986, S. 286 (291). 7 Das Wort „prozessual“ wird im Duden als „einen Prozess betreffend, zu ihm, seinem Ablauf gehörend“ definiert, https://www.duden.de/rechtschreibung/prozessual [zuletzt abgerufen am 24. 3. 2020]. 8 Bei dem Subsidiaritätsklageverfahren des Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll handelt es sich um eine besondere Form der Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, vgl. Pache, in: Pechstein /  Nowak / Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, EUV / GRC / A EUV, Band 1, 1. Aufl., 2017, Art. 5 EUV, Rn. 119.

B. Terminologie der Untersuchung

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1. Die Begriffe der Darlegungs- und Beweislast Eine zentrale prozessuale Verpflichtung stellt die Frage nach der Darlegungsund Beweislast (hinsichtlich der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips) dar. Die Frage nach der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast stellt sich primär im Direktklageverfahren und ist für die rechtliche Gewährleistung des Subsidiaritätsprinzips, wie noch zu zeigen sein wird9, von entscheidender Bedeutung. Um an anderer Stelle auf eine einheitliche Terminologie zurückgreifen zu können, sollen die Begriffe der Darlegungs- und Beweislast bereits im Grundlagenteil der Untersuchung erhellt werden. Das Unionsrecht kennt allerdings grundsätzlich kein wie aus dem deutschen Prozessrecht bekanntes, ausdifferenziertes und von der Literatur detailliert ausgearbeitetes Beweisrecht.10 Vielmehr zeichnen sich in der Rechtsprechung des EuGH in terminologischer sowie dogmatischer Hinsicht gewisse Inkonsistenzen ab.11 Die Annäherung an das unionsrechtliche Verständnis von Darlegungs- und Beweislast gelingt vor diesem Hintergrund am ehesten durch die Abgrenzung der terminologischen sowie dogmatischen Einordnung dieser Begriffe im deutschen Recht. a) Der Begriff der Beweislast Das deutsche Recht unterscheidet im Hinblick auf den Begriff der Beweislast zunächst zwischen der objektiven und der subjektiven Beweislast. Die Frage nach der objektiven Beweislast knüpft an eine sog. Non-liquet-Situation an, d. h. an eine Prozesssituation, in der eine entscheidungsrelevante, bestrittene Tatsachenbehauptung weder durch die Parteien noch durch das Gericht bewiesen werden kann und damit final Unklarheit besteht.12 Der Richter ist auch in der Situation eines non liquet dazu gezwungen, in der Sache selbst zu entscheiden.13 Diese Pflicht ist ebenfalls im internationalen und europäischen Recht anerkannt.14 Zur Überwindung der Non-liquet-Situation greift der Richter auf die objektive 9

S. Teil III. C., S. 88 ff. sowie Teil IV. E., S. 127 ff. Vgl. Zierke, Die Steuerungswirkung der Darlegungs- und Beweislast im Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, 2015, S. 9 ff. 11 Vgl. dazu sogleich unter 2., S. 13. 12 Vgl. Laumen, in: Baumgärtel / Laumen / Prütting, Handbuch der Beweislast, Grundlagen, 4. Aufl., 2018, Kap. 9, Rn. 13. 13 Vgl. bereits: Dubischar, Grundsätze der Beweislastverteilung im Zivil- und Prozeßrecht, JuS 1971, S. 385 (394). 14 Vgl. Everling / Carstens, Der Beitrag des Rechts zum europäischen Einigungsprozess. Konrad-Adenauer-Stiftung: Forschungsbericht Nr. 32, 1984, S. 117 ff.; Lauterpacht, La théorie des différendes non justiciable en droit international, in: Academie de Droit International de la Haye (Hrsg.), Recueil des Cours, Band 4, 1930, S. 493 (541). 10

24

Teil I: Grundlagen der Untersuchung

Beweislast zurück. Sie regelt die Frage, zu wessen Nachteil eine gerichtliche Entscheidung zu ergehen hat, wenn das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein eines entscheidungserheblichen Tatbestandsmerkmals ungeklärt bleibt.15 Unter der subjektiven Beweislast wird dagegen die „echte prozessuale Last“16 einer Partei im Rechtsstreit verstanden, durch eigenes Tätigwerden den Beweis einer bestimmten Tatsache führen zu müssen, um einen nachteiligen Prozessausgang zu vermeiden (Beweislastführung).17 b) Der Begriff der Darlegungslast Die Beweislast ist von der Darlegungslast (oder Behauptungslast) zu unterscheiden. Die Darlegungslast betrifft die Frage nach der Obliegenheit der Parteien, diejenigen Tatsachen vorzutragen, die die begehrte Rechtsfolge tragen.18 Sie ist mithin in einem der Beweislast vorgelagerten Bereich einzulösen. An dieser Stelle kann bereits erwähnt werden, dass die Darlegungslast im Verfahren vor dem Gerichtshof von zentraler Bedeutung ist, da dort der Beibringungsgrundsatz gilt, d. h. es obliegt den Parteien, im Prozess den streitigen Lebenssachverhalt vorzutragen.19 Parallel zur Beweislast kennt das deutsche Recht auch bei der Darlegungslast die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Darlegungslast. In Anlehnung an die objektive Beweislast bestimmt die objektive Darlegungslast, wie der Richter zu entscheiden hat, wenn keine ausreichenden Tatsachenbehauptungen durch die Parteien vorliegen.20 Dabei richtet sich die Verteilung der objektiven Darlegungslast regelmäßig nach der Verteilung der objektiven Beweislast.21 Die subjektive Darlegungslast regelt hingegen die Frage, welche Behauptungen eine Partei aufstellen muss, um den Prozess nicht zu verlieren.22

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Vgl. Laumen, in: Baumgärtel / Laumen / Prütting, Handbuch der Beweislast, Grundlagen, 4. Aufl., 2018, Kap. 9, Rn. 10. 16 Vgl. ebenda, Rn. 32. 17 Vgl. ebenda, Rn. 32. 18 Vgl. ebenda, Rn. 57 f.; Gottwald, in: Rosenberg / Schwab / Gottwald (Hrsg.), Zivilprozessrecht, 18. Aufl., 2018, § 116, Rn. 37. 19 Vgl. Zierke, Die Steuerungswirkung der Darlegungs- und Beweislast im Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, 2015, S. 17. 20 Laumen, in: Baumgärtel / Laumen / Prütting, Handbuch der Beweislast, Grundlagen, 4. Aufl., 2018, Kap. 9, Rn. 58. 21 Vgl. Gottwald, in: Rosenberg / Schwab / Gottwald, Zivilprozess, 18. Aufl., 2018, § 116, Rn. 39. 22 Vgl. Laumen, in: Baumgärtel / Laumen / Prütting, Handbuch der Beweislast, Grundlagen, 4. Aufl., 2018, Kap. 9, Rn. 58.

B. Terminologie der Untersuchung

25

2. Terminologische Inkonsistenzen und fehlende dogmatische Zuordnung in der Rechtsprechung des EuGH Im Verfahren vor dem Gerichtshof sind sowohl die (objektive und subjektive) Beweislast als auch die (objektive und subjektive) Darlegungslast von Bedeutung.23 Allerdings verwendet der EuGH die Begriffe der Beweislast und der Darlegungslast weder unter der Rezeption der im deutschen Recht bekannten Terminologie noch folgt er der dogmatischen Kategorisierung des deutschen Rechts. Namentlich gebraucht er Formulierungen wie „beweisen“, „nachweisen“ oder aber „darlegen“ und „behaupten“, die auf die aus dem deutschen Recht bekannten Differenzierungen hinweisen könnten, zum Teil synonym.24 Terminologische Inkonsistenzen, die eine eindeutige Unterscheidung zwischen Beweislast und Darlegungslast zusätzlich erschweren, ergeben sich dabei vor allem aus den unterschiedlichen Sprachfassungen der Urteile.25 Eine einheitliche Terminologie hat sich in der Rechtsprechung insofern nicht herausgebildet. Hieran anknüpfend hält das Gericht die Differenzierung zwischen Beweislast und Darlegungslast auch in dogmatischer Hinsicht nicht konsequent durch. So trägt der EuGH in einigen Fällen vor, dass die darlegungs- und beweislastverpflichtete Partei zu einer entscheidungserheblichen Tatsache bereits nicht vorgetragen habe. In anderen Fällen spricht der EuGH allerdings davon, dass die darlegungs- und beweislastverpflichtete Person eine bestimmte Tatsache nicht nachgewiesen habe, obwohl aus dem Kontext zu entnehmen ist, dass es bereits an einem entsprechenden Vortrag der Partei mangelt.26 Darüber hinaus scheint auch die Differenzierung der Beweislast und der Darlegungslast in ihre jeweiligen Unterkategorien in der Rechtsprechung, wenn überhaupt, eine eher untergeordnete Rolle zu spielen.27 Aufgrund der uneinheitlichen Terminologie sowie der fehlenden Zuordnung der Begriffe der Darlegungs- und Beweislast zu den aus dem deutschen Recht bekannten Kategorien geht diese Untersuchung von einem einheitlichen Verständnis der Begriffe der Beweislast und der Darlegungslast aus. Unter Beweislast wird dementsprechend die allgemeine Last der Parteien verstanden, Beweise für ihre Behauptungen beibringen zu müssen, um rechtliche Nachteile zu vermeiden.28 Mit dem Begriff der Darlegungslast ist dagegen die allgemeine Last der Parteien gemeint, bestimmte konkrete Tatsachenbehauptungen aufstellen zu müssen, die die begehrte Rechtsfolge tragen.29 23

Vgl. Zierke, Die Steuerungswirkung der Darlegungs- und Beweislast im Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, 2015, S. 19. 24 Vgl. ausführlich: Zierke, Die Steuerungswirkung der Darlegungs- und Beweislast im Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, 2015, S. 19 f. 25 Vgl. zur Analyse der Rechtsprechung: ebenda, S. 20 f. 26 Vgl. ebenda, S. 21. 27 Vgl. ebenda, S. 21. 28 Vgl. Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 1996, S. 28 f. 29 Vgl. Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 1996, S. 28.

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Teil I: Grundlagen der Untersuchung

Dieses einheitliche Verständnis trägt insbesondere dem Umstand Rechnung, dass erstens angesichts der Kohärenz zwischen der Verteilung von objektiver Beweislast einerseits und objektiver Darlegungslast andererseits eine strikte Differenzierung praktisch nicht erforderlich ist.30 Zweitens ist es in der Regel für den Ausgang des Prozesses von nachgeordneter Bedeutung, ob die vorgebrachten Behauptungen bzw. die Beweismittel als nicht ausreichend erachtet werden (Entscheidung auf Grundlage der subjektiven Darlegungs- und Beweislast) oder ob die Behauptungen bzw. Beweismittel kein Urteil auf gesicherter Erkenntnislage erlauben (Entscheidung auf Grundlage der objektiven Darlegungs- und Beweislast). In allen Fällen wird die darlegungs- und beweislastbelastete Partei unterliegen.31

C. Der Unionsgesetzgeber als Adressat von prozeduralen Pflichten I. Der Begriff des Unionsgesetzgebers Anders als z. B. das deutsche Grundgesetz kennt das europäische Primärrecht das Wort „Gesetzgeber“ in seiner speziellen singulären Färbung. In der Rechtsgemeinschaft der Europäischen Union wird der Rat gemeinsam mit dem Europäischen Parlament ausdrücklich als Gesetzgeber genannt.32 Sie sind mit der öffentlichen Beratung sowie der Beschlussfassung des Gesetzgebungsvorhabens betraut.33 Gemeint ist damit freilich die Setzung von Sekundärrecht. Änderungen und Ergänzungen des europäischen Primärrechts, mithin des EU- bzw. des AEUVertrages, erfordern die förmliche Zustimmung der Mitgliedstaaten und obliegen gerade nicht dem Rat und dem Europäischen Parlament.34 Neben dem Rat und dem Europäischen Parlament kommt der Europäischen Kommission eine Schlüsselrolle bei der unionalen Gesetzgebung zu.35 Ihr obliegt es nach Art. 17 Abs. 2 EUV, einen europäischen Gesetzgebungsakt vorzuschlagen. Ausnahmen von Art. 17 Abs. 2 EUV bestehen nur dort, wo die Verträge ausdrücklich eine andere Regelung festlegen. Namentlich können in bestimmten Fällen Gesetzgebungsakte auf Initiative einer Gruppe von Mitgliedstaaten36 oder des Europäischen Parlaments37, auf Empfehlung der Europäischen Zentralbank38 30 Vgl. Zierke, Die Steuerungswirkung der Darlegungs- und Beweislast im Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, 2015, S. 21. 31 Vgl. ebenda, S. 21. 32 Vgl. Art. 14 Abs. 1 EUV und Art. 16 Abs. 1 EUV. 33 Vgl. Art. 14 Abs. 1 EUV und Art. 16 Abs. 1 EUV. 34 Vgl. Art. 48 EUV. 35 Vgl. Schmidt / Schmitt von Sydow, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 1, 7. Aufl., 2015, Art. 17 EUV, Rn. 75. 36 Vgl. Art. 76 AEUV. 37 Vgl. Art. 223, 226, 228 AEUV. 38 Vgl. Art. 129 Abs. 3 AEUV.

C. Der Unionsgesetzgeber als Adressat von prozeduralen Pflichten 

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oder auf Antrag des Gerichtshofs39 oder der Europäischen Investitionsbank40 erlassen werden. Das Initiativmonpol der Kommission ist ein besonderes Leitbild europäischer Gesetzgebung. Es folgt dem Ideal, dass die Kommission als unabhängige und (lediglich) dem Unionsinteresse verpflichtete Institution am besten geeignet ist, ein Regelungsvorhaben zu entwerfen, das gleichermaßen die unterschiedlichen Belange der Mitgliedstaaten sowie der Unionsbürger und der wirtschaftlichen Interessengruppen vereint.41 Die besondere Bedeutung der Kommission für die europäische Rechtsetzung spiegelt sich auch im Subsidiaritätsprotokoll wider, das das normative Fundament für die prozeduralen Pflichten hinsichtlich der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im europäischen Gesetzgebungsverfahren bildet. Die Regelungen des Protokolls implementieren sowohl für die Kommission als auch für die anderen zur Vorlage berechtigten Stellen weitreichende Pflichten im Hinblick auf die Anwendung des Grundsatzes der Subsidiarität.42 In der vorliegenden Arbeit wird die Begrifflichkeit des Unionsgesetzgebers daher in einem umfassenden Sinn verwendet, d. h. der Terminus schließt neben dem Rat und dem Europäischen Parlament auch die Institutionen mit ein, die zur Vorlage eines Regelungsvorhabens berechtigt sind.

II. Innere Organisation der Gesetzgebung Charakteristisch für die europäische Gesetzgebung ist das Zusammenwirken mehrerer Organe sowie die Einbindung von organisierten Interessen und den Mitgliedstaaten in den Gesetzgebungsprozess. Im Hinblick auf das Verfahren der Gesetzgebung unterscheidet das Unionsprimärrecht gem. Art. 289 Abs 1 und Abs. 2 AEUV zwischen einem ordentlichen und einem besonderen Gesetzgebungsverfahren. Welches Gesetzgebungsverfahren zur Anwendung gelangt, ist abhängig von der jeweiligen Norm, die zum Erlass des betreffenden Rechtsaktes ermächtigt.43

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Vgl. Art. 257, 281 AEUV. Vgl. Art. 308 AEUV. 41 Vgl. Schmidt / Schmitt von Sydow, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 1, 7. Aufl., 2015, Art. 17 EUV, Rn. 76. 42 S. Teil III., S. 56 ff. 43 Vgl. für das ordentliche Gesetzgebungsverfahren: Art. 18, Art. 19 Abs. 2, Art. 21 Abs. 2, Art. 24 Abs. 1, Art. 46, Art. 48, Art. 50 Abs. 1, Art. 52 Abs. 2, Art. 53 Abs. 1, Art. 114 Abs. 1, Art. 192 Abs. 1, 2, 3 AEUV. 40

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Teil I: Grundlagen der Untersuchung

1. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren Rund 90 % der europäischen Gesetzgebungsakte werden im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen.44 Geregelt ist das Verfahren seit dem Vertrag von Lissabon in Art. 294 AEUV. Es erfolgt nach dem Modell des zuvor bestehenden Mitentscheidungsverfahrens des ex Art. 251 EGV.45 Das Verfahren setzt die Übereinstimmung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat bei dem Erlass eines Gesetzgebungsakts voraus. Es lässt sich in dreizehn Abschnitte einteilen, kann aber – je nach Einigung zwischen Rat und Parlament – bereits vorher beendet werden. Eine Übereinstimmung kann mit Abschluss der ersten Lesung, der zweiten Lesung oder durch die Bestätigung des gemeinsamen Entwurfs des Vermittlungsausschusses in einer dritten Lesung erzielt werden. Ein Gesetzgebungsakt kommt hingegen nicht zustande, wenn das Europäische Parlament den Standpunkt des Rates in zweiter Lesung ablehnt, die Vermittlung scheitert oder der gemeinsame Entwurf des Vermittlungsausschusses von Parlament oder Rat abgelehnt wird.46 Die Einzelheiten des Verfahrensablaufs sind neben Art. 294 AEUV in den Geschäftsordnungen der beteiligten Organe47 sowie in der gemeinsamen Erklärung zu den praktischen Modalitäten des Mitentscheidungsverfahrens geregelt48 und sollen an dieser Stelle nicht ausführlicher Bestandteil der Untersuchung sein.49 2. Das besondere Gesetzgebungsverfahren Alle Gesetzgebungsverfahren, die vom ordentlichen Gesetzgebungsverfahren abweichen, werden unter dem Begriff des besonderen Gesetzgebungsverfahrens zusammengefasst.50 Der Begriff des besonderen Gesetzgebungsverfahrens stellt insofern einen Sammelbegriff für eine Vielzahl unterschiedlicher Verfahren dar, an denen die Institutionen in unterschiedlichem Ausmaß und nach unterschiedlichen Modalitäten zusammenwirken. Die Verfahren lassen sich gem. Art. 289 Abs. 2 AEUV 44

Der Wert gilt für die Gesetzgebungsakte, die nach dem Vertrag von Lissabon erlassen wurden, vgl. Europäisches Parlament (Hrsg.), Handbuch zum Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, 2017, S. 60, abrufbar unter: http://www.epgencms.europarl.europa.eu/cmsdata/ upload/c18f9436-4c2e-4c2e-91be-0fe216f0e4e7/handbook-olp-de.pdf [zuletzt abgerufen am 24. 3. 2020]. 45 Vgl. ebenda, S. 1 ff. 46 Vgl. Chalmers / Davies / Monti, European Union Law, 4. Aufl., 2019, S 122 f. 47 Vgl. Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments, ABl. EU 2011 L 116/1; Geschäftsordnung des Rates, ABl. EU 2009 L 325/35. 48 ABl. EU 2007 C 145/5. 49 Vgl. ausführlich zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren: Haratsch / Koenig / Pechstein, Europarecht, 11. Aufl., 2018, S. 153, Rn. 344 f.; Schütze, European Union Law, 2. Aufl., 2018, S. 248 ff. 50 Vgl. Schütze, European Union Law, 2. Aufl., 2018, S. 251.

C. Der Unionsgesetzgeber als Adressat von prozeduralen Pflichten 

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in zwei Verfahrenstypen gliedern. Zum einen das Anhörungs- und zum anderen das Zustimmungsverfahren. Entsprechend seiner Bezeichnung ist beim Zustimmungsverfahren die Zustimmung des Europäischen Parlaments für den Erlass der jeweiligen Rechtsakte notwendig. Das Verfahren wird z. B. bei Verabschiedung von Finanzprotokollen angewendet. Geringere Einflussmöglichkeiten hat das Europäische Parlament, wenn das sog. Anhörungsverfahren Anwendung findet. Dies ist beispielsweise im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der Fall, bei der das Europäische Parlament vom Rat (lediglich) angehört wird.51

III. Bezugspunkte für prozedurale Pflichten 1. Der Begriff des Gesetzgebungsakts Im Recht der Europäischen Union gilt es zunächst zu beachten, dass es sich nicht bei jeder Sekundärrechtsetzung um Gesetzgebung handelt. Gesetzgebungsakte sind gem. Art. 289 Abs. 3 AEUV nur solche Rechtsakte, die in einem Gesetzgebungsverfahren angenommen werden.52 Die Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten, die keine Gesetzgebungsakte sind, ist von besonderer Bedeutung, da nur bei der Annahme von Gesetzgebungsakten bestimmte Verpflichtungen einzuhalten sind, wie z. B. das aus Art. 16 Abs. 8 AEUV und Art. 15 Abs. 2 AEUV folgende Erfordernis, dass der Rat öffentlich tagt, wenn er über Entwürfe von Gesetzgebungsakten berät und abstimmt. Dies gilt aber auch weitgehend für die in dieser Untersuchung beschriebenen Verfahrensbindungen des Unionsgesetzgebers im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität.53 Bei der durch die Systematik der Verträge vorgegebenen Trennlinie zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzgebungscharakter handelt es sich allerdings um ein rein formales Element.54 Aus der Einordnung eines Rechtsakts als Gesetzgebungsakt lassen sich mithin keine Rückschlüsse auf die Gewichtung seines Regelungsgehaltes ziehen. Insbesondere besteht zwischen Gesetzgebungsakten und Rechtsakten ohne Gesetzgebungscharakter keine Hierarchie in dem Sinne, dass im Gesetzgebungsverfahren erlassene Rechtsakte besonders wesentliche oder grundlegende Sachverhalte regeln.55 51

Vgl. ausführlich: ebenda. Vgl. EuGH, verb. Rsen C-643/15 und 647/15 (Slowakai / Rat), ECLI:EU:C:2017:631, Rn. 58. 53 S. zum Anwendungsbereich der sich aus dem Subsidiaritätsprotokoll ergebenden Pflichten: Teil II. D., S. 50 ff. sowie Teil III., S. 56 ff. 54 Vgl. EuGH, verb. Rsen C-643/15 und 647/15 (Slowakai / Rat), ECLI:EU:C:2017:631, Rn. 58 ff. 55 Vgl. Nettesheim, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 68. EL. 2019, Art. 290 AEUV, Rn. 29; Streinz / Ohler / Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 2010, § 10, S. 93 ff. 52

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Teil I: Grundlagen der Untersuchung

Andere Rechtsetzungsverfahren, die zum Erlass von verbindlichen Rechtsakten führen können, sind in den jeweiligen Bestimmungen der Verträge gesondert geregelt. Diesen sonstigen Rechtsetzungsverfahren unterfallen delegierte Rechtsakte, Durchführungsrechtsakte, Rechtsakte im Rahmen der GASP und alle übrigen in den Verträgen vorgesehenen Rechtsakte, deren Ermächtigung nicht ausdrücklich auf das ordentliche oder besondere Gesetzgebungsverfahren verweist.56 Rechtsakte in den anderen Rechtsetzungsverfahren können sowohl Sekundär- als auch Tertiärrecht sein. 2. Der Begriff des Entwurfs eines Gesetzgebungsakts Neben dem erlassenen Rechtsakt kann auch der Entwurf eines Gesetzgebungsakts Bezugspunkt für bestimmte Verfahrensbindungen des Unionsgesetzgebers sein. Diese betreffen dann vornehmlich die gesetzesentwurfeinbringende Stelle und weniger das Europäische Parlament und den Rat als Gesetzgeber im engeren Sinne. Der Begriff des „Entwurf(s) eines Gesetzgebungsakts“ ist im Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (Subsidiaritätsprotokoll)57 in Art. 3 legaldefiniert. Er entspricht der Definition im Protokoll Nr. 1 über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union.58 Der Begriff umfasst danach „Vorschläge der Kommission, Initiativen einer Gruppe der Mitgliedstaaten, die Initiativen des Europäischen Parlaments, die Anträge des Gerichtshofs, die Empfehlungen der Europäischen Zentralbank und die Anträge der Investitionsschutzbank, die den Erlass eines Gesetzgebungsakts zum Ziel haben.“ Die Begriffserklärung in Art. 3 Subsidiaritätsprotokoll betrifft allein den Terminus des „Entwurfs“ und nicht etwa die Konkretisierung oder Differenzierung zwischen Rechtsakten mit Gesetzgebungscharakter und solchen ohne.59 Art. 3 Subsidiaritätsprotokoll bildet daher den Oberbegriff für die insgesamt vier Termini der möglichen Initiativmaßnahmen für einen Gesetzgebungsakt, je nach einbringender Institution, ab. Der Begriff des „Entwurfs“ ist mithin eine Sammelbezeichnung für „Vorschläge“, „Initiativen“, „Anträge“ und „Empfehlungen“. Ein Verstoß gegen die Verfahrensbindungen, die ihren Bezugspunkt im Entwurf des Gesetzgebungsakts finden, kann ebenso zur Nichtigkeit des erlassenen Rechtsaktes führen wie ein Verstoß gegen die formalen Anforderungen an den Rechtsakt selbst.60 56

Vgl. EuGH, verb. Rsen C-643/15 und 647/15 (Slowakai / Rat), ECLI:EU:C:2017:631, Rn. 62 f. Vgl. Einleitung, Fn. 8. 58 Art. 2 des Protokolls Nr. 1 über die Rolle der nationalen Parlamente in der Europäischen Union, ABl. EU 2007 C 306/146. 59 Vgl. Molsberger, Das Subsidiaritätsprinzip im Prozess europäischer Konstitutionalisierung, 2009, S. 192. 60 S. Teil III. A. IV., S. 73 ff.; B. IV., S. 87 f. 57

Teil II

Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH A. Entwicklungsgeschichtlicher Ursprung des Subsidiaritätsprinzips Erste Überlegungen sollen dem entwicklungsgeschichtlichen Ursprung des Subsidiaritätsprinzips gewidmet werden. Der Grundgedanke der Subsidiarität und die in ihm verkörperte Idee reichen sowohl theologisch als auch (staats-)philosophisch sowie politisch weit zurück.1 Eine relativ konkrete Ausprägung, die erstmals eine breite Auseinandersetzung mit dem Grundsatz der Subsidiarität auslöste, hat das Subsidiaritätsprinzip in der katholischen Soziallehre erfahren. Dort beanspruchte es als substanzielles Ordnungsprinzip universelle Geltung.2 In der allgemeinen Staatsrechtslehre ist das Subsidiaritätsprinzip, nach liberalem Verständnis, auf das Engste mit dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft sowie der Abgrenzung dieser beiden Rechts- und Freiheitssphären verbunden.3 Zugleich wird das Subsidiaritätsprinzip in der Staatstheorie aber auch als grundlegendes politisches Gestaltungsprinzip innerhalb föderaler Strukturen fruchtbar gemacht. Dort dient es als konzeptionelles Fundament für die Ausübung von Legislativkompetenzen der verschiedenen bündischen Organisations- und Ausprägungsformen des Föderalismus.4 Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass der Inhalt des Prinzips der Subsidiarität in einem besonderen Maße kontextabhängig ist. Diese Einsicht formulierte bereits Josef Isensee 1968 für das deutsche Staatsrecht: „Das Subsidiaritätsprinzip 1

Vgl. Pieper, Subsidiarität. Ein Beitrag zur Begrenzung der Gemeinschaftskompetenzen, 1994, S. 45 ff.; Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, 1992, S. 7 ff. 2 Das Subsidiaritätsprinzip wurde in der Enzyklika „Quadragesimo Anno“ des Papstes Pius XI vom 15. 5. 1931 Ziff. 79 f., die maßgeblich auf Oswald von Nell-Breunig zurückgeht, formuliert; abgedruckt in: Bundesverband der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands (Hrsg.), Texte zur katholischen Soziallehre, S. 91 ff. (120); zu den Ursprüngen des Subsidiaritätsprinzips ausführlicher: Stewing, Subsidiarität und Föderalismus in der Europäischen Union, 1992, S. 7 ff.; Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 18 ff. 3 Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: Isensee / K irchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band II, 3. Aufl., 2004, § 31, Rn. 51 ff. 4 Vgl. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 35 ff.

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Teil II: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH 

gehört zu den – im doppelten Sinne des Wortes – fragwürdigsten Gegenständen der heutigen Staatsrechtslehre. Umstritten sind seine sachliche Aussage, sein ideologischer Hintergrund und seine rechtliche Geltung.“5 Bei dem Subsidiaritätsprinzip handelt es sich mithin genuin um einen weder anerkannten noch ausdifferenzierten rechtlichen Maßstab.6

B. Europarechtliche und -politische Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips I. Das Subsidiaritätsprinzip als mitgliedstaatliche Idee einer rechtlichen Kompetenzausübungsschranke der Europäischen Union Weitere Überlegungen sollen der grundlegenden europarechtlichen und politischen Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips gelten. Im Recht der Europäischen Union wird das Subsidiaritätsprinzip als Maßstab für einen justiziablen Föderalismus herangezogen und diskutiert. Seine ausdrückliche Aufnahme in das europäische Vertragswerk wurde bereits im Jahr 1975 erstmalig gefordert. Dazu hieß es in einem Bericht der Kommission, dass die Gründung der Europäischen Union nicht zur Schaffung eines zentralistischen Superstaates führen dürfe. In Übereinstimmung mit dem Prinzip der Subsidiarität seien der Union daher nur diejenigen Aufgaben zu übertragen, die die Mitgliedstaaten selbst nicht wirksam erfüllen könnten.7 Konkrete Gestalt erhielt diese Forderung dann erstmals in dem Entwurf eines Vertrages zur Gründung der Europäischen Union des Parlaments vom 14. Februar 1984. Dort war das Subsidiaritätsprinzip nicht nur abstrakt in der Präambel benannt8, vielmehr enthielt der Vorschlag den Versuch, das Subsidiaritätsprinzip in einem Rechtstext mit klaren, tatbestandlichen Kriterien zu formulieren.9 Durch diesen Ansatz, Bedingungen und Voraussetzungen für das Tätigwerden der Gemeinschaft zu definieren, erhielt der Grundsatz der Subsidiarität erstmals den Charakter einer rechtlichen Kompetenzausübungsschranke.10 In 5

Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, im Vorwort. Vgl. zu dieser Einschätzung: von Danwitz, Subsidiaritätskontrolle in der Europäischen Union, in: Dolde / Hansmann / Paetow / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfassung-Umwelt-Wirtschaft, FS für Dieter Sellner, 2010, S. 37 (39). 7 Vgl. EG-Bulletin, Beilage 5 und 9/1975; ähnlich auch der „Tindemans-Bericht“ über die Europäische Union, in: EG-Bulletin, Sonderbeilage 1/1976, S. 11 ff. 8 In der Präambel heißt es dort: „In der Absicht, gemeinsamen Institutionen nach dem Grundsatz der Subsidiarität nur die Zuständigkeiten zu übertragen, die sie benötigen, um die Aufgaben zu bewältigen, die sie wirkungsvoller wahrnehmen können als jeder einzelne Mitgliedstaat für sich“, vgl. EG-Bulletin, 2/1984, S. 9. 9 Vgl. dazu: Constantinesco, Subsidiarität: Zentrales Verfassungsprinzip für die Politische Union, integration 1990, S. 165 (170). 10 Vgl. Kenntner, Justitiabler Föderalismus. Zur Konzeption föderaler Kompetenzzuweisungen als subjektive Rechtspositionen, 2000, S. 262. 6

B. Europarechtliche und -politische Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips 

33

Art. 12 Abs. 2 des Entwurfs hieß es: „Die Union wird nur tätig, um die Aufgaben zu verwirklichen, die gemeinsam wirkungsvoller wahrgenommen werden können als von einzelnen Mitgliedstaaten allein, insbesondere Aufgaben, deren Bewältigung ein Handeln der Union erfordert, weil ihre Ausmaße oder ihre Auswirkungen über die nationalen Grenzen hinausreichen.“11 Ausdrücklich im europäischen Primärrecht eingeführt wurde das Prinzip der Subsidiarität dann 1992 durch den Vertrag von Maastricht.12 Zuvor fand sich das Prinzip der Subsidiarität zwar bereits in den Verträgen. Es galt allerdings nur für die europäische Umweltpolitik und wurde nicht ausdrücklich als solches benannt.13 Die Verankerung des Subsidiaritätsgrundsatzes in den Europäischen Verträgen kann als Reaktion auf den seit den 1950er Jahren ständig voranschreitenden Ausbau der Gemeinschaftskompetenzen zulasten der Mitgliedstaaten bezeichnet werden.14 Im Zuge der Verwirklichung des Binnenmarktes waren die Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft gewachsen. Hinzu kam 1987 die Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips im Rat durch die Einheitliche Europäische Akte (EEA). Die Mitgliedstaaten konnten nun einem Recht unterworfen werden, das ihre demokratisch gewählten Vertreter ausdrücklich ablehnten. In Folge dieser vertieften Integration der Europäischen Gemeinschaft wuchs in den Mitgliedstaaten das Bedürfnis, der ungewollten Kompetenzausübung durch die europäische Ebene ein rechtliches Instrument entgegensetzen zu können.15 Besonders die deutschen Bundesländer drängten angesichts befürchteter Souveränitätsverluste auf die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips in den europäischen Verträgen.16 Um einer weiteren Verengung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums der Mitgliedstaaten entgegenzutreten, forderten sie, dass die Europäische Gemeinschaft neue Aufgaben nur unter strikter Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes übernehmen dürfe.17 Die Konzeption des Subsidiaritätsprinzips als effektive Kompetenzausübungsschranke war allerdings nicht nur für die deutschen Verhandlungsführer von entscheidender Bedeutung. Die effektive Möglichkeit der Beschränkung der Regelungsbefugnisse der Europäischen Gemeinschaften wurde vom britischen Parlament ausdrücklich zur Voraussetzung für die Zustimmung zu den Gründungsver 11

EG-Bulletin, 2/1984, S. 12. Art. 3 lit. b des damaligen Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV). 13 Art. 130 r Abs. 4 EWG. 14 Schwarze stellte 1993 eine neue Dimension der staatsrechtlichen Verunsicherung gegenüber dem Fortschreiten der europäischen Einigung fest, ders., Das Staatsrecht in Europa, JZ 1993, S. 585 ff. Ähnlich: Hilf, Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?, VVDStRL 1994, S. 7 (9). 15 Vgl. Mellein, Subsidiaritätskontrolle durch nationale Parlamente, 2007, S. 124. Ausführlich zur Entstehungsgeschichte: Calliess, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / A EUV, 5. Aufl., 2016, Art. 5 EUV, Rn. 1 ff. 16 BR-Drs. 680/91; 252/91; 780/90; 550/90. 17 Vgl. Pieper, Subsidiarität. Ein Beitrag zur Begrenzung der Gemeinschaftskompetenzen, 1994, S. 221. 12

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Teil II: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH 

trägen gemacht.18 Es kann dementsprechend nicht verwundern, dass die tatsächlich umgesetzte Fassung des Wortlautes des Prinzips der Subsidiarität auf einen Formulierungsvorschlag zurückgeht, den die Bundesrepublik und Großbritannien zusammen abgestimmt haben. Dabei fällt auf, dass die Formulierung in Maastricht deutlich verschärft worden ist.19 Während in dem Entwurf nur von der „besseren“ Erreichung durch die Gemeinschaft die Rede war, findet sich im Vertragstext auch explizit das Nichtgenügen der Zuständigkeitsausübung durch die Mitgliedstaaten als erstes entscheidendes Kriterium. Das erinnert sehr an die deutsche Konzeption des Art. 72 Abs. 1 Nr. 1 GG, wonach die Inanspruchnahme von Bundeskompetenzen für den Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung unter anderem voraussetzt, dass eine Angelegenheit durch die Gesetzgebung einzelner Länder nicht wirksam geregelt werden kann. Insgesamt wird deutlich, dass man sich von der Aufnahme des Subsidiaritätsprinzips in das europäische Primärrecht eine rechtlich limitierende Funktion für die Aktivitäten der Gemeinschaft erhoffte.

II. Weitere europarechtliche und -politische Genese des Subsidiaritätsprinzips Mit der Aufnahme des Subsidiaritätsprinzips in das europäische Primärrecht waren integrationsrechtlich und -politisch mithin hohe Erwartungen verbunden. Zugleich wurde in der Jurisprudenz aber schon früh auf das Problem hingewiesen, das Subsidiaritätsprinzip als Rechtsgrundsatz praktikabel zu machen, was seine Präzisierung und Konkretisierung erforderte.20 Aus Sicht der deutschen Rechtswissenschaft gehört Dieter Grimm wohl zu den prominentesten Stimmen der diesbezüglichen Literatur. Er bezweifelte die Justiziabilität des Subsidiaritätsprinzips schon früh und bezeichnete den Wortlaut des ex Art. 3 b EGV zugespitzt als „Formelkompromiss“, durch den die Vertragsparteien lediglich eine „Nicht-

18

Vgl. ausführlich: Jachtenfuchs, Die EG nach Maastricht: Das Subsidiaritätsprinzip und die Zukunft der Integration, Europa-Archiv 1992, S. 279 ff. 19 Artikel 3 lit. b lautete im Entwurf: „The Community shall act within the limits of the powers conferred upon it by this Treaty and of the objectives assigned to it therein. In the areas which do not fall within its exclusive jurisdiction, the Community shall take action, in accordance with the principle of subsidiarity, only if, and insofar as, the objectives can be better achieved by the Community than by the Member States acting separately, by reason of the scale or effects of the proposed action“. S. zum Wortlaut des Entwurfs: Frowein, Konkurrierende Zuständigkeit und Subsidiarität. Zur Kompetenzverteilung in bündischen Systemen, in: Badura (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, FS für Peter Lerche, 1993, S. 401 (405). 20 Vgl. Blanke, Der Unionsvertrag von Maastricht  – Ein Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Bundesstaat?, DÖV 1993, S. 412 (421); Möschel, Zum Subsidiaritätsprinzip im Vertrag von Maastricht, NJW 1993, S. 3025 (3027).

B. Europarechtliche und -politische Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips 

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entscheidung im Hinblick auf einen konkreten Entscheidungsmaßstab zur Kompetenzabgrenzung überdeckt hätten“21. Die Erkenntnis, dass das Subsidiaritätsprinzip eines normativen Unterbaus bedarf, um der Justiz im Streitfall einen anwendbaren Entscheidungsmaßstab zu liefern, spiegelt sich auch im praktischen Reformprozess auf der Ebene der Europäischen Union wider. Bereits der Europäische Rat von Edinburgh 1992 bemühte sich, dem höchst abstrakten Subsidiaritätsprinzip einen normativen Unterbau zu verleihen, der vor allem die praktische Durchsetzung des Prinzips gewährleisten sollte.22 Das erarbeitete Gesamtkonzept, das maßgeblich auf einer materiell-rechtlichen Aufwertung des Subsidiaritätsprinzips beruhte, wurde 1997 in dem den Vertrag von Amsterdam begleitenden Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit23 (Subsidiaritätsprotokoll zum Amsterdamer Vertrag) kodifiziert. Effektiv rechtlich durchgesetzt wurde das Subsidiaritätsprinzip allerdings auch nach den Reformbemühungen des Vertrags von Amsterdam nicht.24 Nichtsdestoweniger versuchte man den Grundsatz der Subsidiarität auch im europäischen Verfassungsprozess in den 2000er Jahren als zentrales rechtliches Ordnungsprinzip bei der Entscheidung über Kompetenzstreitigkeiten fruchtbar zu machen. Namentlich sollte die Frage nach einer besseren Verteilung und Abgrenzung der Zuständigkeiten innerhalb der Europäischen Union unter dem Rückgriff auf eine Weiterentwicklung des Subsidiaritätskonzeptes beantwortet werden. Vor der Einberufung des (europäischen) Verfassungskonvents im Dezember 2001 fand deshalb im März desselben Jahres im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestages eine Anhörung statt, in der sich eine Vielzahl von Sachverständigen für eine institutionelle, inhaltliche und/oder prozedurale Stärkung des Grundsatzes der Subsidiarität aussprach. Die institutionelle Akzentuierung des Subsidiaritätsprinzips sollte durch einen mit politischen Kontrollbefugnissen ausgestatteten „Subsidiaritätsausschuss“ oder ein „Subsidiaritätsgericht“ forciert werden.25 In prozeduraler Hinsicht strebten

21

Grimm, Effektivität und Effektivierung des Subsidiaritätsprinzips, KritV 1/1994, S. 6 ff. Vgl. „Gesamtkonzept für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips und des Artikels 3 b des Vertrages über die Europäische Union durch den Rat“, Ratsdokument SN/456/92, Teil A, Anlage 1, abrufbar unter: https://www.europarl.europa.eu/summits/edinburgh/a1_de.pdf [zuletzt abgerufen am 24. 3. 2020]. 23 ABl. EG 1997 C 340/105. 24 Vgl. zu dieser Einschätzung und den Ursachen: Koenig / L orz, Stärkung des Subsidiaritätsprinzips, JZ 2003, S. 167 (168). Zu dem gleichen Ergebnis kommen Bickenbach, Das Subsidiaritätsprinzip in Art. 5 EUV und seine Kontrolle, EuR 2013, S. 523 (523), und von Danwitz, Subsidiaritätskontrolle in der Europäischen Union, in: Dolde / Hansmann / Paetow / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfassung-Umwelt-Wirtschaft, FS für Dieter Sellner, 2010, S. 37 (39). 25 Hirsch, in: Deutscher Bundestag (Hrsg.), Der Weg zum EU-Verfassungskonvent, Berichte und Dokumentationen, 2002, S. 135 (140); Hobe, ebenda, S. 163 (176 f.); Huber, ebenda, S. 193 (204); Pernice, ebenda, S. 212 (218). 22

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Teil II: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH 

die Sachverständigen wirksamere Beteiligungs- und Einspruchsrechte der betroffenen Institutionen26 sowie ein spezielles, zielgerichtetes gerichtliches Verfahren vor dem EuGH an.27 In der Erklärung von Laeken28 sprachen sich dann auch der Europäische Rat und hieran anknüpfend die Europäische Kommission29 für eine transparente und simplifizierte Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten auf Grundlage des Prinzips der Subsidiarität aus. Der mit der Entwicklung des Entwurfs einer Europäischen Verfassung betraute Konvent befasste sich in der Arbeitsgruppe I gezielt mit dem Thema der Subsidiarität.30 Im Vordergrund der Auseinandersetzung stand das Ringen um Instrumente für eine wirksame Subsidiaritätskontrolle.31 Das Ergebnis der auf den Weg gebrachten Reformen ist die Kodifizierung prozeduraler Anwendungsbedingungen für das europäische Rechtsetzungsverfahren, die den nationalen Parlamenten für die Einhaltung und Anwendung des Subsidiaritätsprinzips eine Schlüsselrolle zuweisen. Diese gelten nach dem derzeitigen Subsidiaritätskonzept der europäischen Verträge als die „Wächter über die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips“32. Zuletzt wurde das Subsidiaritätsprinzip im Rahmen der Diskussion um das Weißbuch der Kommission zur Zukunft Europas33 virulent. Eines der dort aufgezeigten Szenarien für die Zukunft Europas lautet „Weniger, aber effizienter“ oder „Big on big things, small on small things“. In diesem Szenario konzentriert sich die Europäische Union auf einige zentrale Politikfelder, setzt politische Prioritäten und erhält hier mehr Kompetenzen. Dafür werden Zuständigkeiten in anderen Politikfeldern reduziert. Sedes materiae für diese Arbeitsweise soll Art. 5 EUV sein.34 Insgesamt wird deutlich, dass das Leitbild der politischen und rechtlichen Genese des Subsidiaritätsprinzips auf der Ebene der Europäischen Union dem Motiv 26

Benz, in: ebenda, S. 142 (153). Hobe, in: ebenda, S. 163 (177). 28 Erklärung „Zur Zukunft der Europäischen Union“ vom 15. 12. 2001, S. 3, abrufbar unter: http://european-convention.europa.eu/pdf/lknde.pdf [zuletzt abgerufen am 24. 3. 2020]. 29 KOM (2002) 247 endg., S. 25. 30 Mandat der Arbeitsgruppe I „Subsidiaritätsprinzip“, Dok. CONV 71/02; Ergebnisse der Arbeitsgruppe I „Subsidiaritätsprinzip“, Dok. CONV 286/02. 31 Ausführlich zu den Konventsberatungen: Mellein, Subsidiaritätskontrolle durch nationale Parlamente, 2007, S. 103 ff. 32 Mellein / L esaar, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Aufl., 2019, Art. 12 EUV, Rn. 12. 33 Weißbuch zur Zukunft Europas. Die EU der 27 im Jahr 2025 – Überlegungen und Szenarien, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/weissbuch_ zur_zukunft_europas_de.pdf [zuletzt abgerufen am 24. 3. 2020]. 34 Vgl. Weißbuch zur Zukunft Europas. Die EU der 27 im Jahr 2025 – Überlegungen und Szenarien, S. 22, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/ weissbuch_zur_zukunft_europas_de.pdf [zuletzt abgerufen am 24. 3. 2020]. Vgl. ausführlich zu den dort skizzierten Szenarien: Calliess, Bausteine einer erneuerten Europäischen Union. Auf der Suche nach dem europäischen Weg: Überlegungen im Lichte des Weißbuchs der Europäischen Kommission zur Zukunft Europas, NVwZ 2018, S. 1 (4). 27

C. Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union

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seiner Aufnahme in das europäische Primärrecht entspricht: der Idee, der Ausübung von Kompetenzen durch die Europäischen Union eine rechtliche Grenze zu setzen.

C. Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union I. Subsidiarität als materiell-rechtliches Ordnungskonzept 1. Überblick über die Regelung des Art. 5 EUV Art. 5 EUV enthält die wesentlichen Vorgaben für die vertikale Kompetenzverteilung innerhalb der Europäischen Union. Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 EUV ordnen an, dass die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung erfolgt. Für die Ausübung der auf die Union übertragenen Kompetenzen gelten sodann gem. Art. 5 Abs. 3 und Abs. 4 EUV die Grundsätze der Subsidiarität sowie der Verhältnismäßigkeit. In ihrer Summe bilden das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiaritätsgrundsatz sowie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den rechtlichen Maßstab für die Wahrnehmung der Hoheitsrechte der Union.35 Zusammenfassend werden sie als Subsidiaritätsprinzip im weiteren Sinne (i. w. S.) bezeichnet.36 Das Subsidiaritätsprinzip i. w. S. ist zu unterscheiden vom Subsidiaritätsprinzip im engeren Sinne (i. e. S.) in Art. 5 Abs. 3 EUV. Wenn im Folgenden ohne einen Zusatz vom Subsidiaritätsprinzip die Rede ist, ist der in Art. 5 Abs. 3 EUV niedergelegte Grundsatz gemeint. a) Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Für die Abgrenzung der Zuständigkeit der Union gilt nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 EUV das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Die Union wird nach Art. 5 Abs. 2 EUV nur „innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben. Alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben [gem. Art. 4 Abs. 1 EUV] bei den Mitgliedstaaten“. Die Union ist dadurch hinsichtlich ihrer Zuständigkeiten auf die Übertragung durch die Mitgliedstaaten angewiesen. Sie kann nicht selbst über ihre Zuständigkeiten entscheiden. Insbesondere kann sie diese nicht erweitern. Ihr fehlt damit die Kom 35 Vgl. Lienbacher, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Aufl., 2019, Art. 5 EUV, Rn. 1; Kadel­bach, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 1, 7. Aufl., 2015, Art. 5 EUV, Rn. 3. 36 Zur Terminologie: Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV / A EUV, 3. Aufl., 2018, Art. 5 EUV, Rn. 2.

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Teil II: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH 

petenz, über ihre Kompetenzen zu bestimmen, die sog. Kompetenz-Kompetenz.37 Dies unterscheidet sie von einem souveränen Staat, der nach dem Grundsatz der Allzuständigkeit genau über diese Kompetenz-Kompetenz verfügt.38 Der rechtsstaatliche Gehalt des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung liegt in der Bindung jedes verbindlichen Unionshandelns an eine Rechtsgrundlage ähnlich wie der aus dem deutschen Recht bekannte Vorbehalt des Gesetzes zwingt der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung die Unionsorgane bei einem Tätigwerden zur Wahl der richtigen, d. h. tragfähigen Rechtsgrundlage.39 b) Das Subsidiaritätsprinzip i. e. S. Während das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung Aussagen über das Bestehen und den Umfang der Kompetenzen des Unionsgesetzgebers trifft, bezieht sich das Subsidiaritätsprinzip auf die Ausübung von Kompetenzen und soll diese grundsätzlich beschränken. Anwendung findet das in Art. 5 Abs. 3 EUV verankerte Subsidiaritätsprinzip nur im Bereich der geteilten bzw. nach deutscher Diktion: konkurrierenden Zuständigkeit.40 In den Bereichen, in denen die Union nicht ausschließlich zuständig ist, wird sie nach dem in Art. 5 Abs. 3 EUV statuierten Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit „die Ziele der geplanten Maßnahme von den Mitgliedstaaten weder zentral, regional, noch lokal ausreichend erreicht werden können [Negativ- bzw. Insuffizienzkriterium], sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser durch die Union erreicht werden können [Positiv- bzw. Effizienzkriterium].“ Art. 5 Abs. 3 EUV kombiniert damit zwei Kriterien, die nunmehr ausdrücklich kumulativ erfüllt sein müssen, damit die Ausübung einer Unionskompetenz zulässig ist.41 Der Umstand allein, dass die Mitgliedstaaten nicht in der Lage sind, ein Ziel ausreichend zu verwirklichen, rechtfertigt kein Tätigwerden der Union.42 Das erste Teilkriterium des Art. 5 Abs. 3 EUV erfordert dabei grundsätzlich die 37

Vgl. BVerfGE 123, 267 (392 ff.). Ferner: Vedder, in: Vedder / Heintschel von Heinegg, Europäisches Unionsrecht, 2. Aufl., 2018, Art. 5 EUV, Rn. 7. 38 Ebenda. 39 Vgl. Vedder, in: Vedder / Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 2. Aufl., 2018, Art. 5 EUV, Rn. 7; Kadelbach, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 1, 7. Aufl., 2015, Art. 5 EUV, Rn. 5. 40 Eine ausschließliche Zuständigkeit der Union besteht für die Bereiche der Zollunion, die für das Funktionieren des Binnenmarktes erforderlichen Wettbewerbsregeln, die Währungspolitik der Euro-Gruppe, die Erhaltung der biologischen Meeresschätze im Rahmen der gemeinsamen Fischereipolitik und die gemeinsame Handelspolitik (Art. 3 Abs. 1 AEUV). 41 Die Vorgängerregelung des Art. 5 Abs. 2 EGV verwendete anstatt der Formulierung „sondern“ noch „und daher“; kritisch dazu: von Bogdandy / Bast / Westphal, Die vertikale Kompetenzordnung im Entwurf des Verfassungsvertrages, integration 2003, S. 414 (419). 42 Vgl. Lienbacher, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 4. Aufl., 2019, Art. 5 EUV, Rn. 23.

C. Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union

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Feststellung des Bestehens eines Regelungsdefizites, verbunden mit der Prognose, dass dieses mit den Mitteln, die den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen, nicht behoben werden kann.43 Auf der zweiten Stufe der Subsidiaritätsprüfung nach Art. 5 Abs. 3 EUV muss sodann beurteilt werden, ob das Regelungsziel auf Unionsebene „besser“ verwirklicht werden kann. Das Positivkriterium erfordert hierbei einen Vergleich. Die prognostisch ermittelten mitgliedstaatlichen Bemühungen sind in Beziehung zu setzen zu den voraussichtlichen Wirkungen eines Handelns auf Unionsebene oder dem zur Zielerreichung notwendigen Umfang der Maßnahme.44 Bei den beiden Kriterien des Art. 5 Abs. 3 EUV handelt es sich letztlich um Relationsbeschreibungen, die in der konkreten Anwendung von den handelnden Organen eine Prognoseentscheidung verlangen.45 Als Maßstab für eine subsidiaritätsgerechte Ausübung unionaler Legislativkompetenzen sind sie deshalb mit dem Risiko der Ungewissheit und Unvorhersehbarkeit behaftet. Dementsprechend wird den Unionsorganen bei der Beurteilung der Einhaltung der Kriterien des Art. 5 Abs. 3 EUV grundsätzlich eine weite Einschätzungsprärogative zugestanden.46 c) Das Verhältnismäßigkeitsprinzip Wie das Subsidiaritätsprinzip stellt auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine Kompetenzausübungsschranke der Union dar. Anders als Art. 5 Abs. 3 EUV bezieht sich Art. 5 Abs. 4 EUV allerdings sowohl auf Bereiche, für die die Union ausschließlich zuständig ist, als auch auf Bereiche, in denen eine geteilte Zuständigkeit besteht.47 Dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 4 EUV zufolge dürfen die Maßnahmen der Union „inhaltlich wie formal“ nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinausgehen. Diese Formulierung verlangt von den Organen, die in der Mittelhierarchie mildeste Handlungsform (Richtlinie vor Verordnung, Schutzverstärkungs- oder Öffnungsklauseln) zu wählen und sich inhaltlich in Bezug auf die Regelungstiefe und den Regelungsumfang auf das für 43

Vgl. Bast, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 68. EL. 2019, Art. 5 EUV, Rn. 54. 44 Vgl. Bickenbach, EuR 2013, S. 523 (527); Pache, in: Pechstein / Nowak / Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, EUV / GRC / A EUV, Band 1, 1. Aufl., 2017, Art. 5 EUV, Rn. 93. 45 Vgl. Ritzer / Ruttloff, Die Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips: Geltende Rechtslage und Reformperspektiven, EuR 2006, S. 116 (120); Calliess, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / A EUV, 5. Aufl., 2016, Art. 5 EUV, Rn. 21. 46 Vgl. Lienbacher, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 4. Aufl., 2019, Art. 5 EUV, Rn. 27; Pache, in: Pechstein / Nowak / Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, EUV / GRC / A EUV, Band 1, 1. Aufl., 2017, Art. 5 EUV, Rn. 100; Langguth, in: Lenz / Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 6. Aufl., 2012, Art. 5 EUV, Rn. 43; Everling, in: von Bogdandy / Bast (Hrsg.), Euro­ päisches Verfassungsrecht, 2. Aufl., 2009, S. 984. 47 Vgl. Kadelbach, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 1, 7. Aufl., 2015, Art. 5 EUV, Rn. 50.

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Teil II: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH 

die Zielerreichung Notwendige zu begrenzen.48 Das Subsidiaritätsprinzip und das Verhältnismäßigkeitsprinzip sind eng miteinander verflochten und können daher oftmals nicht getrennt voneinander beurteilt werden. Die von Art. 5 Abs. 3 EUV geforderte Effizienz der Ziel- und Aufgabenverwirklichung hängt in einem entscheidenden Maße von der Art sowie der Regelungsdichte des Unionsaktes ab. Insoweit wirft Art. 5 Abs. 3 EUV ebenso wie Art. 5 Abs. 4 EUV die Frage nach dem erforderlichen Maß der Maßnahme auf.49 d) Zusammenfassung Insgesamt beinhaltet Art. 5 EUV ein System der gestuften Kumulation der Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Ausübung von Gesetzgebungszuständigkeit durch die Europäische Union in Form einer Schrankentrias. Die Absätze 2–4 geben dabei die grundlegenden Voraussetzungen für jede Kompetenzausübung durch die Union vor und sind damit der für die Bürger sichtbare Anknüpfungspunkt bei der Entscheidung von Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der Europäischen Union. 2. Das Problem der rechtlichen Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als materiell-rechtliches Ordnungskonzept Im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip als materielles Ordnungskonzept ergeben sich für dessen rechtliche Kontrolle zweierlei zentrale Probleme, die die Unionsgerichtsbarkeit vor eine Herausforderung stellen. Dies ist zum einen die unzureichende normative Steuerungswirkung der Kriterien des Art. 5 Abs. 3 EUV und zum anderen der Mangel an übergeordnet determinierten Bezugspunkten für die Subsidiaritätsprüfung. a) Normative Steuerungswirkung der Kriterien des Subsidiaritätsprinzips Erste Überlegungen zum Ursprung und zur Bedeutung des Subsidiaritätsprinzips haben gezeigt, dass dessen Inhalt in einem besonderen Maße kontextabhängig ist.50 Auf der Ebene der Europäischen Union tritt neben der Bedeutungsvielfalt des Subsidiaritätsprinzips das Problem seiner ambivalenten Auslegung. Für das Sub 48 Vgl. Bast, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 68. EL. 2019, Art. 5 EUV, Rn. 71 f. 49 Vgl. Koenig / L orz, Stärkung des Subsidiaritätsprinzips, JZ 2003, S. 167 (168). Kritisch: Calliess, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / A EUV, 5. Aufl., 2016, Art. 5 AEUV, Rn. 43, 5 ff., der das Subsidiaritätsprinzip mit der Frage nach dem „Ob“ des Handelns der Union umschreibt und das Verhältnismäßigkeitsprinzip als die Frage nach dem „Wie“ des Tätigwerdens definiert. 50 S. Teil II. A., S. 31 ff.

C. Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union

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sidiaritätsprinzip in Art. 5 Abs. 3 EUV ist umstritten, ob ihm ausschließlich eine Abwehrfunktion zukommt oder ob die Vorschrift die legitimatorische Grundlage für eine weitergehende Integration der Europäischen Union darstellt.51 Dahinter steht letztlich die Frage nach der normativen Direktionsrichtung des Art. 5 Abs. 3 EUV. Fraglich ist, ob sich die Verwirklichung des Grundsatzes der Subsidiarität auf den Schutz der unteren Ebene beschränkt oder auch die Voraussetzungen für ein Tätigwerden der Union umfasst − die obere Ebene der unteren folglich zu Hilfe kommen muss. Der Schutz der unteren Ebene bedeutet eine Funktionssperre, die auch als „negative“ Subsidiarität bezeichnet wird. Das Einbeziehen der Voraussetzungen der Subsidiarität in ihren Inhalt bedeutet dagegen eine „positive“ Subsidiarität.52 So ist zu erklären, warum Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip oftmals als zwei Seiten einer Medaille des Gemeinwohls genannt werden.53 Eine Interpretation des Subsidiaritätsprinzips als Funktionssperre für die Ausübung von Legislativkompetenzen durch die Europäische Union, wie sie nach der deutschen Verfassung angezeigt ist54, kann dabei nur gelingen, wenn insbesondere dem Negativkriterium des Art. 5 Abs. 3 EUV eine eigenständige Bedeutung zukommt. Dafür müsste dessen normativer Inhalt bekannt und rechtlich hinreichend determiniert sein. Das Negativ- bzw. Insuffizienzkriterium wirft als materieller Subsidiaritätsmaßstab allerdings mehr Fragen auf, als es beantwortet. Das Kriterium verlangt von den handelnden Organen, ausgehend von den Zielen der geplanten Unionsmaßnahme, die Feststellung des Bestehens eines Regelungsdefizites auf der Ebene der Mitgliedstaaten.55 Berücksichtigt werden müssen bei dieser Bewertung auch lokale sowie regionale Regelungsstrukturen innerhalb der Mitgliedstaaten. Dies ordnet Art. 5 Abs. 3 EUV nunmehr ausdrücklich an. Wird ein Regelungsdefizit festgestellt, muss in einem zweiten Schritt beurteilt werden, ob dieses Defizit mit den Mitteln, die den verschiedenen mitgliedstaatlichen Ebenen zur Verfügung stehen, behoben werden kann. Das Negativ- bzw. Insuffizienzkriterium erfordert mithin eine umfassende und in einem besonderen Maße komplexe sowie vielschichtige Betrachtung der Regelungsregime der europäischen Mitgliedstaaten. Erschwert wird eine solche ohnehin schon praktisch schwer zu bewerkstelligende Gesamtbetrachtung dadurch, dass der Vertrag für sie keine normativen Parameter bereithält. Auf der Ebene der europäischen Union existieren 51 So Frenz, Subsidiaritätsprinzip und -klage nach dem Vertrag von Lissabon, Jura 2010, S. 641 (642). Zur Möglichkeit dieses Verständnisses bereits der damalige Kommissionspräsident Jacques Delors, Arbeitsdokument des Präsidenten der EG-Kommission für das Treffen mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer am 19. 5. 1988 in Bonn, in: Europa-Archiv, Folge 12/1988, D 340 (340 f.). 52 Vgl. zu den Begriffen „negative“ und „positive“ Subsidiarität bereits: Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 29 f. Vgl. für das Europarecht: Bickenbach, Das Subsidiaritätsprinzip in Art. 5 EUV und seine Kontrolle, EuR 2013, S. 523 (537). 53 Vgl. Calliess, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 5 EUV, Rn. 22. 54 Vgl. Classen, in: von Mangoldt / K lein / Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, Band 2, 7. Aufl., 2018, Art. 23 GG, Rn. 40. 55 S. Teil II. C. I. 1. b), S. 38 f.

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Teil II: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH 

keine justiziablen Maßstäbe für die Frage, wann ein Ziel durch die Mitgliedstaaten ausreichend verwirklicht wird. Hinzu kommen praktische bzw. tatsächliche Probleme, vor die eine mitgliedstaatlichspezifische Betrachtung gestellt ist: Angesichts der Zahl von 27 Mitgliedstaaten und einer geplanten geografischen Erweiterung der Europäischen Union bis 202556 stellt sich die Frage, wie bei einer Gesamtbetrachtung damit umzugehen ist, wenn hinsichtlich der Einführung der geplanten Maßnahmen lediglich in einzelnen Mitgliedstaaten Probleme auftauchen. In der Kommentarliteratur wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass das Insuffizienzkriterium bereits dann erfüllt ist, wenn nur ein Mitgliedstaat nicht in der Lage ist, ein von der Union anvisiertes Ziel umzusetzen.57 Die Problemlösungsfähigkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten geht allerdings, allein schon aufgrund der divergierenden Wirtschaftskraft, weit auseinander. In der Praxis ließe sich immer zumindest ein Mitgliedstaat finden, der das anvisierte Ziel aufgrund seines Umfangs oder seiner Wirkung nicht erreichen könnte. Dahinter steht letztlich die Frage, wie mit der Heterogenität der Mitgliedstaaten bei der Auslegung des Insuffizienzkriteriums umzugehen ist. Neben der Frage der objektiven Leistungsfähigkeit einzelner oder aller Mitgliedstaaten stellt sich im Zusammenhang mit dem Negativ- bzw. Insuffizienzkriterium auch die Frage nach deren subjektiver Leistungsfähigkeit. Zuletzt haben sich in der Europäischen Union immer wieder Tendenzen einzelner Mitgliedstaaten abgezeichnet, die Durchführung und Anwendung von Unionsrecht zu verweigern. Ob und inwiefern die subjektive Leistungsverweigerung einzelner Mitgliedstaaten ausreicht, um die Einhaltung des Negativkriteriums im Hinblick auf die Gesamtheit der Mitgliedstaaten zu bejahen, unterliegt im Schrifttum einer Kontroverse.58 Eine eigenständige Bedeutung im Sinne einer Funktionssperre kann dem Negativ- bzw. Insuffizienzkriterium vor dem Hintergrund dieser Unwägbarkeiten nicht zugeschrieben werden. Will man den Inhalt des Subsidiaritätsprinzips nicht in sein Gegenteil verkehren, bleibt noch eine Auslegung des Art. 5 Abs. 3 EUV insgesamt als Erforderlichkeitstest. Die Notwendigkeit einer zweistufigen Prüfung geht nunmehr ausdrücklich und unmittelbar aus dem Bestimmungstext selbst hervor: Art. 5 Abs. 3 EUV fordert das kumulative Vorliegen des Negativ- bzw. Insuffizienzkriteriums und des Positiv- bzw. Effizienzkriteriums. Es stellt sich dann aber bereits angesichts der mangelnden normativen Direktionskraft des Negativkriteriums die Frage 56

Serbien und Montenegro könnten aus Sicht der EU-Kommission bereits 2025 der Europäischen Union beitreten, s. dazu den Bericht von Eva Fischer im Handelsblatt vom 17. 5. 2018, Balkan in der EU? – Ja, aber nur ein bisschen, abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/ politik/international/eu-erweiterung-balkan-in-der-eu-ja-aber-nur-ein-bisschen/22578378. html [zuletzt abgerufen am 24. 3. 2020]. 57 Vgl. Kadelbach, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 1, 7. Aufl., 2015, Art. 5 EUV, Rn. 36. 58 Vgl. zum Streitstand: Kadelbach, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 1, 7. Aufl., 2015, Art. 5 EUV, Rn. 37.

C. Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union

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nach der Leistungsfähigkeit eines solches Tests. Darüber hinaus wirft auch das zweite Teilkriterium des Art. 5 Abs. 3 EUV nicht weniger Unwägbarkeiten auf. Das Positiv- bzw. Effizienzkriterium verlangt von den handelnden Organen einen Effizienzvergleich der Problemlösungen auf den unterschiedlichen Handlungsebenen: ein Tätigwerden der Union muss gegenüber einem Handeln der Mitgliedstaaten im Hinblick auf das konkrete Ziel eine Verbesserung erwarten lassen. Die Beurteilung der Effizienz unionalen Handels erfordert allerdings eine komplexe Abwägungsentscheidung, die, um einer Vielzahl von Lebenssachverhalten gerecht zu werden, wiederum variable Maßstäbe voraussetzt. Wie beim Negativkriterium stellt aber gerade die Entwicklung variabler und dennoch handhabbarer Kriterien, die als Grundlage für die Abwägungsentscheidungen herangezogen werden, die Wissenschaft sowie die Praxis vor große Herausforderungen.59 Es muss letztlich konstatiert werden, dass die Teilkriterien des Art. 5 Abs. 3 EUV als materieller Subsidiaritätsmaßstab kaum leistungsfähig sind. Die normative Direktionskraft i. S. eines Erforderlichkeitskriteriums, wie es aus der deutschen Verfassung in Art. 72 Abs. 2 GG bekannt ist, kann Art. 5 Abs. 3 EUV daher nicht zugeschrieben werden.60 b) Unscharfe Bezugspunkte der Subsidiaritätsprüfung Die materielle Konzeption subsidiärer Zuordnung von Legislativkompetenzen zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten anhand der Kriterien des Art. 5 Abs. 3 EUV gerät darüber hinaus auch deshalb in Bedrängnis, da sie keine tragfähigen Bezugspunkte aufweist. Bezugspunkt für die Beurteilung und Bewertung der Einhaltung der Kriterien des Art. 5 Abs. 3 EUV ist dessen Wortlaut nach das mit der in Betracht gezogenen Maßnahme anvisierte politische Ziel der Unionsorgane. Dieses durch die Organe der Europäischen Union festgelegte politische Ziel hat freilich Auswirkungen auf den Umfang und die beabsichtigte Wirkung einer Maßnahme. Setzt der Unionsgesetzgeber sich etwa das ambitionierte Ziel der Herstellung einer einheitlichen Rechtslage in der gesamten Union in einem bestimmten Bereich, führt dies dazu, dass die beabsichtigte Maßnahme eine erhebliche Tragweite erfährt. Die Mitgliedstaaten allein sind dann wegen des Umfangs der Maßnahme nicht mehr zur Erreichung dieses Ziels imstande. So lassen sich die Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 EUV von den handelnden Unionsorganen leicht durch eine politisch ambitionierte Zielsetzung aushebeln.61 Diese grundlegende strukturelle Schwäche des Art. 5 Abs. 3 EUV kann nur durch die 59

Zum Problem der Präzisierung auch: Streinz, in: Streinz (Hrsg.), EUV / A EUV, 3. Aufl., 2018, Art. 5 EUV, Rn. 29. 60 Zu diesem Ergebnis kommt auch Bickenbach, Das Subsidiaritätsprinzip in Art. 5 EUV und seine Kontrolle, EuR 2013, S. 523 (536). 61 Vgl. zu dieser Problematik bereits: Schön, Gesellschaftsrecht nach Maastricht – Art. 3 b EGV und das europäische Gesellschaftsrecht –, ZGR 1995, S. 1 (22 f.).

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Teil II: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH 

Festlegung hinreichend konkreter übergeordneter (vertraglicher) Zielvorgaben überwunden werden. Diese Zielvorgaben müssen dann konkret regeln, wie viel Einheit und wie viel Vielfalt in der Europäischen Union geboten sind.62 De lege lata existieren derartige Zielvorgaben auf der Ebene der Europäischen Union indes nicht. Diese sind auch de lege ferenda nicht zu erwarten, denn die konkrete Festlegung eines solchen Zielkatalogs würde nicht nur eine Vertragsänderung, sondern insbesondere die Einigkeit über die Finalität des europäischen Integrationsprozesses voraussetzen.

II. Subsidiarität als politisches Mitwirkungskonzept 1. Das Verfahren des Frühwarnmechanismus Daneben ist das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union als politisches Mitwirkungskonzept der nationalen Parlamente ausgestaltet.63 Durch den Vertrag von Lissabon wurde der sog. Frühwarnmechanismus in das europäische Primärrecht eingeführt. Er umfasst ein differenziertes Regelungssystem aus einzelnen Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten der nationalen Parlamente im europäischen Gesetzgebungsverfahren. Das Verfahren des Frühwarnmechanismus ist maßgeblich im Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit64 geregelt, das nach Art. 51 EUV Bestandteil des Unionsprimärrechts ist. a) Die Abgabe von begründeten Stellungnahmen Der Frühwarnmechanismus räumt den nationalen Parlamenten die Möglichkeit ein, gegen ein geplantes europäisches Gesetzgebungsvorhaben etwaige Subsidiaritätsbedenken in Form von „begründeten Stellungnahmen“ durch ein rechtlich abgesichertes Verfahren an den Unionsgesetzgeber heranzutragen. In Zweikammerparlamenten kann jede Kammer eine eigene begründete Stellungnahme abgeben.65 Der Begriff der Kammer ist dabei weit zu verstehen und umfasst auch nichtparlamentarische gesetzgebende Körperschaften wie den deutschen Bundesrat.66 Zur Ausarbeitung einer begründeten Stellungnahme ha 62

Vgl. Nettesheim, Subsidiarität durch politische Verhandlung – Art. 5 Abs. 3 EUV als Verständigungsauftrag, in: König / Uwer (Hrsg.), Grenzen europäischer Normgebung. EU-Kompetenzen und Europäische Grundrechte, 2015, S. 35 (38). 63 Vgl. dazu sogleich unter 2., S. 38. 64 S. Einleitung, Fn. 8. 65 Art. 7 Abs. 1 UAbs. 1 Subsidiaritätsprotokoll. 66 Vgl. Bast, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 68. EL. 2019, Art. 5 EUV, Rn. 62.

C. Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union

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ben die nationalen Parlamente ab dem Zeitpunkt der Übermittlung des Entwurfs acht Wochen Zeit.67 Bleibt die Anzahl der abgegebenen begründeten Stellungnahmen unter einem Drittel der den nationalen Parlamenten zustehenden Stimmen, muss der Unionsgesetzgeber die eingegangenen Stellungnahmen der nationalen Parlamente im weiteren Gesetzgebungsverfahren (lediglich) berücksichtigen.68 b) Das Verfahren der „gelben Karte“69 Erreicht die Anzahl der abgegebenen begründeten Stellungnahmen ein Drittel der Gesamtzahl der den nationalen Parlamenten zustehenden Stimmen, ist im Regelungswerk des Frühwarnmechanismus eine intensivere Form der Auseinandersetzung mit den Stellungnahmen durch den Unionsgesetzgeber vorgesehen. Wird dieses durchaus hohe Quorum erreicht, muss das mit dem Entwurf des Gesetzgebungsakts betraute Organ den Entwurf überprüfen. Die Prüfung erfolgt ergebnis­offen.70 Die gesetzesentwurfeinbringende Stelle kann dementsprechend beschließen an dem Entwurf festzuhalten, ihn abzuändern oder ihn gänzlich zurückzuziehen. Dieser Beschluss muss begründet werden.71 c) Das Verfahren der „orangen Karte“ Im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren haben die nationalen Parlamente darüber hinaus noch eine weitere Möglichkeit, Einwände im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität gegen den Entwurf eines Gesetzgebungsakts vorzubringen. Dieses sog. Verfahren der „orangen Karte“ ist maßgeblich in Art. 7 Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll geregelt. Gibt die einfache Mehrheit der Gesamtzahl der nationalen Parlamente begründete Stellungnahmen ab, aus denen hervorgeht, dass der zugeleitete Vorschlag für einen Gesetzgebungsakt nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar sei, muss der Vorschlag, wie im Verfahren der „gelben Karte“, erneut von der Kommission überprüft werden. Die Kommission kann in diesem Fall abermals an ihrem ausgearbeiteten Vorschlag unverändert festhalten. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren müssen sich dann aber der Rat und das Europäische Parlament mit der Vereinbarkeit des vorgeschlagenen Gesetzes mit

67

Art. 6 Abs. 1 Subsidiaritätsprotokoll. Art. 7 Abs. 1 Subsidiaritätsprotokoll. 69 Bezeichnung „gelbe“ und „orange“ Karte übernommen aus dem Bericht der Kommission über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit (19. Bericht über „Bessere Rechtsetzung“ 2011), KOM (2012) 373 endg. 70 Art. 7 Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 Subsidiaritätsprotokoll. 71 Art. 7 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 Subsidiaritätsprotokoll. 68

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Teil II: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH 

dem Subsidiaritätsprinzip auseinandersetzen. Vor Abschluss der ersten Lesung haben sie zu prüfen, ob der Gesetzgebungsvorschlag mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht. Ist der Rat mit einer Mehrheit von 55 % seiner Mitglieder oder eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen im Europäischen Parlament der Ansicht, dass der Gesetzgebungsvorschlag nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht, wird der Vorschlag endgültig nicht weiter geprüft und das Gesetzgebungsverfahren eingestellt. 2. Das Verfahren des Frühwarnmechanismus als Rahmen für einen mehrebenenübergreifenden Subsidiaritätsdiskurs Im Verfahren des Frühwarnmechanismus steht den nationalen Parlamenten damit kein suspensives Veto, oder um in der Formulierung der Kommission zu bleiben, keine „rote Karte“ zu. Sie können einen europäischen Gesetzgebungsentwurf nicht endgültig verhindern. Ihre begründeten Stellungnahmen lösen hingegen die „weichen“ Rechtsfolgen von Berücksichtigungs- und Prüfverpflichtung sowie Begründungs- und Offenlegungspflicht der handelnden Unionsorgane aus.72 In diesen limitierten Rechtsfolgen wird letztlich der Sinn und Zweck des Frühwarnmechanismus als politisches Mitwirkungskonzept deutlich. Seinen Rechtsfolgen nach ist der Frühwarnmechanismus auf ein Konzept ausgelegt, in dem der kommunikative Austausch zwischen dem Unionsgesetzgeber und den nationalen Parlamenten über das Prinzip der Subsidiarität im Fokus steht.73 Jürgen Bast spricht in diesem Zusammenhang von einem „institutionalisierten Subsidiaritätsdialog“74. Die hiesige Arbeit zieht den Begriff des „mehrebenenübergreifenden Subsidiaritätsdiskurses“ vor. Der Begriff des Diskurses wird vorliegend in dem Sinn verstanden, wie ihn Jürgen Habermas prägte. Diskurs heißt dann eine durch Argumentation gekennzeichnete Form der Kommunikation, in der problematisch gewordene Geltungsansprüche thematisiert und auf ihre Berechtigung hin untersucht werden.75 Im Kern dieses Diskursverständnisses steht der Prozess der Aushandlung von Geltungsansprüchen der einzelnen Akteure. Im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip in der Europäischen Union bedeutet dies, dass die subsidiaritätsgerechte Zuordnung der weitgespannten Legislativkompetenzen der Union einem kommunikativen Rationalitätsprozess überantwortet wird. Die Intersubjektivität des Prinzips der Subsidiarität konstituiert dabei erst den Diskurs zwischen den nationalen Parlamenten und dem Unionsgesetzgeber.

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S. ausführlich: Teil III. B., S. 77 ff. Bast, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 68. EL. 2019, Art. 5 EUV, Rn. 63. 74 Ebenda. 75 Habermas, Faktizität und Geltung – Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 1992, S. 138 f. 73

C. Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union

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Im Rahmen des Frühwarnmechanismus geht es mithin nicht um die Klärung einer Rechtsfrage zwischen den beteiligten Akteuren.76 Die subsidiaritätsgerechte Ausübung der Legislativkompetenzen durch die Union soll nach der Rationalität des Frühwarnmechanismus im europäischen Gesetzgebungsverfahren nunmehr einzelfallabhängig im politischen Diskurs verhandelt werden. Die Regelung des Art. 5 Abs. 3 EUV sowie sein normativer Unterbau dienen dabei als primärrechtlicher Rahmen für diesen mehrebenenübergreifenden Subsidaritätsdiskurs.77 Eine solche Auslegung des europäischen Subsidiaritätskonzepts ergibt sich nicht nur aus den umfangreichen Regelungen des Subsidiaritätsprotokolls, sondern auch aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 UAbs. 1 EUV. Art. 5 Abs. 3 UAbs. 1 EUV nimmt ausdrücklich auf die Verfahrensregelungen des Subsidiaritätsprotokolls Bezug und betont darüber hinaus die Einbeziehung der nationalen Parlamente in das europäische Subsidiaritätskonzept. Der Verweis auf die Verfahrensregelungen des Subsidiaritätsprotokolls ist zwar insofern überflüssig, da diesen gem. Art. 51 EUV ohnehin primärrechtlicher Rang zukommt. Gleichwohl rückt das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit erstmals vom „Hinterstübchen“ des europäischen Primärrechts in den „Ausstellungsraum“ der Verträge. Die besondere Bedeutung des Subsidiaritätsprotokolls für die Operationalisierung des Subsidiaritätsprinzips wird dadurch nach außen hin sichtbar gemacht und forciert. Darüber hinaus fügt sich eine solche Auslegung auch systematisch in die vertraglich festgelegte Kompetenzordnung der Europäischen Union ein. Der Vertrag verzichtet nämlich gerade, anders als andere mitgliedstaatliche Verfassungen, auf einen festen Kompetenzkatalog, der die Ausübung von Gesetzgebungszuständigkeiten starr anleitet. Mit dem Subsidiaritätsprinzip haben die Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ einen flexiblen Maßstab zur Zuordnung von Legislativkompetenzen gewählt, der je nach Einzelfall andere Ergebnisse hervorbringen kann. Insgesamt implementiert das Protokoll damit eine neue Arbeitsweise im Hinblick auf eine subsidiaritätsgerechte Zuordnung von Legislativkompetenzen.78 Eine neue Arbeitsweise, die das europäische Rechtsetzungsverfahren betrifft und neue Akteure in dieses Rechtsetzungsverfahren mit einbindet. Die neuen Akteure im europäischen Subsidiaritätskonzept sind neben den nationalen auch die lokalen 76 Vgl. Nettesheim, Subsidiarität durch politische Verhandlung – Art. 5 Abs. 3 EUV als Verständigungsauftrag, in: König / Uwer (Hrsg.), Grenzen europäischer Normgebung. EU-Kompetenzen und Europäische Grundrechte, 2015, S. 35 (47 ff.). 77 Nettesheim, Subsidiarität durch politische Verhandlung – Art. 5 Abs. 3 EUV als Verständigungsauftrag, in: König / Uwer (Hrsg.), Grenzen europäischer Normgebung. EU-Kompetenzen und Europäische Grundrechte, 2015, S. 35 (47 ff.). 78 Zu diesem Ergebnis kommt auch der Abschlussbericht der durch die Juncker Kommission im Jahr 2018 eingesetzten Taskforce für Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und „Weniger, aber effizientes Handeln“ vom 10. 7. 2018, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission/ sites/beta-political/files/report-task-force-subsidiarity-proportionality-and-doing-less-moreefficiently_de_0.pdf [zuletzt abgerufen am 24. 3. 2020].

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Teil II: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH 

Parlamente sowie die regionale Ebene. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 EUV, der ausdrücklich auf diese mitgliedstaatlichen Untergliederungen Bezug nimmt. Sie werden zusammen mit den Organen der Europäischen Union im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität in die Verantwortung genommen: In einem mehrebenen- und institutionenübergreifenden Diskurs wird von ihnen verlangt, den Grundsatz der Subsidiarität einzelfallabhängig und induktiv zur Anwendung zu bringen. 3. Leistungsfähigkeit des Frühwarnmechanismus Die Leistungsfähigkeit des Frühwarnmechanismus hängt in einem entscheidenden Maße von der inhaltlichen Reichweite der begründeten Stellungnahmen ab. Normativer Anknüpfungspunkt für die inhaltliche Reichweite der begründeten Stellungnahmen ist Art. 6 Subsidiaritätsprotokoll. Der Wortlaut des Art. 6 Subsidiaritätsprotokoll gibt vor, dass die nationalen Parlamente in den begründeten Stellungnahmen darlegen können, „weshalb der Entwurf ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip [Hervorhebung durch die Verf.] im Einklang steht.“ Zweifelsfrei vom Wortlaut vorgegeben ist damit die Auseinandersetzung der nationalen Parlamente mit den Vorgaben des Art. 5 Abs. 3 EUV sowie mit der notwendigen Vorfrage für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips nach dem Bestehen einer (nicht ausschließlichen) Gesetzgebungskompetenz.79 Die Überprüfung der Kompetenzgrundlage ist dabei insoweit notwendiger Bestandteil des Subsidiaritätsprinzips, als dass Subsidiaritätsbedenken streng genommen nur dann geltend gemacht werden können, wenn das nationale Parlament auch eine Kompetenz für den Erlass des Gesetzgebungsakts annimmt.80 Darüber hinaus können die nationalen Parlamente aber auch Argumente vorbringen, die die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme berühren.81 Denn das Subsidiaritätsprinzip enthält ja gerade Elemente des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wenn es festschreibt, dass die Europäische Union nicht tätig werden darf, sofern und soweit die Ziele der Maßnahme auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können. Umgekehrt dürfen die Maßnahmen der Euro 79 Vgl. Bickenbach, Das Subsidiaritätsprinzip in Art. 5 EUV und seine Kontrolle, EuR 2013, S. 523 (543); Buschmann / Daiber, Subsidiaritätsrüge und Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung, DÖV 2011, S. 504 ff.; Hölscheidt, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 68. EL. 2019, Art. 12 EUV, Rn. 44; Mellein / L esaar, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 4. Aufl., 2019, Art. 12 EUV, Rn. 14. 80 Anders: Mayer, Stellungnahme zum öffentlichen Expertengespräch „Prüfung des unionsrechtlichen Subsidiaritätsprinzips“ im Unterausschuss Europarecht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 16. 6. 2010, S. 16, abrufbar unter: https://www.yumpu.com/ de/document/read/10082211/stellungnahme-prof-dr-franz-c-mayer-llm-deutscher-bundestag [zuletzt abgerufen am 24. 3. 2020]. 81 Kiiver, The National Parliaments in the European Union: A Critical View on EU Constitution-Building, 2006, S. 156 f.; Schütze, European Union Law, 2. Aufl., 2018, S. 257 f.

C. Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union

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päischen Union nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht über das für die Erreichung der Vertragsziele erforderliche Maß hinausgehen. Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität zielen dabei beide auf den Schutz der mitgliedstaatlichen Zuständigkeitsordnung.82 Eine strikte Trennung ist vor diesem Hintergrund weder möglich noch sinnvoll. Ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann die Rechtsetzungskompetenzen der nationalen Parlamente in gleicher Weise treffen wie ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip.83 Dass eine Trennung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität nicht angezeigt ist, wird vor allem in der Regelung des Art. 5 Subsidiaritätsprotokolls deutlich. Die dort statuierte Offenlegungspflicht im Hinblick auf den Entwurf eines Gesetzgebungsakts erfasst sowohl Ausführungen zum Grundsatz der Subsidiarität als auch der Verhältnismäßigkeit. Die Offenlegung dient dabei ausdrücklich der Beurteilung der Einhaltung ebendieser Grundsätze.84 Diese Offenlegungspflicht würde allerdings ins Leere laufen, wenn die nationalen Parlamente einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dann nicht zur Sprache bringen dürften. Die Verlagerung der Auseinandersetzung über den Grundsatz der Subsidiarität ins Politische bedingt darüber hinaus, dass die Ausführungen zu den Vorgaben des Art. 5 EUV nicht notwendigerweise rechtlicher Natur sein müssen. Der Sinn und Zweck des Frühwarnmechanismus erlaubt es vielmehr, dass die Argumente, die zwischen der Europäischen Union und den nationalen Parlamenten ausgetauscht werden, politischer Natur sind.85 Damit die vom Vertrag aufgespannten Verhandlungsräume dann aber auch effektiv genutzt werden können, müssen die nationalen Parlamente auch das von den EU-Institutionen verfolgte Ziel im Gesetzgebungsverfahren infrage stellen dürfen.86 Es kann diskutiert werden, ob das angestrebte Ziel von der EU verwirklicht werden soll und ob überhaupt gute Gründe für eine Harmonisierung in dem entsprechenden Bereich bestehen.87 In diesem Zusammenhang können freilich auch Gründe der Vernunft sowie politische Präferenzen ausgetauscht werden.88 Denn die nationalen Parlamente sind im Rahmen

82

S. Teil II. C. I. 1., S. 37 ff. Vgl. Calliess, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / AEUV, 5. Aufl., 2016, Art. 12 EUV, Rn. 37. 84 Vgl. Art. 5 S. 2 Subsidiaritätsprotokoll. 85 Vgl. Kiiver, The National Parliaments in the European Union: A Critical View on EU Constitution-Building, 2006, S. 156 f.; Hölscheidt, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 68. EL. 2019, Art. 12 EUV, Rn. 43 f. 86 Vgl. Nettesheim, Subsidiarität durch politische Verhandlung – Art. 5 Abs. 3 EUV als Verständigungsauftrag, in: König / Uwer (Hrsg.), Grenzen europäischer Normgebung. EU-Kompetenzen und Europäische Grundrechte, 2015, S. 35 (47 ff.); Semmler, Die Subsidiaritätsrüge nach dem Vertrag von Lissabon – Plädoyer für ein politisches Instrument, ZEuS 2010, S. 529 (535). 87 Vgl. Nettesheim, Subsidiarität durch politische Verhandlung – Art. 5 Abs. 3 EUV als Verständigungsauftrag, in: König / Uwer (Hrsg.), Grenzen europäischer Normgebung. EU-Kompetenzen und Europäische Grundrechte, 2015, S. 35 (52); Semmler, Die Subsidiaritätsrüge nach dem Vertrag von Lissabon – Plädoyer für ein politisches Instrument, ZEuS 2010, S. 529 (535). 88 Ebenda. 83

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Teil II: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH 

des Frühwarnmechanismus nicht nur auf „negative interventions“89 festgelegt. Der politische Mehrwert dieser vorgeschalteten Prüfung eines EU-Legislativvorschlags liegt gerade in seiner gestalterischen Logik.90 Andernfalls wäre der Frühwarn­ mechanismus (lediglich) ein weiteres defensives Kontrollinstrument, das den na­ tionalen Parlamenten zur Verhinderung eines europäischen Gesetzgebungsvorhabens zur Verfügung stünde. Die meisten innerstaatlichen Rechtsordnungen kennen indes Kontroll- und Mitwirkungsrechte, die es den nationalen Parlamenten ohnehin erlauben, ihre Regierungen zur Ablehnung eines europäischen Gesetzgebungs­ vorschlages zu verpflichten.91 Das Verständnis des Frühwarnmechanismus als mehrebenenübergreifender Subsidiaritätsdiskurs führt im Ergebnis mithin zu einer Verwischung der Trennlinie zwischen politischer Wünschbarkeit und kompetenzrechtlicher Richtigkeit der europäischen Gesetzgebung. Dies bedeutet, dass die kompetenzrechtlichen Kriterien des Subsidiaritätsprinzips im Einzelfall zurücktreten und die Verteidigung nationalstaatlicher Souveränitätsansprüche dominieren können, auch wenn die europäische Ebene besser in der Lage sein sollte, eine Regulierungslücke zu füllen.92 Zur Substantiierung ihrer begründeten Stellungnahmen können die nationalen Parlamente auf Konsultationen mit Experten, etwa aus Wissenschaft und Industrie, die lokalen Gebietskörperschaften oder auch die regionalen Parlamente zurückgreifen.93

D. Folgerungen für die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH I. Aufgaben des EuGH im Subsidiaritätsklageverfahren Schließlich soll die Frage beantwortet werden, wie das Subsidiaritätsprinzip umfassend, d. h. sowohl als materiell-rechtliches Ordnungskonzept als auch als politisches Mitwirkungskonzept, durch den EuGH rechtlich effektiv kontrolliert werden kann. Dies impliziert Erwägungen einerseits zu der Frage, wie der EuGH auf die aufgezeigten Herausforderungen für die rechtliche Kontrolle des Subsi 89 Cooper, A „Virtual Third Chamber“ for the European Union? National Parliaments after the Treaty of Lisbon, in: West European Politics 35 (3) 2012, S. 441 (450). 90 Vgl. Semmler, Die Subsidiaritätsrüge nach dem Vertrag von Lissabon – Plädoyer für ein politisches Instrument, ZEuS 2010, S. 529 (532). 91 Vgl. Becker, Die Subsidiaritätsprüfung in Bundestag und Bundesrat – ein rechtliches oder ein politisches Instrument, ZPol 2013, S. 5 (12). 92 Vgl. Nettesheim, Subsidiarität durch politische Verhandlung – Art. 5 Abs. 3 EUV als Verständigungsauftrag, in: König / Uwer (Hrsg.), Grenzen europäischer Normgebung. EU-Kompetenzen und Europäische Grundrechte, 2015, S. 35 (47 ff.). 93 Vgl. Becker, Die Subsidiaritätsprüfung in Bundestag und Bundesrat – ein rechtliches oder ein politisches Instrument, ZPol 2013, S. 5 (24).

