Das Verhältnis von Gesetz und Recht: Eine verfassungsrechtliche und verfassungstheoretische Untersuchung zu Art. 20 Abs. 3 GG [1 ed.] 9783428509355, 9783428109357

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Das Verhältnis von Gesetz und Recht: Eine verfassungsrechtliche und verfassungstheoretische Untersuchung zu Art. 20 Abs. 3 GG [1 ed.]
 9783428509355, 9783428109357

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BIRGIT HOFFMANN

Das Verhältnis von Gesetz und Recht

Schriften zur Rechtstheorie Heft 212

Das Verhältnis von Gesetz und Recht Eine verfassungsrechtliche und verfassungstheoretische Untersuchung zu Art. 20 Abs. 3 GG

Von Birgit Hoffmann

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Technischen Universität Dresden hat diese Arbeit im Jahre 2001/2002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-10935-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 2001/2002 von der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden als Dissertation angenommen. Bis Anfang 2002 erschienene Literatur konnte noch berücksichtigt werden. Mein herzlicher Dank gebührt an erster Stelle meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dieter Wyduckel, der mich bereits während meines Studiums in Münster und Dresden und danach als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl in Dresden in vielfältiger Weise gefördert hat. Durch seine Diskussionsbereitschaft und zahlreiche wertvolle Anregungen hat er zum Fortgang und Abschluß der Arbeit wesentlich beigetragen. Herrn Professor Dr. Hartmut Bauer bin ich für die Erstellung des Zweitgutachtens zu Dank verpflichtet. Für die zügige Erstattung des auswärtigen Gutachtens danke ich sehr Herrn Professor Dr. Dr. Dr. h. c. mult. Werner Krawietz. Weiterhin habe ich Herrn Dr. Ansgar Hense für seine kritische Durchsicht der Arbeit zu danken. Ganz besonders möchte ich mich bei Herrn Dr. Günther Tschernko für die Mithilfe bei der Fertigstellung der Arbeit und vielfache Unterstützung bedanken. Dem Geschäftsführenden Gesellschafter des Verlages Duncker & Humblot, Herrn Professor Dr. h. c. jur. Norbert Simon, sei für seine Bereitschaft, die Untersuchung in die Reihe „Schriften zur Rechtstheorie" aufzunehmen, gedankt. Schließlich möchte ich meinen Eltern für vielfältige Förderung und stets gewährte Unterstützung herzlich danken. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Dresden, im September 2002

Birgit Hoffmann

Inhaltsverzeichnis Einleitung

23

Α. Aufgabenstellung

23

Β. Stand der Forschung

24

C. Gang der Untersuchung

25

Erster Teil Geschichtliche Grundlagen der Bindung an Gesetz und Recht

27

§ 1 Begriffs- und verfassungsgeschichtliche Grundlagen der Dichotomie von Gesetz und Recht

27

A. Die Unterscheidung von ius und lex in der abendländischen Rechtstradition ..

27

B. Verfassungsgeschichtliche Aspekte der Wendung ,Gesetz und Recht'

29

§ 2 Die Diskussion um Gesetz und Recht nach 1945 im Zeichen der Naturrechtsrenaissance A. Die Radbruchsche Formel als Ausgangspunkt der Diskussion I. Bedeutungsgehalt und Funktion der Radbruchschen Formel

32 32 33

II. Die ,Wende' Radbruchs im Zeichen allgemeiner rechtspositivistischer Kurskorrekturen

38

B. Die Neubegründung des Rechts auf der Grundlage der materialen Wertethik (Coing)

40

C. Gesetz und Recht aus der Sicht christlicher Naturrechtslehren (Rommen u. a.)

43

D. Der naturrechtlich geprägte Rechtsbegriff in der Judikatur der frühen Nachkriegszeit

46

I. Naturrechtsrekurs und Beginn der Radbruchrezeption II. Die Diskussion um das Kontrollratsgesetz Nr. 10: Folgeprobleme des Naturrechtsrekurses

46 48

nsverzeichnis § 3 Die Genese des Art. 20 Abs. 3 GG

51

A. Entwürfe und Vorarbeiten zum Grundgesetz

52

B. Die Beratungen im Parlamentarischen Rat

53

C. Das Rechtsstaats Verständnis des Parlamentarischen Rates

55

D. Die vor 1949 erlassenen Länderverfassungen

57

§ 4 Das Verhältnis von Gesetz und Recht in der Rechtsprechung des BVerfG seit 1950 A. Die Ausnahmekonstellation: Die Auseinandersetzung mit NS-Normen I. Der realistisch-positivistische Ansatz des Ersten Senats (BVerfGE 3, 58 Beamtenurteil)

61 62

62

1. Ordnungsgemäße Setzung der NS-Beamtengesetze

63

2. Die „soziologische" Rechtsgeltungslehre

64

3. Der Einfluß des Richters Drath auf den Urteilstopos der soziologischen Rechtsgeltung

65

4. Ablehnende Haltung des Zweiten Senats gegenüber der soziologischen Geltungslehre (BVerfGE 23, 98 - Staatsangehörigkeitsbeschluß)

66

II. Die Rezeption der Radbruchschen Formel im Beamtenurteil III. Delegitimierungsfunktion der Radbruchschen Formel im Staatsangehörigkeitsbeschluß

67

69

1. Der materialisierte Gerechtigkeitsbegriff

69

2. Der Einfluß der Richter Leibholz und Geiger

70

3. Der Stellenwert des Gerechtigkeitsarguments

71

IV. Vergleich der Rechtsauffassungen der beiden Senate des BVerfG B. Richterliche Rechtsfortbildung auf der Grundlage des Art. 20 Abs. 3 GG (BVerfGE 34, 269 - Soraya) I. Das Recht als Korrektiv gegenüber dem geschriebenen Gesetz II. Maßstäbe und Grenzen richterlicher Rechtsschöpfung III. Stellungnahme zum Rechtsbegriff des Ersten Senats im Soraya-Beschluß

72

74 75 77 78

nsverzeichnis

9

§ 5 Entwicklungslinien der Judikatur des BGH zum Verhältnis von Gesetz und Recht

80

A. Die Naturrechtseuphorie in der frühen Judikatur unter dem Präsidenten Weinkauff

81

I. Die Auseinandersetzung mit NS-Unrechtsakten

81

1. Formelle Gültigkeit der NS-Gesetzgebung

81

2. Inhaltliche Beurteilung der NS-Normen

82

a) Beginn der Rezeption der Radbruchschen Formel (BGHZ 3, 94) ...

82

b) Modifizierung der Radbruchschen Formel als Rechtsgeltungsmaßstab (BGHSt 2, 234)

84

c) Zurückweisung der soziologischen Geltungslehre des BVerfG

86

II. Der Naturrechtsgedanke außerhalb des NS-Kontextes: Die umstrittene Berufung auf das Sittengesetz

88

III. Richterliche Rechtsfortbildung im Lichte des Art. 20 Abs. 3 GG

90

IV. Ursachen der Wiederbelebung des Naturrechts in der frühen Rechtsprechung des BGH

91

B. Der Rechtsbegriff des BGH seit den sechziger Jahren I. Der schwindende Einfluß des Naturrechtsgedankens II. Ursachen der Abwendung des BGH vom Naturrechtsargument § 6 Die Auseinandersetzung um Gesetz und Recht im Schrifttum

93 93 95 97

A. Die fünfziger Jahre: Tendenz zu einem nichtpositivistischen Rechtsverständnis

97

I. Der naturrechtlich geprägte Rechtsbegriff (Bachof, Süsterhenn u. a.)

97

II. Das abgeschwächte Recht-vor-Gesetz-Denken (v. Mangoldt, F. Klein u. a.)

99

III. Die spannungslose Deutung des Art. 20 Abs. 3 GG (Maunz u. a.)

102

1. Unterscheidung von gesetzten und ungesetzten Rechtsnormen

103

2. Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG als objektives Recht

104

IV. Gesetz und Recht als weitgehend identische Begriffe (Evers, Forsthoff) .. 105 B. Die Diskussion um Art. 20 Abs. 3 GG seit den sechziger Jahren I. Recht als konkrete Natur der Sache (Maihofer, A. Kaufmann) II. Übergang zu einer positivistischen Interpretation der Bindungsformel .... 1. Die Verfassungsrechtskommentare

108 108 110 110

nsverzeichnis 2. Weitere Stellungnahmen im Schrifttum a) Die sog. verfassungsrechtliche Position

111 111

b) Zunehmende Hilflosigkeit bei der Deutung des Art. 20 Abs. 3 GG 113

Zweiter Teil Das Verhältnis von Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht § 7 Die Bindung an das Gesetz

114 114

A. Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes

115

B. Der Ausdruck Gesetz gem. Art. 20 Abs. 3 GG

116

I. Formelles Gesetz und Verfassung

116

II. Bindung an untergesetzliche Rechtsnormen

117

1. Rechtsverordnungen und Satzungen

117

2. Bindungswirkung von VerwaltungsVorschriften?

119

III. ,Gesetz' als ungeschriebenes Recht, insbesondere Gewohnheitsrecht

120

IV. Völker- und europarechtliche Bindungsmaßstäbe

122

§ 8 Der Wortsinn des Ausdrucks Recht

123

A. Der Rechtsbegriff im allgemeinen und juristischen Sprachgebrauch

123

B. Der Ausdruck Recht im Sprachgebrauch des Grundgesetzes

125

C. Die kumulative Nennung von Gesetz und Recht in Art. 20 Abs. 3 GG

126

§ 9 Gesetz und Recht - eine tautologische Formel? A. Die Tendenz des Begriffspaars zur Tautologie (Jarass, Schnapp)

127 128

I. Der scheinbare Widerspruch zwischen Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG 129 II. Rechtsbindung als Leerformel aufgrund der Offenheit des Rechtsbegriffs? 132 III. Legalität gleich Legitimität unter der Geltung des GG? B. Orientierungslosigkeit im Umgang mit »Gesetz und Recht'

133 135

nsverzeichnis § 10 »Gesetz und Recht4 als spannungsloses Begriffspaar

11 136

A. Unterscheidung zwischen gesetztem Recht und Gewohnheitsrecht

136

B. Bindung an Gesetze im formellen und im materiellen Sinne

138

C. Dichotomie von staatlicher und privater Rechtsetzung

139

§11 Die gemäßigt positivistische Sichtweise des Verhältnisses von Gesetz und Recht 141 A. Die appellative Funktion des Rechts gem. Art. 20 Abs. 3 GG

141

B. Rechtsbindung als Legitimität nach Maßgabe der Verfassung

142

I. Unterschiedliche Bindungsmaßstäbe der drei Gewalten

143

II. Rechtsbindung im verfassungsprozessualen Kontext des Art. 100 Abs. 1 GG 145 III. Gesetz und Recht - eine gefährliche Formel?

147

1. Subjektive Wertbeliebigkeit als notwendige Folge einer Öffnung des Rechtsbegriffs? 147 2. Gewaltenteilungsprinzip und Legitimationsfunktion des Parlamentsgesetzes

149

C. Gesetz und Recht als Spannung zwischen positivem Recht und Gerechtigkeit

151

I. Auflösung des Spannungsverhältnisses unter Rückgriff auf die Radbruchsche Formel (Herzog, Stern)

152

II. Die positivistische Komponente der Radbruchschen Geltungsthesen (Benda) 154 III. Die Radbruchsche Formel als Bestandteil des positiven Rechts (Zippelius) 155 D. Stellungnahme §12 Der nichtpositivistische Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG

157 158

A. Gesetz und Recht als Spannung zwischen Rechtsregeln und Rechtsprinzipien (Alexy, R. Dreier) 158 B. Weitere nichtpositivistische Interpretationsansätze I. Die Grundgesetzkommentare II. Naturrechtliche Deutungsansätze im Schrifttum III. Un verfügbare Menschenrechte als Gerechtigkeitsmaßstab C. Zwischenergebnis

160 160 162 163 164

nsverzeichnis § 13 Das Verständnis von Gesetz und Recht in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung 166 A. Die „Mauerschützen"-Judikatur des BGH I. Bindung des Richters an faktisch geltendes positives Recht?

