Die Verrechnung von Vor- und Nachteilen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG: Eine Untersuchung zur Kompensation von Grundrechtseingriffen [1 ed.] 9783428523955, 9783428123957

Bei der Erörterung des Art. 3 I GG blieb bislang stets die Frage ausgespart, ob eine benachteiligende Ungleichbehandlung

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Die Verrechnung von Vor- und Nachteilen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG: Eine Untersuchung zur Kompensation von Grundrechtseingriffen [1 ed.]
 9783428523955, 9783428123957

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1053

Die Verrechnung von Vor- und Nachteilen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG Eine Untersuchung zur Kompensation von Grundrechtseingriffen Von

Heiko Alexander Haller

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

HEIKO ALEXANDER HALLER

Die Verrechnung von Vor- und Nachteilen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1053

Die Verrechnung von Vor- und Nachteilen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG Eine Untersuchung zur Kompensation von Grundrechtseingriffen

Von

Heiko Alexander Haller

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-12395-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2006 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Für die Ermöglichung der Schrift gehört mein allererster Dank meinem akademischen Lehrer Herrn Professor Dr. Reinhard Hendler, an dessen Lehrstuhl ich über mehrere Jahre hinweg in sehr angenehmer Atmosphäre habe arbeiten dürfen. Mir kam stets reichlich Unterstützung und große wissenschaftliche Freiheit zu. Darüber hinaus danke ich Herrn Professor Dr. Gerhard Robbers für die Erstellung des Zweitgutachtens sowie den Prüfern im Rigorosum Herrn Professor Dr. Volker Krey und Herrn Professor Dr. Peter Marburger. Besonderer Dank gilt nicht zuletzt der Studienstiftung des deutschen Volkes, welche mich nicht nur während des Studiums unterstützte, sondern auch mit einem Promotionsstipendium meine Arbeit großzügig förderte. Es mag nach außen nicht besonders hervortreten, daß schließlich meine Familie das allentscheidende, nicht wegzudenkende Fundament für die vorliegende Arbeit bedeutete, ist mir aber in stetem dankbaren Bewußtsein. Trier, im August 2006

Heiko A. Haller

Inhaltsübersicht §1

§2

§3

§4

§5

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

B. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

Kompensation als Rechtsfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

A. Untersuchungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

B. Der Kompensationsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

C. Allgemeine Voraussetzungen der Kompensation

. . . . . . . . . . . . . . . .

63

D. Kompensation von Grundrechtseingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

E. Zusammenfassung der Ergebnisse zu § 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

Dogmatischer Standort der Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

A. Untersuchungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

C. Dogmatische Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113

D. Einordnung der Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

142

E. Kompensation als eigenständiges Lösungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . .

166

F. Ergebnis zu § 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175

Gleichheit als Rechtsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

A. Untersuchungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

B. Historische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

180

C. Gleichheit i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201

D. Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 3 Abs. 1 GG

. . . . . . . . . . . . . . .

264

E. Ergebnis zu § 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

278

Die Rechtfertigungsfunktion der Kompensation im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG

281

A. Untersuchungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

281

B. Kompensation in der Gleichheitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

283

C. Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303

D. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319

E. Ergebnis zu § 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

328

10 §6

Inhaltsübersicht Ergebnis der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331

A. Kompensation als Rechtsfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331

B. Der dogmatische Standort der Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . .

333

C. Gleichheit als Rechtsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

338

D. Die Rechtfertigungsfunktion der Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . .

343

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

383

Inhaltsverzeichnis §1

§2

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

B. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

Kompensation als Rechtsfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

A. Untersuchungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

B. Der Kompensationsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

I. II.

Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

Der Kompensationsgedanke im Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

1.

Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

a) Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

b) Schadensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

c) Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

2. 3.

Öffentliches Recht: Verwaltungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

a) Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

b) Ausgleich bei konsensualen Verwaltungsabsprachen . . . . . . . .

41

aa) Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung

. . . . . . .

bb) Sachlicher Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung

4.

. .

47

cc) Wahrung von Rechten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

dd) Organisationsadäquate Aufgabenverteilung . . . . . . . . . . .

48

c) Umweltrecht: prospektive Kompensation durch Private . . . . . . .

48

Öffentliches Recht: Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

a) Ausgleich föderaler Systemverschiebungen . . . . . . . . . . . . .

53

b) Kompetenzverluste des Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

c) Kompetenzverluste von Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . .

59

d) Gegenbeispiel: Kompensation von Rechtsschutzdefiziten . . . . . .

60

III. Zwischenergebnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. Allgemeine Voraussetzungen der Kompensation I.

47

62

. . . . . . . . . . . . . . . .

63

Kompensationslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

12

Inhaltsverzeichnis

II.

1.

Defizitärer Rechtszustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

2.

Kompensationsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

Kompensationszulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

1.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

2.

Innerer Funktionszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

3.

Erreichen des Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

III. Folgen der zulässigen Kompensation

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

D. Kompensation von Grundrechtseingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

IV. Zwischenergebnis

I.

Aufopferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

II.

Enteignungsentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

III. Ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmungen . . . . . . . . .

79

IV. Enteignungsgleiche und enteignende Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . .

81

V.

§3

72

1.

Der enteignungsgleiche Eingriff

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

2.

Besonderheiten bei enteignenden Eingriffen . . . . . . . . . . . . . .

84

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

VI. Vergleich mit Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Zwischenergebnis

88

E. Zusammenfassung der Ergebnisse zu § 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

Dogmatischer Standort der Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

A. Untersuchungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

I.

II.

Gewährleistungsinhalt von Rechten am Beispiel der Grundrechte . . . . . .

93

1.

Freiheitsgewährleistung als Verteilungsproblem . . . . . . . . . . . .

93

2.

Inhalt und Struktur der Freiheitsgewährleistung . . . . . . . . . . . .

96

3.

Regeln und Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

4.

Grundrechte als Prinzipien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101

5.

Zwischenergebnis und Folgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

104

Sonstige Herleitungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . . . . . . .

105

1.

Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . .

105

2.

Herleitung aus dem allgemeinen Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . .

107

3.

Herleitung aus Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

107

4.

Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

III. Zwischenergebnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

IV. Kritik am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

108 108

. . . . . . . . . . . . . . . . .

110

C. Dogmatische Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113

Inhaltsverzeichnis I.

Kollisionslage als Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . 1.

2.

II.

13 113

Beschränkung des Anwendungsbereichs des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf Eingriffe in grundrechtliche Freiheitsrechte . . . . . .

114

a) Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

114

b) Erweiterung des dogmatischen Fundaments

. . . . . . . . . . . .

117

c) Verhältnismäßigkeitsgebot und Optimalität . . . . . . . . . . . . .

119

d) Dogmatische Asymmetrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

120

e) Besondere Eignung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Eingriffen in Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

122

f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123

Die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung außerhalb der Freiheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123

a) Garantie der kommunalen Selbstverwaltung . . . . . . . . . . . .

124

b) Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Kompetenzeingriffen . . . . . . .

127

aa) Antisuit injunctions im angloamerikanischen Recht . . . . . . .

128

bb) Kompetenzeingriffe des Bundes in Länderkompetenzen . . . . .

130

c) Funktionen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132

d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133

3.

Grenzen des Anwendungsbereichs des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

133

4.

Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136

Struktur der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

138

1.

Bestimmung der kollidierenden Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . .

139

2.

Relative Gewichte der kollidierenden Prinzipien und ihr Vergleich . . .

139

D. Einordnung der Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

142

I.

Vergleich Abwägung – Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143

II.

Statuspositive Ergänzung der Abwägung durch den Rechtsgedanken der Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147

1.

Gewandeltes Verständnis der Wirkungsweise der Grundrechte und die Folgen für die Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . .

149

a) Jellineks Statuslehre als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . .

149

b) Grundrechte als Leistungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153

Zwischenergebnis und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

III. Die Beschränkung auf Zweck-Mittel-Relationen als Defizit: Kompensation als Teil der Zumutbarkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

162

IV. Zwischenergebnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

166

E. Kompensation als eigenständiges Lösungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . .

166

2.

14

Inhaltsverzeichnis I.

Vom externen zum internen Zweck – die Internalisierung externer Zwecke durch die Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2.

Vorentscheidung der Abwägung wegen absoluter Priorität eines kollidierenden Guts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

166

Abgeltung von Externalitäten in der (Umwelt-) Ökonomie . . . . . . .

170

a) Pigous Theorie der externen Effekte . . . . . . . . . . . . . . . .

170

b) Verhandlungslösung nach Coase . . . . . . . . . . . . . . . . . .

171

c) Neuere Entwicklung 3. II.

§4

166

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Internalisierung externer Effekte – die Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174

F. Ergebnis zu § 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175

Gleichheit als Rechtsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

A. Untersuchungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179

B. Historische Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

180

I.

Zwischenergebnis

171 172

Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

181

1.

181

Griechenland

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2.

Rom

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

184

3.

Antikes Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

185

Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

185

III. Naturrechtslehre und bürgerlicher Gleichheitsbegriff der Neuzeit und im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

187

II.

IV. Zeit der bürgerlichen Revolutionen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

190

Deutschland in der Mitte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . .

196

1.

Deutsche Revolution 1848/49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

196

2.

Sozialistische Arbeiterbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

197

3.

Antiegalitarismus

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198

VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

198

VII. Verfassungsgeschichte des Art. 3 GG

. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199

C. Gleichheit i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201

V.

I.

Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.

II.

202

Anwendung der Dogmatik der Freiheitsrechte auf den allgemeinen Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

202

2.

Vergleichsgruppenbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

204

3.

Identität und wesentliche Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205

Gleichheit als Willkürverbot 1.

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

207

Ursprünglicher Ansatz von Triepel und Leibholz . . . . . . . . . . . .

207

Inhaltsverzeichnis

15

2.

Willkürrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . .

212

3.

Kritik an der Willkürformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213

4.

Eine erste Präzisierung durch die sog. „neue Formel“

. . . . . . . . .

216

III. Weitere Präzisierungen des Gleichheitsbegriffs in der Wissenschaft . . . . .

218

1.

Im Gesamtsystem der Verfassungsordnung ruhende Gleichheit . . . . .

219

a) Konkretisierung des Gleichheitssatzes durch die Verfassung und Subsidiarität der Willkürformel . . . . . . . . . . . . . . . . . .

219

b) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

224

2.

Gleichheit auf der Basis gleicher Würde . . . . . . . . . . . . . . . .

224

3.

Gleichheit als Statusgleichheit und Objektivitätsgebot . . . . . . . . .

227

a) Statusgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

228

b) Gebot der Sachgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

229

c) Gebot der Folgerichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

230

d) Objektivitätsgebot

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231

e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233

4.

Gleiche Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233

5.

Der Gleichheitssatz als Argumentationslastregel . . . . . . . . . . . .

236

6.

Recht auf Ungleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

242

IV. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243

1.

Willkürformel als Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

243

2.

Zusammenhang von Gleichheit und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . .

246

a) Der Gleichheitssatz als allgemeines Gerechtigkeitsgebot

. . . . . .

246

b) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

3. V.

. . . . . . . . . .

248

c) Kritik an der Einbeziehung von Gerechtigkeitserwägungen . . . . .

249

d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

252

Konkretisierung der wesentlichen Gleichheit . . . . . . . . . . . . . .

255

Zwischenergebnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

D. Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 3 Abs. 1 GG

262

. . . . . . . . . . . . . . .

264

I.

Schranken des Gleichheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

264

II.

Verhältnismäßigkeit und externe Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . .

265

1.

Kollisionslage bei Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . .

265

2.

Einwände gegen die Verhältnismäßigkeitsprüfung nur bei externen Zwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267

III. Reine Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

268

IV. Modifizierte Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . .

270

1.

Gliederung nach Differenzierungskriterien und Differenzierungszielen .

270

16

Inhaltsverzeichnis 2. V.

Unterscheidung zwischen internen und externen Zwecken . . . . . . .

272

Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

273

1.

Unbesehene Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . .

273

2.

Die Differenzierung zwischen internen und externen Zwecken . . . . .

275

VI. Zwischenergebnis

§5

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

277

E. Ergebnis zu § 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

278

Die Rechtfertigungsfunktion der Kompensation im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG

281

A. Untersuchungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

281

B. Kompensation in der Gleichheitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

283

I.

II.

Die kompensierte Verschiedenbehandlung als Gleichbehandlung? . . . . . .

283

1.

Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

283

2.

Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

286

3.

Gegenwärtige Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

288

4.

Deduktion und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

294

Zulässigkeit einer Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

298

III. Zwischenergebnis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

300

IV. Einordnung des Kompensationsgedankens in Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . .

301

C. Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303

I.

II.

Der Kompensationsgedanke in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

304

1.

Personenidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

305

2.

Innerer Funktionszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

306

3.

Erreichen des Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

307

4.

Verfassungsmäßigkeit im übrigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

308

5.

Verhältnis Bund–Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

308

6.

(Teilweises) Scheitern der Kompensation . . . . . . . . . . . . . . .

309

Der Kompensationsgedanke in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

309

III. Analyse der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

311

1.

Ausschluß der Ungleichbehandlung schon bei gleichwertigem Ausgleich

311

2.

Eingeschränkte Zulässigkeit von Kompensationen . . . . . . . . . . .

312

3.

Der Gleichheitssatz als Opferausgleichssatz . . . . . . . . . . . . . .

313

4.

Der Gleichheitssatz als Gebot der Lastengleichheit . . . . . . . . . . .

314

5.

Legitimationszusammenhang und Artgleichheit . . . . . . . . . . . .

315

a) Sachverhaltsidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

315

Inhaltsverzeichnis

6.

b) Personenidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

316

c) Gesetzes- und rechtsgebietsübergreifende Kompensation . . . . . .

317

d) Äquivalenzforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

317

e) Legitimationszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

318

f) Sonstige Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

318

Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

318

D. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319

I.

Kompensationslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

320

II.

Kompensationszulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

320

1.

Innerer Funktionszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

320

a) Bewußte und gewollte Systementscheidung des Gesetzgebers . . . .

321

aa) Sachverhaltsidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

322

bb) Zeitliche Komponente

2.

§6

17

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

323

cc) Personenidentität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

323

b) Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit und Folgerichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

324

c) Vorrang der Realvermeidung von Ungleichbehandlungen . . . . . .

324

d) Keine Rechts- und Verfassungswidrigkeit unter anderen Aspekten . .

325

Erreichen des Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

326

a) Artgleichheit von Vor- und Nachteil . . . . . . . . . . . . . . . .

326

b) Vollständige Gleichwertigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

327

c) Gesetz- oder rechtsgebietsübergreifende Kompensation . . . . . . .

328

E. Ergebnis zu § 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

328

Ergebnis der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331

A. Kompensation als Rechtsfigur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331

B. Der dogmatische Standort der Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . .

333

C. Gleichheit als Rechtsidee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

338

D. Die Rechtfertigungsfunktion der Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . .

343

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. a. E. a. F. ABl. Abs. abw. AfP AG AK ALR Anm. AöR AP Art. Az. BAG BAGE BauGB BayVBl. Bd. bes. Beschl. BetrVG BFH BFHE BGB BGBl. BGH BGHZ BHO BK BRegBTEUG

BVerfG

anderer Ansicht am angegebenen Ort am Ende alte Fassung Amtsblatt Absatz abweichend Archiv für Presserecht Aktiengesellschaft Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Reihe Alternativkommentare) Preußisches Allgemeines Landrecht von 1794 Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis, seit 1954 Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts Artikel Aktenzeichen Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Baugesetzbuch Bayerische Verwaltungsblätter Band besonders Beschluß Betriebsverfassungsgesetz Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen und Gutachten des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Kommentar zum Bonner Grundgesetz (Bonner Kommentar) Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 2. März 1993 (BGBl. I S. 311) Bundesverfassungsgericht

20 BVerfGE BVerwG BVerwGE bwStGH bzgl. bzw. d. h. ders. dies. Diss. DJT DÖV Drucks. DStZ dt. DVBl. EGMR EGV Einl. EMRK Entsch. entspr. Erl. Erstb. EStG ESVGH et al. etc. Eth. Nic. EU EuGH EuGH Slg. EuGRZ EUV EUZBLG EuZW EzA f. ff. FG Fn.

Abkürzungsverzeichnis Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Staatsgerichtshof Baden-Württemberg bezüglich beziehungsweise das heißt derselbe dieselbe(n) Dissertation Deutscher Juristentag Die Öffentliche Verwaltung Drucksache Deutsche Steuer-Zeitung deutsch Deutsches Verwaltungsblatt Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einleitung Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Entscheidung entsprechend Erläuterung(en) Erstbearbeiter; Erstbearbeitung Einkommensteuergesetz Entscheidungssammlung des Hessischen und des Württemberg-Badischen Verwaltungsgerichtshofs et alii et cetera Nikomachische Ethik Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (ab 1990: und des Gerichts erster Instanz) Europäische Grundrechtezeitschrift Vertrag über die Europäische Union Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. 3. 1993 (BGBl. I S. 313) Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht folgende(r) folgende Festgabe Fußnote

Abkürzungsverzeichnis FS gem. GG ggf. GS h. L. h. M. HdbStR HdbVerfR HGrG Hrsg. i. e. S. i. S. v i. V. m. i. w. S. insb. JA JJb JöR JR Jura JuS JW JZ krit. lit. LKV LS LV m. Anm. m. N. m. w. N. N. F. ndsStGH NJ NJW NJW-RR Nr. NRW., nrw. NRWVerf. NRWVerfGH NVwZ NVwZ-RR NWVBl.

21

Festschrift gemäß Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gedenkschrift herrschende Lehre herrschende Meinung Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz) Herausgeber im engeren Sinne im Sinne von in Verbindung mit im weiteren Sinne insbesondere Juristische Arbeitsblätter (Zeitschrift) Juristen-Jahrbuch (Zeitschrift) Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (Zeitschrift) Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) kritisch litera Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Leitsatz Landesverfassung mit Anmerkung mit Nachweisen mit weiteren Nachweisen Neue Folge Niedersächsischer Staatsgerichtshof Neue Justiz (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-Rechtsprechungsreport (Zeitschrift) Nummer Nordrhein-Westfalen, nordrhein-westfälisch Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen Verfassungsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-Rechtsprechungs-Report-Verwaltungsrecht nordrhein-westfälische Verwaltungsblätter

22 NZA NZS OLG OVG OVGE POG pr. PrGS. Prof.-E RG RGZ RhPf., rhpf. Rn. Rs. Rspr. RVO S. SGb sog. Sp. st. Rspr. StGB StGH StPO str. StuW StVO StwStP TVG u. a. u. ä. UGB Urt. UTR v. v. a VerpackungsVO VersG VerwArch. VGH vgl. VO Vorb. VVDStRL

Abkürzungsverzeichnis Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte Münster und Lüneburg Polizei- und Ordnungsbehördengesetz des Landes Rheinland-Pfalz principium Preußische Gesetzessammlung Professorenentwurf eines Umweltgesetzbuches Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rheinland-Pfalz, rheinland-pfälzisch Randnummer Rechtssache Rechtsprechung Reichsversicherungsordnung Seite; Satz Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) sogenannte(r) Spalte ständige Rechtsprechung Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof Strafprozeßordnung streitig Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift) Straßenverkehrs-Ordnung Staatswissenschaften und Staatspraxis Tarifvertragsgesetz und andere; unter anderem und ähnliche(s) Umweltgesetzbuch Urteil Umwelt- und Technikrecht (Schriftenreihe des Instituts für Umwelt- und Technikrecht der Universität Trier) von; vom; versus vor allem Verpackungsverordnung Versammlungsgesetz Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Vorbemerkungen Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

Abkürzungsverzeichnis VwGO VwVfG WRV z. B. z. T. Ziff. ZRP

Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Verfassung des Deutschen Reichs (Weimarer Reichsverfassung) zum Beispiel zum Teil Ziffer Zeitschrift für Rechtspolitik

23

§ 1 Einführung A. Problemstellung „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ Dieser Satz findet sich seit der Französischen Revolution in zahlreichen europäischen und außereuropäischen Verfassungen, und er ist (ungeschriebener) Bestandteil des Common Law.1 Fragen der Gleichbehandlung als Rechts- und Gerechtigkeitsprinzip weisen eine jahrtausendealte Geschichte auf.2 Ein allgemeiner Gleichheitssatz3 ist zumindest in allen rechtsstaatlichen Rechtsordnungen enthalten und Gegenstand umfangreicher Erörterungen.4 Als Kristallisationspunkt des Gerechtigkeitsgedankens5 bildet er einen der zentralen verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstäbe.6 Obwohl der Gleichheitssatz zu den klassischen Grundrechten gehört und seit der Bill of Rights of Virginia von 1776 in jedem Grundrechtskatalog enthalten ist, bereitet kaum ein anderes Grundrecht dem Verfassungsinterpreten solche Schwierigkeiten in der theoretischen Durchdringung ebenso wie in der praktischen Anwendung. Letzte Klarheit konnte bislang nicht erreicht werden. Der Hauptgrund für diese Schwierigkeiten im Umgang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (auch) des Grundgesetzes liegt vor allem darin, daß nach heu1 Vgl.

Leibholz, Gleichheit, S. 14 f.

2 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 1: „älteste ideengeschichtliche Grundlagen moderner Grundrech-

te“; vgl. z. B. Aristoteles, Eth. Nic., 5. Buch; Brunner, Gerechtigkeit, S. 29 ff.; Dahrendorf , Ursprung; Dann, Gleichheit; Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 997 ff.; Engisch, Gerechtigkeit, S. 147 ff.; Kriele, Gerechtigkeit, S. 90 ff.; Perelman, Gerechtigkeit, S. 22 ff., 53 ff.; Robbers, Gerechtigkeit; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/8. 3 Von „dem“ Gleichheitssatz zu sprechen, wäre verfehlt, da jede Verfassungsordnung „ihren“ Gleichheitssatz aufgrund ihrer besonderen Entwicklung geformt hat. Allein die Landesverfassungen geben Aufschluß darüber, daß von „dem“ Gleichheitssatz keine Rede sein kann. Vgl. Dürig, Stichwort „Gleichheit“, Sp. 1071 f.; Herzog, DVBl. 1970, 713/713; Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/214; Ipsen, Gleichheit, S. 113; Leibholz, Gleichheit, S. 230, 254; Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/38; Podlech, Gehalt, S. 79; Schoch, DVBl. 1988, 863/865. 4 Aus der unüberschaubaren Literatur zu Art. 3 Abs. 1 GG seien beispielhaft nur genannt: Bleckmann, Struktur; Böckenförde, Gleichheitssatz; Dax, Gleichbehandlungsgebot; Dürig in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 3 I; Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/167 ff.; Heun in: Dreier, GG, Art. 3; Hufen, Gleichheitssatz und Bildungsplanung; Huster, Rechte und Ziele; Ipsen, Gleichheit, S. 111 ff.; Kloepfer, Gleichheit; Leibholz, Gleichheit; Martini, Absolute Rechtsgleichheit; Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/37 ff.; Podlech, Gehalt; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I; Stein in: AK, GG, Art. 3 I; Sachs, Diskriminierungsverbot; Scholler, Gleichheitssatz; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/7 ff. Weitere Nachweise unten § 4 (S. 179 ff.). 5 Wendt, NVwZ 1988, 778/778. 6 In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist Art. 3 Abs. 1 GG die Norm mit der statistisch größten Bedeutung (vgl. sogleich S. 26).

26

§ 1 Einführung

te einhelliger Auffassung Art. 3 Abs. 1 GG nicht nur die Rechtsanwendungs-, sondern auch die Rechtssetzungsgleichheit garantiert.7 Die ursprüngliche Interpretation des Gleichheitssatzes als Forderung nach einer gleichmäßigen Anwendung des Gesetzes konnte naturgemäß keine große politische Bedeutung entfalten.8 Unter der Weimarer Reichsverfassung fand ein tiefgreifender Bedeutungsund Strukturwandel des Gleichheitssatzes statt, der das Gleichheitsgebot auf die Rechtssetzungsgleichheit ausdehnte.9 Damit tauchte die Schwierigkeit auf, zu bestimmen, an welchen Inhalt des Gleichheitssatzes der Gesetzgeber gebunden ist und auf welche (Un-) Gleichbehandlungen es jeweils ankommt. Dem schließt sich der Befund an, daß der Gleichheitssatz in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung am häufigsten zitiert wird, aber nur vergleichsweise selten Grundlage der Kassation eines Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht ist.10 Die Bewertung dieses Phänomens muß ambivalent ausfallen.11 Einerseits kann ein Gleichheitssatz, der auf alles und jedes anwendbar ist, nicht mehr als eine leere Hülle sein. Andererseits führt eine deutlichere Konturierung des Gleichheitssatzes dazu, daß die Adressaten des Gleichheitssatzes stärkeren Bindungen unterworfen sind, was brisante funktionellrechtliche Fragen zum Verhältnis zwischen Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung aufwirft. Zugleich verliert der Gleichheitssatz seine dem Art. 2 Abs. 1 GG ähnliche Funktion als Auffangnorm.12 Der Gleichheitssatz entzieht sich demnach nahezu völlig generalisierenden Begriffsbestimmungen.13 Die Problematik des Gleichheitssatzes als Ganzes zu betrachten und auf einmal zu lösen, muß angesichts ihrer Komplexität, Vielschichtigkeit und kaum lösbarer quantitativer Probleme im Versuchsstadium stecken bleiben. Mit dem Gleichheitssatz sind nicht nur verfassungsdogmatische Probleme, sondern auch rechtsphilosophische und rechtstheoretische Fragestellungen verbunden. Mathematische Präzision kann hier nie erreicht werden. So ist die Erörterung des Gleichheitssatzes in besonderem Maße den Unzulänglichkeiten der juristischen Methodik ausgesetzt.14 Die Beschränkung auf eine konkrete Fragestellung verspricht dagegen einen Erkenntnisgewinn.15 Nur wenn die ein7 Allgemeine Meinung, vgl. z. B. Alexy, Theorie, S. 358 f.; Kirchhof , HdbStR V, § 125 Rn. 1 (S. 974); Leibholz, Gleichheit, S. 34 ff.; Martini, Absolute Rechtsgleichheit, S. 7; Starck, Anwendung, S. 52 f.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 2. 8 Leibholz, DVBl. 1951, 193/193. 9 Aldag, Gleichheit, S. 4 ff.; Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), 2/5 f.; Leibholz, DVBl. 1951, 193/193; Leibholz, Gleichheit, S. 30 ff.; Triepel, Goldbilanzen-Verordnung, S. 27 ff. Heute muß die Kontroverse durch Art. 1 Abs. 3 GG als erledigt angesehen werden. 10 Rüfner, SGb 1984, 147/147; Rupp, FG-BVerfG II, S. 365; Sachs, JuS 1997, 124/124. 11 Vgl. Schoch, DVBl. 1988, 863/864. 12 Vgl. Schoch, DVBl. 1988, 863/864. 13 Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 108. 14 Ipsen, Gleichheit, S. 178. 15 Vgl. Schoch, DVBl. 1988, 863/865.

A. Problemstellung

27

zelnen Elemente klar offengelegt werden, die eine verschiedenartige Auffassung vom Inhalt des Gleichheitssatzes bedingen oder ermöglichen, kann der Gehalt des Gleichheitssatzes richtig bestimmt werden.16 Einerseits wird auf diese Weise die Komplexität der Erörterung reduziert und eine Problemlösung insgesamt möglich. Andererseits muß der Gesamtzusammenhang berücksichtigt werden, so daß ein Rückgriff auf die grundlegenden Wertungen des Gleichheitssatzes unumgänglich ist. Erkenntnisse über den Gleichheitssatz als solchen setzen voraus, daß Klarheit über die Voraussetzungen, die seiner Verwirklichung vorgegeben sind, besteht. Auf diese Weise wird der Gleichheitssatz in Einzelaspekten betrachtet, deren Lösung leichter gelingt, die sich aber in einer übergreifenden Betrachtung zu einem Gesamtbild zusammenfügen. Die vorliegende Untersuchung greift daher nur einen Teilaspekt heraus, welcher zur Inhaltsbestimmung des Art. 3 Abs. 1 GG beiträgt: Bei der Erörterung des Gleichheitssatzes blieb bislang stets die Frage ausgespart, ob eine benachteiligende Ungleichbehandlung auch dann noch vorliegt, wenn diese in einer Gesamtbetrachtung durch Vorteile aufgewogen wird. Zwar ist der Ausgleich widerstreitender Interessen durch eine Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Gegenstand einer umfangreichen, wenn auch keineswegs restlos geklärten Dogmatik.17 Die Frage der Kompensation im Bereich der Grundrechtsdogmatik war bislang jedoch kaum Gegenstand rechtswissenschaftlicher Diskussion.18 Dies überrascht vor allem im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG, der von vornherein eine besondere Nähe zum Kompensationsgedanken aufweist. Begriffe wie „Chancenausgleich“19 , „Nachteilsausgleich“20 , „Sonderopferausgleich“21 , „ausgleichende Gerechtigkeit“22 etc. sind bei Gleichheitsfragen bekannt und weisen zugleich offensichtliche Bezüge zur Kompensationsidee auf.23 Da nach einer Verrechnung von Vor- und Nachteilen jedenfalls im Ergebnis eine Gleichbehand16 Hesse,

AöR 77 (1951/52), 167/169 f. Theorie, S. 143 ff.; Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot; Erbguth et al., Abwägung; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 45 ff.; Huster, Rechte und Ziele, S. 155 ff.; Leisner, Abwägungsstaat, S. 11 ff., 96 ff.; Lerche, Übermaß; Podlech, AöR 95 (1972), 185/185 ff.; Schlink, Abwägung. Vgl. unten § 3 B. (S. 92) und § 3 C. (S. 113). 18 Vgl. Bleckmann, Struktur, S. 63 f.: „insgesamt ist dabei festzustellen, daß das Problem der Grundrechtskompensation in den allgemeinen Grundrechtslehren bisher zu stiefmütterlich behandelt worden ist“; Ipsen, Gleichheit, S. 195: „eine befriedigende systematische [. . . ] Rechtfertigung [. . . ] noch nicht gegeben worden ist.“; Klein, DVBl. 1981, 661/663; Starck, Anwendung, S. 73: „Gleichheitsverstöße [. . . ] setzen die Erkundung des gesamten Regelungssystems einschließlich eventueller Kompensationen, voraus“; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II 1 pr. (S. 22): „Allerdings läßt sich insoweit ein in sich geschlossenes dogmatisches Konzept auf den ersten Blick nicht erkennen [. . . ]“; ausführlich bislang nur Hey, AöR 128 (2003), 226/226 ff. 19 BVerwG, NVwZ 1984, 307. 20 BVerwG, NVwZ 2003, 92/93; NVwZ 1993, 696/697. 21 BVerfG, LKV 1995, 192; BVerwG, NJW 1986, 1560; NVwZ 2001, 1035. 22 Aristoteles, Eth. Nic., Fünftes Buch. 23 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 56; Hey, AöR 128 (2003), 226/231; Ipsen, Gleichheit, S. 195; Klein, DVBl. 1981, 661/663; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II 1 pr. S. 22. 17 Alexy,

28

§ 1 Einführung

lung vorliegt, bereitet die Kompensationsproblematik dem Praktiker – bislang – keine Schwierigkeiten. Dies zeigen die nachfolgend skizzierten Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die Vor- und Nachteile verrechnen, ohne daß genau beschrieben wird wie. Kopfzerbrechen bereitet die Situation jedoch demjenigen, der eine abstrakte Rechtskonstruktion sucht, die diesen Vorgang präzise beschreiben kann und so klare Vorgaben für die Rechtmäßigkeit von Kompensationslösungen liefert.24 Die genannte Verrechnung liegt vor allem im Sozialversicherungs- und im Steuerrecht nahe, wo sie angesichts der auf Geldzahlung gerichteten Ansprüche leicht vorgenommen werden kann:25 Einbehaltene Gewinne von Kapitalgesellschaften unterliegen gemäß § 23 KStG einem Steuersatz von 25 %, während (einbehaltene und ausgeschüttete) Gewinne von Personenunternehmen nach § 32 a EStG mit einem Spitzensteuersatz von 48,5 % (ab 2001) bzw. 42 % (ab 2005) besteuert werden.26 Dies führt zu einer Verschiedenbehandlung von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen. Der Gesetzgeber meint, diese unterschiedliche Belastung mittels der Gewerbesteuer ausgleichen zu können: Bei der Kapitalgesellschaft wird die Gewerbesteuer zur Körperschaftsteuer hinzugerechnet, während Personenunternehmen nach § 35 EStG eine Steuerermäßigung erhalten. Auf diese Weise reduziert sich die unterschiedliche Behandlung beider Gesellschaftsformen (auf ungefähr 6,5 % bezogen auf das Jahr 2005) erheblich. Dies wirft die Frage auf, ob die Verschiedenbehandlung von Kapitalgesellschaften und Personenunternehmen durch eine derartige Reduktion der Gesamtbelastung vor Art. 3 Abs. 1 GG Bestand haben kann. Wer hier eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung der Gewerbesteuer anstellt, kommt zu einer annähernd rechtsformneutralen Besteuerung und wird einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ablehnen.27 Wer einer solchen Gesamtbetrachtung nicht folgt, muß eine doppelte Verfassungswidrigkeit annehmen, weil weder der im Vergleich zur Einkommensteuer geringere Körperschaftsteuersatz noch die einseitige Anrechnung der Gewerbesteuer mit Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang gebracht werden können.28

24 Vgl.

Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 190/237. Sozialversicherungsrecht BVerfGE 23, 327/343; 34, 118/128; 37, 154/166; 63, 119/128; 67, 186/196; 79, 87/99 und im Steuerrecht: BVerfGE 12, 151/167 f.; 13, 331/341; 15, 328/333; 18, 97/108 ff.; 32, 260/269; 40, 109/117 f.; 61, 319/355; 96, 1/7 ff.; 105, 73/111 ff. 26 Beispiel nach Hey, AöR 128 (2003), 226/227 f. 27 Pezzer, StuW 2000, 144/147; Thiel, StuW 2000, 413/416. 28 Vgl. Schön, StuW 2000, 151/156; Hey, AöR 128 (2003), 226/249 ff.; vgl. auch den Beschluß des BFH v. 24. 2. 1999, § 32 c EStG 2000 dem Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG vorzulegen (BFHE 188, 69; anhängig beim Bundesverfassungsgericht unter Az. 2 BvL 2/99). Der BFH sieht einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darin, daß der Einkommensteuerspitzensatz auf gewerbliche Einkünfte ermäßigt wird. Rechtsformabhängige Unterschiede in der Besteuerung zum Ausgleich der gewerbesteuerlichen Zusatzbelastung könnten nicht als „Verrechnungspotential“ (a. a. O., S. 96) dienen. 25 Im

A. Problemstellung

29

Die Kompensationsproblematik tritt aber auch außerhalb von Bereichen, in denen Vor- und Nachteile mathematisch verrechnet werden können, auf. Eine Verrechnung erscheint außerhalb des Steuer- und Sozialversicherungsrechts – mangels verrechenbarer Geldansprüche – schwieriger. Freilich gibt es auch hier zahlreiche Beispielsfälle. Offen bleibt aber in der Regel, auf welcher dogmatischen Grundlage diese Lösung entwickelt wurde. Zum Teil wird schlicht nicht erkannt, daß eine Saldierung von Vor- und Nachteilen vorgenommen wird, sondern das Phänomen wird unbefangen in die bisherige Dogmatik einzuordnen versucht – so in dem vom Bundesverfassungsgericht am 7. November 1972 entschiedenen Fall.29 Das Bundesverfassungsgericht hatte aufgrund einer Vorlage verschiedener Arbeitsgerichte und einer Individualverfassungsbeschwerde die Vereinbarkeit der damaligen §§ 636 Abs. 1 S. 1, 637 RVO mit dem Grundgesetz zu beurteilen soweit diese Vorschriften den Anspruch auf Schmerzensgeld nach bürgerlichem Recht (damals § 847 BGB) ausschließen. Durch diesen Ausschluß wird ein Arbeitnehmer, der durch einen vom Arbeitgeber (grob) fahrlässig verursachten Arbeitsunfall einen Personenschaden erleidet, sofern nicht der Unfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eingetreten ist, nach § 636 Abs. 1 S. 1 RVO anders behandelt als jemand, dem von einem anderen rechtswidrig und schuldhaft ein Personenschaden zugefügt wird. Gegen diesen können grundsätzlich auch Ansprüche aus § 847 BGB (a. F.) hergeleitet werden. Trotz dieser Ungleichbehandlung nimmt das Bundesverfassungsgericht keine Verletzung des Gleichheitssatzes an: Die Ausschlußregelung der RVO sei „vielmehr im Zusammenhang mit dem Leistungssystem der Unfallversicherung zu sehen, das an die Stelle der ausgeschlossenen zivilrechtlichen Ersatzansprüche wegen Personenschäden getreten ist“30 . Die Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung wird zum einen darauf gestützt, daß das Unfallversicherungsrecht und das Deliktsrecht des BGB verschiedene rechtliche Ordnungssysteme darstellen, von denen jedes für sich betrachtet werden müsse. Zum anderen werden als die Ungleichbehandlung rechtfertigende Gründe Vorteile des Arbeitnehmers genannt, nämlich daß diesem ein solventer Schuldner gegenüber steht sowie daß diesem der Arbeitgeber verschuldensunabhängig haftet ohne Anrechnung eines Mitverschuldens seitens des Arbeitnehmers. Es handelt sich – ohne daß dies vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich derart bezeichnet wurde – um Vorteile des Arbeitnehmers, die die nachteilige Ungleichbehandlung (Ausschluß des Schmerzensgeldanspruchs) kompensieren. Diese Gesichtspunkte werden vom Bundesverfassungsgericht als sachliche Gründe im Sinne der sog. Willkürformel angesehen; weder benennt das Bundesverfassungsgericht sein Vorgehen als Kompensation, noch werden Kriterien vorgegeben, wann eine solche Kompensation möglich ist. Das Urteil folgt terminologisch eng der Willkürformel. Jedoch gibt das Bundesverfassungsgericht 29 BVerfGE 30 BVerfGE

34, 118/128 ff., bestätigt durch BVerfG, NJW 1995, 1607. 34, 118/129.

30

§ 1 Einführung

gerade keinen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung an, sondern nennt Vorteile, welche die Ungleichbehandlung in ihrer Wirkung abmildern, nicht aber begründen. Ohne weiteres fügt sich dies nicht in die Willkürformel ein. Das dogmatische Fundament für dieses Vorgehen bleibt – auch in anderen Entscheidungen31 – unklar. Die folgenden Ausführungen entwickeln dieses noch fehlende Fundament. Dabei dreht sich die Fragestellung um zwei Kernbereiche: Es ist zu erörtern, ob die Verrechnung von Vor- und Nachteilen bereits die Ungleichbehandlung ausschließt oder ob eine dennoch vorliegende Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden kann. Unabhängig davon, wie dieses Problem zu lösen sein wird, gilt es, Kriterien dafür zu entwickeln, ob und wann eine Kompensation vorgenommen werden darf. Jedenfalls können nicht zwei völlig zusammenhanglose Sachverhalte zur Kompensation herangezogen werden. Kern der folgenden Untersuchung stellt demnach die Frage dar, wie Verschiedenbehandlungen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG mit Hilfe des Kompensationsgedankens behandelt werden können. Die dogmatische Sprengkraft, die sich hinter einer solchen Argumentation mit dem Kompensationsgedanken verbirgt, läßt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 1970 erahnen, in der das Bundesverfassungsgericht den Kompensationsgedanken auf die Rechtfertigung von Eingriffen in Freiheitsrechte (konkret Art. 2 Abs. 1 GG) übertragen hat.32

B. Gang der Darstellung Schon an der fehlenden präzisen Begrifflichkeit bei der Darstellung des Kompensationsvorgangs zeigt sich, daß die Problematik der Kompensation von Vorund Nachteilen bei der Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes bislang noch keine tiefgreifende dogmatische Aufarbeitung erfahren hat. Zuvorderst besteht folglich die Aufgabe, eine genaue Terminologie zu entwickeln. Dies kann nur gelingen, wenn Klarheit darüber besteht, was „Kompensation“ meint und unter welchen Voraussetzungen sie zulässig ist. Die Untersuchung beginnt daher mit 31 Das Bundesverfassungsgericht verneint z. B. einen Gleichheitsverstoß, wenn die „allgemeine Tendenz“ eines Gesetzes auf Gleichbehandlung ausgerichtet ist und Eheleute teilweise begünstigt, teilweise benachteiligt werden, die gesetzliche Regelung im ganzen also „eheneutral“ ist (BVerfGE 15, 328/333 f.), wenn das Gesetz im wirtschaftlichen Ergebnis eine Gleichbehandlung sicherstellt (BVerfGE 67, 186/196) bzw. wenn Vor- und Nachteile bei typischer Betrachtung zusammentreffen (BVerfGE 23, 327/343), sich einander nach Art und Höhe entsprechen (BVerfGE 37, 155/166) oder Vorteile zugunsten des konkret Benachteiligten bestehen (vgl. BVerfGE 63, 119/128). Dabei wird mit diesen Aspekten zum Teil bereits das Vorliegen der Ungleichbehandlung verneint (z. B. BVerfGE 15, 328/333 f. und 96, 1/8), zum Teil hingegen erst eine Rechtfertigung angenommen (z. B. BVerfGE 13, 331/341 und 34, 118/129 ff.). Ausführlich unten § 5 C. I. (S. 304 ff.). 32 BVerfGE 29, 221/237; vgl. auch Baller, Informationsgesellschaft, S. 52 f., der ein Grundrecht auf Information als Kompensation für Einschränkungen kommunikativer Freiheiten fordert.

B. Gang der Darstellung

31

der Dogmatik der Kompensation (§ 2). Ein intensiver Blick wird auf die Kompensation von Grundrechtseingriffen gerichtet. Nach dieser Beschreibung des Untersuchungsgegenstands gilt es zu erörtern, ob sich die Rechtsfigur der Kompensation dogmatisch in bereits vorhandene Konfliktlösungsmechanismen, insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einordnen läßt oder ob sie eine völlig eigenständige Figur darstellt und nicht nur eine Modifikation für besondere Fälle (§ 3). Hier wird vor allem die Funktionsweise der Kompensation von besonderem Interesse sein. Der Einbau der so entwickelten allgemeinen Kompensationsdogmatik in die Dogmatik des Art. 3 Abs. 1 GG kann nur gelingen, wenn Klarheit über die Struktur und den Inhalt des Art. 3 Abs. 1 GG selbst besteht (§ 4). Dabei kann der Gleichheitsbegriff nicht ohne dessen unterschiedliches Verständnis im Laufe der Geschichte erklärt werden.33 Dem historischen Rückblick hat sich eine Übersicht zum Diskussionsstand in der Gegenwart anzuschließen. Der Frage, inwieweit die Gleichheit auch Elemente der Gerechtigkeit umfaßt, kommt ebenfalls an dieser Stelle Bedeutung zu. Erst danach kann der Standort der Kompensation im Rahmen der Prüfung des allgemeinen Gleichheitssatzes bestimmt werden (§ 5 B.). Unabhängig davon, ob die Kompensation zu einer Gleichbehandlung führt oder ob eine – zu rechtfertigende – Ungleichbehandlung vorliegt, müssen Kriterien festgelegt werden, wann eine Kompensation zulässig ist (§ 5 C.). Diese Untersuchung setzt eine Analyse der Rechtsordnung, Literatur und Rechtsprechung zu Kompensationsfragen voraus. Deren Ergebnisse bieten sodann die Grundlage, um eigene Kriterien für die Zulässigkeit der Kompensation zu formulieren (§ 5 D.).34

33 So meint z. B. Brunner, Gerechtigkeit, S. 32, im Zusammenhang mit der Erörterung des Verhältnisses von Gleichheit und Gerechtigkeit, daß „die Gerechtigkeitslehre nie über Aristoteles hinaus, sondern im Gegenteil immer wieder auf ihn zurückgekommen“ ist. 34 Zu einem vergleichbaren methodischen Vorgehen bei Fragen der Kompensation von Kompetenzdefiziten vgl. Hesse, AöR 98 (1973), 1/5.

§ 2 Kompensation als Rechtsfigur A. Untersuchungsziele Gedankliche Grundlage der vorliegenden Untersuchung bildet der Rechtsgedanke der Kompensation. Ausgangspunkt aller Überlegungen zu Kompensationen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG muß daher der Begriff der Kompensation sein. Die Entwicklung von Zulässigkeitsgrenzen für die Verrechnung von Vor- und Nachteilen bei Art. 3 Abs. 1 GG erfordert zunächst die Kenntnis der allgemeinen Voraussetzungen der Kompensation (§ 2 C. [S. 63 ff.]),1 bevor auf die Besonderheiten von Kompensationen im Bereich der Grundrechte (§ 2 D. [S. 70 ff.])2 eingegangen werden kann. Die allgemeinen Voraussetzungen einer Kompensation könnten sich aus einer Untersuchung von Kompensationen im geltenden Recht sowie aus der Struktur des Kompensationsbegriffs selbst ableiten lassen (§ 2 B. [S. 34 ff.]). Die verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen sprechen zur Kennzeichnung bestimmter Erscheinungen von „Kompensation“.3 Es liegt kein reiner Fachterminus vor, sondern ein Begriff, der auch in der Alltagssprache verwendet wird.4 Daher ist er unvermeidlich mit individuellem emotionalen Gehalt vorbelastet.5 Daß mit dieser verbreiteten Verwendung des Begriffs ein Verlust an begrifflicher Schärfe einhergeht, ist offensichtlich.6 Er muß schließlich die verschiedensten Bedeutungen in 1 Zu diesen vgl. Klein, DVBl. 1981, 661/661; Meißner, Bundesländer, S. 167 ff.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 III 2 (S. 49 f.). 2 Vgl. Bleckmann, Struktur, S. 63 f.; Hey, AöR 128 (2003), 226/229 f.; Ipsen, Gleichheit, S. 195; Klein, DVBl. 1981, 661; Rabe, Kompensation, S. 61 f.; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 2 Rn. 128; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II (S. 21 ff.). 3 Vgl. nur in der Betriebswirtschaftslehre Kaldor, Propositions; Hicks, The Economic Journal 49 (1939), 696; Hicks, Rehabilitation; Pigou, Economics; Coase, Economica 4 (1937), 386; Coase, Journal of Law and Economics 2 (1959), 1; Coase, Journal of Law and Economics 3 (1960), 1 (Abgeltung der Schadwirkungen sog. negativer Externalitäten). Im juristischen Bereich steht die prospektive Kompensation durch Private vor allem im Umweltrecht (z. B. Voßkuhle, Kompensationsprinzip und unten § 2 B. II. 3. c) [S. 48]) sowie die Kompensation von Kompetenzverlusten der Länder und Gemeinden (z. B. Meißner, Bundesländer, S. 167 ff.; Schröder, JöR 35 (1986), 83/83 ff. und unten § 2 B. II. 4. [S. 52]) im Vordergrund der Diskussion. Kaum erörtert wird hingegen die Frage der Kompensation von Rechten (einzig Hey, AöR 128 (2003), 226 und Klein, DVBl. 1981, 661). 4 Vgl. die kurze Übersicht zur Bedeutung des Begriffs in der Alltagssprache bei Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 I 1 (S. 16 f.). 5 Pawłowski, Begriffsbildung, S. 52. 6 Gawel, Konjunkturpolitik 38 (1992), 195/197.

34

§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

sich aufnehmen. Oft bleibt daher letztlich der exakte Umriß der Argumentationsfigur der Kompensation im Dunkeln. Es soll gezeigt werden, daß diese gänzlich unterschiedlichen Ausprägungen dennoch auf einen gemeinsamen Grundgedanken zurückgeführt werden können. Dem Verlust an begrifflicher Schärfe steht die Kompensationsidee als umfassendes Erklärungsmodell gegenüber. Diesen gemeinsamen Grundgedanken herauszuarbeiten und damit zugleich den Untersuchungsgegenstand weiter zu präzisieren, ist Aufgabe und Ziel des folgenden Abschnitts.

B. Der Kompensationsgedanke im Rahmen juristischer Argumentationszusammenhänge I. Begrifflichkeit Der Ausgangspunkt einer jeden Auslegung ist der Wortlaut.7 Hier geht es jedoch nicht um die Auslegung eines vom Gesetzgeber geprägten Begriffs der Kompensation. Einzig § 19 Abs. 2–4 BNatSchG kann seit 2002 einen Anhaltspunkt im Normtext liefern.8 Jedoch kann sich der Gesetzesinterpret nicht auf die vom Gesetz- oder Verfassungsgeber aufgestellten Normen beschränken. Will er das Recht zu einer höheren Entwicklungsstufe führen, bedarf es der Ausbildung von Rechtsbegriffen.9 Es lohnt folglich eine begriffliche Fixierung: Zwar wohnt dem abstrahierenden Denken eine Tendenz zur Sinnentleerung inne.10 Doch schafft die Herausbildung von Begriffen und leitenden Grundgedanken Übersichtlichkeit und ermöglicht eine systematische Ordnung.11 Aus dem abstrahierenden Begriff lassen sich Lösungen zu Auslegungsfragen deduzieren.12 Die Alltagssprache ist hierfür nur bedingt tauglich, da ihre Vielgestaltigkeit und ihr metaphorischer Charakter der eindeutigen und genauen Beschreibung einer Rechtsfigur entgegenstehen.13 Der Begriff „Kompensation“ entstammt freilich der Alltagssprache und wird allgemein als Ausgleich definiert: Kompensation beschreibt die Aufhebung der Wirkungen einer Tatsache durch eine ihr gegenübertretende korrespondierende 7 Larenz,

Methodenlehre, S. 320. abgesehen findet der Begriff nahezu keinen Niederschlag im Gesetz. Vgl. aber § 89 f. UGB Prof.-E. 9 Jhering, Geist des römischen Rechts, § 41, welcher von „Rechtskörpern“ bzw. „juristischen Körpern“ spricht; Rümelin, Begriffsjurisprudenz, S. 85. 10 Haverkate, Normtext, S. 31, Larenz, Methodenlehre, S. 453 ff. 11 Haverkate, Normtext, S. 27 ff., insbesondere S. 29; Krawietz, Regelsystem, S. 4 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 437. 12 Krawietz, Regelsystem, S. 5. 13 Pawłowski, Begriffsbildung, S. 52 ff. 8 Davon

B. Der Kompensationsgedanke

35

Tatsache,14 also die wechselseitige Aufhebung von einander gegenüberstehenden Wirkungen.15 Angesprochen ist sowohl das Ergebnis wie auch der Vorgang des Ausgleichens. Allein die Herstellung eines Zustands der Gleichheit genügt nicht. Es muß etwas dort hingegeben werden, wo etwas fehlt, nicht jedoch umgekehrt etwas an anderer Stelle (wieder) genommen werden. Im 16. Jahrhundert fand der Begriff Eingang in die deutsche Sprache. Sein etymologischer Ursprung liegt im lateinischen compensare, was sich mit „auswiegen“ oder „abwägen“ übersetzen läßt.16 Der Begriff „compensatio“ entstammt der römischen Handelssprache und konnte zunächst schlicht „Geschäft“ bedeuten. Sehr bald schon wurde die compensatio zu einem Rechtsbegriff.17 Dieser juristische Wortsinn aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. hat sich bis heute in der zivilrechtlichen Aufrechnung (§ 387 ff. BGB) erhalten. Dem Begriff der Kompensation gelingt es zwar, verschiedenste Erscheinungen auf einen gemeinsamen gedanklichen Ursprung zurückzuführen. Da dieser Begriff jedoch auf sehr hoher Abstraktionsstufe steht, geht dieser Vorteil der Systematisierung auf Kosten der Sichtbarmachung von Sinnzusammenhängen, die sich aus den der jeweiligen problematischen Regelung zugrunde liegenden Wertmaßstäben ergeben.18 Die Kompensation erweist sich als ein rechtsnormbezogener Gedanke, der seine – jedenfalls konkrete Ausformung – erst im Einzelfall erhält.19 II. Der Kompensationsgedanke im Recht Die Entfaltung des Kompensationsgedankens im geltenden Recht darzustellen, stößt zunächst auf die Schwierigkeit, daß in der Regel ein unmittelbarer Anknüpfungspunkt im Gesetz fehlt.20 Dennoch wird der Gedanke der Kompensation vom Gesetzgeber in unterschiedlichen Zusammenhängen (implizit) verwendet. Eine Analyse der Rechtsordnung soll es ermöglichen, die grundlegenden Ei-

14 Brockhaus, Brockhaus – die Enzyklopädie, Stichwort „Kompensation“; Brockhaus, Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon, Stichwort „Kompensation“; Meißner, Bundesländer, S. 167. 15 Wahrig, Brockhaus-Wahrig, Stichwort „Kompensation“. 16 Auberle, Duden, Herkunftswörterbuch, Stichwort „kompensieren“; Kluge, Etymologisches Wörterbuch, Stichwort „kompensieren“; Köbler, Rechtswörterbuch, Stichwort „Kompensation“. 17 Ritter, Historisches Wörterbuch der Philosophie, Sp. 912; Inst. 4, 66: „[. . . ] inter compensationem [. . . ] quae argentario opponitur et deductionem, quae obicitur bonorum emptori, illa differentia est, quod in compensatione hoc solum vocatur, quod eiusdem generis et naturae est [. . . ] in deductionem [. . . ] vocatur et quod non est eiusdem generis.“ 18 Larenz, Methodenlehre, S. 456. 19 Klein, DVBl. 1981, 661/661; Rabe, Kompensation, S. 85. Vgl. Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 157: „allgemeine Funktionsmaxime sozialer Rechtsstaatlichkeit“. 20 Vgl. oben S. 34, bei Fn. 8.

36

§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

genschaften von Kompensationen, wie sie allen Ausprägungen gemeinsam sind, aufzudecken. 1. Zivilrecht Das Privatrecht und das Öffentliche Recht stehen nicht beziehungslos nebeneinander.21 Es lohnt daher zur Analyse des Kompensationsgedankens im Öffentlichen Recht auch ein Blick in die Zivilrechtsordnung. a) Aufrechnung Seit fast zwei Jahrtausenden ist der Kompensationsgedanke fester Bestandteil zivilrechtlicher Dogmatik. Im römischen Recht entwickelten sich verschiedene Rechtsinstitute, die schließlich zu einem einheitlichen Rechtsbehelf der Einrede der compensatio zusammengefaßt wurden.22 Die Kompensation ist Synonym für die wechselseitige Tilgung zweier sich gegenüberstehender gleichartiger Forderungen (Aufrechnung).23 Voraussetzung der Aufrechnung ist u. a. die Gegenseitigkeit der Forderung, d. h. daß grundsätzlich der Gläubiger der einen Schuldner der anderen Forderung ist. Diese Voraussetzung läßt sich als ein Erfordernis der Personenidentität begreifen: Es soll der Gläubiger keine Forderung verlieren, wenn ihm nicht ein entsprechender Vorteil (Tilgung seiner Schuld) zufließt.24 Weitere Voraussetzung ist die Gleichartigkeit der geschuldeten Leistungen. Nur so ist eine Verrechnung überhaupt möglich. Unerheblich ist grundsätzlich25 der Entstehungsgrund, der Zweck oder eine Konnexität der Forderungen. Kennzeichnend ist, daß die Aufrechnung zwar zur Tilgung der Schuld führt, sie jedoch weniger als die Erfüllung, eben nur Erfüllungssurrogat, ist.26 Es wird gerade nicht die geschuldete Leistung vom Schuldner erbracht, sondern eine, die (nur) aufgrund gesetzlicher Anordnung Tilgungswirkung entfaltet. 21 Hoffmann-Riem, Auffangordnungen, S. 261 ff.; Schmidt-Aßmann, Öffentliches Recht und Privatrecht: Ihre Funktion als wechselseitige Auffangordnungen – Einleitende Problemskizze, S. 7 ff. 22 Die Möglichkeit, eine Kompensationseinrede zu erheben, bestand seit Justinian für (fast) alle Klageansprüche. Eine ausführliche Analyse findet sich bei Kretschmar, Entwicklung. Justinian dehnte die Möglichkeit, eine Kompensationseinrede zu erheben, auf (fast) alle Klageansprüche aus. Sie war seitdem allgemein kraft des officium iudicis zu berücksichtigen (Gursky in: Staudinger, BGB, Vorbem § 387 ff. Rn. 4; Inst. 4, 6, 30: Kompensationen „actiones ipso iure minuant“, womit nicht gemeint war, daß die Verrechnung der beiden Forderungen unabhängig vom Parteiwillen eintritt). 23 Larenz, Schuldrecht AT, § 18 VI pr.; Heinrichs in: Palandt, BGB, § 387 Rn. 1; Gursky in: Staudinger, BGB, Vorbem § 387 ff. Rn. 1. Heute freilich dürfte der Begriff der Kompensation durch den der Aufrechnung gänzlich abgelöst worden sein. 24 Vgl. Gursky in: Staudinger, BGB, § 387 Rn. 61. 25 Eine Ausnahme bilden die § 390 ff. BGB. 26 Dies folgt schon aus der Existenz von Aufrechnungsverboten.

B. Der Kompensationsgedanke

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b) Schadensrecht Außer bei Forderungsaufrechnungen taucht der Begriff „Kompensation“ in der zivilrechtlichen Dogmatik auch im Schadensrecht (§ 249 ff. BGB) auf. Im Zentrum steht der Ausgleichsgedanke (und nicht der Sanktionsgedanke).27 „Kompensation“ könnte also in einem weiten Sinne ganz allgemein als Wiedergutmachung von Verletzungsfolgen im Gegensatz zu deren Verhütung verstanden werden.28 Charakteristisch – und auch im Ergebnis von Bedeutung – ist die strikte Unterscheidung zwischen Naturalrestitution (§ 249 BGB) und Kompensation (§ 251 BGB).29 Beide zielen auf einen äquivalenten Ausgleich des Schadens (Totalrestitution), jedoch liegt jeweils ein anderer Schadensbegriff bzw. Berechnungsmaßstab zugrunde.30 Die Naturalrestitution ersetzt das Integritätsinteresse, orientiert sich also nicht nur am Wert, sondern auch an der Zusammensetzung des Vermögens.31 Sie hat Vorrang vor der Kompensation nach § 251 BGB.32 Anerkannt ist dabei, daß es für die Befriedigung des Integritätsinteresses ausreicht, daß ein dem schadensfreien vergleichbarer, wirtschaftlich gleichwertiger Zustand herbeigeführt wird.33 Auch bei der Leistung eines Surrogats kommt es noch zu einem äquivalenten Ausgleich des Schadens. Von Bedeutung ist die Feststellung, daß das Vermögen zunächst in seinem Bestand (durch Naturalrestition) wieder hergestellt werden soll. Dies kann auch durch Leistung eines Surrogats geschehen. Eine Kompensation des Schadens nach § 251 BGB findet allenfalls subsidiär statt.34 c) Arbeitsrecht Eine – mit Blick auf sog. betriebliche Bündnisse für Arbeit aktuelle – arbeitsrechtliche Problematik wirft ebenfalls im einzelnen sehr umstrittene und bislang

27 Heinrichs in: Palandt, BGB, § 249 Rn. 5; Larenz, Schuldrecht AT, § 27 (S. 424 f.). Das verletzte Recht oder Rechtsgut setzt sich im Schadensersatzanspruch fort (Rechtsfortsetzungsgedanke). 28 Dreier, Kompensation und Prävention, S. 215. 29 Larenz, Schuldrecht AT, § 28 I pr. (S. 467 f.); Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 817 ff.; vgl. auch Medicus, JuS 1969, 449/449 f. 30 Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 818. 31 Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 817 f.; Wenk, Umweltschäden, S. 85, 136 ff.; allgemein Wolter, Naturalrestitution. 32 Der Geschädigte soll nicht gezwungen sein, an den Schädiger das verletzte Recht oder Rechtsgut zu verkaufen. 33 BGHZ 115, 364/368; Dreier, Kompensation und Prävention, S. 217; Heinrichs in: Palandt, BGB, § 249 Rn. 1; Oetker in: MünchKomm, BGB, § 249 Rn. 313. Wie groß die Abweichungen sein dürfen, ist unklar. Hierzu m. w. N. zur Rechtsprechung Oetker in: MünchKomm, BGB, § 249 Rn. 315 ff. 34 Ein ähnlicher Gedanke findet sich im Grundsatz des Vorrangs der Realvermeidung von Eingriffen in Eigentum, vgl. unten § 2 D. III. (S. 80) und § 2 D. V. (S. 86).

38

§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

nicht abschließend geklärte Fragen der Kompensation auf.35 Nach § 4 TVG wirken Tarifverträge nur einseitig zwingend. Von tarifvertraglichen Regelungen abweichende Abreden sind wirksam, wenn sie eine für den Arbeitnehmer günstigere Regelung enthalten. Als Grenze der zwingenden Wirkung des Tarifvertrags erhält dieses sog. Günstigkeitsprinzip privatautonome Gestaltungsmöglichkeiten auf übertariflichem Niveau.36 Das zentrale Problem des Günstigkeitsvergleichs liegt darin, festzustellen, welche Regelungskomplexe miteinander zu vergleichen sind, um die Begünstigung des Arbeitnehmers feststellen zu können. Es sind insbesondere diejenigen kompensatorischen Regelungen zu bestimmen, welche Berücksichtigung finden dürfen, um vom Tarifvertrag abweichende, für den Arbeitnehmer nachteilige Regelungen auszugleichen. Unproblematisch ist der Vergleich, wenn er auf formaler Ebene vollzogen werden kann, d. h. wenn bei unveränderter Leistungspflicht des Arbeitnehmers die Gegenleistung quantitativ zunimmt. Dann liegt offensichtlich eine wirksame, da für den Arbeitnehmer günstigere Regelung vor. In den anderen Fällen besteht insoweit Einigkeit, daß jedenfalls kein Gesamtvergleich vorzunehmen ist, also der Arbeitsvertrag nicht im ganzen mit dem Tarifvertrag verglichen werden darf.37 Denkbar wäre hingegen ein Vergleich jeder einzelnen Vertragsregelung mit der entsprechenden Tarifnorm. Hier besteht jedoch die Gefahr, daß zusammengehörige Regelungen ohne einleuchtenden Grund und unabhängig vom Willen der Tarifvertragsparteien auseinandergerissen werden.38 Die h. M. nimmt daher einen Sachgruppenvergleich vor, bei dem zusammengehörige Regelungsgruppen miteinander verglichen werden. Die kompensatorischen Regelungen müssen in einem sachlichen inneren Zusammenhang stehen. Dies wird in der Regel bejaht, wenn die eine ohne die andere Regelung sinnlos oder nicht verständlich ist.39 Auch können die Vertragsparteien den Zusammenhang selbst herstellen. Abgelehnt wird es in der Regel, kompensatorische außervertragliche Umstände zu berücksichtigen, da die Regelungen selbst und nicht deren tatsächliche Auswirkungen im Einzelfall betrachtet werden sollen.40

35 Vgl. BAG, AP Nr. 89 zu Art. 9 GG; BAG, EzA § 77 BetrVG 1972, Nr. 33; Schaub in: Dieterich et al., ErfKoArbR, § 4 TVG Rn. 72 a ff.; Bauer/Haußmann, NZA 2000, Sonderbeilage zu Heft 24, 42; Franzen, RdA 2001, 1; Hromadka, DB 2003, 42; Freihube/Kast, BB 2003, 2569; Wolter, NZA 2003, 1317. 36 Deinert in: Däubler, TarifVG, § 4 Rn. 575; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 36 III. Vgl. Belling, Günstigkeitsprinzip, S. 64 ff.: Das Günstigkeitsprinzip sei einfach-rechtlicher Ausfluß des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips. 37 Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 36 III 4. 38 Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 36 III. 39 Deinert in: Däubler, TarifVG, § 4 Rn. 657 f. m. w. N.; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht, § 13 Rn. 290; Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, § 36 III. 40 Deinert in: Däubler, TarifVG, § 4 Rn. 636 ff.

B. Der Kompensationsgedanke

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Personeller Bezugspunkt ist grundsätzlich der einzelne Arbeitnehmer (sog. individueller Günstigkeitsvergleich).41 Dem Günstigkeitsvergleich wird ein objektiver Maßstab zugrunde gelegt. Maßgeblich ist eine wertende Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse.42 Die Begünstigung des Arbeitnehmers muß sich aus einer ex-ante-Betrachtung ergeben. Zwar muß vor allem im Ergebnis eine Begünstigung des Arbeitnehmers vorliegen, doch dürfen allein solche künftigen Vorteile in den Vergleich einfließen, die im Zeitpunkt des eingetretenen Nachteils absehbar und sicher (nicht nur höchstwahrscheinlich) feststehen.43 Diese Voraussetzung ist zu bejahen, wenn es einzig am Arbeitnehmer liegt, die Voraussetzungen seiner Besserstellung zu erfüllen.44 Der Anwendungsbereich des Günstigkeitsvergleichs erstreckt sich jedenfalls auf Inhaltsnormen. Umstritten ist hingegen, ob er auch formelle Arbeitsbedingungen umfaßt. Dies wird teilweise mit dem Argument abgelehnt, daß Betriebsnormen als betriebseinheitliche Gesamtordnung sich einem Günstigkeitsvergleich entziehen. Ein Günstigkeitsvergleich setze die Verrechenbarkeit von Vor- und Nachteil voraus, die hier fehle.45 2. Strafrecht In Anlehnung an die schadensrechtliche Terminologie im Bürgerlichen Recht verwendet auch das Strafrecht den Begriff der Kompensation, um den Ausgleich einer Rechtsgutsbeeinträchtigung zu beschreiben.46 Nach § 199 StGB können bei gegenseitigen Beleidigungen einer oder beide Täter für straffrei erklärt werden (Kompensation, auch: Retorsion). Die Begründung der Straffreiheit ist umstritten. Nach h. M. ist zwischen Erst- und Zweittäter zu differenzieren.47 Für den Erstbeleidiger entfällt das Strafbedürfnis, da er durch die Gegenbeleidigung be41 Ein kollektiver Günstigkeitsvergleich ist allenfalls denkbar, wenn die Belegschaft als Ganzes von der fraglichen Tarifvertragsnorm geschützt wird, Deinert in: Däubler, TarifVG, § 4 Rn. 668; Schaub in: Dieterich et al., ErfKoArbR, § 4 TVG Rn. 62 f.; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht, § 13 Rn. 285 und § 16 Rn. 388. 42 Vgl. Bepler in: Däubler, TarifVG, § 4 Rn. 855; Schaub in: Dieterich et al., ErfKoArbR, § 4 TVG Rn. 69; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht, S. 855. 43 BAG, AP § 4 TVG Günstigkeitsprinzip Nr. 13 m. Anm. Wiedemann; Deinert in: Däubler, TarifVG, § 4 Rn. 692 ff. 44 Ein Wahlrecht des Arbeitnehmers ist in jedem Fall günstiger als nur die tarifvertragliche Regelung, Schaub in: Dieterich et al., ErfKoArbR, § 4 TVG Rn. 69. 45 Vgl. Schaub in: Dieterich et al., ErfKoArbR, § 4 TVG Rn. 58. Ausführlich Buschmann, NZA 1990, 387/388. 46 Jescheck/Weigend, Strafrecht, AT, § 81 III 3 (S. 868): „Gedanke gegenseitiger ‚Aufrechnung‘“. 47 Sog. „dualistischer Ansatz“: Jescheck/Weigend, Strafrecht, AT, § 81 III 3 (S. 868); Küper, JZ 1968, 651/651; Lenckner in: Schönke/Schröder, StGB, § 199 Rn. 1 m. w. N. Eine monistische Erklärung findet sich aber bei Kiehl, Toleranz. Zur geschichtlichen Entwicklung vgl. Beling, Entwicklung.

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

reits eine Art Strafe erlitten hat. Indes wird durch die Kompensation weder das Ausmaß des Unrechts noch der Grad der Schuld reduziert.48 Die Handlung des Zweittäters ist wegen der Provokation durch die Beleidigungshandlung des Ersttäters und der Nähe zur Notwehr49 sowie wegen der affektiven Erregung durch die erfahrene Beleidigung im Unrechts- und Schuldgehalt gemindert. Es bedarf hier jedoch eines besonderen Zusammenhangs zwischen dem Affekt und der Handlung (vgl. § 199 StGB „auf der Stelle“).50 Auch die dogmatische Begründung des Sinns und Zwecks der Strafe rekurriert nach richtiger Ansicht51 auf den Gedanken eines Ausgleichs („vergeltender Schuldausgleich“), wenn dieser auch nicht als Kompensation bezeichnet wird. In diesen Zusammenhang gehören auch Begründungsversuche der Strafbefreiung beim Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB), die den Ausgleichsgedanken aufgreifen. Nach Herzbergs Schulderfüllungstheorie52 erfüllt, d. h. kompensiert, der Täter seine Schuld durch eine ihm zurechenbare, freiwillige Leistung. Deshalb könne Strafbefreiung gewährt werden. 3. Öffentliches Recht: Verwaltungsrecht Im Zivilrecht und im Strafrecht ist der Terminus der Kompensation jeweils mit klar umrissenen Rechtsinstituten verbunden. Im Öffentlichen Recht hingegen dient der Begriff lediglich dazu, einen allgemeinen Rechtsgedanken zu umschreiben, der in verschiedensten Zusammenhängen gebraucht wird.53 Eine klare Terminologie scheint sich nur im Recht der öffentlichen Ersatzleistungen herausgebildet zu haben. In anderen Gebieten des Öffentlichen Rechts werden völlig heterogene Erscheinungsformen als Kompensation bezeichnet, so z. B. Kompensationslösungen im Immissionsschutzrecht54 , Ausgleichsregelungen im Naturschutzrecht55 oder Gegenleistungen bei Verwaltungsabsprachen56 . Ein Blick 48 Jescheck/Weigend, Strafrecht, AT, § 81 III 3 (S. 868); Küper, JZ 1968, 651/654 f.: Die Schuld selbst sei keine meßbare Größe und deshalb einer Aufrechnung nicht zugänglich. 49 BGHSt 10, 373/374. 50 Küper, JZ 1968, 651/655 f. 51 Krey, Strafrecht, AT, Rn. 146 f. 52 Herzberg, FS-Lackner, S. 350; kritisch indes die h. M., vgl. nur Eser in: Schönke/Schröder, StGB, § 24 Rn. 2 c m. w. N. 53 Schütz, BayVBl. 1990, 481/482 f. (der exakte Umriß der Argumentationsfigur bleibt im dunkeln und vage); Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 I 4 (S. 21). 54 BVerwGE 55, 250/265 f.; Hoppe/Beckmann/Kauch, Umweltrecht, § 21 Rn. 55; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 5 I (S. 171 ff.). Vgl. z. B. §§ 7 Abs. 3, 48 Nr. 4 BImSchG zur Kompensationsmöglichkeit für Altanlagen. 55 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 4 II 3 a (S. 136 ff.). Vgl. auch den neuen § 19 Abs. 2–4 BNatSchG. 56 Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 190/239 und öfter; Rabe, Kompensation; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 3 I 1 (S. 54 ff.).

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auf diese heterogenen Erscheinungsformen der Kompensation soll zeigen, daß der Kompensationsgedanke auch im Öffentlichen Recht allgemeingültige dogmatische Strukturen aufweist.57 a) Staatshaftung Im Recht der öffentlichen Ersatzleistungen wird in Anlehnung an die zivilrechtlichen Begrifflichkeiten zwischen (öffentlich-rechtlicher) Kompensation und Restitution als Formen der Wiedergutmachung differenziert.58 Auf Kompensation eines von hoher Hand verursachten Schadens zielen die Ansprüche aus Amtshaftung, Enteignung und Aufopferung. Der Bürger soll durch Geldausgleich schadlos gestellt werden.59 Der Folgenbeseitigungsanspruch hingegen ist auf die Restitution des status quo ante in natura gerichtet (Wiederherstellungsanspruch) und ist kein allgemeiner Wiedergutmachungsanspruch zur Kompensation aller Schäden.60 Dies stellt ein aliud gegenüber dem Entschädigungsanspruch dar und ein minus gegenüber dem in § 249 Abs. 1 BGB angesprochenen Anspruch auf Naturalrestitution.61 Aber auch beim Folgenbeseitigungsanspruch taucht der Kompensationsgedanke auf, wenn ein Mitverschulden des Bürgers nicht zum vollständigen Ausschluß des Anspruchs führt, sondern zu einer Pflicht des Bürgers, einen entsprechenden Geldbetrag zu zahlen, so daß sich eigentlich nicht quantifizierbare Kompensationsleistungen auf ihre Gleichwertigkeit hin untersuchen lassen.62 Übertragen wurde das Gegensatzpaar Kompensation und Restitution auf naturschutzrechtliche Ausgleichsregelungen.63 b) Ausgleich bei konsensualen Verwaltungsabsprachen Im Bereich des konsensualen Verwaltungshandelns findet sich weiterer theoretischer Nährboden für die dogmatische Konturierung des Kompensationsgedankens. 57 Außerdem taucht die Kompensationsargumentation im Verwaltungsrecht bei Ungleichgewichtslagen im Verwaltungsverfahren auf. Hufen, Fehler, Rn. 62, 609 f.; Trute, Verzahnungen von öffentlichem und privatem Recht – anhand ausgewählter Beispiele, S. 216 ff. 58 Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 1. Näher vgl. unten § 2 D. (S. 70). 59 Steinberg/Lubberger, Aufopferung – Enteignung und Staatshaftung, S. 340 f. 60 BVerwGE 28, 155/165; Bender, Staatshaftungsrecht, Rn. 221; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, S. 236; Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 847; Steinberg/Lubberger, Aufopferung – Enteignung und Staatshaftung, S. 383 f.; anders noch: Menger, GS-Jellinek, S. 350 ff.; Redeker, DÖV 1987, 194/198. 61 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 302; vgl. Bachof , Klage, S. 118. 62 BVerwG, NJW 1989, 2484; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 324. 63 Kloepfer, Umweltrecht, § 11 Rn. 41; Seibt, Ausgleich, S. 185 ff.; Wenk, Umweltschäden, insbesondere S. 136 ff.

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

Schon seit einiger Zeit sind tiefgreifende Modernisierungsbestrebungen im Verwaltungsrecht zu verzeichnen, um eine größere Flexibilisierung zu erreichen.64 Von einem modernen Verwaltungsrecht werden Steuerungsleistungen erwartet.65 Dies will das bisherige, regulativ geprägte Recht durch imperative Regelungen (strikte Steuerung durch Gebote, Verbote, Sanktionsdrohungen etc.) erreichen.66 Indes zeigen Defizite der Normbefolgung, des Vollzugs und der Zielerreichung, daß die Funktionsgrenze einer solchen einseitigen Steuerung durch Gebote und Verbote erreicht ist.67 Man spricht allgemein von einer Wirkungsschwäche der imperativ-hierarchischen Steuerung68 , einer Krise des regulativen Rechts69 sowie von den daraus folgenden Vollzugsdefiziten.70 Die Ursachen dürften im wesentlichen auf die Veränderung der Staatsaufgaben aufgrund des höheren Stellenwerts leistungsstaatlicher Aktivitäten zurückzuführen sein.71 Die Aufgaben des Staates erschöpfen sich nicht mehr darin, den Bürger zu schützen, sondern umfassen ein planendes, lenkendes und leistendes Tätigwerden von Verfassungs wegen.72 Die zu steuernde Rechts- und Sachlage zeichnen sich dabei in vielen Bereichen zunehmend durch hohe Komplexität und wachsende Dynamik aus, welche die erforderlichen Zukunftsprognosen schwierig macht.73 Die herkömmlichen einseitigen hoheitlichen Mittel passen nicht zu den immer häufiger auftretenden multipolaren Interessenkonflikten. Nach der Sy64 Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Schuppert, Reform. Vgl. auch den Überblick bei Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 1 (S. 1) m. w. N. 65 Vgl. Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform, S. 121 ff.; Schmidt-Aßmann, Reform, S. 13; Wahl, VVDStRL 41 (1983), 151/153 (Verwaltungsverfahren als Verwirklichungsmodus des Rechts). 66 Lange, VerwArch 82 (1991), 1/2; Schuppert, Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft. Zur Steuerung des Verwaltungshandelns durch Verwaltungsrecht, S. 69 f. und 98; vgl. Dose, DV 27 (1994), 91/97: Das deutsche Staats- und Verwaltungsrecht sei in kontinentaleuropäischer Tradition spezifisch normierten Formalisierungen unterworfen. 67 Zur Entstehung von Kooperationen Benz, StWStP 2 (1991), 46/57 ff.; Bohne, Informaler Rechtsstaat, S. 57 ff. (am Beispiel des Immissionsschutzrechts); Dose, DV 27 (1994), 91/99 m. w. N.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 1 I (S. 1 f.). 68 Günther, Wandel, S. 51 ff.; Schuppert, Grenzen, S. 217 ff.; Schuppert, Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft. Zur Steuerung des Verwaltungshandelns durch Verwaltungsrecht, S. 78 ff.; Ritter, Recht als Steuerungsmedium, S. 69 ff. 69 Günther, Wandel, S. 51 ff.; Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 187/201 f.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 1 I pr. (S. 1). 70 Bull, Verwaltungsrecht, Rn. 242; Erichsen in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 32; Maurer, Verwaltungsrecht, § 15 Rn. 14 ff.; Treiber, Regulative Politik, S. 193 f.; schon Ritter, AöR 104 (1979), 389/390: Beim planenden Staat sei die Annahme der Voraussetzungen, daß der Staat das Verhältnis der Steuerungssubjekte durch Machtanwendung beeinflussen könne, realitätsferne Fiktion. 71 Bohne, VerwArch 75 (1984), 343/346; Lange, VerwArch 82 (1991), 1/2 f.; allgemein Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 1 I (S. 1 ff.). 72 Hesse, AöR 98 (1973), 1/11. Das Grundgesetz normiert im Unterschied zu früheren Verfassungen das Sozialstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG. 73 Vgl. die Referate auf der Staatsrechtslehrertagung 1990 von Ipsen, VVDStRL 48 (1990), 177/177 ff., Murswiek, VVDStRL 48 (1990), 207/207 ff. und Schlink, VVDStRL 48 (1990), 235/235 ff. zum Thema „Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht“.

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stemtheorie74 liegt eine weitere Ursache in der zunehmenden funktionellen Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilbereiche, die einer Steuerung durch Recht von außen weitgehend entzogen sind. Gründe werden auch in der unzureichenden Verständlichkeit moderner Gesetze, die in ihrer Zahl zudem beständig ansteigen,75 gesehen. Überbordende Verrechtlichung führt zu einer faktischen Entrechtlichung.76 Im Gegensatz hierzu ist in manchen Rechtsbereichen eine Steuerungsunwilligkeit des Staates zu verzeichnen. So ist vor allem bei gestaltenden, komplexen Verwaltungsentscheidungen nur eine schwache gesetzliche Programmierung auszumachen; das Verwaltungsverfahren selbst soll Legitimationswirkungen erzeugen.77 Aus diesen Defiziten resultiert die Entwicklung neuer, funktional äquivalenter Durchsetzungsstrategien. Eine solche wird vor allem in Verhandlungslösungen gesehen, welche der Komplexität der gegenwärtigen rechtlichen wie tatsächlichen Entwicklung nicht ausweichen, sondern sie neu eröffnen78 – freilich mit dem Anspruch, verdeckte und/oder verdrängte Effekte zu erkennen und auf diese Weise die optimierte Durchsetzung von Zielen zu ermöglichen. In der Beziehung zwischen Staat und Bürger haben sich daher in beträchtlichem Umfang wechselseitige Kontaktaufnahmen, Verständigungen, Absprachen, Abstimmungen, Vorabklärungen und ähnliche Arten der Kooperation ausgebildet.79 Dieses kooperative Verwaltungshandeln80 läßt sich mit den traditionellen Vorstellungen und 74 Etwa Luhmann, Systeme, S. 57 ff.; Luhmann, Recht, S. 38 ff.; kritisch z. B. Schuppert, Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft. Zur Steuerung des Verwaltungshandelns durch Verwaltungsrecht, S. 69. 75 Hill, Gesetzgebungslehre, S. 44 ff., auch S. 9 m. w. N.; zur Wirkungsoptimalität als Teil der Rechtssetzungsqualität vgl. Hugger, Gesetze, S. 45 ff. 76 Sendler, DVBl. 1995, 978/978 ff.; Bohne geht sogar soweit zu äußern, daß die Funktionsfähigkeit der Gesetze z. T. darauf beruhe, daß sie auf informalem Wege umgangen würden (Bohne, VerwArch 75 (1984), 343/372). 77 Wahl, VVDStRL 41 (1983), 151/158 und dort Fn. 14. Zur Typologie „postinterventionistischen Rechts“ vgl. Schuppert, Verwaltungsrechtswissenschaft als Steuerungswissenschaft. Zur Steuerung des Verwaltungshandelns durch Verwaltungsrecht, S. 77 ff. Nach dem Konzept der Prozeduralisierung sollen auch die Norminhalte überwiegend im Verfahren selbst gewonnen werden, Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 3 I 2 (S. 63 ff.) m. w. N. (z. B. Öko-Audit, UVP). 78 Suhr, Kompensationen und Entscheidungsverknüpfungen, S. 115. 79 Dose, DV 27 (1994), 91/96. 80 Unter den Begriff des „kooperativen“ oder „informalen Verwaltungshandelns“ fallen „alle rechtlich nicht geregelten Tathandlungen, die der Staat anstelle von rechtlich geregelten Verfahrenshandlungen oder Rechtsfolgenentscheidungen wählt, die jedoch zur Herbeiführung des beabsichtigten Erfolges auch in den von der Rechtsordnung bereitgestellten öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Handlungsformen hätten erfolgen können“, so Bohne in seinen begriffsprägenden Arbeiten Bohne, VerwArch 75 (1984), 343/344; Bohne, Informaler Rechtsstaat, S. 43 ff. (vgl. auch Bauer, VerwArch 128 (1987), 241/244; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 206; Maurer, Verwaltungsrecht, § 15 Rn. 16; Ossenbühl, UTR 3 (1987), 27/29 f.). Kennzeichnend ist die rechtliche – nicht faktische – Unverbindlichkeit des informellen Handelns (Rabe, Kompensation, S. 20 und 24 ff. m. w. N.). Es ordnet sich daher zwischen der Untätigkeit der Verwaltung und dem öffentlich-rechtlichen Vertrag ein. Trotz der gegenwärtigen umfangreichen Diskussionen begegnen wir keinem neuen Phänomen (Dose, DV 27 (1994), 91/95 m. w. N.; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 207; Treiber, Regulative Politik, S. 195 ff.

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

Instituten des Verwaltungsverfahrensrechts nicht mehr ohne weiteres vereinbaren.81 Die Verantwortungssphären zwischen öffentlicher Verwaltung und Bürger werden neu und differenzierter verteilt. Die Steuerung durch materiell-rechtliche Vorgaben wird tendenziell reduziert zugunsten einer Verantwortungsteilung zwischen Staat und Bürger, der zum gleichberechtigten Verhandlungspartner erhoben wird82 : Das Recht soll keine Handlungsanweisungen, sondern Zielvorgaben formulieren und entsprechende Verfahren zur Verfügung stellen.83 Geradezu klassischer Inhalt von Absprachen zwischen Behörde und Bürger sind Kompensationen, beruhen kooperative Handlungen doch in der Regel auf Tauschbeziehungen zwischen den Beteiligten.84 Der Kompensationsgedanke wird daher im Bereich des informellen Verwaltungshandelns als alleinige rechtskonstruktive Möglichkeit der Legalisierung von Absprachen angesehen.85 Er ordnet sich in die angestrebte Flexibilisierung des Verwaltungsrechts ein, indem er der Verwaltung und dem einzelnen zusätzliche Handlungsspielräume nach dem Prinzip des do ut des eröffnet.86 Um das vom Recht formulierte Ziel zu erreichen, sind typischerweise rechtsgutsbezogene Entscheidungskonflikte einer Einigung zuzuführen. Dies kann im Wege eines Kompromisses geschehen. Zumindest ein Verhandlungspartner ist in der Regel gezwungen, von seiner Maximalposition abzurücken. Diese Form der Konfliktlösung stellt eine oftmals ineffektive Vorgehensweise dar.87 Deshalb werden Tauschgeschäfte und Paketlösungen favorisiert und für auf der einen Seite entstehende Nachteile Kompensationsleistungen vereinbart.88 So können beide (zur Fabrikgesetzgebung im 19. Jahrhundert); Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 3 I 1, Fn. 5 (S. 54) m. w. N.). Zu den Formen kooperativen Verwaltungshandelns Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 78 ff. 81 Bauer, VerwArch 128 (1987), 241/241; Suhr, Kompensationen und Entscheidungsverknüpfungen, S. 113. 82 Benz, StWStP 2 (1991), 46/50; Maurer, Verwaltungsrecht, § 15 Rn. 15 („. . . weil das grundrechtlich geprägte Verhältnis Staat–Bürger darauf drängt, den Bürger als selbständige Person nach Möglichkeit in den staatlichen Entscheidungsprozeß einzubeziehen.“); Schmidt-Aßmann, Reform, S. 34; Treiber, Regulative Politik, S. 194; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 1 I (S. 5). 83 Bohne, Informaler Rechtsstaat, S. 79 ff.; Eberle, DV 17 (1984), 439/442 f.; Lange, VerwArch 82 (1991), 1/5. 84 Bohne, VerwArch 75 (1984), 343/344; Häusler, Konsensuales Verwaltungshandeln, S. 171 und 174; vgl. auch Bohne, Informaler Rechtsstaat, S. 67 ff. 85 Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 190/236 ff.; Schmidt-Preuß, VVDStRL 56 (1997), 160/196 ff. 86 Häusler, Konsensuales Verwaltungshandeln, S. 172; O’Hare, Compensation and Joint Gains, S. 193 ff.; Treiber, Regulative Politik, S. 195; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 1 I (S. 1 ff.) und § 3 I (S. 53 ff.). 87 Risse, NJW 2000, 1614/1619 sub. 4; ähnlich Suhr, Kompensationen und Entscheidungsverknüpfungen, S. 116. 88 Vgl. Häusler, Konsensuales Verwaltungshandeln, S. 171; Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), 400/440. Hier geht es primär nicht um Rechtspositionen der Parteien, sondern es können die hinter diesen liegenden Interessen der Verhandlungspartner erfragt und berücksichtigt werden. Der dem Ordnungsrecht inhärente Dualismus aus Abwehr und Duldung wird überwunden. Eine vertragliche

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Verhandlungspartner an ihrer Ausgangsposition festhalten, ohne das fokussierte Ziel zu verfehlen, und zugleich Konfliktpotential abbauen.89 Außerdem kann der Verhandlungspartner zu überobligationsmäßigen Leistungen motiviert werden. Bislang stand die Frage im Mittelpunkt, wann dem einzelnen die subjektive Rechtsmacht zusteht, Eingriffe des Staates abzuwehren. Durch die Kompensation wird diese „binäre Kodierung des Rechtssystems“90 , das Alles-oder-NichtsPrinzip zugunsten flexibler und schneller Maßnahmen aufgegeben. Die Kompensation beseitigt endgültig die finale, linear-zweckrationale Betrachtungsweise und zwingt dazu, sich den komplexen Transferzusammenhängen zu widmen.91 Kompensations- bzw. Verhandlungslösungen bilden hier eine Alternative, um dem gesetzlichen Ziel entsprechend steuernd tätig zu werden. Dabei bleibt es bei einer Steuerung durch den Gesetzgeber, da er die Voraussetzungen, Art und Umfang der Kompensation normativ klären kann (sog. programmiertes kooperatives Verwaltungshandeln).92 Geschaffen wird ein Rahmen, innerhalb dessen sich das Verwaltungshandeln bewegen muß. Der Vorbehalt des Gesetzes fordert dabei eine klare, gesetzlich formulierte Zielvorgabe.93 Den Vorteilen informeller Verwaltungsabsprachen stehen beträchtliche Gefahren gegenüber.94 So wird bei erfolgreich abgeschlossenen Vorverhandlungen das durchzuführende Genehmigungsverfahren zur bloßen Formalie ohne eigene Funktion entleert. Dennoch erforderliche Kontrollen sowie gerichtlicher RechtsVereinbarung gewährleistet grundsätzlich Pareto-Optimalität zwischen den Parteien, die beide einen Nutzungsgewinn erzielen und trotz der Transaktionskosten einen Wohlfahrtsgewinn erwirtschaften („mutually utility increasing“, Suhr, Kompensationen und Entscheidungsverknüpfungen, S. 128). Zur Funktionsweise von Verhandlungen Benz, StWStP 2 (1991), 46/50 ff., 66 f. 89 Häusler, Konsensuales Verwaltungshandeln, S. 174; Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform, S. 162 ff.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 3 I 1 a (S. 55). 90 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 1 I (S. 8). 91 Suhr, Kompensationen und Entscheidungsverknüpfungen, S. 135. Die Kompensation gleicht Nachteile aus, die Eingriffe zur Durchsetzung von Gemeinwohlbelangen verursachen. Ohne eine solche Kompensation läge eine Externalisierung von Gemeinwohlkosten vor, die beim Betroffenen privatisiert werden (Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), 400/440). Andererseits geht es um die Abschöpfung von individuellen Vorteilen (Prinzip funktionstauglicher Re-Internalisierung sowohl negativer wie auch positiver externer Effekte, vgl. Friauf , FS-Jahrreiß, S. 45 ff.; Suhr, Kompensationen und Entscheidungsverknüpfungen, S. 118 f. und 127). 92 Dose, DV 27 (1994), 91/91 und 93 f.; ähnlich Rehbinder in: Endres/Rehbinder/Schwarze, Umweltzertifikate, S. 73 f. Neben dem programmierten Recht gibt es auch kooperatives Verhalten ermöglichendes Recht. In jedem Fall legt jedoch der Gesetzgeber zumindest äußerste Grenzen für die Zulässigkeit solchen Verhaltens fest. Dies ist auch erforderlich, da für ein rechtsstaatliches und demokratisches Verwaltungsrecht Gesetz und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung unverzichtbar sind (Schmidt-Aßmann, Reform, S. 47 f.). 93 Lange, VerwArch 82 (1991), 1/12 f. 94 Bauer, VerwArch 128 (1987), 241/254 ff.; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 82 ff.; Dose, DV 27 (1994), 91/94, 98; Eberle, DV 17 (1984), 439/443; Hoffmann-Riem, VVDStRL 40 (1982), 187/182, 203 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 217, 224; Lange, VerwArch 82 (1991), 1/3 ff.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 3 III 2 (S. 96 ff.).

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schutz werden erschwert. Schließlich tendiert die einvernehmliche Lösung auf der Suche nach einem „passenden“ Ergebnis zu einer nur selektiven Interessenwahrnehmung sowie dazu, hinderliche gesetzliche Regelungen zu relativieren. Die Bindung der Verwaltung an das Parlamentsgesetz wird gelockert. Von großer Bedeutung ist schließlich die Gefahr einer Asymmetrie gegenüber anderen Verfahrensbeteiligten. Interessen von Drittbetroffenen oder anderen Behörden werden abgeblockt, wenn sie dem einvernehmlich gefundenen Ergebnis im Wege stehen und daher als störend empfunden werden. Die Mehrpoligkeit der Interessenbeziehungen wird tendenziell verdeckt durch die bilaterale Verhandlungssituation. Es ist daher dafür Sorge zu tragen, daß eine Bindung an einen zumindest äußeren gesetzlichen Rahmen effektiv besteht. Der Gesetzgeber muß allein schon zur Wahrung von Rechtsstaats- und Demokratieprinzip den Zulässigkeitsrahmen kompensatorischer Regelungen im Gesetz klären. Sonst droht die dem Kompensationsgedanken scheinbar innewohnende Legitimationskraft parlamentarische Entscheidungen zu ersetzen.95 . Die aufgezeigten Gefahren kooperativen Verwaltungshandelns machen deutlich, daß eine vor allem rechtsstaatlich vertretbare Verhandlungslösung nur innerhalb bestimmter Grenzen denkbar ist. Es wird versucht, diese Grenzen des informellen Verwaltungshandelns aus dem Kompensationsgedanken heraus zu entwickeln.96 Zugleich dient er als konstruktive Möglichkeit dogmatischer Konturierung informeller Verwaltungsabsprachen selbst. Unabhängig von den verschiedenen weiteren dogmatischen Konturierungsversuchen kooperativen Verwaltungshandelns97 lassen sich aus den genannten Charakteristika kompensatorischer Verwaltungsabsprachen und den aufgezeigten, damit verbundenen Gefahren allgemeine Anforderungen an Verwaltungsabsprachen ableiten:98

95 Voßkuhle,

Kompensationsprinzip, § 3 I 1 b (S. 62). VVDStRL 52 (1993), 190/236 ff.: Der im Verzicht der Ausführung des normativen Handlungsauftrags liegende Rechtsverstoß werde in dem Maße kompensiert, wie das im öffentlichen Interesse liegende durch Ermächtigung zur hoheitlichen Regelung angestrebte Ergebnis durch die Befolgung der von Privaten versprochenen Handlungen oder Unterlassungen tatsächlich erreicht werde (S. 237). Im Anschluß an Burmeister Rabe, Kompensation; vgl. auch Spannowsky, Grenzen des Verwaltungshandelns, S. 143 f., 155, 157, 451, 454, 514. 97 Bauer, VerwArch 128 (1987), 241/256 f. (Lösung über die sog. Rechtsverhältnislehre); Bohne, VerwArch 75 (1984), 343/347 ff., 351 ff.; Dose, DV 27 (1994), 91/93 (Grundlagen seien die §§ 10, 25, 28 f. VwVfG) und Dose, DV 27 (1994), 91/98 ff. mit Kritik an der Handlungsformenlehre; Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform, S. 153 ff.; Lange, VerwArch 82 (1991), 1/12 ff. (Differenzierung zwischen verfassungsrechtlichen Vorgaben für das Verfahren und für den Inhalt der staatlichen Steuerung); Schmidt-Aßmann, Reform, S. 45 ff. 98 Benz, StWStP 2 (1991), 46/66 f.; Benz, Kooperative Verwaltung, S. 150 ff. (eher aus tatsächlicher Sicht); Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 3 I 1 a (S. 58). Vgl. allgemein zur Zulässigkeit kooperativen Verwaltungshandelns auch das sog. Flachglasurteil des BVerwG (BVerwGE 45, 309/320 ff.), wonach Vorausbindungen unbedenklich seien, wenn sie sachlich gerechtfertigt seien, unter Wahrung der rechtlichen Zuständigkeitsordnung getroffen würden und inhaltlich nicht zu beanstanden seien. 96 Burmeister,

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aa) Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung Zweifelsfrei ist, daß die Verwaltung nicht über ihre Bindung an das Gesetz disponieren kann. Aus dem Gesetzmäßigkeitsprinzip der Verwaltung folgt, daß eine Kompensationsvereinbarung alle betroffenen materiellen Gesetzesziele fördern muß.99 Nur die Bevorzugung eines bestimmten Belangs ist nicht zulässig. Eine Verschlechterung des status quo darf nicht eintreten, gegebenenfalls ist der Intention des Gesetzes folgend eine Verbesserung der Gesamtsituation erforderlich. Es bedarf daher einer zumindest annähernden Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung.100 Zwar ist für eine Absprache gerade charakteristisch, daß die Parteien Leistung und Gegenleistung selbst bewerten und so das Äquivalenzverhältnis selbst bestimmen können.101 Hier gilt jedoch nicht der Grundsatz der Privatautonomie, sondern die Verwaltung bleibt – trotz des eröffneten Handlungsspielraums – an das Gesetz gebunden. Es müssen Leistung und Gegenleistung folglich miteinander verrechnet werden können, z. B. gleiche Schadstoffe im gleichen Belastungsgebiet.102 bb) Sachlicher Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung Die zu verrechnenden Leistungen müssen in einem sachlichen Zusammenhang stehen.103 Die Gegenleistung muß geeignet sein, einen sonst bestehenden Ablehnungsgrund auszuräumen.104 Es darf nichts verbunden werden, was nicht ohnehin in einem engen Zusammenhang steht.105 Sinn dieser Voraussetzung ist, daß die Behörde die Besonderheiten des Einzelfalls würdigen können soll, um den Gesetzeszweck zu verwirklichen. Es soll aber ein Tauschhandel vermieden werden. Bei diesem könnte sich der mächtigere Tauschpartner durchsetzen. Die Unbefangenheit der behördlichen Amtsausübung wird gewährleistet, indem sichergestellt wird, daß alle relevanten Belange ihrem Gewicht entsprechend berücksichtigt werden.

99 Bohne,

VerwArch 75 (1984), 343/351; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 90 f. VVDStRL 52 (1993), 190/240. 101 Vgl. z. B. die Situation beim gerichtlichen Vergleich, wo ggf. völlig unterschiedliche Leistungen von den Parteien als gleichwertig eingestuft werden, Häusler, Konsensuales Verwaltungshandeln, S. 173. 102 Jarass, DVBl. 1985, 193/198. 103 Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 190/239 f.: „funktionale Aufeinanderbezogenheit“; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 3 I 1 a (S. 58). Vgl. das Kopplungsverbot des § 56 VwVfG. 104 Bohne, VerwArch 75 (1984), 343/365 ff. spricht von „Zwecktauglichkeit“ der Maßnahme. 105 Vgl. Hoffmann-Riem, AöR 115 (1990), 400/440 und allgemein zum Kopplungsverbot Bonk in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 56 Rn. 3. 100 Burmeister,

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

cc) Wahrung von Rechten Dritter Aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt die Anforderung des fairen (Verwaltungs-) Verfahrens.106 Die Kompensationsvereinbarung darf zu keinen negativen externen Effekten auf Seiten Dritter führen.107 Dies setzt zunächst eine unparteiische Verhandlungsführung durch die Verwaltung voraus.108 Außerdem ist die Verwaltung gehalten, Anhörungs- und Beteiligungsrechte Dritter im (nachfolgenden) Verwaltungsverfahren nicht auszuhöhlen, d. h. betroffene Dritte sind rechtzeitig hinzuzuziehen.109 Hierzu gehört auch, daß das Recht des Dritten auf Akteneinsicht nicht funktionslos wird. Die Kooperationsvorgänge müssen aktenmäßig festgehalten und so transparent gemacht werden. Schließlich darf sich die Verwaltung nicht einseitig auf die Informationen ihres Verhandlungspartners verlassen, sondern muß – dem Amtsermittlungsgrundsatz entsprechend – selbst die Tatsachengrundlage ermitteln. dd) Organisationsadäquate Aufgabenverteilung Der Grundsatz der Gewaltenteilung fordert schließlich, daß eine organisationsadäquate Aufgabenverteilung vorgenommen wird.110 Nur die für die gesamte Materie zuständige Behörde kann die Letztverantwortlichkeit der Verwaltung für das ausgehandelte Ergebnis tragen.111 c) Umweltrecht: prospektive Kompensation durch Private In engem Zusammenhang mit der Verwendung des Kompensationsgedankens im Rahmen der Diskussion zu kooperativem Verwaltungshandeln stehen Kompensationen als Steuerungskonzept im Umweltrecht.112 Insbesondere das Recht 106 Lange, VerwArch 82 (1991), 1/14 ff. Vgl. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 190/241 f., wonach die Verwaltung an den normativen Auftrag zur Durchsetzung des Gemeinwohls durch Regelung strikt gebunden sei, wenn ein förmliches Verwaltungsverfahren nach § 63 ff. VwVfG vorgeschrieben sei oder wenn sich dieses Erfordernis unmittelbar aus der Existenz grundrechtsgeschützter Teilhaberechte Dritter am Verfahren über den Regelungserlaß ergebe, und Bohne, VerwArch 75 (1984), 343/367 f. 107 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 3 I 1 a (S. 58). 108 Bohne, VerwArch 75 (1984), 343/351 f.; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 84 ff., 85. 109 Bohne, VerwArch 75 (1984), 343/352 f.; Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 86. 110 Schmidt-Aßmann, Reform, S. 46. 111 Vgl. Dauber, Kooperatives Verwaltungshandeln, S. 89 f. 112 Diese Kompensation kann ungeachtet ihrer verschiedenen Ausprägungen allgemein als prospektive Kompensation durch Private bezeichnet werden. Begriffsprägend war Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 1 II 1 (S. 10 f.) Der Blick gerade auf das Umweltrecht lohnt deshalb, weil es in besonders starkem Maße typenbildende Kraft für das Verwaltungshandeln entfaltet (Schulze-Fielitz, DV 27

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der Luftreinhaltung verwendet den Begriff der Kompensation zur Bezeichnung einer umweltpolitischen Konzeption, die einem Unternehmen mehr Flexibilität bei der Einhaltung der gesetzlichen und administrativen Anforderungen zur Minderung der Emissionen verleiht.113 Das Grundprinzip der Kompensation erscheint auch im Umweltrecht einfach: „Umweltanforderungen an einem RaumZeit-Punkt des ökologischen Gesamtsystems können auch dadurch erfüllt werden, daß an anderer Stelle die als genehmigt unterstellten Umweltinanspruchnahmen nicht vollständig ausgenutzt werden.“114 Dabei weist das Immissionsschutzrecht in §§ 7 Abs. 3, 17 Abs. 3 a, 48 Nr. 4 BImSchG die bislang ausgereiftesten und in der Praxis über einen längeren Zeitraum bewährten gesetzlichen Normierungen des Kompensationsgedankens auf.115 Das Kompensationskonzept verspricht in beiden Fällen eine größere Effizienz im Vergleich zum Ordnungsrecht,116 ohne daß jedoch der vom Ordnungsrecht vorgegebene Rahmen verlassen werden müßte. Anders als bei kooperativem Verwaltungshandeln wird die ordnungsrechtliche Eingriffsverwaltung nicht ersetzt, sondern es wird ein marktliches Instrument geschaffen, das sich eng an die Eingriffsverwaltung des Ordnungsrechts anlehnt und in das Genehmigungsverfahren integriert ist.117 Der Schwerpunkt umweltpolitischer Lenkung liegt trotz erheblicher Modernisierungstendenzen – wie z. B. der Einführung des Emissionszertifikatehandels in der EG – unverändert in einem punktuell agierenden Ordnungssystem.118 Kompensationsregelungen bringen materielle Anforderungen mit Nutzungsund Gestaltungsinteressen des Bürgers in Einklang.119 Die umweltökonomische (1994), 277/277 f.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 1 II 2 (S. 12)). Zur Kompensation als ökonomisches Konzept vgl. Gawel, Konjunkturpolitik 38 (1992), 195/195 ff. 113 Rabe, Kompensation, S. 57 mit Fn. 14, S. 66. 114 Ewringmann/Gawel, Kompensationen, S. 24; Gawel/van Mark, ZAU 1991, 52/53; vgl. Rabe, Kompensation, S. 63; Rehbinder in: Endres/Rehbinder/Schwarze, Umweltzertifikate, S. 74; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 5 I 1 (S. 171 f.). 115 Rabe, Kompensation, S. 66. Gawel/Ewringmann, NuR 1994, 120/120 sprechen von einem „traditionellen Erprobungsfeld“. Zu vielbeachteten Deregulierungsbemühungen in der US-amerikanischen Luftreinhaltepolitik vgl. Ewringmann/Gawel, Kompensationen, S. 11, Fn. 3. Die seit 1985 im BImSchG zugelassenen Kompensationsarrangements sind bei den letzten Änderungen des BImSchG stets bekräftigt und erweitert worden, Gossler, UPR 1990, 255. 116 Zur Reformbedürftigkeit des Verwaltungsverfahrensrechts allgemein vgl. oben § 2 B. II. 3. b) (S. 42 f.), zur umweltökonomischen Instrumentendiskussion Gawel/van Mark, ZAU 1991, 52/52 f. 117 Ewringmann/Gawel, Kompensationen, S. 24; Hoppe/Beckmann/Kauch, Umweltrecht, § 9 Rn. 36; Rehbinder in: Endres/Rehbinder/Schwarze, Umweltzertifikate, S. 74 f.; vgl. Gawel/ Ewringmann, NuR 1994, 120/123: Die Kompensationsnorm der TA Luft bewege sich „innerhalb eines gedanklichen Kontinuums zwischen rein regulativer und rein marktlicher Lösung des Knappheitsproblems der Umweltnutzung [. . . ] in denkbar großer Nähe zum ordnungsrechtlichen Pol.“ 118 Gawel/van Mark, ZAU 1991, 52/56. 119 Kloepfer, Umweltrecht, § 5 Rn. 306; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 2 Rn. 42 und 131.

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

Theorie geht davon aus, daß ökologische Ressourcen, insbesondere Emissionsrechte, nicht allokationseffizient dem (potentiellen) Emittenten zugewiesen werden, wenn sie nicht über Preis- und Wettbewerbsmechanismen, sondern ordnungsrechtlich aufgeteilt werden.120 Die fehlende Allokationseffizienz resultiert aus unterschiedlich hohen Vermeidungs- und Beseitigungskosten von Umweltverunreinigungen innerhalb der Gruppe der emittierenden Unternehmen.121 Das Ordnungsrecht orientiert sich nicht an den volkswirtschaftlichen Kosten und verfehlt die kostenmäßige Minimallösung. Diese setzt Effizienzgewinne frei und wird vom Unternehmen angestrebt, ohne daß von hoher Hand Zwang ausgeübt werden müßte.122 Kompensationsregelungen können als Instrument zur Herstellung von Allokationseffizienz durch Reallokation dienen. Diese gehören zwar nicht direkt zu einem Konzept einer über marktliche Prozesse gesteuerten Umweltnutzung; sie sind aber auch nicht Teil einer auf die einzelne Anlage bezogenen ordnungsrechtlichen Steuerung, sondern ein Kompromiß zwischen beiden Extrema123 – freilich mit deutlicher Nähe zum Ordnungsrecht. Eine ordnungsrechtliche Ausrichtung führt zu ordnungsrechtlich fixierten Primärallokationen. Um Abweichungen von diesem status quo bewirken zu können, müssen Kompensationsregelungen allgemeine Funktionsbedingungen erfüllen.124 So muß die Abweichung sich ökonomisch lohnen. Dies ist der Fall, wenn die Erfüllung ordnungsrechtlich durchsetzbarer Umweltstandards an einer Quelle kostenintensiver ist als die überobligatorische Einhaltung der Anforderungen trotz entstehender Transaktionskosten an einer anderen Quelle.125 Weiter muß die Kompensation ökologisch tolerabel sein, also zwischen Mehr- und Mindererfüllung der Anforderung eine weitgehende Äquivalenz bestehen. Aufs Ganze gesehen darf die Kompensation nicht zu einer Verschlechterung der Umweltqualität führen (Äquivalenz- und Homogenitätsforderung).126 Äquivalenz muß sowohl in zeitlicher wie auch in räumlicher Hinsicht gegeben sein.127 Sie setzt 120 Ewringmann/Gawel,

Kompensationen, S. 21; Gawel/van Mark, ZAU 1991, 52/54. Mark, ZAU 1991, 52/54. 122 Gawel/van Mark, ZAU 1991, 52/54; Gossler, UPR 1990, 255/256. 123 Huckestein, ZfU 1989, 1/2. 124 Ewringmann/Gawel, Kompensationen, S. 35 ff.; Gawel/Ewringmann, NuR 1994, 120/122 ff.; Hoppe/Beckmann/Kauch, Umweltrecht, § 21 Rn. 55; Huckestein, ZfU 1989, 1/6 ff., auch 4 f.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 5 I 2 (S. 172 ff.) m. w. N. Dabei sind die ökonomischen Vorteile einer Kompensation naturgemäß umso größer, je weiter der Zulässigkeitsrahmen gezogen wird. Gawel/ van Mark, ZAU 1991, 52/53 sehen Funktionsdefizite immissionsschutzrechtlicher Kompensationsregelungen in fehlenden Freiheitsgraden auf Mikroebene. 125 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 5 I 2 a (S. 174). 126 Jarass, DVBl. 1985, 193/198; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 2 Rn. 42: Äquivalenz im Sinne eines vollständigen Schadensausgleichs. Schwierig ist der Fall zu beurteilen, daß die Belastung durch Verbesserungen an anderer Stelle mehr als kompensiert wird, wegen der schlechten Ausgangslage aber im Ergebnis gleichwohl die Gefahrenschwelle überschritten wird. Hierzu nochmals Jarass, DVBl. 1985, 193/198. 127 Gawel/van Mark, ZAU 1991, 52/59; Gossler, UPR 1990, 255/257; Jarass, DVBl. 1985, 193/198; Rehbinder in: Endres/Rehbinder/Schwarze, Umweltzertifikate, S. 49. 121 Gawel/van

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außerdem voraus, daß die zu betrachtenden Emissionen zumindest in ihrer Wirkung auf die Umwelt vergleichbare Stoffe darstellen.128 Außerdem ist zu fordern, daß die durch die Kompensation vorzunehmende Verbesserung nicht nur eine vage Hoffnung darstellt.129 Ob diese Äquivalenzbedingung eingehalten wird, muß von der Behörde überprüfbar sein, was die Quantifizierbarkeit der Umweltinanspruchnahme, also die Vergleichbarkeit der ökologischen Einwirkungen, voraussetzt.130 Schließlich hat das gesetzliche Regelungswerk zu gewährleisten, daß die überobligatorische Erfüllung von Umweltstandards an anderer Stelle angerechnet werden kann. Hierzu muß einerseits die Überschreitung der Umweltstandards zulässig, andererseits Kompensationsmasse in Gestalt überobligatorischer Leistungen vorhanden sein.131 Bei den als Musterbeispiel oft genannten §§ 7 Abs. 3, 17 Abs. 3 a, 48 Nr. 4 BImSchG eröffnet das Gesetz selbst einen zweiten Rechtsrahmen.132 Denkbar – und z. B. in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG anerkannt133 – wäre hingegen auch, dem Bürger die Wahl des Mittels zur Erreichung einer gesetzlichen Zielvorgabe anheim zu stellen.134 Austauschmittel ist die als Kompensation erbrachte Leistung.135 Diesen originären umweltrechtlichen Kompensationsmodellen ist gemeinsam, daß mehrere Beeinträchtigungsquellen im Wege der Verrechnung von Vor- und Nachteilen zueinander in Beziehung gesetzt werden.136 Global betrachtet tritt keine Verschlechterung der Umweltsituation ein, da die Umweltanforderungen an einem Raum-Zeit-Punkt des ökologischen Gesamtsystems durch überobligatorische Ausgleichsmaßnahmen an anderer Stelle erfüllt werden.137 Im Gegensatz hierzu steht das von Voßkuhle138 als Neutralisierungsmodell bezeichnete Kompensationsmodell. Hier wird die Umweltbeeinträchtigung bzw. die Beeinträchtigung anderer Rechtsgüter durch eine Quelle dadurch kompensiert, daß sie durch überobligatorische Realleistungen ausgeglichen werden.139 Eingriff und 128 Jarass in: Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 36; Jarass, DVBl. 1985, 193/198; Rehbinder in: Endres/ Rehbinder/Schwarze, Umweltzertifikate, S. 49. 129 Rehbinder in: Endres/Rehbinder/Schwarze, Umweltzertifikate, S. 49. 130 Gawel/van Mark, ZAU 1991, 52/57, Fn. 7; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 5 I 2 c (S. 173) („technische Realisierbarkeit“). 131 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 5 I 2 a (S. 172 f.). 132 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 5 I 3 b (S. 176). 133 Jarass in: Jarass, BImSchG, § 5 Rn. 33 m. w. N. 134 Dieser Gedanke wurde im Polizeirecht entwickelt, vgl. § 41 Abs. 2 S. 3 PrPVG, § 3 Abs. 2 S. 2 nwPolG, § 3 Abs. 2 S. 2 rh.-pf. POG. Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, S. 425 f., insbesondere S. 427 ff.; Grupp, VerwArch 69 (1978), 125/125 ff. Der Gedanke ist aber nicht auf das Polizeirecht beschränkt, Grupp, VerwArch 69 (1978), 125/145; Schröder, UPR 1986, 127/129. 135 Schröder, UPR 1986, 127/129. 136 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 5 I 1 (S. 171 f.): Saldierungsmodell. 137 Vgl. die in Fn. 114 Genannten sowie Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 2 Rn. 129. 138 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 4 (S. 103 ff.). 139 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 4 I (S. 104).

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

Ausgleich haben in räumlich-funktionellem Zusammenhang zu stehen.140 Die Möglichkeit eines Ausgleichs eröffnet z. B. im Planungsrecht § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG oder im Naturschutzrecht § 19 Abs. 2–3 BNatSchG. Anerkannte Voraussetzung ist hier das Bestehen eines adäquaten Zurechnungszusammenhangs zwischen dem Vorhaben und den damit einhergehenden Nachteilen.141 Die Folgewirkungen müssen in typischer Weise mit dem Vorhaben verknüpft sein, und eine wertende Betrachtung muß zu einer interessengerechten Risikoverteilung gelangen. Schließlich lassen sich noch drei weitere Kompensationsmodelle unterscheiden. Bereits an der Rechtspflicht selbst setzt das Konzeptwechselmodell an, wonach verschiedene in sich abgeschlossene Regelungskonzepte in einem kompensatorischen Alternativverhältnis stehen.142 Das Abgabenmodell143 sieht den Ausgleich von Gemeinwohlbeeinträchtigungen durch Geldzahlungen als Kompensation vor. Die Geldzahlung ist dabei zweckgebunden.144 Das Entschädigungsmodell bringt aktive Gestaltungsinteressen und kollidierende passive Verschonungsinteressen in einen Ausgleich, indem eine Individualrechtsgutsbeeinträchtigung auf den Ersatz des Wertinteresses beschränkt ist.145 4. Öffentliches Recht: Verfassungsrecht Auch der verfassungsrechtlichen Dogmatik ist der Kompensationsgedanke als Argumentations- und Denkfigur nicht fremd. Vor allem die sog. Kompetenzkompensation wird diskutiert.146 Unter Kompetenzkompensation versteht man 140 Hoppe/Beckmann/Kauch, Umweltrecht, § 15 Rn. 79; Ronellenfitsch, VerwArch 77 (1986), 177/182. 141 Bonk/Neumann in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 74 Rn. 93; Gassner in: Gassner et al., BNatSchG, § 19 Rn. 27. 142 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 6 (S. 206 ff.) Zum Beispiel § 6 VerpackungsVO. Hierzu Koch, NVwZ 1998, 1155/1157 f.; Scholz/Aulehner, BB 1993, 2250/2251; Hendler, NVwZ 2003, 1168/1170 ff. Wie die einzelnen Unternehmen ihrer Rücknahmeverpflichtung nachkommen, bleibt zunächst ihnen überlassen. 143 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 7 (S. 217 ff.) m. w. N. z. B. § 19 Abs. 4 BNatSchG, § 14 Abs. 2 rh.-pf. WaldG oder § 47 Abs. 4 rh.-pf. LBauO (zur bauordnungsrechtlichen Stellplatzabgabe vgl. BVerwGE 23, 213 ff.; BVerwG NJW 1986, 600; Finkelnburg/Ortloff , Öffentliches Baurecht II, § 5 II 3 d) (S. 65 ff.); Hendler/Haller, Bauordnungsrecht, Rn. 82). 144 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 7 I 2 b (S. 222 f.). 145 Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform, S. 163; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 8 I (S. 256). Zum Beispiel gehört die Enteignung zugunsten Privater oder die Umlegung nach § 45 ff. BauGB hierzu. 146 Zuerst und ausführlich Klein, DVBl. 1981, 661. Daneben wird der Kompensationsgedanke zur Rechtfertigung von Verkürzungen der parlamentsvermittelten Legitimation (Legitimationskompensation, vgl. Emde, Legitimation, S. 382 ff.) herangezogen sowie zur Begründung eines Grundrechts auf Information als Ausgleich für die fehlende Beherrschbarkeit der Informationstechnologie (vgl. Baller, Informationsgesellschaft, S. 47 ff.). Weitere Nachweise bei Voßkuhle, Kompensationsprinzip,

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den Ausgleich von Beschränkungen grundgesetzlich zugewiesener Kompetenzen durch die Beteiligung des Kompetenzverlierers auf höherer Ebene.147 a) Ausgleich föderaler Systemverschiebungen Die Diskussion betraf bislang vor allem den Ausgleich föderaler Systemverschiebungen.148 Die Länder mußten Kompetenzen im Bereich der Gesetzgebung durch eine Reihe von Grundgesetzänderungen (insbesondere durch Veränderungen des Kompetenzkatalogs der Art. 70 ff. GG) an den Bund abgeben.149 Weil die von den Ländern erlittenen Kompetenzverluste durch geeignete Mitwirkungsbefugnisse auf Bundesebene ausgeglichen werden sollten, wurde die Entwicklung neuer Formen des Zusammenwirkens zwischen Bund und Ländern angestoßen.150 Eine völlig neue Dimension erhielten die damit verbundenen Fragestellungen durch die europäische Einigung, die hier exemplarisch im Vordergrund der Ausführungen steht.151 Das Grundgesetz bekennt sich in Art. 23 Abs. 1 GG zur Verwirklichung des vereinten Europas. Er berechtigt den Bund, auch Hoheitsrechte der Länder auf die Europäischen Gemeinschaften zu übertragen.152 Dies kann zu einer erheblichen Aushöhlung des Kompetenzbereichs der Länder führen.153 Zwischen der vom Grundgesetz grundsätzlich gebilligten Integration und dem in Art. 20 Abs. 1 § 2 II 2 (S. 30), Fn. 92. Außerdem taucht vereinzelt der Hinweis auf die Möglichkeit einer Kompensation von Grundrechtseingriffen auf, Klein, DVBl. 1981, 661/666. 147 Vgl. Bullinger, DÖV 1970, 761/766; Dästner, NWVBl. 1994, 1/1: „Beteiligungsföderalismus“; Gramm, AöR 124 (1999), 212/217: „Exekutiv-Föderalismus“; Rabe, Kompensation, S. 60; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II 2 a aa (S. 31). 148 Vgl. BVerfGE 37, 363/379 f.; 55, 274/319. 149 Gramm, AöR 124 (1999), 212/215 f.; Kruis, FS-Geiger, S. 160 f.; Rabe, Kompensation, S. 60; ähnlich Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II 2 a aa (S. 32). Gründe nennt Rubel (Rubel, JA 1993, 12/14). 150 Seit dem sog. Troeger-Gutachten (Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland) wird von „kooperativem Föderalismus“ gesprochen. Zur damaligen Diskussion vgl. die weiteren Nachweise und den kurzen Überblick bei Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II 2 a aa (S. 32), Fn. 101 sowie Hesse, AöR 98 (1973), 1. 151 Vgl. Art. 23 Abs. 2, 4–6 GG sowie § 5 EUZBLG. Schon zu Beginn der Gemeinschaften haben sich die damit zusammenhängenden Fragen gestellt (vgl. die Nachweise bei Schröder, JöR 35 (1986), 83/85). Die Unterzeichnung des Vertrags zur EEA entzündete erneut den Streit um die alte verfassungsrechtliche Streitfrage zum Verhältnis von Bund und Ländern bei Entscheidungen im Rahmen der europäischen Integration. Diese ist dem allgemeinen Komplex des Verhältnisses zwischen Bund und Ländern bezüglich der Pflege der auswärtigen Beziehungen Deutschlands zuzuordnen. Vgl. Schütz, BayVBl. 1990, 481/481. 152 Zu Art. 24 GG Streinz, DVBl. 1990, 949/962; Tomuschat in: BK, GG, Art. 24 Rn. 25 m. w. N. 153 Kruis, FS-Geiger, S. 161; Vitzthum, AöR 115 (1990), 281/291. Die Folgen sind vor allem in Bereichen schwerwiegend, die bislang ausschließlich dem Befugnisbereich der Länder zugerechnet wurden, wie z. B. die Kulturhoheit oder die regionale Strukturpolitik. Zur Betroffenheit auch der Länder, wenn EG-Recht in den Gesetzgebungsbereich des Bundes eingreift, nochmals Kruis, FSGeiger, S. 161. Beispiele hierfür finden sich bei Starck, FS-Lerche, S. 569 f.

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

GG verankerten Bundesstaatsprinzip besteht daher ein Spannungsverhältnis.154 Art. 23 GG entscheidet den Widerstreit zwar zugunsten des Integrationsprinzips, doch wird der Widerspruch nicht restlos beseitigt.155 Da die im Prozeß der europäischen Integration an die Europäischen Gemeinschaften übertragenen Hoheitsrechte der Länder voraussichtlich endgültig verloren sind, kann die Integrationsermächtigung des Art. 23 Abs. 1 GG trotz der grundsätzlichen Disponibilität der Kompetenzen nicht schrankenlose Geltung beanspruchen. Eine äußerste Schranke stellt das Bundesstaatsprinzip156 aufgrund Art. 79 Abs. 3 GG (Ewigkeitsklausel) dar.157 Der Bund darf nicht über die Integrationsermächtigung des Art. 23 Abs. 1 GG die bundesstaatliche Ordnung (indirekt) völlig verändern. Umstritten ist, wo diese Grenze verläuft.158 Von den vielen hier angesiedelten verfassungsrechtlich problematischen Fragestellungen ist an dieser Stelle einzig die Kompensationsproblematik von Interesse.159 Die verlorene Landesstaatsgewalt soll einen Ausgleich erfahren, um einer – mit Blick auf Art. 79 Abs. 3 GG bedenklichen – dauerhaften Schwächung und Entstaatlichung160 der Länder entgegen zu wirken. Da der Kompetenzverlust der Länder dauerhaft ist und die Länder keinen unmittelbaren Einfluß auf die Willensbildung der Europäischen Gemeinschaften haben,161 stellt dies die einzige Kompensationsmöglichkeit dar. Der Ausgleich soll durch eine vermehrte Teilhabe der Länder an der Bundesstaatsgewalt (Mitwirkung an überregionalen Aufgaben, Stärkung der Rolle des Bundesrates) herbeigeführt werden.162 Dabei ist die Kompensation keine Zuständigkeitsregelung, sondern immer nur eine Beschränkung der Folgen aus der Integrationsgewalt.163 Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Länder bestehen über den Bundesrat (Art. 23 Abs. 2, 4–6 GG, EUZBLG, vgl. auch § 45 a ff. GOBR), der an der 154 Isensee,

HdbStR IV, § 98 Rn. 288 (S. 675); Vitzthum, AöR 115 (1990), 281/283. allerdings Art. 23 Abs. 2–6 GG i. V. m. dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993, BGBl. I S. 313 (EUZBLG) und dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 2. März 1993, BGBl. I S. 311 (BRegBTEUG) sowie Meißner, Bundesländer, S. 167: „kein Widerstreit“, sondern Vorrang des Integrationsprinzips. Nach Kruis, FS-Geiger, S. 162 sei Art. 24 Abs. 1 GG auf das Ausmaß und die Intensität des Integrationsvorgangs kaum ausreichend zugeschnitten. Dies sollte durch Art. 23 GG geändert werden. 156 Das Urteil von Dr. Heuß im Parlamentarischen Rat über die Tradition (JöR N.F. 1 (1951), S. 201), der Begriff „Bundesstaat“ sei staatsrechtlich nicht eindeutig, wurde zur Weissagung der Zukunft. 157 Isensee, HdbStR IV, § 98 Rn. 289 (S. 676); Hailbronner, Bundesländer, 149/150; Hesse, AöR 98 (1973), 1/3; Stein, VVDStRL 53 (1994), 26/27; Streinz, DVBl. 1990, 949/962. 158 Kewenig, JZ 1990, 458/458; Stern, StaatsR I, § 15 II 9 (S. 535). 159 Daneben wird z. B. das Subsidiaritätsprinzip als Chance für den Föderalismus angesehen, Stein, VVDStRL 53 (1994), 26/38; ähnlich Vitzthum, AöR 115 (1990), 281/298. 160 Meißner, Bundesländer, 167. 161 Kruis, FS-Geiger, S. 172. 162 Kruis, FS-Geiger, S. 163 ff.; Ress, EuGrZ 1986, 549/555 f.; Rubel, JA 1993, 12/14 f.; Schröder, JöR 35 (1986), 83/98; Schütz, BayVBl. 1990, 481/482 ff. Vgl. Art. 23 Abs. 2–6 GG. 163 Meißner, Bundesländer, S. 176. 155 Vgl.

B. Der Kompensationsgedanke

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Willensbildung des Bundes in Angelegenheiten der Europäischen Union beteiligt ist.164 Fraglich ist indes, ob diese Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der Länder auf Bundesebene den Ausgleich der Kompetenzeinbußen tatsächlich herbeizuführen geeignet sind. Die Kompetenzverluste können einzig durch Mitwirkungsrechte kompensiert werden, die ein verfassungsrechtlich angemessenes Äquivalent darstellen, d. h. unter dem Gesichtspunkt der bundesstaatlichen Ordnung wenigstens annähernd gleichwertig sind.165 Ein solcher Ausgleich setzt voraus, daß sowohl der Entzug der bestehenden Zuständigkeit als auch die Gewährung neuer Zuständigkeiten bzw. Mitwirkungsrechte dem Grunde nach zulässig sind.166 Die Kompensationsargumentation benötigt stets einen normativen Bezugspunkt als Maßstab, insbesondere zur Beurteilung der Gleichwertigkeit des Ausgleichs. Bei dieser Beurteilung dürfen keine externen Kriterien zur Begründung der Ausgleichszulässigkeit herangezogen werden. Kompensierte und kompensierende Kompetenzen müssen vielmehr in einem auf die Bezugsnorm zurückführbaren Austauschverhältnis stehen.167 Vorliegend garantiert Art. 79 Abs. 3 GG einen bestimmten Typus bundesstaatlicher Ordnung mit einem den Ländern als Zentren demokratisch legitimierter Entscheidungen168 eigenen Bereich der Rechtssetzung und territorial bezogenen Entscheidungskapazitäten.169 Erforderlich ist eine Beurteilung des Gesamtbestandes der Länderkompetenzen.170 Durch den Entzug von Länderkompetenzen liegt ein am Maßstab der Art. 20 Abs. 1, 79 Abs. 3 GG (Bundesstaatsprinzip) defizitärer Rechtszustand vor, der einen Ausgleich erforderlich macht (Ausgleichswürdigkeit,171 Kompensationsbedürftigkeit172 ). Dieser soll durch Mitwirkungsrechte als Ausgleichsmittel (Kompensationsmittel173 ) beseitigt werden (Mitwirkungsmodell174 ). Es schließt 164 Zur

Einordnung der Bundesratsmitsprache ausführlich Kruis, FS-Geiger, S. 163 m. w. N. AöR 98 (1973), 1/21; Klein, DVBl. 1981, 661/663 (Verlust und Zugewinn unmittelbar äquivalent); Meißner, Bundesländer, S. 168; Schröder, JöR 35 (1986), 83/99; Schütz, BayVBl. 1990, 481/484. 166 Meißner, Bundesländer, S. 176; vgl. BVerfGE 1, 299/311. 167 Kisker, Der Staat 14 (1975), 169/183; Klein, DVBl. 1981, 661/665. 168 Hesse, AöR 98 (1973), 1/16, 40. 169 BVerfGE 34, 9/19 f.; Bullinger, DÖV 1970, 761/761 f.; Vitzthum, AöR 115 (1990), 281/282 f.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II 2 a aa (S. 32); vgl. Hesse, AöR 98 (1973), 1/20. 170 Hesse, AöR 98 (1973), 1/40 f.; Klein, DVBl. 1981, 661/664; Streinz, DVBl. 1990, 949/962; vgl. Meißner, Bundesländer, S. 180: Kompetenzen erlangen „ihre Bedeutung und ihren Gehalt erst aus dem Gesamtrahmen der Zuständigkeitsordnung“ und S. 184: „Funktionszusammenhang im Rahmen der Kompetenzordnung“. Kewenig, JZ 1990, 458/461 ff. schlägt eine qualitative Grenzbestimmung vor. 171 Klein, DVBl. 1981, 661. 172 Meißner, Bundesländer, S. 168. 173 Meißner, Bundesländer, S. 169. 174 Wobei zwischen einem Länderbeteiligungsverfahren und dem Bundesratsmodell (lex lata) unterschieden werden kann, Merten, Beteiligung, S. 44 ff. 165 Hesse,

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

sich die Frage an, ob ein Ausgleich erreicht wurde. Voraussetzung ist zunächst die Identität von Zuständigkeitsgewinner und -verlierer.175 Indem Verlust und Gewinn an Kompetenzen ein annäherndes Gleichgewicht bilden, muß der Ausgleich schließlich tatsächlich erreicht werden.176 Da eine rechtlich gesicherte Position entzogen wird, kann ein gleichwertiger Ausgleich nur dadurch erfolgen, daß nicht nur eine unverbindliche Mitwirkung stattfindet, sondern daß z. B. die Stellungnahmen des Bundesrates berücksichtigt werden müssen und so eine rechtlich gesicherte Position als Kompensation geschaffen wird.177 Problematisch ist das Mitwirkungsmodell, weil Zuständigkeitsverlierer und -gewinner nicht identisch sind. Die Länder verlieren ihre Kompetenzen nicht an den Bund, auf dessen Ebene ihre Mitwirkungsrechte angesiedelt sind, sondern an die Europäischen Gemeinschaften.178 Außerdem liegt ein Verlust an Parlamentarismus insgesamt vor. Die Gesetzgebungskompetenzen werden den Landesparlamenten entzogen, während die Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes im Bundesrat durch Mitglieder der Regierungen der Länder (Art. 51 Abs. 1 GG) geschieht.179 Es erfolgt so eine Verlagerung der Kompetenzen vom Landesparlament auf die Landesexekutive (Landesregierung), was nicht zuletzt unter Aspekten der Gewaltenteilung bedenklich erscheint.180 Dies könnte auf eine von Art. 79 Abs. 3 GG verbotene Funktionsverschiebung hinauslaufen. Das Parlament ist primär Träger der demokratischen Legitimation. Parlamentsfunktionen können in der vom Grundgesetz konstituierten parlamentarischen Demokratie grundsätzlich nicht durch Regierungsfunktionen ersetzt werden.181 Schließlich stellt ein Mitwirkungsrecht keinen gleichwertigen Ausgleich für das bislang bestehende Alleinentscheidungsrecht der Länderparlamente dar.182 Der Äquivalenz steht auch die Tatsache entgegen, daß im Bundesrat Beschlüsse mehrheitlich und nicht einstimmig gefaßt werden.183 Außerdem stellt sich das Problem, daß der kompensatorische Ausgleich auf einer anderen rechtlichen Ebe-

175 Hesse, AöR 98 (1973), 1/29 f.; Meißner, Bundesländer, S. 181; Schütz, BayVBl. 1990, 518/520: Einen Anspruch auf Kompensation habe, wer die Kompetenz verloren habe. 176 Meißner, Bundesländer, S. 181 ff. 177 Hesse, AöR 98 (1973), 1/24 f.; Meißner, Bundesländer, S. 174 und 181. 178 Ress, EuGrZ 1986, 549/556. 179 Dästner, NWVBl. 1994, 1/4; Klein, DVBl. 1981, 661/663; Merten, Beteiligung, S. 49; Schütz, BayVBl. 1990, 518/520; ähnlich Ress, EuGrZ 1986, 549/557. 180 Gramm, AöR 124 (1999), 212/217, Fn. 25; Isensee, HdbStR IV, § 98 Rn. 206–208 (S. 634–635). 181 Hesse, AöR 98 (1973), 1/29 f. 182 Klein, DVBl. 1981, 661/663; Merten, Beteiligung, S. 43; Rabe, Kompensation, S. 61. 183 Die durch Mehrheitsregeln bewirkte Einigungslast entspricht nicht den ungeteilten Länderkompetenzen, Gramm, AöR 124 (1999), 212/218; Klein, DVBl. 1981, 661/664; Schütz, BayVBl. 1990, 518/218.

B. Der Kompensationsgedanke

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ne erfolgt. Die auswärtige Gewalt der Bundesregierung wird durch ein einfaches Gesetz beschränkt.184 Es kann nach alledem nur in einem sehr beschränkten Umfang von einem gleichwertigen Ausgleich gesprochen werden.185 Jedoch ist die Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG noch nicht überschritten, da es um eine Verbesserung der innerstaatlichen Kompetenzverteilung geht.186 Die Kompensation stellt sich vielmehr als eine Selbstbeschränkung des Bundes dar, die auf verschiedenen rechtlichen Ebenen vorgenommen werden kann.187 Die angemessene Beteiligung der Landesparlamente muß in den Ländern selbst sichergestellt werden.188 Zum Teil wird daher mit der Begründung, daß nicht das verfassungsrechtliche, sondern nur das tatsächliche Kräfteverhältnis verändert werde, sogar eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Ausgleich verneint.189 Nach anderer Auffassung hingegen leitet sich ein Ausgleichsanspruch der Bundesländer aus dem Prinzip der Bundestreue, dem Bundesstaatsprinzip sowie aus Art. 32 Abs. 1 GG analog ab.190 Art. 23 Abs. 1 GG decke nur den Kompetenzzuwachs der Europäischen Gemeinschaften, nicht jedoch den des Bundes, der über seine Mitwirkung in den Gemeinschaftsorganen mittelbar Einfluß auf die europäisierte Landeszuständigkeiten erhalte.191 Die Verminderung des Gewichts der Länder durch den Bund wirft ganz ähnliche Fragen auf, wenn zunehmend Gesetzgebungskompetenzen der Länder auf den Bund übertragen werden. Hieran knüpft die zur Zeit in der Diskussion stehende Föderalismusreform an.192

184 Zur möglichen verfassungsrechtlichen Rechtfertigung vgl. Meißner, Bundesländer, S. 171 ff. m. w. N. zum Streitstand und Streinz, DVBl. 1990, 949/962. 185 Isensee, HdbStR IV, § 98 Rn. 206 (S. 634); Schütz, BayVBl. 1990, 481/484; Stein, VVDStRL 53 (1994), 26/S. 36; Streinz, DVBl. 1990, 949/663. 186 Isensee, HdbStR IV, § 98 Rn. 287 ff. (S. 675 ff.), insbesondere Rn. 290 (S. 676); Stein, VVDStRL 53 (1994), 26/S. 27 und 33 (zum Vertrag von Maastricht); vgl. Meißner, Bundesländer, S. 176 und Starck, FS-Lerche, S. 572 f. 187 Meißner, Bundesländer, S. 176 und dort auch Fn. 32. 188 Merten, Beteiligung, S. 43 f. 189 Mosler, FS-Wehberg, S. 298 f. 190 Vgl. die Darstellungen bei Meißner, Bundesländer, S. 177 ff.; Ress, EuGrZ 1986, 549/556; Schröder, JöR 35 (1986), 83/99. 191 Vgl. Isensee, HdbStR IV, § 98 Rn. 291 (S. 677 f.). 192 Vgl. BT-Drs. 12/6000, S. 32 ff.; Bannas, F. A. Z. 2004, 4/S. 1 f., 4; Grimm, Die Zeit 2003, S. 13. Zu frühen Vorschlägen zur Neuordnung des Kompetenzgefüges vgl. Kisker, Der Staat 14 (1975), 169/188 ff.

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

b) Kompetenzverluste des Parlaments Bereits angesprochen wurde der Verlust von Kompetenzen des Parlaments an die Exekutive.193 Auch in diesem Zusammenhang dient der Kompensationsgedanke als Argumentationsfigur. Die Kompensationsargumentation beschreibt dabei nur das Phänomen, trifft selbst jedoch noch keine Aussage über die Zulässigkeit desselben. Die Maßstäbe hierfür werden aus der Verfassung selbst gewonnen.194 Die Gründe für die verbreitet auszumachende Schwächung des Parlaments195 sind vielschichtig. Sie liegen vor allem in der Konzentration von Politik und Gesellschaft auf die Parteien und die Regierung.196 Es steht nicht die Kontrolle der Regierung durch das Parlament im Vordergrund, sondern der Dualismus zwischen Regierung bzw. Regierungspartei und Oppositionsparteien.197 Die Gewichtsverlagerung wird besonders deutlich, wenn zunehmend gesellschaftliche Probleme durch Kommissionen der Regierung angegangen werden.198 Die politische Willensbildung vollzieht sich dann nur zum Teil im Parlament und liegt überwiegend bei Regierung, Parteien und Verbänden.199 Anschaulich wird die Problematik im Zusammenhang mit dem Erlaß von Rechtsverordnungen.200 So soll z. B. eine Lockerung des Bestimmtheitserfordernisses des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG zulässig sein, wenn sich der parlamentarische Gesetzgeber aus tatsächlichen Gründen außer Stande sieht, wichtige Entscheidungen in der Verordnungsermächtigung sachgerecht zu treffen und sich als Ausgleich Mitwirkungs- und Kontrollrechte vorbehält.201 Vor allem die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Änderungsvorbehalten (z. B. § 48 b BImSchG) ist indes problematisch. Entscheidend ist die Erkenntnis, daß bereits im Gewaltenteilungsgrundsatz die Verknüpfung und Verschränkung der einzelnen Gewalten 193 Zum

kompensatorischen Verhältnis weiterer Gewalten vgl. Rabe, Kompensation, S. 77 ff. Kompensationsprinzip, § 2 II 2 a cc (S. 41) m. w. N. 195 Schneider, AöR 105 (1980), 4/4 ff., insbesondere S. 15 ff.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § II 2 a cc (S. 38) jeweils m. w. N. 196 Vgl. die Berichte von Stolleis, VVDStRL 44 (1986), 7/7 ff., Schäffer, VVDStRL 44 (1986), 46/46 ff. und Rhinow, VVDStRL 44 (1986), 83/83 ff.; Grimm, HdbVerfR, § 14 Rn. 66; Badura, HdbStR I 1995, § 23 Rn. 55 ff. m. w. N. 197 So ist die parlamentarische Kontrolle der Regierung weitgehend auf die parlamentarische Opposition übergegangen. 198 Ähnlich Schneider, AöR 105 (1980), 4/17, der die ungenügende Beteiligung an der informationellen Entscheidungsvorbereitung rügt. 199 Zur Mitwirkung der Abgeordneten bei der Vorbereitung von Parlamentsbeschlüssen außerhalb des Plenums BVerfGE 44, 308/317. 200 Vgl. den Überblick bei Ossenbühl, HdbStR III, § 64 Rn. 50 ff. (S. 409 ff.). 201 Vgl. Ossenbühl, HdbStR III, § 64 Rn. 56 (S. 412); Ossenbühl, DVBl. 1999, 1/4. Anderer Auffassung ist indes das BVerfG (BVerfGE 8, 274/323). Ein Überblick über die verfassungsgerichtliche Interpretation des Bestimmtheitsgebots findet sich bei Bauer in: Dreier, GG, Art. 80 Rn. 27–32. 194 Voßkuhle,

B. Der Kompensationsgedanke

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vor allem durch ihre gegenseitige Kontrolle angelegt ist202 und der Grundsatz daher für kompensatorische Erwägungen grundsätzlich offen ist. Liegt ein fakultativer Änderungsvorbehalt vor, d. h. die Exekutive ist nicht gezwungen, die vom Parlament geänderte Rechtsverordnung zu erlassen, kann grundsätzlich von dessen verfassungsrechtlicher Zulässigkeit ausgegangen werden.203 Der obligatorische Änderungsvorbehalt hingegen ermöglicht es dem Parlament, der Exekutive eine ggf. ungewollte Rechtsverordnung unterzuschieben und stellt daher mehr als eine kontrollierende Verschränkung der Gewalten dar. Hier liegt kein minus, sondern ein aliud zur vollen Delegation vor, so daß es am nötigen Zusammenhang zwischen Kompetenzverlust und dem Ausgleich durch Mitwirkung des Parlaments fehlt. c) Kompetenzverluste von Gemeinden In ganz ähnlicher Weise wie die Länder sind auch die Gemeinden vom Entzug von Kompetenzen betroffen. Kommunale Aufgaben werden zusehends auf höhere Ebenen verlagert,204 während für die verbleibenden Aufgaben die Finanzausstattung unzureichend ist. Berührt ist dadurch die verfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG). Diesem Wandel versucht u. a. ein Kompensationsmodell205 Rechnung zu tragen. Kompetenzverluste sollen in bestimmten verfassungsrechtlichen Grenzen ausgeglichen werden.206 Unbestritten ist, daß den Gemeinden ein unantastbarer Kernbereich eigenverantwortlich zu erledigender Aufgaben mit maßgeblichen Entscheidungsbefugnissen zusteht.207 Auch folgt aus Art. 28 Abs. 2 GG jedenfalls keine Kompensationspflicht, wenn es nicht um die Übertragung originärer Aufgaben der Gemeinde geht, so z. B. bei der Beteiligung der Gemeinde an hochstufigen landesplanen-

202 Scholz, VVDStRL 34 (1976), 145/160; Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 200 ff.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II 2 a cc (S. 40). 203 Sauer, NVwZ 2003, 1176/1179. Dies folgt letztlich auch aus der – die Zulässigkeit von Änderungsvorbehalten generell ablehnenden – Argumentation von Maurer, Staatsrecht, § 17 Rn. 158 nach BVerfGE 8, 274/323. 204 Blümel, FG-Unruh, S. 286, Fn. 165; Maunz in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 63 ff.; Scheuner, HKWP I, § 1 I (S. 12 f.); Schmidt-Aßmann in: Schmidt-Aßmann, Verwaltungsrecht, 1. Abschnitt: Kommunalrecht, Rn. 16 (am Beispiel der Versorgung mit leitungsgebundenen Energien); Stober, Kommunalrecht, S. 69 f. Vgl. BVerfGE 79, 127/148. 205 Blümel, FG-Unruh, S. 279 f. und Blümel, VVDStRL 36 (1978), 171/245 ff.; kritisch Stober, Kommunalrecht, S. 71. 206 Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 190/239; Scholz, DÖV 1976, 441/444. 207 Blümel, FG-Unruh, S. 269 f.; Blümel, VVDStRL 36 (1978), 171/247 f.; Löwer in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 28 Rn. 46; Stober, Kommunalrecht, S. 68; Tettinger in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 28 II Rn. 179 ff. und 191 f.; vgl. BVerfGE 1, 167/178; 79, 127/146 ff.