D. Folgerungen für die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips 

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diaritätsprinzips als materielles Ordnungskonzept reagieren kann und muss, und andererseits zu der Frage, wie die Rolle des EuGH im Verfahren des Frühwarnmechanismus zu bewerten ist. Bevor die im Unionsprimärrecht angelegten Lösungsansätze in ihren Grund­ zügen dargestellt werden, soll an dieser Stelle abermals darauf hingewiesen werden, dass Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll ausdrücklich die Frage nach der Justiziabilität des Subsidiaritätsprinzips aufgelöst hat. Die effektive rechtliche Durchsetzung und Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips ist dem Gerichtshof nunmehr ausdrücklich durch das Unionsprimärrecht zugewiesen. Über diese Aufgabenzuweisung herrscht auch in der Literatur Einigkeit.94 Das „Ob“ des Erfordernisses der rechtlichen Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips ist damit unstreitig. Den EuGH trifft dabei nach der Neuordnung des Vertrages von Lissabon eine doppelte Aufgabe. Zunächst trifft ihn die Pflicht, das Subsidiaritätsprinzip als politisches Mitwirkungskonzept rechtlich hinreichend abzusichern, d. h. er muss die Anwendung und Durchführung des Frühwarnmechanismus rechtlich gewährleisten. Dementsprechend erweitert Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll die im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV Klageberechtigten auf die nationalen Parlamente95, eine ihrer Kammern sowie den Ausschuss der Regionen. Sie können im Subsidiaritätsklageverfahren vor dem EuGH die Verletzung der Verfahrensbindungen des Frühwarnmechanismus rügen und so ihre Mitwirkungsrechte gegenüber dem Unionsgesetzgeber effektiv durchsetzen. Insofern setzt die Möglichkeit, eine Klage nach Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll zu erheben, die vorherige Abgabe einer begründeten Stellungnahme voraus. Denn ein Verstoß gegen die Regelungen des Frühwarnmechanismus kann schlicht nicht ohne ein entsprechendes vorheriges Verfahren gerügt werden. Darüber hinaus zählt Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll aber auch die Mitgliedstaaten, handelnd durch ihre Regierungen, als Klageberechtigte auf. An dieser Stelle ist die Regelung redundant, da den Mitgliedstaaten nach Art. 263 AEUV ohnehin die Erhebung einer Nichtigkeitsklage vor dem EuGH offensteht und es sich bei der Klage nach Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll um eine besondere Form der Nich-

94

Vgl. zur Neubewertung der Frage der Justiziabilität statt vieler: Lienbacher, in: Schwarze, EU-Kommentar, 4. Aufl., 2019, Art. 5 EUV, Rn. 28 ff. 95 Die Klageberechtigung der nationalen Parlamente besteht dabei nach der Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten. Ausführlich zur Ausgestaltung der Klage­befugnis der nationalen Parlamente in den einzelnen Mitgliedstaaten: Moens / Trone, The Principle of Subsidiarity in EU Judicial and Legislative Practice: Panacea or Placebo?, J. Legis. 65 (2015), S. 65 (69 ff.). In Deutschland ist die Subsidiaritätsklage in Art. 23 Abs. 1  a S. 1 GG, § 12 IntVG und in § 93 d GOBT geregelt. Verlangt ein Viertel der Mitglieder des Bundestages die Klageerhebung, muss gem. Art. 23 Abs. 1 a S. 2 GG, § 12 Abs. 1 S. 1 IntVG die Mehrheit einen entsprechenden Beschluss fassen.

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Teil II: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH 

tigkeitsklage handelt.96 Es wird plastisch, dass dem EuGH neben der Absicherung des Frühwarnmechanismus noch eine weitere Aufgabe im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip zukommt: die Rechtskontrolle eines erlassenen Gesetzgebungsakts anhand der Vorgaben des Art. 5 Abs. 3 EUV. Doch gerade hier ist der EuGH, wie bereits aufgezeigt, vor besondere Herausforderungen gestellt. Zunächst kommt dem Unionsgesetzgeber bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips eine weite Einschätzungsprärogative zu. Diese muss der EuGH hinreichend beachten, wenn er die Norm im Streitfall anwendet. Denn bei vielen gesetzgeberischen Entscheidungen können die Auswirkungen einer Maßnahme nicht mit hundertprozentiger Gewissheit vorhergesehen werden. Auch im Rahmen der Subsidiarität bei der Beurteilung der ausreichenden oder besseren Zielverwirklichung handelt es sich um Prognoseentscheidungen, die mit den Problemen der Unvorhersehbarkeit und Einschätzungsbedürftigkeit behaftet sind. Die prognostische Beurteilung komplexer Lebenssachverhalte fällt aber nicht immer gleich aus. Es ist für den Gerichtshof daher unmöglich, entsprechende Einschätzungen mit einer höheren Richtigkeitsgewähr als der Unionsgesetzgeber vorzunehmen, der zusätzlich nach den Vorgaben des Unionsprimärrechts für die Vornahme entsprechender Entscheidungen zuständig und demokratisch legitimiert ist. Angesichts dessen darf es dem Gerichtshof nicht möglich sein, die Entscheidung des Unionsgesetzgebers nachträglich durch eine abweichende eigene Entscheidung zu ersetzen.97 Hinzu tritt das Problem, dass die Kriterien des Art. 5 Abs. 3 EUV ohnehin schon eine nur unzureichende normative Steuerungswirkung entfalten. Dieses Problem wird durch die unklaren Bezugspunkte der Subsidiaritätsprüfung weiter verschärft.

II. Gerichtliche Überprüfung durch Verfahrenskontrolle Die Unionsrichter haben sich im Subsidiaritätsklageverfahren deshalb auf das zu konzentrieren, was sie auch sinnvollerweise nachprüfen können. Das sind die Verfahrensbindungen des Unionsgesetzgebers, die ihn bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips treffen.98 Für die rechtliche Absicherung des Frühwarnmechanismus bedeutet dies, dass der Gerichtshof sich allein auf die Kontrolle der verfahrensbezogenen Pflichten des Unionsgesetzgebers zu beschränken hat. Eine inhaltliche Diskurskontrolle ver 96

Vgl. Pache, in: Pechstein / Nowak / Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, EUV / GRC / ​ AEUV, Band 1, 1. Aufl., 2017, Art. 5 EUV, Rn. 119. 97 Vgl. Pache, in: Pechstein / Nowak / Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, EUV / GRC / ​ AEUV, Band 1, 1. Aufl., 2017, Art. 5 EUV, Rn. 100 ff. 98 Vgl. von Danwitz, Subsidiaritätskontrolle in der Europäischen Union, in: Dolde / Hansmann / Paetow / Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verfassung-Umwelt-Wirtschaft, FS für Dieter Sellner, 2010, S. 37 (46); Dauses, Die Rolle des Europäischen Gerichtshofs als Verfassungsgericht der Europäischen Union, integration 1994, S. 215 (222 f.); Schwarze / Becker / Pollak, Die Implementation von Gemeinschaftsrecht, 1993, S. 96 ff.

D. Folgerungen für die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips 

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bietet sich, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass sich die Funktion der Unionsgerichtsbarkeit verändert. Ihre Tätigkeit wäre in diesem Punkt dann keine Rechtsprechung mehr, sondern Rechtspolitik. Im Rahmen der Ex-post-Kontrolle des erlassenen Rechtsaktes muss die Unionsgerichtsbarkeit aufgrund der oben aufgezeichneten Gründe die gleiche Vorsicht walten lassen. Auch hier bieten sich allerdings verfahrensrechtliche Bindungen des Unionsgesetzgebers als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips an. Der Rückgriff auf weitreichende Verfahrensbindungen zur rechtlichen Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips ergibt sich dabei bereits aus den Eigenheiten der europäischen Gesetzgebung selbst. Genuin handelt es sich bei jeder Form europäischer Rechtsetzung letztlich immer noch um eine besondere Form exekutivistischer Rechtsetzung.99 Das europäische Rechtsetzungsverfahren weist daher gewisse Parallelen zu den Besonderheiten von administrativen Entscheidungsprozessen auf, bei denen weitreichende prozedurale Pflichten anerkannt sind.100 Darüber hinaus gilt es zu beachten, dass der Europäischen Union mit der Kompetenz-Kompetenz ein wesentliches Strukturmerkmal moderner Staatlichkeit fehlt. An ihre Stelle treten die Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, wie sie in Art. 5 EUV normiert sind. In ihrer Zusammenschau bewirken diese Prinzipien, dass der europäische Gesetzgeber im Gegensatz zum nationalen Gesetzgeber gerade nicht frei in der Wahl von Zielen und Mitteln, nur beschränkt durch die jeweilige Verfassung ist, sondern jede seiner Handlungen einer besonderen Rechtfertigung, einer Herleitung, letztlich also einer Deduktion aus dem von den Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ geschaffenen europäischen Primärrecht zu unterwerfen ist.101 Insbesondere schuldet der europäische Gesetzgeber, anders als der nationale Gesetzgeber, daher neben dem Gesetz auch die Darlegung der Gründe für die Gesetzgebung.102 Für einen Rückgriff auf weitreichende Verfahrensbindungen zur rechtlichen Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips spricht des Weiteren der als „Kompensations­ verhältnis“103 beschriebene Zusammenhang zwischen Entscheidungen, bei denen 99

Vgl. Groß, Von der Kontrolle der Polizei zur Kontrolle des Gesetzgebers, DÖV 2006, S. 856 (860). 100 Z. B. anerkannte Pflichten aus dem deutschen Verwaltungsrecht: die Pflicht zur Anhörung nach § 28 VwVfG oder die Pflicht zur Begründung von behördlichen Entscheidungen nach § 39 VwVfG. 101 Waldhoff, „Der Gesetzgeber schuldet nichts als das Gesetz“. Zu alten und neuen Begründungspflichten des parlamentarischen Gesetzgebers, in: Depenheuer, Otto / Heintzen, Markus /  Jestaedt, Matthias / Axer, Peter (Hrsg.), Staat im Wort, Festschrift für Isensee, 2007, S. 325 (329). 102 Art. 296 Abs. 2 AEUV formuliert eine umfassende Begründungspflicht. 103 Ausdrücklich: Calliess, Gerichtliche Kontrolldichte und institutionelle Begründungspflicht im Europarecht – ein Kompensationsverhältnis, in: Hendler / I bler / Martínez (Hrsg.), Für Sicherheit, für Europa, FS für Volkmar Götz 2005, S. 239 ff.; vgl. weiter zum kompensatorischen Charakter: Hatje, Der Rechtsschutz der Stellenbewerber im Europäischen Beamtenrecht, 1988, S. 77 ff.

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Teil II: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH 

den Unionsorganen eine weite Einschätzungsprärogative zukommt, und ihrer recht­lichen Kontrolle anhand von Verfahrensbindungen. Dort, wo der Vertrag den Unionsorganen durch unbestimmte Rechtsbegriffe Gestaltungsspielräume einräumt, ist die gerichtliche Kontrolldichte dieser Entscheidungen grundsätzlich herabgesetzt. Die Grenzen der gerichtlichen Kontrolle werden dabei durch Art. 19 Abs. 1 EUV markiert. Die Norm verweist den Gerichtshof seinem Wortlaut nach auf eine Rechtskontrolle.104 Die Kontrolle der Zweckmäßigkeit oder Billigkeit unionalen Handelns kann der Gerichtshof demnach nur in seltenen Ausnahmefällen vornehmen.105 In diesen Fällen ist die Kontrolle des Verfahrens umso bedeutender.106 Die strenge Bindung der Organe an die Einhaltung von Verfahrensvorschriften kann eine gewisse Garantie für die sachgerechte Abwägung aller Umstände durch den Rechtsanwender bieten.107 Die Rezeption dieses beschriebenen Kompensationsverhältnisses zeichnet sich auch in der Rechtsprechung des EuGH ab. In den Fällen, in denen der Adminis­ tration sowie der Legislative bei der Anwendung der europäischen Verträge normativ ein weiter Gestaltungsspielraum überlassen wird, betont der EuGH, dass „der Kontrolle der Einhaltung bestimmter verfahrensrechtlicher Garantien wesentliche Bedeutung [zukomme].“108 Je nach Grad des subjektiv-wertenden und prognostischen Charakters des den handelnden Organen eingeräumten Gestaltungsspielraums ziehen sich die Unionsrichter von einer materiell-rechtlichen Überprüfung der Entscheidung auf eine Überprüfung der Verfahrensvorschriften zurück.109 Insbesondere die Frage nach einer ausreichenden Begründung der handelnden Organe rückt sodann in den Fokus der richterlichen Kontrolle.110 Der Ansatz, das Subsidiaritätsprinzip durch engmaschige Verfahrensbindungen abzusichern, ergibt sich damit bereits aus den Besonderheiten des europäischen Gesetzgebungsverfahrens selbst. Darüber hinaus ist man aber auch aus demokratischer Sicht aufgrund der besonderen Rechtfertigungsbedürftigkeit europäischer Rechtsetzung sowie der geringeren materiell-rechtlichen Steuerungswirkung des Sub­ 104

„Der Gerichtshof der Europäischen Union umfasst den Gerichtshof, das Gericht und Fachgerichte. Er sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge.“ 105 Vgl. Art. 261 AEUV. Ausführlich dazu: Gaitanides, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl., 2015, Band 1 und Band 4, Art. 19 EUV, Rn. 50, Art. 261 AEUV, Rn. 1 ff. 106 Schwarze, Judicial review of European administrative procedure, Public Law 2004, S. 146 (155); Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, 2001, S. 377. 107 Schwarze, Judicial review of European administrative procedure, Public Law 2004, S. 146 (155); Everling, Zur Funktion des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften als Verwaltungsgericht, in: Brender / Breuer / Ossenbühl / Sendler (Hrsg.), Rechtsstaat zwischen Sozialgestaltung und Rechtsschutz, FS für Konrad Redeker, 1993, S. 293 (294). 108 EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u. a.), ECLI:EU:C:2015:400, Rn. 69. 109 Vgl. zur Rechtsprechung des EuGH: Calliess, Gerichtliche Kontrolldichte und institutionelle Begründungspflicht im Europarecht  – ein Kompensationsverhältnis, in: Hendler / ​ Ibler / Martínez (Hrsg.), Für Sicherheit, für Europa, FS für Volkmar Götz, 2005, S. 239 (250 ff.) 110 Instruktiv: EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u. a.), ECLI:EU:C:2015:400, Rn. 69.

D. Folgerungen für die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips 

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sidiaritätsprinzips auf die Direktionskraft von Verfahrensbindungen angewiesen. In Anlehnung an die Terminologie der deutschen Verwaltungsrechtsdogmatik kommt den Verfahrensbindungen im europäischen Rechtsetzungsverfahren im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität damit (auch) eine dienende Funktion zu.111

III. Verfahrenskontrolle durch eine prozedurale Fehlerund Pflichtenlehre des Unionsgesetzgebers Anforderungen an die Verfahrensbindungen des Unionsgesetzgebers ergeben sich aus dem Unionsprimärrecht dabei in zweierlei Hinsicht. Zunächst ergeben sich prozedurale Pflichten aus den Regelungen des Frühwarnmechanismus, mithin aus den Normen des Art. 6 und Art. 7 Subsidiaritätsprotokoll. Diese werden in der hiesigen Untersuchung mit dem Begriff der verfahrensmäßigen Pflichten beschrieben. Sie betreffen gewissermaßen das „äußere“ Verfahren der Beteiligung der nationalen Parlamente am europäischen Subsidiaritätskonzept. Darüber hinaus formuliert das Unionsprimärrecht im Subsidiaritätsprotokoll aber auch Anforderungen an das „innere“ Verfahren der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips im Gesetzgebungsverfahren, die im Folgenden als vorgangsbezogene Pflichten bezeichnet werden. Diese Anforderungen betreffen die Methodik der Entscheidungsfindung hinsichtlich der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips bei der Vorbereitung und des Erlasses des Gesetzgebungsakts. Der Unionsgesetzgeber hat aufgrund seiner weiten Einschätzungsprärogative bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips normativ determinierte Fakten, Interessen und Gesichtspunkte, die die Beurteilung der Vereinbarkeit des Regelungsvorhabens tragen, möglichst vollständig und mit richtigem Inhalt zu ermitteln sowie für seine Entscheidung heranzuziehen. Dabei hat er insbesondere die Folgenwirkungen einer Maßnahme abzutasten. Die sich ergebenden Lösungsalternativen muss der Unionsgesetzgeber sodann in ihrem Für und Wider politisch wertend gegeneinander abwägen und abschließend die Genese sowie das Ergebnis der Beurteilungsentscheidung offenlegen. Diese vorgangsbezogenen Pflichten auf dem Wege zum Gesetzesbeschluss sind nicht aus dem fertigen Gesetz ablesbar, sondern werden nur erkennbar, wenn man den Prozess der Entscheidungsfindung überprüft. Hier muss die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips im Verfahren vor dem EuGH ansetzen.

111 Zum Konzept der dienenden Funktion des Verwaltungsverfahrens: Quabeck, Dienende Funktion des Verwaltungsverfahrens und Prozeduralisierung, 2010, S. 7 ff.

Teil III

Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre A. Vorgangsbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers Maßgebliche Rechtsquelle für die vorgangsbezogenen Pflichten des Unionsgesetzgebers im Hinblick auf die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips ist das Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, welches in der vorliegenden Untersuchung auch als Subsidiaritätsprotokoll bezeichnet ist.

I. Die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung Die Regelungen des Subsidiaritätsprotokolls sehen zunächst vor, dass der Unionsgesetzgeber eine ausreichende Erkenntnisgrundlage für die Beurteilung der Vereinbarkeit des Gesetzesentwurfes mit dem Grundsatz der Subsidiarität schaffen muss. Dabei gibt das Protokoll in Art. 2 sowie in Art. 5 konkrete Methoden zur Ermittlung der einschlägigen Interessen sowie Daten und Fakten vor, die ermittelt werden müssen. 1. Die Pflicht zur Durchführung „umfangreicher“ Anhörungen a) Der Kreis der Anzuhörenden aa) Die verpflichtende Anhörung des Ausschusses der Regionen Im Vorfeld eines geplanten Regelungsvorhabens hat der europäische Gesetzgeber die im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität einschlägigen Interessen zu ermitteln. Dementsprechend verpflichtet Art. 2 Subsidiaritätsprotokoll die Europäische Kommission „umfangreiche“ Anhörungen durchzuführen, bevor sie einen Gesetzgebungsakt vorschlägt. Welche Interessengruppen im Einzelfall angehört werden müssen, legt das Subsidiaritätsprotokoll zwar nicht dezidiert fest, der Wortlaut der Norm betont indes die Bedeutung der Einbeziehung der regionalen sowie kommunalen Interessengruppen: „Dabei ist gegebenenfalls der regionalen und lokalen Bedeutung der in Betracht gezogenen Maßnahmen Rechnung zu tragen.“

A. Vorgangsbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers

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Die Interessen der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften werden auf der Ebene der Europäischen Union gebündelt durch den Ausschuss der Regionen (AdR) vertreten.1 Durch seine Anhörung kann die Kommission dementsprechend die Anforderungen des Art. 2 Subsidiaritätsprotokoll erfüllen. Fraglich ist nur, inwiefern die Anhörung des AdR durch die Formulierung „gegebenenfalls“ in das Ermessen der Kommission gestellt ist. Eine an dem Wortlaut und der Systematik der Regelungen des Art. 5 Abs. 3 EUV sowie des Subsidiaritätsprotokolls orientierte Auslegung muss zu dem Ergebnis führen, dass die Anhörung des AdR jedenfalls dann für die Kommission verpflichtend ist, wenn der geplante Gesetzesentwurf voraussichtlich Auswirkungen auf die regionalen und lokalen Ebenen der einzelnen Mitgliedstaaten haben wird. Der Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 EUV macht die Berücksichtigung der regionalen und lokalen Ebenen in den Mitgliedstaaten nämlich ausdrücklich zum Wesensmerkmal der Subsidiarität. Dieses Wesensmerkmal kann praktisch nur durch eine intensive Beteiligung des AdR am europäischen Gesetzgebungsverfahren realisiert werden. Für eine konsequente Verpflichtung der Kommission zur Anhörung des AdR spricht darüber hinaus auch die Systematik des Subsidiaritätsprotokolls, in der die besondere Relevanz des Ausschusses für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips in der Praxis plastisch wird. Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll gewährt dem Ausschuss der Regionen ausdrücklich ein Recht zur Klage gegen Gesetzgebungsakte, die nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar sind. Seine Anhörung darf damit nicht gänzlich in das Ermessen der Kommission gestellt werden. Die Kommission darf vielmehr nur von einer Anhörung absehen, wenn ausgeschlossen werden kann, dass lokale sowie regionale Belange in den einzelnen Mitgliedstaaten von dem geplanten Regelungsvorhaben nicht tangiert werden. bb) Weiterer Kreis der Anzuhörenden Darüber hinaus liegt die Festlegung des Kreises der Anzuhörenden im Ermessen der Kommission. Dies ergibt sich aus dem offenen Wortlaut des Art. 2 Subsidiaritätsprotokoll. Gleichwohl kann die Kommission den Kreis der Anzuhörenden nicht willkürlich und ohne Bezug zu dem anvisierten Gesetzgebungsvorhaben festlegen. Es sind vor allem externe Parteien, die von der jeweiligen Politik betroffen, an ihrer Umsetzung beteiligt sind oder ein unmittelbares Interesse an ihr haben, anzuhören – etwa Bürger2, Verbraucher, Wirtschaftsteilnehmer und Interessengruppen.3

1

Art. 300 Abs. 1 und Abs. 3 AEUV. Vgl. Art. 11 EUV. 3 Vgl. die Kommissionspraxis der Anhörungen, KOM (2002) 704 endg. 2

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Teil III: Kontrolle durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre

b) Grenzen der Anhörungspflicht Die Kommission trifft mithin eine umfassende Pflicht zur Anhörung, die ihre Grenzen nur in einigen wenigen Ausnahmefällen kennt. Art. 2 S. 3 Subsidiaritätsprotokoll ordnet an, dass die Kommission nur in „außergewöhnlich dringenden Fällen“ von vorherigen Konsultationen absehen darf. Die Voraussetzungen einer außergewöhnlichen Dringlichkeit sind im Subsidiaritätsprotokoll indes nicht angelegt. Aufgrund der Formulierung des Protokolls sowie der Regel-Ausnahme-Systematik des Art. 2 Subsidiaritätsprotokoll ist das Protokoll an dieser Stelle restriktiv auszulegen. Ausnahmen von der Anhörungspflicht sind daher nur in engen Grenzen möglich. Zum Beispiel wenn ein schnelles gesetzgeberisches Eingreifen der Europäischen Union notwendig ist. In Betracht kommt etwa eine Ausnahme bei außergewöhnlichen Ereignissen wie Umwelt- oder Naturkatastrophen oder weltweiten Pandemien.4 2. Die Pflicht zum Abtasten der Gesetzesfolgenwirkungen Den Unionsgesetzgeber trifft im Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 3 EUV darüber hinaus die Pflicht, die Gesetzesfolgenwirkungen eines Handelns durch die Europäische Union für die Mitgliedstaaten sowie die nationalen Parlamente darzustellen. Bevor auf die Rechtsquellen sowie die Reichweite dieser Pflicht eingegangen wird, soll zunächst das Instrument der Gesetzesfolgenabschätzung als solches vorgestellt werden. a) Das Instrument der Gesetzesfolgenabschätzung Das Instrument der Gesetzesfolgenabschätzung ist in der Gesetzgebungslehre zu einem Schlüsselelement im Hinblick auf die Steigerung der Qualität von Gesetzen avanciert. Allgemeinhin wird unter dem Begriff der Gesetzesfolgenabschätzung der Versuch definiert, die Notwendigkeit eines Regelungsvorhabens, seine wahrscheinlichen Folgen sowie Nebeneffekte anhand bestimmter Kriterien zu erfassen und darzustellen.5 Gesetzesfolgenabschätzungen werden sowohl bei der Vorbereitung eines Regelungsvorhabens als auch begleitend und zuletzt zur Nachkontrolle des erlassenen Gesetzes eingesetzt. Dementsprechend werden  – orientiert am Zeitpunkt  – 4

Vgl. Mellein, Subsidiaritätskontrolle durch nationale Parlamente, 2007, S. 173. Vgl. Smeddinck, Gesetzgebungsmethodik und Gesetzestypen, in: Kluth / K rings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 3 A, Rn. 45; Lund, Gesetzesfolgenabschätzung auf europäischer Ebene und in Deutschland, Verwaltungsrundschau 2011, S. 87 (87 f.); Köck, Gesetzesfolgenabschätzung und Gesetzgebungslehre, VerwArch 2002, S. 1 (2); Böhret / Konzendorf, Handbuch Gesetzesfolgenabschätzung (GFA), 2001, S. 1.

5

A. Vorgangsbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers

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drei Arten von Gesetzesfolgenabschätzungen unterschieden.6 Zunächst ist die prospektive Gesetzesfolgenabschätzung zu nennen. Sie setzt im Planungsstadium eines Gesetzesvorhabens an. Durch die prospektive Gesetzesfolgenabschätzung wird für das geplante Vorhaben eine Tatsachengrundlage geschaffen.7 Dadurch können Regelungsalternativen erkannt, untersucht und auf ihre Eignung hin überprüft werden. Ein Ansatz ist in diesem Zusammenhang beispielsweise die ökonomische Betrachtung des Rechts, aber auch die Rechtsvergleichung mit dem Ziel der Ermittlung von „best practices“.8 Daneben existiert die begleitende Gesetzesfolgenabschätzung, die während des förmlichen Gesetzgebungsverfahrens erfolgt. Sie basiert auf dem Gesetzesentwurf und dient dessen fortlaufender Verbesserung.9 Zuletzt greift die retrospektive Gesetzesfolgenabschätzung. Sie zielt auf eine Wirkungskontrolle des erlassenen Gesetzes (Gesetzescontrolling).10 Im Rahmen der Wirkungskontrolle wird ein Ist-Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt nach dem Inkrafttreten der zu evaluierenden Regelung festgestellt und sodann mit dem Ist-Zustand vor dem Inkrafttreten und mit dem seinerzeit erstrebten Soll-Zustand verglichen.11 Im europäischen Recht war die Erfassung von Gesetzesfolgen lange Zeit nicht verbindlich geregelt. Die für alle wesentlichen Vorhaben der Kommission eingeführte, unverbindliche, sektorenübergreifende prospektive Folgenabschätzung (englisch: „impact assessment“) geht auf die Bestrebungen der Europäischen Union nach einer besseren Rechtsetzung zurück.12 Das Konzept der Kommission sah vor, dass zunächst anhand einer vorläufigen Folgenabschätzung für das jährliche Arbeitsprogramm darüber entschieden werden sollte, welche Initiativen einer ausführlichen Folgenabschätzung unterzogen werden sollten.13 Die Differenzierung zwischen vorläufigen und ausführlichen Folgenabschätzungen hat die Kommission aber mittlerweile aufgegeben. Folgenabschätzungen werden nunmehr für solche 6 Vgl. zu den Erscheinungsformen: Ennuschat, Wege zur besseren Gesetzgebung – sachverständige Beratung, Begründung, Folgenabschätzung und Wirkungskontrolle, DVBl. 2004, S. 986 (992 f.); Bräunlein, Gesetzesfolgenabschätzung in der Bundesrepublik Deutschland. Institutionalisierung und Integration, 2002, S. 5 ff. 7 Vgl. Ennuschat, Wege zur besseren Gesetzgebung – sachverständige Beratung, Begründung, Folgenabschätzung und Wirkungskontrolle, DVBl. 2004, S. 986 (992 f.); Bräunlein, Gesetzesfolgenabschätzung in der Bundesrepublik Deutschland. Institutionalisierung und Integration, 2002, S. 5 ff. 8 Vgl. Göll, Nachhaltigkeit als Herausforderung für Parlamente, ZParl. 2004, S. 68 (79). 9 Vgl. Ennuschat, Wege zur besseren Gesetzgebung – sachverständige Beratung, Begründung, Folgenabschätzung und Wirkungskontrolle, DVBl. 2004, S. 986 (993). 10 Vgl. ebenda, S. 986 (992). 11 Vgl. Ennuschat, Wege zur besseren Gesetzgebung – sachverständige Beratung, Begründung, Folgenabschätzung und Wirkungskontrolle, DVBl. 2004, S. 986 (992); Böhret / Konzendorf, Handbuch Gesetzesfolgenabschätzung (GFA), 2001, S. 255. 12 Vgl. Mitteilung der Kommission über Folgenabschätzung vom 5. 6. 2002, KOM (2002) 276 endg. Bereits das Weißbuch der Kommission vom 25. 7. 2001 zur „European Governance“ fordert die Entwicklung einer „Evaluierungs- und Feedback-Kultur“, „damit aus früheren Erfolgen und Fehlern Lehren gezogen werden.“, KOM (2001) 428 endg., ABl. EG 2001 C 287/18. 13 Vgl. KOM (2002) 276 endg., S. 7 ff.

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Vorhaben erstellt, bei denen mit erheblichen wirtschaftlichen, sozialen oder ökologischen Auswirkungen zu rechnen ist. Dazu zählen Legislativvorschläge, nichtlegislative Initiativen (z. B. Finanzprogramme oder Empfehlungen für Verhandlungen im Rahmen internationaler Übereinkommen) sowie Durchführungsrechtsakte und delegierte Rechtsakte.14 Die Einführung von Folgenabschätzung als Element des europäischen Gesetzgebungsverfahrens steht in einem engen Zusammenhang mit den Bemühungen der Union um eine effektive Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. Sie ist Teil der Umsetzung des Subsidiaritätsprinzips im Bereich von Governance und Better Lawmaking.15 b) Normative Anordnung zur Erfassung und Dokumentation von Gesetzesfolgen Die Regelung des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll greift den Ansatz der prospektiven Gesetzesfolgenabschätzung auf und verankert ihn erstmals im europäischen Primärrecht. Die Norm ordnet in Satz 1–3 an, dass die gesetzesentwurfeinbringende Stelle ihren Entwurf detailliert unter Angabe der voraussichtlichen finanziellen Auswirkungen sowie im Falle einer Richtlinie zu den Auswirkungen auf die von den Mitgliedstaaten zu erlassenden Rechtsvorschriften der beabsichtigten Maßnahme zu begründen hat, sodass die Beurteilung der Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit umfassend möglich ist. Art. 5 S. 4 Subsidiaritätsprotokoll gibt dabei vor, dass die Feststellung, dass ein Ziel der Union besser auf Unionsebene erreicht werden kann, auf qualitativen und soweit möglich auf quantitativen Kriterien beruht. Art. 5 S. 5 Subsidiaritätsprotokoll hält darüber hinaus konkretisierend fest: „Die Entwürfe von Gesetzgebungsakten berücksichtigen dabei, dass die finanzielle Belastung und der Verwaltungsaufwand der Union, der nationalen Regierungen, der regionalen und lokalen Behörden, der Wirtschaftsteilnehmer und der Bürgerinnen und Bürger so gering wie möglich gehalten und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen müssen.“ Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll ordnet seinem Wortlaut nach damit eine sektorenübergreifende Erfassung und Dokumentation des administrativen und monetären Vollzugsaufwandes der anvisierten Maßnahme für alle mitgliedstaatlichen Ebenen an und macht sie zu einem wesentlichen Bestandteil des Prozesses der Beurteilungsentscheidung hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips. Anders als das Konzept der Kommission zur prospektiven Gesetzesfolgenabschätzung differenziert Art. 5 14

Vgl. Informationen der Kommission zur Erforderlichkeit der Folgenabschätzungen, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/info/law/law-making-process/planning-and-proposing-law/ impact-assessments_de [zuletzt abgerufen am 25. 3. 2020]. 15 Vgl. KOM (2019) 178 endg., S. 8 f.; KOM (2018) 703 endg.

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Subsidiaritätsprotokoll dabei nicht zwischen wesentlichen und unwesentlichen Gesetzgebungsvorhaben, sondern bindet die Erfassung der Gesetzesfolgen an das Einbringen eines Regelungsvorhabens selbst. Gleichwohl verlangt Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll nicht, dass die Erfassung und Dokumentation der Gesetzesfolgen auch bei der gesetzesentwurfeinbringenden Stelle angesiedelt sein muss, die angesichts des Arbeitsaufwandes durchaus überfordert sein könnte. Vielmehr kann diese auf (unabhängig) überprüfende Einrichtungen zurückgreifen. In Betracht kommt insoweit ein Rückgriff auf die Stellungnahmen des Programms der Europäischen Union zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung (REFIT) der Europäischen Kommission. c) Anforderungen an das Verfahren der Gesetzesfolgenabschätzung Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll ordnet zwar die Erfassung und Dokumentation von Gesetzesfolgen in Form des Vollzugsaufwandes an, formuliert jedoch keine konkreten Anforderungen an die Methodik zu dessen Ermittlung. Art. 5 S. 4 lässt (lediglich) erkennen, dass die Feststellung, dass ein Ziel der Union besser auf Unionsebene erreicht werden kann, auf qualitativen und, soweit möglich, quantitativen Kriterien beruht. Darüber hinaus verzichtet das Protokoll allerdings auf die Festlegung von dezidierten Ermittlungspflichten oder Methoden zur Datenerhebung. Dies ist insofern problematisch, als das Instrument der Gesetzesfolgenabschätzung auf europäischer Ebene bisher nicht über eine anerkannte Systematik und Methodik verfügt.16 Dies hat in der Vergangenheit dazu geführt, dass die vorgelegten Abschätzungsberichte vielfach hinter den auf sie gesetzten Hoffnungen bezüglich der Nachvollziehbarkeit der Überlegungen zurückgeblieben sind.17 Das Vorgehen der Kommission wird zum Teil als natürlich-sprachlich, ohne auf validen Daten basierend beschrieben und ist dementsprechend in Kritik geraten.18 Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob und inwiefern aus Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll i. V. m. Art. 5 Abs. 3 EUV prozedurale Garantien für die Durchführung von Gesetzesfolgenabschätzungen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips abgeleitet werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass den Gesetzgeber nicht unabhängig vom jeweiligen Sachkontext dieselben verfah 16 Vgl. Smismans, Policy Evaluation in the EU: The Challenges of Linking Ex Ante and Ex Post Appraisal, EJRR 2015 (1). S. 6 ff. 17 Vgl. zur Kritik im Zusammenhang mit der Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit den Bericht über die Taskforce für Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit und „Weniger, aber effizienteres Handeln“ vom 10. 6. 2018, S. 16, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/report-task-force-subsidiarityproportionality-and-doing-less-more-efficiently_de_0.pdf [zuletzt abgerufen am 25. 3. 2020]. Zur Kritik an Folgenabschätzungen im Umweltrecht: vgl. Hofmann, Die europäische Folgenabschätzung in der Umweltpolitik, ZUR 2006, S. 574 ff. 18 Hofmann, Die europäische Folgenabschätzung in der Umweltpolitik, ZUR 2006, S. 574 ff.

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rensbezogenen Anforderungen treffen können. Prozedurale Anforderungen haben vielmehr eine dienende Funktion und müssen in einem angemessenen Verhältnis zu den primärrechtlichen Verpflichtungen des Gesetzgebers stehen. Insbesondere sollen sie die Gewährleistungen des Vertrages in den Fällen absichern, in denen eine exakte rechtliche Ergebniskontrolle nicht möglich ist oder schwierig erscheint.19 Dementsprechend ist es vertretbar, im Bereich der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips, in dem eine rechtliche Ergebniskontrolle im Vertrag nur bedingt angelegt ist, besonders umfangreiche prozedurale Anforderungen anzunehmen. Insofern entfaltet Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll i. V. m. Art. 5 Abs. 3 EUV auch Auswirkungen auf die Anforderungen an das Verfahren der Gesetzesfolgenabschätzung. Zwar können aus Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll i. V. m. Art. 5 EUV keine konkreten Anforderungen im Hinblick auf die Methodik und die Systematik der Gesetzesfolgenabschätzungen abgeleitet werden. Allerdings ergibt sich aus dem Gewährleistungsbereich dieser Normen, dass die gesetzesentwurfeinbringenden Stellen auf ein transparentes sowie sachgerechtes Verfahren zur Ermittlung des Vollzugsaufwandes zurückgreifen müssen. Dies umfasst dann auch die Ermittlung realitätsgerechter, nachvollziehbarer sowie aussagekräftiger Zahlen, anhand derer eine vergleichende Betrachtung zwischen einer Problemlösung (zumindest im Hinblick auf den Vollzugsaufwand) auf der Ebene der Mitgliedstaaten sowie der Europäischen Union möglich ist.

II. Die Pflicht zur Heranziehung des Entscheidungsmaterials sowie zur Abwägung der wesentlichen Gesichtspunkte 1. Die Pflicht zur Heranziehung des ermittelten Entscheidungsmaterials Aus der Pflicht, eine ausreichende Erkenntnisgrundlage für die Beurteilung der Übereinstimmung des geplanten Gesetzesvorhabens mit dem Grundsatz der Subsidiarität zu schaffen, ergibt sich auch, dass die ermittelten Interessen und Daten für die Beurteilungsentscheidung durch den Gesetzgeber herangezogen werden müssen. In der Praxis liefen die oben aufgezeichneten Ermittlungspflichten ansonsten schlicht ins Leere. Normativ wird dieser Befund durch den Wortlaut des Art. 5 S. 4 Subsidiaritätsprotokoll gestützt, der ausdrücklich vorschreibt, dass die „Feststellung, dass ein Ziel der Union besser auf Unionsebene erreicht werden kann, auf qualitativen und, soweit möglich, quantitativen Kriterien“ beruht. Den Ergebnissen der Anhörungen nach Art. 2 Subsidiaritätsprotokoll kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, da durch das Instrument der Konsultationen der föderative Gedanke des Subsidiaritätsprinzips verwirklicht wird. In den Anhörungen diskutierte Lösungsmöglichkeiten müssen dementsprechend in das

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S. Teil II. D. II., S. 52 ff.

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Gesetzgebungsvorhaben einbezogen werden. Aber auch die erarbeiteten Folgenabschätzungsberichte sind als Grundlage für die Beurteilung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips heranzuziehen. Das Unionsprimärrecht fordert von den am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organen hingegen nicht, selbst Alternativmodelle zu erarbeiten, welche mit ihren politischen Vorstellungen nicht übereinstimmen. Ebenso wenig ist der Unionsgesetzgeber bei seiner Beurteilungsentscheidung auf die Heranziehung der durch das Subsidiaritätsprotokoll markierten Gesichtspunkte beschränkt. Vielmehr können die jeweils von der Thematik der Regelungsmaterie erfassten Belange in das Verfahren einbezogen werden, bevor in der Abwägung darüber entschieden wird, ob sie vielleicht gegenüber anderen Belangen zurücktreten sollten. Die Einzelabgrenzung folgt dabei aus der Sache. Insbesondere können auch kollidierende Zielbestimmungen (Art. 3 EUV) oder grundlegende Werte der Europäischen Union (Art. 2 EUV) für die Beurteilungsentscheidung herangezogen werden. 2. Die Pflicht zur Abwägung der wesentlichen Gesichtspunkte Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass es sich bei der Frage nach der Vereinbarkeit eines geplanten Gesetzgebungsentwurfs mit dem Prinzip der Subsidiarität um eine Entscheidung handelt, die von den handelnden Organen im Ergebnis eine wertende Abwägung erfordert. Insbesondere die Frage nach einer besseren Zielverwirklichung durch die Europäische Union setzt die Abwägung zwischen dem Souveränitätsverlust der Mitgliedstaaten sowie dem Vollzugsaufwand der nationalen, regionalen und lokalen Ebenen durch die entsprechende Maßnahme und dem Mehrwert eines europäischen Handelns voraus. Wie jede gesetzgeberische Abwägungsentscheidung erfordert auch die Beurteilung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips, dass die heranzuziehenden Gesichtspunkte politisch wertend zueinander ins Verhältnis gesetzt, gewichtet und saldiert werden. Die Beurteilung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips hat dabei für das ganze Regelungsvorhaben in seiner vorgestellten Ausführlichkeit zu erfolgen.20 Dies gilt umso mehr, als einzelne Bestimmungen häufig weitreichende Regelungen enthalten.21 Bereits aus dem Rechtstaatsgebot sowie dem unionalen Transparenzgebot ergibt sich, dass die Abwägungsentscheidung hinsichtlich der Vereinbarkeit des Regelungsvorhabens mit dem Prinzip der Subsidiarität real und nachvollziehbar sein muss, also nicht willkürlich oder zufällig vorgenommen werden darf. Vielmehr 20 Vgl. Frowein, Konkurrierende Zuständigkeit und Subsidiarität, Zur Kompetenzverteilung in bündischen Systemen, in: Badura (Hrsg.), Wege und Verfahren des Verfassungslebens, FS für Peter Lerche, 1993, S. 401 (407). 21 Vgl. z. B. Art. 13 der RL 2019/790/EU über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt und […], ABl. EU 2019 L130/92.

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muss die Abwägung hinreichend umfassend angelegt und ohne Abwägungssperre vorgenommen werden. Das Unionsprimärrecht gibt dabei in Grundzügen justiziable Direktiven für das Abwägungsverfahren hinsichtlich der Vereinbarkeit eines Gesetzgebungsvorhabens mit dem Grundsatz der Subsidiarität vor. Die Regelungen des Art. 5 S. 3 und 4 Subsidiaritätsprotokoll messen zunächst den Gesichtspunkten der finanziellen Auswirkungen sowie des administrativen Vollzugsaufwandes besondere Bedeutung bei. Daraus folgt für das Abwägungsverfahren die Pflicht zu einem bestimmten Vorverständnis bzw. zu einer bestimmten Abwägungshaltung.22 Gleiches gilt für die Belange der regionalen sowie lokalen Ebenen der Mit­ gliedstaaten. Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll und zum anderen aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 EUV. Seit dem Vertrag von Lissabon ist das Negativkriterium des Art. 5 Abs. 3 EUV unter dem zusätzlichen Verweis auf die regionale und lokale Ebene in den Mitgliedstaaten konkretisiert. Auch hier ergibt sich für das Abwägungsverfahren die Pflicht zu einem bestimmten Vorverständnis. Damit enthält das Unionsprimärrecht, zumindest rudimentär, Anweisungen, wie bestimmte Zielkonflikte im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip zu lösen sind. Die Beachtung, aber auch die Missachtung der beschriebenen erforderlichen Abwägungshaltung kann indes nur festgestellt werden, wenn die Genese sowie das Ergebnis der Abwägungsentscheidung umfassend durch den Unionsgesetzgeber offengelegt werden.

III. Die Pflicht zur Offenlegung Die Feststellbarkeit von Defiziten bei der Verwirklichung der durch das Subsidiaritätsprotokoll vorgegebenen und bisher abgebildeten vorgangsbezogenen Pflichten des Unionsgesetzgebers erfordert, dass die der Beurteilungsentscheidung zugrunde liegende Erkenntnisgrundlage sowie die Genese und das Ergebnis der Beurteilung hinsichtlich der Vereinbarkeit des Gesetzesvorhabens mit dem Subsidiaritätsprinzip offengelegt werden. Dazu sind die Beteiligten nach dem Unionsprimärrecht verpflichtet. Den Unionsgesetzgeber trifft dabei eine doppelte Pflicht zur Offenlegung. Zunächst erfordert das politische Mitwirkungskonzept des Frühwarnmechanismus eine Offenlegung, die bereits in den Unterlagen des Gesetzgebungsentwurfs verwirklicht werden muss. Diese ist in Art. 5 S. 1 und 2 Subsidiaritätsprotokoll normiert. Ferner drängt die allgemeine Begründungspflicht des Art. 296 Abs. 2 AEUV auf eine Offenlegung der Subsidiaritätserwägungen im fertigen Gesetz.

22

Vgl. zu den Folgen einer gesetzgeberischen Abwägungspflicht im deutschen Verfassungsrecht: Schwerdtfeger, Optimale Methodik der Gesetzgebung als Verfassungspflicht, in: Stödter / Thieme (Hrsg.), Hamburg, Deutschland, Europa: Beiträge zum deutschen und europäischen Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsrecht, FS für Hans Peter Ipsen, 1977, S. 173 (182).