167 168

II. Unbeachtlichkeit faktisch geltender Normen wegen Verstoßes gegen übergeordnetes Recht 170 1. Schwierigkeiten bei der Anwendung der Radbruchschen Formel

171

2. Die ,Neo-Radbruchsche' Konzeption des BGH

172

III. Die Schuldfrage: Erkennbarkeit krassen Unrechts

175

IV. Die Problematik des RückwirkungsVerbots

177

1. Die Bindung an übergeordnetes Recht im Kontext des Art. 103 Abs. 2 GG 177 2. Das Rückwirkungsverbot des Art. 7 Abs. 1 EMRK V. Stellungnahme zum Lösungsweg des BGH

178 179

B. Die Bindung an Gesetz und Recht im Lichte der neueren Rechtsprechung des BVerfG 182 I. Keine Bindung des Richters an gesetzliches Unrecht II. Absolute und eingeschränkte Geltung des Rückwirkungsverbots gem. Art. 103 Abs. 2 GG

182

184

III. Vergleich der Judikatur von BVerfG und BGH

185

§14 Bindung an Gesetz und Recht im Kontext der Rechtsfortbildung

186

A. »Recht' als Ausdruck der Legitimation richterlicher Rechtsfortbildung

186

B. Maßstäbe und Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung

188

I. Verfassungsimmanente Rechtsfortbildung II. »Recht' als Hinweis auf die mehrheitlich konsensfähigen Gerechtigkeitsvorstellungen

188

189

III. Überschießender Sinngehalt des Rechts gegenüber dem Gesetz

191

IV. Art. 20 Abs. 3 GG als Ausdruck des Vorgangs der Normkonkretisierung

192

V. Rechtsbindung als Präjudizienbindung? C. Zwischenergebnis

193 194

nsverzeichnis § 15 Verfassungsrechtliche Konsequenzen der Deutung des Rechtsbegriffs

13 196

A. Das Verfassungsänderungsverbot des Art. 79 Abs. 3 GG

196

B. Das grundgesetzliche Rechtsstaatsprinzip

197

I. Integrales und summatives Rechtsstaatsverständnis

199

II. Rechtsbegriff und Rechtsstaatsverständnis

200

C. Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG

202

I. Bindung an die Faktizität des Rechts? II. Grundgesetzliches Rückwirkungsverbot und Radbruchsche Formel III. Stellungnahme

202 204 205

D. Die Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG und das Widerstandsrecht

207

§16 »Gesetz und Recht4 in den Verfassungen der neuen Bundesländer und in Art. 20 a GG 211 A. Die Wiederholung der Bindungsformel in den Verfassungen der neuen Bundesländer 211 I. Die Genese der einschlägigen landesverfassungsrechtlichen Normen II. Stellungnahmen im Schrifttum zu Gesetz und Recht B. Die Wiederholung der Wendung in Art. 20 a GG

212 215 217

I. Die Diskussion um den Rechtsbegriff in der Gemeinsamen Verfassungskommission 218 II. Die Auslegung des Art. 20 a GG im verfassungsrechtlichen Schrifttum ... 221 C. Rechts vergleichende Aspekte

223

Dritter Teil Verfassungstheoretischer Rahmen der Bindung an Gesetz und Recht

225

§17 Das Verhältnis von Verfassungsrecht und Verfassungstheorie im Kontext des Art. 20 Abs. 3 GG

225

A. Notwendigkeit einer theoretischen Fundierung des Rechtsbegriffs

226

B. Das Verhältnis der beiden Disziplinen im Rahmen der Verfassungsauslegung 228

nsverzeichnis § 18 Der rechtspositivistische Rechtsbegriff als Grundlage der Tautologie-These A. Definitionselemente des rechtspositivistischen Rechtsbegriffs

229 230

B. Gesetz und Recht aus der Sicht des Gesetzespositivismus und der Reinen Rechtslehre 231 C. Der Rechtsbegriff des analytischen Rechtspositivismus I. Der Rechtsbegriff H.L. A. Harts in der Auseinandersetzung mit Radbruch

233 233

1. Das disziplinare Argument

235

2. Das Klarheitsargument

236

3. Das Effektivitätsargument: Wirkungskraft des Rechtsbegriffs?

238

4. Das Argument der Anarchiegefahr

241

5. Umgehung des RiickwirkungsVerbots

243

II. Der positivistische Rechtsbegriff analytischer Prägung bei Hoerster

245

1. Die Hoerster / Hruschka-Kontroverse um sprachlich-begriffliche Aspekte der Unterscheidung von Recht und Unrecht

245

2. Die Nonkognitivismusthese

247

3. Die abgeschwächte Trennungsthese

248

D. Das systemtheoretische Modell des Rechts (Luhmann)

249

E. Zwischenergebnis

251

§ 19 Der theoretische Rahmen des Rechtsbegriffs und das Richtigkeitsproblem

252

A. Art. 20 Abs. 3 GG als Ausdruck der Spannung von Regeln und Prinzipien des Rechts 252 I. Das Prinzipienargument als Einwand gegen die Trennungsthese

253

II. Der Richtigkeitsanspruch des Rechts: Die Alexy/Bulygin-Kontroverse .. 257 B. Die Korrektivfunktion des Rechts in Grenzfällen I. Die Radbruchsche Formel als aktuelles „Unrechtsargument" II. Neukonzeptualisierungen der Radbruchschen Formel

260 260 262

1. Das Unrechtsargument in Gestalt der Krieleschen Formel

262

2. Die Ansätze R. Dreiers und Alexys

263

3. Leistungsfähigkeit und Defizite der Neukonzeptualisierungen

264

nsverzeichnis

15

III. Der Radbruchsche Lösungsansatz im Lichte neuerer Gerechtigkeitstheorien 266 1. Das kontraktualistische Gerechtigkeitsmodell (Rawls)

267

2. Diskurstheoretische Gerechtigkeitsmodelle (Habermas, Alexy)

269

a) Diskursmodell als rational-universalistische Gerechtigkeitskonzeption 270 b) Konsequenzen der Theorie für die Rechtfertigung zivilen Ungehorsams 273 3. Kritik aus der Perspektive eines nachpositivistischen Rechtsrealismus 275 4. Stellungnahme

278

Zusammenfassung und Ausblick

280

Literaturverzeichnis

285

Personenverzeichnis

330

Sachverzeichnis

332

Abkürzungsverzeichnis a. Α.

anderer Ansicht

a. a. Ο.

am angegebenen Ort

Abg.

Abgeordneter

ABGB

Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für Österreich

ABl.

Amtsblatt

Abs.

Absatz

abw.

abweichend

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

a. F.

alte Fassung

AG

Amtsgericht

AK-GG

Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 2 Bde., Reihe Alternativkommentare, Gesamthrsg.: R. Wassermann, 3. Aufl., Neuwied 2001

allg.

allgemein

Anh.

Anhang

Anm.

Anmerkung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

ARA

Allgemeiner Redaktionsausschuß

ArchVR

Archiv des Völkerrechts

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

Art.

Artikel

Aufl.

Auflage

BAG

Bundesarbeitsgericht

Bd.

Band

Bde.

Bände

Bearb.

Bearbeiter

bearb.

bearbeitet

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

Β GHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

Abkürzungsverzeichnis

17

BImSchG

Bundesimmissionsschutzgesetz

BK

Bonner Kommentar zum Grundgesetz, hrsg. von R. Dolzer und K. Vogel, Loseblattausgabe, Heidelberg, Stand: März 2002

BR

Bundesrat

BSG

Bundessozialgericht

BT

Bundestag

BT-Drs.

Bundestagsdrucksachen

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerfGG

Bundesverfassungsgerichtsgesetz

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

bzgl.

bezüglich

bzw.

beziehungsweise

ca.

circa

cap.

capitulum

CDU

Christlich-Demokratische Union

DDR

Deutsche Demokratische Republik

ders.

derselbe

d. h.

das heißt

Dig.

Digesten

DIN

Deutsches Institut für Normung e.V.

Diss.

Dissertation

DJT

Deutscher Juristentag

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DRiG

Deutsches Richtergesetz

DRiZ

Deutsche Richter-Zeitung

DRZ

Deutsche Rechts-Zeitschrift

dt.

deutsch

DtZ

Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift

DV

Die Verwaltung

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

ebd.

ebenda

ed.

editor, edidit

EG

Europäische Gemeinschaft(en)

EGBGB

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EGStPO

Einführungsgesetz zur Strafprozeßordnung

2 Hoffmann

18

Abkürzungsverzeichnis

EGZPO

Einführungsgesetz zur Zivilprozeßordnung

Einf.

Einführung

Einl.

Einleitung

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

entspr.

entsprechend

Erl.

Erläuterung

erw.

erweitert

etc.

et cetera

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuGHE

Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

EU

Europäische Union

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EV

Einigungsvertrag

evtl.

eventuell

Ex.

Das Buch Exodus

f./ff.

folgende

FDP

Freie Demokratische Partei

FG

Festgabe

Fn.

Fußnote

Frhr.

Freiherr

FS

Festschrift

GA

Goltdammer's Archiv für Strafrecht

gem.

gemäß

GG

Grundgesetz

G.R.G.

Gustav Radbruch Gesamtausgabe, hrsg. von A. Kaufmann, Heidelberg 1987 ff.

GS

Gedächtnisschrift

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

GVK

Gemeinsame Verfassungskommission

G 131

Gesetz zu Art. 131 Grundgesetz

H.

Heft

HA

Hauptausschuß

Halbbd.

Halbband

HBStR

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von J. Isensee und P. Kirchhof, Heidelberg 1987 ff.

HBVerfR

Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg.

HChE

von E. Bènda (u. a.), 2. Aufl., Berlin 1994 Verfassungsentwurf des Herrenchiemseer Verfassungskonvents

Abkürzungsverzeichnis h. M.

herrschende Meinung

Hrsg.

Herausgeber

hrsg.

herausgegeben

HS

Halbsatz

IPbürgR

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966

i. d. F.

in der Fassung

i. d. R.

in der Regel

i. d. S.

in diesem Sinne

i. E.

im Ergebnis

i. e. S.

im engeren Sinne

Inst.

Institutiones

i. S. v.

im Sinne von

i. V. m.

in Verbindung mit

i. w. S.

im weiteren Sinne

insbes.

insbesondere

JA

Juristische Arbeitsblätter

Jb.

Jahrbuch

Jh.

Jahrhundert

jur.

juristisch

Jura

Juristische Ausbildung

JÖR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart

JR

Juristische Rundschau

JuS

Juristische Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

Kap.

Kapitel

KG

Kammergericht

KJ

Kritische Justiz

Komm.

Kommentar

KRG

Kontrollratsgesetz

krit.

kritisch

KritV

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

LG

Landgericht

1.

links

lat.

lateinisch

Lfg.

Lieferung

lib.

liber

LKV

Landes- und Kommunalverwaltung

2*

19

20

Abkürzungsverzeichnis

LS

Leitsatz

LT

Landtag

LT-Drs.

Landtagsdrucksache

m. a. W.

mit anderen Worten

MDR

Monatsschrift für deutsches Recht

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

neubearb.

neubearbeitet

Neudr.

Neudruck

n. F.

neue Fassung

N. F.

neue Folge

NJ

Neue Justiz

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr.

Nummer

NRW

Nordrhein-Westfalen

NS

Nationalsozialismus / nationalsozialistisch

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrechtswissenschaften

NuR

Natur und Recht: Zeitschrift für das gesamte Recht zum Schutze der natürlichen Lebensgrundlagen

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NVwZ-RR

NVwZ-Rechtsprechungs-Report

o.

oder

o. ä.

oder ähnlich

OGH

Oberster Gerichtshof für die Britische Zone

OGHSt

Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Strafsachen

OLG

Oberlandesgericht

OVG

Oberverwaltungsgericht

ÖZöR

Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht

PDS

Partei des Demokratischen Sozialismus

PR

Parlamentarischer Rat

Prot.

Protokoll

qu.

quaestio

RA

Rechtsausschuß

re.

rechts

revid.

revidiert

RG

Reichsgericht

RGBl.