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

den Entscheidungsprozessen (vgl. § 1 Abs. 3 ROG [Gegenstromprinzip]208 ).209 Gefordert wird hingegen eine Konnexität zwischen Kompetenzverlust und Kompensation. Zum Teil wird diese Konnexität zu Recht generell verneint und in der Kompensation durch eine Beteiligung der Gemeinde auf höherer Ebene keine Rechtfertigung gesehen, da die Beteiligung der Gemeinde stets nur ein „Minus“ darstelle. Jedoch wird sie jedenfalls bei der Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt.210 d) Gegenbeispiel: Kompensation von Rechtsschutzdefiziten Die Veränderungen des Verwaltungsverfahrens hin zur Steuerung einer planenden und lenkenden Verwaltung und weg von dem liberalen Ordnungsstaat, in dem das Verfahren einzig der Strukturierung des Entscheidungsvorgangs dient und keine selbständige oder gar ergebnisrelevante Bedeutung hat, weist weitere Zusammenhänge zum Kompensationsgedanken auf. Gesetze lassen heute das von der Verwaltung zu findende Ergebnis selbst oft offen. Dieser Gewißheitsverlust211 ist im Verwaltungsverfahren auszugleichen, indem der materielle Gehalt im Verfahren gefunden werden muß, dieses mithin eigenständig zum Entscheidungsinhalt beiträgt.212 Man spricht von Prozeduralisierung. Von Interesse sind darüber hinaus insbesondere die Verknüpfungen von Verwaltungsverfahren und gerichtlichem Rechtsschutzverfahren. Anerkanntermaßen stehen beide Verfahren nicht zusammenhanglos nebeneinander. Die Trennung entspricht zwar dem Prinzip der Gewaltenteilung, jedoch ist dieses Prinzip nicht nur Trennungs-, sondern auch Zuordnungsprinzip.213 Die Gewalten sind in ihren Wechselwirkungen zu sehen.214 Weder darf das Verwaltungsverfahren den Zugang zum Gericht unnötig erschweren, noch darf das gerichtliche Verfahren

208 Klein, DVBl. 1981, 661/662, 664; Hendler in: Koch/Hendler, Baurecht, § 5 Rn. 8; SchmidtAßmann, AöR 101 (1976), 520/536. 209 Maunz in: Maunz/Dürig, GG, Art. 28 Rn. 62; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II 2 a bb (S. 37) mit Hinweis auf Schmidt-Aßmann, AöR 101 (1976), 520/529. 210 Kompensationserwägungen in die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu integrieren, ist freilich problematisch (vgl. unten § 3 D. (S. 142). Unkritisch Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II 2 a bb (S. 38), vgl. zum Verhältnis der Kompensation zur Abwägung aber auch § 2 III 1 (S. 46 f.). Bei Blümel, FG-Unruh, S. 284 wird hingegen deutlich, daß die Kompensation nicht Teil der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist, sondern dieser vorgelagert ist: Auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Erforderlichkeit müßten unvermeidliche Beschränkungen der gemeindlichen Selbstverwaltung durch Mitwirkungsrechte ausgeglichen werden. 211 Grimm, NVwZ 1985, 865/866. 212 Grimm, NVwZ 1985, 865/867; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 3 I 2 (S. 63 ff.) m. w. N.; Wahl, VVDStRL 41 (1983), 151/153 ff. 213 Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 200 ff. 214 Schmidt-Aßmann in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rn. 197.

B. Der Kompensationsgedanke

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das Verwaltungsverfahren sinnlos machen.215 Um die wechselseitigen Beziehungen von Verwaltungs- und gerichtlichem Verfahren zu beschreiben, spricht man von einem funktionalen Zusammenhang.216 Dieser ist historisch bedingt, da sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus der Verwaltung entwickelt hat. Der Gedanke des Ausgleichens zwischen den Gewalten ist wesentliches Prinzip des Grundgesetzes.217 Der funktionale Zusammenhang weist zunächst Bezugspunkte in zwei Richtungen zur Kompensation auf. Einerseits sollen Fehler im Verwaltungsverfahren durch das spätere gerichtliche Rechtsschutzverfahren kompensiert werden,218 andererseits sollen Rechtsschutzdefizite vor allem bereits im Verwaltungsverfahren ausgeglichen werden.219 Die Kompensation derartiger Rechtsschutzdefizite ist insbesondere dann angesprochen, wenn die Rechtsprechung an ihre Funktionsgrenzen stößt. Dies ist bei unbestimmten Rechtsbegriffen der Fall, wenn z. B. aufgrund von Werturteilen, der Unwiederholbarkeit der Entscheidungssituation oder der besonderen Struktur der Entscheidung durch ein Kollektivorgan der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wird.220 Das Bundesverfassungsgericht geht zwar grundsätzlich davon aus, daß der von Art. 19 Abs. 4 GG garantierte effektive Rechtsschutz eine uneingeschränkte Überprüfbarkeit unbestimmter Rechtsbegriffe fordert, jedoch sei es möglich, der Verwaltung einen Beurteilungsspielraum einzuräumen.221 Der Beurteilungsspielraum erfordert jedoch eine der Intensität und der Art des Grundrechtseingriffs entsprechende Ausgestaltung des Rechtsschutzes im Verfahren vor der Verwaltungsentscheidung.222 Das Verfahren muß folglich kompensatorische Effekte aufweisen.

215 Pietzcker, VVDStRL 41 (1983), 193/209; Schmidt-Aßmann in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 IV Rn. 26; Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 323. 216 Hierzu Schmidt-Aßmann in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Einl. Rn. 197; SchulzeFielitz in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 87. Der Gedanke wird z. B. zur teleologischen Auslegung von § 46 VwVfG bemüht, Krebs, DVBl. 1984, 109. 217 Rabe, Kompensation, S. 68. 218 Vgl. z. B. für das Widerspruchsverfahren Hufen, Fehler, Rn. 62 und 609 f. und für das gerichtliche Verfahren Krebs, DVBl. 1984, 109/113. Art. 13 EMRK trennt zwischen beiden Verfahren nicht genau. 219 Klein, DVBl. 1981, 661/662; Rabe, Kompensation, S. 75; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II 2 c (S. 44 f.). Vgl. hierzu z. B. auch die verfahrensrechtliche Funktion der Grundrechte. Das Verfahren muß so ausgestaltet sein, daß nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition besteht (BVerfGE 63, 131/143; 69, 315/355; Alexy, Theorie, S. 428 ff.; Denninger, HdbStR V, § 113 Rn. 19 ff. (S. 304 ff.). 220 BVerfGE 84, 34/52 ff.; 84, 59/77 ff.; BVerwGE 94, 307/309; Ossenbühl in: Erichsen/Ehlers, Verwaltungsrecht, § 10 III 3 (S. 31 ff.); Maurer, Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 26 ff./32 m. w. N.; SchulzeFielitz, JZ 1993, 772; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 117 ff., 125 ff. 221 BVerfGE 35, 263/274; 84, 34/49; 88, 40/56 ff.; vgl. Papier, HdbStR VI, § 154 Rn. 59 (S. 1257 f.), Rn. 63 ff. (S. 1260 ff.), Rn. 75 (S. 1266); Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 116; Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 31 III 2. 222 Zur diesbezüglichen Rechtsprechung des BVerfG Schulze-Fielitz, JZ 1993, 772/776 f.; vgl. Grimm, NVwZ 1985, 865/869; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 19 IV Rn. 130.

62

§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

Umgekehrt ist die Situation z. B. bei § 46 VwVfG, wonach das gerichtliche Verfahren Fehler im Verwaltungsverfahren kompensieren soll.223 In beiden Fällen ist fraglich, ob die vom jeweiligen Verfahren erwarteten Kompensationsleistungen tatsächlich erbracht werden. Diese Frage kann nur überzeugend bejaht werden, wenn die beiden Verfahren gleichwertig sind. Maßstab ist die Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG. Die Verwaltungsverantwortung unterscheidet sich indes grundlegend von der gerichtlichen Kontrolle.224 Die Verwaltung ist berufen, die vom Gesetzgeber formulierten Ziele zu konkretisieren und umzusetzen; das gerichtliche Verfahren hingegen dient dem Schutz subjektiver Rechte.225 Die Verfahren sind gerade nicht funktional gleichwertig.226 Damit scheidet die Möglichkeit einer Kompensation jedenfalls jenseits der anerkannten und geschilderten Fälle, in denen die Rechtsprechung an ihre Funktionsgrenzen stößt, aus. Zwar liegt ein defizitärer Zustand vor, ein Ausgleich scheitert aber an der funktionalen Äquivalenz zwischen den Elementen. Man kann daher nicht von einem Kompensations-, sondern nur von einem Ergänzungsverhältnis sprechen.227 III. Zwischenergebnis Die Kompensation steht in allen beschriebenen Kompensationsmodellen für einen Ausgleich durch etwas anderes, aber Vergleichbares. Dennoch stellen die Beispiele keine homogene Gruppe dar. Obgleich sie stets den Kompensationsgedanken als Argumentationsfigur aufgreifen, betonen sie dessen einzelne Elemente mit gänzlich unterschiedlichem Gewicht. Die vorstehenden Analysen ermöglichen es dennoch, aus den beschriebenen Modellen den Begriff der Kompensation dogmatisch zu fassen und zu konturieren. Die je nach Modell unterschiedlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Kompensation beruhen weniger auf unterschiedlichen Vorstellungen über die Argumentationsfigur der Kompensation als auf der unterschiedlichen Problemstruktur. Unproblematisches wird naturgemäß nur kurz erwähnt; lediglich die im jeweiligen Zusammenhang interessierenden Voraussetzungen der Kompensation finden in der Literatur ihren Niederschlag. Dies läßt sich auch darauf zurückführen, daß

223 Krebs,

DVBl. 1984, 109. DVBl. 1984, 109/113; Schwarze, Zusammenhang, S. 44. 225 v. Mutius, FS-Menger, S. 584 ff.; Voßkuhle, Rechtsschutz, S. 323; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II 2 c (S. 45). 226 Krebs, DVBl. 1984, 109/113 ff.; Rabe, Kompensation, S. 75 f. 227 Vgl. Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II 2 c (S. 45). 224 Krebs,

C. Allgemeine Voraussetzungen der Kompensation

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nur die wenigsten Autoren sich tatsächlich um eine Konturierung des Kompensationsbegriffes bemühen.228 Die unterschiedliche inhaltliche Schwerpunktsetzung steht mithin der Entwicklung allgemeiner Voraussetzungen der Kompensation nicht entgegen. Vielmehr kann die Kompensation als ein allgemeines Prinzip der Rechtsordnung begriffen werden.

C. Allgemeine Voraussetzungen der Kompensation I. Kompensationslage Die Kompensationslage setzt sich aus zwei Elementen zusammen: einem defizitären Rechtszustand und dem Kompensationsmittel.229 1. Defizitärer Rechtszustand Allen (öffentlich-rechtlichen) Kompensationsmodellen ist gemein, daß sie eine wie auch immer geartete Einschränkung von Rechten oder Kompetenzen als Anknüpfungspunkt aufweisen. Zur Bestimmung dieses defizitären Rechtszustandes sind die die Beeinträchtigung verursachende Maßnahme und die als Kompensation gedachte Leistung voneinander getrennt zu betrachten. Die Einschränkung ist Ausgangspunkt für Kompensationsüberlegungen, welche zu ihrer Rechtfertigung herangezogen werden. Ein defizitärer Rechtszustand ist mithin der notwendig vorgelagerte Befund, an den sich Überlegungen zur Kompensation erst anschließen.230 Die Kompensation selbst trifft keine Aussage darüber, ob eine Einschränkung von Rechten oder Kompetenzen vorliegt. Der Maßstab zur Feststellung eines ausgleichsbedürftigen Zustandes muß anderweitig gefunden werden. Diese Beurteilung hat normbezogen zu erfolgen, da rechtliche Kompensation notwendig normbezogen ist.231 Erforderlich ist ein normativer Bezugspunkt. Die jeweils höhere Ebene in der Normhierarchie gibt einen Sollzustand vor, indem Rechte bzw. Kompetenzen gewährt werden: so Art. 79 Abs. 3 GG dem verfassungsändernden Gesetzgeber, der Verfassungsgeber dem einfachen Gesetzgeber, der einfache Gesetzgeber der Verwaltung. Die Abweichung von dieser Vorgabe bildet ein recht228 Ausführlich hingegen Klein, DVBl. 1981, 661; Meißner, Bundesländer, S. 167 ff.; Rabe, Kompensation; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, insbesondere § 2 III 2 (S. 49 f.). 229 Dies ist besonders deutlich bei der Aufrechnung und im Schadensrecht (oben § 2 B. II. 1. a) (S. 36) und § 2 B. II. 1. b) (S. 37)). 230 Klein, DVBl. 1981, 661/661; Rabe, Kompensation, S. 58 und S. 86. 231 Klein, DVBl. 1981, 661/661; Meißner, Bundesländer, S. 181.

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fertigungsbedürftiges Defizit. Die höhere(n) Normebene(n) ist (sind) der Orientierungspunkt. Dieser normative Bezugspunkt ermöglicht nicht nur die Feststellung des defizitären Rechtszustandes, sondern liefert auch den Maßstab für die spätere Betrachtung der Ausgleichszulässigkeit und die Beurteilung der Gleichwertigkeit des Ausgleichs. So ist z. B. der Kompetenzverlust der Länder an den Bund an Art. 20 Abs. 1, 79 Abs. 3 GG zu messen, welche den Ländern als Teil ihrer Staatlichkeit232 einen gewissen Bestand eigener Kompetenzen sichern. Ob die Einschränkung der Rechte bzw. Kompetenzen unzulässig ist, ist an dieser Stelle unerheblich. Die Feststellung, inwieweit eine Einschränkung oder nur eine Ausgestaltung der Kompetenz oder des Rechts – mithin kein defizitärer Rechtszustand – vorliegt, kann mitunter erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Allgemeine Aussagen lassen sich hierüber nicht treffen. Die Abgrenzung muß sich an der für den jeweiligen Bereich einschlägigen Dogmatik orientieren.233 Ein kompensationsbedürftiger Rechtszustand liegt folglich vor, wenn eine Norm oder sonstiges hoheitliches Handeln von den durch übergeordneten Normen aufgestellten Anforderungen negativ abweicht und so zu einer Einschränkung des Rechts bzw. der Kompetenz führt. 2. Kompensationsmittel Die Kompensation zeichnet sich durch zwei Maßnahmen aus, die sich gegenüber stehen. Nach der Feststellung des defizitären Rechtszustandes rückt die zur Kompensation gedachte Maßnahme in den Mittelpunkt der Betrachtung. Ein Ausgleich und damit die Rechtfertigung soll herbeigeführt werden, indem der Sollzustand durch die Ausgleichsleistung als Gegenstück zu dem Defizit wieder erreicht bzw. übertroffen wird. Bestimmt werden muß folglich das Kompensationsmittel. Bei der Kompetenz-Kompensation z. B. wird als Kompensationsmittel in der Regel ein Recht zur Mitwirkung (Mitwirkungsmodell) gewährt;234 die Einschränkung von Rechten erfährt oft einen finanziellen Ausgleich.

232 Vgl.

Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 Rn. 21. Grundrechtseingriffen richtet sich die Abgrenzung nach der Eingriffsdogmatik, vgl. Alexy, Theorie, S. 300 ff.; Lücke, DVBl. 2001, 1469. Zur manipulativen Gefährdung des Vorliegens einer Spannungslage bei Grundrechtseingriffen Ossenbühl, HdbStR III, S. 31 f. 234 Vgl. oben § 2 B. II. 4. a) (S. 55). 233 Bei

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II. Kompensationszulässigkeit Die rechtfertigende Kraft der Kompensation beruht auf der Rechtmäßigkeit des Ausgleichs (Kompensationszulässigkeit). 1. Einleitung Auf der Grundlage des Kompensationsgedankens werden Einschränkungen von Kompetenzen und Rechten gerechtfertigt.235 Zwar wohnt dem Kompensationsgedanken eine eigene Überzeugungskraft inne,236 doch kann sich die Rechtfertigung nur aus einer ihrerseits zulässigen Kompensation ergeben.237 Allein irgendeine Gegenmaßnahme kann nicht die Abweichung von der Bindung an die höherrangige Norm legitimieren. Um der Kompensation diese rechtfertigende Kraft zusprechen zu können, ist die wesentliche und entscheidende Frage also diejenige nach der Zulässigkeit des Ausgleichs. Eine Rechtfertigung ist überhaupt erst denkbar, weil der Sollzustand durch die Ausgleichsleistung als Gegenstück zu dem defizitären Rechtszustand wieder erreicht oder sogar übertroffen wird.238 Die Ausgleichszulässigkeit ist daher eine Frage der Gesamtbetrachtung.239 Während im Rahmen der Beurteilung der Kompensationslage beide Maßnahmen (Kompensationsmittel und defizitärer Rechtszustand) getrennt voneinander gesehen wurden, werden sie nun zusammengenommen und als Einheit beurteilt. Eine einheitliche Betrachtung ist allerdings nur möglich, wenn sich zwischen den Maßnahmen auch eine Gemeinsamkeit ausmachen läßt. Dies setzt einen spezifischen funktionellen inneren Zusammenhang voraus. Der Kompensationsgedanke versucht, zwischen dem defizitären Rechtszustand und dem Kompensationsmittel einen vorhandenen inneren Zusammenhang zu aktualisieren und zur Rechtfertigung zu nutzen. Die Kompensationslage wird zu einem auf die Bezugsnorm zurückführbaren Kompensationsverhältnis. Fehlt es an einem solchen inneren Zusammenhang, kann nicht von einem Kompensationsverhältnis gesprochen werden. Die beiden Maßnahmen stehen sich zwar gegenüber, bilden jedoch keine Einheit. Der fehlende innere Zusammenhang verhindert, daß sie unmittelbar aufeinander einwirken können. Eine Rechtfertigung ist dann jedenfalls nicht mit Hilfe der Argumentationsfigur der 235 Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 190/239; Klein, DVBl. 1981, 661/662; Meißner, Bundesländer, S. 167 ff. 236 Rabe, Kompensation, S. 58 f. 237 Rabe, Kompensation, S. 86 f. 238 Welche Anforderungen an den inneren Zusammenhang zu stellen sind, ergibt sich aus dem Äquivalenzprinzip, Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 III 2 c (S. 50). Vgl. unten § 2 C. II. 3. (S. 68). 239 Zur Zulässigkeit der Gesamtbetrachtung bei Art. 3 Abs. 1 GG vgl. unten § 5 B. II. (S. 298).

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Kompensation möglich. Die beiden Maßnahmen stehen vielmehr lediglich in einem Ergänzungsverhältnis. 2. Innerer Funktionszusammenhang Die Kompensation schafft die Verbindung zwischen mehreren Maßnahmen nicht erst, sondern aktualisiert eine vorhandene und nützt sie zur Rechtfertigung. Erforderlich ist eine sachliche Verknüpfung. Eingreifende und kompensierende Maßnahmen müssen derart aufeinander bezogen sein, daß das Kompensationsmittel gerade wegen des defizitären Rechtszustands ergriffen wird.240 Damit ist ein funktioneller Zusammenhang zu bejahen, wenn die kompensatorische Maßnahme ohne die andere, eingreifende Maßnahme sinnlos oder nicht verständlich ist.241 Sonstige Umstände bleiben außer Betracht. Weiter ist zu fordern, daß sowohl die Einschränkung von Rechten bzw. Kompetenzen als auch die Gewährung des Ersatzes durch das Kompensationsmittel ihrerseits im übrigen recht- bzw. verfassungsmäßig sind. Es darf kein weiterer Gesetzes- oder Verfassungsverstoß vorliegen. Insbesondere muß das ergriffene Kompensationsmittel selbst rechtmäßig sein.242 Hierzu gehört, daß die Kompensation zu keinen negativen Effekten auf Seiten Dritter führt.243 Auch dies ist eine Frage des innneren Funktionszusammenhangs: Ist die zur Kompensation erlassene Regelung rechts- oder gar verfassungswidrig, ist sie nichtig. Eine inexistente Norm kann aber keine kompensierende Wirkung mehr entfalten. Der zufließende Vorteil ist vielmehr rein tatsächlicher Art. Ein innerer Zusammenhang zwischen der benachteiligenden und der bevorteilenden, aber nichtigen Regelung besteht nicht. Angesprochen ist damit die Gesetzesbindung der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG). Zweifelsfrei kann die Verwaltung auch nicht durch kompensatorische Maßnahmen über ihre Bindung an das Gesetz disponieren. Die Kompensationsargumentation dient gerade dazu, festzustellen, ob eine Rechte bzw. Kompetenzen beschränkende Maßnahme sich im Rahmen des Zulässigen, also im Rahmen der Gesetze bewegt. Aus dem Gesetzmäßigkeitsprinzip folgt daher, daß eine Kompensation nur gesetzesgebunden möglich ist, ja ggf. die Ziele der einschlägigen Gesetze fördern muß.

240 Vgl. Burmeister, VVDStRL 52 (1993), 190/239: „funktionelle Aufeinanderbezogenheit“; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 III 2 c (S. 50). 241 Vgl. Rabe, Kompensation, S. 89 f.: Die Maßnahmen müssen auf eine „einheitliche, d. h. sachlich gleich gelagerte Ausgangsposition“ zurückführbar sein. 242 Vgl. Klein, DVBl. 1981, 661/661; Rabe, Kompensation, S. 86. 243 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 9 II 2 b (S. 314): Die Kompensation „trägt die Befugnis, fremde Rechtsgüter in Anspruch zu nehmen, nicht etwa bereits in sich“.

C. Allgemeine Voraussetzungen der Kompensation

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Daher ist eine Kompensation nur zulässig, wenn das Gesetz selbst die Möglichkeit hierzu durch einen „zweiten Rechtsrahmen“ eröffnet. Dieser zweite Rechtsrahmen kann nur von der höheren Normebene eingeführt werden.244 Dies ist der bei der Bestimmung des defizitären Rechtszustands festgestellte normative Bezugspunkt. Kennt das Gesetz keinen Spielraum, ist für eine Kompensation kein Raum. Der eingreifende Hoheitsträger muß bei Erlaß einer Maßnahme den inneren Zusammenhang selbst herstellen und den Ausgleich mit dem Eingriff funktional verknüpfen. Zwar kann auch ein nicht eingreifender Hoheitsträger ein Kompensationsmittel anbieten und dieses mit dem Eingriff verbinden. Das von ihm angebotene Kompensationsmittel kann grundsätzlich eine Maßnahme darstellen, die ohne die eingreifende Maßnahme sinnlos und unverständlich wäre. Damit wäre der innere Funktionszusammenhang an sich gegeben. Jedoch kann dies allein nicht zur Verfassungsmäßigkeit der zunächst vorhandenen Norm führen. Der Zusammenhang wird auf diese Weise nachträglich und nur einseitig hergestellt. Eine Wechselbezüglichkeit der Normen existiert nicht. Das Fehlen des inneren Zusammenhangs zeigt schon die Tatsache, daß der vom zweiten Normgeber gewährte Vorteil unabhängig von der benachteiligenden Norm wieder aufgehoben werden könnte. Eine Kompensation muß folglich stets von demjenigen Hoheitsträger vorgenommen werden, der den defizitären Rechtszustand verursacht hat. Parallele Regelungsbefugnisse sind allerdings im Verhältnis zwischen überund untergeordneten Normgebern denkbar. Ob ein bzw. welches Kompensationsmittel zu ergreifen ist, muß grundsätzlich der parlamentarische Gesetzgeber entscheiden.245 Die Wesentlichkeitslehre verpflichtet den Gesetzgeber, „in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung [. . . ] alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen“.246 Dies macht es erforderlich, daß der Ausgleich vom Gesetzgeber zumindest in grober Form festgelegt wird.247 Zumindest muß der Kreis tauglicher Kompensationsmittel und deren Erforderlichkeit bestimmt werden. Jedes Kompensationsmittel stellt eine spezifische Art der Konfliktlösung dar, die vielfältige schutzgutsbezogene Konsequenzen mit sich bringt. Nur Einzelheiten können daher dem untergeordneten Normgeber überlassen werden. Normen verschiedener Normgeber weisen eine unterschiedliche Qualität auf. Die untergeordnete, die Kompensation anordnende Norm kann leichter und vor allem ohne Zutun des übergeordneten Normge-

244 Zu akzessorischen Kompensationsauflagen bei Genehmigungsvorbehalten vgl. Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 11 II 2 b (S. 357 ff.) m. w. N. 245 Vgl. Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 11 II 2 a (S. 356). 246 BVerfGE 49, 89/126 m. w. N.; vgl. auch BVerfGE 41, 251/259 f. Im Zusammenhang damit stehen auch das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot und das Erfordernis einer hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage für Rechtsverordnungen. 247 Vgl. Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 11 II 2 a (S. 357).

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

bers wieder aufgehoben werden. Dies macht wiederum das Fehlen des inneren Zusammenhangs deutlich.248 Von einem Funktionszusammenhang kann nur gesprochen werden, wenn der Rechts- bzw. Kompetenzverlierer eine sichere Rechtsposition zugesprochen bekommt. Der Ausgleich muß im Zeitpunkt des eingetretenen Nachteils absehbar sein. Künftige Vorteile können ein Defizit äquivalent nur ausgleichen, wenn sie im Zeitpunkt des eingetretenen Nachteils sicher feststehen. In der Regel ist daher ein gesetzlich normierter Anspruch auf die Kompensationsleistung erforderlich. Der Ausgleich muß schließlich demjenigen zufließen, dessen Recht oder Kompetenz beeinträchtigt wurde. Eingreifende und ausgleichende Maßnahmen haben sich an denselben Personenkreis zu richten. Dieses Erfordernis der Personenidentität steht im Zusammenhang mit dem Verbot, negative externe Effekte zu Lasten Dritter zu bewirken. Neben dem sachlichen Bezugspunkt, welcher den Maßstab für die Äquivalenz liefert, ist demnach noch ein personeller Bezugspunkt erforderlich. 3. Erreichen des Ausgleichs Die Kompensation dient dem Ausgleich einer Einschränkung von Rechten bzw. Kompetenzen. Keinesfalls darf daher eine Verschlechterung im Vergleich zum status quo ante eintreten oder verbleiben. Im Gegenteil ist ggf. nach der Intention des Gesetzes sogar eine Verbesserung der Gesamtsituation erforderlich. Der spezifische Legitimations- und Begründungszusammenhang des Kompensationsverhältnisses besteht gerade in der Gleichwertigkeit des Gebens und Nehmens. Liegt der beschriebene innere Zusammenhang vor, können und müssen eingreifende und ausgleichende Maßnahmen im Wege einer Gesamtschau gemeinsam betrachtet werden. Die Beschränkung auf eine Maßnahme ermöglicht nur, die Aussage zu treffen, ob sie auf der Aktivseite derjenigen Elemente einzusetzen ist, die zur Erreichung des Ziels der höheren Normebene beitragen, oder auf der Passivseite derjenigen Elemente, die dem Ziel widersprechen.249 Es bedarf der Äquivalenz von Kompensationsmittel und eingreifender Maßnahme (Äquivalenz-/Homogenitätsforderung).250 Der Verlust auf der einen Seite 248 Hierzu

m. w. N. Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 11 II 2 (S. 352 ff.). AöR 98 (1973), 1/41. 250 Hesse, AöR 98 (1973), 1/21; Klein, DVBl. 1981, 661/663; Meißner, Bundesländer, S. 181; Rabe, Kompensation, S. 87 ff.; Schröder, JöR 35 (1986), 83/99; Schütz, BayVBl. 1990, 481/484. § 19 Abs. 2 Sätze 2, 3 BNatSchG: „Ausgeglichen ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts wieder hergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder neu gestaltet ist. In sonstiger Weise kompensiert ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in gleichwertiger Weise ersetzt sind oder das Landschaftsbild landschaftsgerecht neu gestaltet ist.“ 249 Hesse,

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muß gemessen am Gewinn auf der anderen Seite unmittelbar äquivalent sein. Jedoch wird nur selten ein wirtschaftlich identischer Zustand gefordert.251 Insbesondere bei den öffentlich-rechtlichen Kompensationsmodellen wird kein absolut identischer Ausgleich für den Rechts- bzw. Kompetenzverlust verlangt, sondern man begnügt sich mit einer wesensgemäßen Äquivalenz.252 Dies ist damit zu begründen, daß die Kompensation gerade keine Restitution eines status quo ante in natura ist. Sie trägt bereits von Natur aus im Vergleich zum Ausgangszustand ein Stück Unvollkommenheit in sich.253 Die Feststellung, ob ein äquivalenter Ausgleich erfolgt, ist unproblematisch dann möglich, wenn Leistung und Gegenleistung mathematisch feststehende Größen sind. Dies ist bei auf beiden Seiten vertretbaren gleichartigen Sachen der Fall wie z. B. bei der Verrechnung von zwei Geldbeträgen. In diesen Fällen ist der Vergleich unproblematisch, weil er auf formaler Ebene vollzogen werden kann. Problematisch ist hingegen die Situation bei ungleichartigen und unvertretbaren Sachen. Die fehlende Möglichkeit einer mathematischen Prüfung steht dem kompensatorischen Ausgleich nicht entgegen. Hier ist auf den normativen Bezugspunkt für die Kompensation zu rekurrieren. Anhand dieser Vorgaben läßt sich die – wertende – Feststellung treffen, inwieweit die Äquivalenzforderung erfüllt ist.254 Die Bewertung, ob Äquivalenz zwischen eingreifender und ausgleichender Maßnahme gegeben ist, trifft die Normebene, von der abgewichen wird, und nicht die Ebene, auf der der Ausgleich stattfindet. In dieser Form freilich ist Vergleichbarkeit zu fordern. So liefert z. B. Art. 79 Abs. 3 GG den Maßstab für Beschränkungen des Kompetenzbereichs der Länder. Wann ein Kompensationsmittel den Verlust der Kompetenz ausgleicht, läßt sich nur anhand des Bundesstaatsprinzips beantworten. III. Folgen der zulässigen Kompensation Sind die Voraussetzungen der Kompensation zu bejahen, führt diese ipso iure zur Zulässigkeit der Einschränkung von Rechten oder Kompetenzen. Im Gegensatz hierzu führt das Ergänzungsverhältnis selbst nicht zu einer Rechtfertigung. Anders als bei der Kompensation wird der bestehende Rechtsgüterkonflikt durch die sich gegenüberstehenden Maßnahmen nicht beseitigt. Erforderlich bleibt daher nach wie vor die übliche Rechtfertigungsprüfung, vor allem die Prüfung der Verhältnismäßigkeit. Innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung freilich kann 251 Burmeister,

VVDStRL 52 (1993), 190/240; Rabe, Kompensation, S. 88 f. VVDStRL 52 (1993), 190/240; Rabe, Kompensation, S. 88 f. Vgl. oben § 2 B. II. 1. b) (S. 37). 253 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 9 I 4 (S. 310). 254 Bei Verhandlungslösungen nehmen die Parteien selbst die Wertung zur Bestimmung des Äquivalenzverhältnisses vor, vgl. Häusler, Konsensuales Verwaltungshandeln, S. 173. 252 Burmeister,

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

das Ergänzungsverhältnis zumindest im Rahmen der Abwägung Berücksichtigung finden. Eine Maßnahme ist umso eher als verhältnismäßig einzustufen, je stärker ihre Wirkungen faktisch abgemildert sind. Ein solches Ergänzungsverhältnis liegt z. B. vor, wenn bei Kompetenzverlusten der Gemeinde angenommen wird, daß Beteiligungsrechte diese weder rechtfertigen noch ersetzen können. Zwischen Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG und der Mitwirkung an der Ausübung staatlicher Zuständigkeiten besteht keinerlei Austauschverhältnis. Spätestens im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung soll das rechtfertigende Element der Kompensationsargumentation freilich doch noch zum Tragen kommen, da ohne einen solchen Ausgleich die Kompetenzeinbußen weniger leicht zumutbar und die Grenze zur Verfassungswidrigkeit eher erreicht wären.255 IV. Zwischenergebnis Mit dem Kompensationsgedanken liegt ein völlig eigenständiges, allgemeines Argumentationsmodell vor, das seine spezifische Leistungsfähigkeit in den verschiedensten Zusammenhängen aufweist. Grundsätzliche Bedenken, diese Argumentationsfigur auf den allgemeinen Gleichheitssatz zu übertragen, bestehen insoweit daher nicht. Dem Rechtsgedanken der Kompensation gelingt jedoch nur die Strukturierung des Prüfungsablaufs. Die Prüfung selbst muß mit Wertungen aus dem jeweiligen Normzusammenhang gefüllt werden, so daß insbesondere bei der Feststellung, inwieweit der Ausgleich erreicht wurde, jeder defizitäre Rechtszustand mit seinen Besonderheiten für sich zu betrachten ist.

D. Besonderheiten der Kompensation von Grundrechtseingriffen Problematisch ist gerade bei einer Kompensation im Bereich der Grundrechtsgewährleistungen, daß die Anerkennung von Kompensationen zu einer gewissen Disponibilität von Kompetenzen und Rechten, Normen und Normkomplexen führt.256 Die Kompensation löst die hohe Hand jedoch nicht von ihrer Gesetzesbindung, sondern erlaubt lediglich eine Erweiterung der Sichtweise. Das Schwarz-Weiß-Denken in den Kategorien Rechtswidrigkeit und Rechtmäßigkeit wird abgelöst durch die Möglichkeit, gleitende Übergänge zu schaffen. Der an 255 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II 2 a cc (S. 38 ff.); wohl auch Klein, DVBl. 1981, 661/664 f. 256 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 III 4 (S. 51).

D. Kompensation von Grundrechtseingriffen

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sich übermäßige Eingriff wird nicht gänzlich untersagt, sondern er ist erlaubt, verpflichtet aber zugleich die hohe Hand, für einen Ausgleich zu sorgen und dadurch rechtmäßige Zustände herzustellen. Konfliktlagen werden mit Hilfe des Kompensationsgedankens flexibler und auch gerechter aufgelöst. Die Kompensation gleicht Defizite der Abwägung aus, wo diese nicht mehr weiterhilft.257 Dies ist besonders offensichtlich bei Art. 14 Abs. 3 GG: Den vollständigen Entzug seines Eigentumsobjekts könnte der Grundrechtsträger meist als unverhältnismäßig abwehren. Zugleich sind aber Enteignungen angesichts beschränkter Ressourcen unumgänglich. Dieses Dilemma löst die Kompensation, indem sie die Enteignung grundsätzlich ermöglicht und damit die Bestandsschutzinteressen des Bürgers zurücktreten läßt, zugleich dem Bürger aber eine Entschädigung zuspricht und so immerhin sein Vermögensinteresse wahrt.258 Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Kompensation wurden aus in der Rechtsordnung bereits vorhandenen Kompensationsregelungen entwickelt.259 Diese allgemeinen Voraussetzungen bilden auch die Grundlage zur Beurteilung der Zulässigkeit von Kompensationen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG. Inwieweit über die allgemeinen Anforderungen hinaus spezifische verfassungsrechtliche Anforderungen an die Kompensation von Grundrechtsbeeinträchtigungen eingehalten werden müssen, wird im folgenden untersucht. Um zu zeigen, daß und wie auch Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Kompensationen zulässig sein können, bietet sich eine Untersuchung des Rechts der staatlichen Ersatzleistungen an. Dort hat der Kompensationsgedanke seinen festen Platz. Der Kompensationsgedanke findet auf Eingriffe in Freiheit und Eigentum Anwendung. So resultieren die Enteignungsentschädigung, die Figur der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung und die finanzielle Entschädigung der staatlich Indienstgenommenen260 aus einem allgemeinen Opferausgleichsprinzip, welches auf dem Gedanken der Kompensation eines sonst unverhältnismäßigen Sonderopfers beruht.261 Auch die Ansprüche aus enteignendem und enteignungsgleichem Eingriff sowie allgemein die Aufopferungsansprüche lassen sich auf diesen Kompensationsgedanken zurückführen. Sie führen dazu, daß aufgrund der Kompensation ein auferlegtes Sonderopfer leichter wiegt. Nur noch hinsichtlich der nicht kompensierten Effekte, die vor allem darauf zurückzuführen sind, daß sich Eingriffe in Freiheitsrechte mangels Gleichartigkeit finanzieller Ausgleichsmittel nicht vollständig durch Entschädigungen in Geld kompensieren lassen, muß die Verhältnismäßigkeit bejaht werden, was aufgrund 257 Voßkuhle,

Kompensationsprinzip, § 2 III 4 (S. 51 f.). Kompensationsprinzip, § 2 III 4 (S. 52). 259 Vgl. oben § 2 C. (S. 63). 260 Hey, FR 1998, 497/506 f.; Ipsen, Gleichheit, S. 195; Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 349. 261 Friauf , FS-Jahrreiß, S. 57; Hey, AöR 128 (2003), 226/230; Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 255 ff., 266. 258 Voßkuhle,

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

der nunmehr geringeren Eingriffsintensität umso leichter gelingt. Ohne einen solchen Ausgleich wäre das Sonderopfer unverhältnismäßig.262 I. Aufopferung Die deutlichsten Bezüge zum Kompensationsgedanken weist der Aufopferungsgedanke auf. In der vorstaatlichen Epoche dienten die iura quaesita (die wohlerworbenen Rechte des Untertan) als absolute Begrenzung der (drohenden) Allmacht der Landesherren.263 Erst im 17. Jahrhundert mit der Herausbildung einer Staatsgewalt und des ius eminens (der Befugnis des Landesherren, unter den Voraussetzungen der necessitas und utilitas publica in die iura quaesita einzugreifen) mußten unter Umständen auch die wohlerworbenen Rechte der Staatsgewalt weichen. Im Gegenzug setzte sich die Auffassung durch, daß für den Verlust oder die Beeinträchtigung wohlerworbener Rechte Entschädigung zu leisten ist.264 Seine klassische Formulierung hat der Aufopferungsgedanke in den §§ 74, 75 Einl. ALR erhalten, die ihn erstmals kodifizierten.265 Danach müssen im Kollisionsfall die Rechte des einzelnen hinter Gemeinwohlbelangen zurücktreten. Zugleich wird aber dem einzelnen ein Anspruch auf Entschädigung zugesprochen (§ 75 Einl. ALR). Damit wird der Konflikt zwischen Gemeinwohl und Individualrecht gelöst. Dieser Idee zufolge müßten an sich alle ausgleichspflichtigen Eingriffe der hohen Hand in Rechte Privater erfaßt werden, doch wurden eigentumsrechtliche Entschädigungsansprüche in der Vergangenheit verselbständigt und die Aufopferung (i. e. S.) auf nichtvermögenswerte Rechtsgüter begrenzt.266 Trotz weitgehend gleicher Anspruchsvoraussetzungen werden die verschiedenen Ansprüche nach wie vor unterschieden. Ein Aufopferungsanspruch liegt vor, wenn durch einen vom öffentlichen Interesse motivierten, unmittelbaren hoheitlichen Eingriff in nicht vermögenswerte Rechtsgüter dem einzelnen ein Sonderopfer abverlangt wird, das einen Vermögensschaden zur Folge hat.267 262 Man spricht daher auch von einem „Verhältnismäßigkeitsausgleich“, vgl. Hey, AöR 128 (2003), 226/230; Ossenbühl, FS-Friauf, S. 398 (referierend); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 186 (referierend); Steinberg/Lubberger, Aufopferung – Enteignung und Staatshaftung, S. 219. 263 Zur Entwicklungsgeschichte des Anspruchs wegen Aufopferung vgl. Stödter, Entschädigung, S. 52 ff. 264 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 125. 265 Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 474. 266 Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 816. Freilich werden in der Folge der Naßauskiesungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch die eigentumsrechtlichen Entschädigungsansprüche der Aufopferung zugeordnet (Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 817). 267 Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 819.

D. Kompensation von Grundrechtseingriffen

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Die rechtliche Grundlage des Anspruchs wird – von ausdrücklichen spezialgesetzlichen Regelungen abgesehen – nicht einheitlich beurteilt: In der Regel wird auf § 75 Einl. ALR verwiesen, woraus sich ein im Gewohnheitsrecht (teilweise: mit Verfassungsrang) wurzelndes und von § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO vorausgesetztes Rechtsinstitut entwickelt habe.268 Andererseits sieht man im Aufopferungsanspruch das rechtsstaatliche Verfassungsprinzip der Lastengleichheit, welches aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt.269 Schließlich wird der Aufopferungsanspruch als allgemeiner Rechtsgrundsatz qualifiziert.270 Schutzgut und Eingriffsobjekte sind die nicht vermögenswerten, immateriellen Rechtsgüter des Bürgers (Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit).271 Erfaßt sind im wesentlichen die von Art. 2 GG geschützten Rechtsgüter. Eine Erweiterung auf andere Freiheitsrechte, z. B. auf Eingriffe in die Berufsfreiheit, wird bislang mehrheitlich abgelehnt,272 obwohl der Aufopferungsanspruch in seiner dogmatischen Konstruktion, seiner Rechtsgrundlage und in seinem historischen Ursprung darauf gerichtet ist, sämtliche Aufopferungslagen zu erfassen. Einschränkungen irgendwelcher Art sind konstruktiv nicht vorgegeben.273 Es läßt sich nicht behaupten, die geschützten Objekte seien die einzigen besonders wertvollen und bedeutsamen Schutzgüter.274 In das Schutzgut muß durch hoheitlichen Zwang eingegriffen worden sein. Psychischer Zwang genügt nach einhelliger Auffassung,275 da der Staat nicht nur mit den klassischen Zwangsmitteln seine Ziele zu erreichen sucht. Erforderlich ist, daß die Zwangsmaßnahme einen Gemeinwohlbezug aufweist. Maßgeblich ist nicht die Effektivität, sondern die Intentionalität der Maßnahme.276 Diese muß von dem Motiv getragen sein, den öffentlichen (und nicht privaten oder fiskali-

268 BGHZ 91, 20/28; Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rn. 243; Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 475; Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 816; Maurer, Verwaltungsrecht, § 28 Rn. 1; Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 671. 269 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 58; Friauf , FS-Jahrreiß, S. 65 f.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 130; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht II, § 72 Rn. 35 ff. m. w. N.; ähnlich Detterbeck, Verwaltungsrecht, Rn. 1185 (§§ 74, 75 Einl. ALR i. V. m. den Grundrechten). 270 RGZ 102, 390/391; 113, 301/306. 271 Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 477; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 131. 272 BGHZ 111, 349/355 ff.; BGH NJW 1994, 1468; Boujong, FS-Nirk, S. 63, 66 f. Anders Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 477; Schenke, NJW 1991, 1777/1779 ff. Die Ausdehnung sei konsequent: Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 133; Wieland in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 139. 273 Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 477; Schenke, NJW 1991, 1777/1780; Wieland in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 139. 274 Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 477. 275 BGHZ 24, 45/47 („Gewissenszwang“); BGHZ 31, 187/191 („psychologische[s] Abfordern[. . . ]“); Detterbeck, Verwaltungsrecht, Rn. 1189. 276 Detterbeck, Verwaltungsrecht, Rn. 1191; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 136.

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

schen) Interessen zu dienen. Ob die Allgemeinheit tatsächlich einen konkreten Vorteil hat, ist unerheblich. Es wird gefordert, daß der Eingriff in die nichtvermögenswerten Rechtsgüter für den Betroffenen ein Sonderopfer darstellt, d. h. dem Betroffenen eine im Vergleich zu anderen ungleiche Belastung zugemutet wird.277 Orientierungspunkt ist der Gleichheitssatz.278 Die Belastung des Bürgers muß die sogenannte Opfergrenze überschreiten, die im wesentlichen nach dem Gesetz zu bestimmen ist, das den Eingriff erlaubt. Dies ist der Fall, wenn die Belastungen bei dem Betroffenen über das hinausgehen, was üblicherweise mit einem entsprechenden Eingriff verbunden ist und von der Rechtsordnung hingenommen wird.279 Bei rechtswidrigem staatlichem Handeln liegt ein Sonderopfer (in aller Regel) vor. Schließlich wird verlangt, daß Eingriff und Eingriffsfolgen gerade auf der Eigenart des öffentlich-rechtlichen Handelns beruhen (Unmittelbarkeitskriterium),280 wobei hiermit nichts anderes als die im Rahmen des Sonderopfers behandelte „Zwangstypik“ gemeint ist. Wer in diesem Sinne ein Sonderopfer erbracht hat, kann für die erlittenen materiellen Schäden eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen.281 Ein Mitverschulden des Betroffenen wirkt sich anspruchsmindernd aus. Der Anspruch umfaßt nach Auffassung des BGH kein Schmerzensgeld.282 In Anbetracht des geänderten § 253 BGB und der Tatsache, daß zwar die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes nur bei schuldhaften unerlaubten Handlungen gerechtfertigt ist, dem Schmerzensgeld aber auch eine Ausgleichsfunktion zukommt, läßt sich diese Position nicht halten. Hingegen beschränken sich die §§ 74, 75 Einl. ALR ebenso wie normierte Aufopferungstatbestände auf den Ausgleich vermögensrechtlicher materieller Nachteile. Diese Ansprüche betreffen freilich nur bestimmte Situationen, in denen der materielle Aspekt im Vordergrund steht. § 7 StHG wollte daher einen Schmerzensgeldanspruch gewähren. Bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wäre sonst z. B. der Ersatz der dort stets immateriellen Schäden unmöglich.

277 BGH (GS) Z 6, 270/280; 9, 83/90 f.; 45, 58/76 f.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 136 f.; Wieland in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 143; ähnlich Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 480. 278 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 136 f. 279 Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 830. 280 Detterbeck, Verwaltungsrecht, Rn. 1190. 281 BGHZ 45, 58/77. 282 BGHZ 20, 61/68 ff.; 22, 43/48; 45, 58/77.

D. Kompensation von Grundrechtseingriffen

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II. Enteignungsentschädigung Die Enteignungsentschädigung wird gewährt, um ein vom Grundrechtsträger erbrachtes Eigentumssonderopfer auszugleichen und so den Gleichheitssatz einzuhalten.283 Eine Enteignung ist die teilweise oder vollständige Entziehung konkreter Eigentumsrechte im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben.284 Historisch beruht die Enteignung auf dem allgemeinen Prinzip der Aufopferung als dem Ausgleich zwischen Individual- und Gemeinwohlinteressen.285 Hieraus entdifferenzierte sich im 19. Jahrhundert der klassische Enteignungsbegriff, als in der anbrechenden Industrialisierung der Staat für notwendige Infrastruktureinrichtungen (Eisenbahnen, Kanäle, Landstraßen) Grund und Boden benötigte.286 Die Enteignung war ein Ersatzgeschäft für den vereinbarten Kauf („Zwangskauf“) und zeichnete sich als Güterbeschaffungsvorgang durch ein finales Element aus.287 Unter der Weimarer Reichsverfassung wurde das Erfordernis des Güterbeschaffungsvorgangs zurückgedrängt, und auch andere Beschränkungen des Eigentums wurden als Enteignung angesehen.288 Dieser Begriff bestimmte zunächst auch die Auslegung des Art. 14 Abs. 3 GG. Eine Enteignung war jede Eigentumsbeschränkung, die über die Sozialbindung des Eigentums hinausging.289 Der Begriff der Enteignung entspricht heute wieder dem klassischen Enteignungsbegriff, der die Enteignung als Güterbeschaffungsvorgang versteht.290 Das Bundesverfassungsgericht kehrte in seiner Naßauskiesungsentscheidung vom 15. Juli 1981 und in den darauf folgenden Urteilen zu diesem Begriffsverständnis zurück.291 Die Abgrenzung von der Inhalts- und Schrankenbestimmung erfolgt nicht mehr folgenorientiert, sondern subjekts- und handlungsbezogen, und ist unab283 BGH

(GS) Z 6, 270/295; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 207. 70, 191/199 f.; 72, 66/76; 79, 174/191 f. m. w. N.; 100, 226/239 f.; Baldus/Grzeszick/ Wienhues, Staatshaftungsrecht, Rn. 278; Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 734. 285 Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 403. 286 Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 403; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 176. Vgl. die sog. Expropiationsgesetze wie z. B. das preußische Gesetz über die Enteignung von Grundeigentum vom 11. Juni 1874 (PrGS. S. 221). 287 Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 403. 288 Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 404. 289 Die Abgrenzung erfolgte nach der Schwere (BVerwGE 5, 143/145; 15, 1 ff.; BVerwGE 19, 94/98 f.) bzw. danach, ob ein Sonderopfer vorlag (BGH (GS) Z 6, 270/280). Hierzu Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 169 ff. 290 Maurer, FS-Dürig, S. 293 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 177; Schoch, Jura 1989, 113/121. Schon früher: Dürig, JZ 1954, 4/4 ff. Vgl. RGZ 129, 146/149; 132, 69/72. 291 BVerfGE 58, 300. 284 BVerfGE

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hängig von der Intensität des Zugriffs.292 Diese Abgrenzung hat sich mit der Naßauskiesungsentscheidung293 herausgebildet und zu einer Reformalisierung und Präzisierung des Enteignungsbegriffes geführt.294 Mit der kategorialen Trennung von abstrakt-genereller Inhaltsbestimmung und konkret-individuellem Rechtsentzug wird der ehemaligen BGH-Rechtsprechung eine Absage erteilt, die durch die Zubilligung von Entschädigungen über Art. 14 Abs. 3 GG einen lückenlosen Eigentumsschutz bewirkte.295 Entschädigungspflichtige Enteignungen waren danach alle Eigentumsbeeinträchtigungen von hoher Hand, die die Grenzen zulässiger Sozialbindung überschritten.296 Inhalts- und Schrankenbestimmungen gingen nahtlos in Enteignungen über. Die Enteignung war ein maius und kein ihrer Rechtsnatur nach prinzipiell eigenständiges Rechtsinstitut.297 Fehlerhafte, vor allem unverhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmungen sind nunmehr verfassungswidrig und nicht „nur“ ausgleichspflichtig. Diese Trennung resultiert aus dem verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt, der besonderen, gerichtlich nachprüfbaren Zulässigkeitsvoraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG und dem Rechtsschutzauftrag des Art. 19 Abs. 4 GG. Die Enteignung wird von Art. 14 Abs. 3 GG bestimmten Voraussetzungen unterworfen: So muß sich jede Enteignung auf ein förmliches Gesetz zurückführen lassen (Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG), unabhängig davon, ob sie durch ein Gesetz (Legalenteignung) oder aufgrund eines Gesetzes (Administrativenteignung) erfolgt. Das Parlamentsgesetz muß stets den Enteignungszweck, seine dauerhafte Sicherung, die materiellen Voraussetzungen sowie das Verfahren der Enteignung regeln.298 Eine Enteignung ist „nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“ (Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG). Die Konkretisierung dessen, was das Wohl der Allgemeinheit ist, kommt in unserem Verfassungssystem insbesondere aufgrund des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG, der diese Aufgabe dem Parlament überträgt, dem Gesetzgeber zu.299 Zwar findet auch hier eine verfassungsgerichtliche Kontrolle statt, doch hat das Verfassungsgericht den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu berücksichtigen. In erster Linie liegt deswegen nur eine Bindung in verfahrensrechtlicher Hinsicht vor.300 Eine rein fiskalische Motivation reicht nicht aus. Ebensowenig ist eine Enteignung aus privaten Interessen zulässig. Dies schließt jedoch eine Enteignung zugunsten eines Privaten nicht aus, da auch hier öffentliche Interes292 Depenheuer

in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 197, 401. 58, 300. 294 Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 198, 401. 295 Maurer, Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 12 ff., 26 ff.; Rozek, Eigentumsbindung und Enteignung, S. 5 ff. 296 BGH (GS) Z 6, 270/277 f. 297 Vgl. Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 198. 298 Wieland in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 96. 299 Wieland in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 101. 300 Wieland in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 102. 293 BVerfGE

D. Kompensation von Grundrechtseingriffen

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sen verfolgt werden können. Das ist der Fall, wenn „einem solchen Unternehmen durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes die Erfüllung einer dem Gemeinwohl dienenden Aufgabe zugewiesen und zudem sichergestellt ist, daß es zum Nutzen der Allgemeinheit geführt wird“.301 Hier wird die privatrechtliche Struktur des Unternehmens vom öffentlichen Zweck überlagert und tritt in den Hintergrund.302 Die Enteignung muß verhältnismäßig sein. Insbesondere darf der Entzug eines Teilrechts das Enteignungsziel nicht ebenso gut erreichen. Schließlich stellt Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG das Erfordernis auf, daß die Enteignung nur aufgrund eines Gesetzes vorgenommen wird, welches Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Diese Regelung verfolgt unterschiedliche Zwecke:303 Zum einen soll der Grundrechtsträger geschützt werden, indem gewährleistet wird, daß er in jedem Falle entschädigt wird. Zugleich wird der Gesetzgeber gewarnt, daß er einerseits einen erheblichen Grundrechtseingriff bewirkt und andererseits deswegen zum Ausgleich verpflichtet ist. Durch die Junktimklausel werden die Kompetenzen des Parlaments, insbesondere dessen Haushaltshoheit, gesichert, weil die Verwaltung bzw. die Gerichte keine Entschädigungen zu Lasten der öffentlichen Haushalte festlegen können, ohne daß sie das Parlament vorgesehen hätte. Fehlt es an einer gesetzlichen Entschädigungsregelung, ist die Enteignung verfassungswidrig. Die Gerichte dürfen nicht dennoch eine Entschädigung zusprechen. Seit der Enteignungsbegriff wieder klare Konturen aufweist, ist eine strikte Anwendung der Junktimklausel möglich.304 Der Gesetzgeber darf folglich nicht bewußt offen lassen, unter welchen Voraussetzungen er eine Enteignungsentschädigung gewähren möchte.305 Die Schutzzwecke der Junktimklausel können durch salvatorische Entschädigungsklauseln nicht erfüllt werden.306 Da es sich bei der Enteignung um ein Surrogat für einen frei vereinbarten Verkauf handelt, bedeutet „Entschädigung“ nicht Schadensersatz, der alle Ver301 BVerfGE

66, 248/257. Vgl. Wieland in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 103 ff. kann sich der Nutzen für das Gemeinwohl sowohl aus dem Unternehmensgegenstand selbst ergeben als auch nur mittelbare Folge der Unternehmenstätigkeit sein, wobei dann besondere Anforderungen an die Konkretisierung des gesetzlichen Enteignungszwecks zu stellen sind (BVerfGE 74, 264/284 ff.). 303 Wieland in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 108. 304 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 206. Als der Übergang zwischen entschädigungspflichtiger Enteignung und entschädigungsfreier Sozialbindung noch ein fließender war, war der Gesetzgeber schlicht nicht in der Lage, bei Erlaß eines Gesetzes zu wissen, ob eine entschädigungspflichtige Enteignung vorliegt oder nicht. 305 BVerwGE 84, 361/364 ff.; Bryde in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 14 Rn. 90; Detterbeck, DÖV 1994, 273/276 ff.; Kimminich in: BK, GG, Art. 14 Rn. 418 ff.; Leisner, DVBl. 1981, 76/76 ff.; Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 572 ff.; Wieland in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 111. Andere Ansicht: BGHZ 99, 24/27 ff.; 105, 15/16 ff.; Kleinlein, DVBl. 1991, 365/373 f. 306 Wieland in: Dreier, GG, Art. 14 Rn. 111. 302 Dabei

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

mögenseinbußen der Gegenwart und der Vergangenheit mit umfaßt, sondern einen Ausgleich für die auferlegte Vermögenseinbuße, um eine Sache gleicher Art und Güte wiederzubeschaffen.307 Ausgangspunkt zur Bestimmung des Wiederbeschaffungswertes ist der Verkehrswert des entzogenen Gegenstands, wobei unklar ist, ob es des vollen Wertausgleichs stets oder nur im Grundsatz bedarf. Ein nur grundsätzlich voller Ausgleich ist jedoch mit dem Prinzip der Lastengleichheit nicht zu vereinbaren.308 Erforderlich ist jedoch stets eine substantielle und nicht nur nominelle Kompensation.309 Im Grundsatz muß es daher beim vollen Wertausgleich bleiben. Freilich ordnet Art. 14 Abs. 3 S. 3 GG eine Abwägung der Interessen der Beteiligten und der Allgemeinheit an, so daß ein bestimmtes Ergebnis (Verkehrswertentschädigung) gerade nicht vorgegeben ist.310 Insbesondere sollen auch fiskalische Interessen als Interessen der Allgemeinheit in die Abwägung Eingang finden.311 An sich betrifft die Enteignungsentschädigung nur den Ausgleich für den Substanzverlust, doch können bestimmte weitere Vermögensnachteile Berücksichtigung finden (Folgeschäden, vgl. z. B. § 96 BauGB). Hierzu zählen sämtliche durch die Enteignung unmittelbar und zwangsnotwendig begründete Schäden.312 Eine Vorteilsausgleichung findet statt, soweit es um durch die Enteignung entstandene individuelle Vorteile geht.313 Auch ist ein mitwirkendes Verschulden zu berücksichtigen.314 Dies ist vor allem anzunehmen, wenn es der Bürger versäumt, Primärrechtsschutz gegen eine rechtswidrige Enteignung in Anspruch zu nehmen. Es ist zu überlegen, ob anspruchsmindernd solche Beschränkungen ins Gewicht fallen, die in zulässiger Weise auch durch eine entschädigungsfreie Sozialbindung dem Eigentümer hätten auferlegt werden können. Wenn der Eigentümer eine Einschränkung der Bestandsgarantie hinnehmen muß, dann kann für die Wertgarantie nichts anderes gelten.315 Jedoch bezieht sich die Sozialbindungs307 BGH

(GS) Z 6, 270/295; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 208. 112, 189/192; BGH (GS) Z 6, 270/295; Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 445 ff.; Opfermann, Enteignungsentschädigung, S. 36 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 208. 309 Kimminich in: BK, GG, Art. 14 Rn. 434; Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 593; Rüfner, FS-Scheuner, S. 511 ff. 310 BVerfGE 24, 367/421; 100, 289/303; Badura, HdbVerfR, § 10 Rn. 65; Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 444; Opfermann, S. 262 ff.; Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 613; Wendt in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 169. 311 Bryde in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 14 Rn. 94; a. A. Depenheur in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 444. 312 Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 631 ff., insbesondere Rn. 632. 313 BGHZ 54, 10/14. Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 211. 314 Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 456; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 211. 315 BGHZ 78, 41/51 f.; 92, 34/50; Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 453; Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 613, 621. 308 RGZ

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klausel des Abs. 2 systematisch nur auf Abs. 1 (Inhalts- und Schrankenbestimmungen). Nur das nach Abs. 1 gewährleistete Eigentum wird erfaßt. Deswegen spricht Abs. 2 auch nur vom „Gebrauch“ des Eigentums. Muß der Eigentümer nach Abs. 3 den vollständigen Entzug des Eigentumsobjekts hinnehmen, liegt hierin bereits die Aktualisierung der Sozialbindung, die bei der Wertberechnung nicht noch ein zweites Mal angesetzt werden darf.316 Für die Wertbestimmung ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Vornahme des Entschädigungsakts maßgeblich, da sich in diesem Moment der ehemalige Eigentümer ein Ersatzobjekt beschaffen können soll. Die Qualität wird hingegen zum Zeitpunkt des Enteignungsaktes bemessen. Ggf. ist noch früher auf die eine Enteignung vorbereitende Maßnahme abzustellen, wenn diese bereits dazu führt, daß das betroffene Eigentumsobjekt vom Markt abgekoppelt wird.317 III. Ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmungen Die Rückkehr zum klassischen Enteignungsbegriff und die damit verbundene kategoriale Trennung von Enteignung und Inhalts- und Schrankenbestimmung hat dazu geführt, daß die Inhalts- und Schrankenbestimmungen wieder in das Zentrum des Interesses rücken. Insbesondere ist die Frage nach ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen im vorliegenden Kontext von Bedeutung, da hier der Bürger unter bestimmten Voraussetzungen eine Kompensation beanspruchen kann. Ausgleichspflichtige Inhalts- und Schrankenbestimmungen sind solche gesetzliche Regelungen, die Rechte und Pflichten in Bezug auf das Eigentum in abstrakt-genereller Weise festlegen und dabei zugleich bisher geschützte Eigentumspositionen in an sich unverhältnismäßiger Weise einschränken und, um die Verhältnismäßigkeit zu wahren, einen Ausgleich durch Ausnahme- und Übergangsregelungen oder durch eine Geldzahlung vorsehen.318 Die Pflicht des Gesetzgebers, einen Ausgleich zu gewähren, folgt aus den verfassungsrechtlichen Anforderungen, denen eine Inhalts- und Schrankenbestimmung genügen muß.319 Sie darf die Privatnützigkeit des Eigentums nicht beseitigen und muß die grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über die Eigentumsgegenstände erhalten. Schließlich muß eine Inhalts- und Schrankenbestimmung verhältnismäßig sein und den allgemeinen Gleichheitssatz sowie den Vertrauensschutz des Bürgers beachten. Die Wahrung des Gleichheitssatzes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kann davon abhängen, ob die auf der Grundlage des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG erlassene gesetzliche Regelung einen Aus316 Anders

Depenheuer in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 453. in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 14 Rn. 457 f. 318 BVerfGE 58, 137 – Pflichtexemplar; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 181 f. 319 Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 767. 317 Depenheuer

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

gleich vorsieht.320 Für die Abgrenzung der ausgleichspflichtigen von den nicht ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen können die früher zur Unterscheidung zwischen entschädigungsloser Sozialbindung und entschädigungspflichtiger Enteignung entwickelten Kriterien herangezogen werden.321 Die Ausgleichspflicht läßt sich aus Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG unmittelbar nicht entnehmen. Ein solcher Anspruch besteht nur aufgrund einfachgesetzlicher Grundlage.322 Existiert eine solche nicht, obwohl ein Ausgleich erforderlich ist, liegt eine verfassungswidrige Inhalts- und Schrankenbestimmung vor.323 Waren jedoch die den einzelnen treffenden Sonderopfer vom Gesetzgeber nicht vorhersehbar, führt dies freilich nicht zur Verfassungswidrigkeit der Inhalts- und Schrankenbestimmung, da ein solcher Ausgleich gar nicht normierbar ist. Vielmehr sind solche Sonderopfer über das Rechtsinstitut des sog. enteignenden Eingriffs auszugleichen. Die Rechtsgrundlage für eine Ausgleichsleistung ist daher unterschiedlich, je nachdem, ob die Erforderlichkeit eines Ausgleichs vom Gesetzgeber vorherzusehen war oder nicht.324 Der Unterschied zur Junktimklausel des Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG liegt darin, daß die Entschädigung bei der Enteignung deren Folge ist, während der Ausgleich bei der Inhaltsbestimmung eine Voraussetzung und einen Bestandteil der gesetzlichen Regelung bildet.325 Da keine Junktimklausel besteht, werden salvatorische Klauseln zu Recht grundsätzlich für zulässig erachtet. Jedoch stellt sich die Frage, zu welcher Regelungsdichte man den Gesetzgeber verpflichten möchte, nach wie vor.326 Entscheidend ist bei Inhalts- und Schrankenbestimmungen, daß typischerweise nur in der konkreten Situation die Erforderlichkeit eines Ausgleichs beurteilt werden kann und eine abstrakt-generelle Regelung ausscheidet. Eine Einschränkung erfährt das Institut der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung durch den Grundsatz des Vorrangs der Realvermeidung unverhältnismäßiger Eigentumseingriffe. Der Gesetzgeber darf nicht nur den „bequemen“ Weg des finanziellen Ausgleichs beschreiten, sondern er muß in erster Linie dafür Sorge tragen, daß eine unverhältnismäßige Belastung des Eigentümers real vermieden wird.327 Es muß also die Möglichkeit vorgesehen sein, zur Schonung der privaten Belange des Eigentümers vom Eigentumseingriff abzusehen.328 Erforderlich sind außerdem verfahrensrechtliche Regeln, welche den 320 BVerfGE 57, 137 – Pflichtexemplar; 79, 174/192; 83, 201/211–213; Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 768. 321 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 190. 322 BVerwGE 94, 1/8; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 187. 323 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 188. 324 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 188. 325 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 190. 326 Rüfner, FS-Boujong, S. 647. 327 BVerfGE 100, 226/245. 328 Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 775 a.

D. Kompensation von Grundrechtseingriffen

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Ausgleichsanspruch flankieren, um sicherzustellen, daß die Behörde mit dem Verwaltungsakt, der eine gesetzlich vorgesehene Eigentumsbeschränkung aktualisiert, zugleich – zumindest dem Grunde nach – über einen dem belasteten Eigentümer ggf. zu gewährenden Ausgleich entscheidet.329 Die Kategorie der ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung wird nach teilweise vertretener Auffassung zu einem gänzlich neuen Institut des Verhältnismäßigkeitsausgleichs erheblich ausgedehnt.330 Dies reflektiert wohl die Neigung, alles, was sich nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr als Enteignung begreifen läßt, in die Rechtsfigur der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums einzuordnen.331 Diese Aufladung der Inhalts- und Schrankenbestimmung mit verschiedensten Ausgleichs- und Entschädigungsansprüchen wird angesichts der damit zwangsläufig verbundenen Einebnung von Differenzierungen, ja der Überfrachtung dieses Instituts, kritisch betrachtet.332 Insbesondere darf eine Inhalts- und Schrankenbestimmung nicht generell ausgleichspflichtig sein, da Art. 14 GG dies nur für Enteignungen vorsieht. Bei Inhalts- und Schrankenbestimmungen soll der Gesetzgeber gerade seinen Gestaltungsspielraum ausfüllen dürfen.333 Inhaltsund Schrankenbestimmungen konstituieren die Eigentumsordnung erst und führen deswegen mangels eines Eingriffs in Eigentumsrechte grundsätzlich nicht zu Ausgleichsansprüchen. Nur der atypische Fall, der einen Eigentümer ungleich oder besonders schwer trifft, verlangt eine Kompensation. Soweit solche Fälle absehbar sind, muß der Gesetzgeber dafür sorgen, daß ungleiche bzw. übermäßige Belastungen vermieden bzw. ausgeglichen werden. Erst subsidiär kommt eine finanzielle Kompensation in Betracht. IV. Enteignungsgleiche und enteignende Eingriffe 1. Der enteignungsgleiche Eingriff Beim enteignungsgleichen Eingriff handelt es sich um einen vom öffentlichen Interesse motivierten, rechtswidrigen unmittelbaren hoheitlichen Eingriff in eine vermögenswerte Rechtsposition, der vom einzelnen ein Sonderopfer verlangt.334 Das Anspruchsinstitut wurde unter der Weimarer Reichsverfassung entwickelt, um eine Lücke im System der Staatshaftung zu schließen und bislang nicht er329 BVerfGE

100, 226/246 m. krit. Anm. Hendler, DVBl. 1999, 1501/1503; Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 775 c. 330 Steinberg/Lubberger, Aufopferung – Enteignung und Staatshaftung, S. 211 ff./237. 331 Vgl. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 186. 332 Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 346 ff.; Schmitt-Kammler, FS-Köln, S. 837 ff. 333 Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 346 ff. 334 Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 777.

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

faßte rechtswidrige, schuldlose Eingriffe zu entschädigen. Da § 75 Einl. ALR selbst bei rechtmäßigen Eingriffen in Rechte des Bürgers eine Entschädigung vorsieht, müsse auch bei rechtswidrigen Eingriffen eine Entschädigung gewährt werden.335 Der Bundesgerichtshof verfolgte diese Linie des Reichsgerichts – allerdings auf der Grundlage des Art. 14 GG – weiter.336 Der rechtswidrige Eingriff in das Eigentum wurde dem rechtmäßigen entschädigungsrechtlich gleich erachtet.337 In der Weiterentwicklung des Rechtsinstituts fand eine Ausdehnung auf rechtswidrig schuldhafte Eingriffe statt, vor allem indem auf die Zwangsgewalt von hoher Hand (Sonderopferlage) abgestellt wurde,338 sowie schließlich auch auf rechtmäßige Eingriffe.339 Da der Bundesgerichtshof Ansprüche aus enteignungsgleichen Ansprüchen aus der analogen Anwendung des Art. 14 Abs. 3 GG herleitete, bedeutete die Naßauskiesungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts insoweit eine Zäsur, als Art. 14 Abs. 3 GG nicht mehr als Rechtsgrundlage herangezogen werden konnte. Nach Irritationen in der Literatur340 nimmt man heute jedoch die gewohnheitsrechtliche Verfestigung des Instituts an341 bzw. daß dieses auf den allgemeinen Aufopferungsgedanken der §§ 74, 75 Einl. ALR gestützt werden kann.342 Der Bundesgerichtshof geht daher nach wie vor von der Fortexistenz des Anspruchs aus. Dies ist konsequent, da er seine Rechtsprechung schon immer nur als Anwendung des Gedankens der §§ 74, 75 Einl. ALR verstand und Art. 14 GG analog zunehmend seltener herangezogen hat.343 Das Anspruchsinstitut bezieht seine inhaltliche Konturierung weiterhin aus Art. 14 Abs. 1 GG. Schutzgut ist also eine als Eigentum im Sinne von Art. 14 GG geschützte Rechtsposition.344 In das Eigentumsrecht muß rechtswidrig eingegriffen worden sein, worunter jede öffentlich-rechtliche Rechtsbeeinträchtigung zu verstehen ist. Durch das Merkmal der Rechtswidrigkeit unterscheidet sich der enteignungsgleiche Eingriff vom enteignenden Eingriff. Die Form des hoheitlichen Handelns spielt keine Rolle (Verwaltungsakt, Realakt, Rechtsnormen).345 335 RGZ

140, 276/283. (GS) Z 6, 270/290. 337 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 215 ff. 338 BGHZ 7, 296; 13, 88/92. 339 RGZ 140, 276/283. 340 Maurer, Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 33 ff. mit zahlreichen Nachweisen; Scholz, NVwZ 1982, 337/347; Sendler, DVBl. 1982, 812/816. 341 Hendler, DVBl. 1983, 873/873 ff.; Ossenbühl, NJW 1983, 1/1 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 222 f.; Papier, NVwZ 1983, 258/258 ff.; Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 631 ff.; Schwerdtfeger, JuS 1983, 104/110. 342 So die Rechtsprechung: BGHZ 86, 152/159. Vgl. Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 778 f. 343 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 226. 344 Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 780. Näher bei Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 243 ff. 345 Jedoch nicht formelle Gesetze oder solche Akte, die einzig aufgrund der Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes rechtswidrig sind. BGHZ 100, 136/145 ff.; Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 784. 336 BGH

D. Kompensation von Grundrechtseingriffen

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Früher war für den Eingriff ein Element der Finalität kennzeichnend. Dieses wurde längst zugunsten eines Unmittelbarkeitserfordernisses aufgegeben. Somit werden auch unvorhersehbare und zufällige Folgen hoheitlicher Tätigkeit erfaßt. Die Unmittelbarkeit ist zu bejahen, wenn sich ein aus der Eigenart des Verwaltungshandelns folgendes und mit diesem typischerweise verbundenes Risiko in der Eigentumsbeeinträchtigung niedergeschlagen hat.346 Es geht um eine wertende Zurechnung und um die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen und Risikosphären.347 Dem Unmittelbarkeitskriterium kommt haftungsbegrenzende Funktion zu,348 da es sonst leicht zu einer allgemein abgelehnten staatlichen Gefährdungshaftung käme. Der Eingriff muß von der Motivation getragen sein, dem Gemeinwohl zu genügen. Dieses Erfordernis resultiert aus der ursprünglichen Anbindung des Instituts an Art. 14 GG, so daß auch das für die Enteignung konstitutive Merkmal des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG übernommen wurde. Dieses Merkmal hat bei rechtmäßigen Maßnahmen zweifellos seinen Sinn, doch können rechtswidrige staatliche Maßnahmen kaum je im Sinne des Gemeinwohls sein.349 Besser wäre es, angesichts der Verselbständigung und veränderten Grundlage des Anspruchs auf dieses Merkmal zu verzichten.350 Schließlich ist der enteignungsgleiche Eingriff durch ein Sonderopfer gekennzeichnet, welches durch die Rechtswidrigkeit des Eingriffs indiziert ist.351 Dieses Merkmal ist ebenfalls ein Relikt aus der Zeit, als jeder über die Sozialbindung hinausgehende hoheitliche Eingriff, der vom einzelnen ein Sonderopfer verlangte, als Enteignung qualifiziert wurde. Der enteignungsgleiche Eingriff ist subsidiär gegenüber Rechtsschutzmöglichkeiten, die die Rechtsordnung zur Abwehr staatlicher Eingriffe zur Verfügung stellt (Vorrang des verwaltungsprozessualen Primärrechtsschutzes).352 Gestützt wird diese Einschränkung auf eine analoge Anwendung des § 254 BGB. Dem Betroffenen steht gerade kein Wahlrecht zu, ob er sich gegen eine rechtswidrige Hoheitsmaßnahme zur Wehr setzen oder unmittelbar Entschädigung verlangen möchte.353 Dogmatisch folgt die Subsidiarität der Entschädigung bei der 346 BGHZ

125, 19/21; Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 790; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 249 ff. 347 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 250. 348 Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 789; deutlich kritischer Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 249 (mit Hinweis auf Nipperdey, NJW 1967, 1985/1990), der bereits vom Vorliegen einer allgemeinen Gefährdungshaftung ausgeht. 349 Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 792. 350 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 260. 351 Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 793. 352 BGHZ 90, 17/31 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 260 ff.; Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 795 f. 353 Vgl. BVerfGE 58, 300, 322 f.

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

Enteignung aus dem Vorrang der von Art. 14 GG vermittelten Bestandsgarantie des Eigentums gegenüber der in Art. 14 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommenden Wertgarantie.354 Dieser Gedanke trägt auch hier. Maßgeblich ist, ob es dem Betroffenen zumutbar war, Primärrechtsschutz in Anspruch zu nehmen, und ob er die Anfechtung des Einzelaktes schuldhaft unterlassen hat.355 Bei der Berechnung der Entschädigungshöhe kommt es auf den Verkehrswert des betroffenen Eigentumsobjekts, nicht wie beim Schadensersatz auf eine hypothetische Vermögensentwicklung an. Die Entschädigung bedeutet ihrer Idee nach einen Ausgleich für ein dem Bürger abverlangtes Sonderopfer.356 Folgeschäden werden grundsätzlich einbezogen. Eine Vorteilsausgleichung findet statt. Mitwirkendes Verschulden wirkt entsprechend § 254 BGB anspruchsmindernd. 2. Besonderheiten bei enteignenden Eingriffen Der enteignende Eingriff unterscheidet sich nur hinsichtlich der Qualifikation des Eingriffs vom enteignungsgleichen Eingriff. Es liegt kein rechtswidriger Eingriff in eine von Art. 14 GG geschützte Eigentumsposition vor, sondern es handelt sich um eine unbeabsichtigte, schädigende Nebenfolge rechtmäßigen hoheitlichen Handelns.357 Besondere Bedeutung kommt dem Sonderopfer zu, das mangels rechtswidrigen Eingriffs beim enteignenden Eingriff nicht indiziert ist. Das Erfordernis eines Sonderopfers geht auf die frühere Abgrenzung von entschädigungspflichtiger Enteignung, wo ein Sonderopfer vorliegt, und entschädigungsfreier Sozialbindung zurück. Die hierzu entwickelten Abgrenzungstheorien können nach wie vor zur Bestimmung des Sonderopfers herangezogen werden.358 Entscheidend ist darauf abzustellen, ob die durch den Eingriff verursachten Nachteile dem einzelnen noch zugemutet werden können oder ob die Opfergrenze überschritten ist. V. Zwischenergebnis Die ausgehend von Art. 14 GG und dem allgemeinen Aufopferungsgedanken der §§ 74, 75 Einl. ALR angestellten Überlegungen zeigen, daß auch Grundrechtsbeeinträchtigungen grundsätzlich durch eine Kompensation ausgeglichen werden können und daß durch einen solchen Ausgleich die Grundrechtsverlet354 Vgl.

Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 261. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 261. 356 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 265. 357 Maurer, Verwaltungsrecht, § 27 Rn. 110 f. 358 BGH (GS) Z 6, 270/280 (Sonderopfertheorie); BVerwGE 15, 1 ff. (Schweretheorie). 355 Vgl.

D. Kompensation von Grundrechtseingriffen

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zung vermieden wird. Stets findet die Beurteilung der Zulässigkeit einer Beeinträchtigung grundrechtsintern statt. Das Grundrecht darf nur individuell betrachtet werden.359 Die jeweiligen Besonderheiten und spezifischen Wertungen einer Grundrechtsgewährleistung spiegeln sich in der Kompensationszulässigkeit (vor allem im Rahmen des inneren Funktionszusammenhangs und der Frage, ob ein vollständiger Ausgleich erreicht wurde) wider. Die Vorstellung eines verfassungsrechtlich geforderten Sonderopferausgleichs durchzieht das gesamte Recht staatlicher Ersatzleistungen in unterschiedlicher dogmatischer Einkleidung.360 Der Kompensationsgedanke wird zur Rechtfertigung von vorzunehmenden Eingriffen in Freiheit und Eigentum herangezogen bzw. zum Ausgleich bereits erfolgter Eingriffe. Damit eng verbunden ist das Prinzip der Pflichten- und Lastengleichheit (z. B. Art. 12 Abs. 2, Art. 12 a Abs. 1 GG). Zugleich geht es also um den Ausgleich von Ungleichbehandlungen. Die Entschädigungsansprüche sollen eine ohne Entschädigung bestehende Gleichheitswidrigkeit kompensieren.361 Öffentliche Pflichten und Lasten sind auf alle Bürger gleichermaßen zu verteilen, und ggf. muß dort, wo ein Bürger besondere Pflichten oder Lasten zu tragen hat, eine Kompensation dieser Nachteile stattfinden.362 Die vorstehend skizzierten staatlichen Pflichten zum Ausgleich von Sonderopfern sind sehr stark durch ihre historische Entwicklung geprägt und weisen eigenständige Voraussetzungen auf. Diese Unterschiede zu nivellieren und damit die Anspruchsvoraussetzungen zu vereinheitlichen, würde weder der Entwicklung dieser Rechtsinstitute noch deren Sinn gerecht. Indes wurde deutlich, daß sich alle Institute auf einen gemeinsamen gedanklichen Ursprung zurückführen lassen. Sie beruhen als Ausprägungen eines allgemeinen Opferausgleichsprinzips auf dem Gedanken der Kompensation einer ohne den Ausgleich unverhältnismäßigen Sonderlast.363 Hierdurch läßt sich erklären, warum die eigentumsrechtlichen Ansprüche zunächst alle auf Art. 14 Abs. 3 GG gestützt wurden und nach der Naßauskiesungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts letztlich unverändert auf einer neuen Grundlage fortexistieren konnten. Deswegen wird im Hinblick auf die Ansprüche losgelöst von Art. 14 GG bereits von Gewohnheitsrecht gesprochen.

359 Klein,

DVBl. 1981, 661/661; Rabe, Kompensation, S. 61 f. Kompensationsprinzip, § 2 II 1 b (S. 24). 361 Schenke, NJW 1991, 1777/1786. 362 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 56; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 1 c (S. 25). 363 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 56 ff.; Dürig, JZ 1954, 4/5; Dürig, JZ 1955, 521/522; Friauf , FS-Jahrreiß, S. 57 ff.; Hey, AöR 128 (2003), 226/230; Ipsen, Gleichheit, S. 195; SchulzeOsterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 255 ff., 266. 360 Voßkuhle,

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

In allen diesen Fällen führt eine staatliche Maßnahme zu einer Rechtsbeeinträchtigung des Bürgers, die einen defizitären Rechtszustand bewirkt. Der staatliche Ausgleich läßt die Rechtsbeeinträchtigung nicht von vornherein entfallen, sondern reduziert, wie vor allem bei den ausgleichspflichtigen Inhaltsund Schrankenbestimmungen deutlich wird, die Schwere der Rechtsbeeinträchtigung.364 Die Kompensation verhindert, daß eine staatliche Maßnahme unverhältnismäßig ist.365 Da stets eine dem einzelnen ungleich auferlegte Belastung (das „Sonderopfer“) ausgeglichen wird, besteht ein enger Zusammenhang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz. Gerade der durch das Sonderopfer bedingte „Verstoß gegen den Gleichheitssatz“366 soll ausgeglichen werden. Jedoch geht es gerade nicht um Verstöße gegen den Gleichheitssatz oder sonstiges Verfassungsrecht, weil der Staat von vornherein wollen muß, daß das ungleiche Opfer ausgeglichen wird.367 Kennzeichnend ist, daß von einer Beeinträchtigung ausgegangen wird und daß die Frage des Ausgleichs eine Folge der Beeinträchtigung ist, die diese legitimiert, nicht jedoch entfallen läßt. In entsprechendem Zusammenhang stehen auch die §§ 74, 75 Einl. ALR. Ein Eingriff in Rechte des Bürgers ist rechtmäßig (und eben keine Rechtsverletzung), wenn zugleich ein Ausgleich dafür gewährt wird, daß der Bürger im Allgemeininteresse einen Eingriff in seine Rechte zu dulden gezwungen ist. Das Sonderopfer des Bürgers muß in derselben logischen Sekunde ausgeglichen werden (vgl. § 75 Einl. ALR).368 Dies gilt einzig nicht bei Aufopferungsansprüchen wegen rechtswidrigen Staatshandelns, wo ein bereits erfolgter Rechtsverstoß erst recht ausgeglichen werden soll. Jedoch wird der finanzielle Ausgleich nicht als Regel, sondern als Ausnahme begriffen. Es kann also nicht jeder staatliche Eingriff durch finanzielle Kompensation geheilt werden. Art. 14 GG gewährleistet zunächst in seinem abwehrrechtlichen Gehalt den Bestand des Eigentums. Je stärker der Eingriff wiegt, desto gewichtigere Gemeinwohlbelange bedarf es zur Überwindung des Bestandsschutzes.369 Allein mittels des finanziellen Ausgleichs kann die Verfassungsmäßigkeit nicht herbeigeführt werden.370

364 Steinberg/Lubberger, Aufopferung – Enteignung und Staatshaftung, S. 219 sprechen deswegen von „Verhältnismäßigkeitsausgleich“ als neuem Institut. Vgl. Ossenbühl, FS-Friauf, S. 398; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 186. 365 BVerfGE 58, 137/150 f. – Pflichtexemplar; 100, 226/244; Hey, AöR 128 (2003), 226/231. 366 BGH (GS) Z 6, 270/280. 367 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 57. 368 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 58. 369 BVerwGE 84, 361/368; Steinberg/Lubberger, Aufopferung – Enteignung und Staatshaftung, S. 230; Roller, NJW 2001, 1003/1008. 370 Zur Subsidiarität des finanziellen Ausgleichs vgl. BVerfGE 100, 266/244 f. = BVerfG, DVBl. 1999, 1498 m. Anm. Hendler, S. 1502; BVerfG, NVwZ 2002, 476/478; BVerfG (Kammerentscheidung), NVwZ 2003, 727/728; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211/233 f.; König, DVBl. 1999, 954/958.

D. Kompensation von Grundrechtseingriffen

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In erster Linie müssen unzumutbare Belastungen daher durch Übergangs-, Ausnahme- und Befreiungstatbestände oder durch sonstige administrative und technische Vorkehrungen vermieden werden.371 Die Frage, ob andere als finanzielle Ausgleichsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, muß anhand des gesetzgeberischen Ziels beantwortet werden. Naturschutzrechtliche Bestimmungen können z. B. durch eine allzu große Zahl an Ausnahmetatbeständen leicht völlig ineffektiv werden.372 Der Gesetzgeber ist gehalten, möglichst durch präzise Regelungen zu der Art, den Voraussetzungen und dem Umfang des Ausgleichs für die Verwaltung Klarheit zu schaffen.373 Außerdem muß durch das Verfahrensrecht sichergestellt sein, daß mit dem eingreifenden Akt stets zugleich auch über den Ausgleich entschieden wird.374 Dieser stellt keinen Schadensersatz, sondern eine Entschädigung dar. Das Vermögensopfer soll ausgeglichen werden, eine Differenzhypothese wie bei § 249 Abs. 1 BGB wird nicht aufgestellt. Auch muß die Entschädigung das Vermögensopfer nicht vollständig ausgleichen. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß Kompensationsleistung und staatlicher Eingriff in einem sehr engen Zusammenhang, ja gar in einer festen Verbindung stehen. Der Gesetzgeber muß nicht nur bei der Enteignung, sondern auch bei Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums den Ausgleich zugleich mit dem Eingriff wollen und vorsehen. Ggf. muß diese Verbindung durch das Verfahrensrecht herbeigeführt und abgesichert werden. Ein nachträglicher Ausgleich reicht grundsätzlich nicht aus. Auch kann eine finanzielle Kompensation nur zulässig sein, wenn überwiegende öffentliche Interessen zwar nicht direkt für das gesetzliche Ziel streiten, wohl aber für die Überwindung des Bestandsschutzes. Die Kompensation ist nur subsidiär möglich. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die Grundrechte zunächst Bestandsgarantien (Abwehrrechte) und keine Wertgarantien sind und daß sich Eingriffe in grundrechtlich geschützte Freiheitsrechte nicht ohne weiteres mit Geldleistungen des Staates verrechnen lassen.375 Allgemein gilt daher, daß die Grundrechte zunächst staatliche Eingriffe als solche abwehren wollen.376 Dies gelingt am besten, indem der Eingriff gänzlich unterbunden wird. Je weiter die Kompensation von diesem Idealzustand entfernt ist, desto höhere Anforderungen sind an ihre Zulässigkeit zu stellen. Die Realvermeidung von Eingriffen kommt den grundrechtlichen Gewährleistungen am nächsten und hat daher Vorrang vor jeder Kompensation. Kompensation schafft

371 Vgl.

§ 39 I 2 rh.-pf. LPflG; Roller, NJW 2001, 1003/1008. NJW 2001, 1003/1008 f., wonach eine Abwägung vorzunehmen sei. 373 BVerfGE 100, 226/245. 374 BVerfGE 100, 226/246. 375 Hey, AöR 128 (2003), 226/230; ähnlich Klein, DVBl. 1981, 661/663. 376 Klein, DVBl. 1981, 661/666; Rabe, Kompensation, S. 61. 372 Roller,

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

in diesem Zusammenhang nicht Kompetenz, sondern Notkompetenz.377 Ihre erste Pflicht ist es, sich entbehrlich zu machen.378 Entscheidend für die Beurteilung der Grundrechtsverletzung ist der Funktionszusammenhang von Beeinträchtigung und Kompensationsleistung. Die Kompensation dient nicht einfach nur der Eingriffsrechtfertigung im Nachhinein. Sie kann ex post den Eingriff gerade nicht mehr rechtfertigen, sondern muß mit diesem von vornherein verknüpft sein. Eine Enteignung ohne Entschädigungsregel ist daher verfassungswidrig; der Eingriff kann nicht nachträglich durch eine noch so großzügige Entschädigung ausgeglichen werden. Auch die aufopferungsrechtlichen Ansprüche bilden hier keine Ausnahme, da es bei diesen um an sich rechtmäßiges Staatshandeln geht bzw. um den Ausgleich von Schäden aufgrund rechtswidrigen Staatshandelns, das aber im Vorfeld gerade nicht abgewehrt werden konnte und durch die Entschädigung nicht rechtmäßig wird. Die Bedeutung der engen Verbindung wird durch die verfassungsrechtlich zwingend notwendigen verfahrensrechtlichen Regelungen noch unterstrichen. VI. Vergleich mit Art. 3 Abs. 1 GG Die Tatbestände im Staatshaftungsrecht betreffen als Entschädigungsregelungen anders als Kompensationen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG meist einen Ausgleich auf einer Sekundärebene.379 Sie wollen eine geschehene Grundrechtsbeeinträchtigung wieder ausgleichen und so eine Grundrechtsverletzung verhindern. Dabei steht die Frage nach der Ausgleichszulässigkeit im Vordergrund. Die Kompensation bei Art. 3 Abs. 1 GG betrifft den Ausgleich von Normwirkungen auf einer Primärebene, so daß es entscheidend darauf ankommt, ob und welche Normwirkungen ausgeglichen werden. Es geht nicht um den Ausgleich einer Grundrechtsbeeinträchtigung, sondern darum, diese von vornherein zu verhindern. Wenn enteignende bzw. enteignungsgleiche Eingriffe auf der Sekundärebene zu einem Ausgleichsanspruch führen, müßte bei der Kompensation der sofortige Ausgleich auf Primärebene erst recht möglich sein.

377 Ossenbühl, FS-Ipsen, S. 141; Rabe, Kompensation, S. 78; Schlaich, VVDStRL 39 (1981), 99/116. Ein ähnlicher Gedanke führt im Schadensrecht der § 249 ff. BGB dazu, daß die Naturalrestitution nach § 249 BGB Vorrang gegenüber der Kompensation nach § 251 BGB beansprucht (vgl. oben § 2 B. II. 1. b) (S. 37)). 378 Schlaich, VVDStRL 39 (1981), 99/115 ff., 117. 379 Hey, AöR 128 (2003), 226/231 f.

E. Zusammenfassung der Ergebnisse zu § 2

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E. Zusammenfassung der Ergebnisse zu § 2 Es ist deutlich geworden, daß auf der Grundlage des Kompensationsgedankens Beeinträchtigungen von Rechten und Kompetenzen gerechtfertigt werden. Rechtsbeeinträchtigungen sind häufig erst aufgrund des vorgenommenen Ausgleichs verhältnismäßig und mit normativen Grundentscheidungen vereinbar. Jedoch trägt die Kompensation selbst als Argument eine Rechtfertigung nicht. Es handelt sich um ein regulatives Rechtsprinzip. Der Kompensationsgedanke steuert zur Feststellung, ob ein defizitärer Rechtszustand vorliegt, nichts bei, sondern entfaltet erst im Anschluß an diese Feststellung seine Bedeutung. Die Frage nach dem Erreichen des Ausgleichs ist erst aufgrund externer Wertungen möglich. Die Kompensation ist zunächst nur ein deskriptiver Begriff, der zwar Aspekte der Gerechtigkeit in sich zu tragen scheint und der nur allzu leicht dazu verführt, Wertungen vorwegzunehmen, dem jedoch aus sich selbst heraus keine rechtfertigende Kraft zukommt. Freilich besitzt der Gedanke erkenntnisleitende Funktion. Er ermöglicht es, Rechtfertigungsüberlegungen zu strukturieren, da ihm aufgrund seiner formalisierten Grundstruktur feste Parameter zugrunde liegen.380 Wertungsspielräume verbleiben aber bei der Beurteilung der Äquivalenz von Vorund Nachteil. Die Argumentationsfigur der Kompensation stellt ein allgemeines Konfliktlösungsmodell dar. Es handelt sich nicht um ein für ein spezifisches Problemfeld entwickelte neue, eigenständige Argumentationsfigur, sondern um die Übertragung eines auch in anderen Zusammenhängen bereits bekannten Gedankens auf den vorliegenden Sachverhalt. Der Kompensationsgedanke dient als Argumentationsfigur und Problemlösungsmechanismus in unterschiedlichsten rechtlichen Zusammenhängen. Daher wird auch von einem der Rechtsordnung immanenten Prinzip gesprochen.381 Die Kompensation setzt einen defizitären Rechtszustand voraus, dem mit Hilfe eines Kompensationsmittels entgegengewirkt werden soll. Defizitärer Rechtszustand und Kompensationsmittel bilden die Kompensationslage. Die Zulässigkeit der Kompensation erfordert zunächst, daß ein Ausgleich überhaupt erreicht wird (Äquivalenzforderung). Entscheidend für die Kompensationszulässigkeit ist aber, daß ein innerer Funktionszusammenhang zwischen Kompensationsmittel und dem defizitären Rechtszustand vorliegt. Durch die Kompensation darf nichts verknüpft werden, was nicht ohnehin in einem engen inneren Zusammenhang steht. Eine Kompensation wird in diesem Sinne gerade wegen des defizitären 380 Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 III 1 (S. 48) (Soll-Zustand = Ist-Zustand + Kompensationsleistung) und § 2 III 3 (S. 50 ff.). 381 Rabe, Kompensation, S. 68 f. spricht z. B. mit Hinweis auf die sorgfältige Ausbalancierung der drei Staatsgewalten davon, daß der Gedanke der ausgleichenden Zuordnung ein wesentliches und tragendes Prinzip des Grundgesetzes sei.

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§ 2 Kompensation als Rechtsfigur

Rechtszustands ergriffen, wenn die kompensatorische Maßnahme ohne die andere Maßnahme sinnlos oder nicht verständlich ist. Fehlt der funktionelle innere Zusammenhang, liegt kein Kompensationsverhältnis, sondern ein Ergänzungsverhältnis vor. Das Ergänzungsverhältnis führt nicht unmittelbar zur Rechtfertigung, kann aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abwägung) Berücksichtigung finden. Die Grundrechte werfen zwar eigene, spezifische Problemlagen auf, jedoch ist der Kompensationsgedanke in der Lage, die von den Grundrechten bei der Rechtfertigung von Eingriffen aufgeworfenen Eigenheiten zu verarbeiten und zu berücksichtigen. Der durch die Kompensation vorgenommene Ausgleich muß freilich grundrechtsintern erfolgen. Auch bei der Kompensation von Grundrechtseingriffen ist das Vorliegen eines inneren Funktionszusammenhangs erforderlich. Er ist allenfalls dahingehend zu verschärfen, daß die Kompensation des Eingriffs mit diesem gleichzeitig vorgenommen werden oder im Zeitpunkt des Eingriffs bereits feststehen muß. Ggf. hat eine Absicherung über verfahrensrechtliche Vorschriften zu erfolgen. Zu diesen Voraussetzungen kommt die Besonderheit hinzu, daß die (finanzielle) Kompensation nur subsidiär zulässig ist, da die Grundrechte vor allem Bestandsschutz (und keine bloße Wertgarantie) vermitteln. Mögliche Übergangs- oder Ausnahmetatbestände haben Vorrang vor der (finanziellen) Kompensation. Trotz der Allgemeingültigkeit des Prinzips lassen sich Aussagen über die Zulässigkeit des angestrebten Ausgleichs nur aus dem jeweiligen konkreten rechtlichen Umfeld gewinnen.382 Die Argumentationsfigur ist daher in den jeweils interessierenden Normbezug – hier den allgemeinen Gleichheitssatz – einzustellen. Dieses Ergebnis leitet zu der später in § 4 wieder aufzugreifenden Fragestellung über, welchen Inhalt der allgemeine Gleichheitssatz besitzt und ob trotz einer Kompensation eine Ungleichbehandlung vorliegt.

382 Klein, DVBl. 1981, 661/661 und 667; Meißner, Bundesländer, S. 170; Rabe, Kompensation, S. 85 f.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 III 3 (S. 50).

§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation A. Untersuchungsziele Es wurde nachgewiesen, daß die Kompensation Beschränkungen von Rechten und Kompetenzen zu rechtfertigen geeignet ist. Dies gilt grundsätzlich auch für Eingriffe in Grundrechte. Auf welche Weise die Kompensation zur Rechtfertigung eines Eingriffs führt, blieb indes offen. Untersucht wird daher, an welche Stelle in der Zulässigkeitsprüfung von Rechts- bzw. Kompetenzbeeinträchtungen die Kompensation einzuordnen ist. Im Bereich der grundrechtlichen Gewährleistungen werden die Freiheitsräume mit Hilfe der Verhältnismäßigkeitsprüfung voneinander abgegrenzt (§ 3 B. I.).1 Eingriffe in Grundrechte müssen verhältnismäßig sein. Es liegt nahe, auch den Kompensationsgedanken dogmatisch im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu verorten. So sieht z. B. Scholz2 den Kompensationsgedanken als notwendige Ergänzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aufgrund des gewandelten Verständnisses der Grundrechte von Abwehrrechten zu sozialen Leistungs- und Teilhaberechten (§ 3 D. II.) an. Als Alternative besteht die Möglichkeit, den Kompensationsgedanken als Frage der Zumutbarkeit zu begreifen und in der Verhältnismäßigkeit i. e. S. zu verorten, da die Kompensation die Intensität eines Eingriffs vermindert (§ 3 D. III.). Die Verhältnismäßigkeitsprüfung erführe in diesem Punkt durch die Kompensation jeweils eine Modifikation. Diesen Lösungsansätzen steht ein zweiter Weg gegenüber, wonach die Verhältnismäßigkeit und der Kompensationsgedanke zwei gänzlich verschiedene Ansätze zur Problemlösung darstellen (§ 3 E.). Wie die Abwägung zielt auch die Kompensation auf einen Ausgleich. Bei der Abwägung wird der Konflikt zwischen konkurrierenden Positionen dadurch gelöst, daß eine dieser Positionen zurücktritt. Die Kompensation hingegen gleicht einen Nachteil aus, ohne daß eine andere Position völlig aufgegeben werden müßte. Sie setzt wesentlich früher an, nämlich am defizitären Rechtszustand selbst. Insbesondere ist daher der These Aufmerksamkeit zu schenken, daß die Kompensationsargumentation in bestimmten Konstellationen die Verhältnismäßigkeitsprüfung ablöst und sich eine Abwägung erübrigt. Nur für den nicht kompensierten Teil des ursprünglichen Defizits verbliebe ein Anwendungsbereich der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dieser An1 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist als Direktive des Verfassungsrechts nicht mehr wegzudenken, Stern, StaatsR III/2, § 84 I 1 (S. 762). 2 Scholz, Mitbestimmung, S. 110 ff.; ähnlich Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 156 ff.; Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43/99.

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

satz gründet sich auf der Annahme, daß die Verhältnismäßigkeitsprüfung einen Rechtsgüterkonflikt voraussetzt,3 während die Kompensation diesen nicht nur wie die Abwägung auflöst, sondern im Ursprung bereits beseitigt. Diese Überlegungen machen eine Analyse des Verhältnismäßigkeitsgebots unumgänglich (§ 3 C.). Nur so läßt sich eine Aussage darüber treffen, ob bzw. wie die Kompensation als ein Gesichtspunkt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden kann. Insbesondere ist die Struktur der Abwägung als dem eigentlichen normativen Konfliktlösungsmechanismus darzulegen. Eine präzise Bestimmung der Rechtsfigur beugt einer Überdehnung des Verhältnismäßigkeitsgebots vor.4 Dies gelingt, indem gezeigt wird, daß sich die Abwägung unmittelbar aus Kollisionslagen ergibt. Es wird sich zeigen, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Kollision verschiedener Rechte zwingend voraussetzt. Mit Hilfe der Abwägung löst er diese Kollision auf.

B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als normativer Konfliktlösungsmechanismus Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit enthält in seiner dogmatischen Strukturierung drei Elemente:5 Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit.6 Die Elemente der Geeignetheit und der Erforderlichkeit dienen der Optimierung der tatsächlichen Möglichkeiten, daß nämlich der Eingriff das verfolgte Ziel zu erreichen in der Lage ist7 und daß er so minimal wie möglich ausfällt, also das 3 Dreier

in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 149; Huster, JZ 1994, 541/542 f.; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 97. 4 Stern, StaatsR III/2, § 84 I 5. (S. 774 f.). 5 Zwar ist der dogmatische Standort des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes noch nicht abschließend geklärt, über die dogmatische Struktur und über die drei Teilelemente besteht indes weitgehend Einigkeit: BVerfGE 67, 157/173; 81, 156/188 ff.; 91, 207/222 ff.; Dreier in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 146; Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 73 ff.; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 318; Lerche, HdbStR V, § 122 Rn. 16 ff. (S. 783 ff.); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 300 ff.; Ress, Verhältnismäßigkeit, S. 11, 15, 17 ff.; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 20 (R) Rn. 168; Stern, StaatsR III/2, § 84 II 1 (S. 775 f.); Wendt, AöR 104 (1979), 414/415. Zu den drei Elementen Grabitz, AöR 98 (1973), 568/571 ff.; Gentz, NJW 1968, 1600/1601 ff.; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 2, 50 ff.; 75 ff.; Lerche, Übermaß, S. 19 ff.; Ress, Verhältnismäßigkeit, S. 17 ff.; Stern, StaatsR I, § 20 IV 7 a) (S. 861 f.), § 20 IV 7 e) (S. 866). Der „legitime Zweck“ ist zwar maßgeblicher Bezugspunkt des staatlichen Handelns, der genau bestimmt werden muß (Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 20 (R) Rn. 169), er ist aber kein Element des Verhältnismäßigkeitsgebots. Der Staat darf generell keine illegitimen Ziele verfolgen. 6 Auch: Proportionalität, Zumutbarkeit, Angemessenheit, Verhältnismäßigkeit i. e. S. u. ä. Für den Oberbegriff „Übermaßverbot“ im Anschluß an Lerche, Übermaß, S. 21: Stern, StaatsR I, § 20 IV 7 a) (S. 861) und Wendt, AöR 104 (1979), 414/415. Zu der äußerst vielfältigen Terminologie Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 19 ff. und Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 8 ff. Dies ist nur dann ein unschädlicher Streit um Worte, wenn klar dargelegt wird, was hinter der jeweiligen Begriffsverwendung steht, hierzu Grabitz, AöR 98 (1973), 568/571 und nochmals Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 19. 7 BVerfGE 30, 292/316; 33, 171/187; 81, 156/192.

B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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mildeste unter (mehreren) gleich wirksamen Mitteln8 darstellt.9 Ob diese Voraussetzungen gewahrt sind, kann mitunter schwierig zu bestimmen sein.10 Die Komplexität einer solchen Fragestellung resultiert aus der tatsächlichen Komplexität des untersuchten Lebenssachverhalts. Es geht hier noch nicht um den normativen Vergleich kollidierender Rechtsgüter, sondern einzig um die Prüfung, ob die verfolgten Ziele kausal unvereinbar miteinander sind.11 Die Wertung findet auf der dritten Stufe, der Angemessenheitsprüfung, statt. Auf dieser rechtlichen Ebene erfordert die Verhältnismäßigkeit i. e. S. (Angemessenheit) die Auflösung der normativen Komplexität der Situation durch die Prüfung, welches Rechtsgut im konkreten Fall Vorrang beanspruchen darf. Fraglich ist, welche Probleme der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu lösen vermag. In der Regel wird er heute zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen herangezogen. Ob er auch darüber hinaus Anwendung finden kann, setzt zunächst einen Blick auf seine Funktionsweise im Bereich der Grundrechte voraus (sogleich unter § 3 B. I.). Anschließend wird untersucht, ob eine Beschränkung seines Anwendungsbereichs auf grundrechtliche Gewährleistungen erforderlich ist oder ob er als übergreifendes Rechtsprinzip taugt (§ 3 C.). I. Gewährleistungsinhalt von Rechten am Beispiel der Grundrechte 1. Freiheitsgewährleistung als Verteilungsproblem Dem klassischen liberalen Verständnis folgend werden die Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat beschrieben.12 Der abwehrrechtliche Gehalt der Grundrechte folgt aus „der geistesgeschichtlichen Entwicklung der Grundrechtsidee wie aus den geschichtlichen Vorgängen, die zur Aufnahme von Grundrechten in die Verfassungen der einzelnen Staaten geführt haben“.13 Indes war die Bedeutung der Grundrechte nicht schon immer die der Abwehr von Eingriffen der hohen Hand. Die Freiheit des Menschen wurde ursprünglich nicht als angeborenes unveräußerliches Recht verstanden, sondern als eine vom Staat ab8 BVerfGE

30, 392/316; 33, 171/187; 70, 1/29; 81, 156/192. Theorie, S. 100 f. 10 Deshalb räumt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber zur Wahrung des Gewaltenteilungsgrundsatzes einen Beurteilungs- und Prognosespielraum ein. 11 Vgl. Huster, Rechte und Ziele, S. 108. 12 BVerfGE 7, 198/204 f.; Böckenförde, NJW 1974, 1529/1530; Dreier, Jura 1994, 505/505 f.; Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 III Rn. 94 ff.; Lübbe-Wolff , Grundrechte, S. 33; v. Münch in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1–19 Rn. 16; Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 26 ff. (S. 255 f.); Sachs in: Stern/Sachs, StaatsR III/1, § 65 IV (S. 558 ff.), § 66 (620 ff.) jeweils m. w. N.; Schmitt, Verfassungslehre, S. 163 ff. Ausführlich hierzu Poscher, Abwehrrechte (ebd. S. V): „Das Abwehrrecht ist eine grundrechtliche Selbstverständlichkeit.“ 13 BVerfGE 7, 198/204 f. 9 Alexy,

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

geleitete und von ihm gewährte Freiheit. Die Grundrechte waren hauptsächlich Richtungsbegriffe für die Prozesse der Rechtsänderung und Gesellschaftsgestaltung,14 welche zu Eingriffen in Individualrechte (die iura quaesita) anleiteten. Sie waren objektive Rechtssätze als Ausdruck einer freiwilligen Selbstbindung der Staatsgewalt.15 Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde ein negatorisches Verständnis der Grundrechte entwickelt, einerseits als der Staat sozialpolitisch motiviert zunehmend in den privaten Freiheitsraum eindrang,16 andererseits weil der Gesetzgeber eine zunehmend freiheitliche, einfachgesetzliche Rechtsordnung geschaffen hatte. In diese so geschaffenen Freiheitsräume sollte die öffentliche Hand nicht ohne weiteres eindringen dürfen.17 Diese Grundrechtsdimension stellt unter dem Grundgesetz die primäre Funktion der Grundrechte dar. Alle anderen Grundrechtsfunktionen18 (objektive Werteordnung19 , Schutzgewähr-20 und Teilhaberechte21 ) wurden nur als Ergänzung der Abwehrfunktion entwickelt und verstanden.22 Die Grundrechte gewährleisten Freiheitszustände, deren zeitgleiche Verwirklichung nicht immer möglich ist.23 Die Inanspruchnahme gleicher oder verschiedener Grundrechte durch unterschiedliche Grundrechtsträger führt, sobald die Freiheitsausübung Sozialkontakt und Außenwirkung zeitigt, unweigerlich zur gegenseitigen Beeinträchtigung der Freiheit.24 Die jeweiligen Grundrechtssphä14 Gostomzyk,

JuS 2004, 949/950; Wahl, Der Staat 18 (1979), 321/328 ff., 330. Jura 1994, 505/506 f.; Gostomzyk, JuS 2004, 949/950; Hofmann, NJW 1989, 3177/3181; Kröger, Grundrechtsentwicklung, S. 32. Aufgrund der besonderen Situation der Neubesiedlung ohne Vorgabe einer feudalen Vergangenheit liegt der Bill of Rights von Virginia (1776) als erster gesamthaften verfassungskräftigen Positivierung eines Grundrechtekatalogs im modernen Sinne ein anderes Freiheitsverständnis zugrunde. Art. 1 der Bill of Rights ist Ausdruck des naturrechtlichen aufklärerischen Denkens der Neuzeit: „That all men are by nature equally free and independent, and have certain inherent rights, of which, when they enter into a state of society, they cannot, by any compact, deprive or divest their posterity“. Auch die Declaration of Independence (1776) geht gleich zu Beginn davon aus, „that all men are created equal, that they are endowed by their creator with certain unalienable rights. . . “. 16 Dreier in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 10; Lübbe-Wolff , Grundrechte, S. 35 ff.; vgl. auch BVerfGE 7, 198/204 f. 17 Gostomzyk, JuS 2004, 949/950. Zur Eingriffsproblematik ausführlich Lübbe-Wolff , Grundrechte, S. 25 ff. 18 Eine Übersicht findet sich bei Dreier in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 82 ff. 19 BVerfGE 7, 198/204 f. 20 BVerfGE 39, 1/41 f.; 49, 89/140 ff.; 88, 203/251 ff.; BVerfG (Kammerentscheidung), NJW 1997, 2509/2009 f. und BVerfG (Kammerentscheidung), NJW 1996, 651/651. 21 BVerfGE 73, 280/296. 22 Huster, Rechte und Ziele, S. 63. 23 Vgl. BVerfGE 36, 342/363; Kelsen, Rechtslehre, S. 209 ff.; Koch, Abwägung, S. 20; Stern, StaatsR III/2, § 82 I 1 (S. 603). Dabei besteht die Kollision nicht per se. Sie ist dem Freiheitsbegriff selbst nicht immanent, da zwei Freiheiten grundsätzlich auch ohne Kollision nebeneinander gestellt werden können. 24 Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 269 f.; Bettermann, Grenzen, S. 8 f.; Huster, Rechte und Ziele, S. 70 ff.; Koch, Abwägung, S. 10; Wendt, AöR 104 (1979), 414/431. Stern, StaatsR III/2, § 82 I 3 (S. 607 und 629): In einem solchen Fall liege eine echte Grundrechtskollision vor. Von einer unech15 Dreier,

B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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ren sind untereinander bzw. gegenüber der Gesellschaft abzugrenzen,25 will die Rechtsordnung nicht selbst widersprüchlich werden.26 Die grundrechtliche Gewährleistung von Freiheit wird so zu einem Verteilungsproblem. An der Kollision von Freiheitsgewährleistungen zweier oder mehrerer Bürger ändert sich auch dann nichts, wenn der Staat mit einer Maßnahme die Förderung des allgemeinen Wohls verfolgt.27 Güter der Allgemeinheit lassen sich dadurch beschreiben, daß der einzelne von ihrer Nutzung nicht ausgeschlossen werden kann (Öffentlichkeit) und daß sie sich nicht auf einzelne Personen verteilen lassen (Unteilbarkeit).28 Auch hier handelt es sich der Sache nach um einen Ausgleich von Individualinteressen, die allerdings im Interesse aller verfolgt werden.29 Die Gesellschaft kann diesen Konflikt selbst nicht ohne weiteres bewältigen. Die Lösung der Konflikte obliegt daher dem Staat unter Einsatz der Rechtsordnung.30 Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber hat die Aufgabe, die Freiheitssphären der Bürger gegeneinander abzugrenzen.31 Die Verteilungsproblematik wird von einem Verhältnis unter Privaten auf den Staat transferiert.32 Rechtsnormen sollen Konflikte durch Beschränkung der Freiheitsgewährleistungen ausbalancieren und sind damit im Spannungsfeld kollidierender Interessen angesiedelt.33 Recht hat die Funktion, die Vereinbarkeit der individuellen Freihei-

ten Grundrechtskollision sei hingegen zu sprechen, wenn ein anderes Verfassungsprinzip durch die Freiheitsbetätigung beeinträchtigt wird. Auch hier liegt eine Kollision vor, die es aufzulösen gilt. Abzugrenzen ist hiervon der Fall der Grundrechtskonkurrenz. Hierzu vgl. Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Vorb. Rn. 17 f. und ausführlich Rüfner, FG-BVerfG II, S. 474 ff. 25 Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 269 f.; v. Hippel, Grenzen, S. 23; Huster, Rechte und Ziele, S. 70 m. w. N.; Stern, StaatsR III/2, § 82 II 1 (S. 609); Wendt, AöR 104 (1979), 414/431; Zippelius, Staatslehre, 346 f. Dies wird auch in der bekannten Formulierung Kants deutlich, daß die „Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen“ können muß (Kant, Gemeinspruch, S. 144, 148; Kant, Metaphysik der Sitten, S. 337 (A 33 B 33). Vgl. auch Ossenbühl, Zumutbarkeit, S. 322 (die Rechtsordnung sei auf einen schonenden Ausgleich angelegt)). 26 Stern, StaatsR III/2, § 82 I 1/III 2 (S. 604/634). 27 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 300: Verteidigung der Nation gegen (ungerechtfertigte) Angriffe von außen/äußere Sicherheit. 28 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 299 f. 29 Huster, Rechte und Ziele, S. 94. 30 Grabitz, AöR 98 (1973), 568/577; Huster, Rechte und Ziele, S. 71, 91. Hier zeigt sich die noch verbleibende Bedeutung der vertragstheoretischen Begründung, vgl. Rousseau, Bd. 3, Le contrat social und Hobbes, Leviathan. 31 Jellinek, System, S. 102 f.; Preis, ZG 3 (1988), 319/327. Um sicherzustellen, daß die Freiheitsbeschränkungen von der Gesellschaft durch ihre demokratisch legitimierten Vertreter getroffen werden, muß für freiheitsbeschränkende Maßnahmen stets eine Entscheidung in Gestalt eines formellen Gesetzes gefordert werden (Huster, Rechte und Ziele, S. 93). Dies entspricht dem Vorbehalt des Gesetzes, hierzu BVerfGE 8, 155/166 ff. und Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 20 (R) Rn. 95 ff. m. w. N. 32 Huster, Rechte und Ziele, S. 91; Isensee, HdbStR I 1995, § 13 Rn. 62 ff. (S. 617 ff.). Vgl. die vertragstheoretische Begründung des Staates, w. N. bei Huster, Rechte und Ziele, S. 71. 33 Koch, Abwägung, S. 13.

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

ten zu sichern.34 Der Freiheitsanspruch richtet sich nicht mehr gegen den Staat, weil der Staat der Gesellschaft bzw. dem Individuum gegenüber steht, sondern weil nur er in der Lage ist, die Interessenskonflikte innerhalb der Gesellschaft aufzulösen und auszugleichen.35 Die verfassungsrechtliche Zuschreibung individueller Rechte auf Unterlassung staatlicher Eingriffe dient dazu, daß jeder seinen Freiheitsanspruch gleichermaßen zur Geltung bringen kann,36 sowie dazu, eine gerechte Verteilung der Freiheitssphären zu gewährleisten.37 2. Inhalt und Struktur der Freiheitsgewährleistung Es erscheint als banale Erkenntnis, daß Freiheiten Beschränkungen aufweisen müssen. Wenn alle ein Recht auf alles besitzen, werden unter der Bedingung der Güterknappheit Situationen auftreten, in denen zwei ein und dasselbe wünschen, sie dessen aber nicht beide zugleich teilhaftig werden können.38 Ziel muß sein, einen Ausgleich derart vorzunehmen, daß von jeder der kollidierenden Freiheiten möglichst umfänglich Gebrauch gemacht werden kann. Die durch solche Kollisionsfälle notwendig werdenden Entscheidungen sind allenfalls teilweise durch staatlich gesetztes Recht vorgegeben.39 Das Grundproblem besteht darin, daß sich die Freiheitssphären des einzelnen Grundrechtsträgers nicht abschließend ex ante festlegen lassen. Eine derart detaillierte und damit in höchstem Maße komplexe bis hin zur Unpraktikabilität führende Formulierung der jeweiligen Freiheit würden den Rechtssetzer wie den Rechtsanwender überfordern.40 Eine Rechtsordnung kann sich nicht in dem Bestand subsumtionsfähiger Rechtssätze erschöpfen.41 Zwei Wege scheinen zur Einschränkung der Freiheit möglich. Es kann von einer nur durch die physischen Möglichkeiten des einzelnen begrenzten, aber sonst schrankenlosen Freiheit ausgegangen werden. Die Kompati34 Dies stimmt mit Kants Verständnis der Freiheit überein, Kant, Metaphysik der Sitten, VI, 230/231 (AB 34), 312/313 (A 165, B 195). 35 Huster, Rechte und Ziele, S. 92; Isensee, Grundrecht, S. 5 f. 36 Huster, Rechte und Ziele, S. 94; Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 26 ff. (S. 255 f.); Sachs in: Stern/Sachs, StaatsR III/1, § 66 (S. 620 ff.). Hier klingt der Bezug zu Art. 3 Abs. 1 GG an. 37 Huster, Rechte und Ziele, S. 95 f. 38 Hobbes, Leviathan, I 13. 39 Koch, Abwägung, S. 9 ff. 40 Vgl. Husters (Huster, Rechte und Ziele, S. 72 ff.) treffend herangezogenes Beispiel der von einem Schachspieler zu beachtenden Regeln. Vgl. Kant, Gemeinspruch, S. 125/127 (A 202): „weil das ins Unendliche gehen würde“. 41 Grabitz, AöR 98 (1973), 568/582; v. Hippel, Grenzen, S. 17; Huster, Rechte und Ziele, S. 73 f.; Sobota, Rechtsstaat, S. 241. (Die Anwendung abstrakt-genereller Normen sei nur noch durch situatives Differenzieren und fallangepaßte Lösungen erträglich: Eine rechtliche Regulierung, die sich in einer allgemeinen distanzierten Kodifikation erschöpfte, würde „mit weiten Schwingen über diese multipolare Relationalität hinwegrauschen“.)

B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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bilität mit den anderen Freiheitssphären wird erreicht, indem durch eine ein- oder mehrseitige Beschränkung der Freiheit ein Ausgleich im Kollisionsfall geschaffen wird.42 Es unterscheiden sich nach diesem Ansatz ein Schutzbereich und ein effektiver Garantiebereich, die gerade nicht deckungsgleich sind.43 Freiheitsrechte sind diesem Ansatz zufolge keine absoluten, sondern prima-facie-Rechte.44 Andererseits ist es denkbar, den Umfang der gewährleisteten Freiheit von vornherein so zu definieren, daß Schutzbereich und effektiver Garantiebereich zusammenfallen.45 Der Begriff der Schranke wird durch den der Grenze ersetzt.46 Zweifel bestehen danach nicht darüber, wie weit das Freiheitsrecht einzuschränken ist, sondern welchen Inhalt es hat. Alle zu berücksichtigenden Gemeinwohlbezüge und Belange Dritter sind in den Begriff der Freiheit aufzunehmen. Das Schrankendenken ist hier nicht nur nicht notwendig, sondern gänzlich unpassend.47 Dies entspricht dem Verständnis grundrechtlicher Leistungsansprüche. Diese werden nicht umfassend und unbedingt gewährt, um sie dann auf sozialadäquate Dimensionen zurückzuschneiden, sondern es wird nur ein von vornherein beschränkter Anspruch gegeben, der einer weiteren Einschränkung nicht bedarf.48 Das Grundgesetz geht indes von einer Trennung von Schutzbereich und Schranken aus.49 Es wird im Wortlaut der Grundrechtsgewährleistungen zwischen dem vom Grundrecht geschützten Bereich und den Schranken differenziert. Auch Art. 19 Abs. 1 und 2 GG sind nur so verständlich. Durch die Verlagerung der Kollisionsproblematik in den Schutzbereich würde die Schrankensystematik des Grundgesetzes unterlaufen.50 Daher ist der vorstrukturierte Freiheitsbegriff abzulehnen. Eine Aussage über den eigentlichen Gehalt der Freiheitsgewährleistungen trifft nur der effektive Garantiebereich, also eine Betrachtung des Schutzumfangs, nachdem der unbeschränkten Freiheit eine Grenze gezogen wird. Die Unbegrenztheit der Freiheitsausübung ist also nicht als grundrechtlicher Idealzustand zu begreifen.51 Die Unterscheidung ist vielmehr ein rechtstechnisches Mittel, um die Befugnis, Freiheiten einzuschränken,52 dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber zuzuwei42 Vgl.

nur Huster, Rechte und Ziele, S. 72 ff. Lübbe-Wolff , Grundrechte, S. 25 ff. 44 Huster, Rechte und Ziele, S. 73; Enderlein, Abwägung, S. 45 ff. 45 So die h. M. für die Dogmatik der Gleichheitsrechte. Auch die originären grundrechtlichen Leistungsansprüche folgen diesem Modell. 46 Vgl. Alexy, Theorie, S. 250 m. w. N.; v. Hippel, Grenzen, S. 17 ff. 47 Vgl. Alexy, Theorie, S. 252; Huster, Rechte und Ziele, S. 85. 48 Vgl. Lübbe-Wolff , Grundrechte, S. 17. 49 Lübbe-Wolff , Grundrechte, S. 25. 50 Huster, Rechte und Ziele, S. 90. 51 Vgl. Alexy, Theorie, S. 343. 52 Alexy, Theorie, S. 344: „freiheitlicher Gesamtzustand“. 43 Vgl.

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

sen.53 Die Annahme vorstrukturierter Freiheit überließe diese Aufgabe der Verwaltung und der Rechtsprechung. Wirkliche Problemfälle, wie weit die Freiheit des einen im Einzelfall zu reichen hat, werfen in der einen wie in der anderen Auffassung komplizierte Überlegungen auf. Unter beiden Auffassungen treten dieselben Kollisions- und Konfliktfälle auf. In der Sache besteht folglich in beiden Fällen ein Schrankendenken.54 Der Ansatz über den vorstrukturierten Freiheitsbegriff löst den Konflikt nicht, sondern verschiebt ihn um den Preis methodischer Klarheit.55 Zwar ist es nicht immer ganz einfach, den Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts zu bestimmen. Nur die Unterscheidung zwischen Schutzbereich und Schranken macht aber deutlich, welches Freiheitsinteresse und welches kollidierende Gut sich gegenüberstehen.56 Hieraus könnte sich eine abgeschwächte Form der Präformierung der grundrechtlich gewährleisteten Freiheit ergeben, indem nämlich von einem liberalen – nicht vollständig präformierten – Freiheitsbegriff ausgegangen wird. Aus dem Schutzbereich werden jedoch diejenigen Verhaltensweisen herausgeschnitten, die mit Interessen und Rechten Dritter bzw. der Allgemeinheit kollidieren.57 Wollte man auf diese Weise alle Konflikte lösen, läge wieder ein vorstrukturierter Freiheitsbegriff vor, der mit der nicht abgeschwächten Form vergleichbar, wenn nicht letztlich identisch wäre und sich daher denselben Einwänden ausgesetzt sähe. Möglich ist es aber, nur die offensichtlich sozialschädlichen Handlungen auszuklammern.58 Dann wird eine abstrakte Abwägung vorgenommen, welche danach fragt, ob die jeweilige Freiheit sich unter keinem denkbaren Gesichtspunkt gegenüber anderen Gütern durchsetzen kann. Dies führt zur genauen Determinierung des Schutzbereichs durch Auslegung und stellt in der Sache keine Präformierung der Freiheitsgewährleistung dar. 3. Regeln und Prinzipien Mit der Feststellung, daß die grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen im Kollisionsfall mit anderen Freiheitsrechten eingeschränkt werden können und müssen, daß sie also prima-facie-Rechte darstellen, ist zwar das Problem be53 Lübbe-Wolff , Grundrechte, S. 100; vgl. BVerfGE 47, 46/74 ff., 80 ff.; 58, 257/268 f.; 108, 282/310 ff. 54 Huster, Rechte und Ziele, S. 90. 55 Huster, Rechte und Ziele, S. 79. 56 Huster, Rechte und Ziele, S. 88 f.; Katz, Staatsrecht, Rn. 635; Kloepfer, FG-BVerfG II, S. 406. 57 Nachweise bei Huster, Rechte und Ziele, S. 86. 58 Vgl. z. B. die ausdrückliche Schutzbereichsbegrenzung in Art. 8 Abs. 1 GG „friedlich und ohne Waffen“ und die Definition des Berufes i. S. d. Art. 12 Abs. 1 GG (BVerfGE 7, 377/397; 32, 311/316; BVerwGE 87, 37/40 f.), wonach sozialschädliche Tätigkeiten ausgeschlossen sind. Zur Parallele vgl. Huster, Rechte und Ziele, S. 89, Fn. 115.

B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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schrieben, nicht jedoch, wie solche Konflikte abstrakt-strukturell gelöst werden. Grundlegend für die Beantwortung dieser Frage ist die Unterscheidung zwischen Regeln und Prinzipien:59 Normen mit Regel- und Prinzipiencharakter lassen sich qualitativ nach ihrem Inhalt unterscheiden.60 Prinzipien sind als Optimierungsgebote zu verstehen: Prinzipien sind Normen, „die gebieten, daß etwas in einem relativ auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohen Maße realisiert wird.“61 Sie können in unterschiedlichen Graden erfüllt werden. Anders hingegen zeichnen sich Regeln dadurch aus, daß sie – wie z. B. § 25 Abs. 1 StVO – nur entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden können. Sie weisen eine „wenn-dann“-Struktur auf.62 Regeln und Prinzipien lösen die Kollision zweier oder mehrerer Freiheitsrechte unterschiedlich auf. Der Konflikt von Regeln kann nur durch Einführung einer Ausnahme in die Regel aufgelöst werden oder dadurch, daß wenigstens eine Re59 Alexy, Theorie, S. 71: „Grundpfeiler des Gebäudes der Grundrechtstheorie“; Enderlein, Abwägung, S. 45 ff.; Grabitz, AöR 98 (1973), 568/581 ff. v. Hippel, Grenzen, S. 15 ff.: Grundrechtsnormen seien eine „Grundsatzentscheidung“ (S. 15); vgl. Dworkin, Bürgerrechte, S. 55 und öfter. Weniger deutlich: BVerfGE 50, 290/337; Podlech, Gehalt, S. 87; Podlech, Gewissensfreiheit, S. 35 ff.: „Argumentationslastregel“, vgl. aber auch die Anm. von Podlech, Gehalt, S. 90: nicht jedes Grundrecht stelle eine Argumentationslastregel dar; Schlink, Abwägung, S. 195 f. Einschränkend Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 97 ff.; Poscher, Abwehrrechte, S. 75 ff., 315 ff. Noch weitergehend wird teilweise zwischen Argumenten der Zielsetzung und Prinzipienargumenten differenziert (Dworkin, Bürgerrechte, S. 146, 158 und öfter; hierzu Huster, Rechte und Ziele, S. 124). Prinzipienargumente rechtfertigen eine politische Entscheidung dadurch, daß sie zeigen, daß die Entscheidung ein bestehendes Recht des Individuums oder einer Gruppe achtet oder sichert, während Argumente der Zielsetzung (policy) auf die Förderung und Sicherung eines bestehenden kollektiven Ziels der Gemeinschaft als ganzer gerichtet sind. Beides wird als principle in the generic sense zusammengefaßt. Im vorliegenden Zusammenhang genügt es, auf diesen übergeordneten, weiteren Prinzipienbegriff abzustellen (vgl. Alexy, Theorie, S. 99). Die Abgrenzung zwischen Prinzipien und Regeln wird in unterschiedlicher Weise vorgenommen. Manche grenzen die Begriffe mit Hilfe des Kriteriums der Generalität von einander ab. Regeln seien Normen geringen, Prinzipien solche hohen Generalitätsgrades (Christie, Duke Law Journal 1968, 649/669 (der jedoch die Differenzierung zwischen Regeln und Prinzipien letztlich aufgeben möchte); Simonius, Zeitschrift für Schweizerisches Recht N. F. 71 (1952), 237/239 f.; Raz, Yale Law Journal 81 (1972), 823/838). Der Unterschied wäre hiernach ein gradueller (Alexy, Theorie, S. 75). Weitere Abgrenzungskriterien sind die Bestimmbarkeit der Anwendungsfälle (Esser, Grundsatz, S. 51 ff.; Larenz, Richtiges Recht, S. 23) oder die Entstehungsgeschichte als gewachsene oder geschaffene Normen (Shuman, California Law Review 59 (1971), 715/723, 727 ff. Weitere Kriterien und Nachweise finden sich in der Übersicht von Alexy, Theorie, S. 73 f. m. w. N.). All diese Abgrenzungskriterien machen eine Einteilung in Regeln und Prinzipien äußerst schwierig. Die Abgrenzungskriterien sind zudem beliebig kombinierbar, so daß je nach Kombination entweder das Vorliegen einer Regel oder eines Prinzips bejaht werden könnte. Eine klare Unterscheidung ist nicht möglich, die Einteilung von Normen in Regeln und Prinzipien wäre daher nicht aussagekräftig und überflüssig (vgl. Alexy, Theorie, S. 74). 60 Alexy, Theorie, S. 75 f.; Esser, Grundsatz, S. 95. 61 Alexy, Theorie, S. 75 und Alexy, Rechtsprinzip, S. 79 ff. 62 Dworkin, Bürgerrechte, S. 58.

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

gel für ungültig erklärt wird.63 Kennzeichnend ist, daß es sich um eine Entscheidung über die Geltung handelt.64 Eine Regel ist entweder bei Vorliegen ihrer Tatbestandsmerkmale gültig oder sie ist ungültig und kann zur Lösung des Falles nicht herangezogen werden.65 Stehen zwei Regeln miteinander in Konflikt, kann eine von ihnen keine gültige Regel sein. Ein Rechtssystem muß einen solchen Konflikt durch eine andere, eine übergeordnete Regel ordnen66 oder in eine Regel Ausnahmen einfügen. Solche übergeordnete Kollisionsauflösungen stellen z. B. die Grundsätze lex posterior derogat legi priori und lex specialis derogat legi generali oder Art. 31 GG67 dar. Prinzipien hingegen behandeln kollidierende Prinzipien oder Regeln nicht als Gegenbeispiele, die gegen die Gültigkeit oder gegen die Vollständigkeit des Prinzips sprechen. Sie stellen ein Argument in eine bestimmte Richtung dar, ohne bereits die Entscheidung vorwegzunehmen („Zielvorgabe“).68 Eine Mindererfüllung der „Zielvorgabe“ bedeutet keinen Normverstoß. Kollidieren zwei Prinzipien, muß nicht nach der übergeordneten Regel geforscht werden, welche eines der Prinzipien von seiner Geltung suspendiert. Prinzipienkonflikte spielen sich nicht ausschließlich in der Dimension der Geltung ab.69 Es kommt vielmehr ein Aspekt zum Tragen, den Regeln entbehren – die Dimension des Gewichts.70 Der Rechtsanwender kann nicht einfach ein Prinzip als gültig aussondern. Er ist aufgerufen, das relative Gewicht der kollidierenden Prinzipien zu bestimmen. Es geht dabei immer nur um einen Vergleich der im Einzelfall kollidierenden Prinzipien. Nur zwischen den in Rede stehenden Prinzipien muß bestimmt werden, welches vorgeht. Zunächst ist ein unter Umständen vorhandener abstrakter Vorrang des einen Prinzips zu suchen. Ein solcher liegt vor, wenn unter keinen denkbaren Umständen das eine Prinzip zurücktreten muß.71 Liegt ein solcher nicht vor, muß von abstrakt gleichwertigen Belangen ausgegangen werden. Dies ist grundsätzlich bei den Grundrechten der Fall,72 auch wenn die Differenziertheit ihrer Normbereiche unterschiedlich starke Schutzzonen erkennen läßt.73 Dann kann der Vorrang des einen Prinzips erst aufgrund der tatsächlichen Um63 Alexy,

Theorie, S. 77. Theorie, S. 78. 65 Dworkin, Bürgerrechte, S. 58: Regeln seien in der Weise des Alles oder Nichts anwendbar. 66 Dworkin, Bürgerrechte, S. 60. 67 Vgl. BVerfGE 36, 342/363. 68 Dworkin, Bürgerrechte, S. 60. 69 Anders als bei Prinzipien würde die vollständige Angabe einer Regel die Angabe ihrer Ausnahmen einschließen (Dworkin, Bürgerrechte, S. 138). 70 Alexy, Theorie, S. 79; Dworkin, Bürgerrechte, S. 62. 71 So sind Eingriffe in den durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kern menschlicher Ehre niemals aufgrund der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG erlaubt, BVerfGE 67, 213/228 und deutlich in BVerfGE 75, 369/380; Henschel, Kunstfreiheit, S. 22. 72 BVerfGE 12, 45/52 f.; 19, 135/138; Grabitz, AöR 98 (1973), 568/577. 73 BVerfGE 3, 225/231 f.; 12, 45/52 f.; 19, 135/138; 30, 173/195; Grabitz, AöR 98 (1973), 568/577, 580. 64 Alexy,

B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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stände des Einzelfalles festgestellt werden. Es ist also das relative Gewicht zu bestimmen, indem eine bedingte Vorrangrelation zu den Prinzipien entwickelt wird,74 und Bedingungen angegeben werden, unter welchen das eine Prinzip Vorrang beanspruchen kann. Diese Bedingungen bilden den Tatbestand einer Regel, die die Rechtsfolge des vorgehenden Prinzips ausspricht.75 Als Ergebnis jeder Auflösung von Prinzipienkollisionen läßt sich folglich eine der Kollision zugeordnete Regel formulieren, die auf den Fall angewandt zu dessen Lösung führt. Der Weg vom Prinzip zur subsumierbaren Regel verläuft über die Festsetzung der Vorrangrelationen.76 Allerdings kann sich auch bei Prinzipien die Frage nach ihrer Geltung stellen. Die durchaus denkbare Ungültigkeit eines Prinzips ist dann wie ein Regelkonflikt zu lösen, da es sich um eine Frage der Zugehörigkeit zur Rechtsordnung handelt. Die Geltung der kollidierenden Prinzipien vorausgesetzt, findet jedoch ein Prinzipienkonflikt innerhalb der Rechtsordnung statt. Es liegt eine kategorial andere Art des Normwiderspruchs vor. 4. Grundrechte als Prinzipien? Hinsichtlich der Grundrechte sind drei verschiedene Einordnungen denkbar: Grundrechte als reine Prinzipien, Grundrechte als Regeln und Grundrechte als Regeln und Prinzipien. Bereits festgestellt wurde, daß die Grundrechte primafacie-Rechte darstellen.77 Auch Prinzipien stellen prima-facie-Normen dar. Ist ein Prinzip einschlägig, heißt das noch nicht, daß es sich auch im Ergebnis durchsetzen wird.78 Der prima-facie-Charakter der Grundrechte legt es nahe, diese als reine Prinzipien einzuordnen. Weisen überdies Regeln – wie es aufgrund ihrer definitiven Geltung scheint – keinen prima-facie-Charakter, sondern definitiven Charakter auf, könnte hierin bereits die Einordnung der Grundrechte als primafacie-Normen in den Bereich der Regeln scheitern. Eine Regel kann jedenfalls nicht durch ein größeres Gewicht eines kollidierenden Prinzips als des die Regel stützenden Prinzips überwunden werden. Doch darf man hier in der Argumentation nicht stehenbleiben. Die Regel verliert ihren definitiven Charakter, wenn darüber hinaus Prinzipien wie vor allem die, daß rechtmäßig gesetzte Regeln befolgt werden müssen, überwunden werden.79 Solche Prinzipien können als formelle Prinzipien bezeichnet werden.80 Es 74 Alexy,

Theorie, S. 81; ähnlich v. Hippel, Grenzen, S. 34 f. Theorie, S. 84. 76 Alexy, Theorie, S. 92. 77 Vgl. oben § 3 B. I. 2. (S. 97); ausführlich Alexy, Theorie, S. 87 ff. 78 Alexy, Theorie, S. 88. 79 Alexy, Theorie, S. 88 f. 80 Alexy, Theorie, S. 89. 75 Alexy,

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

wird in die Regel aufgrund von Prinzipien eine Ausnahmeklausel eingefügt. Insoweit kommt auch Regeln prima-facie-Charakter zu. Dieser ist aber von grundlegend anderer Art als derjenige der Prinzipien. Der Unterschied liegt darin, daß der prima-facie-Charakter einer Regel sich auf eine autoritative oder tradierte Festsetzung stützt, während bei Prinzipien selbst ihre Verstärkung durch die Einfügung von Argumentationslastregeln81 nicht davon entbindet, im Einzelfall die Vorrangrelation festzulegen, da die Argumentationslast nur im Falle des Patt eingreift.82 Einschränkungen der grundrechtlich garantierten Freiheitssphären wurden vom Grundgesetz nicht abschließend vorgezeichnet. Die Freiheitsgewährleistungen der Grundrechte könnten Prinzipien darstellen, da nur durch eine Berücksichtigung aller kollidierender Interessen eine gerechte Auflösung der Kollision denkbar ist.83 Die sich so ergebenden Vorrangbedingungen als Ergebnis einer Abwägung würden erst zum Aufstellen der Regel führen. Diese Regel hinge vollständig von den Prinzipien ab. Jede Grundrechtsnorm gälte nur, wenn und soweit keine höherwertigen Interessen entgegenstünden.84 Hiergegen ist einzuwenden, daß die grundgesetzliche Schrankensystematik zugunsten einer allgemeinen, ungeschriebenen Schrankenklausel unterlaufen würde.85 Somit stellt sich diese Konzeption als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar dar. Ein Regelmodell faßt hierzu kontrastierend Grundrechte als möglicherweise ergänzungsbedürftige, aber abwägungsfreie Normen (Regeln) auf. Abwägungsfreie Normen werden aus der Zusammenfassung verschiedener Abwägungsergebnisse gebildet. Die Schaffung präziser Regeln, die Formulierung dessen, was ergänzungsbedürftig ist, setzt in einer vorgelagerten Stufe Abwägungsentscheidungen voraus. Letztlich führt also auch dieser Ansatz nicht weiter, da er in gleichem Maße wie die Versuche der Schutzbereichsbegrenzungen86 einerseits die grundgesetzliche Schrankensystematik unterläuft, andererseits das Problem lediglich verlagert. Grundrechte mit einfachem Gesetzesvorbehalt liefen jenseits der Wesensgehaltsgarantie sogar leer.87 Dies widerspricht nicht nur Art. 1 Abs. 3 GG, sondern aus systematischer Sicht auch der Tatsache, daß – wie Art. 19 Abs. 2 GG zeigt – der Verfassungsgeber nicht nur den wesentlichen Kern der grundrechtlichen Gewährleistung unantastbar garantieren wollte. Die absolute Wesensgehaltstheorie88 schließlich stellt sogar Kriterien auf, die Ausdruck einer Vor-

81 Schlink,

Abwägung, S. 195. Theorie, S. 89 f. 83 Häberle, Wesensgehalt, S. 12 ff., 31 ff. 84 Häberle, Wesensgehalt, S. 36 f. 85 Alexy, Theorie, S. 105 f. 86 Vgl. oben § 3 B. I. 2. (S. 97). 87 Alexy, Theorie, S. 113. 88 Stern, StaatsR III/2, (S. 865 ff.). 82 Alexy,

B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

103

rangrelation zwischen Prinzipien sind.89 Grundrechte mit qualifiziertem Vorbehalt hängen wiederum oft von abwägungsoffenen Begriffen ab.90 Die Präzisierung der unbestimmten Begriffe nimmt die Vorrangregeln auf.91 Demnach müßten Grundrechte Regel- und Prinzipiencharakter in sich vereinen.92 Alle für das grundrechtliche Entscheiden unter dem Grundgesetz relevanten Prinzipien bilden eine Prinzipienebene.93 Diese Prinzipien sind sowohl auf individuelle Rechte bezogen als auch auf kollektive Güter.94 Grundrechte sind entsprechend ihrem prima-facie-Charakter Positivierungen solcher Prinzipien.95 Gesetzesvorbehalte ermächtigen wiederum den einfachen Gesetzgeber, zur Einschränkung von Grundrechten auch verfassungsrechtlich nicht zwingende Prinzipien zu verfolgen.96 Die Prinzipienebene ist aufgrund des den Prinzipien eigentümlichen Charakters durch Unentschiedenheit geprägt. Bei dieser Unentschiedenheit kann man jedoch nicht stehen bleiben, wenn zur Fallösung der Bereich des Sollens verlassen und zu einer definitiven Entscheidung gelangt werden muß. Erforderlich wird die Festlegung einer Vorrangrelation. Dies leistet eine zweite Ebene, die Regelebene. Die Grundrechte bilden durch die Positivierung von Prinzipien eine Regel, welche die definitive Geltung eines Prinzips anordnet. Für den Fall gegenläufiger Prinzipien stellen die Grundrechte dann zugleich Festsetzungen dar, welche die Vorrangrelation festlegen. Auf der Regelebene wird aufgrund ihrer Festsetzungen mehr entschieden als auf der Prinzipienebene. Der Regelebene kommt daher grundsätzlicher Vorrang zu, jedoch ist dieser kein ausnahmsloser.97 Ist eine Regel nämlich nicht ohne Abwägung anwendbar, d. h. unvollständig, muß auf die Prinzipienebene zurückgegriffen werden. Grundrechte werden mit Hilfe prinzipien-, d. h. abwägungsbezogener Schrankenklauseln zu subsumtionsfähigen Normen vervollständigt.98 Die Schrankenklausel bildet sich aus Prinzipien und deren Abwägung. Es entsteht eine Regel, wonach jedes staatliche Handeln, welches in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, definitiv verboten ist, es sei denn, es erfüllt die Schrankenklausel. Grundrechte stellen somit einerseits Positivierungen von Prinzipien, andererseits Festsetzungen von Vorrangrelationen in Fällen kollidierender Prinzipien (Regeln) 89 Alexy,

Theorie, S. 113. Alexy, Theorie, S. 114 f.; Dworkin, Bürgerrechte, S. 64. Beispiel: ausreichende Lebensgrundlage (Art. 11 GG), besondere Lasten (Art. 11 GG) etc. 91 Vgl. Koch, Abwägung, S. 14. 92 Alexy, Theorie, S. 117 ff.; Koch, Abwägung, S. 49. 93 Alexy, Theorie, S. 117. 94 Alexy, Theorie, S. 118. 95 Alexy, Theorie, S. 121. 96 Alexy, Theorie, S. 118 f. 97 Alexy, Theorie, S. 122. 98 Alexy, Theorie, S. 124. 90 Vgl.