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1. Die Pflicht zur Offenlegung im Entwurf des Gesetzgebungsakts a) Rechtsgrundlagen Die doppelte Pflicht zur Offenlegung ist das Ergebnis der Einführung des politischen Mitwirkungskonzepts der nationalen Parlamente an dem Prinzip der Subsidiarität. Der im Regelungswerk des Protokolls Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit angelegte mehrere Ebenen übergreifende Diskurs erfordert in einem besonderen Maße die Offenlegung des der Beurteilung zugrunde liegenden Materials sowie der Genese und des Ergebnisses des Beurteilungsprozesses − und zwar bereits in den Unterlagen des Entwurfs, die den nationalen Parlamenten nach Art. 4 Subsidiaritätsprotokoll übermittelt werden. Denn die Entwurfsunterlagen dienen den nationalen Parlamenten in der Praxis oftmals als entscheidender Parameter für die Erstellung der begründeten Stellungnahmen.23 Rechtlich entfalten die Entwurfsunterlagen mithin eine diskursanleitende Funktion. Dementsprechend handelt es sich bei der Pflicht zur Offenlegung um eine wesentliche Gewährleistung für die nationalen Parlamente im Verfahren des Frühwarnmechanismus.24 Darüber hinaus dient die Pflicht zur Offenlegung in Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll aber auch als Anknüpfungspunkt für eine spätere gerichtliche Kontrolle, da durch sie etwaige Defizite im Rahmen der Umsetzung der vorgangsbezogenen Pflichten des Unionsgesetzgebers transparent werden. b) Inhaltliche Anforderungen an die Offenlegung Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll drängt in einem besonderen Maße auf Transparenz. Dies spiegelt sich im Wortlaut der Norm selbst wider, wenn dort angeordnet wird, dass die Begründung des Entwurfs so ausgestaltet sein soll, dass sie es ermöglicht „zu beurteilen, ob die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit eingehalten wurden.“ Damit fordert Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll, dass das Ergebnis sowie die Genese der Beurteilung, ob der Gesetzgebungsentwurf mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar sei, vollumfänglich durch die nationalen Parlamente sowie den EuGH nachvollzogen werden können. Inhaltlich muss der Unionsgesetzgeber deshalb zunächst die Erkenntnisgrundlage für die Beurteilung offenlegen. Sämtliche für die Beurteilung der Einhal-

23 Vgl. Hatje in einer öffentlichen Expertenanhörung des Europaausschusses der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg vom 6. 5. 2010, Ausschussprotokoll Nr. 19/19, S. 3–28, abrufbar unter: https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/vorgaenge/29482/1 [zuletzt abgerufen am 24. 3. 2020]. 24 Vgl. Molsberger, Das Subsidiaritätsprinzip im Prozess europäischer Konstitutionalisierung, 2009, S. 197.

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tung des Subsidiaritätsprinzips herangezogenen Interessen, Daten und Gesichts­ punkte sind abzubilden. Sodann muss der Unionsgesetzgeber den konkreten Beurteilungs­prozess offenlegen, d. h. er hat zu dokumentieren, wie sich die ermittelten Erkenntnisse und Tatsachen bei der Beurteilung der Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes widerspiegeln und wie die Tatsachen im Abwägungsprozess konkret gewichtet wurden. Nur so kann sichergestellt werden, dass die durch das Subsidiaritätsprotokoll markierten Direktiven sich auch in der Beurteilung der Vereinbarkeit des Regelungsvorhabens mit dem Subsidiaritätsprinzip hinreichend widerspiegeln. Um die Abwägungsentscheidung vollständig nachvollziehen zu können, ist insbesondere das mit der Maßnahme verfolgte politische Ziel durch den Unionsgesetzgeber umfassend darzustellen. Der Unionsgesetzgeber hat deshalb in den Entwurfsunterlagen transparent zu machen, welches konkrete Ziel er mit dem angestrebten Regelungsvorhaben zu erreichen gedenkt und inwiefern eine Wechselwirkung zu den Kernzielen des Unionsprimärrechts besteht.25 Wird mit dem Regelungsvorhaben ein doppelter Ansatz verfolgt, muss sich aus der Begründung ergeben, wo der Schwerpunkt der Maßnahme liegt. Ein pauschaler Hinweis auf die Notwendigkeit einer Rechtsangleichung kann an dieser Stelle nicht ausreichen. Final trifft den Unionsgesetzgeber die Pflicht, das Ergebnis des Beurteilungsprozesses klar und widerspruchsfrei zu formulieren. c) Die Offenlegung in Form eines Vermerks Die Transparenzfunktion des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll kann nur erreicht werden, wenn der Beurteilungsprozess des Unionsgesetzgebers auch formal hinreichend offengelegt wird. Im Hinblick auf die notwendige Form der Offenlegung ist der Wortlaut des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll allerdings nicht eindeutig formuliert. In Art. 5 S. 2 Subsidiaritätsprotokoll wird die Offenlegungspflicht der Initiativorgane wie folgt konkretisiert: „Jeder Entwurf eines Gesetzgebungsakts sollte [Hervorhebung durch die Verf.] einen Vermerk [Hervorhebung durch die Verf.] mit detaillierten Angaben enthalten, die es ermöglichen zu beurteilen, ob die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit eingehalten wurden“. Die Offenlegung der Beurteilungsentscheidung hat demnach in Form eines Vermerks –

25 Vgl. zum Postulat der ausreichenden Dokumentation der mit der Maßnahme anvisierten Ziele den Bericht über die Taskforce für Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit und „Weniger, aber effizienteres Handeln“ vom 10. 6. 2018, Anhang V, S. 33 f., abrufbar unter: https://ec.europa.eu/commission/sites/beta-political/files/report-task-force-subsidiarityproportionality-and-doing-less-more-efficiently_de_0.pdf https://ec.europa.eu/commission/ sites/beta-political/files/report-task-force-subsidiarity-proportionality-and-doing-less-moreefficiently_de_0.pdf [zuletzt abgerufen am 24. 3. 2020].

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im Entwurf des Protokolls noch etwas anschaulicher als „Subsidiaritätsbogen“ bezeichnet26 – zu erfolgen, der den Entwurfsunterlagen abgegrenzt beizufügen ist. Fraglich ist indes, worauf sich die „Soll-Formulierung“ in Art. 5 S. 2 Subsidiaritätsprotokoll bezieht. Bei einer allein am Wortlaut orientierten Auslegung könnte die Norm des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll so verstanden werden, dass ein Gesetzgebungsentwurf in jedem Fall mit Blick auf die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit begründet werden muss, jedoch die Beifügung der Offenlegung der Begründung als schriftlicher Vermerk an den Entwurf nicht zwingend ist.27 Dies hätte die praktische Folge, dass die Pflicht zur Erstellung eines schriftlichen Vermerks, aus dem ebenso konzentriert wie abgegrenzt die angestellten Erwägungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe zum Grundsatz der Subsidiarität hervorgehen, nicht umfassend gilt. Betrachtet man den im Wortlaut der Norm selbst angelegten Zweck des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll, kann dieses Auslegungsergebnis keinen Bestand haben.28 Der Zweck der Regelung besteht gerade darin, die Beurteilung der Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zu ermöglichen. Die Beurteilung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips ist allerdings nur dann möglich, wenn die diesbezüglichen Erwägungen der Unionsorgane transparent und willkürfrei nach außen hin sichtbar gemacht werden. Diffuse Begründungen können den Anforderungen des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll nicht genügen. Dies gilt umso mehr, als die ausgearbeiteten Entwurfsunterlagen der Gesetzgebungsakte den Ausgangspunkt für den oben beschriebenen mehrebenenübergreifenden Diskurs hinsichtlich der Vorgaben des Prinzips der Subsidiarität darstellen. Der Unionsgesetzgeber ist vor diesem Hintergrund in jedem Fall dazu verpflichtet, den Entwurfsunterlagen einen schriftlichen Vermerk beizufügen, aus dem die angestellten Erwägungen hinsichtlich der Vereinbarkeit des Regelungsvorhabens mit dem Grundsatz der Subsidiarität abgegrenzt und konzentriert hervorgehen. d) Die Detaillierung der Offenlegung Noch nicht durch die bisherigen Ausführungen beantwortet wurde die oben aufgeworfene Frage, welchen Bezugspunkt die „Soll-Formulierung“ des Art. 5 S. 2 Subsidiaritätsprotokoll aufweist. Da die Beibringung der Offenlegung in Form eines abgegrenzten, schriftlichen Vermerks nicht infrage kommt, bleibt einzig 26 Ziff. 4 des Präsidiumsentwurfs eines Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, CONV 579/03 vom 27. 3. 2003; ebenso CIG 04/03 vom 6. 10. 2003. 27 Vgl. Molsberger, Das Subsidiaritätsprinzip im Prozess europäischer Konstitutionalisierung, 2009, S. 197. 28 Vgl. Molsberger, Das Subsidiaritätsprinzip im Prozess europäischer Konstitutionalisierung, 2009, S. 197.

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die Frage der Detaillierung der erforderlichen Angaben in der Begründung als Anknüpfungspunkt der zurückhaltenden Formulierung.29 Damit wird die Detailliertheit der erforderlichen Angaben allerdings nicht gänzlich in das Ermessen der Initiativorgane gelegt. An dieser Stelle greift vielmehr die besondere Bedeutung des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll als Verfahrensgarantie für die nationalen Parlamente im Frühwarnmechanismus. Eine fruchtbare Auseinandersetzung über eine subsidiaritätsgerechte Kompetenzausübung in einem Mehrebenensystem kann nur dann gelingen, wenn die Argumente hinreichend transparent, willkürfrei und insbesondere substantiiert dargelegt werden. Ihre Detailliertheit darf deshalb nicht in das Belieben der Akteure gestellt werden, sondern muss vielmehr rechtlich abgesichert sein.30 Je differenzierter und fundierter die Subsidiaritätsbelange dabei in den Entwurfsunterlagen zum Ausdruck kommen, desto fruchtbarer ist der Resonanzboden für eine gewinnbringende Auseinandersetzung über das Prinzip der Subsidiarität. Die ausgearbeiteten Entwürfe der Gesetzgebungsakte leiten den Diskurs über eine subsidiaritätsgerechte Zuständigkeitsverteilung in der Europäischen Union daher nicht nur an, sondern bestimmen darüber hinaus auch dessen Qualität. Art. 5 S. 2 Subsidiaritätsprotokoll ist deshalb, in Anlehnung an die Diktion des deutschen Verwaltungsrechts, als zwischen einer gesetzlich gebundenen Entscheidung und einer Ermessensentscheidung stehend auszulegen.31 Die Unionsorgane sind demnach im Regelfall dazu verpflichtet, die Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit detailliert zu dokumentieren und offenzulegen. Nur in Ausnahmefällen kann die gesetzesentwurfeinbringende Stelle von einer derart detaillierten Offenlegung absehen. An dieser Stelle ist allerdings angesichts der Bedeutung der Offenlegungspflicht für die Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips eine restriktive Handhabung angezeigt. Aus dem systematischen Zusammenhang mit Art. 2 Subsidiaritätsprotokoll ergibt sich, dass eine Ausnahme von der Detaillierung nur in den nach Art. 2 S. 3 Subsidiaritätsprotokoll geltenden atypischen Situationen angezeigt ist.

29 Vgl. Molsberger, Das Subsidiaritätsprinzip im Prozess europäischer Konstitutionalisierung, 2009, S. 197. 30 Vgl. Nettesheim, Subsidiarität durch politische Verhandlung – Art. 5 Abs. 3 EUV als Verständigungsauftrag, in: König / Uwer (Hrsg.), Grenzen europäischer Normgebung. EU-Kompetenzen und Europäische Grundrechte, 2015, S. 35 (47 f.). 31 S. zur deutschen Diktion statt vieler: Kopp / Schenke, VwGO, 25. Aufl., 2019, § 114 VwGO, Rn. 4 f.

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2. Die Pflicht zur Offenlegung im fertigen Gesetz a) Rechtsgrundlagen Neben der Pflicht, die Subsidiaritätserwägungen im Entwurf des Gesetzgebungsakts transparent zu machen, besteht für den Unionsgesetzgeber ebenfalls eine Pflicht, etwaige Erwägungen auch in dem fertigen Gesetz selbst offenzu­legen. Diese Pflicht ergibt sich aus der allgemeinen Begründungspflicht des Art. 296 Abs. 2 AEUV.32 Bei der allgemeinen Begründungspflicht des Art. 296 Abs. 2 AEUV handelt es sich um eine Vorschrift der Europäischen Union, die bereits in Art. 15 Abs. 1 Teil des EGKSV und in Art. 190 Teil des EWGV des Gemeinschaftsrechts war. Anders als in vielen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, denen die Pflicht zur Begründung von Gesetzen fremd ist33, gilt die allgemeine Begründungspflicht des Unionsrechts auch für legislative Maßnahmen. Der Unionsgesetzgeber schuldet daher neben dem Gesetz auch eine Begründung für dessen Erlass.34 Grundsätzlich spiegelt sich in der unionalen Begründungspflicht eine dreifache Zwecksetzung wider, wobei die funktionalen Dimensionen des Art. 296 Abs. 2 AEUV in einem besonderen Maße mit dem unionsrechtlich anerkannten Transparenzprinzip korrespondieren.35 Zunächst soll sich der Adressat des Rechtsaktes Klarheit über die erlassene Maßnahme und die Erfolgsaussichten eines möglichen Rechtsbehelfs verschaffen können.36 Überdies ermöglicht die Begründung den handelnden Organen die Selbstkontrolle und dem Unionsrichter die Überprüfung, auf welchen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen ein Rechtsakt beruht.37 Im Anwendungsbereich der Subsidiarität erfährt diese Zwecksetzung eine besondere Ausformung. Dies ergibt sich einerseits aus dem inhärenten Zusammenhang zwischen europäischer Gesetzgebung und Begründung und andererseits aus dem wichtigen Zusammenhang von Beurteilungsspielräumen und der Begründung als deren verfahrensrechtlicher Absicherung.38 32

Vgl. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 2. Aufl. 1999, S. 330 ff.; Vedder, in: Vedder / Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 2. Aufl., 2018, Art. 296 AEUV, Rn. 6. 33 Vgl. Krajewski / Rösslein, in: Grabitz / H ilf / Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 68. EL: 2019, Art. 296 AEUV, Rn. 14. 34 Vgl. ebenda. 35 Vgl. Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / A EUV, 3. Aufl., 2018, Art. 296 AEUV, Rn. 5; Geismann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 4, 7. Aufl., 2015, Art. 296 AEUV, Rn. 8 ff. 36 Vgl. Geismann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 4, 7. Aufl., 2015, Art. 296 AEUV, Rn. 10. 37 Vgl. Schoo, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 4. Aufl., 2019, Art. 296 AEUV, Rn. 9; Geismann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 4, 7. Aufl., 2015, Art. 296 AEUV, Rn. 9. 38 S. Teil II. D. II., S. 52 ff.

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Teil III: Kontrolle durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre

b) Abgrenzung zu Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll Um die normative Reichweite der sich aus Art. 296 Abs. 2 AEUV ergebenden Pflichten auszuloten, ist die allgemeine Pflicht zur Angabe von Gründen für den Erlass einer Maßnahme von der Pflicht zur Offenlegung der Subsidiaritätserwägungen nach Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll abzugrenzen. Die Abgrenzung betrifft drei Gesichtspunkte. Erstens stammt die Begründung nach Art. 296 Abs. 2 AEUV grundsätzlich vom Europäischen Parlament und dem Rat, die den Rechtsakt beschließen, während die Entwurfsbegründung des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll von der gesetzesentwurfeinbringenden Stelle zu verfassen ist. Zweitens bezieht sich die Begründung des Art. 296 Abs. 2 AEUV nur auf den Regelungsgehalt der endgültigen Fassung des Gesetzes – regelmäßig weicht die endgültige Fassung eines Rechtsaktes in einigen Punkten von der Fassung des Entwurfs ab. Drittens haben Art. 296 Abs. 2 AEUV und Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll jeweils andere Anwendungsbereiche. Während Art. 296 Abs. 2 AEUV umfassend für alle Rechtsakte der Europäischen Union gilt und somit auch Rechtsakte ohne Gesetzgebungscharakter umfasst39, gilt Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll ausschließlich beim Erlass von Gesetzgebungsakten. Die Differenzierung zwischen Art. 296 Abs. 2 AEUV und Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll wird insbesondere bei dem Erlass von Rechtsakten ohne Gesetzgebungscharakter virulent. c) Rechtstechnische Umsetzung Die rechtstechnische Umsetzung der Begründungspflicht des Art. 296 Abs. 2 AEUV steht in einem untrennbaren Zusammenhang mit ihrem rechtlichen Gehalt als praktischer Verwirklichung des unionalen Transparenzgebots. Sowohl im wissenschaftlichen Schrifttum als auch in der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es sich bei der Begründung eines Rechtsaktes nach Art. 296 Abs. 2 AEUV um einen untrennbaren Teil der zu erlassenden Maßnahme handelt.40 Die Begründung ist integraler Bestandteil des Rechtsakts, wobei sich die Begründungserwägungen und der verfügende Teil des Rechtsakts ergänzen, sodass auch hinsichtlich der Begründung aus dem verfügenden Teil Rückschlüsse gezogen werden können.41

39 Vgl. Krajewski / Rösslein, in: Grabitz / H ilf / Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 68. EL: 2019, Art. 296 AEUV, Rn. 14. 40 Vgl. zum Schrifttum: Müller-Ibold, Die Begründungspflicht im europäischen Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht, 1990, S. 77; Geismann, in: von der Groeben / Schwarze / ​ Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 4, 7. Aufl., 2015, Art. 296 AEUV, Rn. 10. Vgl. zur Rechtsprechung: EuGH, Rs. C-15/10 (Etimine), ECLI:EU:C:2011:504, Slg. 2011, I-6681, Rn. 113; Rs. C-378/00 (Kommission / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2003:42, Slg. 2003, I-937, Rn. 66. 41 Vgl. Müller-Ibold, Die Begründungspflicht im europäischen Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht, 1990, S. 77 und die dort angeführte höchstrichterliche Rechtsprechung.

A. Vorgangsbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers

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Ein Nachschieben von Gründen ist dem Unionsrecht daher in der Regel fremd.42 Der Inhalt der Begründung darf als integraler Bestandteil des Rechtsaktes nach seiner Verabschiedung nicht mehr geändert oder ergänzt werden, es sei denn, es handelt sich um lediglich orthographische oder grammatikalische Änderungen.43 In der Praxis werden der Rechtsakt und die Begründung daher üblicherweise in einer Urkunde zusammengefasst. Rechtstechnisch erfolgt die Umsetzung der allgemeinen Begründungspflicht durch die Voranstellung der Erwägungsgründe in Form einer Präambel.44 Alle Unionsrechtsakte von allgemeiner Art werden unter der Zugrundelegung einer Standardstruktur abgefasst: Titel – Präambel – verfügender Teil – gegebenenfalls Anhänge.45 Im Falle eines Gesetzgebungsakts nach Art. 289 Abs. 3 AEUV wird das Gesetz zusammen mit der Begründung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht.46 d) Inhalt und Detaillierung der Offenlegung aa) Offenlegung der Subsidiaritätserwägungen bei Gesetzgebungsakten Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, das Prinzip der Subsidiarität sowie das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bewirken, dass der europäische Normgeber im Gegensatz zum nationalen Gesetzgeber nicht frei in der Wahl von Zielen und Mitteln – nur beschränkt durch die Verfassung – ist, sondern jede seiner Handlungen einer besonderen Rechtfertigung, einer Herleitung, letztlich also einer Deduktion aus dem Unionsprimärrecht bedarf. Dementsprechend muss sich aus der Begründung der Legislativmaßnahme ergeben, inwiefern die Ausübung der Legislativkompetenz durch die Einhaltung der Vorgaben des Art. 5 EUV legitimiert ist.47 Der Unionsgesetzgeber muss mithin in dem erlassenen Rechtsakt zumindest 42

Vgl. Calliess, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / A EUV, 5. Aufl., 2016, Art. 296 AEUV, Rn. 20. 43 Vgl. Calliess, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / A EUV, 5. Aufl., 2016, Art. 296 AEUV, Rn. 20; Geismann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 4, 7. Aufl., 2015, Art. 296 AEUV, Rn. 10. 44 Vgl. Gartz, Begründungspflicht des Gesetzgebers, 2015, S. 139; Müller-Ibold, Die Begründungspflicht im europäischen Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht, 1990, S. 77. 45 Vgl. Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission über Gemeinsame Leitlinien für die redaktionelle Qualität der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften vom 22. 12. 1998, ABl. EG 1999 C 73/01, Allgemeiner Grundsatz Nr. 7. 46 Vgl. Art. 297 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV. 47 Vgl. Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 2. Aufl., 1999, S. 330 ff.; Vedder, in: Vedder / Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 2. Aufl., 2018, Art. 296 AEUV, Rn. 6.

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Teil III: Kontrolle durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre

offenlegen, dass er das Subsidiaritätsprinzip im Verfahren der Gesetzgebung berücksichtigt hat. Weitergehende Offenlegungspflichten kann der Unionsgesetzgeber grundsätzlich durch den Subsidiaritätsvermerk in den Entwurfsunterlagen verwirklichen.48 Da die Entwurfsunterlagen jedoch nicht Bestandteil des verkündeten Gesetzgebungsakts sind, erfordert dieses Vorgehen einen Verweis in dem entsprechenden Rechtsakt. Dieser Verweis bewirkt dann, dass die Erwägungen des Vorschlags in die Begründung des Rechtsakts hineinzulesen sind.49 bb) Offenlegung der Subsidiaritätserwägungen bei Rechtsakten ohne Gesetzgebungscharakter Bei Rechtsakten ohne Gesetzgebungscharakter, bei denen es sich gleichwohl um legislative Maßnahmen handeln kann, stellt sich die Frage, inwiefern Subsidia­ ritätsbelange in der Begründung des erlassenen Rechtsakts offengelegt werden müssen. Problematisch ist zunächst, dass sich die oben beschriebenen Pflichten zur Sachverhaltsermittlung sowie zur Heranziehung und Abwägung des Materials nur im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprotokolls ergeben. Anwendung finden die Regelungen des Subsidiaritätsprotokolls indes (lediglich) auf den Erlass von Gesetzgebungsakten. Art. 296 Abs. 2 AEUV gilt allerdings für alle verbindlichen Maßnahmen der Europäischen Union, sodass auch Rechtsakte ohne Gesetzgebungscharakter mit Blick auf das Prinzip der Subsidiarität zu begründen sind. Es stellt sich sodann die Frage, welche Anforderungen an diese Begründung zu stellen sind. Angesichts der kaleidoskopartigen Formenvielfalt der denkbaren Maßnahmen im Anwendungsbereich des Art. 296 Abs. 2 AEUV enthält die Norm keine detaillierten Anforderungen, die die Begründungspflicht im Einzelfall ausgestalten. Operable Maßstäbe leitet der Gerichtshof, unter Zustimmung der Literatur50, aus den Funktionen der Begründungspflicht ab.51 Der Unionsgesetzgeber hat die Subsidiaritätsbelange daher zunächst transparent und willkürfrei in der Präambel des erlassenen Rechtsaktes abzubilden. Eine ebenso transparente wie willkürfreie Darstellung der angestellten Erwägungen kann indes nur dann gelingen, 48

Vgl. Kluth, Die Begründung von Gesetzen, in: Kluth / K rings (Hrsg.), Gesetzgebung, 2014, § 14, Rn. 15. 49 Vgl. Hofmann, Die europäische Folgenabschätzung in der Umweltpolitik, ZUR 2006, S. 574 (579); Müller-Ibold, Die Begründungspflicht im europäischen Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht, 1990, S. 76. 50 Vgl. Müller-Ibold, Die Begründungspflicht im europäischen Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht, 1990, S. 89; Calliess, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / A EUV, 5.  Aufl., 2016, Art. 296 AEUV, Rn. 21. 51 So das Ergebnis der umfassenden Analyse der Rechtsprechung bei Müller-Ibold, Die Begründungspflicht im europäischen Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht, 1990, S. 80 ff. Vgl. instruktiv: EuGH, C-62/14 (Gauweiler u. a.), ECLI:EU:C:2015:400, Rn. 70 und die dort aufgeführte Rechtsprechung.

A. Vorgangsbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers

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wenn die Deduktion unter Art. 5 EUV konzentriert in der Präambel des erlassenen Rechtsaktes abgebildet ist, d. h. die erlassene Maßnahme muss ähnlich wie die Entwurfsunterlagen eine abgegrenzte Begründung im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 5 EUV enthalten. Rechtstechnisch sind die Subsidiaritätserwägungen deshalb in einem Erwägungsgrund zusammenzufassen und als solche zu kennzeichnen. Es stellt sich des Weiteren die Frage, welche Anforderungen an den notwendigen Inhalt und Umfang einer solchen Offenlegung zu stellen sind. Gedanklicher Ausgangspunkt ist hier zunächst das im Vergleich zu den Gesetzgebungsakten niedrigere Kontrollniveau bei Rechtsakten ohne Gesetzgebungscharakter.52 Hier besteht eine besondere Gefahr der ungebremsten Inanspruchnahme von Kompetenzen, weshalb die Begründung des erlassenen Rechtsakts besonders detailliert sein muss. Begrenzt wird die notwendige Detaillierung der Begründung indes durch ihre rechtstechnische Einlösung in Form der Voranstellung der Erwägungen in der Präambel. Diese darf nicht überfrachtet werden. Der Umfang der Begründung hinsichtlich der Beurteilung des Subsidiaritätsprinzips darf demnach durchaus knapp sein, sofern, in Anlehnung an die Regelung des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll, die Begründung es ermöglicht, die Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen. Das heißt, das bloße Behaupten, dass Subsidiaritätsprinzip werde eingehalten, oder die alleinige Wiedergabe des Wortlautes des Art. 5 Abs. 3 EUV kann als formale Begründung nicht ausreichen. Die Begründung muss vielmehr geeignet sein, die Beurteilung hinsichtlich der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips auch zu tragen. Erforderlich ist demnach zumindest die Angabe der tatsächlichen Umstände, auf denen die rechtliche Einschätzung der Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes beruht, kurze Ausführungen zur Genese sowie die Formulierung eines Ergebnisses der Beurteilungsentscheidung.

IV. Fehlerfolge eines Verstoßes gegen vorgangsbezogene Pflichten Im Hinblick auf die Fehlerfolgen eines Verstoßes gegen die beschriebenen vorgangsbezogenen Pflichten des Unionsgesetzgebers ist zwischen einem Verstoß gegen die Pflicht zur Offenlegung, die sich als Ausfluss der allgemeinen Begründungspflicht des Art. 296 Abs. 2 AEUV darstellt, und den Pflichten zu unterscheiden, die sich für den Unionsgesetzgeber aus dem Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit ergeben.

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Vgl. dazu zuletzt die Abschlusserklärung zur Konferenz „Subsidiarität als Bauprinzip der Europäischen Union“ am 15./16. 11. 2018 in Bregenz vom 15. 11. 2018, abrufbar unter: file:///C:/ Users/frpv412/Downloads/Erkl%C3%A4rung%20des%20Vorsitzenden.PDF [zuletzt abgerufen am 25. 3. 2020].

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Teil III: Kontrolle durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre

1. Fehlerfolge bei einem Verstoß gegen die Anforderungen des Art. 296 Abs. 2 AEUV Im Unionsrecht ist allgemein anerkannt, dass ein Verstoß gegen die Anforderungen des Art. 296 Abs. 2 AEUV grundsätzlich die Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift i. S. d. Art. 263 Abs. 2 AEUV darstellt.53 Entspricht die Offenlegung hinsichtlich der angestellten Subsidiaritätserwägungen mithin nicht den Anforderungen des durch die Rechtsprechung konkretisierten Art. 296 Abs. 2 AEUV, führt dies zur Angreifbarkeit des nicht oder nur unzureichend begründeten Legislativakts. Eine andere Frage ist, ob ein Verstoß gegen Art. 296 Abs. 2 AEUV nach Klageerhebung in jedem Fall zur Aufhebung des unzureichend begründeten Normativaktes führt. Im Schrifttum wird teilweise der Ansatz vertreten, dass die Aufhebung eines mangelhaft begründeten Rechtsakts nur dann angezeigt sei, wenn der konkrete Begründungsmangel unter Abwägung aller Umstände als wesentlich erscheine.54 Diese Auffassung bezieht das Erfordernis der „Wesentlichkeit“ in Art. 263 Abs. 2 AEUV nicht auf die Formvorschrift, sondern auf ihre Verletzung.55 Einer solchen Auslegung steht aber bereits schon der Wortlaut des Art. 263 Abs. 2 AEUV entgegen. Art. 263 Abs. 2 AEUV verlangt für ein Durchgreifen des Klagegrunds, dass „wesentliche“ Formvorschriften verletzt wurden. Dass sich die Wesentlichkeit dabei auf die Formvorschriften bezieht, wird insbesondere in anderen Sprach­ fassungen der Norm plastisch („infringement of an essential procedural requirement“, „violation des formes substantielles“, „violazione delle forme sostanziali“). Diesen klaren Wortlaut missachtet die oben geschilderte Auffassung, wenn sie das qualifizierende Element ausschließlich auf den Rechtsverstoß bezieht.56 Ebenso wenig rezipiert die Rechtsprechung die Unterscheidung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Verstößen gegen die Regelung des Art. 296 Abs. 2 AEUV. Zwar geht der EuGH bei geringfügigen Begründungsmängeln in der Regel davon aus, dass die erlassene Maßnahme nicht angreifbar sei. In diesen Fällen sieht das Gericht allerdings von vornherein in den Mängeln keine Verletzung der Begründungspflicht.57 Dass der EuGH eine fehlende oder mangelnde Begründung zum Anlass nimmt, konsequent die Nichtigkeit einer unionsrechtlichen Norm 53

Vgl. Dörr, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 68. EL. 2019, Art. 263 AEUV, Rn. 169; Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / A EUV, 3. Aufl., 2018, Art. 296 AEUV, Rn. 16. 54 Vgl. Gaitanides, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl., 2015, Band 4, Art. 296 AEUV, Rn. 132. 55 Vgl. Gaitanides, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl., Band 4, Art. 263 AEUV, Rn. 121 f. 56 Vgl. Dörr, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 68. EL. 2019, Art. 263 AEUV, Rn. 171. 57 Zur Analyse der Rechtsprechung: Skouris, Die Begründung von Rechtsnormen, 2002, S. 83 ff.

A. Vorgangsbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers

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auszusprechen, ist dabei nicht nur aus rechtsstaatlichen, sondern auch aus praktischen Gründen zu begrüßen. Ihre Begründungspflicht werden die Unionsorgane in der Praxis nämlich nur dann ernst nehmen, wenn ein Begründungsmangel auch rechtlich zur Aufhebung der erlassenen Maßnahmen führt.58 Es bleibt schließlich festzuhalten, dass ein Verstoß gegen die Anforderungen des Art. 296 Abs. 2 AEUV zur Unionsprimärrechtswidrigkeit des erlassenen Normativakts führt. 2. Fehlerfolge bei einem Verstoß gegen die Anforderungen des Subsidiaritätsprotokolls Wie bereits beschrieben ist anerkannt, dass es sich bei der Regelung des Art. 296 Abs. 2 AEUV um eine wesentliche Formvorschrift i. S. d. Art. 263 Abs. 2 AEUV handelt, die bei Verstößen zur Nichtigkeit des Rechtsakts führt.59 Der Begriff der Formvorschrift in Art. 263 Abs. 2 AEUV ist grundsätzlich weiter zu verstehen als der im deutschen Recht übliche.60 Er umfasst neben den Regeln, die die äußere Form eines Rechtsakts betreffen, auch jene über sein Zustandekommen.61 Dementsprechend können sich die Formvorschriften i. S. d. Art. 263 Abs. 2 AEUV auf das Verfahren, welches zum Erlass des Rechtsaktes geführt hat, auf die eigentliche Beschlussfassung über den Rechtsakt und seine äußere Gestaltung beziehen.62 Als gesetzesinterne Begründungspflicht gehört Art. 296 Abs. 2 AEUV zur dritten Fallgruppe der Formvorschriften über die äußere Gestaltung des Rechtsakts.63 Die vorgangsbezogenen Pflichten des Subsidiaritätsprotokolls betreffen allerdings gerade nicht die äußere Form des erlassenen Rechtsakts, sondern vielmehr das Verfahren seines Zustandekommens. Fraglich ist, ob es sich bei ihnen um wesentliche Formvorschriften i. S. d. Art. 263 Abs. 2 AEUV handelt, deren Verstoß letztlich zur Nichtigkeit des erlassenen Gesetzgebungsakts führt. Eine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage kann nur durch eine Gesamtbetrachtung der Systematik sowie des telos der Regelungen des Subsidiaritätsprotokolls gefunden werden. Zunächst gilt es zu beachten, dass die Regelungen des Art. 2 und 5 Subsidiaritätsprotokoll, welche die maßgebliche Rechtsquelle für die vorgangsbezogenen Pflichten des 58

Vgl. Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / A EUV, 3. Aufl., 2018, Art. 296 AEUV, Rn. 16; Calliess, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV / A EUV, 5. Aufl., 2016, Art. 296 AEUV, Rn. 36. 59 Vgl. Skouris, Die Begründung von Rechtsnormen, 2002, S. 83; Gaitanides, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 4, 7. Aufl., 2015, Art. 263 AEUV, Rn. 1230; Borchardt, in: Lenz / Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 6. Aufl., 2012, Art. 263 AEUV, Rn. 84. 60 Vgl. Dörr, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 68. EL. 2019, Art. 263 AEUV, Rn. 166. 61 Vgl. ebenda. 62 Vgl. ebenda., Rn. 167. 63 Vgl. statt vieler: Dörr, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 68. EL. 2019, Art. 263 AEUV, Rn. 169.

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Teil III: Kontrolle durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre

Unionsgesetzgebers sind, ihrerseits in ein System eingebettet sind, das die Beteiligung der nationalen Parlamente an der europäischen Rechtsetzung in Form eines politischen Mitwirkungskonzepts vorsieht. Beide Regelungen stellen wesentliche Verfahrensgarantien in diesem Gefüge dar, die Grundlage für die rechtliche Absicherung des politischen Mitwirkungskonzepts an dem Prinzip der Subsidiarität sind. Nimmt man das Konzept der Subsidiarität als politischen, mehrebenenüber­ greifenden Diskurs ernst, muss ein Verstoß gegen die ihn konkretisierenden Rege­ lungen zur Angreifbarkeit des fertigen Gesetzes führen, ähnlich wie bei einem Verstoß gegen das äußere Verfahren der Gesetzgebung. Gestützt wird dieses Auslegungsergebnis durch den Umstand, dass eine materiell-rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips, so wie es in Art. 5 Abs. 3 EUV niedergelegt ist, kaum möglich ist. Das innere Verfahren, also die Methodik der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips, ist für dessen rechtliche Kontrolle entscheidend. Dies spiegelt sich letztlich auch im Subsidiaritätsprotokoll selbst wider, das anders als seine Vorgängerregelung auf materiell-rechtliche Konkretisierungsversuche verzichtet und wie dargelegt einen normativ-prozeduralen Ansatz verfolgt. Daher stellen die vorgangsbezogenen Pflichten des Protokolls Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit wesentliche Formvorschriften i. S. v. Art. 263 Abs. 2 AEUV dar. Ihre Verletzung führt damit zur Nichtigkeit des erlassenen Gesetzes.

V. Zusammenfassung Das Subsidiaritätsprotokoll formuliert weitreichende anwendungsbezogene Pflichten im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität, die insbesondere im Verfahren der Gesetzgebung wirksam werden. Diese Pflichten kann auch der Gerichtshof im Subsidiaritätsklageverfahren prüfen. Steht die Vereinbarkeit eines Gesetzgebungsakts mit dem Prinzip der Subsidiarität auf dem Prüfstand, hat der Gerichtshof zu prüfen, ob dem Unionsgesetzgeber eine ausreichende Erkenntnisgrundlage für die Beurteilung der Vereinbarkeit des Regelungsvorhabens mit dem Grundsatz der Subsidiarität zur Verfügung steht. Die Tatsachen, die dem Unionsgesetzgeber als Erkenntnisgrundlage dienen, müssen dabei methodisch einwandfrei ermittelt worden sein. Als Ermittlungsmethoden gibt das Subsidiaritätsprinzip dem Unionsgesetzeber das Instrument der Durchführung von umfangreichen Anhörungen sowie das Instrument der prospektiven Gesetzesfolgenabschätzung vor. Das Instrument der Gesetzesfolgenabschätzung erfährt dadurch erstmals eine verbindliche Ausformung auf der Ebene der Europäischen Union. Welche Daten im Einzelfall ermittelt werden müssen, lässt sich dem Subsidiaritätsprotokoll nur in Ansätzen entnehmen. Der Wortlaut des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll verweist auf die finanziellen Auswirkungen des Regelungsvorhabens und auf den Vollzugsaufwand durch die Mitgliedstaaten. Welche Aspekte in diesem breiten Feld durch den Unionsgesetzgeber beleuchtet werden müssen, gibt Art. 5 Subsidiaritätspro-

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tokoll nicht vor. Die diffizile Festlegung der zu ermittelnden Daten liegt daher im Ermessen des Unionsgesetzgebers. Allerdings muss der Unionsgesetzgeber nachvollziehbare sowie aussagekräftige Daten und Fakten ermitteln. Der Unionsgesetzgeber hat diese Daten sodann möglichst vollständig und mit richtigem Inhalt für die Beurteilung der Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität heranzuziehen und eine Abwägungsentscheidung zu treffen. Etwaige Verfahrensfehler sind nicht aus dem fertigen Gesetz ablesbar, sondern nur erkennbar, wenn die Genese der Entscheidungsfindung auch nach außen hin offengelegt bzw. dokumentiert wird. Dem europäischen Gesetzgeber erwächst eine solche Pflicht aus Art. 5 S. 1 Subsidiaritätsprotokoll und Art. 296 Abs. 2 AEUV. Die vorgangsbezogenen Pflichten in ihrer umfassenden Ausprägung gewährleisten letztlich eine möglichst sorgfältige und rationale Beurteilung der Vereinbarkeit des gesamten Gesetzgebungsvorhabens mit dem Grundsatz der Subsidiarität. Insgesamt wird aus den Regelungen des Protokolls Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit deutlich, wie eng die Frage nach der Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität mit der Frage nach einer „Besseren Rechtsetzung“ auf der Ebene der Europäischen Union verbunden ist.

B. Verfahrensbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers Der Frühwarnmechanismus ist durch verschiedene verfahrensbezogene Pflichten im Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit konkretisiert. Bei diesen Pflichten handelt es sich grundsätzlich um „weiche“ Rechtsfolgen, in denen der diskursive Charakter dieses Mitwirkungskonzepts zum Ausdruck kommt. Gleichwohl liegt gerade in der rechtlichen Durchsetzung dieser „weichen“ Rechtsfolgen die Garantie für das Funktionieren des Mechanismus in der Praxis.

I. Die Pflicht zur Berücksichtigung der begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente Im Verfahren des Frühwarnmechanismus trifft den Unionsgesetzgeber zunächst die Pflicht zur Berücksichtigung der von den nationalen Parlamenten abgegebenen Stellungnahmen.64 Diese Pflicht gilt unabhängig davon, ob die Anzahl der abgegebenen Stellungnahmen ein bestimmtes Quorum erreicht. Selbst eine einzeln abgegebene Stellungnahme durch ein nationales Parlament oder eine seiner Kammern bewirkt, dass diese im weiteren Entscheidungsprozess über den Entwurf des 64

Vgl. Art. 7 Abs. 1 Subsidiaritätsprotokoll.

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Gesetzgebungsakts berücksichtigt werden muss. Wie genau die gesetzlich angeordnete Berücksichtigung praktisch umzusetzen ist, lässt der Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 Subsidiaritätsprotokoll offen. Der Bedeutung des Wortes „berücksichtigen“ inhärent ist indes, dass Art. 7 Abs. 1 Subsidiaritätsprotokoll mehr als eine reine Zurkenntnisnahme der abgegebenen begründeten Stellungnahmen meint. Berücksichtigen meint vielmehr, sich mit einem vorgetragenen Anliegen zu befassen und dieses anzuerkennen.65 Der Gesetzgeber ist deshalb dazu verpflichtet, die in den begründeten Stellungnahmen vorgebrachten Subsidiaritätserwägungen der nationalen Parlamente in die Überlegungen zum weiteren Verfahren mit dem Gesetzgebungsentwurf einzubeziehen. Besonders plastisch wird dies bei einer Betrachtung des englischen Wortlauts der Norm: „The European Parliament, the Council and the Commission […] shall take account [Hervorhebung durch die Verf.] of the reasoned opinions issued by national Parliaments or by a chamber of a national Parliament.“ Eine singuläre Verletzung der Berücksichtigungspflicht des Art. 7 Abs. 1 Subsidiaritätsprotokoll kann allerdings grundsätzlich nicht die Nichtigkeit des fertigen Gesetzes begründen. Grund dafür sind bereits praktische Erwägungen, denn der Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung der begründeten Stellungnahmen ist im Verfahren vor dem EuGH schlicht nicht zu kontrollieren. Letztlich setzt die Erkennbarkeit eines Verfahrensdefizits voraus, dass ein solches Defizit festgehalten und transparent gemacht wird. Möglichkeiten zur Offenlegung normiert der Frühwarnmechanismus unterhalb der Schwelle des Verfahrens der „gelben Karte“ indes nicht.

II. Prozedurale Pflichten im Verfahren der „gelben Karte“ 1. Die Pflicht zur Überprüfung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts Über die Berücksichtigungspflicht hinausgehende Pflichten ergeben sich für den Unionsgesetzgeber im Verfahren des Frühwarnmechanismus erst, wenn die Anzahl der begründeten Stellungnahmen ein Quorum von einem Drittel der den nationalen Parlamenten nach den Regelungen des Art. 6 und 7 Subsidiaritätsprotokoll zugewiesenen Stimmen erreicht – also das Verfahren der „gelben Karte“ eröffnet wird. Im Verfahren der „gelben Karte“ ist die Stelle, bei der der Gesetzgebungsentwurf angesiedelt ist, dazu verpflichtet, den Entwurf erneut auf seine Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Subsidiarität hin zu überprüfen.66 Die Überprüfung erfolgt grundsätzlich ergebnisoffen. Dies gibt der Wortlaut der Norm des Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 Subsidiaritätsprotokoll ausdrücklich vor: „Nach Abschluss der 65 Vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/beruecksichtigen [zuletzt abgerufen am 25. 3. 2020]. 66 Art. 7 Abs. 2 S. 1 Subsidiaritätsprotokoll.

B. Verfahrensbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers 

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Überprüfung kann die Kommission oder gegebenenfalls die Gruppe von Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament, der Gerichtshof, die Europäische Zentralbank oder die Europäische Investitionsbank, sofern der Entwurf eines Gesetzgebungsakts von ihr beziehungsweise ihm vorgelegt wurde, beschließen, an dem Entwurf festzuhalten, ihn zu ändern oder ihn zurückzuziehen.“ Gleichwohl ergibt sich aus der Systematik der Regelung des Art. 7 Subsidiaritätsprotokoll, dass die handelnden Organe der Europäischen Union die von den nationalen Parlamenten in den begründeten Stellungnahmen vorgebrachten Argumente bei der erneuten Überprüfung des Entwurfs berücksichtigen müssen. Anders als Art. 7 Abs. 1 Subsidiaritätsprotokoll formuliert Art. 7 Abs. 2 Subsidiaritätsprotokoll für das Verfahren der „gelben Karte“ nicht ausdrücklich eine Pflicht zur Berücksichtigung der vorgebrachten Erwägungen der nationalen Parlamente. Die Berücksichtigungspflicht des Art. 7 Abs. 1 Subsidiaritätsprotokoll muss allerdings erst recht im Verfahren der „gelben Karte“ greifen, wenn die begründeten Stellungnahmen sogar ein Quorum von einem Drittel der Gesamtzahl der den nationalen Parlamenten zugewiesenen Stimmen erreicht. Insofern kann die Berücksichtigungspflicht als ein Minus zur Überprüfungspflicht des Art. 7 Abs. 2 Subsidiaritätsprotokoll begriffen werden. Diese Feststellung führt axiomatisch zu der Anschlussfrage, worin dann eigentlich das Plus der Überprüfungspflicht besteht. Eine alleinige Einbeziehung der vorgetragenen Subsidiaritätserwägungen in das weitere Gesetzgebungsverfahren kann als Erfüllung der Überprüfungspflicht des Art. 7 Abs. 2 Subsidiaritätsprotokoll nicht ausreichen. Aufschlussreich ist auch hier wieder die englischsprachige Fassung des Protokolls, die die erneute Überprüfung mit dem Wort „review“ beschreibt. Die gesetzesentwurfeinbringende Stelle hat ihren Entwurf also erneut, und zwar umfassend und unter Berücksichtigung der vorgetragenen Subsidiaritätserwägungen, zu prüfen. Konsequenterweise muss die gesetzesentwurfeinbringende Stelle dann eine erneute Abwägungsentscheidung über die Vereinbarkeit des Entwurfs mit dem Prinzip der Subsidiarität treffen, bei der die vorgetragenen Gesichtspunkte einbezogen, gewertet und mit bereits bestehenden Erwägungen ins Verhältnis gesetzt sowie saldiert werden. Die gefundene Abwägungsentscheidung muss vollumfänglich für die nationalen Parlamente transparent gemacht werden. Dies ordnet Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 Subsidiaritätsprotokoll ausdrücklich an, wenn die Norm formuliert: „Dieser Beschluss muss begründet werden.“ 2. Die Pflicht zur Offenlegung des Ergebnisses der Überprüfung a) Anforderungen an Inhalt und Umfang der Offenlegung Damit formuliert Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 Subsidiaritätsprotokoll eine Pflicht zur Offenlegung der Überprüfungsentscheidung des Initiativorgans im Verfahren der „gelben Karte“. Durch die angeordnete Offenlegung wird das Verfahren der

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„gelben Karte“ vor dem EuGH erst justiziabel, da nur durch die Dokumentation der Überprüfungsentscheidung etwaige Verfahrensdefizite nach außen sichtbar werden. Die notwendigen Anforderungen an die Begründung des Beschlusses sind deshalb für die gerichtliche Kontrolle von besonderem Interesse. Der Wortlaut des Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 Subsidiaritätsprotokoll lässt diesbezüglich kaum Anhaltspunkte erkennen (englisch: „Reasons must be given for this decision“). Gleichwohl ergeben sich aus der Systematik der Regelung des Art. 7 Subsidiaritätsprotokoll über den Einzelfall hinausgehende (Mindest-)Determinanten für den notwendigen Inhalt und Umfang. Ein erster Anknüpfungspunkt ist die Berücksichtigungspflicht des Initiativorgans bei der erneuten Überprüfung des Entwurfs des Regelungsvorhabens. Damit die auch im Verfahren der „gelben Karte“ verbindliche Berücksichtigungspflicht des Art. 7 Abs. 2 S. 1 Subsidiaritätsprotokoll nichts ins Leere läuft, muss in der Begründung der Überprüfungsentscheidung zumindest transparent werden, inwiefern die von den nationalen Parlamenten vorgebrachten Subsidiaritätserwägungen bei der Entscheidungsfindung über das weitere Verfahren mit der Initiative berücksichtigt wurden. Das heißt, die Begründung des Beschlusses muss erkennen lassen, ob und inwiefern eine Auseinandersetzung mit den in den begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente vorgebrachten Argumenten stattgefunden hat und wie die einzelnen Gesichtspunkte im Rahmen der Überprüfung gewichtet wurden. Nur eine derartig ausgestaltete Begründung vermag für die nationalen Parlamente Ansporn sein, sich am Rationalisierungsprozess im Hinblick auf das Prinzip der Subsidiarität aktiv zu beteiligen. Ein befruchtender, institutioneller Subsidiaritätsdialog kann letztlich nur gelingen, wenn die Kommunikation nicht bei dem Initiativorgan versackt. Darüber hinaus hängen der notwendige Inhalt und Umfang der Beschlussbegründung vom Ergebnis der Überprüfung und somit vom weiteren Verfahren mit dem Entwurf des Gesetzgebungsakts ab. Geht die gesetzesentwurfeinbringende Stelle umfänglich auf die in den begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente vorgebrachten Einwände ein und schließt sich diesen an, also verwirft sie den Entwurf, kann sich der Begründungsaufwand darauf beschränken, auf die begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente zu verweisen. Ist die gesetzesentwurfeinbringende Stelle allerdings in Bezug auf das weitere Verfahren mit dem Regelungsvorhaben anderer Meinung als die nationalen Parlamente, so muss sie dies in der Begründung umso detaillierter darlegen. Der konkrete Umfang dieser Ausführungen in der Begründung des Beschlusses hängt dann allerdings von der Detailliertheit und der Substantiiertheit der abgegebenen begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente ab. Je ausführlicher und politisch wertvoller diese sind, desto mehr Begründungsaufwand müssen auch die rechtsschaffenden Organe der Europäischen Union aufwenden.

B. Verfahrensbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers 

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b) Anforderungen an die Form der Offenlegung Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 Subsidiaritätsprotokoll enthält keine eindeutigen Aussagen zur Form der Offenlegung. Allerdings ergeben sich aus dem Wortlaut zumindest Anhaltspunkte. In Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 S. 2 Subsidiaritätsprotokoll heißt es: „Dieser Beschluss muss begründet werden“. Aussagekräftiger ist in diesem Zusammenhang die englische Version des Protokolls: „Reasons must be given for this decision“. Damit wird ausgesprochen, dass der Beschluss und seine Begründung in einem untrennbaren Zusammenhang miteinander stehen. Beide teilen daher nicht nur eine Form, sondern müssen grundsätzlich auch gleichzeitig ergehen und offengelegt werden. Nur so kann erstens gewährleistet werden, dass die Erwägungen, die beim Entscheidungsfindungsprozess wirklich eine Rolle gespielt haben, auch nach außen hin transparent gemacht werden. Die Gleichförmigkeit sowie die Gleichzeitigkeit der Offenlegung des Beschlusses und dessen Begründung sind damit Ausdruck des Transparenzgebots. Darüber hinaus sichert die Verpflichtung zur simultanen Offenlegung, dass der Beschluss unter Auseinandersetzung mit den begründeten Stellungnahmen der na­ tionalen Parlamente ergangen ist. Eine nachträgliche Offenlegung nur der Begrün­ dung kann nicht infrage kommen, denn der notwendige Inhalt und Umfang der Begründung bezieht sich maßgeblich auf den dem Beschluss zugrunde liegenden und vorausgehenden Entscheidungsfindungsprozess. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente muss zeitlich vor dem Beschluss erfolgen. Eine nachträgliche Offenlegung der Begründung birgt die Missbrauchsgefahr, dass diese vom Ergebnis her formuliert wird. In der Praxis hat sich etabliert, dass zumindest die Kommission ihre Beschlüsse im Verfahren der „gelben Karte“ in einer Mitteilung an die nationalen Parlamente, das Europäische Parlament sowie den Rat veröffentlicht.67 Eine Zuleitungspflicht wie in Art. 4 Subsidiaritätsprotokoll besteht allerdings nicht. Die Mitteilung enthält dabei den eigentlichen Beschluss sowie seine Begründung. Insofern ist die Begründung in der Praxis integraler Bestandteil des Beschlusses und wird gemeinsam mit diesem offengelegt.

III. Prozedurale Pflichten im Verfahren der „orangen Karte“ Während sich die Frage nach dem Bestehen von justiziablen Pflichten unterhalb der Schwelle des Verfahrens der „gelben Karte“ sowie für das Verfahren der „gelben Karte“ selbst eindeutig beantworten lässt, gilt dies für das Verfahren der „orangen Karte“ nicht. Die Gründe hierfür sind erstens das ungeklärte Verhältnis der Rechtsnormen des Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll zueinander und zweitens die unbestimmte Rechtsnatur des Art. 7 Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll. 67

Vgl. KOM (2013) 851 endg. und KOM (2016) 505 endg.

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Teil III: Kontrolle durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre

1. Das ungeklärte Verhältnis von Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll Das in Art. 7 Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll geregelte Verfahren der „orangen Karte“ unterscheidet sich von dem Verfahren der „gelben Karte“ im Wesentlichen dadurch, dass im erstgenannten Verfahren der vorgelegte Gesetzesentwurf endgültig aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit dem Prinzip der Subsidiarität verhindert werden kann. Dementsprechend setzt die Einleitung des Verfahrens der „orangen Karte“ das Erreichen eines höheren Quorums voraus.68 Wird dieses Quorum erreicht, muss auch im Verfahren der „orangen Karte“, wie im Verfahren der „gelben Karte“, der infrage stehende Entwurf des Gesetzgebungsakts erneut auf seine Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip hin überprüft werden. Anders als das Verfahren der „gelben Karte“ endet das Verfahren der „orangen Karte“ aber nicht mit dieser erneuten Überprüfung. Die Norm des Art. 7 Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll sieht vielmehr – für den Fall, dass die Kommission weiterhin (unverändert) an dem Entwurf des Gesetzgebungsakts festhalten will – ein besonderes Prozedere vor. Aber eben nur in diesem singulären Fall. Beschließt die Kommission den Entwurf zu verwerfen oder abzuändern, endet das Verfahren der „orangen Karte“. Insoweit verlaufen die Verfahren der „gelben“ und der „orangen Karte“ synchron. Allerdings muss die Kommission das Ergebnis ihrer erneuten Überprüfung, anders als im Rahmen des Art. 7 Abs. 2 Subsidiaritätsprotokoll, dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll nach nicht ausdrücklich offenlegen. Die Norm des Art. 7 Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll ordnet eine Offenlegungspflicht nicht explizit an. Ein solches Auslegungsergebnis kann indes nur Bestand haben, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass es sich bei Art. 7 Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll um ein abgeschlossenes Regelungswerk handelt, das die Regelung des Art. 7 Abs. 2 Subsidiaritätsprotokoll verdrängt.69 Denn ansonsten ließe sich die Offenlegungspflicht des Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll auch auf das Verfahren der „gelben“ und der „orangen Karte“ übertragen. An dieser Stelle ist also die Frage nach dem Verhältnis von Art. 7 Abs. 2 und Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll zu beleuchten. Erste Anhaltspunkte zur Klärung bietet der Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll. Art. 7 Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll beginnt mit dem Wort „außerdem“.70 Dies deutet darauf hin, dass die Regelungen der „orangen Karte“ zu denen der „gelben Karte“ hinzutreten. Dann stellt sich aber die Frage, warum 68 Das Verfahren der „orangen Karte“ setzt ein Quorum von der einfachen Mehrheit der Gesamtzahl der den nationalen Parlamenten nach Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2 zugewiesenen Stimmen voraus (Art. 7 Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll). 69 Vgl. Richter, Funktionswandel im Mehrebenensystem?, 2017, S. 124. 70 Die englischsprachige Fassung des Protokolls beginnt mit „furthermore“, die franzöische mit „en outre“, alle Fassungen haben an dieser Stelle die gleiche Bedeutung wie die deutschsprachige Fassung.

B. Verfahrensbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers 

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Abs. 3 die Pflicht der Kommission zur Überprüfung des Gesetzgebungsentwurfs erneut aufgreift. Eine solche würde sich bei einer kumulativen Anwendung ja ohnehin schon aus Art. 7 Abs. 2 Subsidiaritätsprotokoll ergeben. An dieser Stelle muss indes darauf hingewiesen werden, dass Art. 7 Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll erst nachträglich in das bereits beschlossene Regelungswerk des Art. 7 Subsidiaritätsprotokoll eingefügt wurde.71 Bei der Regelung des Art. 7 Subsidiaritätsprotokoll handelt es sich mithin nicht um ein einheitliches Regelungswerk, das aus einem Guss entstanden ist. Insoweit könnten sich bestehende Redundanzen mit einem redaktionellen Versehen erklären lassen. Dass die Überprüfungspflicht des Art. 7 Abs. 2 Subsidiaritätsprotokoll auch im Verfahren der „orangen Karte“ gilt, ergibt sich letztlich aus dem Umstand, dass an das Verfahren nach Art. 7 Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll wesentliche höhere Voraussetzungen und auch strengere Rechtsfolgen geknüpft sind als an ein Verfahren nach Abs. 2. Wenn ein Quorum von einem Drittel der den nationalen Parlamenten nach dem Subsidiaritätsprotokoll zugewiesenen Stimmen schon zu einer Überprüfung des Entwurfs des Regelungsvorhabens unter Berücksichtigung der begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente führt, deren Ergebnis in jedem Fall offengelegt werden muss, so muss dies erst recht gelten, wenn die abgegebenen begründeten Stellungnahmen das Quorum der einfachen Mehrheit erreichen.72 Die prozeduralen Pflichten des Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll gelten daher auch für das Verfahren der „orangen Karte“ nach Art. 7 Abs. 3 Subsidiaritätsprotokoll. 2. Die unbestimmte Rechtsnatur des Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll a) Ausgangsperspektive: Das Rügerecht der nationalen Parlamente Der Begriff der „begründeten Stellungnahme“ (englisch: reasoned opinion) wird im Rahmen des Regelungssystems des Frühwarnmechanismus intuitiv mit dem Mitwirkungsakt der nationalen Parlamente am Subsidiaritätskonzept in Verbindung gebracht. Dazu heißt es in Art. 6 Subsidiaritätsprotokoll ausdrücklich: „Die nationalen Parlamente […] können […] in einer begründeten Stellungnahme [Hervorhebung durch die Verf.] an die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission darlegen, weshalb der Entwurf ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist.“ 71 Vgl. Barrett, „The king is dead, long live the king“: the recasting by the Treaty of Lisbon of the provisions of the Constitutional Treaty concerning national parliaments, 33. E. L. Rev. (2008), S. 66 (77 f.). 72 Vgl. Barrett, „The king is dead, long live the king“: the recasting by the Treaty of Lisbon of the provisions of the Constitutional Treaty concerning national parliaments, 33. E. L. Rev. (2008), S. 66 (77 f.).

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Teil III: Kontrolle durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre

Die Frage nach dem Rechtscharakter des Art. 6 Subsidiaritätsprotokoll wird in der Jurisprudenz weitgehend einheitlich beantwortet. Aus dem Wortlaut („können“) schließt man, dass den nationalen Parlamenten obliegt, ob und auf welche Weise sie sich mit der Rechtssetzungstätigkeit der Union unter dem Aspekt der Subsidiarität befassen. Eine Rechtspflicht der nationalen Parlamente wird nicht angenommen.73 Dementsprechend wird im Zusammenhang mit den „begründeten Stellungnahmen“ i. S. v. Art. 6 Subsidiaritätsprotokoll von einem „Rügerecht“ der nationalen Parlamente gesprochen. Diskutiert wird diesbezüglich (lediglich) der Umfang des Rügerechts.74 Im Subsidiaritätsprotokoll wird der Terminus der „begründeten Stellungnahme“ ebenfalls im Verfahren der „orangen Karte“ relevant. Hier wird er allerdings im Zusammenhang mit der Kommission verwendet. Namentlich ordnet die Vorschrift an: „Beschließt die Kommission, an dem Vorschlag festzuhalten, so hat sie in einer begründeten Stellungnahme [Hervorhebung durch die Verf.] darzulegen, weshalb der Vorschlag ihres Erachtens mit dem Subsidiaritätsprinzip in Einklang steht.“ Anders als für Art. 6 Subsidiaritätsprotokoll ist die Rechtsnatur des Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 S. 1 Subsidiaritätsprotokoll bisher noch nicht einheitlich definiert.75 Diese Frage ist allerdings für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse, da sich aus Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 S. 1 Subsidiaritätsprotokoll, bei entsprechender Auslegung, eine zusätzliche prozedurale Pflicht im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip ergeben könnte. b) Vergleichende Betrachtung mit anderen prozeduralen Pflichten Die Frage nach der Rechtsnatur des Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 S. 1 Subsidiaritätsprotokoll lässt sich am ehesten im Rahmen einer vergleichenden Betrachtung dieser Norm mit den Regelungen des Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 und Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll, bei denen der Pflichtencharakter klar definiert ist, erhellen. aa) Anwendungsbereich und Adressatenkreis Die Regelung des Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 S. 1 Subsidiaritätsprotokoll findet grundsätzlich Anwendung im Verfahren der „orangen Karte“. Das Verfahren der „orangen Karte“ kann seinerseits (lediglich) im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren ausgelöst werden. Damit unterscheidet sich Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 Subsidiaritäts 73

Vgl. Kadelbach, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 1, 7. Aufl., 2015, Art. 5 EUV, Rn. 43. 74 S. zum Stand der Diskussion: Pache, in: Pechstein / Nowak / Häde (Hrsg.), Frankfurter Kommentar, EUV / GRC / A EUV, 1.Aufl., 2017, Art. 5 EUV, Rn. 20. 75 Vgl. Barrett, „The king is dead, long live the king“: the recasting by the Treaty of Lisbon of the provisions of the Constitutional Treaty concerning national parliaments, 33. E. L. Rev. (2008), S. 66 (73).

B. Verfahrensbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers 

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protokoll von den Regelungen des Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 und des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll. Diese greifen grundsätzlich sowohl im ordentlichen als auch im besonderen Gesetzgebungsverfahren. Aus diesem Umstand allein lassen sich allerdings noch keine Rückschlüsse auf die Rechtsnatur des Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll ableiten. Hinzu treten die unterschiedlichen Bezugspunkte der prozeduralen Pflichten. Während sich Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll auf den sich an die erneute Überprüfung anschließenden Beschluss bezieht, betreffen sowohl Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll als auch Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll den Entwurf des Regelungsvorhabens selbst. Während Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll allerdings sämtliche Initiativorgane in die Pflicht nimmt, richtet sich Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll ausschließlich an die Kommission. bb) Notwendiger Inhalt und Umfang Anders als Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll formuliert Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll nur wenige Anforderungen an den erforderlichen Inhalt und Umfang der begründeten Stellungnahmen der Kommission im Verfahren der „orangen Karte“. Deutlich wird aus dem Wortlaut allerdings, dass die Kommission bei der Erarbeitung der begründeten Stellungnahmen auf die Darlegung der eigenen Auffassung beschränkt ist: „[…], so hat sie [die Kommission] in einer begründeten Stellungnahme darzulegen, weshalb der Vorschlag ihres Erachtens [Hervorhebung durch die Verf.] mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht.“ Dabei bindet Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll die Kommission nicht an eine Auseinandersetzung mit den begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente. Der Wortlaut ist vielmehr offen und lässt auch das Vortragen neuer, noch nicht in Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll vorgetragener Aspekte zu. Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll ist also, anders als Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll, nicht darauf gerichtet, die Grundlage für eine Beurteilung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zu schaffen, sondern gibt der Kommission vielmehr die Möglichkeit, erneut Stellung zu ihrem Regelungsvorhaben zu beziehen. Dementsprechend wird die begründete Stellungnahme der Kommission gem. Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 S. 2 Subsidiaritätsprotokoll zusammen mit den begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegt, die sie sodann im weiteren Verfahren der Gesetzgebung berücksichtigen müssen.76 So sichert Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll ab, dass im Verfahren der „orangen Karte“ beide Seiten gehört werden: sowohl die nationalen Parlamente als auch die Kommission.77 76

Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 lit. a Subsidiaritätsprotokoll. Zu dieser Einschätzung kommt auch: Barrett, „The king is dead, long live the king“: the recasting by the Treaty of Lisbon of the provisions of the Constitutional Treaty concerning national parliaments, 33. E. L. Rev. (2008), S. 66 (79). 77

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Teil III: Kontrolle durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre

Dementsprechend handelt es sich bei Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 nicht um eine Pflicht der Kommission, sondern um einen Ausfluss des Grundsatzes „Audiatur et altera pars“.78 Das Unterlassen der Abgabe der begründeten Stellungnahme nach Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll führt insofern nicht zu einer Fehlerhaftigkeit des Verfahrens. 3. Die Pflicht zur Überprüfung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts in der ersten Lesung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens Zuletzt sieht das Verfahren der „orangen Karte“ eine Überprüfung des infrage stehenden Gesetzgebungsakts durch das Europäische Parlament und den Rat als die eigentlichen Gesetzgeber vor. Das Europäische Parlament und der Rat prüfen demnach parallel, ob der Gesetzgebungsvorschlag mit dem Prinzip der Subsidiarität vereinbar ist. Die Überprüfung hat dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 lit. a Subsidiaritätsprotokoll folgend vor Abschluss der ersten Lesung stattzufinden. Als Grundlage der Überprüfungsentscheidung dienen dabei sowohl die begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente als auch die der Kommission. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Norm selbst: „ […]; hierbei berücksichtigt er [der Gesetzgeber] insbesondere die angeführten Begründungen, die von einer Mehrheit der nationalen Parlamente unterstützt werden, sowie die begründeten Stellungnahmen der Kommission.“ Das Europäische Parlament und der Rat müssen sich, in Anlehnung an die Berücksichtigungspflicht des Art. 7 Abs. 1 und die Überprüfungspflicht des Art. 7 Abs. 2 Subsidiaritätsprotokoll, mithin mit den in den begründeten Stellungnahmen vorgebrachten Argumenten befassen und in einer eigenständigen Prüfung zu dem Ergebnis kommen, ob der Gesetzgebungsentwurf mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht. Ob das Europäische Parlament dieser Pflicht hinreichend nachgekommen ist, kann die Unionsgerichtsbarkeit anhand des Standpunktes feststellen, den das Parlament in erster Lesung auf Grundlage des von der Kommission vorgelegten Vorschlags festlegt. Gem. Art. 203 Abs. 1 GO des Europäischen Parlaments ist dieser zu veröffentlichen. Auch der Rat erarbeitet in der ersten Lesung einen Standpunkt, der Anhaltspunkte für die Einhaltung der durch das Verfahren der „orangen Karte“ vergebenen Pflichten liefern kann.79

78

Ebenda. Vgl. Europäisches Parlament (Hrsg.), Handbuch zum Ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, 2017, S. 15 ff., abrufbar unter: http://www.epgencms.europarl.europa.eu/cmsdata/ upload/c18f9436-4c2e-4c2e-91be-0fe216f0e4e7/handbook-olp-de.pdf [zuletzt abgerufen am 26. 3. 2020]. 79

B. Verfahrensbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers 

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IV. Fehlerfolge bei einem Verstoß gegen die Anforderungen des Frühwarnmechanismus Hinsichtlich der Fehlerfolge bei einem Verstoß gegen die aufgezeigten verfah­ rensbezogenen Pflichten ist zunächst zu unterscheiden. Ein Verstoß gegen die Berücksichtigungspflicht des Art. 7 Abs. 1 Subsidiaritätsprotokoll kann von der Unionsgerichtsbarkeit im gerichtlichen Verfahren aus praktischen Erwägungen nicht nachvollzogen werden und kann deshalb nicht zur Nichtigkeit des fertigen Gesetzes führen. Verfahrensfehler werden erst ab dem Vorliegen der Voraussetzungen für das Verfahren der „gelben Karte“ justiziabel. Sodann handelt es sich wie bei den übrigen Vorschriften des Regelungswerks des Subsidiaritätsprotokolls um wesentliche Formvorschriften i. S. d. Art. 263 AEUV, die das äußere Zustandekommen des Rechtsakts betreffen.80 Etwas anderes gilt lediglich für die Abgabe der begründeten Stellungnahme der Kommission nach Art. 7 Abs. 3 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll, bei der es von vornherein am Pflichtencharakter mangelt.

V. Zusammenfassung Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass der Frühwarnmechanismus zwar durch „weiche Rechtsfolgen“ im Subsidiaritätsprotokoll abgesichert ist. Gleichwohl sind diese „weichen Rechtsfolgen“ als justiziable Pflichten im Unionsprimärrecht ausgestaltet. Eine Ausnahme hiervon bildet allerdings die in Art. 7 Abs. 1 Subsidiaritätsprotokoll angeordnete Berücksichtigungspflicht der begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente, die die Initiativorgane unabhängig von dem Erreichen eines bestimmten Quorums trifft. Die Schwelle zur gerichtlichen Überprüfung des Verfahrens des Frühwarnmechanismus, wie er in Art. 7 Subsidiaritätsprotokoll geregelt ist, beginnt erst mit dem Erreichen eines Quorums von einem Drittel der den nationalen Parlamenten nach Art. 6 und Art. 7 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll zugewiesenen Stimmen  – mithin im Verfahren der „gelben Karte“. Die prozeduralen Pflichten im Verfahren der „gelben Karte“ betreffen vor allem die gesetzesentwurfeinbringende Stelle und mahnen diese zur Selbstkontrolle an. Nach Eingang der begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente hat sie ihren erarbeiteten Entwurf erneut auf die Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip hin zu überprüfen. Die Überprüfung erfolgt dabei ergebnisoffen. Allerdings muss die gesetzesentwurfeinbringende Stelle die Argumente der nationalen Parlamente umfassend berücksichtigen und dementsprechend eine „neue“ Beur 80

Ausführlich dazu bereits: Teil III. A. IV. 2., S. 75 f.

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Teil III: Kontrolle durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre

teilungs- und Abwägungsentscheidung hinsichtlich der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips treffen. Einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich wird diese Pflicht dadurch, dass Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 Subsidiaritätsprotokoll die Offenlegung des Beurteilungsprozesses fordert. Das Verfahren der „orangen Karte“, das ein deutlich höheres Quorum als das Verfahren der „gelben Karte“ voraussetzt und zudem ausschließlich im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zur Anwendung kommen kann, greift zunächst die Pflichten der Initiativorgane im Verfahren der „gelben Karte“ auf und ordnet diese für die Kommission im Verfahren der „orangen Karte“ an, die im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren in der Regel als Initiativorgan fungiert. Entscheidet sich die Kommission, weiterhin (unverändert) an ihrem Entwurf fest­ halten zu wollen, kann sie eine begründete Stellungnahme verfassen, weshalb der Entwurf ihres Erachtens nach mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um eine Verpflichtung der Kommission, sondern vielmehr um einen Ausfluss des Grundsatzes „Audiatur et altera pars“. Gibt die Kommission mithin keine begründete Stellungnahme im Verfahren der „orangen Karte“ ab, führt dies nicht zur Nichtigkeit des fertigen Gesetzes. Anders verhält es sich hingegen bei der Pflicht des Europäischen Parlaments und des Rats, den Gesetzgebungsentwurf im weiteren Gesetzgebungsverfahren erneut auf seine Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip hin zu überprüfen. Findet eine entsprechende Überprüfung nicht vor Abschluss der ersten Lesung statt, führt dies zur Angreifbarkeit des Gesetzes. Anhaltspunkte zur gerichtlichen Kontrolle dieser Überprüfungspflicht bieten der Unionsgerichtsbarkeit die erarbeiteten Standpunkte der jeweiligen Organe in der ersten Lesung, die jeweils nach den Geschäftsordnungen zu veröffentlichen sind.

C. Prozessuale Pflichten des Unionsgesetzgebers Für die effektive Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips im gerichtlichen Verfahren ist die Frage nach der Darlegungs- und Beweislast entscheidend. Die nachstehenden Ausführungen beschäftigen sich daher mit der Frage, wer im Verfahren vor dem EuGH die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips trägt.

I. Die Darlegungs- und Beweislastverteilung im Unionsrecht Das Beweisverfahren vor dem EuGH ist im Unionsrecht lediglich fragmentarisch geregelt. Dies gilt zunächst für die Festlegung von Prozessmaximen, die die Darlegungs- und Beweislasten in einem Gerichtsverfahren maßgeblich bestimmen. Dementsprechend kann es nicht verwundern, dass auch die Verteilung der Darle-

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gungs- und Beweislastpflichten sowie die Anforderungen an diese prozessualen Pflichten im Unionsrecht weitgehend ungeregelt geblieben sind. Bereits die Frage nach der Festlegung einer Prozessmaxime im Verfahren vor dem Gerichtshof ist damit nicht eindeutig zu erhellen. Dies gilt umso mehr, als das Verfahren vor dem EuGH sowohl Elemente des Untersuchungsgrundsatzes als auch solche des Beibringungsgrundsatzes vereint.81 In der gerichtlichen Praxis überwiegen regelmäßig die Elemente des Beibringungsgrundsatzes.82 Der EuGH urteilte in einer Vielzahl von Fällen, die Parteien hätten zu einem bestimmten Punkt nicht vorgetragen oder diesen nicht nachgewiesen, ohne selbst amtsermittelnd tätig zu werden.83 Eine allgemeingültige Festlegung, inwiefern die Parteien im Verfahren vor dem Gerichtshof die Verantwortung für die Sachverhaltsermittlung tragen, ist damit allerdings nicht getroffen. Entsprechend verhält es sich mit Aussagen über die Zuordnung von Darlegungsund Beweislasten sowie diese konkretisierenden Anforderungen, die unabhängig von der Prozessmaxime im Verfahren vor dem EuGH zur Anwendung kommen. Das Unionsprimärrecht lässt klare Beweislastregelungen vermissen.84 Nichtsdestoweniger muss den am Verfahren beteiligten Parteien, bereits aus rechtsstaatlichen Erwägungen, die Möglichkeit eingeräumt werden, ihr prozessuales Verhalten auf die vom Gericht angenommenen Darlegungs- und Beweislasten einzustellen. Dies setzt eine vorhersehbare Entscheidung über die Zuordnung und Ausgestaltung der Darlegungs- und Beweislast voraus. Dementsprechend wurde in der europäischen Prozessliteratur die Frage nach der Fundierung einer allgemeinen Beweislasttheorie verschiedentlich aufgegriffen, ohne dass sich ein bestimmter Ansatz durchsetzen konnte.85 Vermehrt wurden Stimmen in der Literatur laut, dass sich das Unionsrecht nicht für eine strikte Beweislastverteilung eigne.86 81 Vgl. Andová, in: Rengeling / Midekke / Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der EU, 3. Aufl. 2014, § 21, Rn. 7 ff.; Barbier de La Serre / Sibony, Expert Evidence Before the EC Courts, C. M. L. Rev. Vol. 45 (2008), S. 941 (943); Berger, Beweisaufnahme vor dem EuGH, in: Gottwald / Roth (Hrsg.), FS für Schumann, 2002, S. 27 (29 ff.). 82 Vgl. Zierke, Die Steuerungswirkung der Darlegungs- und Beweislast im Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, 2015, S. 12; Ress, Fact-Finding at the European Court of Justice, in: Lillich (Hrsg.), Fact-Finding before International Tribunals, 1992, S. 183; Brealey, The Burden of Proof before the European Court, E. L. Rev. 1985, S. 250 (262). 83 Vgl. Zierke, Die Steuerungswirkung der Darlegungs- und Beweislast im Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, 2015, S. 12; Fasselt-Rommé, Parteiherrschaft im Verfahren vor dem EuGH und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, 1993, S. 51. 84 Ausführlich: Zierke, Die Steuerungswirkung der Darlegungs- und Beweislast im Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, 2015, S. 50. 85 Vgl. Lenaerts / Arts / Maselis, Procedural Law of the European Union, 2. Aufl., 2006, Rn. 24–073; Rausch, Die Kontrolle von Tatsachenfeststellungen und -würdigungen durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, 1994, S. 198. 86 Vgl. Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 1996, S. 45 ff. m. w. N.

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Teil III: Kontrolle durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre

Es bleibt daher nur der Weg, die Zuordnung sowie die Anforderung an die Darlegungs- und Beweislast unter dem Rückgriff auf die materiellen Regelungen des europäischen Primärrechts zu entwickeln.87 Diese Vorgehensweise gewährleistet eine sachgerechte und vorhersehbare Auflösung der in diesem Bereich auftretenden Konflikte. Dementsprechend richten sich die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Anwendung und Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes nach den materiellen Regelungen. Bei der Auslegung des materiellen Rechts im Lichte seiner prozessualen Bedeutung kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten bei der Abfassung der Verträge mitbedacht worden ist.88 Zur Ermittlung der Ziele und der Anforderungen des Darlegungs- und Beweislastgehaltes der materiellen Regelungen ist mithin nicht ausschließlich auf den Wortlaut der jeweiligen Regelungen abzustellen. Vielmehr können diesbezügliche Bewertungen nur unter einer umfassenden Auslegung der zur Anwendung kommenden Norm nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik und insbesondere der Funktion erfolgen.89

II. Der Darlegungs- und Beweislastgehalt des Art. 5 Abs. 3 EUV Bereits die Ratio der Regelung des Art. 5 EUV, dass der europäische Gesetzgeber nicht frei in seiner Wahl von Zielen und Mitteln ist, sondern seine Rechtsetzung in einem besonderen Maße im Hinblick auf die in Art. 5 EUV statuierten Grundsätze rechtfertigen muss, rechtfertigt eine Auslegung des Subsidiaritätsgrundsatzes als Darlegungs- und Beweislastregel zulasten der handelnden Unionsorgane im Verfahren vor dem EuGH.90 Gestützt wird dieses Auslegungsergebnis durch einen Blick auf den normativen Unterbau des Subsidiaritätsprinzips. Normativ konkretisiert werden die Vorgaben des Art. 5 Abs. 3 EUV durch die Regelungen des Subsidiaritätsprotokolls, das eine umfassende Fehler- und Pflichtenlehre für das europäische Gesetzgebungsverfahren mit Blick auf die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips vorsieht. Dass den Unionsorganen dabei über die Pflichten im Gesetzgebungsverfahren hinaus auch die Last der überzeugenden Begründung und Argumentation im gerichtlichen Verfahren auferlegt ist, zeigt sich insbesondere in der Systematik des Frühwarn-

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Vgl. Dammann, Materielles Recht und Beweisrecht im System der Grundfreiheiten, 2007, S. 143 ff.; Kenntner, Justitiabler Föderalismus, 2000, S. 287; grundlegend: Baumhof, Die Beweislast im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof, 1996, S. 114. 88 Vgl. Zierke, Die Steuerungswirkung der Darlegungs- und Beweislast im Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union, 2015, S. 548; Kenntner, Justitiabler Föderalismus, 2000, S. 287. 89 Ebenda. 90 Vgl. Kenntner, Justitiabler Föderalismus, 2000, S. 288.

D. Fazit

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mechanismus. Während das diskursanleitende Element der nationalen Parlamente als Rügerecht ausgestaltet ist, wird der Unionsgesetzgeber durch den Frühwarnmechanismus umfassend in die Pflicht genommen. Diese Verpflichtung muss sich dann auch im Verfahren vor dem EuGH fortsetzen. Abgesichert ist die Bewertung des Art. 5 Abs. 3 EUV als Darlegungs- und Beweislastverteilungsregel zugunsten der Mitgliedstaaten letztlich auch durch die funktionale Dimension der Norm. Denn rechtsdogmatisch handelt es sich bei Art. 5 Abs. 3 EUV um eine Schutznorm der mitgliedstaatlichen Kompetenzen.91 Danach trägt die Union die Last der Darlegung und des Beweises für das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 EUV.92

D. Fazit Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass das Unionsprimärrecht konkrete Anforderungen bereithält, wie das Subsidiaritätsprinzip im Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union durch den Unionsgesetzgeber zur Anwendung gebracht werden muss. Dies betrifft zum einen die Methodik der Entscheidungsfindung – also die Frage, wie der Unionsgesetzgeber die ihm im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips zukommende Einschätzungsprärogative ausfüllen muss. Zum anderen ist das politische Mitwirkungskonzept an einer subsidiaritätsgerechten Verteilung von Legislativmaßnahmen umfassend durch verfahrensbezogene Pflichten abgesichert, die auch mit prozessualen Pflichten des Unionsgesetzgebers im Verfahren vor dem EuGH verknüpft sind. Materiell-rechtliche Konkretisierungsversuche unternimmt das Subsidiaritätsprotokoll hingegen nicht mehr.93 Stattdessen formuliert das Subsidiaritätsprotokoll eine umfassende prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre, die eine gerichtliche Kontrolle anzuleiten vermag. Als Fazit kann mithin festgehalten werden, dass das Unionsprimärrecht mit dem Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und 91

S. Teil II. C., S. 37 ff. Vgl. Mellein, Subsidiaritätskontrolle durch nationale Parlamente, 2007, S. 130; Moersch, Leistungsfähigkeit und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips, 2001, S. 288 f.; Kenntner, Justitiabler Föderalismus, 2000, S. 289; von Borries, Das Subsidiaritätsprinzip im Recht der Europäischen Union, EuR 1994, S. 263 (279); von Danwitz, in: Dauses / Ludwigs (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, 48. EL. 2019, B.II. Rechtsetzung und Rechtangleichung, bb) Subsidiarität, Rn. 148. 93 Calliess beschreibt diesen Prozess als „Entmaterialisierung“, vgl. ders., Grundsatz der Subsidiarität: Nur ein leeres Versprechen?, Vortrag im Rahmen der 54. Bitburger Gespräche, Biersdorf, 12.–13. 1. 2011, abrufbar unter: https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb5/inst/IRP/ BG_Einzeldokumente_ab_2010/BG_54/Vorabversion_BG54_05_Calliess.pdf [zuletzt abgerufen am 25. 3. 2020]. 92

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Teil III: Kontrolle durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre

der Verhältnismäßigkeit eine normative Grundlage für die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH bereithält. Dabei ist die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips untrennbar mit einer prozeduralen Pflichten- und Fehlerlehre des Unionsgesetzgebers im Hinblick auf die Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes verbunden.

Teil IV

Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH  A. Methodik der Rechtsprechungsanalyse I. Erkenntnisgrundlage der Analyse Nachdem die Grundlagen, die eine gerichtliche Kontrolle des Grundsatzes der Subsidiarität durch den EuGH de lege lata anzuleiten vermögen, dargestellt wurden, widmet sich die Untersuchung der Frage, wie sich das geltende Recht in der Praxis bewährt hat. Hierfür unternimmt die vorliegende Untersuchung den Versuch, die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Grundsatz der Subsidiarität sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht abzubilden und zu analysieren. Am Ende der Untersuchung soll ein umfassendes Bild davon entstehen, ob und wie der Gerichtshof den Grundsatz der Subsidiarität wirksam kontrolliert. Ohne der nachstehenden Darstellung vorzugreifen, kann gesagt werden, dass seit der Einführung des Grundsatzes der Subsidiarität in die europäischen Gründungsverträge vor mehr als einem Vierteljahrhundert erst wenige gerichtliche Entscheidungen ergangen sind, in denen sich der Gerichtshof mit der Anwendung der Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 EUV auseinandergesetzt und eindeutige rechtliche Prüfkriterien formuliert hat.1 Weder die Einführung der Regelungen des Frühwarnmechanismus noch die Erweiterung des Kreises derjenigen, die wegen eines Verstoßes gegen das Prinzip der Subsidiarität klagen dürfen, vermochten an diesem Umstand etwas zu ändern. Hierin liegt zugleich eine zentrale Erkenntnis, aber zugegebenermaßen auch ein gewisses Problem der nachstehenden Untersuchung. Um diesen Mangel an einer ausreichenden Erkenntnisgrundlage auszugleichen, greift die nachstehende Analyse auch auf die Judikatur des Gerichtshofs zur 1 EuGH, Rs. C-84/94 (Arbeitszeit-Richtlinie), ECLI:EU:C:1996:431, Slg. 1996, I-5755; Rs. C-233/94 (Einlagensicherungs-Richtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-2405; Rs. C-242/99 (Vogler), ECLI:EU:C:2000:582, Slg. 2000, I-9083; Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-7079; EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453; Rsen. C-154/04 u. 155/04 (Alliance for Natural Health u. a.), ECLI:EU:C:2005:449, Slg. 2005, I-6451; Rs. C-58/08 (Vodafone u. a.), ECLI:EU:C:2010:321, Slg. 2010, I-4999; Rs. C-176/09 (Luxemburg / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2011:290, Slg. 2011, I-3727; Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403; Rs. C-358/14 (Polen / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2016:323; Rs. C-477/14 (Pillbox 38), ECLI:EU:C:2016:324; Rs. C-547/14 (Philip Morris Brands u. a.), ECLI:EU:C:2016:325.

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Teil IV: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH   

Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zurück. Ein solcher Rückgriff bietet sich deshalb an, weil die normativen Prüfkriterien des Grundsatzes der Subsidiarität und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch die Einführung des Protokolls Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit eine teilweise Synchronisierung erfahren haben. Die Ausweitung der Erkenntnisgrundlage der Rechtsprechungsanalyse findet allerdings dort ihre Grenze, wo im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand nicht mehr mit einem Erkenntnisgewinn zu rechnen ist.

II. Ordnungspunkte der Analyse Ein besonderes Anliegen der vorliegenden Untersuchung ist es, die Rezeption der durch das Unionsprimärrecht vorgegebenen prozeduralen Fehler- und Pflichtenlehre im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH zu beleuchten. Dieses Anliegen spiegelt sich auch in der Systematik der nachstehenden Analyse der Rechtsprechung wider. Sie orientiert sich maßgeblich an der im dritten Teil der Arbeit entwickelten dualistischen Fehler- und Pflichtenlehre des Unionsgesetzgebers im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips. Von dieser Orientierung werden allerdings zwei Ausnahmen gemacht. Die erste Ausnahme betrifft die Frage, ob der Gerichtshof die Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips überhaupt als Aufgabe des Unionsrichters erfasst. Dahinter steht letztlich die Frage, ob dem Subsidiaritätsprinzip in der Praxis eine rechtliche Bindungswirkung zukommt. Die zweite Ausnahme bezieht sich sodann auf die Frage nach der Überprüfung der materiellen Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 EUV. Die Erörterung dieser Fragestellungen werden der weiteren Analyse vorangestellt, weil sie weichenstellend für die Frage nach der Anwendung einer prozeduralen Fehler- und Pflichtenlehre des Unionsgesetzgebers im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips sind. Um die Bedeutung der einzelnen prozeduralen Fehler und Pflichten des Unionsgesetzgebers für die gerichtliche Kontrolle des Subsidiaritätsgrundsatzes zu erfassen, wird unter den jeweiligen Ordnungspunkten zunächst erhellt, ob das Gericht das Prüfkriterium für die gerichtliche Kontrolle des Subsidiaritätsgrundsatzes fruchtbar macht. Sodann folgt eine Darstellung der einzelnen Anforderungen, die das Gericht mit dem Prüfkriterium verbindet. Am Ende jedes Abschnitts werden die Ergebnisse gebündelt und in Beziehung zu den durch das Unionsprimärrecht vorgegebenen Prüfkriterien gesetzt, um darauf aufbauend ein Urteil über die Reichweite der gerichtlichen Kontrolle des Subsidiaritätsgrundsatzes zu entwerfen.

B. Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Aufgabe des Unionsrichters

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B. Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Aufgabe des Unionsrichters Erste Überlegungen sollen der Frage gewidmet werden, ob der Gerichtshof die Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips überhaupt als Aufgabe des Unionsrichters erfasst. Die Ebene (lediglich) politischer Proklamation hätte das Prinzip der Subsidiarität jedenfalls dann nicht verlassen, wenn der Gerichtshof das Subsidiaritätsprinzip in materieller sowie in prozeduraler Hinsicht unangewendet ließe. Dann wäre freilich auch der nachstehenden Analyse die Grundlage entzogen. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass das Subsidiaritätsprinzip sehr wohl als Entscheidungsmaßstab im gerichtlichen Verfahren durch den EuGH herangezogen wird. Ohne ausdrücklich auf die Frage nach einer rechtlichen Bindungswirkung des Subsidiaritätsprinzips einzugehen, beansprucht der Gerichtshof die Prüfung der Vereinbarkeit eines erlassenen Rechtsakts mit dem Subsidiaritätsprinzip für sich und nimmt dabei insbesondere (auch) eine Kontrolle der materiellen Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips vor.2 Damit gibt das Gericht zu erkennen, dass es von einem – insbesondere materiell-rechtlich – justiziablen Kern des Subsidiaritätsprinzips ausgeht. Dieser war vor der Einführung des Art. 8 Subsidiaritätsprotokolls in der Literatur teilweise bestritten worden.3 Die Einführung der politischen Subsidiaritätskontrolle durch den Vertrag von Lissabon nahm der EuGH dann zum Anlass, sich explizit zur Aufgabe der europäischen Gerichtsbarkeit im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips zu äußern, wobei das Gericht ausdrücklich auf das Verhältnis zwischen politischer und rechtlicher Subsidiaritätskontrolle Bezug nimmt. Es betont zunächst den Vorrang der politischen Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch die nationalen Parlamente im Wege des Frühwarnmechanismus: „Die Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes wird zunächst auf politischer Ebene durch die nationalen Parlamente nach den in diesem Protokoll zu diesem Zweck festgelegten Verfahren ausgeübt. Danach ist diese Kontrolle Aufgabe des Unionsrichters, der sowohl die Einhaltung der in Art. 5 Abs. 3 EUV niedergelegten materiellen Voraussetzungen als auch die Beachtung der im Protokoll Nr. 2 vorgesehenen Verfahrensgarantien zu überprüfen hat.“4 Der Gerichtshof gibt damit zu erkennen, dass er zwar von einem Vorrang der politischen Subsidiaritätskontrolle ausgeht, diese aber keineswegs eine rechtliche 2

Vgl. EuGH, Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-7079, Rn. 31; Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453; Rsen. C-154/04 u. 155/04 (Alliance for Natural Health u. a.), ECLI:EU:C:2005:449, Slg. 2005, I-6451, Rn. 104; Rs. C-58/08 (Vodafone u. a.), ECLI:EU:C:2010:321, Slg. 2010, I-4999; Rn. 72 ff.; Rs. C-176/09 (Luxemburg / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2011:290, Slg. 2011, I-3727, Rn. 73 ff.; Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie). 3 Vgl. Einleitung, Fn. 6. 4 EuGH, Rs. C-547/14 (Philip Morris Brands u. a.), ECLI:EU:C:2016:325, Rn. 216 f.