Reichsgesetzblatt

RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

Abkürzungsverzeichnis RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

Rn.

Randnummer

Rspr.

Rechtsprechung

S.

Seite

s.

siehe

SBZ

Sowjetische Besatzungszone

SED

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

SJZ

Süddeutsche Juristenzeitung

Slg.

Sammlung

sog.

sogenannt

Sp.

Spalte

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

st.

ständig

sten.

stenographisch

StGB

Strafgesetzbuch

StGH

Staatsgerichtshof

StPO

Strafprozeßordnung

str.

streitig

StV

Strafverteidiger

TA

Technische Anleitung

u.

und

u. a.

und andere / unter anderem

u. ä.

und ähnlich

u. d. T.

unter dem Titel

unveränd.

unverändert

UPR

Umwelt- und Planungsrecht: Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis

u. U.

unter Umständen

usw.

und so weiter

v.

von / vom

v. a.

vor allem

VDI

Verein Deutscher Ingenieure

Verf.

Verfassung

VerwArch

Verwaltungsarchiv

VGH

Verwaltungsgerichtshof

vgl.

vergleiche

Vhdl.

Verhandlung

VO

Verordnung

vol.

volume, volumen

22 Vorbem.

Abkürzungsverzeichnis Vorbemerkung

VU

Verfassungsurkunde

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz

WRS

Die Wiener Rechtstheoretische Schule, hrsg. von H. Klecatsky (u. a.), 2 Bde., Wien 1968

WRV

Weimarer Reichsverfassung

ζ. B.

zum Beispiel

ZfSchwR

Zeitschrift für Schweizerisches Recht

ZGB

Zivilgesetzbuch

ZgesStW

Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft

ZParl

Zeitschrift für Parlamentsrecht

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZPO

Zivilprozeßordnung

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

ζ. T.

zum Teil

Einleitung Α. Aufgabenstellung Das Grundgesetz normiert an exponierter Stelle die Bindung der vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Unterscheidung von Gesetzes- und Rechtsbindung der Staatsgewalt ist damit geltendes Verfassungsrecht und keine bloße philosophische Differenzierung. Eine präzise dogmatische Bestimmung des Rechtsbegriffs anhand der verfassungsrechtlichen Auslegungsmethoden ist daher unverzichtbar. Indessen nehmen sich die Verfassungsinterpreten der dogmatischen Auslegung des Rechtsbegriffs nur unzureichend an. Bei der Analyse des Art. 20 Abs. 3 GG sind insbesondere die häufig zu kurz kommenden rechtssystematischen Bezüge der Norm zu berücksichtigen. Das Begriffspaar des Art. 20 Abs. 3 GG kann man zudem in seiner ganzen Tragweite nur erfassen, wenn man auch seinen historischen Kontext und seine rechtstheoretischen Implikationen berücksichtigt. Uber die verfassungsrechtliche Bedeutung der Bindungsformel hinaus hat die Unterscheidung von Gesetz und Recht eine bedeutsame historische Tiefendimension. Dies zeigt die altbekannte Dichotomie von ius und lex sowie die Genese der Verfassungsnorm. Die Wendung „Gesetz und Recht" darf insoweit nicht isoliert gesehen, sondern muß in ihren entstehungsgeschichtlichen Kontext, in dem auch die Erfahrungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine maßgebliche Rolle spielen, eingeordnet werden. Über die historische Dimension hinaus weist das Begriffspaar rechtstheoretische und rechtsphilosophische Bezüge auf. Die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Recht gehört zu den Grundproblemen und beständigen Kontroversen der Rechtsphilosophie. In der Diskussion um die Wendung spiegelt sich dementsprechend das vielfältige Spektrum an Meinungen wider, die im rechtsphilosophischen Grundlagenstreit zwischen positivistischen und nichtpositivistischen Konzeptionen des Rechts vertreten werden. Die Explikation eines Theorierahmens ist daher bei der Analyse der Verfassungsnorm erforderlich. Die Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG hat die Interpreten bereits früh in Verlegenheit gebracht und löst nach wie vor erhebliche Irritationen aus. So konnte man in ihr teilweise nur eine „mysteriöse Alternative" 1 oder „sibyllinische For1

Hans F. Zacher, Ratifizierungsgesetz und Normenkontrolle, in: DVBl. 1955, S. 649/ 650. In jüngerer Zeit schließt sich Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip. Überlegungen zu seiner Bedeutung für das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1986, S. 5, Fn. 19 explizit an das „schöne Wort" Zachers an.

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Einleitung

mei" 2 entdecken. Heute mehr denn je wissen die Interpreten mit der Wendung nicht allzu viel anzufangen und sprechen von einer „ebenso plastischen wie unscharfen" 3, „unglücklichen"4 und „schwer zu deutenden"5 Formulierung oder von einem „unerfüllbaren und daher leerlaufenden Postulat".6 Bisweilen wird dem Begriffspaar explizit bloßer tautologischer Charakter oder eine Tendenz zur Tautologie unterstellt. 7 Der Rechtsbegriff fristet danach neben dem Gesetz ein Schattendasein. Die vorliegende Untersuchung soll dazu beitragen, die aktuelle Bedeutung der Wendung, um die nach wie vor Unsicherheiten bestehen, aufzuhellen und den Rechtsbegriff insbesondere unter verfassungsdogmatischem Aspekt in einem Mehrebenenzugriff zu klären. Dazu ist es unerläßlich, die Bandbreite der verfassungsrechtlich noch zulässigen Interpretationsmöglichkeiten aufzuzeigen und zu klären, ob die Wendung ausschließlich retrospektiv zu verstehen ist und das Grundgesetz sie als bloßen Erinnerungsposten mitschleppt oder aber ihr gegenwärtig noch Bedeutung zukommt. B. Stand der Forschung Zwar gibt es umfangreiches Schrifttum, das sich mit dem Rechts- und Gesetzesbegriff im allgemeinen befaßt. Dabei wird aber der Blick meist nicht spezifisch auf das Verhältnis von Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG fokussiert. Umfangreichere Untersuchungen, die sich der Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG widmen, befinden sich auf älterem Bearbeitungsstand. Soweit ersichtlich stammen die letzten einschlägigen Monographien aus dem Ende der fünfziger Jahre und Anfang der sechziger Jahre.8 Die vorliegenden Abhandlungen über Gesetz und Recht haben überwiegend jeweils nur einzelne Aspekte des Themas zum Gegenstand oder sind methodologisch eng umgrenzt.9 So wird die Bindung an Gesetz und 2 Ludwig Enneccerus /Hans Carl Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Halbbd., 15. Aufl. 1959, S. 318. 3 Roman Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetzkommentar, Bearb. 1980, Art. 20 GG, VI, Rn. 49. 4 Horst Kratzmann, Die Erscheinungsformen der Volkssouveränität und die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Methodenlehre (Art. 20 Abs. 2 und 3 GG), 1981, S. 65. 5 Georg Brunner, Fortgeltung des Rechts der bisherigen DDR, in: Josef Isensee /Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IX, 1997, § 210, Rn. 41. 6 Peter Schwerdtner, Das Persönlichkeitsrecht in der deutschen Zivilrechtsordnung. Offene Probleme einer juristischen Entdeckung, 1977, S. 59. 7 Friedrich E. Schnapp, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. Aufl. 2001, Art. 20, Rn. 43; Hans D. Jarass, in: ders./Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 6. Aufl. 2002, Art. 20, Rn. 38. 8 Dieter Baumeister, Die Bedeutung von „Gesetz und Recht" in Art. 20 Abs. 3 GG, 1964; Ekkehard Stein, Die Bindung des Richters an Recht und Gesetz, 1958. 9 Ernst Forsthoff, Die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG). Strukturanalytische Bemerkungen zum Ubergang vom Rechtsstaat zum Justizstaat, in: DÖV 1959, S. 41 ff.;

Einleitung

Recht entweder nur unter verfassungsrechtlichem, rechtstheoretischem oder methodologischem Blickwinkel behandelt. Darüber hinaus ist das Verhältnis von Gesetz und Recht Gegenstand interdisziplinärer Forschung; nicht nur die juristische und philosophische Forschung interessiert sich für die Thematik, sondern zunehmend auch die theologische.10 In neuerer Zeit sind bedingt durch den Zusammenbruch des DDR-Systems einige wichtige Aspekte des Themas wieder stärker ins Blickfeld gerückt, wie die sog. Radbruchsche Formel und ihre Relevanz für den verfassungsrechtlichen Rechtsbegriff. 11 Die vorliegende Arbeit strebt demgegenüber eine nicht auf einzelne Gesichtspunkte begrenzte Untersuchung des Themas an, sondern setzt sich zum Ziel, das Verhältnis von Gesetz und Recht unter mehrperspektivischem Zugriff zu erschließen. Dabei gilt das besondere Augenmerk der bisher nicht immer hinreichend gewürdigten verfassungsrechtlichen Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG. Die Analyse der Grundgesetznorm wird durch eine historische Untersuchung abgesichert. Darüber hinaus werden die rechtsphilosophischen und rechtstheoretischen Bezüge der Norm aufgezeigt. Eine solche umfassende Untersuchung zu Art. 20 Abs. 3 GG auf neuerem Stand fehlt bislang.

C. Gang der Untersuchung Das Verhältnis von Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG soll in drei Schritten untersucht werden. Die Arbeit gliedert sich entsprechend in drei Teile, einen historischen, einen verfassungsrechtlichen und verfassungstheoretischen Teil. Der erste Teil der Arbeit ist den geschichtlichen Grundlagen der Diskussion um die Bindungsformel gewidmet. In diesem Rahmen wird die Entstehungsgeschichte des Art. 20 Abs. 3 GG unter der Fragestellung untersucht, ob das Begriffspaar ,Gesetz und Recht4 einen bloß feierlichen Pleonasmus darstellt oder aber mit gutem Grund gewählt wurde. Dabei ist auf die als Naturrechtsrenaissance bezeichnete Phase nach 1945 einzugehen. Anschließend soll der Verlauf der in Judikatur und Schrifttum geführten Diskussion um Gesetz und Recht phasenweise verfolgt Werner Maihofer, Die Bindung des Richters an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. III GG), in: Annales Universitatis Saraviensis, Vol. VIII (1960), Fase. 1/2, S. 5 ff.; Gerhard Schnorr, Die Rechtsidee im Grundgesetz. Zur rechtstheoretischen Präzisierung des Art. 20 Abs. 3 GG, in: AöR 85 (1960), S. 121 ff.; Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 1992. 10 Reinhard Nordsieck, Recht und Gesetz in philosophischer, theologischer und juristischer Perspektive, 1990; Behrendt, Rechtsstaat im Verzug, insbes. S. 22ff.; siehe auch Wolfgang Huber, Gerechtigkeit und Recht. Grundlinien christlicher Rechtsethik, 1996. 11

Siehe Robert Alexy, Mauerschützen - Recht, Moral und Strafbarkeit, 1993; Silke Buchner, Die Rechtswidrigkeit der Taten von „Mauerschützen" im Lichte von Art. 103 II GG unter besonderer Berücksichtigung des Völkerrechts, 1996; Henning Rosenau, Tödliche Schüsse im staatlichen Auftrag, 1996; Frank Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, 1995; Björn Schumacher, Rezeption und Kritik der Radbruchschen Formel, 1985; Knut Seidel, Rechtsphilosophische Aspekte der „Mauerschützen"-Prozesse, 1999.