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

dar. Die beiden Ebenen sind insoweit verbunden, als in die Formulierung des Grundrechts eine prinzipien- und damit abwägungsbezogene Schrankenklausel eingefügt wird.99 Dies ist bei vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechten besonders deutlich. Man ist sich einig, daß auch diese Grundrechte eingeschränkt werden können.100 Die Schranke folgt aus dem das vorbehaltlos gewährte Grundrecht tragenden gegenläufigen Prinzip, welches größeres Gewicht beansprucht. Werden Grundrechte einem Gesetzesvorbehalt unterstellt, ist die Spannungslage im Wortlaut der Grundrechtsgewährleistung selbst angelegt.101 5. Zwischenergebnis und Folgerung Die Grundrechte schützen die jeweils erfaßte Lebenssphäre umfänglich. Dies führt zwangsläufig zu Kollisionen mit den zugunsten anderer Grundrechtsträger gewährleisteten Freiheitsräumen. Die kollidierenden Grundrechtsnormen zielen auf die Verwirklichung von Zuständen (umfängliche Freiheit), die in mehr oder minder großem Umfange, jedoch nicht zugleich maximal verwirklicht werden können. Diese Kollision kann nicht etwa dadurch aufgelöst werden, daß bereits auf der Ebene des Schutzbereichs eine sozialadäquate Restriktion der Freiheitsgewährleistung vorgenommen wird. Es ist von einer umfänglichen Gewährleistung auszugehen, die auf einer zweiten Ebene einer Beschränkung bedarf. Diese den Grundrechten zugrunde liegende Eingriffs- und Schrankendogmatik folgt aus dem Charakter der Grundrechte als prima-facie-Rechte. Die Einschränkungsmöglichkeit und -notwendigkeit ergibt sich aus der Kollision der das Grundrecht tragenden Prinzipien mit den der Gewährleistung widersprechenden Prinzipien. Unter Einbeziehung der Grundrechtsschranken können die Grundrechte als Regeln qualifiziert werden: Ist der Schutzbereich eröffnet, ohne daß die Schrankenvoraussetzungen zugleich erfüllt sind, können Eingriffe abgewehrt werden. Grundrechte vereinen Regel- und Prinzipiencharakter. Die Entscheidung, welchem der als Prinzipien bezeichneten Rechtssätze im jeweiligen Kollisionsfall Vorrang zukommt, heißt Abwägung.102 Die Abwägung ermöglicht es, diejenigen Bedingungen anzugeben, unter denen das eine dem an99 Alexy,

Theorie, S. 123. Grenzen, S. 21; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 325. So sind Einschränkungen z. B. bei der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) oder bei der Versammlungsfreiheit für Versammlungen unter freiem Himmel (Art. 8 Abs. 1, 2 GG) zulässig, wenn sie zur Erfüllung gegenläufiger Prinzipien von Verfassungsrang (Grundrechte Dritter oder kollektive Güter) erforderlich sind und nach den Umständen des konkreten Falles der geschützten Freiheit vorgehen. 101 Ossenbühl, Abwägung, S. 31. 102 Koch, Abwägung, S. 19. 100 v. Hippel,

B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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deren Prinzip vorgeht. Erst nach diesem Akt der Urteilskraft,103 der zur Festsetzung einer Vorrangrelation führt, liegt eine subsumtionsfähige, definitive Regel vor.104 Der Bürger muß eine Einschränkung seiner Freiheitssphäre nur hinnehmen, wenn der kollidierenden Freiheit ein größeres Gewicht zukommt.105 Sein Freiheitsrecht entfaltet daher ein Schwellengewicht gegenüber dem kollidierenden Prinzip, welches erst überwunden werden muß.106 Positionen, in denen der Schutz des Einzelnen davor, im Interesse Dritter in Anspruch genommen zu werden, überhaupt keine Rolle spielt – wie die utilitaristische –, sind ausgeschlossen. Eine solche utilitarische Position käme ganz ohne Schwellengewicht aus, da für den Utilitarismus allein die Steigerung des Gesamtnutzens maßgeblich ist, nicht aber die Verteilung unter den Individuen.107 Dies widerspricht der von Art. 1 Abs. 3 GG statuierten Bindung. Verzichtete man darauf, den Grundrechten ein Schwellengewicht zuzusprechen, wäre es unklar, was es bedeuten soll, daß der Gesetzgeber nach Art. 1 Abs. 3 GG an sie gebunden ist.108 II. Sonstige Herleitungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wurde aus der Kollision von Freiheitsrechten abgeleitet. Es bleibt zu überprüfen, inwieweit andere dogmatische Positionsbestimmungen gegen die hier vorgenommene Standortbestimmung effektive Gegenargumente vorzubringen vermögen.109 1. Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip Meist wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz – zumindest auch – aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet.110 Hier droht sich der Grundsatz jedoch in dessen 103 Kant, Gemeinspruch, S. 125/127 (A 201 f.): „denn zu dem Verstandesbegriffe, welcher die Regel enthält, muß ein Actus der Urteilskraft hinzukommen, wodurch der Praktiker unterscheidet, ob etwas der Fall der Regel sei oder nicht“. 104 Vgl. schon oben § 3 B. I. 3. (S. 101). 105 Vgl. Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 44. Die Begrenzung der als prinzipiell umfassend gedachten individuellen Freiheit setzt voraus, daß sie sich aus der Berücksichtigung kollidierender Schutzgüter motiviert und damit diese zugleich in eben diesem Maße rechtlich anerkennt, Lerche, HdbStR V, § 122 Rn. 3 (S. 777). 106 Dworkin, Bürgerrechte, S. 158 ff./162; Huster, Rechte und Ziele, S. 95. 107 Huster, Rechte und Ziele, S. 96. 108 Huster, Rechte und Ziele, S. 97. 109 Vgl. ausführlich Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 27 ff.; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 350 ff. Zur Verortung in Art. 19 Abs. 2 GG Dürig, AöR 81 (1956), 117/146 ff. 110 Wohl noch immer h. M. Zum Beispiel Degenhart, Staatsorganisationsrecht 2002, Rn. 390; Grabitz, AöR 98 (1973), 568/584 ff.; Hendler, Staatsrecht, Rn. 65 ff.; Hendler, Verwaltungsrecht, Rn. 196; Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 72 (die Frage sei zurecht zugunsten des Rechtsstaatsprinzips entschieden); Maurer, Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 17; Sobota, Rechtsstaat,

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

Konturlosigkeit aufzulösen. Das Rechtsstaatsprinzip ist zu vage, als daß hieraus griffige Kriterien einer Verhältnismäßigkeitsprüfung entwickelt werden könnten. Er wäre auf völlig unterschiedliche Erscheinungen anwendbar, bei denen jedoch jeweils ihre Eigentümlichkeiten berücksichtigt werden müßten. Vor allem droht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz seine konkrete Anbindung zu verlieren. Eine solche ist jedoch zwingend notwendig. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist für sich genommen inhaltsleer. Er muß mit Wertungen aufgefüllt werden, die sich aus dem rechtlichen Umfeld ergeben. Erst die konkrete Anbindung erlaubt es, die erforderliche normative Entscheidung zu treffen.111 Dies wäre aber durch einen allzu allgemein hergeleiteten Grundsatz nicht mehr zu gewährleisten.112 Das Verhältnismäßigkeitsgebot verkäme zu einer irrationalen Methode der Entscheidungsfindung, die aufgrund ganz erheblicher, kaum oder gar nicht vorgezeichneter Wertungsspielräume Unsicherheiten mit sich brächte.113 Die Herleitung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus dem Rechtsstaatsprinzip geschieht wohl vor allem, um ihn zu einem verfassungsrechtlich geschützten Wert zu erheben. Dies ist jedoch unnötig. Einerseits stellt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an sich keinen Wert dar, sondern eine Argumentationsstruktur. Andererseits erhält der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz seinen verfassungsrechtlichen Rang stets dann, wenn er zur Auflösung verfassungsrechtlicher Prinzipienkollisionen herangezogen wird. Dieselben Einwände treffen auch den Versuch, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus der „dirigierenden Verfassung“114 abzuleiten. Hier liegt ein noch undurchsichtigerer Begriff vor als beim Rekurs auf das Rechtsstaatsprinzip.

S. 251 ff.; Stern, FS-Lerche, S. 172 f. m. w. N. Das Bundesverfassungsgericht begnügt sich nicht mit der Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip, sondern fügt hinzu, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sich im Grunde aus dem Wesen der Grundrechte selbst ergebe, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürften, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich sei. Insbesondere BVerfGE 19, 342/348 f. („aus dem Rechtsstaatsprinzip, im Grunde bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst“); vgl. auch BVerfGE 23, 127/133 (Rechtsstaatsprinzip); 38, 348/368 (Rechtsstaatsprinzip); 69, 1/LS 1 und S. 35 (Rechtsstaatsprinzip); 76, 256/359 (Rechtsstaatsprinzip); 90, 145/173 (Rechtsstaatsprinzip und Freiheitsrechte); 92, 277/317, 326 (Rechtsstaatsprinzip). 111 Papier, DVBl. 1984, 453/454 f. 112 Huster, Rechte und Ziele, S. 98: Die „Ableitung aus einem so allgemeinen Prinzip wie dem Rechtsstaatsprinzip läßt offen, was man eigentlich abgeleitet hat“. Vgl. Stern, FS-Lerche, S. 173 ff. 113 Schlink, Abwägung, S. 134 ff., 140 ff.; Enderlein, Abwägung, S. 111 ff.; Leisner, NJW 1997, 636. Vgl. Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 III 1 (S. 47 f.). Die Gefahr sieht auch Lerche, HdbStR V, § 121 Rn. 29 (S. 757 f.). 114 Lerche, Übermaß, S. 61 ff.

B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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2. Herleitung aus dem allgemeinen Gleichheitssatz Aus dem Gebot des Art. 3 Abs. 1 GG, Interessen gleichermaßen zu achten und zu berücksichtigen, also zu einer gleichen und damit gerechten Verteilung der Freiheit zu gelangen, ziehen manche den Schluß, das Verhältnismäßigkeitsgebot folge aus Art. 3 Abs. 1 GG.115 Der Rückgriff auf Art. 3 Abs. 1 GG stellt sich bei genauer Betrachtung indes als überflüssig und falsch heraus.116 Sobald gleiche Freiheitsrechte gewährt sind, folgt schon aus dem Normbefehl, daß auch alle die Freiheiten in gleichem Maße wahrnehmen können.117 Außerdem stellen der allgemeine Gleichheitssatz und die Verhältnismäßigkeitsprüfung qualitativ unterschiedliche Anforderungen auf.118 Freiheitsrechte enthalten inhaltlich konkrete Rechte, während diese beim allgemeinen Gleichheitssatz erst noch zu ermitteln sind. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist eine strengere Prüfung als diejenige, die das Willkürverbot vorschreibt.119 Die Besonderheiten des allgemeinen Gleichheitssatzes verbieten zumindest eine unreflektierte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, so daß schwerlich behauptet werden kann, er leite sich aus dem Gleichheitssatz ab. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung benötigt anders als die Gleichheitsprüfung keinen vergleichbaren Sachverhalt, sondern vergleicht die Eingriffsintensität mit der Bedeutung des verfolgten Zwecks. Die notwendigen qualifizierten Anforderungen an Eingriffe in Freiheitsrechte folgen bereits daraus, daß diese eine detaillierte Regelung für jeweils bestimmte Lebensbereiche erfahren haben. Art. 3 Abs. 1 GG stellt mithin keine taugliche Grundlage zur Herleitung des Verhältnismäßigkeitsgedankens dar.120 3. Herleitung aus Art. 1 Abs. 1 GG Eine Verortung des Verhältnismäßigkeitsgedankens in Art. 1 Abs. 1 GG121 muß ebenfalls scheitern. Jeder Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wäre zugleich eine Verletzung der Menschenwürde.122 Entscheidend ist hier derselbe Einwand wie gegen die Herleitung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG: Der Grund der Gewährleistung des Art. 1 Abs. 1 GG ist 115 Wittig,

DÖV 1968, 817/822. Rechte und Ziele, S. 100; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 353. 117 Dies wird in der ehemaligen Diskussion deutlich, ob Art. 3 Abs. 1 GG auch den Gesetzgeber bindet. Unter anderem wird dies damit begründet, daß andernfalls Art. 3 Abs. 1 GG lediglich die rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit der Herrschaft des Gesetzes zum Ausdruck brächte. Huster, Rechte und Ziele, S. 15 f.; Alexy, Theorie, S. 358; Kelsen, Rechtslehre, S. 146, 396; Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), 2/6; Leibholz, Gleichheit, S. 216 ff. 118 Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 40. 119 Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 14; Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 41. 120 Vgl. näheres unter § 4 D. (S. 264). 121 Vgl. Forsthoff , GS-Jellinek, S. 235. 122 Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 40; vgl. Lerche, Übermaß, S. 40. 116 Huster,

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

vom Geltungsgrund eines Rechts zu trennen.123 Die Grundrechte mögen als Ausfluß der Menschenwürde gewährt werden,124 daß sie – sind sie erst einmal gewährt – nicht leerlaufen dürfen, ergibt sich von selbst. 4. Zwischenergebnis Die bereits getroffene Feststellung, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit leite sich unmittelbar aus der Kollision von Rechten ab, wurde nicht erschüttert. Der Verhältnismäßigkeitsgedanke steht daher am Schnittpunkt verschiedener Grundrechtsgewährleistungen.125 Die Grundrechte benötigen diese Kollisionsauflösungsfigur, um nebeneinander ihren Gehalt größtmöglich entfalten und praktisch wirksam werden zu können. Außerdem wird so die aufgrund sich überschneidender und kollidierender Gewährleistungsbereiche bestehende Gefahr ihrer Aushöhlung durch übermäßige („unverhältnismäßige“) Einschränkungen gebannt. III. Zwischenergebnis Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung wird durch die Abwägung die Bedingung bestimmt, unter der das eine Grundrecht dem anderen vorgeht (Vorrangrelation). Ein Vorrang ist anzunehmen, wenn dem kollidierenden Grundrecht ein relativ größeres Gewicht zukommt, d. h. wenn das Schwellengewicht des einzuschränkenden Rechts überwunden werden kann. Die Abwägung ist folglich das Mittel zur Auflösung von Prinzipienkollisionen.126 Sie liefert nur einen relativen Maßstab,127 da sie den verfolgten Zweck und das hierzu eingesetzte Mittel, d. h. die konfligierenden Prinzipien vergleicht. Die Festlegung der Vorrangbedingung aktualisiert zugleich das Schwellengewicht desjenigen Rechts, welches eingeschränkt werden soll. Dabei gilt das formale Abwägungsgesetz, daß je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, desto größer die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen Prinzips sein muß.128 Bei der Abwägung geht es gerade nicht um alles 123 Huster,

Rechte und Ziele, S. 100. zu Art. 3 Abs. 1 GG Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 5 ff. 125 Vgl. Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 44; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 350 ff. Das Verhältnismäßigkeitsgebot ist in seiner Wirkkraft nicht an ein bestimmtes Grundrecht gebunden (Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 356 ff.; Wendt, AöR 104 (1979), 414/417). 126 Koch, Abwägung, S. 19. 127 Grabitz, AöR 98 (1973), 568/575. 128 Alexy, Theorie, S. 146: „Je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, umso größer muß die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen sein.“; Hubmann, FSSchnorr v. Carolsfeld, S. 23 ff.; Koch, Abwägung, S. 19 f.; Wendt, AöR 104 (1979), 414/462; vgl. 124 Vgl.

B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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oder nichts. Dies folgt schon aus dem Begriff des Prinzips: Es geht um eine Optimierung.129 Jedes der kollidierenden Rechte soll weitgehend verwirklicht werden.130 Die kollidierenden Prinzipien sowie die Erfüllung der so festgestellten und erfüllten Vorrangbedingung ergeben die Regel, unter die der Fall subsumiert werden kann, also den deduktiven Kern der Entscheidungsbegründung.131 Die Vorrangregeln müssen ihrerseits begründet werden, indem das jeweilige Schwellengewicht bestimmt wird.132 Dies gelingt nur, wenn externe Wertungen zur Bestimmung der Gewichte der kollidierenden Prinzipien herangezogen werden. Damit wird keineswegs einer willkürlichen Lösung das Wort geredet, da die Abwägung den Weg zur Konfliktlösung vorgibt. Zugleich kann damit dem oft gelesenen Einwand gegen die Verhältnismäßigkeitsprüfung, diese sei eine irrationale Methode der Lösungsfindung, widersprochen werden. Zwar erübrigt sich nicht jegliche Wertung, aber immerhin gelingt es, die Abwägung als Weg zur Lösung durch das formale Abwägungsgesetz133 zu strukturieren.134 Die Festlegung des Schwellengewichts erfolgt somit mit Hilfe der Rechtsfigur der Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Bei der Begründung der Vorrangrelation bringt im Bereich der Grundrechte der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz das Schwellengewicht des beeinträchtigten Rechts zur Geltung. Die Kollision von Grundrechten ist damit eine hinreichende Bedingung, um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz heranziehen zu können. Namentlich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat das Verhältnismäßigkeitsgebot als Schranke der Begrenzung der Grundrechte zentrale Bedeutung gewonnen und es ist als Direktive des Verfassungsrechts heute unbestritten.135 Fraglich ist aber, ob die Kollision von Grundrechten zugleich notwendige Bedingung für die Durchführbarkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung ist. Vielmehr ist zu überlegen, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mit seinen drei Teilv. Hippel, Grenzen, S. 25 f. und Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 316 f., 319 f. Ausführlich auch Jansen, Der Staat 36 (1997), 27/27 ff. 129 Vgl. das Prinzip der „praktischen Konkordanz“, Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 72 m. w. N.; Lerche, HdbStR V, § 122 Rn. 5 (S. 778): „nach beiden Seiten hin ein möglichst schonender Ausgleich“. 130 Koch, Abwägung, S. 19. 131 Koch, Abwägung, S. 19. 132 Huster, Rechte und Ziele, S. 96. 133 Vgl. oben § 3 B. III. (S. 108). 134 Anders hingegen Voßkuhle, der diese Strukturierung als Vorteil der Kompensation ansieht, Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 III 1 (S. 48). Warum dies nicht auch für die Abwägung gilt, bleibt offen, zumal der Verweis darauf, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz neben der formalen Struktur noch erheblicher Ausfüllung durch Werte bedarf, nicht trägt. Auch die Kompensation setzt in nicht unerheblichen Maße eine Wertungsentscheidung voraus (vgl. oben § 2 C. IV. (S. 70)). 135 Es findet teilweise eine unmittelbare Rezeption des Grundsatzes statt, vgl. Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 III Rn. 301.

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

grundsätzen (Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit [Abwägung]) sich allgemein unmittelbar aus der Kollision von Rechten, gleich welchen Inhalts, deduzieren läßt.136 Bei jeder Kollision eines abgegrenzten Rechts- oder Kompetenzbereichs dient der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Abwägung) der Bildung der Vorrangbedingungen, indem das Schwellengewicht der jeweils betroffenen Rechte bestimmt wird. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist damit die Aktualisierung des Schwellengewichts eines Rechts. Aufgrund des Schwellengewichts eines Rechts darf dieses nur verhältnismäßig eingeschränkt werden, nämlich nur in dem Umfang wie sein Schwellengewicht überwunden werden kann. Umgekehrt ist Kennzeichen von Rechten ein bestimmtes Schwellengewicht, das sie gegenüber anderen, kollidierenden Rechten entfalten. Jedes Gut, welchem ein solches Schwellengewicht zukommt, kann als Recht (i. w. S.) bezeichnet werden. Kollisionen von solchen Rechten (denen Prinzipienkonflikte zugrunde liegen) bezeichnen den logischen Raum des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Damit liegt der dogmatische Standort des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Auflösung der Kollision von Rechten.137 IV. Kritik am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Die Abwägung sieht sich indes nicht unerheblicher Kritik ausgesetzt.138 Die Kritik am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz i. w. S. (insbesondere an der Abwägung) mit der Folge, daß für eine Beschränkung seines Anwendungsbereichs plädiert wird, folgt vor allem daraus, daß eine Nivellierung des Grundrechtsschutzes und eine Gefahr für die ausdifferenzierte Schrankensystematik des Grundrechtsteils im Grundgesetz gesehen wird.139 Es wird behauptet, daß mit Hilfe der Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung jedes Ergebnis gerechtfertigt werden könne. Damit gehe der Verlust jeglicher Transparenz der Entscheidungsfindung einher. Die Abwägung begünstige subjektive, willkürliche Entscheidungen. Ihr liege ein Dezisionsmodell zugrunde, welches nur mehr oder weniger geschickt verhüllt werde.140 Danach 136 BVerfGE

19, 342/348 f.; 65, 1/44; Alexy, Theorie, S. 100 ff.

137 BVerfGE 19, 342/348 f.; 65, 1/44; 76, 1/50 f.; Dreier in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 149; Huster, Rech-

te und Ziele, S. 96 f. m. w. N.; Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 42 ff.; Schnapp in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 20 Rn. 27; Sobota, Rechtsstaat, S. 252 f.; Wieacker, FS-Fischer, S. 879 f. 138 Ausführlich vgl. Alexy, Theorie, S. 138 ff.; Bauer, Bundestreue, S. 239 ff./242 m. w. N.: „Ausuferungstendenz“; Ossenbühl, Abwägung, S. 25 f. m. w. N.: „eine mit Mißtrauen zu betrachtende Zauberformel“; Schlink, Abwägung, S. 201 ff.; Scholz, NJW 1983, 705/709 f.; Schnapp, JuS 1983, 850/851: „Weichmacher“; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 445 f. 139 Schlink, Abwägung, S. 201 ff.; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 445 f. mit jeweils unterschiedlichen Ausgangspositionen. Die Frage wird auch von Wendt, AöR 104 (1979), 414/417 ff. erörtert. Allgemein Bauer, Bundestreue, S. 239/242. 140 Vgl. Alexy, Theorie, S. 138.

B. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

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stellt die Abwägung keinen rational nachvollziehbaren Vorgang dar, sondern erfolgt autoritativ. Ein Abwägungsergebnis kann aber sehr wohl rational begründet werden.141 Zwar bestehen diese Gefahren zweifellos und müssen daher bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes berücksichtigt werden. Dieser Kritik liegt jedoch ein falsches Verständnis der Abwägung zugrunde. Sie setzt zu Unrecht voraus, daß es sich bei der Abwägung um eine irrationale Methode der Lösungsfindung handelt,142 so daß Fundamentalentscheidungen des Verfassungsgebers, die in der Gewährleistung der Grundrechte zu erblicken sind, manipulierbar würden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt nicht die einzige Begrenzung von Eingriffen in abgegrenzte Rechtsbereiche dar. Im Grundrechtsbereich sind die Schrankenvorbehalte zu beachten, so daß nur schrankenkonforme gesetzgeberische Belange in die Abwägung einfließen.143 Bei Art. 12 Abs. 1 GG ist beispielsweise zur Rechtfertigung eines Eingriffs eben keine „allgemeine“ Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Entsprechend der im Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 GG bereits angelegten Stufenlehre des Bundesverfassungsgerichts144 ist bei Vorliegen einer Berufsausübungsregelung ein weiterer Spielraum für den Gesetzgeber anerkannt als bei Berufszulassungsregelungen, für welche eine sehr strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist.145 Dies gilt unabhängig davon, ob man die Drei-Stufen-Lehre als eine der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgelagerte Hürde begreift oder als Modifikation des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. In beiden Fällen müssen die gegebenenfalls entsprechend erhöhten Anforderungen unabhängig von einer „allgemeinen“ Abwägung erfüllt werden. Der Gesetzgeber muß dem besonderen Gehalt und der besonderen Bedeutung der jeweiligen grundrechtlichen Gewährleistung Rechnung tragen.146 Die Abwägung selbst ist keine Begründung. Das Abwägungsgesetz trifft nur – aber immerhin – eine Aussage darüber, was rational begründet werden muß.147 Die Abwägung stellt nur einen Vorgang dar, der inhaltlich mit Wertungen erst noch gefüllt werden muß. Die Argumentationsfigur der Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung stellt zur Bestimmung der Vorrangrelation zwi-

141 Alexy,

Theorie, S. 144. allerdings viele beachtliche Stimmen: Enderlein, Abwägung, S. 111 ff.; Müller/Christensen, Methodik, S. 71 f.; Leisner, Abwägungsstaat, S. 46 ff., 170 ff.; Leisner, NJW 1997, 636; Lerche, HdbStR V, § 121 Rn. 29 (S. 757 f.). 143 Wendt, AöR 104 (1979), 414/425 und öfter. 144 BVerfGE 7, 377/405 ff. Vgl. die unterschiedliche Formulierung in Art. 12 Abs. 1 S. 1 und 2 GG. 145 BVerfGE 11, 168/187 f.; Wendt, AöR 104 (1979), 414/427 f. 146 Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 72, 317 ff.; Grabitz, AöR 98 (1973), 568/580 f.; Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 356 ff. 147 Alexy, Theorie, S. 153 f. und oben § 3 C. II. 2. (S. 141). 142 So

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

schen den kollidierenden Gütern ein spezifisches Verfahren zur Verfügung.148 Damit aktualisiert die Abwägung keine zwingend vorgegebenen Wertungen, sondern trifft nur eine Aussage darüber, in welchem Maße diese Wertungen zu berücksichtigen sind.149 Die nähere Analyse des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat deutlich gemacht, daß die Abwägung nur einen relativen Maßstab abgibt.150 Es geht um einen Vergleich zwischen dem verfolgten Zweck und dem hierzu eingesetzten Mittel. In diesem Sinne handelt es sich um ein regulatives Rechtsprinzip. Nur weil die Abwägung kein Verfahren darstellt, welches zwingend nur zu einem richtigen Ergebnis gelangen kann, darf nicht der Schluß gezogen werden, es handle sich um kein rationales Verfahren. Es liegt kein Dezisionsmodell, sondern ein Begründungsmodell vor, bei dem die Begründung auf rationale Weise erfolgt.151 Die Abwägung ist mithin ein allgemeiner teleologischer Begründungsvorgang im und für den konkreten Fall.152 Sie liefert dort, wo das Gesetz mehrere Entscheidungsmöglichkeiten eröffnet, das Auswahlkriterium. Die Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung will und kann jegliche Wertung nicht ersetzen. Eine umfassende Prüfung der Auflösung von Interessenkollisionen kann nicht allein anhand der überwiegend naturwissenschaftlich zu beurteilenden Kategorien der Geeignetheit und Erforderlichkeit erfolgen. Sie betritt ganz zwangsläufig den Bereich der Werte und Wertungen. Diese Wertungen müssen offengelegt werden und dürfen sich nicht hinter einer verfahrensrechtlichen Fassade verstecken. Der Abwägung gelingt es, den Weg zur Lösung von Konfliktlagen durch das Abwägungsgesetz153 zu strukturieren und zu formalisieren. Bereits darin liegt ein nicht zu unterschätzender Erkenntnisgewinn. Wertungen beliebig zu treffen, ist somit gerade unmöglich. Es wird vielmehr deutlich, was begründungsbedürftig ist und welche Begründungen wozu heranzuziehen sind.154 Indem die Abwägung auf einen von außen kommenden Maßstab verweist, baut sie eine wertende 148 Hierzu

Ossenbühl, Abwägung, S. 33; Stern, StaatsR III/2, § 84 II 4 b) (S. 819). Theorie, S. 151. 150 Grabitz, AöR 98 (1973), 568/575. 151 Alexy, Theorie, S. 144. 152 Bartlsperger, Abwägungsgebot, S. 102 m. w. N. 153 Vgl. oben § 3 B. III. (S. 108). 154 Anders Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 III 1 (S. 47 f.), der diese Strukturierung – zu Recht – als Vorteil der Kompensation ansieht, aber diesen Vorteil – zu Unrecht – der Abwägung abspricht. Warum dies geschieht, bleibt offen, zumal der Verweis darauf, daß die Abwägung neben der formalen Struktur noch erheblicher Ausfüllung durch Wertungen bedarf, nicht trägt. Auch die Kompensation setzt in nicht unerheblichem Maße eine Wertungsentscheidung voraus (Äquivalenzforderung, vgl. oben § 2 C. II. 3. (S. 68)). Da bei der Kompensation dabei nicht nur ein entsprechend starkes Überwiegen festgestellt werden muß, sondern eine genaue und damit stets schwierigere Beurteilung der Äquivalenz zu treffen ist, wendet sich Voßkuhles Überlegung eher gegen die Kompensation. Zur Bestimmung des Äquivalenzverhältnisses ist nämlich eine präzise Bestimmung der zu vergleichenden Güter erforderlich. Ein entsprechend verbleibender Überhang muß dann noch separat gerechtfertigt werden, so daß dessen genaue Größe wiederum zu kennen ist. 149 Alexy,

C. Dogmatische Struktur

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Beziehung zu diesen Strukturen auf, ohne selbst inhaltliche Maßstäbe zu vermitteln.155 Da sie daneben zwingend eine Kollisionslage voraussetzt, wird eine spezifische Struktur nicht aufgegeben und mit einem unbestimmten Gerechtigkeitsbegriff gleichgesetzt.156

C. Dogmatische Struktur des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Nach der Herleitung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als Konfliktlösungsmethode soll dieser Grundsatz im folgenden weitere Aufhellung erfahren, indem seine Anwendungsvoraussetzungen und innere Struktur näher bestimmt werden. Insbesondere ermöglicht diese Untersuchung, die besonderen Kennzeichen der Abwägung als übergeordneten Konfliktlösungsmechanismus herauszuarbeiten. I. Kollisionslage als Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Die im Bereich der Grundrechtsgewährleistungen auftretenden Prinzipienkonflikte sind kein Spezifikum der Grundrechtsdogmatik.157 Sobald zwei Prinzipien nicht zugleich verwirklicht werden können, obwohl die möglichst weitgehende Verwirklichung eines jeden wünschenswert ist, liegt ein solcher Konflikt vor.158 Auch außerhalb des Bereichs der Freiheitsgrundrechte geht es um die Herstellung eines wertenden Ausgleichs. Die Rechtsordnung selbst nimmt aber nur selten eine abschließende Abstimmung der Güter aufeinander vor.159 Bei jeder Position, die ein eigenes Schwellengewicht entfaltet und mit einer entsprechenden anderen kollidiert (Kollision von Rechten i. w. S.), kann an sich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz herangezogen werden. 155 Stern,

StaatsR III/2, § 84 II 6 h) (S. 834). aber Ossenbühl, Zumutbarkeit, S. 322. 157 Da mangels hinreichend konkreter Normen eine einfache Subsumtion nicht möglich ist, tritt die Abwägung an ihre Stelle (Bartlsperger, Abwägungsgebot, S. 102; Ossenbühl, Abwägung, S. 25). Rechtsanwendung ist stets auch Normkonkretisierung und nicht nur ein rein logischer, deduktiver Vorgang. So kommt im Planungsrecht der Abwägung die Aufgabe der Gestaltung zu, indem der Planungsvorgang an Sachzielen orientiert rationalisiert werden soll (Ossenbühl, Abwägung, S. 25). Im Verfassungsrecht geht es um Rechtsfindung und Rechtsgewinnung. 158 Huster, Rechte und Ziele, S. 107: „Zielkonflikt“. 159 Vgl. Stern, StaatsR III/2, § 82 II 4 (S. 627); Huster, Rechte und Ziele, S. 108 f.; a. A. Erichsen, Jura 1988, 387/388; Degenhart, Staatsorganisationsrecht 2002, Rn. 390, 402 f. Beispiel: §§ 32, 34 StGB, Abwägungen im Planungsrecht etc. Die frühere Unterscheidung von Konditional- und Finalprogrammen (Luhmann, Recht und Automation, S. 36 ff.) durch die Verwaltungswissenschaft wird zunehmend zugunsten einer der verfassungsrechtlichen Abwägungslehre entsprechenden Abwägung aufgegeben, Koch, Abwägung, S. 10, 21. 156 So

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

Letztlich wurde daher der Verhältnismäßigkeitsgedanke allgemein aus Prinzipienkonflikten abgeleitet. Ein solcher Konflikt ist der logische Raum, in dem der Verhältnismäßigkeitsgedanke zur Anwendung kommen kann.160 Weil die Freiheitsgrundrechte als prima-facie-Rechte solche Prinzipienkonflikte aufwerfen, ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zur Kontrolle von Einschränkungen der Freiheitsrechte möglich. Dennoch wird er meist auf die Überprüfung von Eingriffen in grundrechtliche Freiheitsrechte beschränkt (§ 3 C. I. 1.). Dies gibt Anlaß genug, die Möglichkeiten einer Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes außerhalb der Freiheitsrechte zu untersuchen (§ 3 C. I. 2.). 1. Beschränkung des Anwendungsbereichs des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf Eingriffe in grundrechtliche Freiheitsrechte a) Historischer Hintergrund In der Überprüfung und Begrenzung von Freiheitsbeschränkungen liegt der historische Ursprung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.161 Er wurde in seiner heutigen Gestalt seit dem Ende des 18. Jahrhunderts vor allem im Polizeirecht zur Abwehr und Beschränkung hoheitlicher Eingriffe in Freiheit und Eigentum entwickelt.162 Die Grundgedanken lassen sich hingegen weit bis in die Antike zurückverfolgen. Die Sichtweise, die Recht und Gerechtigkeit mit dem Gedanken des Maßes kombiniert, wurde bereits von Aristoteles ausgearbeitet.163 Vor dieser breiten ideengeschichtlichen Entwicklung erscheint die Aussage, der historische Ursprung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes liege in der Überprüfung staatlicher Freiheitsbeschränkungen, nicht ohne weiteres richtig.164 Es ist eine Differenzierung vonnöten: Die Vorgeschichte des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist im wesentlichen von drei verschiedenen Grundgedanken geprägt.165

160 Vgl. oben § 3 B. III. (S. 110) sowie nochmals Alexy, Theorie, S. 100: „Der Prinzipiencharakter impliziert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.“ und Huster, Rechte und Ziele, S. 107 ff. 161 Zur geschichtlichen Entwicklung: Wieacker, FS-Fischer, S. 867 ff.; Remmert, Grundlagen; Stern, FS-Lerche, S. 165 ff. 162 Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 VII Rn. 71, 73; Lerche, Übermaß, S. 24 ff.; Ress, Verhältnismäßigkeit, S. 11 ff.; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 20 (R) Rn. 167; Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, § 24 6. (S. 390); Wittig, DÖV 1968, 817/817. Zur neueren Entwicklung, insbesondere zur Aufgabe der Reduktion des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die bloße Erforderlichkeit des Mittels vgl. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 2 ff., 11 ff. 163 Aristoteles, Eth. Nic., V 10 (1134 a); vgl. Jakobs, DVBl. 1985, 97/97. Ausführlich unten § 4 B. I. (S. 181 ff.). 164 Sobota, Rechtsstaat, S. 245. 165 Wieacker, FS-Fischer, S. 867 ff.

C. Dogmatische Struktur

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Der Gedanke, die vergeltende Gerechtigkeit (iustitia vindicativa) auf proportionale Tatvergeltung zu beschränken, betrifft hauptsächlich das Strafrecht.166 Die Strafgewalt wird im klassischen Sühnestrafrecht durch die Angemessenheit der vergeltenden Strafe begrenzt167 bzw. im Erziehungs- und Sicherungsstrafrecht durch die Zweckrationalität. Als weiterer Grundgedanke des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird der Aspekt der zuteilenden Gerechtigkeit (iustitia distributiva) herangezogen.168 Um Gerechtigkeit zu erreichen, ist es notwendig, das richtige Verhältnis von Recht und Last zu kennen. Die Zuteilung des einem jeden nach Status, Leistung und Verdienst Zukommende schließt die Verhältnismäßigkeit dieser Verteilung ein.169 Dieser Gedanke wird heute im Rechtsstaatsprinzip eigenständig bzw. nach anderem Verständnis im allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verortet.170 Auch dieser gedankliche Ansatz bildet folglich nicht das eigentliche Fundament des heutigen Verständnisses des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beurteilt nach heutigem Verständnis die Relation zwischen einem förderungsweise und einem eingriffsweise tangierten Rechtsgut. Er stellt insoweit einen Unterfall einer übergreifenden Gerechtigkeitsidee dar, welche sich nicht auf Eingriffskonstellationen beschränkt.171 Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß das Recht dem Nutzen des einzelnen oder der Gesellschaft zu dienen hat. Daraus ergibt sich die Begrenzung des Einsatzes rechtlicher Mittel durch ihre Zweckmäßigkeit und damit auch durch eine proportionale Mittel-Zweck-Relation.172 An diesen Gedanken knüpft noch heute der Verhältnismäßigkeitsgedanke an. Da der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz seine wichtigste Ausprägung im Straf- und Polizeirecht fand, überrascht es nicht, daß sich die ersten Positivierungen des Verhältnismäßigkeitsgebots dort finden.173 Gerade im Bereich individueller Freiheit war die Begrenzung hoheitlicher Eingriffe besonders dringlich. So heißt es in der Magna Charta Libertatum von 1215: „A freeman shall be amerced for a small offence only according to the degree of the offence; and for a grave offence he shall be amerced according to the gravity of the offence, saving his contenement. And a marchant shall be amerced in the same way. . . “. 166 Wieacker,

FS-Fischer, S. 875 f. Huster, Rechte und Ziele, S. 142 ff., wonach sich hier eine Verhältnismäßigkeitsprüfung verbietet und eine Entsprechensprüfung vorzunehmen ist, und unten § 3 C. I. 3. (S. 135). 168 Vgl. Aristoteles, Eth. Nic., V 5 (1130 b–1131 a); V 7 (1131 b–1132 b); Aristoteles, Politeia (Bd. 9/III), VI 3 (1318 a–1318 b). 169 Wieacker, FS-Fischer, S. 877. 170 Zum Zusammenhang von Gleichheit und Gerechtigkeit vgl. m. w. N. unten § 4 C. IV. 2. (S. 246 ff.). 171 Sobota, Rechtsstaat, S. 245 ff., 516. 172 Wieacker, FS-Fischer, S. 875, 878 ff. 173 Vgl. Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 III Rn. 299. 167 Vgl.

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

Das Gebot verhältnismäßiger Strafe fand 1789 Eingang in die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die schließlich der Verfassung von 1791 vorangestellt wurde. C. G. Svarez forderte als Ausdruck der Vernunft und Teil der Philosophie der Aufklärung in seinen Kronprinzenvorträgen 1791 eine Begrenzung staatlicher Eingriffsmacht.174 Als einer der maßgeblichen Verfasser des Allgemeinen Preußischen Landrechts von 1794 konnte Svarez den Verhältnismäßigkeitsgedanken in § 10 II 17 ALR festschreiben. Die in § 10 II 17 ALR angesprochene Relation zwischen dem Zweck des Eingriffs und der Intensität wurde soweit ersichtlich erstmals von v. Berg mit dem Begriff „Verhältnismäßigkeit“ benannt.175 Den Gedanken griff die Rechtsprechung auf und entwickelte die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit bzw. des Übermaßverbots.176 Diese Zweckrationalität beeinflußte am stärksten den Verhältnismäßigkeitsgedanken.177 Es war schließlich O. Mayer, der den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Rechtsschranke herausstellte.178 Die vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aufgestellte allgemeine Begrenzung der staatlichen Gewalt war – über alle staatliche Umbrüche hinweg – anerkannt.179 Vom Straf- und Polizeirecht ausgehend wurde der Grundsatz zu einem Bestandteil des gesamten Verwaltungsrechts.180 Unter der Geltung des Grundgesetzes schließlich wurde der Grundsatz im Verfassungsrecht selbst verortet und entwickelte sich zu einem dogmatisch durchformten Regulativ für jegliche die Bürger belastenden Maßnahmen von hoher Hand.181 Das Bundesverfassungsgericht hat den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Rahmen der Überprüfung von Einschränkungen der Freiheitsrechte ent-

174 „Er [scil. der Regent] muß die natürliche Freiheit seiner Untertanen nur so weit einschränken, als es notwendig ist, um die Sicherheit und Freiheit aller zu schützen und aufrechtzuerhalten.“ (Svarez, Vorträge, S. 10). Vgl. Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 2; Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 III Rn. 299; Stern, FS-Lerche, S. 168. 175 Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, Buch II, Abschnitt I, VI (S. 89 ff.), vgl. auch Buch III, Abschnitt I, Hauptstück I, IV (S. 210 f.); hierzu Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 2 f.; Stern, FSLerche, S. 168 f. 176 PrOVG 13, 424/426; 37, 401/403 f.; 44, 342/343; 45, 416, 423 f. 177 Wieacker, FS-Fischer, S. 879 f. 178 Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 223; hierzu Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 4 f. 179 Stern, FS-Lerche, S. 168. 180 BVerwGE 5, 50/52; Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 2 ff.; v. Krauss, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 18 ff., 51 f.; Leisner, Abwägungsstaat, S. 13 f.; Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht I, S. 223. 181 Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 III Rn. 300 f.; Stern, FS-Lerche, S. 171 ff.; Stern, StaatsR I, § 20 IV 7 m. w. N. (S. 861 ff.). Vgl. auch Dürig, AöR 81 (1956), 117/146 (Art. 19 Abs. 2 GG); Grabitz, AöR 98 (1973), 568/581 ff.; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 19; Jakobs, DVBl. 1985, 97/98.

C. Dogmatische Struktur

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wickelt.182 Seit dem Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts183 gehört der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur ständigen Rechtsprechung des Gerichts. Er wurde schließlich sogar zu einem „Exportschlager“ des deutschen Rechts. Insbesondere die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR)184 und des Europäischen Gerichtshofes (EuGH)185 orientieren sich an der deutschen Dogmatik.186 b) Erweiterung des dogmatischen Fundaments Kollisionslagen treten jedoch wie gesehen nicht ausschließlich im Bereich der Freiheitsgewährleistungen auf, da sich nicht nur die Freiheitsgrundrechte als Normen mit Prinzipiencharakter formulieren lassen.187 Auch kollektive Güter können Gegenstand von Prinzipien sein, wie die Volksgesundheit,188 Energieversorgung,189 die Strafrechtspflege190 etc.191 Demnach müßte auch der Umkehrschluß gelten, daß jeder Konflikt mit Hilfe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgelöst werden kann. Eine solche Erweiterung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird jedoch in der Regel gerade nicht vorgenommen.

182 Degenhart, Staatsorganisationsrecht 2002, Rn. 402 f.; Huster, Rechte und Ziele, S. 107; Ossenbühl, FS-Lerche, S. 154 f. 183 BVerfGE 7, 377. Seit diesem Urteil zieht das Bundesverfassungsgericht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz immer häufiger und für immer weitere Bereiche des Verfassungsrechts als Maßstab heran. Zuvor erfolgte nur eine punktuelle und wenig systematische Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Grabitz, AöR 98 (1973), 568/569 f. m. w. N. zur Rspr.). 184 Vgl. die Formulierung „. . . que cette ingérence est prévue par la loi et qu’elle constitue une mesure qui, dans une société démocratique, est nécessaire à la sécurité nationale, à la sûreté publique, au bien-être du pays, à la défense de l’ordre et à la prévention des infractions pénales, à la protection de la santé ou de la morale, ou à la protection des droits et liberté d’autrui. . . “ in Art. 8 EMRK und ähnlich in den Art. 9–11 EMRK; vgl. auch Frowein in: Frowein/Peukert, EMRK, Vorb. Art. 8–1 Rn. 14 f.; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, § 18 Rn. 14 ff. 185 Vgl. schon EuGH, Urt. v. 29. 11. 1956, Rs. 8/55 (Fédération Charbonnière de Belgique/Hohe Behörde der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl), Slg. 1955/1956, 297, S. 311 und LS 2. Als allgemein im Gemeinschaftsrecht anwendbares, übergreifendes Rechtsprinzip zur Begrenzung sämtlicher belastender gemeinschaftsrechtlicher Maßnahmen ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz spätestens seit der Entscheidung EuGH, Urt. v. 17. 12. 1970, Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft mbH/Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide und Futtermittel), Slg. 1970, 1125, Rn. 2, anerkannt und ständige Rechtsprechung, z. B. EuGH, Urt. v. 29. 2. 1996, Rs. C-296/93 (Französische Republik und Irland/Kommission der Europäischen Gemeinschaften), Slg. 1996, I-795 Rn. 30 ff. m. w. N. Vgl. hierzu Pache, NVwZ 1999, 1033/1034. 186 Kluth, JA 1999, 606; Pache, NVwZ 1999, 1033/1035 f. Vgl. auch die Nachweise bei Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 III Rn. 301, Fn. 246–250. 187 Alexy, Theorie, S. 98 f. 188 BVerfGE 7, 377/414 f. 189 BVerfGE 30, 292/317 f. 190 BVerfGE 51, 324/345. 191 Vgl. oben § 3 B. I. 1. (S. 95).

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

Zwar wurde die Bindung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an das Vorliegen eines Eingriffs gelockert und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als zentrales verfassungsrechtliches Ordnungsprinzip verstanden.192 Vereinzelt und zurückhaltend wird auch eine Ausdehnung auf Regel-Ausnahme-Systeme befürwortet, die sich im innerstaatlichen Bereich abspielen.193 Allgemein wird aber eher ein zurückhaltender Umgang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz angemahnt,194 eine Ausdehnung des verfassungsrechtlichen Anwendungsbereichs der Verhältnismäßigkeitsprüfung kritisch gesehen und eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Eingriffe in Freiheitsrechte favorisiert.195 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz solle vor allem der Aktualisierung und Effektuierung des grundrechtlichen Freiheitsschutzes dienen.196 So wird er überwiegend z. B. zur Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern nicht herangezogen, obwohl auch hier Zielkonflikte auftreten können.197 Im innerstaatlichen Bereich seien völlig andere Gesichtspunkte zu berücksichtigen und zum Ausgleich zu bringen als im Verhältnis Staat–Bürger.198 Auch im Bereich der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 GG verzichtet das Bundesverfassungsgericht darauf, Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu rechtfertigen.199 Fraglich ist aber, ob die allgemeine Herleitung des Verhältnismäßigkeitsgedankens aus Prinzipienkonflikten nicht doch zu einem veränderten, d. h. verbreiterten dogmatischen Fundament und damit zu einem erweiterten Anwendungsbereich führt.

192 Vgl.

Lerche, Übermaß, S. 81 ff.; Stern, FS-Lerche, S. 172. z. B. Ossenbühl, FS-Lerche, S. 155 f. 194 Lerche, Übermaß, Vorwort, S. 7; Ossenbühl, FS-Lerche, S. 156 ff. 195 Degenhart, Staatsorganisationsrecht 2002, Rn. 390, 402 f.; Erichsen, Jura 1988, 387/388; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 20 Rn. 81 f.; Huster, Rechte und Ziele, S. 109 ff.; Ossenbühl, FSLerche, S. 156. 196 Grabitz, AöR 98 (1973), 568/586 ff.; Wendt, AöR 104 (1979), 414/416 f. 197 BVerfGE 81, 310/338; vgl. BVerfGE 84, 25/31; ablehnend auch für die Ausübung von Kompetenzen BVerfGE 79, 311/341 ff.; Ossenbühl, FS-Lerche, S. 151 ff., 158 ff., 162 f. 198 Dieses Argument (vgl. nur BVerfGE 79, 311/341 ff. und 81, 310/338) kann die Nichtanwendung des Verhältnismäßigkeitsgedankens nicht rechtfertigen. Dieser stellt stets nur ein formales Konfliktlösungsmittel zur Verfügung, das der Auffüllung mit Wertungen auch im Bereich des Eingriffs in Freiheitsrechte bedarf, die erst aus dem konkreten rechtlichen Umfeld gewonnen werden müssen. Bei Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG sind z. B. andere Wertungen als bei Art. 12 Abs. 1 GG heranzuziehen. Kritisch hierzu Ossenbühl, FS-Lerche, S. 156 ff., 162. 199 Für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung noch BVerfGE 26, 228/239, 241; 56, 298/313, 315 ff.; anders jetzt aber BVerfGE 79, 127/147 ff., 153 ff.; 91, 228/241 f. Vgl. Schoch, VerwArch 81 (1990), 18/32 f. m. w. N. 193 Vgl.

C. Dogmatische Struktur

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c) Verhältnismäßigkeitsgebot und Optimalität Ein Grund dafür, den Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf Eingriffe in Freiheitsrechte zu beschränken, dürfte darin liegen, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schon im Bereich seines klassischen Anwendungsfeldes keinen Konfliktlösungsmechanismus darstellt, welcher dem Gesetzgeber bzw. der Exekutive die eine richtige, d. h. optimale Lösung vorschreibt. Vielmehr wird eine Restriktion vorgenommen, indem dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zugestanden wird.200 Auf tatsächlicher Ebene ist eine solche Einschränkung geboten, weil aus Gründen der Gewaltenteilung und wegen der beschränkten Möglichkeit menschlicher Erkenntnis das Bundesverfassungsgericht nicht seine Einschätzung an die Stelle der vertretbaren Einschätzung des Gesetzgebers setzen darf. Es geht nicht um die richtige Prognose (im Sinne einer ex-post-Beurteilung), sondern um die vertretbare Prognose (ex ante). Auch auf der normativen Ebene soll die Judikative Wertungen nur nachvollziehen und nicht selbst vornehmen. Hierin liegt begründet, warum das Bundesverfassungsgericht unter Zustimmung der Literatur201 eine negative Prüfung vornimmt und nur prüft, ob die Freiheitsbeschränkung evident unangemessen ist, d. h. ob Zweck und Mittel offensichtlich außer Verhältnis stehen.202 Es führt keine Optimalitätskontrolle durch, sondern prüft nur die Einhaltung einer äußersten Grenze.203 Dennoch ist der parlamentarische Gesetzgeber gehalten, selbst den optimalen Ausgleich zu suchen. Die Anforderungen an staatliches Handeln sind von der gerichtlichen Kontrolle zu trennen. Das Problem der Unmöglichkeit einer gerichtlichen Optimalitätskontrolle liegt jedoch in der Komplexität der Lebenssachverhalte, nicht in den Defiziten der Verhältnismäßigkeitsprüfung an sich. Diese besteht zwar auch außerhalb der Freiheitsrechte, aber sie vergrößert sich nicht, wendet man den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch dort an. Hieraus im Wege eines Erst-recht-Schlusses ein Argument gegen diese Erweiterung abzuleiten, scheitert daher. Daß die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei tatsächlich komplexen Situationen Schwierigkeiten bereitet, sagt nichts über seine allgemeine Herleitung aus dem Prinzipiencharakter und über den damit verbundenen weiten Anwendungsbereich aus.204

200 Schneider, FG-BVerfG II, S. 396 f.; Grabitz, AöR 98 (1973), 568/600 ff. Hierin liegt der Unterschied zum Prinzip der praktischen Konkordanz, welches zwei Rechtsgüter in einer Weise zuordnet, die beiden zur optimalen Wirksamkeit verhilft (Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 72). 201 Gentz, NJW 1968, 1600/1604; Grabitz, AöR 98 (1973), 568/576; Gusy, Gesetzgeber, S. 173 ff.; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 92 ff.; Huster, Rechte und Ziele, S. 113. 202 Vgl. z. B. BVerfGE 2, 266/280 f.; 7, 377/407. 203 Vgl. Huster, Rechte und Ziele, S. 113. 204 Alexy, Theorie, S. 101.

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d) Dogmatische Asymmetrie Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf Freiheitsrechte könnte indes mit der Überlegung befürwortet werden, daß nur individuelle Rechte einer besonderen Gefährdung ausgesetzt und damit schutzbedürftig sind. Politische Entscheidungen würden in der Regel utilitaristisch gerechtfertigt.205 Da der Einzelne von diesen Entscheidungen nachteilig betroffen sein könne, würden die subjektiven Rechte hierzu ein Gegengewicht bilden. Die kollektiven Ziele hingegen seien nicht schutzbedürftig, da getrost unterstellt werden könne, daß die Gesellschaft das dem kollektiven Wohl Förderliche auch verfolgen werde.206 Im Wege stünden allenfalls die Individualrechte. Diese bedürften daher des besonderen Schutzes. Hieraus folge, daß nach der impliziten politischen Theorie des Grundgesetzes nicht der Verzicht auf die Realisierung eines kollektiven Gutes, sondern nur der Eingriff in die Freiheitsrechte des Bürgers rechtfertigungsbedürftig ist.207 Allerdings ist keineswegs gesagt, daß der Staat immer das öffentliche Interesse verfolgt. Dies stellt allenfalls den Normalfall dar. Es ist durchaus denkbar, daß Partikularinteressen der Vorrang eingeräumt wird.208 Eine juristische Problemlösungskonzeption muß gerade auch für die atypischen Fälle taugen. Aus dem statistisch häufigsten Fall darf keine ausnahmslose Regel hergeleitet werden. Hinzu kommt, daß eine konsequente Trennung von Individual- und Kollektivinteressen nicht möglich ist. Der Ausgleich kollidierender Individualinteressen dient zugleich kollektiven Interessen, während hinter kollektiven Interessen in der Regel gebündelte Individualinteressen stehen.209 Die Prämisse, daß die mit den Freiheitsrechten kollidierenden Güter quasi automatisch vom Staat geschützt werden, ist somit nicht richtig. Dies wird besonders offensichtlich, wenn es um die Kollision von Rechten unter Grundrechtsträgern geht, wenn also der Freiheitsgebrauch nicht durch den Staat, sondern durch die Freiheitsbetätigung eines anderen Grundrechtsträgers gefährdet wird.210 Der eine Grundrechtsträger entfaltet aktiv seine Freiheit, während der andere sich passiv verhält. Der Schutz des einen durch Freiheitsgewährleistungen kann dann zu einer Benachteiligung des anderen Grundrechtsträgers führen: Wird in der Situation kollidierender Rechte der Staat nämlich nicht zugunsten eines Grundrechtsträgers tätig, muß dieser die Freiheitsbeschränkung durch den anderen Grundrechtsträger grundsätzlich hinnehmen. Er befindet sich in einer deutlich schwächeren Position als der Grundrechtsträger, der seine Freiheit aktiv wahrnimmt und einen Eingriff in diese mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgebots 205 Huster,

Rechte und Ziele, S. 125. Rechte und Ziele, S. 125. 207 Huster, Rechte und Ziele, S. 125: „Präponderanz der Rechte“. 208 Dies sieht auch Huster, Rechte und Ziele, S. 126. 209 Vgl. oben § 3 B. I. 1. (S. 95). 210 Huster, Rechte und Ziele, S. 126. 206 Huster,

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abwehren könnte, da ein Eingriff auch dann vorliegt, wenn er zum Schutz der kollidierenden Freiheit Dritter vorgenommen wird. Dies gilt auch, wenn beide Grundrechtsträger aktiv ihre Freiheit zu Lasten des jeweils anderen wahrnehmen und diese Kollision durch staatliche Eingriffe aufgelöst wird. Derjenige, in dessen Recht jeweils eingegriffen wird, befindet sich insoweit auch hier in der stärkeren Position. Ob auf der Gegenseite einzuschränkende kollektive Interessen oder individuelle Rechte stehen, ändert weder etwas an der Kollisionslage noch an der methodischen Konstruktion des notwendigen Ausgleichs. Die Freiheit des schutzbedürftigen Grundrechtsträgers erführe hingegen eine Einschränkung, ohne daß er diese als unverhältnismäßig abwehren könnte. Hier werden Interessen von der Verhältnismäßigkeitsprüfung vernachlässigt. Man kann dabei nicht davon ausgehen, daß der Staat sie ohnehin stets von sich aus schützt. Diese dogmatische Asymmetrie211 folgt daraus, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein einseitiges Gebot aufstellt, indem er als Abwehrinstrument nur eine bestimmte Richtung aufweist. Es wird stets aus der Sicht des beschränkten Rechts argumentiert. Nur die Verhältnismäßigkeit der Freiheitsbeschränkung wird überprüft, nicht hingegen das Unterlassen, ein mit diesem Freiheitsrecht kollidierendes Ziel zu verfolgen. Im Fall einer Grundrechtskollision muß der zum Schutz des einen Grundrechts eingreifende Akt der Verwirklichung eines Prinzips gelten, welches das Schwellengewicht des einzuschränkenden Grundrechts überwindet. Während sich dieser Eingriff folglich am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz messen lassen muß und ggf. der Angriff auf das Recht abgewehrt werden kann, greift zugunsten der grundrechtlichen Schutzpflicht nur das Untermaßverbot ein.212 Alles, was sich nicht als Freiheit vom Staat begreifen läßt,213 wird so im wesentlichen (nur) zur Eingriffsrechtfertigung herangezogen. Der Staat darf, muß aber nicht eingreifen.214 Die angesprochene Asymmetrie macht lediglich deutlich, daß der Schutz der Grundrechte durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders effektiv gelingt. Hingegen folgt hieraus nicht zwingend, daß das Verhältnismäßigkeitsgebot nur bei Eingriffen in Freiheitsrechte und nicht bei Beeinträchtigungen sonstiger Rechte durch kollidierende Güter Anwendung findet.

211 Jarass,

AöR 110 (1985), 363/384. den grundrechtlichen Schutzpflichten vgl. BVerfGE 39, 1/41; 46, 160/164; 49, 89/142; 53, 30/57; 56, 54/73; 77, 170/214 f.; 77, 381/402 f.; 79, 174/201 f.; 88, 203/251; zum Untermaßverbot BVerfGE 88, 203/254; BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1983, 2931/2932; BVerfG (Kammer), NJW 1998, 3264/3265. Huster, Rechte und Ziele, S. 114 f. 213 Sozialstaatsprinzip, Leistungsrechte etc. Hier kann nicht jedes staatliche Handeln als Eingriff qualifiziert und damit einer Verhältnismäßigkeitskontrolle unterzogen werden. 214 Huster, Rechte und Ziele, S. 115 f. 212 Zu

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e) Besondere Eignung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Eingriffen in Freiheitsrechte Zu entkräften bleibt die Erwägung, daß nur Eingriffe in Freiheitsrechte der Verhältnismäßigkeitsprüfung zugänglich sind, weil sich diese für einen solchen Schutz gerade besonders eignen.215 Dies deshalb, weil Unterlassenspflichten einfacher gerichtlich überprüft werden können als Handlungspflichten. Bei jenen geht es nur um die Kassation der staatlichen Maßnahme, während bei Handlungspflichten mehrere Möglichkeiten zur Disposition stehen. Die Unterscheidbarkeit zwischen Eingriff und Leistung schwindet hingegen zusehends.216 Der Bürger muß sich auch gegen ein Unterlassen von hoher Hand wenden können, da diesem nicht selten in seiner faktischen Wirkung größeres Gewicht zukommt als manchem Eingriff.217 Der Stellenwert leistungsstaatlicher Aktivitäten im modernen Sozialstaat erfordert eine rechtliche Erfassung derselben gerade im Hinblick auf mögliche Ansprüche des Bürgers. Es geht nicht mehr nur um Freiheit vom Staat, sondern auch um Freiheit im Staat und durch den Staat.218 Auch im Bereich der Leistungsverwaltung muß der Staat gegenläufige Interessen beachten.219 Daher wird zum Teil die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Bereich der Leistungsverwaltung befürwortet.220 Ein Argument gegen die prinzipielle Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgebots folgt aus der unterschiedlichen Qualität von positivem Tun und Unterlassen insoweit nicht ohne weiteres. Jedoch sind Handlungspflichten anders als Unterlassungspflichten nicht selfexecuting. Bei Freiheitsrechten läßt sich die Freiheitsbeschränkung und der mit ihr verfolgte Zweck – also die Kollision der Ziele – klar darstellen. Bei Unterlassenspflichten hingegen werden die Grenzen des Verhältnismäßigkeitsgedankens gesprengt. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung verliert ihre Konturen und wird zu einer allgemeinen Richtigkeitskontrolle staatlichen Handelns. Dies ist vor allem deswegen problematisch, weil für eine solche Erweiterung rechtliche Kontrollmaßstäbe fehlen. Die Entscheidung für eine der zur Erfüllung einer Unterlassenspflicht tauglichen Maßnahmen setzt eine Entscheidung über den Einsatz personeller wie finanzieller Mittel voraus. Der Mitteleinsatz läßt sich nicht in eine Relation zu dem Ziel der Erfüllung der Handlungspflicht setzen. Ob der Einsatz ei215 Zum

folgenden Huster, Rechte und Ziele, S. 121 ff. 40, 237/249; Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 157. 217 BVerfGE 40, 237/249; Maurer, Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 14 a. E. 218 Henrichs, Erlaß einer untergesetzlichen Norm, S. 86; Maurer, Verwaltungsrecht, § 6 Rn. 14; vgl. Würtenberger, AöR 105 (1980), 370/376. 219 Vgl. Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 73, und das objektiv-rechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip im Subventionsrecht aus § 14 HGrG, § 23 BHO. 220 Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 154 ff.; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG, Art. 20 (R) Rn. 175 a. E. (str.). 216 BVerfGE

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ner bestimmten Geldsumme hierzu „angemessen“ ist, kann keiner Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen werden, da es insoweit an einer Kollision verschiedener Prinzipien fehlt: Die Erfüllung der Handlungspflicht und der Mitteleinsatz verfolgen dasselbe Ziel. Gefragt werden könnte allenfalls, ob beiden Aspekten dasselbe Gewicht zukommt. Eine Kollision verschiedener Prinzipien entsteht erst, wenn der Mitteleinsatz auf Kosten eines Dritten erfolgt. Dies wiederum hätte zur Voraussetzung, daß staatliche Mittel zweckgebunden wären und damit das eine Ziel auf Kosten des anderen verfolgt würde. Hingegen liegt diese Zweckbindung in der Regel – wie z. B. das steuerrechtliche Non-Affektationsprinzip zeigt – nicht vor. Folglich kann grundsätzlich das Ziel des Unterlassens mit dem anderen Ziel, für dessen Verfolgung sich der Gesetzgeber entschieden hat, nicht mit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung verglichen werden. Bei Handlungspflichten ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folglich nicht anzuwenden. Allerdings folgt hieraus lediglich, daß er eine Kollision verschiedener Prinzipien voraussetzt, wie sie bei den Freiheitsrechten möglich ist. Der Umkehrschluß, daß sich seine Anwendung auf grundrechtliche Unterlassenspflichten zu beschränken hat, ist hieraus jedoch nicht zulässig. f) Zwischenergebnis Eine pauschale Begrenzung des Anwendungsbereichs des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die Prüfung von Eingriffen in Freiheitsgrundrechte läßt sich insoweit nicht herleiten. Allenfalls bei Leistungsansprüchen ist seine Anwendung problematisch. Erst wenn ein Anspruch besteht, liegt ein abgegrenztes Recht vor, in welches eingegriffen werden kann, da der bestehende Anspruch dann ein eigenes Schwellengewicht entfaltet. Zu prüfen bleibt daher, inwieweit die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in anderen Bereichen außerhalb der Freiheitsrechte sinnvoll und möglich ist. 2. Die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung außerhalb der Freiheitsrechte Exemplarisch läßt sich anhand von Kommunalverfassungsstreitigkeiten zeigen, daß auch im innerstaatlichen Bereich – sogar innerhalb desselben Organs – Positionen existieren, welche dem betreffenden Organ eine abgegrenzte Rechtsbzw. Kompetenzsphäre zuweisen. Solchen Positionen kommt ein eigenständiges Schwellengewicht zu, welches verhindert, daß ohne weiteres in den geschützten Rechts- bzw. Kompetenzbereich eingegriffen werden darf. Insoweit gilt das Abwägungsgesetz, daß je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung

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des einen Prinzips ist, desto größer die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen Prinzips sein muß.221 Früher wurden den Organen lediglich Kompetenzen zugesprochen.222 Es liege eine innerstaatliche Organisationsfrage vor, welche dem jeweiligen Organ keine eigenständige Rechtsposition verleihe. Mehr und mehr wurde aber deutlich, daß es zwischen verschiedenen Organen und sogar innerhalb eines Organs zu (Rechts-) Streitigkeiten kommen kann, in denen jeweils eigene, konfligierende Positionen geltend gemacht wurden.223 Dies geschieht, wenn die Rechtsordnung die Organe in eine Rolle einweist, in der sie ihre Funktion gerade dadurch erfüllen, daß sie den von ihnen betreuten Aspekt des Gemeininteresses wie ein eigenes partikulares Interesse gegen Beeinträchtigungen verteidigen.224 Eigenständige Rechts- und Kompetenzsphären sind folglich auch innerhalb des Staates nicht per se ausgeschlossen. Da sich hieraus zwangsläufig Konflikte konkurrierender Rechts- und Kompetenzsphären ergeben, denen jeweils ein bestimmtes Schwellengewicht zugeordnet werden kann, müßte der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an sich auch im Verhältnis der Staatsorgane untereinander grundsätzlich Anwendung finden. Das Bundesverfassungsgericht beschränkt indes ausdrücklich die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf das Verhältnis Staat–Bürger, da dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine die individuelle Rechts- und Freiheitssphäre verteidigende Funktion zukomme. Im innerstaatlichen Bereich zieht es daher den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht heran. Die Kategorien von Freiraum und Eingriff seien auf dieses Verhältnis nicht anwendbar, da das Verhältnis von Staatlichkeit und Gemeinwohlorientierung bestimmt sei.225 Diese Aussage widerspricht auf den ersten Blick dem logischen Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes226 und soll anhand einiger typischer Konstellationen überprüft werden. a) Garantie der kommunalen Selbstverwaltung Art. 28 Abs. 2 GG sichert den Gemeinden gegenüber dem Gesetzgeber einen Aufgabenbereich, der grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemein221 Vgl.

oben § 3 B. III. (S. 108) und Alexy, Theorie, S. 146. Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 1. 223 Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 21 Rn. 2. 224 Kisker, Insichprozeß, S. 38 ff. (Kontrastorgane als Träger subjektiver Rechte); Schmitt Glaeser/ Horn, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 94. 225 BVerfGE 79, 311, 341 f.; 81, 310/338 und st. Rspr. Bauer, Bundestreue, S. 239 ff./242 m. w. N.; Isensee, HdbStR IV, § 98 Rn. 118 (S. 581); Kenntner, NVwZ 2003, 821/823 („unüblich“, i. E. jedoch a. A.); Schmidt-Aßmann, HdbStR I 1995, § 24 Rn. 87 (S. 1034 f.). 226 Huster, Rechte und Ziele, S. 107 ff. 222 Hufen,

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schaft umfaßt.227 Die Vorschrift verleiht den nicht grundrechtsfähigen Gemeinden und Gemeindeverbänden eine subjektive Rechtsposition zur Abwehr staatlicher Eingriffe. Wegen der vergleichbaren Problemstruktur wurde die für die Grundrechte entwickelte Lehre von den „Schranken-Schranken“ auf Art. 28 Abs. 2 GG übertragen.228 Das Bundesverfassungsgericht maß früher in Übereinstimmung mit der fachgerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur allgemein Eingriffe in diese Rechtsposition am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.229 Seit der Rastede-Entscheidung230 hingegen werden nur noch Beschränkungen der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzogen, die nicht in einen Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung eingreifen.231 Eingriffe in den Kernbereich selbst haben gänzlich zu unterbleiben. Außerhalb des Kernbereichs siedelt das Bundesverfassungsgericht das ebenfalls in Art. 28 Abs. 2 GG enthaltene verfassungsrechtliche Aufgabenverteilungsprinzip hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zugunsten der Gemeinden an.232 Art. 28 Abs. 2 GG statuiere ein Regel-AusnahmeVerhältnis als Ausdruck eines auch materiell verstandenen Prinzips.233 So gelten beim Aufgabenentzug hohe Anforderungen.234 Der Entzug von Aufgaben sei aber grundsätzlich möglich, wenn nämlich die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip überwögen.235 Das Bundesverfassungsgericht vermeidet es, den Ausdruck „Verhältnismäßigkeit“ zu gebrauchen.236 Das „Aufgabenverteilungsprinzip“ über227 BVerfGE

79, 127/150 m. w. N.

228 Da die Gemeinden als Teil der Staatsgewalt an die Grundrechte gebunden (Art. 1 Abs. 3 GG) und

nicht aus ihnen berechtigt sind (Art. 19 Abs. 3 GG), stellt Art. 28 Abs. 2 GG kein Grundrecht, sondern eine institutionelle Garantie mit mehreren Elementen (institutionelle Rechtssubjektsgarantie, objektive Rechtsinstitutionsgarantie, subjektive Rechtsstellungsgarantie) dar, vgl. Dreier in: Dreier, GG, Art. 28 Rn. 81, 92; Pietzcker, NVwZ 1989, 601/606; Schoch, VerwArch 81 (1990), 18/24 f. m. w. N. 229 Vgl. nur die ältere Rechtsprechung: BVerfGE 26, 228/239, 241; 56, 298/313, 315 ff.; 76, 107/119 f.; BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NVwZ 1982, 95/95; BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NVwZ 1982, 306/308; BVerwGE 67, 321/323; bwStGH, ESVGH 28, 1/5 f.; Dreier in: Dreier, GG, Art. 28 Rn. 115; Hinkel, NVwZ 1985, 225/S. 228 ff.; Papier, DVBl. 1984, 453/454 ff.; Pietzcker, NVwZ 1989, 601/606; Schoch, VerwArch 81 (1990), 18/24 f. m. w. N.; Stern, StaatsR I, § 12 II 4 d) (S. 415). Ein Überblick zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Prüfung des Art. 28 Abs. 2 GG in der älteren Literatur und Rechtsprechung findet sich bei Blümel, FG-Unruh, S. 283 ff. 230 BVerfGE 79, 127. 231 BVerfGE 79, 127/143, 146 ff.; 83, 363/382 f.; 103, 332/366 f. 232 BVerfGE 79, 127/150. 233 BVerfGE 79, 127/149; Schoch, VerwArch 81 (1990), 18/28, 34. Mit dieser neuen Figur unternimmt das Bundesverfassungsgericht offensichtlich den Versuch, die von ihm mitzuverantwortende Entwicklung einer permanenten Hochzonung von Verwaltungsaufgaben zu stoppen, Schoch, VerwArch 81 (1990), 18/42. 234 BVerfGE 79, 127/153 f. 235 BVerfGE 79, 127/154. 236 Vgl. Clemens, NVwZ 1990, 834/835, 840; Schoch, VerwArch 81 (1990), 18/32 f. Für eine differenzierte Verhältnismäßigkeitsprüfung: Ehlers, DVBl. 2000, 1301/1308.

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nimmt die Funktion des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Damit soll wohl deutlich werden, daß der Aufgabenentzug nicht in eine individuelle Freiheitssphäre eingreift, sondern das staatliche Organisationsgefüge betrifft. Der aus den Grundrechten abgeleitete Verhältnismäßigkeitsgrundsatz könne hierauf keine Anwendung finden.237 Diese beim Entzug von Aufgaben vorzunehmende Prüfung kommt aber strukturell und inhaltlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung gleich.238 Die Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung kollidiert mit Gemeinwohlbelangen. Beide Ziele können zugleich nicht verfolgt werden. Es liegt ein Prinzipienkonflikt vor, der wie sonstige Prinzipienkonflikte mit Hilfe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgelöst werden kann. Genau so geht das Bundesverfassungsgericht vor, wenn es eine Abwägung vornimmt, ob die den Aufgabenentzug tragende Gründe gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs. 2 GG überwiegen.239 Den einen Aufgabenentzug grundsätzlich legitimierenden Gründen des Gemeininteresses werden die nicht zur Rechtfertigung ausreichenden Ziele der Verwaltungsvereinfachung, der Zuständigkeitskonzentration und der Wirtschaftlichkeit entgegengesetzt. Dies stellt eine normale Verhältnismäßigkeitsprüfung dar – nur unter einem anderen Etikett.240 Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten erhöhten Anforderungen folgen nicht aus einem anderen Konfliktlösungsmechanismus, sondern aus den besonderen inhaltlichen Maßstäben des Art. 28 Abs. 2 GG. Die Eingriffsintensität ist bei einem Aufgabenentzug deutlich höher als bei einer bloßen Regelung der Aufgabenerfüllung. Es muß daher ein höheres Schwellengewicht überwunden werden, was nur gelingt, wenn besonders wichtige Belange des Gemeinwohls verfolgt werden. Dem steht auch nicht die Position des Bundesverfassungsgerichts entgegen, daß Eingriffe in den Kern der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie von vornherein unzulässig sind. Dies entspricht der Wesensgehaltsgarantie im Bereich der Grundrechte (Art. 19 Abs. 2 GG)241 und stellt lediglich fest, daß gewisse Bereiche der Selbstverwaltungsgarantie ein derart hohes Schwellengewicht entfalten, daß diese unter keinen denkbaren Umständen eingeschränkt werden können. Zwar ist dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich eine Relativität eigen, da stets zwei kollidierende Güter miteinander verglichen werden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist aber auch geeignet, eine absolute Grenze zu ziehen. Dies ist stets dann der Fall, wenn ein Eingriff ab einer bestimmten Intensität definitiv nicht mehr gerechtfertigt werden kann. Für die kommunale Selbstver237 Vgl.

Dreier in: Dreier, GG, Art. 28 Rn. 119 mit Fn. 445. Aufgabenverlagerung, S. 68 f. mit einer ausführlichen Analyse der RastedeEntscheidung des Bundesverfassungsgerichts; Papier, DVBl. 1984, 453/456. 239 Vgl. BVerfGE 79, 127/154; BVerfG, NVwZ 1992, 365/367 und Kronisch, Aufgabenverlagerung, S. 68. 240 Kronisch, Aufgabenverlagerung, S. 68 f. 241 Vgl. Blümel, FG-Unruh, S. 262 f.; Dreier, GG, Art. 28 Rn. 116; Pietzcker, NVwZ 1989, 601/606. 238 Kronisch,

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waltungsgarantie folgt dies a fortiori aus Art. 115 c Abs. 3 GG a. E., der nicht einmal im Verteidigungsfall die Beseitigung der kommunalen Selbstverwaltung gestattet.242 Damit fügt sich auch die Kernbereichsrechtsprechung in den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein.243 Dieser bietet darüber hinaus eine dogmatisch klar strukturierte Prüfung der Rechtmäßigkeit von Eingriffen in die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz läßt sich folglich auf das Verhältnis der Staatsorgane untereinander übertragen. Voraussetzung ist allerdings auch hier, daß dem einen Staatsorgan ein eigenes Recht eingeräumt ist, welches zu seinen Gunsten ein bestimmtes Schwellengewicht entfaltet. In diesen Fällen ist die Situation vergleichbar mit der Konstellation bei einem Eingriff in ein Grundrecht. Es liegt eine Prinzipienkollision vor, welche mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aufzulösen ist.244 So überrascht es nicht, daß bei Eingriffen außerhalb des Aufgabenentzugs auch nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts der „allgemeine verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten und eine Güterabwägung vorzunehmen“ ist.245 Wäre die Übertragung des Eingriffsdenkens auf das (inner-) staatliche Organisationsgefüge nicht denkbar, könnte auch bei sonstigen Regelungen, die das Recht der Gemeinde aus Art. 28 Abs. 2 GG beeinträchtigen, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht vorgenommen werden. Die Position des Bundesverfassungsgerichts ist insoweit inkonsequent. Sie kann allenfalls dazu dienen, die unterschiedlichen Vorrangrelationen zu illustrieren, daß nämlich besonders intensive Eingriffe in die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden einem erhöhten Rechtfertigungsaufwand unterliegen. b) Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Kompetenzeingriffen Auch für das Verhältnis von Bund und Ländern betont das Bundesverfassungsgericht, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keine Anwendung finden könne, weil ihm „eine die individuelle Rechts- und Freiheitssphäre verteidigende Funktion“ zukomme. Das „damit verbundene Denken in den Kategorien von Freiraum und Eingriff [könne] weder speziell auf die von einem Konkurrenzverhältnis zwischen Bund und Land bestimmte Sachkompetenz des Landes noch allgemein auf Kompetenzabgrenzungen übertragen werden“246 . Auch hier ist fraglich, ob nicht 242 Vgl.

Kronisch, Aufgabenverlagerung, S. 103 f. Nierhaus in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 56; Papier, DVBl. 1984, 453/455. 244 Für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch ndsStGH, DÖV 1996, 657/657; Kronisch, Aufgabenverlagerung, S. 68 ff. und 99 ff.; Nierhaus in: Sachs, GG, Art. 28 Rn. 56; Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 III Rn. 308. Vgl. auch Papier, DVBl. 1984, 453/456 und oben die Nachweise in Fn. 229. 245 BVerfGE 83, 363/382 f.; BVerfGE 103, 332/366 f. 246 BVerfGE 81, 310/338; BVerfGE 79, 311/341 ff. 243 Ählich

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eine zweite Erweiterung des Verhältnismäßigkeitsgedankens vorgenommen werden muß. Die Anwendbarkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf das Verhältnis von Staatsorganen untereinander wurde am Beispiel des Art. 28 GG gezeigt. Zu untersuchen ist, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch auf innerstaatliche Kompetenzkonflikte anwendbar ist. Daß nicht nur der Bürger seine Freiheitssphäre, sondern auch staatliche Stellen ihre Zuständigkeit verteidigen können, mag ein kurzer Blick auf eine Besonderheit im englischen und amerikanischen Recht zeigen. Hieraus könnte gefolgert werden, daß auch staatlichen Kompetenzen ein eigenes (Schwellen-) Gewicht gegenüber Beeinträchtigungen durch andere staatliche Stellen zugesprochen werden kann. aa) Antisuit injunctions im angloamerikanischen Recht Englische und amerikanische Gerichte erkennen in ständiger Rechtsprechung ein sog. right not to be sued abroad an, dem im Konfliktsfall mit Hilfe von antisuit injunctions (UK) bzw. restraining orders und preliminary injunctions (USA), die im Ermessen des Richters stehen, zur Durchsetzung verholfen wird.247 Der Kläger muß Partei in einem anhängigen Verfahren im Inland (UK, USA) sein, der Beklagte wider Treu und Glauben vor einem ausländischen Gericht ein anderes Verfahren betreiben mit dem Ziel, das Verfahren im Inland zu behindern, und das Gericht zu der Überzeugung gelangen, daß die schutzwürdigen Interessen des Klägers überwiegen. Dieses in Ausnahmefällen bestehende Verbot, einen Rechtsstreit vor einem ausländischen Gericht anhängig zu machen oder fortzuführen, überträgt das Denken von Freiheit und Eingriff auf den staatlichen Bereich, indem einem Gericht in Ausnahmefällen die Möglichkeit gegeben wird, Kompetenzbeschränkungen – inbesondere im Falle eines früheren ausländischen Urteils – abzuwehren.248 Ein Gericht wehrt damit Übergriffe in den Prozeßstoff „seines“ Verfahrens ab. Begründet werden solche allein im common law gebräuchlichen antisuit injunctions mit Erwägungen des ordre public: Es sollen widersprüchliche Urteile 247 Sehr interessant ist der Fall British Airways Board/Laker Airways Ltd., (1985) A. C. 58 (H.L.(E.)

1984); Laker Airways/Sabena, Belgian World Airlines, 731 F.2d909, 926 (1984). Nach dieser Entscheidung wurde verstärkt für eine größere Zurückhaltung gegenüber antisuit injunctions plädiert (Smith, RIW 1993, 802/S. 803). Eingehend Dicey/Morris, Conflict of Laws, Chp. 12 Rn. 057; Hau, Kompetenzkonflikte, S. 191 ff.; Schlosser, Justizkonflikt, S. 33 ff.; Smith, RIW 1993, 802 m. w. N.; im Überblick Wagner, Prozeßverträge, S. 267 ff. In Deutschland ist umstritten, ob eine entsprechende Verpflichtung, zur Unterlassung einer Klageerhebung oder zur Klagerücknahme gerichtlich durchgesetzt werden kann. Entsprechende Ansprüche könnten sich aus §§ 826, 823 Abs. 1 BGB, § 3 UWG oder aus Gerichtsstands- und Schiedsverträgen ergeben. Hierzu nochmals Hau, Kompetenzkonflikte, S. 202 ff. und Smith, RIW 1993, 802/808 f. 248 Es handelt sich vor allem um solche Fälle, in denen die ausländische Prozeßführung „vexatious and oppressive“ erscheint und zu einem „race to judgement“ führt (Hau, Kompetenzkonflikte, S. 194 ff.; Smith, RIW 1993, 802/804).

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verhindert und das bereits anhängige Verfahren ohne Störungen fortgeführt werden können.249 Ob solche Gefahren für das englische bzw. amerikanische Verfahren bestehen, könne nur der Richter eben dieses Verfahrens beurteilen. Dieser Idee folgend wird auch ein Eingriff in fremde Kompetenzbereiche nicht gesehen, sondern daran erinnert, daß sich die antisuit injunctions nicht an das ausländische Forum richten, sondern eine organisatorische prozessuale Maßnahme gegenüber der der Zuständigkeit des Gerichts unterstehenden Gegenpartei darstellen.250 Dies müßte zu dem Ergebnis führen, daß nur eine Frage interner Zuständigkeitsverteilung vorliegt, welche kein schützenswertes Gewicht zugunsten der Zuständigkeit des Gerichts (allenfalls zugunsten der einen Partei) aufweist. Das ein Recht kennzeichnende Merkmal eines besonderen Schwellengewichts würde fehlen. Dieser sehr formellen Sichtweise – daß nicht die Zuständigkeit des ausländischen Richters, sondern nur die Partei betroffen sei – kann nicht gefolgt werden. Das Verbot, ein Verfahren vor einem ausländischen Gericht einzuleiten oder fortzuführen, führt zwangsläufig zu einem Eingriff in die souveräne Zuständigkeit des ausländischen Gerichts.251 Schließlich kann das Gericht nicht von Amts wegen tätig werden. Wird einem (potentiellen) Kläger untersagt, ein Verfahren zu betreiben, betrifft dies unweigerlich auch die Kompetenz des Gerichts. Eine Unterscheidung danach, ob sich die antisuit injunction direkt an ein ausländisches Gericht oder an den Beklagten richtet, ist künstlich. Auch Schlosser spricht von einem „Eingriff in das Verfahren“.252 Schon historisch dienten die antisuit injunctions dazu, die aus der Appellationsmöglichkeit an den König entstandene Kompetenz des Court of Chancery gegenüber der Tätigkeit der Common Law Courts zu verteidigen.253 Aufgrund dieses Eingriffs in fremde Kompetenzen wurde die im englischen Recht vorgesehene Möglichkeit der antisuit injunctions als mit europäischem Recht (genau: der Brüssel-I-Verordnung254 ) unvereinbar angesehen.255 Es wird deutlich, daß es sich hier nicht mehr nur um eine Angelegenheit 249 Dicey/Morris, Conflict of Laws, Chp. 12 Rn. 057; vgl. Hau, Kompetenzkonflikte, S. 192 ff. zu den drei typischen Formen der antisuit injunctions. 250 Wagner, Prozeßverträge, S. 270. 251 So der Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in seinem Plädoyer v. 20. 11. 2003, Rs. C-159/02 (Gregory Paul Turner/Felix Fareed Ismail Grovit, Harada Ltd. und Changepoint SA), Slg. 2004, I3565, Rn. 34 f. mit Fn. 11; Smith, RIW 1993, 802/804. 252 Schlosser, Justizkonflikt, S. 33. So auch Smith, RIW 1993, 802/803 („Konflikte zwischen mehreren zuständigen Gerichtsbarkeiten werden gemildert“, S. 805: „unmittelbare Einmischung in die Kompetenz des ausländischen Gerichts“ und S. 808: „einen ‚jurisdiction protection character‘“). 253 Hau, Kompetenzkonflikte, S. 191 f.; Smith, RIW 1993, 802/803 mit Fn. 5. Hintergrund war der Streit zwischen Common Law und Equity. 254 VO (EG) Nr. 44/2001 des Rates v. 22. 12. 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, AmtsBl. EG v. 16. 1. 2001, L 12/1. 255 EuGH, Urt. v. 27. 4. 2004, Rs. C-159/02 (Gregory Paul Turner/Felix Fareed Ismail Grovit, Harada Ltd. und Changepoint SA), Slg. 2004, I-3565, Rn. 24 ff.

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innerhalb der staatlichen Ebene handelt, die nicht zu Eingriffen führt. Die Zuständigkeit der ausländischen Gerichte wird als Prinzip begriffen, welches ein gewisses Schwellengewicht entfaltet und deshalb nicht ohne weiteres eingeschränkt werden darf. bb) Kompetenzeingriffe des Bundes in Länderkompetenzen Im deutschen Verfassungsrecht dringt der Bund unter anderem mit Aufsichtsund Weisungsrechten in den Kompetenzbereich der Länder ein. Dabei muß er die Interessen des betroffenen Landes berücksichtigen und übermäßige Eingriffe in den fremden Kompetenzbereich unterlassen. Grundsätzlich ist ein stufenweises Vorgehen (von der Anhörung des betroffenen Landes bis hin zum Bundeszwang als ultima ratio) angezeigt. Das Bundesverfassungsgericht leitet diese Erfordernisse aus dem Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens, welches dem Bundesstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) entspringt, ab.256 Danach sind Bund und Länder gehalten, dem Wesen des Bundesstaates entsprechend zusammenzuwirken und zu seiner Festigung und zur Wahrung seiner und der wohlverstandenen Belange seiner Glieder beizutragen.257 Für den Bund kann sich aus der Pflicht zur Bundestreue eine Schranke für die Ausübung einer ihm ansonsten zustehenden Kompetenz ergeben.258 Eine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird erwogen, jedoch abgelehnt. Die Lösung von Kompetenzkonflikten sei mit Hilfe einer Abwägung vorzunehmen.259 Hier offenbart sich eine gewisse Inkonsequenz der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts: Auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz löst im Rahmen der Verhältnismäßigkeit i. e. S. eine Kollision miteinander unvereinbarer Ziele mit Hilfe einer Abwägung der kollidierenden Güter. In jedem Fall muß die Frage beantwortet werden, ob die Schwere des Eingriffs in den fremden Kompetenzbereich noch in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewicht und der Dringlichkeit des damit verfolgten Ziels steht. Die erforderliche Stufung des Vorgehens des Bundes gegenüber einem Land folgt unmittelbar schon aus der An256 BVerfGE 81, 310/337 f. (Kalkar II); vgl. BVerfGE 1, 117/131; 1, 299/315; 4, 115/140; 6, 309/361 f.; 8, 122/138 ff.; 12, 205/239, 254 ff.; 14, 197/215; 34, 216/232; 92, 203/230 f. 257 BVerfGE 1, 117/131; 1, 299/315. 258 Vgl. BVerfGE 1, 117/131; 12, 205/239, 254 ff.; 14, 197/215; 21, 312/326; 55, 274/346 (abw. Meinung). 259 BVerfGE 79, 311/341 f.: „Der Vorschrift des Art. 115 Abs. 1 S. 2 GG kann auch nicht entnommen werden, daß eine Kreditfinanzierung konsumtiver Ausgaben nur unter Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfolgen dürfe. Dafür fehlt es an einer entsprechenden Konstellation. Die Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und die Begrenzung der Kreditaufnahme auf Investitionsausgaben stehen sich nicht wie eingreifende Maßnahme oder Gesetzesregelung und davon betroffener Rechts- oder Freiheitsbereich gegenüber, in den nur verhältnismäßig eingegriffen werden darf. [. . . ] Zu welchen von mehreren geeigneten Mitteln zur Störungsabwehr der Gesetzgeber greift, ist eine Abwägungsfrage. [. . . ]“ (Hervorhebung durch den Verfasser).

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forderung der Erforderlichkeit, da danach stets zu prüfen ist, ob mildere, aber gleich wirksame Mittel in Betracht zu ziehen sind. Zur Zielerreichung völlig ungeeignete Maßnahmen dürfen auch nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht ergriffen werden. Damit formuliert das Bundesverfassungsgericht genau die im Verhältnis Staat–Bürger entwickelten (formellen) Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Ausübung der Aufsichts- und Weisungsrechte durch den Bund findet ihre Schranken daher im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dieser dient auch bei Kompetenzabgrenzungen im innerstaatlichen Bereich als regulativer Maßstab.260 Bei den vom Bundesverfassungsgericht261 aufgestellten Prüfungsanforderungen im Rahmen der Prüfung des Art. 72 Abs. 2 GG wird gleichfalls deutlich, daß – zumindest im Ergebnis – der Kompetenzbereich der Länder wie ein subjektives Recht geschützt wird.262 Der Bund muß sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auf den „geringst möglichen Eingriff“ in das Gesetzgebungsrecht der Länder beschränken.263 Zwar steht den Hoheitsträgern ein den Grundrechten entsprechender Freiheitsraum nicht zu, da sie zur Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben zum allgemeinen Wohl verpflichtet sind. Dennoch ist dem Kompetenzträger ein eigenständiger Verantwortungs- und Wahrnehmungsbereich zugeordnet. Diese Zuordnung beinhaltet stets auch den Ausschluß anderer Rechtsträger. Der eigene Verantwortungsbereich kann mit rechtlichen Schutzmöglichkeiten verteidigt werden, wie im Rahmen von Art. 72 Abs. 2 GG das Verfahren gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 a GG zeigt. Damit liegt strukturell die Konstellation eines Schutzbereichs zugunsten des jeweiligen Kompetenzträgers vor. Der Kompetenzzuweisung kommt eine Ausschlußfunktion zu, die gegenüber Kompetenzbeschränkungen ein eigenes Gewicht entfaltet. Die einem Rechtsträger zugewiesenen Kompetenzen stellen daher subjektive Positionen der Kompetenzträger dar.264 Daraus folgt wiederum die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Eingriffe in solche Positionen sind nur zulässig, soweit sie verhältnismäßig sind. Eine unverhältnismäßige Beschränkung subjektiver Rechtspositionen widerspricht der mit der Rechtsgewährung getroffenen Grundentscheidung.265

260 Bauer, Bundestreue, S. 239 ff. m. w. N., vgl. aber auch S. 242; Lerche, Übermaß, S. 160; Sachs in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 70; Sobota, Rechtsstaat, S. 252, 516; Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 I Rn. 39. 261 BVerfGE 106, 62. 262 Hierzu Kenntner, NVwZ 2003, 821/823 f. und ähnlich Kunig, Rechtsstaatsprinzip, 352. 263 Vgl. zur Auslegung des Art. 72 Abs. 2 GG BVerfGE 106, 62/149. Das Erforderlichkeitskriterium wird als Grundsatz des „geringst möglichen Eingriffs in das Gesetzgebungsrecht der Länder“ verstanden. Hierzu Kenntner, NVwZ 2003, 821/823 f. 264 Kenntner, NVwZ 2003, 821/823. 265 Kenntner, NVwZ 2003, 821/824.

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Liegt ein abgegrenzter Rechts- bzw. Kompetenzbereich vor, kommt es wie auch im Bereich der grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen zu auflösungsbedürftigen Konflikten. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz selbst bietet keine inhaltliche Antwort zur Lösung der Kollisionen. Insoweit ist die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sinnvoll, daß das Bund-LänderVerhältnis anhand anderer Maßstäbe zu beurteilen ist, als das Verhältnis zwischen Bürger und Staat. Inhaltlicher Maßstab der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist das Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens. Dieses stellt jedoch nicht – wovon das Bundesverfassungsgericht ausgeht – ein eigenständiges Konfliktlösungsmuster dar, sondern ist inhaltlicher Maßstab innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Damit findet inhaltlich dieselbe Prüfung statt, wie sie das Bundesverfassungsgericht vornimmt, jedoch im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz findet folglich auch auf Kompetenzabgrenzungen Anwendung. c) Funktionen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Gemeinschaftsrecht Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung als ein vom Recht der Europäischen Gemeinschaften anerkannter Grundsatz herangezogen. Allerdings bleibt unklar, aus welchen Prinzipien des Gemeinschaftsrechts dieser Grundsatz abgeleitet wird.266 Die Literatur rekurriert auf das der Gemeinschaftsrechtsordnung immanente Rechtsstaatsprinzip267 bzw. auf eine gewohnheitsrechtliche Anerkennung mit ihrem Ursprung im Völkerrecht268 . Inhaltlich entspricht der gemeinschaftsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz weitestgehend dem des deutschen Rechts. Im europäischen Gemeinschaftsrecht findet allerdings keine Beschränkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf den Schutz individueller Freiheitsrechte statt.269 In diesem Bereich hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wie unter dem deutschen Grundgesetz zwar eine besondere Bedeutung erlangt, er wird jedoch ohne Zögern als allgemeines Leitprinzip und allgemeine Handlungsschranke aller Gemeinschaftsorgane verstanden.270 Der Europäische Gerichtshof fordert nicht einmal, daß ein Recht nachteilig betroffen ist. Vielmehr genügt es,

266 Vgl. Ress, Verhältnismäßigkeit, S. 38. Vgl. jetzt den Vertrag über eine Verfassung für Europa, ABl. EU Nr. C 310 vom 16. Dezember 2004. Der Vertrag wurde freilich noch nicht von allen Unterzeichnerstaaten ratifiziert. 267 Ipsen, Gemeinschaftsrecht, S. 512. 268 Fikentscher, Wirtschaftsrecht, S. 443. 269 Vgl. Schiller, RIW 1983, 928/929. 270 Kutscher, Verhältnismäßigkeit, S. 90 ff.; Pache, NVwZ 1999, 1033/1037; Ress, Verhältnismäßigkeit, S. 37 ff.

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wenn eine Maßnahme nachteilige Rechtswirkungen zeitigt.271 Allerdings ist auch unter diesen verringerten Anwendungsvoraussetzungen das Vorliegen eines Zielkonflikts erforderlich.272 d) Zwischenergebnis Aus diesen Ausführungen folgt, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht nur zur Überprüfung der Beschränkung von Freiheitsgrundrechten herangezogen werden kann, sondern daß Voraussetzung für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einzig die Beeinträchtigung eines Rechts ist, welches einer Prinzipienkollision entspringt.273 In den Fällen, in denen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz i. e. S. allgemein für anwendbar gehalten wird, besteht eine solche Kollision.274 Dieser liegt ein Zweck-Mittel-Verhältnis zugrunde. Das „Mittel“ löst die Kollision der beiden oder mehreren Zwecke auf. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspringt folglich einer Prinzipienkollision. Er beruht auf der Notwendigkeit und dem Bestreben, die kollidierenden Interessen entsprechend ihrem jeweiligen Gewicht einem Ausgleich zuzuführen. Hinreichende Bedingung seiner Anwendbarkeit ist das Vorliegen einer Kollision von Rechten. Eine Grundrechtskollision ist nicht zwingend erforderlich.

3. Grenzen des Anwendungsbereichs des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Die Kollisionslage stellt eine hinreichende Bedingung für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Daß hieraus zugleich eine Begrenzung des Anwendungsbereichs folgt, die Kollisionslage also auch notwendige Bedingung ist, wird im folgenden zu zeigen sein.275 Da das Ziel eines angemessenen Ausgleichs zugleich ein Gerechtigkeitspostulat darstellt, droht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu einem allgemeinen Appell an eine gerechte Entscheidung zu verkommen.276 Er würde zu einem pauschalen Oberbegriff, verlöre jegliche Kontur und könnte zur rationalen Entscheidung nichts mehr beitragen. Vielmehr würde er zum Einfallstor, um subjektiven Wertungen des Richters praeter legem oder gar contra legem zur Durchsetzung zu verhelfen. Diese pauschale Ausdehnung 271 EuGH, Urteil v. 21. 1. 1992, Rs. C-319/90 (Otto Pressler Weingut-Weingroßkellerei GmbH & Co. KG/Bundesrepublik Deutschland), Slg. I 1992, 203 Rn. 10. 272 EuGH, Urteil v. 21. 1. 1992, Rs. C-319/90 (Otto Pressler Weingut-Weingroßkellerei GmbH & Co. KG/Bundesrepublik Deutschland), Slg. I 1992, 203 Rn. 12. 273 Deutlich Kenntner, NVwZ 2003, 821/824. 274 Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 45. 275 Zum Ganzen Huster, Rechte und Ziele, S. 129 ff. 276 Gentz, NJW 1968, 1600/1601.

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des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes steht in sehr krassem Gegensatz zur differenzierten Lehre Lerches277 , die den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (nicht einmal) bei allen Grundrechtsgewährleistungen gleich stark wirken lassen will.278 Es liegt daher auf der Hand, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf seine charakteristischen Strukturen zurückzuführen ist, so daß (wieder) objektive Kriterien zur Auflösung von Kollisionslagen zur Verfügung stehen. Es ist zu zeigen, daß nicht jede Relation zweier (beliebigen) Größen mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beurteilt werden kann. Es gibt Konstellationen, in denen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht durchführbar ist: Nach einhelliger Auffassung hat eine Strafe schuldangemessen zu sein. Oft wird dieser Grundsatz der Schuldangemessenheit der Strafe unmittelbar aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleitet.279 Zwar kann man auch hier formulieren, daß die Strafe das Mittel ist, den Zweck einer gerechten Bestrafung zu erreichen. Allerdings liegt ein anderes Zweck-Mittel-Verhältnis vor als in den bisherigen Konstellationen. Zweck und Mittel lassen sich hier nicht unterscheiden. Es stehen sich in dieser Formulierung gerade nicht Schuld und Strafe gegenüber, sondern es wird nach einer Definition gesucht, um das richtige Ausmaß der Strafe zu finden.280 Die Schuldangemessenheit ist kein Rechtsgut, welches den durch die Strafe eingeschränkten Rechten des Straftäters entgegengestellt werden könnte.281 Es geht gerade nicht um den Ausgleich kollidierender Güter. Die Schuld und die Höhe der Strafe sind vielmehr gleichgerichtet. Sie werden nicht gegeneinander abgewogen, da sie jeweils kein Schwellengewicht relativ zueinander entfalten. Es wird beim Vergleich von Schuld und Strafe nicht nach einer Vorrangrelation gesucht,282 sondern danach, ob Schuld und Strafe sich entsprechen. Zwar geht es auch hier um die Beurteilung einer Relation, doch werden zwei Größen ins Verhältnis gesetzt, die in keinem Konflikt stehen, sondern die gleiche Zielrichtung aufweisen. Die Abwägung dient der Lösung einer Verteilungsproblematik. Bei der Frage, ob Strafe schuldangemessen ist, geht es hingegen nicht um eine solche Problematik.283 Das Mittel der Strafe wird nicht mit seinem Zweck ins Verhältnis gesetzt, sondern an einen Maßstab284 – die Schuld – angelegt. 277 Lerche,

Übermaß, S. 140 ff. scheint es aber Lerche darum zu gehen, das Gewicht der kollidierenden Interessen richtig zu bestimmen. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung wird hierdurch aber nicht prinzipiell ausgeschlossen. 279 BVerfGE 6, 389/439; 25, 44/54; 34, 261/267; Grabitz, AöR 98 (1973), 568/614; Ress, Verhältnismäßigkeit, S. 27 f.; Stern, StaatsR I, § 20 IV 7 a) δ (S. 863 f.); vgl. Wieacker, FS-Fischer, S. 869 f. 280 Huster, Rechte und Ziele, S. 134, 543. 281 Huster, Rechte und Ziele, S. 140. 282 Huster, Rechte und Ziele, S. 145. 283 Huster, Rechte und Ziele, S. 144. 284 Stratenwerth, Tatschuld, S. 27 f. 278 Tatsächlich

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Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann nur zur Bestimmung der Vorrangrelation im Falle der Kollision von Rechten herangezogen werden. Als solche Gesichtspunkte müßten der Freiheit des Täters allein die Größe der vom Täter ausgehenden Gefahr, der Rang der bedrohten Rechtsgüter und die Wahrscheinlichkeit der Verletzung eines Rechtsguts gegenüber gestellt werden. Daß dies in dieser Form nicht paßt, zeigt die (zugespitzte) Überlegung, daß ein immer wieder zur Verursachung von Verkehrsunfällen neigender Täter unter Umständen schwerer bestraft werden müßte als ein Mörder (ohne Wiederholungstendenzen). Da der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Relation zweier Rechtsgüter beurteilt, können strafrechtliche Kriterien wie die Unterscheidung von vorsätzlichen und fahrlässigen Straftaten nicht aufgenommen werden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erhält daher seinen Inhalt bei der Strafzumessung allein durch den Maßstab der Schuld.285 Die Prüfung der Schuldangemessenheit einer Strafe erfolgt nicht mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Abwägung), sondern stellt eine Entsprechensprüfung dar.286 Der Maßstab gibt genau vor, wann die Schuldangemessenheit der Strafe zu bejahen ist. Dieselbe Schwierigkeit begegnet auch im vielfach eingriffsneutralen Gebührenrecht.287 Dort muß zwischen Leistung und Gegenleistung ein richtiges Verhältnis bestehen. Zwischen diesen beiden Größen kann aber nicht sinnvoll abgewogen werden. Eine Abwägung kann allenfalls zwischen den tatsächlich kollidierenden Interessen des Staates, Einnahmen zu erzielen, und dem Interesse des Bürgers, nicht finanziell belastet zu werden, stattfinden. Sobald aber diese Kollision dahingehend aufgelöst ist, daß die Gegenleistung zum Wert der Leistung äquivalent sein muß, bleibt für eine (erneute) Abwägung kein Raum.288 Die Begrenzung der Höhe der Gebührenschuld wird nicht derart begründet, daß in der Verhältnismäßigkeitsprüfung gefragt wird, ob dem Interesse des Staates an der Finanzierung seiner Leistungen bei der Bestimmung der Vorrangrelation höheres Gewicht zuzusprechen ist als dem Interesse des Gebührenschuldners, von der Zahlung verschont zu bleiben. Es wird auf Maßstäbe zurückgegriffen, die eine Interessenabwägung erübrigen.289 Wenn z. B. ein Bauherr anläßlich der Änderung einer baulichen Anlage, die Kosten i. H. v. ¤50.000 verursacht, einen Geldbetrag i. H. v. ¤100.000 zur Erfüllung der Stellplatzverpflichtung nach Bauordnungsrecht aufwenden muß, beurteilt die Verhältnismäßigkeitsprüfung nur die Frage, ob die Herstellung von Stellplätzen mit dem damit verfolgten Zweck in einem angemessenen Verhältnis steht.290 Die hohe individuelle Belastung des Bauwilli285 Stratenwerth,

Tatschuld, S. 27. nach Huster, Rechte und Ziele, S. 142. 287 Huster, Rechte und Ziele, S. 135 ff.; 141 ff. 288 Huster, Rechte und Ziele, S. 141 f. 289 Huster, Rechte und Ziele, S. 160. 290 Vgl. Lücke, DÖV 1974, 769/770. 286 Begriff

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gen kann nicht ohne weiteres in der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden. Dies ist nur mit Hilfe von (Zumutbarkeits-) Erwägungen möglich, die gerade keine Relation zweier Größen voraussetzen, sondern einseitig subjektiv verstanden werden.291 Auch im Abgabenrecht oder auf dem Gebiet der Zwangsvollstreckung, wo der Staat eine neutrale Mittlerrolle einnimmt, erweist sich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Problemlösungsverfahren ungeeignet.292 Nicht jede Relation zweier Größen kann folglich von einer Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abwägung) erfaßt und durch sie beurteilt werden. Vielmehr ist hiervon die Entsprechensprüfung streng zu unterscheiden. Diese beurteilt zwar ebenfalls eine Relation, muß hierfür aber einen Maßstab liefern. Hingegen ist es falsch, Schwierigkeiten bei der Begründung des Maßstabs mit Hilfe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung und der ihr scheinbar zukommenden Autorität293 zu überspielen. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung kann allein bei einer Kollision von Rechten vorgenommen werden. Eine solche Kollision ist nur gegeben, wenn der Zweck und die ihm zugrunde liegende Tätigkeit sich voneinander trennen lassen. Es handelt sich um externe Zwecke.294 In diesen Fällen liegt eine Beziehung von Ursache und Wirkung vor. Daneben existieren aber auch Zwecke, die selbst die Tätigkeit sind bzw. in dieser selbst liegen. Eine Ursache-Wirkung-Beziehung läßt sich nicht feststellen. Hier scheitert eine Unterscheidung von Tätigkeit und Zweck; eine Kollision läßt sich nicht ausmachen.295 4. Zwischenergebnis Die Übertragung der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf außerhalb der grundrechtlichen Eingriffsdogmatik befindliche Fallkonstellationen ist prinzipiell möglich. Um eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen zu können, ist kein Eingriff in einen grundrechtlich geschützten Freiheitsraum erforderlich, sondern es genügt ein Eingriff in gleich welchen abgegrenzten Rechts- oder Kompetenzbereich.296 Das Lösungsverfahren ist in allen Fällen als Verhältnismäßigkeitsprüfung zu bezeichnen. Einzig notwendige Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist das Vorliegen einer Kollisionslage. Zur

291 Ossenbühl,

Zumutbarkeit, S. 321; Lücke, DÖV 1974, 769/770. JZ 1974, 279/284 f.; allgemein Lerche, Übermaß, S. 140, 179 f.; Lücke, DÖV 1974, 769/769; Selmer, Steuerinterventionismus, S. 286. 293 Huster, Rechte und Ziele, S. 147. 294 Huster, Rechte und Ziele, S. 148. 295 Sog. „interne Zwecke“. Vgl. Aristoteles, Eth. Nic., I 1 (1094 a); Huster, Rechte und Ziele, S. 147 ff. m. w. N. 296 So auch Sachs in: Sachs, GG, Art. 20 Rn. 70; Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 III Rn. 308. 292 Gaul,

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Bezeichnung der miteinander kollidierenden Prinzipien hat sich die Terminologie „Zweck“–„Mittel“ durchgesetzt.297 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kann jedoch nicht zur Lösung eines jeden verfassungsrechtlichen Problems herangezogen werden. Seine Herleitung aus Prinzipienkollisionen führt zu einer Beschränkung und zugleich präzisen Festlegung des Anwendungsbereichs. Er kann – will er nicht zu irrationalen und oberflächlich allgemeinen Billigkeitsüberlegungen verkommen – nur zur Problemlösung beitragen, wenn eine Kollision von Rechten tatsächlich vorliegt.298 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz weist damit eine Prägung durch eine grundsätzliche Relativität auf.299 Er geht von zwei Größen aus, nämlich dem Mittel und dem mit diesem verfolgten Zweck, und setzt beide in eine Beziehung zueinander. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung dient dazu, diejenige Bedingung zu formulieren, unter welcher das einem Recht zugrunde liegende Prinzip Vorrang vor dem anderen beansprucht (Vorrangrelation). Die Besonderheiten des Gewährleistungsgehalts der kollidierenden Rechte können nur bei einer wertenden Güter- und Interessenabwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Tragen kommen.300 Geeignetheit- und Erforderlichkeitsprüfung betreffen dabei tatsächliche Fragen, die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Abwägung) normative Erwägungen. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung bezeichnet die formale Struktur eines Konfliktlösungsmechanismus.301 Dieser wird in der Regel nur im Bereich der Grundrechtsdogmatik als Verhältnismäßigkeitsprüfung bezeichnet. Damit ist aber keine strukturell andere Prüfung als außerhalb der Grundrechtsdogmatik verbunden. Die Beschränkung der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf Eingriffe in Freiheitsrechte dient nach der herrschenden Auffassung dazu, den unterschiedlichen inhaltlichen Maßstab der Prüfung deutlich zu machen. Der im Bürger-StaatVerhältnis angesiedelte Zielkonflikt wird von völlig anderen Wertungen geprägt als ein Konflikt zwischen zwei Hoheitsträgern. Während es im innerstaatlichen Bereich lediglich darum geht, Aufgaben zu verteilen, schützen die Grundrechte einen Freiheitsraum des Bürgers. Die Abwägung verarbeitet aber auch andere Zielkonflikte. Die formale Struktur der Prüfungen bleibt unverändert. Die erforderlichen inhaltlichen Differenzierungen können und müssen innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen werden. In beiden Fällen ist allein das Vorliegen eines Prinzipienkon297 Grabitz, AöR 98 (1973), 568/575; Huster, Rechte und Ziele, S. 129; Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 16. Das BVerfG (E 7, 377/407) formuliert ebenfalls auf diese Weise. Zur Terminologie vgl. die Übersicht bei Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 15. 298 Vgl. Wendt, AöR 104 (1979), 414/458. 299 Lücke, DÖV 1974, 769/770. 300 Vgl. Wendt, AöR 104 (1979), 414/448 ff. 301 Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 72: „darüber, was im einzelnen Fall verhältnismäßig ist, sagt das Prinzip nichts“; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 77 ff.; anders Jescheck/Weigend, Strafrecht, AT, S. 27; Larenz, Methodenlehre, S. 412, einschränkend aber auf S. 413.

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flikts entscheidend. Durch ein solches Schwellengewicht sind die Grundrechte gekennzeichnet.302 Sie berücksichtigen – einer bestimmten Person zugeordnet – auf besondere Art die Interessen des Berechtigten, indem sie zugunsten dessen Position ein bestimmtes Gewicht entfalten. In ähnlicher Weise, nur eben im staatlichen Bereich, entfalten aber auch abgegrenzte Kompetenzbereiche ein Schwellengewicht. Sie werden ebenfalls einem bestimmten Rechtssubjekt zugeordnet. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist folglich auch dann stets anwendbar, wenn es um die Zulässigkeit von Beeinträchtigungen autonomer Rechts- oder Kompetenzsphären geht. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt einen ubiquitären Entscheidungsmodus zur Lösung von Prinzipienkonflikten dar. Dabei ist freilich nicht stets eine identische Prüfung vorzunehmen. Die Abwägung als die eigentliche Ebene normativer Kollisionsauflösung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung beschreibt selbst nur ein Verfahren und muß mit Maßstäben aufgefüllt werden, die sich aus dem rechtlichen Umfeld ergeben. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz steht nie allein, sondern erlangt immer nur in Bezug auf konkrete kollidierende Positionen seine Bedeutung. Er ist in dem Sinne akzessorisch, daß er als formelles Prinzip mit den Wertungen des jeweiligen rechtlichen Zusammenhangs inhaltlich aufgefüllt wird. Damit werden die Unterschiede zwischen dem Verhältnis Bürger–Staat und Staat–Staat nicht eingeebnet. Auch im Bereich der Grundrechte sind für Eingriffe nicht stets dieselben Maßstäbe anzulegen. Eingriffe in Art. 5 Abs. 3 GG sind z. B. deutlich schwerer zu rechtfertigen als Eingriffe in Art. 2 Abs. 1 GG. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt ein formelles Konfliktlösungsprinzip dar, welches Rationalitätskriterien liefert,303 jedoch externer inhaltlicher Maßstäbe bedarf. So sind stets die jeweils konkreten Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen. Auf diese Weise wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu einem leistungsstarken Verfahren, welches situative Differenzierungen gestattet und einzelfallangepaßte Lösungen ermöglicht, die jedoch nicht der Willkür des Rechtsanwenders anheim gestellt, sondern in einem strukturierten Entscheidungsverfahren gefunden werden. II. Struktur der Abwägung Offen geblieben ist bislang, wie die Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen hat.304 Eine Abwägung muß zweifellos alle relevanten Umstände des Einzelfalles berücksichtigen. Hieraus jedoch ein Pauschalurteil zu folgern, indem alle diese Umstände einheitlich und im Zusammenhang abge302 Dworkin,

Bürgerrechte, S. 159; Huster, Rechte und Ziele, S. 96; Lerche, Übermaß, S. 40. Rechtsstaat, S. 252 f.; Sommermann in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20 I Rn. 39. 304 Huster, Rechte und Ziele, S. 96: Rechte sagen selbst nichts darüber aus, wie groß das Schwellengewicht ist. 303 Sobota,

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wogen werden, führt zu einer Verdeckung der eigentlichen Entscheidungsstruktur. Ein auf diesem Weg gewonnenes Ergebnis setzt sich zu Recht dem Vorwurf aus, allein der Willkür der entscheidenden Person zu entspringen. Unverzichtbar ist es daher, die einzelnen Schritte einer Abwägung zu bestimmen und sie bei der Entscheidung offen zu legen.305 1. Bestimmung der kollidierenden Prinzipien In einem ersten Schritt sind die miteinander kollidierenden Prinzipien zu bestimmen. Der Konflikt muß nach einer sorgfältigen Analyse des Sachverhalts präzise dargestellt werden.306 An dieser Stelle auftretende Probleme resultieren aus der Komplexität der tatsächlichen Verhältnisse, spezifisch rechtliche Probleme sind noch nicht zu lösen. Schon die Feststellung, ob überhaupt eine Kollisionslage vorliegt, ist nicht ohne weiteres vorgegeben, sondern bereits selbst Gegenstand der Interpretation.307 Es genügt nicht, ein möglicherweise beeinträchtigtes Recht auf Freiheit schlechthin anzunehmen. Hieraus läßt sich weder ein spezifisches Schwellengewicht entwickeln noch die erforderliche Vorrangrelation bilden. Es muß also genau bestimmt werden, welchen Bereich der Freiheitsgewährleistung das kollidierende Gut betrifft. Diese Zuordnung muß konsequent auf allen drei Stufen der Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgehalten werden.308 Jede der Stufen beurteilt dieselbe Relation, nimmt diese Beurteilung jedoch unter einem anderen Gesichtspunkt vor. 2. Relative Gewichte der kollidierenden Prinzipien und ihr Vergleich An die Feststellung, welche Prinzipien im zu beurteilenden Sachverhalt miteinander kollidieren, schließt sich die Frage an, wie die Kollision aufzulösen ist. Erforderlich ist, das Gewicht beider Prinzipien festzulegen. Dabei werden nicht abstrakte Größen miteinander verglichen, sondern es wird ermittelt, wie gewichtig die jeweils konkret betroffenen Prinzipien sind, in welchem Umfang sie berührt werden und welche Relation zwischen dem beeinträchtigten und dem geförderten Gut besteht.309 Grundsätzlich wird sich die Feststellung eines abstrakt-generellen Vorrangs eines Prinzips nicht treffen lassen.310 Die Aufstellung einer kardinalen Skala der 305 Hubmann,

FS-Schnorr v. Carolsfeld, S. 177 ff. AöR 104 (1979), 414/458. 307 Ossenbühl, Abwägung, S. 32. 308 Huster, Rechte und Ziele, S. 131. 309 Vgl. Sobota, Rechtsstaat, S. 516. 310 Von der Gleichwertigkeit aller Grundrechte gehen z. B. aus: Wendt, AöR 104 (1979), 414/420; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, 304 ff. und 443 ff. 306 Wendt,

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

Verfassungsgüter ist von niemandem zu leisten.311 Es kann daher stets nur um eine relative Gewichtung gehen. Die Abwägung beschränkt sich darauf, ein Interesse oder Gut gerade im Verhältnis zu einem anderen einer Bewertung zu unterziehen. Sie zielt gerade nicht auf eine abstrakte Werteordnung, aus welcher das Ergebnis einer Interessenkollision wie die Temperatur auf einem Thermometer abgelesen werden könnte.312 Es geht auch nicht um eine quantifizierbare Größe, sondern um das Ergebnis einer Bewertung. Diese muß an der konkreten Situation und nicht an einem allgemeinen Maßstab ausgerichtet sein.313 Deshalb scheitert jeder Versuch einer mathematischen Vorgehensweise.314 Stets ist also für den konkret zu beurteilenden Fall eine relative Wertigkeit zu bestimmen. Die Abwägung ist damit insoweit einzelfallbezogen und erfordert die Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Sachverhalts.315 Nur die relativen Gewichte der konfligierenden Prinzipien können miteinander verglichen werden. Es kommt nicht nur darauf an, welche Argumente für ein Interesse sprechen, sondern vor allem darauf, welches Verhältnis zwischen den einzelnen Interessen und Gesichtspunkten besteht.316 Dieses läßt sich als bedingte Vorrangrelation ausdrücken, aus der Regeln folgen, wonach die Rechtsfolge desjenigen Prinzips angeordnet wird, welchem im Vergleich zu den kollidierenden Prinzipien das höhere Gewicht zukommt.317 Die Festlegung der Vorrangrelation stellt den Kern der Güterabwägung dar. Sie erst ermöglicht es, zu einer subsumierbaren Fallösungsregel zu gelangen.318 Die Vorrangregeln bedürfen jedoch ihrerseits der Begründung. Dem liegt ein rationaler Vorgang zugrunde. Das Abwägungsgesetz trifft die Aussage darüber, wie abzuwägen ist und wie die richtigen Wertigkeiten festgesetzt werden.319 Abwägungsspezifische Argumente zeichnen sich dadurch aus, daß sie um so gewichtiger sein müssen, je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist (Abwägungsgesetz).320

311 Larenz, Methodenlehre, S. 404 f.; Schlink, Abwägung, S. 130 ff. m. w. N.; ausführlich Alexy, Theorie, S. 138 ff. 312 Wendt, AöR 104 (1979), 414/479. 313 Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 79; Huster, Rechte und Ziele, S. 430; Larenz, Methodenlehre, S. 404 f. 314 Diesen Versuch unternimmt jedoch Hubmann, FS-Schnorr v. Carolsfeld, S. 173 ff. Auch Hubmann sieht sich dann aber gezwungen, sein aus mathematischen Regeln folgendes Ergebnis „auf Grund einer gefühlsmäßigen Gesamtschau“ (S. 197) zu überprüfen. 315 Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 85; Ossenbühl, Abwägung, S. 27 und v. a. S. 30; Stern, StaatsR III/2, § 84 II 6. h) (S. 834). 316 Hubmann, FS-Schnorr v. Carolsfeld, S. 178; Wendt, AöR 104 (1979), 414/459. 317 Alexy, Theorie, S. 144 und oben § 3 B. I. 3. (S. 101). 318 Vgl. Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 22 f. und 58; Alexy, Theorie, S. 146: Bereits durch den Begriff des Prinzips wurde das, was durch das jeweilige Prinzip geboten wird, in eine Relation zu dem, was durch gegenläufige Prinzipien geboten wird, gesetzt. 319 Alexy, Theorie, S. 148. 320 Vgl. oben § 3 B. III. (S. 108).

C. Dogmatische Struktur

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Die Durchsetzung eines Verfassungswertes hängt nicht nur von seinem eigenen Rang, sondern maßgeblich auch von dem Rang der konfligierenden Werte ab.321 Stets ist zu berücksichtigen, wie stark im konkreten Einzelfall ein Wert betroffen ist. Intensität und Dauer der Beeinträchtigung spielen bei der Festlegung der Vorrangrelation eine entscheidende Rolle.322 Das Abwägungsgesetz macht deutlich, daß es gerade auf die Intensität der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips aufgrund des Gewichts des anderen ankommt.323 Problematisch ist freilich, daß auch im konkreten Einzelfall eine Metrisierung in der Regel unmöglich ist. Ein intersubjektiv zwingendes Ergebnis kann die Abwägung mithin nicht liefern.324 Zwar kann recht schnell begründet werden, daß den Freiheitsrechten ein gewisses Schwellengewicht zukommt. Dessen Größe hingegen läßt sich nicht ohne weiteres bestimmen. Die Gewichtsbestimmung kann erst vorgenommen werden, wenn die Abwägungsregel mit von außen kommenden Maßstäben aufgefüllt wird.325 Die Abwägung ist insoweit akzessorisch. Das Abwägungsgebot als Verfahrensgebot betrifft nicht die Erkenntnis der Entscheidungsvoraussetzungen.326 Das in die Abwägung einzustellende spezifische Schwellengewicht kann sich stets nur aus dem Stellenwert und der Funktion der jeweils konkret betroffenen Freiheit ergeben.327 Es folgt aber auch nicht aus der Freiheitsgewährleistung selbst. Von außen kommende Maßstäbe zeichnen die verschiedenen Teile der Freiheitsgewährleistung als unterschiedlich bedeutsam aus (Kernbereich/Randbereich) und sprechen ihnen so ein bestimmtes Gewicht zu.328 Heranzuziehen ist ein Beurteilungsmaßstab als eine dritte – von außen kommende – Größe, der den Rechtsanwender in die Lage versetzt, die Relation zwischen den Gütern derart herzustellen, daß eine Bewertung möglich ist.329 Der Beurteilungsmaßstab ist aus dem jeweiligen rechtlichen Umfeld zu gewinnen, im Bereich der Grundrechte (z. B. bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes) also aus der grundgesetzlich vorgegebenen Ordnungs- und Wertstruk-

321 Schlink,

Abwägung, S. 133. Verhältnismäßigkeit, S. 22 f.; 58; Jakobs, DVBl. 1985, 97/98; Wendt, AöR 104 (1979), 414/457 ff.; vgl. Schlink, Abwägung, S. 140 („Verwirklichungsintensität“). 323 Alexy, Theorie, S. 149 ff. 324 Alexy, Theorie, S. 149. 325 v. Hippel, Grenzen, S. 31 f.; Hirschberg, Verhältnismäßigkeit, S. 75 ff.; Huster, Rechte und Ziele, S. 112; v. Krauss, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 14; Leisner, HdbStR VI, § 149 Rn. 145 (S. 1079 f.); Lerche, Übermaß, S. 19. 326 Leisner, HdbStR VI, § 149 Rn. 145 (S. 1080): formales Instrument, kein materieller Wertbegriff. 327 Huster, Rechte und Ziele, S. 104. 328 v. Hippel, Grenzen, S. 32 f., 38, Fn. 70, 39 f.; Huster, Rechte und Ziele, S. 104; Wendt, AöR 104 (1979), 414/462. 329 Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 24; Stern, StaatsR III/2, § 84 I 2 (S. 784). 322 Jakobs,

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

tur.330 Tertium comparationis ist das verfassungsrechtliche Gewicht der abzuwägenden Interessen.331 Die Güter sind an dieser dritten Größe abzuwägen.332 Erst hierdurch wird das Grundrecht als solches operationalisierbar; die betroffene Teilgewährleistung erhält ihr Gewicht und ihre abwägungsfähige Position. Die Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung stellt folglich ein akzessorisches Verfahren dar.333

D. Einordnung der Kompensation in die Verhältnismäßigkeitsprüfung Bei der Untersuchung, auf welche Weise einerseits der Gedanke der Kompensation, andererseits das Verhältnismäßigkeitsprinzip zur Rechtfertigung von Beeinträchtigungen abgegrenzter Rechts- oder Kompetenzbereiche herangezogen werden kann, war festzustellen, daß beide Rechtsfiguren formale Problemlösungsverfahren darstellen. Beiden ist gemein, daß sie als formale Instrumente nur Verfahrensgebote enthalten,334 die in den konkret aufzuhellenden Normbezug hineinzunehmen sind (vgl. die sog. Akzessorietät des Verhältnismäßigkeitsgebots335 ). Erst aus diesem ergeben sich die normativen zur eigentlichen Lösung heranzuziehenden Erwägungen. Noch offen blieb bislang das Verhältnis der beiden Rechtsfiguren zueinander (§ 3 D. I. [S. 143]). Es ist überaus fraglich, ob sie als unterschiedliche Argumentationsfiguren einfach zusammenhanglos nebeneinander stehen. Vielmehr ist es denkbar, den Kompensationsgedanken in der Verhältnismäßigkeitsprüfung i. e. S. (Abwägung) zu verorten. So könnte der Kompensationsgedanke eine – sogar notwendige – Ergänzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellen. Dies wäre anzunehmen, wenn dem gewandelten Verständnis der Grundrechte vom klassischen Abwehrrecht zum sozialen Leistungs- und Teilhaberecht gerade

330 Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 24; Jakobs, DVBl. 1985, 97/98; Larenz, Methodenlehre, S. 414; Stern, StaatsR III/2, § 84 I 2 e) (S. 785); ähnlich Sobota, Rechtsstaat, S. 246. So hat z. B. der Schutz des Lebens (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) Vorrang vor der Gewährleistung anderer Freiheiten. Das BVerfG (BVerfGE 7, 198/208) sieht z. B. das Grundrecht auf Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Var. 1 GG), als „[f]ür eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung [. . . ] schlechthin konstituierend“ an. 331 Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 25; Stern, StaatsR III/2, § 84 I 2 f) (S. 785); Wendt, AöR 104 (1979), 414/456. 332 Stern, StaatsR III/2, § 84 I 2 f) (S. 785); ähnlich Hubmann, FS-Schnorr v. Carolsfeld, S. 178. 333 Vgl. Scholz, NJW 1983, 705/709. 334 Leisner, HdbStR VI, § 149 Rn. 145 (S. 1079 f.). 335 Scholz, NJW 1983, 705/709 und oben § 3 C. II. 2. (S. 141).

D. Einordnung der Kompensation

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unter Heranziehung des Kompensationsgedankens im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung getragen werden müßte (§ 3 D. II. [S. 147]).336 Über diese eher spezielle Erwägung hinaus ist ganz allgemein die Frage zu beantworten, ob die Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung allein durch die Feststellung einer Vorrangrelation die ihr zugrunde liegende Güterund Interessenkollision und damit den Sachverhalt zutreffend und umfassend beurteilt. Dies ist schon deswegen zweifelhaft, weil die Feststellung der Vorrangrelation sich nur auf die Beurteilung einer Zweck-Mittel-Relation stützt und bestimmte Aspekte völlig ausblendet. Hieraus ließe sich folgern, daß die Verhältnismäßigkeitsprüfung i. e. S. noch der Ergänzung um weitere Aspekte – wie z. B. den der Zumutbarkeit – bedarf.337 Mit Hilfe des zusätzlichen Kriteriums der Zumutbarkeit ließen sich Gesichtspunkte wie den der Kompensation erfassen, die in der Abwägung von Zweck und Mittel allein nicht berücksichtigt werden können. I. Vergleich Abwägung – Kompensation Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Kompensationsgedanke sind keine Rechtsfiguren, die einen Werteinhalt und damit einen Beurteilungsmaßstab in sich tragen. Eine solche normative Formel würde eine Richtlinie darstellen, welche die Entscheidung des Normanwenders antizipiert.338 Weder der Kompensationsgedanke noch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt aber selbst eine solche Wertung zur Verfügung. Beide sind für sich genommen inhaltsleer und völlig wertfrei. Sie sind daher nicht in der Lage, die Beurteilung eines Einzelfalles zu antizipieren,339 sondern sie stellen eine Handlungsanweisung zur Lösung eines Problems dar, nicht die Problemlösung selbst. Insofern liegen keine normativen, sondern regulative Rechtsprinzipien vor. Einen Mangel des einen oder anderen der regulativen Rechtsprinzipien kann hierin jedoch nur erblicken, wer von falschen Erwartungen ausgeht: Wer die Rechtsfigur der Kompensation und/oder den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als normative Grundsätze auffaßt, überschätzt ihre Leistungskraft.340 Jedoch stellen sie wichtige Instrumente dar, den Rechtsanwender zur Erarbeitung eines konkreten Entscheidungsinhalts anzuleiten.341 Insoweit sind sie leistungsfähige Rechtsfiguren.

336 Scholz,

Mitbestimmung, S. 110 f. und Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 156 ff.: Prinzip der Kompensation als allgemeine Funktionsmaxime der sozialen Rechtsstaatlichkeit. 337 Vgl. Huster, Rechte und Ziele, S. 157; anders Ossenbühl, Zumutbarkeit, S. 315 ff. 338 Vgl. Henkel, FS-Mezger, S. 303. 339 Henkel, FS-Mezger, S. 303 f. 340 Henkel, FS-Mezger, S. 304. 341 Henkel, FS-Mezger, S. 304.

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

Zur Fallösung ist daher in beiden Fällen ein normativer Bezugspunkt erforderlich, der den zur Bewertung erforderlichen externen Maßstab liefert. Bereits zur präzisen Beschreibung des Problems – bei der Kompensation den defizitären Rechtszustand, bei dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Rechtsbeeinträchtigung aufgrund einer Kollision von Rechten – muß eine erste Wertung vorgenommen werden, indem ein normativer Bezugspunkt einer höheren Normebene herangezogen wird.342 Bei der Verhältnismäßigkeit wird das Gewicht der beiden kollidierenden Güter verglichen. Es kommt darauf an, welchem Gut ein höheres Gewicht zukommt, so daß es das kollidierende andere überwiegt und ihm vorgeht. Verglichen wird somit die Wertigkeit der kollidierenden Güter. Betrachtet man beide Werte, tritt das geringwertigere Gut in dem Umfang der Differenz der beiden Werte zurück. Hierdurch wird eine wertungsmäßig stimmige Lösung erreicht. Es findet kein Ausgleich der wertungsmäßigen Differenz statt. Zwar ist auch die Abwägung darauf bedacht, durch Harmonisierung der abwägungsrelevanten Faktoren zu einem Ausgleich zu kommen. Im Ergebnis muß aber stets eine Position zurücktreten. Die Kompensation stellt ein von der Abwägung grundlegend verschiedenes Argumentationsmodell dar, weil sie sich auf die tatsächliche Behebung eines als defizitär erkannten Rechtszustands beschränkt, der zugleich den Maßstab für den Ausgleich liefert. Die Schaffung des Ausgleichs nach dem Äquivalenzprinzip der Kompensation stellt keine Wertungsentscheidung dar, welche einem von zwei konfligierenden Rechtsgütern den Vorrang einräumt. Die Kompensation vergleicht den defizitären Rechtszustand mit einem dritten, von außen kommenden Mittel. Es werden keine kollidierenden Güter einander gegenüber gestellt, sondern es wird der Wert eines nur unzureichend verwirklichten Gutes mit ei342 Vgl. oben § 2 C. I. 1. (S. 63) „defizitärer Rechtszustand“. Die Notwendigkeit, bereits hier erste normative Erwägungen anzustellen, d. h. daß selbst die Kollisionslage bzw. der defizitäre Rechtszustand nicht von vornherein feststeht, wird z. B. deutlich bei der Frage, ob eine Kollision der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG mit dem Eigentumsrecht des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG auch dann noch vorliegt, wenn derjenige, der die Kunstfreiheit für sich in Anspruch nimmt, fremdes Eigentum beschädigt (vgl. den Fall „Sprayer von Zürich“, BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1984, 1293). Hier wird vertreten, daß schon gar keine Kollision verschiedener grundrechtlicher Gewährleistungen vorliege, da die Inanspruchnahme fremden Eigentums schon vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG nicht erfaßt sei (BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1984, 1293/1294; BVerwG, NJW 1995, 2648/2648 f.; Henschel, Kunstfreiheit, S. 22 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 616; Wendt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 5 Rn. 90 ff.). Freilich liegt einem solchen Konzept an sich ebenfalls eine Abwägung und damit abstrakte Konfliktlösung zugrunde, eingehend Isensee, AfP 1993, 619/619 ff. Bei dem Fall „Sprayer von Zürich“ könnte auch die Eröffnung des Schutzbereichs angenommen und erst im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung die dann vorliegende Kollision zwischen Art. 5 Abs. 3 GG und Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG durch eine Abwägung und Herstellung der praktischen Konkordanz aufgelöst werden. Wie in anderem Zusammenhang ausgeführt (oben § 3 B. I. 2. [S. 96]), ist eine solche Lösung vorzuziehen, weil nur sie der grundgesetzlichen Schrankensystematik entspricht. Außerdem könnte sonst die Kunstfreiheit beschränkt werden, ohne daß die strengen Anforderungen an die Einschränkung vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte eingehalten werden müßten.

D. Einordnung der Kompensation

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ner dritten Größe in Beziehung gesetzt. So wird geschaut, ob die Differenz zum Soll-Zustand durch das Kompensationsmittel einen Ausgleich erfährt. Ein Unterschied liegt zunächst darin, daß bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Feststellung ausreicht, welches Recht überwiegt und daher im konkreten Fall Vorrang beansprucht. Unerheblich ist, um wieviel die Bedeutung des einen Rechts überwiegt. Es kommt nicht darauf an, ob das Recht auch dann noch Vorrang hätte, wenn es mit einem anderen, bedeutenderen Recht kollidiert. Bei der Kompensation hingegen ist eine präzisere Bestimmung der Werte vonnöten. Ein Kompensationsmittel kann einen defizitären Rechtszustand erst dann ausgleichen, wenn es vollständig äquivalent zu dem Defizit ist. Anders als bei einer Verhältnismäßigkeitsprüfung kann man sich nicht damit begnügen, daß die Wertigkeit des mit dem eingreifenden Akt verfolgten Guts jedenfalls den Wert des berührten überwiegt. Dies mag in Fällen funktionieren, in denen eine Überkompensation vorliegt. Wird jedoch ein Kompensationsmittel untersucht, welches kein vollständiges Äquivalent darstellt, muß die Zulässigkeit des nicht kompensierten Defizits weiter untersucht werden. Die Intensität des trotz Kompensation verbleibenden Defizits muß hierfür genau bekannt sein. Der maßgebliche Unterschied ist ein struktureller: In beiden Fällen wird zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks in ein Gut eingegriffen (defizitärer Rechtszustand bzw. Kollisionslage). Die Kompensation legt bei isolierter Betrachtung des als defizitär erkannten Rechtszustandes den Schwerpunkt auf das Kompensationsmittel. Es tritt ein drittes Mittel hinzu, das einen zweiten Rechtsrahmen bildet. Anhand dieses Mittels, welches auf den defizitären Rechtszustand einwirkt, wird die Zulässigkeit der das Defizit verursachenden Maßnahme beurteilt. Der defizitäre Rechtszustand ist zugleich maßstabgebend für die Art und den Umfang der erforderlichen Ausgleichsleistung.343 Eine Vorrangentscheidung muß hier gerade nicht getroffen werden. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung fehlt es hingegen an einem solchen dritten Mittel. Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Kompensation eine Kollisionslage auflöst, die Lösung mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hingegen die Konfliktlage beseitigt. Das heißt: Bei der Kompensation entfällt durch die Vornahme des Ausgleichs die Kollisionssituation selbst. Im Idealfall eines vollständigen Ausgleichs stehen sich keine konfligierenden Interessen mehr gegenüber, da jedem zur vollständigen Durchsetzung verholfen wurde und jedes vollständig befriedigt ist. Daran ändert sich im Falle eines nur teilweisen Ausgleichs nichts. Zu berücksichtigen ist sicherlich, daß nur im seltensten Falle die Idealsituation eines vollständigen Ausgleichs vorliegen wird. Fast immer wird ein Aspekt vorhanden sein, den das Kompensationsmittel nicht, zumindest nicht vollumfänglich, 343 Voßkuhle,

Kompensationsprinzip, § 2 III 1 (S. 48).

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

auszugleichen vermag. Das Beispiel der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) läßt dies deutlich werden: Zwar kann der wirtschaftliche Verlust einer Beschränkung des Eigentums durch eine Inhaltsund Schrankenbestimmung finanziell ausgeglichen werden. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG enthält aber in erster Linie eine Bestands- und keine Wertgarantie des Eigentums.344 Zu berücksichtigen ist daher nicht nur das Interesse des Eigentümers am Vermögenswert seines Eigentumsgegenstands, sondern auch daran, genau diesen Gegenstand als Eigentum zu behalten (Bestandsgarantie). Hier liegt daher entgegen dem ersten Anschein eine Teilkompensation vor, der sich – aufgrund der nach wie vor bestehenden, wenn auch veränderten Interessenkollision – eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zwingend anschließen muß. Bei dem verbleibenden Konflikt handelt es sich selbstverständlich noch um die Kollision derselben Interessen, jedoch wurde durch die Kompensation die Basis der Interessenkollision verändert. Zwar wird durch die Kompensation nicht das Gewicht, d. h. die Wertigkeit eines kollidierenden Prinzips, wohl aber der Konflikt in seinem Ausmaß verringert. Hinsichtlich des nicht kompensierten Rests verbleibt es bei einer Kollision. Bei der daher erforderlichen Abwägung muß allerdings die veränderte Kollisionslage Berücksichtigung finden. Die Abwägung dient der Kollisionslösung, in dem möglichst beide der sich gegenüberstehenden Interessen ihrem Gewicht entsprechend berücksichtigt werden. Das eine – teilweise kompensierte – Interesse selbst hat durch die Kompensation an Gewicht verloren. Die Kompensation hat daher Einfluß auf den einer Abwägung voraus und zugrunde liegenden Maßstab in seiner Anwendung im konkreten Fall – nicht in seiner allgemeinen Gültigkeit und Ausformung. Diese Maßstabsveränderung führt aber nicht automatisch dazu, daß sich die Kompensation in die Verhältnismäßigkeitsprüfung i. e. S. integrieren läßt. Es wäre denkbar, die Kompensation stets zur bloßen Gewichtsbestimmung der kollidierenden Rechtsgüter heranzuziehen. Eine vollständige Kompensation würde dann zu dem Gewicht eines Interesses von Null führen. Hier wird jedoch nicht berücksichtigt, daß es im Falle der vollständigen Kompensation von vornherein gar keine Interessenkollision gibt, die eine Konfliktlösung erforderlich machen würde, oder eine solche überhaupt möglich wäre. Bei teilweiser Kompensation verhält es sich im Prinzip ebenso, nur daß ein Rest verbleibt, der noch in einem Kollisionsverhältnis steht und außerdem noch bei der Kollisionslösung berücksichtigt werden muß. Die Kompensation löst die Kollisionslage deshalb bereits in ihrem Ursprung auf, weil sie beiden Interessen zur vollen Wirksamkeit verhilft. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung und die daraus folgende Vorrangrelation berücksichtigt zwar beide Interessen, kann aber im Einzelfall nie beiden zugleich zur Wirksamkeit verhelfen. Ihr fehlt hierzu das von dritter Seite kommende wei344 Vgl.

oben § 2 D. IV. 1. (S. 84).