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Teil IV: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH   

Überprüfung des Subsidiaritätsprinzips im Verfahren vor dem EuGH ersetzt. Vielmehr prüft der Gerichtshof weiterhin die Vereinbarkeit des erlassenen Rechtsakts mit den materiellen Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips. Hinzu kommt durch den Vertrag von Lissabon allerdings die Kontrolle der Verfahrensgarantien des Protokolls Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Der Gerichtshof erachtet die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips damit als Aufgabe der Unionsgerichtsbarkeit. Zunächst sichert das Gericht die Einhaltung des Frühwarnmechanismus durch eine Ex-post-Kontrolle rechtlich ab. Darüber hinaus prüft der EuGH, ob der erlassene Rechtsakt mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist.

C. Überprüfung der materiell-rechtlichen Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips  Weitere Überlegungen sollen der richterlichen Überprüfung der materiell-rechtlichen Vorgaben des Art. 5 Abs. 3 EUV – konkret der Kontrolle der Einhaltung des Negativ- und des Positivkriteriums – gewidmet werden. Die Judikatur des Gerichtshofs kann in diesem Punkt durchaus als ambivalent bezeichnet werden. Auf der einen Seite haben die Unionsrichter bereits unmittelbar nach der Einführung des Subsidiaritätsprinzips – entweder konkludent oder explizit – zum Ausdruck gebracht, dass ein europäischer Rechtsakt mit den materiellen Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips im Einklang stehen muss.5 Bei der Überprüfung der Einhaltung der Vorgaben halten sie sich im Einzelfall aber auffällig zurück. Ohne der nachstehenden Darstellung vorzugreifen, kann gesagt werden, dass der EuGH in materiell-rechtlicher Hinsicht in keinem Fall einen eigenständigen Prüfungsmaßstab aus dem Subsidiaritätsprinzip abgeleitet hat.

5

Vgl. EuGH, Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-7079, Rn. 31; Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453; Rsen. C-154/04 u. 155/04 (Alliance for Natural Health u. a.), ECLI:EU:C:2005:449, Slg. 2005, I-6451, Rn. 104; Rs. C-58/08 (Vodafone u. a.), ECLI:EU:C:2010:321, Slg. 2010, I-4999; Rn. 72 ff.; Rs. C-176/09 (Luxemburg / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2011:290, Slg. 2011, I-3727, Rn. 73 ff.; Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 44 f.; Rs. C-358/14 (Polen / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2016:323; Rn. 113; Rs. C-477/14 (Pillbox 38), ECLI:EU:C:2016:324; Rn. 148. Rs. C-547/14 (Philip Morris Brands u. a.), ECLI:​ EU:C:2016:325, Rn. 217.; Rs. C-151/17 (Swedish Match), ECLI:EU:C:2018:938.

C. Überprüfung der materiell-rechtlichen Vorgaben  

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I. Harmonisierungsziel und Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips Ein Grund hierfür liegt darin, dass der EuGH bereits früh eine axiomatische Verknüpfung zwischen dem anvisierten Harmonisierungsziel einer Maßnahme und der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips herstellte. Als Fundament der diesbezüglichen Rechtsprechung gilt die frühe Entscheidung des Gerichtshofs zur Arbeitszeit-Richtlinie6 aus dem Jahr 1996.7 In der Rechtssache war der Gerichtshof erstmals dazu angehalten, die Inanspruchnahme einer geteilten Gesetzgebungszuständigkeit durch die Europäische Gemeinschaft am Maßstab des Grundsatzes der Subsidiarität sowie der Verhältnismäßigkeit zu messen. Das Vereinigte Königreich beantragte in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall die Nichtigerklärung der auf Art. 118 a EGV8 beruhenden Arbeitszeit-Richtlinie durch den EuGH. Sein Klagebegehren begründete der ehemalige Mitgliedstaat der Europäischen Union u. a. damit, dass „der Gemeinschaftsgesetzgeber […] weder vollständig geprüft noch hinreichend dargetan [habe], daß dieses Gebiet transnationale Aspekte aufweise, die durch nationale Maßnahmen nicht angemessen geregelt werden könnten, daß solche Maßnahmen mit den Anforderungen des EG-Vertrages unvereinbar seien oder daß sie die Interessen der Mitgliedstaaten fühlbar verletzt hätten, schließlich, dass ein Vorgehen auf Gemeinschaftsebene offenkundige Vorzüge gegenüber einem Vorgehen auf Ebene der Mitgliedstaaten habe.“9 Der Gerichtshof entgegnete auf die vorgebrachten Erwägungen: „Sobald der Rat […] festgestellt hat, daß das bestehende Niveau des Gesundheitsschutzes und der Sicherheit der Arbeitnehmer verbessert und die in diesem Bereich bestehenden Bedingungen bei gleichzeitigem Fortschritt harmonisiert werden müssen, setzt die Erreichung dieses Ziels durch das Setzen von Mindestvorschriften unvermeidlich ein gemeinschaftsweites Vorgehen voraus, daß es im übrigen wie im vorliegenden Fall den Mitgliedstaaten in weitem Umfang überläßt, die erforderlichen Durchführungsmodalitäten zu regeln. Die weitere Rüge, der Rat habe eine derart weitreichende und verbindliche Richtlinie nicht erlassen dürfen, wird im Rahmen der Rüge des Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erörtert.“10 An dieser Stelle werden drei zentrale Aussagen des EuGH im Hinblick auf die Kontrolle der Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität und der Verhältnismä 6

ABl. EG 1993 L 307/18. EuGH, Rs. C-84/94 (Arbeitszeit-Richtlinie), ECLI:EU:C:1996:431, Slg. 1996, I-5755. Vgl. zur Einschätzung als weichenstellende Entscheidung im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität: Schütze, European Union Law, 2. Aufl., 2018, S. 257. 8 Art. 118 a Abs. 1 EGV lautet wie folgt: „Die Mitgliedstaaten bemühen sich, die Verbesserung insbesondere der Arbeitsumwelt zu fördern, um die Sicherheit und die Gesundheit der Arbeitnehmer zu schützen, und setzen sich die Harmonisierung der in diesem Bereich bestehenden Bedingungen bei gleichzeitigem Fortschritt zum Ziel.“ 9 EuGH, Rs. C-84/94 (Arbeitszeit-Richtlinie), ECLI:EU:C:1996:431, Slg. 1996, I-5755, Rn. 46. 10 EuGH, Rs. C-84/94 (Arbeitszeit-Richtlinie), ECLI:EU:C:1996:431, Slg. 1996, I-5755, Rn. 47. 7

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Teil IV: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH   

ßigkeit plastisch. Im Hinblick auf die Einhaltung und Anwendung des Grundsatzes der Subsidiarität wird deutlich, dass immer dann, wenn der europäische Gesetzgeber sich dazu entschieden hat, einen bestimmten Regelungsbereich zu harmonisieren, dieses gewünschte Ziel objektiv nur durch eine Maßnahme der Europäischen Union zu erreichen ist. Die Mitgliedstaaten hingegen sind in der Regel nicht in der Lage, das Harmonisierungsziel zu erreichen. Zweitens wird im Hinblick auf die richterliche Subsidiaritätskontrolle deutlich, dass die Regelungsdichte einer Maßnahme rechtlich nicht unter dem Grundsatz der Subsidiarität, sondern dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu fassen ist. Was drittens die richterliche Kontrolle des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes betrifft, räumt der EuGH den Unionsorganen einen weiten Ermessensspielraum ein, insbesondere dann, wenn der Gesetzgeber „komplexe Abwägungsentscheidungen“11 zu treffen hat. „Die Ausübung einer solchen Befugnis kann […] gerichtlich nur daraufhin überprüft werden, ob ein offensichtlicher Irrtum oder ein Ermessensmißbrauch vorliegt oder ob das Organ die Grenzen seines Ermessens offenkundig überschritten hat.“12 Insbesondere der fast schon tautologische Schluss von Harmonisierungsziel auf die Einhaltung des Prinzips der Subsidiarität sowie die Zuordnung der Frage nach der Regelungsdichte einer Maßnahme als Problem ihrer Vereinbarkeit mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip führen zu dem praktischen Ergebnis, dass für eine materiell-rechtliche Fruchtbarmachung des Grundsatzes der Subsidiarität als Kompetenzausübungsschranke kaum mehr Raum verbleibt. Dies wird in der sich an die richterliche Entscheidung zur Arbeitszeit-Richtlinie anschließende Judikatur des EuGH zum Grundsatz der Subsidiarität deutlich. Denn entgegen der im europarechtswissenschaftlichen Schrifttum geäußerten Hoffnung, es habe sich bei der Entscheidung zur Arbeitszeit-Richtlinie um einen einmaligen Sonderfall gehandelt13, bestätigt und petrifiziert der EuGH diese Rechtsprechung in der Folgezeit.

11 EuGH, Rs. C-84/94 (Arbeitszeit-Richtlinie), ECLI:EU:C:1996:431, Slg. 1996, I-5755, Rn. 58. 12 EuGH, Rs. C-84/94 (Arbeitszeit-Richtlinie), ECLI:EU:C:1996:431, Slg. 1996, I-5755, Rn. 58. 13 Schima, Die Beurteilung des Subsidiaritätsprinzips durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, ÖJZ 1997, S. 761 ff.

C. Überprüfung der materiell-rechtlichen Vorgaben  

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II. Floskelhafte Überprüfung der Subsidiaritätskriterien Erstmals ausdrücklich mit der Prüfung der materiellen Vereinbarkeit14 eines Rechtsaktes mit dem Prinzip der Subsidiarität wurde der EuGH in der Entscheidung über die Gültigkeit der Biopatent-Richtlinie15 betraut.16 Bei der BiopatentRichtlinie handelt es sich ebenso wie bei der Arbeitszeit-Richtlinie um einen Akt der Gesetzgebung, der auf der Grundlage einer Harmonisierungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft erlassen wurde, und zwar der Binnenmarktharmonisierungskompetenz des Art. 114 AEUV, die bereits als Art. 100 a EWG und als Art. 95 EVG Bestandteil des europäischen Primärrechts war. Gegenstand der bis dato gültigen Biopatent-Richtlinie sind Vorgaben für die Mitgliedstaaten über die Patentierbarkeit solcher Erfindungen, deren Gegenstände Pflanzen, Tiere oder menschliche Körper sind. Die gegen die Richtlinie klagende niederländische Regierung führte im gerichtlichen Verfahren eine Reihe von Gründen auf, weshalb nach ihrer Auffassung die Richtlinie nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei.17 In kompetenzieller Hinsicht bestritt die niederländische Regierung bereits, dass es sich bei der Biopatent-Richtlinie um eine Maßnahme handle, die auf die Binnenmarktkompetenz des ex Art. 95 EGV der Europäischen Gemeinschaft gestützt werden könne.18 Als weiteren kompetenziellen Verstoß der Richtlinie führten die Niederlande dann die Unvereinbarkeit der Richtlinie mit dem Grundsatz der Subsidiarität an, wobei sie sich in diesem Punkt im Wesentlichen auf ihre Ausführungen zur falschen bzw. fehlenden Ermächtigungsgrundlage für die Maßnahme beriefen.19 Während sich die Gemeinschaftsrichter zur Wahl der Rechtsgrundlage für den Erlass der Richtlinie ausführlich äußerten20, fiel die Prüfung der Vereinbarkeit der Richtlinie mit dem Grundsatz der Subsidiarität in der Entscheidung auffallend kursorisch aus.21 Wörtlich führte der Gerichtshof aus: „Das Ziel der Biopatent 14 An dieser Stelle soll nicht verschwiegen werden, dass bereits gegen die Einlagensicherungs-Richtlinie (ABl. EG 1994 L 135/5) vor dem EuGH Subsidiaritätsbedenken von den Mitgliedstaaten geäußert wurden. Diese betrafen indes die Begründung der Richtlinie mit Blick auf ihre Vereinbarkeit mit dem Prinzip der Subsidiarität und nicht die materielle Vereinbarkeit der Richtlinie mit dem Subsidiaritätsprinzip, vgl. EuGH, Rs. C-233/94 (EinlagensicherungsRichtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-02405, Rn. 9, 22 ff. 15 RL 98/44/EG, ABl. EG 1998 L 213/13. 16 EuGH, Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-07079. 17 EuGH, Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-07079, Rn. 12, 13 ff. 18 EuGH, Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-07079, Rn. 12, 13 ff. 19 Vgl. zu den Ausführungen der niederländischen Regierung: GA Jacobs, Schlussanträge v. 14. 6. 2001 in der Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie). 20 Vgl. EuGH, Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-07079, Rn. 13 ff. 21 Vgl. EuGH, Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-07079, Rn. 30 ff.

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Teil IV: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH   

Richtlinie, durch Vermeidung und Ausräumung der Unterschiede in den Rechtsvorschriften und Praktiken der Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes biotechnologischer Erfindungen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes zu gewährleisten, hätte durch Maßnahmen auf der Ebene allein der Mitgliedstaaten nicht erreicht werden können. Da das Ausmaß dieses Schutzes unmittelbare Auswirkungen auf den Handel und folglich auch auf den innergemeinschaftlichen Handel hat, liegt es im Übrigen auf der Hand, dass das fragliche Ziel auf Grund des Umfangs und der Wirkung der in Betracht gezogenen Maßnahmen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden konnte.“22 Damit bestätigen die Gemeinschaftsrichter floskelhaft und ohne nähere Erläuterung den scheinbar axiomatischen Zusammenhang zwischen dem Ziel der Harmonisierung einer Maßnahme und der Einhaltung insbesondere des Positivkriteriums des Subsidiaritätsprinzips. Durch diese (vereinfachte) Verknüpfung zwischen dem Vorliegen eines Harmonisierungsauftrages und der Handlungseffektivität der Europäischen Gemeinschaft wirkt die Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Grundsatz der Subsidiarität in der Folgezeit oftmals formelhaft. Exemplarisch kann hier der Beschluss des EuGH in der Rechtssache „Vogeler“ herangezogen werden.23 In dem Vorabentscheidungsverfahren war der Gerichtshof dazu angehalten, sich zur Vereinbarkeit einer Vorschrift der Verordnung (EWG) Nr. 1408/7124, die die Anwendbarkeit von Rechtsvorschriften der sozialen Systeme für Selbstständige regelt, mit dem Prinzip der Subsidiarität zu äußern. Die Gemeinschaftsrichter verneinten einen Verstoß. Als knappe Begründung führten sie an, dass die Verordnung als solche Maßnahmen zur Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit vorsehe. Diese sollten die Freizügigkeit und die Aufenthaltsfreiheit innerhalb der Gemeinschaft gewährleisten. Die Verwirklichung dieses Ziels setze „zwangsläufig ein gemeinschaftsweites Vorgehen“25 voraus. Insgesamt verpasst der Gerichtshof in diesen frühen Urteilen die Chance, den Grundsatz der Subsidiarität an der Quelle mit einer rechtlichen Direktionskraft zu versehen.

III. Reformbestrebungen und Rechtsprechung Die mangelnde rechtliche Steuerungswirkung spiegelte sich auch in den Reformbestrebungen um den Grundsatz der Subsidiarität wider.26 Namentlich unternahm das durch den Vertrag von Amsterdam eingefügte Protokoll Nr. 30 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit den Versuch einer 22 Vgl. EuGH, Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-07079, Rn. 32. 23 EuGH, Rs. C-242/99 (Vogeler), ECLI:EU:C:2000:582, Slg. 2000, I-9083. 24 ABl. EG 1971 L 149/2. 25 EuGH, Rs. C-242/99 (Vogeler), ECLI:EU:C:2000:582, Slg. 2000, I-9083, Rn. 23. 26 S. zum Reformprozess: Teil II. B. II. S. 34 ff.

C. Überprüfung der materiell-rechtlichen Vorgaben  

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materiell-rechtlichen Präzisierung der Kriterien des alten Art. 5 Abs. 2 EGV, indem es normative Leitlinien zur Konkretisierung des Subsidiaritätsprinzips vorgab.27 Im Hinblick auf die richterliche Rezeption dieses Versuchs der materiellen Aufwertung des Grundsatzes der Subsidiarität ergibt sich zunächst ein uneinheitliches Bild. Auf der einen Seite existieren gerichtliche Entscheidungen, in denen der EuGH überhaupt keinen Bezug auf die materiellen Präzisierungsversuche des Subsidiaritätsprotokolls zum Amsterdamer Vertrag nimmt.28 Auf der anderen Seite nennen die Gemeinschaftsrichter die Regelungen des Protokolls Nr. 30 ausdrücklich als Prüfungsmaßstab, wobei sie dann aber von einer ausführlichen Prüfung der Kriterien absehen.29 Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den im Subsidiaritätsprotokoll zum Amsterdamer Vertrag verfassten Leitlinien lassen die Entscheidungen des Gerichtshofs aber in jedem Fall vermissen. Stattdessen halten die Gemeinschaftsrichter an ihrer bisherigen Rechtsprechung fest, die in der Folge zu einer Kongruenz zwischen den Voraussetzungen des Vorliegens der binnenmarktbezogenen Harmonisierungskompetenz des Art. 114 AEUV und der Einhaltung der Voraussetzungen des Prinzips der Subsidiarität führt. Als prominente Beispiele können hier die Entscheidungen des EuGH zur Tabakwerbe-Richtlinie II 2001/37/ EG30 und zur EG-Roaming-Verordnung31 herangezogen werden.32 1. Die Entscheidung zur Tabakwerbe-Richtlinie II Die Tabakwerbe-Richtlinie stand dabei schon zum zweiten Mal  – freilich in abgeänderter Version – wegen möglicher Verstöße gegen die europäische Kompetenzordnung auf dem gerichtlichen Prüfstand. Zuvor wurde die Richtlinie 98/43/ EG33 über Tabakwerbung vom EuGH wegen eines Verstoßes gegen die Kompetenzordnung des Primärrechts gekippt.34 Die Gemeinschaftsrichter stellten in einem ersten Anlauf fest, dass die zum Teil klauselartig wirkende Richtlinie35 27 Vgl. Nr. 5 des Subsidiaritätsprotokolls zum Amsterdamer Vertrag, ABl. EG 1997 C 340/105. 28 Vgl. EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453. 29 Vgl. EuGH, Rs. C-58/08 (Vodafone u. a.), ECLI:EU:C:2010:321, Slg. 2010, I-04999, Rn. 72 ff.; Rs. C-176/09 (Luxemburg / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2011:290, Slg. 2011 I-03727, Rn. 76 ff. 30 ABl. EG 2001 L 194/26. 31 VO (EG) Nr. 717/2007, ABl. EU 2007 L 171/32. 32 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453 und EuGH, Rs. C-58/08 (Vodafone u. a.), ECLI:EU:C:2010:321, Slg. 2010, I-04999. 33 ABl. EG 1998 L 213/9. 34 Vgl. EuGH, Rs. C-376/98 (Tabakwerbe-Richtlinie I), ECLI:EU:C:2000:544, Slg. 2000, I-08419. 35 Zu dieser Einschätzung kommt auch: Kainer, Das europäische Tabakwerbeverbot in der Rechtsprechung des EuGH: Nach den Schlussanträgen von Generalanwalt Léger (Rs. C-380/03), StudZR 2006, S. 615 (616 f.).

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Teil IV: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH   

nicht auf die Binnenmarktkompetenz des ex Art. 100  a EGV gestützt werden konnte. Die Gemeinschaftsrichter gaben dabei allerdings schon zu erkennen, unter welchen Voraussetzungen sie ein Verbot von Tabakwerbung als von der Harmonisierungskompetenz des ex Art. 100 a EGV als erfasst ansahen.36 Entsprechend modifiziert wurde eine zweite Richtlinie zum Verbot von Tabakwerbung erlassen (Tabakwerbe-Richtlinie II). In der Entscheidung zur Tabakwerbe-Richtlinie II hatte der EuGH dann im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens über die Vereinbarkeit einer Bestimmung dieser modifizierten Richtlinie mit dem Grundsatz der Subsidiarität zu entscheiden. Das Gericht führte zur Kontrolle des Rechtsaktes mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität aus: „Um entscheiden zu können, ob die Richtlinie im Einklang mit dem Subsidiaritätsgrundsatz erlassen worden ist, ist zunächst zu prüfen, ob das Ziel mit der in Betracht gezogenen Maßnahme auf Gemeinschaftsebene besser erreicht werden konnte.“37 Bevor sich das Gericht dann den Ausführungen zur Vereinbarkeit der Richtlinie mit dem Subsidiaritätsprinzip widmete, arbeitete es zunächst das Ziel der Maßnahme heraus. Dieses sei die Beseitigung der Hemmnisse, die sich aus den Unterschieden ergeben, die noch zwischen den Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen fortbestehen, wobei gleichzeitig ein hohes Gesundheitsschutzniveau sichergestellt werden solle.38 Sodann kam das Gericht hinsichtlich der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips zu dem Ergebnis: „Ein solches Ziel ließe sich durch eine Maßnahme allein auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreichen, es verlangt eine Maßnahme auf Gemeinschaftsebene, wie die heterogene Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften im vorliegenden Fall zeigt […]. Daraus folgt, dass im Fall der Richtlinie das Ziel der in Betracht gezogenen Maßnahme auf Ebene der Gemeinschaft besser erreicht werden konnte.“39 Damit vertritt der EuGH die Auffassung, dass das Negativkriterium nur eine Konkretisierung des Begriffs „besser“ darstellt, mit der praktischen Folge, dass dem Negativkriterium im Verhältnis zum Positivkriterium keine eigenständige, gleichrangige Bedeutung zukommt. Diese Annahme hat sich auch im gerichtlichen Prüfungsmaßstab der materiellen Subsidiarität niedergeschlagen, der sich maß­ geblich am Positivkriterium des Subsidiaritätsprinzips orientiert. Die Frage nach 36 Vgl. EuGH, Rs. C-376/98 (Tabakwerbe-Richtlinie I), ECLI:EU:C:2000:544, Slg. 2000, I-08419, Rn. 98 und 111. 37 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453, Rn. 180. 38 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453, Rn. 181. 39 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453, Rn. 182 f.

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der besseren Zielverwirklichung bejaht der EuGH, wie gesehen, aber immer in den Fällen, in denen ein Harmonisierungsauftrag der Union besteht. Damit setzt er die Voraussetzungen des Vorliegens eines Harmonisierungsauftrags und der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips gleich. 2. Die Entscheidung zur EU-Roaming-Verordnung Der Entscheidung zur EU-Roaming-Verordnung liegt eine ähnliche Konstellation wie im Fall der Tabakwerbe-Richtlinie II zugrunde. Auch in Bezug auf die EU-Roaming-Verordnung wurden grundsätzliche kompetenzrechtliche Bedenken geäußert, mit denen sich der Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens auseinandersetzte. Als zentraler Einwand gegen die Richtlinie wurde im Verfahren abermals vorgetragen, dass die Verordnung nicht auf die Binnenmarkt-Rechtsangleichungskompetenz des ex Art. 95 EGV gestützt werden könne.40 Der EuGH entgegnete auf diesen Einwand, dass die Verordnung als präventive Maßnahme der Rechtsangleichung gleichwohl zulässig sei, weil der Erlass divergierender staatlicher Maßnahmen zu erwarten sei.41 Indes wurde von keiner Seite von einer konkreten Initiative der Mitgliedstaaten berichtet. Die weiteren Klagegründe handelte das Gericht dann eher stiefmütterlich ab. Im Hinblick auf die Prüfung der Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität fallen zwei Dinge auf. Zum einen berufen sich die Unionsrichter ausdrücklich auf den normativen Unterbau des Subsidiaritätsprotokolls zum Amsterdamer Vertrag – nur um diesen dann unangewendet zu lassen.42 Und zum anderen steht die Begründung, warum die Verordnung mit dem Grundsatz der Subsidiarität zu vereinbaren sei, im Widerspruch zu den Ausführungen des Gerichts im Hinblick auf die Einschlägigkeit der Rechtsgrundlage des ex Art. 95 EGV. Der Gerichtshof bejahte das Vorliegen der Voraussetzungen des Subsidiaritätsprinzips, weil der einzelne Mitgliedstaat das Problem gerade nicht vollständig lösen könne. Seinem Zugriff unterläge allein die Regulierung des Endkundenpreises. Bei einer Regulierung nur dieser Ebene würde sich aber in den Fällen, in denen eine Überschreitung des zulässigen Entkundenentgelts nur aus einer Weitergabe eines überhöhten Großkundenpreises resultiert, eine Wettbewerbsverzerrung zulasten des heimischen Netzanbieters ergeben.43 Damit erscheint plausibel, dass eine praktikable Lösung nur durch die Erfassung beider Ebenen möglich ist. Allerdings stellt der Befund zu den praktischen Hindernissen einer Regelung auf nationaler Ebene die für die Argumentation des EuGH zur Rechtsgrundlage tragende Annahme infrage, dass solche nationalen Maßnahmen tatsächlich bevorgestanden hätten. An dieser Stelle 40

EuGH, Rs. C-58/08 (Vodafone u. a.), ECLI:EU:C:2010:321, Slg. 2010, I-04999, Rn. 31. EuGH, Rs. C-58/08 (Vodafone u. a.), ECLI:EU:C:2010:321, Slg. 2010, I-04999, Rn. 39 ff. 42 EuGH, Rs. C-58/08 (Vodafone u. a.), ECLI:EU:C:2010:321, Slg. 2010, I-04999, Rn. 72 ff. 43 EuGH, Rs. C-58/08 (Vodafone u. a.), ECLI:EU:C:2010:321, Slg. 2010, I-04999, Rn. 76 f. 41

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wird deutlich, dass der Gerichtshof eine ernstliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Unvereinbarkeit der Richtlinie mit dem Grundsatz der Subsidiarität vermissen lässt. Dieser Eindruck verstärkt sich durch einen Seitenblick auf die Schlussanträge des Generalanwalts Maduro in dieser Rechtssache, der sich um eine ernstliche Auseinandersetzung mit dem Subsidiaritätsprinzip bemüht.44 3. Zusammenfassende Bewertung Die Entscheidungen des Gerichtshofs zur Tabakwerbe-Richtlinie II und zur EU-Roaming-Verordnung zeigen letztlich, dass die Reformbestrebungen rund um den Vertrag von Amsterdam praktisch ins Leere gelaufen sind. In beiden Urteilen zeigt sich der Unwille des Gerichtshofs, den normativen Unterbau des Subsidiaritätsprinzips zur Anwendung zu bringen. Über die Motive der Unionsrichter soll an dieser Stelle nicht spekuliert werden. Fest steht indes, dass der Versuch einer materiellen Aufwertung des Subsidiaritätsprinzips durch die Leitlinien des Subsidiaritätsprotokolls zum Amsterdamer Vertrag in der Praxis keine Durchschlagskraft hatte. Vielmehr orientiert der EuGH seine Subsidiaritätskontrolle am Positiv- bzw. Effizienzkriteriums des Art. 5 Abs. 3 EUV. Durch die axiomatische Verknüpfung zwischen dem Vorliegen einer Harmonisierungskompetenz einerseits und dem Rückschluss auf die Handlungseffizienz der Europäischen Union andererseits synchronisiert der EuGH diese beiden Prüfungen dann so weit, dass dem Subsidiaritätsprinzip praktisch fast keine eigenständige Bedeutung mehr zukommt.

IV. Materielle Subsidiarität nach Lissabon Schließlich scheint es noch interessant, die Frage zu erhellen, ob die grundlegenden Reformen des Vertrages von Lissabon zu einer Zäsur der Rechtsprechung hinsichtlich des materiellen Kerns der Subsidiarität geführt haben. Wie bereits erwähnt hat sich durch den axiomatischen Schluss des Gerichtshofs von dem Vorliegen einer Harmonisierungskompetenz auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips in der Rechtsprechung des EuGH eine Orientierung der gerichtlichen Subsidiaritätskontrolle am Positivkriterium eingestellt. An dieser hält der EuGH auch nach den Reformen des Vertrages von Lissabon ausdrücklich fest. Deutlich wird dies in seinem Urteil zur Bilanz-Richtlinie, wenn das Gericht klarstellt: „Der Grundsatz der Subsidiarität soll […] nicht die Zuständigkeit der Union in Abhängigkeit von der Situation des einen oder anderen Mitgliedstaats für sich 44

GA Maduro, Schlussanträge v. 1. 10. 2009 in der Rs. C-58/08 (Vodafone u. a.), Rn. 27 ff.

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betrachtet beschränken, sondern gebietet nur, dass die in Betracht gezogene Maßnahme wegen ihrer Dimension oder ihrer Wirkungen unter Berücksichtigung der in Art. 3 EUV genannten Ziele der Union und der besonderen Vorschriften für die verschiedenen Bereiche, insbesondere für die verschiedenen von den Verträgen erfassten Freiheiten wie die Niederlassungsfreiheit, besser auf Unionsebene umgesetzt werden kann.“45 In seinen Folgejudikaten beschränkt sich der EuGH dementsprechend darauf, im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität zu prüfen, ob das durch die Maßnahme anvisierte Ziel auf Unionsebene besser erreicht werden kann.46 Eine kompetenzausübungsbeschränkende Funktion des Subsidiaritätsprinzips wird vom EuGH dabei weitgehend negiert. Dies zeigt sich in den Entscheidungen des EuGH zur Tabakprodukt-Richtlinie deutlich.47 Der Erlass der Tabakprodukt-Richtlinie steht im Mittelpunkt der Bemühungen der Union um die Eindämmung des Tabakkonsums der Unionsbürger. Die Richtlinie beinhaltet ein umfassendes Regelungssystem, das verschiedene Ansätze bereithält, um den unionalen Tabakkonsum zu minimieren. Zum Teil werden Produktkategorien innerhalb der Europäischen Union verboten. Dies gilt etwa für Tabak, der zum oralen Gebrauch bestimmt ist, aber auch für Tabakerzeugnisse mit einem charakteristischen Aroma. Zudem werden einzelne Produktkategorien einem Anmeldeverfahren zugewiesen. Darüber hinaus schreibt die Richtlinie Produktstandards fest, die das Produkt und seine Verpackung berühren. Die Feststellung der unionsweiten Verkehrsfähigkeit wird durch die weitgehende Freistellung mitgliedstaatlicher Verbote korrigiert. So können Mitgliedstaaten Kategorien von Tabakerzeugnissen ganz verbieten, zudem weitergehende Anforderungen an die Verpackung stellen oder auch den grenzüberschreitenden Verkauf von Tabakerzeugnissen im Fernabsatz verbieten. Gegen die Neuregelung wendeten sich Unternehmen der Tabakwirtschaft und darüber hinaus auch die polnische Regierung. Sie monierten teilweise umfassend die Primärrechtskonformität der Richtlinie. Teilweise richteten sich die Einwände aber auch gegen die erstmalige Regulierung von elektronischen Zigaretten und das Verbot von Mentholzigaretten. Die gegen die streitgegenständliche Richtlinie vorgebrachten Klagegründe betrafen zunächst die Frage, ob und auf welche Kompetenzgrundlage sich die Union im Zusammenhang mit dem Erlass der Richtlinie stützen kann.48 Die von den Unionsorganen herangezogene Binnenmarkkompetenz deckt die Bemühungen rund um die Eindämmung des Tabakkonsums auf den ersten Blick nicht ab, da der Europäischen Union die Verfolgung einer gesundheitspolitisch motivierten Harmonisierungspolitik nach Art. 168 Abs. 5 AEUV 45

EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 53. Exemplarisch: EuGH, Rs. C-151/17 (Swedish Match), ECLI:EU:C:2018:938, Rn. 66. 47 EuGH, Rs. C-358/14 (Polen / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2016:323; Rs. C-477/14 (Pillbox 38), ECLI:EU:C:2016:324; Rs. C-547/14 (Philip Morris Brands u. a.), ECLI:EU:C:2016:325. 48 EuGH, Rs. C-547/14 (Philip Morris Brands u. a.), ECLI:EU:C:2016:325, Rn. 26. 46

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ausdrücklich untersagt ist. In den Entscheidungen zur Tabakprodukt-Richtlinie tut sich der EuGH dementsprechend schwer, die Richtlinie als Ausdruck eines Binnenmarktvorhabens nach Art. 114 AEUV auszuweisen. Im Ergebnis weist das Gericht Zweifel an dem Bestehen der Binnenmarktkompetenz der Unionsorgane indes zurück.49 Im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität verengt das Gericht die Prüfung, aus prozessualen Gründen, allein auf das Verbot von Tabakerzeugnissen mit charakteristischen Merkmalen. Dieses diene sowohl der Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarkts als auch dem Gesundheitsschutz.50 Der EuGH lässt offen, ob der Gesundheitsschutz durch mitgliedstaatliche Verbote ebenso gut erreicht werden könnte. Zu befürchten sei jedenfalls, dass die Mitgliedstaaten den ihnen nach dem Subsidiaritätsprinzip eingeräumten Freiraum dazu gebrauchten, unterschiedliche Regelungen zu treffen. Dies sei aber mit dem Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes unvereinbar.51 Damit bestätigt der EuGH nicht nur die Kongruenz zwischen dem Vorliegen einer Harmonisierungskompetenz und der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips, sondern die Begründung führt den Charakter des Subsidiaritätsprinzips als Kompetenzausübungsschranke weitgehend ad absurdum. Denn das Subsidiaritätsprinzip zielt ja gerade auf die Wahrung einer uneinheitlichen bzw. nur teilweise harmonisierten Rechtslage ab. Gleiches entschied der EuGH für die gesellschaftsrechtlich relevante Harmonisierungskompetenz des Art. 50 AEUV. In der Entscheidung zur Bilanz-Richtlinie beantragte Estland beim Gerichtshof die Nichtigerklärung einzelner Bestimmungen der Richtlinie 2013/34/EU52, die Pflichten von Unternehmen bestimmter Rechtsformen hinsichtlich des Abschlusses regelt, wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Der EuGH stellte zunächst fest, dass die Richtlinie ein zweifaches Ziel verfolge, das nicht nur in der Harmonisierung der Unternehmensabschlüsse in der Union bestehe, sondern auch darin, dass dabei durch eine ebenfalls sehr weitgehend harmonisierte Sonderregelung der besonderen Situation der kleinen Unternehmen Rechnung getragen würde.53 Die Unionsrichter lassen wieder offen, ob das zweite Ziel besser auf Ebene der Mitgliedstaaten erreicht werden kann. Ein Handeln durch die Mitgliedstaaten würde jedoch zu unterschiedlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten führen.54 Die Richtlinie verstoße deshalb nicht gegen den Grundsatz der Subsidiarität.55

49

EuGH, Rs. C-547/14 (Philip Morris Brands u. a.), ECLI:EU:C:2016:325, Rn. 54 ff. EuGH, Rs. C-547/14 (Philip Morris Brands u. a.), ECLI:EU:C:2016:325, Rn. 220. 51 EuGH, Rs. C-547/14 (Philip Morris Brands u. a.), ECLI:EU:C:2016:325, Rn. 221. 52 ABl. EU 2013 L 182/19. 53 EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 46. 54 EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 47. 55 EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 48. 50

D. Überprüfung der prozeduralen Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips  

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V. Zusammenfassung Materiell-rechtlich hat sich in der Rechtsprechung in den zwei Dekaden seiner Anwendung eine Kongruenz zwischen der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und dem Vorliegen einer Harmonisierungskompetenz manifestiert. Ein darüber hinausgehender eigenständiger rechtlicher Gehalt des Subsidiaritätsprinzips lässt sich nur schwerlich ausmachen. Praktisch ist dieser aber wohl eher in einer kompetenzlegitimierenden als in einer kompetenzlimitierenden Funktion zu sehen. Dies zeigt sich insbesondere an der Orientierung der gerichtlichen Subsidiaritätsprüfung an dem Positivkriterium des Subsidiaritätsprinzips. Einen kompetenzbeschränkenden Charakter vermochten weder der Prozess der Materialisierung durch das Subsidiaritätsprotokoll zum Amsterdamer Vertrag herbeizuführen, der dem Prinzip der Subsidiarität einen normativen Unterbau verlieh; noch wirkten die Reformen des Vertrags von Lissabon auf eine kompetenzbeschränkende Funktion hin. Vielmehr betonen und bestätigen die Unionsrichter die Kongruenz zwischen dem Vorliegen der Voraussetzungen einer Harmonisierungskompetenz und der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips, oder anders ausgedrückt: Kann der europäische Gesetzgeber eine Maßnahme auf eine Harmonisierungskompetenz des Unionsprimärrechts stützen, kann gegen die Ausübung dieser Kompetenz rechtlich das Subsidiaritätsprinzip in keinem Fall in Stellung gebracht werden. Argumentativ rechtfertigt der EuGH seine Rechtsprechung damit, dass, sofern die Rechtsgrundlage eine Harmonisierung bezweckt, diese Maßnahme aufgrund ihres Umfangs und ihrer Wirkungen „besser“ durch ein Handeln der Union erreicht werden kann. Damit hat sich der Befund bestätigt, dass die unscharfen Bezugspunkte des Subsidiaritätsprinzips das Kernproblem seiner praktischen Anwendung bilden. Dies macht ihn aber nicht weniger brisant. Denn wie die Untersuchung gezeigt hat, handelt es sich gerade bei den aufgrund von Harmonisierungskompetenzen erlassenen Maßnahmen um politisch bedeutsame Projekte, die das sensible Gleichgewicht zwischen nationalstaatlicher Souveränität und Erweiterung europäischer Kompetenzen berühren.

D. Überprüfung der prozeduralen Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips Vor diesem Hintergrund gewinnen die prozeduralen Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips an Bedeutung.

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Teil IV: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH   

I. Die vorgangsbezogenen Pflichten des Unionsgesetzgebers 1. Die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung a) Anerkennung durch den EuGH Lange Zeit erkannte der Gerichtshof eine eigenständige Sachverhaltsermittlungspflicht des europäischen Gesetzgebers im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip nicht an. Zwar entschieden die Unionsrichter früh, dass sich aus der allgemeinen Begründungspflicht des ex Art. 190 EWG ergebe, dass ein Rechtsakt mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität zu begründen sei56, wobei das Gericht mitunter betonte, dass diese Begründungspflichtigkeit auch die Darstellung der wichtigsten tatsächlichen Erwägungen im erlassenen Rechtsakt umfasse, die das handelnde Organ mit Blick auf das Prinzip der Subsidiarität angestellt habe.57 Eine echte Pflicht zur Sachverhaltsermittlung leiteten die Unionsrichter aus der allgemeinen Begründungspflicht gleichwohl nicht ab, obwohl dies gerade im Zusammenhang mit der weiten Einschätzungsprärogative des europäischen Gesetzgebers im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität naheliegt. Vielmehr beschränkte der Gerichtshof die Begründungspflichtigkeit der handelnden Organe auch im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips auf die Darstellung der eigenen Auffassung.58 In keinem Fall forderte der Gerichtshof die Beibringung wissenschaftlicher Erkenntnisse oder sonstigen Datenmaterials als Tatsachengrundlage für ihre Einschätzung der Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes. De facto negierte der EuGH damit eine Sachverhaltsermittlungspflicht der Gemeinschaftsorgane im Hinblick auf die Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität. Erst seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon zeichnet sich eine vorsichtige Tendenz dahingehend ab, dem Unionsgesetzgeber Sachverhaltsermittlungspflichten im Anwendungsbereich des Grundsatzes der Subsidiarität aufzugeben. Für den Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 3 EUV macht der EuGH dies in der Entscheidung zur europäischen Tabakprodukt-Richtlinie ausdrücklich deutlich. Die Unionsrichter betonen, dass sie im Hinblick auf die materiellen Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 EUV prüfen, „ob der Unionsgesetzgeber aufgrund substantiierter Anhaltspunkte davon ausgehen durfte, dass das mit der in Betracht gezogenen Maßnahme verfolgte Ziel auf Unionsebene besser verwirklicht werden konnte.“59 Damit macht das Gericht deutlich, dass erstens die gesetzgeberische Beurteilung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips auf einer ausreichenden objektiven Tatsachengrundlage beruhen muss und zweitens die ermittelte Tatsachengrundlage 56 EuGH, Rs. C-233/94 (Einlagensicherungs-Richtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-02405, Rn. 22 ff. 57 EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 58. 58 Ausdrücklich: EuGH, Rs. C-84/94 (Arbeitszeit-Richtlinie), ECLI:EU:C:1996:431, Slg. 1996, I-5755, Rn. 46. 59 EuGH, Rs. C-358/14 (Polen / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2016:323, Rn. 114.

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auch die Beurteilung des Unionsgesetzgebers tragen muss. Gleiches wiederholt der Gerichtshof in seiner Entscheidung zur Vereinbarkeit der Bilanz-Richtlinie mit dem Grundsatz der Subsidiarität.60 b) Anforderungen an die Sachverhaltsermittlungspflichten Zu der Frage, welche Anforderungen an eine ausreichende Tatsachengrundlage zu stellen sind, äußert sich der Gerichtshof in seiner Entscheidung zur Gültigkeit der Bilanz-Richtlinie ausdrücklich. Mit der Einführung der Bilanz-Richtlinie bezweckt die Europäische Union vor allem für kleine Unternehmen die Reduzierung von Kosten im Hinblick auf die Erstellung von Jahresabschlüssen. Die Richtlinie soll dafür sorgen, dass die Anforderungen an kleine Unternehmen innerhalb der Union weitgehend harmonisiert und die kleinen Unternehmen vor einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand im Hinblick auf die Erstellung von Jahresabschlüssen geschützt werden.61 Dementsprechend legt die Richtlinie unter anderem Vorgaben zur Angabe von Finanzinformationen für kleine Unternehmen fest und regelt, dass die Mitgliedstaaten nur in begrenzten Ausnahmefällen über die Anforderungen der Richtlinie hinausgehende Rechnungspflichten für kleine Unternehmen vorschreiben dürfen.62 Gegen diese Bestimmung der Richtlinie brachte die Republik Estland vor: „Die Kommission habe bei den in der Phase der Folgenabschätzung angewandten Kriterien einen Beurteilungsfehler begangen, da sie sich vor allem auf quantitative Indikatoren bezüglich der Zahl kleiner Unternehmen gestützt habe anstatt auf qualitative Indikatoren wie den Anteil dieser kleinen Unternehmen am Umsatz in der Volkswirtschaft. In Estland trügen die kleinen Unternehmen stärker als in anderen Mitgliedstaaten zum Umsatz aller Unternehmen bei. Insoweit verstießen Art. 4 Abs. 6 und 8 und Art. 16 Abs. 3 der Richtlinie gegen Art. 5 des dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokolls (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit […].“63 Damit machte die Republik Estland geltend, dass die handelnden Organe der Europäischen Union den dem Erlass der Richtlinie zugrunde liegenden Sachverhalt nicht ausreichend nach den Anforderungen des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll ermittelt hätten. Auf die Rüge des Verstoßes gegen die Pflichten der Kommission aus Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll entgegnet der Gerichtshof: „Mit der Anordnung dieser auf objektiven Kriterien beruhenden Grenze beabsichtigte der Unionsgesetzgeber im Kern, dass die kleinen Unternehmen nicht verpflichtet werden, Unterlagen oder 60

EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 54. Vgl. Erwägungsgrund 10 der RL 2013/34/EU, ABl. EU L 182/19. 62 Vgl. Art. 4 Abs. 6 und 8, Art. 16 Abs. 3 der RL 2013/34/EU. 63 EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 20. 61

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Angaben zur Buchführung zu liefern, die zum einen über die in der Richtlinie vorgesehenen Informationspflichten und zum anderen über die im nationalen Steuerrecht vorgesehenen Erklärungspflichten hinausgehen. Eine derartige Grenze ist offensichtlich geeignet, eines der mit der Richtlinie verfolgten Ziele zu erreichen, nämlich das Ziel, die Erhöhung des auf den kleinen Unternehmen lastenden Verwaltungsaufwandes zu beschränken.“ Damit stellt das Gericht die Feststellung der relevanten Tatsachengrundlage im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität weitgehend in das Ermessen der Unionsorgane. Entscheidend ist allein, dass sich der Unionsgesetzgeber bei seiner Beurteilung objektiver Kriterien bedient. Als objektives Kriterium lässt der EuGH dann die Erstellung einer Gesetzesfolgenabschätzung ausreichen. Ähnlich verhält sich das Gericht in seinen Entscheidungen zur Tabakprodukt-Richtlinie. Ebenso wie in der Entscheidung zur Bilanz-Richtlinie sieht der EuGH die Sachverhaltsermittlungspflicht schwerpunktmäßig durch die Erstellung eines Gesetzesfolgenabschätzungsberichts als erfüllt an. „Im vorliegenden Fall steht fest, dass der von der Kommission vorgelegte Vorschlag für eine Richtlinie und die von ihr erstellte Folgenabschätzung genügend Angaben enthalten, aus denen klar und eindeutig die Vorteile einer Maßnahme auf Unionsebene gegenüber einer Maßnahme auf Ebene der Mitgliedstaaten hervorgehen.“64 Anforderungen an den Inhalt sowie die Auswahl der Kriterien formulieren die Unionsrichter dabei nicht. In der Rechtsprechung zeichnet sich damit die Tendenz ab, dass der Gesetzgeber durch die Erstellung von Gesetzesfolgenabschätzungen seiner Pflicht zur Ermittlung des Sachverhaltes Genüge getan hat. Der Gesetzgeber ist aber nicht ausdrücklich nur auf die Erstellung von Gesetzesfolgenabschätzungen zur Sachverhaltsermittlung beschränkt. Dementsprechend kann er seine Beurteilung auf alle ihm zur Verfügung stehenden Informationen stützen. c) Zusammenfassende Bewertung Insgesamt ist in der Rechtsprechung des EuGH im Hinblick auf die rechtliche Kontrolle und Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips eine vorsichtige Zäsur erkennbar. Während vor den Reformen von Lissabon Sachverhaltsermittlungspflichten bei der Kontrolle der Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität kaum eine Rolle spielten, fordert der EuGH nun, dass die Einschätzung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips auf objektiven Kriterien beruhen muss. Damit ist eine Abkehr von seiner vorherigen Rechtsprechung erkennbar. Weitreichende Sachverhaltsermittlungspflichten werden dadurch gleichwohl nicht gefordert. Der EuGH prüft nämlich weder ob die Erkenntnisgrundlage sachangemessen noch ob sie methodisch einwandfrei erarbeitet wurde. Wie das Beispiel der Entscheidung des EuGH zur Bilanz-Richtlinie zeigt, können die Unionsorgane so durch die Auswahl 64

EuGH, Rs. C-547/14 (Philip Morris Brands u. a.), ECLI:EU:C:2016:325, Rn. 226.