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Einleitung

und nach Ursachen für mögliche Umbrüche geforscht werden. Anschauungsmaterial bilden ausgewählte höchstrichterliche Entscheidungen sowie die Grundgesetzkommentare in ihren verschiedenen Auflagen. Der zweite Teil beleuchtet das Verhältnis von Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Perspektive und bildet den Schwerpunkt der Arbeit. In diesem Zusammenhang soll diskutiert werden, welche Bedeutung der Bindung an Gesetz und Recht sinnvollerweise aktuell noch zukommen kann. Der Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG ist auf der Grundlage der verfassungsrechtlichen Auslegungsmethoden soweit als möglich präzise zu bestimmen. Dabei sind die heute vertretenen Interpretationsansätze, die dem Ausdruck Recht unterschiedlich viel Bedeutung abgewinnen, auf ihre Tragfähigkeit unter verfassungsrechtlichen Aspekten hin zu untersuchen. Es ist aufzuzeigen, daß eine tautologische Interpretation des Begriffspaars unter verfassungsdogmatischen Gesichtspunkten ebenso wenig überzeugen kann wie ein konturenloser, beliebig ausfüllbarer Rechtsbegriff. Auch erscheint eine Gleichsetzung von Rechtsbindung und Verfassungsbindung unzulänglich. Zu klären ist, ob und inwieweit es aus verfassungsdogmatischer Perspektive zulässig ist, in Art. 20 Abs. 3 GG eine Offnungsklausel für Gerechtigkeitserwägungen zu sehen und dem Recht Korrektivfunktion gegenüber dem Gesetz zuzuweisen. Des weiteren ist darzulegen, daß die Frage des Rechtsbegriffs auch in der Rechtspraxis relevant werden kann und eine präzise verfassungsrechtliche Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG daher unverzichtbar ist. Im dritten Teil schließlich wird das Verhältnis von Gesetz und Recht aus theoretischer Sicht betrachtet. Zunächst ist herauszuarbeiten, daß der Begriff des Rechts über die verfassungsrechtliche Auslegung hinaus einer rechtstheoretischen Grundlegung bedarf. Der den Interpretationen des Art. 20 Abs. 3 GG auf theoretischer Ebene zugrundeliegende Rechtsbegriff ist darzulegen und auf seine Leistungsfähigkeit hin zu untersuchen. Dabei ist eine Auseinandersetzung mit dem Grundlagenstreit um positivistische und nichtpositivistische Rechtsbegriffe unumgänglich. Weist man anders als die tautologische Auffassung dem Recht einen über das Gesetz hinausgehenden Sinngehalt zu, stellt sich notwendig die Frage nach dem Grad der Öffnung des Rechtsbegriffs für Moral- und Gerechtigkeitsvorstellungen. Das Spektrum der Theoriekonzeptionen des Rechtsbegriffs ist aufzuzeigen, die mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben noch kompatibel sind. Auf rechtstheoretischer Ebene ist ein Rahmen zu entfalten, der das im verfassungsrechtlichen Teil der Untersuchung erarbeitete Ergebnis absichert. Die Arbeit schließt mit der Zusammenfassung der Ergebnisse und einem Ausblick auf künftige Probleme ab.

Erster Teil

Geschichtliche Grundlagen der Bindung an Gesetz und Recht »„Gesetz und Recht', in dieser Redewendung hatten wir immer in zwei Worten dasselbe zu sagen geglaubt. Jedes Gesetz war uns Recht und alles Recht Gesetz ... Wir haben einsehen müssen, daß es ein Unrecht in der Form des Gesetzes gibt, ein »gesetzliches Unrecht', und daß nur an dem Maßstab eines übergesetzlichen Rechts ermessen werden kann, was Recht ist". 1

Mit diesen Worten umschrieb der Rechtsphilosoph Gustav Radbruch 1947 unter dem erschütternden Eindruck der Ereignisse der NS-Zeit die für notwendig erachtete Neubesinnung über das Verhältnis von Gesetz und Recht. Er plädierte für eine Abkehr von einer gesetzespositivistischen Sichtweise, von der er annahm, daß sie die Rechtsordnung auf Abwege geführt habe. Besagte Wendung hat 1949 an zentraler Stelle Eingang in das GG gefunden, was die Frage aufwirft, welches Verständnis von Gesetz und Recht damals zugrundelag. Die Schöpfer des GG waren von den Einsichten Radbruchs nicht unbeeinflußt und gedachten das Bewußtsein für ein potentielles Auseinanderfallen von Gesetz und Recht zu schärfen. Bevor die Entstehungsgeschichte des GG vergegenwärtigt werden soll, ist auf diesem Hintergrund zunächst die historische Entwicklung des Gesetzes- und Rechtsverständnisses nachzuzeichnen.

§ 1 Begriffs- und verfassungsgeschichtliche Grundlagen der Dichotomie von Gesetz und Recht A. Die Unterscheidung von ius und lex in der abendländischen Rechtstradition Die begriffliche Unterscheidung von Gesetz und Recht läßt sich über mehr als zwei Jahrtausende zurückverfolgen. 2 Sie hat Niederschlag gefunden in der traditionellen Dichotomie von ius und lex. Die beiden Begriffe wurden bei den Römern 1

Gustav Radbruch, Gesetz und Recht (1947), in: Gustav Radbruch Gesamtausgabe, hrsg. von Arthur Kaufmann, Bd. 3, 1990, S. 96. 2 Einen guten geschichtlichen Überblick bietet A. Kaufmann, Rechtsbegriff und Rechtsdenken, in: Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. XXXVII, hrsg. von G. Scholz, S. 21/24 ff.; s. auch Fritz Loos/Hans-Ludwig Schreiber, Art. Recht, Gerechtigkeit, in: Geschichtliche

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

unterschieden, allerdings bereits damals nicht ganz einheitlich gebraucht und erfuhren einen Bedeutungswandel. 3 Während beispielsweise die Gesetzesdefinition bei Gaius sehr formal bleibt - lex est quod populus iubet atque constituit 4 - , setzt Cicero i m Anschluß an griechische Vorbilder und in Weiterführung stoischer Gedanken die lex in eine enge Beziehung zu natura und ratio und erkennt als Quell der rechten Gesetze die Natur an. 5 Die Wurzeln des ius hingegen liegen nach römisch-rechtlicher Auffassung beim Gericht. Der Ausdruck bezeichnete das vor Gericht gefundene Recht, das Fallrecht i m Gegensatz zum Gesetzesrecht, bisweilen erscheint ius auch als Inbegriff der rechtlichen Ordnung. 6 Dem mittelalterlichen Rechtsdenken war eine Unterscheidung der beiden Begriffe ebenfalls nicht fremd. Ius und lex waren für Thomas von Aquin keinesfalls gleichbedeutend („et ideo lex non est ipsum ius" 7 ). Das bei ihm i m Rahmen der Tugendlehre behandelte ius ist zunächst und eigentlich die gerechte Sache selbst, die lex hingegen die schriftlich festgelegte Regel. Ius und lex versöhnen sich dabei wieder insoweit, als das Gesetz i m Rahmen der Legeshierarchie seine Ableitung aus dem göttlichen und natürlichen Recht erfährt. 8 Aus der auf Augustinus zurückgehenden thomasischen Lehre von der „legis corruptio" 9 erhellt überdies, daß der

Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von O. Brunner (u. a.), Bd. 5, 1984, S. 231 ff. José Llompart, Dichotomisierung in der Theorie und Philosophie des Rechts, 1993, S. 84 ff. stellt fest, daß im fernöstlichen Rechtsdenken die begriffliche Unterscheidung zwischen Gesetz und Recht zwar ebenfalls vorhanden, aber nicht so deutlich ausgeprägt ist wie in der westlichen Rechtstradition. 3 Siehe dazu Max Käser, Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 1993, S. 59 ff.; ders., Die Beziehung von ,lex* und ,ius' und die X I I Tafeln (1973), in: ders., Ausgewählte Schriften I, 1976, S. 157 ff.; ders., Uber Gesetz und Recht in der privatrechtsgeschichtlichen Erfahrung, in: GS für Rolf Dietz, hrsg. von Götz Hueck / Reinhard Richardi, 1973, S. 3 / 20 ff. 4 Gaius, Inst. 1,3. Zum römischen Gesetzesbegriff s. Heinrich Honseil, Das Gesetzesverständnis in der römischen Antike, in: Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart. FS-Helmut Coing, Bd. 1, hrsg. von Norbert Horn, 1982, S. 129/ 130ff.: Während man früher lex von legare, ligare, beauftragen, binden etymologisch ableitete, bevorzuge man heute die Herleitung aus legere / λέγειν, das feierliche Vorlesen des Textes. 5 M. Tullius Cicero, De legibus 16, 18, S. 29: Lex est ratio summa; ders., De re publica, I, 1643, III, 22/33: Est quidem vera lex recta ratio. Dazu Ulrich Knoche, Ciceros Verbindung der Lehre vom Naturrecht mit dem römischen Recht und Gesetz. Ein Beitrag zu der Frage: Philosophische Begründung und politische Wirklichkeit in Ciceros Staatsbild, in: Gerd Radke (Hrsg.), Cicero. Ein Mensch seinerzeit, 1968, S. 38ff., insbes. S. 42ff. 6

Käser, Römische Rechtsgeschichte, 2. Aufl. 1993, S. 59 ff. zufolge bezeichnet ius ursprünglich den Ort, an dem der Gerichtsherr das Recht weist. 7 Thomas von Aquin, Summa theologica, II-II, qu. 57, art. 1 : Et ideo lex non est ipsum jus, proprie loquendo, sed aliqualis ratio juris. A. Kaufmann, Tendenzen im Rechtsdenken der Gegenwart, in: ders., Beiträge zur juristischen Hermeneutik sowie weitere rechtsphilosophische Abhandlungen, 2. Aufl. 1993, S. 127/129 stellt mit Grund fest, daß die Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG für Thomas von Aquin keine „sibyllinische Formel" gewesen wäre. 8 Vgl. Dieter Wyduckel, Normativität und Positivität des Rechts, in: Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. FS-Krawietz, 1993, S. 437/439ff.; ders., Princeps Legibus Solutus. Eine Untersuchung zur frühmodernen Rechts- und Staatslehre, 1979, S. 120 ff.

§ 1 Begriffs- und verfassungsgeschichtliche Grundlagen

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Gesetzesbegriff auch materielle Kriterien einschließt. Schließlich ist eine Unterscheidung zwischen Rechts- und Gesetzesbindung in den frühneuzeitlichen Souveränitätstheorien erkennbar. So bestimmt Bodin die Souveränität als eine höchste, nicht an Gesetze gebundene Gewalt, die allerdings den Bindungen des göttlichen Rechts sowie des Natur- und Völkerrechts unterliegt und insoweit vom Recht nicht gänzlich losgelöst ist. 10 Nur selten werden in der älteren Denktradition ius und lex gleichgesetzt oder nicht klar unterschieden.11 Der kurze geschichtliche Überblick zeigt, daß eine terminologische Differenzierung von ius und lex im abendländischen Rechtsdenken fast durchgängig nachweisbar ist, wobei die Begriffe allerdings durchaus verschiedener Interpretation zugänglich waren. Erst mit dem Aufkommen des juristischen Positivismus in der Form des Gesetzespositivismus tritt einseitig das Gesetz in den Vordergrund, worauf noch näher einzugehen sein wird. 12