D. Einordnung der Kompensation

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tere Element eines Kompensationsmittels, wie es die Rechtsfigur der Kompensation gerade kennzeichnet. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist beschränkt auf die Bewertung der ihr zur Beurteilung vorliegenden Rechtsgüter.345 Dieser Vergleich verdeutlicht, daß es sich bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung und dem Rechtsgedanken der Kompensation um zwei verschiedene Rechtsfiguren handelt. Insbesondere weil die Kompensation herangezogen werden könnte, um im Rahmen der Verhältnismäßigkeit die – geringere – Intensität des einen der kollidierenden Güter zu bestimmen, bleibt allerdings fraglich, ob die Kompensation eine Argumentationsfigur zur Verfügung stellt, die von der Verhältnismäßigkeitsprüfung unabhängig ist, aber doch innerhalb dieser Anwendung findet. Dies setzt voraus, daß die Abwägung um weitere Elemente ergänzt werden muß. II. Statuspositive Ergänzung der Abwägung durch den Rechtsgedanken der Kompensation Eine Ergänzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die Figur der Kompensation wird nach einer vereinzelt gebliebenen Auffassung nicht so sehr wegen der durch die Beschränkung auf eine Zweck-Mittel-Relation bedingten engen Sichtweise der Abwägung für erforderlich gehalten, sondern wegen eines gewandelten Verständnisses der Grundrechtsgewährleistungen.346 Eine allgemeine Kompensationspflicht des Gesetzgebers folge aus dessen rechts- und sozialstaatlicher Verantwortung.347 Ursprünglich diente der im Polizeirecht entwickelte348 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der Abwehr staatlicher Eingriffe und führte so zu einer rechtsstaatlichen Bindung der hohen Hand bei Eingriffen in die Rechte des Bürgers. Heute verfolgen Grundrechtseingriffe häufig einen sozialstaatlich motivierten Verteilungszweck. Auf diese Weise koinzidieren der Grundrechtseingriff und der Akt, der einem Dritten eine sozialstaatlich begründete Leistung gewährt. Solche staatlichen Maßnahmen weisen zugleich ein Eingriffselement zu Lasten des einen und ein Leistungselement zugunsten des anderen Bürgers auf. Hinsichtlich der Eingriffswirkung bleiben diese Maßnahmen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verpflichtet. Dieser kann jedoch nur einen Teilaspekt erfassen. Seine unreflektierte Anwendung wird daher nach teilweise vertretener Auffassung kritisch gesehen, da die Verhältnismäßigkeitsprüfung in der Form, wie sie bei reinen Eingriffsfällen erfolgt, unzureichend sei und den sozialstaatlich motivier345 Vgl.

hierzu Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 III 1. (S. 48). Mitbestimmung, S. 110 ff.; vgl. auch Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 156 ff. Ähnlich Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43/99 und Starck, FG-BVerfG II, S. 516 f. 347 Scholz, Mitbestimmung, S. 110 ff. Ähnlich Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43/99; Starck, FGBVerfG II, S. 517. 348 Vgl. oben § 3 C. I. 1. a) (S. 114). 346 Scholz,

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

ten Leistungszweck vereiteln könne.349 Die leistungsrechtliche Dimension werde nicht erfaßt, durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ggf. sogar derogiert. Der auf Eingriffsabwehr zielende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz störe den (sozial-) staatlichen Leistungs- und Ordnungszweck.350 Greife der Staat aus sozialen Gründen in Grundrechte ein, verlasse er zumindest teilweise die Ebene des – im Jellinek’schen Sinne – status negativus und begebe sich durch seine Leistung auf die Ebene des status positivus. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei als Begrenzung staatlicher Macht auf den status negativus bezogen. Die Aspekte des status positivus im Bereich (sozialer) staatlicher Leistungen würden nicht erfaßt. Die mit der Sozialvorsorge des Staates einhergehenden gesteigerten Eingriffsintensitäten bedürften der Kompensation im liberalen Abwehrrecht. Das Prinzip wechselseitiger Kompensation gebe sich deshalb als allgemeine Funktionsmaxime sozialer Rechtsstaatlichkeit zu erkennen. Es sei eine Ergänzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich, die diese statuspositiven Elemente der Problemlage zu berücksichtigen in der Lage ist.351 Mit anderen Worten sei auch bei dem vom Eingriff betroffenen Bürger auf die Leistungsebene (den status positivus) zu schauen. Die Defizite der „normalen“ Verhältnismäßigkeitsprüfung sollten mit Hilfe einer Kompensation ausgeglichen werden. Sie ermögliche die vollumfängliche Aufrechterhaltung der leistungsrechtlichen Dimension, da der vom Eingriff Betroffene ebenfalls eine positive Leistung erhalte und so seine Benachteiligung durch die Kompensationsleistung ausgeglichen werde. Der faktische Verlust tatsächlicher Freiheitsgewährleistung werde im status negativus durch eine staatliche Leistung im status positivus kompensiert.352 Die schematische und in heutiger Zeit unzureichende Aufteilung in die Kategorien von eingreifender Verwaltung und abwehrenden Grundrechten werde aufgebrochen und durch eine differenzierende Betrachtung ersetzt.353 Die Beziehung Staat–Bürger sei deutlich vielschichtiger geworden und lasse sich nicht mehr auf ein reines Über-/Unterordnungsverhältnis reduzieren. Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung und kulturellen Förderung der Bürger zuwende, desto mehr trete im Verhältnis zwischen Bürger und Staat neben das ursprüngliche Postulat grundrechtlicher Freiheitssicherung vor dem Staat die komplementäre Forderung nach grundrechtlicher Verbürgung der Teilhabe an staatlichen Leistungen.354 Diese Ergänzung der grundrechtlichen Gewährleistung im Schutzbereich bedürfe auch auf der Ebene der Rechtfertigung 349 Scholz,

Mitbestimmung, S. 110. Mitbestimmung, S. 111. 351 Klein, DVBl. 1981, 661/666 spricht sich gegen eine kompensierende Auswechslung beider Komponenten aus. Freilich geht es Scholz nur um eine gegenseitige Ergänzung, nicht um eine Auswechslung. 352 Scholz, Mitbestimmung, S. 111 f. und schon früher Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 156 ff. 353 Vgl. Scholz, Wirtschaftsaufsicht, S. 153 ff. 354 BVerfGE 33, 303/330 f. 350 Scholz,

D. Einordnung der Kompensation

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einer entsprechenden Anpassung. Es wird eine statuspositive Ergänzung der Verhältnismäßigkeit durch die Rechtsfigur der Kompensation vorgenommen. 1. Gewandeltes Verständnis der Wirkungsweise der Grundrechte und die Folgen für die Verhältnismäßigkeitsprüfung Ehe dieses Verständnis des Kompensationsgedankens bewertet werden kann, muß die gedankliche Grundlage – die Jellinek’sche Statustheorie sowie die Leistungsdimension der Grundrechte – herausgearbeitet werden. a) Jellineks Statuslehre als Ausgangspunkt Noch heute wird die Wirkungsweise der Grundrechtsgewährleistungen auf der Grundlage der Jellinek’schen Statustheorie erörtert.355 Die Grundrechte formen und sichern dem Bürger gegenüber dem Staat eine Rechtsstellung, an die das einzelne Recht anknüpfen kann, die aber selbst kein Recht ist. Diese Rechtsstellung kann als Zustand (Status) bezeichnet werden.356 Der Grundrechtsträger steht in verschiedenen Beziehungen (Zuständen) zum Staat. Im passiven Status (status passivus, status subjectionis) ist die Selbstbestimmung des einzelnen ausgeschlossen. Der Zustand ist dadurch gekennzeichnet, daß sich der einzelne aufgrund seiner Unterwerfung unter den Staat innerhalb der individuellen Pflichtensphäre befindet.357 Jellinek versteht darunter nicht die Gesamtheit der dem Bürger vom Staat auferlegten Gebote und Verbote oder diejenigen, die der Staat ihm hätte auferlegen können, sondern daß irgendwelche staatlichen Ge- oder Verbote bestehen, denen der Bürger unterworfen ist.358 Der Status ist als eine feste Relation gänzlich unabhängig von einzelnen aus ihm entspringenden Rechten und Pflichten.359 Zwar kann der Inhalt des Status beschrieben werden, indem die einzelnen Rechte, die an den Status anknüpfen, benannt werden. Verändert sich dieser Inhalt, bleibt der passive Status an sich jedoch derselbe.360 Bei dem passiven Status handelt es sich daher um eine Abstraktion über potentielle oder tatsächliche Rechte und Pflichten, die der Staat aufzuerlegen die Kompetenz hat.361 355 Eine kurze Übersicht findet sich bei Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 57 ff., eine ausführliche bei Alexy, Theorie, S. 229 ff. 356 Jellinek, System, S. 83 f. 357 Jellinek, System, S. 86. 358 Vgl. Alexy, Theorie, S. 230 f. 359 Jellinek, System, S. 118. 360 Alexy, Theorie, S. 231 f. 361 Auf den „Begriff potentieller Rechte und Pflichten“ stellen Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, § 32 Rn. 15 ab. Kritisch hierzu zu Recht Alexy, Theorie, S. 232, Fn. 18. Entscheidend ist, daß

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

Im negativen Status (status negativus, status libertatis) ist der Grundrechtsträger Herr über eine staatsfreie Sphäre. Diese Sphäre konstituiert sich aus für den Staat rechtlich (nicht tatsächlich!362 ) irrelevanten Handlungen des Gewaltunterworfenen.363 Der passive Status des Individuums ist nicht grenzenlos, sondern gesetzlich begrenzt. Der negative Status erfaßt in Abstraktion die Möglichkeit, eine bestimmte Kategorie von Handlungen vorzunehmen, die frei von jeglicher rechtlichen Erheblichkeit gegenüber dem Staat ist.364 Er erzeugt für das Individuum Ansprüche, daß sein negativer Status anerkannt wird und demgemäß, daß Störungen unterlassen bzw. beseitigt werden. Der negative Status besteht ausschließlich aus Freistellungen, gibt selbst jedoch kein Abwehrrecht, sondern nur die Möglichkeit, solche Abwehrrechte, die dann dem positiven Status zugehören, zu erzeugen.365 Wie schon beim passiven Status liegt auch hier eine Abstraktion vor. Wiederum ist zwischen dem negativen Status an sich und seinem Inhalt zu differenzieren.366 Positiver Status und negativer Status stehen dabei in einem Interdependenzverhältnis derart, daß eine Vergrößerung der Freiheitssphäre (negativer Status) des Bürgers automatisch zu einer Verkleinerung der Pflichten des Bürgers im passiven Status führt.367 Im vorliegenden Zusammenhang ist der positive Status (status positivus, status civitatis) von besonderer Bedeutung. Dieser kommt dem Individuum zu, sobald der Staat dem einzelnen die Freiheit zuerkennt, die Staatsmacht für sich in Anspruch zu nehmen.368 Der positive Status bildet die Basis für die Gesamtheit staatlicher Leistungen im individuellen Interesse.369 Das Individuum wird zu einem positiv berechtigten Staatsglied erhoben, wenn sein individuelles Interesse mit dem Gemeininteresse, das stets allem staatlichen Handeln zugrunde liegt, koinzidiert und diese Kongruenz vom Staat anerkannt wird.370 Das vom Staat verfolgte Gemeininteresse beinhaltet zwar zahlreiche, gewissermaßen gebündelte Einzelinteressen. Diese sind jedoch nur faktischer, nicht aber rechtlicher Natur; der einzelne hat keinen Anspruch auf staatliche Tätigkeit.371 Die rechtlich es sich nicht um die Gesamtheit der Rechte und Pflichten handelt, da diese den Inhalt des Status, nicht aber ihn selbst beschreibt. 362 Vgl. das Beispiel bei Alexy, Theorie, S. 234, Fn. 24. 363 Jellinek, System, S. 87 und 94 ff. 364 Beispiel nach Jellinek, System, S. 104: Veröffentlichung einer Druckschrift, Genuß des eigenen Weines, Spazierengehen. 365 Vgl. Alexy, Theorie, S. 233 f.; Rupp, DÖV 1974, 193/194. Der Abwehrcharakter der Grundrechte folgt also weder allein aus dem negativen Status noch allein aus dem positiven Status. Dies wird in der Literatur oft nicht mit hinreichender Präzision differenziert, z. B. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 58. 366 Vgl. Alexy, Theorie, S. 235. 367 Alexy, Theorie, S. 235 f. 368 Jellinek, System, S. 87, 114 ff. 369 Jellinek, System, S. 87. 370 Jellinek, System, S. 114. 371 Jellinek, System, S. 115 f.

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geschützte Fähigkeit, positive Leistungen vom Staat zu verlangen, folgt aus zweierlei Gesichtspunkten: zum einen aus der Tatsache, daß der Staat Ansprüche auf seine Tätigkeit gewährt („Recht auf etwas“), zum andern, daß Rechtsmittel zur Verfügung stehen, diese Ansprüche zu realisieren („Kompetenz zur Durchsetzung“).372 Wie bei den anderen Status ist auch der positive nicht mit den in ihm zusammengefaßten Rechten identisch.373 Hier stößt man auf Schwierigkeiten, die Abwehrdimension der Grundrechte aus dem negativen Status zu entwickeln. Der negative Status gewährleistet lediglich einen unbewehrten rechtlichen Freiheitsraum, während der positive Status auf positives staatliches Tun beschränkt ist. Die Abwehrfunktion der Grundrechte – heute sicherlich noch immer ihre bedeutendste Funktion – wäre danach als Anspruch auf Unterlassung keinem der Status zugeordnet. Dem kann abgeholfen werden, indem diese beiden Status im Jellinek’schen Sinne als negativer bzw. positiver Status i. e. S. bezeichnet werden und als negativer Status i. w. S. eine Erweiterung auf bewehrte Rechte auf Unterlassungen (Abwehrrechte) bzw. als positiver Status eine Erweiterung auf Rechte auf negative Handlungen erfahren.374 Im aktiven Status (Status der aktiven Zivität) schließlich befindet sich, wer die Fähigkeit vom Staat zuerkannt bekommt, für den Staat tätig zu werden.375 So bedeutend Jellineks Statustheorie zweifellos ist,376 weist sie doch Schwächen auf, die in erster Linie darauf zurückzuführen sind, daß die Theorie aus Abstraktionen über elementare Positionen besteht. Ein Problem liegt in Jellineks Freiheitsverständnis. Freiheit (im negativen Status) wird nur als Freiheit innerhalb der gesetzlichen Schranken anerkannt. Freiheit ist danach stets (nur) Freiheit vor gesetzwidrigem Zwang.377 Es handelt sich nicht um eine vor-staatliche, vor-rechtliche Freiheit, sondern um eine vom Staat gewährte Freiheit. Der negative Status besteht folglich nicht per se, sondern ist Folge einer Selbstbeschränkung des Staates. Dies widerspricht Art. 1 Abs. 3 GG, der die Bindung auch des Gesetzgebers an die Grundrechte anordnet.378 Die Lösung ist schnell und ohne prinzipielle Änderung der Statustheorie gefunden, wenn man Jellineks Freiheitsverständnis als Freiheit vor verfassungswidrigem Zwang379 begreift. Es liegt ein grundrechtlicher negativer Status vor.380

372 Jellinek,

System, S. 114; vgl. Alexy, Theorie, S. 238. System, S. 118. 374 Alexy, Theorie, S. 240 f. 375 Jellinek, System, S. 87 und S. 136 ff. 376 Alexy, Theorie, S. 243: „das großartigste Beispiel analytischer Theorienbildung“. 377 Jellinek, System, S. 103. 378 Alexy, Theorie, S. 244. 379 Rupp, DÖV 1974, 193/194. 380 Alexy, Theorie, S. 244 f. 373 Jellinek,

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

Deutlich gravierender ist der Einwand, welcher den Formalismus und die Abstraktheit der Statustheorie betont. Der negative Status sei eine rein formale Beschreibung. Dieser Status werde durch die Grundrechte des Grundgesetzes begründet und gewährleistet. Die Grundrechte gäben diesem Status jedoch zugleich einen konkret bestimmten Inhalt, der weder für den Bürger noch für den Staat frei verfügbar sei (materieller Rechtsstatus).381 Eine Reduktion des materiellen Rechtsstatus auf die formalen und abstrakten Kategorien eines durch potentiell unbegrenzte Gewaltunterworfenheit geprägten Verhältnisses zweier Willenssubjekte (Staat und Individuum) verbiete sich.382 Der Status des Bürgers muß jedoch nicht zwangsläufig ausschließlich unter inhaltlichen Gesichtspunkten betrachtet werden. Daneben ist auch eine formale Sichtweise möglich. Jellineks Statustheorie hat rein analytischen Charakter, ohne daß inhaltliche oder normative Fragen beantwortet werden oder auch nur beantwortet werden sollen.383 Es ist also insoweit Kritik unangebracht, da sie sich nicht gegen die Statustheorie selbst richtet, sondern auf anderer Ebene zu ihrer Ergänzung führt. Eine formelle Betrachtungsweise ist nicht per se überflüssig, sondern dient der Erhellung und Strukturierung inhaltlich-normativer Überlegungen.384 Deshalb ist es wichtig, den Inhalt des Status von dem Status selbst zu unterscheiden. Jellineks Theorie führt aber nicht nur zu einer Beschränkung auf eine formale Sichtweise. Sie orientiert sich nur an dem einzelnen Bürger und beschreibt abgegrenzte Räume. Dadurch entsteht ein recht starres Nebeneinander der verschiedenen Status. Ausgeblendet wird, daß die Grundrechtsträger durch die Grundrechte in die Lage aktiver Staatsbürger versetzt werden.385 Die soziale Ordnung ist durch interdependente Sozialbeziehungen und nicht durch mehr oder weniger isolierte Individuen gekennzeichnet.386 Die Statuslehre stellt keine Kategorie zur Verfügung, die die gesellschaftliche Vermitteltheit387 erfassen kann. Jellineks Statustheorie ist zwar nicht in der Lage, diese Aspekte aufzunehmen, verfolgt aber andererseits dieses Ziel auch nicht oder schlösse es gar aus.388 Die Statustheorie beschreibt lediglich die formale Struktur der Position des Bürgers gegenüber dem Staat. Überdehnt man die Statuslehre nicht, stellt sie noch heute einen grundlegenden Ansatz zum Verständnis der Wirkungsweise der Grundrechtsgewährleistungen dar. Lediglich bedarf es zur Klarstellung, daß Freiheit im negativen Status 381 Hesse,

Verfassungsrecht, Rn. 280. Verfassungsrecht, Rn. 280. 383 Alexy, Theorie, S. 246; Rupp, DÖV 1974, 193/193 f.: nicht ihm das „Gegenteil dessen vorwerfen, was er ausdrücken will“. 384 Vgl. Alexy, Theorie, S. 247. 385 Häberle, Wesensgehalt, S. 18 f.; Krebs, Vorbehalt, S. 64. 386 Preuß, Internalisierung, S. 28. 387 Preuß, Internalisierung, S. 28. 388 Alexy, Theorie, S. 247. 382 Hesse,

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Freiheit von verfassungswidrigem (nicht gesetzeswidrigem) Zwang ist, der Einführung des Begriffs des „negativen grundrechtlichen Status“389 . Außerdem ist zwischen dem positiven bzw. negativen Status i. e. S. und i. w. S. zu differenzieren.390 b) Grundrechte als Leistungsrechte Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum ist die Frage nach dem Verständnis der Grundrechte als Leistungsrechte Gegenstand ausführlicher und sehr kontroverser Erörterungen.391 Das Meinungsspektrum reicht von der vollständigen, dezidierten Ablehnung grundrechtlicher Leistungsrechte392 bis zur weitgehenden Anerkennung393 . Meist werden hingegen vermittelnde Positionen vertreten.394 Die Diskussion betrifft nicht nur fundamental das Verständnis der grundrechtlichen Gewährleistungen, sondern zugleich das Verständnis von Charakter und Aufgabe des Staates und der Gesellschaft an sich. Ihr kommt über die komplexen juristisch-dogmatischen Fragen hinaus eine politische Brisanz zu, die der Lösungsfindung nicht zuträglich ist. Diese wird schließlich zusätzlich durch begriffliche Unklarheiten erheblich erschwert. Die Väter des Grundgesetzes haben bewußt darauf verzichtet, eine Wirtschafts- und Sozialordnung zu regeln und damit auch, grundrechtliche Leistungsrechte in die Verfassung aufzunehmen.395 Die Grundrechte haben sich aus den im 18. Jahrhundert proklamierten Rechten der Freiheit und Gleichheit entwickelt. Ihr Grundgedanke war der Schutz des Einzelnen gegen den als allmächtig und willkürlich gedachten Staat, nicht aber die Verleihung von Ansprüchen des Einzelnen auf Fürsorge durch den Staat.396 Im Grundgesetz findet sich explizit daher nur in Art. 6 Abs. 4 GG ein subjektives Recht der Mutter auf Leistung (Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft). Aber selbst hier bedarf es noch der einfach389 Vgl.

oben § 3 D. II. 1. a) (S. 151) sowie Alexy, Theorie, S. 244 f. oben § 3 D. II. 1. a) (S. 151). 391 Alexy, Theorie, S. 395 ff. und 454 ff.; Dreier in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 89 ff.; Murswiek, HdbStR V, § 112 (S. 243 ff.); Sachs in: Stern/Sachs, StaatsR III/1, § 67 (S. 687 ff.); Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 III Rn. 186 ff. 392 Bethge, Der Staat 24 (1985), 351/375 ff.; Dreier in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 90; Dreier, Jura 1994, 505/508; Hesse, HdbVerfR, § 5 Rn. 30 (S. 141 f.); Hofmann, NJW 1989, 3177/3185. 393 Breuer, FG-25 Jahre BVerwG, S. 93 f.; Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43/43 ff.; Willke, Grundrechtstheorie, S. 216 ff. 394 Alexy, Theorie, S. 454 ff./465; Lübbe-Wolff , Grundrechte, S. 15; v. Münch in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1–19 Rn. 21; Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 102 ff. (S. 285 ff.); Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 III Rn. 192. 395 Anders hingegen eine Reihe von Landesverfassungen, so z. B. Art. 53 Abs. 2 rh.-pf. LV, oder die WRV in ihrem 2. Hauptteil, 4. und 5. Abschnitt. Vgl. auch Weber, Der Staat 4 (1965), 409/412 ff. (S. 416: sozialstaatliche Ansprüche seien daher eine Sache des einfachen Rechts, von der Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes aber nicht gefordert). 396 BVerfGE 1, 97/104. 390 Vgl.

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gesetzlichen Konkretisierung.397 Im übrigen wähnte man sich nicht in der Lage, eine einheitliche, in sich stimmige und widerspruchsfreie Lösung zu formulieren und befürchtete einen Qualitätsverlust, wenn die sozialen Grundrechte als Auszüge verschiedener Parteiprogramme erschienen.398 Es sollte daher nur ein klarer Katalog von Individualrechten aufgestellt werden.399 Daneben finden sich im Grundgesetz eine Reihe objektiv formulierter Anhaltspunkte für eine leistungsrechtliche Interpretation. So verpflichtet Art. 1 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG alle staatliche Gewalt, die Würde des Menschen zu schützen. Zu erwähnen sind außerdem die Sozialstaatsklausel in Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG, der Schutz von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 5 GG. Hieraus läßt sich ableiten, daß das Grundgesetz die Grundrechte primär als Abwehrrechte gegen den Staat verstanden wissen will. In der abwehrrechtlichen Dimension wird das verbindende Element aller Grundrechte erblickt.400 Das Grundrechtsverständnis ist in einem Wandel begriffen, der auf eine Erweiterung der Funktion der Grundrechte zielt.401 Zwar gehen die gesellschaftlichen Veränderungen (noch) nicht so weit, daß die genetische Auslegung anhand der Arbeiten des Parlamentarischen Rates vernachlässigt werden könnte,402 doch richtet sich der Blick zusehends zu Recht auf die veränderten Lebensbedingungen in der modernen Industriegesellschaft: Der Mensch ist in einer solchen Gesellschaft in besonderem Maße von staatlichen Leistungen (existentiell) abhängig. Diese Abhängigkeit wird durch den modernen Sozialstaat noch verstärkt.403 Die Gesellschaft besteht nicht mehr aus der Summe individueller Lebensläufe, sondern stellt eine hochdifferenzierte, interdependente Gesamtordnung dar. Kein Grundrecht ist self-executing, sondern benötigt staatlich geschaffene Voraussetzungen, um wahrgenommen zu werden.404 Da der einzelne auf Leistungen angewiesen ist, um seine Freiheit verwirklichen zu können, muß der Staat die Voraussetzungen hierfür auch garantieren. Dies wird besonders in denjenigen Bereichen deutlich, in denen der Staat als Monopolist oder Quasi-Monopolist, wie z. B. in

397 Pieroth/Schlink,

Grundrechte, Rn. 634, 667 mit Hinweis auf BVerfGE 82, 60/85; 84, 133/156. HdbStR V, § 112 Rn. 46 (S. 263); Weber, Der Staat 4 (1965), 409/413 f. 399 Isensee, Der Staat 19 (1980), 367/369 f. 400 BVerfGE 1, 97/104; 7, 198/204 f.; BGHZ 63, 196/198; Alexy, Theorie, S. 397; Ossenbühl, NJW 1976, 2100/2105. 401 BVerfGE 1, 97/104; Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43/69 ff.; Rupp, AöR 101 (1976), 161/161 ff., 176 ff. Ähnlich Ossenbühl, NJW 1976, 2100/2100. 402 Breuer, FG-25 Jahre BVerwG, S. 93. 403 Breuer, FG-25 Jahre BVerwG, S. 91 f.; Häberle, Wesensgehalt, S. 15 f.; Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43/57 ff.; Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/180b; Köller/Haller, JuS 2004, 189/191; v. Münch in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1–19 Rn. 18; Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 87 (S. 279); Willke, Grundrechtstheorie, S. 216 ff. 404 Willke, Grundrechtstheorie, S. 217. 398 Murswiek,

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der akademischen Ausbildung, auftritt.405 Es geht heute nicht mehr nur um Freiheit vom Staat, sondern auch und gerade um Freiheit im und durch den Staat.406 Nicht die Abschirmung hilft dem einzelnen weiter, sondern die Teilhabe bei der Interessenformulierung und -durchsetzung.407 Das Verständnis verfassungsrechtlicher Leistungsrechte setzt, wie hier schon ersichtlich wurde, zunächst eine Präzisierung des Freiheitsverständnisses voraus. Freiheit, wie sie von den Grundrechten in ihrer abwehrrechtlichen Dimension vorausgesetzt wird, ist eine umfassende Freiheit im liberalen Sinne, die sich mit subjektiver Beliebigkeit beschreiben läßt. Es geht um die Abwesenheit staatlichen Zwanges, d. h. um eine abwehrende Freiheit von Beschränkungen der individuellen Beliebigkeit.408 Die Grundrechte sind dementsprechend Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe.409 Es wird durch die Grundrechte eine vorstaatliche private Freiheitssphäre anerkannt, die nicht das Ergebnis staatlicher Organisation oder staatlicher Gewährung ist, sondern dem Staat vorausliegt. Freiheit bedeutet aber mehr als nur die Abwehr staatlicher Eingriffe.410 So steht der formalen Freiheit die faktische, reale Freiheit gegenüber (die „capacité“).411 Zwar kann ein Verhalten vom Staat erlaubt werden; ob der von der Freiheit Begünstigte allerdings in der Lage ist, diese Freiheit tatsächlich auch wahrzunehmen, ist eine andere, davon unabhängige Frage. Äußere faktische Umstände können so gewaltig sein, daß die Freiheitsausübung zwar zulässig, nicht aber möglich ist. Abwehrrechte sichern nur die formale Freiheit. Erst ein Teilhaberecht kann auch die faktische Freiheit gewährleisten. Fraglich ist daher, ob die Grundrechte auch die materiellen Grundrechtsvoraussetzungen garantieren.412 Es offenbart sich hier die unterschiedliche, ja geradezu gegensätzliche, Regelungsstruktur von Freiheitsrechten und Teilhaberechten.413 Während die formale Freiheit schlicht vorhanden ist und allenfalls durch gesetzliche Regelungen beschränkt sein kann, setzt die faktische Freiheit einen organisierten Staat voraus, der Teilhabemöglichkeiten erst schafft.414 Das Teilhaberecht wird als die faktische Möglichkeit, seine formelle Freiheit auszuüben, wesentliche Bedingung, 405 Vgl. den Vorlagebeschluß des VG Hamburg, Beschl. v. 21. 8. 1970 – Az. IV VG 615/70, zitiert nach BVerfGE 33, 303/304, 316 (Verpflichtung bei staatlichem Monopol, Ausbildungsplätze dem Bedarf entsprechend zur Verfügung zu stellen). 406 BVerfGE 33, 303/330 f.; Henrichs, Erlaß einer untergesetzlichen Norm, S. 86; Würtenberger, AöR 105 (1980), 370/376. 407 Ausführlich Willke, Grundrechtstheorie, S. 218 ff. 408 Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 1 (S. 244) und Rn. 26 ff. (S. 255 ff.). Vgl. ausführlich oben § 3 B. I. (S. 93 ff.). 409 Sachs in: Stern/Sachs, StaatsR III/1, § 65 IV (S. 558 ff.) und § 66 I (S. 620 ff.). 410 Kriele, HdbVerfR 1983, S. 146. 411 Bethge, Der Staat 24 (1985), 351/376; Böckenförde, NJW 1974, 1529/1531 f.; Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43/76, Fn. 131; Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 26 ff. (S. 255 ff.). 412 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 III Rn. 188. 413 Schmitt, Verfassungslehre, S. 169; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 III Rn. 188. 414 Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 29 (S. 256); vgl. auch Alexy, Theorie, S. 458 ff.

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wenn auch nicht Bestandteil der formellen Freiheit. Staatliche Leistungen dienen folglich auch der Freiheitsverwirklichung.415 Man darf allerdings nicht umgekehrt zu weit gehen: Das Ziel, faktische Freiheit zu gewährleisten, kann allenfalls neben die Abwehrfunktion der Grundrechte treten. Diese darf nicht durch Teilhaberechte ersetzt werden. Mit dem Grundgesetz ist eine Konzeption nicht vereinbar, wonach individuelle Freiheit von staatlicher Zuteilung abhängt. Alldem liegt ein Spannungsverhältnis zwischen faktischer und formeller Freiheit zugrunde. Aufgrund endlicher Ressourcen setzen Teilhaberechte eine Umverteilung voraus. Diese verlangt einen Eingriff in andere Freiheitsrechte. Die in Rechtsprechung und Literatur in diesem Zusammenhang verwendete Terminologie ist uneinheitlich. Die Gemeinsamkeiten beschränken sich darauf, daß Teilhaberechte und Freiheitsrechte mit ihrer Abwehrfunktion etwas anderes sind. Daneben ist die Unterscheidung zwischen originären und derivativen Teilhaberechten verbreitet.416 Diese Differenzierung knüpft an die Begründung von Teilhaberechten an und bezieht sich nicht auf deren Inhalt. Inhaltlich ist der Begriff des Teilhaberechts möglichst weit zu verstehen.417 Gegenstand eines Teilhaberechts kann daher grundsätzlich jede Art staatlicher positiver Handlung sein. Damit liegt das genaue Gegenstück zum Begriff des Abwehrrechts vor. Dieses weite Begriffsverständnis liegt darin begründet, daß nicht notwendig alle Teilhaberechtsverhältnisse zugleich Leistungsrechtsverhältnisse darstellen.418 Auch im Bereich von Verfahren oder Organisation geht es um Teilhabe. Bei vielen Teilhaberechten läßt sich außerdem nicht eine konkrete staatliche Leistung angeben, sondern es liegt ein ganzes Bündel miteinander verwobener Positionen vor.419 Die verschiedenen Positionen können nur mit einem einheitlichen (Ober-) Begriff systematisch und vollständig erfaßt und als eigene Kategorie dem Abwehrrecht entgegengehalten werden. Schließlich kommt allen unter den Oberbegriff der Teilhaberechte fallenden Rechten eine Gemeinsamkeit zu, die sie von den Abwehrrechten unterscheidet: Ein Recht auf Abwehr (auf Unterlassen einer Maßnahme von hoher Hand) setzt dem Staat bei der Verfolgung seiner Zwecke Grenzen. Welche Zwecke er verfolgen muß, bleibt unbestimmt.

415 Diesem rechtsstaatlichen Freiheitsdenken steht eine „totalitäre Teilhabefreiheit“ (Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 32 (S. 257)) gegenüber, wo Freiheit nur als Teilhabe möglich ist. Der Freiheitsbegriff ist von vornherein inhaltlich aufgefüllt. 416 Martens, VVDStRL 30 (1972), 7/21. Meist geht es wohl um derivative Teilhaberechte, die weniger Ursache als vielmehr primär Konsequenz und Antwort auf (sozial-) staatliche Leistungsgewähr sind (Kloepfer, Gleichheit, S. 39). 417 Vgl. Alexy, Theorie, S. 402 ff.; Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 6 ff. (S. 245 ff.); Sachs in: Stern/ Sachs, StaatsR III/1, § 67 II (S. 687/697 ff.). 418 Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 8 (S. 246). Vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 III Rn. 187. 419 Alexy, Theorie, S. 403 f. So enthalte das „Umweltgrundrecht“ neben dem Abwehrrecht ein Recht auf Verfahren, auf faktische Leistung etc.

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Bei Teilhaberechten hingegen wird der Staat auf die Verfolgung eines bestimmten Zwecks zumindest weitgehend festgelegt.420 Die Teilhaberechte lassen sich aufteilen in Rechte auf Schutz, auf Organisation und Verfahren sowie Rechte auf Leistungen (status positivus). Außerdem fällt hierunter der status activus, also die staatsbürgerlichen Aktivrechte wie das Wahlrecht, der Zugang zu öffentlichen Ämtern etc. Im vorliegenden Zusammenhang der Frage, inwieweit die Anerkennung von grundrechtlichen Teilhaberechten zugleich einer Anpassung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bedarf, kommt es nur auf Leistungsrechte an, da (nur) insoweit eine statuspositive Ergänzung des Grundsatzes für erforderlich gehalten wird. Leistungsrechte erweitern oder ermöglichen ein Verhalten des einzelnen.421 Allerdings ist zu unterscheiden: Derivative Leistungsrechte gehören in den Kontext der Gleichheitsrechte (Art. 3 Abs. 1 GG).422 Gewährt der Staat einigen Bürgern bestimmte Leistungen, kann der allgemeine Gleichheitssatz dazu führen, daß bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auch anderen Bürgern ein Anspruch zusteht, wenn ansonsten ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vorliegt und die Gewährung der Leistung die einzige Möglichkeit darstellt, den Gleichheitsverstoß zu beseitigen.423 Allerdings ist ein solcher Anspruch naturgemäß begrenzt durch die der Verwaltung zur Verfügung stehende Verfügungsmasse. In dieser Grenze liegt zugleich eine Präzisierung des Anspruchsinhalts, so daß nicht die Gefahr besteht, daß ein Gericht in einen fremden Kompetenzbereich (vor allem in denjenigen der Legislativen) übergreifen muß.424 Solche Ansprüche sind in der Regel unproblematisch. Die Frage der Erforderlichkeit einer statuspositiven Ergänzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes um Elemente der Kompensation wird hier nicht virulent. Derivative Teilhabeansprüche sind gesetzlich vorgeformt und anhand Art. 3 Abs. 1 GG zu beurteilen. Dagegen ist allgemein und speziell im vorliegenden Kontext die Frage nach der Ableitbarkeit originärer leistungsstaatlicher Ansprüche aus den Freiheitsrechten problematisch. Meinungsverschiedenheiten bestehen in der Frage, ob die veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dazu führen (müssen), die Grundrechte als originäre Teilhaberechte zu verstehen.425 Trotz fehlender Anhaltspunkte in Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes ist die Diskussion hierzu noch nicht verstummt, und es finden sich Hinweise hierzu 420 Alexy,

Theorie, S. 404. Theorie, S. 454: Rechte des einzelnen gegenüber dem Staat auf etwas, was der einzelne, verfügte er nur über hinreichende finanzielle Mittel und fände sich auf dem Markt ein hinreichendes Angebot, auch von Privaten erhalten könnte. 422 Dreier in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 89; Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 68 ff. (S. 272 ff.). 423 Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 69 ff. (S. 272 f.). 424 Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 74 (S. 273). 425 Breuer, FG-25 Jahre BVerwG, S. 91 ff.; Hesse, EuGRZ 1978, 427/433. 421 Alexy,

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auch in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts: So geht das Bundesverfassungsgericht im Einklang mit der Literatur davon aus, daß es (in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip) ein Grundrecht auf Sicherung des Existenzminimums gibt.426 Hieraus läßt sich zwar folgern, daß originäre Leistungsrechte nicht von vornherein unter dem Grundgesetz ausgeschlossen sind, ob jedoch umgekehrt grundrechtliche Leistungsrechte allgemein anzuerkennen sind, bleibt offen. In der Numerus-clausus-Entscheidung differenziert das Bundesverfassungsgericht zwischen einem Recht auf Teilhabe an vorhandenen Ausbildungskapazitäten und einem Recht auf Schaffung neuer Studienplätze. Das derivative Recht auf Teilhabe an vorhandenen Ausbildungsplätzen wird aus Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip abgeleitet.427 Art. 12 Abs. 1 GG liefe ohne ein solches Teilhaberecht leer.428 Dieses Ergebnis kann nicht ohne Rekurs auf Art. 12 Abs. 1 GG begründet werden. Art. 3 Abs. 1 GG allein führt lediglich zu einer Gleichbehandlung, die auch unterhalb der Grenze der Kapazitätserschöpfung vorliegen kann. Erst in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG wird sichergestellt, daß die Kapazitäten voll ausgeschöpft werden.429 Die Heranziehung des Art. 12 Abs. 1 GG ist notwendig, weil hier ein Freiheitsrecht nicht mehr nur als Abwehrrecht interpretiert wird.430 Obwohl also Freiheitsgrundrechte zunächst nur als Abwehrrechte einzuordnen sind, lassen sich doch – zumindest derivative – Teilhaberechte ableiten. Als Abwehrrecht könnte es die Entscheidung nicht begründen. Es muß eine weitere, neue Begründungsdimension eröffnet werden, nämlich daß zugleich ein Stück faktischer Freiheit garantiert werde.431 Hinsichtlich des Anspruchs auf Schaffung neuer Ausbildungsplätze (also eines originären Leistungsrechts) läßt das Gericht die Frage nach der Existenz eines solchen Anspruchs offen.432 Die Interpretation der Grundrechte als originäre Leistungsrechte verbietet sich bei genauerem Hinsehen. Die Grundrechte des Grundgesetzes gewährleisten eine individuelle Freiheit zur freien Selbstbestimmung des einzelnen. Diesem Freiheitsverständnis widerspricht es, wenn man eine vorstrukturierte, inhaltlich positiv vorgegebene Freiheit annimmt.433 Ein Leistungsrecht muß notwendig – anders als ein Abwehrrecht – von vornherein eine inhaltliche Begrenzung aufwei426 BVerfGE 1, 97/104 f.; 40, 121/133; vgl. BVerwGE 1, 159/161 f.; 5, 27/31 f.; Breuer, FG-25 Jahre

BVerwG, S. 95 ff.; Zippelius in: BK, GG, Art. 1 I, II Rn. 102; Herdegen in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Rn. 114; v. Münch in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 1 Rn. 30, 36; Starck, FG-BVerfG II, S. 516 und 521 f. 427 BVerfGE 33, 303/332. 428 BVerfGE 33, 303/331 f.; 43, 291/313 f.; Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 12 Rn. 28. 429 Alexy, Theorie, S. 399. Anders wohl Isensee, Der Staat 19 (1980), 367/372; Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 80 (S. 276); Ossenbühl, NJW 1976, 2100/2104. 430 Alexy, Theorie, S. 400. 431 BVerfGE 33, 303/337: „notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung“; Alexy, Theorie, S. 399 f.; Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 80 ff. (S. 276 f.). 432 BVerfGE 33, 303/333; 43, 291/315, 325. 433 Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 92 (S. 281).

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sen und sich der Verteilungsmasse anpassen.434 Dies folgt aus der Bindungsklausel des Art. 1 Abs. 3 GG. Würde man die Grundrechte als Leistungsrechte interpretieren, führte dies dazu, daß sie gegebenenfalls nicht mehr vollumfänglich aus finanziellen Gründen verwirklicht werden könnten. Damit wiederum würde Art. 1 Abs. 3 GG umgangen.435 Man müßte also dem Grundgesetz zwei verschiedene Freiheitsbegriffe zugrunde legen, sonst würde der begrenzte faktische Freiheitsbegriff sich notwendig beschränkend auf die formelle abwehrrechtliche Freiheit auswirken.436 Jedes Teilhaberecht müßte sich von vornherein auf das Mögliche, also auf das, was der einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann, beschränken.437 Dem steht die völlige Unbestimmtheit der Teilhaberechte entgegen, die diejenige der Abwehrrechte bei weitem übersteigt und sich einer sicheren Auslegung entzieht. Teilhaberechte lassen sich tatbestandlich nicht mit ausreichender Deutlichkeit fassen, so daß der Leistungsumfang nicht genau feststeht.438 Die Frage zu beantworten, wer was bekommen soll, ist eine Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers. Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik dürfen nicht in weitem Umfang den Gerichten anvertraut werden. Dadurch würde in unzulässiger Weise die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers beschränkt. Schließlich muß berücksichtigt werden, daß Teilhaberechte sich finanzkräftig auswirken, so daß das Budgetrecht des Parlaments mißachtet würde.439 Die gesamte Haushaltspolitik wäre verfassungsrechtlich determiniert bzw. dem Einfluß des Verfassungsgerichts unterworfen.440 Nicht garantiert wird aber, daß die notwendigen finanziellen Mittel tatsächlich aufgebracht werden. Sieht man diese Argumente vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, wird deutlich, daß, so sehr eine Gestaltung des Gemeinwesens durch den Staat wünschenswert und erforderlich ist, sich aus den Grund-

434 Isensee,

Der Staat 19 (1980), 367/381; Rupp, AöR 101 (1976), 161/177. FG-BVerfG II, S. 519 f.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 III Rn. 191 mit Verweis auf Nierhaus, AöR 116 (1991), 72/78 f. 436 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 I Rn. 190 m. w. N. 437 BVerfGE 33, 303/333; Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 57 ff. (S. 267 f.). Vgl. z. B. auch Art. 65 der türkischen Verfassung: „Der Staat erfüllt seine in den sozialen und wirtschaftlichen Bereichen durch die Verfassung bestimmten Aufgaben unter Setzung der ihrer Zweckbestimmung gemäßen Prioritäten und in dem Maße, in dem die Finanzquellen ausreichen.“ („Devlet, sosyal ve ekonomik alanlarda Anayasa ile belirlenen görevlerini, bu görevlerin amaçlarına uygun öncelikleri gözeterek malî kaynaklarının yeterlili˘gi ölçüsünde yerine getirir.“). 438 Breuer, FG-25 Jahre BVerwG, S. 93 m. w. N.; Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 93 (S. 282); Rupp, AöR 101 (1976), 161/177 f.; Starck, FG-BVerfG II, S. 518 f.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 III Rn. 190. Vgl. Bethge, Der Staat 24 (1985), 351/377. 439 Bethge, Der Staat 24 (1985), 351/377; Hesse, Verfassungsrecht, Rn. 289; Jarass, AöR 110 (1985), 363/389. 440 Starck, FG-BVerfG II, S. 518. 435 Starck,

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rechten originäre subjektive Teilhaberechte qua grundrechtstheoretischer Uminterpretation nicht ableiten lassen.441 Abhilfe könnte ein Konzept schaffen, welches Teilhaberechte als objektive Verfassungsaufträge versteht und sich auf objektive Wertentscheidungen der Verfassung442 oder auf das Sozialstaatsprinzip443 stützt. Jedoch werden dadurch weder die Konkretisierungs- noch die Kompetenzprobleme gelöst. Die Probleme ließen sich beseitigen, wenn der Gesetzgeber lediglich verpflichtet würde, überhaupt tätig zu werden und nur bei evident mißbräuchlicher Untätigkeit zur Rechenschaft gezogen werden könnte.444 In ähnliche Richtung argumentiert, wer eine Minimallösung befürwortet, nach der nur ein – in Rechtsprechung nach und nach kasuistisch zu entwickelnder – unabdingbarer Minimalstandard garantiert sei.445 Dieser Ansatz begründet jedoch in keiner Weise, warum originäre grundrechtliche Teilhaberechte anzuerkennen sind, sondern beschreibt lediglich deren Umfang.446 Da sich aus der Sozialstaatsgarantie des Art. 20 Abs. 1 GG Leistungsrechte entwickeln lassen, bedarf es keiner gewagten Uminterpretation grundrechtlicher Gewährleistungen. Eine Lösung muß dabei die gegen grundrechtliche Teilhaberechte angeführten Argumente wie die Budgethoheit des Parlaments sowie die hinreichende Bestimmtheit des Anspruchsobjekts zum Schutz der Entscheidungsfreiheit des Parlaments auch bei einer Ableitung aus dem Sozialstaatsprinzip berücksichtigen. Aus dem Sozialstaatsprinzip allein ergeben sich allerdings auch dann noch keine klagbaren Individualansprüche des Bürgers (subjektive Rechte). Das subjektive Recht muß aus den Grundrechten folgen. Ein subjektives Recht setzt zunächst voraus, daß sich aus einem Grundrecht eine zwingend erforderliche faktische Sicherung der grundrechtlich gewährleisteten Freiheit ableiten läßt. Dies ist stets dann der Fall, wenn das Grundgesetz ein Freiheitsrecht auf der Basis einer zwar nicht ausdrücklich benannten, aber als selbstverständlich unterstellten Teilhabe gewährleistet. Eine solche Basis hat der verfassungsgebende Gesetzgeber vorgefunden und baute darauf die abwehrrechtliche Gewähr441 Bethge, Der Staat 24 (1985), 351/375 ff.; Dreier in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 90; Manssen, Grundrechte, § 3 Rn. 57; Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 96 (S. 283); Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 III Rn. 188. 442 BVerfGE 33, 303/333. 443 Vgl. BVerfGE 33, 303/332; Böckenförde, NJW 1974, 1529/1537 f.; Dreier in: Dreier, GG, Vorb. Rn. 90; Hesse, EuGRZ 1978, 427/434; v. Münch in: v. Münch/Kunig, GG, Vorb. Art. 1–19 Rn. 21; Ossenbühl, NJW 1976, 2100/2104 f. und 2107. Vgl. auch Häberle, VVDStRL 30 (1972), 43/57 ff., der im Ergebnis jedoch eine andere Position vertritt, und Breuer, FG-25 Jahre BVerwG, S. 93 f., der das Sozialstaatsprinzip in Erwägung zieht, jedoch für zu ungenau und die Grundrechte selbst für besser geeignet hält. 444 Die Teilhaberechte gelten dann nur nach Maßgabe der Gesetze, Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 97 (S. 283). 445 Breuer, FG-25 Jahre BVerwG, S. 93 f. 446 Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 101 (S. 285).

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leistung.447 Diese Teilhabe kann nur in Ausnahmekonstellationen angenommen werden.448 Kann diese Voraussetzung bejaht werden, ist die faktische Freiheit gegen die formellen Prinzipien des Budgetrechts des Parlaments sowie der Kompetenz des parlamentarischen Gesetzgebers abzuwägen. Schließlich sind auch eventuell betroffene Rechte Dritter oder kollektive Güter in diese Abwägung einzustellen.449 Die Abwägung führt dazu, daß dem Gesetzgeber zumindest ein gewisser Konkretisierungsspielraum verbleibt und nur bei deutlicher Nichteinhaltung der Grenzen des Konkretisierungsspielraums eine unmittelbare gerichtliche Durchsetzbarkeit anzunehmen ist. Der Anspruch steht damit auch unter dem Vorbehalt des realistischerweise Möglichen. Nirgendwo verlangt die Rechtsordnung Unmögliches. Die Auslegung des Grundgesetzes darf nicht dazu führen, daß widersprüchliche und sinnlose Rechte begründet werden, die der Staat nicht erfüllen könnte. Übertriebene Aufwendungen muß der Staat nicht auf sich nehmen, da insoweit in der Abwägung das kollektive Interesse an finanziellem Spielraum des Staates auch in anderen Bereichen überwiegt. 2. Zwischenergebnis und Folgerungen Originäre Leistungsrechte des Bürgers folgen aus dem Sozialstaatsprinzip in Verbindung mit den Grundrechten, wenn sich aus den Grundrechten eine zwingend erforderliche faktische Sicherung des Freiheitsrechts ableiten läßt und eine Abwägung mit gegenläufigen formellen Prinzipien und Rechten Dritter zur Anerkennung des Leistungsrechts führt. Damit finden Kompensationserwägungen keinen Platz mehr. Das Problem originärer Teilhaberechte läßt sich vollständig mit Hilfe der Abwägung lösen. Die Begründung eines Leistungsrechts einschließlich seines Umfangs durch eine Abwägung macht eine statuspositive Ergänzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch eine zwingende Kompensation überflüssig. Die Rechte des Dritten werden im Rahmen der Abwägung bereits berücksichtigt. Zwar ist selbstverständlich eine freiwillige Kompensationsleistung des Staates nicht von vornherein unzulässig. Auch ist denkbar, daß die Kompensation zu einem anderen Abwägungsergebnis führt. Zwingende Ergänzung der Abwägung bzw. des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist die Kompensation hingegen nicht. Führt die Leistung zugleich zu einem Eingriff in Rechte Dritter, ändert sich an der Beurteilung nichts. Es spielt keine Rolle, in welcher Abwägung die kolli447 Vgl. Murswiek, HdbStR V, § 112 Rn. 102 (S. 285 f.) und Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 1 III Rn. 192. 448 Lübbe-Wolff , Grundrechte, S. 15. 449 Vgl. Alexy, Theorie, S. 468 ff. Alexy geht von einem prima facie-Recht aus.

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

dierenden Interessen einem Ausgleich zugeführt werden. Ob der Eingriff in die Rechte des Dritten anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (insbesondere der Abwägung als Verhältnismäßigkeit i. e. S.) überprüft wird oder ob ein originäres Teilhaberecht erst mit Hilfe der Abwägung begründet wird: In beiden Fällen sind alle kollidierenden Prinzipien umfassend – einschließlich der betroffenen Rechte Dritter – zu berücksichtigen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist in der Lage, jede Prinzipienkollision aufzulösen. Die in ihm zu treffenden Wertungen erlauben sowohl die Berücksichtigung eingreifender Elemente als auch leistungsrechtlicher Zielsetzungen. Einer quasi standardisierten Erweiterung durch die Rechtsfigur der Kompensation bedarf es nicht. Zu Recht ist diese Position daher in der Minderheit geblieben.

III. Die Beschränkung auf Zweck-Mittel-Relationen als Defizit: Kompensation als Teil der Zumutbarkeitsprüfung Die Kompensation könnte sich als Aspekt der Zumutbarkeit in die Verhältnismäßigkeitsprüfung i. e. S. integrieren lassen. Zu untersuchen ist daher, ob sich die Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgrund der Beschränkung auf Zweck-Mittel-Relationen als ergänzungsbedürftig erweist. Die Verengung des Blicks auf die kollidierenden Interessen durch die Abwägung hat zur Folge, daß alle diejenigen Aspekte ausgeblendet werden, die sich nicht in das Verhältnis von Zweck und Mittel einordnen lassen. Maßstäbe wie die Schuldangemessenheit im Strafrecht oder das Äquivalenzprinzip im Gebührenrecht sind keine Maßstäbe, die im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung Anwendung finden oder auch nur zu einer Gewichtung der betreffenden Rechtsgüter führen könnten, sondern sie sind Grundlage von Entsprechensprüfungen. Auch Fragen der Zumutbarkeit sind im Vergleich zu einem ZweckMittel-Verhältnis Sonderfälle, die das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht erfaßt. Ein solches enges Verständnis der Abwägung führt dazu, daß für die Entscheidung relevante Faktoren außer Betracht bleiben. Eine Beschränkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, insbesondere des Abwägungsmodells auf reine Mittel-Zweck-Relationen scheint daher Unzulänglichkeiten aufzuweisen. Sicherlich ist richtig, daß dort, wo in der Naturwissenschaft konkrete Zahlen eine „Abwägung“ operationalisierbar machen, es in juristisch-normativen Fragen an der Möglichkeit fehlt, das zu maximierende oder zumindest angemessen zu berücksichtigende individuelle Wohl zu quantifizieren. Die im Rahmen einer juristischen Abwägung zu bewertenden Güter sind derart disparat, daß sie im Grunde

D. Einordnung der Kompensation

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nicht zu vergleichen sind.450 Zu ihrer Lösung reicht eine Beschränkung der Betrachtung auf die kollidierenden Interessen oft nicht aus. Die meisten Konstellationen lassen sich gerade nicht als einfache Relation zweier aufeinander bezogener Größen erfassen,451 sondern es werden Aspekte virulent, die außerhalb dieser Relation liegen. Gemeint sind damit z. B. Fragen, ob jemand eine Leistung verdient hat,452 oder der Ausschluß bestimmter Interessen noch bevor es zu einer Abwägung überhaupt kommt bzw. Umstände in der Person des Pflichtigen453 . Solche Gesichtspunkte dienen nicht der Bestimmung, mit welchem Gewicht ein abzuwägendes Gut in die Abwägung eingestellt wird. Sie bilden also keine von außen kommende Größe, die den für die Abwägung erforderlichen Wertmaßstab liefert, sondern lassen bestimmte Interessen gar nicht erst zur Geltung kommen oder führen dazu, daß ein Interesse, das sich keiner Kollision ausgesetzt sieht, bei der Fallbearbeitung berücksichtigt werden muß.454 Die (Un-) Zumutbarkeit ist keine verhältnismäßige Größe, sondern eine Überanstrengung, die allein aus der Sphäre des Betroffenen kommt.455 Aus den Überlegungen kann daher folgen, daß nicht dem stärkeren Interesse Vorrang einzuräumen ist, sondern daß bestimmte Interessen unberücksichtigt bleiben müssen.456 Bei Art. 14 GG kommt es so z. B. darauf an, in welchem sozialen Bezug das Eigentumsobjekt steht. Je stärker der soziale Bezug ist, desto eher sind Eingriffe zulässig.457 Dies folgt zum einen aus einer Interessenabwägung, welche bei entsprechendem personalen Bezug des Eigentumsobjekts einen Vorrang des Eigentumsrechts gegenüber kollidierenden Interessen der Allgemeinheit annimmt. Zum anderen aber hängt das Schwellengewicht des Eigentumsrechts auch davon ab, ob und inwieweit das Eigentum auf eigener Leistung beruht.458 Bei der Berücksichtigung, daß ein Eigentumsobjekt durch eigene Leistung erworben wurde, wird z. B. die Frage einbezogen, ob der Eigentümer dadurch besonderen Schutz

450 Dechsling,

Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 13. Rechte und Ziele, S. 159. 452 Hierzu gehört z. B. die Frage nach dem sozialen Bezug eines Eigentumsobjekts oder die Qualifikation eines Geldanspruchs gegen die öffentliche Hand als Eigentum i. S. v. Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG, was davon abhängt, ob der Anspruch durch eigene Leistung erworben wurde oder auf staatlicher Gewährung beruht. Hierzu BVerfGE 92, 365/405; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 14 Rn. 11 f., 44; Papier in: Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rn. 123 ff.; Wendt in: Sachs, GG, Art. 14 Rn. 92 ff. 453 Weber, JJb 3 (1962), 212/215. 454 Huster, Rechte und Ziele, S. 159. 455 Tipke, Betriebsprüfung, S. 100. 456 Huster, Rechte und Ziele, S. 159 f. Dem entspricht z. B. die verbreitet angenommene immanente Beschränkung der Kunstfreiheit, wonach eine das Eigentumsrecht anderer verletzende künstlerische Tätigkeit unabhängig von einer Interessenabwägung unzulässig ist. BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1984, 1293/1294; BVerwG, NJW 1995, 2648/2648 f.; Henschel, Kunstfreiheit, S. 22 f.; Pieroth/ Schlink, Grundrechte, Rn. 616. 457 BVerfGE 50, 290/340 f.; auch BVerfGE 14, 288/293 f.; 21, 73/83; 42, 263/294. 458 Vgl. BVerfGE 1, 264/277 f.; 14, 288/293 f.; 24, 220/226; 50, 290/340 f. 451 Huster,

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

„verdient“ hat.459 Hier fließt eine Erwägung in die Verhältnismäßigkeitsprüfung ein, die nicht unmittelbar der Kollision von Rechtsgütern entspringt. Die Interessenabwägung im Sinne der Bewertung einer Zweck-MittelRelation greift erst, wenn die Gewichtung und Zulässigkeit der zu vergleichenden Güter durch einen vorgelagerten Maßstab feststeht.460 So macht die Anwendung solcher Maßstäbe wie das Schuldprinzip oder das Äquivalenzprinzip eine Interessenabwägung überflüssig, wenn nicht unmöglich.461 Hieraus könnte gefolgert werden, daß alle diese völlig verschiedenen Gesichtspunkte, die bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind, bereits im Rahmen der Abwägungsentscheidung selbst relevant werden müssen. Ein solcher zur Ermöglichung der normativen Entscheidung heranzuziehender Wertungsmaßstab könnte der der Zumutbarkeit sein, mit dessen Hilfe man alle auf eine Person einwirkende Umstände danach zu beurteilen vermag, ob bei ihrer Berücksichtigung die Erfüllung einer Pflicht von dieser Person erwartet werden kann oder nicht.462 Diese Einordnung wäre von Vorteil, weil auf diese Weise Konstellationen erfaßt und beurteilt werden können, die der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aufgrund seiner spezifischen Struktur argumentativ nicht allein erfassen kann. Die Zumutbarkeitserwägungen dienen zum einen dazu, den externen Maßstab zu bilden, welchen die Abwägung als formelles Prinzip zur Konfliktlösung benötigt, andererseits zur Feststellung, ob eine Abwägung überhaupt möglich ist. Dies ist wiederum nur dann der Fall, wenn eine Zweck-Mittel-Relation vorliegt.463 Richtigerweise ist zu differenzieren: Zum einen handelt es sich um Konstellationen, in denen es an einer Zweck-Mittel-Relation gänzlich fehlt. Hier findet gerade keine Abwägung statt, sondern eine Entsprechensprüfung anhand eines externen Maßstabs.464 Da dieser keine Prinzipienkollision zugrunde liegt, kommt es gar nicht dazu, daß in der Prüfung nicht berücksichtigte Aspekte zusätzlich erfaßt werden müßten. Der aus dem rechtlichen Umfeld der Problemlage gebildete Maßstab berücksichtigt von vornherein bei der Verhältnismäßigkeit problematische Aspekte wie z. B. die Frage, ob eine Leistung verdient wurde. Zum anderen und vor allem geht es um Konstellationen, in denen eine ZweckMittel-Relation auszumachen ist. Hier findet eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statt. Sie erfaßt jedoch nur einen Teil des Problems. In dem angeführten Beispiel 459 Huster,

Rechte und Ziele, S. 160 f. mit Fn. 407. Rechte und Ziele, S. 159. 461 Huster, Rechte und Ziele, S. 160. 462 Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 12 f.; Huster, Rechte und Ziele, S. 161. Andere Auffassung Lücke, DÖV 1974, 769/770 f.; Ossenbühl, Zumutbarkeit, S. 315 ff. 463 Huster, Rechte und Ziele, S. 163, der jedoch die Abwägung über eine Folgenabwägung hinaus versteht. 464 Vgl. oben § 3 C. I. 3. (S. 135). 460 Huster,

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des Bauherrn, der anläßlich der Änderung einer baulichen Anlage für Stellplätze doppelt so hohe Kosten wie für die Baumaßnahmen selbst aufwenden müßte,465 kann die hohe individuelle Belastung des Bauwilligen nicht in der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden. Die Kostenbelastung kann nur anhand des Maßstabs der Zumutbarkeit beurteilt werden. Dieser ist einseitig subjektiv zu verstehen.466 Die Abwägung bleibt als formelles Konfliktlösungsverfahren erhalten und auf die Lösung von Kollisionslagen beschränkt. Zumutbarkeitserwägungen werden als Korrektiv in einem nachgelagerten Prüfungsschritt angestellt. Die Abwägung bleibt so eng bei ihrer dogmatischen Ableitung aus Prinzipienkonflikten und wird nicht mit Erwägungen aufgeladen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem aufzulösenden Konflikt stehen. So wird vermieden, daß die Abwägung unklar und zu einem unscharfen Oberbegriff wird, der alle Umstände des Einzelfalles zugleich erfaßt. Der Weg zur Entscheidung wird nicht verdeckt, sondern die maßgeblichen Gesichtspunkte treten klar zutage.467 Im Rahmen der Zumutbarkeit wird eine an sich verhältnismäßige Regelung einer erneuten Prüfung unterzogen. Diese Prüfung bezieht sich nicht (mehr) auf die Beurteilung der Zweck-Mittel-Relation an sich. Dies hat die Verhältnismäßigkeitsprüfung i. e. S. geleistet, indem sie das Schwellengewicht der berührten Rechte festlegt und die Vorrangrelation für die kollidierenden Rechte bestimmt hat. Bei der auf Zweck-Mittel-Relationen beschränkten Prüfung gehören zu den zahlreichen ausgeklammerten Aspekten vor allem individuelle, atypische Belastungen des Einzelnen sowie Fragen, ob jemand einen Vorteil verdient etc. Diese Aspekte vermag die Zumutbarkeitsprüfung zu beurteilen. Sie beantwortet die Frage, ob eine an sich verhältnismäßige staatliche Maßnahme im Einzelfall anders beurteilt und die Konfliktlage auf andere Weise gelöst werden muß. Es werden individuelle Gesichtspunkte aufgegriffen und berücksichtigt. Dies führt zu einer Subjektivierung der Beurteilung. Konstellationen, die eine außerhalb der reinen Zweck-Mittel-Relation liegende Atypik aufweisen, werden von der Zumutbarkeit erfaßt. Die Zumutbarkeitsprüfung folgt daher der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach. Erst nach Bejahung der Verhältnismäßigkeit findet eine Subjektivierung statt, und es können weitere Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Die Zumutbarkeitsprüfung setzt ebenfalls eine Kollisionslage voraus, die Konfliktlösung reicht aber über die Beurteilung der Vorrangrelation hinaus. Im völligen Gegensatz hierzu entzieht die Kompensation dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz seinen Anwendungsbereich, indem die Kollisionslage teilweise oder vollständig aufgehoben wird. Die Kompensation ist demnach eine Figur, 465 Vgl.

oben § 3 C. I. 3. (S. 135). Ossenbühl, Zumutbarkeit, S. 321; Lücke, DÖV 1974, 769/770; Weber, JJb 3 (1962), 212/213, 231 f. 467 Vgl. Leisner, HdbStR VI, § 149 Rn. 145 (S. 1080). 466 Vgl.

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welche vor der Verhältnismäßigkeit und damit auch vor der Zumutbarkeit abzuhandeln ist. Die Rechtsfigur der Kompensation läßt sich daher nicht als ein Aspekt der Zumutbarkeit begreifen, sondern stellt auch insoweit eine eigenständige, der Verhältnismäßigkeitsprüfung und der Zumutbarkeitsprüfung vorgelagerte Fragestellung dar. IV. Zwischenergebnis Die Abwägung bleibt auf die Beurteilung einer Zweck-Mittel-Relation beschränkt. Sie kann nur externe Zwecke verarbeiten. Die Abwägung bedarf nicht der Ergänzung durch andere Elemente wie Kompensationsüberlegungen. Da zudem im Verhältnis zur Abwägung die Kompensation und die Zumutbarkeitsprüfung unterschiedliche Funktionen und dogmatische Standorte einnehmen, läßt sich die Kompensation auch nicht als außerhalb des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes liegendes Element der Zumutbarkeit begreifen.

E. Kompensation als eigenständiges Lösungsverfahren Aus der Beschränkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die Auflösung von Güter- bzw. Interessenkollisionen folgt die Unmöglichkeit, die Rechtsfigur der Kompensation in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzuordnen. Die Kompensation müßte sich daher als eigenständiges Lösungsverfahren verstehen lassen. I. Vom externen zum internen Zweck – die Internalisierung externer Zwecke durch die Kompensation Bislang wurde dargestellt, warum eine Ergänzung des regulativen Rechtsprinzips der Verhältnismäßigkeit nicht notwendig ist. Hieraus zu schließen, daß die Einordnung der Kompensation in das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch unmöglich ist, wäre jedoch voreilig. Zu prüfen ist, ob diese Inkompatibilität (auch) aus spezifischen Eigenschaften der Rechtsfigur der Kompensation selbst folgt. 1. Vorentscheidung der Abwägung wegen absoluter Priorität eines kollidierenden Guts Zu überlegen ist zunächst, ob durch eine Kompensation die Abwägung in bestimmten Konstellationen ausgeschlossen wird. Der Abwägung kommt die Auf-

E. Kompensation als eigenständiges Lösungsverfahren

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gabe zu, die Frage zu beantworten, ob das eine oder das andere Gut im Falle der Kollision Vorrang beansprucht. Damit trifft sie zugleich eine Entscheidung darüber, welcher von mehreren künftigen Zuständen der beste ist. Es entstehen zwangsläufig Probleme der Folgenbewertung. Diesen Problemen versuchen die Wohlfahrtstheorie und die Theorie der Sozialwahl zu begegnen, die das Verhältnis, in dem soziale Ziele zu den Interessen der einzelnen Gesellschaftsmitgliedern stehen, zu bestimmen versuchen.468 Die Abwägung wäre überflüssig, wenn die Vorrangrelation bereits von vornherein feststünde. Dies ist denkbar, wenn einem der kollidierenden Prinzipien eine absolute Priorität zukommt.469 Da hier der Vorrang geklärt, der Konflikt also zugunsten des Guts mit absoluter Priorität gelöst ist, wird eine Abwägung überflüssig. Zwar besteht noch die Kollisionslage, so daß die Abwägung prinzipiell möglich wäre, sie ist jedoch bereits aufgelöst, da für das eine Gut ein derart hohes Schwellengewicht vorliegt, daß es nicht mehr überwunden werden kann. Dies ist z. B. der Fall bei Art. 1 Abs. 1 GG. Die Gewährleistung der Menschenwürde ist einer Abwägung gerade nicht zugänglich.470 Ein weiteres Beispiel ist die in Art. 19 Abs. 2 GG niedergelegte Wesensgehaltsgarantie. Auch hier sind – nach dem Ansatz vom absoluten Wesensgehalt471 – bestimmte durch Kollisionen verursachte Beeinträchtigungen des Schutzbereichs von vornherein unzulässig. Eine Abwägung kann nicht stattfinden, da diese voraussetzt, daß die Schwellengewichte der kollidierenden Güter und die daraus folgende Vorrangrelation erst noch bestimmt werden müssen. Hier ist die Vorrangrelation jedoch bereits vorgegeben. Auch nach der Gerechtigkeitstheorie von Rawls liegt ein Abwägungsverbot für den Fall vor, daß bei einer Entscheidung das Los des am schlechtesten Gestellten betroffen ist. Im Urzustand hinter einem Schleier der Unwissenheit eines jeden Mitglieds der Gesellschaft würde jeder den Zustand wählen, in dem es der Person mit dem schlechtesten Los am besten ginge, da jeder damit rechnen muß, sich in dieser Position wiederzufinden (ein extrem risikoscheues Verhalten wird also unterstellt).472 Fraglich ist, ob auch die Rechtsfigur der Kompensation einem der kollidierenden Güter zur absoluten Priorität verhilft. Dies wurde in der Wohlfahrtsökonomie mit Hilfe des Kaldor-Hicks-Kriteriums (Kompensationskriterium) ange468 Vgl.

hierzu den Überblick bei Schäfer/Ott, Analyse, S. 23 ff. allgemeinen Gleichheitssatz diskutiert dies z. B. Huster, Rechte und Ziele, S. 430 ff. hinsichtlich einer absoluten Priorität des Gesamtnutzens oder einer absoluten Priorität der Gerechtigkeit – mit jeweils negativem Ergebnis. 470 Früher Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 I, seit 2003 aber differenzierend Herdegen in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 1 I Rn. 43 ff. und dagegen zu Recht Böckenförde, F. A. Z. 2003, 33/S. 33 und 35; Leicht, Die Zeit 2003, 9/9. 471 Stern, StaatsR III/2, § 85 III 2 (S. 865 ff.). 472 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 96, 180 f. 469 Beim

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

nommen. Das Kaldor-Hicks-Kriterium wurde entwickelt, um Nachteile des klassischen Utilitarismus und des Pareto-Kriteriums zu vermeiden, ohne auf deren Vorteile verzichten zu müssen. Gemeinsames Ziel dieser Ansätze ist es, Bedingungen zu formulieren, bei deren Vorliegen der Nutzen für das gemeine Wohl (Gesamtnutzen)473 durch eine bestimmte Maßnahme derart gefördert wird, daß sie auch zu Lasten einzelner ergriffen werden darf. Ist eine Maßnahme effizient, sind durch sie verursachte Einbußen des einzelnen hinzunehmen. In der Terminologie der Abwägung bedeutet dies, daß die Wohlfahrtsökonomie Kriterien zur Verfügung stellt, welche die Vorrangrelation zwischen zwei Rechten begründen sollen. Dem Gesamtnutzen (dem Allgemeinwohl) kommt danach absolute Priorität zu. Der klassische Utilitarismus erachtet den Vorrang für gegeben, wenn durch eine Maßnahme der Gesamtnutzen gesteigert wird.474 Gleichgültig bleibt, wie sich dieser Nutzen auf die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft verteilt. Der Wohlstand einiger dürfte zu Lasten oder zumindest ohne Berücksichtigung anderer gefördert werden.475 Es werden zwar eine Abwägung und die damit einhergehende Gefahr einer von subjektiven, willkürlichen Wertungen geprägten Entscheidung vermieden. Dieser Aspekt setzt den klassischen Utilitarismus jedoch zugleich dem Vorwurf der Ungerechtigkeit aus.476 Der klassische Utilitarismus stößt daneben auf praktische Probleme. Er setzt die Angabe des Nutzens eines jeden Gesellschaftsmitglieds als kardinale Zahl sowie die Durchführbarkeit eines interpersonellen Nutzenvergleichs voraus, was wissenschaftlich für unmöglich gehalten wird.477 Dem Gerechtigkeitsproblem läßt sich mit dem Pareto-Kriterium478 begegnen. Danach ist ein sozialer Zustand A dem Zustand B vorzuziehen, wenn in A wenigstens ein Gesellschaftsmitglied bessergestellt ist, als in B, ohne daß ein anderes Mitglied schlechter gestellt werden muß.479 Mit anderen Worten ist ein Zustand Pareto-optimal oder -effizient, wenn eine Person nur noch dann bessergestellt werden kann, wenn eine andere Person schlechter gestellt wird.480 Hierfür müssen drei Bedingungen vorliegen: effiziente Produktion, effizienter Konsum und 473 In

der Ökonomie wird meist von „Effizienz“ gesprochen. die Übersicht bei Schäfer/Ott, Analyse, S. 38 ff. 475 Huster, Rechte und Ziele, S. 431. 476 Huster, Rechte und Ziele, S. 95. 477 Vgl. Hicks, Rehabilitation, 328; Hicks, The Economic Journal 49 (1939), 696/699; Huster, Rechte und Ziele, S. 431 f.; Schäfer/Ott, Analyse, S. 40 f. m. w. N. 478 Das Kriterium geht zurück auf Pareto, Economie politique. 479 Külp et al., Wohlfahrtsökonomik I, S. 103; Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 87 ff.; Schäfer/ Ott, Analyse, S. 26 ff. 480 Huster, Rechte und Ziele, S. 432. Ausgangspunkt ist der Gedanke, daß nur solche Entscheidungen staatlicher Instanzen legitim sind, denen alle Mitglieder der Gesellschaft zustimmen würden, wenn man sie fragen könnte. Schon Rousseau sah die Vereinbarung als Grundlage jeder rechtmäßigen Herrschaft unter Menschen an (Rousseau, Bd. 3, Le contrat social, I 1). 474 Vgl.

E. Kompensation als eigenständiges Lösungsverfahren

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effiziente Produktionsstruktur.481 Das Kriterium ist dem Einwand der Ungerechtigkeit gefeit, weil es allenfalls jemanden besser, jedoch keinesfalls jemanden schlechter stellt. Pareto-Optimalität bedeutet aber noch nicht, daß eine Gesellschaft gerecht gestaltet wäre. Man muß zusätzlich die Anfangsausstattung der Gesellschaftsmitglieder mit Ressourcen kennen.482 Voraussetzung ist jedenfalls, daß der Ausgangszustand bereits gerecht war, da sonst die anfängliche Ungerechtigkeit lediglich perpetuiert wird.483 Über die Gerechtigkeit des Ausgangszustandes selbst trifft das Pareto-Kriterium keine Aussage.484 Damit vermeidet das Pareto-Kriterium zwar das Problem der Ungerechtigkeit des klassischen Utilitarismus. Auch erübrigt sich der äußerst problematische interpersonelle Nutzenvergleich. Ungelöst ist jedoch ein neues Problem: Da kaum eine staatliche Maßnahme lediglich vorteilhaft wirkt und es stets nachteilig Betroffene gibt, ließe sich kaum eine staatliche Maßnahme mit Hilfe des ParetoKriteriums rechtfertigen. Dem will das Kompensationskriterium (Kaldor-Hicks-Kriterium) abhelfen.485 Danach soll eine Maßnahme immer dann ergriffen werden, wenn sie zwar eine oder mehrere Personen schlechter stellt, es aber möglich ist, diesen Nachteil aus dem Gewinn der Bessergestellten zu entschädigen (zu kompensieren) und den Bessergestellten trotzdem noch ein Gewinn verbleibt.486 Zu berücksichtigen ist, daß die Kompensation nur möglich sein muß, nicht hingegen tatsächlich auch durchzuführen ist. Es wird nun nicht mehr nach den notwendigen Bedingungen für die Realisierung des Optimums gefragt, sondern man formuliert ausreichende Bedingungen für eine Wohlfahrtssteigerung.487 Mit diesem Kriterium soll gerade kein Werturteil verbunden werden, so daß aufgrund der bloßen Möglichkeit der Kompensation eine gerechte Verteilung von Vor- und Nachteilen nicht sichergestellt ist.488 Dem kann sicherlich zunächst mit der Überlegung begegnet 481 Schäfer/Ott,

Analyse, S. 27 ff. Analyse, S. 29, vgl. auch S. 26, 30 ff. 483 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 100. Das Pareto-Kriterium setzt auch die Verteilung des Vermögens auf die Gesellschaftsmitglieder als bekannt voraus (vgl. Schäfer/Ott, Analyse, S. 29, vgl. auch S. 26, 30 ff.). 484 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 92; Schäfer/Ott, Analyse, S. 29: Die Annahme, jeder Paretoeffiziente Zustand sei jedem Pareto-ineffizienten Zustand überlegen, bedeutet einen freiwilligen Verzicht auf Verteilungsüberlegungen. Es gibt eine unbegrenzte Zahl möglicher effizienter (Paretooptimaler) Zustände, die sich von einander dadurch unterscheiden, wie sie den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand verteilen, vgl. Hicks, The Economic Journal 49 (1939), 696/701. 485 Dechsling, Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 68, versteht die Erforderlichkeitsprüfung als (modifiziertes) Kaldor-Hicks-Kriterium; Külp et al., Wohlfahrtsökonomik I, S. 103 ff. 486 Hicks, The Economic Journal 49 (1939), 696/696 ff.; Hicks, Rehabilitation, 328 ff.; Kaldor, Propositions, 388 f.; Schäfer/Ott, Analyse, S. 31 ff. 487 Külp et al., Wohlfahrtsökonomik I, S. 103. 488 Hicks, The Economic Journal 49 (1939), 696/711: „whether or not compensation should be given in any particular case is a question of distribution, upon which there cannot be identity of interest and so there cannot be any generally acceptable principle“. So auch Kaldor, Propositions, 388. 482 Schäfer/Ott,

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

werden, daß langfristig jeder insgesamt bessergestellt sein wird, als wenn auf die effizienzsteigernde Maßnahme völlig verzichtet würde (General- bzw. Gesamtkompensation).489 Jedoch ist dies nicht sicher gewährleistet, solange man die Kompensation aus dem Gewinn gerade der Bessergestellten nur für zulässig, aber eben nicht für verpflichtend hält. Trifft den einzelnen ein besonders großer Nachteil, ist eine spätere vollständige Kompensation unwahrscheinlich. Deshalb kann auch nicht angenommen werden, daß die Gesellschaftsmitglieder das Risiko, einen Nachteil zu erleiden, in der Erwartung eines Vorteils eingegangen sind. Allenfalls wenn Vor- und Nachteil hinsichtlich Intensität und Wahrscheinlichkeit in einem angemessenen Verhältnis stünden, könnte diese Überlegung weiter verfolgt werden. Dies zu beurteilen, fordert jedoch gerade wieder eine Auflösung einer Kollisionslage mit Hilfe einer Abwägung.490 Daher kann auch das Kompensations- bzw. Kaldor-Hicks-Kriterium die Abwägung letztlich nicht vermeiden. Das Kompensationskriterium führt nicht dazu, daß unter seinen abwägungsfreien Voraussetzungen dem Allgemeinwohl automatisch Priorität zukommt. Der Begriff der (Allokations-) Effizienz führt zu einer nur scheinbar exakten, mit Inhalt gefüllten Begrifflichkeit.491 2. Abgeltung von Externalitäten in der (Umwelt-) Ökonomie Die Figur der Kompensation taucht aber nicht nur innerhalb der neueren Wohlfahrtsökonomie auf, sondern sie wird auch allgemein als Begründung für die (finanzielle) Abgeltung negativer Externalitäten herangezogen. Dem liegen zwei gegensätzliche ökonomische Modelle zugrunde:492 a) Pigous Theorie der externen Effekte Nach Pigous Theorie der externen Effekte493 entstehen Allokationsverzerrungen immer dann, wenn ökonomische Aktivitäten Auswirkungen auf andere Wirtschaftssubjekte (Dritte) entfalten, ohne daß diese Auswirkungen über marktmäßige Austauschbeziehungen vermittelt würden.494 „Uncompensated benefits“ 489 Hicks,

Rehabilitation, 329. Rechte und Ziele, S. 436. Allenfalls wäre es denkbar, daß Gerechtigkeitsfragen zunächst außen vor bleiben und die Lösung solcher Fragen in einem anderen, davon unabhängigen Umverteilungsverfahren gesucht wird. 491 Kirchner, Auffangordnungen, S. 73. 492 Vgl. den Überblick bei Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 3 I 3 a bb (S. 70 ff.). 493 Pigou, Economics. Vgl. Endres, Internalisierung, S. 121 ff. 494 Vgl. Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 3 I 3 a bb (S. 71). 490 Huster,

E. Kompensation als eigenständiges Lösungsverfahren

171

und „uncompensated burdens“495 gehen in die einzelwirtschaftliche Rechnung des handelnden Wirtschaftssubjekts nicht ein. Das marktliche Äquivalenzprinzip wird durchbrochen. Nach Pigou müssen auf diese Weise entstandene externe Effekte beim Verursacher in Form von Steuern (sog. Pigou-Steuer) und Subventionen internalisiert werden.496 Diese Position besticht theoretisch durch ihre Plausibilität. Doch ist sie praktisch undurchführbar. Der Haupteinwand gegen Pigous Ansatz liegt darin, daß es kaum möglich sein wird, den Verursacher des externen Effekts zu bestimmen und die richtige Abgaben-/Steuerhöhe festzulegen.497 b) Verhandlungslösung nach Coase Deshalb schlägt Coase einen Verhandlungsweg ein.498 Im freien Wettbewerb zwischen Privaten können externe Effekte durch Verhandlungen eliminiert werden. Externe Effekte sind stets reziproker Natur. Es läßt sich daher nicht begründen, warum das Ausmaß des externen Effekts durch eine regulierende staatliche Instanz, d. h. durch staatliche Eingriffe in die Aktivität des Schädigers ausgeglichen wird.499 Die Lösung zur Vermeidung von Allokationsverzerrungen liegt darin, daß der Ausgleich auf der Zustimmung der Akteure beruht. Es lassen sich drei wesentliche Argumentationslinien ausmachen: methodologischer Individualismus in der Ökonomie, überlegene Informationsverarbeitung in einem dezentralen System500 und Rechtfertigung einer Regelung aufgrund der Zustimmung der Beteiligten.501 c) Neuere Entwicklung Jedoch hat sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, daß eine vollständige Internalisierung negativer externer Effekte angesichts nicht zu überwindender

495 Pigou,

Economics, S. 172, 224. DV 30 (1997), 185/192 ff.; Kapp, Kosten, S. 192 ff.; v. Knorring, ZfU 1995, 537/S. 537 ff. 497 Baumol/Oates, Standards, 42/43 f.; Hicks, The Economic Journal 49 (1939), 696/697 f.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 3 I 3 a bb (S. 71) und § 15 I (S. 394 ff.). 498 Coase, Journal of Law and Economics 2 (1959), 1/17 ff., 28 ff.; Coase, Journal of Law and Economics 3 (1960), 1/1 schon Coase, Economica 4 (1937), 386/386 ff.; vgl. Endres, Internalisierung, S. 26 ff. 499 Vgl. Coase, Journal of Law and Economics 2 (1959), 1/26; ähnlich Endres, S. 26. 500 Dem Staat stehen die notwendigen Informationen gar nicht zur Verfügung, Coase, Journal of Law and Economics 2 (1959), 1/18. 501 Kirchner, Auffangordnungen, S. 78 m. w. N. 496 Britz,

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

Informations- und Bewertungsprobleme weder mit Pigou noch mit Coase zu erreichen ist.502 Man zielt heute daher eher auf Effizienz ohne Optimalität.503 3. Internalisierung externer Effekte – die Kompensation Der Gedanke der Notwendigkeit, externe Effekte zu (re-) internalisieren, läßt sich hingegen allgemein als Kennzeichen der Kompensation verstehen und auch auf den vorliegenden Zusammenhang übertragen: Negative Transfers sind keine prinzipiell vermeidbare Erscheinung. Sie lassen sich auch bei Kollisionen von Rechten feststellen. Löst man eine solche mit Hilfe der Abwägung auf, entsteht der negative Transfer dadurch, daß eines der kollidierenden Güter zurücktritt. Der Inhaber des nach der Abwägung überwiegenden Rechts nimmt dieses auf Kosten des Inhabers des kollidierenden Rechts in Anspruch. Durch die Inanspruchnahme des einen Rechts zu Lasten eines anderen entsteht eine asymmetrische Verteilung der Möglichkeit, seine Rechte zu realisieren. Diese Erscheinung ist durch die Struktur der Abwägung bedingt, die aus dem Schwellengewicht der kollidierenden Prinzipien eine Vorrangrelation bildet. Hieraus folgt stets, daß es – plastisch gesprochen – „Sieger“ und „Verlierer“ gibt. Legitimationsgrund ist das größere Gewicht, das einem der Prinzipien zukommt. So muß z. B. der einzelne ein Versammlungsverbot (Beeinträchtigung seines Rechts aus Art. 8 I GG) hinnehmen, wenn es zum Schutz der Gesundheit und des Lebens anderer (kollidierendes Recht der anderen aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) notwendig ist, um z. B. die Ausbreitung hochinfektiöser Krankheiten zu verhindern (§ 28 Abs. 1 S. 2 InfSchG). Leben und Gesundheit kommt größeres Gewicht zu als dem – nur zeitlich wie räumlich durch die Verfügung aufgrund § 28 Abs. 1 S. 2 InfSchG beschränkten – Recht, sich zu versammeln. Die Beschränkung eines Rechts wird gestattet, weil die Befolgung eines anderen Ziels (externen Zwecks) von größerer Bedeutung ist. Der Inhaber des nach der Abwägung gewichtigeren Rechtsguts leitet die Legitimation, sein Recht durchsetzen zu dürfen, folglich aus einem externen Zweck ab. Hierdurch entsteht das, was in der Ökonomie als negativer Transfer bezeichnet wird. Ein negativer Transfer liegt vor, wenn jemand eine Beschränkung seines Rechts hinnehmen muß, ohne daß ihm hierfür ein Ausgleich gleich welcher Art zugesprochen würde. Die Pflicht, Beeinträchtigungen als verhältnismäßig einseitig entschädigungslos hinzunehmen, läuft auf eine Externalisierung von Ge502 Vgl.

Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 3 I 3 a cc (S. 73 ff.). „environmental pricing and standards procedure“ (Standard-Preis-Ansatz) von Baumol und Oats: Baumol/Oates, Standards, 42/42 ff., 44 ff., 51. 503 Sogenannte

E. Kompensation als eigenständiges Lösungsverfahren

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meinwohlkosten hinaus.504 Die Inanspruchnahme des gewichtigeren Rechtsguts wird allein wegen dessen höheren Gewichts gestattet. Der Kollision wird nicht dadurch Rechnung getragen, daß für die Inanspruchnahme des Rechts ein Ausgleich demjenigen zukommen muß, der hierdurch eine Beeinträchtigung erleidet. Auf diese Weise wären beide Güter an sich größtmöglich durchgesetzt. Besonders eindeutig stellt sich diese Konstellation dar, wenn der externe Zweck einen in der Abwägung unterlegenen Gemeinwohlbelang darstellt: Dann darf ein Bürger die Allgemeinheit in Anspruch nehmen, um sein Recht durchzusetzen. Die Allgemeinheit hilft bei der Rechtsverwirklichung, ohne daß ihr ein entsprechender Vorteil zuflösse. Auch umgekehrt, wenn ein hoheitlicher Eingriff zugunsten eines individuellen Interesses vorgenommen wird, handelt es sich um die Externalisierung von Kosten individueller Vorteile auf zufällig Letztbetroffene, bei denen die negativen Transfersalden des hoheitlichen Eingriffs hängen bleiben.505 Die Kompensation greift in diesen negativen Transferstrom ein, indem sie einen Gegenstrom erzeugt und die Asymmetrie wieder ausgleicht.506 Die Beeinträchtigung durch den negativen externen Effekt soll durch den Einsatz eines Kompensationsmittels – im Idealfall vollständig – ausgeglichen werden (positiver Transfergegenstrom). Es liegen daher beidseitige kompensierende Transfers vor, die das Ziel haben, die Kollisionslösung dem durch die Kollision an sich gestörten Ideal der Gerechtigkeit, der gerechten Güter- und Interessenverteilung wieder anzunähern.507 Wird eine Rechtsbeschränkung vorgenommen, um ein externes Ziel zu erreichen, knüpft die Kompensation an diesen externen Zweck an und erzeugt durch den Einsatz des Kompensationsmittels zu dem von ihm verursachten negativen Transferstrom einen Gegenstrom. Dies führt dazu, daß der Rechtsinhaber sein Recht nicht mehr auf Kosten eines Dritten durchsetzt. Vielmehr führt der positive Transfergegenstrom dazu, daß der externe Zweck durch die Kompensation internalisiert wird. Im Idealfall der vollständigen Kompensation liegt also keine Beeinträchtigung des kollidierenden Rechts mehr vor. Die Kollision wurde durch die Kompensation, d. h. durch die Internalisierung des externen Zwecks, vollständig aufgelöst. Damit wird zum einen beiden Rechten zur vollen Wirksamkeit verholfen. Zum andern darf jemand ein Recht nur dann wahrnehmen, wenn er zugleich bereit ist, die damit zwangsläufig verbundenen negativen Folgen selbst zu tragen. So kann z. B. ein Interesse der Allgemeinheit zwar gegen

504 Suhr,

Kompensationen und Entscheidungsverknüpfungen, S. 119. Kompensationen und Entscheidungsverknüpfungen, S. 129: „ziemlich willkürliche Privatisierung der Kosten von Privilegien durch Externalisierung auf zufällig betroffene Letztabnehmer“. Ähnlich Endres, Internalisierung, S. 10 f. 506 Vgl. Suhr, Kompensationen und Entscheidungsverknüpfungen, S. 130, 135 f. 507 Suhr, Kompensationen und Entscheidungsverknüpfungen, S. 117. 505 Suhr,

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§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

ein Interesse eines einzelnen durchgesetzt werden, die Allgemeinheit muß aber auch die damit verbundenen negativen Folgen hinnehmen.508 Die vollständige Internalisierung des externen Effekts funktioniert zugegebenermaßen nur im Idealfall. Dieser Idealfall tritt durchaus auf, namentlich dann, wenn die Beeinträchtigung des kollidierenden Rechts mathematisch meßbar ist. Dies ist z. B. bei Sozialleistungen oder im Steuer- und Abgabenrecht der Fall.509 Ist eine vollständige Kompensation nicht möglich, wie es in der Regel der Fall sein wird, z. B. weil ein tatsächlicher Ausgleich der Rechtsbeeinträchtigung nicht möglich ist und auf eine finanzielle Kompensation ausgewichen werden muß, liegt ein aliud zum vollen Recht vor, da immaterielle Interessen nicht berücksichtigt werden können. Die Kollision wird durch die Kompensation nicht vollständig aufgelöst. Der externe Zweck wird nicht vollständig internalisiert, so daß ein negativer Transferstrom – wenn auch ein verkleinerter – verbleibt. Hier stellt sich die Frage, inwieweit der externe Zweck im Vergleich zur verbleibenden Rechtsbeeinträchtigung noch angemessen ist.510 Diese Frage beantwortet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Abwägung. Aufgrund der unvollständigen Internalisierung verbleibt eine Kollision von Rechten, die mit Hilfe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgelöst werden muß. Fraglich bleibt nur noch der Sonderfall, daß gar kein externer Zweck vorliegt, der internalisiert werden könnte, sondern nur ein interner Zweck mit der staatlichen Maßnahme verfolgt wird. Hier muß jedoch bereits an der Fragestellung selbst angesetzt werden: Der interne Zweck wird dadurch gekennzeichnet, daß eine Eingriffssituation nicht vorliegt. Vielmehr dient er gerade der Verwirklichung des berührten Rechts. Damit kann in einem solchen Fall eine Kompensation von vornherein gar nicht stattfinden. Jede „Kompensations“-Leistung wäre eine Überkompensation, da es bei der Verfolgung interner Zwecke an einem defizitären Rechtszustand fehlt. Es findet einzig eine Entsprechensprüfung statt, ob die untersuchte staatliche Maßnahme einem vorgegebenen Maßstab entspricht. II. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis läßt sich festhalten, daß die Kompensation einen anderen Lösungsmechanismus darstellt als die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Während die Abwägung die Frage nach noch angemessenen Opfern stellt, zwingt die 508 So ist eine Enteignung nur dann zulässig, wenn zugleich eine Entschädigung gewährt wird (Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG). Hieraus erklärt sich, warum kein Schadensersatz, sondern eine Entschädigung zu leisten ist, da der positive Transfergegenstrom etwas anderes ist als eine Schadensersatzleistung. 509 Vgl. das einleitende Beispiel oben § 1 A. (S. 28). 510 Vgl. Suhr, Kompensationen und Entscheidungsverknüpfungen, S. 124.

F. Ergebnis zu § 3

175

Kompensation dazu, diese finale und linear-zweckrationale Betrachtungsweise aufzugeben und, die komplexen Transferzusammenhänge aufgreifend, eine dieser Komplexität gerecht werdende Lösung zu suchen.511 Die Kompensation ist gegenüber der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein aliud und läßt sich nicht in diese integrieren, sondern sie geht der Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. Charakteristisches Merkmal der Kompensation ist, daß sie externe Zwecke internalisiert und damit eine vorhandene Prinzipienkollision auflöst, indem beiden Prinzipien zur möglichst vollen Wirksamkeit verholfen wird. Durch die Internalisierung externer Effekte führt die Kompensation gerade nicht zu einer Ergänzung der Verhältnismäßigkeitsprüfung,512 sondern entzieht dieser im Falle eines vollständigen Ausgleichs den erforderlichen Prinzipienkonflikt. Auf diese Weise gelingt es, sowohl die eingreifenden als auch die leistungsstaatlichen Elemente zu berücksichtigen. Die auf Eingriffsabwehr zielende Verhältnismäßigkeitsprüfung stört den staatlichen Leistungs- und Ordnungszweck nicht, da sie erst nach der Kompensationsleistung vorgenommen wird. Der Eingriff wird so entweder gänzlich beseitigt (im Falle der vollständigen Kompensation) oder jedenfalls abgemildert, so daß nur noch der überschießende „Rest“ des Eingriffs gerechtfertigt werden muß. Insofern greifen beide Rechtsfiguren ineinander und ergänzen sich. Jedoch sind sie selbständig und unabhängig. Die Kompensation führt folglich nicht zu einer Ergänzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Kompensation beseitigt einen abwägungsfähigen Rechtsgüterkonflikt, so daß sich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur erübrigt, eine solche vielmehr undurchführbar wird. Der Kompensationsgedanke ersetzt die Verhältnismäßigkeitsprüfung in bestimmten Konstellationen gänzlich und macht eine Abwägung überflüssig.

F. Ergebnis zu § 3 Die Kompensation läßt sich dogmatisch nicht als Teil des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verstehen. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung bezieht sich in ihren beiden Prüfungsstufen der Geeignetheit und Erforderlichkeit in erster Linie auf die tatsächliche Ebene. Allein auf der normativen Ebene der Abwägung (Verhältnismäßigkeit i. e. S.) wäre eine Einordnung der Kompensation an sich denkbar. Es wurde gezeigt, daß die Verhältnismäßigkeitsprüfung sich logisch aus Prinzipienkollisionen ableitet. Diese bilden die dogmatische Grundlage und den Ausgangspunkt einer jeden Verhältnismäßigkeitsprüfung. Welcher Art die Kollision ist, spielt keine Rolle. Auch kollidierende Kompetenzen oder Kollisionen von 511 Vgl.

Suhr, Kompensationen und Entscheidungsverknüpfungen, S. 119 und 131. Scholz, Mitbestimmung, S. 110 ff. Dagegen schon oben § 3 D. II. (S. 147).

512 Anders

176

§ 3 Dogmatischer Standort der Kompensation

Rechten außerhalb der Grundrechte sind mit Hilfe der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu lösen. Für die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügt allerdings allein das Vorhandensein einer Belastung nicht. Es muß sich vielmehr um ein spezifisches Eindringen in einen abgegrenzten Rechts- oder Kompetenzbereich handeln.513 Rechte zeichnen sich dadurch aus, daß sie jeweils gegen das kollidierende Recht ein Schwellengewicht entfalten. Anhand dieser Schwellengewichte muß eine Vorrangrelation zugunsten eines Rechts ermittelt werden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Abwägung) löst die Kollision durch Bildung einer Vorrangrelation zwischen den kollidierenden Prinzipien auf. Hierbei kommt es darauf an, das Schwellengewicht, das ein Prinzip gegenüber anderen Prinzipien entfaltet, festzulegen. Jede solche Position, die gegenüber anderen ein spezifisches Schwellengewicht entfaltet, kann als Recht i. w. S. bezeichnet werden und ist prinzipiell im Kollisionsfalle einer Abwägung zugänglich. Die hierfür erforderlichen Wertungen liefert nicht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sondern sie folgen aus Maßstäben, die aus dem rechtlichen Umfeld zu entwickeln sind. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt also wie auch die Kompensation ein regulatives Rechtsprinzip dar. Eine Überdehnung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wäre aber seine Ausweitung auf Aspekte außerhalb von Zweck-Mittel-Relationen (Kollisionslagen). Eine Kollisionslage ist unabdingbare Anwendungsvoraussetzung. Davon nicht erfaßte Aspekte der aufzulösenden Problemlage müssen an anderer Stelle Berücksichtigung finden. Wo eine Kollisionslage fehlt, liegt keine Verhältnismäßigkeitsprüfung, sondern eine Entsprechensprüfung an einem externen Maßstab (wie z. B. die Schuldangemessenheit der Strafe) vor. Besteht eine Kollisionslage, bedarf der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz keiner Erweiterung um zusätzliche Aspekte. Fragen wie solche der Zumutbarkeit schließen sich der Verhältnismäßigkeitsprüfung an, sind aber kein Teil von ihr. Der Beschränkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf Kollisionslagen liegt eine Differenzierung von internen und externen Zwecken zugrunde. Externe Zwecke stehen zu dem Recht, in das eingegriffen wird, in einem echten ZweckMittel-Verhältnis. Die Rechtsbeeinträchtigung wird zur Verfolgung des externen Zwecks (gesamtgesellschaftliche Nutzen- oder Zweckmäßigkeitserwägungen) in Kauf genommen. Ein interner Zweck hingegen dient gerade der Verwirklichung des berührten Rechts und ist dadurch gekennzeichnet, daß eine Eingriffssituation (Kollisionslage) nicht vorliegt. Die Kompensation knüpft an diese Unterscheidung zwischen internen und externen Zwecken an. Zwar führt sie nicht – wie in der Wohlfahrtsökonomie diskutiert – zu einer absoluten Priorität eines der kollidierenden Rechte. Der Ge513 Vgl.

Lerche, Übermaß, S. 140.

F. Ergebnis zu § 3

177

danke der Allokationseffizienz läßt sich jedoch auch hier fruchtbar machen. Die Kompensation führt zu einer Internalisierung externer Zwecke. Durch die Kompensation wird der externe Zweck beseitigt und zu einem internen umgewandelt, so daß die für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unabdingbare Kollisionslage nicht mehr vorliegt. Ziel der Kompensation ist die größtmögliche Wahrung beider Rechte. Es geht nun nicht mehr um die Verfolgung eines dritten, d. h. externen Ziels, sondern das Ziel liegt in der Verwirklichung des an sich beschränkten Rechts selbst. Von vornherein interne Zwecke sind einer Kompensation nicht zugänglich, da sie der Wahrung des Rechts von sich aus dienen. Die Kompensation läßt sich folglich dogmatisch nicht als Teil der Verhältnismäßigkeitsprüfung verstehen, sondern ist dieser vorgelagert. Nur hinsichtlich des gegebenenfalls verbleibenden, nicht kompensierten Rests kann und muß eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen werden. Abwägung und Kompensation sind voneinander unabhängige Institute, die sich gegenseitig ausschließen. Während die Abwägung eine Kollision voraussetzt, beseitigt die Kompensation den Rechtsgüterkonflikt bereits „an seiner Wurzel“ durch die Internalisierung des externen Zwecks.

§ 4 Gleichheit als Rechtsidee A. Untersuchungsziele Bislang wurde die Kompensation als Rechtsfigur allgemein untersucht. Ihre Voraussetzungen konnten offengelegt werden. Sie wurde als eine gegenüber dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eigenständige Rechtsfigur erkannt. Es konnte festgestellt werden, daß eine Kompensationsmöglichkeit nichts darüber aussagt, ob ein Rechtszustand defizitär ist. Es fehlt daher ein Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz. Insbesondere ist die Frage offen geblieben, ob eine erfolgreiche Kompensation die Ungleichbehandlung i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG beseitigt. Die Struktur des Kompensationsgedankens und die ihm innewohnenden Elemente einer übergreifenden Gerechtigkeit lassen eine besondere Nähe zu Art. 3 Abs. 1 GG erkennen. Da die Kompensation im Ergebnis zu einer Gleichstellung führt, scheint dies gegen das Vorliegen einer Ungleichbehandlung zu sprechen. Die Frage, ob die Kompensation zu einer Gleichbehandlung führt oder ob nach wie vor eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung vorliegt, hängt davon ab, wie der Gleichheitsbegriff des Art. 3 Abs. 1 GG zu verstehen ist.1 Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend ungleich zu behandeln.2 Die Forderung, daß unter gleichen relevanten Bedingungen dieselbe Wertung und dieselbe rechtliche Folgen gesetzt werden sollen, wird allgemein anerkannt. Jedoch ist dieser Konkretisierungsversuch des Gleichheitssatzes für sich genommen inhaltslos3 , da er keine Aussage darüber enthält, ob die verschieden behandelten Personen nun gleich oder ungleich sind. Es geht folglich darum, diese Forderung exakt zu formulieren.4 Dabei ist sowohl die Exekutive als auch die Legislative an dieses Gebot gebunden.5 Nachdem die inhaltlich relativ einfach in den Griff zu bekommende Rechtsanwendungsgleichheit als Bindung 1 Vgl.

Hey, AöR 128 (2003), 226/236 ff.; Leibholz, Gleichheit, S. 41 ff. 1, 14/52. Seit dem st. Rspr.: BVerfGE 1, 264/275; 3, 58/135 f.; 4, 144/255; 42, 64/72; 71, 255/271. Vgl. auch BVerwGE 7, 325/329; BGHZ 50, 180/188; Aldag, Gleichheit, S. 5, 22; Kriele, Gerechtigkeit, S. 91 ff.; Leibholz, Gleichheit, S. 45 f., 220, 244; Lerche, Übermaß, S. 31; Rümelin, Gleichheit, S. 15. 3 Zur semantischen Gehaltlosigkeit des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes vgl. Podlech, Gehalt, S. 77 ff., 84 f. 4 Vgl. Weinberger, FG-Troller, S. 489. 5 BVerfGE 1, 14/52; allgemeine Meinung: Alexy, Theorie, S. 358 f.; Kirchhof , HdbStR V, § 125 Rn. 1 (S. 974); Leibholz, Gleichheit, S. 34 ff.; Martini, Absolute Rechtsgleichheit, S. 7; Starck, Anwendung, S. 51/52 f.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 2. Die Wendung „sind gleich“ in Art. 3 Abs. 1 GG wird so zu dem Gebot „sind gleich zu behandeln“. 2 BVerfGE

180

§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

des Rechtsanwenders an das Gesetz eine Erweiterung auf die Rechtssetzungsgleichheit erfahren hat, entstand die komplexe verfassungsdogmatische Herausforderung zu bestimmen, was die Bindung an den Gleichheitssatz bedeutet.6 Dieser Herausforderung wird im folgenden begegnet, indem zunächst die historische Entwicklung des Gleichheitsbegriffs betrachtet wird (§ 4 B. [S. 180 ff.]). Im Anschluß daran läßt sich unter kritischer Würdigung der gegenwärtigen Diskussion der Gleichheitsbegriff des Art. 3 Abs. 1 GG entwickeln (§ 4 C. [S. 201 ff.]). In diesem Zusammenhang muß geklärt werden, ob auch Gerechtigkeitserwägungen in den Gleichheitsbegriff aufzunehmen sind oder ob es sich dabei um einen Aspekt des Rechtsstaatsprinzips handelt (§ 4 C. IV. 2. [S. 246 ff.]). Der Gleichheitsbegriff könnte als Schlüsselbegriff verstanden werden, der Gerechtigkeitsfragen strukturiert und in begrenzter Weise erschließt.7 Die Berücksichtigung von Gerechtigkeitserwägungen könnte dafür sprechen, daß die Kompensation bereits die Ungleichbehandlung entfallen läßt. Der Entwicklung des Gleichheitsbegriffs i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG schließt sich zwangsläufig die Frage der Rechtfertigung relevanter Ungleichbehandlungen an (§ 4 D. [S. 264 ff.]). Die Einordnung der aus den vorgehenden Paragraphen in ihrer Struktur bekannten Kompensation in die Gleichheitsprüfung kann auf der Grundlage der in diesem Kapitel angestellten Untersuchungen unten in § 5 (S. 281 ff.) vorgenommen werden.

B. Historische Betrachtung Rechtsideen werden entwickelt, um Antworten auf politische, soziale und ökonomische Herausforderungen geben zu können. Andererseits aber gehen von ihnen selbst neue Impulse aus.8 Auch der Gleichheitssatz ist trotz seiner grammatischen Konstanz9 eine kulturgebundene Aussage.10 Aufgrund seines abstrakten Gehalts gehört der Gedanke der Gleichheit zu den ältesten ideengeschichtlichen Grundlagen moderner Grundrechte.11 Sein Inhalt kann daher nicht ohne einen Blick auf die historische Entwicklung des Gleichheitsverständnisses erfaßt 6 Geiger, Staats- und Verwaltungswissenschaftliche Beiträge 1957, 167/168 f.; Huster, Rechte und Ziele, S. 18; Martini, Absolute Rechtsgleichheit, S. 115. In der Inhaltsgebung des Gleichheitssatzes ist eine fortschreitende Ausdehnung der Gleichheitsforderung festzustellen (Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/171). 7 Böckenförde, VVDStRL 47 (1989), 95/95; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/23; vgl. auch Robbers, Gerechtigkeit, S. 87 ff. 8 Dann, Gleichheit, S. 27 m. w. N.; Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 45 (S. 855). 9 Leibholz, Gleichheit, S. 14 f.; vgl. die Nachweise bei Podlech, Gehalt, S. 28, Fn. 1 a. 10 Häberle, Diskussionsbeitrag, S. 85; Podlech, Gehalt, S. 28. 11 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 1.

B. Historische Betrachtung

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werden.12 Zugleich wird die inhaltliche Unbestimmtheit überwunden, wenn das Umfeld seiner Anwendung in Gestalt vorgegebener kultureller und rechtlicher Differenzierungen betrachtet wird. Deshalb ist der Gleichheitssatz als Teil der ihn hervorbringenden Kulturordnung zu verstehen und im Zusammenhang der jeweiligen konkreten Verfassungsordnung anzuwenden.13 I. Antike Das Problem der gesellschaftlichen Gleichheit stellte sich bereits in frühesten menschlichen Gemeinschaften. Dennoch beginnt die historische Betrachtung vorliegend „erst“ in der Antike. Diese Vorgehensweise liegt darin begründet, daß die europäische Geistesentwicklung durch orientalische (und andere) Geistesströmungen wenig beeinflußt wurde. Im antiken Griechenland fand eine Begriffsentwicklung statt, die sich unabhängig von fremden Traditionsbildungen vollziehen konnte und der exemplarischer Charakter zukommt.14 Die Tradition des neuzeitlichen Gleichheitsbegriffs geht bis auf diese Wurzeln der bürgerlichen Gleichheit der athenischen Polis zurück. Damals wie heute wurde die Begriffsentwicklung von der Grundüberzeugung bestimmt, daß die Gleichheit ein Kriterium der Gerechtigkeit ist.15 Eine zweite Wurzel stellt das Alte Testament dar, wonach alle Menschen von Gott nach seinem Bilde geschaffen wurden. Weiter bildet die stoische Philosophie, die allen Menschen die gleiche Vernunftbestimmung zuschreibt, eine Grundlage des Gleichheitsbegriffs. Schließlich ist das paulinische Christentum, wonach alle Gläubige eins sind in Christus, wenngleich im Stand und Sünde und bis zur Erlösung gepeinigt durch Ungleichheiten und Ungerechtigkeit, die vierte Wurzel.16 1. Griechenland Der Gleichheitsbegriff wird zuerst in den griechischen Polisstaaten des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr. historisch faßbar.17 Man begriff die Gleichheit als allgemeines Gesetz, so in der Philosophie als allgemeines Gesetz des Kos12 Die wesentlichen Forschungsarbeiten zur historischen Entwicklung des Begriffs stammen von Otto Dann: Dann, Gleichheit; Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 997 ff. Vgl. aber auch Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 1 ff.; Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 44 ff. (S. 855 ff.). 13 Vgl. Arndt, FS-Leibholz II, S. 180; Ipsen, Gleichheit, S. 115; Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 44 (S. 855); Rüthers, FS-Zeidler, S. 21. 14 Dann, Gleichheit, S. 31 f. 15 Aristoteles, Eth. Nic., V 6 (1131a); vgl. V 1 (1129a). Aus neuerer Zeit ausführlich Robbers, Gerechtigkeit. 16 Bühl, Stichwort „Gleichheit“, Sp. 1065. 17 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1000.

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mos, aber auch in der Mathematik und in der Medizin.18 Indes fehlte es noch an einem allgemeinen Gleichheitsbegriff. Die Vorstellung wurde bestimmt von der ständisch-hierarchischen Gesellschaftsstruktur der frühen griechischen Stadtstaaten.19 Hieraus resultierte ein Gleichheitsverständnis, welches auf eine Gleichheit der Art, der Form und Eigenschaften abstellte (homoios). Diese qualitative Gleichheit diente der sozialen Abgrenzung – insbesondere der adligen Führungsschicht – nach unten.20 Der qualitativen Gleichheit wurde eine quantitative Gleichheit (isos) gegenübergestellt. Gleichheit bedeutete eine quantitative Übereinstimmung an Größe, Besitz und Macht.21 Da sie einen konkreten Vergleich der sozialen Position ermöglichte, wurde sie zu dem zentralen politischen Gleichheitsbegriff.22 Hieraus entwickelte sich für das politische Verfassungsleben die isonomia (Gleichberechtigung) als allgemeine Forderung nach Gleichheit der Vollbürger nach dem Gesetz.23 Zunächst war damit nicht mehr gemeint als die gleiche Geltung der Gesetze gegenüber allen Polisbürgern.24 Schon bald wurde die Forderung nach Gleichberechtigung auf die Mitwirkung am politischen Entscheidungsprozeß der Polis ausgedehnt.25 Der Begriff isonomia ist Vorläufer des in der Mitte des 5. Jahrhunderts aufkommenden Begriffs demokratia.26 Die Gleichheitsrechte kamen nur einem geringen Teil der Bevölkerung innerhalb der Polis zu. Sklaven und zugewanderte Freie z. B. waren davon ausgeschlossen. Selbst innerhalb der Vollbürger hatten nicht alle dieselben politischen Möglichkeiten. Zum ersten Mal wurde von den Sophisten in der Aufklärungsbewegung des 5. Jahrhunderts ein naturrechtlicher Gleichheitsbegriff eingeführt, in den auch Sklaven und Nichtgriechen ausdrücklich einbezogen wurden.27 Politische Forderungen wurden hieraus indes nicht abgeleitet. Die bestehende Ungleichheit wurde mit von der Natur gemachten Unterschieden, insbesondere mit unterschiedlichen geistigen Fähigkeiten, begründet.28

18 Dann,

Artikel „Gleichheit“, S. 1000; Dann, Gleichheit, S. 31 f. m. w. N. Themis, S. 234 ff. 20 Vgl. Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1000. 21 Vgl. Hirzel, Themis, S. 228 ff., S. 421 ff. 22 Dann, Gleichheit, S. 33. Der Ursprung lag wohl in der Aufteilung von Eigentumsanteilen, z. B. an der Kriegsbeute (isomoiria). 23 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1000. Der Begriff leitet sich aus „iso nomos“ ab. 24 Hirzel, Themis, S. 239 ff. 25 Dann, Gleichheit, S. 34. 26 Dann, Gleichheit, S. 35. 27 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1000; vgl. Spitzer, Emanzipationsansprüche, S. 6. 28 Spitzer, Emanzipationsansprüche, S. 6. 19 Hirzel,

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Bei Platon29 und Aristoteles30 wurde der Gleichheitsgedanke erstmals zu einem zentralen Element der politischen Theorie.31 Sie haben die bisherige Begriffsentwicklung zusammengefaßt und systematisiert.32 Platon entwickelte – mit dem Ziel, den demokratischen Entwicklungstendenzen entgegen zu steuern – zwei Gleichheitsbegriffe.33 Die eine Gleichheit stütze sich auf Maß, Gewicht und Zahl. Die andere Gleichheit teile dem Überlegenen mehr zu als dem Schwachen, entsprechend dem Verhältnis ihrer Natur (proportionale Gleichheit).34 Diese zweifache Begrifflichkeit und Differenzierung wurde von Aristoteles aufgegriffen. Er spricht von arithmetischer Gleichheit (hierauf beruht die iustitia commutativa, ausgleichende Gerechtigkeit), in der ein Verhältnis in einem quantitativ gleichen Maß an Rechten, Besitz etc. beurteilt wird, sowie von geometrischer Gleichheit (iustitia distributiva, austeilende Gerechtigkeit), die die Verschiedenheit von Personen auf andere Bereiche überträgt und für deren Beurteilung maßgebend hält.35 Diese komme im politischen Bereich zum Tragen, während die quantitative Gleichheit im Bereich des Vertragsrechts angemessen sei.36 Personen bekommen quantitativ Gleiches, wo nur ihre gleiche Eigenschaft, Person zu sein, in Betracht kommt. Wo es dagegen um unterschiedliche Eigenschaften der Personen geht, bekommen sie quantitativ Ungleiches, aber in gleichem Verhältnis zu einer gegebenen Ungleichheit in der relevanten Eigenschaft.37 Indes wird die (freilich nur vorsichtig geäußerte) Kritik am demokratischen System dadurch deutlich, daß der arithmetische Gleichheitsbegriff, der zur demokratischen Entwicklung viel beigetragen hat, auf das Privatrecht (vor allem das Handelsrecht) beschränkt wird.38 Für das politische Leben soll die geometrische Gleichheit, der eine statussichernde Funktion zukommt, gelten.39

29 Platon,

Nomoi, VI 757; Platon, Politeia, VIII 557 ff. Politeia (Bd. 9/III), IV 4 (1291b); VI 2 (1317b); VI 3 (1318a–1318b). 31 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1001. 32 Dann, Gleichheit, S. 38 f. 33 Platon, Nomoi, VI 757; Platon, Politeia, VIII 557 ff. Vgl. Dann, Gleichheit, S. 40; Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 47 (S. 856). 34 Vgl. Lübbe, HWPh, S. 272. 35 Aristoteles, Eth. Nic., V 5 (1130b–1131a); V 7 (1131b–1132b); Aristoteles, Politeia (Bd. 9/III), VI 3 (1318a–1318b). Vgl. Lübbe, HWPh, S. 272; Podlech, Gehalt, S. 60 ff. Die iustitia commutativa ist die ausgleichende Gerechtigkeit, die den vertraglichen Verkehr ordnet; die iustitia distributiva, die austeilende Gerechtigkeit, betrifft die Zuteilung von Gütern und Lasten nach der Würdigkeit des Empfängers. 36 Aristoteles, Eth. Nic., V 7 (1131b–1132b). 37 Lübbe, HWPh, S. 272; vgl. Aristoteles, Eth. Nic., V 7 (1131b–1132b). 38 Dann, Gleichheit, S. 41. 39 Vgl. Aristoteles, Eth. Nic., V 5 (1130b–1131a); V 7 (1131b). 30 Aristoteles,

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

2. Rom Das römische Denken zum Gleichheitsbegriff betraf vor allem das Recht sowie die philosophische Ethik und unterscheidet sich grundlegend vom griechischen Denken.40 Der Begriff spielte in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion keine Rolle.41 Die griechische Demokratie, die auf der politischen Gleichberechtigung jedenfalls der Vollbürger beruhte, wurde in Rom abgelehnt.42 Die Römer rückten die dignitas zur Beurteilung der Stellung des einzelnen in der Gesellschaft in den Mittelpunkt. Auf der Grundlage einer bedingten Rechtsgleichheit war allein der durch Familienherkunft und Besitz bedingte soziale Status maßgebend. Die aequitas war ein Gerechtigkeitsprinzip und diente der Korrektur der Rechtsprechung in der prätorialen Praxis.43 Sie hatte im römischen Recht eine zentrale Stellung inne. Der Begriff wurde nicht in seiner ursprünglichen Bedeutung verwendet, sondern als Billigkeit verstanden.44 Dadurch war es möglich, naturrechtliche Anschauungen einzubeziehen. Die aequitas beinhaltet jedenfalls ein Prinzip der iustitia distributiva, der eine geometrische Gleichheit zugrunde liegt.45 Sie will jeden entsprechend seines sozialen Status behandeln. Die aequitas bezieht sich außerdem auf die rechtliche Gleichwertigkeit der Prozeß- und Vertragsparteien im Privatrecht („Waffengleichheit“). Seit Cicero treten neben die aequitas die Begriffe der aequalitas. Je mehr die aequitas zu einem ausschließlich juristischen Terminus wird, desto größere Bedeutung kommt der aequalitas als Begriff der Übereinstimmung im gesellschaftlichen Bereich zu.46 Der Begriff enthält verschiedene Gleichheitsvorstellungen zur Gleichheit des Menschen als Angehörige einer Naturgattung, die sich unter dem Oberbegriff „naturrechtlich“ zusammenfassen lassen.47 Dieses Gleichheitsverständnis wird in der Stoa aufgenommen. Der Mensch wird aus seinen gesellschaftlichen Bindungen herausgenommen und zu einem Glied des Kosmos.48 Man betrachtet ihn als solchen. Er wird von seiner Herkunft, Stand, Besitztum etc. abstrahiert. Alle Menschen unterstehen dem gleichen Recht. So viel sozialpolitische Sprengkraft sich in diesen Äußerungen verbirgt, da sie die Grenzen der damaligen Gesellschaft durchbrechen, so wenig war dieser Ansatz gesellschafts40 Dann,

Artikel „Gleichheit“, S. 1001; Dann, Gleichheit, S. 43 f. De re publica, 1, 27/43 und 1, 34/53. 42 Dann, Gleichheit, S. 44. Vgl. Lübbe, HWPh, S. 272. 43 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1001. 44 Hirzel, Themis, S. 229 ff. 45 Dann, Gleichheit, S. 45. 46 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1001. 47 Dann, Gleichheit, S. 47. 48 Vgl. Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1001; Dann, Gleichheit, S. 47; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 2; Koch, Artikel „Gleichheit“, Sp. 1177. 41 Cicero,

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politisch gemeint, sondern er bezieht sich auf eine private Ethik. Gesellschaft und politische Zustände der damaligen Zeit wurden als gegeben hingenommen.49 3. Antikes Christentum Der Gedanke der Stoa von der Gleichheit aller vernünftigen und tugendhaften Menschen verband sich in der Spätantike mit der christlichen Vorstellung der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen vor Gott.50 Grundlegend war die Vorstellung von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen,51 der durch die Autorität kirchlicher Würdenträger besondere Durchsetzungskraft zukam. Das christliche Verständnis wurde vermengt mit griechischen und römischen Vorstellungen und in einen heilsgeschichtlichen Rahmen eingefügt.52 Jegliche Unterschiede nach Herkunft, Stand und Besitztum des Menschen verloren sich: In der von Gott geschaffenen Welt gab es keine sozialen Klassen, weder Herrschaftsverhältnisse noch eine Staatsgewalt.53 Allerdings war diese Gleichbehandlung auf das Gemeindeleben beschränkt und wirkte nicht darüber hinaus.54 Im übrigen waren die bestehenden gesellschaftlichen Hierarchieverhältnisse anerkannt.55 Ungleichheiten wurden mit Hilfe des Erbsündendogmas und der Übernahme neuplatonischer Ordo- und Hierarchievorstellungen erklärt und gerechtfertigt.56 II. Mittelalter Während die Antike für das moderne Gleichheitsverständnis ausschließlich hinsichtlich der geistigen und begrifflichen Überlegungen in der Literatur herangezogen werden kann, tritt im Mittelalter ein weiterer Aspekt hinzu, der die Entwicklung des Gleichheitsverständnisses beeinflußte, nämlich die zugrunde liegenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse selbst.57

49 Interessant ist, daß der Gedanke der gesellschaftlichen Gleichheit in Rom bei den jährlich stattfindenden Saturnalien seinen Ausdruck fand. Im Rahmen dieser Feierlichkeiten wurden soziale Ungleichheiten stark relativiert. 50 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 2; Spitzer, Emanzipationsansprüche, S. 6; Koch, Artikel „Gleichheit“, Sp. 1177. 51 Genesis, 1, 27; ausführlich Dann, Gleichheit, S. 52 ff. 52 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1001; Dann, Gleichheit, S. 51; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 2; vgl. Luther, Die Bibel, Römer 2, 11; 10, 12; 1. Kor. 12, 13; Galater 3, 28; Flückiger, Geschichte, S. 284 ff.; 327 ff. 53 Dann, Gleichheit, S. 54. 54 Dann, Gleichheit, S. 52. 55 Lübbe, HWPh, S. 273. 56 Dann, Gleichheit, S. 54; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 2. 57 Dann, Gleichheit, S. 59.

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

Das Mittelalter ist stark von der Antike und dem Christentum geprägt. Die kirchliche Theologie übernahm die Erkenntnisse der Antike und übertrug sie auf die mittelalterliche Gesellschaft. Diese wies einen anderen Entwicklungsstand auf, als die römische bzw. griechische Gesellschaft. Die unbesehene Übertragung auf eine geänderte Gesellschaft mußte zu Friktionen führen.58 Bei der Beurteilung des mittelalterlichen Begriffsverständnisses sind zwei Elemente zu trennen: Einerseits ist das Gleichheitsverständnis geprägt von der Betonung der vorhandenen Unterschiede, der Ungleichbehandlung von Ungleichem, mit der Folge, daß Gleichheit nur innerhalb eines Standes anerkannt war. Andererseits gibt es hierzu Gegenbewegungen, die darauf zielen, die durch die Stände errichteten Grenzen zu beseitigen.59 Die Gleichheit erfährt in der weltlichen und in der geistigen Sphäre (christliches Gleichheitsverständnis) eine unterschiedliche Ausprägung. Im kirchlichen Bereich steht die Gleichheit aller Menschen im mathematischen Sinne vor Gott im Vordergrund. In der weltlichen Sphäre wird Gerechtigkeit vor allem in der ungleichen Behandlung ungleicher Sachverhalte gesucht. Der Gleichheitssatz dient der Legitimierung der Gesellschaftshierarchie; er wird zum gruppeninternen Identifizierungsbegriff der mittelalterlichen Ständegesellschaft.60 Die vorhandene ständische Gesellschaftsordnung wird nicht durch den Gleichheitsbegriff in Frage gestellt, vielmehr beschränkt sich der Begriff auf den jeweiligen Stand. Im übrigen führt das Ordo-Denken dazu, daß die Begriffe inaequalitas und disparitas ins Zentrum der Betrachtung rücken. Eine gestufte Gesellschaftsordnung wird als natürlich und vernünftig verstanden.61 Im gesellschaftlichen Bereich gilt die aequalitas als völlig ungeeigneter Maßstab. Man orientiert sich an der „hierarchisch und differenzierten Struktur der gesetzlichen Schöpfungsordnung“.62 Die Legitimierung der strukturellen Ungleichheit der ständischen Gesellschaftsordnung führte zur Zurückdrängung der naturrechtlichen und urchristlichen Vorstellungen von der Gleichheit aller Menschen.63 Indes gingen sie nicht völlig verloren, so daß es im deutschen Bauernkrieg von 1525 wieder zu einer Änderung des Gleichheitsbegriffs kommen konnte, die zu einer Kritik an, ja zur Negierung der gegenwärtigen Sozialordnung führte.64

58 Dann,

Gleichheit, S. 62. Gleichheit, S. 61 f. 60 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1003. 61 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1004. 62 Dann, Gleichheit, S. 63. 63 Dann, Gleichheit, S. 64, 67 ff. 64 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1005; Dann, Gleichheit, S. 67 ff. 59 Dann,

B. Historische Betrachtung

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Eine wirkliche Wende brachte die Reformation Martin Luthers mit der These vom Priestertum aller Gläubigen65 und damit, daß es keine theologische Rechtfertigung von Unterscheidungen und Vorrechten innerhalb der Kirche geben könne.66 Im Bauernkrieg fand die reformatorische Gleichheitsthese ihre breiteste Anwendung.67 Die Argumentation verblieb nicht im innerkirchlichen Bereich. Die Begriffsentwicklung Luthers wurde maßstabsgebend für ganz Deutschland. Die Kritik am Zustand der katholischen Kirche war in Deutschland der kleinste gemeinsame Nenner, der die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, die jeweils das mittelalterliche ständische Gesellschaftssystem kritisierten, verband.68 Allerdings prägte auch Luthers Denken den aus der Antike bekannten Dualismus: Der neue religiöse Gleichheitsbegriff bezog sich auf das Innere, das geistige Sein aller gläubigen Christen, während die gesellschaftlichen Verhältnisse davon unbeeinflußt bleiben sollten. Das äußere Wesen werde von der Ungleichheit in der Gesellschaft geprägt.69 Damit wurde freilich erneut das ständische Gesellschaftssystem legitimiert, und die Ergebnisse der Gleichheitsdiskussion kamen allein adligen und bürgerlichen Schichten zugute, die sich von der Bevormundung der katholischen Kirche befreien konnten.70 III. Naturrechtslehre und bürgerlicher Gleichheitsbegriff der Neuzeit und im 18. Jahrhundert Mit der Entstehung bürgerlicher Schichten und ihrer Emanzipation war die Ausbildung eines neuen Gleichheitsbegriffs verbunden.71 In den mittelalterlichen Städten spielte die Gleichheit eine bedeutende Rolle als Begriff der Gleichheit aller Bürger als Rechtspersonen. Alle Bürger der Stadt waren frei vom Feudalsystem. Auch Unfreie vom Lande konnten sich zum Beispiel an Kaufmannsgilden angliedern: Der bekannte Ausspruch „Stadtluft macht frei“ faßt diese Entwicklung zusammen. Allerdings wäre es illusorisch zu glauben, daß die neue „Bürgergleichheit“ die mittelalterliche Ständegesellschaft sogleich verdrängte.72 Die Bürgergleichheit bezog sich nur auf die Träger des Bürgerrechts. Erst mit der 65 Vgl.

Dann, Gleichheit, S. 75. Artikel „Gleichheit“, S. 1005; Dann, Gleichheit, S. 73; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 3; Luther, WA, Bd. 6, An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung (1520). 67 Dann, Gleichheit, S. 78. 68 Dann, Gleichheit, S. 72 ff. 69 Dies entspricht der Unterscheidung zwischen Christ und Weltbürger. Luther, WA, Bd. 32, Wochenpredigten über Math. 5–7 (S. 536 f.); zum ersten Mal gegen die weltliche Anwendung der reformatorischen GleichheitstheseLuther, WA, Bd. 18, Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauerschaft in Schwaben (S. 326 f.); vgl. Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1006. 70 Dann, Gleichheit, S. 84. 71 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1006; Dann, Gleichheit, S. 85. 72 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1007. 66 Dann,

188

§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

Entstehung souveräner Territorialstaaten wurde eine entsprechende Entwicklung eingeleitet.73 Der Aufbau von Behörden der einzelnen Staaten zum Vollzug landeseinheitlicher Gesetze sowie zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erforderte neues Personal. Dem Adel und dem Klerus war es allein nicht möglich, die Behörden zu besetzen. Die Tätigkeiten wurden von einer neuen Schicht von Bürgerlichen wahrgenommen. Es entstand ein vom Stadtbürgertum unterschiedener Stand. Dieser versuchte, sich mit Hilfe des Gleichheitsbegriffs gegenüber dem Adel und dem Klerus zu emanzipieren, grenzte sich damit aber zugleich vom einfachen Volk ab.74 Der Gleichheitsbegriff wurde so zu einem gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Postulat.75 Damit ging eine Säkularisierung des Begriffs einher. In gesellschaftspolitischer Hinsicht wurde auf der Grundlage eines Menschenbildes, wonach der Mensch ein autonomes, vernunftbegabtes Wesen im Rahmen natürlicher Zusammenhänge ist,76 der stoische Gleichheitsbegriff wiederentdeckt.77 Die Ungleichheit wurde nicht mehr auf eine naturgegebene Stellung des Menschen nach seinem gesellschaftlichen Stand aufgrund der traditionellen Kriterien wie Geburt, Rang, Reichtum etc. bezogen. Sie folgte aus anderen Wertmaßstäben wie persönliche Fähigkeiten und individuelles Verhalten.78 In der Theologie trat das Erbsündendogma in den Hintergrund, so daß das wichtigste Argument zur Legitimierung der überkommenen hierarchischen Gesellschaftsstrukturen seine Grundlage verlor.79 Ein gesellschaftskritischer Begriff entstand in Verbindung mit der modernen Naturrechtstheorie.80 Diese Theorie führte zu einer fundamentalen Kritik an der Ständegesellschaft (zugunsten des Bürgertums). Hobbes wandte sich gegen die auf Aristoteles zurückgehende Legitimierung sozialer Unterschiede aufgrund einer naturgegebenen Ungleichheit. Gesellschaftliche Unterschiede sollten nicht mehr legitimiert werden können. Der Mensch wurde als freies, selbstverantwortliches Individuum angesehen („vernunftbegabtes Wesen“).81 Hobbes geht von einem Urzustand („natural condition of mankind“) aus, in dem jeder Mensch jeden anderen bedrohen kann. Hieraus leitet Hobbes ein natürliches, gleiches Recht eines jeden Menschen auf Sicherung seiner eigenen Existenz und deren freie, eigenverantwortliche Entfaltung ab. Dies blieb der Ausgangspunkt des naturrechtlichen Denkens. Das Gleichheitsverständnis der Naturrechtstheorie besagt dem73 Dann,

Gleichheit, S. 86. Artikel „Gleichheit“, S. 1008. 75 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 3. Wirtschaftliche und politische Ungleichheiten innerhalb des status civilis wurden dadurch nicht ausgeschlossen. 76 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1008. 77 Vgl. Dann, Gleichheit, S. 91 f. 78 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1009. 79 Dann, Gleichheit, S. 90. 80 Dann, Gleichheit, S. 93 ff. 81 Hobbes, Leviathan, I 13. 74 Dann,

B. Historische Betrachtung

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nach, daß alle Menschen in ihrem Verhältnis zueinander gegenseitig gleichen Wert und gleiches Recht haben.82 Neben die natürliche Gleichheit der Menschen wurde eine Rechtsgleichheit aller als soziale Vertragspartner gestellt.83 Die Rechtsform des Vertrags mit ihrem konstitutivem Element der (rechtlichen) Gleichwertigkeit der Vertragspartner wurde von der Gesellschaftstheorie im ausgehenden Mittelalter übernommen.84 Die Lehre vom Gesellschaftsvertrag steht in enger Verbindung zum Gleichheitsbegriff aufgrund der für einen Vertrag erforderlichen rechtlichen Gleichwertigkeit der Vertragspartner. Ein Gesellschaftsvertrag könne nur dann die Zustimmung aller finden, wenn das Prinzip der Gleichheit in ihm gewahrt ist.85 Gemeint ist damit keine natürliche Gleichheit, sondern eine Gleichwertigkeit, die auch dann anzunehmen ist, wenn eine natürliche Gleichheit gerade nicht gegeben ist.86 Diese Gleichheit wird von Hobbes87 als „law of nature“ bezeichnet. Beide Gleichheitsbegriffe sind miteinander verschränkt. Der naturrechtliche Gleichheitsbegriff findet seine konkrete Anwendung in der Lehre vom Gesellschaftsvertrag.88 Dieser eher sozialkritische Gleichheitsbegriff wurde von der Naturrechtslehre jedoch zugleich wieder relativiert und mit der sozialen Wirklichkeit in Einklang gebracht, indem der Gegenbegriff der gesellschaftlichen Ungleichheit eingeführt wurde. Dem status naturalis wird ein status civilis gegenübergestellt, in dem die Gleichheit zu einer notwendigen Ungleichheit in der bürgerlichen Gesellschaft wurde.89 Eine Gesellschaft im Naturzustand wurde als unvollkommen angesehen. Um des gesellschaftlichen Friedens und der sozialen Ordnung willen sei es notwendig, mit dem Gesellschaftsvertrag zugleich eine Hierarchie festzulegen, da es sonst (nämlich im status naturalis) zu einem Krieg aller gegen alle komme.90 Der allgemeine Begriffsgebrauch war in Deutschland noch immer von ständischen Vorstellungen geprägt. Die ständische Gesellschaftshierarchie galt nach wie.91 Die Verwirklichung sozialer Gleichheit erschien ungerecht und zur Zerstörung der gerechten bürgerlichen Gemeinschaft zu führen.92 Ein 82 Dann,

Artikel „Gleichheit“, S. 1009 f. Artikel „Gleichheit“, S. 1010. 84 Hobbes, Leviathan, I 14 und I 15. Vgl. v. Gierke, Johannes Althusius, S. 21, 76 ff. 85 Hobbes, Leviathan, I 14 und I 15. Vgl. Dann, Gleichheit, S. 96 f.; Lübbe, HWPh, S. 274. 86 Dann, Gleichheit, S. 96 f. 87 Hobbes, Leviathan, I 14 und I 15. 88 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1010. 89 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1011. 90 Vgl. Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1012; Dann, Gleichheit, S. 99. 91 Dann, Gleichheit, S. 118. Vgl. ALR I, 1 § 6: „Personen, welchen vermöge ihrer Geburt, Bestimmung oder Hauptbeschäftigung gleiche Rechte in der bürgerlichen Gesellschaft beigelegt werden, machen zusammen einen Stand des Staates aus.“ sowie Einl. ALR, § 82: „Die Rechte des Menschen entstehen durch seine Geburt, durch seinen Stand und durch Handlungen, mit welchen die Gesetze eine bestimmte Wirkung verbunden haben.“ 92 Dann, Gleichheit, S. 118 f. m. w. N. 83 Dann,

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

Gleichheitsverständnis, welches die Ständegesellschaft in Frage zu stellen geeignet war, wurde abgelehnt.93 Der Gleichheitsbegriff diente nicht der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, sondern war ein sozialer Integrationsbegriff.94 Dies war der Hintergrund, vor dem etwa seit 1760 die Diskussion über die Legitimation gesellschaftlicher Ungleichheiten einsetzte. Der naturrechtliche Gleichheitsbegriff wurde zusehends in sozialkritischer Absicht verwendet. Es entstand ein Begriff von der Gleichheit aller Menschen als Gegenbegriff zur Ungleichheit der ständischen Welt. Der Begriff der natürlichen Gleichheit der Menschen und die Ungleichheit in der ständischen Gesellschaft stehen nicht mehr nur nebeneinander, sondern werden sozialkritisch als konfligierende Positionen gesehen.95 Der Adel wurde grundlegend in Frage gestellt.96 Freilich wurden nicht jegliche Unterschiede zwischen Menschen bestritten, nur ging es nicht mehr um geburtsständische Schranken, sondern um individuelles Verdienst. Der Prozeß der Realisierung einer solchen Gleichheit erfuhr durch die Breitenwirkung der Aufklärung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Verstärkung. Die Entwicklung mündete in die allgemeinen Forderung nach der Gleichstellung aller Staatsbürger vor dem Gesetz und in der Rechtsprechung.97 Diese Rechtsgleichheit forderte, daß das Gesetz ohne Ansehung des Standes für alle gleiche Geltung beansprucht, was nicht ohne eine Veränderung der herrschenden gesellschaftlichen Strukturen möglich war.98 IV. Zeit der bürgerlichen Revolutionen Die Aufklärung läßt die Forderung nach staatsbürgerlicher und rechtlicher Gleichheit verbunden mit dem Gedanken der Allgemeinheit der Gesetze entstehen. Der Gleichheitsbegriff erhält nun drei Dimensionen: rechtliche und staatsbürgerliche Gleichheit, politische Gleichberechtigung als gleiche demokratische Teilhabe sowie die Forderung nach sozialökonomischer Gleichheit. Das Bürgertum mußte erkennen, daß sein sozialer Aufstieg durch das Festhalten an der Bevorzugung des Adelsstandes behindert wurde.99 In dem absolutistischen System mit seinen ständisch bedingten Ungleichheiten wurde die Ursache für die vielfältigen gesellschaftspolitischen Probleme dieser Zeit gesehen, welche nur durch eine grundlegende Reformierung des Systems überwunden werden könnten. Die hieraus resultierenden Forderungen des Bürgertums waren geprägt 93 Vgl.

z. B. Svarez, Vorträge, S. 63 ff., 459 f. Gleichheit, S. 122. 95 Dann, Gleichheit, S. 128. 96 Dann, Gleichheit, S. 127. 97 Kant, Gemeinspruch, S. 292; Svarez, Vorträge, S. 246. 98 Dann, Gleichheit, S. 124. 99 Dann, Gleichheit, S. 132. 94 Dann,

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durch den Gleichheitsgedanken.100 Während bislang der naturrechtliche Gleichheitsbegriff nur ein theoretisches Konstrukt war, das für die praktische Anwendung stets sofort relativiert wurde, leitet man nun konkrete sozialpolitische Forderungen aus ihm ab.101 Ausgangspunkt dieser Entwicklung war Frankreich. Die Sätze „Dans l’état de nature, les hommes naissent bien dans l’égalité; mais ils n’y sauraient rester. La société la leur fait perdre, et ils ne redeviennent égaux que par les lois.“102 reflektieren diese Entwicklung. Zum einen gibt er den naturrechtlichen Gleichheitssatz wieder, zum andern enthält er einen Ansatz zur Umsetzung des Gleichheitspostulats. Diese Umsetzung soll über die Gesetze erfolgen, vor denen alle Einwohner in gleicher Weise zu Bürgern (citoyens) werden (bürgerliche Gleichheit).103 Dem lag ein neuer Gesetzesbegriff zugrunde, der sich durch seine Allgemeingültigkeit, Rationalität und Gleichbehandlung auszeichnete. Unmittelbare Konsequenz ist die Forderung nach einer Verfassung. Für Montesquieu führte die égalité zur demokratischen Verfassungsform.104 Daneben stellt er die égalité réelle, die tatsächliche Gleichheit, als Funktionsgrundlage eines demokratischen Staates.105 Maßgeblich geprägt wurde die Entwicklung von Jean-Jacques Rousseau.106 Rousseau verzichtet in seiner Theorie gänzlich auf einen Herrschaftsvertrag. Vielmehr geht er von einem contrat social aus, der einen Souverän konstituiert, der aus allen besteht und alle gleich verpflichtet.107 Er stellte den Gleichheitsbegriff in das Zentrum seiner Theorie, und ihm gelang es, den Gleichheitsbegriff zum Schlüsselbegriff einer revolutionären Entwicklung zu machen und ihn von den Beschränkungen seiner klassischen Tradition zu befreien.108 Rousseau unterschied erstmals und anders als die traditionelle naturrechtliche Lehre zwischen einer inégalité physique und einer égalité morale ou politique und zeigte, daß beides (die natürliche Ungleichheit und das Verlangen nach sozialer Gleichheit) nicht im Widerspruch zueinander steht. Aus der natürlichen Gleichheit im Naturzustand wurde durch Vergesellschaftung, Arbeitsteilung und Eigentumsbildung sowie durch die Entstehung des Staates eine gesellschaftliche

100 Dann,

Gleichheit, S. 132 f. Artikel „Gleichheit“, S. 1014; Dann, Gleichheit, S. 132. 102 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 8, 3. Vgl. Lübbe, HWPh, S. 275. 103 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1015; Dann, Gleichheit, S. 133. 104 Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, 5, 3; 5, 4. 105 Vgl. Dann, Gleichheit, S. 134. 106 Rousseau, Bd. 1, Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmis les hommes, Seconde Partie (S. 164 ff., 187 ff.); vgl. Lübbe, HWPh, S. 275. 107 Vgl. Lübbe, HWPh, S. 275. Rousseau, Bd. 3, Le contrat social, I 6: „comme il n’y a pas un associé sur lequel on n’acquière le même droit qu’on lui cède sur soi, on gagne l’équivalent de tout ce qu’on perd“. 108 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1016. 101 Dann,

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Ungleichheit erzeugt.109 Die soziale Ungleichheit wird davon ausgehend nicht mehr als eine für eine funktionsfähige Gesellschaft notwendige Bedingung erachtet, sondern als gesellschaftspolitisches Problem erkannt. Die Gleichheit des Naturzustandes wird zum Träger der Souveränität, d. h. die Gleichberechtigung aller wird zum leitenden Prinzip der Herrschaft im Staat erklärt.110 Diese sieht Rousseau in der „volonté générale“, welche sich in der Gleichheit der Partner des Gesellschaftsvertrags äußert und in weitere Aspekte unterteilen läßt, wie die Gleichheit als citoyen, die Gleichheit aller vor dem und durch das Gesetz etc.111 Zugleich wurden die Begriffe Freiheit und Gleichheit neu begründet. Freiheit wurde als die Unabhängigkeit von Willkür und Herrschaft anderer verstanden. Notwendige Voraussetzung einer solchen Freiheit war eine soziale Gleichheit.112 Der Gleichheitsbegriff zielte über die bestehende Herrschaftsordnung hinaus und wollte eine gleichheitliche Umgestaltung der politischen Verhältnisse. Der Gleichheitsbegriff erfaßte alle Sachgebiete des gesellschaftlichen Lebens und verbreitete sich rasch als Schlagwort und politischer Leitbegriff aller revolutionären Gruppen im Zusammenhang mit der liberté in der Französischen Revolution.113 Zunächst ging es um die Verwirklichung der rechtlichen und staatsbürgerlichen Gleichheit vor dem Gesetz als Forderung aller bürgerlichen Gruppen und um die Beseitigung der ständischen Vorrechte, vor allem zur Integration des dritten Standes.114 Die Bauern forderten die Abschaffung der feudalen Institutionen.115 Insbesondere wurde die bürgerliche Rechtsgleichheit für die männliche Bevölkerung umgesetzt. Soziale Gleichstellungen wurden aber abgelehnt ebenso wie die Gleichheit im Wahlrecht,116 obwohl der Verfassung von 1791 die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 vorangestellt wurde, die von Geburt aus gleiche Rechte der Menschen und allen Bürgern gleiche Beteiligungsrechte an der Bildung der volonté générale zusprach. Eine weitere Phase der Französischen Revolution war durch die Verwirklichung der politischen Gleichberechtigung (Gleichheit im Wahlrecht, erste soziale Gleichheitsrechte wie das Recht auf Bildung)117 als demokratische Forderung der mittel- und kleinbürgerlichen Schichten gekennzeichnet.118 Die Erklärung 109 Rousseau, Bd. 1, Discours sur l’origine et les fondements de l’inégalité parmis les hommes, Seconde Partie (S. 164 ff., 187 ff.). 110 Rousseau, Bd. 3, Le contrat social, I 6. Vgl. Dann, Gleichheit, S. 135. 111 Rousseau, Bd. 3, Le contrat social, I, 6; II, 1–2. 112 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1016; Rousseau 168, 171, 174. 113 Dann, Gleichheit, S. 138. 114 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1017; Dann, Gleichheit, S. 139; vgl. Sommermann, Der Staat 32 (1993), 611/613. 115 Das positiv-rechtliche Ergebnis findet sich in Art. 1 der Déclaration des droits de l’homme et du citoyen vom 26. August 1789: „Les hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits.“ 116 Dann, Gleichheit, S. 141; Sommermann, Der Staat 32 (1993), 611/617. 117 Sommermann, Der Staat 32 (1993), 611/627 ff. 118 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1017.