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der Indikatoren der Gesetzesfolgenabschätzung den Ausgang der Beurteilung, ob eine Maßnahme auf der Ebene der Union im Einklang mit dem Grundsatz der Subsidiarität steht, in einem entscheidenden Maße steuern. Konzentriert sich der Folgenabschätzungsbericht zum Beispiel einseitig auf die sozioökonomischen Vorteile eines Gesetzgebungsvorhabens, lässt dabei aber die enormen Kosten des Verwaltungsvollzuges außer Acht, liegt hierin bereits eine ausreichende Tatsachen­ grundlage zur Beurteilung der Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, da es lediglich auf die Objektivität der Kriterien ankommt. Die Objektivität der Kriterien lässt indes nur bedingte Rückschlüsse auf die Qualität sowie die Quantität der Kriterien zu. 2. Die Pflicht zur Offenlegung der Beurteilung a) Die Pflicht zur Offenlegung im Entwurf des Gesetzgebungsakts Die Pflichten zur Heranziehung des ermittelten Materials sowie zur Abwägung der entscheidungserheblichen Tatsachen, die sich aus dem Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit ergeben, werden erst durch das Gebot justiziabel, den gesamten Beurteilungsprozess hinsichtlich der Vereinbarkeit des erlassenen Rechtsaktes mit dem Subsidiaritätsprinzip in der Begründung des Gesetzgebungsentwurfs offenzulegen. Auf diesen Umstand wurde bereits an einer anderen Stelle der vorliegenden Untersuchung hingewiesen.65 Geregelt ist die Pflicht zur Offenlegung, die im Gesetzgebungsverfahren der Europäischen Union Anwendung findet, in der Norm des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll.66 Anders als das Unionsprimärrecht vorsieht, hat der EuGH eine Pflicht zur Offenlegung des Beurteilungsprozesses im Entwurf des Gesetzgebungsakts bisher allerdings nicht anerkannt. Obwohl die klagenden Parteien sich im Verfahren vor dem EuGH explizit auf die sich aus Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll ergebenden Verpflichtungen der Unionsorgane Bezug nehmen, lässt der Gerichtshof die Regelung unangewendet. Besonders plastisch wird dies in der Entscheidung des EuGH zur Gültigkeit der Bilanz-Richtlinie. Im Verfahren vor dem EuGH trägt die klagende Republik Estland im Rahmen der Rüge der Vereinbarkeit der Richtlinie mit dem Grundsatz der Subsidiarität vor, „dass die Anlagen zum Richtlinienentwurf nicht den im Protokoll Nr. 2 vorgesehenen Vermerk zur Beurteilung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips enthalten.“67

65

S. Teil III. A. III. 1., S. 65 ff. Vgl. ausführlich: ebenda. 67 EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 41. 66

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Nachdem das Gericht das Einhalten der materiellen Voraussetzungen entlang der oben aufgezeigten Argumentationsmuster bejaht68, stellt es lakonisch klar: „Das Vorbringen der Republik Estland zu der angeblich unvollkommenen Art und Weise, in der der Unionsgesetzgeber vor dem Ergreifen der Maßnahme für die Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität Sorge getragen habe, kann daran nichts ändern.“69 Ob die Richtlinie mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität ausreichend begründet ist, prüft der EuGH dann pauschal an den Anforderungen der allgemeinen Begründungspflicht des Art. 296 Abs. 2 AEUV, die wesentlich niedriger sind als die Anforderungen des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll. Hierin liegt, wie noch zu zeigen sein wird, eine besondere Schwäche der gerichtlichen Subsidiaritätskontrolle.70 Abschließend kommt das Gericht dann angesichts der niedrigen Anforderungen des Art. 296 Abs. 2 AEUV zu dem Ergebnis, dass dem Gesetzgeber angesichts der in der Richtlinie in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht enthaltenen Angaben kein Fehler vorzuwerfen sei.71 Insgesamt ist festzuhalten, dass der EuGH in den wenigen bisher ergangenen Entscheidungen, in denen er sich mit dem Grundsatz der Subsidiarität auseinanderzusetzen hatte, die Norm des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll, die besondere Anforderungen an die Offenlegung der Beurteilungsentscheidung hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip fordert, unangewendet lässt. Der Gerichtshof sichert die Kontrolle des erlassenen Rechtsaktes damit nicht durch die weitreichenden Offenlegungspflichten des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll prozedural ab. Problematisch ist die Nichtanwendung der Norm des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll insbesondere für die rechtliche Absicherung des Frühwarnmechanismus, da gerade in den ausgearbeiteten Unterlagen des Gesetzgebungsentwurfs eine wesentliche rechtliche Garantie für den kommunikativen Rationalisierungsprozess mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität liegt. Die Norm des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll schützt daher in einem besonderen Maße die nationalen Parlamente als an dem Subsidiaritätsdiskurs Beteiligte. Bisher haben indes weder die nationalen Parlamente noch eine ihrer Kammern vor dem EuGH wegen des Verstoßes eines Rechtsaktes gegen das Prinzip der Subsidiarität geklagt. Bei den angestoßenen Verfahren handelt es sich entweder um Vorabentscheidungsverfahren oder um Direktklageverfahren, die durch die nationalen Regierungen angestoßen wurden. Machen die nationalen Parlamente von ihrer neuen Klagebefugnis des Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll Gebrauch und rügen einen Mangel der Initiative, wird der Gerichtshof seine bisherige Zurückhaltung bei der Prüfung der Vorgaben des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll wohl nicht mehr aufrechterhalten können.

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S. Teil IV. C., S. 96 ff. EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 50. 70 S. dazu sogleich unter b), S. 120. 71 EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 63. 69

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b) Die Pflicht zur Offenlegung im erlassenen Rechtsakt aa) Anerkennung durch den EuGH Der Gerichtshof hat bereits früh entschieden, dass ein Rechtsakt im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität zu begründen sei. Dies machte der EuGH in seinem Urteil zur Gültigkeit der Einlagensicherungs-Richtlinie aus dem Jahr 1996 deutlich.72 Während in der Literatur eine solche Begründungspflichtigkeit der handelnden Gemeinschaftsorgane (damals) teilweise aus dem ex Art 3 b EGV selbst abgeleitet wurde73, begründete der EuGH das Erfordernis, einen Rechtsakt hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Subsidiarität zu begründen, mit der allgemeinen Begründungspflicht der Gemeinschaftsorgane des ex Art. 190 EWG.74 Damit verpflichtete der Gerichtshof die handlungswilligen Gemeinschaftsorgane dazu, ihre Erwägungen zur Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität in dem erlassenen Rechtsakt selbst transparent zu machen. Diese Verpflichtung gilt bis heute und ist besonders häufig Prüfungsgegenstand im Rahmen der gerichtlichen Subsidiaritätskontrolle.75 Insoweit kann die formelle Pflicht zur Begründung, die mittlerweile in Art. 296 Abs. 2 AEUV verbürgt ist, als zentrale prozedurale Absicherung des Subsidiaritätsprinzips bezeichnet werden. In der Zusammenschau der relevanten Urteile zeigt sich allerdings, dass der EuGH die Begründungskontrolle nicht als zwingenden Bestandteil der Subsidiaritätskontrolle begreift. Vielmehr existieren Entscheidungen, in denen das Gericht lediglich die materiellen Voraussetzungen des Subsidiaritätsprinzips prüft76 oder, wie in seiner Entscheidung zur Einlagensicherungs-Richtlinie, lediglich die Einhaltung des Erfordernisses, den Rechtsakt hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Grundsatz der Subsidiarität zu begründen.77 Zwar haben auch verschiedene Generalanwälte in ihren Schlussanträgen in der Vergangenheit für ein dichotomisches Prüfprogramm hinsichtlich der Einhaltung des Grundsatzes plädiert, das sowohl die Kontrolle der materiellen Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips als auch die Kontrolle einer ausreichenden Begründung mit 72

EuGH, Rs. C-233/94 (Einlagensicherungs-Richtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-02405, Rn. 22 ff. 73 Calliess, Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 2. Aufl. 1999, S. 330 ff. 74 EuGH, Rs. C-233/94 (Einlagensicherungs-Richtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-02405, Rn. 22 ff.; Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-07079, Rn. 30, 33. 75 EuGH, Rs. C-233/94 (Einlagensicherungs-Richtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-02405, Rn. 22 ff.; Rs. C-377/48 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-07079, Rn. 30, 33; Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 53. 76 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453, Rn. 177 f. 77 EuGH, Rs. C-233/94 (Einlagensicherungs-Richtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-02405, Rn. 22 ff.

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Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität vorsieht.78 Der Gerichtshof selbst hielt sich diesbezüglich aber lange zurück. Erst in seinen Entscheidungen zur Tabakprodukt-Richtlinie lässt er eine systematische Subsidiaritätsprüfung erkennen, die ausdrücklich die Pflicht, einen Rechtsakt mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip zu begründen, als zentrales Formerfordernis nennt. Die Unionsrichter prüfen in der Entscheidung die Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität anhand einer Zwei-Stufen-Prüfung, wobei die erste Stufe die gerichtliche Kontrolle „der Einhaltung der in Art. 5 Abs. 3 EUV vorgesehenen materiellen Voraussetzungen betrifft […].“79 Und die zweite Stufe „die Einhaltung des Formerfordernisses betrifft, insbesondere des Erfordernisses, die Richtlinie 2014/40 im Hinblick auf den Subsidiaritätsgrundsatz zu begründen […]“80. Ob der EuGH an diese Rechtsprechung anknüpft und damit dauerhaft eine zweistufige gerichtliche Subsidiaritätsprüfung anwendet, lässt sich aufgrund der bisher teilweise unsystematisch wirkenden Rechtsprechung nur schwerlich vorhersagen. Dagegen spricht, dass das Gericht einen Verstoß gegen das Erfordernis, einen Rechtsakt mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität zu begründen − anders als einen allgemeinen Begründungsmangel81−, nicht von Amts wegen zu prüfen scheint. Jedenfalls ist der EuGH diesbezüglich bisher nicht ohne vorherige Rüge tätig geworden.82 Die Häufigkeit der Prüfung eines Begründungsmangels im Zusammenhang mit der richterlichen Subsidiaritätsprüfung könnte daher eher ein Indiz für die Vernachlässigung der Pflicht zur formellen Begründung im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität in der europäischen Rechtssetzungspraxis, als der Hinweis auf eine richterliche „Zwei-Stufen-Subsidiaritätsprüfung“ sein. Abschließend bleibt zu konstatieren, dass der EuGH das Erfordernis, einen Rechtsakt hinsichtlich der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu begründen, anerkennt, im gerichtlichen Verfahren prüft und zuletzt als zentrales Formerfordernis im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips fruchtbar macht.

78

So GA Léger, Schlussanträge v. 10. 12. 1996 in der Rs. C-233/94 (EinlagensicherungsRichtlinie), Rn. 87. Zuletzt GA Kokott, Schlussanträge v. 23. 12. 2015 in der Rs. C-547/14, Rn. 223. 79 EuGH, Rs. C-358/14 (Polen / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2016:323, Rn. 114. 80 EuGH, Rs. C-358/14 (Polen / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2016:323, Rn. 122. 81 Vgl. Gaitanides, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 4, 7. Aufl., 2015, Rn. 122 m. w. N. aus der Rechtsprechung. 82 In der Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453 war der EuGH nicht mit einer entsprechenden Rüge betraut und prüfte dementsprechend keinen Begründungsmangel mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität, vgl. Rn. 177 ff.

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bb) Anforderungen an die Offenlegung (1) Maßstab für die erforderlichen Anforderungen Nachdem geklärt wurde, „ob“ der EuGH die formelle Begründung für die Subsidiaritätskontrolle fruchtbar macht, soll in einem zweiten Schritt geklärt werden, wie weit diese prozedurale Absicherung des Subsidiaritätsprinzips reicht. Die Reichweite der prozeduralen Absicherung hängt in einem besonderen Maße von den Anforderungen ab, die das Gericht an die Pflicht formuliert, einen Rechtsakt hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips zu begründen. Als gerichtlichen Maßstab zur Konkretisierung der Begründungspflichten der Unionsorgane im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip zieht der EuGH die Norm des Art. 296 Abs. 2 AEUV heran. Zu Art. 296 Abs. 2 AEUV als gerichtlichem Maßstab der Begründungskontrolle ist zu sagen, dass dieser zwar ein umfassendes Begründungserfordernis für sämtliche Maßnahmen der Europäischen Union statuiert, jedoch keinerlei allgemeingültige Maßstäbe vorgibt. Die Norm ist allein durch Richterrecht konkretisiert worden.83 Die Frage, ob eine Begründung den Anforderungen des Art. 296 Abs. 2 AEUV genügt, beurteilt der EuGH grundsätzlich einzelfallabhängig, wobei das Gericht die Beachtung der Begründungspflicht nach ständiger Rechtsprechung „nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsaktes, sondern auch anhand seines Kontextes und sämtlicher Rechtsvorschriften, die das betreffende Gebiet regeln […]“84, beurteilt. Darüber hinaus leitet der EuGH die Anforderungen an die formelle Begründung aus der funktionalen Stoßrichtung des Art. 296 Abs. 2 AEUV ab. Nach ständiger Rechtsprechung muss die nach Art. 296 Abs. 2 AEUV vorgeschriebene Begründung die Überlegungen des Unionsorgans, das den Rechtsakt erlassen hat, „so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen […], dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann.“85 Die Begründung muss dabei nicht zwingend detailliert ausgearbeitet sein; sie muss jedoch die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen enthalten, auf denen der Erlass des Rechtsaktes beruht.86

83 Vgl. ausführlich zur richterrechtlichen Konkretisierung des Art. 296 Abs. 2 AEUV die Analyse in: Müller-Ibold, Die Begründungspflicht im europäischen Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht, 1990, S. 80 ff. 84 EuGH, Rs. C-643/16 (American Express), ECLI:EU:C:2018:67, Rn. 73. Vgl. weiter EuGH, C-62/14 (Gauweiler u. a.), ECLI:EU:C:2015:400, Rn. 70 und die dort aufgeführte Rechtsprechung. 85 EuGH, Rs. C-643/16 (American Express), ECLI:EU:C:2018:67, Rn. 73. 86 St. Rspr. vgl. EuGH, Rs. 185/85 (Usinor / Kommission), ECLI:EU:C:1986:276, Slg. 1986, 2079, Rn. 20 (dort als ständige Rechtsprechung bezeichnet). Zuletzt: EuGH, Rs. C-493/17 (Weiss u. a.), ECLI:EU:C:2018:1000, Rn. 31.

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Grundsätzlich sollen diese richterrechtlich konkretisierten Anforderungen an eine hinreichende Begründung auch im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips gelten. Dies hat der Gerichtshof mehrfach bestätigt.87 (2) Anforderungen an den Inhalt der Offenlegung (a) Widerspruchsfreiheit und Klarheit der Ausführungen Die Erwägungen, die der europäische Gesetzgeber hinsichtlich der Vereinbarkeit des erlassenen Rechtsaktes mit dem Grundsatz der Subsidiarität angestellt hat, müssten nach dem oben Gesagten also klar und eindeutig in der Begründung des Rechtsaktes formuliert sein. Doch gerade im Hinblick auf die Widerspruchsfreiheit und Klarheit weicht der Gerichtshof von seiner ständigen Rechtsprechung ab und formuliert für den Grundsatz der Subsidiarität niedrigere Anforderungen an die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Begründung. Grundlegend zu den Anforderungen an das Erfordernis, einen Rechtsakt mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip zu begründen, äußerte sich der EuGH in seiner Entscheidung zur Einlagensicherungs-Richtlinie aus dem Jahr 1996.88 Danach müsse ein Rechtsakt mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip begründet werden. Dieser Begründungspflicht sei allerdings bereits schon dann Genüge getan, wenn sich die Einhaltung des Prinzips der Subsidiarität konkludent aus den Erwägungen ergebe. Eine ausdrückliche Erwähnung des Subsidiaritätsgrundsatzes sei nicht notwendig.89 Konkret wendete die deutsche Bundesregierung gegen die EinlagensicherungsRichtlinie vor dem EuGH ein, dass die Richtlinie „wegen Verstoßes gegen die in Artikel 190 des Vertrags vorgesehene Begründungpflicht für nichtig erklärt werden [müsse]. Sie enthalte nämlich keine Ausführungen zu ihrer Vereinbarkeit mit dem in Artikel 3 b Absatz 2 des Vertrages verankerten Subsidiaritätsprinzip.“90 Zum notwendigen Inhalt der Begründungspflicht hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips brachte die deutsche Regierung vor, „die Gemeinschaftsorgane müßten detailliert darlegen, aus welchen Gründen nur die Gemeinschaft in dem fraglichen Bereich tätig werden könne, nicht die Mitgliedstaaten. Im vorliegenden Fall sei der Richtlinie nicht zu entnehmen, weshalb die Ziele durch Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden könnten, noch enthalte sie

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Zuletzt: EuGH, Rs. C-151/17 (Swedish Match), ECLI:EU:C:2018:938, Rn. 78. EuGH, Rs. C-233/94 (Einlagensicherungs-Richtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-02405. 89 EuGH, Rs. C-233/94 (Einlagensicherungs-Richtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-02405, Rn. 28. 90 EuGH, Rs. C-233/94 (Einlagensicherungs-Richtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-02405, Rn. 22. 88

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Gründe, die für ein Handeln der Gemeinschaft sprächen.“91 Tatsächlich wurde weder in der Begründung des Entwurfs noch in den Erwägungsgründen der Richtlinie ausdrücklich auf das Subsidiaritätsprinzip Bezug genommen.92 Der EuGH führt zu diesen Einwänden aus: „Im vorliegenden Fall haben das Parlament und der Rat in der zweiten Begründungserwägung der Richtlinie der Ansicht Ausdruck gegeben, daß es zweckmäßig sei, sich mit der Situation zu befassen, die im Falle des Nichtverfügbarwerdens der Einlagen in einem Kreditinstitut mit Zweigstellen in anderen Mitgliedstaaten entstehen kann, und das ein Mindestmaß an Harmonisierung der Einlagensicherung … gewährleistet sein [muß] ohne Rücksicht darauf, wo in der Gemeinschaft die Einlagen lokalisiert sind. Diese Erwägungen zeigen, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber der Auffassung war, daß das mit seinem Tätigwerden verfolgte Ziel wegen der Dimensionen der vorgesehenen Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden konnte. Außerdem haben das Parlament und der Rat in der fünften Begründungserwägung ausgeführt, daß das mit der Empfehlung der Kommission angestrebte Ziel durch die von den Mitgliedstaaten daraufhin ergriffenen Maßnahmen nicht vollständig erreicht worden sei. Damit hat der Gemeinschaftsgesetzgeber festgestellt, daß das Ziel seines Tätigwerdens von den Mitgliedstaaten nicht in ausreichendem Maß verwirklicht werden konnte.“93 Weiter führt der EuGH aus: „Aus diesen Erwägungen geht hervor, daß das Parlament und der Rat jedenfalls die Gründe für ihre Ansicht erläutert haben, daß ihr Handeln mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang stehe, so daß sie der in Artikel 190 des Vertrages verankerten Begründungspflicht genügt haben. Eine ausdrückliche Erwähnung dieses Prinzips ist insoweit nicht zu verlangen.“94 Damit gibt der EuGH bereits frühzeitig zu erkennen, dass eine detaillierte, eindeutige und abgegrenzte Begründung im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität in dem erlassenen Rechtsakt selbst nicht erforderlich ist. Eine solche fordert der EuGH auch in den folgenden zwei Dekaden seiner Rechtsprechung nicht ausdrücklich von den handelnden Unionsorganen ein.95 Die Rechtsprechung des EuGH bleibt an dieser Stelle deutlich hinter den sich aus dem Unionsprimärrecht, insbesondere dem Transparenzgebot ergebenden Anforderungen an eine Offenlegung zurück.

91 EuGH, Rs. C-233/94 (Einlagensicherungs-Richtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-02405, Rn. 23. 92 S. zum Wortlaut der Begründung der Richtlinie ABl. EG 1994 L 135/5. S. zum Wortlaut des Entwurfs: KOM (1992) 188 endg. 93 EuGH, Rs. C-233/94 (Einlagensicherungs-Richtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-02405, Rn. 27. 94 EuGH, Rs. C-233/94 (Einlagensicherungs-Richtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-02405, Rn. 28. 95 Instruktiv: EuGH, Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-07079, Rn. 33.

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(b) Die wichtigsten tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen Einen ausformulierten Katalog der Erwägungen, die für die Beurteilung der Anwendung und Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips derart erheblich sind, dass der europäische Gesetzgeber sie in jedem Fall in seiner Begründung aufnehmen muss, hat der EuGH in seiner Rechtsprechung bisher nicht positiv festgelegt. Um gleich­ wohl einen Eindruck davon zu vermitteln, wie weit das Erfordernis, einen Rechtsakt mit Blick auf den Subsidiaritätsgrundsatz zu begründen, inhaltlich reicht, hilft ein Blick auf die gesetzgeberischen Erwägungen weiter, die der EuGH als Begründung mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität bisher als ausreichend erachtet hat. Bisher hatte der EuGH den Grundsatz der Subsidiarität immer dann zu prüfen, wenn die handelnden Organe ihre Maßnahme auf einen Harmonisierungsauftrag des Unionsprimärrechts stützen konnten.96 Zwar forderten die Unionsrichter dabei, dass die Begründung eines Rechtsaktes Erwägungen zum Subsidiaritätsprinzip enthalten müsse, dabei ließen sie aber oft formelhafte Erwägungen ausreichen. Das erste und entscheidende Urteil in dieser Richtung stellt das Judikat des EuGH zur Einlagensicherungs-Richtlinie dar.97 Die Europäische Union stützte die gesetzgeberische Maßnahme auf die Rechtsgrundlage des ex Art. 57 Abs. 2 S. 1 und 3 EGV, die den Rat und das Parlament dazu berechtigten, Richtlinien zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Tätigkeiten zu erlassen. Die klagende Bundesrepublik rügte im Hinblick auf die Richtlinie, dass die Begründungserwägungen keine Ausführungen zu der Vereinbarkeit des Rechtsaktes mit dem Prinzip der Subsidiarität enthielten.98 Tatsächlich ging aus den in der Richtlinie enthaltenen Erwägungen nicht ausdrücklich hervor, inwiefern der europäische Gesetzgeber das Prinzip der Subsidiarität bei dem Erlass der Richtlinie berücksichtigt hatte. Die deutsche Regierung machte dementsprechend im Verfahren vor dem EuGH geltend, dass die Unionsorgane detailliert darlegen müssten, aus welchen Gründen nur sie in dem fraglichen Bereich tätig werden könnten und nicht die Mitgliedstaaten.99 Der EuGH griff diese Forderung in seinen Ausführungen zur Begründung der Richt 96 EuGH, Rs. C-84/94 (Arbeitszeit-Richtlinie), ECLI:EU:C:1996:431, Slg. 1996, I-5755; Rs. C-233/94 (Einlagensicherungs-Richtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-2405; Rs. C-242/99 (Vogler), ECLI:EU:C:2000:582, Slg. 2000, I-9083; Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-7079; EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453; Rsen. C-154/04 u. 155/04 (Alliance for Natural Health u. a.), ECLI:EU:C:2005:449, Slg. 2005, I-6451; Rs. C-58/08 (Vodafone u. a.), ECLI:EU:C:2010:321, Slg. 2010, I-4999; Rs. C-176/09 (Luxemburg / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2011:290, Slg. 2011, I-3727; Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403; Rs. C-358/14 (Polen / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2016:323; Rs. C-477/14 (Pillbox 38), ECLI:EU:C:2016:324; Rs. C-547/14 (Philip Morris Brands u. a.), ECLI:EU:C:2016:325. 97 EuGH, Rs. C-84/94 (Arbeitszeit-Richtlinie), ECLI:EU:C:1996:431, Slg. 1996, I-5755. 98 EuGH, Rs. C-84/94 (Arbeitszeit-Richtlinie), ECLI:EU:C:1996:431, Slg. 1996, I-5755, Rn. 22. 99 EuGH, Rs. C-84/94 (Arbeitszeit-Richtlinie), ECLI:EU:C:1996:431, Slg. 1996, I-5755, Rn. 23.

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linie indes nicht auf, sondern stellte fest, dass sich daraus, dass ein „Mindestmaß an Harmonisierung der Einlagensicherung […] gewährleistet sein [muss]“, ergebe, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber der Auffassung sei, dass das mit seinem Tätigwerden verfolgte Ziel wegen der Dimension der vorgesehenen Maßnahme besser auf Gemeinschaftsebene verwirklich werden könne. In der Darlegung dieses Gedankengangs sah der Gerichtshof eine ausreichende Begründung hinsichtlich der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips.100 In seiner Entscheidung zur Biopatent-Richtlinie bestätigte das Gericht diese Rechtsprechung. Ebenso wie die Einlagensicherungs-Richtlinie beruht die Biopatent-Richtlinie auf einer Harmonisierungskompetenz. Es handelt sich um die Binnenmarktharmonisierungskompetenz des ex Art. 95 EGV. Die klagenden Niederlande rügten einen Verstoß der Richtlinie gegen das Subsidiaritätsprinzip, hilfsweise dass die Begründung der Richtlinie nicht hinreichend erkennen lasse, dass dieses Erfordernis berücksichtigt sei.101 Der EuGH bejahte sowohl die Wahrung des Grundsatzes nach ex Art. 5 Abs. 2 EGV als auch die Einhaltung des Erfordernisses der Begründung mit wenigen Worten: „Das Ziel der Richtlinie, durch Vermeidung und Ausräumung der Unterschiede in den Rechtsvorschriften und Praktiken der Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes biotechnologischer Erfindungen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes zu gewährleisten, hätte durch die Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten allein nicht erreicht werden können. Da das Ausmaß dieses Schutzes unmittelbare Auswirkungen auf den Handel und folglich auch auf den innergemeinschaftlichen Handel hat, liegt es im Übrigen auf der Hand, dass das fragliche Ziel auf Grund des Umfangs und der Wirkungen der in Betracht gezogenen Maßnahmen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden konnte. Zudem gehen die fünfte, die sechste und die siebte Begründungserwägung stillschweigend, aber offenkundig auf die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips ein, wenn es dort heißt, dass die Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften und Praktiken das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes behindere, falls die Gemeinschaft nicht eingreife. Die Richtlinie ist damit in diesem Punkt hinreichend begründet.“102 Den pauschalen Hinweis der Unionsorgane auf das Bestehen einer durch Uneinheitlichkeit gekennzeichneten Rechtslage als Einhaltung für den Grundsatz der Subsidiarität rügten auch die Mitgliedstaaten im Verfahren vor dem EuGH. In der Rs. C-491/01103, in der der Gerichtshof über die Nichtigkeit der auf der Grundlage der Binnenmarktharmonisierungskompetenz des ex Art. 95 EGV ergangenen 100 EuGH, Rn. 26 f. 101 EuGH, Rn. 30. 102 EuGH, Rn. 33. 103 EuGH, I-11453.

Rs. C-84/94 (Arbeitszeit-Richtlinie), ECLI:EU:C:1996:431, Slg. 1996, I-5755, Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-7079, Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-7079, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002,

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Richtlinie 2001/37/EG104 zu entscheiden hatte, machten die klagenden Regierungen darauf aufmerksam, „dass der bloße Hinweis […] auf die Notwendigkeit des Erlasses von Vorschriften, die dafür sorgen sollten, dass die Vorschriften über den Binnenmarkt nicht unterlaufen würden, nicht der Begründungspflicht gem. Art. 253 EG genüge […].“105 Sie forderten, dass konkret dargetan werden müsse, warum das Ziel des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes gefährdet sei, wenn die Richtlinie nicht erlassen würde.106 Der Gerichtshof erwiderte hierauf, dass es ausreiche, wenn sich der Richtlinie klar entnehmen lasse, dass mit den eingeführten Maßnahmen die Hemmnisse beseitigt werden sollen, die sich aus den Unterschieden der bestehenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten ergeben.107 Dem Erfordernis, einen Rechtsakt hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips zu begründen, ist mithin immer dann Genüge getan, wenn die Begründung Ausführungen zu den Anwendungsvoraussetzungen der jeweiligen Harmonisierungskompetenz enthält. Besonders plastisch wurde dies zuletzt in den Ausführungen der Generalanwältin Kokott zu den Entscheidungen des EuGH zur Tabakprodukt-Richtlinie. Sie führt zur Rüge eines Begründungsmangels der Richtlinie mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität aus: „Die Unzulänglichkeiten eines Vorgehens auf nationaler Ebene sowie die Vorzüge des Erlasses einer Binnenmarkt-Harmonisierungsmaßnahme auf Unionsebene werden nicht zuletzt in den Erwägungsgründen 4 bis 7, 15, 16 und 36 der Richtlinie thematisiert. Wenngleich die dortigen Ausführungen in erster Linie auf die Anwendungsvoraussetzungen von Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage gemünzt sind, lassen sie sich doch zugleich auch im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip fruchtbar machen.“108 Im Ergebnis kann dies nicht verwundern, denn letztlich kann die prozedurale Absicherung nicht weiter reichen als der materielle Kern des Subsidiaritätsprinzips. Insoweit sind materielle und prozedurale Dimension kongruent. Wie oben bereits gezeigt, konkretisiert der EuGH die Frage nach der Einhaltung des Grundsatzes indes auf die Frage nach dem Vorliegen einer Harmonisierungskompetenz und legt dementsprechend die Anforderungen an die Begründungspflicht fest.

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ABl. EG 2001 L 194/26. EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453, Rn. 162. 106 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453, Rn. 163. 107 EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453. Rn. 167. 108 GA Kokott, Schlussanträge v. 23. 12. 2015 in der Rs. C-358/14 (Polen / Parlament / Rat.), Rn. 180. 105

D. Überprüfung der prozeduralen Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips  

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(3) Anforderungen an die Detaillierung der Offenlegung Im Hinblick auf den notwendigen Umfang bzw. die Detaillierung der allgemeinen Begründungspflichtigkeit der handelnden Unionsorgane haben sich in der Rechtsprechung des EuGH Fallgruppen herausgebildet, die den Umfang der Begründung auch über den Einzelfall hinaus determinieren.109 Diese Fallgruppen hat der EuGH auch vereinzelt auf das Erfordernis, einen Rechtsakt mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität zu begründen, angewendet. So hat der EuGH zum einen die Unterscheidung zwischen Rechtsakten mit allgemeiner Geltung und Individualrechtsakten und zum anderen die Begrenzung des Begründungsumfangs durch mögliche Kenntnisse der klagenden Parteien diesbezüglich fruchtbar gemacht. (a) Differenzierung zwischen der Art der Maßnahme Während Art. 296 Abs. 2 AEUV expressis verbis nicht zwischen individuellkonkreten und generell-abstrakten Rechtsakten unterscheidet, bildet die Rechtsnatur einer Maßnahme in der Rechtsprechung des EuGH über den Einzelfall hinaus ein zentrales Differenzierungskriterium im Hinblick auf die Konkretisierung der Anforderungen des Art. 296 Abs. 2 AEUV. Dies betrifft vor allem die Formulierung von Anforderungen an den notwendigen Umfang der Begründung. Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei individuell-konkreten Maßnahmen in der Regel eine detaillierte Begründungspflicht besteht, während für Maßnahmen mit einem allgemeinen Anwendungsbereich, also insbesondere Verordnungen und Richtlinien, eine verkürzte Begründungspflicht gilt. Dementsprechend führt der EuGH aus: „[…] nach ständiger Rechtsprechung [hängt] der Umfang der Begründungspflicht von der Rechtsnatur der betreffenden Maßnahme ab, bei generellen Rechtsakten kann sich die Begründung darauf beschränken, die Gesamtlage anzugeben, die zum Erlass der Maßnahme geführt hat, und die allgemeinen Ziele zu bezeichnen, die mit ihr erreicht werden sollen.“110 Damit reicht es im Zusammenhang mit generell-abstrakten Maßnahmen grundsätzlich aus, die tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen für den Erlass der Maßnahme in ihrer Gesamtheit zu dokumentieren, wobei entscheidend ist, dass das allgemeine Ziel der Maßnahme in seinen wesentlichen Zügen in der Begründung dargelegt wird.111 Die einzelnen Bestandteile der Maßnahme, die diesen Rahmen ausfüllen, müssen damit nicht begründet werden. Dies hat der EuGH auch für das 109

Vgl. zu den einzelnen Fallgruppen ausführlich: Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV / ​ AEUV, 3. Aufl., 2018, Art. 296 AEUV, Rn. 5; Geismann, in: von der Groeben / Schwarze / ​Hatje (Hrsg.), Das Europäische Unionsrecht, Band 4, 7. Aufl., 2015, Art. 296 AEUV, Rn. 12 ff. 110 EuGH, Rs. C-643/16 (American Express), ECLI:EU:C:2018:67, Rn. 73. 111 EuGH, Rs. C-643/16 (American Express), ECLI:EU:C:2018:67, Rn. 74 und die dort aufgeführte Rechtsprechung.

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Teil IV: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH   

Erfordernis, einen Rechtsakt hinsichtlich der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu begründen, betont. Zuletzt in seiner Entscheidung zur Bilanz-Richtlinie.112 Im Ergebnis besteht damit im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips immer eine verkürzte Begründungspflicht, da dieses ja gerade bei dem Erlass von abstrakt-generellen Maßnahmen angewendet wird. Es ist ausreichend, wenn sich aus den Erwägungen in dem Rechtsakt ergibt, dass das gesamte Regelungsvorhaben mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht. An dieser Stelle verlaufen die Anforderungen an die Begründungspflicht synchron zur materiellen Subsidiaritätskontrolle durch den EuGH. Auch hier prüft der EuGH nicht, ob jede einzelne Bestimmung des Regelungsvorhabens mit dem Grundsatz der Subsidiarität im Einklang steht, sondern ob das gesamte Regelungsvorhaben den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 EUV entspricht. Damit sind die zum Teil weitreichenden einzelnen Bestimmungen eines Gesetzes einer Subsidiaritätskontrolle de facto entzogen. Dies stellt eine erhebliche Reduzierung der rechtlichen Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips dar. Individuell-konkrete Rechtsakte unterliegen indes einer detaillierten Begründungspflicht, insbesondere dann, wenn es sich um belastende Maßnahmen handelt. Die Rechtsprechung leitet in diesem Zusammenhang aus dem Recht auf effektiven Rechtsschutz substantiierte Begründungspflichten der Unionsorgane ab: „Nach ständiger Rechtsprechung dient die Pflicht zur Begründung eines beschwerenden Rechtsaktes, die aus dem Grundsatz der Beachtung der Verteidigungsrechte folgt, dem Zweck […] den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob der Rechtsakt sachlich richtig oder eventuell mit Mängeln behaftet ist […].“113 Daraus folgt für den EuGH: „Bei restriktiven Maßnahmen erfordert die in Art. 296 AEUV vorgesehene Begründungspflicht […], dass in dieser Begründung die einzelfallbezogenen, spezifischen und konkreten Gründe genannt werden, aus denen die zuständige Behörde der Auffassung ist, dass gegen die betroffene Person restriktive Maßnahmen verhängt werden müssen. Der Unionsrichter muss daher insbesondere prüfen, ob die angeführten Gründe hinreichend genau und konkret sind.“114 In der Gesamtschau der umfangreichen Rechtsprechung zeichnet sich das Bild ab, dass die Anforderungen an die Begründungspflicht in dem Maße steigen, in dem eine belastende Wirkung beim Adressaten erzeugt wird. Anders formuliert: Je einschneidender die Maßnahme ist, desto höher sind die Anforderungen an das Erfordernis, einen Rechtsakt zu begründen. Von besonderer Bedeutung ist die Pflicht zur Begründung deshalb im Bereich von unionalen Sanktionsmaßnahmen, wie etwa der Festlegung der Höhe von kartellrechtlichen Geldbußen, oder aber

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EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 60. EuGH, Rs. C-200/13 P (Rat / Bank Saderat Iran), ECLI:EU:C:2016:284, Rn. 70. 114 EuGH, Rs. C-200/13 P (Rat / Bank Saderat Iran), ECLI:EU:C:2016:284, Rn. 73 und die dort aufgeführte Rechtsprechung. 113

D. Überprüfung der prozeduralen Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips  

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wirtschafts- und finanzpolitischen Sanktionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder Organisationen.115 (b) Begrenzung durch die Kenntnis der klagenden Parteien Darüber hinaus macht der Gerichtshof das Maß der Substantiierung der Begründung in der Praxis von dem Kenntnisstand der Begründungsmangel rügenden Partei abhängig. Wird die angegriffene Maßnahme in einem Kontext erlassen, der der klagenden Partei bekannt ist, oder hat sie bereits auf andere Weise von den für den Erlass des Rechtsaktes maßgeblichen Gründen Kenntnis erlangt, senkt der EuGH in der Regel die Anforderungen an den Begründungsaufwand der handelnden Organe.116 Damit versucht das Gericht einem redundanten Begründungsauf­ wand entgegenzutreten. Entscheidend ist, dass den Adressaten des Rechtsaktes die Gründe für den Erlass der jeweiligen Maßnahme in „rechtlich hinreichender Weise“117 zur Kenntnis gebracht werden. Ist dies umfassend im Vorfeld der Maßnahme geschehen, kann sich die Begründungspflichtigkeit der Unionsorgane unter Umständen sogar auf null reduzieren.118 Wann das Kriterium der „rechtlich hinreichenden Weise“ erfüllt ist, hängt wiederum vom konkreten Einzelfall ab. Relevante Kenntnisse, die geeignet sind, eine (detaillierte) Begründung entbehrlich zu machen, können sich jedenfalls aus einem behördlichen Vorverfahren, das dem Erlass des streitigen Rechtsaktes vorausgeht, ergeben.119 Aber auch Schlichtungsverfahren, die im Vorfeld der angegriffenen Maßnahme stattfinden, sind dazu geeignet, Kenntnisse in rechtlich hinreichender Weise zu vermitteln.120 Generell ergeben sich daher für den Umfang der Begründungspflicht für Legislativakte, deren Adressaten die Mitgliedstaaten sind, geringere Anforderungen. Denn die Mitgliedstaaten sind zumeist am Erlass von Rechtsakten in der Europäischen Union beteiligt, etwa im Rahmen von Vorverhandlungen oder durch ihre Vertreter im Rat.121

115 EuGH, Rs. C-176/13 P (Rat / Bank Mellat), ECLI:EU:C:2016:96, Rn. 76; verb. Rsen. C-584/10 P, C-593/10 P und C-595/10 P, (Kommission u. a. / Kadi), ECLI:EU:C:2013:518, Rn. 116 und 118. 116 St. Rspr: EuGH, Rs. C-54/91 (Deutschland / Kommission), ECLI:EU:C:1993:258, Slg. 1993, I-3399, Rn. 10 f.; EuG, Rs. T-28/16 (Deutschland / Kommission), ECLI:EU:T:2017:242, Rn. 135 f. 117 EuGH, Rs. C-409/13 (Rat / Kommission), ECLI:EU:C:2015:217, Rn. 81. 118 EuGH, Rs. C-409/13 (Rat / Kommission), ECLI:EU:C:2015:217, Rn. 81. 119 Z. B. ein Vorverfahren im Bereich des Wettbewerbs- und Beihilfenrechts, vgl. EuGH, Rs. C-75/97 (Belgien / Kommission), ECLI:EU:C:1999:311, Slg. 1999 I-3671, Rn. 83. 120 EuG, Rs. T-28/16 (Deutschland / Kommission), ECLI:EU:T:2017:242, Rn. 135 f. 121 Vgl. zu dieser Einschätzung auch: Geismann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Das Europäische Unionsrecht, 7. Aufl., 2015, Band 4, Art. 296 AEUV, Rn. 18.