B. Verfassungsgeschichtliche Aspekte der Wendung,Gesetz und Recht4 Die Unterscheidung von Gesetz und Recht bzw. Gesetzes- und Rechtsbindung taucht auch in frühen Verfassungstexten auf. So hat die Wendung ,Gesetz und Recht(e)' Eingang in einige Verfassungsurkunden des Frühkonstitutionalismus gefunden. 13 Es fragt sich, in welchem Kontext sie dort steht und welche Bedeutung ihr damals beigemessen wurde. Zu klären ist auch, ob die Schöpfer des GG auf Formulierungen in früheren Verfassungstexten zurückgreifen konnten und diese als Vorläufer des Art. 20 Abs. 3 GG anzusehen sind. 9 Thomas von Aquin, Summa theologica, I — II, qu. 95, art. 2. Dazu Hans Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl. 1990, S. 54, 57 ff. 10 Jean Bodin, De Republica libri sex, 1594, lib. I, cap. 8, p. 123: „Maiestas est summa in cives ac subditos legibusque soluta potestas." Die Unterscheidung zwischen Gesetzes- und Rechtsbindung tritt auch in der Souveränitätsvorstellung des Johannes Althusius, Politica methodice digesta atque exemplis sacris et profanis illustrata, ed. 3, 1614, cap. IX. zutage, der in Auseinandersetzung mit Bodin und im Gegensatz zu ihm die Souveränität als eine von vornherein rechtlich gebundene Gewalt auffaßt. Dazu Wyduckel, Princeps, S. 18 ff. Vgl. Chaim Perelman, Gesetz und Recht, in: Das Naturrechtsdenken heute und morgen. GS-René Marcie, hrsg. von Dorothea Mayer-Maly /Peter M. Simons, 1983, S. 427 ff. 11 Vor allem in der nominalistisch-rationalistischen Tradition. Vgl. z. B. Marsilius von Padua, The Defensor Minor, ed. by C. Kenneth Brampton, 1922, cap. I, nr. 2, S. 1: „lus autem idem est quod lex", dessen Gesetzespositivismus - aber wohl übertreibend - in die Nähe zu Hobbes und Kelsen gerückt worden ist. Vgl. auch Wyduckel, Princeps, S. 129. Zu der ebenfalls nicht ganz klaren Unterscheidung im Rechtsdenken Montesquieus siehe Günter Köchling, Gesetz und Recht bei Montesquieu, 1975, insbes. S. 37 ff. 12 Siehe unten § 18 B. 13 Z. B. Art. 23, 33 VU Hessen 1820, § 31, 123 VU Kurhessen 1831, § 27 VU Sachsen 1831, §§ 28, 30 VU Hannover 1840; abgedruckt bei Ernst Rudolf Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 3. Aufl., 1978, S. 224 f., 242, 257, 268, 307.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

In den Verfassungen aus der ersten Hälfte des 19 Jhs. findet sich die Formulierung ,Gesetz und Recht' bzw. ,Recht und Gesetz4 meist als Vorbehaltsklausel zu den Gewährleistungen von Freiheit und Eigentum. 14 Die Begriffe dürften in diesem Zusammenhang weitgehend bedeutungsgleich verwendet worden sein. Wenn z. B. Art. 33 VU Hessen (1820) bestimmt, daß Verhaftungen und Bestrafungen nur in den durch das Recht und die Gesetze bestimmten Fällen und Formen durchgeführt werden dürfen, zeigt sich, daß an ein Auseinanderfallen von Gesetz und Recht im Sinne eines übergesetzlichen Rechts nicht gedacht wurde. Entsprechend werden im damaligen staatsrechtlichen Schrifttum, soweit man auf die Wendung überhaupt eingeht, Gesetz und Recht meist identifiziert 15 , ganz selten unter Recht die nicht gesetzten, ungeschriebenen Rechtssätze gefaßt 16. Die Freiheit des Bürgers sah man am wirksamsten durch parlamentsbeschlossene und von unabhängigen Gerichten angewandte Gesetze geschützt.17 Spätere Verfassungen wie die Weimarer Reichs Verfassung, die nach 1945 erlassenen Landesverfassungen sowie das GG selbst nehmen bei den Grundrechtsbeschränkungen grundsätzlich nur noch auf das Gesetz Bezug. Es läßt sich damit feststellen, daß zwischen der Wendung Gesetz und Recht, wie sie die Verfassungsurkunden des frühen 19. Jhs. als grundrechtliche Schrankenklausel enthalten, und der Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG keine direkte Verbindungslinie besteht. Außer im Rahmen der Grundrechte taucht das Begriffspaar Gesetz und Recht in den frühkonstitutionellen Verfassungen in abgewandelter Form im Abschnitt über die Rechtspflege auf. So bestimmt § 123 VU Kurhessen (1831), daß die Gerichte 14

Art. 23 VU Hessen 1820: Die Freyheit der Person und des Eigenthums ist ... keiner Beschränkung unterworfen, als welche Recht und Gesetz bestimmen. Vgl. § 31 VU Kurhessen 1831, § 27 VU Sachsen 1831, §§ 28, 30 VU Hannover 1840. 15 Vgl. die knappe Anmerkung bei Otto Bähr, Der Rechtsstaat, 1864, S. 146, Fn. 11, wonach die Parömie Recht und Gesetz ohne Zweifel den Gesamtbestand des geltenden Rechts in abstracto bezeichnen soll. Carl von Rotteck/Carl Welcker (Hrsg.), Das Staats-Lexikon. Encyklopädie der sämtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, Bd. 5, 1847, Art.,Gesetz', S. 695ff. u. Bd. 11, 1848, Art. ,Recht', S. 342ff.: Recht bezeichne im allgemeinsten Sinne die Übereinstimmung mit dem Gesetze. Die Rechtsgesetzgebung sei zu unterscheiden von der religiösen oder bloß vernünftigen Moral, keineswegs aber von ihr ganz losgerissen. 16 So Heinrich A. Zachariä, Über das Verhältnis der Justiz zur Administration, in: Magazin für hannoversches Recht, Bd. I (1851), S. 7/30 ff. Gesetz und Recht bezeichnen danach „zwei gleichartige, nur ihrer Entstehung nach verschiedene rechtliche Gründe" der BeschränPractische Auskung. Die Ansicht vertritt er in Auseinandersetzung mit Burkhard W Pfeiffer, führungen aus allen Theilen der Rechtswissenschaft, Bd. 5, 1838, S. 521 ff., insbes. S. 527 f., 535 f. Danach meint die Freiheitsbeschränkung durch „Recht" die auf Verträgen oder sonstigen privatrechtlichen Rechtsverhältnissen beruhenden Einschränkungen. Der Ausdruck „Recht" beziehe sich auf die „unter den Staatsbürgern gegeneinander in ihren privatrechtlichen Verhältnissen, unter dem Einfluß und Schutz der Gesetze, begründeten Einschränkungen" und habe insoweit allerdings nur klarstellende Funktion. 17 Dazu Ulrich Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaats in Deutschland, 1960, S. 229 ff.; Paul Bockelmann, Richter und Gesetz, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche. FS-Rudolf Smend, 1952, S. 23 ff.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 1981, S. 219 ff., 271.

§ 1 Begriffs- und verfassungsgeschichtliche Grundlagen

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ohne irgend eine fremde Einwirkung, nach den bestehenden Rechten und den verfassungsmäßigen Gesetzen entscheiden. Aus der pluralisch gefaßten Version »bestehende Rechte 4 ist zu schließen, daß Recht nicht i m Sinne eines Naturrechts oder Korrektivs des gesetzten Rechts verwendet und dem Begriff keine sehr weitreichende Bedeutung zugemessen wurde. 1 8 Später wurde der richterliche Entscheidungsmaßstab meist nur noch unter Bezug auf die Autorität des Gesetzes festgelegt. 1 9 Auch die W R V unterwirft in Wiederholung des § 1 G V G den Richter nur dem Gesetz (Art. 102 WRV). Diesen Passus hat das GG in Art. 97 Abs. 1 GG aufgegriffen. I m übrigen enthält die W R V - wie auch die Landesverfassungen der Weimarer Zeit - keine dem Art. 20 Abs. 3 GG entsprechende Bindungsformel. Die Gesetzesunterworfenheit des Richters gem. Art. 102 W R V wurde dabei nach vorherrschender Ansicht eng ausgelegt. Ein richterliches Prüfungsrecht von Gesetzen am Maßstab überpositiven Rechts lehnten die höchstrichterliche Judikatur wie auch der Verfassungskommentator Anschütz entschieden a b . 2 0 I m Schrifttum gab es hingegen auch vorsichtigere, sich gegen eine Gleichsetzung von Gesetz und Recht wendende Stimmen. 2 1 18 Siehe Pfeiffer, Practische Ausführungen, S. 528: Mit den „bestehenden Rechten" sei „ohne Zweifel der Inbegriff derjenigen Rechtssätze, welche eine Norm für die Entscheidungen der Gerichte abzugeben geeignet sind", gemeint. Zachariä, Über das Verhältnis der Justiz zur Administration, in: Magazin für hannoversches Recht, Bd. I (1851), S. 7/33, deutet auch hier Recht als ungeschriebenes Recht. Die Verfassung berücksichtige damit, daß der „Rechtszustand sich keineswegs bloß auf (ausdrückliche) Gesetze zurückführen lasse". 19 Siehe Art. 86 Verfassung Preußen 1850: Die richterliche Gewalt wird im Namen des Königs durch unabhängige, keiner anderen Autorität als der des Gesetzes unterworfene Gerichte ausgeübt. § 1 GVG v. 1877; dazu Hans-Uwe Erichsen, Verfassungs- und verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen, 1971, S. 216 ff. 20 Vgl. RGZ 9, 232/235f.; 102, 161/164; 107, 377/379. Hingegen erkennt RGZ 111, 320 / 322 f. das Recht und die Pflicht des Richters an, die Verfassungsmäßigkeit der Reichsgesetze zu prüfen. Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Ein Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 14. Aufl. 1933, Art. 102 WRV, Anm. 1, 4: Könne schon nicht zugegeben werden, daß der Richter befugt sei, das Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfen, so noch weniger, daß er dem verfassungsgemäß zustandegekommenen Gesetz den Gehorsam verweigern dürfe, weil es nach seiner Meinung „gegen gewisse Normen, die ... über dem Gesetzgeber stehen (etwa: Sitte, Sittlichkeit, Treu und Glauben, „Naturrecht") widerspricht". Dazu eingehend Christoph Gusy, Richterliches Prüfungsrecht. Eine verfassungsgeschichtliche Untersuchung, 1985, S. 74 ff.; Hans-Ulrich Evers, Der Richter und das unsittliche Gesetz, 1956, S. 30 ff., 105 f.

21 Siehe Fritz Marschall von Bieberstein, Vom Kampf des Rechtes gegen die Gesetze. Akademische Rede zum Gedächtnis der Reichsgründung, gehalten am 17. Januar 1925, 1927; dazu Alexander Hollerbach, Recht gegen Gesetz? Zum Fall Marschall in wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive, in: Staat - Kirche - Verwaltung. FS-Η. Maurer, S. 381 ff. Siehe auch Heinrich Triepel, Staatsrecht und Politik. Rede beim Antritte des Rektorats der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 15. Oktober 1926, 1926, insbes. S. 6ff.; Erich Kaufmann, Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Art. 109 der Reichsverfassung, in: VVDStRL 3 (1927), S. 2 ff.; Hermann Heller, Staatslehre, hrsg. von Gerhart Niemeyer, 1934, S. 207ff., 247 ff.; ders., Diskussionsbeitrag, in: VVDStRL 3 (1927), S. 57. Vgl. auch die berühmte Eingabe des Vorstands des Richtervereins beim Reichsgericht, in: JW 1924, S. 90, in der auf die Möglichkeit der Nichtigerklärung von unsittlichen Gesetzen hingewiesen wird.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

Die verfassungsgeschichtliche Untersuchung bringt im ganzen zum Vorschein, daß die Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG keinen eigentlichen Vorläufer kennt, sie vielmehr eine Schöpfung der Väter des Grundgesetzes darstellt.

§ 2 Die Diskussion um Gesetz und Recht nach 1945 im Zeichen der Naturrechtsrenaissance Nach dem Zusammenbruch des NS-Systems setzte eine intensive Diskussion um das Verhältnis von Gesetz und Recht ein, die die Entstehungssituation des GG mitgeprägt und einen Boden für die Aufnahme der in der Verfassungsgeschichte neuartigen Bindungsformel Gesetz und Recht bereitet haben dürfte. In der nach 1945 beginnenden, als Naturrechtsrenaissance 22 bezeichneten Phase wurden Neubegründungen des Rechts entwickelt, denen die kritische Distanz zu einem Recht und Gesetz identifizierenden Positivismus gemeinsam war, den sie jeweils von verschiedenen Ausgangspunkten zu überwinden suchten. Die Hauptströmungen der Naturrechtsrenaissance sollen überblickartig und exemplarisch vergegenwärtigt werden. Das markanteste und wirkungsmächtigste ,naturrechtliche' Nachkriegsplädoyer gegen eine Gleichsetzung von Gesetz und Recht stammt dabei von Radbruch, dessen Rechtsgeltungsthesen als „Radbruchsche Formel" in die Diskussion eingegangen sind.