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der Menschen- und Bürgerrechte von 1793 betonte das gleiche Recht aller Bürger auf Zugang zum öffentlichen Dienst (Art. 5) sowie das Prinzip der zeitlichen Begrenzung öffentlicher Ämter (Art. 30).119 Je mehr rechtliche und politische Gleichberechtigung durch die Gesetzgebung verwirklicht wurden, desto mehr sprangen soziale Ungleichheiten ins Auge.120 Schließlich wurde die tatsächliche Gleichheit (égalité parfaite) zur (extremen) Hauptforderung.121 Auch Deutschland blieb von den Geschehnissen in Frankreich nicht unbeeinflußt. Allerdings wurde Deutschland von dem revolutionären Gleichheitsbegriff geradezu überrascht, weil es seine Entwicklungsgeschichte nicht verfolgt hatte.122 Kein Wunder war es daher, daß der Gleichheitsbegriff abgelehnt und eher mit pejorativem Akzent verwendet wurde. Der französische Gleichheitsbegriff galt als politische und gesellschaftliche Gefahr.123 „Gleichheit“ – interpretiert als völlige Gleichheit – wurde zum Inbegriff einer revolutionären Parole des sozialen Umsturzes.124 Wesentlich positiver wurde der Begriff „Freiheit“ gesehen, der allerdings nicht mehr mit der Gleichheit wie noch in der Französischen Revolution in Verbindung gebracht wurde. Parallel dazu kommt es aber zu einem differenzierten Verständnis und damit auch zu einer positiven Rezeption des Begriffs sowie zu einer eigenständigen Diskussion.125 In den Mittel- und Unterschichten fand die Gleichheitsparole der Französischen Revolution breiten Anklang. Der Gleichheitsbegriff wurde somit zu einem Begriff in der politischen Diskussion zwischen Befürwortern des ständestaatlichen status quo und reformorientierten Kreisen.126 Neben der Französischen Revolution gingen für die deutsche Entwicklung entscheidende Impulse von Kants Philosophie aus, welche die Theorie von der Gleichheit aller Menschen auf eine neue Grundlage stellte. Anders als in der Naturrechtslehre, die von der gleichen Natur aller Menschen ausging, kommt es bei Kant entscheidend auf den allen Menschen eigenen autonomen Vernunftwillen, ihre sittliche Würde und gemeinsamen Endzweck an.127 Der Gleichheitssatz konnte nicht mehr mit dem Hinweis auf die natürlichen faktischen Ungleichheiten in Frage gestellt werden. Gleichheit wurde ein Gebot der praktischen Vernunft.

119 Sommermann,

Der Staat 32 (1993), 611/616. Gleichheit, S. 141. 121 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1018. 122 Dann, Gleichheit, S. 143 f. 123 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1018 ff. 124 Dann, Gleichheit, S. 146 f. 125 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1020. 126 Dann, Gleichheit, S. 152 f. 127 Kant, Menschheitsgeschichte, S. 90 f. (A 10),ff.); vgl. Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1021 ff.; Dann, Gleichheit, S. 154. 120 Dann,

194

§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

Die Reserviertheit gegenüber dem Begriff, wie ihn die Zeit nach der Französischen Revolution prägte, war erloschen. Abgeleitet wurde aus dem Begriff die Rechtsgleichheit aller Staatsbürger als Verfassungssatz. Es erfolgte eine Abgrenzung zwischen der intendierten formalen Gleichheit (der Gleichheit vor dem Gesetz) von einer darüber hinausgehenden materiellen Gleichheit (der Verwirklichung gleichen Rechts für alle Bürger).128 Während die formale Gleichheit angestrebt wurde, hielt man die Forderung nach materieller Gleichheit für die Gesellschaft für schädlich.129 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam es zur Umsetzung der akademischen Theorie in die Praxis und zu Reformgesetzgebungen in den deutschen Staaten sowie zu einer eigenständigen Begriffsbildung in Deutschland. Der Gleichheitsbegriff wurde zum Leitbegriff modernisierender Entwicklungen.130 Die Forderungen wurden von aufgeklärten Beamten aufgegriffen und umgesetzt.131 Selbst in Verfassungsurkunden fand der Begriff Eingang und galt für alle Personen des Staates einschließlich des Souveräns.132 Verliehen wurden aber nur staatsbürgerliche Rechte. Die konkrete Auslegung blieb dagegen offen und unbestimmt.133 Oft gab es Ausnahmeklauseln zugunsten des Adels.134 Hier zeigte sich bereits, daß der Gleichheitsbegriff im einfachen Recht offenbar zu allgemein ist, um differenzierte und konkrete Regelungen zu ermöglichen.135 Dennoch wurde auf diese Weise die gesetzliche Grundlage für die ungehinderte Entfaltung der liberalen Wirtschaftsgesellschaft gelegt. Die unteren und mittleren Schichten der Gesellschaft wurden in die Gleichheitsforderungen nicht mit einbezogen; die Entwicklung beschränkte sich auf die Gleichstellung des Bürgertums mit dem Adel. Die Diskussion konnte an das hohe Niveau der Kant-Schule nicht anknüpfen und ließ bereits gewonnene Differenzierungen wieder verschwimmen.136 Der Begriff einer naturgegebenen gesellschaftlichen Ungleichheit wird als positiver geschichtlicher Erfahrungsbegriff entworfen und der Rechtsgleichheit gegenüber-

128 Dann,

Gleichheit, S. 159 ff. Artikel „Gleichheit“, S. 1024. 130 Dann, Gleichheit, S. 170. 131 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1024 f.; Dann, Gleichheit, S. 164 ff. 132 So vor allem in den süddeutschen Verfassungen. Vgl. z. B. § 21 der Württembergischen Verfassung von 1819: „Alle Württemberger haben gleiche staatsbürgerliche Rechte, und ebenso sind sie zu gleichen staatsbürgerlichen Pflichten und gleicher Teilnahme an den Staatslasten verbunden, so weit nicht die Verfassung eine ausdrückliche Ausnahme enthält; auch haben sie den gleichen verfassungsmäßigen Gehorsam zu leisten.“ 133 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1025 f. 134 Dann, Gleichheit, S. 168 f. 135 Podlech, Gehalt, S. 44 ff. 136 Dann, Gleichheit, S. 177. 129 Dann,

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gestellt.137 Man wandte sich gegen den naturrechtlichen Denkansatz und lehnte das Gleichheitsprinzip als Menschenrecht und Rechtsmaßstab ab.138 Zwar wurde durch die Reformgesetzgebung eine Gleichheit vor dem Gesetz und dem Staat eingeführt, doch blieben die politischen und sozialen Unterschiede weiterhin bestehen.139 Von Seiten des liberalen Bürgertums wurde eine Anwendung des Gleichheitsbegriffs auf die politischen und sozialen Unterschiede scharf abgelehnt, weil dies zu einer Nivellierung der bürgerlichen Gesellschaft und zu einem Verlust von Freiheit führe.140 Der deutsche Liberalismus zeichnete sich durch eine deutliche Abwehrhaltung gegenüber der Anwendung des Gleichheitsprinzips auf gesellschaftliche und politische Bereiche aus. Gegenüber der Restauration wurde er freilich vom liberalen Bürgertum als positiver Begriff herangezogen. Freiheit und Gleichheit wurden als gegensätzliche Begriffe mit divergierenden Forderungen verstanden.141 Das Bürgertum wollte keine Veränderung der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, sondern war an der Sicherung seiner eigenen Position interessiert. Der deutsche Liberalismus versuchte daher, positive und negative Aspekte der Gleichheit zu trennen. Die Unterscheidung Kants zwischen der Gleichheit des Rechts (iustitia distributiva) und der Gleichheit der Rechte (iustitia commutativa) wurde zum sozialen Entscheidungskriterium im Sinne zweier unterschiedlicher Anwendungsbereiche desselben Rechtsprinzips. Die Rechtsgleichheit war keine materielle, sondern eine nur formelle und faktisch bedingte. Dadurch kam es zu einer Aufwertung des Gegenbegriffs der Ungleichheit.142 Das naturrechtlich fundierte Gleichheitspostulat der europäischen Neuzeit hängt unmittelbar mit der Durchsetzung des modernen Bürgertums gegenüber der ständisch-aristokratischen Gesellschaft zusammen.143 Hegel trug zu dieser Kritik und der damit verbundenen Ideologisierung bei.144 Für ihn war die „Ungleichheit“ der leitende Begriff in der Rechts- und Staatsphilosophie. Zwar hat er den Gewinn für die individuelle Freiheit durch die Französische Revolution positiv beurteilt und hielt an dem Rechtsprinzip der Gleichheit als Grundbestimmung der Verfassung fest. Doch wandte er sich zugleich gegen dessen theoretische Fundierung auf abstrakte naturrechtliche Prinzipien.145 Die Abstraktheit führe zur Unbrauchbarkeit des Gleichheitsprinzips für den Staat und die Recht137 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1027; Dann, Gleichheit, S. 174 f. m. w. N.: Bei den konservativen Schriftstellern der Zeit ist die Ungleichheit, die sich in der Wirklichkeit findet, Ausgangspunkt jeder Argumentation. 138 Dann, Gleichheit, S. 176. 139 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1029. 140 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1030. 141 Dann, Gleichheit, S. 188. 142 Dann, Gleichheit, S. 186 f. 143 Dann, Gleichheit, S. 219. 144 Vgl. Dann, Gleichheit, S. 179 ff. 145 Hegel, Rechtsphilosophie, § 49.

196

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sprechung. Bei der Gesetzesanwendung sei die Ungleichheit maßgebliches Kriterium im Sinne eines Differenzierungsgebots.146 V. Deutschland in der Mitte des 19. Jahrhunderts Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Funktion des Gleichheitssatzes, die ihm in der Französischen Revolution zukam, verstärkt. Im Bewußtsein des breiten Volkes wuchs sein Gewicht, und er gewann an Bedeutung. „Demokratischen“ Gruppen des deutschen Bürgertums (vgl. z. B. auf dem Hambacher Fest im Mai 1832) war an der Weiterentwicklung des Gedankenguts der Revolution gelegen, so daß für sie der Gleichheitsbegriff in ununterbrochener Geltung stand.147 Spezielle Gleichheitsvorstellungen wurden in konkrete politische Programme umgesetzt.148 Erhoben wurde die Forderung nach gleicher politischer Mitbestimmung aller Bürger, die über die Staatsbürgergleichheit des Liberalismus insoweit hinausging, als sowohl das allgemeine Wahlrecht als auch die Gleichwertigkeit aller Stimmen gefordert wurde. Daneben ging es um die Beseitigung letzter ständischer Privilegien und die Gleichberechtigung der Religionen.149 Aber auch nach dieser Strömung bleibt die Ungleichheit die unvermeidliche und gerechtfertigte Folge des Rechts auf freie Entfaltung.150 1. Deutsche Revolution 1848/49 Die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland haben es allerdings zu keiner Zeit geschafft, ihre Gleichheitsforderungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, so daß der Gleichheitsbegriff in der Revolution keine Rolle spielen konnte.151 Die wichtigste Gleichheitsforderung in der deutschen Revolution, die bald zur allgemeinen Forderung des Volkes wurde, war die Forderung nach einer Wahlrechtsgleichheit. Weitere Gleichheitsforderungen wurden nur selten erhoben.152 Der Freiheitsbegriff prävalierte eindeutig. Man vermied es tunlichst, den Begriff „Gleichheit“ zu verwenden und begnügte sich mit Umschreibungen wie „gleiche (politische) Berechtigung“. Hier klang erstmals der Begriff der Gleichberechtigung an.153 In den verfassungsgebenden Nationalversammlungen stand es außer Diskussion, den Grundsatz der Gleichheit vor dem 146 Vgl.

Dann, Gleichheit, S. 181. Artikel „Gleichheit“, S. 1031; Dann, Gleichheit, S. 192 ff. 148 Dann, Gleichheit, S. 219 f. 149 Dann, Gleichheit, S. 195. 150 Dann, Gleichheit, S. 195. 151 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1035; Dann, Gleichheit, S. 201. 152 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1036; Dann, Gleichheit, S. 202 f. 153 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1036. 147 Dann,

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Gesetz in den Verfassungstext aufzunehmen. Als problematisch stellte sich die konkrete Formulierung der Gewährleistung heraus.154 Vorrangiges Problem war der Abbau der Adelsprivilegien und der im Vergleich zum Adel gleiche Zugang der bürgerlichen Schichten zu öffentlichen Ämtern.155 Zwar war das Bestreben vorhanden, über ein abstraktes Gleichheitsverständnis hinaus zu gelangen, doch war man zugleich um eine Abgrenzung zu einem materiellen Verständnis des Begriffs bemüht, man fürchtete sogar eine sozialpolitische Konkretisierung des Begriffs.156 Der Gleichheitsbegriff hat als strahlender Leitbegriff seine Bedeutung nahezu gänzlich eingebüßt. Selbst sozialrevolutionäre Gruppen haben den Begriff kaum mehr verwendet. Es wurde vielmehr von „Gleichberechtigung“ gesprochen. An die Stelle des vagen und abstrakten Schlagworts trat ein konkreter Begriff. Diese Zäsur in der Begriffsentwicklung leitet die Phase der Diskussion um bestimmte Gleichstellungen durch den Gesetzgeber ein.157 2. Sozialistische Arbeiterbewegung Marx unterzog den neuzeitlichen, sozialpolitischen Gleichheitsbegriff einer umfassenden Ideologiekritik und ordnete ihn in die historische Entwicklung der kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaft ein.158 Der Gleichheitsbegriff spielte in der deutschen Arbeiterbewegung als sozialpolitischer Leit- und Idealbegriff keine bedeutende Rolle mehr.159 Gleichheit ziele nicht auf eine allgemeine menschliche Emanzipation, sondern nur auf rechtlich-politische Gleichheit.160 In der Realität bestanden die faktischen Ungleichheiten fort.161 Marx’ Ausführungen hatten großen Einfluß auf die sozialistischen Theoretiker wie beispielsweise Lassalle und Engels in Deutschland.162 Auch wenn die Gleichheit kein Leitbegriff der politischen Programmatik mehr war, gingen die Diskussionen weiter und partizipatorische Forderungen wurden erhoben.163 Um die emanzipatorischen Ziele zu erreichen, war die Arbeiterbewegung auf den Gleichheitsbegriff angewiesen. Er wurde instrumentalisiert und agitatorisch eingesetzt.

154 Dann,

Gleichheit, S. 205 ff. ArbuR 1990, 301/305 f. 156 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1037. 157 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1038. 158 Lübbe, HWPh, S. 275. 159 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1038 ff./1041; Dann, Gleichheit, S. 228. 160 Zum Beispiel Marx/Engels, MEW, Zur Judenfrage, S. 351, 354. Vgl. Dann, Gleichheit, S. 225 f. 161 Marx/Engels, MEW, Zur Judenfrage, S. 354. Vgl. Dann, Gleichheit, S. 226. 162 Dann, Gleichheit, S. 227. 163 Dann, Gleichheit, S. 230. 155 Kraushaar,

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3. Antiegalitarismus Obwohl der Gleichheitsbegriff in der Arbeiterbewegung kein Leitbegriff mehr war, löste er im Bürgertum Beunruhigung aus und war ein negativ belegter Begriff. Er diente dem Bürgertum als pejorativer Gegenbegriff zu den gegenwärtigen Egalisierungstendenzen.164 Diese Entwicklung verstärkte sich in der Weimarer Republik.165 VI. Zusammenfassung Die konzeptionelle Entwicklung und theoretische Grundlegung des Gleichheitsbegriffs fand in der Antike statt. Gleichheit wurde als Prinzip sozialer Gerechtigkeit gesehen. Die Demokratie baute auf einer bürgerlichen Gleichberechtigung auf. Neben dem Anspruch auf Gleichheit wurde aber auch die Ungleichheit legitimiert: Der Gleichheitsbegriff diente der Eingrenzung einer bestimmten Gruppe in der Bevölkerung und zur Kennzeichnung der Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht.166 In Rom war die Gleichheit ein Prinzip eines völkerübergreifenden Naturrechts. Schließlich stellte das Christentum die Gleichheit aller Menschen vor Gott in den Vordergrund.167 Der gesellschaftliche Hintergrund der Entwicklung des Gleichheitsbegriffs war die hierarchisch gegliederte Ständegesellschaft. In der Neuzeit wurde der Begriff im Naturrecht des 17. Jahrhunderts fundiert. Das Bürgertum wollte damit seine soziale Gleichstellung mit dem Adel erreichen, aber später eine Abgrenzung dieser neu gewonnenen Position gegenüber der Arbeiterbewegung begründen. Entsprechend erfuhr der Gleichheitsbegriff zunächst einen sozialen Aufstieg, um später wieder zurückgenommen zu werden. Seit der Französischen Revolution hat der Kampf um die Gleichheit im Sinne einer Gleichstellung und gegen jede diskriminierende Rangungleichheit eine bis heute bestimmende geschichtswirksame Macht entfaltet.168 Nach der Französischen Revolution rückte das Bürgertum von der Gleichheit als Leitbegriff wieder ab. Eine jüngere Generation entwarf ein menschenrechtliches Gleichheitsprinzip als soziale Rechtsidee, welche tatsächlich zu Reformen in Deutschland führte. Mit der gesetzlichen Anerkennung staatsbürgerlicher Rechtsgleichheit und der Beendigung der Ständegesellschaft ging die große Epoche der Gleichheit als sozialer Leitbegriff, der sein Ziel erreicht hatte, in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu Ende.

164 Dann,

Artikel „Gleichheit“, S. 1041 ff. Artikel „Gleichheit“, S. 1045. 166 Spitzer, Emanzipationsansprüche, S. 6. 167 Dann, Gleichheit, S. 248. 168 Koch, Artikel „Gleichheit“, Sp. 1178. 165 Dann,

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Anfänglich wurde die Idee des Gleichheitssatzes nur aus der theologisch oder philosophisch definierten Gleichheit der Gottgeschaffenheit oder der Vernunftbegabung des Menschen als eine rechtliche und politische Gleichstellung abgeleitet. Der Gleichheitsbegriff war gegen ständische Unterschiede gerichtet. Mit der Erstarkung der Rechtsstaatsidee traten daneben und schließlich vor diese Gleichheit zunehmend politische, soziale und wirtschaftliche Gleichberechtigungsforderungen.169 Die Geschichte des Gleichheitsbegriffs ist geprägt vom Wandel von der substantiellen zur funktionalen Gleichheit.170 Der Gleichheitssatz wird zum Anspruch auf allgemeine Gleichheit der Rechtsanwendung durch die Exekutive und die Judikative, d. h. zum Anspruch auf formelle Rechtsgleichheit. In je größerem Maße die Rechtsstaatlichkeit verwirklicht wird, desto inhaltsärmer wird zugleich der Gleichheitssatz in seiner Interpretation als formale Gewährleistung. Er wird daher mit neuen materiellen Erwägungen angefüllt.171 Auch der Gesetzgeber selbst ist an den Gleichheitssatz gebunden, das parlamentarisch beschlossene Gesetz trägt seine Legitimität nicht mehr in sich selbst. Mit der Einführung einer richterlichen Prüfungszuständigkeit schließlich bekommt die Garantie materiell-rechtlicher Rechtsgleichheit noch mehr Durchsetzungskraft. VII. Verfassungsgeschichte des Art. 3 GG Art. 3 Abs. 1 GG knüpft unmittelbar an die Vorgängernorm des Art. 109 Abs. 1 WRV an. Beide gehen auf ältere Vorbilder zurück. Der Gleichheitssatz wurde erstmals in den Bills of Rights der nordamerikanischen Bundesstaaten normiert.172 Seine ideengeschichtlichen Wurzeln lassen sich jedoch nicht auf die amerikanische Verfassungstradition zurückführen. Art. 3 Abs. 1 GG ebenso wie Art. 109 Abs. 1 WRV folgen unmittelbar aus der französischen Erklärung der Menschenrechte von 1793,173 welche in ihrem Art. 3 bestimmte: „Tous les hommes sont égaux par la nature et devant la loi.“ Die ursprüngliche Gleichheitsforderung der Revolution zielte auf die Beseitigung der ständischen Unterschiede174 und wurde erst später in der Erklärung von 1793 zur Forderung nach der Gleichheit vor dem Gesetz, die bis zum Grundgesetz erhalten blieb.175 Das Gesetz wurde in der Erklärung von 1793 als „l’expression solennelle de la volonté générale“ verstanden, was zu einer Garantie der Rechtsanwendungsgleichheit, 169 Ipsen, Gleichheit, S. 115. Zu dieser Zusammenfassung Bühl, Stichwort „Gleichheit“, Sp. 1065; Dann, Gleichheit, S. 248 ff. 170 Bühl, Stichwort „Gleichheit“, Sp. 1065. 171 Ipsen, Gleichheit, S. 116 f. 172 Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 1. 173 Vgl. aber auch schon die Art. 6 S. 3 und 4 der Déclaration von 1789. 174 Vgl. Art. 1 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789: „Les hommes naissent et demeurent libre et égaux en droits. Les distinctions sociales ne peuvent être fondées que sur l’utilité commune.“ 175 Podlech, Gehalt, S. 27 f.; Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 2 f. Vgl. auch Leibholz, Gleichheit, S. 14 f.

200

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nicht jedoch der Rechtssetzungsgleichheit führte. Eine Garantie der Rechtssetzungsgleichheit kannten zwar die amerikanischen Bills of Rights (vgl. vor allem den Bill of Rights of Virginia von 1776), nicht jedoch die amerikanische Bundesverfassung. Die Equal Protection Clause wurde erst nach dem Bürgerkrieg als 14. Amendment eingeführt.176 In den deutschen Verfassungen177 wurde die Gleichheit vor dem Gesetz seit dem Vormärz verankert. Die Garantie der Rechtsanwendungsgleichheit fand Eingang in die Paulskirchenverfassung von 1849 (Art. 137 Abs. 3) und später in die Weimarer Reichsverfassung (Art. 109 Abs. 1). Erst in der Weimarer Zeit wurde die Lehre von der sog. Rechtsanwendungsgleichheit178 revidiert und auch die Bindung des Gesetzgebers an den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz angenommen.179 Zuvor war man der Auffassung, daß die Garantie der Rechtsanwendungsgleichheit genüge, da das Gesetz Ausdruck der allgemeinen Vernunft und Gerechtigkeit sei.180 Um die Frage der Rechtssetzungsgleichheit rankte ein großer Streit der Weimarer Staatsrechtslehre. Eine Beschränkung des Gleichheitssatzes auf die Rechtsanwendungsgleichheit wird unter dem Grundgesetz abgelehnt. Dies folgt eindeutig aus der Entstehungsgeschichte des Grundrechts sowie aus Art. 1 Abs. 3 GG.181 Heute stellt sich also nicht mehr die Frage, ob der Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz gebunden ist, sondern was inhaltlich unter der Bindung des Gesetzgebers zu verstehen ist. Die schwierige Aufgabe besteht darin, zu sagen, was es bedeutet, daß der Gesetzgeber durch den Gleichheitssatz zur Rechtssetzungsgleichheit verpflichtet ist.182 Dem Gleichheitssatz kommt heute ein allgemeiner, universeller Inhalt zu: Der Mensch – unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit, seinem Stand und sonstigen Kriterien, die den Gleichheitssatz in der Vergangenheit prägten – darf sich 176 Hierzu

Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 5; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Rn. 1. in der von Napoleon erlassenen Verfassung des Königreichs Westfalen von 1807 (4. Titel, Art. 10: „Das Königreich Westphalen soll durch Constitutionen regiert werden, welche die Gleichheit aller Unterthanen vor dem Gesetze,[. . . ]“) und der bayerischen Konstitution von 1808. Vgl. die Zusammenstellung bei Hesse, AöR 109 (1984), 174/174, Fn. 2. 178 Anschütz, WRV, Art. 109 Anm. 1 ff. (S. 522 ff.). 179 Daß auch die Rechtssetzungsgleichheit vom Gleichheitssatz erfaßt sei, propagierten Aldag, Gleichheit, S. 5 ff.; Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), 2/5 ff.; Leibholz, Gleichheit, S. 30 ff.; Nawiasky, VVDStRL 3 (1927), 25/39 f.; Triepel, Goldbilanzen-Verordnung, S. 27 f. Erforderlich wurde, den Gleichheitssatz mit materiellem Gehalt zu füllen. 180 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 6; Hesse, AöR 109 (1984), 174/175; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Rn. 1; Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 5 f. 181 JöR 1 (1951), 66 ff.; Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 12; Hesse, AöR 109 (1984), 174/176 ff., 183 f.; Kannengießer in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 3 Rn. 2 f.; Martini, Absolute Rechtsgleichheit, S. 5 ff.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 1 f. Zur neueren deutschen Entwicklung vgl. auch Hesse, AöR 109 (1984), 174. 182 Huster, Rechte und Ziele, S. 18 („vielleicht schwierigste verfassungsdogmatische Aufgabe überhaupt“); Leibholz, DVBl. 1951, 193/194; Scholler, Gleichheitssatz, 33. 177 Zuerst

C. Gleichheit i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG

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auf ihn berufen.183 Der Gleichheitssatz ist dabei zunächst formaler Natur. Erst wenn er auf einen konkreten Lebenssachverhalt angewendet wird und wenn er aus diesem Zusammenhang heraus mit dem Vergleichsmaßstab und damit mit Wertungen angefüllt wird, gewinnt er seine gestaltende Kraft.184 Wie der Gleichheitssatz zu konkretisieren, mit welchen Wertungen er zu füllen ist, ist eine Frage des Gleichheitsverständnisses und wurde und wird unterschiedlich beurteilt.185

C. Gleichheit i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG – Schutzbereich des Gleichheitssatzes Der allgemeine Gleichheitssatz weist eine grundlegende Problematik auf: Das aus einem Vergleich fließende Gebot, nur in bestimmter Weise auf den Grundrechtsträger einzuwirken, entzieht sich schon seiner Natur nach einer abstrahierenden und verallgemeinernden Bestimmung. Der Gleichheitssatz ist für sich allein genommen deutlich inhaltsärmer und formaler als die anderen (Freiheits-) Grundrechte.186 Eine enumerative Aufzählung dessen, was „Gleichheit“ i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG meint, ist nicht möglich. Angesichts dessen muß sich jede Interpretation des Gleichheitssatzes in der Entwicklung der Methode erschöpfen, wie sein Inhalt für den Einzelfall konkretisiert und praktikabel gemacht werden kann.187 Wenn aber auch der Gesetzgeber an den Gleichheitssatz gebunden ist, müssen zugleich inhaltliche Maßstäbe gewonnen werden.188 Zur Auflösung dieses Widerspruchs muß ein Mittelweg beschritten werden. Der Gleichheitssatz muß, um überhaupt Wirkung entfalten zu können, justitiabel und durchsetzbar sein. Dies wirft hingegen erhebliche kompetenzrechtliche Probleme zwischen Judikative und Legislative auf.189 Andererseits darf er als allgemeine Norm nicht überstrapaziert werden und für jede gewünschte Rechtsfolge als Begründung herangezogen werden können.190 Schreibt man dem allgemeinen Gleichheitssatz Inhalte zu, die ihm nicht zukommen, führt dies gleichfalls zu einer Schwächung und dazu, daß er als verbindliche Schranke für die staatliche Gewalt nicht brauchbar ist. Eine Gewährleistung, die auf alles und jedes „paßt“, kann nicht mehr sein als eine leere Hülse.191 183 Kirchhof ,

HdbStR V, § 124 Rn. 82 (S. 872). HdbStR V, § 124 Rn. 85 (S. 873); vgl. Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 22. 185 Vgl. zum folgenden die Übersichten bei Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 82–109 (S. 872–885) und Martini, Absolute Rechtsgleichheit, S. 79 ff. 186 Ipsen, Gleichheit, S. 177 f.; Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/40. 187 Ipsen, Gleichheit, S. 178; Schoch, DVBl. 1988, 863/865. 188 Huster, Rechte und Ziele, S. 53. 189 Schoch, DVBl. 1988, 863/864. 190 Geiger, Staats- und Verwaltungswissenschaftliche Beiträge 1957, 167/168. 191 Schoch, DVBl. 1988, 863/864. 184 Kirchhof ,

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

I. Ausgangspunkt 1. Anwendung der Dogmatik der Freiheitsrechte auf den allgemeinen Gleichheitssatz Die Freiheitsrechte in ihrer Funktion als Abwehrrechte folgen dogmatisch dem Eingriffsschema, wonach Schutzbereich und effektiver Garantiebereich getrennt werden müssen. Der Gleichheitssatz unterscheidet sich schon nach seiner äußeren Struktur von den anderen Grundrechten. Diese gewährleisten ein bestimmtes menschliches Verhalten (das Sich-Versammeln, die Äußerung einer Meinung etc.) oder schützen einen bestimmten vom Recht geschaffenen Gegenstand (Eigentum, Ehe etc.).192 Art. 3 Abs. 1 GG setzt schon nach seinem Wortlaut gänzlich Andersartiges voraus. Der Gleichheitssatz fordert von seinem Adressaten ein Vergleichen.193 Damit weist er – zumindest auf den ersten Blick – keinen gegenständlichen Schutzbereich auf, sondern stellt sich als eine für alle Staatsorgane gültige Handlungsanweisung dar, die sich anders als bei den Freiheitsrechten nicht in dem Ausspruch eines Verbots erschöpft, sondern positives Tun einfordert.194 Zwar führt auch der Gleichheitssatz im Ergebnis dazu, daß dem Staat bestimmte Handlungen untersagt sind und vom Bürger abgewehrt werden können. In diesem Sinne läuft Art. 3 Abs. 1 GG also keineswegs leer, sondern konstituiert ein subjektiv öffentliches (Abwehr-)195 Recht auf Gleichbehandlung.196 Doch bewirkt der allgemeine Gleichheitssatz diese Gewährleistung nicht in derselben Weise wie die Freiheitsrechte. Der Gesetzgeber ist vielmehr aufgerufen, den Gleichheitssatz näher auszugestalten. Dies wird an den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz deutlich. Eine gleichheitswidrige Rechtsnorm wird nicht automatisch kassiert. Vielmehr stellt das Bundesverfassungsgericht nur den Verfassungsverstoß fest. Alles andere wäre ein unzulässiger Übergriff in Belange des Gesetzgebers. Bei Gleichheitsverstößen bestehen anders als bei Verstößen gegen Freiheitsrechte grundsätzlich mehrere Möglichkeiten, den Verstoß zu beseitigen: Der Gesetzgeber kann die Norm aufheben, so daß niemand mehr von den Rechtsfolgen getroffen wird, oder er kann die Rechtsfolgen 192 Müller,

VVDStRL 47 (1989), 37/39. Gleichheit, S. 177; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 96 a. E. 194 Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/39. Vgl. Fuß, JZ 1959, 329/338 f.; Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 14 a. E.; Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 I Rn. 16, 23; Huster, Rechte und Ziele, S. 54; Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 290 (S. 965 f.); Lübbe-Wolff , Grundrechte, S. 17 f.; 231 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 495. 195 Böckenförde, Gleichheitssatz, S. 27 f.; Sachs, DÖV 1984, 411/411 ff. 196 BVerfGE 6, 84/91; BVerwGE 55, 349/351; Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 285; Erichsen, VerwArch 71 (1980), 289/294 ff.; Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 2 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 17; Ipsen, Gleichheit, S. 126; Leibholz, DVBl. 1951, 193/193 ff.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 229. 193 Ipsen,

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auf alle ausdehnen. Aus den Freiheitsrechten folgt hingegen lediglich ein Anspruch auf Unterlassung genau des gerügten hoheitlichen Handelns. Abgewehrt wird von Art. 3 Abs. 1 GG kein Eingriff in eine bestimmte individuelle Freiheitssphäre, sondern eine bestimmte Modalität des Staatshandelns.197 Der Gleichheitssatz richtet sich von vornherein nur auf den Schutz vor unsachlichen Differenzierungen. Weitere Einschränkungen seines Gewährleistungsgehalts nimmt er dann grundsätzlich nicht mehr hin. Anders als bei den Freiheitsrechten fehlt es nach überkommener Auffassung an einer zweiten (Eingriff) und dritten Ebene (Rechtfertigung). Ein Gleichheitssatz, der unabhängig von der Sachlichkeit der Differenzierung wäre, existiert danach nicht.198 Dies kann nicht darauf zurückgeführt werden, daß die Anwendung der Dogmatik der Freiheitsrechte einschließlich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei Art. 3 Abs. 1 GG zu einer zu strengen Gleichheitsprüfung führt und so die Kompetenzen zugunsten des Verfassungsgerichts verschoben würden.199 Dem liegt eine petitio principii zugrunde. Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besagt für sich genommen noch nichts über die Strenge der Prüfung. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besitzt genügend Flexibilität, um den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers in ausreichendem Maße zu wahren.200 Allein aus der Tatsache, daß Art. 3 Abs. 1 GG keine ausdrückliche Regelung zur Einschränkung des Grundrechts vorsieht, kann schwerlich folgen, daß eine Grundrechtseinschränkung prinzipiell nicht vorgesehen ist. Auch andere Grundrechte sind vorbehaltlos gewährleistet, und es steht außer jeder Diskussion, daß sie einschränkbar sind (z. B. Art. 5 Abs. 3 GG).201 Die Gründe gegen die Übertragung der Dogmatik der Freiheitsrechte auf den allgemeinen Gleichheitssatz können daher nicht ausschließlich normstruktureller Natur sein. Hieraus lassen sich zwei Dinge folgern: Einerseits muß die Antwort auf die Frage nach der Übertragung der Eingriffsdogmatik auf den allgemeinen Gleichheitssatz aus dem Inhalt der Gewährleistung des Art. 3 Abs. 1 GG gewonnen werden.202 Andererseits ist die Unterscheidung eines Schutzbereiches von einem effektiven Garantiebereich bei Art. 3 Abs. 1 GG zumindest nicht ohne weiteres durchführbar, da der Gleichheitssatz zumindest grundsätzlich jeden sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung in sich aufnimmt, so daß schon nicht mehr wesentlich Gleiches und damit keine Ungleichbehandlung i. S. v. Art. 3 Abs. 1 197 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 17; Sachs, DÖV 1984, 411/414 ff. spricht von einem „modalen Abwehrrecht“; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 229. 198 Huster, Rechte und Ziele, S. 54 f. 199 Hesse, AöR 109 (1984), 174/190, Fn. 57; 191 f.; Kirchhof , FS-Lerche, S. 144. 200 Huster, Rechte und Ziele, S. 56. 201 Vgl. Huster, Rechte und Ziele, S. 56. 202 Alexy, Theorie, S. 391, Fn. 91; Huster, Rechte und Ziele, S. 57; Lübbe-Wolff , Grundrechte, S. 259 f.; Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/39 ff.; Sachs, Diskriminierungsverbot, S. 32 ff.; wohl auch Fuß, JZ 1959, 329/339.

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

GG vorliegt und die Forderung, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln, abschließend konkretisiert wird.203 Hierbei stehen zu bleiben, setzt allerdings zwingend voraus, daß alle sachlichen Gründe für Ungleichbehandlungen es stets ausschließen, daß überhaupt wesentlich Gleiches vorliegt.204 Darauf wird zurückzukommen sein. Jede Rechtsnorm führt, indem sie bestimmte Tatbestandsmerkmale aufstellt, dazu, daß nicht für alle dieselbe Rechtsfolge Anwendung findet, sondern nur für diejenigen, welche die jeweiligen Tatbestandsmerkmale erfüllen. Will der Gesetzgeber gestaltend und regelnd tätig werden, kommt er also nicht umhin, zu generalisieren, zu abstrahieren und zu typisieren. Damit führt er Differenzierungen ein. Das gesamte Recht besteht aus solchen Differenzierungen.205 Der Gleichheitssatz setzt einzig diesen Differenzierungen Grenzen. 2. Vergleichsgruppenbildung Ausgangspunkt jeder Gesetzes-, auch der Verfassungsauslegung muß der Wortlaut sein. Art. 3 Abs. 1 GG hat die Gestalt einer positiven Feststellung anders als die Verbotsvorschrift des Art. 3 Abs. 3 GG. Festgestellt wird von Art. 3 Abs. 1 GG die „Gleichheit“. „Gleichheit“ als (auch) an den Gesetzgeber gerichtetes Gebot kann weder meinen, alle in exakt dieselbe Rechtsposition oder dieselben faktischen Zustände zu versetzen, noch ihnen dieselben natürlichen Eigenschaften beizubringen.206 Die Menschen sind verschieden, und das Grundgesetz möchte gerade die individuelle Entfaltung der Persönlichkeit fördern. Die Herstellung wirklicher Identität muß angesichts entgegenstehender naturwissenschaftlicher Fakten und der Einzigartigkeit eines jeden Menschen als Illusion angesehen werden. Der Gleichheitssatz kann vom Gesetzgeber also nicht verlangen, daß alle identisch zu behandeln sind oder in tatsächlicher Hinsicht gleich sein sollen.207 Es liegt auf der Hand, daß das andere Extrem zu verfolgen und jede Differenzierung zuzulassen, ebenfalls keine tragfähige Lösung darstellt. So hätte Art. 3 Abs. 1 GG gar keinen Inhalt mehr.208 Der notwendige Mittelweg läßt sich formal damit beschreiben, daß Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist.209 Diese Formel bildet den Ausgangspunkt und die Leitlinie einer jeden Gleichheitsprüfung. Sie setzt ein 203 Huster,

Rechte und Ziele, S. 57; Podlech, Gehalt, S. 48. Rechte und Ziele, S. 58. 205 Hierzu Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/40. 206 Alexy, Theorie, S. 359 f. 207 Alexy, Theorie, S. 360. 208 Alexy, Theorie, S. 360. 209 Aristoteles, Politeia (Bd. 9/II), III 9 (1280a); Aristoteles, Eth. Nic., V 6 (1131a); Platon, Nomoi, VI 757; Platon, Politeia, VIII 557 ff. 204 Huster,

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Vergleichen voraus, welches seinerseits eine hinreichend präzise Vorstellung der Vergleichssubjekte und -objekte sowie der rechtlich relevanten Merkmale der Vergleichsgruppen bedingt.210 Da es sich stets um einen rechtlichen Vergleich handelt, gilt es, diejenigen Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszustellen und zu prüfen, von welchen die jeweilige Rechtsfolge gerechterweise abhängen sollte.211 Der Gleichheitssatz setzt also gedanklich voraus, daß sich Vergleichspaare bilden. Der Gleichheitssatz bezeichnet eine Relation zwischen zwei oder mehr Personen oder Sachen, welche in einem Gleichheitsurteil festgestellt wird.212 Dieses Gleichheitsurteil kann daher stets nur eine Aussage bezüglich des jeweils untersuchten (ggf. gemeinsamen) Merkmals treffen. 3. Identität und wesentliche Gleichheit Die erste Interpretationsmöglichkeit des Art. 3 Abs. 1 GG liegt darin, den Gleichheitssatz als Gebot, daß alle erlassenen Normen die Form universeller bedingter Normen haben, zu verstehen.213 Bereits die Allgemeinheit und Generalität des Gesetzes verbürgen ein hohes Maß an Rechtsgleichheit. Der Gleichheitssatz sagt so verstanden jedoch nichts darüber aus, welche Personen bzw. Sachverhalte mit welcher Eigenschaft wie zu behandeln sind. Er bliebe so eine leere Hülse.214 Es ist völlig offen, wann eine Norm ausnahmslos jeden verpflichten und berechtigen muß und wann nur eine Gruppe von Normadressaten und welche Gruppe erfaßt werden darf. So muß der Gleichheitssatz vielmehr nicht nur als Anforderung der logischen Form der Norm verstanden werden, sondern als Vorgabe für deren Inhalt.215 Zwei menschliche Individuen oder zwei Sachverhalte sind niemals in jeder Hinsicht gleich; sonst wären sie identisch.216 Sie sind immer nur im Hinblick auf eine bestimmte Eigenschaft gleich. Gleichheit ist stets nur die Abstraktion von gegebenen Ungleichheiten unter einem bestimmten Gesichtspunkt.217 Die vom Gleichheitssatz bezeichnete Beziehung ist folglich eine dreistellige Relation.218 210 Hesse,

AöR 77 (1951/52), 167/172 f.; Ipsen, Gleichheit, S. 177. Diskussionsbeitrag, S. 100; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/23. 212 Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 997 f.; Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/172 ff.; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 18; Podlech, Gehalt, S. 30 f. 213 Vgl. Alexy, Theorie, S. 361: „Postulat einer universalistischen Entscheidungspraxis“. 214 Alexy, Theorie, S. 361; Starck, Anwendung, S. 58 f. Vgl. oben § 4 C. (S. 201). 215 Alexy, Theorie, S. 362: Gebot materieller Gleichheit. 216 BVerfGE 6, 273/280; 53, 164/178; 50, 177/186; 50, 57/77; Alexy, Theorie, S. 362; Geiger, Staatsund Verwaltungswissenschaftliche Beiträge 1957, 167/171; Huster in: Berliner Kommentar, GG, Art. 3 Rn. 27 ff.; Robbers, DÖV 1988, 749/749 f.; Schoch, DVBl. 1988, 863/873; Selmer, AöR 101 (1976), 399/443. 217 Vgl. Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/173 f.; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 21; Robbers, DÖV 1988, 749/749 f.; Schoch, DVBl. 1988, 863/873. 218 Podlech, Gehalt, S. 30 f. 211 Geiger,

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Das Gleichheitsurteil betrifft immer nur eine bzw. einige Eigenschaften des herangezogenen Vergleichspaares. Es ist ein Urteil über eine partielle Gleichheit. Nun kann für die Verpflichtung, zwei Personen bzw. Sachverhalte gleich zu behandeln, nicht irgendeine Gleichheit bezüglich irgendeiner Eigenschaft ausreichen. Es ist stets festzustellen, welcher der vielen möglichen vergleichbaren Eigenschaften hinsichtlich des jeweiligen Gleichheitsurteils die maßgebliche Bedeutung zukommt. Die Formel „Gleiches ist gleich, Ungleiches ungleich zu behandeln.“ kann nur eine wertmäßige Gleichheit bzw. Ungleichheit (wesentliche Gleichheit) meinen. Der wertmäßigen Gleichheit bzw. Ungleichheit liegt ein Bewertungskriterium zugrunde, das die Aussage, was wertmäßig gleich bzw. ungleich ist, erlaubt.219 Dabei enthält der Gleichheitssatz das entsprechende Kriterium gerade nicht, sondern setzt es voraus. Die Bildung der Vergleichsgruppen folgt zu einem guten Stück den Regeln der Logik. Ohne die Unterordnung der verschieden behandelten Personen unter einen gemeinsamen Oberbegriff kann ein Gleichheitsverstoß nicht erkannt werden.220 Podlech bietet bei der logischen Klassifizierung mit seiner Unterscheidung von „behandelten Klassen“, „Restklassen“ und „Einschlußklassen“ eine Hilfestellung an.221 Von diesen sehr formalen Regeln der Logik abgesehen, sagt der Gleichheitssatz nicht, wie die Vergleichsgruppen zu bilden sind.222 Welche Eigenschaften der zu behandelnden Personen oder Sachverhalte wesentlich und damit maßgebend für die Gleich- oder Ungleichbehandlung der verschiedenen Personen bzw. Sachverhalte sind, läßt sich dem Gleichheitssatz nicht entnehmen. Erforderlich ist eine Wertung.223 Die Wesentlichkeit der Gleichheit muß von dem Rechtsbewußtsein der Gesellschaft her bestimmt werden.224 Damit wird der Gleichheitssatz jeweils an seine Zeit angepaßt und bleibt flexibel. Dem Kultur- und Rechtsbewußtsein der zu einer Einheit zusammengefaßten Gemeinschaft kommt entscheidende Bedeutung zu. Die Feststellung der im Rechtsbewußtsein der Gesellschaft zum Ausdruck kommenden Wertungen obliegt im gewaltengeteilten und -verschränkten System des Grundgesetzes dem unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber (oder im Rahmen der Ermessensverwaltung der Exekutive). Der Gesetzgeber muß die Entscheidung treffen, ob er eine gleiche Eigenschaft als derart prägend ansieht, daß er an sie die gleichen Rechtsfolgen knüpft, oder ob er auf eine andere, ungleiche Eigenschaft abstellt 219 Alexy, Theorie, S. 363; Geiger, Staats- und Verwaltungswissenschaftliche Beiträge 1957, 167/171; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 21; Maaß, NVwZ 1988, 14/14. 220 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 431 ff.; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 13. 221 Podlech, Gehalt, S. 64 ff., 262 ff. Vgl. Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 13. 222 Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 14. 223 Fuß, JZ 1959, 329/330; Hesse, FS-Lerche, 121; Robbers, Gerechtigkeit, 750; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 44. 224 Leibholz, Gleichheit, S. 56 ff., 61, 96; Triepel, Goldbilanzen-Verordnung, S. 30 ff.; Rinck, JZ 1963, 521/525; Vgl. Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/217, 219.

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und daran ungleiche Rechtsfolgen knüpft. Art. 3 Abs. 1 GG setzt nur dieser Entscheidung Grenzen.225 Diese Erkenntnisse sind weitgehend Gemeingut und können daher zunächst den Erörterungen zum allgemeinen Gleichheitssatz zugrunde gelegt werden. Auf diesen Erkenntnissen beruhen dann aber wiederum gerade auch die großen Auseinandersetzungen.226 Der Interpretation liegt der in äußerstem Maße ausfüllungsbedürftige Begriff der „wesentlichen Gleichheit“ zugrunde. Nur wesentlich Gleiches muß nach Art. 3 Abs. 1 GG auch gleich behandelt werden. Die wesentliche Gleichheit wirft die Frage nach dem zureichenden Grund einer Ungleichbehandlung auf. Die Gleichbehandlung ist Ausgangspunkt und Grundsatz, die Ungleichbehandlung die begründungsbedürftige Ausnahme.227 Die sich daran anschließende Frage ist die nach der Bestimmung des Begriffs, was wesentlich gleich ist. Hierzu gehört im gewaltengeteilten und -verschränkten Verfassungssystem die Festlegung, wer letztverbindlich über die Wesentlichkeit gleicher Eigenschaften von Personen oder Sachverhalten entscheiden darf. In diesem so abgesteckten Minenfeld muß sich die „Lösung“ des allgemeinen Gleichheitssatzes bewegen.228 II. Gleichheit als Willkürverbot 1. Ursprünglicher Ansatz von Triepel und Leibholz Von Triepel229 wurde ein Verständnis des Gleichheitssatzes als Verbot willkürlicher Normsetzung angeregt. Diesen Gedanken formte Leibholz230 aus, und er liegt heute der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung (sog. „Willkürformel“) zugrunde.231 Gleichheit ist die nach dem jeweiligen Rechtsbewußtsein nicht willkürliche Handhabung des Rechts durch die staatliche Gewalt. Der Ausgangspunkt der Überlegungen zur näheren inhaltlichen Bestimmung des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes liegt zunächst in der sicheren Erkenntnis, daß der Gleichheitsbegriff nicht quantitativ im Sinne einer 225 Hierzu BVerfGE 3, 225/240; 6, 273/280 sowie 71, 39/53 und 71, 255/271 jeweils m. w. N. (st. Rspr.). Vgl. Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 17. 226 Robbers, DÖV 1988, 749/749 f. 227 Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 15. 228 Alexy, Theorie, S. 363. 229 Triepel, Goldbilanzen-Verordnung. Vgl. schon Aristoteles, Politeia (Bd. 9/II), III 9 (1280a), III 12 (1282b–1283a), V 1 (1302a); Platon, Nomoi, VI 757. 230 Leibholz, Gleichheit. 231 BVerfGE 1, 14/52; 3, 58/135 f.; 42, 64/72 (st. Rspr.). Vgl. BVerwGE 39, 1/4; BAG, NJW 1972, 2327/2327.

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„égalité mathématique“ verstanden werden darf.232 Schon Platon und Aristoteles verstanden unter dem Gleichheitsbegriff nur eine verhältnismäßige Gleichheit.233 Art. 3 Abs. 1 GG fordert keine formal-schematische Gleichstellung, keine Gleichheit in jeder Beziehung.234 Vielmehr greift Art. 3 Abs. 1 GG die die Wirklichkeit ausmachenden Verschiedenheiten der Menschen auf und begreift sie als immanenten Bestandteil der (Verfassungs-) Rechtsordnung.235 Gleichheit meint in diesem Zusammenhang also nur verhältnismäßige Gleichheit. Diese zielt auf die gleiche Behandlung von Tatbeständen, die in einem bestimmten Zusammenhang gleichbehandelt zu werden verdienen.236 Methodisch zumindest bedenklich ist es, von einem Prinzip absoluter Rechtsgleichheit auszugehen.237 Ein solches Prinzip widerspricht gesellschaftlichen Realitäten und ist erst dann durchführbar, wenn Ausnahmen eingefügt werden. Dies muß freilich in so großem Umfange geschehen, daß die Definition der Ausnahme allen Aufwand in Anspruch nimmt und das Prinzip aufgehoben wird. Es ist daher konsequenter, die gesellschaftlichen Realitäten in das Prinzip selbst einzufügen, so daß die Gesamterscheinung in ihrer rechtlichen Bedeutung kohärent erfaßt werden kann.238 Es gilt folglich, den Gleichheitsbegriff einheitlich zu definieren. Die Rechtsordnung muß auf die tatsächlichen Verschiedenheiten der Menschen Rücksicht nehmen. Dies gelingt, indem die Gleichheit nur eine Gleichheit des bei der Verteilung von Rechten und Pflichten anzuwendenden Maßstabs fordert. Einen Anspruch auf gleiche rechtliche Behandlung haben nur die Menschen, die einander wesentlich gleich sind.239 Begründet hingegen eine individuelle Eigenart Unterschiede, so müssen diese im Wesen der Sache begründeten Ungleichheiten bei der gesetzlichen Regelung der fraglichen Materie berücksichtigt werden.240 Differenzierende Normen sind gerade Ausdruck des Gleichheitsgedankens. Die Verschiedenheiten, die eine rechtliche Ungleichbehandlung im Einzelfall rechtferti232 Leibholz,

Gleichheit, S. 38 f.; Triepel, Goldbilanzen-Verordnung, S. 29. Politeia (Bd. 9/II), III 9 (1280a), III 12 (1282b); Aristoteles, Politeia (Bd. 9/III), V 1 (1301a–1302a); Platon, Nomoi, VI 757 und oben § 4 B. I. 1. (S. 183). 234 Das sieht im Ausgangspunkt, nicht aber im Ergebnis Martini, Absolute Rechtsgleichheit, anders, der von einer absoluten Rechtsgleichheit ausgeht, die wie ein Freiheitsrecht erst auf der Schrankenebene eine Einschränkung erfährt. Gegen ähnliche, schon früher vertretene Auffassungen (Rechtsgleichheit als Regel, die von Ausnahmen jedoch durchzogen wird) Leibholz, Gleichheit, S. 41 ff. 235 Leibholz, Gleichheit, S. 40 f. 236 Jellinek, System, S. 84; Leibholz, DVBl. 1951, 193/195; Triepel, Goldbilanzen-Verordnung, S. 29; vgl. Aristoteles, Politeia (Bd. 9/II), III 9 (1280a), III 12 (1282b–1283a); Aristoteles, Politeia (Bd. 9/III), V 1 (1301a); Platon, Nomoi, VI 757. 237 So aber Martini, Absolute Rechtsgleichheit. 238 Hierzu auch unten § 4 D. III. (S. 268). 239 Leibholz, DVBl. 1951, 193/195. 240 Leibholz, Gleichheit, S. 45; Podlech, Gehalt, S. 46 und die w. N. in Fn. 1; „a law having inequality of operation may yet give equality of protection“, Connolly v. Union Sewer Pipe Co. 184 U. St. Rep. 540, 566. 233 Aristoteles,

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gen, müssen so erheblich sein, daß sie in einem inneren Zusammenhang mit der daran anknüpfenden differenzierenden Rechtsfolge stehen.241 Damit ist zwar ein Lösungsansatz zur Bestimmung der verhältnismäßigen Gleichheit formuliert. Eine weitere Konkretisierung tut jedoch Not, indem der materielle Gehalt des Gleichheitsbegriffs näher erläutert wird. Es wird angenommen, daß dies gelingt, wenn man in der Forderung nach Gleichheit vor dem Gesetz das Verbot willkürlicher Normsetzung erkennt.242 Der Willkürbegriff wird so zum Zentralbegriff, mit dessen Hilfe das, was mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar ist, näher umschrieben werden kann.243 Er macht besser als jeder andere Begriff deutlich, daß derjenige, der willkürlich handelt, sich zwangsläufig außerhalb des Rechtes und der Gerechtigkeit stellt. Das Willkürverbot bedeutet die Bindung der Verfassung an die Rechtsidee, an den Gerechtigkeitsgedanken, und damit die Einführung eines nicht formalen Elements.244 Der Willkürbegriff bezeichnet den Widerspruch zu dem jeweils irgendwie Vernünftigen, zu den ordnungsgemäß zu befolgenden Gesetzen. Er bildet den gegensätzlichen Korrelatbegriff zur Gerechtigkeit.245 Das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz wird durch Unterscheidungen verletzt, für welche sich entweder kein oder doch kein bei vernünftig und gerecht denkenden Menschen verfangender Grund anführen läßt.246 Die vorgenommene Differenzierung muß ihre Berechtigung in der Natur der Beziehung selbst finden. Entscheidend ist eine objektive Sichtweise.247 Der Willkürbegriff wird als inhaltlich begabter Wertbegriff entwickelt. Er liegt auf derselben Ebene wie der materielle Gerechtigkeitsbegriff selbst. Soweit die Gerechtigkeit selbst materiell bestimmbar ist, kann auch der Willkürbegriff inhaltlich näher umschrieben werden. Eine rationale Formulierung des dem Gleichheitssatz zugrunde liegenden Gerechtigkeitsgedankens ist – wie in allen letzten Fragen – jedoch nicht möglich. Die Gerechtigkeit steht mit den Lebensverhältnissen einer Gesellschaft in unauflösbarem Zusammenhang und befindet sich folglich mit dem Leben selbst in steter Entwicklung.248 Auch der Willkürbegriff entzieht sich daher einer konkreten inhaltlichen Definition. Er ist nicht materiell gebunden definiert (wodurch er sich von der Naturrechtslehre abhebt), sondern vom jeweiligen Rechtsbewußtsein getragen und mit diesem inhaltlich wandelbar.249 Das Rechtsbewußtsein einer Gemeinschaft, in dem sich der Gerechtigkeitsgedanke offenbart, ist „zuverlässiger Anhaltspunkt und Maßstab für die Be241 Leibholz,

DVBl. 1951, 193/195; Leibholz, Gleichheit, S. 47 f. Gleichheit, S. 72; Triepel, Goldbilanzen-Verordnung, S. 30. 243 Leibholz, DVBl. 1951, 193/195 f. 244 Leibholz, Gleichheit, S. 72 ff. 245 Leibholz, Gleichheit, S. 72. 246 Triepel, Goldbilanzen-Verordnung, S. 30. 247 Leibholz, Gleichheit, S. 98. 248 Leibholz, Gleichheit, S. 58. 249 Triepel, Goldbilanzen-Verordnung, S. 30 f.; vgl. Leibholz, Gleichheit, S. 61, 96; Rinck, JZ 1963, 521/525. 242 Leibholz,

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wertung des positiven Rechtsmateriales“250 . Dieses aus dem Kulturbewußtsein herausgeschnittene Rechtsbewußtsein der zu einer Einheit zusammengefaßten Gemeinschaft ist entscheidend.251 Das Rechtsbewußtsein der Gemeinschaft wird im unmittelbar demokratisch legitimierten Parlament als repräsentativem Querschnitt des Volkes greifbar. Durch seine Gesetze füllt es den Gleichheitssatz mit Leben.252 Die Bestimmung des Gleichheitssatzes nach dem Willkürverbot beruht also auf der Auffassung, daß der Gerechtigkeitsgedanke letztlich rational nicht formulierbar ist, da der Gerechtigkeitsgedanke je nach Ort und Zeit anders zu fassen ist.253 Der Willkürbegriff ist durch dieses Rechtsbewußtsein konkretisierbar, durch die Vorstellungen und Überzeugungen einer Gemeinschaft, die sich als solche fühlende geistige Einheit vernünftiger Wesen begreift und erfährt.254 Dieser Rekurs auf das Rechtsbewußtsein ist notwendig, da eine Rechtsordnung erst zur Geltung gelangt, wenn sie von den Normadressaten als bindend akzeptiert wird. Ein Urteil über eine rechtliche Regelung kann nur gefällt werden, wenn dem Willkürbegriff inhaltliche Aussagen beigegeben werden. Zunächst ist die Willkür von der „bloßen“ Unrichtigkeit des Rechts zu scheiden. Beide Begriffe bezeichnen eine negative Abweichung des Ist-Zustandes vom Soll-Zustand: Es kann stets nur Recht geben, das mit einem höheren Maßstab in Einklang steht und solches, auf das diese Aussage nicht zutrifft. Der Unterschied zwischen der Willkür und der Unrichtigkeit muß folglich ein rein quantitativer Unterschied um Grade der Fehlerhaftigkeit sein.255 Es lassen sich davon ausgehend Rechtssätze unterscheiden, die zwar sachlich, jedoch unrichtig begründet sind, von solchen, die sich überhaupt nicht rechtfertigen lassen.256 Letzteres ist der Fall, wenn sich ein vernünftiger Grund für das in der Norm für maßgeblich erachtete Kriterium überhaupt nicht finden läßt, wenn Tatbestand und Rechtsfolge schlechthin unvereinbar sind oder wenn zwischen der Rechtsnorm und dem durch sie erstrebten Zweck jeglicher innerer Zusammenhang fehlt oder zwar besteht, aber in einem völlig unzulänglichen Verhältnis.257 Eine Rechtsnorm, auf die diese Be250 Leibholz,

Gleichheit, S. 61; ähnlich Leibholz, DVBl. 1951, 193/195. Gleichheit, S. 96; Rinck, JZ 1963, 521/525. 252 Eyermann, FS-bayVerfGH, S. 49 (jedoch gegenüber der Willkürformel ablehnend); Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 14 mit Hinweis auf das französische Dogma vom Gesetz als Ausdruck des allgemeinen Willens, das daher auch nur einer eingeschränkten Kontrolle („avant leur [scl. les lois] promulgation“) durch den Conseil constitutionnel unterliegt, vgl. Art. 61 der französischen Verfassung. 253 Leibholz, Gleichheit, S. 57 f., 96; vgl. Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 87 (S. 874 f.). 254 Leibholz, Gleichheit, S. 61; Triepel, Goldbilanzen-Verordnung, S. 30. 255 Leibholz, Gleichheit, S. 76. 256 Leibholz, DVBl. 1951, 193/196; Leibholz, Gleichheit, S. 76. 257 Leibholz, Gleichheit, S. 76. 251 Leibholz,

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dingungen zutreffen, ist willkürlich. Die Trennung zwischen unrichtigem und willkürlichem Recht folgt einer sachlichen Notwendigkeit: Lebenssachverhalte können vom Menschen in ihrer Komplexität nicht vollständig erfaßt werden, d. h. das zur Beurteilung erforderliche Rechtsbewußtsein der Gemeinschaft tritt nicht stets klar in Erscheinung. Nur in einzelnen Fällen tritt das Rechtsbewußtsein eindeutig zutage.258 Wäre die Gleichheitsforderung nicht auf diese klaren Fälle beschränkt, würde sich das über eine Rechtsnorm am Maßstab des Gleichheitssatzes urteilende Gericht zum eigentlichen Gesetzgeber aufschwingen.259 Zwar muß der Gleichheitssatz auch einem Gesetzesabsolutismus entgegentreten und auch den Gesetzgeber binden,260 doch hat die Rechtsprechung dabei die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zu achten. Willkürliches Recht liegt vor, wenn für den staatlichen Akt schlechterdings überhaupt kein oder jedenfalls nur ein im wesentlichen unvernünftiger Grund angeführt werden kann.261 Die Gleichbehandlung kann demnach definiert werden „als die nach dem jeweiligen Rechtsbewußtsein nicht willkürliche Handhabung des an die Adresse von Rechtssubjekten gerichteten Rechtes durch den Gesetzgeber und die Vollziehung (Justiz und Verwaltung)“262 . Diese inhaltlich noch wenig konkretisierte Definition stößt zweifellos auf praktische Schwierigkeiten. Doch trifft das Gesetzgebungsverfahren in der Regel genügend Vorkehrungen, damit das objektive Recht mit dem Rechtsbewußtsein harmoniert.263 Jedes Recht muß mit flexiblen, nicht in ihrer Gänze rational faßbaren Begriffen arbeiten. Der Richter wird durch die Willkürformel nicht aufgefordert, subjektiv zu entscheiden. Er muß eine objektive Beurteilung – unabhängig davon, was er für seine Person für ungeeignet hält – treffen, ob unter dem bestimmten Gesichtspunkt, unter dem der staatliche Akt zu prüfen ist, überhaupt ein maßgeblicher Grund zu seiner Rechtfertigung ausfindig gemacht werden kann.264

258 Leibholz,

Gleichheit, S. 77. Gleichheit, S. 77 f. Vgl. auch die von Leibholz gezogene Parallele zum fehlerhaften Staatsakt und seine rechtsvergleichenden Ausführungen anhand der Rechtsprechung des Schweizer Bundesgerichts sowie der US-amerikanischen Judikatur. Leibholz, DVBl. 1951, 193/195: „Der Gesetzgeber [entscheidet] über die Erheblichkeit der Verschiedenheiten der tatsächlichen Voraussetzungen.“ 260 Triepel, Goldbilanzen-Verordnung, S. 28. 261 Leibholz, Gleichheit, S. 87; Leibholz, DVBl. 1951, 193/195. 262 Leibholz, Gleichheit, S. 87. 263 Leibholz, Gleichheit, S. 96; vgl. Triepel, Goldbilanzen-Verordnung, S. 34: Vermutung für die verfassungsmäßige Gestaltung durch den Gesetzgeber. 264 Geiger, Staats- und Verwaltungswissenschaftliche Beiträge 1957, 167/170; Leibholz, Gleichheit, S. 82 f. 259 Leibholz,

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2. Willkürrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Die „Willkürformel“ stieß in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, aber auch in der fachgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum überwiegend auf Zustimmung.265 Gleich in seinem ersten Urteil gibt das Bundesverfassungsgericht die Richtung für die Auslegung des allgemeinen Gleichheitssatzes vor,266 wenn es formuliert, der Gleichheitssatz verbiete, daß wesentlich Gleiches ungleich, nicht daß wesentlich Ungleiches entsprechend der bestehenden Ungleichheit ungleich behandelt wird. Der Gleichheitssatz sei verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lasse, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden müsse.267 Diese beiden „Ur-Sätze“268 sind bekannt und – freilich in Modifikationen und Variationen – nach wie vor ständige Rechtsprechung des Gerichts.269 Willkürlich ist ein staatliches Handeln, wenn es sich nicht am Gerechtigkeitsgedanken orientiert. Das Bundesverfassungsgericht sucht einen qualifizierten Grund für die Feststellung dessen, was wesentlich gleich ist. Den Hintergrund bildet eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise. Hierauf bauen die Formeln auf, die den inneren Zusammenhang zwischen den Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung beschreiben. Freilich sind diese Formeln noch sehr vage und geben dem Gleichheitssatz kaum einen eigenständigen Inhalt, doch sind sie andererseits auch nicht völlig inhaltsleer. Indem das Bundesverfassungsgericht die Natur der Sache und die Eigenart des konkreten Sachverhalts betont, macht das Gericht deutlich, daß die jeweils geforderte Gleichheit eine bereichsspezifische ist.270 Interessant ist die Feststellung, daß die Ungleichbehandlung dadurch stets in einen Kontext mit Differenzierungsgründen gestellt wird, die sich als Eigenschaften der verschieden behandelten Personen bzw. Sachverhalte erfassen lassen.271 Gründe, die an in der Person liegende Eigenschaften nicht mehr anknüpfen, scheiden als sachliche Gründe aus. Die Willkürformel stellt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Antwort auf das Dilemma dar, daß es einerseits kaum möglich ist, allgemein zu 265 BVerfGE 1, 14/52; BVerwGE 39, 1/4; BAG, NJW 1972, 2327/2327. Vgl. Dürig in: Maunz/ Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 282; Hesse, AöR 109 (1984), 174/191 f.; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 19; Kannengießer in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 3 Rn. 16 f. 266 BVerfGE 1, 14/52. Vgl. allgemein zur Rechtsprechung Leibholz/Rinck, GG, Art. 3 Rn. 27; Rupp, FG-BVerfG II, S. 364 ff. 267 BVerfGE 1, 14/52. 268 Zacher, AöR 93 (1968), 341/344. 269 BVerfGE 3, 58/135 f.; 42, 64/72 und öfter. 270 Huster, Rechte und Ziele, S. 46. 271 Huster, Rechte und Ziele, S. 47.

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sagen, welche Eigenschaften der zu vergleichenden Personen bzw. Sachverhalte wesentlich sind, andererseits aber bestimmte Eigenschaften offensichtlich keinerlei Relevanz entfalten können. Die Willkürformel knüpft nun an den einzig greifbaren Punkt an, nämlich an die Offensichtlichkeit irrelevanter Eigenschaften.272 Der Willkürbegriff wird so zum gegensätzlichen Korrelatbegriff der Gerechtigkeit und bedeutet deren radikale, absolute Verneinung.273 Diese negative Bestimmung der wesentlichen Gleichheit durch den zureichenden Grund für eine Ungleichbehandlung überwindet die Schwierigkeit, eine allgemeine Gerechtigkeit zu beschreiben.274 Damit gelingt es zugleich, die Kompetenzordnung des Grundgesetzes zwischen Rechtsprechung und Gesetzgebung zu wahren.275 Es verbleibt dem Gesetzgeber eine große Auswahl sachlicher Gründe. Das Gericht schreibt ihm nicht vor, welche er auswählen muß, sondern rügt nur die offensichtlich unsachlichen Gründe. Die Willkürformel verhindert so, daß sich der Richter zum Gesetzgeber aufschwingt. Die Ausfüllung der Unbestimmtheit des Gleichheitssatzes obliegt dem unmittelbar demokratisch legitimierten Staatsorgan.276 Die Beschränkung der richterlichen Kontrolldichte auf evidente Gleichheitsverstöße trägt schließlich auch Erkenntnisschwierigkeiten im tatsächlichen Bereich Rechnung. Somit beschreibt die Willkürformel den Kern des Gleichheitssatzes277 und zeigt für die Rechtsprechung nur äußerste Grenzen auf.278 3. Kritik an der Willkürformel Die Konkretisierung der wesentlichen Gleichheit erfuhr in der Judikatur eine nicht unerhebliche Ausdehnung. Der Willkürbegriff verselbständigte sich279 und wurde – zunächst vor allem bei der Überprüfung von Urteilen – von der Methode des Vergleichs gelöst. Es genügt nunmehr die falsche, d. h. grundlose Gesetzesanwendung oder -schaffung.280 Die Interpretation wurde von dem nach dem allgemeinen Gleichheitssatz an sich erforderlichen Vergleich zweier Tatbestände materiell unabhängig.281 Es wird also nicht mehr eine Vergleichslage 272 Huster,

Rechte und Ziele, S. 48. Gleichheit, S. 72; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 16. 274 Vgl. Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 221 (S. 936 f.). 275 Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 16. 276 BVerfGE 3, 225/240; 26, 302/310; 71, 39/53; 71, 255/271; 83, 395/401; 84, 348/359; Huster, Rechte und Ziele, S. 49 Leibholz, Gleichheit, S. 77 f. 277 Böckenförde, Gleichheitssatz, S. 51; Hesse, AöR 109 (1984), 174/193; Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 98 (S. 880); Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/42; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 19; Stettner, BayVBl. 1988, 545/548. 278 Der allgemeine Gleichheitssatz ist insoweit lediglich eine Kontrollnorm. 279 Vgl. schon Geiger, BVerfGE 42, 42/79/80 ff. (abw. Meinung); Eyermann, FS-bayVerfGH, S. 51. 280 Hesse, Diskussionsbeitrag, S. 77. 281 Huster, Rechte und Ziele, S. 51; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 21. Diese Verselbständigung der Willkürprüfung hat in der Schweizer Praxis eine lange Tradition. Hierzu Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/42 f. 273 Leibholz,

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beurteilt, sondern allgemein nach einer falschen Gesetzesanwendung gefragt.282 Dieses Vorgehen verstößt gegen alle methodischen Regeln der Verfassungsinterpretation und ist zudem angesichts der Auffangfunktion des Art. 2 Abs. 1 GG überflüssig.283 Entgegen der Intention der Willkürformel, für eine Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes zu sorgen, verschwimmen seine Konturen auf diese Weise, und er droht seine Effektivität in den zentralen Bereichen der Gleichheitsforderung zu verlieren.284 Indem sich das Willkürverbot zu einer allgemeinen, von Art. 3 Abs. 1 GG unabhängigen Anforderung an staatliches Handeln entwickelt, die sich im Rechtsstaatsprinzip verortet sieht, wird dem Gleichheitssatz selbst kein eigenständiger materieller Inhalt verliehen.285 Aber auch eine streng an Vergleichslagen gebundene Willkürformel weist Unzulänglichkeiten erheblicher Art auf. Sie wurde vor allem zu einer Zeit – den Entstehungstagen des Grundgesetzes – angewandt, in der noch die Auffassung mitschwang, daß der Gesetzgeber gar nicht an den Gleichheitssatz gebunden sei.286 Dabei versucht der Willkürbegriff einen Mittelweg zu beschreiten, um eine inhaltliche Konkretisierung zu ermöglichen, ohne jedoch die funktionellrechtlichen Grenzen, die die Verfassung der Rechtsprechung zieht, zu überschreiten. Diese Gratwanderung führt jedoch im Gegensatz zu ihrer hehren Intention dazu, daß beide Ziele verfehlt werden. Die Willkürformel kumuliert die Nachteile beider Aspekte: Durch ihre ganz erhebliche Unbestimmtheit öffnet sie den allgemeinen Gleichheitssatz dem verfassungsrechtlichen Dezisionismus287 und wird so eine Gefahr für die Gewaltenteilung. Der Richter wird nicht effektiv daran gehindert, seine Ansicht über die des unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebers zu stellen. Andererseits erweist sich die Willkürformel als zu schwacher Kontrollmaßstab,288 was ebenfalls mit ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit zusammenhängt, die eine hilfreiche Konkretisierung des Begriffs der wesentlichen Gleichheit nicht zu leisten vermag. Justitiable Kriterien für eine Überprüfung von Gesetzen oder anderer Hoheitsakte enthält der Gleichheitssatz auf diese Weise nicht.289 Zwar be-

282 Hesse,

Diskussionsbeitrag, S. 77. Rechte und Ziele, S. 51. 284 Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/42. 285 Alexy, Theorie, S. 364; Geiger, Diskussionsbeitrag, S. 100 ff. mit Erwiderung von Leibholz (Leibholz, Diskussionsbeitrag, S. 105 ff.); Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 16, 21. 286 Vgl. Apelt, JZ 1951, 353/357 ff.; Eyermann, FS-bayVerfGH, S. 45 ff.; Fuß, JZ 1959, 329/335 ff.; Huster, Rechte und Ziele, S. 58; Ipsen, Gleichheit, S. 137, 156 f.; Thoma, DVBl. 1951, 457/457 ff. 287 Fuß, JZ 1959, 329/330; Huster, Rechte und Ziele, S. 58; Ipsen, Gleichheit, S. 166. In der Verkennung der subjektiven Bedingtheit des Gleichheitsurteils liegt die Wurzel der Vieldeutigkeit des Gleichheitsbegriffs (Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/174). 288 Huster, Rechte und Ziele, S. 59. 289 Ipsen, Gleichheit, S. 137 („Verflachung und Simplifizierung der Argumentation“); Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 24. 283 Huster,

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tont das Bundesverfassungsgericht290 in ständiger Rechtsprechung, daß es nicht auf eine subjektive, sondern nur auf eine objektive Willkür ankomme. Doch weist keines der zugrunde gelegten Kriterien wie die „Natur der Sache“, „vernünftig“, „sachlich einleuchtend“ etc. einen objektiv bestimmbaren Gehalt auf. Vielmehr wird zumindest stillschweigend auf eine subjektive Bewertung (durch das urteilende Gericht) verwiesen.291 Aufgrund dieses Verständnisses konnte es überhaupt erst zur Verselbständigung des Willkürverbots als neben Art. 3 Abs. 1 GG eigenständiger Gewährleistung kommen. Die Willkürformel verstärkt die Gefahr, in eine allgemeine Gerechtigkeitskontrolle abzugleiten.292 Wer den Inhalt des Gleichheitssatzes nur als Willkürverbot zu bestimmen vermag, kommt nicht umhin, seine Maßstäbe naturrechtlich zu begründen.293 Willkür- und Gerechtigkeitsüberlegungen sind oft spekulativ, politisch geprägt und objektiv nicht nachvollziehbar. Die (ausschließliche) Heranziehung der Willkürformel birgt die Gefahr einer Inhaltsentleerung des Gleichheitssatzes und gaukelt vor, inhaltliche Maßstäbe vorzugeben. Außerdem streitet bei formell verfassungsmäßig zustande gekommenen Parlamentsgesetzen eine Vermutung dafür, daß die am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe zumindest nicht willkürlich entschieden haben.294 Die leitenden Gesichtspunkte zur Konkretisierung des Gleichheitsbegriffs liefern die in der Gesellschaft herrschenden Gerechtigkeitsund Wertvorstellungen.295 Die Gleichsetzung des allgemeinen Gleichheitssatzes mit dem Willkürverbot führt schließlich dazu, daß der Gleichheitssatz in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung mit am häufigsten zitiert wird, aber daß nur in sehr seltenen Fällen ein Gesetz wirklich wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG vom Bundesverfassungsgericht kassiert wird.296 Dieser Befund macht deutlich, daß die Willkürformel nicht in der Lage ist, rechtsnormative Maßstäbe dem Gleichheitssatz zuzuweisen, sondern die Gleichheitsprüfung im Diffusen beläßt.297 Der Gleichheitssatz – verstanden als Willkürverbot – bleibt also auf die Korrektur eines Versehens beschränkt.298 In der Regel wird der Gesetzgeber, nachdem das umfangreiche Gesetzgebungsverfahren durchlaufen wurde, eine Verschiedenbehandlung nicht ohne jeden sachlichen Grund eingeführt haben. Bereits die Vorschriften des 290 BVerfGE

2, 266/281; 57, 39/42; 58, 163/167 f. in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 28. 292 Vgl. z. B. die Entscheidungen BVerfGE 57, 39/42; 58, 163/167 f. sowie Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 30. 293 Ipsen, Gleichheit, S. 163. 294 Ipsen, Gleichheit, S. 187; Leibholz, Gleichheit, S. 96 f.; Triepel, Goldbilanzen-Verordnung, S. 34. 295 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 164 ff.; Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/174, 198 f.; Ipsen, Gleichheit, S. 178; Leibholz, Gleichheit, S. 87; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 14; Triepel, Goldbilanzen-Verordnung, S. 30; vgl. aber Podlech, Gehalt, S. 79. 296 Rüfner, SGb 1984, 147/147; Rupp, FG-BVerfG II, S. 365. 297 Schoch, DVBl. 1988, 863/864. 298 Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 18. 291 Stein

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Grundgesetzes zum Gesetzgebungsverfahren wirken dem entgegen. Der Gleichheitssatz in seinem Verständnis als Willkürverbot ist danach nichts weiter als ein (zusätzliches) Begründungsgebot, also nur eine weitere Verfahrensanforderung. Bedeutsame Korrekturen auf der Grundlage des Willkürverbots sind nicht möglich.299 4. Eine erste Präzisierung durch die sog. „neue Formel“ Die Unschärfe und Unzulänglichkeiten der Willkürformel, mit denen eine nur eingeschränkte Kontrolle der staatlichen Gewalten gelingt, hat auch das Bundesverfassungsgericht wahrgenommen und einen verschärften Kontrollmaßstab entwickelt, ohne freilich die Willkürrechtsprechung damit aufzugeben.300 Das Bundesverfassungsgericht selbst nahm also eine erste Relativierung der Willkürformel vor. Schon mit der Willkürformel liegt in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts eine mehrstufige Gleichheitsprüfung vor.301 Die Forderung nach willkürfreiem staatlichen Handeln folgt bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip. Im Rahmen der Gleichheitsprüfung ist stets auch ein innerer Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung erforderlich.302 Dies wird deutlich, wenn das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit von Verschiedenbehandlungen gerade nicht nach abstrakten Kriterien entschieden wissen will, sondern die Prüfung durch Rekurs auf die Natur der Sache und die Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs konkretisiert.303 Der erste Senat hingegen entwickelte hieraus einen zum Willkürverbot hinzutretenden zusätzlichen Maßstab der Gleichbehandlung. Nach der „neuen Formel“ ist das Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten.304 Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.305 Es ist zu prüfen, ob gerade der festzustellende 299 Rüfner

in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 18. Wendt, NVwZ 1988, 778/780; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 27. 301 BVerfGE 51, 1/28 f. 302 BVerfGE 71, 39/57 f.; vgl. hierzu Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 26; Wendt, NVwZ 1988, 778/380 f. 303 BVerfGE 6, 84/91; 17, 122/130; 19, 1/8; 25, 269/292 und öfter. 304 BVerfGE 55, 72/88; 60, 123/133 f.; BVerfGE 74, 9/24 (einschließlich dem Sondervotum von Katzenstein (S. 30)). Vgl. zur „neuen Formel“ Friauf , StuW 1985, 308/315; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 21 m. w. N.; Schoch, DVBl. 1988, 863/874; Wendt, NVwZ 1988, 778/780 ff. m. w. N.; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/23 ff. 305 BVerfGE 82, 126/146. 300 Vgl.

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Unterschied für die Differenzierung relevant ist. Die „neue Formel“ kommt stets dann zur Anwendung, wenn verschiedene Personengruppen ungleich behandelt werden, während es für die sächlichen Ungleichbehandlungen bei der Willkürprüfung bleibt.306 Im Fortgang der Rechtsprechung wurde die „neue Formel“ dahingehend präzisiert, daß nunmehr eine strenge Bindung an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz307 angenommen wurde. Die Willkürrechtsprechung wird mit einer „neuen Formel“ konsequent fortgeführt.308 Das Bundesverfassungsgericht unternimmt mit dieser „neuen Formel“ den Versuch, eine strukturiertere Gleichheitsprüfung zu beschreiben.309 Durch einen inhaltlich gegenüber der Willkürformel deutlicheren Maßstab und durch die Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips kommt es zu einer erhöhten Kontrolldichte.310 Während bislang das Vorliegen eines sachlichen Grundes schon eine Ungleichbehandlung ausschloß, muß dieser nun an der Ungleichbehandlung gemessen werden und zu ihr in einem angemessenen Verhältnis stehen.311 Diese Abstufung der Kontrolldichte kann aber bereits nach der überkommenen Willkürformel erzielt werden. Schon früher stellte das Bundesverfassungsgericht auf einen „zureichenden Grund“ ab. Damit wird ein innerer Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung gefordert. Die „neue Formel“ greift lediglich diesen inneren Zusammenhang wieder auf und stellt ihn als Erfordernis der Verhältnismäßigkeit in den Vordergrund der Prüfung.312 Es gelingt deswegen mit diesem erweiterten und verfeinerten neuen Ansatz nur in geringem Umfange und nur bedingt durch die klarere Offenlegung der dahinterstehenden Erwägungen, präzisere Kriterien als die des „bisherigen“ Willkürverbots aufzustellen. Dies zeigt nicht zuletzt die – zumindest terminologische – Zurückhaltung313 des zweiten Senats. Somit spielt es nur eine untergeordnete Rolle, ob nun auch der zweite Senat die „neue Formel“ des ersten Senats übernommen hat.314 Zwar deuten einige Formulierungen des zweiten Senats315 darauf hin, daß er sich der „neuen Formel“ des ersten Senats anzuschließen gewillt war, doch war alsbald die Rückkehr zur ausschließlichen Anwendung der Willkürformel vollzogen.316 306 BVerfGE

55, 72/89; 60, 329/346. 88, 87/96. 308 Hiergegen Maaß, NVwZ 1988, 14. 309 Vgl. Wendt, NVwZ 1988, 778/781. 310 Hesse, AöR 109 (1984), 174/189; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 21; Sondervotum Katzenstein, BVerfGE 74, 9/28/30; Robbers, DÖV 1988, 749/751 f. 311 Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 14; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 21; Hesse, AöR 109 (1984), 174/189. 312 Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 26, 27; Wendt, NVwZ 1988, 778/780 f. 313 Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 34. 314 Vgl. Maaß, NVwZ 1988, 14/15; Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 34. 315 BVerfGE 65, 377/384; 71, 39/58 f. 316 BVerfGE 75, 108/157 ff.; 78, 249/278; 85, 176/187; vgl. Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 34. 307 BVerfGE

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Der Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 GG erfuhr weitere Klarstellungen und Erweiterungen. Nur mittelbare Ungleichbehandlungen von Personengruppen werden von nun an am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemessen. Außerdem fallen auch solche Differenzierungen darunter, die an Merkmale anknüpfen, welche von den betroffenen Personen nicht beinflußt werden können. Die „neue Formel“ soll umso strengere Maßstäbe liefern, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann.317 Die von den Vertretern der Willkürtheorie versuchte Gratwanderung zwischen inhaltlicher Konkretisierung des Gleichheitssatzes und kompetentiellen Erwägungen scheitert.318 Eine Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz wird um den Preis inhaltlicher Unschärfe und eines fast grenzenlosen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers erreicht. Dies gefährdet gerade eine klare Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Exekutive und Judikative.319 Die Aufspaltung des Gleichheitssatzes in eine Kontrollnorm und eine Handlungsnorm verbietet sich. Es ist mit Blick auf Art. 1 Abs. 3 GG außerdem problematisch und wenig hilfreich, die Verfassung mit Gehalten anzufüllen, die verfassungsgerichtlich nicht kontrollierbar sind.320 III. Weitere Präzisierungen des Gleichheitsbegriffs in der Wissenschaft Die Wissenschaft bemüht sich angesichts der Defizite der Willkürformel um weitergehende Präzisierungen des allgemeinen Gleichheitssatzes. Ausgangspunkt bleibt zunächst nach wie vor die Willkürformel. Diese wird jedoch modifiziert und ergänzt. So wird versucht, die Unsicherheiten, die das Willkürverbot unweigerlich mit sich bringt, dadurch einzuschränken, daß man in ihm lediglich einen subsidiären Maßstab erkennt. Dieses Vorgehen knüpft unmittelbar an den neueren bundesverfassungsgerichtlichen Ansatz an, der vom Willkürverbot als Grundkontrolle ausgeht, der allerdings für bestimmte Konstellationen die intensivierte Prüfung mit Hilfe der „neuen Formel“ vorsieht.321

317 Vgl.

Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 21; Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 34. Huster, Rechte und Ziele, S. 58. 319 Huster, Rechte und Ziele, S. 58. 320 Huster, Rechte und Ziele, S. 60. 321 Vgl. Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 28. 318 Vgl.

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1. Im Gesamtsystem der Verfassungsordnung ruhende Gleichheit a) Konkretisierung des Gleichheitssatzes durch die Verfassung und Subsidiarität der Willkürformel In der Mitte der 1920er Jahre wurde eine Neubestimmung des Gleichheitssatzes vorgenommen und die Bindung auch der Legislativen an den Gleichheitssatz diskutiert.322 Hierdurch kam es zu einem tiefgreifenden Wandel in der ausgewogenen Zuordnung der Gewalten, mit dem ein Zugewinn neuer Zuständigkeiten für die Judikative einherging. Die Bindung auch des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz macht es erforderlich, diesen mit Inhalt zu füllen und zwar dergestalt, daß er einen justitiablen Entscheidungsmaßstab liefert.323 Zugleich muß der Gleichheitssatz die notwendige Variabilität erhalten und einen zeitlos-absoluten Gehalt besitzen, um auf sich wandelnde Anforderungen und Wertungen reagieren zu können.324 Es gibt keinen Gleichheitssatz schlechthin, der unabhängig vom gesellschaftlichen und verfassungsrechtlichen Kontext betrachtet werden kann.325 Die vom Bundesverfassungsgericht und Teilen der Literatur vorgenommene Identifizierung des Gleichheitssatzes mit Gerechtigkeit und dem Willkürverbot326 erleichtert zwar die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes in einer bestimmten Vergleichsperspektive, kann aber die genannten Anforderungen nicht erfüllen, da fraglich ist, wie sich die Wertvorstellungen zuverlässig ermitteln lassen.327 Der Gleichheitssatz muß – gerade in komplizierten und unklaren Grenzfällen – präziser umschrieben werden können, als es die Willkürformel zu leisten vermag.328 Sonst droht eine Funktionenverfremdung in Gestalt einer Überhöhung der richterlichen Gewalt.329 Es wird versucht, die Justitiabilität dadurch herzustellen, daß man die (richterliche) inhaltliche Bestimmung des Gleichheitssatzes an das Gesamtsystem der 322 Vgl.

oben § 4 B. VII. (S. 200). Gleichheitssatz, S. 33. 324 Aldag, Gleichheit, S. 42 f.; Ipsen, Gleichheit, S. 113; Triepel, Goldbilanzen-Verordnung, S. 30. 325 Vgl. Dürig, Stichwort „Gleichheit“, S. 1071; Podlech, Gehalt, S. 91. 326 Vgl. oben § 4 C. II. (S. 207 ff.). 327 Starck, Anwendung, S. 63. Hieraus erklärt sich die vielfach geäußerte Skepsis gegenüber der „Leerformel“: Aldag, Gleichheit, S. 42 f.; Alexy, Theorie, S. 373 f.; Hesse, AöR 109 (1984), 174/186; Podlech, Gehalt, S. 85, 191; Rupp, FG-BVerfG II, S. 366; Sachs, Diskriminierungsverbot, S. 34, 47 ff. 328 Ipsen, Gleichheit, S. 166; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 12: „Am fruchtbarsten hat sich insoweit das Willkürverbot erwiesen, das die negative bloße Grenzfunktion des allgemeinen Gleichheitssatzes verdeutlicht und damit zugleich der Kompetenzabgrenzung zwischen Gesetzgeber und Verfassungsgericht gerecht wird.“ 329 Ipsen, Gleichheit, S. 162 f.; Leibholz, Gleichheit, S. 77 f.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 12. Hierzu auch Geiger, Staats- und Verwaltungswissenschaftliche Beiträge 1957, 167/169 ff., der eine solche Gefahr nicht annimmt. 323 Scholler,

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konkreten Verfassung bindet.330 Eine Inhaltsbestimmung nur aus dem Gleichheitssatz selbst heraus kann nicht gelingen, da wesentliches Strukturmerkmal des Gleichheitssatzes seine inhaltliche Unbestimmtheit ist.331 Diese mit zahlreichen wertenden Gesichtspunkten zu füllen, führt nicht weiter, sondern lediglich zu einer Überlastung des Gleichheitssatzes. Damit liegt freilich nur ein Befund vor, nicht jedoch eine Begründung dafür, daß es auf eine im Gesamtsystem der Verfassung ruhende Gleichheit ankommt. Das Grundgesetz selbst läßt Grundrechtsbeschränkungen durch die Legislative oder nach Ausspruch durch das Bundesverfassungsgericht zu (Art. 139, 18 GG), die an sich gegen den Gleichheitssatz verstießen, um aus Sicht der Verfassung bedeutendere Werte zu schützen. Wo nun der Schutz der Verfassung und der demokratischen Grundordnung als vorrangig eingestufte Werte in Frage stehen, wird die Inhaltsbestimmung der Gleichheit auch sonst diese grundgesetzliche Wertordnung nicht ignorieren können.332 Das Grundgesetz enthält (auch in seinem organisatorischen Teil) zahlreiche Regelungen, die im Wege der Interpretation miteinander und mit dem Gleichheitssatz in Beziehung gesetzt werden müssen. Die für die Anwendung des Gleichheitssatzes notwendige Konkretisierung folgt aus diesem Gesamtgefüge der Verfassung.333 Die vom Grundgesetz aufgestellte Verfassungsordnung ist durch eine Gewaltenteilung im Sinne der Gewaltenhemmung und -balancierung gekennzeichnet. Der Gleichheitssatz gehört zu diesem System, und ein bestimmtes Verständnis des Gewaltenteilungsgrundsatzes hat Auswirkungen auf das Verständnis des Gleichheitssatzes.334 Mit der Frage, ob das Grundgesetz die (potentielle) Überordnung der richterlichen Gewalt über die Legislative zu seinem Gewaltenteilungssystem rechnet, steht und fällt die Frage nach dem Inhalt und der Tragweite des Gleichheitssatzes im Bereich der Rechtssetzung.335 Das Grundgesetz gestattet, wie allein schon die Verfahren der Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und 2 a, Art. 100 Abs. 1 GG zeigen, die Kontrolle sogar formeller Bundesgesetze durch die dritte Gewalt. Hierin liegt ein (wichtiges) Instrument der Gewalten-

330 BVerfGE 93, 121/133 f.; Ipsen, Gleichheit, S. 164; Starck, Anwendung, S. 61 f.; Rinck, JZ 1963, 521/525. Vgl. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 1 ff., der von „Art. 3 I im Wertsystem der Grundrechte“ spricht; Leibholz/Rinck, GG, Art. 3 Rn. 34, 50 ff.; Nawiasky, VVDStRL 3 (1927), 25/30 ff. „systematische Auslegung“. Ähnlich Brüning, JZ 2001, 669/672 f.; Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/45; Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 20 f.; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/29. Auch das BVerfG (E 42, 64/73) geht davon aus, daß die „wesentliche Gleichheit“ zunächst anhand der Verfassung zu konkretisieren ist. 331 Schoch, DVBl. 1988, 863/874; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 15. 332 Ipsen, Gleichheit, S. 167. 333 Böckenförde, Gleichheitssatz, S. 24, 39; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 16; Starck, Anwendung, S. 61 f., 64 ff.; kritisch Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 31 f.; vgl. oben Fn. 330. 334 Ipsen, Gleichheit, S. 168. 335 Ipsen, Gleichheit, S. 169.

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hemmung und -balancierung.336 Die Rechtsprechung steigt dadurch aber weder zu einer generell übergeordneten Gewalt auf, noch kann hieraus gefolgert werden, daß sie Gesetze am Maßstab der Willkür im Sinne eines Gerechtigkeitsgebots zu messen befugt ist. Die Prüfungskompetenz der Rechtsprechung ist darauf bezogen, Gesetze am Maßstab des Grundgesetzes zu messen, nicht an davon losgelösten, höherstehenden überpositiv-rechtlichen Maßstäben. Aus der Tatsache, daß die Rechtsprechung Gesetze (auch) an Art. 3 Abs. 1 GG mißt, folgt nicht bereits der Inhalt dieses Grundrechts. Inwieweit die Gerechtigkeit zum judikativen Prüfungsmaßstab gehört, legt das Grundgesetz zwar in Art. 3 Abs. 2 und 3 GG fest, allgemeingültig muß dies aber erst noch bewiesen werden. Der Richter ist auf Gerechtigkeitsvorstellungen nicht angewiesen, sondern er zieht die Verfassung selbst als Maßstab heran.337 Im Rahmen der Gewaltenteilung entfaltet der Gleichheitssatz keine andere und höhere Funktion als den eines Maßstabs für die richterliche Prüfung, wie er sich in den grundgesetzlichen Konkretisierungen des Gleichheitssatzes selbst findet.338 Die notwendigen Konkretisierungen folgen aus den im Grundgesetz unmittelbar und mittelbar zum Ausdruck gebrachten Differenzierungsverboten, -geboten und -erlaubnissen.339 In einem ersten Schritt der Gleichheitsprüfung muß untersucht werden, ob eine Differenzierung in der Rechtsanwendung oder -setzung überhaupt eingetreten ist. Dem schließt sich in einer zweiten Prüfungsphase die Frage an, ob eine Vergleichbarkeit vorhanden ist, welche Merkmale der zu vergleichenden Tatbestände also als wesentlich oder unwesentlich zu gelten haben. Hierfür ist eine positive Ausgestaltung des Gleichheitssatzes erforderlich. Insoweit interessieren zunächst die Konkretisierungen des allgemeinen Gleichheitssatzes durch besondere verfassungsrechtliche Gleichheitsgarantien.340 Dies leisten die Gleichheitspositivierungen des Grundgesetzes, allgemein in Art. 3 Abs. 2, 3 GG, spezieller andernorts (z. B. Art. 33 Abs. 2, 38 Abs. 1 Satz 1, 28 Abs. 1 Satz 2, 101 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 2 GG).341 Sie beschreiben Ungleichheiten, die die geltende Rechtsordnung als rechtlich unerheblich kennzeichnet. Überlegungen über die Adäquanz, Vernünftigkeit, Natur- und Sachgegebenheit oder Gerechtigkeit der Gleichbehandlung darf der Richter seinem Urteil nicht zugrunde legen. Dies würde zu einer 336 Ipsen,

Gleichheit, S. 167. Gleichheit, S. 42 f.; Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 28: „fast ausschließlich aus dem Grundrechtsteil der Verfassung“; Ipsen, Gleichheit, S. 184; Nawiasky, VVDStRL 3 (1927), 25/S. 30 ff.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 16. 338 Ipsen, Gleichheit, S. 170. 339 BVerfGE 93, 121/133 f.; Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 20 ff.; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 31 f.; Leibholz/Rinck, GG, Art. 3 Rn. 50 ff.; Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/45; Robbers, DÖV 1988, 749/753 ff.; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 66–76; Schoch, DVBl. 1988, 863/865 ff., vgl. aber auch die Konkretisierungen auf S. 877 f.; Starck, Anwendung, S. 61 ff., 64 ff.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 17; Stern, StaatsR III/2, § 96 IV 9 c (S. 1830); Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/27 ff., 29 f. 340 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 13. 341 Ipsen, Gleichheit, S. 180 f. 337 Aldag,

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verfassungswidrigen Kompetenzverschiebung führen. Es liegen in Art. 3 Abs. 2, 3 GG und in den anderen, spezielleren Vorschriften verbindliche und objektive Normentscheidungen vor. Diese dürfen nicht durch die subjektive Entscheidung des Urteilenden über das, was, obwohl ungleich, rechtlich gleich zu behandeln ist, ersetzt werden.342 Im Bereich des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG ist vom Verfassungsgeber eine verbindliche Entscheidung getroffen. Im Grunde findet nicht einmal eine Gleichheitsprüfung statt, sondern nur die Prüfung des Gesetzes anhand der Merkmale der Abs. 2 und 3.343 Das Willkürelement des Gleichbehandlungsgebots muß insofern völlig außer Betracht bleiben. Diese Entscheidungen des Verfassungsgebers würden ignoriert und verlören ihre Präzision und Sanktionskraft, wenn der Richter ein Gesetz (zusätzlich noch) am Willkürverbot messen würde. Damit stünden die Merkmale der Abs. 2 und 3 zur Disposition des Richters, der sich vom Hüter der Verfassung zum Verfassungsgeber aufschwingen würde.344 Findet eine Differenzierung aus anderen Beziehungsmerkmalen als den vom Grundgesetz aufgestellten statt, ist zu überlegen, ob Gerechtigkeitserwägungen dann bereits Anwendung finden können. Dies ist nur dann möglich, wenn die behauptete Gleichheitsverletzung nicht schon nach vorrangigen anderen Verfassungsprinzipien beurteilt werden kann und die jeweils anerkannten Regeln im Bereich der Rechtsanwendung und Rechtssetzung vor allem über den Grundrechtsschutz im übrigen nicht geeignet sind, über die Zulässigkeit einer Differenzierung zu befinden.345 Erst nachdem alle rechtlichen Gesichtspunkte ausgeschöpft sind, kann ein Rückgriff auf das Willkürverbot in Betracht kommen.346 Doch auch hier benötigt man leitende Gesichtspunkte. Die Willkürprüfung ist möglichst strukturiert und präzise durchzuführen, indem sie jene Prinzipien als äußerste Grenze und als Rechtfertigung beachtet, die die Verfassungsordnung in ihrer Gesamtheit bestimmen. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot ist anzunehmen, wenn der Gesetzgeber das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip, das Prinzip der grundgesetzlichen Gewaltenteilung, der Sozialstaatlichkeit, der Bundesstaatlichkeit oder aber auch Prinzipien wie den Gedanken der Systemgerechtigkeit und der Chancengleichheit verletzt.347

342 Ipsen,

Gleichheit, S. 181. Gleichheit, S. 155. 344 Ipsen, Gleichheit, S. 156. 345 Ipsen, Gleichheit, S. 182. Eine in den einzelnen Ländern jeweils unterschiedliche Regelung ist z. B. von vornherein keine Verletzung des Gleichheitssatzes, weil die Länder kompetenzgemäß insoweit zur gesetzlichen Regelung zuständig sind. 346 Ipsen, Der Staat 13 (1974), 555/562. 347 Starck, Anwendung, S. 70 ff. 343 Ipsen,

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Der allgemeine Gleichheitssatz eröffnet keine übergesetzliche naturrechtliche Willkürprüfung gegenüber dem Gesetzgeber. Der Richter darf seine eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen denen des Gesetzgebers nicht überordnen. Den Gesetzgeber vom Erlaß willkürlicher Gesetze abzuhalten, ist nicht Aufgabe des allgemeinen Gleichheitssatzes, sondern Sinn und Zweck der als maßgeblich erkannten Verfassungsprinzipien. Diese besitzen das notwendige Maß an Justitiabilität. Die Berufung auf den Gleichheitssatz führt daher zu keiner Normenkontrolle nach einer allgemeinen Willkürformel, sondern zu ihrer Beurteilung an Hand der grundgesetzlichen Verfassungsprinzipien.348 Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz kann also nur gerügt werden, wenn er zugleich die Verletzung der das Grundgesetz beherrschenden Prinzipien darstellt.349 Eine allgemeine Willkürprüfung scheidet jedoch nicht gänzlich aus. Das Grundgesetz greift aus der Vielfalt des Lebens und der Unendlichkeit möglicher Vergleichsbeziehungen nur eine begrenzte Zahl rechtlich erheblicher Gleichheitsmerkmale heraus.350 Unzählige andere Gesichtspunkte wurden nicht für so bedeutend erachtet, daß sie der Nennung in der Verfassung bedürften. Hier ist Raum für eine richterliche Willkürprüfung, nämlich für die Prüfung, ob die öffentliche Gewalt eine Auswahl, Bewertung und Bemessung der Elemente des Vergleichstatbestands vernünftig, nach einem aus der Natur der Sache sich ergebenden, sachlich einleuchtenden Grund vorgenommen hat oder ob der Vergleichstatbestand willkürlich gebildet wurde.351 Dadurch wird nicht eine (teilweise) Injustitiabilität hingenommen, sondern vor der eigentlichen Gleichheitsprüfung untersucht, ob die öffentliche Hand den Vergleichstatbestand richtig gebildet hat. Die Norm wird also nicht selbst am Willkürverbot gemessen, sondern an ihrem – richterlicher Erkenntnis zugänglichen – Zweck.352 Aber auch wo eine Anwendung der Willkürprüfung gestattet und unumgänglich ist, kann sie nur als äußerste Begrenzung des legislatorischen Einschätzungsspielraums dienen. Erforderlich ist, daß die Einschätzung abseits jeder rechtlich vertretbaren Erwägung steht, wobei eine Vermutung dahingehend zu berücksichtigen ist, daß die demokratisch unmittelbar legitimierten Volksvertreter rechtlich vertretbar entscheiden.

348 Ipsen,

Gleichheit, S. 184. Gleichheit, S. 184. 350 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 14. 351 Ipsen, Gleichheit, S. 185 ff. Nicht jede Differenzierung nach anderen als den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmalen ist ohne weiteres zulässig, sondern eben nur solche, die auch einer Willkürkontrolle standhalten, Ipsen, Der Staat 13 (1974), 555/562. 352 Ipsen, Gleichheit, S. 186. 349 Ipsen,

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b) Zusammenfassung Der Gesetzgeber kann seiner gestalterischen, Rechtsprechung und Exekutive bindenden Aufgabe (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG) nur nachkommen, wenn die Rechtsprechung bei der Anwendung des Gleichheitssatzes an das Gesamtsystem der Verfassung gebunden bleibt.353 Dabei sind zunächst die Absätze 2 und 3 des Art. 3 GG heranzuziehen. Im weiteren sind alle verfassungsrechtlichen Regeln auszuschöpfen. Erst danach kommt eine Prüfung nach der Willkürformel in Betracht, wobei auch diese Würdigung im Gesamtsystem der Verfassung bleiben muß.354 2. Gleichheit auf der Basis gleicher Würde Im Grundsatz folgt auch Dürig355 der Willkürlehre von Leibholz. Jedoch stellt er ausschließlich auf die grundgesetzlichen Verfassungsprinzipien, insbesondere auf den Grundrechtskatalog ab. Der Kern absoluter normierter oder normierender Gleichheit kann aus der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) abgeleitet werden. Darauf bauen die subjektiven Freiheitsrechte auf, die – durch die Gleichheit garantiert – jeder für sich in Anspruch nehmen darf. Egalitäre Auffangrechte bilden eine Begrenzung der Freiheitsrechte; Gleichheit wird zur Kompensationsgleichheit bzw. zum Opferausgleich. Dieser Ansatz fügt sich zwischen der Leibholz’schen Gleichheitsprüfung anhand der Willkürformel356 und der Konkretisierung des Gleichheitsbegriffs durch grundgesetzliche Verfassungsprinzipien nach Ipsens These 357 ein. Ausgangspunkt ist die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung, die Leibholz358 als Willkürkontrolle vorgezeichnet hat. Diese Willkürprüfung soll aber nicht Tür und 353 Ipsen, Gleichheit, S. 111 ff./112 f. und 155 ff.; Ipsen, Der Staat 13 (1974), 555/562: Konkretisierung des Willkürverbots durch das Grundgesetz; Starck, Anwendung, S. 61 ff.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 11 und 13 ff. (verfassungsrechtliche Differenzierungsgebote, -verbote und -erlaubnisse in der Gleichheitsprüfung). Vgl. Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 93–98 (S. 878–880) und auch BVerfGE 93, 121/133 f.; Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 20 ff.; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 31 f.; Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/45; Robbers, DÖV 1988, 749/753 ff.; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 66–76; Schoch, DVBl. 1988, 863/874 ff.; Stern, StaatsR III/2, § § 96 IV 9 c (S. 1830); Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/29. 354 Ipsen, Gleichheit, S. 137: Geltungskraft, Funktion und Tragweite des Gleichheitssatzes ruhen letztlich im Gesamtsystem der grundgesetzlichen Verfassungsordnung. 355 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I; Dürig, Stichwort „Gleichheit“, Sp. 1068 ff.; ebenso Aldag, Gleichheit, S. 43; Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/218 f., der jedoch deutlicher auf das Rechtsbewußtsein zumindest der Mehrheit des Volkes abstellt (der Willkürbegriff erleichtere die Orientierung hierüber); Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 99 ff. (S. 880 ff.); vgl. Kirchhof , FS-Lerche, S. 141; Klein, Gleichheitssatz, S. 163 ff. 356 Vgl. § 4 C. II. 1. (S. 207 ff.). 357 Ipsen, Gleichheit, S. 184 und öfter sowie oben § 4 C. III. 1. (S. 219 ff.). 358 Leibholz, Gleichheit.

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Tor zu einer Kontrolle anhand eines am allgemeinen Rechtsbewußtsein orientierten Gerechtigkeitsgebots öffnen. Sobald die Willkürfrage zur Frage danach wird, was Gerechtigkeit ist, wird die reine Willkürprüfung verlassen und der Gleichheitssatz anhand des (sonstigen) Verfassungsrechts konkretisiert. Diese Konkretisierung des Gleichheitsbegriffs anhand des Verfassungsrechts erfolgt deutlich personaler als bei Ipsen und Starck und – fast ausschließlich – durch einen Rückgriff auf den Grundrechtsteil der Verfassung.359 Der Gleichheitsbegriff des Art. 3 Abs. 1 GG wird in dem Bild eines Gebäudes mit einem Fundament, mit Säulen und mit einem von diesen getragenen Dach veranschaulicht:360 Das Fundament des Gebäudes bildet ein Kanon gleicher Basisrechte. Diese sind vollkommen unterschiedslos, obwohl sie strikt personenbezogen sind.361 Es geht in dieser horizontalen Richtung um einen Kern egalitärer Rechtsgleichheit und Rechtsanwendungsgleichheit. Dieser Kern absolut normierter oder normierender Gleichheit wird aus der Garantie der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) abgeleitet und von ihr zusammengehalten und umklammert. Damit statuiert die anthropozentrische Ausgangsnorm des Art. 1 Abs. 1 GG auch das letztentscheidende tertium comparationis allen Vergleichens und Unterscheidens: die allen eigene Menschenwürde. Die Einzigartigkeit eines jeden Menschens macht zugleich deutlich, daß eine Gleichheit ohne ihre Komplementärfunktion der Ungleichheit von Verfassungs wegen gar nicht zu denken ist.362 Zugleich wird dadurch der Wesensgehalt des Art. 3 Abs. 1 GG beschrieben und sein nach Art. 79 Abs. 3 GG unveränderlicher Kern festgelegt. In diesem Bereich kommt es zu keinem Widerstreit von Gleichheit im Recht und Freiheit vor Unrecht, da insoweit Kongruenz vorliegt. Die Verfassung muß als Bedingung und Voraussetzung individueller Entfaltung einen egalitären Standard unterschiedsloser Startchancen normieren,363 ohne je Zielchancengleichheit versprechen zu können. Dieser aus Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete und durch ihn verklammerte Kanon von Basisrechten läßt sich in einzelne Aspekte aufgliedern. Hierdurch gewinnt der Gleichheitsbegriff an Schärfe und Klarheit.364 Der Katalog der Basisrechte beginnt damit, daß unabdingbare und voraussetzungslose Gleichheit in der gleichen Rechtsfähigkeit des Menschen liegt.365 Diese Rechtsfähigkeit hängt einzig 359 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 28; Aldag, Gleichheit, S. 43; Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/218 f.; vgl. Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 99 (S. 880 f.). 360 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 139 ff.; Dürig, Stichwort „Gleichheit“, S. 1070. 361 Dürig, Stichwort „Gleichheit“, S. 1070. 362 Dürig, Stichwort „Gleichheit“, S. 1068; Leibholz, Gleichheit, S. 244. 363 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 140. Wo diese Sockelrechte vorhanden sind, geht es darum, sie zu bewahren, wo sie fehlen, müssen sie sozialstaatlich-gestalterisch geschaffen werden. 364 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 23 ff. und Kirchhof , FS-Lerche, S. 141, der einen ähnlichen Kanon von Basisrechten vorschlägt. 365 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 29 ff.

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vom Menschsein ab. Diese absolute und unterschiedslose Rechtssubjektivität bestimmt bereits die ganze Richtung des Gleichheitssatzes.366 Der Katalog der Basisrechte führt weiter zur Rechtsschutzgleichheit, in der von Verfassungs wegen ebenfalls unterschiedslose und absolute Egalität herrscht. Dabei geht es zunächst nur um den gleichen Zugang zu einer Rechtsschutzstelle.367 Außerdem ist das Recht auf einen gesetzlichen Richter und das Verbot von Ausnahmegerichten absolut egalitär. Von der Rechtsschutzgleichheit leitet die egalitäre Rechtsanwendungsgleichheit auf das materielle Recht über.368 Es besteht ein subjektives Recht eines jeden, daß die staatliche Rechtsanwendung nicht bewußt von einer ausdrücklichen Rechtsnorm abweicht, wenn deren Tatbestand erfüllt ist, sowie ein subjektives Recht darauf, daß die staatliche Rechtsanwendung Normen nicht unangewendet läßt. Außerdem gehört das Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung hierzu. Die egalitäre Rechtsanwendungsgleichheit führt letztlich zu einem egalitären Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.369 Wo das Existenzminimum noch vorhanden ist, muß es unangetastet bleiben, wo es fehlt, ist es zu schaffen. Es handelt sich um eine subsidiäre Hilfe des Staates, die den Staat möglichst überflüssig machen soll, so daß der einzelne nicht dadurch zum Objekt staatlichen Handelns wird, weil er dem Staat ausgeliefert ist. Außerdem bewirkt die egalitäre Rechtsanwendungsgleichheit ein unterschiedsloses egalitäres Recht auf Teilhabe am Gemeingebrauch ohne besonderen Zulassungsakt.370 Ein solches Recht kann freilich nur soweit bestehen, wie das gleiche Recht anderer auf denselben Gemeingebrauch es gestattet. Abstrahiert man vom gleichen Recht aller auf denselben Gemeingebrauch, wird ersichtlich, daß der ganze Gleichheitssatz dadurch eine Einschränkung erfährt, daß sich alle anderen auch auf ihn in gleicher Weise berufen dürfen. Schließlich gehört zu dem harten, egalitären Kern des Gleichheitssatzes ein Basisrecht auf Bildung und Ausbildung einschließlich der Rechtsgleichheit der Start- und Förderungschancen, nicht hingegen der Zielchancen.371 Ebenfalls zum Wesensgehalt des Gleichheitssatzes wird die egalitäre Zählwertgleichheit bei politischen Wahlen und Abstimmungen gerechnet.372 Diese beruht auf dem optimistischen Menschenbild des Grundgesetzes, welches es dem Staatsvolk in der

366 Dürig

in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 36. in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 42 ff. 368 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 52 ff. 369 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 69 ff. 370 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 84 ff. 371 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 91 ff. 372 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 114 ff. 367 Dürig

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Demokratie zutraut, mitzubestimmen, zu unterscheiden und Konflikte in geordneten Verfahren gewaltfrei zu lösen.373 Damit ist der Kanon derjenigen Rechte beschrieben, der – um ins Bild zurückzukehren – das Fundament des Hauses bildet. Auf diesem Sockel ruhen – in vertikaler Richtung – Pfeiler. Diese stellen die Entfaltungsfreiheiten dar, welche die Verfassung gestattet (subjektive Freiheitsrechte).374 Hier schlagen sich unterschiedliche Vorgänge der Persönlichkeitsentfaltung in unterschiedlichen Ergebnissen nieder. Dies ist gewollt. Der Gleichheitssatz sichert lediglich, daß alle Träger der Freiheitsrechte ihre Entfaltungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen dürfen. Im übrigen herrscht freier Wettbewerb von Leistung, Initiative, Leidenschaft etc.375 Dieses Modell wäre unvollständig, wenn es nicht für den Fall, daß der einzelne in dem Wettbewerb um die Entfaltung seiner Freiheit z. B. infolge Alter, Krankheit etc. nicht mehr mithalten kann, Auffangmaßnahmen vorsähe. Solche Auffangrechte bilden die Decke des Gebäudes.376 Es handelt sich um egalitäre Berechtigungen von Verfassungs wegen. Gleichheit wird zur Kompensationsgleichheit,377 wenn der Mensch in soziale Not gerät und zum Opferausgleichssatz, wenn der Gleichheitssatz aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses durch Auferlegung besonderer, also ungleicher Opfer durchbrochen werden muß.378 Diese horizontalen Sicherungen sind abhängig von den vertikalen Freiheiten, d. h. von der Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens. Die Strebepfeiler, die das Dach tragen, sind nicht unbegrenzt belastbar. 3. Gleichheit als Statusgleichheit und Objektivitätsgebot Die in der beschriebenen Weise im Gesamtsystem der Verfassungsordnung ruhende Gleichheit379 zeigt, daß der Gleichheitssatz Element einer positiven Verfassungsordnung ist. Er läßt sich aber noch weiter konkretisieren. Der Gleichheitssatz stellt nur einen Teilinhalt eines allgemeinen Gerechtigkeitsgebots dar. 373 Vgl.

Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 100 (S. 881). in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 141. 375 Dürig, Stichwort „Gleichheit“, S. 1070. 376 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 142 ff. 377 Die Kompensationsgleichheit läßt sich in vier Teilaspekte aufteilen (Dürig, Stichwort „Gleichheit“, S. 1071; vgl. Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 102 (S. 881 f.)): Versicherung (Alter, Krankheit, Invalidität, Arbeitslosigkeit etc.), Versorgung (Kriegsopfer, Gewaltopfer etc.), Sozialhilfe (subjektives Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum) und Entschädigung (Aufopferung, enteignungsgleicher Eingriff). 378 Dürig, Stichwort „Gleichheit“, S. 1070 f.; Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 56 ff.; vgl. auch Dürig, JZ 1954, 4/5; Dürig, JZ 1955, 521/522. Zwar nicht der Höhe, aber dem Grunde nach ist der Opferausgleichssatz egalitär und gehört zum Kanon der Basisrechte. 379 Vgl. oben § 4 C. III. 1. (S. 219 ff.). 374 Dürig

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Art. 3 Abs. 1 GG stellt mit der Forderung nach Gleichheit vor dem Gesetz konkretere Anforderungen an staatliches Handeln als ein allgemeines Gerechtigkeitsgebot.380 Er wird ergänzt durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip, welches der Abwehr des Übermaßes dient.381 Dem Gleichheitssatz selbst lassen sich wiederum weitere detailliertere Teilinhalte entnehmen: die Statusgleichheit, das Gebot der Sachgerechtigkeit, das Gebot der Folgerichtigkeit sowie das Objektivitätsgebot.382 a) Statusgleichheit Zunächst fordert Art. 3 Abs. 1 GG menschenrechtliche Statusgleichheit.383 Der Gleichheitssatz baut auf der gleichen Personalität und Würde eines jeden Menschen auf. Er ist der Ausgangspunkt des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes. Hier kann die Gewährleistung jedoch nicht stehen bleiben. Vielmehr muß sie die Menschen in ihrer Individualität und Unterschiedlichkeit je nach Lebenssituation würdigen.384 Aus der Gewährleistung der Statusgleichheit folgt eine Differenzierung zwischen der Person in ihrer Individualität, Würde und Freiheit sowie dem äußeren Umfeld. Das Umfeld wird vom Staat, insbesondere vom Gesetzgeber, gestaltet und geprägt. Der staatliche Gestaltungsspielraum nimmt ab, je mehr die Person und je weniger das Umfeld betroffen ist.385 In dem grundlegenden Status ist der Mensch formal gleich zu behandeln,386 und eine Ungleichbehandlung muß die Ausnahme bleiben, während außerhalb dieses Bereichs eine Ungleichbehandlung lediglich dem Erfordernis sachgerechter Gründe und der Folgerichtigkeit zu unterwerfen ist.387 Dies folgt aus der Überlegung, daß die Person gekennzeichnet ist durch einen individuell beherrschten, vom Staat abgeschirmten Lebensbereich. Das Umfeld unterliegt hingegen von vornherein dem Einfluß des Staates, der durch das Recht wertend und beurteilend die Begegnung und den Austausch sowie das Zusammenleben mit anderen gestaltet.388 Auch beim Gleichheitssatz ist der Anspruch auf Gleichbehandlung auf die Rechtssphäre Dritter abzustimmen, so wie die Freiheitsrechte mit den Rechten anderer in Ausgleich gebracht werden müssen. Der Übergang zwischen beiden Bereichen ist ein fließender, so daß entsprechend von einer abgestuften Prüfung auszugehen 380 Kirchhof ,

HdbStR V, § 124 Rn. 193 (S. 923 f.). HdbStR V, § 124 Rn. 193 (S. 923 f.). 382 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 193 ff. (S. 923 ff.). 383 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 194 ff. (S. 924 ff.). 384 Ebenso Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 20 f. 385 Nawiasky, VVDStRL 3 (1927), 25/36; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 438; vgl. Art. 3 Abs. 3 GG. 386 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 20 f.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 42. 387 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 196 (S. 924 f.). 388 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 197 (S. 925). 381 Kirchhof ,

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ist.389 Auf das Umfeld bezieht sich der vierte Teilinhalt des Gleichheitssatzes, das Objektivitätsgebot.390 Es ist Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips und knüpft den Vergleich an die Gesamtheit der Rechtsordnung und an die vorgefundenen Lebensbedingungen an. Der individuelle Bereich hingegen benötigt einen anderen Ansatz. Hier ist Vergleichsmaßstab der Mensch in seiner Eigenart und Individualität, Würde und Freiheitsfähigkeit. Dieser persönlichkeitsbezogene Gleichheitssatz ist als Grundrecht zur Wahrung der Gleichheit der menschlichen Existenz und der höchstpersönlichen Lebensbedingungen zu begreifen.391 Es wird zwischen grundrechtlicher Gleichheit und rechtsstaatlichem Objektivitätsgebot unterschieden. Geltungsgrund bleibt jedoch Art. 3 Abs. 1 GG.392 Dieser gibt in seinem Kernbestand jedermann eine menschenrechtliche Statusgleichheit und fordert für Regelungen gemeinschaftlicher Vorgänge und Lebensbedingungen sachgerechte und folgerichtige Entscheidungen.393 b) Gebot der Sachgerechtigkeit Statusgleichheit und Objektivitätsgebot erhalten ihren Inhalt weitgehend aus dem Verfassungsrecht selbst. Wo der Gleichheitssatz allerdings nicht den Mensch in seinem Status, sondern in seiner rechtlichen und tatsächlichen Lage betrachtet, muß die hohe Hand an die in der Regelungsmaterie vorgefundenen rechtlichen und tatsächlichen Strukturen anknüpfen, die vorgefundenen rechtserheblichen Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten werten und auf diese Weise zu einer Rechtfertigung für Ungleichbehandlungen gelangen.394 Die vorgefundenen Ordnungsstrukturen liefern den Vergleichsmaßstab und die Vergleichsperspektive. Welche Sache und damit welche Ordnungsstruktur den Vergleichsmaßstab bestimmt, entscheidet der Gesetzgeber durch die Wahl des Regelungsthemas.395 Damit ist das Ergebnis des Vergleichs selbst allerdings nur in den seltensten Fällen vorgezeichnet. Die vorgefundenen Ordnungsstrukturen formulieren nur die genaue Frage, die vom Gleichheitssatz beantwortet werden muß.396 Der Ausdruck „Natur der Sache“ öffnet allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen nicht Tür und Tor, sondern zeigt, daß das Recht und die Wirklichkeit miteinander verknüpft sind, daß das Recht nicht nur geronnener Gestaltungswil389 Vgl.

BVerfGE 88, 87/96; 91, 389/401; 95, 267/316 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 438 ff. Objektivitätsgebot vgl. unten § 4 C. III. 3. d) (S. 231). 391 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 201 f. (S. 928). 392 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 204 (S. 929). 393 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 201 (S. 928). 394 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 205 (S. 929). 395 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 206 (S. 929). Vgl. auch die Nachweise bei Robbers, Gerechtigkeit, S. 134 ff. zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 396 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 208 (S. 931). 390 Zum

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le des Gesetzgebers ist, sondern Ausdruck der Lebensverhältnisse selbst.397 Aus dem Regelungsgegenstand selbst läßt sich ein Stück rechtsstaatlicher Positivität zurückgewinnen, indem sich die wesentlichen Vorgaben des Vergleichs aus dem regelungsbedürftigen Lebensbereich gewinnen lassen. Der Gleichheitssatz empfängt seinen wesentlichen Inhalt aus den einer Regelung zugrunde liegenden Sachgesetzlichkeiten.398 Der Gesetzgeber muß die im jeweiligen Lebenssachverhalt vorgefundenen Ähnlichkeiten und Unterschiede aufgreifen und einer diesen tatsächlichen Vorgaben entsprechenden Rechtsfolge zuführen.399 Dieses Erfordernis der Sachgerechtigkeit wird vom Bundesverfassungsgericht400 als Willkürabwehr, in der das realitätsbezogene Erfordernis der Sachgerechtigkeit anklingt, verstanden bzw. nach der sog. „neuen Formel“ als Erfordernis eines sachbereichsbezogenen einleuchtenden Grundes begriffen.401 c) Gebot der Folgerichtigkeit Neben Statusgleichheit und Objektivitätsgebot stellt das Gebot der Folgerichtigkeit den dritten Teilinhalt des Gleichheitssatzes dar, welches nicht an einen vorgefundenen Lebenssachverhalt anknüpft, sondern an einen vorherigen Rechtsgedanken.402 Das Gebot der Folgerichtigkeit wird nahezu zum alleinigen Gleichheitsmaßstab, wenn Gleichheit in einem rechtlich geschaffenen, in der Realität nicht vorgefundenen Lebensbereich erreicht werden soll.403 Verlangt wird logische Konsequenz bei der Einfügung eines Rechtssatzes in die Rechtsordnung. Dabei muß sich die neue Vorschrift einerseits in das vorhandene System einfügen. Andererseits kann es fortentwickelt werden, und es muß sich seinerseits an die neue Regelung anpassen. Es kann durch das Gebot der Folgerichtigkeit also nicht nur das hinzutretende, sondern auch das bereits geltende Recht in Frage gestellt werden.404 Was aus der Sicht der Folgerichtigkeit für den rechtlichen Vergleich erheblich ist, kann unsere gesetzlich ausgeformte und ausgebildete Rechtsordnung zu konkretisieren helfen. Zunächst liefert die Verfassung selbst Maßstäbe durch spezielle verfassungsrechtliche Gleichheitsvorgaben (Art. 3 Abs. 2, 3, Art. 6 Abs. 5, Art. 33 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 GG). Daneben enthalten auch die Freiheitsrechte spezielle Gleichheitsgarantien.405 Schließlich liefern auch die Staatsgrundlagenbestimmungen und die Kompetenzordnung 397 Kirchhof ,

HdbStR V, § 124 Rn. 211 (S. 932 f.). HdbStR V, § 124 Rn. 215, 220 (S. 934, 936). 399 Sachs, HdbStR V, § 127 Rn. 3 (S. 1088). 400 Vgl. oben § 4 C. II. 2. (S. 212 ff.). 401 BVerfGE 75, 108/157; 76, 256/329 f. 402 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 222 ff. (S. 937 ff.). 403 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 230 (S. 941). 404 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 223 (S. 937 f.). 405 Vgl. Kriele, HdbVerfR 1983, S. 129 ff.; Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 227 (S. 939). 398 Kirchhof ,

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des Grundgesetzes Hinweise und Maßstäbe.406 Aber auch Vorgaben des einfachen Gesetzgebers konkretisieren das Gebot der Folgerichtigkeit als rechtlich geschaffene Wirklichkeit. Vorgefundene strukturelle Unterschiede werden durch die Rechtsordnung verdeutlicht, und es besteht eine Erwartung rechtlicher Kontinuität gegenüber dem geltenden Recht.407 Nach bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung ist es aber allein eine Entscheidung des Gesetzgebers, nach welchem System eine Materie geregelt werden soll.408 Nicht jede gesetzliche Widersprüchlichkeit begründet aber zugleich die Verfassungswidrigkeit der Regelung. Um einen zur Verfassungswidrigkeit führenden Verstoß gegen das Gebot der Folgerichtigkeit begründen zu können, muß hinzukommen, daß die Widersprüchlichkeit zu Rechtsfolgeunterschieden führt und sich diese nicht auf einen sachgerechten, vernünftigen oder sonstwie einleuchtenden Grund zurückführen lassen.409 d) Objektivitätsgebot Einem (allgemeinen) Willkürverbot verbleibt nach den vorstehenden Ausführungen nur noch ein geringer Anwendungsbereich, da der Gleichheitsbegriff bereits durch die drei Teilinhalte eine erhebliche Konkretisierung erhalten hat. Es verbleibt einzig die Aufgabe, das grobe Unrecht, das schlechthin unvertretbare Staatshandeln abzuwehren. Da ein solches Verbot der Verletzung von Elementarprinzipien des Rechts letztlich im Rechtsstaatsprinzip wurzelt, kann es als rechtsstaatliches Objektivitätsgebot bezeichnet werden.410 Das Objektivitätsgebot ist ein ins Positive gewandtes Willkürverbot. Es verdeutlicht den Tatbestand einer von Verfassungs wegen nicht hinnehmbaren Staatsentscheidung, schwächt aber zugleich die Rechtsfolgen ab, weil es dem Gerechtigkeitsprinzip gleichrangig das Prinzip der Rechtssicherheit entgegenstellt.411 Es bringt durch seine positive Formulierung die Inhalte des Rechtsstaatsprinzips als Handlungspflichten zur Wirkung. Das Objektivitätsgebot fordert die Verwirklichung des Rechts, das Willkürverbot nur ein Unterlassen des Unrechts.412 Das Objektivitätsgebot hat einen dreifachen Geltungsgrund: das Rechtsstaatsprinzip, die Bindung aller Staatsgewalten an die Verfassung und insbesondere den Gleichheitssatz. Es fordert die Allgemeingeltung von Gesetz und Recht und gebietet seine Anwendung ohne Ansehen der Person. Der Staat erfüllt 406 Vgl.

Ipsen, Gleichheit, S. 164 ff.; Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 228 (S. 939 f.). Systemgerechtigkeit, BVerfGE 9, 339/349; 15, 313/319 f.; 17, 122/132; 18, 366/372 f.; 20, 374/377; 34, 103/115. 408 BVerfGE 59, 36/49. 409 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 232 (S. 942). 410 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 235 ff. (S. 943 ff.). 411 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 245 (S. 947). 412 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 257 (S. 952). 407 BVerfG:

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das Objektivitätsgebot durch Gesetzestreue und Sachgerechtigkeit. Damit ist die Gleichheit auch Geltungsbedingung des Rechtsstaats.413 Während das Willkürverbot sowohl die gleichstellende Gerechtigkeit als auch die mäßigende Gerechtigkeit umfaßt, gewinnt das Objektivitätsgebot seinen Maßstab allein aus einem Vergleich. Es greift daher nicht ein, wenn staatliches Handeln unter keinem Gesichtspunkt – also unabhängig von einem Vergleich – rechtlich vertretbar ist. In einem solchen Fall folgt die Verfassungswidrigkeit aus anderen Vorschriften, insbesondere aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.414 Eine nach Art und Intensität des Eingriffs mit den Freiheitsrechten vereinbare Regelung mag dennoch gegen das Objektivitätsgebot verstoßen, welches aus einem Vergleich mit dem vorgefundenen Recht begründet werden muß. Der Gleichheitssatz hat zwei Anliegen zu erfüllen, die wenn nicht in gewissem Widerspruch so doch in einem Spannungsverhältnis stehen: Er soll einerseits als präziser Rechtssatz handhabbar sein, andererseits aber alle zur Zeit der Entstehung des Grundgesetzes und auch bei späteren Änderungen der Rechtsauffassung Gleichheitsfragen beantworten (vor allem in seinen Teilaussagen Statusgleichheit, Sachgerechtigkeit und Folgerichtigkeit). Hierzu dient das Objektivitätsgebot im Sinne eines (subsidiären) Auffangtatbestands. Es prüft anhand der Gesamtverfassung, ob die streitgegenständliche Regelung sich von der Gesamtheit des materiellen Verfassungsrechts als grobes Unrecht abhebt und auch kein Verfahren eröffnet ist, das die Korrektur dieses Unrechts erlaubt oder dieses Unrecht hinnimmt.415 Das Objektivitätsgebot dient folglich der Abwehr einer groben Rechtsverletzung. Es ist keine verselbständigte Einzelgarantie, sondern befindet sich innerhalb der Verfassungsordnung und bindet die Einzelgarantien des Verfassungsrechts in ein elementares Gleichheitspostulat ein, um sie in ihrem Zusammenwirken vollständig zur Geltung zu bringen. Dem Objektivitätsgebot ist nicht schon dann Genüge getan, wenn sachfremde Gesichtspunkte fehlen, sondern es erfordert die positive Qualifikation als rechtsstaatlich hinreichendes Handeln.416 Der rechtfertigende Grund einer Ungleichbehandlung wird in der Gesamtheit der Verfassung und der verfassungsausprägenden Gesetzesordnung gesehen und nicht nur im Vergleich zweier Regelungen. Dies führt zu einer Verschärfung des Willkürverbots im Erfordernis eines rechtfertigenden Grundes, lockert es aber in der Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit, weil es nur einen nach den Wertungen der Gesamtverfassung unvertretbaren Verfassungsverstoß beanstandet.417

413 Kirchhof ,

HdbStR V, § 124 Rn. 248 f. (S. 949). HdbStR V, § 124 Rn. 250 f. (S. 949 f.). 415 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 252 (S. 950 f.). 416 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 259 (S. 953). 417 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 259 (S. 953). 414 Kirchhof ,

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e) Zusammenfassung Im Ergebnis stellt sich der Gleichheitssatz als ein Grundrecht mit abgestuftem, sich vom Konkreten zum Allgemeinen öffnenden Inhalt dar.418 Er wird inhaltlich konkretisiert durch die Zuordnung und Abstimmung anderer Rechtsgüter und Rechtspositionen. Nicht vertikale Angemessenheit, wie sie bei den Freiheitsrechten durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip hergestellt wird, sondern horizontale Ausgewogenheit ist das Ziel. Zwar muß auch der Gleichheitssatz wie jedes Grundrecht auf andere Rechte abgestimmt sein, doch ist beim Gleichheitssatz diese Abgestimmtheit Teil seines Inhalts. Gleichheit fordert nicht eine Angemessenheit zwischen einem eine Einschränkung rechtfertigenden Zweck und den die Einschränkung bewirkenden Mittel, sondern bewertet zwei nebeneinander stehende Sachverhalte hinsichtlich ihrer Ähnlichkeit bzw. Verschiedenheit für die jeweilige Rechtsfolge.419 Der Gleichheitssatz setzt für alles Handeln der hohen Hand einen umfassenden Maßstab und schützt nicht nur einzelne Lebensbereiche.420 4. Gleiche Freiheit Kriele421 betont den inneren Zusammenhang von Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit. Hieraus leitet er einen gleichen Anspruch eines jeden auf gleiche Freiheit ab. Freiheit und Gleichheit stehen sich danach nicht in einem Antagonismus gegenüber, sondern weisen einen inneren Zusammenhang auf, ja bedingen sich gegenseitig.422 Dies kommt in dem Grundsatz zum Ausdruck: „Jeder hat gleichen Anspruch auf Freiheit“, der zum Rechtsprinzip schlechthin, zur Leitidee und zum Ziel der neuzeitlichen demokratischen Rechts- und Verfassungsentwicklung wurde. Diesem steht das Machtprinzip der Parteilichkeit gegenüber, das die Gesellschaft in eine rechtlich nicht gebundene und kontrollierte Herrschaftselite und die ihrem Belieben ausgelieferten Machtunterworfenen spaltet.423 Der gleiche Anspruch eines jeden auf gleiche Freiheit folgt aus der Menschenwürde. Jeder Mensch hat allein aufgrund der Tatsache, daß er Mensch ist, einen 418 Kirchhof ,

HdbStR V, § 124 Rn. 268 (S. 956). HdbStR V, § 124 Rn. 289 (S. 965). 420 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 291 (S. 966). 421 Kriele, HdbVerfR 1983, S. 129 ff. 422 Kriele, HdbVerfR 1983, S. 133; Stettner, BayVBl. 1988, 545/551. Vgl. auch Gusy, JuS 1982, 30/36; Gusy, NJW 1988, 2505/2506 f.; Leisner, Gleichheitsstaat, S. 32 ff.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 3; Zippelius, Staatslehre, S. 353;Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/16 f. 423 Kriele, HdbVerfR 1983, S. 129 und ff. 419 Kirchhof ,

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Anspruch darauf, als Rechtssubjekt anerkannt zu werden. Es geht um die rechtlichen Bedingungen, unter denen die Menschen die Chance haben, die in ihnen liegenden Möglichkeiten zu entfalten. Die Selbstverwirklichung kann sich nur in Freiheit entfalten. Mit der Anerkennung der Menschenwürde ist zugleich die Anerkennung eines gleichen Anspruchs auf Freiheit gegeben. Neben der Menschenwürde gibt es für die Annahme eines gleichen Anspruchs auf Freiheit noch weitere Gründe. Die gleiche Freiheit ist Bedingung objektiver Wahrheitsfindung, da diese auf den freien und offenen Austausch von Argumenten angewiesen ist.424 Hierdurch entsteht eine Chance für die Gerechtigkeit der Rechtsordnung, da sie voraussetzt, daß Empörung gegen Unrecht öffentlich geäußert wird. Die Legitimität der Rechtsordnung wird geschützt durch das Vertrauen, daß in der Vergangenheit die Gesetze überprüft und gegebenenfalls verbessert wurden, wenn demokratische Verfahren und gleiche Freiheit schon einige Zeit lang Geltung hatten. So kann das erreichte Maß an Gerechtigkeit in eine Balance von Stabilität und Wandel gebracht werden.425 Freiheit und Gleichheit sind also nichts Gegensätzliches: Räumt man der Freiheit zu Lasten der Gleichheit den Vorrang ein, stellt man auch die Freiheit selbst in Frage, da sich der Stärkste und Tüchtigste auf Kosten des Schwächeren durchsetzen würde. Damit wird zum einen die Gleichheit beseitigt, zum andern aber auch die Freiheit, nämlich die Freiheit der Unterdrückten. Im umgekehrten Fall, dem Vorrang der Gleichheit zu Lasten der Freiheit, muß man das freie Spiel der Kräfte unterbinden. Dies setzt rücksichtslose politische Macht voraus, die selbst wiederum zur Herausbildung einer herrschenden und einer unterworfenen politischen Klasse und damit zu Ungleichheiten führt. Die Rechtlosigkeit einiger hebt nicht nur die Freiheit, sondern auch die Gleichheit auf, und Willkür beseitigt nicht nur die Gleichheit, sondern auch die Freiheit.426 Freiheit und Gleichheit können nur existieren, wenn einerseits den gesellschaftlichen Kräften nicht freier Lauf gelassen wird, andererseits nicht unter den Bedingungen der Diktatur. Freiheit und Gleichheit gibt es nicht in der Natur, sondern Voraussetzung ist eine gewaltengeteilte, demokratische Verfassungsordnung.427 Hieraus folgen einige Bedingungen des Rechtsprinzips der gleichen Freiheit. Das Fundament dieser Verfassungsordnung stellt das Gewaltmonopol 424 Kriele,

HdbVerfR 1983, S. 130 f. HdbVerfR 1983, S. 131. 426 Kriele, HdbVerfR 1983, S. 135. Vgl. Dürig, Stichwort „Gleichheit“, Sp. 1069. Nach Kant, Metaphysik der Sitten, S. 337 ff. (A 33 ff./B 33 ff.) soll es die Funktion des Rechts sein, die Willkür des Menschen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit und eben damit gleichmäßig gegeneinander abzugrenzen. 427 Kriele, HdbVerfR 1983, S. 135 ff. Vgl. Leibholz, Verfassungsstaat, Verfassungsrecht, S. 25: „. . . , daß der tiefere Sinn der fortschreitenden politischen und gesellschaftlichen Egalisierung nur sein kann, die durch die Freiheit unfrei Gewordenen mit Hilfe der Gleichheit wieder in die Lage zu versetzen, von der Freiheit einen vernünftigen Gebrauch zu machen.“ 425 Kriele,

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des Staates dar. Nur unter der Bedingung des inneren Friedens ist eine öffentliche Diskussion möglich, in welcher die Interessen eines jeden – Starken wie Schwachen – Berücksichtigung finden können. Desweiteren muß eine Gewaltenteilung dafür sorgen, daß die Staatsgewalt den Bürgern gegenüber Rechtspflichten hat. Nur wenn die Staatsgewalt überhaupt an Recht gebunden ist, kann sie auch an die Rechtsprinzipien von Freiheit und Gleichheit gebunden sein, kann es freie und gleiche Bürger geben. Die Rechtsbindung setzt wiederum ihrerseits voraus, daß das Recht von einem unabhängigen Verfassungs- bzw. Gesetzgeber vorgegeben wird und daß seine Einhaltung von unabhängigen Richtern überwacht wird. Die bürgerlichen und politischen Rechte führen dazu, daß Freiheitsbeschränkungen rechtfertigungsbedürftig sind.428 Der wesentlichste Zweck der Freiheitsbeschränkung ist die Freiheit des anderen.429 Daneben sind aber weitere Zwecke denkbar, wie die Erhaltung des Staatsganzen (als freilich immer noch mittelbare Rechtfertigung aus dem individuellen Freiheitszweck) oder die Chance, an den Errungenschaften der modernen Zivilisation teilzuhaben und nicht von ihren Gütern und Bildungsmöglichkeiten ausgeschlossen zu bleiben. Die Legitimität der vom Gesetzgeber vorzunehmenden Zweckbestimmung hängt davon ab, daß die Freiheitsbeschränkung nicht außer Verhältnis zum Zweck steht. Auf der Grundlage einer solchen rechtlich gesicherten Freiheit des Menschen kann es Demokratie geben.430 Nur bei gesicherter Freiheit können die im Volk vertretenen Anschauungen, Interessen und sittlichen Werturteile zur (politischen) Geltung kommen. Der einzelne Bürger erhält die Chance, an dem sich ständig erneuernden demokratischen Willensbildungsprozeß teilzunehmen, seine Interessen zu artikulieren und gestaltend auf die gesellschaftlichen Verhältnisse einzuwirken. Die Frage nach dem richtigen Ausgleich von Freiheit und Gleichheit beantwortet die Demokratie durch das allgemeine Gesetz, das gleiche Freiheit herstellt. Zwar kommt in der Allgemeinheit des Gesetzes der Gleichheitsgedanke unmittelbar zum Ausdruck, doch kann die Allgemeinheit des Gesetzes nur dann Gleichheit begründen, wenn sie in eine Rechtstradition eingebunden ist, die die Freiheitsbeschränkung von gerade dieser Allgemeinheit des Gesetzes abhängig macht. Trifft die formale Gleichheit des allgemeinen Gesetzes mit materieller Ungleichheit zusammen, kommt es zu Ungerechtigkeiten. Diese liegen aber nicht in der Allgemeinheit des Gesetzes selbst begründet, sondern in den äußeren so428 Dies führte im 19. Jahrhundert zur Ausprägung des Vorbehalts des Gesetzes. Früher war gerade die Herstellung eines freien Standes begründungsbedürftig durch die Berufung auf Privilegien, Regalien etc. oder Rücksicht auf Ehre, Integrität, Gepflogenheiten etc. sowie die Umwelt des Menschen. 429 Kant, Gemeinspruch, S. 127/144. 430 Die Demokratie ist auf bürgerliche und politische Rechte angewiesen sowie auf eine verfassungsrechtliche Organisation. Diese gesicherte Freiheit setzt ihrerseits die Rechtsbindung des Staates, diese die Gewaltenteilung voraus. Daher kann die Demokratie nicht das Fundament des demokratischen Verfassungsstaates bilden.