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Teil IV: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH   

Dass eine Verkürzung der Begründungspflicht auch im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsgrundsatzes durch etwaige Kenntnisse möglich ist, betont der Gerichtshof in seiner Entscheidung zur Bilanz-Richtlinie. Auf die Rüge eines Begründungsmangels der Richtlinie hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip durch die estnische Regierung entgegnet der EuGH: „Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Republik Estland nach den im AEU-Vertrag vorgesehenen Modalitäten an dem Gesetzgebungsverfahren zum Erlass der Richtlinie, die nach ihrem Art. 55 ebenso an sie wie an die anderen im Rat vertretenen Mitgliedstaaten gerichtet ist, beteiligt war. Daher kann sie sich jedenfalls nicht erfolgreich darauf berufen, dass das Parlament und der Rat, die die Richtlinie erlassen haben, ihr keine Gelegenheit gegeben hätten, die Gründe für die Wahl der von ihnen in Betracht gezogenen Maßnahme in Erfahrung zu bringen.“122 Der EuGH macht es damit für die Mitgliedstaaten sowie die nationalen Parlamente rechtlich fast unmöglich, einen Begründungsmangel hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips im Verfahren vor dem EuGH erfolgreich zu rügen. Dies gilt insbesondere für die nationalen Parlamente, die durch den Frühwarnmechanismus besonders eng am Gesetzgebungsverfahren beteiligt sind. cc) Anforderungen an die Form der Offenlegung Grundsätzlich ist die formelle Begründung nach Art. 296 Abs. 2 AEUV integra­ ler Bestandteil des erlassenen Rechtsaktes.123 Dies hat auch der Gerichtshof bestätigt, wenn er feststellt, dass Begründung und der verfügende Teil des Rechtsaktes ein „unteilbares Ganzes“124 bilden. Durch diese Verbindung von Begründung und Rechtsakt zu einer Einheit wird die Transparenzfunktion der allgemeinen Begründungspflicht gewährleistet.125 Bei Normativakten wird die Begründung dem Rechtsakt grundsätzlich in Form einer Präambel vorangestellt.126 Die Begründung und der Rechtsakt werden gleichzeitig bzw. simultan erlassen.127 Die Begründung und der erlassene Rechtsakt werden dadurch zu einer untrennbaren Einheit. Ein Nachschieben von Gründen kennt das Unionsprimärrecht dementsprechend nicht.128 122

EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 62. Vgl. Müller-Ibold, Die Begründungspflicht im europäischen Gemeinschaftsrecht und im deutschen Recht, 1990, S. 77. 124 EuGH, Rs. C-137/92 P, (Kommission / BASF u. a.), ECLI:EU:C:1994:247, Slg. 1994 I-2555, Rn. 67. 125 Vgl. nur: Geismann, in: von der Groeben / Schwarze / Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, Band 4, 7. Aufl., 2015, Art. 296 AEUV, Rn. 8 ff. 126 Krajewski / Rösslein, in: Grabitz / Hilf / Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 68. EL 2019, Art. 296 AEUV, Rn. 36. 127 Sladič, Die Begründung der Rechtsakte des Sekundärrechts der EG in der Rechtsprechung des EuGH und des EuG, ZfRV 2005, S. 123 (124 f.). 128 Vgl. EuGH, Rs. C-137/92 P, (Kommission / BASF u. a.), ECLI:EU:C:1994:247, Slg. 1994 I-2555, Rn. 67. 123

D. Überprüfung der prozeduralen Vorgaben des Subsidiaritätsprinzips  

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Obwohl der EuGH von diesem Formerfordernis in seiner Rechtsprechung nicht ausdrücklich abrückt, gerät die Idee von der Begründung als integralem Bestandteil des erlassenen Rechtsaktes im Verfahren vor dem EuGH zunehmend in Bedrängnis. Die Ursache hierfür ist die ständige Rechtsprechungspraxis des Gerichts, wonach die Einhaltung der Begründungspflicht nicht nur anhand des Wortlautes des Rechtsaktes beurteilt wird, sondern anhand aller Gesamtumstände des Einzelfalls.129 Damit werden zunehmend Umstände für die Einhaltung der Begründungspflicht relevant, die für den Adressaten der Begründung nicht unmittelbar aus dieser zu entnehmen sind. Im Hinblick auf das Erfordernis, einen Rechtsakt hinsichtlich der Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes zu begründen, handelt es sich hierbei primär um die Unterlagen des Entwurfs des Rechtsakts und dort insbesondere um die Folgenabschätzungsberichte, die dadurch für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer Maßnahme mit dem Grundsatz der Subsidiarität immer wichtiger werden. Als Beispiel kann hier wiederum die Entscheidung des EuGH zur Tabakprodukt-Richtlinie angeführt werden. Zu einem möglichen Verstoß gegen die Pflicht, einen Rechtsakt mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität zu begründen, stellt der Gerichtshof lakonisch fest: „Im vorliegenden Fall steht fest, dass der von der Kommission vorgelegte Vorschlag für eine Richtlinie und die von ihr erstellte Folgenabschätzung genügend Angaben enthalten, aus denen klar und eindeutig die Vorteile einer Maßnahme auf Unionsebene gegenüber einer Maßnahme auf Ebene der Mitgliedstaaten hervorgehen.“130 Ein Rückgriff auf die Entwurfsunterlagen als Begründung des Art. 296 Abs. 2 AEUV ist dabei nicht per se als unzulässig abzulehnen. Er bietet sich angesichts der Notwendigkeit der Übersichtlichkeit und des begrenzten Platzes für eine detaillierte Begründung im Rechtsakt selbst sogar an. Die oftmals umfangreiche Grundlage der Beurteilung der Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität kann schwerlich in den Präambeln des Rechtsaktes vollständig wiedergegeben werden. Rechtstechnisch setzt der Rückgriff auf die Entwurfsunterlagen allerdings einen Verweis durch die gesetzgebenden Organe in der Begründung des erlassenen Rechtsaktes voraus. Denn die Entwurfsunterlagen und der erlassene Rechtsakt stammen i. d. R. von verschiedenen Urhebern. Durch einen Verweis könnten sich das Europäische Parlament und der Rat die Ausführungen der Kommission im Entwurf zu eigen machen. Einen solchen Verweis fordern die EuGH-Richter aber gerade nicht und verwischen damit die Trennlinie zwischen der Rechtmäßigkeit der Gesetzesinitiative und des erlassenen Rechtsakts. Wirft man einen Seitenblick auf die Prüfung der Einhaltung der Begründungspflicht hinsichtlich des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, scheint dieser Rückgriff auf die Entwurfsunterlagen eher die Regel als die Ausnahme zu sein.131 Die 129

Teil IV, D. I. 2., S. 111 ff. EuGH, Rs. C-547/14 (Philip Morris Brands u. a.), ECLI:EU:C:2016:325, Rn. 226. 131 EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 26. 130

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Teil IV: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH   

Begründungen im Rechtsakt selbst wirken ohne den Verweis oftmals formelhaft, da lediglich verkürzt das Ergebnis des Beurteilungsprozesses dargestellt wird, aber nicht seine Grundlage. Ob eine solche Praxis mit der Transparenzfunktion der allgemeinen Begründungspflicht vereinbar ist, darf bezweifelt werden. dd) Zusammenfassung Der EuGH prüft im Zusammenhang mit der Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips keine andere Verfahrensbindung so häufig wie das Erfordernis, einen Rechtsakt hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips zu begründen. Die Einhaltung der Begründungspflichtigkeit messen die Unionsrichter am Maßstab des richterrechtlich konkretisierten Art. 296 Abs. 2 AEUV. Die Anforderungen, die der Gerichtshof bisher an das Erfordernis, einen Rechtsakt hinsichtlich der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu begründen, formuliert hat, müssen allerdings als marginal bezeichnet werden. In inhaltlicher Hinsicht sieht das Gericht von einer eindeutigen und klaren Darstellung der im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität angestellten Überlegungen ab. Eine Detaillierung der Begründung hält das Gericht in der Regel nicht für notwendig und das Erfordernis der dem Transparenzgebot entsprechenden Form gerät durch die Rechtsprechung des EuGH zunehmend in Bedrängnis. Eine umfassende Pflicht zur Offenlegung des Beurteilungsprozesses hinsichtlich der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips fordert das Gericht damit nicht. 3. Fazit In der Zusammenschau der relevanten Entscheidungen zeigt sich, dass der Gerichtshof im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsgrundsatzes schwerpunktmäßig das Erfordernis, einen Rechtsakt hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips zu begründen, in prozeduraler Hinsicht prüft. An den notwendigen Inhalt und Umfang sowie die äußere Form der Begründungspflicht formuliert der EuGH indes äußerst niedrige Anforderungen. Ähnlich verhält es sich mit der Pflicht zur Sachverhaltsermittlung des Unionsgesetzgebers im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips. Diese erkennt das Gericht vom Grund her zwar an, aber auch hier formuliert der EuGH keine weiter reichenden Verpflichtungen an den Unionsgesetzgeber. Weitere vorgangsbezogene Pflichten formuliert der Gerichtshof im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips indes nicht. Die Verfahrensgarantie des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll wird im Verfahren durch den EuGH bisher nicht effektiv zur Anwendung gebracht. Damit wird eine zentrale Garantie des Frühwarnmechanismus durch den EuGH beschnitten. Hierdurch wird die Rolle der nationalen Parlamente als Hüter der Subsidiarität im Ergebnis geschwächt.

E. Prozessuale Pflichten des Unionsgesetzgebers  

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Insgesamt zeichnet sich die Tendenz ab, dass der Unionsgesetzgeber seinen vorgangsbezogenen Pflichten im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips bereits dann nachkommt, wenn seiner Beurteilungsentscheidung ein Folgenabschätzungsbericht zugrunde liegt.

II. Verfahrensbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers Der Gerichtshof hat in seinen Entscheidungen zur Tabakprodukt-Richtlinie festgestellt, dass zu seinen Aufgaben auch die Kontrolle der Verfahrensgarantien des Protokolls Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit gehört. Der Gerichtshof führt aus: „Was erstens die richterliche Kontrolle der Beachtung der im Protokoll Nr. 2 vorgesehenen Verfahrensgarantien angeht, ist festzustellen, dass sich im vorliegenden Fall die von den nationalen Parlamenten nach diesem Protokoll abgegebenen begründeten Stellungnahmen in den durch dieses Protokoll eingeführten politischen Mechanismus der Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips einfügen. In diesem Kontext hat der Gerichtshof lediglich die Beachtung der im genannten Protokoll vorgesehenen Verfahrensgarantien zu überprüfen. Der Gerichtshof ist jedoch im vorliegenden Fall mit keinem entsprechenden Antrag befasst worden.“132 Damit gibt der EuGH zu erkennen, dass er die rechtliche Absicherung des Frühwarnmechanismus grundsätzlich als seine Aufgabe erachtet. Dementsprechend können die nationalen Parlamente die Verfahrensbindungen durch den EuGH prüfen lassen. Wie weit die Verfahrensbindungen in der Praxis reichen, lässt sich aufgrund der Inferiorität der Erkenntnisgrundlage (leider) nicht ausloten. Pessimistisch müssen hier die Ausführungen zur Nichtanwendung der Norm des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll stimmen.133

E. Prozessuale Pflichten des Unionsgesetzgebers Die Frage nach der Zuordnung der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität im Verfahren vor dem EuGH lässt sich nicht einfach und klar i. S. einer eindeutigen Zuweisung an eine Partei beantworten. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs erscheint diesbezüglich wenig systematisch, was primär dem Umstand geschuldet ist, dass der EuGH keine einheitliche Terminologie in diesem Zusammenhang verwendet.134 Die Begriffe „darlegen“, „nachweisen“ und „begründen“ werden oftmals synonym verwendet. Dies verwischt die Trennlinie zwischen der Frage nach den Anforderungen an das 132

EuGH, Rs. C-477/14 (Pillbox 38), ECLI:EU:C:2016:324, Rn. 147. S. Teil IV. D. I. 2. a), S. 111 f. 134 S. zur Terminologie: Teil I. B. II. 2., S. 22 ff. 133

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Teil IV: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH   

Erfordernis, einen Rechtsakt hinsichtlich des Subsidiaritätsprinzips zu begründen, und der Frage nach der Darlegungs- und Beweislast im Verfahren vor dem EuGH. Über den Einzelfall hinaus scheint der EuGH allerdings von einer geteilten Darlegungs- und Beweislastverteilung auszugehen. Im Hinblick auf die Einhaltung des Negativkriteriums  – wenn dieses überhaupt geprüft wird  – nimmt das Gericht an, dass die klagende Partei die Einhaltung nachweisen müsse, während im Hinblick auf das Positivkriterium die handelnden Unionsorgane die Darlegungsund Beweislast trifft. So wies der EuGH die Klage Luxemburgs gegen einzelne Bestimmungen einer Richtlinie ab, die die Festlegung von Flughafenentgelten in den Mitgliedstaaten regelt135, weil die luxemburgische Regierung ihren prozessualen Pflichten im Hinblick auf den Grundsatz der Subsidiarität nicht hinreichend nachgekommen sei: „Im vorliegenden Fall hat das Großherzogtum Luxemburg seinen dritten Klagegrund nicht derart substantiiert dargelegt, dass sich gerichtlich überprüfen ließe, wie das mit der Richtlinie 2009/12 verfolgte Ziel in einem Mitgliedstaat, in dem der Hauptflughafen die in Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie vorgesehene Mindestgröße nicht erreicht, mit einer nationalen Regelung erreicht werden könnte.“136 Damit stehen die klagenden Parteien vor der Aufgabe, darzulegen und gegebenen­ falls zu beweisen, dass das mit der Maßnahme anvisierte Ziel auf der Ebene der Mitgliedstaaten ausreichend erreicht werden kann. An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, wie eine solche Aufgabe in der Praxis zu bewältigen sein soll. Dafür müsste zumindest Klarheit über die Anforderungen an eine solche Darlegungs- und Beweislast geschaffen werden. Die Reichweite und die Grenzen hat der Gerichtshof bisher indes nicht ausgelotet. Allerdings hat der EuGH betont, dass die besondere Situation eines Mitgliedstaates, der im Hinblick auf die vom Unionsgesetzgeber verfolgten Ziele bereits weiter fortgeschritten sei als andere, nicht zu einer Ungül­ tigkeit der Maßnahme der Union wegen eines Verstoßes gegen das Subsidiaritätsprinzip führe.137 Demzufolge reichte die reine Darlegung und Beweisführung der nationalen Handlungsfähigkeit einzelner Mitgliedstaaten nicht aus. Eine ausreichende Zielverwirklichung sämtlicher Mitgliedstaaten darzulegen und zu beweisen dürfte die Kläger in der Praxis vor eine Herkulesaufgabe stellen, die die Einklagbarkeit des Grundsatzes der Subsidiarität, der ja gerade die mitgliedstaatlichen Kompetenzen schützen soll, an der Quelle beschneidet. Im Hinblick auf die Handlungseffektivität scheint das Gericht die Darlegungsund Beweislastverteilung dann zulasten des Unionsgesetzgebers umzukehren. In den Entscheidungen zur Tabakprodukt-Richtlinie spricht das Gericht davon, dass der Unionsgesetzgeber „hinreichend nachgewiesen“ habe, dass das mit der Maßnahme anvisierte Ziel „besser“ durch die Ebene der Europäischen Union zu errei 135

RL 2009/12/EG, ABl. EU 2009 L 70/11. EuGH, Rs. C-176/09 (Luxemburg / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2011:290, Slg. 2011, I-3727, Rn. 80. 137 EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403, Rn. 54. 136

F. Fazit  

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chen sei.138 Dies deutet darauf hin, dass im Hinblick auf die Einhaltung des Positivkriteriums der Unionsgesetzgeber die Darlegungs- und Beweislast tragen soll. Insgesamt scheint der EuGH von einer zweigeteilten Darlegungs- und Beweislast im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips auszugehen. Aufgrund der inkonsistenten Terminologie sowie der Inferiorität der Erkenntnisgrundlage liegt in dieser Aussage aber mehr eine falsifizierbare These als eine eindeutige Erkenntnis.

F. Fazit Die vorliegende Untersuchung versucht nachzuvollziehen, ob und wie der Gerichtshof der Europäischen Union das Subsidiaritätsprinzip rechtlich zur Anwendung bringt. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass der EuGH die Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips als Aufgabe der europäischen Gerichtsbarkeit begreift. Der Gerichtshof kontrolliert einerseits die Einhaltung des im Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit festgelegten politischen Verfahrens des Frühwarnmechanismus und sichert dieses rechtlich ab. Andererseits unterwirft der EuGH den erlassenen Rechtsakt einer rechtlichen Subsidiaritätskontrolle am Maßstab des Art. 5 Abs. 3 EUV. Im Hinblick auf die Regelungen des Frühwarnmechanismus hat der EuGH zunächst festgelegt, dass er von einem Vorrang der politischen Kontrolle in dessen Anwendungsbereich ausgeht. Die Unionsrichter geben damit zu erkennen, dass sie die Einhaltung der Verfahrensgarantien des Protokolls Nr. 2 über die Anwendung der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit prüfen, sofern ein entsprechender Verstoß von den nationalen Parlamenten bzw. den nach Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll Klagebefugten gerügt wird. Im Subsidiaritätsklageverfahren nach Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll können die Klagebefugten damit in jedem Fall Verstöße des Unionsgesetzgebers gegen die Verfahrensbindungen des Subsidiaritätsprotokolls geltend machen. Zur Reichweite der Kontrolle der Verfahrensgarantien des Frühwarnmechanismus lassen sich aufgrund der Inferiorität der Erkenntnisgrundlage nur vorsichtige Erkenntnisse formulieren. Welche Anforderungen das Gericht an diese Verfahrensbindungen formuliert, lässt sich mangels eines Präzedenzfalles nicht erhellen. Pessimistisch muss hier allerdings stimmen, dass der EuGH die Norm des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll, die auch den Schutz der nationalen Parlamente bezweckt, im gerichtlichen Verfahren bisher nicht effektiv zur Anwendung gebracht hat. Darüber hinaus prüft der EuGH die Vereinbarkeit des erlassenen Rechtsaktes mit den Vorgaben des Art. 5 Abs. 3 EUV. In den zwei Dekaden seiner Anwendung ist es dem Gerichtshof dabei indes nicht gelungen, die Subsidiaritätskriterien als eigenständigen gerichtlichen Entscheidungsmaßstab fruchtbar zu machen. Der 138

EuGH, Rs. C-547/14 (Philip Morris Brands u. a.), ECLI:EU:C:2016:325, Rn. 227.

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Teil IV: Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH   

tautologische Schluss vom Vorliegen einer Harmonisierungskompetenz auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips hat vielmehr zu einer Kongruenz zwischen den Anforderungen an das Vorliegen einer Harmonisierungskompetenz und denen der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips geführt. Ebenso wenig sichert der EuGH das Subsidiaritätsprinzip durch weitreichende Verfahrensbindungen des Unionsgesetzgebers ab. Zwar erkennt der Gerichtshof Sachverhaltsermittlungspflichten sowie Offenlegungspflichten im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips an. Die praktisch formulierten Anforderungen an diese Verfahrensbindungen bleiben indes weit hinter den normativen Anforderungen zurück. Bisher konnte der Unionsgesetzgeber seinen Verfahrensbindungen in jedem Fall durch die Beibringung eines Folgenabschätzungsberichtes in dem Entwurf des Gesetzgebungsakts nachkommen. Welche Daten und wie die Daten zu ermitteln sind, gibt der EuGH dabei nicht vor. Ebenfalls muss der Unionsgesetzgeber nicht transparent machen, inwiefern die in den Folgenabschätzungsberichten angegebenen Daten in die Beurteilung der Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität eingeflossen sind, d. h. die Genese der Beurteilungsentscheidung ist für die mitgliedstaatlichen Gubernativen sowie die nationalen Parlamente oftmals nicht nachvollziehbar. Hierin liegt ein Verstoß gegen das unionale Transparenzgebot. In der Zusammenschau der Urteile tritt im Hinblick auf die rechtliche Kontrolle des Grundsatzes der Subsidiarität durch den EuGH eher Ernüchterung auf. Sowohl im Hinblick auf die Verfahrensgarantien als auch im Hinblick auf die Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 EUV hat das Subsidiaritätsprinzip die Ebene politischer Proklamation, auch nach zwei Dekaden, kaum verlassen. Vielmehr scheint sich die bereits von Dieter Grimm formulierte Erkenntnis, dass eine Norm nicht dadurch justiziabel wird, dass ein Gericht sie trotzdem anwendet, bestätigt zu haben.139 Von einer effektiven Kontrolle und Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH kann jedenfalls nicht die Rede sein.

139

Grimm, Effektivität und Effektivierung des Subsidiaritätsprinzips, KritV 1/1994, S. 6 (9).

Teil V

Zusammenfassung der Untersuchung in Thesen A. Teil II: Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips als Herausforderung für den EuGH – Bei dem Subsidiaritätsprinzip handelt es sich um einen Rechtsgrundsatz der Europäischen Union, der in Art. 5 Abs. 3 EUV normiert ist. – Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll hat die Frage nach der Justiziabilität des Subsidiaritätsprinzips endgültig beantwortet. – Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips ist nach dem Unionsprimärrecht damit ausdrücklich Aufgabe des EuGH (Art. 19 Abs. 1 EUV i. V. m. Art. 8 Subsidiaritätsprotokoll). – Europarechtlich und -politisch kommt dem Subsidiaritätsprinzip die Funktion einer Kompetenzausübungsschranke der Europäischen Union zu. – Die subsidiaritätsgerechte Ausübung der weitgespannten Legislativkompetenzen der Europäischen Union wird durch ein dichotomisches Schutzkonzept im Unionsprimärrecht sichergestellt. – Zunächst handelt es sich bei dem Subsidiaritätsprinzip um ein rechtliches Instrument zur Beschränkung der Ausübung von Legislativkompetenzen durch die Europäische Union. – In dieser Funktion kann die materiell-rechtliche Ausgestaltung des Subsidiaritätsprinzips durch die Kriterien der „nicht ausreichenden“ Zielverwirklichung der Mitgliedstaaten (Negativ- bzw. Insuffizienzkriterium) und der „besseren“ Zielerreichung durch die Europäische Union (Positiv- bzw. Effizienzkriterium) nicht überzeugen. – Die Kriterien des Art. 5 Abs. 3 EUV können deshalb nicht allein Anknüpfungspunkt für eine funktionsgerechte, rechtliche Kontrolle durch den EuGH sein. – Der EuGH muss im Subsidiaritätsklageverfahren vielmehr das prüfen, was er sinnvollerweise prüfen kann. Dies sind die Verfahrensbindungen des Unionsgesetzgebers im Hinblick auf die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. – Die strenge Bindung des Unionsgesetzgebers kann eine gewisse Garantie dafür bieten, eine funktionsgerechte Anwendung des Subsidiaritätsprinzips in der Rechtspraxis zu gewährleisten.

132

Teil V: Zusammenfassung der Untersuchung in Thesen 

– Darüber hinaus ist das Subsidiaritätsprinzip als Mitwirkungskonzept der nationalen Parlamente im Recht der Europäischen Union verwirklicht. – Bei dem Mitwirkungskonzept handelt es sich um einen politischen Mechanismus, der durch Verfahrensgarantien im Unionsprimärrecht rechtlich abgesichert ist. – Die Kontrolle und effektive Absicherung dieser Verfahrensgarantien ist ebenfalls Aufgabe des EuGH. – Insgesamt kann eine rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips nur durch die engmaschige Kontrolle von Verfahrensbindungen durch den EuGH gelingen.

B. Teil III: Die rechtliche Kontrolle durch eine prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre des Unionsgesetzgebers – Der Ansatz, das Subsidiaritätsprinzip durch engmaschige Verfahrensbindungen rechtlich abzusichern, spiegelt sich umfassend im Unionsprimärrecht wider. – Im Unionsprimärrecht ist das Subsidiaritätsprinzip durch eine weitreichende prozedurale Fehler- und Pflichtenlehre rechtlich abgesichert. – Dies betrifft zum einen die Methodik der Entscheidungsfindung – also die Frage, wie der Unionsgesetzgeber die ihm im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips zukommende Einschätzungsprärogative ausfüllen muss. – Diese Pflichten können als vorgangsbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips bezeichnet werden. – Den Unionsgesetzgeber trifft diesbezüglich zunächst die Pflicht zur Ermittlung einer ausreichenden Erkenntnisgrundlage für die Beurteilung der Vereinbarkeit des Regelungsvorhabens mit dem Subsidiaritätsprinzip. – Die Erkenntnisgrundlage muss methodisch einwandfrei ermittelt sein. – Als Ermittlungsmethoden gibt das Subsidiaritätsprotokoll zum einen die Pflicht zur Durchführung umfangreicher Anhörungen durch die Kommission und zum anderen die Pflicht zur prospektiven Folgenabschätzung vor. – Im Rahmen der Anhörungen kommt der Konsultation des Ausschusses der Regionen eine besondere Bedeutung zu, da er die lokalen und regionalen Ebenen der Mitgliedstaaten auf der Ebene der Europäischen Union vertritt. – Im Rahmen der prospektiven Folgenabschätzung sind insbesondere die finanziellen Auswirkungen sowie der administrative Vollzugsaufwand für die Mitgliedstaaten zu erfassen. – Die durch die Folgenabschätzung ermittelten Daten müssen realitätsgerecht, nachvollziehbar und aussagekräftig sein.

B. Teil III 

133

– Damit ist der Ansatz der Gesetzesfolgenabschätzung erstmals verbindlich im Unionsprimärrecht geregelt. – Auf der Grundlage der ermittelten Daten muss sodann eine Beurteilungsentscheidung über die Vereinbarkeit des Regelungsvorhabens mit dem Subsidiaritätsprinzip getroffen werden. – Für die Beurteilungsentscheidung sieht das Unionsprimärrecht Direktiven vor. Insbesondere die ermittelten Interessen der lokalen sowie regionalen Ebenen der Mitgliedstaaten müssen besonders gewichtet werden. – Justiziabel werden die vorgangsbezogenen Pflichten erst durch eine umfassende Pflicht zur Offenlegung der Beurteilungsentscheidung. – Anknüpfungspunkte für die Offenlegungspflicht sind Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll und Art. 296 Abs. 2 AEUV. – Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll ordnet eine umfassende Offenlegung der Beurteilungsentscheidung in den Unterlagen des Gesetzgebungsentwurfs an. – Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll erfüllt dabei eine Zwitterfunktion. Zum einen stellt die Norm eine wesentliche Verfahrensgarantie im Verfahren des Frühwarnmechanismus dar und zum anderen dient sie der Unionsgerichtsbarkeit als Anknüpfungspunkt für eine Kontrolle. – Dementsprechend drängt die Norm in einem besonderen Maße auf Transparenz. – Die Unterlagen eines Gesetzgebungsakts müssen demnach einen abgegrenzten Vermerk enthalten, der die Beurteilungsgrundlage sowie dessen Genese und Ergebnis enthält. – Art. 296 Abs. 2 AEUV bindet das Europäische Parlament und den Rat als die eigentlichen Gesetzgeber. Sie müssen im fertigen Gesetz offenlegen, inwiefern dieses mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. – Dazu können sie auf die Unterlagen des Entwurfs verweisen. Es gilt insoweit eine verkürzte Offenlegungspflicht. – Eine Ausnahme gilt aber dann, wenn es sich um einen Rechtsakt ohne Gesetzgebungscharakter handelt. Dann müssen Parlament und Rat ausführlich im fertigen Legislativakt dokumentieren, warum der Rechtsakt mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht. – Ein Verstoß gegen die vorgangsbezogenen Pflichten im Anwendungsbereich des Subsidiaritätsprinzips führt zur Nichtigkeit des fertigen Gesetzes. – Darüber hinaus sind die „weichen“ Rechtsfolgen des Frühwarnmechanismus als justiziable Pflichten im Subsidiaritätsprotokoll geregelt. – Eine gerichtliche Kontrolle kann hier allerdings erst ab der Schwelle des Erreichens des Verfahrens der „gelben Karte“ einsetzen.

134

Teil V: Zusammenfassung der Untersuchung in Thesen 

– Insgesamt wird deutlich, wie eng die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips mit den Anforderungen an eine optimale Gesetzgebung verbunden ist. – Der Ansatz im Unionsprimärrecht kann in Anlehnung an den aus der deutschen Staatsrechtslehre bekannten Topos als „Subsidiaritätsschutz durch Organisation und Verfahren“ bezeichnet werden.

C. Teil IV: Die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips durch den EuGH – In der Rechtspraxis spiegelt sich der normative Ansatz „Subsidiaritätsschutz durch Organisation und Verfahren“ nicht wider. – Der EuGH versteht die rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips zwar als Aufgabe des Unionsrichters, entnimmt dem Subsidiaritätsprinzip aber weder in materiell-rechtlicher noch in prozeduraler Hinsicht weitreichende Bindungen. – In materiell-rechtlicher Hinsicht setzt der EuGH die Voraussetzungen des Vorliegens einer Harmonisierungskompetenz mit der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips gleich. – Eine kompetenzbegrenzende Funktion kommt dem Subsidiaritätsprinzip in der Rechtspraxis deshalb nicht zu. – In prozeduraler Hinsicht prüft der EuGH zwar vorgangsbezogene Pflichten des Unionsgesetzgebers, die Anforderungen sind indes marginal. – Dies sind zum einen die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung und zum anderen die Pflicht, einen Legislativakt mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip zu begründen. – Im Hinblick auf die Sachverhaltsermittlungspflicht kommt es lediglich darauf an, dass die Beurteilung der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips auf objektiven Kriterien beruht. – Im Hinblick auf die Begründungspflicht kann negativ festgestellt werden, dass der Unionsgesetzgeber weder zu einer eindeutigen und klaren noch zu einer ausführlichen Begründung im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip verpflichtet ist. – Die Norm des Art. 5 Subsidiaritätsprotokoll lässt das Gericht bisweilen unangewendet. – Ob ein Verstoß gegen vorgangsbezogene Pflichten (auch) in der Rechtspraxis zur Nichtigkeit führt, kann nicht beantwortet werden, da der EuGH einen entsprechenden Verstoß bisher nicht angenommen hat. – Im Hinblick auf den Frühwarnmechanismus gibt der EuGH zu erkennen, dass er die verfahrensbezogenen Pflichten des Unionsgesetzgebers prüft.

C. Teil IV 

135

– Wie eine solche Überprüfung in der Praxis aussieht, kann aufgrund der Inferiorität der Erkenntnisgrundlage nicht erhellt werden. – Insgesamt nimmt der EuGH keine ausreichende rechtliche Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips vor. – Die in der Einleitung aufgeworfene Frage muss damit mit dem aufgezeichneten Szenario beantwortet werden, dass der EuGH seinem Rechtsschutzauftrag des Art. 19 Abs. 1 EUV nicht ausreichend nachkommt.

Anhang Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – PROTOKOLLE – Protokoll (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit Amtsblatt Nr. 115 vom 09/05/2008 S. 0206–0209 PROTOKOLL (Nr. 2) ÜBER DIE ANWENDUNG DER GRUNDSÄTZE DER SUBSIDIARITÄT UND DER VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT DIE HOHEN VERTRAGSPARTEIEN – IN DEM WUNSCH sicherzustellen, dass die Entscheidungen in der Union so bürgernah wie möglich getroffen werden, ENTSCHLOSSEN, die Bedingungen für die Anwendung der in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit festzulegen und ein System zur Kontrolle der Anwendung dieser Grundsätze zu schaffen – SIND über folgende Bestimmungen ÜBEREINGEKOMMEN, die dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügt sind: Artikel 1 Jedes Organ trägt stets für die Einhaltung der in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit Sorge. Artikel 2 Die Kommission führt umfangreiche Anhörungen durch, bevor sie einen Gesetzgebungsakt vorschlägt. Dabei ist gegebenenfalls der regionalen und lokalen Bedeutung der in Betracht gezogenen Maßnahmen Rechnung zu tragen. In außergewöhnlich dringenden Fällen führt die Kommission keine Konsultationen durch. Sie begründet dies in ihrem Vorschlag. Artikel 3 Im Sinne dieses Protokolls bezeichnet „Entwurf eines Gesetzgebungsakts“ die Vorschläge der Kommission, die Initiativen einer Gruppe von Mitgliedstaaten, die Initiativen des Europäischen Parlaments, die Anträge des Gerichtshofs, die Empfehlungen der Europäischen Zentralbank und die Anträge der Europäischen Investitionsbank, die den Erlass eines Gesetzgebungsakts zum Ziel haben. Artikel 4 Die Kommission leitet ihre Entwürfe für Gesetzgebungsakte und ihre geänderten Entwürfe den nationalen Parlamenten und dem Unionsgesetzgeber gleichzeitig zu.

Anhang

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Das Europäische Parlament leitet seine Entwürfe von Gesetzgebungsakten sowie seine ge­ änderten Entwürfe den nationalen Parlamenten zu. Der Rat leitet die von einer Gruppe von Mitgliedstaaten, vom Gerichtshof, von der Euro­ päischen Zentralbank oder von der Europäischen Investitionsbank vorgelegten Entwürfe von Gesetzgebungsakten sowie die geänderten Entwürfe den nationalen Parlamenten zu. Sobald das Europäische Parlament seine legislativen Entschließungen angenommen und der Rat seine Standpunkte festgelegt hat, leiten sie diese den nationalen Parlamenten zu. Artikel 5 Die Entwürfe von Gesetzgebungsakten werden im Hinblick auf die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit begründet. Jeder Entwurf eines Gesetzgebungsakts sollte einen Vermerk mit detaillierten Angaben enthalten, die es ermöglichen zu beurteilen, ob die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit eingehalten wurden. Dieser Vermerk sollte Angaben zu den voraussichtlichen finanziellen Auswirkungen sowie im Fall einer Richtlinie zu den Auswirkungen auf die von den Mitgliedstaaten zu erlassenden Rechtsvorschriften, einschließlich gegebenenfalls der regionalen Rechtsvorschriften, enthalten. Die Feststellung, dass ein Ziel der Union besser auf Unionsebene erreicht werden kann, beruht auf qualitativen und, soweit möglich, quantitativen Kriterien. Die Entwürfe von Gesetzgebungsakten berücksichtigen dabei, dass die finanzielle Belastung und der Verwaltungsaufwand der Union, der nationalen Regierungen, der regionalen und lokalen Behörden, der Wirtschaftsteilnehmer und der Bürgerinnen und Bürger so gering wie möglich gehalten werden und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen müssen. Artikel 6 Die nationalen Parlamente oder die Kammern eines dieser Parlamente können binnen acht Wochen nach dem Zeitpunkt der Übermittlung eines Entwurfs eines Gesetzgebungsakts in den Amtssprachen der Union in einer begründeten Stellungnahme an die Präsidenten des Euro­päischen Parlaments, des Rates und der Kommission darlegen, weshalb der Entwurf ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Dabei obliegt es dem jeweiligen nationalen Parlament oder der jeweiligen Kammer eines nationalen Parlaments, gegebenenfalls die regionalen Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnissen zu konsultieren. Wird der Entwurf eines Gesetzgebungsakts von einer Gruppe von Mitgliedstaaten vorgelegt, so übermittelt der Präsident des Rates die Stellungnahme den Regierungen dieser Mitgliedstaaten. Wird der Entwurf eines Gesetzgebungsakts vom Gerichtshof, von der Europäischen Zentralbank oder von der Europäischen Investitionsbank vorgelegt, so übermittelt der Präsident des Rates die Stellungnahme dem betreffenden Organ oder der betreffenden Einrichtung. Artikel 7 (1) Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission sowie gegebenenfalls die Gruppe von Mitgliedstaaten, der Gerichtshof, die Europäische Zentralbank oder die Europäische Investitionsbank, sofern der Entwurf eines Gesetzgebungsakts von ihnen vorgelegt wurde, berücksichtigen die begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente oder einer der Kammern eines dieser Parlamente.

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Jedes nationale Parlament hat zwei Stimmen, die entsprechend dem einzelstaatlichen parlamentarischen System verteilt werden. In einem Zweikammersystem hat jede der beiden Kammern eine Stimme. (2) Erreicht die Anzahl begründeter Stellungnahmen, wonach der Entwurf eines Gesetzgebungsakts nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht, mindestens ein Drittel der Gesamtzahl der den nationalen Parlamenten nach Absatz 1 Unterabsatz 2 zugewiesenen Stimmen, so muss der Entwurf überprüft werden. Die Schwelle beträgt ein Viertel der Stimmen, wenn es sich um den Entwurf eines Gesetzgebungsakts auf der Grundlage des Artikels 76 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union betreffend den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts handelt. Nach Abschluss der Überprüfung kann die Kommission oder gegebenenfalls die Gruppe von Mitgliedstaaten, das Europäische Parlament, der Gerichtshof, die Europäische Zentralbank oder die Europäische Investitionsbank, sofern der Entwurf eines Gesetzgebungsakts von ihr beziehungsweise ihm vorgelegt wurde, beschließen, an dem Entwurf festzuhalten, ihn zu ändern oder ihn zurückzuziehen. Dieser Beschluss muss begründet werden. (3) Außerdem gilt im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens Folgendes: Erreicht die Anzahl begründeter Stellungnahmen, wonach der Vorschlag für einen Gesetzgebungsakt nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht, mindestens die einfache Mehrheit der Gesamtzahl der den nationalen Parlamenten nach Absatz 1 Unterabsatz 2 zugewiesenen Stimmen, so muss der Vorschlag überprüft werden. Nach Abschluss dieser Überprüfung kann die Kommission beschließen, an dem Vorschlag festzuhalten, ihn zu ändern oder ihn zurückzuziehen. Beschließt die Kommission, an dem Vorschlag festzuhalten, so hat sie in einer begründeten Stellungnahme darzulegen, weshalb der Vorschlag ihres Erachtens mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht. Die begründete Stellungnahme der Kommission wird zusammen mit den begründeten Stellungnahmen der nationalen Parlamente dem Unionsgesetzgeber vorgelegt, damit dieser sie im Rahmen des Verfahrens berücksichtigt: a) Vor Abschluss der ersten Lesung prüft der Gesetzgeber (das Europäische Parlament und der Rat), ob der Gesetzgebungsvorschlag mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht; hierbei berücksichtigt er insbesondere die angeführten Begründungen, die von einer Mehrheit der nationalen Parlamente unterstützt werden, sowie die begründete Stellungnahme der Kommission. b) Ist der Gesetzgeber mit der Mehrheit von 55 % der Mitglieder des Rates oder einer Mehrheit der abgegebenen Stimmen im Europäischen Parlament der Ansicht, dass der Vorschlag nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip im Einklang steht, wird der Gesetzgebungsvorschlag nicht weiter geprüft. Artikel 8 Der Gerichtshof der Europäischen Union ist für Klagen wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts gegen das Subsidiaritätsprinzip zuständig, die nach Maßgabe des Artikels 263 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union von einem Mitgliedstaat erhoben oder entsprechend der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung von einem Mitgliedstaat im Namen seines nationalen Parlaments oder einer Kammer dieses Parlaments übermittelt werden. Nach Maßgabe des genannten Artikels können entsprechende Klagen in Bezug auf Gesetzgebungsakte, für deren Erlass die Anhörung des Ausschusses der Regionen nach dem Vertrag

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über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorgeschrieben ist, auch vom Ausschuss der Regionen erhoben werden. Artikel 9 Die Kommission legt dem Europäischen Rat, dem Europäischen Parlament, dem Rat und den nationalen Parlamenten jährlich einen Bericht über die Anwendung des Artikels 5 des Vertrags über die Europäische Union vor. Dieser Jahresbericht wird auch dem Wirtschaftsund Sozialausschuss und dem Ausschuss der Regionen zugeleitet.

Rechtsprechungsverzeichnis Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH): EuGH, Rs. C-493/17 (Weiss u. a.), ECLI:EU:C:2018:1000. EuGH, Rs. C-151/17 (Swedish Match), ECLI:EU:C:2018:938, Rn. 78. EuGH, Rs. C-643/16 (American Express), ECLI:EU:C:2018:67. EuGH, verb. Rsen C-643/15 und 647/15 (Slowakai / Rat), ECLI:EU:C:2017:631. EuGH, Rs. C-62/14 (Gauweiler u. a.), ECLI:EU:C:2015:400. EuGH, Rs. C-358/14 (Polen / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2016:323. EuGH, Rs. C-477/14 (Pillbox 38), ECLI:EU:C:2016:324. EuGH, Rs. C-547/14 (Philip Morris Brands u. a.), ECLI:EU:C:2016:325. EuGH, Rs. C-508/13 (Bilanz-Richtlinie), ECLI:EU:C:2015:403. EuGH, Rs. C-409/13 (Rat / Kommission), ECLI:EU:C:2015:217, Rn. 81. EuGH, Rs. C-200/13 P (Rat / Bank Saderat Iran), ECLI:EU:C:2016:284, Rn. 70. EuGH, Rs. C-176/13 P (Rat / Bank Mellat), ECLI:EU:C:2016:96. EuGH, verb. Rsen. C-584/10 P, C-593/10 P (u. a.), (Kommission / Kadi), ECLI:EU:C:2013:518. EuGH, Rs. C-15/10 (Etimine), ECLI:EU:C:2011:504, Slg. 2011, I-6681. EuGH, Rs. C-176/09 (Luxemburg / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2011:290, Slg. 2011, I-3727. EuGH, Rs. C-58/08 (Vodafone u. a.), ECLI:EU:C:2010:321, Slg. 2010, I-4999. EuGH, Rsen. C-154/04 u155/04 (Alliance for Natural Health u. a.), ECLI:EU:C:2005:449, Slg. 2005, I-6451. EuGH, Rs. C-491/01 (British American Tobacco), ECLI:EU:C:2002:741, Slg. 2002, I-11453. EuGH, C-378/00 (Kommission / Parlament und Rat), ECLI:EU:C:2003:42, Slg. 2003, I-937. EuGH, Rs. C-242/99 (Vogler), ECLI:EU:C:2000:582, Slg. 2000, I-9083. EuGH, Rs. C-377/98 (Biopatent-Richtlinie), ECLI:EU:C:2001:523, Slg. 2001, I-7079. EuGH, Rs. C-75/97 (Belgien / Kommission), ECLI:EU:C:1999:311, Slg. 1999 I-3671EuGH, Rs. C-233/94 (Einlagensicherungs-Richtlinie), ECLI:EU:C:1997:231, Slg. 1997, I-2405. EuGH, Rs. C-84/94 (Arbeitszeit-Richtlinie), ECLI:EU:C:1996:431, Slg. 1996, I-5755. EuGH, Rs. C-137/92 P, (Kommission / BASF u. a.), ECLI:EU:C:1994:247, Slg. 1994 I-2555. EuGH, Rs. C-54/91 (Deutschland / Kommission), ECLI:EU:C:1993:258, Slg. 1993, I-3399.

Rechtsprechungsverzeichnis EuGH, Rs. 185/85 (Usinor / Kommission), ECLI:EU:C:1986:276, Slg. 1986, 2079. Entscheidungen des Gerichts der Europäischen Union (EuG) EuG, Rs. T-28/16 (Deutschland / Kommission), ECLI:EU:T:2017:242. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) BVerfGE 123, 267.

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Sachverzeichnis Abwägungsentscheidung  43, 63 f., 66, 77, 79, 88, 98, 111 Abwägungspflicht  62 ff., 111 Anhörungspflicht  56 ff. Ausschuss der Regionen  51, 57 Begründete Stellungnahmen  44 f., 85, 88 Begründungspflicht s. unter Offenlegungspflicht Berücksichtigungspflicht  77 f., 80, 86 f. Beurteilungsspielraum s. unter Einschätzungsprärogative Beweislast  23 ff., 88 ff., 127 Darlegungslast  24, 88 ff., 127 Effizienzkriterium s. unter Positivkriterium Einschätzungsprärogative  40 ff., 54 Entwurf eines Gesetzgebungsakts  30, 65, 78, 86, 111 Frühwarnmechanismus  44 ff., 50, 55, 64 ff., 77 ff., 87, 95 f., 111 f., 126 f., 129, 133 f. Gesetzesfolgenabschätzungen  58 ff., 110 f., 133 Gesetzgebungsakt 29 Gesetzgebungsverfahren – Ordentliches  28, 30, 45, 84 f., 86 ff. – Besonderes  28, 30, 85

Materielle Subsidiarität  37 ff., 104 ff. Methodik – Rechtssprechungsanalyse  93 f. Nationale Parlamente  36, 44 ff., 51, 55, 58, 65, 68, 76, 77 ff., 95, 112, 124 ff., 132 – Rügerecht  83 f., 91 Negativkriterium  38, 41 ff., 64, 96 ff., 102, 128, 131 Offenlegungspflicht  46, 49, 65 ff., 69 ff., 82, 111 ff., 130, 133 Politisches Mitwirkungskonzept  44 ff. Positivkriterium  38 f., 42 f., 96 ff., 100 ff., 104 ff., 128 f., 131 Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung  37 f., 53, 71 Prozedurale Pflichten  21 ff., 26 f., 29 f., 55, 56 ff., 107 ff. Prozessuale Pflichten  22 f., 88 ff., 127 Rechtssprechungsanalyse  93 ff. Reformbestrebungen  34 ff., 100 ff.

Insuffizienzkriterium s. unter Negativ­ kriterium

Sachverhaltsermittlungspflicht  56 ff., 108 ff. Subsidiaritätskriterien – normative Steuerungswirkung  38, 40, 43 – Überprüfung durch den EuGH  96 ff. Subsidiaritätsprinzip – Bedeutung  32 ff. – Genese  34 ff. – Rechtliche Kontrolle  50 ff., 56 ff., 93 ff. – Ursprung  31 ff. Subsidiaritätsprotokoll  27, 30, 32 ff., 44 ff., 56ff, 100 ff., 129, 131

Justiziabilität  34, 51, 131

Terminologie  21 ff.

Kontrolldichte 54

Überprüfungspflicht  78, 86

Harmonisierungsziel  49, 97 ff., 134 Heranziehungspflicht  62 ff.

Sachverzeichnis Unionsgesetzgeber  26 ff. Verfahren der „gelben Karte“  45, 78 ff., 133 Verfahren der „orangen Karte“  45, 81 ff. Verfahrensbezogene Pflichten  77 ff. Verfahrenskontrolle  52 ff., 55 f., 134

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Verhältnismäßigkeitsprinzip  39 f., 98 Vertrag – von Amsterdam  34 ff., 100 ff. – von Lissabon  34 ff., 104 ff. Vorgangsbezogene Pflichten  21 f., 55, 56 ff., 108 ff.