A. Die Radbruchsche Formel als Ausgangspunkt der Diskussion Gustav Radbruch (1878 Lübeck - 1949 Heidelberg), der zu den bedeutendsten Rechtsphilosophen unseres Jahrhunderts zählt, lehrte seit 1919 als ordentlicher Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie in Kiel und später in Heidelberg. Darüber hinaus war er Anfang der zwanziger Jahre als sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter sowie als Reichsjustizminister politisch tätig. Radbruch wurde bereits im Mai 1933 unter Bezug auf das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. 4. 1933 aus dem Lehramt entlassen.23 Nach Kriegs22

Dazu aus neuerer Sicht Kristian Kühl, Rückblick auf die Renaissance des Naturrechts nach dem 2. Weltkrieg, in: Geschichtliche Rechtswissenschaft: Ars tradendo innovandoque aequitatem sectandi. Freundesgabe für Alfred Söllner zum 60. Geburtstag am 5. 2. 1990, hrsg. von Gerhard Köbler (u. a.), 1990, S. 331 ff.; Arthur Kaufmann, Die Naturrechtsrenaissance der ersten Nachkriegsjahre - und was daraus geworden ist, in: FS-Sten Gagnér, hrsg. von Michael Stolleis, 1991, S. 105 ff.; Hans-Dieter Schelauske, Philosophische Probleme der Naturrechtsdiskussion in Deutschland. Ein Überblick über zwei Jahrzehnte: 1945-1965, 1968; zu den frühen naturrechtlichen Ansätzen siehe bereits Walter Mannzen, Die Bindung des Richters an Gesetz und Recht, in: SJZ 1948, Sp. 646 ff. 23 Im Schreiben des badischen Kultusministeriums vom 26. 4. 1933 heißt es: „Nach seiner ganzen Persönlichkeit und seiner bisherigen politischen Betätigung bietet er nicht die Gewähr dafür, daß er jetzt rückhaltlos für den nationalen Staat eintritt. Ich erachte die Voraussetzungen des § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums ... für gegeben".

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ende setzte man ihn, der sich als integre Persönlichkeit erwiesen hatte, bald wieder in sein Lehramt in Heidelberg ein, wo er bis 1948 als Rechtsprofessor wirkte und 1949 verstarb. 24 Radbruch eröffnete die nach dem Untergang des NS-Systems einsetzende Neubesinnung über Gesetz und Recht mit seinen 1946 publizierten Aufsatzthesen, die in Wissenschaft und Praxis eine tiefgründige Kontroverse in Gang brachten und überdies in jüngerer Zeit eine unerwartete Aktualität erlebt haben. 2 5 Die Radbruchsche Formel, die eine gewaltiges Echo auch in der internationalen rechtsphilosophischen Diskussion auslöste 26 , findet nach wie vor Beachtung in der verfassungsrechtlichen Auseinandersetzung um die Bindung an Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 G G . 2 7

I. Bedeutungsgehalt und Funktion der Radbruchschen Formel In dem 1946 veröffentlichten Aufsatz „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht" erörtert Radbruch anhand von Strafurteilen, insbesondere von Denunziantenfällen aus der frühen Nachkriegszeit, wie das Verhältnis von Gesetz und Recht, von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit neu zu definieren sei. Die Essenz seiner Überlegungen bilden folgende Thesen, die i m allgemeinen als Radbruchsche Formel 2 8 bezeichnet werden: Radbruch nahm für sich selbst in Anspruch, damals der erste aus politischen Gründen amtsenthobene Professor zu sein, siehe Radbruch, Lebensbeschreibung von Dr. Gustav Radbruch, abgedruckt in: Gedächtnisschrift für Gustav Radbruch, hrsg. von A. Kaufmann, 1968, S. 21 / 24 und ders., Der innere Weg. Aufriß meines Lebens, in: G.R.G., Bd. 16, S. 167/280f. Vgl. Winfried Hassemer, Einführung, in: G.R.G., Bd. 3, S. 1 ff. Dazu eingehend Michael Gottschalk, Gustav Radbruchs Heidelberger Jahre 1926-1949, Diss. 1982, S. 73 ff. 24 Zu Leben und Werk Radbruchs A. Kaufmann, Gustav Radbruch - Leben und Werk, in: G.R.G., Bd. 1, S. 7 ff.; Erik Wolf Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. Aufl. 1963, S. 713 ff.; Gerd Kleinheyer/Jan Schröder, Deutsche und europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, 4. Aufl. 1996, S. 340 ff. m. w. N. Zum Wirken Radbruchs in England nach seiner Entlassung aus dem Lehramt siehe Carola Vulpius, Gustav Radbruch in Oxford: zur Aufarbeitung eines Kapitels länderübergreifender Rechtsphilosophie, 1995. 25 Siehe Monika Frommel, Die Mauerschützenprozesse - eine unerwartete Aktualität der Radbruch'sehen Formel, in: Strafgerechtigkeit. FS-Α. Kaufmann, 1993, S. 81 ff.; Horst Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, in: JZ 1997, S. 421 ff.; A. Kaufmann, Die Radbruchsche Formel vom gesetzlichen Unrecht und übergesetzlichen Recht in der Diskussion um das im Namen der DDR begangene Unrecht, in: NJW 1995, S. 81 ff. 26 Siehe etwa die im angelsächsischen Bereich geführte Debatte zwischen H. L. A. Hart, Der Positivismus und die Trennung von Recht und Moral, in: ders., Recht und Moral, hrsg. von Norbert Hoerster, 1971, S. 14 ff. und Lon L. Fuller, Fidelity to Law, in: Harvard Law Review 71 (1958), S. 630ff.; dazu Schumacher, Rezeption, S. 53 ff. 27 Vgl. nur Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetzkommentar, Bearb. 1980, Art. 20 GG, Rn. 53 f. 28 Der Begriff wird gewöhnlich auf Evers, Der Richter und das unsittliche Gesetz, S. 79 zurückgeführt, siehe Schumacher, Rezeption, S. 24; Saliger, Radbruchsche Formel, S. 4, 3 Hoffmann

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht „ . . . Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als „unrichtiges Recht" der Gerechtigkeit zu weichen hat. Es ist unmöglich, eine schärfere Linie zu ziehen zwischen den Fällen des gesetzlichen Unrechts und den trotz unrichtigen Inhalts dennoch geltenden Gesetzen; eine andere Grenzziehung aber kann mit aller Schärfe vorgenommen werden: wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur,unrichtiges Recht', vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur." 29

Die Radbruchsche Formel besteht genauer besehen aus zwei Thesen. Die sog. Unerträglichkeitsthese zielt auf das objektive Uberschreiten einer Schwelle zum extremen Unrecht ab, während die sog. Verleugnungsthese sich an subjektiven, auf die Intentionen des Gesetzgebers bezogenen Maßstäben, also an einem meist nur schwer nachweisbaren „Gerechtigkeitsbeugungs vorsatz" orientiert. 3 0 Die Meinungsverschiedenheiten über die Formel, die gern als ein Wendepunkt in der Radbruchschen Rechtsphilosophie angesehen wird, resultieren überwiegend aus einer unterschiedlichen Einschätzung der rechtstheoretischen Position, die Radbruch vor der nationalsozialistischen Machtergreifung und nach 1945 eingenommen hat. 3 1 In seinem als Frühphase bezeichneten Wirken bis zur Amtsenthebung wird Radbruch, Anhänger des Neukantianismus südwestdeutscher Richtung, zumeist eine rechtspositivistische und wertrelativistische Haltung zugeschrieben. Die Etiketten Positivist und Relativist treffen den frühen Radbruch sicher nicht ganz zu Unrecht. 3 2 Andererseits dürfen nicht einzelne Sätze aus seinem Gesamt-

Fn. 9. Er findet sich allerdings bereits bei Richard Lange, Die Rechtsprechung des OGH für die Britische Zone zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in: SJZ 1948, Sp. 655/656. Die Bezeichnung „Radbruchsche Formel" wird nicht einheitlich gebraucht. So weist Saliger, Radbruchsche Formel, S. 4 ff. vier Formelversionen nach: Im engeren Sinne wird darunter entweder nur der erste Textpassus - die sog. Unerträglichkeitsthese - oder die sog. Verleugnungsformel verstanden. Relativ selten wird die deskriptive „Wehrlosigkeitsthese" Radbruchs miteinbezogen, überwiegend die gesamte Passage bzw. Geltungslehre Radbruchs nach 1945. Im folgenden wird die letzte weite Fassung zugrundegelegt, da Unerträglichkeits- und Verleugnungsthese hinsichtlich der Rechtsgeltungsfrage eng verbunden sind und beide von Einfluß auf die noch zu erörternde Formelrezeption in der Judikatur waren. 29 (Im Original nicht kursiv hervorgehoben) Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: SJZ 1946, S. 105/107; siehe auch seine Schriften „Fünf Minuten Rechtsphilosophie" (1945), „Erneuerung des Rechts" (1946), „Gesetz und Recht" (1947), „Vorschule der Rechtsphilosophie" (1948), abgedruckt in: G.R.G., Bd. 3, S. 78 f., 80 ff., 96 ff., 121 ff. 30 Schumacher, Rezeption, S. 26 f.; R. Dreier, Gesetzliches Unrecht im SED-Staat? Am Beispiel des DDR-Grenzgesetzes, in: FS-Α. Kaufmann, S. 57 f.; A. Kaufmann, Die Radbruchsche Formel, in: NJW 1995, S. 81/82. 3 1 Vgl. Λ. Kaufmann, Die Radbruchsche Formel, in: NJW 1995, S. 81/82. 32 Siehe Radbruch, Rechtsphilosophie, 1932, S. 100: „Letzte Sollenssätze sind ... nicht der Erkenntnis, sondern nur des Bekenntnisses fähig" u. S. 175 f., 181 ff.; ders., Einführung

§ 2 Diskussion nach 1945 im Zeichen der Naturrechtsrenaissance

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werk isoliert und absolut gesetzt und dabei übersehen werden, daß er auch vor 1933 nicht für ein striktes Gesetz-ist-Gesetz-Denken eintrat, wie es beispielsweise für die Reine Rechtslehre Kelsens in ihrer klassischen Gestalt charakteristisch ist. 33 Im Frühwerk sind vielmehr auch vorsichtigere Tendenzen aufweisbar und Ideen strukturell mitangelegt, die durchaus einen kontinuierlichen Weg zu seiner späten Rechtsgeltungslehre weisen, so daß statt von einer Kehrtwende Radbruchs eher von einer Akzentverschiebung auszugehen ist. 34 Anlaß für die Positionskorrektur bildeten nicht allein rechtstheoretische Überlegungen, sondern zuvorderst die bedrückende Konfrontation mit der NS-Gewaltherrschaft. Die Formel dient insofern auch primär der praktischen Bewältigung des NS-Unrechts und bleibt nicht lediglich dem theoretischen und philosophischen Bereich verhaftet. Sie stellt vielmehr einen leidenschaftlichen Appell an die Rechtsgemeinschaft und insbesondere die Richter zur Neubesinnung über Gesetz und Recht dar. Betrachtet man die Radbruchsche Formel in Gehalt und Funktion näher, bestätigt sich, daß erhebliche Zweifel an der These, Radbruch habe mit seiner Spätphase einen Positionswechsel vom strengen Positivisten zum klassischen Naturrechtler vollzogen, angebracht sind. Bei der Würdigung der Formel ist zu beachten, daß Radbruch der Rechtssicherheit nach wie vor einen hohen Stellenwert einräumt und keineswegs dem Richter einen grundsätzlichen Dispens von der Bindung an das Gesetz erteilt. 35 Für den Regelfall müsse weiterhin die positivistische Lehre in Geltung bleiben, daß das „durch Satzung und Macht gesicherte" positive Recht ohne Rücksicht auf seinen Inhalt als verbindliches Recht zu erachten sei. 36 Die Gewichtung hat sich allerdings insoweit verschoben, als dem Wert der Rechtssicherheit nur noch ein bedingter Vorrang vor der Gerechtigkeit eingeräumt wird, dem in die Rechtsphilosophie, 7./8. Aufl. 1929, in: G.R.G., Bd. 1, S. 236; dazu Kühl, Renaissance des Naturrechts, in: Geschichtliche Rechtswissenschaft. FG-Söllner, S. 331/334. 33 Vgl. A. Kaufmann, Die Radbruchsche Formel, in: NJW 1995, S. 81 f. 34 Radbruch, Rechtsphilosophie, 1932, S. 123 definiert das Recht als die „Wirklichkeit, die den Sinn hat, der Rechtsidee zu dienen" und räumt sogar ein, daß es „Schandgesetze" geben kann, denen das Gewissen den Gehorsam verweigert, ebd., S. 181 f. Eine kontinuierliche Fortentwicklung der vor 1933 entwickelten Lehren Radbruchs nehmen ζ. Β. A. Kaufmann, Problemgeschichte der Rechtsphilosophie, in: ders./Hassemer, Einführung, S. 30/ 108 ff., Martin Schulte, Der Rechtsstaatsgedanke bei Gustav Radbruch, in: JuS 1988, 177/ 179 ff., Gerhard Luf Zur Verantwortlichkeit des Rechtspositivismus für „gesetzliches Unrecht". Überlegungen zur „Radbruchthese", in: Nationalsozialismus und Recht, hrsg. von Ulrike Davy (u. a.), 1990, S. 18/21 an. Radbruch selbst hat seine „Wende" auch eher als Akzentverschiebung gesehen. Siehe Radbruch, Kulturlehre des Sozialismus. Ideologische Betrachtungen, Nachwort zur 3. Aufl. 1949, S. 81: „Deshalb braucht dieses Nachwort nicht die Substanz der früheren Gedanken zu verändern, vielmehr nur die Akzente anders zu setzen". 35 A. Kaufmann, Die Radbruchsche Formel, in: NJW 1995, S. 81/82; Gerhard Sprenger, 50 Jahre Radbruchsche Formel oder: Von der Sprachnot der Juristen, in: NJ 1997, S. 3/6. 36 Radbruch, Gesetzliches Unrecht, in: SJZ 1946, S. 105/107; vgl. dens., Vorschule der Rechtsphilosophie, in: G.R.G., Bd. 3, S. 121 /154. 3=