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zialen Umständen. Ein so geformtes allgemeines Gesetz steht nicht im Gegensatz zur sozialen Gerechtigkeit; vielmehr ist der Sozialstaat nirgendwo so stark entwickelt wie in demokratischen Verfassungsstaaten. Das allgemeine Gesetz ist eine notwendige, aber allein noch keine hinreichende Bedingung der Freiheit. Freiheit setzt neben der Abwehr staatlicher Freiheitsbeschränkungen auch voraus, daß soziale Bedingungen hergestellt werden, die jedermann die Entfaltung seiner Persönlichkeit, also seiner Freiheit ermöglichen. Auch die sozialen Menschenrechte sind darauf gerichtet, gleiche Freiheit zu schaffen. Die Allgemeinheit eines Gesetzes begründet aber nur unter der Voraussetzung Gleichheit, daß der geregelte Sachverhalt und der Adressat des Gesetzes sachlich bestimmt sind, d. h. daß sich die gesetzliche Regelung aus generalisierbaren Gründen rechtfertigen läßt. Diese Gründe wiederum können nur aus einer unparteilichen, gerechten Abwägung der Interessen des einen mit denen jedes anderen und der Gesellschaft entwickelt werden. Nur ein Amtsinhaber, der sich als Repräsentant des ganzen Volkes versteht, kann eine solche Abwägung leisten,431 da nur er die Interessen eines Jeden unparteilich und gerecht abwägt. Zwar muß er nicht das Unmögliche leisten und seine Meinung vollständig aufgeben, aber es geht darum, zu so viel sachlicher, unparteilicher und verantwortlicher Meinungsbildung zu kommen wie möglich – ohne Rücksicht auf eigene Tradition, Leidenschaft, Eigeninteresse etc. Die so hergestellte Balance zwischen Freiheit und Gleichheit muß stets – in einem unendlichen Prozeß – neu austariert werden. Die Freiheit produziert immer neue Ungleichheiten, und Freiheit und Gleichheit werden gefährdet durch die Versuche, die Freiheitspräponderanzen zu überwinden. 5. Der Gleichheitssatz als Argumentationslastregel Ein völlig anderer Weg wird argumentativ eingeschlagen, wenn man den Weg des Bundesverfassungsgerichts weiterdenkt, dem allgemeinen Gleichheitssatz ein Verbot zu entnehmen, willkürlich zu handeln und die Auslegung des Art. 3 Abs. 1 GG von einem Vergleich gelöst hat. So könnte man konsequent zu Ende gedacht in Art. 3 Abs. 1 GG eine Argumentationslastregel dahingehend sehen, daß jede staatliche Ungleichbehandlung von der hohen Hand plausibel und mit zureichenden Gründen begründet werden muß, die sich ihrerseits aus den anderen Verfassungsbestimmungen ergeben. So geht Podlech432 zunächst von einer dem Willkürverbot entsprechenden Auslegung des Art. 3 Abs. 1 GG aus. Er sieht in Art. 3 Abs. 1 GG eine Argumentationslastregel zugunsten derjenigen, die sich auf die Verfassungswidrigkeit einer Ungleichbehandlung berufen: Immer dann, 431 Kriele,

HdbVerfR 1983, S. 150. Gehalt, S. 45 f.

432 Podlech,

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wenn nicht mit einer für Argumentationen im Grundrechtsbereich ausreichenden Plausibilität feststeht, daß die rechtliche Differenzierung verfassungsrechtlich zulässig ist, ist sie verfassungsrechtlich unzulässig.433 Um dieses Ergebnis begründen zu können, werden zunächst die grundlegenden Begrifflichkeiten geklärt.434 Hierzu ist zuvörderst zwischen der Gleichheit, wie sie der allgemeine Sprachgebrauch versteht, und den Strukturelementen des Ausdrucks „verfassungsrechtlich gleich“ zu unterscheiden.435 Der Begriff „gleich“ setzt im allgemeinen Sprachgebrauch zwei Personen hinsichtlich einer bestimmten Eigenschaft in eine Beziehung, indem er sie anhand dieser bestimmten Eigenschaft vergleicht. Es liegt eine dreipolige Relation vor zwischen den beiden Personen und der Eigenschaft.436 Eine Gleichheit der Personen muß demzufolge angenommen werden, wenn sie beide zugleich wenigstens die bestimmte Eigenschaft aufweisen. Gleichheit ist folglich „die Eigenschaft, die einer gegebenen Eigenschaft und zwei Individuen genau dann zukommt, wenn den beiden Individuen die gegebene Eigenschaft zukommt“.437 Die „verfassungsrechtliche Gleichheit“ ist demgegenüber enger zu fassen, da sie einen bestimmten Personenkreis voraussetzt, dem die Eigenschaft „verfassungsrechtlich gleich“ zukommen kann, sowie eine nähere Bestimmung dessen, welche Eigenschaften verfassungsrechtliche Gleichheit oder Ungleichheit bedingen.438 Zu dem Personenkreis des Ausdrucks „verfassungsrechtlich gleich“ gehören nur die der deutschen hoheitlichen Gewalt unterworfenen Grundrechtsträger. Im Vergleich zur Gleichheit, wie sie im allgemeinen Sprachgebrauch verstanden wird, folgt aus der soeben erlangten Einsicht, daß die Eigenschaft, die die verfassungsrechtliche Gleichheit bedingt, eine Beziehung ist, die zwischen den Personen, denen verfassungsrechtliche Gleichheit zukommt, und dem Staat besteht.439 Verfassungsrechtliche Gleichheit kommt Personen also dadurch zu, daß sie in einem Rechtsverhältnis zur öffentlichen hoheitlich handelnden Gewalt stehen.440 Verfassungsrechtliche Gleichheit ist dabei weder logisch noch normativ auf die tatsächliche Gleichheit von Menschen zurückzuführen.441 433 Podlech, Gehalt, S. 87; Martini, Absolute Rechtsgleichheit, S. 84; Zacher, AöR 93 (1968), 341/356 f. 434 Podlech, Gehalt, Teil A, geht dabei wie in einer mathematischen Beweisführung vor, indem er verschiedene Sätze, Bedingungen, Regeln etc., die aufeinander aufbauen, aufstellt und begründet. 435 Podlech, Gehalt, §§ 3 und 4 (S. 29 ff.). 436 Podlech, Gehalt, S. 30 f. 437 Podlech, Gehalt, S. 31, Satz 3.7. 438 Podlech, Gehalt, S. 33. 439 Podlech, Gehalt, S. 35. 440 Podlech, Gehalt, S. 37, Satz 4.7. 441 Podlech, Gehalt, S. 37 f. Bereits Rousseau, Bd. 3, Le contrat social, 1 9 untersuchte das Verhältnis zwischen der égalité morale ou politique und der égalité naturelle ou physique. Falsch ist die Fragestellung, ob die normative Gleichheit durch die tatsächliche Gleichheit bedingt ist, da insoweit ein unzulässiger Schluß vom Sein auf das Sollen gezogen wird (Podlech, Gehalt, S. 37 f.).

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Der aus dem allgemeinen Sprachgebrauch entwickelte Begriff „gleich“ muß eine Modifikation und Einschränkung erfahren. In einer effektiven Rechtsordnung442 kann Art. 3 Abs. 1 GG nicht gebieten, alle Personen im Sinne der allgemeinen Definition nach dem Sprachverständnis gleich zu behandeln. Systematisch spricht gegen ein solches Verständnis der verfassungsrechtlichen Gleichheit, daß der Abs. 2 des Art. 3 GG sowie weitere Artikel des Grundgesetzes obsolet wären sowie daß es zu völlig unbrauchbaren und unannehmbaren praktischen Ergebnissen käme – entgegen der Regel, daß eine Rechtsordnung im Zweifel nichts Unvernünftiges anordnet.443 Der allgemeine verfassungsrechtliche Gleichheitssatz ordnet daher nicht an, rechtliche Ungleichheiten zu beseitigen.444 Damit treten die Unterschiede des allgemein gebrauchten und des verfassungsrechtlichen Gleichheitsbegriffs zutage. Nicht impliziert wird damit indes, daß beide Begriffe zusammenhanglos nebeneinander stehen. Eine entsprechende Auslegung des Art. 3 Abs. 1 GG muß die soeben geschilderten Besonderheiten berücksichtigen. Dies gelingt durch eine dem Willkürverbot entsprechende Auslegung,445 daß nämlich alle Personen gleich behandelt werden sollen, wenn kein zureichender Grund für ihre Ungleichbehandlung vorliegt.446 Es wird zwischen solchen Personen, die mit zureichendem Grund und solchen, die ohne zureichendem Grund ungleich behandelt werden, differenziert.447 Eine Ungleichbehandlung von Personen bedeutet nur dann verfassungsrechtliche Ungleichheit, wenn die Ungleichbehandlung ohne zureichenden Grund erfolgt. Die Frage, was einen zureichenden Grund darstellt, wird hierdurch jedoch nicht beantwortet.448 Eine solche verfassungsrechtliche Gleichheit ist stets im Hinblick auf ein Rechtsverhältnis der betreffenden Personen zur öffentlichen hoheitlich handelnden Gewalt zu beurteilen. Keine Rolle spielt daher die Frage, ob die Personen in einem sonstigen Sinne gleich oder ungleich sind. Die tatsächliche Gleichheit spielt daher im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG weder die Rolle eines Tatbestandsmerkmals für das Gebot auf Gleichbehandlung noch begründet die tatsächliche Ungleichheit eine Erlaubnis für eine Ungleichbehandlung.449 Da also nicht jede 442 Zum Begriff Podlech, Gehalt, S. 44 f., Satz 5.2: „jede Rechtsordnung, die Regeln darüber enthält, wie menschliches Verhalten zu behandeln ist, das nicht in Übereinstimmung mit der Rechtsordnung steht“. 443 Podlech, Gehalt, S. 44. 444 Dahrendorf , Ursprung, S. 22; Podlech, Gehalt, S. 45. 445 Dies entspricht insoweit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. oben § 4 C. II. 2. (S. 212). 446 Podlech, Gehalt, S. 45. 447 Podlech, Gehalt, S. 44 und vgl. Satz 6.3 auf S. 48: Verfassungsrechtliche Gleichheit komme einer gegebenen Person dann zu, wenn es keine anderen Personen gibt, denen gegenüber die gegebene Person durch ein beliebiges Rechtsverhältnis zur öffentlichen hoheitlich handelnden Gewalt ohne zureichenden Grund ungleich behandelt wird. 448 Podlech, Gehalt, S. 48. 449 Podlech, Gehalt, S. 49 f. und Satz 7.1 (S. 51): Die normative Gleichheit von Personen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht zurückführbar auf eine tatsächliche Gleichheit der Personen. In

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tatsächliche Ungleichheit automatisch die ungleichen Rechtsfolgen zu rechtfertigen vermag, müssen diejenigen tatsächlichen Merkmale bestimmt und begründet werden, die eine Differenzierung zu rechtfertigen in der Lage sind. Dabei handelt es sich um die Frage nach dem zureichenden Grund einer Ungleichbehandlung.450 Dies kann freilich dazu führen, daß bei derselben tatsächlichen Ungleichheit von Personen die eine rechtliche Differenzierung begründet, die andere hingegen unbegründet ist.451 Fraglich bleibt indes, ob sowohl die Gleichbehandlung als auch die Ungleichbehandlung zugleich begründet werden müssen, d. h. ob Art. 3 Abs. 1 GG ein Doppelgebot dahingehend enthält, daß nicht nur Gleiches gleich, sondern Ungleiches auch ungleich zu behandeln ist.452 Dies liefe jedoch darauf hinaus, daß eine Begründung dafür verlangt wird, daß eine rechtliche Regelung genau so wie sie verfaßt ist und nicht anders lautet. Damit würde die Rechtsprechung der legislativen Gewalt klar und stets übergeordnet.453 Entnimmt man Art. 3 Abs. 1 GG hingegen ein Gleichheitsgebot, so folgen hieraus zwar nicht gerade konkrete Maßstäbe, es ist aber die Richtung der Prüfung und Argumentation vorgegeben.454 Die Reduktion des Art. 3 Abs. 1 GG auf das Gebot der Gleichbehandlung von Gleichem führt schließlich auch nicht zu einer Reduktion der juristischen Problematik an sich oder gar zur Ausklammerung ganzer Problemkomplexe. Durch eine entsprechende Wahl des Vergleichspaares geht das Erfordernis der Prüfung des zwingenden Grundes für eine Gleichbehandlung über in das der Prüfung eines zureichenden Grundes für eine Ungleichbehandlung.455 All diese Einsichten vereinfachen noch nicht die Prüfung des zureichenden Grundes für eine Ungleichbehandlung. Letztlich kann nämlich die Aussage, eine Person werde verfassungsrechtlich gleichbehandelt, nur getroffen werden, wenn von allen anderen Personen feststeht, daß sie entweder ihr gegenüber gleichbehandelt werden, oder für die Ungleichbehandlung ein zureichender Grund besteht.456 Nur wenn und weil sich eine Ungleichbehandlung rechtfertigen läßt, gilt dies noch nicht für andere Ungleichbehandlungen. Dennoch läßt sich eine Reduktion des Prüfungsaufwands herbeiführen. Hierzu werden die Personen in unterschiedliche „Klassen“ ähnlich einem Baumdiagramm eingeteilt. Läßt sich eine rechtliche Ungleichbehandlung von Personen verschiedener Klassen auf eiRousseaus Terminologie ist die verfassungsrechtliche Gleichheit eine Teilklasse der égalité morale ou politique. 450 Podlech, Gehalt, S. 51 f. 451 BVerfGE 22, 327/337. 452 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbietet der Gleichheitssatz nicht nur, „wesentlich Gleiches willkürlich ungleich“, sondern auch „wesentlich Ungleiches willkürlich gleich“ zu behandeln. Vgl. z. B. BVerfGE 49, 148/165; 86, 81/87. 453 Podlech, Gehalt, S. 57. 454 Podlech, Gehalt, S. 56. 455 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 436; Podlech, Gehalt, S. 58 f.; a. A. Rüfner, FS-Kriele, S. 271. 456 Podlech, Gehalt, S. 64.

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ner Ebene des Baumdiagramms rechtfertigen, gilt dies auch für alle weiteren Zweige (höhere Ebenen), die von den betroffenen Klassen ausgehen und von diesen umfaßt werden.457 Hierdurch gelingt es nach Auffassung Podlechs, einen komplexen Sachverhalt in analysierfähige Teilsachverhalte zu zerlegen. Eine nähere Beschreibung des zureichenden Grundes kann nur in den Plausibilitäts- und Evidenzgrenzen einer bestimmten Rechtsgesellschaft erfolgen.458 Die klassische Bestimmung des zureichenden Grundes wird nach dem Ansatz von Leibholz vorgenommen, wonach eine Ungleichbehandlung immer dann zulässig ist, wenn sie nicht willkürlich ist459 oder anders gewendet, wenn ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder einleuchtender Grund vorliegt.460 Jedoch trägt diese Umschreibung nichts dazu bei, den Gehalt des Gleichheitssatzes zu bestimmen, da die „Willkür“ ebenfalls nicht eindeutig bestimmbar ist. Letztlich handelt es sich bei diesen Eingrenzungsversuchen lediglich um Umformulierungen der Fragestellung.461 Ebensowenig hilft „eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise“462 weiter. Vor dem Hintergrund, daß seit Platon und Aristoteles die Gerechtigkeit mit Hilfe der Gleichheit bestimmt wird,463 muß man zu der Schlußfolgerung gelangen, daß eine klassische petitio principii vorliegt bzw. daß die tragenden Entscheidungsgründe verdeckt werden.464 Es ist nach alledem nicht möglich, eine Klasse möglicher Verhaltensweisen der hohen Hand zu benennen, die eindeutig mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG zu-

457 Podlech,

Gehalt, S. 71, Satz 9.7: Erfolgt eine rechtliche Ungleichbehandlung zwischen den Personen einer gegebenen Klasse und den Personen der Restklasse der gegebenen Klasse hinsichtlich der nächsten eingeschlossenen Klasse mit zureichendem Grund, so liegt auch für die rechtliche Ungleichheit zwischen den Personen der gegebenen Klasse und den übrigen Personen aller davon eingeschlossenen Klassen der nächsten Einschlußklasse ein zureichender Grund vor. Ausführlich vgl. § 9 (S. 64 ff.). Dabei gilt: „Bei der Beurteilung, ob ein gegebener Sachverhalt dem durch den allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz angeordneten verfassungsrechtlichen Zustand entspricht, ist es problemäquivalent, ob ausgesagt wird, daß eine behandelte Klasse und nur diese zulässigerweise von der öffentlichen hoheitlich handelnden Gewalt in einer bestimmten Weise behandelt wird, oder ob von der nächsten Einschlußklasse ausgesagt wird, daß die Ungleichbehandlung der behandelten Klasse und der Restklasse hinsichtlich der nächsten Einschlußklasse zulässig ist.“ (Podlech, Gehalt, S. 74). Hieraus lasse sich ein ausführliches Prüfungsschema für Art. 3 Abs. 1 GG entwickeln, Podlech, Gehalt, S. 71 ff. (Regeln 9.8 und 9.9) und § 12. 458 Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/214; Ipsen, Gleichheit, S. 113; Leibholz, DVBl. 1951, 193/196 f.; Leibholz, Gleichheit, S. 87, 230; Podlech, Gehalt, S. 79: „. . . daß (hier und heute) diejenigen Differenzierungen zulässig sind, die (hier und heute) für zulässig erachtet werden.“ Vgl. BVerfGE 1, 208/249. 459 Leibholz, Gleichheit, S. 87; kritisch z. B. Haas, DÖV 1954, 70/71; Podlech, Gehalt, S. 80 und oben § 4 C. II. 3. (S. 213). 460 BVerwGE 2, 151/153. 461 Podlech, Gehalt, S. 82. 462 BVerfGE 1, 264/276 und LS 3; 2, 118/119 f.; 3, 58/135; st. Rspr. 463 Platon, Politeia, II 359c; Aristoteles, Eth. Nic., V 2 (1129b); V 6 (1131a). 464 Podlech, Gehalt, S. 82.

C. Gleichheit i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG

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lässig bzw. unzulässig ist.465 Dieser Gehalt muß vom Gesetzgeber für bestimmte Lebensverhältnisse unter Berücksichtigung der für sie jeweils geltenden Gerechtigkeitsgesichtspunkte erst noch bestimmt werden.466 Die Formulierung „zureichender Grund“ verweist auf Kriterien, die außerhalb des Gleichheitssatzes selbst liegen. Dem Art. 3 Abs. 1 GG selbst läßt sich kein materieller Maßstab für das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot entnehmen.467 Vielmehr liegt bei Art. 3 Abs. 1 GG die Besonderheit vor, daß er ein Verfahren anordnet, von dessen Ausgang abhängt, was mit ihm vereinbar ist. Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz gewinnt seinen Inhalt durch ein solches Verfahren. Er stellt Anweisungen auf, aufgrund deren Befolgung festgestellt werden kann, welche Fälle mit der Rechtsregel vereinbar sind oder nicht. Art. 3 Abs. 1 GG enthält folglich keinen materiellen Gehalt, sondern eine Argumentationslastregel zugunsten derer, die die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit einer rechtlichen Differenzierung rügen. Immer, wenn nicht mit einer für Argumentationen im Grundrechtsbereich ausreichenden Plausibilität feststeht, daß die rechtliche Differenzierung verfassungsrechtlich zulässig ist, ist sie verfassungsrechtlich unzulässig.468 Die Argumentationslastregel beantwortet die Frage nach der Rechtslage, wenn sich weder für die Zulässigkeit der Ungleichbehandlung noch für deren Unzulässigkeit ein zureichender Grund auffinden läßt. Die Zulässigkeit der Differenzierung muß positiv festgestellt werden.469 Durch dieses Verständnis des Gleichheitssatzes wird nicht nur die Kognitionsbefugnis des Gerichts eingeschränkt, sondern die Tragweite des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes. Es wird der Widerspruch vermieden, daß eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG nur teilweise zugleich eine Verfassungsverletzung ist.470 Hier freilich stößt man rasch entweder auf die Diffusität der Willkürformel, die ebenfalls einen zureichenden Grund sucht, oder man rekurriert zur Auslegung des Art. 3 Abs. 1 GG wie die soeben erläuterte Ansichten auf die anderen Verfassungsbestimmungen. In beiden Fällen trägt die Argumentationslastverschiebung nicht wesentlich zur Klarheit der Auslegung des Art. 3 Abs. 1 GG bei, wenn man ihn nicht auf eine verfahrensrechtliche Gewährleistung beschränken will.

465 Vgl.

BVerfGE 6, 273/280; 7, 377/404; 9, 3/10 f.: Der konkrete Gehalt des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes sei erst noch zu bestimmen. 466 Vgl. z. B. Leibholz, Gleichheit, S. 7. 467 Podlech, Gehalt, S. 83 ff. (semantische Gehaltlosigkeit). 468 Podlech, Gehalt, § 11, insbesondere S. 87 (Satz 11.3). 469 Podlech, Gehalt, S. 89. 470 Podlech, Gehalt, S. 88 f.

242

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6. Recht auf Ungleichheit Dahrendorf471 entwickelt die Gleichheit hin zu einem Recht auf Unterschiede und damit auf Freiheit. Die Menschen unterscheiden sich durch ihre Fähigkeiten. Diese Unterschiede zu leugnen, würde zugleich bedeuten, die Freiheit zu leugnen. Es gibt die Gleichheit, damit Menschen verschieden sein können, nicht damit Unterschiede zwischen ihnen beseitigt werden.472 Gleichheit wird so vor allem als Chancengleichheit verstanden. Sie ist eine Gleichheit im Recht zu einer freiheitlichen Individualentwicklung, eine Ungleichheit jedoch im Ziel.473 Bislang wurde der Gleichheitssatz im wesentlichen dazu herangezogen, die rechtlichen und tatsächlichen Lebensbedingungen der Menschen einander anzunähern. Der Gleichheitssatz könnte aber im Gegensatz dazu umgedreht werden und als Recht auf Unterschiede und damit auf Freiheit verstanden werden. Dieser Ansatz gründet sich auf den in der Gegenwart erreichten Standard sozialer Absicherung für jedermann.474 Der Zusammenhang von Gleichheit und Freiheit als interdependente Erscheinungen, nicht als Gegensätzlichkeiten, kommt hier erneut475 zum Tragen. So wird die Gleichheit – ähnlich der Dürig’schen Metapher476 – als „Fußboden des Hauses bestimmt, in dem die Freiheit blüht“477 . Die Gleichheit ist Bedingung, nicht Zweck.478 Die („neue“) Freiheit läßt sich nur erringen, wenn jedem Bürger die Möglichkeit gewährleistet ist, in der komplexen Gesellschaft gleichen Zugang zu den Lebenschancen zu erhalten. Die Menschen sind nach ihrem Rang und Recht als Menschen gleich. Die Unterschiede unter ihnen nach ihren Befähigungen und Erwartungen werden nicht geleugnet, da damit zugleich Lebenschancen und Freiheit geleugnet würden.479 Die Rechtfertigung der Unterschiede liegt folglich darin, daß sie ein Element der Freiheit darstellen – solange sie freilich innerhalb der Grenzen allgemeiner Staatsbürgerrechte bleiben.480 Es geht um eine Gleichheit im Recht zu einer freiheitlichen Individualentwicklung, also um Ungleichheit im Ziel.481 Wirksame Bürgerrechte verlangen aber auch die Schaffung eines Sicherheitsnetzes als gemeinsamen Grundstatus. Die einzelnen Freiheiten werden nach oben 471 Dahrendorf ,

Freiheit. Freiheit, S. 76. 473 Dahrendorf , Freiheit, S. 73 ff.; vgl. Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 108 (S. 884). 474 Vgl. Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 107 (S. 884). 475 Vgl. schon oben § 4 C. III. 4. (S. 233) und bei Kriele, HdbVerfR 1983, S. 129 ff. 476 Vgl. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 139, Fn. 1 auf S. 68. 477 Dahrendorf , Freiheit, S. 74. 478 Dahrendorf , Freiheit, S. 74. 479 Dahrendorf , Freiheit, S. 76. 480 Dahrendorf , Freiheit, S. 76. 481 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 108 (S. 885). 472 Dahrendorf ,

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beschränkt, damit nicht einige wenige Starke die Bürgerrechte anderer wesentlich schmälern. Ein weiter Raum erlaubter Freiheitsbetätigung bleibt dennoch vorhanden. Zu warnen ist vor einem Übermaß an Gleichheit.482 Eine allzu weitgehende Egalisierung führt zu zwei unliebsamen Konsequenzen: Es entstünden einerseits unsichtbare – und daher unkontrollierbare – Ungleichheiten. Andererseits führt die fehlende Aussicht auf ein individuelles Fortkommen schnell zu „dumpfer Eintönigkeit“.483 IV. Eigener Ansatz 1. Willkürformel als Ansatz Sämtliche der genannten Ansätze sehen in Art. 3 Abs. 1 GG den oben geschilderten grundlegenden Unterschied zu den Freiheitsrechten und lassen sich problemlos in die herkömmliche Dogmatik integrieren, die freilich stark präzisiert, konkretisiert und teilweise modifiziert wird. Einigkeit besteht insoweit, als die Rechtssetzungsgleichheit jedenfalls im Ergebnis den Gesetzgeber nicht zu einer ausnahmslosen, schematischen Gleichbehandlung verpflichtet.484 Die Rechtsordnung muß aus den verschiedensten Gründen Differenzierungen einführen, da auch die Gleichbehandlung ungleicher Tatbestände als ungerecht empfunden wird.485 Sie versucht, auf festgestellte tatsächliche Ungleichheiten angemessen, nämlich durch Einführung von Differenzierungen, zu reagieren. Hier endet jedoch die Einigkeit bereits: Schon über das, was Art. 3 Abs. 1 GG schützt, d. h. über den Begriff der Gleichbehandlung, besteht längst keine Übereinstimmung. Aus der Alltagssprache läßt sich ableiten, daß eine Gleichbehandlung zweier Personengruppen oder Sachverhalte stets dann anzunehmen ist, wenn die auf sie angewandten (Rechts-) Folgen identisch sind. Es wird danach einzig auf die Folgen der Normanwendung geschaut; unerheblich ist die Frage, ob die identischen Rechtsfolgen aus verschiedenen Normen resultieren.486 Damit läßt sich das Vorliegen einer Gleichbehandlung jedoch nur vermeintlich leicht bestimmen. Es ist bei weitem nicht immer eindeutig, worin die Rechtsfolge einer Norm be482 Leisner,

Gleichheitsstaat, S. 189 ff. Freiheit, S. 75 f.; vgl. Leisner, Gleichheitsstaat, S. 304 f. 484 Gusy, NJW 1988, 2505/2507; Huster, Rechte und Ziele, S. 18; Huster, JZ 1994, 541/547; Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), 2/9 f.; Kloepfer, Gleichheit, S. 36; Stein/Frank, Staatsrecht, § 48 II (S. 383). 485 Huster, Rechte und Ziele, S. 22 („das gesamte Recht [besteht] aus Differenzierungen“); Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 90 f. 486 Huster, Rechte und Ziele, S. 18 f. 483 Dahrendorf ,

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steht. Einerseits kann man darauf abstellen, ob eine Norm für eine Rechtsfolge einen für alle gleichen Maßstab anordnet mit tatsächlichen ungleichen Auswirkungen seiner Anwendung oder ob sie die gleichen tatsächlichen Auswirkungen hat.487 Stellt man auf die Zugrundelegung desselben Maßstabs ab, wird der Begriff der Gleichbehandlung selbst normativ, weil er von der Legitimität des gewählten Maßstabs abhängt.488 Jede Behandlung kann – je nach der Wahl des Maßstabs – gleichzeitig gleich und ungleich sein.489 Führt man an dieser frühen Stelle bereits normative Elemente ein, droht – wie schon bei der Willkürformel – eine recht zufällige Definition der Gleichbehandlung. Dies ist darauf zurückzuführen, daß die Lösung des Gleichheitsproblems auf diese Weise jeder rationalen Strukturierung entbehrt, wenn alle inhaltlichen Probleme an derselben Stelle undifferenziert auf einmal gelöst werden. Die Analyse des maßgeblichen Problems wird erschwert.490 Hieraus folgt einerseits die Notwendigkeit, die Frage nach dem Vorliegen der Gleichheit von der Frage der Legitimität der Heranziehung eines entsprechenden Maßstabs zu trennen.491 Keine notwendige Konsequenz ist allerdings, jede Abweichung von der Gleichheit als rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung zu begreifen.492 Dies würde voraussetzen, daß der Gleichheitssatz ein Gebot schematischer Gleichbehandlung darstellt. Angesichts des zwingenden Erfordernisses, daß eine Rechtsordnung allein schon aus Gründen der Gerechtigkeit Differenzierungen einführt und einführen muß, würde absolut jede Rechtsnorm gegen das Gebot der schematischen Gleichbehandlung prima facie verstoßen und wäre rechtfertigungsbedürftig. Das Gebot der schematischen Gleichbehandlung wäre ein völlig sinnloses Gebot.493 Eine Übereinstimmung in allen Hinsichten ist so wenig wünschenswert wie auch nur möglich.494 Insbesondere wäre ein solches Gebot in hohem Maße ungerecht. Gefordert wäre nämlich zum Beispiel zunächst, daß jeder (auch der Unschuldige!) gleich bestraft, daß jedem unabhängig von seinem Verdienst ein Orden verliehen würde etc. Stets könnten erst durch die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung wieder sinnvolle Ergebnisse erzielt werden. Schließlich stellt die schematische Gleichbehandlung für sich keinen eigenständigen Wert dar.495 Einen solchen erhält sie erst aus weiteren Überlegungen. Dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG muß daher ein anderer Gleichheitsbegriff zu487 Huster,

Rechte und Ziele, S. 19. Rechte und Ziele, S. 20. 489 Huster, Rechte und Ziele, S. 19; Weber-Dürler, Rechtsgleichheit, S. 26 ff. 490 Huster, Rechte und Ziele, S. 20. 491 Huster, Rechte und Ziele, S. 21. 492 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 24. 493 Alexy, Theorie, S. 359 f.; Böckenförde, Gleichheitssatz, S. 46; Huster, Rechte und Ziele, S. 22; Kelsen, Rechtslehre, S. 146, 391; Leibholz, Gleichheit, S. 38 ff.; Podlech, Gehalt, S. 44 f.; WeberDürler, Rechtsgleichheit, S. 32 f. 494 Alexy, Theorie, S. 360. 495 Huster, Rechte und Ziele, S. 23. 488 Huster,

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grunde liegen, welcher die Notwendigkeit, daß die Rechtsordnung differenziert, in sich aufnimmt. Man darf dabei nicht bei der schematischen Gleichbehandlung stehen bleiben, sondern muß ein zusätzliches Element in den Gleichheitsbegriff des Art. 3 Abs. 1 GG aufnehmen, nämlich den der wesentlichen Gleichheit. Hierdurch gelingt eine Strukturierung des Gleichheitsproblems, ohne daß von einem unrealistischen und unsinnigen Gleichheitsgebot ausgegangen werden müßte. Der Ausgangspunkt der Willkürformel ist daher richtig. Da bereits jede Gruppenbildung eine Wertung voraussetzt und keine bloße Frage der Logik darstellt,496 kann nicht auf eine schematische Gleichheit in einem naturwissenschaftlichen Sinne, sprich auf Identität, abgestellt werden.497 Die „Gleichheit“ ist eine dreistellige Relation, welche stets zwei Individuen in einer bestimmten Hinsicht in Beziehung setzt und damit einen Vergleich beinhaltet.498 Es geht daher nie um die Frage, ob eine bestimmte Behandlung als solche angemessen ist, sondern darum, ob sie es verglichen mit einer anderen ist. Da zwei unterschiedliche Sachverhalte Übereinstimmungen und Verschiedenheiten aufweisen, können sie nur hinsichtlich eines bestimmten Merkmals gleich sein. Es muß entschieden werden, welches das relevante Merkmal ist, an das die Ungleichbehandlung anknüpfen kann und welche Merkmale hinsichtlich der in Rede stehenden Beziehung vernachlässigt werden können. Bei verschiedenen Behandlungen werden verschiedene Merkmale relevant. Die Rechtssetzungsgleichheit verlangt also nur, daß in relevanter Hinsicht Gleiches, d. h. wesentlich Gleiches, gleich behandelt wird.499 Damit ist zumindest die Struktur des Gleichheitsbegriffs beschrieben. Er setzt sich zusammen aus der schematischen Gleichbehandlung und dem Element der Wesentlichkeit. Insoweit besteht Übereinstimmung mit der Willkürformel des Bundesverfassungsgerichts. Im entscheidenden Punkt muß aufgrund vorgenannter Kritikpunkte500 jedoch ein anderer Weg eingeschlagen werden. Die Wesentlichkeit kann nicht mit Hilfe des Kriteriums der Willkürfreiheit näher beschrieben werden. Entscheidend ist vielmehr, einen Maßstab zu finden, der dem Rechtsanwender Auskunft darüber gibt, ob wesentlich Gleiches vorliegt, so daß von Art. 3 Abs. 1 GG eine Gleichbehandlung gefordert wird.501 Der allgemeine Gleichheitssatz fordert folglich eine Gleichbehandlung all der Personen und Sachverhalte, die wesentlich, d. h. in der von dem Maßstab vorgegebenen Hinsicht, gleich sind. Es ist von vornherein auf eine maßstabsgebundene Gleichheit abzustellen. Konstruktiv führt dies dazu, daß die Erörterung der wesentlichen Gleichheit keine Frage der Rechtfertigung, sondern des Schutz496 Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 17; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 24; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 14. 497 So aber Martini, Absolute Rechtsgleichheit, S. 115 ff./185. 498 Vgl. oben § 4 C. I. 3. (S. 205); Huster, Rechte und Ziele, S. 29; Huster in: Berliner Kommentar, GG, Art. 3 Rn. 25. 499 Vgl. oben § 4 C. I. 3. (S. 205); Huster, Rechte und Ziele, S. 31. 500 Vgl. oben § 4 C. II. 3. (S. 213 ff.). 501 Huster, Rechte und Ziele, S. 31 f.

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bereichs des allgemeinen Gleichheitssatzes ist.502 Die entscheidende Frage ist damit freilich noch nicht beantwortet, nämlich die Frage danach, welcher Maßstab nun jeweils heranzuziehen ist. Eine naheliegende Möglichkeit besteht darin, die Gerechtigkeit als Maßstab heranzuziehen.503 Die Frage, ob die verschiedene Behandlung von Personen bzw. Sachverhalten im Vergleich zueinander angemessen ist, stellt zweifelsohne eine Gerechtigkeitsfrage dar.504 Und auch das Bundesverfassungsgericht stellte schon früh eine entsprechende Verbindung von Gleichheit und Gerechtigkeit her.505 2. Zusammenhang von Gleichheit und Gerechtigkeit Der Zusammenhang von Gleichheit mit der Idee der Gerechtigkeit ist ein dem Gleichheitsbegriff seit seinem ersten Auftreten bis heute immanenter Sachbezug.506 Der Gerechtigkeitsbegriff spielt traditionell eine zentrale Rolle bei der Definition der Gleichheit (und umgekehrt).507 a) Der Gleichheitssatz als allgemeines Gerechtigkeitsgebot Der berühmteste Versuch, die Gerechtigkeit mit Hilfe der Gleichheit zu erläutern, stammt von Aristoteles.508 Er differenziert zwischen der iustitia distributiva und der iustitia commutativa.509 Danach scheidet der Gedanke der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa) nicht von vornherein aus dem Verständnis des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes aus.510 Fraglich ist allerdings, ob damit der Gleichheitsbegriff zutreffend erläutert wird.511 Sehr schnell wird zweierlei deutlich: Einerseits erhellen Aristoteles’ Gleichheitsbegriffe die Struktur von inhaltlich völlig unterschiedlichen Gerechtigkeits502 Huster,

Rechte und Ziele, S. 22, 27 ff., 31 ff., 165 ff. Rechte und Ziele, S. 34 ff. und sogleich unten § 4 C. IV. 2. (S. 246 ff.). 504 Böckenförde, VVDStRL 47 (1989), 95/95; Huster, Rechte und Ziele, S. 35. 505 Vgl. nur Robbers, Gerechtigkeit, S. 87 ff. 506 BVerfGE 1, 264/276; 3, 58/135 f. (st. Rspr.); Dann, Artikel „Gleichheit“, S. 1046; Huster, Rechte und Ziele, S. 36; Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), 2/4; Robbers, Gerechtigkeit, S. 92 f.; Weinberger, FG-Troller, S. 487; Wendt, NVwZ 1988, 778/778 („der wichtigste Kristallisationspunkt des Gerechtigkeitsgedankens“). 507 Vgl. Apelt, JZ 1951, 353/359; Huster, Rechte und Ziele, S. 36; Huster in: Berliner Kommentar, GG, Art. 3 Rn. 32 ff.; Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), 2/10 ff. 508 Aristoteles, Eth. Nic., V 5 (1130b–1131a), V 7 (1131b–1132b); Aristoteles, Politeia (Bd. 9/II), III 9 (1280a), III 12 (1282b–1283a). Vgl. oben § 4 B. I. 1. (S. 181). 509 Vgl. oben § 4 B. I. 1. (S. 183) und Dann, Gleichheit, S. 40 f. 510 Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), 2/13; Schneider, Diskussionsbeitrag, S. 86 f./87. 511 Vgl. Brunner, Gerechtigkeit, S. 32 ff.; Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/198 ff.; Huster, Rechte und Ziele, S. 37 ff. 503 Huster,

C. Gleichheit i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG

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problemen. Andererseits liegen damit rein deskriptive Begriffe vor, die ihrerseits (wieder) keine normativen Festlegungen entfalten.512 So bleibt bei der austeilenden Gerechtigkeit fraglich, welche Würdigkeit mit welchem Gewicht von Bedeutung ist. Schließlich enthält sich Aristoteles’ Gleichheitsbegriff jeglicher Aussage darüber, auf welche Gleichheit es ankommt.513 Grundlage der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur ist die aristotelische Unterscheidung jedenfalls nicht, da sie zu keiner Konkretisierung führt, die unabhängig davon nicht auch verfassungsimmanent entwickelt werden könnte.514 Die Einbeziehung der Gerechtigkeit in Art. 3 Abs. 1 GG liegt nahe, wenn man auf die jüngere Geschichte des Gleichheitssatzes blickt.515 Grundlage der Einbeziehung der Gerechtigkeit ist zumindest im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Willkürlehre. Dieser Begründungsansatz greift Gerechtigkeitselemente auf, wenn formuliert wird, daß Willkür der gegensätzliche Korrelatbegriff von Gerechtigkeit sei.516 Gleichheitssatz und Gerechtigkeit erscheinen als zwei Seiten derselben Medaille.517 Der Gleichheitssatz bezieht sich nicht einfach auf eine generalisierende Gleichbehandlung, sondern er erhält seine Funktion erst durch die Forderung, daß sich jede Ungleichbehandlung durch einen zureichenden Grund begründen lassen muß. Dies (d. h. der zureichende Grund) wird als Verpflichtung zur Gerechtigkeit verstanden.518 Gerechtigkeit ist dabei meist eine relative Gerechtigkeit, die jeweils auf die Behandlung des anderen schaut. Dies ist darauf zurückzuführen, daß es an allgemeinverbindlichen Gerechtigkeitsmaßstäben fehlt.519 Historische Ansätze zum Verständnis des Gleichheitsbegriffs ebenso wie die Interpretation des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes als Willkürverbot sprechen dafür, Art. 3 Abs. 1 GG (auch) ein allgemeines Gerechtigkeitsgebot zu entnehmen.520

512 Huster,

Rechte und Ziele, S. 40 f. Gerechtigkeit, S. 33; Huster, Rechte und Ziele, S. 40. 514 Schoch, DVBl. 1988, 863/877, Fn. 228. 515 Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), 2/13 f.; oben § 4 B. I. (S. 181 ff.). 516 Leibholz, Gleichheit, S. 72. Vgl. auch schon oben § 4 C. II. (S. 207). 517 Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/186 f. 518 Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), 2/10; Kriele, Gerechtigkeit, S. 91 ff.; Kloepfer, Gleichheit, S. 11 f.; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/11; vgl. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 277, 316 ff. 519 Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 221 (S. 937); Kloepfer, Gleichheit, S. 12; Obermayer, JZ 1986, 1/4. 520 Vgl. Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), 2/10 ff. 513 Brunner,

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

b) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Um das Gleichbehandlungsgebot zu umschreiben, rekurrierte das Bundesverfassungsgericht schon in seinen ersten Entscheidungen zu Art. 3 Abs. 1 GG auf Gerechtigkeitserwägungen, indem es auf „eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise“ abstellte.521 Jedoch beantwortet das Bundesverfassungsgericht die Frage nach dem Verhältnis von Gleichheit und Gerechtigkeit an keiner Stelle explizit oder legt den Inhalt des Gerechtigkeitsbegriffes offen.522 Das Gericht verwendet zur Begründung des Gleichbehandlungsgebots anhand der Gerechtigkeit dieselben Begriffe wie zur Umschreibung des Gleichbehandlungsgebots ohne den Rekurs auf die Gerechtigkeit.523 Angesichts dieser Rechtsprechung liegt es nahe, dem Gerechtigkeitsgedanken eine eigenständige Funktion abzusprechen.524 Es gelingt dem Bundesverfassungsgericht allerdings, spezifische Aussagen mit dem Begriff der Gerechtigkeit zu verbinden und das Begriffsverständnis nicht der Beliebigkeit preiszugeben.525 Dies erfolgt nicht durch eine systematische Deduktion, sondern durch topisches Denken. Das Gerechte wird durch „vernünftige Gründe“ beschrieben: Der Gleichheitssatz „ist verletzt, wenn für eine gesetzliche Differenzierung ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund sich nicht finden läßt, wenn also für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die Regelung als willkürlich bezeichnet werden muß“526 . Das Bundesverfassungsgericht nennt im wesentlichen drei „vernünftige Gründe“ zulässiger Differenzierungen.527 Die Natur der Sache beschreibt abgegrenzte Tatsachenbereiche, die der gesetzlichen Regelung voraus liegen.528 Hierin kommt die Frage nach der Gerechtigkeit zum Tragen. Das „Einleuchten“ scheint sich mit dem Gebot vernünftiger Argumentation zu decken. Jedoch bezieht sich diese Konkretisierung der Gerechtigkeit auf die einer Sache adäquate Regelung, die die immanenten Sachstrukturen berücksichtigt.529 Die „Sachlichkeit“ beurteilt die 521 BVerfGE 1, 264/762 und LS 3; 2, 118/119; 3, 58/135 (st. Rspr.); vgl. die Nachweise bei Robbers, Gerechtigkeit, S. 87, Fn. 408. 522 Vgl. Schoch, DVBl. 1988, 863/877; vgl. Hesse, AöR 109 (1984), 174/186 ff. („einzelne Ansätze“, S. 187). 523 Vgl. einerseits z. B. BVerfGE 18, 38/46 und andererseits z. B. BVerfGE 1, 14/52. 524 Robbers, Gerechtigkeit, S. 103 f. 525 Vgl. Robbers, Gerechtigkeit, S. 87 ff./164. 526 Repräsentativ insoweit BVerfGE 18, 38/46. 527 Hierzu Kirchhof , HdbStR V, Rn. 219 f. (S. 935 f.); ausführlich Robbers, Gerechtigkeit, S. 103 ff. 528 Diese Tatsachenbereiche werden vom einfachen Gesetzgeber geschaffen. Die verfassungsrechtliche Prüfung verändert sich so zu einem Wechselprozeß zwischen (erhöhtem) einfachen Recht und Verfassungsrecht (Robbers, Gerechtigkeit, S. 108). Das Verfassungsrecht wird letztlich aus dem einfachen Recht gewonnen, ohne daß es selbst eine derartige Öffnungsklausel enthielte (Dadurch kommt dem allgemeinen Gleichheitssatz ein bewahrendes Element zu, Robbers, Gerechtigkeit, S. 107. Solche Konkretisierungen führen tendenziell dazu, vorhandene, als gerecht empfundene Regelungen zu perpetuieren, Gusy, JuS 1982, 30/35). 529 Robbers, Gerechtigkeit, S. 109 ff.

C. Gleichheit i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG

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Übereinstimmung des Ziels einer Regelung mit dem ausgewählten Mittel. Dieses Regelungsziel ist das den Gerechtigkeitsgedanken bestimmende Merkmal.530 Der Gerechtigkeitsbegriff des Bundesverfassungsgerichts ist folglich durch zwei Elemente gekennzeichnet. Zum einen wird er in einen Bezug zu den Sachstrukturen gestellt, zum andern rekurriert das Gericht auf den Regelungszweck.531 Der Regelungsgegenstand und das Regelungsmittel erhalten ihre Legitimation ebenso wie ihr Maß aus der Regelungsidee. Diese selbst wird nicht als Gerechtigkeitselement begriffen, sondern an den Wertentscheidungen der Verfassung gemessen.532 Allerdings kann die Gerechtigkeit Regelungsideen verbieten, aus denen sich keine spezifischen Sachlichkeitsbeziehungen ableiten lassen,533 d. h. wenn die Differenzierung selbst Regelungsidee ist. Differenzierungen können nur Regelungsmittel, nicht aber Regelungsidee sein. Die kurze Analyse zeigt, daß die beiden Begriffe „Gleichheit“ und „Gerechtigkeit“ in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung eng miteinander verknüpft sind. Indes wird schnell deutlich, daß die Begriffe nicht synonym gebraucht werden.534 Vielmehr dient die Gerechtigkeit der Strukturierung und Konkretisierung nicht der Gleichheit selbst. Sie entscheidet über die Relevanz von Gleichheit und Ungleichheit.535 Die Gerechtigkeit wird als ein vor der Verfassung liegendes Gebot angesehen, das durch die Verfassung ausgestaltet werden soll und wird. Deshalb ist es legitim, in einer Art Wechselwirkung Gerechtigkeitserwägungen bei der Auslegung der Verfassung zu berücksichtigen. c) Kritik an der Einbeziehung von Gerechtigkeitserwägungen Diese Rechtsprechung sieht sich indes, wie die Einbeziehung von Gerechtigkeitserwägungen überhaupt, von verschiedenen Seiten der Kritik ausgesetzt.536 Dies ist zunächst darauf zurückzuführen, daß die Konkretisierungsbemühungen des Bundesverfassungsgerichts nicht darüber hinwegzutäuschen vermögen, daß letztlich auf das Gerechtigkeitsgefühl des entscheidenden Richters verwiesen wird.537 Eine rationale Entscheidungsfindung ist nicht gewährleistet. Auch die 530 Robbers,

Gerechtigkeit, S. 116 ff. Gerechtigkeit, S. 132 ff. Robbers führt die Terminologie „Sachbezug“ und „Selbstbezug“ ein, welche eine gerechte Regelung nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung kennzeichnen. 532 Robbers, Gerechtigkeit, S. 134 ff./141. 533 Robbers, Gerechtigkeit, S. 149. Dies ist bei Regelungen der Nachteilsausgleichung gerade nicht der Fall. 534 Das Bundesverfassungsgericht bemüht nur den Gedanken der Gerechtigkeit bzw. fordert nur eine daran orientierte Betrachtungsweise. 535 Robbers, Gerechtigkeit, S. 90: Gerechtigkeit sei korrigierte Gleichheit. 536 Eyermann, FS-bayVerfGH, S. 46 ff. Anders Robbers, Gerechtigkeit, S. 88. 537 Schoch, DVBl. 1988, 863/877; ähnlich Obermayer, JZ 1986, 1/1 ff. 531 Robbers,

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

Deutung des Gerechtigkeitsbegriffs als Sachbezug und Selbstbezug538 führt zu keiner maßgeblichen Konkretisierung des Gleichheitssatzes, die auch ohne Rekurs auf die Gerechtigkeitsidee gelänge. Die Sachmaterie und die Systemgerechtigkeit führen zu derselben Erkenntnis. Die Gerechtigkeit wird als unklarer, inhaltsleerer Begriff angesehen, der einem sicheren Judizieren entgegenstehe und der subjektiver Beliebigkeit die Pforten öffne.539 Dem allgemeinen Rechtsbewußtsein, auf das verwiesen wird, dürfe bei der Gleichheitsprüfung keine Relevanz zukommen.540 Außerdem liege eine petitio principii vor, wenn man die Gerechtigkeit mit der Gleichheit synonym setzen würde.541 Dies ist darauf zurückzuführen, daß nicht von vornherein klar ist, ob nun die Gleichheit die Gerechtigkeit strukturiert, d. h. ob die Gleichheit ein Teilelement der Gerechtigkeit darstelle oder ob umgekehrt Gerechtigkeitserwägungen in den Gleichheitsbegriff als übergeordnetem Begriff aufzunehmen sind. Eine völlig andere, prima facie ebensogut mögliche Auffassung verbannt Gerechtigkeitserwägungen aus der Interpretation des Gleichheitssatzes und ordnet diese dem Rechtsstaatsprinzip zu.542 Die letzte Position liegt auf den ersten Blick sogar nahe, wenn man die Einwände gegen die teilweise oder vollständige Gleichsetzung von Gleichheit und Gerechtigkeit sich vergegenwärtigt. Zwar kann kaum bestritten werden, daß die Grundrechtsnormen – allen voran der allgemeine Gleichheitssatz – eine Offenheit für allgemeine Gerechtigkeitserwägungen aufweisen.543 Die Offenheit des Gleichheitssatzes kommt der Entwicklungsfähigkeit der Rechtsordnung zugute, die sich so leicht auf veränderte Bedingungen einstellen und neue Inhalte aufnehmen kann.544 Allerdings gehen mit unabgeschlossenen juristischen Begriffen auch immer Mehrdeutigkeiten und Unklarheiten einher. Zieht man die Verbindung zwischen Gleichheit und Gerechtigkeit zu eng, um der Inhaltsarmut des Gleichheitssatzes zu begegnen, besteht die Gefahr, daß die positiven Verfas-

538 Vgl.

oben Fn. 531.

539 Scholler, Gleichheitssatz, S. 33 f.; Zippelius, Wertungsprobleme, S. 30 f.; ähnlich Starck, Anwen-

dung, S. 63. 540 Aldag, Gleichheit, S. 43; Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 28; Fuß, JZ 1959, 329/332; Zacher, AöR 93 (1968), 341/355 f.; einschränkend Zippelius, Wertungsprobleme, S. 197 ff. 541 Dax, Gleichbehandlungsgebot, S. 82, Fn. 34; Fuß, JZ 1959, 329/331, Fn 18; Hufen, Gleichheitssatz und Bildungsplanung, S. 95 f.; Ipsen, Gleichheit, S. 153, Fn. 142; Podlech, Gehalt, S. 82 f.; Scholler, Gleichheitssatz, S. 34. 542 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 341; Eyermann, FS-bayVerfGH, S. 50; Schoch, DVBl. 1988, 863/878; Starck, Diskussionsbeitrag, S. 110 f.; vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 14 f.; Zacher, AöR 93 (1968), 341/355 f. 543 Gusy, NJW 1988, 2505/2506; Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 20 f. (S. 845 f.); Rüthers, FSZeidler, S. 21 („Prozeß der Wahrheitsfindung unter wechselnden Umständen“); Sachs, HdbStR V, § 127 Rn. 3 (S. 1088); vgl. Alexy, Theorie, S. 494. 544 Robbers, Gerechtigkeit, S. 164.

C. Gleichheit i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG

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sungsnormen durch allgemeine Gerechtigkeitserwägungen verdrängt werden.545 Damit kommt es unweigerlich zu einem gehörigen Maß an Unbestimmtheit. Das Bundesverfassungsgericht kann bei einem derart offenen Begriff nicht stehen bleiben, sondern muß die zum Urteilsspruch führenden Erwägungen objektiv nachvollziehbar darlegen. Der Gerechtigkeitsbegriff in seiner Vielschichtigkeit ist hierfür ungeeignet.546 Er verliert die ihm eigene Aussagekraft an die gesamte Entscheidungsbegründung, und er besteht nur noch als Oberbegriff für verschiedene Begründungsgesichtspunkte.547 Dies resultiert unter anderem daraus, daß nicht allgemein angegeben werden könnte, in welchen Rechtsbereichen welche Gerechtigkeitsgesichtspunkte tragend sind. Trotz zahlreicher Theorien zur Gerechtigkeit wissen wir im konkreten Einzelfall nicht, was Gerechtigkeit ist.548 Dies führt dazu, daß der Inhalt des Gerechtigkeitsbegriffs und damit des Gleichheitssatzes in jedem Einzelfall vom Rechtsanwender (insbesondere vom Richter) aufs Neue bestimmt werden muß. Fehlen nähere Ausführungen zum konkreten Inhalt, fehlt es an einer Begründung der Entscheidung.549 Gerechtigkeitserwägungen kommen allenfalls unausgewiesen und unreflektiert zur Anwendung. Der Rekurs auf den Gerechtigkeitsgedanken verliert weitgehend seine methodische und dogmatische Funktion.550 Der Gleichheitssatz wird zu einer diffusen, insbesondere injustitiablen Norm, die es unter dem Grundgesetz zu vermeiden gilt, da dieses die Grundrechte gerade – wie Art. 1 Abs. 3 GG anordnet – mit rechtlicher Bindungskraft gegenüber dem Staat ausgestattet hat.551 Um den beschriebenen Bedenken zu begegnen, wird oft der Gerechtigkeitsbegriff anhand des einfachen Gesetzesrechts ausgefüllt. Damit gelingt zwar in nicht unerheblichem Umfange die Konkretisierung des Begriffs. Doch wird der Gerechtigkeitsbegriff zum argumentativen Hebel, das Verfassungsrecht anhand des einfachen Gesetzesrechts auszulegen. Die Normhierarchie wird auf den Kopf gestellt. Es wird nicht mehr das einfache Recht am Maßstab der Verfassung gemessen, sondern es kommt zu einer Wechselwirkung, bei der sich die einzelnen Prüfungsebenen nicht mehr ohne weiteres unterscheiden lassen.552

545 Starck, Anwendung, S. 62 f.; Starck, Diskussionsbeitrag, S. 111. Diese Gefahr wird offensichtlich, wenn man Gerichtsentscheidungen betrachtet, die ohne Rücksicht auf Gleichheit oder Ungleichheit von Vergleichstatbeständen auf die Gerechtigkeit rekurrieren, vgl. BVerfGE 42, 64/72 ff.; 49, 148/165 ff.; 49, 304/309 ff.; 58, 163/167 ff. Hier geht es nicht mehr nur um eine zeitangepaßte und -geprägte Offenheit grundgesetzlicher Normen; diese werden vielmehr vollständig von allgemeinen, gerade nicht positivierten Erwägungen in den Hintergrund gedrängt. 546 Robbers, Gerechtigkeit, S. 164; vgl. Zacher, AöR 93 (1968), 341/355 f. 547 Robbers, Gerechtigkeit, S. 163. 548 Obermayer, JZ 1986, 1/4; Rüthers, FS-Zeidler, S. 19 f. 549 Robbers, Gerechtigkeit, S. 163. 550 Robbers, Gerechtigkeit, S. 163. 551 Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 2. 552 Robbers, Gerechtigkeit, S. 108, 165.

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

Die Konkretisierung der Gerechtigkeit bleibt damit letztlich beim Gerechtigkeitsgefühl des entscheidenden Richters stehen. Rationale Rechtsfindung gelingt auf diese Weise schwerlich. Vielmehr wird der allgemeine Gleichheitssatz mit „der“ Gerechtigkeit überlastet, die so gar nicht festzustellen ist.553 Es besteht die Gefahr, daß das (Verfassungs-) Gericht die demokratische Entscheidungsfindung auf sich selbst bezieht, indem es mit diffusen Formeln wie dem Rekurs auf „allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen“ auf den entscheidenden Richter zurückverweist.554 Es werden an die Verfassung von außen Prinzipien auf unsicherer oder nicht offengelegter Grundlage herangetragen, die allenfalls zu spekulativen Erwägungen führen können.555 Gleichheit und Gerechtigkeit stellen daher weder Begriffe dar, die synonym verwendet werden können, noch kann die Gerechtigkeit die Gleichheit definieren. Eine unbesehene Einordnung von Erwägungen der Gerechtigkeit in andere Verfassungsprinzipien wie z. B. das Rechtsstaatsprinzip darf hieraus indes nicht geschlossen werden. Die Mehrdeutigkeit und die Unschärfe des Begriffs kann dadurch nicht beseitigt werden. Im Gegenteil führt die Einordnung der Gerechtigkeit z. B. in das Rechtsstaatsprinzip als ein seinerseits wenig konturierter und konkreter Begriff zu einer Verstärkung der Unklarheiten.556 d) Zwischenergebnis Das Ergebnis ist ambivalent. Einerseits lassen sich Gleichheit und Gerechtigkeit nicht strikt trennen. Andererseits muß den soeben geäußerten Einwänden557 bei der Bestimmung des Verhältnisses von Gleichheit und Gerechtigkeit Rechnung getragen werden. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet keine strikte rechtliche Gleichbehandlung, sondern Gleiches gleich zu behandeln, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend allerdings verschieden zu behandeln.558 So richtig diese Formel ist, so wenig trägt sie zur Problemlösung bei, da sie sich jeglicher Aussage darüber enthält, ob die verschieden behandelten Personen nun gleich oder ungleich sind. Da zwei 553 Schoch,

DVBl. 1988, 863/377 f.; Rüthers, FS-Zeidler, S. 19 f. Gerechtigkeit, S. 100 f.; Schoch, DVBl. 1988, 863/877. Vgl. Rüthers, FS-Zeidler, S. 19 f. Es ist interessant zu sehen, daß das Bundesverfassungsgericht zwar auf die allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen, die Gerechtigkeitsvorstellungen der Bevölkerungsmehrheit rekurriert, jedoch zu keiner Zeit eine empirische Erhebung durchgeführt hat, sondern vielmehr pars pro toto die eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen herangezogen und sie als allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen deklariert hat (vgl. BVerfGE 9, 338/349; 13, 225/228; 17, 210/217; 34, 269/287, 289; und Robbers, Gerechtigkeit, S. 91). 555 Vgl. Kirchhof , NJW 1987, 2354/2355. 556 Robbers, Gerechtigkeit, S. 165. 557 § 4 C. IV. 2. c) (S. 249 ff.). 558 Erstmals BVerfGE 1, 14/52. 554 Robbers,

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vergleichbare Tatbestände stets nur in bestimmten Elementen gleich sind,559 in anderen hingegen ungleich sind, muß bestimmt werden, welche Elemente der zugrunde liegenden Sachverhalte nun maßgebend sind, um sie gleich bzw. ungleich zu behandeln.560 Es muß folglich eine Auswahl getroffen werden, welche Gleichheiten und Ungleichheiten relevant sind und welche vernachlässigt werden können.561 Diese Auswahlentscheidung (Relevanzurteil) stellt eine Wertungsentscheidung dar. Die entscheidende Frage lautet, welche (Un-) Gleichheiten jeweils wesentlich sind.562 Die Bestimmung der Wesentlichkeit von Gleichheiten und Ungleichheiten bildet die Funktion, die das Gericht dem Gerechtigkeitsgedanken in seiner o. g.563 Umschreibung des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG zuweist.564 Es liegt nahe, einen Konkretisierungsversuch mit Hilfe des Gerechtigkeitsbegriffs zu unternehmen.565 Eine Gleichsetzung von Gerechtigkeit und Gleichheit ist angesichts der genannten Bedenken aber weder zulässig noch notwendig. Allenfalls kann die Gleichheit ein Element der Gerechtigkeit sein, nicht aber umgekehrt die Gerechtigkeit aus der Gleichheit abgeleitet werden.566 Gleichheit allein schafft noch keine Gerechtigkeit.567 Die Gerechtigkeit bestimmt als eine von mehreren Erwägungen die Wesentlichkeit der Ungleichbehandlung. Art. 3 Abs. 1 GG erfährt daher durch Gerechtigkeitserwägungen eine Konkretisierung, die besonders augenfällig in einzelnen Anwendungsbereichen – z. B. als Grundsatz der Steuerund Gebührengerechtigkeit, Grundsatz der Wehrgerechtigkeit etc. – wird.568 Entscheidend für den Gleichheitssatz ist nicht die – stets vorhandene569 – Existenz von Ungleichheiten, sondern deren Relevanz.570 Die Gerechtigkeit wird nicht als Gleichbehandlungsgebot verstanden, sondern die Gerechtigkeit entscheidet 559 BVerfGE 6, 273/280; 13, 181/202; 53, 164/178; Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/172 ff.; Schröder, Rechtsbegriff, S. 20 ff. Vgl. Gusy, NJW 1988, 2505/2507: vollständige Identität gebe es in der Wirklichkeit nicht. Vgl. oben § 4 C. I. 3. (S. 205). 560 Gusy, NJW 1988, 2505/2506. 561 Vgl. hierzu Alexy, Theorie, S. 362 f.; Gusy, NJW 1988, 2505/2507; Huster, Rechte und Ziele, S. 30 f. 562 Böckenförde, Gleichheitssatz, S. 71; Huster, Rechte und Ziele, S. 34; Hufen, Gleichheitssatz und Bildungsplanung, S. 32; Leibholz, Gleichheit, S. 48. 563 Vgl. oben § 4 C. II. 2. (S. 212 ff.). 564 Vgl. Robbers, Gerechtigkeit, S. 88. 565 Gusy, NJW 1988, 2505/2506; Huster, Rechte und Ziele, S. 35; Robbers, Gerechtigkeit, S. 90; Thoma, DVBl. 1951, 457/458. Vgl. auch das Bundesverfassungsgericht, welches frühzeitig den Gleichheitssatz und den Gerechtigkeitsbegriff in einen Zusammenhang gebracht hat, BVerfGE 1, 264/276 und LS 3; 2, 118/119; 3, 58/135; 12, 341/348; 15, 167/201; 19, 119/124 f.; 25, 269/293; 31, 119/130; 33, 171/189; 36, 174/190; 39, 316/326; 45, 376/387; 48, 281/288. 566 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 341; Tipke, FS-Zeidler, S. 731. 567 Kloepfer, Gleichheit, S. 14. 568 Vgl. oben Fn. 528. 569 Das gesamte Recht besteht letztlich aus Differenzierungen, Gusy, NJW 1988, 2505/2506 und 2507; Huster, Rechte und Ziele, S. 22; Kloepfer, Gleichheit, S. 36; Stein/Frank, Staatsrecht, § 48 II (S. 383). 570 Vgl. BVerfGE 21, 12/26 f.; Podlech, Gehalt, S. 51; Robbers, Gerechtigkeit, S. 89.

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

über diese Relevanz von Gleichheit und Ungleichheit.571 Gerechtigkeit bedeutet also nicht die Gleichheit selbst. Ihr kommt eine Art Reservefunktion zu, die dem Gesetzgeber eine letzte Schranke setzt.572 Die Gerechtigkeit ist kritisches, ggf. korrigierendes Element in der Gleichheitsprüfung.573 Sie verschwindet nicht gänzlich hinter dem positiven Verfassungsrecht. Der Rekurs auf die Gerechtigkeit weist die Schwierigkeit auf, daß greifbare Angaben über ihren Inhalt nicht gemacht werden können.574 Ein einheitliches Gerechtigkeitsempfinden besteht gerade in den strittigen Fragen nicht. Nur selten liegen homogene Überzeugungen vor. Es bleibt nur die Möglichkeit, auf ein „spezielles“ Gerechtigkeitsempfinden zurückzugreifen, indem der Rechtsanwender sich einer der gegenläufigen Positionen (d. h. seiner Überzeugung vom konkreten Inhalt der Gerechtigkeit) anschließt. Dem Erfordernis rationaler, nachvollziehbarer und objektiver Begründung kann damit nicht Genüge getan werden.575 Allerdings läßt sich dieses Defizit der Integration von Gerechtigkeitserwägungen ausgleichen, indem man als entscheidendes Kriterium nicht die Gerechtigkeit(svorstellungen) an sich ansieht, sondern auf die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen abstellt und den Gleichheitssatz anhand des Verfassungsrechts konkretisiert.576 Die Rechts- und Verfassungsordnung muß eine der Idee der Gerechtigkeit verpflichtete Gemeinschaftsordnung aufstellen.577 Alle Forderungen nach Gerechtigkeit müssen sich (zumindest weitgehend) aus dem geltenden Recht ergeben, insbesondere aus den Bestimmungen der Verfassung. Der allgemeine Gleichheitssatz ist einerseits im positiven Recht konkretisiert, andererseits muß der Gehalt des positiven (Verfassungs-) Rechts durch überpositive Rechtsgrundsätze präzisiert werden.578 Das Grundgesetz ist eine Ausprägung und Ausgestaltung der Gerechtigkeit. Gerechtigkeitsvorstellungen liegen vor der Verfassung und werden in ihr konkretisiert.579 Die Möglichkeit, auf in der Verfassung positivierte Gerechtigkeitselemente zu rekurrieren, macht es in deutlich weiterem Umfange möglich, rationale 571 Vgl.

Robbers, Gerechtigkeit, S. 90. in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 31; dagegen Schoch, DVBl. 1988, 863/878. 573 Häberle, JZ 1980, 541/541. 574 Rüthers, FS-Zeidler, S. 19 f. 575 Vgl. Robbers, Gerechtigkeit, S. 98 f. 576 Schoch, DVBl. 1988, 863/878. Vgl. z. B. die im Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG ) enthaltene soziale Gerechtigkeit und oben § 4 C. III. 1. (S. 219 ff.). 577 BVerfGE 3, 225/233; Obermayer, JZ 1986, 1/3. Insbesondere Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 Abs. 1 Rn. 16 ff., 44 ff.; Starck, Anwendung, S. 64 schlägt vor, auf die in der Verfassung enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen abzustellen. 578 Obermayer, JZ 1984, 857/859 f.; Obermayer, JZ 1986, 1/3 f.; vgl. Böckenförde, VVDStRL 47 (1989), 95/95. 579 Richtig daher BVerfGE 7, 198/206: Es müsse „in erster Linie von der Gesamtheit der Wertvorstellungen ausgegangen werden, die das Volk in einem bestimmten Zeitpunkt seiner geistigkulturellen Entwicklung erreicht und in seiner Verfassung fixiert hat“. Vgl. Schoch, DVBl. 1988, 863/878. 572 Gubelt

C. Gleichheit i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG

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Entscheidungen, frei von subjektiven Wertungen zu treffen. Die Gerechtigkeitsvorstellungen können nur dann Relevanz entfalten, wenn sie mit der Verfassung im Einklang stehen.580 Ist dies der Fall, kommt ihnen freilich eine eigenständige Funktion in der Argumentation zu. Sie dienen der Auslegung und dem richtigen Verständnis verfassungsrechtlicher Normen und können daher als Argument für oder gegen eine bestimmte Problemlösung herangezogen werden. Dabei darf die Verfassung allerdings nicht ohne weiteres mit dem Hinweis auf die Gerechtigkeitsvorstellungen der Gesellschaft beiseite geschoben werden, wenn sich allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen und Verfassungstext widersprechen. Oft will sich die Verfassung gegenüber widerstreitenden Meinungen gerade als Hebel für gesellschaftliche Veränderungen verstanden wissen.581 3. Konkretisierung der wesentlichen Gleichheit Aus der Verbindung von Gleichheit und Gerechtigkeit läßt sich nicht ohne weiteres ableiten, daß die Gleichheit mit der Gerechtigkeit vollständig gleichzusetzen ist. Die Konkretisierung der wesentlichen Gleichheit allein durch Gerechtigkeitserwägungen stößt auf exakt dieselben Einwände wie die Willkürrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in der die „Willkür“ als das gegensätzliche Korrelat zur Gerechtigkeit bezeichnet wird. Die Heranziehung der Gerechtigkeit als Maßstab zur Bestimmung der wesentlichen Gleichheit führt somit nicht weiter als der Stand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Vor allem Fragen der distributiven Gerechtigkeit sind äußerst umstritten.582 Der Gleichheitssatz als Gerechtigkeitsgebot bleibt daher eine diffuse Forderung an den Gesetzgeber. Die mißliche Lage für die Justitiabilität des Gleichheitssatzes wird nicht beseitigt. Freilich ist fraglich, ob es des Rekurses auf einen solch diffusen Begriff wie den der Gerechtigkeit überhaupt bedarf. Es handelt sich dabei um einen außerrechtlichen Begriff, der allenfalls herangezogen werden könnte, wenn die Rechtsordnung keine oder eine gänzlich unzureichende Lösung enthielte. Allenfalls in einem solchen Falle können allgemeine Gerechtigkeitserwägungen angestellt werden, aber auch dann nur als solche der Individualgerechtigkeit, nicht als allgemeines Gebot zur Richtigkeit staatlichen Handelns.583 Die in der Gesellschaft herrschenden Gerechtigkeits- und Wertvorstellungen liefern wertvolle Hinweise und bilden Argumentationshilfen bei der Lösungsfindung.584 Ersetzen können 580 Robbers,

Gerechtigkeit, S. 100; BVerfGE 15, 337/343; 39, 169/186, 42, 64/72 f. wurde z. B. an der Forderung nach Gleichberechtigung von Mann und Frau deutlich. Vgl. BVerfGE 3, 225/240; 15, 337/345; Robbers, Gerechtigkeit, S. 100 f. 582 Dies sieht auch Huster (Huster, Rechte und Ziele, S. 47), der jedoch im Ergebnis anderer Auffassung ist. 583 Robbers, Gerechtigkeit, S. 88 ff. Vgl. Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 34. 584 Vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 14. 581 Dies

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

sie diese jedoch nicht, da sonst die inhaltliche Unbestimmtheit das einzig Gewisse des Gleichheitssatzes ist. Die gesellschaftlichen Gerechtigkeits- und Wertvorstellungen haben ihren Niederschlag in der Verfassung (und dem das Grundgesetz ausgestaltenden und konkretisierenden einfachen Recht) gefunden. Der Rekurs auf überpositives Recht und Gerechtigkeitserwägungen ist einzig deswegen erforderlich, weil er einen Rückfall in die Geisteshaltung eines wertungsfreien Gesetzespositivismus verhindert. Allein hieraus motiviert sich indes kein allgemeiner Rückgriff auf die Überpositivität des Rechtsgrundsatzes der Gleichheit. Dieser ist allenfalls insoweit möglich, als Art. 3 Abs. 1 GG von Art. 1 Abs. 1 GG und mittelbar in den anderen Verfassungsbestimmungen deklaratorisch und als überpositiv vorgegeben anerkannt wird.585 Auch die Bindung des Gesetzgebers an das Gesamtsystem der Verfassung führt in den unklaren und daher besonders interessierenden Fällen zu denselben Schwierigkeiten wie die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung, weil sie auch dann stets das Willkürverbot heranziehen muß. Nur für die klaren Konstellationen wird die konkrete Auslegung anhand der Grundrechte möglich sein. Man gerät letztlich in eine fast schon paradoxe Situation, daß eine Problemlage immer dann leicht zu lösen ist, wenn sie relativ unkompliziert ist, weil es hierfür klare Maßstäbe gibt, diese jedoch nicht so dringend einer positiven Normierung bedürfen, weil das Problem übersichtlich und die Lösung ohnehin vorgezeichnet ist. Ist die Lösung nicht von vornherein einsichtig, muß mangels eindeutiger verfassungsrechtlicher Regelungen wieder auf die Willkürformel zurückgegriffen werden. Diese liefert aber hier gerade kein klares Ergebnis und nur eine beschränkte Hilfestellung. Eine vollständige Lösung vom Willkürverbot liegt daher näher. Es ist daher nur konsequent, Art. 3 Abs. 1 GG im Lichte der Gesamtverfassung systematisch auszulegen, ohne auf die Willkürformel auch nur subsidiär zu rekurrieren. Das Grundgesetz als eine Einheit liefert sämtliche grundlegenden Maßstäbe und Wertungen für die Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG. Wenn ausschließlich andere Verfassungsbestimmungen zur Konkretisierung des Gleichheitssatzes herangezogen werden, sind die Maßstäbe der Gleichheitsprüfung klar benannt. Eine inhaltliche Konkretisierung ist damit zwar nicht schon abgeschlossen. Sie ist aber möglich. Die dabei bestehenden Schwierigkeiten gehen nicht über andere Auslegungsprobleme hinaus, die stets bei ausfüllungsbedürftigen Begriffen bestehen. Die Grundrechte und andere Verfassungsbestimmungen ermöglichen es, jeden Einzelfall mit seinen Eigenheiten zu betrachten, liefern andererseits aber auch eine allgemeine und entwickelte Dogmatik, die eine strukturierte Einzelfallentscheidung überhaupt erlaubt.

585 Vgl.

Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 2.

C. Gleichheit i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG

257

Die Verfassung selbst liefert die notwendigen Maßstäbe zur Beurteilung des Vorliegens wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte.586 Zwar setzt auch dieser Weg eine im Einzelfall unter Umständen schwierige Auslegung voraus, doch kann sie sich auf eine bereits vorhandene Dogmatik der Grundrechte und sonstiger Verfassungsprinzipien stützen. Sie geht über die mit einer Auslegung stets verbundenen Schwierigkeiten nicht hinaus.587 Der Gleichheitssatz wird in seinem verfassungsrechtlichen und gesellschaftlichen Kontext belassen und aus diesem heraus interpretiert.588 Das Ziel der Gerechtigkeit wird dabei nicht verfehlt, da die Verfassungsordnung ihrerseits eine gerechte Ordnung aufstellt. Dieser Ansatz weist den Vorteil auf, daß nicht voreilig Wertungen getroffen werden müssen, die sich nicht aus der Verfassung ergeben. Der Rekurs auf überpositives, d. h. ungeschriebenes Recht, weist stets die Schwäche auf, daß das Ergebnis auf einem intransparenten, für Dritte nicht nachvollziehbaren und deswegen auch nicht kontrollierbaren Weg gefunden wird. Stets schwingt solchen Entscheidungen das ungute Gefühl verfassungsrechtlichen Dezisionismus mit. Die Orientierung an den in der Verfassung niedergelegten Maßstäben macht den negativen Ansatz der Willkürformel, die den sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung nicht abstrakt benennt, sondern nur unsachliche, d. h. willkürliche Gründe ausschließt, überflüssig und bleibt nicht auf halbem Wege stehen.589 Gleichheit kann – bereichsspezifisch – positiv bestimmt werden. Ausgangspunkt ist getreu des Wortlauts des Art. 3 Abs. 1 GG der Mensch und nicht künstlich geschaffene sachliche Gleichheiten. Um die Gleichheitsprobleme lösen zu können, benötigt man eine präzise Vorstellung dessen, was Gleichheit ist. In erster Linie ist auf die besonderen verfassungsrechtlichen Gleichheitsgarantien abzustellen wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau (Art. 3 Abs. 2 S. 1 GG), das Verbot der Bevorzugung und Benachteiligung wegen des Geschlechts (Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG), Art. 12 Abs. 2 GG, Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 101 Abs. 1 S. 1 GG etc. Diese speziellen Gleichheitssätze führen zu einer ersten und erheblichen Konkretisierung. Sie sehen sich jedoch dem Einwand ausgesetzt, daß sie naturgemäß gerade 586 Aldag, Gleichheit, S. 42 ff.; Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 28; Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 20 ff., Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/219; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 31 (als Konkretisierung des sachlichen Grundes für eine Ungleichbehandlung); Ipsen, Gleichheit, S. 111 f., 137, 164, 178; Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 93 ff. (S. 878 ff.), Rn. 99 (S. 880); Klein, Gleichheitssatz, S. 162 ff., 168 ff.; Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/45 f.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 16 ff.; Robbers, DÖV 1988, 749/753 ff.; Schoch, DVBl. 1988, 863/865 f., 874 ff., 878; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/29. Vgl. auch BVerfGE 93, 121/133 f. Ähnlich Hesses Ansatz (Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/178 ff.), der den Gleichheitssatz mit Hilfe sozialer, politischer und ethischer Gesichtspunkte konkretisieren möchte. 587 Vgl. Geiger, Staats- und Verwaltungswissenschaftliche Beiträge 1957, 167/168. 588 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 1 ff.; Nawiasky, VVDStRL 3 (1927), 25/30 ff. („systematische Auslegung“); Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 13. 589 Vgl. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 28.

258

§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

dann nicht weiterhelfen können, wenn auf den allgemeinen Gleichheitssatz zurückgegriffen werden muß.590 Die Verfassung enthält auch außerhalb der speziellen Gleichheitssätze eine ganze Reihe an Differenzierungsverboten, -geboten und -erlaubnissen, die zugleich Maßstäbe zur Bildung der relevanten Vergleichsgruppen liefern.591 Die von der Verfassung vorgegebenen Maßstäbe sind vielfältig. Die Darstellung der einzelnen Aspekte ist Aufgabe einer Kommentierung.592 Hier kann es nur darum gehen, die Richtigkeit und Leistungsfähigkeit dieses Ansatzes nachzuweisen. Einen ersten und sehr bedeutenden Vergleichsmaßstab liefert Art. 1 Abs. 1 GG, wonach jedem Menschen die gleiche Würde zukommt. Damit macht das Grundgesetz von vornherein deutlich, welcher Wert den wichtigsten Vergleichsmaßstab für den allgemeinen Gleichheitssatz darstellt.593 Der allgemeine Gleichheitssatz greift die Garantie der Menschenwürde als Grundthema der Verfassung wieder auf.594 Schon allein durch die Heranziehung des Art. 1 Abs. 1 GG verliert der allgemeine Gleichheitssatz seine Beliebigkeit. Er kann nun nicht mehr – nach Gutdünken des Rechtsanwenders – für oder gegen eine bestimmte Behandlung angeführt werden, ohne selbst Einfluß hierauf auszuüben. Art. 1 Abs. 1 GG fordert grundsätzlich eine egalitäre (Rechts-) Subjektstellung des Menschen.595 Damit sagt er sehr deutlich, wann eine Abwertung eines Menschen unzulässig ist, und wann eine Ungleichbehandlung – z. B. zur Beseitigung faktischer Ungleichheiten – geboten oder auch nur zulässig ist, um die Menschenwürde zu schützen.596 Hieraus folgen Gleichheitsgarantien wie u. a. die gleiche Rechtsfähigkeit, die Rechtsschutzgleichheit, gleiches rechtliches Gehör etc., welche einen Kanon egalitärer Basisrechte bilden.597 Aus dem Kanon egalitärer Basisrechte folgt, daß jedem dieselbe Chance eingeräumt ist, seine Freiheitsrechte auszuüben.598 Diese für die Chancengleichheit erforderlichen gleichen Bedingungen werden in erster Linie durch Rechtsgleichheit (schematische Gleichbehandlung) geschaffen. Die Chancengleichheit geht jedoch darüber hinaus, da eine Rechtsgleichheit bei vorhandenen faktischen Ungleichheiten noch keine gleichen Startbedingungen schafft.599 Dabei geht sie nicht so weit, faktische Gleichheit zu fordern, sondern es geht allenfalls um eine maßvolle Angleichung der faktischen Verhältnisse.600 Auf diesen egalitären Gewährleistungen bauen die Freiheitsrechte, die allen (bzw. 590 Fuß,

JZ 1959, 329/335 f.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 13. JZ 1959, 329/336 ff.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 17. 592 Vgl. hierzu Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 55 ff. 593 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 3. 594 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 I Rn. 6 ff., 12; Art. 3 I Rn. 3. 595 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 5; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 46 f. 596 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 5. 597 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 29 ff. und oben § 4 C. III. 2. (S. 225 ff.). 598 Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 51. 599 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 34 ff. 600 Vgl. zur faktischen Gleichheit unten § 5 B. I. 4. (S. 295). 591 Fuß,

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allen Deutschen) gleich garantiert werden, auf. Damit ist keine faktische Gleichheit in der Ausübung der Freiheitsrechte gemeint, sondern die gleiche Möglichkeit der Ausübung. Diese bedarf jedoch aus Gründen der Gemeinverträglichkeit einer Einschränkung. Deswegen sind die (Freiheits-) Grundrechte mit Schrankenvorbehalten versehen. Aus diesen folgen Differenzierungserlaubnisse. Sie treffen zumindest mittelbar eine Aussage darüber, welche Vergleichsgruppen bei einer Gleichheitsprüfung gebildet werden können, d. h. welche wesentlich gleich sind.601 Deutlich ist dies z. B. bei Art. 11 Abs. 2 GG, der eine bestimmte Gruppe bildet, indem er Eingriffe unter anderem zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung gestattet. Differenzierungsgebote folgen deutlich aus Art. 6 Abs. 1 GG für Ehen bzw. Familien gegenüber Ledigen bzw. Ehen ohne Kinder. Art. 6 Abs. 4 GG gewährt der Mutter einen Anspruch auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft.602 Zur Interpretation des Gleichheitssatzes muß das Sozialstaatsprinzip herangezogen werden. Es macht deutlich, daß es im Rahmen der Gleichheitsprüfung nicht nur auf eine rechtliche Gleichheit ankommen kann, sondern daß auch eine Angleichung im Faktischen in Betracht kommt.603 Damit verknüpft das Sozialstaatsprinzip die rechtliche Gleichheit mit der faktischen Gleichheit, indem es rechtliche Differenzierungen – wie z. B. die Steuerprogression – zur Herstellung der Gleichheit im Tatsächlichen gestattet. Die rechtliche Gleichheit wird also vom Sozialstaatsprinzip durch die Aufforderung ergänzt, sozialen Ausgleich herzustellen.604 Es liegt eine weitere Differenzierungserlaubnis vor. Angesichts des notwendigen Spielraums des Gesetzgebers kann freilich nicht von einem Differenzierungsgebot ausgegangen werden. Dieser Ansatz sieht sich trotz seiner erheblichen Konkretisierung der wesentlichen Gleichheit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG dem Einwand ausgesetzt, daß nach wie vor eine erhebliche Bandbreite möglicher Vergleichsgruppen verbleibt, die durch Auslegung nicht klar weiter eingegrenzt werden kann. Dies wird besonders deutlich, wenn man mit Huster605 fordert, daß der Gesetzgeber bei der Wahl des Gerechtigkeitsmaßstabs nur an das Wilkürverbot gebunden sein soll, sich an diesen Maßstab dann aber – grundsätzlich – strikt zu halten hat.606 Dieses Argument muß, will der Ansatz leistungsfähig sein, entkräftet werden: Die bisherigen Ausführungen haben dem Gleichheitssatz Inhalt und Richtung vorgegeben. Sie können und dürfen jedoch nicht zu einer Einengung des Gleich601 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 20; vgl. auch Selmer, AöR 101 (1976), 399/447. 602 Vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 19 mit weiteren Beispielen. 603 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 27. 604 Ipsen, Gleichheit, S. 173 ff./175; Scholler, Gleichheitssatz, S. 15; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 28. 605 Huster, Rechte und Ziele, S. 224 f., 226 ff., 244. 606 Kritisch zu Recht Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 29.

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

heitssatzes auf nur eine einzige richtige Lösung führen. Sowohl was den Inhalt als auch was die Bildung der Vergleichsgruppen betrifft, verbleiben dem Gesetzgeber erhebliche (Beurteilungs-) Spielräume, da zahlreiche Fragen von der Verfassung nicht vorentschieden sind.607 Die Verfassung überläßt die Entscheidung dem unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgeber. Insoweit stößt auch das Bundesverfassungsgericht an seine funktionell-rechtliche Grenze. Der Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers ist dabei jedoch nicht grenzenlos. Art. 3 Abs. 1 GG hält auch hier einen verfassungsrechtlichen Maßstab bereit, nämlich den der Systemgerechtigkeit und den Konsequenzgedanken.608 Auch im Rahmen freier Vergleichsgruppenbildung durch den Gesetzgeber und den dadurch errichteten Regelungssystemen müssen aufgrund des Art. 3 Abs. 1 GG die vom Gesetzgeber selbst statuierten Sachgesetzlichkeiten beachtet werden.609 Man mag formulieren, daß zuungunsten des Gesetzgebers die Argumentationslast umgekehrt wird.610 Der vom Gesetzgeber zugrunde gelegte Maßstab muß in der gesamten Ordnung eines Lebensbereichs konsequent durchgehalten werden. Die aus dem verfassungsrechtlichen Kontext folgenden Wertungen fließen in den Gedanken der Systemgerechtigkeit ein.611 Erst wenn mehrere Wertungen möglich sind, greift der Gedanke der Systemgerechtigkeit und läßt dem Gesetzgeber die (fast) freie Auswahl. Eine einmal getroffene Wahl muß aber konsequent umgesetzt werden. So schreibt die Verfassung z. B. ein bestimmtes Wahlsystem (Mehrheitswahl oder Verhältniswahl) nicht vor. Entscheidet sich der Gesetzgeber aber für das Verhältniswahlrecht, muß er die Erfolgswertgleichheit aller Stimmen gewährleisten, auch wenn dies im Fall der Entscheidung zugunsten des Mehrheitswahlrechts nicht der Fall gewesen wäre. Die Kritikpunkte verwandeln sich nachgerade zu einem Argument für den hier verfolgten Ansatz, weil es möglich bleibt, den Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers zu berücksichtigen, ohne ihn letztlich wie bei der Willkürformel gänzlich von jeder – zumindest effektiven – Kontrolle freizustellen. Schon die Wahl des Maßstabs erfolgt in verfassungsrechtlich geordneten Bahnen. Auch wo die Verfassung konkrete Maßstäbe nicht vorgibt und der Gesetzgeber frei in der Wahl des Maßstabs ist, muß nicht auf das Willkürverbot rekurriert werden, wonach jede nicht willkürliche Wahl des Gleichheitsmaßstabs zulässig wäre.612 Vielmehr 607 Starck

in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 44. in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 35 f.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 44 ff. 609 Vgl. BVerfGE 9, 20/28; 13, 331/340; 24, 75/100; 85, 238/247. 610 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 44, Fn. 223. Insoweit ist dem Ansatz von Podlech, Gehalt, insbesondere S. 87 zuzustimmen, der den allgemeinen Gleichheitssatz als Argumentationslastregel versteht. Eine Verallgemeinerung dahingehend, daß der allgemeine Gleichheitssatz nur eine Argumentationslastregel enthalte, folgt daraus indes nicht. 611 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 52. 612 So aber Huster, Rechte und Ziele, S. 224, 226 ff., 244. 608 Heun

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gibt auch hier die Verfassung insbesondere durch die Grundrechtsgewährleistungen Grenzen vor, innerhalb derer sich der Gesetzgeber frei entscheiden kann. Insofern konkretisiert der Gesetzgeber in verfassungskonformer Weise den Begriff der wesentlichen Gleichheit. Der Begriff verliert dadurch seine Ambivalenz und Unschärfe. Der Widerspruch, daß der Gesetzgeber bei der Wahl des Maßstabs nur nicht willkürlich handeln dürfe, im übrigen aber völlig frei sei, dann aber an den einmal gewählten Maßstab streng gebunden sei,613 löst sich dadurch auf. Die Maßstäbe folgen in jedem Fall aus dem Grundgesetz. An dieses ist der Gesetzgeber ohnehin gebunden. Daran ändert sich allein aufgrund der Tatsache, daß die Verfassung in Teilen die Ausfüllung des Maßstabs dem Gesetzgeber beläßt, nichts. Denn auch dieser Konkretisierungsvorgang geschieht verfassungsimmanent. Er erhält seine Grenzen und seinen Inhalt aus den in der Verfassung vorhandenen Differenzierungsgeboten, -verboten und -erlaubnissen. Da die Verfassung die Konkretisierung selbst enthält und zugleich die Bindung des Gesetzgebers an den Begriff anordnet (Art. 1 Abs. 3 GG), liegt nichts Widersprüchliches darin, daß der Gesetzgeber an seine eigene, verfassungsrechtlich determinierte Konkretisierung gebunden ist und jede Abweichung hiervon einer Rechtfertigung bedarf. Die unterschiedlichen Ebenen der Normhierarchie stehen nicht beziehungslos über- und nebeneinander, sondern sind miteinander verbunden. Das einfache Recht, welches den vom Gesetzgeber gewählten Maßstab enthält, zieht den in der Gesamtverfassung angelegten Gleichheitsbegriff lediglich nach.614 Im Steuerrecht z. B. ist verfassungsrechtlicher Maßstab, der die wesentliche Gleichheit bestimmt, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.615 Dies bedeutet, daß in vertikaler Hinsicht die Besteuerung niedriger Einkommen im Vergleich zur Steuerbelastung höherer Einkommen dem Gebot der genügen muß.616 Horizontal müssen die Steuerpflichtigen bei gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit gleich hoch besteuert werden.617 Ziel ist stets die gleichmäßige Verteilung von Lasten und Leistungen. Die steuerrechtlichen Regelungen wollen diesem Maßstab entsprechen und in diesem Sinne eine sachgerechte Gleichheit schaffen.618 Es ist gerade nicht intendiert, von dem Maßstab, d. h. von der in diesem Sinne definierten Gleichheit abzuweichen. Die im Steuerrecht gleichwohl vorhandenen Differenzierungen dienen im Gegenteil gerade dazu, die verfassungsrechtlichen Differenzierungsgebote und -erlaubnisse zu erfüllen und nicht, den 613 Heun

in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 29. erinnert zu Recht an die Herstellung praktischer Konkordanz, bei der die in der Verfassung angelegte Lösung von Grundrechtskollisionen vom einfachen Recht lediglich nachgezeichnet wird mit dem Ziel, jedem der Rechtsgüter zur möglichst optimalen Wirksamkeit zu verhelfen. Auch hier wird nicht bestritten, daß der Gesetzgeber an die Verfassung gebunden ist, auch wenn die Kollision effektiv erst durch das einfache Recht gelöst wird. 615 BVerfGE 8, 51/68 f.; 55, 274/302; 61, 319/343 f.; Wendt, NVwZ 1988, 778/783. 616 BVerfGE 82, 60/89. 617 BVerfGE 82, 60/89 f. 618 Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 93. 614 Dies

262

§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

Gleichheitsmaßstab in irgendeiner Form einzuschränken.619 Die vorgefundenen Ungleichheiten werden aufgegriffen und zum Anlaß für eine entsprechende Gestaltung genommen. Solche differenzierenden Regelungen führen zu einer schematischen, rechtlichen Ungleichbehandlung. Sie wurden aber eingeführt, um ein Regelungssystem zu bilden, welches dem verfassungsrechtlich abgeleiteten Gleichheitsmaßstab entspricht. Die schematisch verschiedenen Belastungen und Vergünstigungen dienen dazu, wesentlich gleiche Sachverhalte gleich zu behandeln. Es werden über die Herstellung wesentlicher Gleichheit hinaus keine weitergehenden Ziele verfolgt.620 Hier zeigt sich, daß die Rechtsordnung bemüht ist, im Tatsächlichen vorhandene Ungleichheiten aufzugreifen, um nur Gleiches gleich zu behandeln und damit sachwidrige Ergebnisse zu verhindern. In diesen Fällen liegt das Problem darin, die begünstigte und die belastete Gruppe richtig voneinander abzugrenzen. Da eine solche maßstabsgerechte Ungleichbehandlung im schematischen Sinne dazu führt, daß wesentlich Gleiches gleich behandelt wird, bedarf diese Ungleichbehandlung keiner Rechtfertigung. Die Zulässigkeit der Ungleichbehandlung folgt aus dem entsprechend den verfassungsrechtlichen Wertungen ausgelegten Gleichheitssatz unmittelbar selbst, nicht aus sonstigen (politischen) Zielen, die mit einer Belastung und Begünstigung angestrebt werden.621 Man kann formulieren, daß die Ungleichbehandlung den internen Zweck verfolgt, den Gleichheitssatz gerade zu verwirklichen, indem wesentlich gleiche Sachverhalte ihrer Eigenart entsprechend verschieden behandelt werden.622 Insoweit stellt der allgemeine Gleichheitssatz kein prima-facie Recht dar, in das eingegriffen wurde. V. Zwischenergebnis Der allgemeine verfassungsrechtliche Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG fordert die Gleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte. Der Gleichheitsbegriff des Art. 3 Abs. 1 GG setzt sich somit aus den Elementen der Wesentlichkeit und der Gleichbehandlung zusammen. In Abgrenzung zur Identität geht es stets nur um die Gleichheit hinsichtlich bestimmter Eigenschaften, die als wesentliche Gleichheit zu bezeichnen ist. Der Begriff der Gleichbehandlung im schematischen Sinne (rechtliche Gleichbehandlung) trägt zur Beantwortung der Wesentlichkeitsfrage nichts bei.623 Der Gleichheitssatz setzt die Bestimmung der wesentlichen Gleichheit voraus. Er619 Müller,

VVDStRL 47 (1989), 37/40; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 93. Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 94. 621 Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 94. 622 Vgl. Huster in: Berliner Kommentar, GG, Art. 3 Rn. 82 ff.; Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), 2/10. 623 Huster, Rechte und Ziele, S. 34. 620 Hierzu

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forderlich wird dadurch der Rekurs auf externe Wertungsvorgaben.624 Dabei muß nicht gleich soweit gegangen werden, daß man Art. 3 Abs. 1 GG als Gebot nicht mehr gleicher, sondern gerechter Behandlung interpretiert.625 Die Gleichheit kann nicht völlig mit der Gerechtigkeit gleichgesetzt werden.626 Die wesentliche Gleichheit läßt sich anhand verfassungsrechtlicher Vorgaben verfassungsimmanent bestimmen. Nicht der Gleichheitssatz dient damit der Bestimmung der Wesentlichkeit, sondern diese, verstanden als Ausdruck verfassungsrechtlicher Grundentscheidungen, konstituiert den Gleichheitssatz. Zu weit geht die Behauptung, der Gleichheitssatz sei nur ein Katalysator für anderweitig gewonnene Wertungen und deswegen semantisch gehaltlos.627 Durch das Gebot, wesentlich gleiche Sachverhalte bzw. Personen zu bestimmen, die dann – als Rechtsfolge – gleich zu behandeln sind, bekommt der Gleichheitssatz eine über die externen Wertungen hinausgehende Bedeutung. Diese schauen nur auf den Einzelfall, der Gleichheitssatz nun erweitert die Dimension um das Element des Vergleichs. Er stellt das Gebot auf, das, was anhand des übrigen Verfassungsrechts als wesentlich gleich beurteilt werden muß, in der relevanten Hinsicht gleich zu behandeln. Ungleichbehandlungen sind nur zulässig hinsichtlich nicht wesentlich gleicher Sachverhalte bzw. Personengruppen. Insofern enthält der Gleichheitssatz einen eigenständigen, nicht beliebig austauschbaren Inhalt.628 Aus den zur Konkretisierung des Wesentlichkeitsbegriffs herangezogenen externen Wertungen bildet sich ein bereichsspezifischer Maßstab. Bei der Auswahl des Maßstabs kann dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zustehen. Schematische Ungleichbehandlungen, die diesen Maßstab erfüllen, behandeln ungleiche Sachverhalte ihrem Wesen entsprechend ungleich. Sie widersprechen daher dem Gleichheitsgebot nicht, sondern bewirken materiell eine Gleichbehandlung. Man kann formulieren, daß solche Ungleichbehandlungen interne Ziele verfolgen, die gerade der Verwirklichung materieller Gleichheit dienen. Einer Rechtfertigung der staatlichen Maßnahme bedarf es nicht.

624 Vgl.

Kelsen, Gerechtigkeit, S. 25; Kriele, Gerechtigkeit, S. 93. Gusy, NJW 1988, 2505/2506; Robbers, Gerechtigkeit, S. 90. 626 Vgl. oben § 4 C. IV. 2. (S. 246 ff.). 627 So aber Podlech, Gehalt, S. 84 f.; Starck, Anwendung, S. 61 f.; Kelsen, Rechtslehre, S. 390 ff. Insoweit wie hier Huster, Rechte und Ziele, S. 35. 628 Anders Huster, Rechte und Ziele, S. 35 f. Da das Problem der Interpretation des Gleichheitssatzes darin besteht, auf der Grundlage der normativen Gleichheitsidee festzustellen, auf welche Gleichheiten es jeweils ankommt (S. 44), hält auch nach Huster offensichtlich der Gleichheitssatz die entscheidende Antwort selbst nicht bereit. 625 So

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

D. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 3 Abs. 1 GG – Rechtfertigungsebene Bislang wurden die Voraussetzungen einer Inhaltsbestimmung des Gleichheitssatzes auseinandergesetzt. Danach fordert Art. 3 Abs. 1 GG materielle Gleichbehandlung. Die Kompensation führt durch ihre Ausgleichsfunktion zur (Wieder-) Herstellung materieller Gleichheit. Dies legt es nahe, sie in der Prüfung der wesentlichen Gleichheit und damit im Schutzbereich des Gleichheitssatzes zu verorten. Dann würde sich jede Rechtfertigungsprüfung erübrigen. Es fände einzig eine Entsprechensprüfung statt. Maßstab für die Prüfung wäre die Frage, ob der Ausgleich durch das Kompensationsmittel nach Art und Umfang tatsächlich erfolgte. Die hierfür erforderlichen Wertungen liefert die Normebene, von der durch die zu kompensierende Maßnahme abgewichen wurde,629 im Kontext des Art. 3 Abs. 1 also diejenigen verfassungsrechtlichen Regelungen, welche die wesentliche Gleichheit i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG konstituieren. Dies ist so selbstverständlich allerdings nicht. Liegt ohne Kompensation eine Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Personen oder Sachverhalte vor, und damit ein prima-facie-Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil die hoheitliche Regelung einen externen Zweck wie z. B. den Umwelt- oder den Gesundheitsschutz verfolgt, stellt sich der Kompensationsgedanke eher als Problem der Rechtfertigung dar. Um die Frage nach dem dogmatischen Standort der Kompensation richtig beantworten zu können, muß folglich auch die Rechtfertigungsebene des Art. 3 Abs. 1 GG näher untersucht werden mit dem Ziel, die Möglichkeit einer Integration des Kompensationsgedankens auf dieser Stufe feststellen zu können. I. Schranken des Gleichheitsrechts Der allgemeine Gleichheitssatz ist nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 GG ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht, das an sich einzig durch Rechtsgüter mit Verfassungsrang eingeschränkt werden dürfte. Jedoch würde so die Eingriffsund Schrankendogmatik der Freiheitsgrundrechte undifferenziert auf den allgemeinen Gleichheitssatz übertragen. Der Gleichheitssatz enthält ganz ähnlich wie Art. 2 Abs. 1 GG eine zu umfassende Gewährleistung, als daß er nur durch Verfassungsrechtsgüter beschränkt werden könnte. Die Schrankenziehung hat sich daher an Art. 2 Abs. 1 GG zu orientieren. Der Gleichheitssatz steht folglich unter dem Vorbehalt der legitimen Verfolgung anderer Ziele.630 629 Vgl.

oben § 2 C. II. 3. (S. 68). Rechte und Ziele, S. 239; ähnlich Kloepfer, Gleichheit, S. 58.

630 Huster,

D. Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 3 Abs. 1 GG

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II. Verhältnismäßigkeit und externe Zwecke 1. Kollisionslage bei Art. 3 Abs. 1 GG Der Verwirklichung des allgemeinen Gleichheitssatzes durch Verschiedenbehandlungen bei wesentlich ungleichen Sachverhalten steht die bewußte und gewollte Abweichung von der von Art. 3 Abs. 1 GG an sich gebotenen Gleichbehandlung gegenüber. Es werden in diesem Fall durch die Ungleichbehandlung sog. externe Ziele verfolgt, wie z. B. der Umwelt- oder der Gesundheitsschutz, Erwägungen der Verwaltungspraktikabilität etc. Die Ungleichbehandlung erfolgt trotz wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte. Wenn die Maßnahmen nicht mehr der Herstellung wesentlicher Gleichheit dienen, sondern dieses Recht beschränken, indem jenseits der Gleichbehandlung liegende Ziele verfolgt werden, kann man davon sprechen, daß externe Zwecke verfolgt werden. Es liegt eine Kollision zwischen dem prima-facie-Recht auf Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem und dem externen Ziel vor. Dieses kann sich gegenüber dem Gebot, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln, nur durchsetzen, wenn es ein höheres Schwellengewicht entfaltet als das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Auflösung einer solchen Kollision verschiedener Rechte erfolgt grundsätzlich mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.631 Einwände gegen die Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der Gleichheitsprüfung gehen zu Recht dahin, daß der grundlegende Unterschied zwischen einer Gleichheitsprüfung und einer Verhältnismäßigkeitsprüfung darin besteht, daß der Gleichheitssatz einen Vergleich mehrerer vergleichbarer Tatbestände erfordert mit dem Ziel, diese Relation als angemessen zu beurteilen. Er verlangt aber keine Abwägung zwischen Ziel und Mittel, wie sie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz kennzeichnet.632 Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zieht keinen solchen Vergleich, sondern beurteilt die Einschränkung eines Rechts auf ihre Angemessenheit im Verhältnis zum angestrebten Ziel. Es handelt sich um eine vom Vergleichstatbestand gelöste Prüfung. Auch auf nur einen einzelnen zu beurteilenden Fall kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Anwendung finden.633 Trotz dieser Bedenken wird eine Übertragung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf die Gleichheitsprüfung versucht.634 Dieser Ansatz ist 631 Vgl.

oben § 3 C. I. 4. (S. 136). JZ 1991, 955/958 f.; Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 163 (S. 911 f.), Rn. 289 (S. 965); Kirchhof , HdbStR V, § 125 Rn. 101 (S. 1013); Lerche, Übermaß, S. 30; Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/41. 633 Jakobs, Verhältnismäßigkeit, S. 40; Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 161 ff. (S. 911 ff.); Kirchhof , JZ 1989, 453/462; Kirchhof , FS-Geiger, S. 85 f.; Lerche, Übermaß, S. 29 ff.; Lübbe-Wolff , Grundrechte, S. 258 ff., die sich gegen Kloepfer wendet; Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/41; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 96. 634 Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 20 ff., 29 ff.; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 26 ff.; Jarass, AöR 120 (1995), 345/361 ff.; Kloepfer, Gleichheit, S. 56 ff.; Maaß, NVwZ 1988, 14/19 ff.; 632 Höfling,

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

jedoch schon nicht in der Lage, die genannten Bedenken gegen die pauschale und undifferenzierte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu entkräften. Schon gar nicht passen die Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeitsprüfung unbesehen auf den Gleichheitssatz. Diese kann nur dann zur Lösung herangezogen werden, wenn es um die Auflösung eines Konflikts mehrerer Rechtsgüter geht.635 Eine solche Konfliktlage liegt der Gleichheitsprüfung jedoch typischerweise nicht zugrunde. In zahlreichen Fällen werden Verschiedenbehandlungen mit Erwägungen gerechtfertigt, die ausschließlich an Unterschiede zwischen den verschieden behandelten Personen bzw. Sachverhalten anknüpfen und diese Unterschiede anhand des von der Verfassung vorgegebenen Maßstabs messen.636 Es findet dort eine Entsprechensprüfung statt, welche der Überprüfung dient, inwieweit eine Ungleichbehandlung dem vom Gesetzgeber gewählten verfassungsrechtlichen Maßstab entspricht und inwieweit der Maßstab seinerseits verfassungsgemäß ist.637 Diese maßstabsgerechte (Un-) Gleichbehandlung bildet den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG. Nur wenn die hohe Hand einen externen Zweck verfolgt, greift sie in den Schutzbereich aufgrund der damit verbundenen Abweichung vom gewählten Maßstab ein. Die Forderung des Art. 3 Abs. 1 GG nach Gleichbehandlung und der darüber hinausgehende weitere Zweck stehen sich dann in einem Spannungsverhältnis gegenüber. In dieser Konfliktsituation kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Anwendung finden. Es liegt eine Zweck-Mittel-Relation vor, die mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bewertet werden kann.638 Diese Beurteilung findet auf einer zweiten Ebene – der Rechtfertigungsebene – statt. Der Gleichheitssatz ist ähnlich den Freiheitsrechten als prima-facie-Recht zu begreifen, in welches durch externe Zwecke eingegriffen werden kann. Die Eingriffe sind Abweichungen von der durch grundgesetzliche Wertungen konstituierten wesentlichen Gleichheit. Hier fügt sich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz problemlos in die Gleichheitsprüfung ein.639 Er nimmt den Platz ein, der ihm auch bei den Freiheitsrechten zukommt. Die Abweichung von der an sich gebotenen Gleichheit muß einem rechtmäßigen, insbesondere verfassungsmäßigen Ziel dienen, zur Zielerreichung geeignet, erforderlich und aufgrund einer AbwäMartini, Absolute Rechtsgleichheit, S. 266 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 440 ff.; Robbers, DÖV 1988, 749/751 ff.; Schoch, DVBl. 1988, 863/874 ff.; Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 35 ff.; Stein/ Frank, Staatsrecht, § 48 II (S. 384 ff.); Weber-Dürler, Rechtsgleichheit, S. 66 ff.; Wendt, NVwZ 1988, 778/784 ff. Ähnlich Podlech, Gehalt, S. 117. Dagegen Hesse, AöR 109 (1984), 174/188 ff. 635 Vgl. oben § 3 C. I. (S. 113 ff.). 636 Vgl. Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 27; Huster, Rechte und Ziele, S. 142 ff., 165 ff. und Huster in: Berliner Kommentar, GG, Art. 3 Rn. 87 ff. (Entsprechensprüfung); Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 92 ff. 637 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 27. 638 Vgl. z. B. Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 27 f. 639 Bleckmann, Gutachten D für den 55. DJT, S. 78 f.; Kreussler, Gleichheitssatz, S. 88 ff./90; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 97.

D. Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 3 Abs. 1 GG

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gung zwischen dem angestrebten Ziel mit der Abweichung von der Gleichheit angemessen sein.640 2. Einwände gegen die Verhältnismäßigkeitsprüfung nur bei externen Zwecken Die strenge Trennung zwischen internen und externen Zwecken gelingt jedoch nur in der Theorie und in einer idealtypischen Betrachtung. So können mehrere Maßstäbe in einem Bereich ineinander laufen, oder es können interne und externe Ziele zugleich verfolgt werden. Im Beispiel der Besteuerung von oben641 wird eben nicht nur auf das Prinzip der Leistungsfähigkeit abgestellt, sondern auch auf gesellschaftliche Steuerungszwecke. Zumindest muß die Gleichheitsprüfung die stets vorhandenen unbeabsichtigten Steuerungswirkungen jeder (Un-) Gleichbehandlung aufgreifen.642 Hieraus wird nach teilweise vertretener Ansicht gefolgert, daß sich eine Unterscheidung zwischen externen Lenkungszwecken und verteilungspolitischen internen Zielen nicht ohne weiteres durchführen lasse.643 Diesen Bedenken Rechnung tragend wird zwar nicht stets eine abgestufte Gleichheitsprüfung aufgegeben. Die beiden genannten Zwecke werden jedoch nicht auf unterschiedliche Ebenen verteilt, sondern es soll eine Rechtfertigungsprüfung stattfinden, innerhalb derer eine einheitliche Abwägung vorgenommen wird. Diese Abwägung nimmt externe Ziele ebenso wie die Abweichung von den verfassungsrechtlichen Gleichheitsmaßstäben in sich auf. Es werden vermittelnde Positionen formuliert, die zwischen den Gegnern und den Befürwortern der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Gleichheitsprüfung stehen.644 Da in jeder Abwägung disparate Gesichtspunkte relevant würden, erlaube das Gebot einer sachgerechten Begründung von Ungleichbehandlungen eine Abwägung zwischen der Abweichung von zugrunde gelegten Maßstäben und der damit verfolgten Zielen.645 Dabei wird in Kauf genommen, daß diese Abwägung der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht entspricht.646 Die Verhältnismäßigkeit könne bei Art. 3 Abs. 1 GG nur den Relationscharakter des Gleichheitssatzes betonen,647 da sie strikt ohnehin nicht durchführbar sei. Die Ungleichbehandlung 640 Rüfner

in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 97. Die Abweichung ist eine Frage der Auflösung einer Kollisionslage und keine Frage nach dem Vorliegen von Gleichheit oder Ungleichheit. Anders aber Schneider, Güterabwägung, S. 100 f. 641 Vgl. oben § 4 C. IV. 3. (S. 261). 642 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 29; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 98. 643 Vgl. Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 29; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 98; anders Huster, Rechte und Ziele, S. 415, 426 ff.; Huster in: Berliner Kommentar, GG, Art. 3 Rn. 82 ff. 644 Vgl. oben Fn. 643. 645 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 29. 646 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 29 f. 647 Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/215; Ipsen, Gleichheit, S. 187 f.; Triepel, GoldbilanzenVerordnung, S. 29.

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

selbst oder die Abweichung vom Gerechtigkeitsmaßstab enthalte keinen Maßstab für die Eingriffsintensität, so daß es des Rückgriffs auf die Freiheitsrechte bedürfe.648 Die Verhältnismäßigkeit wird daher anders als bei den Freiheitsrechten verstanden und geprüft. III. Reine Verhältnismäßigkeitsprüfung Während sich nach dem bislang verfolgten Ansatz aus dem allgemeinen Gleichheitssatz selbst keine inhaltlichen Kriterien ableiten lassen, sondern der allgemeine Gleichheitssatz mit Wertungen aus anderen Verfassungsbestimmungen zu füllen ist,649 wird nach teilweise vertretener Ansicht vom anderen Extrem ausgegangen, daß nämlich eine absolute Rechtsgleichheit den Schutzbereich des Gleichheitssatzes konstituiere. In diesen werde durch – freilich fast alle – Gesetze eingegriffen, die Rechtfertigung gelinge mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aufgrund eines ungeschriebenen Gesetzesvorbehalts.650 Die Grundstruktur des allgemeinen Gleichheitssatzes entspreche derjenigen der Freiheitsrechte. Hier wird jedoch eine nicht ohne weiteres passende Dogmatik dem Gleichheitssatz oktroyiert.651 Es kann schwerlich angenommen werden, daß absolut jede Rechtsnorm in den „Schutzbereich“ des Art. 3 Abs. 1 GG eingreift und einer Rechtfertigung auf einer dritten Ebene bedarf. Zwar schützt auch Art. 2 Abs. 1 GG jede Handlung des Menschen – wohl wissend, daß in den meisten Fällen eine Einschränkung erforderlich ist. Jedoch sind beide Konstellationen nicht vergleichbar. Eine vergleichbar umfassende Gewährleistung bei Art. 3 Abs. 1 GG würde nicht nur zahlreiche Eingriffe erforderlich machen, sondern gar zu einer inhaltlichen Modifikation des Grundrechts führen. Es wäre nämlich keine Gleichbehandlung gewährleistet, sondern Art. 3 Abs. 1 GG würde zumindest seinem Schutzbereich nach die Identität aller Menschen fordern. Das Grundgesetz geht jedoch gerade von der Individualität eines jeden Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG) aus, so daß allenfalls eine Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem gemeint sein kann. Auch Art. 2 Abs. 1 GG knüpft an die Individualität an und legt die Freiheit des Menschen zugrunde, welche nach dem freiheitlichen Verständnis des Grundgesetzes grundsätzlich umfassend anerkannt wird. Insoweit ist es konsequent und richtig, daß Art. 2 Abs. 1 GG eine umfängliche Gewährleistung enthält – anders als Art. 3 Abs. 1 GG. 648 Heun

in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 30. oben § 4 C. IV. 3. (S. 255 ff.) und Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 28; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 16 ff. 650 Kloepfer, Gleichheit, S. 58 (Art. 3 Abs. 1 GG stehe unter immanenten Beschränkungen); Martini, Absolute Rechtsgleichheit, S. 162 ff., 259. 651 Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 27 (ein ungeschriebener Gesetzesvorbehalt sei „eine verfassungsrechtlich kaum zu rechtfertigende Konstruktion“). 649 Vgl.

D. Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 3 Abs. 1 GG

269

Für eine derartige Interpretation des Art. 3 Abs. 1 GG wird der Vorteil einer klareren Strukturierung der Gleichheitsprüfung reklamiert, wodurch es zu einer Offenlegung der relevanten Gedankengänge und Argumentationen käme.652 Doch verfängt dieses Argument schon allein deswegen nicht, weil die ersten beiden Stufen Schutzbereich und Eingriff dann Durchlaufposten darstellen würden. Erst auf der Rechtfertigungsebene gälte es, Farbe zu bekennen, so daß sämtliche maßgeblichen Probleme auch erst an dieser Stelle erörtert würden. Letztlich wird damit die überkommene Gleichheitsprüfung vorgenommen, nur daß sich diese auf drei Stufen verteilt.653 Wirklich mehr Klarheit ist durch die Trennung und Parallelisierung mit der Dogmatik der Freiheitsgrundrechte nicht gewonnen. Sie wird im Gegenteil der besonderen (inhaltlichen) Strukturierung des Gleichheitssatzes gerade nicht gerecht. Es ist keineswegs sinnvoll, einen Schutzbereich zu schaffen, in den der Staat beständig eingreifen muß, da eine Rechtsordnung ohne Differenzierungen von vornherein nicht auskommt. Einem Schutzbereich, der stets der Einschränkung bedarf, kommt kaum ein eigenständiger Wert zu. Von einem prima-facie-Recht zu sprechen, verbietet sich, da prima facie Eingriffe gerade erforderlich und zulässig sind. Der absoluten Gleichheit als völlig wertungsfreiem Begriff kann kein Schwellengewicht materieller Art zukommen. Der Schutzbereich eines Rechts ist jedoch gerade durch ein solches Schwellengewicht gekennzeichnet. Es könnte sich daher allenfalls um ein bloß formelles Prinzip handeln. Die Bestimmung von Gleichheit im Unterschied zu Identität setzt indes zwingend eine Wertung voraus.654 Da diese Wertung spätestens auf der Rechtfertigungsebene getroffen werden muß, führt dieser Ansatz nicht zu einer Vereinfachung, eher zu einer Verschleierung des Problems. Es bliebe eine allgemeine Abwägung übrig, die eine Kollisionslage nicht zur Voraussetzung hat. Auch die Kollision von absoluter Rechtsgleichheit und dem Eingriffszweck stellt nur scheinbar eine Kollision dar. Da die Gleichheit materiell inhaltslos wäre und lediglich ein formelles Prinzip darstellen würde, läge lediglich formal betrachtet ein Konflikt vor. Ein eigenständiges Schwellengewicht entfaltet die Gleichheit erst, wenn sie mit externen Wertungen aufgefüllt wurde. Dies ist hier jedoch gerade nicht der Fall. Die Wertungen sollen erst im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf Rechtfertigungsebene vorgenommen werden. Auch hier ist der Königsweg folglich noch nicht eingeschlagen.

652 Kloepfer,

Gleichheit, S. 56. VVDStRL 47 (1989), 37/41. 654 Vgl. oben § 4 C. I. 3. (S. 205 ff.). 653 Müller,

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

IV. Modifizierte Verhältnismäßigkeitsprüfung 1. Gliederung nach Differenzierungskriterien und Differenzierungszielen Da eine reine Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 3 Abs. 1 GG nicht ohne weiteres vorgenommen werden kann, wird versucht, dem allgemeinen Gleichheitssatz selbst justitiable Kriterien für eine Gleichheitsprüfung zu entnehmen, ohne auf externe Wertungen wie die Gerechtigkeit oder andere Verfassungsbestimmungen zurückgreifen zu müssen.655 Dies soll gelingen, indem die Prüfung in die Beurteilung der Differenzierungskriterien, der Differenzierungsziele und des Verhältnisses beider gegliedert wird.656 Die Differenzierungskriterien (Tatbestandsmerkmale) führen zu unterschiedlichen Rechtsfolgen, hinter denen rechtspolitische Ziele stehen (Differenzierungsziele). Alle Differenzierungskriterien und -ziele, die nicht dem Grundgesetz widersprechen, seien erlaubt. Soll die Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung beurteilt werden, komme es auf die Angemessenheit der Differenzierungskriterien in ihren praktischen Auswirkungen im Verhältnis zum Differenzierungsziel an. Da es hier um ein Verhältnis von Mitteln und Zielen gehe, sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anwendbar. Das Differenzierungskriterium, d. h. die Abgrenzung des Adressatenkreises müsse geeignet und erforderlich sein, das Differenzierungsziel zu erreichen. Entsprechend dem formalen Charakter der Gleichheitsprüfung sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach zum Teil vertretener Aufffassung jedoch nur beschränkt anwendbar. Die Verhältnismäßigkeit i. e. S. werde nicht geprüft.657 In die Angemessenheitsprüfung fließen Wertungen mit ein, die nicht unmittelbar dem Gleichheitssatz zu entnehmen sind. Heranzuziehen sind bei Gesetzen die Wertentscheidungen des Grundgesetzes, bei Verwaltung und Rechtsprechung ergänzend die einfachen Gesetze.658 Auch dieser Ansatz muß also zugestehen, daß eine Gleichheitsprüfung nicht ohne Heranziehung externer Wertungen möglich ist. Die meisten Autoren, welche einen gestuften Ansatz vertreten, insbesondere die Verhältnismäßigkeitsprüfung in die Gleichheitsprüfung integrieren wollen, folgen diesem differenzierenden Ansatz.659 Einerseits wird gefordert, daß das Regelungsziel verfassungskonform sein, das Differenzierungskriterium diesem Ziel entsprechen und seine Realisierung gewährleistet sein müsse.660 Andererseits wird auf einen inneren sachlichen Zusammenhang zwischen den tat655 Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 12 ff.; Schoch, DVBl. 1988, 863/877 ff.; Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 25, 35 ff.; schon Stein, Staatsrecht, S. 203 ff. 656 Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 40 ff. 657 Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 42. 658 Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 43. 659 Ein Überblick über die unterschiedlichen Positionen gibt Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 26 f. 660 Pracht, Gesetzeszweck und allgemeiner Gleichheitssatz, S. 65 ff., 72, 51 f.

D. Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 3 Abs. 1 GG

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sächlichen Verschiedenheiten und der spezifischen Eigenart der differenzierenden Regelung, der sich nach dem Regelungszweck bemißt, abgestellt.661 Oder man hält die Begründbarkeit des Differenzierungskriteriums aus dem gesetzlichen Regelungsziel, welches zur Ungleichbehandlung führt, für entscheidend.662 Man könnte auch die Frage nach dem Vorliegen eines sachlichen Grundes und damit die verfassungsrechtliche Rechtfertigung bejahen, wenn die getroffene Differenzierung ein geeignetes und erforderliches Mittel ist, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen663 bzw. wenn keine Alternative besteht, die den Regelungszweck besser verfolgt und zugleich die Personen, die nicht gefördert werden, milder und schonender behandelt.664 So wird auch ganz ähnlich formuliert, das Differenzierungsziel ebenso wie das Differenzierungskriterium als solche müßten verfassungsrechtlich zulässig sein und das Differenzierungsziel müsse geeignet, notwendig und angemessen sein.665 Es wird auch davon ausgegangen, daß es wesentlich von dem Grund, dem Zweck und den Auswirkungen der Regelung und von der Eigenart des jeweils betroffenen Sachbereichs abhängt, ob und inwieweit der Gesetzgeber bestehende Verschiedenheiten zum Anlaß für differenzierende Regelungen nehmen dürfe.666 Die Bedeutung des zu regelnden Sachverhalts für das Regelungsziel ist danach entscheidend für die Bestimmung des Vergleichsmaßstabs.667 Nachdem die prinzipielle Zulässigkeit der Differenzierung so feststeht, muß diese nach ihrer Art geeignet sein, den tatsächlichen Verschiedenheiten der Sachverhalte Rechnung zu tragen.668 Differenzierungsanlaß und Differenzierungsgehalt der Regelung müssen sich decken.669 Schließlich ist es erforderlich, daß die Differenzierung erforderlich und angemessen ist. Im Rahmen der Erforderlichkeit wird das Ausmaß der unterschiedlichen Rechtsfolgen auf seine Legitimität hin untersucht.670 Die Angemessenheit schließlich fragt danach, ob die festgestellte, spezifisch geartete Verschiedenheit derart gewichtig ist, daß sie eine Ungleichbehandlung wie die vorgenommene zu tragen vermag. Dabei ist das Gewicht der zu beurteilenden Ungleichbehandlung zu bestimmen und gegenüber dem Gewicht der als Anknüpfungspunkt gewählten Verschiedenheit abzuwägen.671 Das Ge661 Friauf ,

Diskriminierung, S. 14 ff./17. JuS 1982, 30/34; Gusy, NJW 1988, 2505/2507 ff. 663 Alexy, Theorie, S. 364 ff., 390 f. 664 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 442. 665 Alexy, Theorie, S. 390 f. mit Fn. 91; Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 29 (vgl. auch Rn. 16a ff.); Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 26 ff.; Schoch, DVBl. 1988, 863/874; Selmer, AöR 101 (1976), 399/445 mit Fn. 493a; wohl auch Maaß, NVwZ 1988, 14/20 f. 666 Wendt, NVwZ 1988, 778/782. 667 Wendt, NVwZ 1988, 778/783. 668 Wendt, NVwZ 1988, 778/784. 669 Wendt, NVwZ 1988, 778/784. 670 Wendt, NVwZ 1988, 778/785. 671 Wendt, NVwZ 1988, 778/785 f. Ebenso Hesse, AöR 109 (1984), 174/189; Katzenstein, Sondervotum, BVerfGE 74, 9/28/30; Kloepfer, Gleichheit, S. 62 ff. 662 Gusy,

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

wicht der vorgefundenen Verschiedenheit muß zu dem Gewicht der rechtlichen Differenzierung in einem angemessenen Verhältnis stehen.672 Diese Ansätze lassen sich auf einige grundlegende Gemeinsamkeiten reduzieren, welche das Prinzip dieser Auffassungen verdeutlichen. So kommt einerseits dem Begriff des Normzwecks zentrale Bedeutung in der Gleichheitsprüfung zu. Sei es, daß zunächst die Rechtmäßigkeit des Normzwecks als solchem beurteilt wird, sei es daß die Rechtmäßigkeit von Differenzierungskriterium und -ziel und die Angemessenheit dieses Verhältnisses geprüft wird.673 In dieser zweiten Prüfung ist im Unterschied zur ersten noch eine eigenständige Prüfung der Frage vorzunehmen, ob das Differenzierungskriterium rechtmäßig ist.674 Diese Prüfung ist jedoch isoliert vom Differenzierungszweck gar nicht vorzunehmen, da kaum ein Differenzierungskriterium für sich genommen von vornherein unzulässig ist.675 Hier findet also eine noch viel stärkere Verknüpfung der beiden Prüfungspunkte statt als bei der Unterscheidung von internen und externen Zwecken, welche zumindest prinzipiell jeder für sich betrachtet werden kann. Die Positionen stellen daher für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung entscheidend darauf ab, welchen Zweck die Regelung verfolgt und tragen damit zur Gleichheitsprüfung nicht mehr bei als die Forderung nach dem Vorliegen eines sachlichen Grundes bei der Willkürformel, so daß das Verhältnis von Entsprechens- und Verhältnismäßigkeitsprüfung unklar bleibt.676 Die deutlichere Konturierung des Gleichheitssatzes677 durch eine gestufte Prüfung wird verfehlt.678 Liegt ein externer Zweck vor, vermag dieser Ansatz nicht genau festzulegen, ob schon die Ungleichbehandlung zulässig ist, die zur Zweckverfolgung irgendetwas beiträgt, oder ob qualifizierte Anforderungen zu stellen sind. Liegt ein interner Zweck vor, bei dem die Ungleichbehandlung letztlich selbst der Zweck ist, bleibt es beim Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.679 2. Unterscheidung zwischen internen und externen Zwecken Schließlich wird eine Unterscheidung zwischen internen und externen Zwecken vorgenommen, so z. B. wenn behauptet wird, daß Ungleichbehandlungen nur aufgrund interner Zwecke zulässig sein können680 oder daß Un672 Wendt,

NVwZ 1988, 778/786; Selmer, AöR 101 (1976), 399/445 Fn. 493 a. Martini, Absolute Rechtsgleichheit, S. 101. 674 Huster, Rechte und Ziele, S. 184. 675 Huster, Rechte und Ziele, S. 184. 676 Huster, Rechte und Ziele, S. 185. 677 Gusy, NJW 1988, 2505/2507; Pracht, Gesetzeszweck und allgemeiner Gleichheitssatz, S. 65 ff. 678 Huster, Rechte und Ziele, S. 186 spricht von „Scheinrationalität“. 679 Hufen, Gleichheitssatz und Bildungsplanung, S. 90 mit Fn. 271; Huster, Rechte und Ziele, S. 186. 680 Fastenrath, JZ 1987, 170/176, Fn. 81; Kaufmann, VVDStRL 3 (1927), 2/10. 673 Vgl.

D. Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 3 Abs. 1 GG

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gleichbehandlungen nur im Zusammenhang mit dem Normzweck gesehen werden dürfen (externe Zwecke).681 Unzureichend ist allerdings, daß nur eine Art von Zwecken überhaupt für zulässig gehalten wird. Andere Vertreter erkennen die Unterschiede zwischen internen und externen Zwecken, ohne jedoch stets klar diese Unterschiedlichkeiten im Prüfungsablauf des Gleichheitssatzes entsprechend verschieden zu verorten.682 V. Kritik 1. Unbesehene Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Alle diese Ansätze führen zu einer – strukturell betrachtet – einheitlichen Rechtfertigungsprüfung. Eine Differenzierung findet insoweit nur in der Argumentation zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen statt.683 Dieser Weg verzichtet darauf, die Verhältnismäßigkeit lediglich dann heranzuziehen, wenn es um die Auflösung einer Kollision verschiedener Rechte geht. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung wird daher von ihrem Ursprung (der Kollisionslage) gelöst und verselbständigt. Mit dieser Verselbständigung geht jedoch ein zweifacher Verlust an Klarheit und Schärfe einher. Zum einen löst sie in der Konsequenz auch den Gleichheitssatz von dem Erfordernis eines Vergleichs und versteht ihn allgemein als (rechtsstaatliches) Willkürverbot. Zum anderen verliert der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz jede Struktur und wird zur Aufforderung allgemeiner Argumentation und Wertung: Die Angemessenheitsprüfung wird zur „grundlegenden Leitregel staatlichen Handelns, die wie die anderen Teilinhalte des Verhältnismäßigkeitsgebots als elementarer Bestandteil der Gerechtigkeit prinzipiell umfassende Geltung beanspruchen kann“.684 Die Leistung der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die Argumentation zu strukturieren, indem die verschiedenen Ebenen (insbesondere die naturwissenschaftlichen Kategorien der Geeignetheit und im wesentlichen auch der Erforderlichkeit einerseits und die normative Ebene der Angemessenheit andererseits) aufgehoben und vermischt werden, geht verloren. Von einem rationalen Konfliktlösungsmechanismus kann keine Rede mehr sein.

681 Pracht,

Gesetzeszweck und allgemeiner Gleichheitssatz, S. 32 ff., 56 ff.

682 Hufen, Gleichheitssatz und Bildungsplanung, S. 34 f., 90 Fn. 271, 134 f., der ähnlich wie hier zwi-

schen internen und externen Zwecken differenziert und teilweise den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur Beurteilung der Ziele staatlichen Handelns heranzieht; Bleckmann, Staatsrecht II, § 24 Rn. 43 ff. (S. 653 ff.); ähnlich Arnim, Gemeinwohl, S. 301 Fn. 39 und Arnim, Staatslehre, S. 158; Podlech, Gehalt, S. 117 m. w. N. 683 Dennoch sind diese Ansätze dem Husters so unähnlich nicht, Huster, Rechte und Ziele, S. 184. Vgl. Gusy, JuS 1982, 30/34; Gusy, NJW 1988, 2505/2507; Gubelt in: v. Münch/Kunig, GG, Art. 3 Rn. 12 ff., 22 ff.; Stein/Frank, Staatsrecht, § 48 II (S. 384 ff.); Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 48 ff. 684 Wendt, NVwZ 1988, 778/785.

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§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

Dabei wird zunächst keine einleuchtende Begründung dafür geliefert, warum der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerade bei Art. 3 Abs. 1 GG anders als sonst verstanden werden muß. Es entsteht eher der Eindruck, daß er mangels eines anderen, passenden Maßstabs herangezogen wird. Es genügt jedoch nicht, eine Rechtsfigur einzig deswegen anzuwenden, weil sie sich in anderem Zusammenhang bewährt hat. Um ihre Leistungsfähigkeit und Klarheit zu erhalten, muß ihr Anwendungsbereich auch eröffnet sein. Wer meint, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung grundsätzlich bei der Prüfung der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen heranziehen zu können, belegt dies meist anhand der Rechtfertigung externer Zwecke. So wird z. B. im Steuerrecht die Zulässigkeit einer Abweichung von dem verfassungsrechtlichen Maßstab der Lastenverteilung nach dem Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit mit Hilfe einer Abwägung gerechtfertigt. Abzuwägen ist das Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit (als verfassungsrechtliche Konkretisierung der wesentlichen Gleichheit) mit dem Gewicht der angestrebten Lenkungswirkung. In diesem Falle funktioniert die Rechtfertigung. Es kollidiert der angestrebte Lenkungszweck mit der vom Prinzip der Leistungsfähigkeit konkretisierten Gleichheit. Dieser externe Zweck wird zu Recht mit Hilfe der Verhältnismäßigkeitsprüfung gerechtfertigt. Ein Beweis, daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch Ungleichbehandlungen aufgrund interner Zwecke zu rechtfertigen vermag, bleibt aber aus. Das Argument, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einen zu scharfen Kontrollmaßstab darstelle, kann von vornherein nicht greifen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht per se schärfer als die bisherige Gleichheitsprüfung. Er nimmt vielmehr stets die das Kollisionsverhältnis dominierenden Wertungen in sich auf und bringt sie in einen Ausgleich. Dabei kann er, wenn es um bedeutende Rechtsgüter geht, selbstverständlich zu einer recht strengen Gleichheitskontrolle führen. Geht es hingegen nicht um solche Rechtsgüter, ist eine Ungleichbehandlung umso leichter zu rechtfertigen. Daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht umhin kommt, auf externe Wertungen zu rekurrieren, ist Kennzeichen dieser Rechtsfigur. Es handelt sich beim Verhältnismäßigkeitsgrundsatz um einen formalen Konfliktlösungsmechanismus, der für sich genommen keine Wertung enthält. Wertungen müssen stets anhand des Gesamtzusammenhangs, in dem die kollidierenden Rechte stehen, bestimmt werden. Auch die anderen Ansätze zur Prüfung des Gleichheitssatzes haben entsprechende Wertungen nicht von vornherein zur Hand, sondern müssen diese aus dem (verfassungsrechtlichen) Kontext entwickeln. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz weist aber den Vorteil auf, daß er einerseits recht genau bestimmt, welche Wertungen heranzuziehen sind. Andererseits gibt er ein Programm vor, wie die gefundenen Wertungen verarbeitet werden müssen und in einen Ausgleich gebracht werden können (vgl. das Abwägungsgesetz685 ). 685 Oben

§ 3 B. III. (S. 108).

D. Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 3 Abs. 1 GG

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2. Die Differenzierung zwischen internen und externen Zwecken Der Rechtfertigung externer Zwecke liegt methodisch die Kollision verschiedener Prinzipien des Verfassungsrechts zugrunde. Der Grundsatz der Gleichbehandlung wesentlich Gleichens kollidiert mit entgegenstehenden verfassungsrechtlichen Anliegen.686 Die Unterscheidung zwischen internen und externen Zwecken sowie die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur auf externe Zwecke müßte also einzig dann scheitern, wenn sich die Unterscheidung nicht durchführen ließe bzw. wenn sich nicht auszuräumende Einwände fänden, die schwerer wiegen als die ungenaue Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Gleichheitsprüfung. Solche Einwände betreffen hauptsächlich die Schwierigkeiten oder gar Unmöglichkeit der Abgrenzung interner von externen Zwecke. In der Regel liegen beide Zwecke einer Regelung zugrunde, oder der die wesentliche Gleichheit konstituierende Maßstab ist oft Ausdruck externer Ziele, verfolgt sie mit bzw. kann mit deren Hilfe überhaupt erst konkretisiert werden.687 Es käme einerseits zu einer Mischung beider Arten von Zwecken, so daß zwar eine klar strukturierte Gleichheitsprüfung vorliegt, diese ihre Klarheit und Struktur aber schnell wieder dadurch verliert, daß sie hinsichtlich dessen, was überprüft wird, völlig im Diffusen verbleibt. Jeder Gewinn, den die eingeführte Differenzierung versprach, schmilzt dahin. Externe Zwecke erführen eine mehrfache Prüfung: Einerseits als Mittel, die wesentliche Gleichheit zu konkretisieren, andererseits im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auf Rechtfertigungsebene.688 Umgekehrt können Gerechtigkeitserwägungen auch im Rahmen von Regelungen, die externe Ziele verfolgen, nicht völlig außer Acht gelassen werden.689 Diese Probleme weist die Gleichheitsprüfung vor allem dann auf, wenn die wesentliche Gleichheit anhand (individueller) Gerechtigkeitsmaßstäbe bestimmt wird. Diese sind in höchstem Maße konkretisierungsbedürftig, so daß man tatsächlich nicht umhin kommt, bereits an dieser Stelle externe Ziele heranzuziehen. Wird wesentlich Gleiches hingegen anhand verfassungsrechtlicher Wertungen bestimmt, erfolgt eine verfassungsimmanente Bestimmung, die ohne den Rekurs auf die vom einfachen Gesetzgeber gesetzten (externen) Zwecke auskommt. Auch die Vermischung interner und externer Zielsetzungen läßt sich in den Griff bekommen. Mit „Vermischung“ ist nicht gemeint, daß externe und interne Elemente in einem Ziel sich vereinigen, sondern daß eine Regelung zugleich interne und externe Ziele verfolgt. Hier ist eine Aufspaltung auch in der Prüfung 686 Rüfner

in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 101.

687 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 29; Rüfner

in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 98 f.; dagegen Huster, Rechte und Ziele, S. 415, 426 ff. 688 Vgl. Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 29. 689 Friauf , DStJG 12 (1989), 3/10 ff.; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 99.

276

§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

möglich. Soweit die Regelung einen internen Zweck verfolgt, muß eine Entsprechensprüfung vorgenommen werden, ob der interne Zweck dem Maßstab zur Bestimmung des wesentlich Gleichen entspricht, ob er also der Verwirklichung des Gleichheitssatzes gerade dient. Soweit es um externe Zwecke geht, findet eine reine Verhältnismäßigkeitsprüfung statt, welche die Kollision zwischen dem externen Ziel und dem Gleichheitssatz auflöst. Es geht also nicht nur darum, daß diese Unterscheidung die Schwerpunkte einer einheitlichen Gleichheitsprüfung bestimmt, so daß die Bindung an den Gleichheitssatz allgemein stärker ist, wenn und soweit eine gleichmäßige Verteilung angestrebt wird, abgeschwächt von gegenläufigen Prinzipien, wenn andere Ziele verfolgt werden.690 Die beiden genannten Kategorien (interne und externe Zwecke), die zu einer jeweils unterschiedlichen Gleichheitsprüfung führen, lassen sich präzise voneinander abgrenzen.691 Geht eine Verschiedenbehandlung auf die individuelle Eigenart der Personen zurück, d. h. wird sie aus Gründen vorgenommen, die in der Person selbst liegen (sog. interner Zweck),692 liegt eine Ungleichbehandlung (im schematischen Sinne) zwar vor, „eigentlich“ (d. h. im materiellen Sinne) werden beide Personengruppen aber gleich behandelt.693 Es besteht ein innerer Zusammenhang zwischen den Merkmalen und den differenzierenden Regelungen.694 Der innere Zusammenhang ergibt sich daraus, daß die Ungleichbehandlung erfolgt, um den Lebenssachverhalt entsprechend einem verfassungsrechtlich vorgegebenen Maßstab zu regeln. Da dieser verfassungsrechtliche Maßstab die (wesentliche) Gleichheit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG konstituiert, führt die schematische Ungleichbehandlung dazu, daß die Gleichheitsforderung des allgemeinen Gleichheitssatzes gerade erfüllt ist. Hier mangelt es in der Folge dessen an konfligierenden Gütern, die im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsbetrachtung gegeneinander abgewogen werden könnten.695 Die Ungleichbehandlung im schematischen Sinne findet einzig statt, um eine Gleichbehandlung im materiellen Sinn, d. h. in dem Sinne, was die Verfassung als „wesentlich gleich“ begreift, zu bewirken.696 Man findet in diesen Konstellationen keinen anderen Zweck der Ungleichbehandlung als den, dem vorgegebenen Maßstab zu entsprechen. Die (schematische) Ungleichbehandlung ist der Zweck selbst, weil sie den Maßstab verwirklicht. Dieser interne Zwecke ist nur eine Eigenschaft der Ungleichbehandlung. Die Erfüllung des Maßstabs ist kein außerhalb der Ungleichbehandlung liegendes Ereignis, das kausal durch die Ungleichbehandlung verursacht worden wäre. Die Mittel-Zweck-Relation des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes paßt auf diese Konstellation nicht. Es lassen sich einzig die Fragen aufwerfen, 690 So

aber Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 99. Huster, Rechte und Ziele, S. 165 ff. 692 Vgl. die ursprüngliche Formulierung des Willkürverbots durch Leibholz, Gleichheit, S. 87. 693 Huster, Rechte und Ziele, S. 168; Kirchhof , HdbStR V, § 124 Rn. 37 ff. (S. 852 f.). 694 Huster, Rechte und Ziele, S. 167. 695 Huster, Rechte und Ziele, S. 169; vgl. oben § 3 C. I. (S. 113 ff.) und § 3 C. I. 4. (S. 136). 696 Vgl. Huster, Rechte und Ziele, S. 173. 691 Hierzu

D. Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art. 3 Abs. 1 GG

277

ob der gewählte Maßstab der richtige, d. h. verfassungsmäßige, ist und ob die Ungleichbehandlung ihm entspricht.697 Dem stehen externe Zwecke gegenüber, die kausal durch die Ungleichbehandlung erreicht werden sollen. Hier soll kein verfassungsrechtlicher Gleichheitsmaßstab mehr erfüllt werden, sondern es soll die von Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistete Gleichheit ausnahmsweise durchbrochen werden, so daß ein prima-facieVerstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt.698 Hier liegen keine wesentlich ungleiche Personengruppen bzw. Sachverhalte vor, die aufgrund ihrer wesentlichen Ungleichheit auch ungleich behandelt werden müßten. Die Ungleichbehandlung erfolgt vielmehr gerade trotz der vorliegenden wesentlichen Gleichheit. Außer dem Ziel, materielle Gleichbehandlung wesentlich Gleichens zu bewirken, gibt es also noch andere Gründe, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen.699 Gerade eine materielle Ungleichheit soll einen Lenkungseffekt bewirken, der bei einer materiellen Gleichheit nicht hervorgerufen würde. Der äußere Zweck ist nicht bloße Eigenschaft der Ungleichbehandlung, sondern er steht selbständig neben ihr, läßt sich von ihr trennen. Aufgrund dieses Kausalverhältnisses und der vorliegenden Kollision zwischen materieller, wesentlicher Gleichheit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG und dem äußeren Zweck, ist eine Abwägung im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung möglich und auch erforderlich.700 Der Verstoß gegen den Gleichheitsmaßstab führt nicht automatisch zur Unzulässigkeit einer staatlichen Maßnahme, sondern lediglich zu deren Rechtfertigungsbedürftigkeit. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz findet hier im Rahmen der Rechtfertigung Anwendung. VI. Zwischenergebnis Da die Verhältnismäßigkeitsprüfung eine Kollision verschiedener Rechte voraussetzt,701 kann sie auf den allgemeinen Gleichheitssatz nicht unbesehen angewandt werden. Deswegen wird in der Regel die Verhältnismäßigkeitsprüfung modifiziert. Im Rahmen einer allgemeinen Abwägung werden die verschiedensten Regelungszwecke einer Angemessenheitsprüfung unterzogen. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung verliert jegliche Kontur. Eine solche Modifikation des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist nicht erforderlich. Verfolgt eine Regelung einen internen Zweck, d. h. liegt eine rechtliche Ungleichbehandlung vor, um Ungleiches ungleich zu behan697 Huster,

Rechte und Ziele, S. 173 f. Rechte und Ziele, S. 169; Huster in: Berliner Kommentar, GG, Art. 3 Rn. 120 ff. 699 Hueck, Grundsatz, S. 199 ff.; Huster, Rechte und Ziele, S. 169; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 89 ff. 700 Huster, Rechte und Ziele, S. 173 f. 701 Vgl. oben § 3 C. I. 4. (S. 136). 698 Huster,

278

§ 4 Gleichheit als Rechtsidee

deln, kann eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stattfinden. Es ist nur eine Entsprechensprüfung möglich, ob die Ungleichbehandlung dem verfassungsrechtlichen Maßstab wesentlicher Gleichheit entspricht (materielle Gleichbehandlung). Bei einem externen Zweck, der gerade nicht auf eine materielle Gleichbehandlung zielt, sondern einen sonstigen (Gemeinwohl-) Belang verfolgt, kollidiert hingegen dieser Zweck mit dem allgemeinen Gleichheitssatz, so daß eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ohne Modifikationen vorgenommen werden kann.

E. Ergebnis zu § 4 Der Gleichheitssatz gewährleistet in seinem Schutzbereich das Recht, nach den verfassungsrechtlichen Gleichheitsmaßstäben behandelt zu werden. Der Begriff der Gleichbehandlung muß zunächst im schematischen Sinne verstanden werden, ohne daß man hierbei stehen bleiben könnte. Ein Recht auf eine solche Gleichbehandlung existiert nicht. Ein solches Recht besteht nur im Vergleich zu wesentlich gleichen Personengruppen bzw. Sachverhalten. Dies folgt daraus, daß einerseits keine Identität gewährleistet sein kann, andererseits eine schematische Gleichbehandlung keinen eigenständigen Wert darstellt, der mit anderen Rechten in Konflikt geraten könnte.702 Die schematische Gleichbehandlung kann zu verfassungswidrigen Zuständen führen, wenn gerade die Ungleichbehandlung im konkreten Fall aufgrund der Tatsache, daß nicht alle Menschen in demselben Maße eine bestimmte Eigenschaft (z. B. die Bedürftigkeit) aufweisen, die richtige Behandlung darstellt.703 Deswegen kann es kein prima-facie-Recht auf schematische Gleichbehandlung geben. Erst wenn jemand in relevanter Hinsicht im Vergleich zu einem anderen gleich ist, kann sich hieraus ein Recht auf eine Gleichbehandlung ergeben. Allein eine Gleichbehandlung im normativen Sinne kann ein prima-facie-Recht konstituieren.704 Der Gleichheitssatz entfaltet wie die Freiheitsrechte ein bestimmtes Schwellengewicht und stellt deswegen ein Recht im eigentlichen Sinne dar, in das eingegriffen werden kann. Der Grundrechtsträger muß im Verhältnis zu anderen Personen, die ihm gegenüber wesentlich gleich sind, gleich behandelt werden. Eine Ungleichbehandlung ist nur zulässig, wenn es sich um wesentlich ungleiche Personengruppen bzw. Sachverhalte handelt. Der Gleichheitssatz ist daher ein Grundrecht auf Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem. Die verfassungsrechtlich gewährleistete Gleichheit meint eine wesentliche Gleichheit, die ihren Inhalt aus den Verfassungsbestimmungen erhält, die eine Gleichheitsaussage un702 Huster,

Rechte und Ziele, S. 228. Rechte und Ziele, S. 229. 704 Huster, Rechte und Ziele, S. 229. 703 Huster,

E. Ergebnis zu § 4

279

mittelbar oder mittelbar treffen. Diese Gleichheit im normativen Sinne konstituiert ein prima-facie-Recht mit eigenem Schwellengewicht.705 Der Begriff der schematischen Gleichheit wird so mehr oder weniger bedeutungslos.706 Verfolgt der Gesetzgeber mit einer Ungleichbehandlung das Ziel, durch eine Regelung wesentlich Gleiches gleich bzw. wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (interne Zwecke), ist dies eine Frage des Schutzbereichs des Gleichheitssatzes. Es ist damit die Frage nach der wesentlichen Gleichheit gestellt. Diese beantwortet sich anhand anderer Verfassungsbestimmungen, so daß zu prüfen ist, ob die Ungleichbehandlung diesem verfassungsrechtlichen Maßstab entspricht (Entsprechensprüfung). Verschiedenbehandlungen, die auf individuelle Rechte rekurrieren, sind daher zulässig, nicht hingegen ohne weiteres solche, die auf kollektive Ziele abstellen.707 Dem Gleichheitsgedanken des Art. 3 Abs. 1 GG gerade entgegengesetzte Ziele staatlichen Handelns werden nicht zu inhaltsbestimmenden Elementen des Gleichheitssatzes, sondern als Einschränkungen dessen begriffen, und sind gesondert rechtfertigungsbedürftig. Die Eingriffsintensität läßt sich anhand des verfassungsrechtlich begründeten Maßstabs feststellen, der auf Schutzbereichsebene den Gleichheitssatz konstituiert. Je intensiver in die Gleichheit eingegriffen wird, desto größer ist das Schwellengewicht des Gleichheitssatzes und desto höheres Gewicht muß den kollidierenden Zielen zukommen. Der im Schutzbereich bestimmte verfassungsrechtliche Maßstab bildet auch für die Anwendung des – an sich nur formellen – Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die wertungsmäßige Grundlage. Verfolgt der Gesetzgeber externe Ziele, die mit dem Gleichheitssatz kollidieren, wird in den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG eingegriffen. Hier ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung möglich und erforderlich.

705 Bydlinski,

Methodenlehre, S. 343; Huster, Rechte und Ziele, S. 229. Rechte und Ziele, S. 231. 707 Huster, Rechte und Ziele, S. 225; Kloepfer, Gleichheit, S. 50. 706 Huster,

§ 5 Die Rechtfertigungsfunktion der Kompensation im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG A. Untersuchungsziele Gegenstand der folgenden Untersuchung ist die Frage, wie ein Kompensationsverhältnis in die dogmatische Struktur des Art. 3 Abs. 1 GG einzuordnen ist. Die Ergebnisse der bisherigen Ausführungen ermöglichen es, die Funktionsweise der Kompensation im Rahmen der Gleichheitsprüfung zu verstehen. Ausgangspunkt müssen auch bei Art. 3 Abs. 1 GG die allgemeinen Voraussetzungen der Kompensation sein. Die bei Kompensationen im Grundrechtsbereich auftretenden Besonderheiten müssen Berücksichtigung finden. Die Einordnung der Rechtsfigur der Kompensation in Art. 3 Abs. 1 GG wird einerseits erleichtert, weil ihre Funktionsweise und ihr Verhältnis zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bereits erörtert wurden, andererseits weil die Struktur der Gleichheitsprüfung soeben geklärt wurde. Insbesondere die Funktion des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen wurde bestimmt. Art. 3 Abs. 1 GG fordert die Gleichbehandlung wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte. Die Kompensation ist gerade dadurch gekennzeichnet, daß ihr zwar eine rechtliche Ungleichbehandlung zugrunde liegt, diese aber tatsächlich ausgeglichen wird. Im Ergebnis führt die Kompensation daher zur faktischen Gleichbehandlung. Der Kompensationsgedanken läßt deshalb eine besondere Nähe zu Art. 3 Abs. 1 GG erkennen.1 Die zu untersuchende Frage dreht sich darum, ob eine rechtliche Ungleichbehandlung, die keine faktische Ungleichbehandlung, sondern gerade die faktische Gleichbehandlung bewirkt, vor Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigungsbedürftig ist oder ob in dieser Konstellation bereits das Vorliegen einer Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte verneint werden muß.2 Die Erörterung dieser Fragestellung gelingt nicht immer mit hinreichender Präzision. Oft wird zumindest ungenau argumentiert3 und gefragt, ob Art. 3 Abs. 1 GG faktische Gleichheit erfasse. Dabei bleibt unklar, wie sie erfaßt werden soll. In der Regel wird das Problem in der Richtung diskutiert, ob im Rahmen des 1 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 56; Hey, AöR 128 (2003), 226/231; Ipsen, Gleichheit, S. 111/195; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 II 1 pr. (S. 22). 2 Vgl. das Beispiel bei Ipsen, Gleichheit, S. 179 sowie sogleich § 5 A. (S. 282). 3 Vgl. z. B. Bleckmann, Struktur, S. 64: „nicht mehr greift“.

282

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

verfassungsrechtlichen allgemeinen Gleichheitssatzes nur die rechtliche Gleichbehandlung entscheidend ist oder ob es darauf ankommt, wie sich das staatliche Verhalten auf die betroffenen Bürger faktisch auswirkt. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, daß auch „ein Gesetz, das in seinem Wortlaut eine ungleiche Behandlung vermeidet und seinen Geltungsbereich abstrakt-allgemein umschreibt [dem Gleichheitssatz dann widerspricht], wenn sich aus seiner praktischen Auswirkung eine offenbare Unrichtigkeit ergibt und diese ungleiche Auswirkung gerade auf die rechtliche Gestaltung zurückzuführen ist. Nicht die äußere Form, sondern der materiell-rechtliche Gehalt ist entscheidend.“4 Maßgeblich bei der Anwendung des verfassungsrechtlichen allgemeinen Gleichheitssatzes ist demnach nicht die Formulierung der zu prüfenden Norm oder des exekutiven Handelns (die rechtliche Gleichheit), sondern die tatsächlichen Auswirkungen (die faktische Gleichheit).5 Die Auswirkungen werden anhand der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Kriterien (Willkürverbot bzw. „neue Formel“) einer Prüfung auf ihre Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG unterzogen. Bei Fragen der Kompensation geht es um die umgekehrte Konstellation. Unerheblich ist, ob auch eine faktische Ungleichbehandlung rechtfertigungsbedürftig ist und somit ob Art. 3 Abs. 1 GG auch vor solchen Ungleichheiten schützt. Vielmehr ist die Frage dahingehend zu stellen, ob ohne eine solche faktische Ungleichbehandlung, hingegen bei vorliegender rechtlicher Ungleichbehandlung schon ein Verstoß in Frage kommt bzw. warum ein solcher von vornherein ausscheidet.6 Muß der Inhaber einer Dienstwohnung eine Wohnungsbauabgabe zahlen, deren Höhe sich bei Privatwohnungen nach der Wohnfläche, bei Dienstwohnungen aber nach der Höhe der in Rechnung gestellten Dienst-„Miete“ berechnet, ist eine Verletzung des Gleichheitssatzes zu prüfen.7 Bei der Gleichheitsprüfung stellt sich das hier interessierende Problem der Verrechnung vor Vor- und Nachteilen, wenn die unterschiedliche Bemessungsgrundlage zu keiner höheren Abgabenverpflichtung im Vergleich zu Privatmietern führt. Eine wirtschaftliche Benachteiligung liegt nicht vor, so daß ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz mangels Ungleichbehandlung entfallen könnte. Gelänge der Nachweis, daß Art. 3 Abs. 1 GG tatsächliche Gleichbehandlung gewährleistet, würde die Kompensation dazu führen, daß bereits das Vorliegen einer Ungleichbehandlung zu verneinen wäre. Die tatsächliche Gleichheit nähme 4 BVerfGE 8, 51/64 (st. Rspr.) mit Hinweis auf Leibholz, DVBl. 1951, 193/195 und Leibholz, AöR NF 12 (1927), 1/1 f., 15, 16. Vgl. Selmer, AöR 101 (1976), 399/449. 5 Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 28. 6 Vgl. z. B. Fastenrath, JZ 1987, 170/176 f. (Maßgeblich sei eine gleichwertige Behandlung. Normative Erwägungen müßten schon im Rahmen der Feststellung der Ungleichbehandlung angestellt werden.) sowie Ipsen, Gleichheit, S. 179. 7 Beispiel nach Ipsen, Gleichheit, S. 179; Sachverhalt nach OVG Lüneburg, DVBl. 1952, 277.

B. Kompensation in der Gleichheitsprüfung

283

das Korrelat der rechtlichen Ungleichheit in sich auf.8 Vor Art. 3 Abs. 1 GG wäre stets das gesamte Rechtsverhältnis in seinen faktischen Auswirkungen zu beurteilen – nicht nur aktbezogen Vorteil und Nachteil (zunächst) getrennt. Wenn also Art. 3 Abs. 1 GG eine Forderung nach tatsächlicher Angleichung enthielte oder sie zumindest zuließe,9 wäre eine durch die Kompensation ausgeglichene rechtliche Verschiedenbehandlung nie rechtfertigungsbedürftig, sondern eine – eben nicht rechtfertigungsbedürftige – Gleichbehandlung wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte. Die Frage nach dem Vorliegen einer Gleichbehandlung im Falle einer Kompensation beinhaltet schließlich die Problematik, inwiefern für die Feststellung der Ungleichbehandlung eine Gesamtbetrachtung anzustellen ist. Aufschluß könnte insbesondere die Dogmatik zum additiven Grundrechtseingriff geben (§ 5 B. II. [S. 298 ff.]).10

B. Integration der Kompensation in die Gleichheitsprüfung I. Die kompensierte Verschiedenbehandlung als Gleichbehandlung? 1. Problemstellung Der heutige Staat der modernen Industriegesellschaft ist zu einem ganz erheblichen Teil ein Leistungsstaat geworden. Er beschränkt sich nicht mehr darauf, die individuellen Freiheitssphären voneinander abzugrenzen, sondern greift gestaltend in den gesellschaftlichen Prozeß ein. Die leistungsrechtliche Dimension staatlichen Handelns steht dem eingreifenden Staatshandeln in seiner Bedeutung nicht nach.11 Während es im Rahmen der Diskussion um die Begründung von grundrechtlichen (Leistungs-) Ansprüchen12 darum ging, neben den rechtlichen die tatsächlichen Voraussetzungen für die Freiheitsbetätigung zu schaffen, betrifft eine ähnliche Diskussion im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes die Frage, ob er nur die rechtliche Gleichheit garantiert oder darüber hinaus auch eine tatsächliche Gleichbehandlung fordert.13 Die Diskussionen sind nicht ohne weiteres austauschbar. Der Gesichtspunkt, daß die effektive Ausnutzung der Freiheitsgewährleistungen von den tatsächlichen Ausübungsbedingungen der Freiheitsrechte abhängt, läßt sich nicht auf den 8 Hesse,

AöR 77 (1951/52), 167/215. VVDStRL 47 (1989), 101/101; Schneider, VVDStRL 47 (1989), 106/106 f. 10 Lücke, DVBl. 2001, 1469/1469 ff. 11 Erichsen, DVBl. 1983, 289/289. Vgl. auch oben § 3 D. II. 1. b) (S. 154). 12 Vgl. oben § 3 D. II. 1. b) (S. 155). 13 Vgl. Gusy, JA 1980, 78/81 ff.; Gusy, JuS 1982, 30/32; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/15 f. 9 Mantel,

284

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

Gleichheitssatz übertragen. Die Gleichheit ist ein Maßstab für die rechtliche Gestaltung von Lebensverhältnissen und grundsätzlich nicht wie die Freiheitsrechte auf einen bestimmten Lebensbereich als Schutzobjekt bezogen.14 Beide Problembereiche sind aber eng miteinander verwoben.15 Während der eingreifende Staat sich bei seinen Belastungen dem Maß von Freiheit und Gleichheit im Sinne einer möglichst weitgehenden Enthaltung der vorhandenen Freiheit stellen muß, zielt der leistende Staat auf die Schaffung gleicher Freiheit.16 Die Herstellung faktischer Gleichheit bewirkt Grundrechtseingriffe und rechtliche Ungleichbehandlungen zu Lasten Dritter.17 Die Freiheitsrechte und die rechtliche Gleichheit sind daher aufeinander bezogen wie Schutzpflichten sowie Leistungsrechte einerseits und die Herstellung faktischer Gleichheit andererseits.18 Rechtliche Gleichheit ermöglicht und bewahrt Freiheit, geht aber notwendig zu Lasten der tatsächlichen Gleichheit, führt also zu faktischer Ungleichheit.19 Freiheit und faktische Gleichheit können aber andererseits nur durch rechtliche Ungleichbehandlung gewährleistet werden, da unter den Menschen natürliche Ungleichheiten bestehen.20 Es ist damit eine der Grundfragen des Gleichheitsverständnisses angesprochen. Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz muß so ausgelegt werden, daß er mit der grundrechtlich verbürgten Freiheit im Einklang steht.21 Das Verhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit ist nicht das einer gradlinigen Konvergenz, sondern das Verhältnis komplizierter und spannungsreicher Verstrickungen.22 Das Grundgesetz polarisiert die Gleichheit durch die Wertaussage über den Menschen, gerade anders sein zu dürfen. Eine Synthese von Gleichheit und Freiheit gelingt daher nicht, ohne Akzente zu setzen.23 Es geht darum, ob der Staat aufgrund des in der Verfassung gewährleisteten Gleichheitssatzes nur verpflichtet ist, von sich aus keine Ungleichheiten zu schaffen.

14 Kloepfer,

Gleichheit, S. 40. Verhältnis von Freiheit und Gleichheit vgl. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 120 ff.; Kloepfer, Gleichheit, S. 37 ff.; Kriele, HdbVerfR 1983, S. 129 ff. sowie oben § 4 C. III. 4. (S. 233). 16 Erichsen, DVBl. 1983, 289/295; Gusy, NJW 1988, 2505/2506 f. 17 BVerfGE 12, 354/367; Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/55; Zacher, DÖV 1970, 3/10. 18 Gusy, JuS 1982, 30/36; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 67; Kriele, HdbVerfR 1983, S. 133 ff.; Leibholz, Gleichheit, S. 20 ff.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 3. 19 Arndt, FS-Leibholz II, S. 179/185; Dahrendorf , Ursprung, S. 37; Erichsen, DVBl. 1983, 289/295; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 67; Kant, Menschheitsgeschichte, S. 97. Vgl. auch France, Le Lys Rouge, Kap. VII (S. 95): „La majestueuse égalité des lois . . . interdit au riche comme au pauvre de coucher sous les ponts, de mendier dans les rues et de voler du pain.“ 20 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 67; Stettner, BayVBl. 1988, 545/551. 21 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 120 ff.; Gusy, JuS 1982, 30/32, 36; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 3. 22 Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/17; ähnlich Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 120 ff.; Kloepfer, Gleichheit, S. 45 ff.; Kriele, HdbVerfR 1983, S. 133 ff.; Rüthers in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 51. 23 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 120 f., 126, 129. 15 Zum

B. Kompensation in der Gleichheitsprüfung

285

Einer diese Frage bejahenden Position liegt ein statisches Gleichheitsverständnis zugrunde. Dem entspricht eine Interpretation des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes als Gebot rechtlicher Gleichheit. Die Forderung nach rechtlicher Gleichheit zielt darauf, die künstlichen Unterscheidungen abzuschaffen, die aus einer diskriminierenden Gesetzgebung resultieren.24 Stellt man auf rechtliche Gleichheit ab, geht es notwendig um eine aktbezogene Sichtweise. Freiheit und Gleichheit gehören zur Natur des Menschen, der nicht erst faktisch gleich gemacht werden muß.25 Die rechtliche Gleichstellung der Menschen ist Voraussetzung ihrer Freiheit.26 Problematisch ist die Feststellung, wann eine rechtliche Ungleichbehandlung vorliegt, da die Rechtsfolge einer Norm nicht immer eindeutig bestimmt werden kann.27 Man kann hierunter die Anordnung desselben Maßstabs verstehen oder dieselben ungleichen rechtlichen Auswirkungen. Auf den Maßstab kann jedoch nicht abgestellt werden, weil dann der Unterschied zwischen der Feststellung einer Ungleichbehandlung und deren Rechtfertigung eingeebnet wird. Der Begriff der Gleichbehandlung selbst wird normativ, weil er von der Legitimität des jeweiligen Maßstabs abhängt.28 Daher muß die Frage nach dem legitimen Maßstab zunächst ignoriert werden, und es ist allein zu fragen, ob die rechtlichen Auswirkungen identisch sind.29 Die Idee der faktischen Gleichheit hingegen verlangt vom Staat, daß er wegnimmt und neu verteilt.30 Gleichheit ist in diesem Sinne nicht Ausgangspunkt des staatlichen Handelns, sondern dessen Ziel.31 Da der Staat danach kraft des Gleichheitssatzes verpflichtet ist, bestehende Ungleichheiten durch eine aktive Politik einzuebnen, läßt sich dieses Gleichheitsverständnis als dynamisches Gleichheitsverständnis bezeichnen.32 Die Unterscheidung zwischen rechtlicher und faktischer Gleichheit ist dem Grundgesetz durchaus geläufig: Wo das Grundgesetz auf faktische Gleichheit in einem umfassenden Sinne abstellt, formuliert es lediglich Zielvorgaben, deren

24 Kirchhof ,

NJW 1987, 2354/2355; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 3. in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 3. 26 Kriele, Befreiung, S. 57 ff.; Leibholz, Gleichheit, S. 20 ff./23; Starck, Anwendung, S. 55. Diesbezüglich spricht Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 139 in seinem Bild von einem Haus von Fundament („egalitäre Basisrechte“). 27 Huster, Rechte und Ziele, S. 18 f. 28 Huster, Rechte und Ziele, S. 20 f. 29 Huster, Rechte und Ziele, S. 21. 30 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 4; Starck, Anwendung, S. 55. 31 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 4; Starck, Anwendung, S. 56. 32 Zur Terminologie „statisches“ – „dynamisches“ Gleichheitsverständnis vgl. Herzog, Artikel „Gleichheit“, Sp. 1182 f. und Herzog, DVBl. 1970, 713/713. 25 Starck

286

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

Verwirklichung den zuständigen Staatsorganen obliegt.33 Die Normen, welche rechtliche Gleichheit anordnen, sind hingegen self-executing.34 Schließlich kann man den Gleichheitssatz auch als Gebot der Chancengleichheit interpretieren. Die gleichen Ausübungsbedingungen der Freiheit werden sicherzustellen versucht, indem man den Bürgern die gleiche Chance zur Ausübung ihrer Freiheit einräumt.35 Es gibt folglich drei Möglichkeiten, den verfassungsrechtlichen allgemeinen Gleichheitssatz zu verstehen:36 Berücksichtigt man, daß einer ungleichen Güterverteilung als dem Hauptgrund tatsächlicher Ungleichheit durch eine gleiche Verteilung der Güter durch den Staat begegnet werden kann, läßt sich der Gleichheitssatz als Gebot der Gleichverteilung verstehen. Ein Gebot der Chancengleichheit stellt der Gleichheitssatz dar, wenn man nicht von einer aktiven Güterverteilung durch den Staat ausgeht, sondern die gleiche Güterverteilung sicherzustellen versucht, indem man den Bürgern die gleichen Chancen zum Gütererwerb garantiert.37 Der Gleichheitssatz läßt sich schließlich aber auch schlicht als Gebot der rechtlichen Gleichbehandlung interpretieren. Dieses Verständnis überwiegt wohl in Rechtsprechung und Literatur.38 Nur für einzelne Problemkreise (Prüfungsrecht39 , Parteien40 ) greift das Bundesverfassungsgericht auf den Grundsatz der Chancengleichheit zurück. Die Chancengleichheit bezieht sich auf die tatsächlichen Voraussetzungen zum Erwerb materieller oder immaterieller Güter. Die rechtliche Gleichheit hingegen bezieht die Gleichheit auf die Rechtsverhältnisse, die zwischen den an den Gleichheitssatz gebundenen Stellen und den von ihren Entscheidungen Betroffenen bestehen.41 2. Historischer Hintergrund Ursprünge des Gedankens rechtlicher Gleichheit finden sich in den Gleichheitsideen der Antike im Rahmen der politischen Gleichberechtigung.42 Auch in den mittelalterlichen Städten finden sich Ansätze bürgerlicher Rechtsgleich33 Solche Verfassungsaufträge enthalten die Art. 6 Abs. 5, Art. 106 Abs. 3 S. 3 Nr. 2, Art. 107 Abs. 2

GG. 34 Art. 3 Abs. 2–3 i. V. m. Art. 117 GG; Art. 12 a Abs. 2 S. 2, 3 GG. Hierzu Gusy, NJW 1988, 2505/2505. 35 Bleckmann, Struktur, S. 91. 36 Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 26; vgl. auch Kloepfer, Gleichheit, S. 38: tatsächliche Gleichheit oder gleiche tatsächliche Startchancen. 37 Bleckmann, Struktur, S. 91. 38 Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 26. Vgl. auch die zahlreichen Nachweise unten S. 289, Fn. 69. 39 BVerfGE 52, 380/388; BVerwGE 87, 258/261. 40 BVerfGE 8, 51/64 f.; 82, 322/337. 41 Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 71. 42 Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/10; vgl. oben § 4 B. I. (S. 181 ff.).

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heit.43 Eine weitere Wurzel der Rechtsgleichheit findet sich in der Vorstellung der Gottesebenbildlichkeit des Menschen44 und der Gleichheit des Menschen vor Gott.45 Die Gleichheit vor Gott wird säkularisiert und damit zur weltlichen Gleichheit aller Menschen.46 Eine andere Entwicklungslinie läuft von der konfessionellen Gleichberechtigung der Reichsstände und dem ius emigrandi der Untertanen über die Ausweitung der Toleranz zur konfessionsunabhängigen bürgerlichen Gleichberechtigung.47 Am Ende dieser Entwicklungen steht der Verfassungsgrundsatz, daß jeder in gleicher Menschenwürde mit gleichen Rechten vor dem Forum des Rechts stehe.48 Aussagen wie solche, daß die Menschen von Natur gleich sind, in gleicher Weise frei sind, von Geburt an frei und gleich sind etc., tauchen in frühen Verfassungen auf. Sie meinen eine rechtliche Gleichheit, die begriffen und definiert wird in ihrer Beziehung zur Freiheit.49 Erstrebt wird eine staatsbürgerliche Gleichheit oder eine Rechtsgleichheit.50 Diese führte jedoch zu einer Vertiefung der sozialen Ungleichheiten. Zugleich taucht in der Geschichte des Gleichheitsbegriffs die Forderung nach einer égalité de fait auf, wenn in Frankreich zur Zeit der Französischen Revolution der Ruf nach égalité et fraternité laut wurde und sich nicht nur auf die Überwindung rechtlich festgeschriebener sozialer Ungleichheiten,51 sondern sich über die rechtliche Gleichstellung hinaus auf die Herstellung tatsächlicher Gleichheit bezog.52 In Deutschland richtete man den Blick zunächst nicht auf die Herstellung tatsächlicher Gleichheit. Dies liegt in konservativen Gegenströmen gegen den Gleichheitsidealismus begründet ebenso wie in dem Wunsch, dem Polizei- und Wohlfahrtsstaat seine (Eingriffs-) Grenzen möglichst eng aufzuzeigen.53 Erst aufgrund der schlechten Lage der Arbeiter erhebt sich in Deutschland die Forderung nach faktischer Gleichheit, die sich schließlich in der Sozialstaatlichkeit verwirklicht.54 Insbesondere im 19. Jahrhundert wird der Gleichheitssatz des Bür43 Dann,

Gleichheit, S. 85 ff.; vgl. oben § 4 B. III. (S. 187) und § 4 B. IV. (S. 192). Gerechtigkeit, S. 40; vgl. oben § 4 B. I. 3. (S. 185). 45 Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/10; vgl. oben § 4 B. I. 3. (S. 185). 46 Dies ist im Bauernkrieg gegen die Privilegien des Adels von Bedeutung, vgl. Dann, Gleichheit, S. 78 ff. Hintergrund ist die reformatorische Gleichheitsthese von Marsilius (hierzu m. N. Dann, Gleichheit, S. 70 ff.) und Luther (hierzu m. N. Dann, Gleichheit, S. 73 ff.). Vgl. oben § 4 B. II. (S. 186). 47 Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/10; vgl. oben § 4 B. III. (S. 187 ff.). 48 Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/10. 49 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 3; Starck, Anwendung, S. 55. 50 Huster, Rechte und Ziele, S. 25. 51 Die Formel „Gleichheit vor dem Gesetz“ richtet sich bei ihrem ersten Auftauchen Ende des 18. Jahrhunderts gegen die Standesprivilegien. 52 Dann, Gleichheit, S. 160 ff.; Gusy, JuS 1982, 30/31 f.; Huster, Rechte und Ziele, S. 25; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 1; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/13 f. Vgl. auch § 137 I, II der Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. 3. 1849. 53 Dann, Gleichheit, S. 171 ff.; 185 ff.; 214 ff. Vgl. oben § 4 B. V. 3. (S. 198). 54 Stern, StaatsR I, § 21 I 3 b (S. 882 ff.); Zacher, HdbStR I 1995, § 25 Rn. 27 ff. (S. 1062 ff.); Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/14. 44 Brunner,

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gertums von den sozialistischen Parteien mit dem Vorwurf angegriffen, er werde rein formell verstanden. Gefordert wird die materielle Gleichheit der Vermögensverhältnisse und die Chancengleichheit bei der Bildung und Ausbildung.55 Historisch ist Gleichheit also sowohl die égalité im Sinne der demokratisch-egalitären Abschaffung der Standesprivilegien, als auch aequitas, als Prinzip verhältnismäßig gleicher, gerechter Behandlung.56 Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz zielte ursprünglich auf Rechtsgleichheit. Nachdem diese erreicht war, wurde deutlich, daß ein anderes Gleichheitsproblem noch nicht gelöst ist, nämlich das der Herstellung tatsächlicher Gleichheit. 3. Gegenwärtige Diskussion Entgegen anderer Beteuerungen57 hat das Bundesverfassungsgericht die Forderung nach Herstellung faktischer Gleichheit nie allein aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitet.58 Die Rechtsprechung des Gerichts ist insoweit mehrdeutig, tendiert aber zu einem aktbezogenen Verständnis.59 Unbestritten ist, daß eine rein formale, d. h. rechtliche Betrachtung Ungleichheiten verstärken kann, also ihrerseits tatsächlich ungleich wirkt.60 Die Gewährleistung rechtlicher Gleichheit sagt noch nichts darüber aus, ob jeder Berechtigte eine Regelung so wie jeder andere auch tatsächlich in Anspruch nehmen kann.61 Die rechtliche Gleichheit wird gerade dadurch gekennzeichnet, daß sie aktbezogen und nicht folgenbezogen ist.62 Sie stellt nur auf den staatlichen Handlungsakt als solchen ab und zieht gerade nicht dessen vielfältigen Auswirkungen in Betracht. Die Ergebnisse einer nur rechtlichen Gleichbehandlung bedürfen daher einer Korrektur,63 damit die Gleichbehandlung im Sinne der Rechtsgleichheit nicht (ungewollt) zu einem Instrument sozialer Differenzierung wird und zu Un55 Bleckmann,

Struktur, S. 90. Wirtschaftssubventionen, S. 265. 57 Zacher, AöR 93 (1968), 341/382, dann aber wiederum S. 361. 58 Vgl. Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 53. 59 BVerfGE 4, 193/294; 9, 237/244; BVerfG, NJW 1988, 1195/1199: Der Gleichheitssatz gebiete nicht, daß eine Regelung getroffen werde, die verhindere, daß ungleiche Sachverhalte der bestehenden Ungleichheit entsprechend zu verschiedenen Rechtsfolgen führen. BVerfGE 3, 58/158, 205 f.; 5, 85, 205 f.; 12, 354/367: Der Gesetzgeber dürfe sich grundsätzlich nicht damit begnügen, vorgefundene tatsächliche Unterschiede ohne weiteres hinzunehmen. Sind sie mit den Erfordernissen der Gerechtigkeit unvereinbar, so müsse er sie beseitigen. Vgl. Huster, Rechte und Ziele, S. 408 f., anders Zacher, AöR 93 (1968), 341/382. 60 Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 52. 61 Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 51. 62 Vgl. Alexy, Theorie, S. 380. 63 Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 52. 56 Götz,

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gerechtigkeiten führt.64 Ob die rechtliche Gleichbehandlung gerecht ist, läßt sich nur anhand von Überlegungen zur vorgefundenen faktischen Gleichheit bzw. Ungleichheit ergründen.65 Der Gleichheitssatz kann daher allein nicht mit der rechtlichen Gleichbehandlung erklärt werden, sondern bedarf noch Ergänzungen. Damit ist freilich noch nicht gesagt, daß diese Korrektur innerhalb des Gleichheitsbegriffs selbst vorzunehmen ist. Die Analyse der maßgeblichen Problemstrukturen und Argumente wird unnötig erschwert und eine rationale Erörterung des Gleichheitsproblems behindert, wenn alle inhaltlichen Probleme bereits in den Gleichheitsbegriff verlagert werden.66 Neben der politischen Frage,67 in welchem Umfange eine Korrektur erforderlich ist, muß daher vor allem untersucht werden, ob das Verlangen nach tatsächlicher Gleichheit, also nach einer folgenbezogenen Betrachtung überhaupt eine Frage des Gleichheitssatzes ist68 oder eher dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) zugeordnet wird69 . Die faktische Gleichheit ließe sich dann als Prinzip interpretieren, welches gerichtlich zwar nicht durchsetzbar ist, den Staat aber bindet. Damit käme der faktischen Gleichheit die Bedeutung eines Verfassungsguts zu, welches die Einschränkung subjektiver Rechte (auf rechtliche Gleichbehandlung) zu rechtfertigen grundsätzlich geeignet ist.70 Es geht mit anderen Worten um die richtige Zuordnung von Gleichheitssatz und Sozialstaatsprinzip.71 Bei Art. 3 Abs. 1 GG geht es um rechtliche Gleichheit. Dies klingt deutlicher als in Art. 3 Abs. 1 GG in dessen Abs. 2 an. Die Gleichheit setzt den Vergleich 64 Gusy,

JuS 1982, 30/35 f.; Gusy, NJW 1988, 2505/2512; Huster, Rechte und Ziele, S. 22. Rechte und Ziele, S. 23 66 Huster, Rechte und Ziele, S. 20. 67 Diese Fragen hat der unmittelbar demokratisch legitimierte Gesetzgeber zu entscheiden, Zacher, AöR 93 (1968), 341/382 und 351 ff. Zum Spielraum einer Politik der Egalisierung vgl. auch Erichsen, DVBl. 1983, 289/295; Schoch, DVBl. 1988, 863/871 f.; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 27 f. Die Demokratie begünstigt mit ihrer Mehrheitsherrschaft stets eine Politik der sozialen Angleichung, Leisner, Gleichheitsstaat, S. 17; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 57; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/15 f. 68 So Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 139 ff.; Häberle, Diskussionsbeitrag, S. 105; Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/180 ff., 213 ff.; Hesse, Diskussionsbeitrag, S. 78; Ipsen, Gleichheit, S. 173 ff., 175; Schön, Zulassung, S. 76 ff. (zur Schweizer Verfassung); Scholler, Gleichheitssatz, S. 14 ff.; Zacher, AöR 93 (1968), 341/383; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/14 f. Vgl. Fastenrath, JZ 1987, 170/176 f. („gleichwertige Behandlung“). 69 Alexy, Theorie, S. 380 ff. (jedoch differenzierend); Bleckmann, Struktur, S. 90; Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 263; Gusy, JuS 1982, 30/32; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 1, deutlicher noch in der 6. Auflage, Rn. 1; Kloepfer, Gleichheit, S. 41; Martini, Absolute Rechtsgleichheit, S. 250; Öhlinger, EuGRZ 1982, 216/232 f.; Podlech, Gehalt, S. 49 ff., 200 ff.; Robbers, DÖV 1988, 749/757 (differenzierend); Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 53; Schoch, DVBl. 1988, 863/869; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 3 ff., 27 ff.; Starck, Anwendung, S. 55 ff., 67 ff.; Stein/Frank, Staatsrecht, § 49 III 3. (S. 393); Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 26, 71; Stettner, BayVBl. 1988, 545/551 f. 70 Alexy, Theorie, S. 381. 71 Gusy, JuS 1982, 30/36; Huster, Rechte und Ziele, S. 409. 65 Huster,

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zweier Sachverhalte voraus. Da zwei Sachverhalte nur in Fällen ihrer Identität in allen Eigenschaften übereinstimmen, stellt die Gleichheit auf die Übereinstimmung einer bestimmten Eigenschaft ab, ist also eine sehr relative Gleichheit.72 Die Beschränkung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf die Forderung nach rechtlicher Gleichbehandlung wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte weist zunächst den Vorteil auf, daß der Gleichheitssatz zwar nicht inhaltlich determiniert wird, jedoch seine Konturen behält und so von der rechtssetzenden Gewalt ebenso wie von der rechtsanwendenden handhabbar wird, indem er eine Orientierung für die zu treffenden Entscheidungen gewährt.73 Ein subjektives Recht auf Herstellung faktischer Gleichheit zeichnet sich hingegen durch eine erhebliche Unbestimmtheit aus. Funktionell-rechtliche Gründe sprechen daher gegen die Anerkennung eines entsprechenden subjektiven Rechts.74 Selbst wenn man eine Garantie der faktischen Gleichheit durch Art. 3 Abs. 1 GG annähme, wäre der Gleichheitssatz in dieser Ausprägung injustitiabel.75 Die Injustitiabilität wäre allenfalls zu vermeiden, wenn man die faktische Gleichheit mit mathematischer Gleichheit gleichsetzen würde.76 Dann würfe der Gleichheitssatz keine Probleme des heranzuziehenden Maßstabs auf. Allerdings leitet sich gerade die faktische Gleichheit aus dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit ab. Diese wiederum verlangt eine mathematisch gleiche Güterverteilung gerade nicht, ja fordert vielmehr gerade im Gegenteil die Durchbrechung aufgrund sachlicher Differenzierungsgründe, so daß man beim Ausgangspunkt wieder anlangt – der fehlenden Handhabbarkeit eines so verstandenden Gleichheitssatzes.77 Das Grundgesetz zielt nicht auf Egalisierung, sondern zunächst auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Menschen. Mit den Freiheitsrechten verankert das Grundgesetz gerade auch das Leistungsprinzip, welches die Annahme ausschließt, daß die Vermögenslage aller Menschen zu jedem Zeitpunkt völlig gleich sein muß (faktische Gleichheit).78 Damit verträgt sich allenfalls die Forderung nach gleichen (Start-) Chancen. Eine faktische Gleichheit stünde gegen den individualisierenden und differenzierenden Gehalt des Gleichheitssatzes ebenso wie gegen den Freiheitsgehalt des Grundgesetzes.79 Volle faktische Gleichheit unter den Menschen ist ohnehin eine Utopie, die sinnvollerweise nicht Ziel einer Verfassung sein kann.80 Vielmehr geht es um einen liberalen demokratischen Sozial72 Gusy,

NJW 1988, 2505/2505 sowie oben § 4 C. I. 3. (S. 205 ff.). AöR 128 (2003), 226/238; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 53. 74 Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 68; Huster, Rechte und Ziele, S. 421 f.; Podlech, Gehalt, S. 201 ff.; Starck, Anwendung, S. 68. Zur der Ableitung eines originären Teilhaberechts aus Art. 3 Abs. 1 GG vgl. auch Huster, Rechte und Ziele, S. 421 f. 75 Bleckmann, Struktur, S. 93. 76 Vgl. Ipsen, Gleichheit, S. 179. 77 Vgl. Bleckmann, Struktur, S. 93. 78 Bleckmann, Struktur, S. 90 f. 79 Robbers, DÖV 1988, 749/756. 80 Kriele, HdbVerfR 1983, S. 134; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 55. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 128 spricht von einem „Staatsmärchen ohne Konflikte zwischen Freiheit und Gleichheit“. 73 Hey,

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staat, der gleiche Freiheit gewährleistet, indem er soziale Ungleichheiten nicht zu groß werden läßt. Es ist nicht möglich, zugleich vollständige Gleichheit und umfänglichen Schutz der Freiheitsrechte herstellen zu wollen.81 Das Grundgesetz gestattet in weitem Maße die Herstellung tatsächlicher Gleichheit, erlegt jedoch der staatlichen Gewalt nur in Ausnahmefällen eine entsprechende Verpflichtung auf.82 Die flexible Handhabung des sozialen Ausgleichs vermag das Sozialstaatsprinzip besser zu leisten als ein subjektives Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG, welches zunächst umfänglich tatsächliche Gleichheit garantieren würde, um sogleich wieder eingeschränkt werden zu müssen. Leitet man aus Art. 3 Abs. 1 GG zugleich die (einschränkbare) Forderung nach tatsächlicher Gleichheit ab, entsteht eine in sich paradoxe Vorschrift:83 Wenn Art. 3 Abs. 1 GG rechtliche Gleichheit gewährleistet, kann er dem Gesetzgeber nicht zugleich eine Verpflichtung auferlegen, ungleiche tatsächliche Lebenssachverhalte durch rechtlich unterschiedliche Regelungen einander anzugleichen.84 Allenfalls ist diese Durchbrechung der rechtlichen Gleichheit zur Verfolgung sozialstaatlicher Ziele möglich.85 Dann aber wird die faktische Gleichheit entweder sogleich aus dem Sozialstaatsprinzip unmittelbar abgeleitet oder man verzichtet bei Art. 3 Abs. 1 GG auf die Garantie der rechtlichen Gleichheit. Der allgemeine Gleichheitssatz kann ferner auch deswegen nicht als Pflicht der staatlichen Gewalt verstanden werden, tatsächliche Gleichheit herzustellen, weil dadurch ein weiterer systematischer Widerspruch entstünde. Art. 1 Abs. 3 GG bindet alle staatliche Gewalt an die Grundrechte. Diese Bindung kann sinnvollerweise nur so weit reichen wie die gebundenen staatlichen Organe in der Lage sind, der Bindung auch nachzukommen. Die staatlichen Gewalten können indes nur rechtliche Gleichheit (umfassend) garantieren; ihre Verpflichtung kann daher auch nicht weiter reichen.86 Art. 1 Abs. 3 GG kann die staatliche Gewalt nicht sowohl an die Rechtsgleichheit wie auch an die faktische Gleichheit binden. Eine ambivalente Deutung des Art. 3 Abs. 1 GG, wonach er sowohl rechtliche als auch faktische Gleichheit garantiere, verbietet sich auch von daher. Dem allgemeinen Gleichheitssatz ein Prinzip (Garantie der rechtlichen Gleichheit) zu ent81 Alexy, Theorie, S. 378 f.; Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 120 ff./127; Schoch, DVBl. 1988, 863/866 f. Robbers, DÖV 1988, 749/752 f. löst die Antinomie zwischen der Herstellung von Gleichheit und dem Schutz der Freiheitsrechte dadurch, daß er die Forderung nach gleicher Freiheit für alle als eigenen Sinn des Gleichheitssatzes im Gebot der Behandlung nach der Eigenart des Falles versteht. 82 Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 55 f. 83 Alexy, Theorie, S. 379. 84 Martini, Absolute Rechtsgleichheit, S. 250. 85 BVerfGE 12, 354/367; Gusy, JuS 1982, 30/32; Robbers, DÖV 1988, 749/757; Schoch, DVBl. 1988, 863/869; Scholler, Gleichheitssatz, S. 15; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 22; Stettner, BayVBl. 1988, 545/552; a. A.: Alexy, Theorie, S. 380 ff., 388; Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/180 f.; Huster, Rechte und Ziele, S. 417; Zacher, AöR 93 (1968), 341/383. 86 Gusy, JuS 1982, 30/32; Schoch, DVBl. 1988, 863/866; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 5; Starck, Anwendung, S. 56.

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nehmen und zugleich dessen Gegenteil (Recht auf Herstellung faktischer Gleichheit), vermag nicht zu überzeugen.87 Diese Widersprüche lösen sich auf, wenn man erkennt, daß das Grundgesetz sich systematisch andernorts mit sozialen Fragen befaßt hat. Der Ausgleich durch eine adäquate Sozialpolitik ist Gegenstand des Sozialstaatsprinzips.88 Dessen hätte es nicht bedurft, wenn bereits Art. 3 Abs. 1 GG die damit verbundenen Fragen regeln würde.89 Es ist also nicht richtig, daß sich dem Grundgesetz keine Be87 Erichsen,

DVBl. 1983, 289/295; Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 68; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 5; Starck, Anwendung, S. 56; anders hingegen Alexy, Theorie, S. 380 ff./383, 389; Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/180 ff., 208 ff.; Schneider, VVDStRL 47 (1989), 106/106; Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/15. 88 Stein in: AK, GG, Art. 3 I Rn. 28. Dies klingt auch bei Huster, Rechte und Ziele, S. 422 so, wenn er ein originäres Teilhaberecht nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG ableiten will, um das grundgesetzliche Kompetenzgefüge nicht zu sprengen. Auch in anderen modernen Verfassungen finden sich entsprechende Sozialstaatsklauseln bzw. soziale Rechte, die vom Staat verwirklicht werden sollen, ohne daß Grundrechte verletzt werden (vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 6): Art. 9 Abs. 2 spanische Verfassung (1978): „Corresponde a los poderes públicos promover las condiciones para que la libertad y la igualdad del individuo y de los grupos en que se integra sean reales y efectivas; remover los obstáculos que impidan o dificulten su plenitud y facilitar la participación de todos los ciudadanos en la vida política, económica, cultural y social.“ (dt.: „Der öffentlichen Gewalt obliegt es, die Bedingungen dafür zu schaffen, daß Freiheit und Gleichheit des einzelnen und der Gruppen, denen er angehört, real und wirksam sind, die Hindernisse zu beseitigen, die ihre volle Entfaltung verhindern oder erschweren, und die Teilnahme aller Bürger am politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben zu fördern.“); Art. 3 S. 2 italienische Verfassung (1947): „È compito della Repubblica rimuovere gli ostacoli di ordine economico e sociale, che, limitando di fatto la libertà e l’eguaglianza dei cittadini, impediscono il pieno sviluppo della persona umana e l’effettiva partecipazione di tutti i lavoratori all’organizzazione politica, economica e sociale del Paese.“ (dt.: „Es ist Aufgabe der Republik, die Hindernisse wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Art zu beseitigen, die die Freiheit und Gleichheit der Bürger tatsächlich einschränken, und die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die wirksame Teilnahme aller Arbeitenden an der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gestaltung des Landes verhindern.“); Art. 2 Abs. 2 Schweizer Bundesverfassung: „Sie fördert die gemeinsame Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den inneren Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes.“; Art. 2 türkische Verfassung: „Türkiye Cumhuriyeti, toplumun huzuru, millî dayanı¸sma ve adalet anlayısı içinde, insan haklarına saygili, Atatürk milliyetçili˘gine ba˘gli, ba¸slangıçta belirtilen temel ilkelere dayanan, demokratik, laik ve sosyal bir hukuk Devletidir.“ (dt.: „Die Republik Türkei ist ein im Geiste des Friedens der Gemeinschaft, der nationalen Solidarität und der Gerechtigkeit, die Menschenrechte achtender, dem Nationalismus Atatürks verbundener und auf den in der Präambel verkündeten Grundprinzipien beruhender demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat.“) vgl. auch Präambel, S. 7; Art. 5: „Devletin temel amaç ve görevleri [. . . ]; ki¸sinin temel hak ve hürriyetlerini, sosyal hukuk devleti ve adalet ilkeleriyle ba˘gda¸smayacak surette sınırlayan siyasal, ekonomik ve sosyal engelleri kaldırmaya, insanın maddî ve manevî varlı˘gının geli¸smesi için gerekli s¸artları hazırlamaya çalısmaktır.“ (dt.: „Die Grundziele und -aufgaben des Staates sind es, [. . . ] die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Hindernisse zu beseitigen, welche die Grundrechte und -freiheiten der Person in einer mit den Prinzipien des sozialen Rechtsstaates und der Gerechtigkeit nicht vereinbaren Weise beschränken, sowie sich um die Schaffung der für die Entwicklung der materiellen und ideellen Existenz des Menschen notwendigen Bedingungen zu bemühen.“). Die amerikanische Verfassung hingegen kennt keine Sozialstaatsklausel, so daß die Lösung über die equal-protection-clause gesucht werden muß. 89 Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 6.

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schränkung des Gleichheitssatzes auf rechtliche Gleichbehandlungen entnehmen ließe.90 Der allgemeine Gleichheitssatz enthält demnach keine Verpflichtung der hohen Hand, die Ungleichheit der tatsächlichen Lebensverhältnisse zu kompensieren. Allenfalls aus besonderen Gleichheitssätzen folgen ausdrücklich solche Rechte. Angesichts der geschilderten Bedenken verbietet es sich freilich, diese Spezialregelungen zu verallgemeinern und den Schluß zu ziehen, daß sich solche Leistungsgehalte auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz gewinnen lassen.91 Der hier vollzogene scharfe Gegensatz zwischen rechtlicher und faktischer Gleichheit läßt sich in dieser Form jedoch allenfalls durchhalten, wenn man annimmt, daß Art. 3 Abs. 1 GG eine schematische Gleichbehandlung fordert, deren Beschränkung nicht aufgrund Erwägungen sozialer Gerechtigkeit gerechtfertigt werden könnte. Insofern erlaubt aber der allgemeine Gleichheitssatz sehr wohl die Herstellung faktischer Gleichheit92 als sozialstaatlich motivierter, typisierender Ausgleich von Nachteilen.93 Da das Recht nur selten in der Lage sein wird, faktische Gleichheit zu gewährleisten, werden oft ausgleichende Regelungen vonnöten sein. Schließlich bildeten sich viele der zu beseitigenden faktischen Ungleichheiten gerade durch rechtliche Differenzierungen heraus.94 Wer faktische Gleichheit herstellen möchte, kommt nicht umhin, rechtliche Ungleichheit zu akzeptieren.95 Die Frage der tatsächlichen Gleichheit läßt sich also nicht einfach von der rechtlichen Ebene vollständig abtrennen.96 Ein Eingriff in das von Art. 3 Abs. 1 GG aufgestellte Gebot rechtlicher Gleichbehandlung wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte kann gerechtfertigt werden, wenn er mit dem Ziel erfolgt, aufgrund sozialstaatlicher Erwägungen faktische Gleichheit zu schaffen. Indes gibt es Fälle, in denen es gerade an einer Kollision zwischen rechtlicher Gleichheit und faktischer Gleichheit mangelt und daher das im Gleichheitsbegriff angelegte Paradoxon fehlt. Bereits die Rechtsgleichheit ist für sich genommen ein ausfüllungsbedürftiger Begriff. Sämtliche Gleichbehandlungsprobleme, die im Zusammenhang mit der Gerechtigkeit der allgemeinen Güterverteilung stehen, lassen sich ohne Erwägungen sozialer Gerechtigkeit nicht lösen.97 Möchte man die Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes in solchen Fragestellungen nicht ausschließen, kann nicht darauf verzichtet werden, auf Aspekte sozialer Gerechtigkeit zu rekurrieren. Das geschilderte Paradoxon existiert also stets 90 So

aber Martini, Absolute Rechtsgleichheit, S. 248 f. DÖV 1988, 749/756. 92 Huster, Rechte und Ziele, S. 417; anders Gusy, JuS 1982, 30/35 f.; Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/55; Stern, StaatsR I, § 21 IV 4 g (S. 930). Vgl. Heun in: Dreier, GG, Art. 3 Rn. 66. 93 BVerfGE 74, 163/178 f.; Robbers, DÖV 1988, 749/765 f. 94 Robbers, DÖV 1988, 749/757. 95 BVerfGE 12, 354/367; Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 54. 96 Robbers, DÖV 1988, 749/757. 97 Huster, Rechte und Ziele, S. 409 f., 413. Vgl. Arnim, Staatslehre, S. 142. 91 Robbers,

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§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

in solchen Fällen erst gar nicht, in denen es zu keiner Kollision zwischen (rechtlicher) Gleichheit und sozialstaatlichen Erwägungen kommt. Dies setzt voraus, daß der Tatbestand des Gleichheitssatzes durch das Sozialstaatsprinzip eine bereichsspezifische Konkretisierung erfährt. Dann liegt ein sog. interner Zweck vor, der der rechtlichen Gleichheit nicht widerspricht, sondern ihren Maßstab bildet.98 Eine Kollision kann in solchen Fällen der (sozialstaatlichen) Konkretisierung des Gleichheitssatzes nicht angenommen werden. Der Gleichheitsbegriff des allgemeinen verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes beschränkt sich folglich insoweit nicht auf die rechtliche Gleichheit, als andere Verfassungsbestimmungen zu seiner bereichsspezifischen Konkretisierung herangezogen werden können und auch müssen.99 Diese Zuordnung sozialer Erwägungen zum Gleichheitssatz ist allerdings nur dann ohne weiteres möglich, wenn er im Sinne eines derivativen Leistungsrechts verstanden wird, weil er dann aus dem vorgegebenen rechtlichen Rahmen seine Konkretisierung erfahren kann. Als originäres Teilhaberecht – also in unmittelbarer Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG auf Probleme sozialer Gerechtigkeit – wird die Geltungskraft und Justitiabilität des Gleichheitssatzes erheblich geschwächt. Die soziale Gerechtigkeit wäre zu thematisieren, ohne daß angesichts des um sie rankenden politischen Streits geklärt werden könnte, was konkret darunter zu fassen ist. Eine unmittelbare Anwendbarkeit unter Aufrechterhaltung des verfassungsrechtlichen Kompetenzgefüges müßte verneint werden.100 Anders als im Bereich der Freiheitsrechte folgt eine Beschränkung der Umverteilung nicht einmal aus der Freiheitsfunktionalität.101 Das Grundgesetz selbst enthält keinen umfassenden Entwurf einer gerechten Sozialordnung. Ein Maßstab für die soziale Gerechtigkeit fehlt daher. 4. Deduktion und Zwischenergebnis Resümierend muß festgestellt werden, daß Erwägungen, faktische (soziale) Gleichheit in Art. 3 Abs. 1 GG zu integrieren, angestellt werden müssen, wenn es sich um die Verfolgung von Zwecken zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit (interne Zwecke) bzw. faktischer Gleichheit handelt. Dadurch wird die Formel „wesentlich Gleiches ist gleich, wesentlich Ungleiches ist ungleich zu behandeln“ ausgefüllt.102 98 Huster,

Rechte und Ziele, S. 414 ff. enthält folglich durchaus einen sozialen Gehalt: Huster, Rechte und Ziele, S. 416 ff.; Grimm, Grundrechte, S. 63; Hesse, AöR 77 (1951/52), 167/177 ff.; Hufen, Gleichheitssatz und Bildungsplanung, S. 48 ff.; Schneider, VVDStRL 47 (1989), 106/106 f.; Stein/Frank, Staatsrecht, § 48 II (S. 385 f.); Zacher, HdbStR I 1995, § 25 Rn. 35 (S. 1068); Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/14 f. Dagegen nehmen Alexy, Theorie, S. 378 f.; Gusy, JuS 1982, 30/35 f.; Katz, Staatsrecht, Rn. 704; Stern, StaatsR III/2, § 96 IV 9 c (S. 1830) eine Kollision auch in diesen Konstellationen an. 100 Huster, Rechte und Ziele, S. 421 ff. 101 Huster, Rechte und Ziele, S. 421. 102 Vgl. Huster, Rechte und Ziele, S. 426. 99 Er

B. Kompensation in der Gleichheitsprüfung

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Anders und auch klarer liegt das Problem, wenn Überlegungen faktischer Gleichheit als externe Zwecke von Ungleichbehandlungen mit dem Gleichheitssatz kollidieren, z. B. wenn nicht die individuelle Bedürftigkeit den relevanten Maßstab liefert, sondern die soziale Situation Dritter verbessert werden soll oder kollektive Ziele verfolgt werden.103 Damit ist das schon oben erwähnte Grundproblem angesprochen, daß, wer faktische Gleichheit herstellen will, rechtliche Ungleichheit im aktbezogenen Sinne in Kauf nehmen muß. Andererseits verstärkt die rechtliche Gleichheit wegen der Individualität des Menschen einige faktische Ungleichheiten oder läßt sie zumindest bestehen.104 Geht man davon aus, daß der allgemeine verfassungsrechtliche Gleichheitssatz ein umfassendes Prinzip der Gleichheit enthält, also sowohl die Garantie rechtlicher als auch faktischer Gleichheit umfaßt, liegt eine widersprüchliche Vorschrift vor, da rechtliche und faktische Gleichheit zugleich nicht erreicht werden können.105 Verlagert man die Probleme der faktischen Gleichheit vom Gleichheitssatz in das Sozialstaatsprinzip, stellt Art. 3 Abs. 1 GG eine in sich konsistente und homogene Vorschrift dar, welche nur rechtliche Gleichheit gewährleistet. Auf das Prinzip der rechtlichen Gleichheit gänzlich zu verzichten und nur die faktische Gleichheit als von Art. 3 Abs. 1 GG geschützt anzusehen, läßt das geltende Verfassungsrecht nicht zu.106 Die rechtliche Gleichheit stellt einen Wert an sich dar: Von zwei Situationen, die in allen Hinsichten gleich sind bis auf die Tatsache, daß die eine Situation eine rechtliche Ungleichbehandlung aufweist, welche in der anderen Situation nicht vorliegt, ist die zweite Situation vorzuziehen.107 Die Argumentationslast für Ungleichbehandlungen im aktbezogenen Sinne ist ein „Grundpostulat praktischer Rationalität“.108 Schließlich läßt sich das Prinzip rechtlicher Gleichheit wesentlich leichter und sicherer anwenden, da es nur den konkreten einzelnen Akt betrachtet und nicht alle vielfältigen Auswirkungen zugleich im Blick haben muß.109 Auf eine dogmatische Zuordnung des Prinzips der faktischen Gleichheit zu Art. 3 Abs. 1 GG muß jedoch nicht vollständig verzichtet werden. Die Auflösung des beschriebenen Paradoxons gelingt durch eine normtheoretisch fundierte, dogmatische Analyse: Aufgrund vorstehend geschilderter Erwägungen muß der Begriff „Gleichheit“ im Ausgangspunkt aktbezogen verstanden werden. Unmittelbar erfaßt Art. 3 Abs. 1 GG daher nur die rechtliche Gleichheit. Die rechtliche

103 Vgl. BVerfGE 12, 354/367: „auch das Sozialstaatsprinzip ermächtigt nicht zu beliebiger Sozialgestaltung, die das Gebot der Gleichheit auflösen würde.“ Vgl. Gusy, NJW 1988, 2505/2507. 104 Alexy, Theorie, S. 378. 105 BVerfGE 12, 354/367; Gusy, NJW 1988, 2505/2505 („keine spannungsfreie Harmonie“). 106 Alexy, Theorie, S. 379 und oben § 5 B. I. 3. (S. 292). 107 Alexy, Theorie, S. 380. 108 Alexy, Theorie, S. 380. 109 Zu dieser Argumentation Alexy, Theorie, S. 379 f. und oben § 5 B. I. 3. (S. 290).

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§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

Gleichheit stellt ein Prinzip110 innerhalb des Art. 3 Abs. 1 GG dar, welchem grundsätzlich Vorrang zukommt.111 Aufgrund der genannten Gründe läßt sich die faktische Gleichheit nicht ebenfalls der Frage der (Un-) Gleichbehandlung zuordnen. Jedoch folgt hieraus kein scharfer Antagonismus von Gleichheit (im aktbezogenen Sinne) und Sozialstaatlichkeit. Beide Verfassungsprinzipien sind zueinander in Beziehung zu setzen.112 Das Paradoxon läßt sich lösen, wenn die faktische Gleichheit als eine Frage des rechtfertigenden externen Grundes für eine Ungleichbehandlung begriffen wird. So kann das Prinzip der faktischen Gleichheit als definitives Nicht-Recht auf eine bestimmte Gleichbehandlung wirken, wenn nämlich zum Beispiel das Sozialstaatsprinzip im materiellen Sinne als Beschränkungsgrund des Rechts auf rechtliche Gleichheit herangezogen wird.113 Ferner kann das Prinzip der faktischen Gleichheit ein definitives Recht auf eine bestimmte Ungleichbehandlung geben, wenn nämlich das Prinzip der faktischen Gleichheit einen Grund für eine rechtliche Ungleichbehandlung liefert, die der Herstellung der faktischen Gleichheit dient.114 In diesem Falle wird ein subjektives öffentliches Recht auf faktische Gleichheit begründet. Der Aspekt der faktischen Gleichheit wird als ein mögliches Regulativ zur Begründung insbesondere einer rechtlichen Ungleichbehandlung berücksichtigt.115 Damit das Prinzip der faktischen Gleichheit diese Bedeutung überhaupt erst entfalten kann, muß es das Gewicht sämtlicher gegenläufiger Prinzipien, wie vor allem das der rechtlichen Gleichheit, aber auch Prinzipien betreffend der Kompetenzverteilung zwischen Verfassungsgericht und Gesetzgeber überwiegen. Das Gewicht des Prinzips der faktischen Gleichheit muß so groß sein, daß alle gegenläufigen Gründe zurücktreten.116 Mit Hilfe dieses Lösungsweges gelingt es einerseits, das in Art. 3 Abs. 1 GG eingeschlossene Paradoxon der Gleichheit aufzulösen, andererseits Art. 3 Abs. 1 GG als Ausdruck eines umfassenden Gleichheitskonzepts zu begreifen.117 In den Fällen, in denen der Gleichheitssatz durch Erwägungen faktischer Gleichheit eine bereichsspezifische Konkretisierung erfährt, fehlt es bereits an einer Prinzipienkollision, so daß ein Paradoxon nicht vorliegt. 110 Zum Begriff vgl. oben § 3 B. I. 3. (S. 99) m. w. N. Auch Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 128 spricht von „Annäherungswerten“ im Bezug auf Freiheit und Gleichheit und von der Notwendigkeit, Prioritäten zu setzen. Dies entspricht der Begrifflichkeit „Prinzipien“ und „Vorrangrelation“. 111 Alexy, Theorie, S. 383; Schoch, DVBl. 1988, 863/867. 112 Stettner, BayVBl. 1988, 545/552. Zu weit geht allerdings Zacher, HdbStR I 1995, § 25 Rn. 35 (S. 1068), wonach der Gleichheitssatz, obwohl auf Rechtsgleichheit zielend, soziale Ungleichheit nicht übersehen könne. Vgl. auch Rüfner, SGb 1984, 147/147 ff.; Zacher, AöR 93 (1968), 341/341 ff. 113 Alexy, Theorie, S. 383; Götz, Wirtschaftssubventionen, S. 268, 265 f.; Stettner, BayVBl. 1988, 545/552. 114 Alexy, Theorie, S. 383. 115 Vgl. Schoch, DVBl. 1988, 863/867. 116 Alexy, Theorie, S. 383 f.; Müller, VVDStRL 47 (1989), 37/55 (Abwägung zwischen dem Bedürfnis nach Egalisierung und den Auswirkungen auf die Grundrechtspositionen, die zum Zwecke der tatsächlichen Angleichung beschränkt werden müssen); Robbers, DÖV 1988, 749/757. 117 Alexy, Theorie, S. 384.

B. Kompensation in der Gleichheitsprüfung

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Die faktische Gleichheit als Prinzip fungiert folglich als externer Zweck einer Ungleichbehandlung und wird seinerseits mit Erwägungen aus dem Sozialstaatsprinzip normativ inhaltlich aufgefüllt. Da das Sozialstaatsprinzip eine Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung liefert, bilden Gleichheitssatz und Sozialstaatsprinzip keinen unbedingten Gegensatz, sondern sind einander verhältnismäßig zugeordnet. Die rechtliche Gleichbehandlung bleibt im Zentrum des Art. 3 Abs. 1 GG erhalten, und mit ihr geht eine Präferenz für rechtliche Gleichbehandlung einher, welche nicht ohne weiteres von der faktischen Gleichheit zur Seite gedrängt werden kann. Der allgemeine verfassungsrechtliche Gleichheitssatz weist so gesehen eine Asymmetrie auf.118 Zugunsten der rechtlichen Gleichheit besteht eine Argumentationslast, während für die Realisierung der faktischen Gleichheit hinreichende Gründe streiten müssen. Die Herstellung faktischer Gleichheit ist nur dann geboten, wenn hinreichende Gründe für die Realisierung des Gebots sprechen. Diesem Lösungsweg widerspricht nur scheinbar der oben angeführte Einwand der fehlenden Handhabbarkeit subjektiver Rechte auf Gleichheit und der Funktionsverschiebung originär legislativer Spielräume entgegen dem Grundsatz der Gewaltenteilung auf die Verfassungsgerichtsbarkeit. Die vorliegende Diskussion betrifft ausschließlich die Existenz und Ableitung eines Rechts, welches nicht allein deswegen negiert werden kann, weil sein Inhalt ungewiß ist und weil das Verfassungsgericht den Spielraum des Gesetzgebers beschränkt. Es ist gerade die Funktion der Grundrechte (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG), dem Handeln staatlicher Gewalt Grenzen zu setzen, was nichts anderes bedeutet als die Beschränkung legislativer Entscheidungsspielräume. Es ist die dem Verfassungsgericht von Verfassungs wegen zugewiesene Aufgabe, grundrechtliche Positionen festzustellen – auch und gerade, wenn über den genauen Inhalt Streit besteht und die Auslegung zu Lasten des Gesetzgebers bzw. der Exekutive geht.119 Die Kompetenz des Verfassungsgerichts besteht dabei einzig darin, der staatlichen Gewalt äußerste Grenzen aufzuzeigen, nicht sämtliche Verteilungsfragen autonom zu entscheiden. Dies ist und bleibt Auftrag des unmittelbar demokratisch legitimierten Parlaments.120 Der Einwand ist also zu präzisieren: Er wäre nur dann anzuerkennen, wenn den mit der faktischen Gleichheit verbundenen Besonderheiten (hohe Erkenntnisunsicherheit, schwere praktische Handhabung, Injustitiabilität, besondere Intensität des Eingriffs in „fremde“ Kompetenzbereiche. . . ) solches Gewicht zukommen, daß die Annahme eines konkreten subjektiven öffentlichen Rechts auf faktische Gleichheit sowie dessen Kontrolle durch das Verfassungsgericht von vornherein ausscheidet.121 In dieser Pauschalität ist dies zu verneinen. Die Bedenken finden im vorgeschlagenen Modell Berücksichtigung: Die Herstellung faktischer Gleichheit kommt nur in Frage, wenn dieses 118 Alexy,

Theorie, S. 387. Dworkin, Bürgerrechte, S. 144 ff.; Zacher, AöR 93 (1968), 341/357 ff. 120 Vgl. hierzu Alexy, Theorie, S. 384 ff. 121 Alexy, Theorie, S. 386. 119 Vgl.

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§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

Prinzip andere, entgegenstehende Prinzipien – wie z. B. das des Entscheidungsspielraums des Parlaments – überwindet. Im Ergebnis nähert sich dieser Ansatz sehr stark dem Dürig’schen Konzept122 an. Die von Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistete rechtliche Gleichheit bildet das Fundament. Sie ist anhand der übrigen Verfassungsbestimmungen, insbesondere anhand grundrechtlicher Wertentscheidungen zu konkretisieren.123 Auf diesem Fundament bauen die grundrechtlichen Freiheitsrechte auf. Sie dürfen sich jedoch nicht schrankenlos entfalten. Ansonsten liefe die Gesellschaft Gefahr, daß es auf Dauer zu einer grob ungleichen Betätigung der Freiheit kommt, weil sich nur der Starke durchsetzen würde. Die faktische Gleichheit verhindert eine schrankenlose Freiheitsbetätigung.124 Gleichheit und Freiheit bedingen sich auf diese Weise. Die Gleichheit gewährleistet die Existenz der Freiheit und umgekehrt.125 Die Kompensation als Vorgang, der faktische Gleichheit durch zumindest zwei rechtliche Ungleichbehandlungen wieder herstellt, führt daher nicht per se zu einer Gleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte bzw. Personen. Maßgeblich ist, daß nach wie vor rechtlich ungleich behandelte, jedoch faktisch wesentlich gleiche Sachverhalte bzw. Personen vorliegen. Die Kompensation ist also eine Rechtsfigur, die (zunächst) auf der Rechtfertigungsebene verortet werden muß. II. Zulässigkeit einer Gesamtbetrachtung Die rechtliche Beurteilung eines Lebenssachverhalts kann nicht bei einer aktbezogenen Sichtweise stehen bleiben. Diese ist zwar notwendig, um die Problemlösung strukturieren zu können, indem einzelne (Unter-) Probleme erkannt und dem richtigen Kontext zugeordnet werden. Eine umfängliche juristische Einschätzung verlangt jedoch die Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. So ließe sich die Intensität einer Ungleichbehandlung nicht vollständig erfassen, wenn sämtliche kompensatorische Effekte ausgeblendet blieben. Der tatsächliche Belastungserfolg staatlicher Maßnahmen muß folglich ebenfalls berücksichtigt werden.126 Dieser ergibt sich freilich nicht aus dem an einer Einzelnorm abzulesenden Erfolg, sondern aus dem Zusammenspiel der Normen. Aus der Bündelung mehrerer staatlicher Maßnahmen resultieren Auswirkungen auf die Prüfung deren Zulässigkeit. 122 Dürig

in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 139 ff. oben § 4 C. IV. 3. (S. 255 ff.). 124 Zacher, AöR 93 (1968), 341/362. 125 Kriele, HdbVerfR 1983, S. 133. 126 Hey, AöR 128 (2003), 226/239. 123 Vgl.

B. Kompensation in der Gleichheitsprüfung

299

Diese Gesamtbetrachtung liegt vor allem in solchen Fällen nahe, in denen eine rein mathematische Kompensation stattfindet, da hier eine exakte Verrechnung ganz unproblematisch möglich ist. Einzig ist Voraussetzung, daß die Rechtsfolge der einen Norm das exakte Spiegelbild der Rechtsfolge der anderen Norm ist.127 Verbleibende Differenzen nach der Verrechnung müssen im Rahmen der Rechtfertigung wie sonst auch berücksichtigt werden. Diese Konstellation wird allerdings nur in den seltensten Fällen vorliegen, da meist eine Vielzahl unterschiedlicher Rechtsbereiche berührt wird, aus denen unterschiedlichste Vor- und Nachteile entspringen. Der Verrechnung wohnt dann ein Wertungsmoment inne, und es muß im konkreten Einzelfall entschieden werden, ob und inwieweit der Ausgleich gelingt.128 Doch auch in diesen nicht auf den ersten Blick klaren Fällen kann auf eine Gesamtbetrachtung im Rahmen der Rechtfertigung nicht verzichtet werden. Behandelt die hohe Hand den Bürger in mehreren Akten, aber zeitgleich gegenüber anderen ungleich und verfolgt sie mit jedem dieser Akte (zumindest weitgehend) denselben Zweck, liegen zwar mehrere rechtliche Ungleichbehandlungen vor. Deren Schwere und Intensität kann jedoch nicht adäquat erfaßt werden, wenn die Gesamtbelastung in mehrere punktuelle Beeinträchtigungen aufgespalten bliebe und jeweils einer isolierten Prüfung auf die Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG hin unterzogen würden. Dieser unzureichenden Erfassung potenzierter Belastungen kann begegnet werden, wenn man annimmt, daß die hohe Hand nicht (im wesentlichen) zeitgleiche Ungleichbehandlungen vornimmt, sondern die bereits vorhandenen weiterführt. Dies ist möglich, wenn die (frühere) Ungleichbehandlung noch andauert, da dem Bürger dann gegenwärtig eine erhöhte Gesamtbeeinträchtigung erwächst, ähnlich wie wenn sämtliche Ungleichbehandlungen zeitgleich erfolgt wären.129 Ist die frühere Ungleichbehandlung hingegen abgeschlossen, kann diese mangels Gegenwärtigkeit keine Berücksichtigung mehr finden. Neben dem zeitlichen Moment ist eine weitere, inhaltliche Voraussetzung zu erfüllen: Die Ungleichbehandlung muß ihre Intensität bei gleichem Zweck verändern. Dieser Effekt darf bei der Rechtfertigungsprüfung nicht ausgeblendet werden. Vielmehr müssen bei jeder Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Ungleichbehandlung sämtliche anderen Ungleichbehandlungen, die zu demselben Zweck vorgenommen werden oder wurden, solange sie noch nicht abgeschlossen sind, in die Prüfung mit einbezogen werden.130 127 Hey, AöR 128 (2003), 226/239. Dies ist allenfalls bei Ansprüchen auf Zahlung von Geld denkbar (z. B. im Steuer- oder Sozialrecht) oder auf Vornahme vertretbarer Handlungen. 128 Hey, AöR 128 (2003), 226/240. 129 Zu dieser Argumentation vgl. Lücke, DVBl. 2001, 1469/1470 ff., der dort den sog. „additiven Grundrechtseingriff“ für Freiheitsrechte entwickelte. Die Überlegungen lassen sich aber auch auf das vorliegende Problem im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes übertragen. 130 Vgl. Lücke, DVBl. 2001, 1469/1476 f.

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§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

Diese Argumentation gilt identisch auch für den umgekehrten Fall, daß durch eine weitere Ungleichbehandlung die Gesamtintensität rechtlicher Ungleichheit sinkt. Auch in diesem Falle ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, die der Berücksichtigung der Gesamtbeeinträchtigung des Bürgers dient. Eine Gesamtbetrachtung verschiedener Ungleichbehandlungen, die zu demselben Zweck erfolgen und noch nicht abgeschlossen sind, ist nicht nur zulässig, sondern auch notwendig. Die Gesamtbetrachtung ist jedoch keine Frage der Ungleichbehandlung selbst. Diesbezüglich bleibt es bei der aktbezogenen Betrachtung, also bei der rechtlichen Gleichheit. Da damit aber nur ein Ausschnitt eines einheitlichen Lebenssachverhalts betrachtet wird, kommt man nicht umhin, im Rahmen der Frage nach der Zulässigkeit der Ungleichbehandlung eine Gesamtbetrachtung anzustellen. An dieser Stelle wird das Gewicht der Ungleichbehandlung von Bedeutung und ist genau zu formulieren: Erst hier wird das Gewicht des Prinzips der Gleichbehandlung wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte und eventuell anderer damit kollidierender Prinzipien bestimmt bzw. danach gefragt, ob der Gleichheitsmaßstab eingehalten wurde. III. Zwischenergebnis Damit ist die Erkenntnis gewonnen, daß Art. 3 Abs. 1 GG nur die rechtliche Gleichbehandlung wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte gewährleisten will, nicht auch faktische Gleichheit. Es ist folglich zunächst eine aktbezogene Betrachtung vorzunehmen. Die Frage nach einer faktischen Gleichbehandlung ist dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) zuzuordnen. Dieses kann als relevanter Maßstab der Konkretisierung des Gleichheitssatzes dienen, wenn die individuelle Bedürftigkeit in Rede steht (interner Zweck der Ungleichbehandlung). Soll hingegen die tatsächliche Situation Dritter verbessert werden oder sollen kollektive Ziele verfolgt werden (externe Zwecke der Ungleichbehandlung), liegt eine Kollision zwischen faktischer (sozialer) Gleichheit und der Forderung nach rechtlicher Gleichbehandlung vor. Erst in einem zweiten Schritt, auf der Ebene des zureichenden Grundes für eine Ungleichbehandlung, findet die Frage der faktischen Gleichheit neben anderen, der Forderung nach rechtlicher Gleichbehandlung widersprechenden Prinzipien, ihren dogmatischen Platz. So stellt z. B. das Sozialstaatsprinzip eine Möglichkeit dar, die Forderung nach rechtlicher Gleichbehandlung zugunsten faktischer Gleichheit zu begrenzen. An dieser Stelle findet eine Gesamtbetrachtung aller Ungleichbehandlungen, also sämtlicher Vor- und Nachteile, statt, da nur so die Intensität der Ungleichbehandlung bestimmt und das Gewicht des notwendigen zureichenden Grundes (externen Zwecks) ermittelt werden kann.131 131 Vgl.

BVerfGE 11, 50/60.

B. Kompensation in der Gleichheitsprüfung

301

Bei dem hier interessierenden Kompensationsverhältnis liegen daher zwei Ungleichbehandlungen vor, die jeweils rechtfertigungsbedürftig sind. Damit stellt sich die Kompensation als Frage der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung dar. Wie die Kompensation eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann, ist mit der Feststellung der grundsätzlichen Zulässigkeit der Gesamtbetrachtung noch nicht dargetan und ist Gegenstand der Erörterungen des folgenden Abschnitts. Eine einfache Addition anzunehmen, verbietet sich angesichts der Komplexität der Verhältnisse und dürfte in den meisten Fällen schon tatsächlich unmöglich sein. IV. Einordnung des Kompensationsgedankens in Art. 3 Abs. 1 GG Durch den Einsatz des Verhältnismäßigkeitsprinzips als Konfliktlösungsmechanismus entstehen negative Transfers dadurch, daß eines der konfligierenden Güter zugunsten des Gutes mit dem höheren Schwellengewicht zurücktreten muß.132 Es wurde nachgewiesen, daß die Kompensation solche negative Transferströme verhindert, indem sie einen Gegenstrom erzeugt. Sie zielt darauf, den negativen externen Effekt durch den Einsatz eines Kompensationsmittels zu beseitigen. Durch dieses wird die Beeinträchtigung eines Rechts wieder ausgeglichen.133 Die Rechtsfigur der Kompensation läßt sich in die dogmatische Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes einfügen. Verfolgt der Gesetzgeber mit seiner Ungleichbehandlung einen externen Zweck (z. B. den Umweltschutz), bedarf es an sich auf der Rechtfertigungsebene einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, mit deren Hilfe festgestellt werden kann, ob die Verfolgung des externen Zwecks derart gewichtig ist, daß sie die vorgenommene Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte nach Art und Ausmaß zu rechtfertigen geeignet ist. Liegt ein Kompensationsverhältnis vor, indem der Gesetzgeber z. B. eine aufgrund der umweltschützenden staatlichen Maßnahme entstandene Ungleichheit durch eine finanzielle Leistung ausgleicht, liegt noch keine Gleichheit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG vor.134 Wesentlich gleiche Sachverhalte bzw. Personengruppen werden nach wie vor rechtlich nicht gleich behandelt. Es bleibt daher dabei, daß an sich eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist. Zu dem schwächeren Gut, welches in der Abwägung zurücktritt, wird durch die Kompensation ein Transfergegenstrom erzeugt. Das vom Gesetzgeber verfolgte externe Ziel wird nicht auf Kosten eines individuell bestimmten Bürgers, der Eingriffe in den Schutzbereich seiner Rechte dulden muß, verfolgt. Die Kom132 Vgl.

oben § 3 B. I. 5. (S. 105). oben § 3 E. I. 3. (S. 173). 134 Vgl. § 5 B. I. 4. (S. 298). 133 Vgl.

302

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

pensation führt vielmehr dazu, daß der durch den verfolgten externen Zweck entstandene negative Effekt internalisiert wird: Wird der Zweck im allgemeinen Interesse verfolgt, muß die Allgemeinheit, handelt der Staat im Interesse eines Dritten, muß der Dritte die Kosten tragen. Die Kosten des externen Zwecks sollen bei der Kompensation gerade demjenigen auferlegt werden, dem der Vorteil der Regelung zugute kommt. Die Kompensation beseitigt den externen Effekt vollständig oder bei teilweiser Kompensation in entsprechend geringerem Umfange. Auf Art. 3 Abs. 1 GG bezogen bedeutet dies: Die Kompensation löst die Kollision zwischen der von Art. 3 Abs. 1 GG garantierten Gleichbehandlung wesentlich gleicher Personengruppen bzw. Sachverhalten und dem externen Zweck wie – z. B. dem Umweltschutz – auf. Liegen die Voraussetzungen der Kompensation vor, wird der externe Zweck zu einem internen Zweck (Internalisierung). Die Kompensation dient damit der Herstellung einer materiellen Gleichbehandlung wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte wie sie von Art. 3 Abs. 1 GG gefordert wird. Die Verfolgung des externen Zwecks kollidiert nicht mehr mit der Forderung des Art. 3 Abs. 1 GG nach Gleichbehandlung, weil insoweit durch die Kompensation eine Rechtsbeeinträchtigung gerade ausgeschlossen wird. Durch den von ihr erzeugten Transfergegenstrom wird eine Gleichbehandlung bewirkt. Es kollidieren nicht mehr Gleichheit und z. B. Umweltschutz, sondern es ist zu fragen, inwieweit die zweifache rechtliche Ungleichbehandlung durch die Kompensationsleistung an nur eine Personengruppe vorgenommen wurde, weil wesentlich gleiche Personengruppen bzw. Sachverhalte vorliegen. Zum Beispiel werden durch staatliche Umweltschutzmaßnahmen unterschiedliche Vergleichsgruppen aus wesentlich gleichen Personen bzw. Sachverhalten gebildet. Deren Ungleichheit wird als Anknüpfungspunkt für die Kompensationsleistung genommen. Diese stellt ein Mittel dar, eine materielle Gleichbehandlung zu bewirken. Zugleich verhindert sie die Bildung unterschiedlicher Vergleichsgruppen, obwohl wesentlich gleiche Personengruppen bzw. Sachverhalte vorliegen. Die im Widerspruch zur verfassungsrechtlichen Gleichheitsforderung ungleich behandelte, da von den staatlichen Umweltschutzmaßnahmen betroffene Vergleichsgruppe wird begünstigt und die Benachteiligung auf diese Weise materiell beseitigt. Der verfolgte Zweck läßt sich nicht mehr nur als externer Zweck begreifen, da die Vergleichsgruppenbildung wieder aufgehoben wird. Die Internalisierung gelingt nur bei einem inneren Funktionszusammenhang zwischen eingreifender und kompensierender Maßnahme. Durch diesen inneren Funktionszusammenhang stehen der externe Zweck der Umweltschutzmaßnahme und der interne Zweck der Kompensation nicht mehr beziehungslos nebeneinander. Da sie eng miteinander verknüpft sind, führt die Kompensation dazu, daß beide Maßnahmen als Einheit betrachtet werden müssen. Dem Wesen der

C. Zulässigkeitsvoraussetzungen

303

Kompensation entspricht es, daß sich die Kompensationsleistung nach dem externen Zweck „Umweltschutz“ bestimmt. Der innere Funktionszusammenhang bewirkt in Verbindung mit der Kompensationsleistung folglich, daß der externe Zweck einer staatlichen Maßnahme als interner Zweck qualifiziert wird. Soweit eine Kompensation vorliegt, entfällt der Konflikt zwischen der Forderung des Art. 3 Abs. 1 GG nach materieller Gleichbehandlung wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte und dem verfolgten Ziel der staatlichen Maßnahme. Da der externe Zweck in seiner benachteiligenden Wirkung mit seinem Entstehen zeitgleich einen Ausgleich erfährt, kann einzig beurteilt werden, ob der Ausgleich ausreichend ist und so der verfassungsrechtliche (Gleichheits-) Maßstab erfüllt wird. Es findet lediglich eine Entsprechens- und keine Verhältnismäßigkeitsprüfung statt. Allerdings kann von einer solchen Internalisierung des externen Zwecks nur gesprochen werden, soweit die Kompensation einen Ausgleich tatsächlich bewirkt. Ein etwa verbleibender nicht kompensierter Rest muß, da er nach wie vor mit der Gleichheitsforderung des Art. 3 Abs. 1 GG kollidiert, mit Hilfe einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gerechtfertigt werden. Die Bewertung, inwieweit ein Ausgleich stattgefunden hat bzw. wie groß der verbleibende und noch zu rechtfertigende Rest ist, ist eine normative Frage, die im Rahmen der Voraussetzungen der Kompensation zu überprüfen ist. Den Maßstab liefert wiederum die Verfassung. Da es im Rahmen des Ausgleichs darum geht, ob wesentlich ungleiche Personengruppen bzw. Sachverhalte entsprechend ihrer tatsächlichen Ungleichheit ungleich behandelt werden, kommt wieder derselbe verfassungsrechtliche Maßstab zum Zuge, der bereits oben diskutiert wurde und als Konkretisierung der wesentlichen Gleichheit diente. Das Kompensationsmittel muß die erfolgte Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Personengruppen bzw. Sachverhalte ausgleichen, d. h. sie muß die wesentliche Gleichheit wieder herstellen. Der Maßstab hierfür ist bei der Kompensation kein anderer als bei sonstigen vom Gesetz verfolgten internen Zwecken.

C. Zulässigkeitsvoraussetzungen der Kompensation bei Art. 3 Abs. 1 GG Die Kompensation stellt ein Konfliktlösungsverfahren zur Verfügung, wenn die Gleichbehandlungsforderung des Art. 3 Abs. 1 GG durch externe Zwecke beeinträchtigt wird. Die allgemeinen Voraussetzungen für eine Kompensation wurden aus in der Rechtsordnung bereits vorhandenen Kompensationsregelungen entwickelt.135 Diese allgemeinen Voraussetzungen bilden auch die Grundla135 Vgl.

oben § 2 A. (S. 33 ff.).

304

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

ge zur Beurteilung der Zulässigkeit von Kompensationen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG. Darüber hinaus müssen aber spezifische verfassungsrechtliche Anforderungen an die Kompensation von Grundrechtsbeeinträchtigungen eingehalten werden.136 I. Der Kompensationsgedanke in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht wendet zwar den Kompensationsgedanken in ständiger Rechtsprechung an.137 Die Terminologie und die dogmatische Einordnung bleiben jedoch uneinheitlich und unvollkommen. Die Möglichkeit, Verletzungen des Art. 3 Abs. 1 GG durch eine Kompensationsleistung auszuschließen, wird ohne nähere Begründung – offensichtlich als Selbstverständlichkeit – angenommen. Insbesondere im Steuer- und Sozialversicherungsrecht, wo sich ohnehin recht leicht zu verrechnende Positionen gegenüber stehen,138 greift das Bundesverfassungsgericht häufig auf den Kompensationsgedanken zurück. Der Saldierungsgedanke könnte als Element der Systemgerechtigkeit139 , der Typisierung140 , als sachlicher Grund im Sinne der Willkürformel141 oder als eigenständige Figur verstanden werden. Der bundesverfassungsgerichtliche Ansatz beruht letztlich stets auf der Annahme, daß das Gewicht eines Nachteils sich nicht aus der einzelnen Norm selbst zu ergeben braucht, sondern möglicherweise erst im Zusammenhang mit dem ganzen Gesetz oder gar einer Gruppe von Gesetzen richtig gemessen werden kann.142 Den Ausgangspunkt bildet eine saldierende Gesamtbetrachtung.143 Einzelne Normen dürfen verfassungsrechtlich nicht isoliert betrachtet werden, sondern sie sind im Zusammenhang mit dem jeweiligen gesetzlichen Regelungssystem zu sehen.144 Dieses Gesamtergebnis ist dann am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG zu messen.145

136 Vgl.

oben § 2 D. (S. 70). 11, 50/59 f.; 12, 151/167 f. (zu Art. 6 GG); 13, 331/341; 15, 328/333 (zu Art. 6 GG); 18, 97/108 ff. (zu Art. 6 GG); 23, 327/343; 32, 260/269 (zu Art. 6 GG); 34, 118/128; 37, 154/166; 40, 109/117 f.; 61, 319/355; 63, 119/128; 67, 186/196; 79, 87/99; 84, 348/363 f.; 96, 1/7 ff.; 105, 73/111 ff.; BVerfG, AP EStG § 9 a, Nr. 1. 138 Hey, AöR 128 (2003), 226/232; Klein, DVBl. 1981, 661/663. 139 BVerfGE 34, 118/128 ff. 140 BVerfG, AP EStG § 9 a, Nr. 1; vgl. auch BVerfGE 12, 151/167 f.; 29, 221/237; 84, 348/362. 141 BVerfGE 34, 118/128 ff. 142 Vgl. BVerfGE 13, 331/341; 34, 118/129 f.; 40, 109/118; 79, 87/99; 96, 1/8. 143 BVerfGE 13, 331/341. 144 BVerfGE 34, 118/129 f.; 40, 109/118; 79, 87/99; vgl. BVerfGE 35, 283/291 f. 145 BVerfGE 23, 327/343. 137 BVerfGE

C. Zulässigkeitsvoraussetzungen

305

Konkrete Erkenntnisse sind solchen Äußerungen nur schwer zu entnehmen. Sowohl hinsichtlich der Einordnung der Kompensation in die Dogmatik des Art. 3 Abs. 1 GG als auch bezüglich der Voraussetzungen der Kompensation selbst läßt sich ein geschlossenes dogmatisches System nicht erkennen. So wird oft reichlich unpräzise offen gelassen, ob die Kompensation als Tatbestandsfrage oder als Rechtfertigungsgrund zu begreifen ist. Einerseits wird aus dem Vorund Nachteile in sich aufnehmenden Gesamtbild gefolgert, daß die wesentliche Gleichheit fehle und daß deswegen Ungleiches nach seiner Eigenart behandelt werde. Die Kompensation bewirkt demnach, daß die Benachteiligung entfällt.146 Andererseits wird lediglich ohne konkrete Einordnung von verfassungsrechtlicher Unbedenklichkeit aufgrund einer Kompensation gesprochen147 bzw. schlicht von einem Ausgleich der Ungleichheiten.148 Dies soll wohl ebenfalls eine Einordnung auf der Tatbestandsebene bedeuten. Die Tendenz der Rechtsprechung weist jedoch darauf hin, daß der Kompensationsgedanke als sachlicher Grund im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung verstanden wird.149 Auch die Voraussetzungen, unter denen die Kompensation zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer an sich gleichheitswidrigen Regelung führt, werden nicht stets genannt oder auch nur genau untersucht. Oft genügt wohl die dem Kompensationsgedanken immanente Überzeugungskraft.150 Nichtsdestoweniger lassen sich aus einer Gesamtbetrachtung der Rechtsprechung einige Voraussetzungen entnehmen. Ausgangspunkt ist dabei stets die allgemeine Gleichheitsprüfung anhand der vom Bundesverfassungsgericht hierfür entwickelten Kriterien.151 Der Kompensationsgedanke steht also nicht neben dem Gleichheitssatz, sondern wird in dessen dogmatische Struktur integriert. 1. Personenidentität Ein vom Bundesverfassungsgericht häufig herangezogenes Zulässigkeitskriterium folgt schon aus den allgemeinen Voraussetzungen der Kompensation. Erforderlich ist, daß der durch die Kompensation bezweckte Ausgleich tatsächlich 146 BVerfGE

9, 125/136 f.; 15, 328/333; 23, 327/343; 35, 283/291 f.; 79, 87/99; 84, 348/362 f.; 96,

1/8. 147 BVerfGE 12, 151/164 („verfassungsrechtlich relevant“, präziser auf S. 167); 28, 324/358 f.; 67, 186/196. 148 BVerfGE 35, 283/291. 149 BVerfGE 12, 151/167; 13, 331/339 ff.; 18, 97/106, 108; 34, 118/132; 37, 154/165 f.; 40, 109/118 f.; 74, 9/25; 105, 73/113 f.; BVerfG, LKV 2003, 421/421. Die Einordnung in die verfassungsrechtliche Rechtfertigung erfolgt auch im Rahmen der Prüfung des Art. 2 Abs. 1 GG, BVerfGE 29, 221/237. 150 Vgl. z. B. BVerfGE 11, 50/59 f. 151 Vgl. z. B. BVerfGE 12, 151/163.

306

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

gelingt. Dies ist nur bei Personenidentität der Fall. Vor- und Nachteile einer Regelung können nur innerhalb der materiell betroffenen Gruppe festgestellt werden. Personengruppen, die von der untersuchten Regelung nicht betroffen sind, dürfen in die Betrachtung nicht einbezogen werden.152 Die gesetzlichen Vorteile müssen denjenigen zugute kommen, die zu den von der Benachteiligung konkret Betroffenen gehören.153 Allein eine allgemein familienfreundliche Tendenz des Gesetzes kann eine die Familien benachteiligende Regelung nicht rechtfertigen.154 Eine Vorteilsgewährung zugunsten solcher Personen, die von der Benachteiligung nicht getroffen werden, kann die Verfassungswidrigkeit der benachteiligenden Regelung nicht ausschließen.155 2. Innerer Funktionszusammenhang Mit dem Erfordernis der Personenidentität hängt eine weitere Voraussetzung zusammen, die freilich vom Bundesverfassungsgericht eher implizit geäußert wird. Erforderlich ist ein innerer Funktionszusammenhang zwischen den zu verrechnenden Vor- und Nachteilen. So verbietet es sich, eine die Familie benachteiligende Norm des Steuerrechts mit familienfreundlichen Bestimmungen anderer Steuergesetze oder gar des gesamten Rechtssystems zu verrechnen, um so eine Benachteiligung im Ergebnis auszuschließen.156 Der innere Funktionszusammenhang läßt auch eine Verrechnung von Vor- und Nachteilen einer gesetzlichen Regelung, die sich nur im atypischen Einzelfall, d. h. zufällig oder in konstruierten Ausnahmefällen gegenüber stehen, nicht zu.157 Vor- und Nachteile müssen bei einer typischen Betrachtung zusammentreffen.158 Das Erfordernis eines inneren Funktionszusammenhangs folgt aus der Erkenntnis, daß das Gewicht einer Ungleichbehandlung (z. B. eines Steuernachteils) sich nicht aus der einzelnen Norm selbst zu ergeben braucht, sondern erst im Zusammenhang des ganzen Gesetzes oder eines auf mehreren Gesetzen beruhenden Regelungssystems richtig ermessen werden kann.159 Die Aufspaltung in unterschiedliche Regelungen und Gesetze ist letztlich eine künstliche Trennung, die von der Sache nicht vorgegeben wird. Diese kann sich nicht in der Gleichheitsprüfung fortsetzen und für die Verfassungswidrigkeit von Normen maßgeblich werden. Sonst könnte nämlich je nach der gewählten formal-gesetzlichen 152 BVerfGE

12, 151/167 f.; 13, 331/343; 15, 328/333. 15, 328/333; 39, 1/58 f. 154 BVerfGE 18, 97/108; ähnlich BVerfGE 39, 1/58 f. Anders jedoch im Zusammenhang mit einer die Ehe benachteiligenden Regelung, vgl. unten § 5 C. I. 3. (S. 307). 155 BVerfGE 63, 119/128; 67, 186/198. 156 BVerfGE 12, 151/168. 157 BVerfGE 12, 151/168; 15, 328/383; 18, 97/109 f.; 28, 324/358 f. 158 BVerfGE 23, 327/343. 159 Sog. Gesamtvergleich, BVerfGE 13, 331/341; 34, 118/129 f.; 40, 109/118; 79, 87/99; 96, 1/8. 153 BVerfGE

C. Zulässigkeitsvoraussetzungen

307

Gestaltung über die Verfassungswidrigkeit bzw. Verfassungsmäßigkeit entschieden werden, ohne daß dem Inhalt der Regelungen noch Bedeutung zukäme. Der materielle Gehalt ist aber in erster Linie das, für was Art. 3 Abs. 1 GG ebenso wie die anderen Grundrechte Maßstäbe vorgibt. Es kann dabei allerdings kein Gesamtvergleich derart stattfinden, daß die gesamte Rechtsordnung betrachtet würde. Vielmehr wird nur das konkret in Rede stehende Regelungssystem beurteilt. So beschränkt sich z. B. die verfassungsrechtliche Würdigung einkommensteuerrechtlicher Normen auf eine einkommensteuerrechtliche Sichtweise. Be- und Entlastungen jenseits der einkommensteuerrechtlichen Belastung aus dem Besoldungs-, Versorgungs- und Sozialversicherungsrecht bleiben unberücksichtigt.160 Der erforderliche Zusammenhang folgt aus den im Gesetz angelegten Kompensationsabsichten des Gesetzgebers sowie aus der objektiven Eignung der vorteilsgewährenden Norm zum Ausgleich.161 Eine außersteuerrechtliche Kompensation setzt eine entsprechende gesetzgeberische Entscheidung und ein Mindestmaß an zweckgerechter, auf verschiedene Ausgleichsbedürfnisse abgestimmte Ausgestaltung des Vergünstigungstatbestands voraus.162 Ausgleichsbedürftige Nachteile und begünstigende Ausgleichswirkungen müssen aufeinander bezogen sein. Weiter ist Voraussetzung, daß die Nachteile tatsächlich feststellbar sind. Die als Kompensation gedachten Leistungen müssen mit der benachteiligenden Regelung korrelieren.163 Nur dann stehen Vor- und Nachteile in einer Beziehung, aufgrund derer sie sich tatsächlich gegenseitig neutralisieren können. Ist dies nicht der Fall, verbleibt ein nicht kompensierter Rest der Ungleichbehandlung. Die zur Kompensation gedachte Leistung hat nach ihrem Sinn und Zweck, nach ihrer Rechtsnatur, nach den Voraussetzungen sowie nach ihrer Art und Höhe der benachteiligenden Regelung zu entsprechen, um einen Ausgleich bewirken zu können.164 3. Erreichen des Ausgleichs Die Verrechnung muß schließlich in ihrer Höhe zu einem tatsächlichen Ausgleich führen. Dabei bleiben geringfügige Vorteile ebenso außer Betracht165 wie eine geringfügige negative Differenz, die nach der Verrechnung noch besteht.166 160 BVerfGE

105, 73/113 f. Hierzu Brodersen, JuS 2002, 822/822. 105, 73/113 f. 162 BVerfGE 105, 73/113 f. 163 BVerfGE 28, 324/359. 164 BVerfGE 37, 154/166; 84, 348/362. Vgl. auch sogleich unten § 5 C. I. 3. (S. 307). 165 BVerfGE 12, 151/168; vgl. BVerfGE 18, 97/109. 166 Vgl. oben § 2 C. II. 3. (S. 68). 161 BVerfGE

308

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

Es kommt nicht darauf an, daß sich in jedem Einzelfall ein Ausgleich einer nachteiligen Behandlung ergibt.167 Schließlich ist es unschädlich, wenn über die Benachteiligten hinaus noch weitere Personen in den Genuß des Vorteils kommen.168 Es genügt z. B. bei einer die Ehe benachteiligenden Regelung, wenn die allgemeine Tendenz des Gesetzes auf Gleichbehandlung gerichtet ist bzw. die Ehe begünstigt, die gesetzliche Regelung im Ganzen also eheneutral ist, um eine rechtfertigende Kompensation annehmen zu können.169 Schon dann geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, daß der Ausgleich erfolgt sei. Bei einer rechnerisch möglichen Kompensation kommt es auf die wirtschaftliche Gleichwertigkeit der benachteiligenden Regelung und des Anspruchs an, der den Nachteil ausschließen soll.170 Ist eine Verrechnung im mathematischen Sinne nicht möglich, rekurriert das Bundesverfassungsgericht auf die Gerechtigkeit des vorgenommenen Ausgleichs171 bzw. auf die Wesentlichkeit eines erlangten Vorteils.172 Vor- und Nachteil müssen dabei nicht zeitgleich gewährt werden. Auch ein wesentlicher Vorteil in einem nachgelagerten Verfahren kann einen erlittenen Nachteil kompensieren.173 Die Komplexität des benachteiligenden bzw. des vorteilsgewährenden Systems kann einer Kompensation entgegenstehen, wenn sich nicht feststellen läßt, inwieweit ein Ausgleich erreicht wird. 4. Verfassungsmäßigkeit im übrigen Als kompensierende Normen können nur solche Bestimmungen herangezogen werden, die ihrerseits im übrigen der Verfassung entsprechen.174 5. Verhältnis Bund–Länder Eine Kompensation ist nach bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung ebenfalls hinsichtlich solcher Regelungen denkbar, die nicht von demselben Rechtsträger erlassen wurden. Dies ist der Fall, wenn eine landesrechtliche Regelung einen vom Bundesrecht verursachten Nachteil ausgleicht. Erforderlich ist 167 BVerfGE

40, 109/117 ff. LKV 2003, 421/421. 169 BVerfGE 15, 328/333; 32, 260/269. Anders BVerfGE 18, 97/108 (im Zusammenhang mit der Frage der Personenidentität) und BVerfGE 39, 1/58 f., vgl. oben § 5 C. I. 1. (S. 305). 170 BVerfGE 74, 9/25. 171 BVerfGE 34, 118/136. 172 BVerfGE 35, 283/292. 173 BVerfGE 35, 283/291 f. 174 BVerfGE 96, 1/9. 168 BVerfG,

C. Zulässigkeitsvoraussetzungen

309

aber auch hier ein zumindest mittelbarer Zusammenhang zwischen den Regelungen.175 6. (Teilweises) Scheitern der Kompensation Gelingt die Kompensation nicht oder nur teilweise, führt dies nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts noch nicht unmittelbar zur Verfassungswidrigkeit der Norm. Vielmehr ist im Anschluß an die Kompensationserwägungen hinsichtlich der verbleibenden, nicht kompensierten Ungleichbehandlung eine verfassungsrechtliche Rechtfertigungsprüfung nach der Willkürformel (bzw. nach der sog. neuen Formel) vorzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht prüft also, ob die Ungleichbehandlung von sachlichen Gründen getragen wird und daher gerechtfertigt ist.176 II. Der Kompensationsgedanke in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Das in den Grundfreiheiten des EGV enthaltene Diskriminierungsverbot legt es nahe, auch im Europarecht nach Kriterien für Kompensationskonstellationen zu suchen, die sich mit der angesichts der sehr verschiedenen Rechtsräume zu beachtenden Vorsicht auch für die Betrachtung des Art. 3 Abs. 1 GG fruchtbar machen lassen. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erkennt die Kompensation im Rahmen des europarechtlichen Gleichheitssatzes ausdrücklich als solche und weist bereits dogmatische Strukturen auf.177 Sie könnte daher vergleichend herangezogen werden, um die Voraussetzungen der Kompensation im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG zu entwickeln.178

175 BVerfG,

LKV 2003, 421/421. BVerfGE 84, 348/363; LKV 2003, 421/421. 177 Zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vgl. Urt. v. 28. 1. 1992, Rs. C-204/90 (Bachmann/Belgischer Staat), Slg. 1992, I-249 Rn. 21 ff.; Urt. v. 14. 2. 1995, Rs. C-279/93 (Finanzamt Köln-Altstadt/Schumacker), Slg. 1995, I-225 Rn. 39 ff.; Urt. v. 11. 8. 1995, Rs. C-80/94 (Wielockx/Inspecteur der directe belastingen), Slg. 1995, I-2493 Rn. 23 ff.; Urt. v. 14. 11. 1995, Rs. C-484/93 (Svensson und Gustavsson/Ministre du logement et de l’urbanisme), Slg. 1995, I-3955 Rn. 15 ff. Eine Saldierung wird für unzulässig gehalten in: EuGH, Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. C-270/83 (Kommission/Französische Republik), Slg. 1986, 273 Rn. 21 (avoir fiscal); Urt. v. 27. 6. 1996, Rs. C-107/94 (Asscher/Staatssecretaris van Financiën), Slg. 1996, I-3089 Rn. 55 ff.; Urt. v. 21. 9. 1999, Rs. C-307/97 (Compagnie de Saint-Gobain, Zweigniederlassung Deutschland/Finanzamt AachenInnenstadt), Slg. 1999, I-6161 Rn. 54; Urt. v. 26. 10. 1999, Rs. C-294/97 (Eurowings Luftverkehrs AG/Finanzamt Dortmund-Unna), Slg. 1999, I-7447, Rn. 44. 178 So auch der BFH in BFHE 188, 69/97 (Vorlagebeschluß nach Art. 100 Abs. 1 GG). 176 Vgl.

310

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

Der Europäische Gerichtshof beschäftigt sich vor allem in seiner steuerrechtlichen Judikatur häufig mit dem Kompensationsgedanken. Im Zentrum steht die Frage, ob die durch grenzüberschreitende Aktivitäten verursachten Nachteile durch anderweitige Vorteile ausgeglichen werden können.179 Der Europäische Gerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß eine steuerliche Benachteiligung, die gegen eine Grundfreiheit verstößt, nicht durch das etwaige Bestehen anderweitiger Steuervorteile gerechtfertigt werden kann.180 Dies wird darauf zurückgeführt, daß die Grundfreiheiten jede Diskriminierung verbieten, sei sie auch von nur geringem Umfange. Kompensatorische Maßnahmen würden den Binnenmarkt in seinen Grundlagen beeinträchtigen.181 Damit wird dem Kompensationsgedanken jedoch nicht gänzlich eine Absage erteilt. Im Steuerrecht existiert der besondere Rechtfertigungsgrund der Kohärenz.182 Würde durch eine einzelne (Steuer-) Rechtsnorm die Verletzung einer Grundfreiheit bewirkt, läßt sich die Norm unter Umständen dennoch rechtfertigen, wenn ihre Unanwendbarkeitserklärung aus europarechtlichen Gründen zu einer Störung der Systematik der nationalen Steuerrechtsordnung führen würde.183 Das Gebot der Systemgerechtigkeit der nationalen Steuerrechtsordnung wird so auf die zwischenstaatliche Ebene verlagert. Sinn dieses Kohärenzprinzips als Rechtfertigungsgrund ist es zu verhindern, daß jemand die Vorteile einer anderen Rechtsordnung abschöpft, ohne den bei einem reinen Inlandssachverhalt vorliegenden Nachteilen ausgesetzt zu sein.184 Dabei muß man sich vergegenwärtigen, daß allein die Aufrechterhaltung der nationalen Systementscheidung noch nicht zur Rechtfertigung einer Benachteiligung führt. Hinzukommen muß stets der Ausgleich durch einen Vorteil.185 Damit liegt genau die dem Kompensationsgedanken entsprechende Situation vor. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs läßt sich das Erfordernis des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Gewährung des Steuervorteils und dem Ausgleich dieses Vorteils 179 Vgl.

Hey, AöR 128 (2003), 226/234 ff.; Reimer, Grundfreiheiten, S. 39/50 f., 60 ff., 69. Urt. v. 28. 1. 1986, Rs. 270/83 (Kommission/Französische Republik), Slg. 1986, 273 Rn. 21; EuGH, Urt. v. 27. 6. 1996, Rs. C-107/94 (Asscher/Staatssecretaris van Financiën), Slg. 1996, I-3089 Rn. 53; EuGH, Urt. v. 21. 9. 1999, Rs. C-307/97 (Compagnie de Saint-Gobain/Finanzamt Aachen-Innenstadt), Slg. 1999, I-6161/6181 Rn. 54; Urt. v. 6. 6. 2000, Rs. C-35/98 (Staatssecretaris van Financië/B.G.M. Verkooijen), Slg. 2000, I-4071 Rn. 56 ff. 181 EuGH, Urt. v. 26. 10. 1999, Rs. C-294/97 (Eurowings Luftverkehrs AG/Finanzamt DortmundUnna), Slg. 1999, I-7447/7463, Rn. 45 zu Art. 52 EGV a. F. 182 Grundlegend: EuGH, Urt. v. 28. 1. 1992, Rs. C-204/90 (Bachmann/Belgischer Staat), Slg. 1992, I-249 Rn. 21 ff.; außerdem: EuGH, Urt. v. 14. 2. 1995, Rs. C-279/93 (Finanzamt KölnAltstadt/Schumacker), Slg. 1995, I-225 Rn. 39 ff. 183 Hey, AöR 128 (2003), 226/235. 184 Hey, AöR 128 (2003), 226/235. 185 EuGH, Urt. v. 11. 8. 1995, Rs. C-80/94 (Wielockx/Inspecteur der directe belastingen), Slg. 1995, I-2493 Rn. 23 f.; Urt. v. 6. 6. 2000, Rs. C-35/98 (Staatssecretaris van Financië/B.G.M. Verkooijen), Slg. 2000 I-4071 Rn. 57 f. 180 EuGH,

C. Zulässigkeitsvoraussetzungen

311

durch eine steuerliche Belastung entnehmen.186 Die Kompensation muß ein notwendiges Mittel sein, um die Kohärenz einer Steuerregelung zu gewährleisten.187 Die jeweiligen Vorschriften dürfen nicht nur eine zufällige kompensatorische Wirkung haben und lediglich zwei getrennte Besteuerungen von verschiedenen Steuerpflichtigen darstellen, sondern sie müssen in einem funktionellen Zusammenhang dergestalt stehen,188 daß die eine Norm ohne die andere keinen Sinn ergibt.189 Es muß dementsprechend auch sichergestellt sein, daß die Kompensation typischerweise stattfindet.190 Dem Kohärenzprinzip kommt neben der Kompensation als Rechtsfigur kein eigenständiger Gehalt mehr zu, sondern es besagt einzig, daß nicht beliebige Vorund Nachteile miteinander verrechnet werden dürfen, sondern nur solche, die miteinander in einem funktionellen Zusammenhang stehen.191 III. Analyse der Literatur In der Literatur finden sich nur vereinzelt präzise Äußerungen zu den Voraussetzungen von Vor- und Nachteilen bei Art. 3 Abs. 1 GG. 1. Ausschluß der Ungleichbehandlung schon bei gleichwertigem Ausgleich Nach teilweise vertretener Auffassung wird die Verrechnung von Vor- und Nachteilen implizit und ohne Begründung als eine Frage der Benachteiligung ein- und damit dem Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG zugeordnet. Da eine Beeinträchtigung des Gleichheitsrechts des Bürgers nur anzunehmen sei, wenn dieser durch die Ungleichbehandlung benachteiligt werde,192 fehle es an einer

186 EuGH, Urt. v. 6. 6. 2000, Rs. C-35/98 (Staatssecretaris van Financië/B.G.M. Verkooijen), Slg. 2000, I-4071 Rn. 57 f.; Urt. v. 14. 2. 1995, Rs. C-279/93 (Finanzamt Köln-Altstadt/Schumacker), Slg. 1995, I-225 Rn. 40; Urt. v. 14. 11. 1995, Rs. C-484/93 (Peter Svensson und Lena Gustavsson/Ministre du logement et de l’urbanisme), Slg. 1995, I-3955 Rn. 18. 187 EuGH, Urt. v. 14. 11. 1995, Rs. C-484/93 (Peter Svensson und Lena Gustavsson/Ministre du logement et de l’urbanisme), Slg. 1995, I-3955 Rn. 16; Urt. v. 27. 6. 1996, Rs. C-107/94 (Asscher/Staatssecretaris van Financiën), Slg. 1996, I-3029, Rn. 56. 188 EuGH, Urt. v. 6. 6. 2000, Rs. C-35/98 (Staatssecretaris van Financië/B.G.M. Verkooijen), Slg. 2000 I-4071 Rn. 57 f. 189 Vgl. Hey, AöR 128 (2003), 226/235. 190 EuGH, Urt. v. 6. 6. 2000, Rs. C-35/98 (Staatssecretaris van Financië/B.G.M. Verkooijen), Slg. 2000 I-4071 Rn. 60; Urt. v. 26. 10. 1999, Rs. C-294/97 (Eurowings Luftverkehrs AG/Finanzamt Dortmund-Unna), Slg. 1999, I-7447 Rn. 38 f. 191 Hey, AöR 128 (2003), 226/236. 192 BVerfGE 67, 239/244; Jarass in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 9; Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 84 f.

312

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

solchen Beeinträchtigung, wenn kompensierende Vorteile existieren, die dem benachteiligten Personenkreis zugute kommen und gleichwertig sind.193 Hier ist sehr zweifelhaft, ob schon diese beiden Voraussetzungen genügen, um eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG aufgrund der Kompensation auszuschließen. Vor- und Nachteile aus völlig verschiedenen Zusammenhängen könnten miteinander verrechnet werden. Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes würde danach nämlich bereits ohne weiteres dann ausscheiden, wenn ein Land für einen durch eine bundesrechtliche Regelung benachteiligten Teil seiner Bürger Ausgleichsregelungen erläßt, obwohl eine relevante Ungleichbehandlung stets von derselben Rechtssetzungsgewalt erfolgt sein muß.194 Sogar private Kompensationen (denkbar z. B. zugunsten eines ungleich getroffenen Arbeitnehmers durch seinen Arbeitgeber) wären zulässig. Die genannten Voraussetzungen sind folglich zwar notwendige, nicht aber hinreichende Bedingungen für die Zulässigkeit kompensatorischer Maßnahmen. Immerhin wird aber die wichtige Frage aufgeworfen, ob stets ein voller Ausgleich anzustreben ist und vor allem, wie die Gleichwertigkeit des Ausgleichs zu bestimmen ist.195 2. Eingeschränkte Zulässigkeit von Kompensationen Gegen eine solche – nahezu unbeschränkte – Zulässigkeit von Kompensationen wird in einem ersten präzisierenden Schritt eingewandt, daß die Gefahr einer zu weit angelegten Gesamtbetrachtung bestehe. Daher wird gefordert, daß Ungleichbehandlungen innerhalb des jeweiligen Regelungsbereichs gerechtfertigt werden müßten. Eine Kompensation müsse stets den spezifischen Eigengesetzlichkeiten des jeweiligen Regelungsgegenstands verpflichtet sein. Eine Ungleichbehandlung könne nicht beliebig kompensiert werden.196 Vorsichtig wird die Zulässigkeit einer Kompensation an die Voraussetzung geknüpft, daß diese in einem (freilich nicht näher spezifizierten) Zusammenhang zur Ungleichbehandlung steht. An anderer Stelle erfolgt eine Präzisierung der allgemeinen Rechtfertigungsanforderungen, die sich auf die Kompensationsfrage übertragen läßt. Da das mit der Ungleichbehandlung verfolgte Ziel auch aus sonstigen Gründen nicht gegen die Verfassung verstoßen dürfe,197 müsse auch umgekehrt gelten, daß nur ein für sich genommen im übrigen verfassungsgemäßes Kompensationsmittel einen Ausgleich bewirken könne, der eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG ausschließt.

193 Jarass

in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 3 Rn. 11 mit Verweis auf BVerfGE 63, 119/128; 74, 9/25. Fastenrath, JZ 1987, 170/173; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 431. 195 Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7/25. 196 Wendt, NVwZ 1988, 778/780. 197 Wendt, NVwZ 1988, 778/784. 194 Vgl.

C. Zulässigkeitsvoraussetzungen

313

Mit Verweis auf die Rechtsprechung der Organe der EMRK wird dafür plädiert, einen Eingriff in den Schutzbereich der Grundrechte stets dann auszuschließen, wenn der Staat für den Eingriff eine Entschädigung gewährt hat.198 Zwar sei in den allgemeinen Grundrechtslehren der Eingriff in Grundrechte derart definiert, daß es gerade nicht darauf ankomme, ob dieser dem Grundrechtsträger einen Nachteil bringe oder ihm ganz gut zupaß komme. Jedoch wird bei gleichzeitig vorliegenden Vor- und Nachteilen erwogen, diese zu verrechnen, so daß mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG ein Vorteil gar nicht mehr vorliege.199 Andererseits wird aber auch auf ein Rechtsverhältnis Bezug genommen, welches Rechte (Vorteile) und Pflichten (Nachteile) begründet.200 Hieraus ließe sich folgern, daß Vor- und Nachteile eine einheitliche Regelung bilden und durch diese miteinander verbunden sein müssen. Verfassungsrechtliche Ansatzpunkte zur Begründung von Kompensationen werden in Art. 14 Abs. 3 GG gesehen, der einen Grundrechtseingriff bei finanziellem Ausgleich grundsätzlich gestattet. Bei vollem Ausgleich der Nachteile eines Grundrechtseingriffs durch finanzielle Kompensation stünden rechtliche Bedenken nicht im Wege.201 Hier wird zweierlei deutlich: Einerseits wird die an sich selbstverständliche Forderung aufgestellt, daß die Kompensation, will sie die Verletzung des Gleichheitssatzes verhindern, einen vollständigen Ausgleich bewirken muß. Indes wird andererseits übersehen, daß eine einfache Verrechnung gerade nicht ohne weiteres gelingt. Ein materieller Rechtsverlust kann durch bloß finanzielle Kompensationsmittel nie vollständig beseitigt werden. Sämtliche nicht monetären Interessen blieben dabei außen vor. Andererseits zeigt der Verweis auf Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG, daß ein Junktim bestehen muß zwischen der nachteiligen Regelung und der Vorteilsgewährung. Das Kompensationsmittel muß von vornherein von der hohen Hand gewollt und mit der Ungleichbehandlung verknüpft sein (innerer Funktionszusammenhang). 3. Der Gleichheitssatz als Opferausgleichssatz Dürig diskutiert zwar die Zulässigkeit von Kompensationen selbst nicht. Er nimmt allerdings an, daß aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ein Opferausgleichssatz folge, wenn jener aus Gründen des überwiegenden Interesses durch Auferlegung besonderer, also ungleicher Opfer durchbrochen werden muß.202 198 Bleckmann,

Struktur, S. 64. Struktur, S. 63. 200 Bleckmann, Struktur, S. 63. 201 Bleckmann, Struktur, S. 64. 202 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 56 ff.; Dürig, JZ 1954, 4/5; Dürig, JZ 1955, 521/522. Vgl. Ipsen, Gleichheit, S. 195, der von einem „Prinzip der Kompensation für die Verletzung des Gleichheitssatzes“ spricht. 199 Bleckmann,

314

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

Dies betrifft vor allem die Aufopferung und die Enteignung.203 Erkenntnisreich ist in diesem Zusammenhang die Feststellung (bezogen auf die Enteignung), daß der Staat von vornherein wollen müsse, daß das ungleiche Opfer ausgeglichen wird.204 Schon die §§ 74, 75 Einl. ALR stünden nicht beziehungslos nebeneinander, sondern seien untrennbar miteinander verwoben. Nur weil diese Verknüpfung bestehe, sei die Durchführung des Eingriffs nach § 74 Einl. ALR rechtmäßig.205 Allgemein gesprochen bedeutet dies, daß der Staat – will er in Rechte des Bürgers im öffentlichen Interesse eingreifen – nur dann rechtmäßig handelt, weil er ebenso will, daß die im Sonderopfer liegende Ungleichbehandlung ausgeglichen wird.206 Dies besagt nichts anderes, als daß ein innerer Funktionszusammenhang zwischen der Ungleichbehandlung und der Kompensation vorliegen muß. Dieser wird durch den Willen des Staates, eine einheitliche Regelung zu schaffen, hergestellt. Die Enteignungsentschädigung z. B. kann einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz folglich nicht heilen, sondern eine Enteignung ist heil, weil z. B. eine Entschädigung von vornherein gewährt wurde.207 Zugleich ist jedoch davor zu warnen, daß mit Hilfe des Opferausgleichssatzes allzu leicht eine Auflösung der Begrifflichkeiten des Art. 3 Abs. 1 GG einhergeht.208 4. Der Gleichheitssatz als Gebot der Lastengleichheit Der Gleichheitssatz kann den Staat nicht nur positiv zur Gleichheit der Lastenverteilung anhalten, sondern er kann auch die Grundlage bilden für Ausgleichsansprüche, wenn staatliche Maßnahmen ihm zuwider eine ungleiche Lastenverteilung bewirken.209 Hieraus lasse sich ein „Prinzip der Kompensation für Verletzungen des Gleichheitssatzes“210 entwickeln. Dieses finde seine Grundlage in dem aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Gebot der gleichen Lastenverteilung. Bemerkenswert ist, daß hier zunächst von einer Verletzung des Gleichheitssatzes ausgegangen wird. Es scheint daher, daß auf einen (engen) inneren Funktionszusammenhang zwischen der Ungleichbehandlung und dem Kompensationsmittel verzichtet wird. Es genügt, wenn die ungleich behandelte Personengruppe

203 Vgl.

oben § 2 D. I. (S. 72 ff.) und § 2 D. II. (S. 75 ff.). in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 57. 205 Dürig, JZ 1954, 4/6. 206 Dürig, JZ 1954, 4/5. 207 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 57; Dürig, JZ 1954, 4/5 („Wille zum Opferausgleich“). 208 Vgl. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 67. 209 Ipsen, Gleichheit, S. 195. 210 Ipsen, Gleichheit, S. 195. 204 Dürig

C. Zulässigkeitsvoraussetzungen

315

einen vollständigen Ausgleich erfährt. Weitere Kriterien werden nicht angeboten.211 Insofern ist auch hier ein unvollständiger Ansatz anzunehmen.212 5. Legitimationszusammenhang und Artgleichheit Der innere Funktionszusammenhang wird lediglich bei Hey213 näher spezifiziert. Da der allgemeine Gleichheitssatz stets nur hinsichtlich einer relevanten Eigenschaft das Vorliegen einer Ungleichbehandlung beurteilt, kann es auch bei einer Kompensationskonstellation nicht mehr um die Verrechnung beliebiger Vorund Nachteile gehen.214 Entscheidende Bedeutung kommt daher dem Legitimationszusammenhang der zum Ausgleich gebrachten Vor- und Nachteile zu (§ 5 C. III. 5. e) [S. 318]). Daneben werden aber noch einige weitere Anforderungen aufgestellt: a) Sachverhaltsidentität Erste Voraussetzung der Kompensationszulässigkeit ist die Sachverhaltsidentität.215 Diese ergibt sich daraus, daß sich die Gleichbehandlungsfrage des allgemeinen Gleichheitssatzes nur als (dreistellige) Relation216 begreifen läßt, Gleichheit also immer im Hinblick auf ein bestimmtes Merkmal festzustellen ist. Der zu rechtfertigende Nachteil muß gerade im Hinblick auf das gemeinsame Merkmal beurteilt werden. Hinzu tritt eine weitere Erwägung aus der Interdependenz von Freiheits- und Gleichheitsrechten. Ein Ausgleich mit sachverhaltsinkongruenten Vor- und Nachteilen würde dazu führen, daß der Grundrechtsträger sich in einer bestimmten Weise verhalten muß, um in den Genuß des Vorteils zu kommen.217 Entweder bleibt es bei einer Ungleichbehandlung, wenn nämlich der Grundrechtsträger sich gegen ein entsprechendes Verhalten entscheidet, oder es kommt zu einem mittelbaren Eingriff in Freiheitsrechte, wenn der Grundrechtsträger durch sein Verhalten den zugrundeliegenden Sachverhalt ändert, um einem Gleichheitsverstoß auszuweichen.

211 Freilich gesteht Ipsen (Ipsen, Gleichheit, S. 195) zu, daß eine befriedigende systematische Rechtfertigung dieses Prinzips bzw. dieses Anspruchs noch nicht gegeben wurde. 212 Vgl. oben § 5 C. III. 1. (S. 312). 213 Vgl. die folgenden Nachweise. 214 Hey, AöR 128 (2003), 226/241. 215 Hey, AöR 128 (2003), 226/242. 216 Vgl. oben § 4 C. I. 3. (S. 205). 217 Hey, AöR 128 (2003), 226/242.

316

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

b) Personenidentität An sich selbstverständliches weiteres Zulässigkeitskriterium ist das der Personenidentität. Danach müssen Vor- und Nachteile in einer Person zusammenfallen.218 Ein nur mittelbarer Zusammenhang genügt nicht. Entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wird einer formalistischen Sichtweise eine Absage erteilt.219 Es ist entscheidend, bei welcher Person die Normwirkungen eintreten und nicht die tatbestandliche Anknüpfung. Dies folgt aus dem Kompensationsgedanken selbst, der gerade die formale, auf die Einzelnorm orientierte Betrachtung erweitert und auf die Wirkungen abstellt. Es ist demnach ausreichend, wenn Vor- und Nachteile sich erst dann ausgleichen, wenn sie – wie vom Gesetzgeber intendiert – auf eine dritte Person übergeleitet werden und dort zusammenfallen.220 Offen bleibt allerdings, ob diese Überwälzung durch eine entsprechende tatbestandliche Ausgestaltung gewährleistet sein muß. Im Hinblick auf die Kompensationsproblematik sind z. B. eine Gesellschaft (AG, GmbH etc.) und die Gesellschafter als eine wirtschaftliche Einheit zu betrachten trotz ihrer zivilrechtlichen Selbständigkeit.221 Daher können Belastungen der Gesellschaft bei der Besteuerung ihrer Gesellschafter verrechnet werden. Umgekehrt stellt sich das Problem, ob die Kompensation unzulässig ist, wenn neben dem benachteiligten Grundrechtsträger Dritte von dem Kompensationsmittel profitieren und in den Genuß eines Vorteils kommen, so daß nur eine teilweise Identität von begünstigtem und benachteiligtem Personenkreis besteht. Jedenfalls liegt in einem solchen Fall ein Indiz dafür vor, daß die vor- und nachteilsgewährenden Regelungen nicht Teil eines kohärenten Systems sind.222 Fraglich ist, ob es sich um eine Zulässigkeitsvoraussetzung der Kompensation handelt oder ob dadurch lediglich ihre Grenzen aufgezeigt werden. Im ersten Fall könnte die Ungleichbehandlung des Grundrechtsträgers gar nicht erst gerechtfertigt werden; im zweiten Fall gelingt die Rechtfertigung, jedoch kann eine neue, andere Ungleichbehandlung vorliegen, die ihrerseits der Rechtfertigung bedarf – allerdings ggf. mit anderen Rechtfertigungsgründen. Die personelle Überkompensation wird für zulässig erachtet und steht dem Nachteilsausgleich nicht entgegen.223 218 Hey, AöR 128 (2003), 226/242 ff. Das Bundesverfassungsgericht läßt einen Vorteil zugunsten der von der Benachteiligung konkret betroffenen Personen genügen (BVerfGE 12, 151/168; 15, 328/333; 32, 260/269; vgl. BFH, BStBl. II 1999, 463); der Europäische Gerichtshof (EuGH Urt. v. 6. 6. 2000, Rs. C-35/98 (Staatssecretaris van Financië/B.G.M. Verkooijen), Slg. 2000, I-4071 Rn. 57 f.; Urt. v. 16. 7. 1998, Rs. C-264/96 (Imperial Chemical Industries plc/Kenneth Hall Colmer (Her Majesty’s Inspector of Taxes)), Slg. 1998, I-4695 Rn. 29) fordert Personenidentität. Vgl. auch Saß, FR 1998, 1/2 f. 219 Hey, AöR 128 (2003), 226/243. 220 Hey, AöR 128 (2003), 226/243; Reimer, Grundfreiheiten, S. 69. 221 Hey, AöR 128 (2003), 226/243. 222 Hey, AöR 128 (2003), 226/243 f. 223 Hey, AöR 128 (2003), 226/244; a. A. Reimer, Grundfreiheiten, S. 69.

C. Zulässigkeitsvoraussetzungen

317

Dies wird damit begründet, daß eine solche Überkompensation schließlich ihrerseits auf einer im übrigen verfassungskonformen Norm beruhen muß. An der notwendigen Kongruenz fehlt es, wenn der Ausgleich nur einem Teil der benachteiligten Gruppe zugute kommt.224 c) Gesetzes- und rechtsgebietsübergreifende Kompensation Im Rahmen der Gleichheitsprüfung ist die Vergleichsperspektive durch die formalen Grenzen einzelner Gesetze nicht beschränkt.225 Allein die Tatsache, daß eine Kompensation gesetzes- und rechtsgebietsübergreifend erfolgt, spricht nicht gegen ihre Zulässigkeit. Da es bei ihr stets auf den Erfolg und nicht auf die formale Gesetzestechnik ankommt, muß es unerheblich sein, welchen Gesetzen die unterschiedlichen Regelungen entstammen. Es sei einzig eine Frage der Wertung, inwieweit eine Kompensation über Gesetze und Rechtsgebiete hinweg möglich ist.226 d) Äquivalenzforderung Jede Kompensation setzt voraus, daß Kompensationsmittel und eingreifende Maßnahme äquivalent sind, d. h. daß der Ausgleich tatsächlich erreicht wird.227 Aus dieser Äquivalenzforderung wird abgeleitet, daß Vor- und Nachteil artgleich sein müssen, da eine Gleichwertigkeit sich andernfalls kaum feststellen läßt.228 Einen finanziellen Nachteil mit immateriellen Vorteilen zu kompensieren, ist weder möglich noch zulässig. Vor- und Nachteil sind nur äquivalent bei Gleichartigkeit des Verrechnungsgegenstands. Nicht erforderlich ist indes ein exakter Ausgleich. Unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze zur Zulässigkeit von Typisierungen ist es nicht erforderlich, daß sich in jedem Fall ein Ausgleich tatsächlich ergibt.229 Daher sind Über- und Unterkompensationen in Grenzen zulässig. Bezweifelt wird freilich, daß es ausreicht, wenn unabhängig vom konkreten Sachverhalt typischerweise zusammentreffende Vor- und Nachteile ausgeglichen werden.230

224 Hey,

AöR 128 (2003), 226/244. in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 313; vgl. Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I Rn. 50 f. 226 BVerfGE 61, 319/354; Hey, AöR 128 (2003), 226/244 f.; Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 82. 227 Vgl. oben § 2 C. II. 3. (S. 68). 228 Hey, AöR 128 (2003), 226/245; a. A. BVerfGE 46, 224/239. 229 BVerfGE 40, 109/119; Hey, AöR 128 (2003), 226/248. 230 Hey, AöR 128 (2003), 226/248. 225 Dürig

318

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

e) Legitimationszusammenhang Über diese Voraussetzungen hinaus wird ein Legitimationszusammenhang zwischen dem zu rechtfertigenden Nachteil und dem dazu herangezogenen Vorteil gefordert.231 Dieser soll vorliegen, wenn ein zwingender unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Vorteil und dem Nachteil besteht.232 Der Zusammenhang darf sich nicht nur rein argumentativ aus der Gesetzesbegründung, sondern muß sich unmittelbar aus der gesetzlichen Systematik ergeben. Erst eine solche Verbindung führt dazu, daß ein Vorteil nicht mehr ohne den dazu gehörenden Nachteil verlangt werden könnte. In diesen Zusammenhang gehört eine weitere Begrenzung der Kompensation, die sich aus den Geboten der Folgerichtigkeit und der Widerspruchsfreiheit ergibt. Aus diesen Grundsätzen ergibt sich, daß die miteinander korrespondierenden Regelungen Ausdruck einer Systementscheidung sein müssen.233 Durch diese Anforderung hofft man, dem Kompensationsgedanken seine verführerische Kraft zur Verdeckung gleichheitswidriger Belastungen zu nehmen234 und gleichzeitig den Legitimationszusammenhang konkretisieren zu können. f) Sonstige Anforderungen Schließlich wird die Forderung aufgestellt, daß die Norm, die die Kompensation anordnet, ihrerseits im übrigen verfassungsgemäß ist.235 Der zwingend vorliegende spiegelbildliche Gleichheitsverstoß bei isolierter Betrachtung der ausgleichenden Norm muß selbstverständlich außer Betracht bleiben. Außerdem wird der ultima-ratio-Charakter der Grundrechtskompensation betont.236 6. Zwischenergebnis Auch wenn alle diese Ansätze in der Literatur an der Oberfläche der Problematik bleiben,237 lassen sich doch einige Übereinstimmungen finden. So wird 231 BVerfGE 82, 126/148; BFH, BStBl. II 1999, S. 463; Friauf , FS-Jahrreiß, S. 55; Hey, AöR 128 (2003), 226/244 f.; Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 2 III 2 c (S. 50). 232 Hey, AöR 128 (2003), 226/246. 233 Hey, AöR 128 (2003), 226/249 ff./252. Vgl. die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, oben § 5 C. II. (S. 309). 234 Hey, AöR 128 (2003), 226/252. 235 Hey, AöR 128 (2003), 226/247 f.; vgl. BVerfGE 96, 1/9. 236 Hey, AöR 128 (2003), 226/253 mit Hinweis auf BVerfGE 100, 226/245 f. 237 Dies gestehen die Vertreter teilweise selbst zu, vgl. z. B. Bleckmann, Struktur, S. 64 („stiefmütterlich behandelt“).

D. Eigener Ansatz

319

festgestellt, daß die Kompensation nur insoweit eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes zu verhindern in der Lage ist, wie sie auch tatsächlich einen Ausgleich bewirkt. Damit einher geht die Voraussetzung, daß Personenidentität zwischen benachteiligtem und bevorteiltem Grundrechtsträger bestehen muß. Vernachlässigt wird dabei in der Regel, daß ein finanzieller Ausgleich nie eine vollständige Aufhebung eines materiellen Nachteils bewirken wird, da er naturgemäß nur die monetären Aspekte erfassen kann. Immaterielle Erwägungen bleiben außen vor. Diese können jedoch durchaus ebenfalls eine Verletzung des Gleichheitssatzes begründen. Ungleichbehandlungen, die z. B. religiöse Empfindungen, Gewissensüberzeugungen und dergleichen betreffen, lassen sich nicht durch Geld aufwiegen. Wer sich nicht auf diese – offensichtlich unzureichenden – Erwägungen beschränkt, fordert – in unterschiedlichen Formulierungen –, daß ein innerer Zusammenhang zwischen der Ungleichbehandlung und dem Kompensationsmittel besteht. Es bleibt indes völlig offen, wie dieser innere Zusammenhang beschaffen sein muß. Sämtliche Äußerungen verlieren sich im Allgemeinen.238 Diese Erkenntnisse gehen folglich nicht über diejenigen hinaus, die bereits aus in der Rechtsordnung vorhandenen Kompensationsregelungen239 entwickelt wurden. Selbst hinsichtlich der Frage, ob die Kompensation eine Verletzung des Gleichheitssatzes heilt240 oder eine Verletzung des Grundrechts von vornherein ausschließt241 , besteht keine Einigkeit. Sie scheint davon abzuhängen, ob ein innerer Funktionzusammenhang gefordert wird.

D. Eigener Ansatz Die allgemeinen Voraussetzungen der Kompensation bilden auch für die Beurteilung der Zulässigkeit von Kompensationen im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG die Grundlage und bedürfen lediglich der Anpassung an Besonderheiten der Kompensation im Bereich grundrechtlicher Gewährleistungen. Auch ist der spezifische Gewährleistungsgehalt des Art. 3 Abs. 1 GG zu berücksichtigen, der die Gleichbehandlung von wesentlich gleichen Personen bzw. Sachverhalten fordert. Die Voraussetzungen lassen sich in die Fragen nach der Kompensationslage und der Kompensationszulässigkeit aufteilen.

238 Eine Ausnahme stellt insoweit lediglich Hey, AöR 128 (2003), 226 dar, die ausführlich den erforderlichen Legitimationszusammenhang und die Artgleichheit von Vor- und Nachteil erörtert. 239 Vgl. oben § 2 B. (S. 34 ff.). 240 Zum Beispiel Ipsen, Gleichheit, S. 195. 241 Zum Beispiel Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 57.

320

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

I. Kompensationslage Nicht in jedem Falle einer ungleichen Behandlung zweier Sachverhalte kann bei Art. 3 Abs. 1 GG eine Kompensation vorgenommen werden. Der für die Kompensationslage erforderliche defizitäre Rechtszustand liegt in der Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem. Eine Kompensation wird bei Art. 3 Abs. 1 GG vorgenommen, um die relevante Ungleichbehandlung nicht (nur) durch externe Ziele rechtfertigen zu müssen. Wird von vornherein die Verschiedenbehandlung aufgrund interner Zwecke vorgenommen, liegt schon keine Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte vor, so daß auch ein defizitärer Rechtszustand nicht besteht. Insofern bereitet die Feststellung des Vorliegens einer Kompensationslage keine spezifischen Probleme. Sie fällt mit der Feststellung des Vorliegens einer Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem zusammen, da diese einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG darstellt und mithin einen defizitären Rechtszustand bildet. Sämtliche damit verbundenen Schwierigkeiten sind nicht darauf zurückzuführen, daß der Gesetzgeber Nachteile kompensiert, sondern liegen davon unabhängig allgemein in Art. 3 Abs. 1 GG begründet und haben mit der Kompensationszulässigkeit nichts zu tun. II. Kompensationszulässigkeit Spezifische Probleme werfen hingegen die Fragen nach der Gleichwertigkeit des erfolgten Ausgleichs und insbesondere nach der Beschaffenheit des notwendigen inneren Funktionszusammenhangs zwischen eingreifender und kompensierender Maßnahme auf. Diese beiden Voraussetzungen bedürfen daher einer näheren Analyse. 1. Innerer Funktionszusammenhang Da Art. 3 Abs. 1 GG stets nur (Un-) Gleichbehandlungen hinsichtlich bestimmter Eigenschaften untersucht, wirkt er nur punktuell.242 Art. 3 Abs. 1 GG zielt nicht auf die Herstellung absoluter Gleichheit, sondern auf eine Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem.243 Auch bei der Kompensation kann daher nicht jedwede Begünstigung und Belastung verrechnet werden.244 Längst nicht jedes Defizit ist kompensierbar und nicht jede Gegenleistung dient der Kompensation. Dies stimmt mit der allgemeinen Voraussetzung von Kompensationsver242 Rüfner

in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 6 und oben § 4 C. I. 3. (S. 205 ff.). nochmals oben § 4 C. I. 3. (S. 205 ff.). 244 Hey, AöR 128 (2003), 226/241. 243 Vgl.