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

positiven Recht mithin eine widerlegbare GeltungsVermutung zukommt. 37 Radbruch begründet somit keine „harte" Rangordnung der beiden Rechtswerte, wie es klassische Naturrechtler und Rechtspositivisten tun, sondern eine „weiche" oder „offene" Ordnung, die eine Abwägung impliziert. 38 Seine späte rechtstheoretische Position ist daher mit Grund auch als „open legal positivism" 39 charakterisiert worden. An den Formelthesen wird deutlich, daß Radbruch seinen früheren positivistischen und wertrelativistischen Rechtsbegriff zumindest für korrekturbedürftig hielt 40 , die Korrekturen dabei allerdings noch weitgehend innerhalb des Rahmens seiner positivistischen Rechtsgeltungslehre vornimmt. Die Radbruchsche Formel zielt auf eine punktuelle, kasuistische Falsifikationsprüfung und eine Delegitimierung von Einzelnormen und Normenkomplexen unter engen Voraussetzungen.41 Radbruch warnt vor einem extensiven Einsatz seiner Formel und fällt das Verdikt des gesetzlichen Unrechts keineswegs über alle Gesetze der NS-Zeit, auch nicht über die NS-Rechtsordnung als ganze.42 Die Geltungsthesen weisen mithin einen Einzelnormenbezug auf. Des weiteren ist das übergesetzliche Recht bei Radbruch kein Arsenal absoluter Naturrechtssätze, wie man zunächst vermuten könnte.43 Vor einer Identifizierung des übergesetzlichen Rechts mit dem früheren Naturrecht warnt Radbruch explizit. 4 4 Die Gerechtigkeit erschöpft sich bei ihm nicht im formalen Gleichbehandlungsgebot, sondern erfährt eine materiale Anreicherung durch die Einbeziehung eines Grundbestandes an Menschen- und Bürgerrechten, den er der relativistischen Skepsis entzieht.45 So spricht Radbruch z. B. Gesetzen, die „Menschen als Unter37

Neben der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit bildet die Zweckmäßigkeit bzw. das Gemeinwohl den dritten Bestandteil der antinomischen Rechtsidee Radbruchs, dazu Vulpius, „Zweckmäßigkeit" und „Gemeinwohl" bei Radbruch, in: Verfassung - Philosophie - Kirche. FS-Hollerbach, 2001, S. 501 ff. 38 Saliger, Radbruchsche Formel, S. 12, 16; Clea Laage, Die Auseinandersetzung um den Begriff des gesetzlichen Unrechts nach 1945, in: KJ 22 (1989), S. 409/411; vgl. Radbruch, Fünf Minuten Rechtsphilosophie, in: G.R.G., Bd. 3, S. 90. 39 Stanley L. Paulson , Lon L. Fuller, Gustav Radbruch and the „Positivist" Theses, in: Law and Philosophy 13 (1994), S. 313/328, in Abgrenzung zu einem die Faktizität ausblendenden „statutory legal positivism". 40

Horst Dreier, Die Radbruchsche Formel - Erkenntnis oder Bekenntnis?, in: Staatsrecht in Theorie und Praxis. FS-Robert Walter, 1991, S. 117/129, 132; Wyduckel, Normativität und Positivität, in: Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit, FS-Krawietz, hrsg. von Aulis Aarnio (u. a.), 1993, S. 437/463. 41

Saliger, Radbruchsche Formel, S. 18. Gerald Grünwald, Zur Kritik der Lehre vom überpositiven Recht, 1971, S. 13. Zu der strittigen Frage, ob die Radbruchformel durch ihren Einzelnormenbezug zur Legitimierung von Unrechtssystemen führt siehe Saliger, Radbruchsche Formel, S. 18 f., 50 ff. 43 A. Kaufmann, Gustav Radbruch, in: G.R.G., Bd. 1, S. 83. 44 Radbruch, Neue Probleme in der Rechtswissenschaft, in: ders., Eine Feuerbach-Gedenkrede sowie drei Aufsätze aus dem wissenschaftlichen Nachlaß, hrsg. von Eberhard Schmidt, 1952, S. 31 /32 f.; ders., Erneuerung des Rechts, in: G.R.G., Bd. 3, S. 80. 42

§ 2 Diskussion nach 1945 im Zeichen der Naturrechtsrenaissance

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menschen behandelten und ihnen die Menschenrechte versagten", die Rechtsnatur ab. 46 Um der Rechtssicherheit willen plädiert er zudem für eine Kodifikation der völkerrechtlich garantierten Menschenrechte47, die mit den UN-Menschenrechtspakten inzwischen approximativ realisiert ist. Einzuräumen ist freilich, daß die Menschenrechtsdiskussion gemeinsame äußere Züge mit der Naturrechtsdebatte der vergangenen Jahrhunderte aufweist und in gewisser Weise eine Fortführung der früheren Auseinandersetzung um die Grundlagen des Naturrechts in neuen Formen bzw. auf anderer Ebene darstellt. 48 Insofern kann in der Ausfüllung des übergesetzlichen Rechts durch einen Kerngehalt an Menschenrechten eine Annäherung Radbruchs an naturrechtliche Vorstellungen gesehen werden. Demgegenüber blendet die Reine Rechtslehre die Menschenrechtsfrage aus. Kelsen behandelt sie der Sache nach als bloße „spezifisch naturrechtliche Ideologie". 49 Mißlich ist im ganzen, daß Radbruch Gehalt sowie methodische Herleitung des übergesetzlichen Rechts nicht mehr hinreichend konturiert und insoweit keine bis ins einzelne ausgearbeitete Gerechtigkeitstheorie vorgelegt hat. An diesem Punkt setzte auch bereits früh die Kritik an den Radbruchschen Rechtsgeltungsthesen an. Das Kriterium der Unerträglichkeit oder Evidenz eines Gerechtigkeitsverstoßes erscheint manchen als zu vage und unbestimmt.50 Die Radbruchsche Formel gibt insofern der Praxis keine genaue Richtschnur für die Entscheidung, sie artikuliert lediglich einen Anspruch, der in keine Patentlösungen einmündet, sondern geschichtlich einzulösen ist. 51 Daher wird eingewandt, die Formel liefere keine Erkenntnis, bleibe vielmehr nur Bekenntnis, sie verschleiere sogar Probleme und erweise sich selbst als eine Ideologie.52 Heftiger Kritik war mit Recht auch die Wehrlosigkeitsthese, also die Behauptung vom Versagen des Rechtspositivismus in

45 Vgl. Radbruch, Fünf Minuten Rechtsphilosophie, in: G.R.G., Bd. 3, S. 78/79; dazu Alexy, Begriff und Geltung, S. 94; Kühl, Renaissance des Naturrechts, in: Geschichtliche Rechtswissenschaft. FG-Söllner, S. 331/336; Zong Uk Tjong, Die Wendung zum Naturrecht bei Radbruch, in: ARSP 56 (1970), S. 245 ff. 46 Radbruch, Gesetzliches Unrecht, in: SJZ 1946, S. 105/107 r. Sp. 47 Radbruch, Zu dem internationalen Entwurf der Menschenrechte, in: Neues Europa 2 (1947), S. 11 f. 48 Dazu Vittorio Frosini, Die Auslegung der Menschenrechte, in: ARSP 79 (1993), S. 299 ff. 49 Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 154; dazu Erhard Denninger, Menschenrechte und positives Recht, in: JZ 1982, S. 225 ff., der überdies feststellt, daß der Terminus Menschenrechte in Kelsens Schriften nicht einmal auftaucht. 50

Vgl. Fritz von Hippel, Gustav Radbruch als rechtsphilosophischer Denker, 1951, S. 39; E. Wolf, Einleitung zu Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, 7. Aufl. 1970, S. 71; dazu A. Kaufmann, Gustav Radbruch, in: G.R.G., Bd. 1, S. 83 f. 51 Luf Zur Verantwortlichkeit des Rechtspositivismus, in: Davy (Hrsg.), Nationalsozialismus und Recht, S. 18/37; A. Kaufmann, Problemgeschichte, in: ders. / Hassemer, Einführung, 5. Aufl. 1989, S. 25/97; Saliger, Radbruchsche Formel, S. 31. 52 H. Dreier, Die Radbruchsche Formel - Erkenntnis oder Bekenntnis?, in: FS-Walter, S. 117 ff.; Sprenger, 50 Jahre Radbruchsche Formel, in: JZ 1997, S. 3.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

der Weimarer Zeit, ausgesetzt. Die pauschale Schuldzuweisung an den Positivismus hat sich als zu einseitig erwiesen und hält jedenfalls aus heutiger Sicht einer genauen Analyse nicht stand.53 Ungeachtet der teils durchaus berechtigten Kritik hat die Radbruchsche Formel vielfach Eingang in Judikatur und Wissenschaft gefunden, was nicht zuletzt mit dem wissenschaftlichen Ruf Radbruchs und seiner moralischen Integrität zusammenhängen dürfte. Grund für die Formelrezeption ist des weiteren gewesen, daß die Geltungsthesen durchaus geeignet erschienen, das damals allgemein als Unrecht Empfundene, wenn auch etwas undeutlich, zu kennzeichnen und auf diese Weise der Empörung über das NS-Unrecht Ausdruck zu verleihen. 54 Insofern kann den Thesen Radbruchs eine gewisse Attraktivität und Plausibilität nicht abgesprochen werden.