D. Eigener Ansatz

321

hältnissen überein, wonach ein innerer Funktionszusammenhang zwischen Vorund Nachteil notwendig ist. Erst recht bei Art. 3 Abs. 1 GG ist daher ein spezifischer innerer Funktionszusammenhang zwischen der Ungleichbehandlung und dem Kompensationsmittel erforderlich. Es müssen aufeinander abgestimmte, kohärente Regeln vorliegen. Anforderungen an den Funktionszusammenhang folgen auch aus dem Äquivalenzprinzip, welches als Wertungsmaßstab fungiert.245 a) Bewußte und gewollte Systementscheidung des Gesetzgebers Der innere Funktionszusammenhang ist dadurch gekennzeichnet, daß er vom Gesetzgeber bewußt und gewollt hergestellt wurde. Aus der gesetzlichen Systematik muß sich ergeben, daß der Gesetzgeber den Vorteil gerade deswegen anordnet, weil er eine Ungleichbehandlung ausgleichen soll. Dies ist der Fall, wenn der Vorteil gerade des Nachteils wegen gewährt und ggf. verfahrensrechtlich abgesichert wird. Auch bei den ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmungen wird der Ausgleich durch flankierende verfahrensrechtliche Regelungen sichergestellt. Die funktionale Verknüpfung liegt dann vor, wenn die Kompensation ohne die benachteiligende Maßnahme sinnlos und unverständlich wäre. Der Nachteil und das Kompensationsmittel müssen vielmehr in einem auf das tertium comparationis zurückführbaren Austauschverhältnis stehen.246 Der normative Bezugsrahmen gibt die Grenzen für die Zulässigkeit der Kompensation vor.247 Die erforderliche Verknüpfung von Vor- und Nachteil ist vor allem dann anzunehmen, wenn die Benachteiligung und die Begünstigung dieselben Tatbestandsvoraussetzungen aufweisen, da dann sichergestellt ist, daß sie zugleich eintreten. Hieraus lassen sich verschiedene Feststellungen ableiten: Der Vorteil muß von demjenigen Hoheitsträger gesetzt werden, der sich für die Benachteiligung verantwortlich zeichnet. Es ist demnach keine zulässige Kompensation, einen vom Bund verursachten Nachteil durch eine landesrechtliche, begünstigende Regelung auszugleichen. Hier fehlt es an dem vom benachteiligenden Hoheitsträger hergestellten inneren Zusammenhang. Er wird erst durch die Regelung des anderen Gesetzgebers (nachträglich) hergestellt. Zudem fehlt es an der Personenidentität, da nur die Bürger des jeweiligen Landes in den Genuß des Vorteils kommen. Ein Normgeber kann auch nicht auf einen Vorteil, den bereits ein anderer Normgeber gewährt, verweisen. Insoweit wird zwar der innere Funktionszusammenhang hergestellt. Allerdings ist der Ausgleich nicht sicher, da der jeweils andere Normgeber seine Regelung jederzeit ändern könnte. Es fehlt daher der er245 Voßkuhle,

Kompensationsprinzip, § 2 III 2 c (S. 50). VVDStRL 36 (1978), 271/291, Fn. 47. 247 Klein, DVBl. 1981, 661/665. 246 Grawert,

322

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

forderliche enge Konnex zwischen Vor- und Nachteil. Außerdem führt die – neutral betrachtet – benachteiligende Regelung letztlich gar nicht zu einem Nachteil. Es wird lediglich ein vorhandener Vorteil ausgeglichen, so daß die nachträglich hinzutretende Regelung verfassungsgemäß zu sein scheint. Anders verhält es sich indes mit der zuerst erlassenen Norm: Diese ist verfassungswidrig mangels eines tauglichen Kompensationsmittels. Der Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz kann nicht im Nachhinein durch eine Kompensation geheilt werden. Dies zeigt aber, daß die nachträglich hinzutretende Kompensation des anderen Normgebers verfassungswidrig ist, da sie sich ihrerseits auf eine verfassungswidrige und damit für nichtig zu erklärende Norm stützt. Der innere Funktionszusammenhang kann auch nicht sonst über verschiedene Ebenen der Normhierarchie hinweg hergestellt werden. Der Gesetzgeber kann allenfalls eine Kompensation dadurch vorsehen, daß er die Exekutive zum Erlaß begünstigender Rechtsverordnungen ermächtigt. Er muß aber (vgl. Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG) den Zweck der Rechtsverordnung so detailliert regeln, daß er selbst die Kompensation anordnet und deren Voraussetzungen regelt.248 Lediglich die genaue Ausgestaltung im Einzelfall bleibt der Exekutiven auf der Ebene der Rechtsverordnungen überlassen. aa) Sachverhaltsidentität Der Funktionszusammenhang kann zunächst im Hinblick auf die sachliche Vergleichsperspektive näher konkretisiert werden. Das Gleichheitsurteil des Art. 3 Abs. 1 GG bezieht sich immer nur auf bestimmte Merkmale.249 Der in Rede stehende Nachteil muß daher immer mit Blick auf die untersuchte Eigenschaft ausgeglichen werden.250 Dies ist nicht der Fall, wenn der vom Nachteil betroffene Bürger erst durch eine Änderung des zugrunde liegenden Sachverhalts in den Genuß des Vorteils kommt. Der Bürger würde so zwar einer Verletzung des Gleichheitssatzes ausweichen, zugleich aber eine Beeinträchtigung zumindest seiner allgemeinen Handlungsfreiheit erfahren, die ebenfalls erst gerechtfertigt werden müßte. Die Interdependenz von Freiheits- und Gleichheitsrechten verbietet es, eine Regelung schon dann als verfassungsmäßig anzusehen, wenn sie hierfür ein bestimmtes Verhalten des Bürgers voraussetzt.251 Dies folgt auch aus der weiteren Überlegung, daß die Kompensation nur dann zulässig ist, wenn das Kompensationsmittel sich seinerseits als verfassungsgemäß erweist.252 Dies ist aber nicht mehr der Fall, wenn der Bürger eine ausglei248 Vgl.

Voßkuhle, Kompensationsprinzip, § 11 II 2 a) (S. 357). oben § 4 C. I. 3. (S. 205 ff.). 250 Hey, AöR 128 (2003), 226/242; ähnlich Klein, DVBl. 1981, 661/665. 251 Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 132 ff. 252 Vgl. sogleich unten § 5 D. II. 1. d) (S. 325). 249 Vgl.

D. Eigener Ansatz

323

chende Begünstigung nur dann erhält, wenn er Eingriffe in seine Freiheitsrechte zuläßt. Hier kann die Rechtfertigung nicht mit Hilfe des Kompensationsgedankens erfolgen, sondern der Eingriff in Freiheitsrechte muß durch ein entsprechendes Ziel der staatlichen Maßnahme gerechtfertigt werden. bb) Zeitliche Komponente Der Nachteil ist durch einen später erst gewährten Vorteil grundsätzlich nicht kompensierbar.253 In diesen Fällen fehlt es in der Regel gerade an dem notwendigen Funktionszusammenhang. Es handelt sich nämlich nicht um eine einheitliche Regelung, die den Vorteil des Nachteils wegen auf Primärebene gewährt, sondern um eine Art Entschädigung. Der Ausgleich erfolgt erst auf der Sekundärebene und soll nicht die Verfassungswidrigkeit verhindern, sondern eine eingetretene Verfassungswidrigkeit wieder beseitigen. Anders liegt der Fall, wenn eine einheitliche Regelung einen Nachteil, z. B. in dem einen Jahr, vorsieht und von vornherein diesen Nachteil im darauf folgenden Jahr durch eine Begünstigung ausgleicht. Hier findet sich eine kohärente Regelung. Die Kompensation ist zulässig, da die Vorteilsgewährung sicher feststeht. Die zeitliche Differenz kann allenfalls bei der Bewertung, ob der Ausgleich erreicht wurde, eine Rolle spielen. So ist z. B. eine Geldzahlung, die ein Jahr später erfolgt, entsprechend zu diskontieren. cc) Personenidentität Der von der Kompensation bezweckte Ausgleich kann nur dann stattfinden, wenn gerade der benachteiligte Personenkreis durch das Kompensationsmittel einen Vorteil erfährt. Vor- und Nachteil müssen in einer Person zusammenfallen.254 Es kommt dabei nicht in erster Linie auf die gesetzliche Regelung selbst an, sondern darauf, welche tatsächlichen Wirkungen sie zeitigt. Ist zum Beispiel vorgesehen, daß der Vorteil nicht dem Adressaten des Gesetzes zugute kommt, sondern daß dieser den Vorteil an einen Dritten weitergibt, ist auf die Person dieses Dritten abzustellen. Jedoch ist die gesetzliche Regelung letztlich der ausschlaggebende Maßstab. In ihr selbst muß vorgesehen sein, daß eine solche Überwälzung des Vorteils bzw. des Nachteils stattfindet. Zufällige tatsächliche Effekte können nicht die Verfassungswidrigkeit einer Norm beseitigen. Werden daher Vorteile wie im Gesetz vorgesehen weitergeleitet, ist auf den Empfänger abzustellen. Handelt es sich jedoch nur um eine wirtschaftliche, mittelbare Auswirkung, reicht dies nicht aus. Nachteile, die z. B. Aktionären auferlegt werden, kön253 Vgl. 254 Hey,

Rüfner in: BK, GG, Art. 3 I Rn. 116. AöR 128 (2003), 226/243.

324

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

nen daher grundsätzlich nicht dadurch ausgeglichen werden, daß der AG selbst ein Vorteil zugesprochen wird und umgekehrt. In diesem Fall ist zwar durch das Gesetz die nachteilige Behandlung sichergestellt, der diese ausgleichende Vorteil kommt aber für die Aktionäre eher zufällig zum Tragen und ist gerade nicht gesichert. Es fehlt daher an einem Gleichlauf von Vor- und Nachteil. Ein innerer Zusammenhang liegt mangels Personenidentität nicht vor.255 b) Kein Verstoß gegen den Grundsatz der Widerspruchsfreiheit und Folgerichtigkeit Bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Regelung muß der Gesetzgeber die Grundsätze der Widerspruchsfreiheit und Folgerichtigkeit256 wahren. Dies ist insbesondere deswegen von Bedeutung, weil bei der Kompensation wesensimmanent zwei gegensätzliche Regelungen (Vorteilsgewährung und Benachteiligung) vorliegen. Zwar führt die Kompensation gerade dazu, daß sich beide Regelungen im Ergebnis neutralisieren. Doch kann hierin auch eine Widersprüchlichkeit liegen. Es besteht die Gefahr, daß das Ziel mit dem Nachteil zugleich aufgehoben wird. So darf das mit der benachteiligenden Regelung verfolgte Ziel nicht durch die Vorteilsgewährung konterkariert werden. Eine umweltschützende Maßnahme muß trotz einer ausgleichenden Begünstigung wirksam bleiben, indem zum Beispiel der Ausgleich in Geld erfolgt und das umweltschädigende Verhalten weiterhin verboten bleibt. c) Vorrang der Realvermeidung von Ungleichbehandlungen Der Gleichheitssatz entfaltet wie die Freiheitsrechte ein eigenes Schwellengewicht gegenüber Ungleichbehandlungen aufgrund externer Zwecke. Er stellt ein prima-facie-Recht dar. Die Gewährleistung des Art. 3 Abs. 1 GG zielt darauf, daß wesentlich Gleiches gleich zu behandeln ist. Jede Ungleichbehandlung aufgrund externer Zwecke soll die begründungsbedürftige Ausnahme darstellen. Der Einsatz eines Kompensationsmittels führt zwar dazu, daß durch die Internalisierung des externen Effekts wieder eine Gleichbehandlung vorliegt. Dennoch wird in der Regel eine vollständige Kompensation nicht gelingen. Die Ungleichbehandlung kann nicht vollständig durch andersartige Vorteilsleistungen ausgeglichen werden, wie z. B. einer Geldzahlung. Damit wird zwar das Vermögensinteresse gewahrt, jedoch erfassen die Grundrechte gerade auch das Bestandsinteresse. In dieses wird nach wie vor eingegriffen. Es verbleibt also bei einer artfremden Be255 Anders 256 Hierzu

Rn. 44.

Hey, AöR 128 (2003), 226/243. Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3 Rn. 98; Starck in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 3 I

D. Eigener Ansatz

325

günstigung stets ein immaterieller Rest, der mit Hilfe der Verhältnismäßigkeitsprüfung gerechtfertigt werden muß. Dabei sind nur solche Maßnahmen erforderlich, die nicht tatsächlich von vornherein vermieden werden können, ohne den Zweck zu gefährden (Vorrang der Realvermeidung von Ungleichbehandlungen). d) Keine Rechts- und Verfassungswidrigkeit unter anderen Aspekten Diejenige Norm, welche als Kompensationsmittel eine Ungleichbehandlung ausgleichen möchte, muß ihrerseits (im übrigen) mit höherrangigem Recht übereinstimmen und insbesondere verfassungsmäßig sein.257 Die hohe Hand kann nicht die Verfassungsmäßigkeit einer Norm dadurch herbeiführen, daß sie sich im übrigen rechts- bzw. verfassungswidrig verhält. Sie ist nach Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG umfänglich an die Grundrechte bzw. die Gesetze gebunden. Dem Gesetzgeber fehlt insoweit die Dispositionsbefugnis über den Vorteil.258 Hierzu gehört insbesondere, daß das Kompensationsmittel seinerseits verfassungsmäßig ist. Aber auch Verstöße des Kompensationsmittels gegen einfaches Recht führen zur Unzulässigkeit der Kompensation. Zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen darf der Staat sich in keiner Hinsicht rechtswidrig verhalten. Erlaubt ihm die Rechtsordnung eine Kompensation nicht, muß er den Grundrechtseingriff unterlassen oder auf andere Weise als durch Kompensation rechtfertigen. In diesem Zusammenhang kann auch das Beihilferecht des Art. 87 Abs. 1 EGV Bedeutung gewinnen. Die mit einer Kompensation – isoliert betrachtet – stets verbundene Vorteilsgewährung könnte gegen Art. 87 Abs. 1 EGV verstoßen. Danach sind Beihilfen gleich welcher Art untersagt. Der Beihilfebegriff wird vom EGV nicht definiert. Eine Auslegung der Art. 87 ff. EGV führt zu dem Ergebnis, daß vom Beihilfebegriff „nicht nur positive Leistungen wie Subventionen, sondern auch Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat, und die zwar keine Subvention im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen,“259 erfaßt sind.

257 Vgl.

Schütz, BayVBl. 1990, 481/485. Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 I Rn. 132 ff., der sogar von einer Präponderanz der Freiheit ausgeht. Eine Ungleichbehandlung sei hinzunehmen, wenn sonst gegen Freiheitsrechte verstoßen würde. 259 EUGH, Urt. v. 11. 7. 1996, Rs. C-39/94 (Syndicat français de l’Express international (SFEI) et al./La Poste et al.), Slg. 1996, I-3547, Rn. 58; vgl. auch EuGH, Urt. v. 15. 3. 1994, Rs. C-287/92 (Banco exterior de España SA/Ayuntamiento de Valencia), Slg. 1994, I-877, Rn. 13. 258 Vgl.

326

§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

Die Einordnung einer Kompensation als Beihilfe weist zweifellos den Vorteil auf, daß durch eine Notifizierung die Kontrollmöglichkeiten der Kommission erhalten werden, um so mißbräuchlichen Kompensationsleistungen vorzubeugen. Allerdings passen die Beihilfekriterien nicht so recht auf eine Kompensation. Oft wird es schon an einer Begünstigung im Einzelfall fehlen. Eine Wettbewerbsverfälschung droht ebenfalls nicht, da die Kompensation lediglich einen Nachteil wieder ausgleichen will. Nachteil und Vorteil stehen dabei in einer solch engen Beziehung (innerer Funktionszusammenhang), daß selbst das Vorliegen einer wie auch immer gearteten Fördermaßnahme fraglich erscheint. Im Ergebnis fehlt es gerade an einem Vorteil für den Betroffenen. Die Kompensation unterfällt nur dem Beihilfebegriff, wenn eine Überkompensation vorliegt. Bloße Ausgleichszahlungen wurden daher vom Europäischen Gerichtshof zu Recht für zulässig erachtet und nicht als Beihilfe eingestuft.260 Dies stimmt mit der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes zum Diskriminierungsverbot überein.261 Danach ist eine Kompensation zulässig, wenn sie notwendiges Mittel ist, um die Kohärenz der nationalen (steuerrechtlichen) Regelung zu gewährleisten. Dieser Gedanke läßt sich übertragen, so daß auch aus diesem Gesichtspunkt das Vorliegen einer Beihilfe im Sinne von Art. 87 Abs. 1 EGV nicht stets angenommen werden muß. 2. Erreichen des Ausgleichs Damit die Gewährung eines Vorteils zur Internalisierung eines externen Effekts führen kann, bedarf es der Gleichwertigkeit von Kompensationsmittel und in den Gleichheitssatz eingreifender staatlicher Maßnahme (Äquivalenzforderung). Der Vorteil muß den durch die Ungleichbehandlung verursachten Nachteil ausgleichen. Dies setzt die Gleichartigkeit und die Gleichwertigkeit von Vorund Nachteil voraus. Der spezifische Legitimations- und Begründungszusammenhang der Kompensation folgt gerade aus dieser Gleichwertigkeit des Gebens und Nehmens. a) Artgleichheit von Vor- und Nachteil Ob ein Ausgleich vollständig erreicht werde, kann nach einer teilweise vertretenen Auffassung nur festgestellt werden, wenn Vor- und Nachteil artgleich sind. Die Gleichwertigkeit des Vorteils und des Nachteils setze ihre Vergleichbarkeit voraus. Andernfalls lasse sich die Gleichwertigkeit kaum feststellen.262 Dies 260 Vgl. EuGH, Urt. v. 24. Juli 2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans GmbH und Regierungspräsidium Magdeburg/Nahverkehrsgesellschaft Altmark GmbH), Slg. 2003, I-7747, Rn. 3. 261 Vgl. oben § 5 C. II. (S. 309). 262 Hey, AöR 128 (2003), 226/245.

D. Eigener Ansatz

327

ist unproblematisch bei der mathematischen Verrechnung von Zahlungspflichten und Ansprüchen, die auf derselben rechtlichen Regelung beruhen. Eine Quantifizierbarkeit von Vor- und Nachteilen im naturwissenschaftlichen Sinne ist jedoch nicht zwingend erforderlich. Auf das Merkmal der Artgleichheit von Vor- und Nachteil ist daher zu verzichten. Ob ein Ausgleich erreicht wird, richtet sich einzig nach der Gleichwertigkeit von Belastung und Begünstigung. Die Beurteilung der Gleichwertigkeit setzt eine Wertung voraus. Grundrechtliche Fragen, und um nichts anderes handelt es sich hier, sind normative Fragen. Aus empirischen Feststellungen (rechnerischer Ausgleich, Artgleichheit etc.) folgen noch keine Antworten auf diese.263 Allein die grundsätzlich mögliche Verrechenbarkeit gleichartiger Ansprüche sagt folglich genauso wenig über das Erreichen des Ausgleichs wie die Feststellung, daß völlig verschiedene Ansprüche vorliegen. Auch bei Nicht-Geldleistungen ist daher eine zulässige Kompensation möglich. Lediglich die Wertung, ob der Ausgleich umfänglich gelingt, wird schwieriger. Die Wertung hat sich dabei an denjenigen Maßstäben zu orientieren, die im Rahmen des Schutzbereichs des Art. 3 Abs. 1 GG aufgestellt wurden, um die wesentliche Gleichheit zu beschreiben. Gelangt man anhand dieser Maßstäbe zu der Feststellung, daß Vor- und Nachteil gleichwertig sind, kommt es – materiell betrachtet – zu einer Gleichbehandlung. Die Internalisierung des externen Effekts gelingt, die Gewährleistung des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Die Feststellung der Gleichwertigkeit von Vor- und Nachteil wirft folglich keine größeren Schwierigkeiten auf als die Feststellung im Rahmen des Schutzbereichs des allgemeinen Gleichheitssatzes, ob wesentlich Gleiches ungleich behandelt wurde. b) Vollständige Gleichwertigkeit Dabei müssen sich Vor- und Nachteil – zumindest im Idealfall – vollständig gegenseitig aufheben. Verbleibende geringfügige Über- bzw. Unterkompensationen sind hinzunehmen. Entsprechend der Grundsätze bei typisierenden Regelungen und wie bei anderen Kompensationsregelungen, ist kein absoluter Ausgleich zu fordern.264 Ausreichend ist, wenn der Ausgleich im wesentlichen gelingt. Zu akzeptieren sind solche Differenzen, die sich allein daraus ergeben, daß die Kompensation bereits von Natur aus im Vergleich zum Ausgangszustand ein Stück Unvollkommenheit in sich trägt. Gelingt der Ausgleich nicht umfänglich, führt dies nicht ohne weiteres zur Verfassungswidrigkeit der untersuchten Normen, sondern lediglich dazu, daß der verbleibende – nicht kompensierte – Rest anhand einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zu rechtfertigen ist. 263 Alexy, 264 Vgl.

Theorie, S. 153. oben § 2 C. II. 3. (S. 69).

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§ 5 Kompensation und Art. 3 Abs. 1 GG

Wie die Erörterung des Art. 14 GG gezeigt hat, genügt es, wenn typischerweise zusammentreffende Vor- und Nachteile ausgeglichen werden. Wird der Ausgleich in einem atypischen Einzelfall nicht erreicht, führt dies nicht zur Verfassungswidrigkeit der entsprechenden Normen. c) Gesetz- oder rechtsgebietsübergreifende Kompensation Fraglich ist das Vorliegen eines Ausgleichs jedoch bei einer Kompensation, die gesetzes- oder gar rechtsgebietsübergreifend vorgenommen wird. Die – oft zufällige – Aufspaltung eines zusammenhängenden Regelungssystems in mehrere Gesetze oder die Zuordnung zu verschiedenen Rechtsgebieten kann nicht entscheidend sein. Aus der Notwendigkeit, daß zwischen begünstigender und benachteiligender Regelung ein innerer Funktionszusammenhang bestehen muß, folgt bereits, daß nicht völlig unzusammenhängende Regelungen miteinander verrechnet werden. Ist dieser Zusammenhang gegeben, ist eine Kompensation prinzipiell auch zwischen unterschiedlichen Gesetzen möglich.

E. Ergebnis zu § 5 Art. 3 Abs. 1 GG verlangt nicht ohne weiteres die Herstellung faktischer Gleichheit. Vielmehr kommt es auf eine rechtliche Gleichbehandlung wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte an. Forderungen nach faktischer Gleichheit, die z. B. aus dem Sozialstaatsprinzip folgen, können eine rechtliche Ungleichbehandlung allenfalls rechtfertigen, schließen jedoch die Ungleichbehandlung nicht von vornherein aus. Die Kompensation läßt daher die Ungleichbehandlung nicht entfallen. Sie stellt sich vielmehr als ein Problem der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung dar. Im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, wenn zwei oder mehrere Ungleichbehandlungen zu demselben Zweck erfolgen und noch nicht abgeschlossen sind. Eine Kompensation ist nur möglich, wenn mit der auszugleichenden Ungleichbehandlung ein externer Zweck kollidiert. In diesem Fall führt die Kompensation dazu, daß der externe Zweck seine Qualität ändert. Er wird durch die Kompensation internalisiert. Die Kollisionslage entfällt, so daß eine Verhältnismäßigkeitsprüfung weder möglich noch notwendig ist. Vielmehr findet eine Entsprechensprüfung dahingehend statt, ob die Ungleichbehandlung durch das Kompensationsmittel vollständig ausgeglichen wurde. Nur ein unter Umständen verbleibender, nicht kompensierter Teil der Ungleichbehandlung muß mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt werden.

E. Ergebnis zu § 5

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Auf der Grundlage der allgemeinen Voraussetzungen der Kompensation sowie der Analyse von Rechtsprechung und Literatur lassen sich die Voraussetzungen der Kompensation im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG entwickeln. Erforderlich ist zunächst ein innerer Funktionszusammenhang. Dieser liegt vor, wenn die eine Ungleichbehandlung ohne die andere, kompensierende Ungleichbehandlung sinnlos und unverständlich wäre. Der Kompensation muß eine bewußte und gewollte Systementscheidung des Gesetzgebers zugrunde liegen. Er setzt außerdem Sachverhalts- und Personenidentität voraus. Als negative Tatbestandsmerkmale wurden die Voraussetzungen entwickelt, daß die Grundsätze der Widerspruchsfreiheit und Folgerichtigkeit eingehalten werden sowie daß die Kompensation nicht unter anderen Aspekten rechts- oder verfassungswidrig ist.

§ 6 Ergebnis der Untersuchung A. Kompensation als Rechtsfigur 1. Der Begriff „Kompensation“ beschreibt die wechselseitige Aufhebung von einander gegenüberstehenden Wirkungen. Er umfaßt sowohl den Vorgang als auch das Ergebnis des Ausgleichens. 2. Der Kompensationsbegriff führt die unterschiedlichsten Erscheinungen auf einen gemeinsamen gedanklichen Ursprung zurück. Er steht auf sehr hoher Abstraktionsstufe. Die Kompensation erhält ihre konkrete Ausformung erst im konkreten Einzelfall aus dem normativen Umfeld. a) Der Kompensation fehlt in der Regel ein unmittelbarer Anknüpfungspunkt im Gesetz. Der Gedanke wird jedoch über die verschiedenen Rechtsgebiete hinweg in unterschiedlichen Zusammenhängen gebraucht. Im Zivilrecht taucht er insbesondere bei der Aufrechnung, im Schadensrecht und im Arbeitsrecht auf. Im Strafrecht wird er v. a. für den Ausgleich einer Rechtsgutsbeeinträchtigung (§ 199 StGB) herangezogen sowie zur Begründung von Strafe. b) Während sich im Zivil- und Strafrecht konkrete Rechtsinstitute mit dem Begriff verbinden, beschreibt er im öffentlichen Recht lediglich einen allgemeinen Rechtsgedanken. Völlig heterogene Erscheinungen werden als Kompensation bezeichnet. So wird er im Staatshaftungsrecht oder zur dogmatischen Begründung konsensualer Verwaltungsabsprachen herangezogen. Die prospektive Kompensation durch Private wird im Umweltrecht diskutiert. In verfassungsrechtlichen Zusammenhängen kommen Kompensationsüberlegungen beim Ausgleich föderaler Systemverschiebungen zum Tragen. Der Verlust von Kompetenzen der Länder im Zuge der europäischen Einigung soll ebenfalls wie der Kompetenzverlust von Gemeinden oder des Parlaments dadurch ausgeglichen werden, daß Mitwirkungsrechte auf höherer Ebene eingeführt werden. Defizite im Rechtsschutzverfahren können hingegen durch verwaltungsverfahrensrechtliche Regelungen nicht ausgeglichen werden. 3. Zwar bilden die diskutierten Beispiele keine homogene Gruppe. Dennoch lassen sich hieraus allgemeine Anforderungen der Kompensation entwickeln. Die verschiedenen Voraussetzungen in den diskutierten Fällen beruhen nicht auf einem unterschiedlichen Verständnis der Kompensation, sondern auf einer ihr zugrunde liegenden unterschiedlichen Problemstruktur. Die im jeweiligen Zusammenhang problematischen Voraussetzungen stehen naturgemäß im Vordergrund.

332

§ 6 Ergebnis der Untersuchung

4. Die Kompensation ist als allgemeines regulatives Rechtsprinzip zu verstehen. 5. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Kompensation lassen sich in die Kompensationslage und die Kompensationszulässigkeit unterteilen. 6. Die Kompensationslage setzt einen defizitären Rechtszustand voraus. Stets muß eine Einschränkung von Rechten oder Kompetenzen als Anknüpfungspunkt für eine Kompensation vorliegen. Die Kompensation trägt zur Bestimmung des defizitären Rechtszustands selbst nichts bei. Es handelt sich um eine ihr vorgelagerte Frage. Ein defizitärer und damit grundsätzlich kompensationsbedürftiger Rechtszustand liegt vor, wenn eine Norm oder ein sonstiges hoheitliches Handeln von den durch übergeordnete Normen aufgestellten Anforderungen negativ abweicht und so zu einer Einschränkung eines Rechts bzw. einer Kompetenz führt. Zweites Element der Kompensationslage ist das Kompensationsmittel. Es handelt sich dabei um die Ausgleichsleistung als Gegenstück zu dem defizitären Rechtszustand. 7. Auf der Kompensationszulässigkeit beruht die Rechtmäßigkeit des Ausgleichs. Die Ausgleichszulässigkeit ist eine Frage der Gesamtbetrachtung von Kompensationsmittel und defizitärem Rechtszustand. 8. Eine solche Gesamtbetrachtung ist nur möglich, wenn sich ein spezifischer funktioneller innerer Zusammenhang zwischen der belastenden und der kompensatorischen Maßnahme ausmachen läßt. Die Kompensation darf nichts verknüpfen, was nicht ohnehin bereits in einem inneren Zusammenhang steht. Der funktionale Zusammenhang besteht, wenn die kompensatorische Maßnahme ohne die andere, eingreifende Maßnahme sinnlos oder nicht verständlich ist. 9. Das Kompensationsmittel muß seinerseits recht- und verfassungsmäßig sein. Dies folgt aus der Gesetzes- und Verfassungsbindung der Verwaltung. Die Kompensation ist daher nur gesetzesgebunden möglich und darf das gesetzliche Ziel jedenfalls nicht konterkarieren, sondern muß es gegebenenfalls fördern. 10. Der eingreifende Hoheitsträger muß bei Erlaß einer Maßnahme den inneren Zusammenhang selbst herstellen und den Ausgleich mit dem Eingriff funktional verknüpfen. Ein anderer, nicht eingreifender Hoheitsträger kann durch eine Ausgleichsmaßnahme die Zulässigkeit einer Kompensation grundsätzlich nicht herstellen, da der durch den zweiten Hoheitsträger gewährte Vorteil unabhängig von der Benachteiligung wieder aufgehoben werden könnte. Im Bereich der Normhierarchie ist zu beachten, daß der Gesetzgeber den Ausgleich selbst zumindest in grober Form festlegt. 11. Fehlt der funktionelle innere Zusammenhang, liegt kein Kompensationsverhältnis, sondern ein Ergänzungsverhältnis vor. Das Ergänzungsverhältnis

B. Der dogmatische Standort der Kompensation

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führt nicht unmittelbar zur Rechtfertigung, kann aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abwägung) Berücksichtigung finden. 12. Schließlich ist zu fordern, daß die Kompensation den defizitären Rechtszustand ausgleicht (Äquivalenz- oder Homogenitätsforderung). Dabei genügt grundsätzlich eine wesensgemäße Äquivalenz. Die Bewertung, ob Äquivalenz zwischen eingreifender und ausgleichender Maßnahme gegeben ist, folgt aus der Normebene, von der abgewichen wird. 13. Da eine Kompensation stets rechtsnormbezogen ist, sind im Bereich der Grundrechte zusätzlich besondere Anforderungen an eine Kompensation zu stellen. Die Beurteilung der Kompensationszulässigkeit findet grundrechtsintern statt, indem die spezifischen Wertungen einer Grundrechtsgewährleistung Berücksichtigung finden. Diese Anforderungen lassen sich durch eine Untersuchung staatshaftungsrechtlicher Rechtsfiguren, die dem Ausgleich von (Grund-) Rechtsbeeinträchtigungen dienen, insbesondere des Art. 14 GG, entwickeln. Sämtliche Rechtsinstitute beruhen auf dem gemeinsamen gedanklichen Ursprung eines allgemeinen Opferausgleichsprinzips. In aller Regel geht es um den Ausgleich einer durch ein Sonderopfer bewirkten Ungleichbehandlung. Der finanzielle Ausgleich wird durchweg als Ausnahme begriffen. Die Grundrechte gewährleisten zunächst den Bestand der geschützten Freiheit. Daher hat die Realvermeidung eines Eingriffs Vorrang. Auch folgt aus dieser Erwägung, daß zunächst versucht werden muß, einen Eingriff abzuwehren. Schließlich müssen verfahrensrechtliche Regelungen sicherstellen, daß auch tatsächlich über einen Ausgleich, z. B. bei einer Enteignung, entschieden wird. Bei einer Enteignung oder bei einer ausgleichspflichtigen Inhalts- und Schrankenbestimmung muß der Gesetzgeber den Ausgleich von vornherein wollen und festlegen. Ein nachträglicher Ausgleich reicht grundsätzlich nicht.

B. Der dogmatische Standort der Kompensation 1. Die Inanspruchnahme gleicher oder verschiedener Freiheitsrechte durch unterschiedliche Grundrechtsträger führt – sobald die Freiheitsausübung Außenwirkung hat – unweigerlich zur Beeinträchtigung der Freiheit eines anderen. Das Recht muß diesen Konflikt lösen und eine gerechte Verteilung der Freiheitssphären gewährleisten. Dabei müssen die kollidierenden Rechte möglichst umfänglich zur Geltung kommen können. 2. Die Auflösung solcher Kollisionen ist von der Rechtsordnung allenfalls teilweise vorgezeichnet. Das Grundgesetz geht nicht von einem vorstrukturierten Freiheitsbegriff aus, der seine Schranken bereits mit umfaßt, sondern trennt zwischen Schutzbereich und Schranken. Es wird eine Freiheit umfänglich ge-

334

§ 6 Ergebnis der Untersuchung

währleistet, jedoch muß sie zugunsten kollidierender anderer Rechtsgüter wieder eingeschränkt werden. Freiheitsrechte stellen daher prima-facie-Rechte dar. 3. Grundlegend für die Auflösung von Kollisionen ist die Unterscheidung von Prinzipien und Regeln. Prinzipien sind Normen, die gebieten, daß etwas in einem relativ, auf die rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten möglichst hohem Maße, realisiert wird. Regeln können entweder erfüllt oder nicht erfüllt werden, weisen also eine „wenn-dann“-Struktur auf. 4. Der Konflikt von Regeln kann nur durch die Einführung einer Ausnahme aufgelöst werden. Es handelt sich um eine Entscheidung über die Geltung. Prinzipien stellen Argumente in eine bestimmte Richtung dar. Prinzipienkonflikte werden aufgelöst, indem der Vorrang eines Prinzips durch einen Vergleich mit dem kollidierenden Prinzip im konkreten Fall bestimmt wird. Das relative Gewicht des Prinzips ist demnach zu bestimmen. 5. Die grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen vereinen Regel- und Prinzipiencharakter. Freiheitsrechte sind entsprechend ihrem prima-facie-Charakter Positivierungen von Prinzipien. Die Regelebene bildet eine zweite Ebene zur Festlegung der Vorrangrelation. Die Grundrechte bilden durch die Positivierung von Prinzipien eine Regel, welche die definitive Geltung eines Prinzips anordnet. Es entsteht eine Regel, wonach alles, was in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, definitiv verboten ist, es sei denn, es erfüllt die Schrankenklausel. 6. Die Entscheidung, welchem der als Prinzipien bezeichneten Rechtssätze im jeweiligen Kollisionsfall Vorrang zukommt, heißt Abwägung. Durch die Abwägung wird eine Vorrangrelation nach dem relativen Gewicht der kollidierenden Prinzipien bestimmt. Es gilt das formale Abwägungsgesetz, daß je höher der Grad der Nichterfüllung oder Beeinträchtigung des einen Prinzips ist, desto größer die Wichtigkeit der Erfüllung des anderen Prinzips sein muß. Hierzu sind die Schwellengewichte der jeweils kollidierenden Prinzipien zu bestimmen. Das Schwellengewicht bezeichnet das Gewicht des einen Prinzips, welches von dem anderen Prinzip überwunden werden muß, damit dieses Vorrang beanspruchen kann. 7. Positionen mit Schwellengewicht werden als Rechte (i. w. S.) bezeichnet. 8. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz i. e. S. (Abwägung) folgt unmittelbar aus der Kollision von Rechten. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bringt im Bereich der Grundrechte das Schwellengewicht der kollidierenden Freiheitsrechte zur Geltung. Andere Herleitungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes aus dem Rechtsstaatsprinzip, aus Art. 3 Abs. 1 GG oder aus Art. 1 Abs. 1 GG überzeugen demgegenüber nicht.

B. Der dogmatische Standort der Kompensation

335

9. Die Abwägung liefert keine inhaltlichen Maßstäbe, sondern ein Verfahren zur Auflösung von Kollisionslagen (regulatives Rechtsprinzip). Der Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung gelingt es, die Prüfung zu strukturieren. Die Kritik am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geht deswegen von einem falschen Verständnis dieser Rechtsfigur aus, wenn sie sich auf das Ergebnis der Kollisionsauflösung bezieht und sie die Gefahr des Verlusts jeglicher Klarheit bei der Entscheidungsfindung anmahnt. 10. Die Beschränkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf den Bereich von Freiheit und Eingriff, widerspricht dem logischen Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Prinzipienkonflikte sind kein Spezifikum der Freiheitsgrundrechte. 11. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz weist eine dogmatische Asymmetrie auf, da er ein einseitiges Gebot aufstellt. Er weist als Abwehrinstrument nur eine bestimmte Richtung auf. Es wird stets aus der Sicht des beschränkten Rechts argumentiert. Die angesprochene Asymmetrie macht deutlich, daß der Schutz der Grundrechte durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders effektiv gelingt. Hieraus folgt aber nicht, daß das Verhältnismäßigkeitsgebot nur bei Eingriffen in Freiheitsrechte und nicht bei Beeinträchtigungen sonstiger Rechte durch kollidierende Güter Anwendung findet. 12. Auch aus der Tatsache, daß sich die Freiheitsgrundrechte für einen Schutz durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders eignen, läßt sich lediglich ableiten, daß dieser eine Kollision verschiedener Prinzipien voraussetzt, wie sie bei den Freiheitsrechten möglich ist. Der Umkehrschluß, daß sich seine Anwendung auf grundrechtliche Abwehrrechte zu beschränken hat, ist hieraus nicht zulässig. 13. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist auf sämtliche Konfliktlagen anwendbar. Eine weitergehende Begrenzung läßt sich jedoch nicht begründen. Vielmehr zeigt ein Blick auf Kollisionslagen im innerstaatlichen Bereich (wie bei Art. 28 Abs. 2 GG, bei Eingriffen in fremde Kompetenzbereiche) sowie ins europäische Recht, daß eine Verhältnismäßigkeitsprüfung auch dort vorgenommen werden kann und der Sache nach auch vorgenommen wird. Die Kollision grundrechtlicher Freiheitsrechte stellt daher eine hinreichende, nicht jedoch eine notwendige Bedingung für die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, insbesondere die Abwägung, läßt sich unmittelbar aus der Kollision von Rechten allgemein ableiten: a) Die Kernbereichsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 28 Abs. 2 GG fügt sich in die Verhältnismäßigkeitsprüfung ein. Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten besonderen Anforderungen folgen aus den spezifischen inhaltlichen Maßstäben des Art. 28 Abs. 2 GG und nicht aus einem anderen Prüfungsschema. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz läßt sich folglich auf das

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§ 6 Ergebnis der Untersuchung

Verhältnis der Staatsorgane untereinander übertragen. Entscheidend ist, daß dem einen Staatsorgan ein eigenes Recht eingeräumt ist, welches zu seinen Gunsten ein bestimmtes Schwellengewicht entfaltet. b) Auch auf innerstaatliche Kompetenzkonflikte ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anwendbar. Ein eigenständiger Kompetenzbereich entfaltet ähnlich einem subjektiven Recht ein eigenes Schwellengewicht und führt zu Abwehrrechten gegen den eindringenden Hoheitsträger. Die Möglichkeit, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch hier anzuwenden, zeigt sich bei einem Vergleich mit den sog. antisuit injunctions im anglo-amerikanischen Recht sowie bei Eingriffen des Bundes in Länderkompetenzen, die den Grundsatz der Bundestreue zu berücksichtigen haben. Auch im europäischen Gemeinschaftsrecht wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als allgemeine Handlungsschranke aller Gemeinschaftsorgane im innerstaatlichen Bereich angewendet. 14. Die Kollisionslage ist hinreichende Bedingung für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Aus dieser Anwendungsvoraussetzung folgt zugleich eine Begrenzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (notwendige Bedingung). Es gibt Konstellationen, in denen sich Zweck und Mittel nicht unterscheiden lassen und es nicht um den Ausgleich kollidierender Güter geht, sondern in denen das Mittel an einen Maßstab angelegt wird. Es wird keine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen, sondern eine Prüfung, ob eine staatliche Maßnahme dem vorgegebenen Maßstab entspricht (Entsprechensprüfung). Dies trifft z. B. auf die Schuldangemessenheit der Strafe oder auf die Angemessenheit von Gebühren zu. Nach der Feststellung, daß die Gegenleistung bei einer Gebühr zum Wert der Leistung äquivalent sein muß, bleibt für eine Abwägung kein Raum. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung kann nur bei einer Kollision von Rechten vorgenommen werden. 15. Um eine Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen zu können, müssen zunächst die kollidierenden Prinzipien und ihr relatives Gewicht bestimmt werden. Der anschließende Vergleich gibt Aufschluß darüber, welchem Prinzip im konkreten Fall der Vorrang zukommt. 16. Kompensation und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sind regulative Rechtsprinzipien. Sie tragen keinen Wertinhalt in sich, sondern liefern nur ein Verfahren zur Erarbeitung eines konkreten Entscheidungsinhalts. 17. Die Kompensation stellt eine eigenständige Rechtsfigur dar. Sie kann nicht im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz oder in einer Zumutbarkeitsprüfung verortet werden. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung zeichnet sich dadurch aus, daß stets das schwächere der kollidierenden Güter zurücktritt. Die Kompensation räumt keinem der Güter einen Vorrang ein, sondern beschränkt sich auf die tatsächliche Behebung des als defizitär erkannten Rechtszustandes. Es werden keine kollidierenden Güter miteinander verglichen, sondern es wird der Wert eines nur

B. Der dogmatische Standort der Kompensation

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unzureichend verwirklichten Gutes mit einer dritten Größe in Beziehung gesetzt. Im Idealfall eines vollständigen Ausgleichs stehen sich keine konfligierenden Interessen mehr gegenüber, da jedem zur vollständigen Durchsetzung verholfen wurde und jedes vollständig befriedigt ist. Wird ein Kompensationsmittel untersucht, welches kein vollständiges Äquivalent darstellt, muß die Zulässigkeit des nicht kompensierten Defizits weiter untersucht werden. Die Intensität des trotz Kompensation verbleibenden Defizits muß hierfür genau bekannt sein. 18. Bei einer teilweisen Kompensation muß der verbleibende, nicht kompensierte Rest gegebenenfalls mit Hilfe der Verhältnismäßigkeitsprüfung gerechtfertigt werden, da es insoweit nach wie vor bei einer Kollisionslage verbleibt. Bei dem verbleibenden Konflikt handelt es sich noch um die Kollision derselben Interessen, jedoch wurde durch die Kompensation die Basis der Interessenkollision verändert. 19. Die Kompensation dient nicht der Ergänzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, um Aspekte des status positivus im Bereich (sozialer) staatlicher Leistungen zu erfassen (sog. statuspositive Ergänzung der Verhältnismäßigkeitsprüfung). a) An der Jellinek’schen Statuslehre ist trotz Kritikpunkte als Beschreibung der formalen Struktur der Position des Bürgers gegenüber dem Staat festzuhalten. b) Aus den Grundrechten lassen sich nicht ohne weiteres originäre Leistungsrechte ableiten. Ein subjektives originäres Leistungsrecht setzt voraus, daß sich aus einem Grundrecht eine zwingend erforderliche faktische Sicherung der grundrechtlich gewährleisteten Freiheit ableiten läßt. Das Grundgesetz muß also ein Freiheitsrecht auf der Basis einer zwar nicht ausdrücklich benannten, aber als selbstverständlich unterstellten Teilhabe gewährleisten. Ist dies der Fall, ist die faktische Freiheit gegen die (formellen) Prinzipien des Budgetrechts des Parlaments sowie der Kompetenz des parlamentarischen Gesetzgebers abzuwägen. Schließlich sind auch eventuell betroffene Rechte Dritter oder kollektive Güter in diese Abwägung einzustellen. Der Anspruch steht unter dem Vorbehalt des realistischerweise Möglichen. c) Die Begründung eines Leistungsrechts einschließlich seines Umfangs durch eine Abwägung macht eine statuspositive Ergänzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch eine zwingende Kompensation überflüssig. Die Rechte des Dritten werden im Rahmen der Abwägung bereits berücksichtigt. 20. Die Beschränkung der Abwägung auf Zweck-Mittel-Relationen blendet alle diejenigen Aspekte aus, die sich nicht in das Verhältnis von Zweck und Mittel einordnen lassen. Die Zumutbarkeitsprüfung beantwortet die Frage, ob eine an sich verhältnismäßige staatliche Maßnahme im Einzelfall anders beurteilt und die Konfliktlage auf andere Weise aufgelöst werden muß. Es werden so indivi-

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§ 6 Ergebnis der Untersuchung

duelle Gesichtspunkte aufgegriffen. Die Zumutbarkeitsprüfung folgt daher der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach. Die Kompensation ist eine Figur, welche vor der Verhältnismäßigkeit und damit auch vor der Zumutbarkeit abzuhandeln ist. Die Kompensation und die Zumutbarkeitsprüfung nehmen unterschiedliche Funktionen und dogmatische Standorte ein, so daß sich die Kompensation nicht als außerhalb des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes liegendes Element der Zumutbarkeit begreifen läßt. 21. Die Kompensation stellt eine eigenständige Rechtsfigur dar. a) Die Kompensation verhilft nicht einem der kollidierenden Güter zur absoluten Priorität. Die Kompensation internalisiert externe Zwecke und löst damit eine vorhandene Prinzipienkollision auf, indem beiden Prinzipien zur möglichst vollen Wirksamkeit verholfen wird. Sie greift in einen benachteiligenden Vorgang ein, indem sie einen Gegenstrom erzeugt und die durch die Beeinträchtigung bewirkte Asymmetrie wieder ausgleicht. b) Durch die Internalisierung externer Effekte führt die Kompensation gerade nicht zu einer Ergänzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, sondern entzieht diesem im Falle eines vollständigen Ausgleichs die erforderliche Konfliktlage. Die Kompensation beseitigt einen abwägungsfähigen Rechtsgüterkonflikt, so daß eine Verhältnismäßigkeitsprüfung undurchführbar wird.

C. Gleichheit als Rechtsidee 1. Die konzeptionelle Entwicklung und theoretische Grundlegung des Gleichheitsbegriffs fand in der Antike statt. Gleichheit wurde als Prinzip sozialer Gerechtigkeit gesehen. Zugleich wurde auch die Ungleichheit legitimiert. Anfänglich wurde die Idee des Gleichheitssatzes nur aus der theologisch oder philosophisch definierten Gleichheit der Gottgeschaffenheit oder der Vernunftbegabung des Menschen als eine rechtliche und politische Gleichstellung abgeleitet. Der Gleichheitsbegriff war gegen ständische Unterschiede gerichtet. Mit der Erstarkung der Rechtsstaatsidee traten daneben und schließlich vor diese Gleichheit zunehmend politische, soziale und wirtschaftliche Gleichberechtigungsforderungen. Der Gleichheitssatz wurde zum Anspruch auf allgemeine Gleichheit der Rechtsanwendung durch die Exekutive und die Judikative, d. h. zum Anspruch auf formelle Rechtsgleichheit. In je größerem Maße die Rechtsstaatlichkeit verwirklicht wurde, desto inhaltsärmer wurde zugleich der Gleichheitssatz in seiner Interpretation als formale Gewährleistung. Er war daher mit neuen materiellen Erwägungen anzufüllen. In der Folge wurde auch der Gesetzgeber selbst an den Gleichheitssatz gebunden.

C. Gleichheit als Rechtsidee

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2. Der allgemeine Gleichheitssatz bewirkt den Grundrechtsschutz auf andere Weise als die Freiheitsrechte. Von Art. 3 Abs. 1 GG wird kein Eingriff in eine bestimmte individuelle Freiheitssphäre, sondern eine bestimmte Modalität des Staatshandelns abgewehrt. Der Gleichheitssatz nimmt grundsätzlich jeden sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung in sich auf, so daß schon nicht mehr wesentlich Gleiches und damit keine Ungleichbehandlung i. S. v. Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt und die Gleichheitsforderung abschließend konkretisiert wird. 3. Art. 3 Abs. 1 GG hat die Gestalt einer positiven Feststellung. Der Gleichheitssatz läßt weder jede Differenzierung zu noch verlangt er die Herstellung wirklicher Identität. Er fordert, daß Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln ist. Diese Formel setzt ein Vergleichen voraus, welches eine hinreichend präzise Vorstellung der Vergleichssubjekte und -objekte sowie der rechtlich relevanten Merkmale der Vergleichsgruppen bedingt. 4. Die vom Gleichheitssatz bezeichnete Beziehung ist eine dreistellige Relation. Zwei menschliche Individuen oder zwei Sachverhalte sind niemals in jeder Hinsicht, sondern immer nur im Hinblick auf eine bestimmte Eigenschaft gleich. Das Gleichheitsurteil betrifft lediglich eine (einige) bestimmte Eigenschaft(en) des herangezogenen Vergleichspaares. Die Formel „Gleiches ist gleich, Ungleiches ungleich zu behandeln.“ kann nur eine wertmäßige Gleichheit bzw. Ungleichheit (wesentliche Gleichheit) meinen. Das Kriterium, welches die Aussage, was wertmäßig gleich bzw. ungleich ist, erlaubt, liegt dem Gleichheitssatz voraus. 5. Der Begriff der wesentlichen Gleichheit wurde mit Hilfe der Willkürformel zu präzisieren versucht. Danach verbietet der Gleichheitssatz willkürliches Hoheitshandeln. Gleichbehandlung sei die nach dem jeweiligen Rechtsbewußtsein nicht willkürliche Handhabung des an die Adresse von Rechtssubjekten gerichteten Rechtes durch den Gesetzgeber und die Vollziehung (Justiz und Verwaltung). Auch das Bundesverfassungsgericht geht von diesem Ansatz aus und sieht den Gleichheitssatz als verletzt an, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lasse, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden müsse. Die Willkürformel beurteilt jedoch keine Vergleichslage mehr, sondern eine falsche Anwendung des Rechts. Außerdem öffnet sie den allgemeinen Gleichheitssatz dem verfassungsrechtlichen Dezisionismus. Andererseits erweist sich die Willkürformel aufgrund ihrer Unbestimmtheit zugleich als zu schwacher Kontrollmaßstab. Dem kann die Präzisierung durch die sog. „neue Formel“ des Bundesverfassungsgerichts nicht abhelfen. Nach dieser Formel ist das Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu an-

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§ 6 Ergebnis der Untersuchung

deren Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Erzielt wird damit eine abgestufte Kontrolldichte, die schon mit der herkömmlichen Willkürformel erreicht werden konnte. Es gelingt deswegen nur in geringem Umfange und nur bedingt durch die klarere Offenlegung der dahinterstehenden Erwägungen, präzisere Kriterien als bisher aufzustellen. 6. Es werden deswegen verschiedene Präzisierungen des Gleichheitsbegriffs in der Wissenschaft vorgenommen. a) Es wird versucht, die Justitiabilität dadurch herzustellen, daß man die (richterliche) inhaltliche Bestimmung des Gleichheitssatzes an das Gesamtsystem der konkreten Verfassung bindet. Die für die Anwendung des Gleichheitssatzes notwendige Konkretisierung folge aus dem Gesamtgefüge der Verfassung. In einem ersten Schritt müsse untersucht werden, ob eine Differenzierung in der Rechtsanwendung oder -setzung überhaupt eingetreten sei. Dem schließe sich die Frage an, ob eine Vergleichbarkeit vorhanden sei, welche Merkmale der zu vergleichenden Tatbestände also als wesentlich oder unwesentlich zu gelten hätten. Insoweit würden zunächst die Konkretisierungen des allgemeinen Gleichheitssatzes durch besondere verfassungsrechtliche Gleichheitsgarantien interessieren. Erst nachdem diese Gesichtspunkte ausgeschöpft seien, könne ein Rückgriff auf das Willkürverbot in Betracht kommen. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot sei anzunehmen, wenn der Gesetzgeber das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip, das Prinzip der grundgesetzlichen Gewaltenteilung, der Sozialstaatlichkeit, der Bundesstaatlichkeit oder aber auch Prinzipien wie der Gedanke der Systemgerechtigkeit und der Chancengleichheit verletze. Eine allgemeine Willkürprüfung sei in Fällen durchzuführen, die nicht für so bedeutend erachtet würden, als daß sie der Nennung in der Verfassung bedürften. b) Deutlich personaler ist ein Ansatz, der seinen Ausgangspunkt in der Willkürformel hat. Die Willkürprüfung solle aber nicht zu einer Kontrolle anhand eines am allgemeinen Rechtsbewußtsein orientierten Gerechtigkeitsgebots führen. Sobald die Willkürfrage zur Frage danach werde, was Gerechtigkeit sei, werde die reine Willkürprüfung verlassen und der Gleichheitssatz anhand des (sonstigen) Verfassungsrechts – hauptsächlich durch einen Rückgriff auf den Grundrechtsteil der Verfassung – konkretisiert. c) Die in der beschriebenen Weise im Gesamtsystem der Verfassungsordnung ruhende Gleichheit zeige, daß der Gleichheitssatz Element einer positiven Verfassungsordnung sei. Dem Gleichheitssatz selbst ließen sich wiederum weitere

C. Gleichheit als Rechtsidee

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detailliertere Teilinhalte entnehmen: die Statusgleichheit, das Gebot der Sachgerechtigkeit, das Gebot der Folgerichtigkeit sowie das Objektivitätsgebot. Der Gleichheitssatz stelle sich danach als ein Grundrecht mit abgestuftem, sich vom Konkreten zum Allgemeinen öffnenden Inhalt dar. Der Gleichheitssatz setze für alles Handeln der hohen Hand einen umfassenden Maßstab und schütze nicht nur einzelne Lebensbereiche. d) Andere betonen den inneren Zusammenhang von Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit. Hieraus wird ein gleicher Anspruch eines Jeden auf gleiche Freiheit abgeleitet. Freiheit und Gleichheit stünden sich nicht in einem Antagonismus gegenüber, sondern wiesen einen inneren Zusammenhang auf und bedingen sich gegenseitig. e) Völlig anders wird argumentiert, wenn man in Art. 3 Abs. 1 GG eine Argumentationslastregel dahingehend sieht, daß jede staatliche Ungleichbehandlung von der hohen Hand plausibel und mit zureichenden Gründen begründet werden müsse, die sich ihrerseits aus den anderen Verfassungsbestimmungen ergäben. f) Schließlich wird die Gleichheit hin zu einem Recht auf Unterschiede und damit auf Freiheit entwickelt. Es gebe die Gleichheit, damit Menschen verschieden sein könnten, nicht damit Unterschiede zwischen ihnen beseitigt würden. Gleichheit wird so vor allem als Chancengleichheit verstanden. Sie sei eine Gleichheit im Recht zu einer freiheitlichen Individualentwicklung, eine Ungleichheit jedoch im Ziel. 7. Nicht jede Abweichung von der Gleichheit stellt bereits eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung dar. Der Gleichheitssatz enthält kein Gebot schematischer Gleichheit (Identität). 8. Zur Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes ist eine Gleichsetzung von Gerechtigkeit und Gleichheit weder zulässig noch notwendig. Die Gleichheit ist allenfalls ein Element der Gerechtigkeit. Gleichheit allein schafft noch keine Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit bestimmt als eine von mehreren Erwägungen die Wesentlichkeit der Ungleichbehandlung. Gerechtigkeitsvorstellungen werden in der Verfassung konkretisiert. Insoweit kommt ihnen eine eigenständige Funktion in der Argumentation zu. 9. Die gesellschaftlichen Gerechtigkeits- und Wertvorstellungen haben ihren Niederschlag in der Verfassung gefunden. Der Rekurs auf überpositives Recht und Gerechtigkeitserwägungen ist einzig deswegen erforderlich, weil er einen Rückfall in einen wertungsfreien Gesetzespositivismus verhindert. 10. Zur Konkretisierung des Gleichheitsbegriffs und damit zur Beurteilung des Vorliegens wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte liefert die Verfassung selbst die notwendigen Maßstäbe. In erster Linie ist auf die besonderen verfas-

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§ 6 Ergebnis der Untersuchung

sungsrechtlichen Gleichheitsgarantien abzustellen. Daneben enthält die Verfassung eine Reihe an Differenzierungsverboten, -geboten und -erlaubnissen wie z. B. Art. 1 Abs. 1 GG. Auch aus den Schrankenvorbehalten der Freiheitsgrundrechte folgen Differenzierungserlaubnisse. 11. Verbleibende Unklarheiten sind mit Hilfe des Gedankens der Systemgerechtigkeit zu lösen, wonach der Gesetzgeber eine einmal getroffene Entscheidung konsequent umsetzen muß. 12. Verfolgt eine Ungleichbehandlung den sog. internen Zweck, den Gleichheitssatz gerade zu verwirklichen, indem wesentlich gleiche Sachverhalte ihrer Eigenart entsprechend verschieden behandelt werden, ist eine Abweichung von dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Gleichheitsmaßstab gerade nicht intendiert. Die vorgefundenen Ungleichheiten werden aufgegriffen und zum Anlaß für eine dem Gleichheitsmaßstab entsprechende Gestaltung genommen. Insoweit stellt der allgemeine Gleichheitssatz kein prima-facie-Recht dar, in das eingegriffen wird. 13. Durch das Gebot, wesentlich gleiche Sachverhalte bzw. Personen zu bestimmen, die gleich zu behandeln sind, bekommt der Gleichheitssatz eine über die externen Wertungen hinausgehende Bedeutung. Der Gleichheitssatz erweitert den Blick um das Element des Vergleichs. Er stellt das Gebot auf, das, was anhand des übrigen Verfassungsrechts als wesentlich gleich beurteilt werden muß, in der relevanten Hinsicht gleich zu behandeln. Ungleichbehandlungen sind nur zulässig hinsichtlich nicht wesentlich gleicher Sachverhalte bzw. Personengruppen. 14. Die maßstabsgerechte (Un-) Gleichbehandlung bildet den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG. 15. Der Gleichheitssatz steht unter dem Vorbehalt der legitimen Verfolgung anderer Ziele. Diese Schrankenziehung muß sich an Art. 2 Abs. 1 GG orientieren. 16. Der Verwirklichung des allgemeinen Gleichheitssatzes durch Verschiedenbehandlungen bei wesentlich ungleichen Sachverhalten steht die bewußte und gewollte Abweichung von der von Art. 3 Abs. 1 GG an sich gebotenen Gleichbehandlung gegenüber. Es werden in diesem Fall durch die Ungleichbehandlung sog. externe Ziele verfolgt. Es liegt eine Kollision zwischen dem prima-facieRecht auf Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem und dem externen Ziel vor. 17. Verfolgt die hohe Hand einen externen Zweck, greift sie in den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG aufgrund der damit verbundenen Abweichung vom gewählten Maßstab ein. Die Forderung des Art. 3 Abs. 1 GG nach Gleichbehandlung und der darüber hinausgehende weitere Zweck stehen sich in einem

D. Die Rechtfertigungsfunktion der Kompensation

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Spannungsverhältnis gegenüber. In dieser Konstellation kann der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Anwendung finden. Der Rechtfertigung externer Zwecke liegt methodisch die Kollision verschiedener Prinzipien des Verfassungsrechts zugrunde. 18. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist jedoch nicht bei jeder Gleichheitsprüfung anwendbar, da er eine Kollision verschiedener Rechte voraussetzt. Nach teilweise vertretener Ansicht wird er deswegen modifiziert. Im Rahmen einer allgemeinen Abwägung werden die verschiedensten Regelungszwecke einer Angemessenheitsprüfung unterzogen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verliert auf diese Weise jedoch jegliche Kontur. 19. Eine solche Modifikation des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist nicht erforderlich. Verfolgt eine Regelung einen internen Zweck, d. h. liegt eine rechtliche Ungleichbehandlung vor, um Ungleiches ungleich zu behandeln, kann eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stattfinden. Möglich ist nur eine Entsprechensprüfung, ob die Ungleichbehandlung dem verfassungsrechtlichen Maßstab wesentlicher Gleichheit entspricht (materielle Gleichbehandlung). Bei einem externen Zweck, der gerade nicht auf eine materielle Gleichbehandlung zielt, sondern einen sonstigen (Gemeinwohl-) Belang verfolgt, kollidiert hingegen dieser Zweck mit dem allgemeinen Gleichheitssatz, so daß eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ohne Modifikationen vorgenommen werden kann.

D. Die Rechtfertigungsfunktion der Kompensation im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG 1. Die Kompensation zeichnet sich durch eine rechtliche Ungleichbehandlung aus, die zu faktischer Gleichheit führt. Sie wirft die Problematik auf, ob ohne eine faktische Ungleichbehandlung, hingegen bei vorliegender rechtlicher Ungleichbehandlung schon ein Verstoß in Frage kommt bzw. warum ein solcher von vornherein ausscheidet. 2. Im Hinblick auf die Frage nach der Gewährleistung faktischer Gleichheit durch Art. 3 Abs. 1 GG gibt es drei Möglichkeiten, den allgemeinen Gleichheitssatz zu interpretieren: Der Gleichheitssatz läßt sich als Gebot der Gleichverteilung verstehen. Ein Gebot der Chancengleichheit stellt der Gleichheitssatz dar, wenn man nicht von einer aktiven Güterverteilung durch den Staat ausgeht, sondern die gleiche Güterverteilung sicherzustellen versucht, indem man den Bürgern die gleichen Chancen zum Gütererwerb garantiert. Der Gleichheitssatz kann schließlich aber auch schlicht als Gebot der rechtlichen Gleichbehandlung gesehen werden.

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§ 6 Ergebnis der Untersuchung

3. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, daß die Stellung des Menschen in der Gesellschaft sowohl rechtlich als auch tatsächlich qualifiziert ist. Rechtliche wie tatsächliche Aspekte sind miteinander untrennbar verwoben, da die Rechtsstellung von tatsächlichen Gegebenheiten abhängt und umgekehrt die tatsächliche Stellung von verschiedensten Rechten gestaltet, geprägt und abgesichert wird. a) Das Bundesverfassungsgericht hat die Forderung nach Herstellung faktischer Gleichheit nie allein aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitet. In der Rechtsprechung besteht eine Tendenz zu einem aktbezogenen Verständnis. b) Rechtliche Gleichheit wirkt faktisch ungleich und bedarf des Ausgleichs. Dieser ist nicht zwingend eine Frage des Gleichheitsbegriffs, sondern kann auch aus dem Sozialstaatsprinzip folgen. Faktische Gleichheit stellt ein Verfassungsgut dar, welches die Einschränkung des subjektiven Rechts auf Gleichbehandlung grundsätzlich zu rechtfertigen geeignet ist. Das Grundgesetz gestattet in weitem Maße die Herstellung tatsächlicher Gleichheit, legt jedoch der staatlichen Gewalt nur in Ausnahmefällen eine entsprechende Verpflichtung auf. Das Grundgesetz hat sich mit Fragen faktischer Gleichheit nicht in Art. 3 Abs. 1 GG, sondern in Art. 20 Abs. 1 GG (Sozialstaatsprinzip) befaßt. Der allgemeine Gleichheitssatz enthält keine Verpflichtung, tatsächlich ungleiche Lebensverhältnisse zu beseitigen, sondern gewährleistet nur rechtliche Gleichbehandlung. Diese Forderung kann jedoch zugunsten prävalierender sozialstaatlicher Erwägungen durchbrochen werden. c) Der Tatbestand des Gleichheitssatzes erfährt durch das Sozialstaatsprinzip eine bereichsspezifische Konkretisierung. Dies gilt jedoch nur insoweit, als der allgemeine Gleichheitssatz als derivates Leistungsrecht herangezogen wird. Als originäres Leistungsrecht kann er nicht tatbestandlich durch Erwägungen faktischer Gleichheit konkretisiert werden. d) Eine tatbestandliche Konkretisierung liegt nicht mehr vor, wenn nicht individuelle Bedürftigkeit in Rede steht, sondern die faktische Situation Dritter verbessert werden soll oder kollektive Ziele verfolgt werden. 4. Die Kompensation als Vorgang, der faktische Gleichheit durch zumindest zwei rechtliche Ungleichbehandlungen wieder herstellt, führt daher nicht per se zu einer Gleichbehandlung wesentlich gleicher Personen bzw. Sachverhalte. Die Kompensation ist folglich auf der Rechtfertigungsebene einzuordnen. 5. Eine Gesamtbetrachtung verschiedener Ungleichbehandlungen ist zulässig. Dies setzt voraus, daß die zu bewertenden Ungleichbehandlungen zu demselben Zweck vorgenommen werden und noch nicht abgeschlossen sind. Die Gesamtbetrachtung ist dann nicht nur zulässig, sondern auch erforderlich.

D. Die Rechtfertigungsfunktion der Kompensation

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Die Gesamtbetrachtung ist keine Frage der Ungleichbehandlung, sondern der Rechtfertigung, da dort das Gewicht der Ungleichbehandlung von Bedeutung wird. 6. Das Bundesverfassungsgericht läßt die Einordnung der Kompensation in den allgemeinen Gleichheitssatz offen. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Kompensation werden nur teilweise benannt. Aus einer Gesamtschau der Rechtsprechung lassen sich dennoch Anforderungen an Kompensationen im Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 GG ausmachen. a) Die Vorteile müssen denjenigen zugute kommen, die zu den von der Benachteiligung Betroffenen gehören. b) Zwischen den zu verrechnenden Vor- und Nachteilen muß ein innerer Funktionszusammenhang bestehen, da es um die Beurteilung des konkret in Rede stehenden Regelungssystems geht. Der erforderliche Zusammenhang folgt aus den im Gesetz angelegten Kompensationsabsichten des Gesetzgebers sowie aus der objektiven Eignung der vorteilsgewährenden Norm zum Ausgleich. c) Die Verrechnung muß in ihrer Höhe zu einem tatsächlichen Ausgleich führen. Ist diese nicht feststellbar, weil eine Verrechnung im mathematischen Sinne nicht möglich ist, stellt das Bundesverfassungsgericht auf die Gerechtigkeit des vorgenommenen Ausgleichs bzw. auf die Wesentlichkeit eines erlangten Vorteils ab. d) Die kompensierenden Normen müssen im übrigen recht- und verfassungsgemäß sein. e) Vor- und nachteilsgewährende Regelungen müssen nicht von demselben Rechtsträger erlassen worden sein. f) Die verbleibenden, nicht kompensierten Ungleichbehandlungen müssen nach der Willkürformel bzw. der neuen Formel gerechtfertigt werden. 7. Der Europäische Gerichtshof hat die Kompensation im Rahmen des europarechtlichen Diskriminierungsverbots im Steuerrecht fruchtbar gemacht und ihr dogmatische Struktur gegeben. Daher lohnt ein (rechts-) vergleichender Blick. a) Grundsätzlich läßt sich eine europarechtswidrige Benachteiligung durch Steuervorteile nicht rechtfertigen. b) Die Unanwendbarkeitserklärung einer Norm unterbleibt jedoch, wenn sie zu einer Störung der Systematik der nationalen Steuerrechtsordnung führen würde. Es soll nicht der Vorteil einer Regelung abgeschöpft werden, ohne auch den Nachteil bei reinen Inlandssachverhalten hinnehmen zu müssen.

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§ 6 Ergebnis der Untersuchung

c) Die Kompensation muß notwendiges Mittel sein, um die Kohärenz einer Steuerregelung zu gewährleisten. Sie darf nicht nur zufällig kompensatorische Wirkung zeitigen. Die eine Norm muß ohne die andere sinnlos sein. 8. In der Literatur finden sich vereinzelt Ansätze zur dogmatischen Erfassung der Kompensationsproblematik. Sie sind jedoch in der Regel unvollständig. Übereinstimmung findet sich in der Forderung nach einem tatsächlichen Ausgleich durch die Kompensation, nach der Forderung von Personenidentität zwischen benachteiligtem und bevorteiltem Grundrechtsträger. Darüber hinaus wird nach teilweise vertretener Auffassung gefordert, daß ein innerer Zusammenhang zwischen Ungleichbehandlung und Kompensationsmittel besteht. Eine Präzisierung dieser Voraussetzungen findet nicht statt. Einzig Hey präzisiert die notwendigen Bedingungen. Danach sei eine Kompensation zulässig, wenn Sachverhaltsund Personenidentität und ein innerer Zusammenhang zwischen Vor- und Nachteil bestehe sowie wenn Vor- und Nachteil äquivalent seien. Die Normen müßten im übrigen verfassungsgemäß sein. Nur als ultima ratio sei eine Kompensation zulässig. 9. Aus diesen Untersuchungen lassen sich die Voraussetzungen der Kompensation im Rahmen von Art. 3 Abs. 1 GG entwickeln. Defizitärer Rechtszustand: Der defizitäre Rechtszustand muß bejaht werden, wenn eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vorliegt. Dies ist nicht der Fall, wenn die Verschiedenbehandlung aufgrund interner Zwecke vorgenommen wird. Kompensationszulässigkeit: a) Erforderlich ist zunächst das Vorliegen eines inneren Funktionszusammenhangs. Diese Anforderung an die Kompensationszulässigkeit folgt aus dem Äquivalenzgrundsatz, welcher als Wertungsmaßstab fungiert. Erforderlich ist weiter, daß Sachverhaltsidentität gegeben ist, da das Gleichheitsurteil sich nur auf bestimmte Merkmale bezieht. Außerdem muß gerade der benachteiligte Personenkreis einen Vorteil erhalten. Hierbei sind die tatsächlichen Wirkungen einer staatlichen Regelung maßgeblich. Diese müssen von der Regelung vorgesehen und nicht nur zufälliger Natur sein. Mittelbare wirtschaftliche Auswirkungen genügen nicht. Der innere Funktionszusammenhang ist dadurch gekennzeichnet, daß er vom Gesetzgeber bewußt und gewollt hergestellt wurde. Aus der gesetzlichen Systematik muß folgen, daß der Vorteil gerade des Nachteils wegen gewährt und verfassungsrechtlich abgesichert wurde. Die Kompensation muß ohne die benachteiligende Maßnahme unverständlich und sinnlos sein. Hieraus folgen die Anforderungen, daß der Vorteil von demjenigen Hoheitsträger gewährt wird, der für die Benachteiligung verantwortlich zeichnet. Der Funktionszusammenhang kann

D. Die Rechtfertigungsfunktion der Kompensation

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nicht über verschiedene Ebenen der Normhierarchie hinweg hergestellt werden. Allenfalls die nähere Ausgestaltung kann einer anderen Ebene übertragen werden. Die Gewährung des Vorteils darf nicht die mit der benachteiligenden Regelung intendierten Zwecke konterkarieren (Grundsätze der Widerspruchsfreiheit und Folgerichtigkeit). Da der Gleichheitssatz in seinem Schutzbereich die Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem als Recht gewährleistet und somit ein bestimmtes Bestandsinteresse schützt, hat die Realvermeidung eines Eingriffs Vorrang vor einer Kompensation. Ein späterer Vorteil kann nur dann einen Nachteil ausgleichen, wenn er von vornherein sicher vorgesehen ist und mit der benachteiligenden Norm Teil einer einheitlichen Regelung darstellt. Die zeitliche Differenz muß aber bei der Bewertung der Gleichwertigkeit des Ausgleichs berücksichtigt werden. Schließlich dürfen im übrigen keine Verstöße gegen höheres Recht vorliegen. Dabei verstößt eine Kompensation grundsätzlich nicht gegen europäisches Beihilferecht, da die Vorteilsgewährung nicht ohne weiteres als Beihilfe eingestuft werden kann. b) Der Nachteil muß äquivalent ausgeglichen werden. Dies setzt die Gleichwertigkeit von Belastung und Begünstigung voraus. Artgleichheit ist nicht erforderlich. Die Gleichwertigkeit ist anhand der für den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG maßgeblichen Wertungen zu ermitteln. Grundsätzlich ist ein vollständiger Ausgleich zu fordern. Über- bzw. Unterkompensationen sind nur hinzunehmen, wenn sie geringfügig sind. Im übrigen ist hinsichtlich des Rests eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen. Ist der Ausgleich in atypischen Einzelfällen nicht zu erreichen, führt dies nicht schon zur Verfassungswidrigkeit. Eine gesetzes- und rechtsgebietsübergreifende Kompensation ist nicht von vornherein unzulässig.

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Sachverzeichnis Die Zahlen beziehen sich auf die jeweiligen Seiten.

Abgabenmodell, 52 Abgabenrecht, 174, 282 Abgeltung von Externalitäten, 170–172 absolute Priorität, 167, 168, 176, 338 — Gerechtigkeit, 167 — Gesamtnutzen, 167 absolutistisches System, 190 Absprachen, siehe Verwaltungsabsprachen, 43, 44, 47 Abstimmungen, 43, 226 Abwägung, siehe Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, 27, 70, 91, 92, 102–104, 108, 109, 126, 127, 130, 134, 136– 140, 142, 143, 146, 161, 164, 165, 170, 172, 175–177, 236, 265, 267, 269, 274, 277, 301, 333–337, 343 — abstrakte, 98 — Akzessorietät, 141 — Beschränkung, 337 — Defizite, 71 — einheitliche, 267 — Ergebnis, 161 — Folgen, 164 — Güterabwägung, 127, 137, 140 — Interessenabwägung, 135, 137, 163, 164 — Kompensation, 143–147 — Struktur, 92, 138–142, 172 Abwägungsgebot, 141 Abwägungsgesetz, 108, 109, 112, 123, 140, 141, 274, 334 Abwägungslehre, 113 Abwägungsregel, 141 Abwägungsverbot, 167 Abwehrrechte, 87, 91, 93, 150, 202, 335, 336 — liberale, 148

Adel, 182, 187, 188, 190, 194, 197, 198, 287 — Privilegien, 197 Administrativenteignung, 76 aequalitas, 184, 186 aequitas, 184, 288 Aktbezogenheit, 283, 285, 288, 295, 300 Akteneinsicht, 48 Aktiengesellschaft, 324 Alleinentscheidungsrecht, 56 Alles-oder-Nichts-Prinzip, 45 allgemeine Handlungsfreiheit, 214, 264, 268, 322 allgemeiner Wiedergutmachungsanspruch, 41 allgemeines Persönlichkeitsrecht, 74 Allgemeinheit des Gesetzes, 190, 191, 205, 231, 235, 236 Allokationseffizienz, 50, 170, 177 Allokationsverzerrungen, 170 Alltagssprache, 33, 34, 237, 238, 243 ALR, 72–74, 86, 116, 189, 314 Altes Testament, 181 amerikanische Verfassung, 199, 200, 292 — 14. Amendment, 200 Amtsermittlungsgrundsatz, 48 Amtshaftung, 41 Änderungsvorbehalt, 58 — fakultativer, 59 — obligatorischer, 59 Angemessenheit, 92, 93, 110, 115, 265, 271, 273 — Differenzierungskriterien, 270, 272 — Gebühren, siehe Gebühren — Prüfung, 93, 270, 273, 277, 343

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Sachverzeichnis

anglo-amerikanisches Recht, 128–130, 336 Anhörungsrechte, 48 Antiegalitarismus, 198 Antike, 114, 181–187, 286, 338 antisuit injunctions, 128–130, 336 Äquivalenz, 47, 50, 51, 55, 56, 68, 69, 89, 112, 135, 145, 317, 333, 336, 337, 346, 347 — funktionale, 62 — unmittelbare, 69 — wesensgemäße, 69, 327 Äquivalenzforderung, 50, 69, 89, 112, 317, 326, 333 Äquivalenzprinzip, 65, 68, 144, 162, 164, 171, 321, 346 Arbeiter, 287 Arbeiterbewegung, 197–198 Arbeitgeber, 29, 312 Arbeitnehmer, 29, 38, 39, 312 Arbeitsbedingungen, 39 Arbeitsrecht, 37–39, 331 Arbeitsunfall, 29 Arbeitsvertrag, 38 Argumentationslast, 102, 260, 295, 297 Argumentationslastregel, 102, 236– 241, 260, 341 Aristoteles, 27, 31, 114, 181, 183, 188, 204, 207, 208, 240, 246, 247 Art. 109 Abs. 1 WRV, 199 Artgleichheit, 319, 326, 327, 347 Asymmetrie, 173, 297, 338 — dogmatische, 120–121, 335 athenische Polis, 181 atypische Belastungen, 165 Aufgabenverteilung, 48 Aufgabenverteilungsprinzip, 125 Aufklärung, 182, 190 Aufopferung, 41, 72–75, 314 Aufopferungsanspruch, 71 — Entwicklungsgeschichte, 72 — Rechtsgrundlage, 73 Aufrechnung, 35–36, 40, 63, 331 Aufsichtsrechte, 130, 131 Ausgleich, 34, 39, 52–55, 64, 68–69, 91, 97, 144, 145, 173, 228, 264, 274,

299, 301, 303, 307–308, 312, 317, 326, 327, 331, 333, 347 — absoluter, 327 — äquivalenter, 37 — Ergebnis, 35 — finanzieller, 71, 80, 319 — föderaler Systemverschiebungen, 331 — grundrechtsinterner, 85 — kollidierender Güter, 336 — nachträglicher, 333 — rechnerischer, 327 — rechtlicher, 57 — Rechtmäßigkeit, 332 — sozialer, 259, 291 — tatsächlicher, 303, 307, 345, 346 — vollständiger, 85, 145, 312, 315, 326, 337, 338, 345, 347 — Vorgang, 35 — Wirkungen, 307 — Zulässigkeit, 64, 65, 88 Ausgleichsanspruch, 81 Ausgleichsgedanke, 37, 40 Ausgleichsleistung, 64, 65, 80, 145, 332 Ausgleichsmaßnahmen, 332 Ausgleichsmittel, 55 Ausgleichspflicht, 72, 76 Ausgleichswürdigkeit, 55 Ausgleichszahlungen, 326 Ausnahmegerichte, Verbot von, 226 Ausnahmetatbestand, 87, 90 Austauschverhältnis, 55, 70, 321 auswärtige Beziehungen, 53 auswärtige Gewalt, 57 Auswirkungen, 244, 288, 295 — faktische, 282, 283 — mittelbare, 323 — tatsächliche, 38, 244, 282 — wirtschaftliche, 346 Basisrechte, 225–227, 258, 285 Bauern, 192 Bauernkrieg, 186, 187, 287 Bauordnungsrecht, 52 bayerische Konstitution, 200 Befreiungstatbestand, 87

Sachverzeichnis Beihilfe, 325, 326, 347 — Begriff, 325, 326 — Europarecht, 325, 347 — Kriterien, 326 Beleidigung, 39 Benachteiligung, 148, 282, 305, 306, 310, 311 Besoldungsrecht, 307 Bestandsgarantie, 78, 84, 86, 87, 146 Bestandsschutz, 86, 87, 90, 324, 347 Besteuerung, 261, 267, 316 Bestimmtheitsgebot, 58, 67 Beteiligungsföderalismus, 53 Beteiligungsrechte, 48, 54, 192 betriebliche Gesamtordnung, 39 betriebliches Bündnis für Arbeit, 37 Betriebswirtschaftslehre, 33 Beurteilungsspielraum, 61, siehe Gestaltungsspielraum Bezugsrahmen, normativer, 321 Bill of Rights, 199, 200 Bill of Rights of Virginia, 25, 94, 200 Billigkeit, 137, 184 Binnenmarkt, 310 Brüssel-I-Verordnung, 129 Budgetrecht, 159–161, 337 Bund, 53, 54 Bundesebene, 53, 55 bundesfreundliches Verhalten, 130, 132 Bundesrat, 54–56 Bundesregierung, 57 bundesstaatliche Ordnung, 54, 55 Bundesstaatsprinzip, 54, 55, 57, 130, 222, 340 Bundestreue, 57, 130, 336 Bundesverfassungsgericht, 26, 28–30, 61, 124–127, 130–132, 158, 179, 207, 212–213, 231, 238, 253, 255, 260, 282, 304–309, 316, 335, 339, 344, 345 — Gerechtigkeit, 248–249 Bundeszwang, 130 Bürger, 190, 191, 194, 337 Bürger-Staat-Verhältnis, 137 Bürgergleichheit, 187 Bürgerkrieg, 200

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bürgerliche Gesellschaft, 189, 195 bürgerliche Revolutionen, 190–196 bürgerliches Recht, siehe Zivilrecht Bürgerrechte, 187, 242, 243 Bürgertum, 187, 188, 190, 195–198, 287 — modernes, 195 Chancenausgleich, 27 Chancengleichheit, 222, 242, 258, 286, 288, 340, 341, 343 Christentum, 186, 198 — antikes, 185 — Christen, 187 — Christus, 181 — paulinisches, 181 citoyen, 192 Common Law, 25, 128 — Equity, 129 Common Law Courts, 129 compensare, 35 compensatio, 35, 36 contrat social, 191 Court of Chancery, 129 Declaration of Independence, 94 Defizite der Normbefolgung, 42 Defizite der Zielerreichung, 42 Delegation, 59 Deliktsrecht, 29 demokratia, 182 Demokratie, 183, 227, 235, 289 — demokratische Grundordnung, 220 — demokratische Legitimation, 56, 210 — Entwicklung, 183 — Forderung nach, 192 — parlamentarische, 56 — Teilhabe, 190 — Verfassungsform, 191, 234 — Willensbildungsprozeß, 235 Demokratieprinzip, 46, 222, 340 Deregulierung, 49 Deutsche Revolution 1848/49, 196–197 deutsche Verfassungen, 200 Deutschland, 53, 189, 193, 287 Dezisionismus, 110, 257, 339 Differenzierungsanlaß, 271

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Sachverzeichnis

Differenzierungserlaubnisse, 221, 258, 259, 261, 342 Differenzierungsgebote, 196, 221, 258, 259, 261, 342 Differenzierungsgründe, 212, 290 Differenzierungskriterium, 270–272 Differenzierungsverbote, 221, 258, 261, 342 Differenzierungsziel, 270–272 dignitas, 184 Diskriminierungsverbot, 309, 326 — europarechtliches, 345 disparitas, 186 Drittbetroffene, 46, 48, 66, 68, 161 drittes Mittel, 145 dualistischer Ansatz, 39 Effekte, externe, 45, 48, 68, 170–175, 301, 302 Effekte, negative, 66, 68, 173, 301, 302 effektiver Garantiebereich, 97, 202, 203 Effizienz, 49, 50, 168 Egalisierung, 198, 243, 289, 290, 296 égalité, 191 — de fait, 287 — et fraternité, 287 — mathématique, 208 — morale ou politique, 237, 239 — naturelle ou physique, 237 — parfaite, 193 — réelle, 191 Eigenart, 179, 208, 212, 216, 229, 276, 305 Eigenschaft, 205, 212, 237, 262, 290, 315, 322 eigenständiger Kompetenzbereich, 336 Eigentum, 37, 71 — Beeinträchtigung, 83 einfaches Recht, 194, 251 Eingriff, 37, 45, 71, 72, 74, 83, 85, 87, 96, 111, 119–122, 147, 148, 175, 203, 269, 283, 284, 301, 313, 315 — Abwehr, 148 — Dogmatik, 104, 136, 203 — Finalität, 83 — in fremde Kompetenzbereiche, 335

— Intensität, 91, 107, 116, 126, 148, 232, 268, 279, 297 — rechtmäßiger, 82 — rechtswidriger, 82 — Verhältnismäßigkeit, 122–123 Eingriffsverwaltung, 49 Einheitliche Europäische Akte (EEA), 53 Einkommensteuer, 28, 307 Einkommensteuerspitzensatz, 28 Einschlußklasse, 206, 240 Einzelfall, 251, 263, 308 — atypischer, 328 — Einzelfallentscheidung, 256 Elementarprinzipien, 231 Emanzipation, 197 Emissionen, 49, 51 Emissionsrechte, 50 Emissionszertifikatehandel, 49 enteignender Eingriff, 71, 80, 84 Enteignung, 41, 52, 71, 75–81, 83, 84, 87, 88, 314, 333 — Administrativenteignung, 76 — Begriff, 76, 77 — klassischer, 75, 79 — Entschädigung, 71, 75–79 — Legalenteignung, 76 Enteignungsentschädigung, 314 enteignungsgleicher Eingriff, 71, 81–84 Entfaltungsfreiheit, 227, 290 Entschädigung, 41, 71, 72, 74, 77, 87, 174, 227, 313, 314, 323 Entschädigungsmodell, 52 Entschädigungsregelungen, 88 Entsprechensprüfung, 115, 164, 174, 176, 266, 272, 278, 279, 303, 328, 336, 343 Entstaatlichung, 54 Equal Protection Clause, 200, 292 Equity, 129 Erbsündendogma, 185, 188 Erfolgswertgleichheit, 260 Erforderlichkeit, 92, 110, 112, 137, 169, 175, 270, 271, 273 Ergänzungsverhältnis, 62, 70, 332

Sachverzeichnis Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 116, 192, 193, 199 Ermessensverwaltung, 206 europäische Einigung, 53, 331 europäische Geistesentwicklung, 181 Europäische Gemeinschaft, 49 Europäische Gemeinschaften, 53, 54, 56, 57, 132 europäische Integration, 54 Europäische Kommission, 326 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), 61, 313 Europäische Union, 54, 55 Europäischer Gerichtshof, 117, 132, 309–311, 316, 345 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, 117 Europarecht, 53, 129, 309, 335, 336 Evidenzgrenze, 240 Ewigkeitsklausel, 54 Exekutiv-Föderalismus, 53 Exekutive, 58, 59, 98, 119, 179, 199, 206, 211, 218, 224, 270, 297, 322, 338, 339 Existenzminimum, 158, 226, 227 Expropiationsgesetze, 75 Externalisierung, 170, 172, 173 — von Gemeinwohlkosten, 45 — von Schadwirkungen, 33 Feudalsystem, 187, 192 Flachglasurteil, 46 Föderalismus, 54 — kooperativer, 53 — Reform, 57 — Systemverschiebungen, 53–57 Folgenbeseitigungsanspruch, 41 Folgerichtigkeit, 228, 230–232, 318, 324, 341, 347 Fördermaßnahme, 326 Förderungschancen, 226 Frankreich, 191, 193 Französische Revolution, 25, 192–196, 198, 287 Freiheit, 93, 192, 193, 195, 228, 233 — Ausübung, 94, 243, 283, 298, 333

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— Beschränkung, 95, 114, 119–122, 235, 236 — faktische, 155, 156, 158, 159, 161, 337 — formelle, 155 — Freiheitssphäre, 95–97, 102, 105, 124, 126, 128, 150, 155, 203, 283, 339 — Gewährleistung, 95, 97, 98, 102, 104, 117, 120, 132, 139, 141, 148, 283, 334 — Gleichheit, 192, 195, 233–236, 284, 341 — im liberalen Sinne, 155 — individuelle, 105 — Recht auf Freiheit, 341 — schrankenlose, 96 — Spannungsverhältnis, 156 — totalitäre Teilhabefreiheit, 156 — vorstrukturierte, 98 Freiheitsbegriff, 196 — präformierter, 98 — vorstrukturierter, 97, 98, 333 Freiheitsgrundrechte, 201, 264, 269 Freiheitsrechte, 102, 113, 114, 117, 119, 120, 122, 123, 133, 158, 202, 203, 224, 227, 230, 232, 258, 266, 268, 278, 290, 291, 298, 299, 335, 337, 342 — Eingriff, 137, 323, 339 — Inhalt und Struktur, 96–98 — prima-facie-Charakter, 334 Funktionsverschiebung, 56, 297 Funktionszusammenhang, 55, 88 — innerer, 66–68, 85, 90, 302, 303, 306–307, 313–315, 319–321, 323, 324, 326, 328, 329, 332, 345, 346 Gebot der praktischen Vernunft, 193 Gebühren, 135 — Angemessenheit, 336 — Gerechtigkeit, 253 Gebührenrecht, 162 Geeignetheit, 92, 110, 112, 137, 175, 270, 273 Gefährdungshaftung, 83

388

Sachverzeichnis

Gefahrenschwelle, 50 Gegenseitigkeit, 36 Gegenstromprinzip, 60 Gehaltlosigkeit, semantische, 179, 241, 263 Geldausgleich, 41 Gemeinden, 33, 59, 124–127 Gemeinschaftsordnung, 254 Gemeinschaftsorgane, 57, 132, 336 Gemeinschaftsrecht, 132 Gemeinschaftsrechtsordnung, 132 Gemeinwohl, 45, 46, 48, 52, 72, 75, 77, 83, 120, 150, 168, 173, 278 Gemeinwohlkosten, 173 Genehmigungsverfahren, 45, 49 Genehmigungsvorbehalte, 67 Gerechtigkeit, 179–181, 184, 186, 200, 209, 210, 212, 215, 222, 223, 225, 227–229, 231, 232, 234, 240, 241, 244, 246–252, 254, 257, 270, 288 — allgemeine, 213, 247, 255 — ausgleichende, 27, 183, 246 — austeilende, 183 — Begriff, 246, 248–251, 253–255 — Bundesverfassungsgericht, 248–249 — distributive, 255 — Gebührengerechtigkeit, 253 — Gerechtigkeit, 252 — Gleichheit, 221, 240, 246, 248–250, 252, 253, 255, 263, 341 — judikativer Prüfungsmaßstab, 221, 223, 249, 252 — Konkretisierung, 248, 251, 252, 254–262, 275 — korrigierte Gleichheit, 249 — Kritik, 249–252 — Maßstab, 246, 247, 255, 259, 268, 275 — materielle, 209, 290 — Positivierung, 254 — Rawls, 167 — relative, 247 — Sachgerechtigkeit, 228–230, 232 — soziale, 198, 236, 254, 293, 294 — Steuergerechtigkeit, 253 — übergreifende, 179

— vergeltende, 115 — Wehrgerechtigkeit, 253 — Willkür, 213, 219, 221, 255 — zuteilende, 115 Gerechtigkeitserwägungen, 180, 250, 251, 253–256, 275 Gerechtigkeitsgebot, 227, 246–247 Gerechtigkeitsgedanke, 25, 209, 210, 212, 240, 246, 248, 249, 251, 253 Gerechtigkeitsvorstellungen, 252, 254– 256, 341 gerichtlicher Vergleich, 47 Gerichtsstandsvereinbarung, 128 Gesamtbeeinträchtigung, 300 Gesamtbelastung, 28, 299 Gesamtbetrachtung, 27, 28, 65, 283, 300, 304, 312, 328, 332, 344, 345 — wertende, 39 — Zulässigkeit, 298–300 Gesamtgefüge der Verfassung, 219– 224, 227, 232, 256, 261, 340 Gesamtnutzen, 168 Gesamtvergleich, 38, 307 Geschädigter, 37 Gesellschafter, 316 Gesellschaftsformen, 28 Gesellschaftshierarchie, 186 Gesellschaftsstruktur, 182 Gesellschaftstheorie, 189 Gesellschaftsvertrag, 189, 192 Gesetzesanwendung, 26, 196, 213, 214, 338, 339 Gesetzesbegriff, 191 Gesetzesbindung, 235 — der Verwaltung, 45–47, 66, 70, 332 Gesetzespositivismus, 256, 341 Gesetzesvorbehalt, 45, 76, 95, 102, 104 — einfacher, 102 — qualifizierter, 103 — ungeschriebener, 268 Gesetzgeber, 26, 34, 45, 46, 58, 62, 67, 95, 97, 119, 123, 159, 161, 197, 199, 200, 202, 204, 206, 211, 214, 215, 228, 229, 231, 235, 243, 254, 260, 279, 289, 296, 297, 332, 333, 337, 338, 342, 346

Sachverzeichnis — einfacher, 231 Gesetzgebung, siehe Legislative Gesetzgebungskompetenzen, 56, 57 Gesetzgebungsverfahren, 215, 216 gesetzlicher Richter, 226 Gestaltungsspielraum, 61, 228 — der Verwaltung, 47, 61 — des Gesetzegebers, 202 — des Gesetzgebers, 76, 93, 119, 161, 203, 211, 218, 223, 228, 259, 260, 263, 272, 297 gestufte Gesellschaftsordnung, 186 Gesundheitsschutz, 264, 265 Gewaltenbalancierung, 220, 221 Gewaltenhemmung, 220, 221 Gewaltenteilung, 48, 56, 58, 60, 93, 119, 206, 207, 214, 220–222, 234, 235, 297, 340 Gewaltenverschränkung, 58, 206, 207 Gewaltmonopol des Staates, 235 Gewerbesteuer, 28 — Anrechnung, 28 Gleichartigkeit, 36, 69, 71, 317, 326 Gleichbehandlung, 25, 26, 28, 30, 31, 179, 185, 191, 202, 207, 211, 212, 221, 222, 228, 238, 239, 243, 245, 248, 253, 262, 265, 268, 278, 282, 300, 342, 344 — Begriff, 243, 244, 262 — faktische, 281, 282, 300, 343 — formale, 228 — generalisierende, 247 — Maßstab, 266 — materielle, 263, 264, 276–278, 302, 303, 343 — normative, 278, 285 — rechtliche, 208, 222, 239, 252, 262, 277, 281, 282, 284–286, 288–290, 293, 295–302, 328, 343, 344 — schematische, 243–245, 258, 262, 263, 276, 278, 293 — Spannungsverhältnis, 266 — verschiedene Rechtsträger, 308 Gleichberechtigung, 182, 192, 196, 197, 199, 255, 257, 338 — bürgerliche, 198, 287

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— politische, 184, 190, 192, 193 — rechtliche, 193 gleiche Freiheit, 233–236 gleiche Würde, 224–227 Gleichheit, 199, 233 — absolute, 226, 269, 320 — aller Menschen, 193 — arithmetische, 183 — Begriff, 31, 179–183, 186–199, 207–209, 214, 215, 225, 231, 244– 247, 250, 261, 262, 287, 289, 293, 294, 338, 341, 344 — bürgerlicher, 187 — Entwicklung, 180–201 — französischer, 193 — Griechenland, 181 — historische Entwicklung, 180 — naturrechtlicher, 182, 187, 189– 191 — neuzeitlicher, 181, 197 — politischer, 182 — Präzisierungen, 218–243 — religiöser, 187 — revolutionärer, 193 — römisches Denken, 184 — sozialpolitischer, 197 — stoischer, 188 — verfassungsrechtlicher, 238 — Wandel, 199 — bereichsspezifische, 212, 257 — bürgerliche, 181, 191 — christliches Verständnis, 185, 186 — dynamisches Verständnis, 285 — Entwicklung, 180 — faktische, 258, 259, 282, 284, 285, 287–298, 300, 328, 343, 344 — Herstellung, 328 — formale, 194, 235 — Freiheit, 192, 195, 233–236, 242, 284, 341 — geometrische, 183, 184 — Gerechtigkeit, 180, 181, 209, 252, 253 — Gesamtgefüge der Verfassung, 219– 224 — Konkretisierung, 209, 224, 298, 303

390

Sachverzeichnis

— Leitbegriff, 192, 194 — Maßstab, 216, 230, 245, 260, 262, 277, 303, 342 — materielle, 194, 205, 235, 264, 269, 277, 288 — mathematische, 186, 290 — Menschenwürde, 198 — natürliche, 189, 191 — negative Bestimmung, 213 — normative, 237, 238 — partielle, 206 — proportionale, 183 — qualitative, 182 — quantitative, 182, 183 — rechtliche, 190, 192, 238, 259, 281– 289, 291, 293–298, 300 — Rechtsidee, 179, 198, 209 — relative, 290 — schematische, 245, 279, 341 — Schlüsselbegriff der Gerechtigkeit, 180, 191 — soziale, 189, 191–193 — sozialökonomische, 190 — staatsbürgerliche, 190, 192, 196, 198, 287 — statisches Verständnis, 285 — tatsächliche, 191, 193, 237, 238, 284, 286–289, 291, 303 — verfassungsrechtliche, 238, 239 — verhältnismäßige, 208, 209 — völlige, 193, 290, 291 — wertmäßige, 206 — wesentliche, 204–207, 213, 214, 220, 245, 253, 255–266, 274–279, 303, 305, 343 Gleichheit vor Gott, 185, 198, 287 Gleichheitsgarantien, 258, 340, 342 — verfassungsrechtliche, 221, 257 Gleichheitsgebot, 180, 194–196, 199, 211, 214, 239, 245, 276, 339 Gleichheitsgedanke, 183, 191, 195, 232, 279 Gleichheitsidealismus, 287 Gleichheitsparole, 193 Gleichheitspositivierungen, 221 Gleichheitsprüfung, 180, 203, 204,

215–217, 221–224, 250, 254, 256, 259, 265–267, 269, 270, 272, 274, 281 — abgestufte, 267 — einheitliche, 276 — Justitiabilität, 270 — mehrstufige, 216 — Struktur, 245 — Strukturierung, 269, 275 Gleichheitssatz, 262 — abgestufte Prüfung, 228 — Abwehrrecht, 202 — allgemeines Gerechtigkeitsgebot, 246–247 — Auffangnorm, 26 — Doppelgebot, 239 — Entstehungsgeschichte, 180, 181, 184, 197, 200, 247 — europarechtlicher, 309 — formale Gewährleistung, 199, 201, 338 — Funktion, 196 — ideengeschichtliche Wurzeln, 184, 196, 199 — Inhalt, 26, 27, 31, 90, 179, 180, 195, 197, 200, 201, 203, 205, 207, 212, 215, 216, 218–221, 226, 230, 233, 240, 241, 256, 257, 259–261, 263, 264, 268, 269, 278, 279, 290, 297, 299, 319, 340 — inhaltliche Unbestimmtheit, 179, 181, 199, 201, 204, 205, 212, 214, 215, 218–220, 250, 256, 269, 338 — Justitiabilität, 201, 219, 251, 255 — Konkretisierung, 26, 201, 202, 220, 221, 240, 254, 256, 257, 259, 272, 300, 340, 341, 344 — bereichsspezifische, 294, 296 — kulturgebundene Aussage, 180, 181 — Neubestimmung, 219 — Rechtfertigungsebene, 264, 343 — Relationscharakter, 267 — Schranken, 264, 342 — Schutzbereich, 180, 201–264, 266, 268, 269, 278, 279, 311, 342 — Schwellengewicht, 278

Sachverzeichnis — semantische Gehaltlosigkeit, 179, 263 — spezielle Gleichheitsgarantien, 230, 258 — Struktur, 26, 202, 220, 237, 268, 269 — Teilinhalte, 228, 341 — Variabilität, 219 — Verstoß, 202, 206, 215, 223 Gleichheitsurteil, 205, 206, 339, 346 Gleichstellung, 179, 190, 194, 197, 198 — Bürgertum und Adel, 194 — formal-schematische, 208 — politische, 199, 338 — rechtliche, 199, 287, 338 — soziale, 192, 198 Gleichverteilungsgebot, 286 Gleichwertigkeit, 41, 47, 55, 56, 62, 64, 189, 308, 312, 326, 327, 347 — rechtliche, 184, 189 — vollständige, 327 Gott, 181, 185, 186, 287 — Gottesebenbildlichkeit, 185, 287 — Gottgeschaffenheit, 199, 338 Griechenland, 181–183 — antikes, 181 — Begriffsentwicklung, 181 — Demokratie, 184 — Gesellschaft, 186 — Stadtstaaten, 182 Grundentscheidungen, verfassungsrechtliche, 254 Grundfreiheiten, 309, 310 Grundgesetz, 53 — Entstehungsgeschichte, 157, 159 Grundrecht auf Information, 30, 52 Grundrechte, 25, 33, 73, 87, 90, 91, 93, 94, 100, 102–106, 108, 109, 111, 113, 114, 117, 121, 123, 125, 126, 131, 133, 137, 138, 141, 142, 144, 148, 149, 151–155, 158, 160, 161, 176, 180, 201–203, 251, 256, 257, 259, 261, 264, 269, 291, 292, 297, 307, 313, 324, 325, 327, 333–335, 337, 339, 341, 342 — Abwehrrechte, 93, 94, 148, 150, 151, 154–156

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— Dogmatik, 27, 137 — Eingriff, 30, 31, 61, 64, 77, 90, 91, 93, 136, 138, 147, 284, 313, 320, 325 — additiver, 283, 299 — Einschränkung, 71, 84, 88, 104, 203, 304 — immanente, 268 — Gleichwertigkeit, 139 — Kollision, 104, 108, 109, 121, 133, 261, 334, 335 — echte, 94 — unechte, 95 — Kompensation, 27, 319 — Leistungsrechte, 149, 153–161, 283 — prima-facie-Rechte, 101, 104 — Prinzipien, 101–104 — Regeln, 101–104 — Schranken, 104 — soziale Grundrechte, 154 — verfahrensrechtliche Funktion, 61, 76, 80, 87, 156 — Verletzung, 85, 88 — vorbehaltlose Gewährleistung, 104, 203 — Wahrnehmungsvoraussetzungen, 154, 155 — Wertsystem, 220, 298 — Wirkungsweise, 149 Grundrechtsbindung, 151, 291 Grundrechtsdogmatik, 137 Grundrechtsgewährleistungen, siehe Grundrechte, 70–88, 93, 97, 111, 113, 134, 152, 153 Grundrechtskatalog, 25, 94, 224, 225, 340 Grundrechtskompensation, 27, 53, 70– 88, 281, 318, 319 Grundrechtsschutz, 222, 339 Grundrechtsträger, 71, 75, 77, 94, 96, 120, 121, 150, 201, 237, 278, 313, 315, 316, 319, 333, 346 Grundsatz der Widerspruchsfreiheit, 324 Grundstatus, 242 Günstigkeitsprinzip, 38

392

Sachverzeichnis

Günstigkeitsvergleich, 38, 39 — Anwendungsbereich, 39 — formelle Arbeitsbedingungen, 39 — individueller, 39 — kollektiver, 39 — objektiver Maßstab, 39 — Verrechenbarkeit, 39 Güter der Allgemeinheit, 95 Gütererwerb, 75, 343 Güterknappheit, 96 Güterkollision, 120, 134, 143, 144, 146, 166, 167, 301, 335, 336 — Zurücktreten eines Guts, 172 Güterverteilung, 173, 286, 290, 293, 343 Hambacher Fest, 196 Handelsrecht, 183 Handelssprache, 35 Handlungsanweisungen, 44 Handlungsformenlehre, 46 Handlungsnorm, 218 Handlungspflichten, 122, 123 Haushaltshoheit, 77 Haushaltspolitik, 159 Heilsgeschichte, 185 Herrschaftselite, 233 Herrschaftsordnung, 185, 192 Herrschaftsvertrag, 191 Hierarchieverhältnisse, 185, 186, 189 Hierarchievorstellungen, 185 Hochzonung, 125 Hoheitsrechte der Länder, 53, 54 Hoheitsträger, 41, 50, 67, 70, 71, 229, 266, 299, 325, 332, 336, 342, 346 höherrangiges Recht, 64, 65, 67, 68, 325 Homogenitätsforderung, 50, 333 Hüter der Verfassung, 222 Identität, 204, 205, 245, 253, 262, 268, 278, 339 — Gleichheit, 269 Ideologiekritik, 197 Ideologisierung, 195 Immissionsschutzrecht, 40, 42, 49 inaequalitas, 186 Individualgerechtigkeit, 255, 261

Individualität, 208, 225, 228, 229, 242, 268 Industrialisierung, 75 Industriegesellschaft, 154, 283 Informationstechnologie, 52 Infrastruktur, 75 Inhalts- und Schrankenbestimmungen, 75, 76, 79–81, 87, 146 — ausgleichspflichtige, 71, 79–81, 86, 321, 333 Inlandssachverhalt, 345 institutionelle Rechtssubjektsgarantie, 125 Integrationsermächtigung, 54 Integrationsgewalt, 54 Integrationsprinzip, 54 Integritätsinteresse, 37 Interdependenz von Freiheits- und Gleichheitsrechte, 322 Interessenkollision, 95, 96, 102, 112, 140, 143, 145, 146, 166, 337 — multipolare, 42 Internalisierung externer Effekte, 166– 175, 177, 302, 303, 324, 326–328, 338 — Kompensation, 172–174 — Re-Internalisierung, 45 Internalisierung externer Zwecke, siehe Internalisierung externer Effekte interpersoneller Nutzenvergleich, 168, 169 iso nomos, 182 isomoiria, 182 isonomia, 182 isos, 182 Ist-Zustand, 210 iura quaesita, 72, 94 ius emigrandi, 287 ius eminens, 72 iustitia commutativa, 183, 195, 246 iustitia distributiva, 115, 183, 184, 195 iustitia vindicativa, 115 Jellinek, 148–153, 337 Judikative, 98, 119, 190, 196, 199, 201, 211, 213, 219–221, 239, 270, 338, 339

Sachverzeichnis — Funktionsgrenzen, 61, 62 — Grenzen, 214 Junktimklausel, 77, 80 juristische Körper, 34 Justitiabilität, 219, 223, 290, 294, 297, 340 Kaldor-Hicks-Kriterium, 167–170 Kant, 95, 96, 193–195 Kapitalgesellschaften, 28 kapitalistisch-bürgerliche Gesellschaft, 197 kardinale Skala, 139 Kaufmannsgilden, 187 Kernbereich, 59, 141 Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung, 125 Kernbereichsrechtsprechung, 127, 335 Kirche, 187 — katholische, 187 — kirchliche Theologie, 186 — Würdenträger, 185 Klassen, 239, 240 — behandelte, 206 — Einschlußklasse, 206, 240 — Klassifizierung, 206 — Restklasse, 240 Klerus, 188 Kohärenzprinzip, 310, 311 kollektive Güter, 103, 117, 120, 161, 337 Kollektivinteressen, 120, 121, 344 Kollision, 96, 99, 135, 136, 265, 276, 302, 333, 334, 342 — Auflösung, 95, 99, 101, 109, 144, 146, 164, 165 — scheinbare, 269 — von Freiheitsgewährleistungen, 95 — von Rechten, 92, 110, 120, 133, 135–137, 144, 172, 174, 176, 273, 274, 277, 334–336, 343 Kollisionslage, 92, 98, 113–139, 144– 146, 165, 167, 170, 176, 177, 266, 269, 273, 274, 328, 334–338 — Art. 3 Abs. 1 GG, 265–267 — Auflösung, 100, 108, 138, 146, 173, 267, 333–335

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— veränderte, 146 kommunale Aufgaben, 59 Kommunalverfassungsstreit, 123 Kommunikationsfreiheiten, 30 Kompensation, 37, 41, 49, 50, 327 — Abwägung, 143–147 — Begriff, 33–35 — Bundesverfassungsgericht, 304–309 — compensatio, 35 — Eigenständigkeit, 166–175 — Einordnung, 175, 264, 281 — Europäischer Gerichtshof, 309–311 — finanzielle, 86, 174, 313 — Funktionsweise, 31, 143, 281 — Generalkompensation, 170 — Gesamtkompensation, 170 — gesetzesübergreifende, 317, 328, 347 — Gewichtsbestimmung, 146 — Grundgedanke, 27, 30, 34–63, 65, 91, 142, 143, 179, 264, 281, 323 — Grundrechtsdogmatik, 27, 319 — grundrechtsintern, 333 — Kompetenzkompensation, 52 — Konfliktlösungsverfahren, 31, 67, 174, 303 — Legitimationskompensation, 52 — Legitimationskraft, 46 — Möglichkeit, 54, 169, 179 — prospektive, 33, 48 — Rechtsfigur, 33, 34, 49, 58, 62, 70, 144, 147, 179, 311, 331, 336 — rechtsgebietsübergreifende, 317, 328, 347 — Rechtsnormbezogenheit, 35, 90 — regulatives Rechtsprinzip, 143, 303, 332, 336 — statuspositive Ergänzung, 91, 147– 162 — Struktur, 33, 179 — Subsidiarität, 87 — Teilkompensation, 146, 337 — Überkompensation, 50, 145, 174, 316, 317, 326, 327, 347 — Unterkompensation, 317, 327, 347 — Vereinbarung, 47, 48

394

Sachverzeichnis

— verfassungsrechtliche Anforderungen, 304 — Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, 142–166, 281 — vollständige, 146, 174, 175, 324 — Voraussetzungen, 33, 55, 65–69, 85, 89, 303–320, 331–333, 346 — Wirkung, 346 — Zulässigkeit, 33, 46 — Zumutbarkeit, 91, 162–166 Kompensation von Grundrechtseingriffen, siehe Grundrechtskompensation Kompensation von Rechtsschutzdefiziten, 60–62 Kompensationsgleichheit, 224, 227 Kompensationskriterium, siehe KaldorHicks-Kriterium Kompensationslage, 63–65, 89, 319, 320, 332 Kompensationslösungen, 28, 40, 45 Kompensationsmittel, 44, 51, 55, 63– 64, 66, 67, 145, 147, 173, 175, 264, 301–303, 312, 314, 319, 321–326, 328, 332, 337, 346 Kompensationsmodelle, 51, 52, 59, 62 — Abgabenmodell, 52 — öffentlich-rechtliche, 63, 69 — umweltrechtliche, 51 Kompensationspflicht, 59, 147 Kompensationsverhältnis, 65, 281, 301, 321, 332 Kompensationszulässigkeit, siehe Kompensation, Voraussetzungen Kompetenzbereich, 130, 132, 136, 138, 142 — der Länder, 53, 331 — fremder, 129, 130, 157 Kompetenzen, 53, 123, 124, 138 — Abgrenzung, 118, 127, 131, 132 — Eingriff, 55, 91, 127–128, 130–132 — Kompetenzkonflikte, 130 — innerstaatliche, 128, 336 — Kompetenzordnung, 57, 213, 230, 292, 294, 296 — Kompetenzträger, 131

— Kompetenzverschiebung, 222 Kompetenzkompensation, 52, 64 Kompetenzverlust der Länder, 33, 53, 54 Kompetenzverlust des Parlaments, 58– 59, 331 Kompetenzverlust von Gemeinden, 33, 59–60, 331 Königreich Westfalen, 200 Konsequenzgedanke, 260 Kontinentaleuropa, 42 Kontrastorgane, 124 Kontrollnorm, 218 Kontrollrechte, 58 Konzeptwechselmodell, 52 Kopplungsverbot, 47 Körperschaftssteuer, 28 Kosmos, 182, 184 Kostenbelastung, 165 Krieg aller gegen alle, 189 Krise des regulativen Rechts, 42 Kronprinzenvorträge, 116 Kulturbewußtsein, 206, 210 Kulturhoheit, 53 Kulturpolitik, 159 Kunstfreiheit, 144, 163 Länder, 53, 54 Länderbeteiligungsverfahren, 55 Länderkompetenzen, 55, 130–132, 336 Länderparlamente, 56, 57 Landesherr, 72 Landesregierung, 56 Landesstaatsgewalt, 54 Landesverfassungen, 25 Lastengleichheit, 78, 85, 314–315 Lastenverteilung, 274, 314 law of nature, 189 Legalenteignung, 76 Legislative, 26, 53, 179, 193, 201, 213, 219, 220, 239, 339 Legitimationskompensation, 52 Legitimationswirkungen, 43 Legitimationszusammenhang, 318– 319, 326 — Artgleichheit, 315–318

Sachverzeichnis Leibholz, 207, 211, 224, 240 Leistungsfähigkeit, 261, 267, 274 Leistungsprinzip, 290 Leistungsrechte, siehe Teilhaberechte, 91, 97, 121, 142, 153–161, 284, 337 — Anspruchsinhalt, 157 — derivative, 157, 294, 344 — originäre, 97, 157, 158, 161, 337, 344 liberale Wirtschaftsgesellschaft, 194 liberaler Ordnungsstaat, 60 liberales Bürgertum, 195 Liberalismus, 195, 196 liberté, 192 Logik, 206, 230 Luther, 187, 287 Machtprinzip der Parteilichkeit, 233 Magna Charta Libertatum, 115 Maßstäbe, 37, 141, 164, 176, 195, 208, 210, 239, 244, 246, 260, 261, 263, 267, 285, 290, 303, 307, 321, 323, 327, 346 — Abwägung, 163 — externe, 112, 138, 144, 164, 176, 241 — Veränderung, 146 — verfassungsrechtliche, 230, 266, 267, 274, 276–279, 303 Mathematik, 182 Maximalposition, 44 Medizin, 182 Mehrheitswahl, 260 Mehrpoligkeit, 46 Menschenbild des Grundgesetzes, 226 Menschenrechte, 195, 236 Menschenwürde, 107–108, 167, 224– 226, 228, 229, 233, 234, 258, 287, 341 Mitbestimmung, 196 Mittelalter, 185–187, 286 — Gesellschaft, 186, 187 — Städte, 187 — Ständegesellschaft, 186, 187 Mitverschulden, 29, 41, 74, 84 Mitwirkungsmodell, 55, 56, 64 Mitwirkungsrechte, 54–56, 58, 331

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monistische Erklärung, 39 Montesquieu, 191 Nachteilsausgleich, 27, 249 Napoleon, 200 Naßauskiesungsentscheidung, 72, 75, 76, 82, 85 Nationalversammlungen, 196 Natur der Sache, 212, 215, 216, 229, 240, 248 Naturalrestitution, 37, 41 Naturgattung, 184 Naturrecht, 182, 184, 186, 189–191, 195, 198, 223 Naturrechtslehre, 187–189, 193, 209 Naturschutzrecht, 40, 52 — Ausgleichsregelungen, 41 Naturzustand, 189, 191, 192 necessitas, 72 neue Formel, 216–218, 230, 282, 309, 339 Neutralisierungsmodell, 51 Neuzeit, 94, 195, 198 Nichtgriechen, 182 Non-Affektationsprinzip, 123 nordamerikanische Bundesstaaten, 199 Normadressat, 143, 205, 210, 216, 339 normative Erwägungen, 144 normativer Bezugspunkt, 55, 64, 67, 144 Normenkontrolle, 220, 223 Normhierarchie, 251, 261, 322, 332, 347 Normkonkretisierung, 113 Normwiderspruch, 101 Normwirkungen, 316 Normzweck, 272, 273 Notifizierung, 326 Notwehr, 40 Numerus-clausus-Entscheidung, 158 Nutzungsgewinn, 45 objektive Rechtsinstitutionsgarantie, 125 objektive Wertentscheidungen, 160 Objektivitätsgebot, 227–232, 341 öffentlich-rechtlicher Vertrag, 43

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Sachverzeichnis

öffentliche Ämter, 193, 197 öffentliche Sicherheit und Ordnung, 188 öffentlicher Dienst, 193 Öffentliches Recht, 36, 40–62, 331 officium iudicis, 36 Öffnungsklausel, 248 Öko-Audit, 43 Opferausgleichsprinzip, 71, 224, 227, 313–314, 333 Opfergrenze, 74, 84 Optimalitätskontrolle, 119 Optimierung, 109 Optimierungsgebote, 99 Ordnungsprinzip, 118 Ordnungsrecht, 44, 49, 50 Ordnungsstrukturen, 229 Ordnungssysteme, rechtliche, 29 Ordovorstellungen, 185, 186 ordre public, 128 orientalische Geistesströmungen, 181 örtliche Gemeinschaft, 125 Paketlösungen, 44 Pareto-Effizienz, 168, 169 Pareto-Kriterium, 168, 169 Pareto-Optimalität, 45, 168, 169 Parlament, 59, 159–161, 210, 297, 337 Parlamentarischer Rat, 54, 154 Parlamentarismus, 56 Parlamentsfunktionen, 56 Partikularinteressen, 120 Paulskirchenverfassung, 200 Personenidentität, 36, 56, 68, 305–306, 316–317, 319, 321, 323, 346 Personenunternehmen, 28 Persönlichkeitsentfaltung, 227 Philosophie, 181, 193 — stoische, 181 philosophische Ethik, 184 Pigou, 171 Pigou-Steuer, 171 Planungsrecht, 52, 113 Platon, 183, 204, 207, 208, 240 Plausibilitätsgrenze, 240 Polis, 182

Polisbürger, 182 Polisstaaten, 181 politische Gleichberechtigung, 190 politische Klasse, 234 politische Theorie, 183 politische Willensbildung, 58 Polizeirecht, 51, 114, 115, 147 Polizeistaat, 287 Präformierung, 98 praktische Konkordanz, 119, 144, 261 Präponderanz der Freiheit, 325 Preis- und Wettbewerbsmechanismen, 50 preliminary injunctions, 128 Priesterum aller Gläubigen, 187 prima-facie-Rechte, 97, 98, 101, 104, 114, 262, 266, 269, 278, 324, 334, 342 prima-facie-Verstoß, 244, 277 Primärallokationen, 50 Primärebene, 88, 323 Primärrechtsschutz, 78, 83, 84 principle in the generic sense, 99 Prinzip, 140, 176, 297, 298 — formelles, 269 Prinzipien, 98–101, 103, 113, 117, 140, 175, 296, 334 — Abwägung, 103 — definitive Geltung, 103 — formelle, 101, 138, 161, 164 — gegenläufige, 276 — relatives Gewicht, 100, 101, 334, 336 — Ungültigkeit, 101 Prinzipienargumente, 99 Prinzipiencharakter, 99, 114, 117, 119, 334 Prinzipienebene, 103 Prinzipienkollision, 100, 101, 103, 106, 108–110, 113, 114, 118, 123, 126, 127, 133, 137–140, 146, 162, 164, 165, 167, 172, 175, 176, 275, 296, 300, 334–336, 338, 343 Privatautonomie, 38, 47 private Ethik, 185 Privatrecht, siehe Zivilrecht

Sachverzeichnis Proportionalität, 92 prospektive Kompensation, 48, 331 Prozeduralisierung, 43 Prüfungsebenen, 251 Quantifizierbarkeit, 41, 51, 327 Rahmen, 45, 46, 49, 51, 67 — gesetzlicher, 46, 51, 67 Rastede-Entscheidung, 125, 126 Rationalität, 191, 252 Reallokation, 50 Realvermeidung von Eingriffen, 333, 347 Recht auf Freiheit, 242, 341 Recht auf Ungleichheit, 242–243, 341 Rechte, 93–105, 110 Rechtfertigung, 148, 203, 262, 268, 271, 274, 285, 297, 299, 305, 310, 323, 325, 328, 333 — Prüfung, 264, 267, 273, 328 — Rechtfertigungsbedürftigkeit, 179, 235, 244, 277 — Rechtfertigungsebene, 264, 266, 269, 275, 298, 301, 344 Rechtfertigungsprüfung, 69 rechtlich gesicherte Position, 56 rechtliche Differenzierung, 272 rechtliches Gehör, 258 Rechtsanwender, 96, 100, 143, 180, 251, 254, 258 Rechtsanwendung, 113, 199, 221, 222, 226, 290, 338, 340 Rechtsanwendungsgleichheit, 26, 179, 190, 192, 194, 195, 197, 199, 200, 209, 225, 226, 228, 242, 341 — egalitäre, 226 Rechtsbeeinträchtigung, 91 Rechtsbewußtsein der Gesellschaft, 206, 209–211, 224, 225, 250, 339, 340 Rechtsfähigkeit, 225, 258 Rechtsfolgenunterschiede, 231 Rechtsfortsetzungsgedanke, 37 Rechtsgleichheit, 184, 189, 190, 192, 194, 195, 198, 199, 205, 208, 258, 287, 288, 291, 293, 296

397

— absolute, 208, 268, 269 — bedingte, 184 — bürgerliche, 287 — egalitäre, 225 — formelle, 199, 338 — materiell-rechtliche, 199 — Start- und Förderungschancen, 226 Rechtsgüterkonflikt, 69, 92, 175, 177, 266, 338 Rechtskörper, 34 Rechtsmittel, 151 Rechtsordnung, 96, 113, 208, 221, 229– 231, 234, 238, 243–245, 254, 255, 262, 307, 333 — Entwicklungsfähigkeit, 250 Rechtsphilosophie, 26, 195 Rechtsprechung, siehe Judikative Rechtsrahmen, zweiter, 145 Rechtsschutz, 46 — Defizite, 61 — effektiver, 61 Rechtsschutzgleichheit, 226, 258 Rechtsschutzverfahren, 60 — Defizite, 331 Rechtssetzung, 55, 96, 220–222, 290, 312, 340 Rechtssetzungsgleichheit, 26, 180, 200, 201, 219, 243, 245 Rechtssicherheit, 231 Rechtssphären, 124, 138 Rechtsstaatsprinzip, 35, 46, 48, 105– 106, 115, 132, 148, 180, 199, 214, 216, 222, 229, 231, 232, 250, 252, 334, 338, 340 Rechtssubjekt, 234, 258 Rechtstheorie, 26 Rechtsverhältnislehre, 46 Rechtsverordnung, 58, 59, 322 Rechtsverwirklichung, 173 Rechtszustand, defizitärer, 55, 62–64, 66, 86, 89, 91, 144, 145, 179, 320, 332, 333, 336, 346 Reformation, 187 — Gleichheitsthese, 187, 287 Reformgesetzgebung, 194, 195 Regalien, 235

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Sachverzeichnis

Regel, 98–101, 109, 120, 241, 334 — Ausnahme, 99, 118, 125 — definitive, 105 — definitiver Charakter, 101 — Geltung, 100 — prima-facie-Charakter, 102 — und Prinzipien, 98–101 — Abgrenzungskriterien, 99–101 Regelcharakter, 99, 334 Regelebene, 103, 334 Regelkonflikt, 99, 101 Regelmodell, 102 Regelungssystem, 27, 38, 52, 260, 262, 304, 306, 307, 312, 328, 345 Regelungsziel, 249, 270, 271, 277 — gesetzliches, 271 Regierungsfunktionen, 56 Reichsstände, 287 Relation, 134, 136, 149, 163, 205, 237, 245, 265, 267 — dreistellige, 245, 315, 339 Relevanzurteil, 249, 253, 254 Religion, 196 Restauration, 195 Restitution, 41, 69 Restklasse, 206, 240 restraining orders, 128 Retorsion, 39 Richter, 128, 211, 213, 214, 221, 222, 235, 241, 249, 251, 252 Rom, 184–185, 198 — griechisches Denken, 184 — prätoriale Praxis, 184 römische Gesellschaft, 186 römische Handelssprache, 35 römisches Recht, 36, 184 Rousseau, 168, 191, 192, 239 Rücktritt vom Versuch, 40 RVO, 29 Sachgerechtigkeit, 228–230, 232, 341 Sachgesetzlichkeit, 230, 260 Sachgruppenvergleich, 38 Sachverhaltsidentität, 315, 322, 346 Säkularisierung, 188, 287 Saldierungsmodell, 51

salvatorische Entschädigungsklauseln, 77, 80 Sanktionsgedanke, 37 Saturnalien, 185 Schadensersatz, 37, 50, 77, 87, 174 Schadensrecht, 37, 63, 331 Schiedsvertrag, 128 Schleier der Unwissenheit, 167 Schmerzensgeld, 29, 74 Schöpfungsordnung, 186 Schranken, 97, 98, 104, 208, 259, 264, 333, 334, 342 — Schranken-Schranken, 125 — Systematik, 97, 102, 110, 144 Schuldangemessenheit, 162, 176 Schuldausgleich,vergeltender, 40 Schulderfüllungstheorie, 40 Schuldprinzip, 164 Schutzbereich, 97, 98, 103, 148, 202, 203, 246, 269, 301, 313, 333, 334, 347 Schutzpflichten, 121, 284 Schweizer Bundesgericht, 211 Schwellengewicht, 105, 108–110, 113, 121, 123, 124, 126–130, 134, 138, 139, 141, 165, 167, 172, 176, 265, 269, 278, 279, 301, 324, 334, 336 — materielles, 269 Schweretheorie, 84 Selbstverwaltungsgarantie, 59, 60, 124– 127 Sklaven, 182 Sockelrechte, 225 Soll-Zustand, 63–65, 145, 210 Sonderopfer, 71, 72, 74, 75, 80–86, 314, 333 Sonderopferausgleich, 27, 85 Sonderopfertheorie, 84 Sophisten, 182 Sozialbindung des Eigentums, 75, 76, 78–80 soziale Ungleichheiten, 291 sozialer Status, 184 Sozialhilfe, 227 Sozialleistungen, 148, 174 Sozialordnung, 153, 186, 189, 294

Sachverzeichnis Sozialpolitik, 159, 190, 191, 197, 288, 289, 292, 295 Sozialrecht, 299 sozialrevolutionäre Gruppen, 197 Sozialstaatsprinzip, 42, 121, 122, 147, 153, 154, 156, 158, 160, 161, 222, 236, 242, 254, 259, 287, 289, 291– 297, 300, 328, 340, 344 Sozialversicherungsrecht, 28, 29, 304, 307 Spätantike, 185 Spitzensteuersatz, 28 Staat, 191, 192, 195, 228, 337 Staatsangehörigkeit, 200 Staatsgewalt, 72, 125, 185, 235 Staatsgrundlagenbestimmungen, 230 Staatshaftungsrecht, 40–41, 71, 85, 88, 331 — Kompensation, 41 — Restitution, 41 Staatsphilosophie, 195 Stadtbürgertum, 188 Stand, 181, 186, 188, 190, 192, 200, 235 Ständegesellschaft, 182, 186–190, 195, 198 — Unterschiede, 199, 338 — Vorrechte, 192, 196, 287, 288 Startbedingungen, 258 Startchancen, 225, 226, 286, 290 Status, 149, 151, 152 — aktiver, 151 — Inhalt, 149 — Interdependenz, 150 — materieller Rechtsstatus, 152 — negativer, 150–153 — negativer i. w. S., 151 — passiver, 149, 150 — positiver, 150, 151 — positiver i. e. S., 151 status activus, 157 status civilis, 188, 189 status civitatis, 150 status libertatis, 150 status naturalis, 189 status negativus, 148, 150 status passivus, 149

399

status positivus, 148, 150, 157, 337 status quo ante in natura, 41 status subjectionis, 149 Status, sozialer, 184 Statusgleichheit, 227–230, 232, 341 Statuslehre, 149–153 Statustheorie, 149–153 — Kritik, 151–153 Stellplatzabgabe, 52, 135, 165 Steuer, 171 Steuerbelastung, 261, 307 Steuerermäßigung, 28 Steuergerechtigkeit, 253 Steuergesetze, 306 Steuernachteil, 306 Steuerpflichtige, 261 Steuerprogression, 259 Steuerrecht, 28, 29, 174, 261, 274, 299, 304, 306, 310, 345, 346 — Europäischer Gerichtshof, 310 — Kohärenz, 310, 311, 326, 346 Steuerrechtsordnung, 310 Steuerrechtsordnung, nationale, 345 Steuersatz, 28 Steuerung, 44–46, 49, 50, 60 — einseitige, 42 — imperativ-hierarchische, 42 — rechtliche, 43 — Steuerungskonzept, 48 — Steuerungsleistungen, 42 — Steuerungssubjekte, 42 — Steuerungsunwilligkeit, 43 — Steuerungswirkung, 274 — Steuerungszweck, 267, 274 — Wirkung, 277 — Wirkungen, 267 — Zwecke, 267 Steuervorteil, 310, 345 Stoa, 184, 185 Strafe, 134 — Begründung, 331 — Schuldangemessenheit, 134, 135, 336 — Straffreiheit, 39, 40 — Strafzweck, 40 Strafrecht, 39–40, 115, 331

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— Kompensation, 39 Strukturierung, 60, 70, 245, 249 subjektive Rechtsstellungsgarantie, 125 subjektives Recht, 45, 62, 103, 120, 121, 125, 160, 226, 279, 289–291, 296, 297 Subsidiarität, 37, 54, 83 Subventionen, 122, 171, 325 süddeutsche Verfassungen, 194 Sühnestrafrecht, 115 Systementscheidung, 318, 321, 329 — nationale, 310 Systemgerechtigkeit, 222, 231, 250, 260, 304, 310, 340, 342 Systemtheorie, 43 Systemverschiebungen, 53–57 TA Luft, 49 Tarifvertrag, 38 — Parteien, 38 — zwingende Wirkung, 38 Tauschgeschäfte, 44, 47 Teilhabe am Gemeingebrauch, 226 Teilhaberechte, 48, 91, 142, 148, 153– 161, 337 — derivative, 156–158 — Kapazitätserschöpfung, 158 — originäre, 156, 157, 160–162, 290, 294 Teilklasse, 239 Territorialstaaten, 188 tertium comparationis, 225, 321 Theologie, 188 Theorie der externen Effekte, 170 Theorie der Sozialwahl, 167 Transaktionskosten, 45, 50 Transfergegenstrom, 172–174, 301, 302, 338 Transferstrom, negativer, siehe Transfergegenstrom Transferstrom, positiver, siehe Transfergegenstrom Transferzusammenhänge, 45, 175 Troeger-Gutachten, 53 Typisierung, 327 Über-/Unterordnungsverhältnis, 148

Übergangsregelung, 79, 87, 90 übergeordnete Normen, 64, 332 Überhöhung der richterlichen Gewalt, 219 Überkompensation, 50, 145, 174, 316, 317, 326, 327, 347 Übermaßverbot, 92, 116, 228 überobligationsmäßige Leistungen, 45, 50, 51 überpositive Rechtsgrundsätze, 221, 254, 256 überpositives Recht, 256, 257, 341 übertarifvertragliches Niveau, 38 UGB Prof.-E., 34 Umlegung, 52 Umverteilung, 294 Umweltanforderungen, 51 Umweltgrundrecht, 156 Umweltnutzung, 49–51 umweltökonomische Theorie, 50 Umweltrecht, 33, 48, 49, 331 Umweltschutz, 264, 265 Umweltstandards, 50, 51 Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP), 43 Unanwendbarkeitserklärung, 310, 345 unbestimmte Rechtsbegriffe, 61 Unfallversicherung, 29 Ungleichbehandlung, siehe Gleichbehandlung — Intensität, 298–300, 306 — rechtliche, 328 — relevante, 320 Ungleichgewichtslagen, 41 Ungleichheit, siehe Gleichheit — gesellschaftliche, 189 — im Ziel, 242, 341 — relevante, 249, 253 — soziale, 287, 296 Unmittelbarkeitskriterium, 74, 83 Unterkompensation, 317, 327, 347 Unterlassen, 122 Unterlassungspflichten, 122 Untermaßverbot, 121 Ursache-Wirkung-Beziehung, 136 Urzustand, 167

Sachverzeichnis Utilitarismus, 105, 120, 168, 169 utilitas publica, 72 Verantwortungsbereich, 44, 48, 131 Verfassung des Deutschen Reiches, 287 Verfassung von 1791, 192 Verfassungsaufträge, 160, 286 Verfassungsgeber, 34, 222, 235 Verfassungsgerichtsbarkeit, 26, 296, 297 Verfassungsgeschichte, 199–201 Verfassungsordnung, 181, 220, 227, 232, 254, 257, 340 Verfassungsprinzipien, 257, 296 Verfassungsrecht, 52–62 Verfassungsstaat, 235, 236 Verfassungswidrigkeit, 66, 232, 323, 325, 347 — doppelte, 28 Vergesellschaftung, 191 Vergleich, 93, 100, 112, 201, 202, 205, 213, 223, 229, 230, 232, 237, 263, 289 — formale Ebene, 38, 69 — Maßstab, 201, 229, 258, 271 — Objekte, 205 — Perspektive, 219, 229, 322 — Subjekte, 205 — Vergleichslage, 213, 214, 339 — Vergleichspaare, 205, 206, 239, 339 Vergleichbarkeit, 51, 69, 221, 326, 340 Vergleichsgruppen, 204–206, 223, 259, 260, 302 — Bildung, 206, 245, 258, 260 Vergleichstatbestand, 265 Vergünstigungstatbestand, 307 Verhältnismäßigkeitsausgleich, 81 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, 31, 60, 71, 79, 91–142, 162, 166, 176, 179, 203, 217, 218, 228, 232, 233, 265– 268, 270, 273, 274, 276, 277, 279, 301, 328, 334–338, 343 — Abwägung, 138–142 — Akzessorietät, 142 — Anwendungsbereich, 93, 113–138, 176, 265, 266, 335, 336

401

— beschränkter, 114–123 — erweiterter, 123–133 — Grenzen, 133–138 — dogmatische Asymmetrie, 120–121 — dogmatische Struktur, 106, 113–142 — Drei-Stufen-Lehre, 111 — Eingriff in Freiheitsrechte, 122–123 — Entwicklung, 114–117 — erweitertes Fundament, 117–118 — Funktionsweise, 93 — Gemeinschaftsrecht, 132–133 — Gleichheitssatz, 107, 265 — grundrechtliche Freiheitsrechte, 114–123 — Herleitung, 105–108 — Kompensation, 142–166 — Konfliktlösungsmechanismus, 92– 113, 137, 138, 165, 273, 301 — Kontrollmaßstab, 274 — Kritik, 110–113 — Menschenwürde, 107–108 — Optimalität, 119 — Rechtsstaatsprinzip, 105–106 — regulatives Rechtsprinzip, 112, 143, 176, 335, 336 — Relativität, 126 — Standort, 110 — statuspositive Ergänzung, 147–162 — Überdehnung, 92, 176 — Verhältnismäßigkeit i. e. S., 92, 93, 130, 133, 137, 142, 143, 146, 162, 165, 175 Verhältnismäßigkeitsprüfung, 27, 60, 69, 70, 90, 91, 109, 110, 136–139, 142, 164, 176, 177, 265–267, 269, 270, 272–274, 276–279, 301, 303, 325, 327, 328, 333, 335–338, 343, 347 — Akzessorietät, 138 — Anwendungsbereich, 91, 274 — Handlungsanweisung, 143 — statuspositive Ergänzung, 337 — Verselbständigung, 273 Verhältniswahl, 260 Verhandlungslösungen, 43, 45, 46, 69 — bilaterale Situation, 46

402

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— Verhandlungsführung, 48 — Verhandlungspartner, 44, 45, 48 — Vorverhandlungen, 45 Verkehrswert, 78, 84 Verknüpfung, funktionale, 332 Vermeidungskosten, 50 Vermögensinteresse, 71, 324 Vermögensopfer, 87 Vermögenswert, 146 Vernunftbegabung, 181, 188, 193, 199, 338 Verordnungsermächtigung, 58 Verrechnung, 27–30, 33, 36, 47, 51, 282, 307, 315, 345 — mathematische, 69, 174, 299, 308, 327, 345 — Verrechenbarkeit, 39, 327 — Verrechnungspotential, 28 Versammlungsverbot, 172 Verschonungsinteressen, 52 Versorgungsrecht, 307 Verstöße gegen höheres Recht, 347 Verteilungsproblem, 95, 134, 297, 333 Vertrag von Maastricht, 57 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 309 Verwaltung, siehe Exekutive Verwaltungsabsprachen, 40, 46 — dogmatische Konturierung, 46 — Gefahren, 45 — informelle, 45 — konsensuale, 41–52, 331 — Legalisierung, 44 Verwaltungsgerichtsbarkeit, 61 Verwaltungshandeln, 48 — informelles, 43, 44 — konsensuales, 41 — kooperatives, 43–46, 49 — Asymmetrie, 46 — programmiertes, 45 Verwaltungspraktikabilität, 265 Verwaltungsrecht, 40–52 — deutsches, 42 — Flexibilisierung, 42, 44 — Modernisierungsbestrebungen, 42 — Vereinfachung, 126

— Verfahrensrecht, 44, 49 Verwaltungsverfahren, 48, 60, 61 — förmliches, 48 — Legitimationswirkungen, 43 — Reformbedürftigkeit, 49 — Ungleichsgewichtslagen, 41 — Verwirklichungsmodus des Rechts, 42 Völkerrecht, 132 volkswirtschaftliche Kosten, 50 Vollbürger, 182, 184 Vollzugsdefizite, 42, 43 Vormärz, 200 Vorrang, 145, 163, 167, 334, 336 — abstrakter, 100 — Vorrangbedingungen, 102, 108, 109 — Vorrangregeln, 103, 109, 140 — Vorrangrelation, 101–103, 105, 108, 109, 111, 127, 134, 135, 137, 139– 141, 143, 146, 165, 167, 168, 172, 176, 296, 334 — bedingte, 101, 140 Vorrang der Realvermeidung, 37, 80, 87, 324, 325 Vorrangbedingungen, 110 Waffengleichheit, 184 Wahl, 226 Wahlrecht, 39, 157, 192, 196, 260 — allgemeines, 196 — gleiches, 196 Wahlrechtsgleichheit, 196 Wahrnehmungsbereich, 131 Wechselwirkung, 35, 67, 251 Wehrgerechtigkeit, 253 Weimarer Reichsverfassung, 26, 75, 81, 200 Weimarer Republik, 198, 200 Weimarer Staatsrechtslehre, 200 Weisungsrechte, 130, 131 Wertgarantie, 78, 84, 87, 90, 146 Wertinteresse, 52 Wertungen, 206 — externe, 109, 263, 269, 270, 274 — grundgesetzliche, 266 — Maßstab, 164, 321, 346

Sachverzeichnis — verfassungsrechtliche, 268, 275 Wertungsentscheidung, 253 Wertvorstellungen, 341 Wesensgehalt, 225, 226 Wesensgehaltsgarantie, 102, 126, 167 Wesensgehaltstheorie, absolute, 102, 167 Wesentlichkeitsbegriff, 206, 245, 253, 262, 263 Widersprüchlichkeit, 231 Widerspruchsfreiheit, 318, 324, 347 Wiedergutmachung, 37, 41 Wiederherstellungsanspruch, 41 Willensbildung des Bundes, 55, 56 Willkür, 192, 210–212, 215, 216, 222, 223, 225, 234, 240, 247, 248, 255, 257, 260 — Begriff, 209–214, 224 — objektive, 215 — subjektive, 215 Willkürformel, 29, 30, 207, 210–219, 223, 224, 241, 243–245, 256, 257, 260, 272, 304, 309, 339, 340, 345 — Defizite, 218 — Kritik, 213–216, 219 — Relativierung, 216 — Subsidiarität, 219 Willkürlehre, 247 Willkürverbot, 207–219, 221–225, 230–232, 236, 238, 245, 247, 256, 260, 261, 273, 276, 340 — Begründungsgebot, 216 — Kontrolldichte, 213, 217 — Rechtsprechung, 212–213, 216, 217, 255 — willkürliche Normsetzung, 207, 209 Wirkungen, tatsächliche, 323, 346 Wirkungsoptimalität, 43 Wirtschaftsordnung, 153 Wirtschaftspolitik, 159 Wohlfahrtsgewinn, 45 Wohlfahrtsökonomie, 167, 168, 170, 176 Wohlfahrtsstaat, 287 Wohlfahrtssteigerung, 169 Wohlfahrtstheorie, 167

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Württembergische Verfassung, 194 Zählwertgleichheit, 226 zeitliche Differenz, 68, 323, 347 Zielchancengleichheit, 225, 226 Ziele, 267, 275 — externe, 136, 166–177, 264–268, 272–279, 295–297, 300–303, 320, 324, 328, 338, 342, 343 — Internalisierung, 328, 338 — interne, 136, 166–174, 176, 177, 262, 263, 265–268, 272–277, 279, 294, 300, 302, 303, 320, 342, 343, 346 — kollektive, 279, 300 — Vermischung interner und externer, 275 Zielkonflikt, 133, 137 Zielvorgabe, 44, 45, 51, 100, 285 Zivilrecht, 29, 36, 39, 183, 184, 331 Zumutbarkeit, 91, 92, 136, 143, 162– 166, 176, 336–338 — Atypik, 165 — Kompensation, 338 — Korrektiv, 165 — nachgelagerter Prüfungsschritt, 165 — Subjektivierung, 165 Zurechnungszusammenhang, 52 Zusammenhang, siehe Funktionszusammenhang, 36, 40, 60, 312 — enger, 47 — funktionaler, 61, 65, 311, 321 — innerer, 38, 65, 209, 210, 216, 217, 270, 276, 319, 346 — räumlich-funktionaler, 52 — sachlicher, 47 — unmittelbarer, 310 Zuständigkeitskonzentration, 126 Zwangskauf, 75 Zweck-Mittel-Relation, 115, 134, 137, 143, 147, 164, 166, 176, 266, 270, 276, 337 — Kompensation, 162–166 Zwecke, externe, siehe Ziele, externe Zwecke, interne, siehe Ziele, interne