II. Die ,Wende' Radbruchs im Zeichen allgemeiner rechtspositivistischer Kurskorrekturen

Die rechtstheoretische Entwicklung Radbruchs ist im Zusammenhang mit gewissen Modifikationen und Positionsänderungen zu sehen, die allgemein innerhalb des juristischen Denkens in der zweiten Hälfte des 20. Jhs. zu beobachten sind. Die Positivisten, sofern es sie im klassischen Sinne überhaupt noch gibt, scheinen vorsichtiger in der Formulierung ihrer Thesen und offener bei der Bestimmung des Forschungsprogramms der Rechtswissenschaft geworden zu sein.55 Die Akzentverschiebung Radbruchs steht am Beginn dieser Entwicklungstendenz und war besonders exemplarisch für sie. Auch die rechts- und wissenschaftstheoretische Konzeption Kelsens blieb von derartigen Kurskorrekturen nicht unberührt. Zwar hat Kelsen unter dem Eindruck der erschütternden Ereignisse der NS-Zeit am strikten normativen Positivismus seiner Reinen Rechtslehre festgehalten und nicht wie Radbruch unmittelbar einen Richtungswechsel vollzogen.56 Das posthum herausgegebene Werk ,Allgemeine 53 Siehe dazu unten § 18 C. I. 3. 54 H. Dreier, Die Radbruchsche Formel - Erkenntnis oder Bekenntnis?, in: FS-Walter, S. 117/128; R. Dreier, Recht und Moral, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, S. 180/191. 55 Siehe Ota Weinberger, Jenseits von Positivismus und Naturrecht, in: ders./Donald N. MacCormick, Grundlagen des Institutionalistischen Rechtspositivismus, 1985, S. 140 f., der eine vergleichbare Tendenz auch für die modernen Naturrechtslehren konstatiert, die nicht mehr als apodiktische Glaubenssysteme auftreten, sondern als rational argumentierende wissenschaftliche Theorien und insofern als „schwache" Naturrechtslehren aufgefaßt werden können. Luf, Zur Verantwortlichkeit des Rechtspositivismus, in: Davy (Hrsg.), Nationalsozialismus und Recht, S. 18/19; Wyduckel, Normativität und Positivität, in: FS-Krawietz, S. 437/ 462 ff. 56 Kelsen, Diskussionsbeitrag, in: F. M. Schmoelz, Das Naturrecht in der politischen Theorie, 1963, S. 148: „Vom Standpunkt der Rechtswissenschaft ist das Recht unter der Naziherrschaft ein Recht. Wir können das bedauern, aber nicht leugnen, daß es das Recht war".

§ 2 Diskussion nach 1945 im Zeichen der Naturrechtsrenaissance

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Theorie der Normen' läßt allerdings seine Position in neuem Licht erscheinen. Das Spätwerk Kelsens weist eine mittlerweile vielbeachtete Öffnung gegenüber rechtsrealistischen Positionen auf, die insbesondere an Modifikationen hinsichtlich der These der Disparität von Sein und Sollen sowie der Zwangstheorie sichtbar wird. 57 Die Normenlogik erhält dabei einen anderen, begrenzteren Stellenwert im Aufbau seiner Theorie des Rechts, ohne daß der normativistische Rechtspositivismus völlig preisgegeben wird. 58 Durch einen somit im ganzen offeneren Normativismus sucht der späte Kelsen die Defizite einer enggeführten positivistischen Rechtsbetrachtung auszugleichen. Diese Tendenz läßt sich im übrigen auch im Umkreis der Reinen Rechtslehre nachweisen.59 Vergleichbare Erscheinungen einer erkenntnistheoretischen und methodologischen Öffnung können auch für den im angelsächsischen Bereich verwurzelten, vor allem mit dem Namen H. L. A. Harts verbundenen analytischen Rechtspositivismus konstatiert werden, auf den noch näher einzugehen sein wird. 60 Hieraus wird ersichtlich, daß ein Gesetz und Recht identifizierender Rechtspositivismus sich zunehmend gezwungen sieht, seine Positionen kritisch zu überdenken und daraus rechtstheoretische Konsequenzen zu ziehen. Die sich nach 1945 abzeichnende Tendenz, Korrekturen im positivistischen Theoriedesign vorzunehmen, war am augenfälligsten bei Radbruch.

57 Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, insbes. S. 191 ff.; dazu Krawietz, Recht als Regelsystem, 1984, S. 182ff.; ders., Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus?, in: Rechtstheorie 18 (1987), S. 209/233f.; Achterberg, Brücken zwischen Sein und Sollen. Autonome Determinante und modal indifferentes Substrat, in: Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, hrsg. von Werner Krawietz und Helmut Schelsky, 1984 (Rechtstheorie, Beih. 5), S. 445 ff.; Weinberger, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik. Eine Auseinandersetzung mit Hans Kelsens Theorie der Normen, 1981, S. 6 ff., spricht sehr weitgehend von einer „tiefgreifenden Transformation der Reinen Rechtslehre"; wesentlich zurückhaltender Paulson, Stellt die „Allgemeine Theorie der Normen" einen Bruch in Kelsens Lehre dar?, in: Die Reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, 1982, S. 122 ff. 58

Krawietz, Recht als Regelsystem, S. 184 . So insbesondere bei der Brünner rechtstheoretischen Schule, dazu Krawietz, Recht als Regelsystem, S. 187 ff.; Weinberger, Die Bedeutung der Brünner Schule der Reinen Rechtslehre für die Entwicklung der Normenlogik, in: Kubes/ Weinberger (Hrsg.), Die Brünner rechtstheoretische Schule (Normative Theorie), 1980, S. 33 ff.; Vladimir Kubes, Reine Rechtslehre in der Tschechoslowakei, in: Der Einfluß der Reinen Rechtslehre auf die Rechtstheorie in verschiedenen Ländern, hrsg. vom Hans-Kelsen-Institut, 1978, S. 137 ff. 60 Vgl. dazu Wyduckel, Normativität und Positivität, in: FS-Krawietz, S. 437/463; Krawietz, Recht als Regelsystem, S. 187 ff. Zum Positivismus Harts und seiner Lehre vom „minimum content of natural law" siehe § 17 C. I. 59

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B. Die Neubegründung des Rechts auf der Grundlage der materialen Wertethik (Coing) Den beachtlichen Versuch einer Neubegründung des Rechts auf der Grundlage natürlich vorgegebener Wertmaßstäbe, der über den richtlinienartigen Lösungsansatz Radbruchs hinausführt, unternahm bald nach Ende des Krieges Helmut Coing. 61 Coing geht im Anschluß an die durch Scheler begründete und von Hartmann ausgebaute philosophische Richtung der materialen Wertethik 62 davon aus, daß es ideal seiende, intuitiv erschaubare sittliche Werte gibt, die mehr als einen „formalen Topos" bilden und untereinander in einer festen Rangordnung stehen.63 Davon ausgehend arbeitet er systematisch oberste Rechtsgrundsätze heraus, die ihre Verwurzelung in sittlichen Werten haben und Maßstab für das positive Recht sein sollen. Die Rechtsgrundsätze bezeichnet er in ihrer Summe - etwas zögerlich - als „Naturrecht". 64 Bedenken gegen die Verwendung des Terminus hat Coing, da dieser mehrdeutig sei und so verschiedene geschichtliche Naturrechtssysteme wie das antike, das christliche und rationale umfasse. Aus Zweckmäßigkeitsgründen will er den Ausdruck aber beibehalten, da Gegenstand seiner Neubegründung des Rechts auch ein Bestand ewig gültiger sozialer Normen sei. Coing gelangt vom obersten Grundwert der Gerechtigkeit, der sich in weitere Grundwerte auffächert, über den Maßstab der Personenwürde und des Eigenwertes des Menschen zu inhaltlichen obersten Rechtsgrundsätzen. Die Ableitung und Formulierung überzeitlicher Rechtsgrundsätze hält er für möglich, da es in sozialen Ordnungen typische, empirisch feststellbare Grundsituationen und -strukturen und insoweit auch eine gewisse Konstanz gebe.65 Somit ist das Naturrecht bei ihm nicht völlig losgelöst von der Erfahrung. Da es nicht möglich sei, ein geschlossenes, vollständiges System absoluter sittlicher Werte wiederzugeben, will er lediglich den Versuch unternehmen, die bislang entdeckten obersten Rechtsgrundsätze darzustellen. 66 Die obersten Grundsätze des Rechts fungieren zum einen als Leitsätze für die Aus61 Helmut Coing, Die obersten Grundsätze des Rechts. Versuch einer Neubegründung des Naturrechts, 1947; ders., Zur Frage der strafrechtlichen Haftung der Richter für die Anwendung naturrechtswidriger Gesetze, in: SJZ 1947, Sp. 61 ff.; ders., Einführung in die Rechtsphilosophie, 1950; dazu Klaus Ritter, Zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus, 1956, S. 42 ff.; Thomas Würtenberger, Wege zum Naturrecht in Deutschland 1946-1948, in: ARSP 38 (1949/50), S. 98/112. 62 Max Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 3. Aufl. 1927, S. 43 f., 69f., 200ff.; Nicolai Hartmann, Ethik, 2. Aufl. 1935, S. 148 ff. u. 170ff.; dazu Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 220 ff. 63 Coing, Die obersten Grundsätze, S. 14 f., 70. Danach haben beispielsweise geistigsittliche Werte Vorrang vor vitalen und ökonomischen. 64 Coing, Die obersten Grundsätze, S. 62 f. 65 Coing, Die obersten Grundsätze, S. 56f.; ders., Naturrecht als wissenschaftliches Problem, S. 22ff.; vgl. dazu Kühl, Die Naturrechtsrenaissance, in: Geschichtliche Rechtswissenschaft. FG-Söllner, S. 331/341. 66 Coing, Die obersten Grundsätze, S. 40 ff., 63, 151.

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gestaltung des positiven Rechts, zum anderen - und darin liegt ihre eigentliche Bedeutung - als Grenzsätze, d. h. als Maßstab und Kritik des geltenden Rechts. Infolgedessen verliere positives Recht, das den obersten Rechtsgrundsätzen widerspricht, seinen Charakter als echtes, sittlich begründetes Recht. Eine ,Naturrechtswidrigkeit' liegt danach vor, wenn ein Gesetz nicht aus Gerechtigkeitswillen, sondern in Willkürabsicht geschaffen ist. 67 Es sind dabei deutliche Parallelen zu Radbruchs Verleugnungsthese erkennbar. Ubereinstimmung mit Radbruchs Thesen besteht des weiteren, wenn von einer vorwiegend negativen Grenzfunktion der obersten Rechtsgrundsätze ausgegangen und diese auf Fälle „schroffer Verletzungen" des Naturrechts durch Einzelnormen bezogen wird. 68 Zur Frage des Widerstandsrechts äußert Coing zudem explizit, daß das wahre Recht Widerstandshandlungen, wie ζ. B. die Nichtanwendung naturrechtswidriger Gesetze durch den Richter legitimiere und sogar zum aktiven oder passiven Widerstand aufrufe. 69 Was die rechtlichen Folgerungen aus der Naturrechtswidrigkeit von Gesetzen anbelangt, scheint Coing eine etwas vorsichtigere Haltung als Radbruch einzunehmen. Während Radbruch gesetzlichem Unrecht die Verbindlichkeit abspricht, bei Willkürabsicht des Gesetzgebers sogar den Rechtscharakter, folgert Coing lediglich, daß naturrechtswidrige Gesetze nicht mehr als echtes, sittlich begründetes Recht anzuerkennen seien und solches Recht zur bloßen Zwangsordnung herabsinke. Derartige Gesetze seien aber nicht ohne weiteres als nichtig anzusehen, sie müßten vielmehr kraft echten Rechts vernichtet werden. Coing hält es auch für zweifelhaft, ob krass ungerechte, aber über längere Zeit angewandte Gesetze einer tyrannischen Regierung fiktiv als Nichts behandelt werden können.70 Insoweit laufen die Konzeptionen Coings - in jüngerer Zeit als Coingsche Formel bezeichnet71 - und Radbruchs nicht ganz parallel. Coings weitphilosophische Naturrechtskonzeption sah sich bereits früh heftiger Kritik ausgesetzt. Am bekanntesten ist die 1948 geführte Kontroverse mit dem 67 Coing , Die obersten Grundsätze, S. 57 ff., 150ff.; vgl. dens., Zur Frage der strafrechtlichen Haftung, in: SJZ 1947, 61. Beispielhaft nennt er die Schaffung von Ausnahmegesetzen gegen bestimmte Bevölkerungskreise mit politischem Vernichtungswillen. Mit derartigen Gesetzen hatte sich später das BVerfG zu befassen. Im Staatsangehörigkeitsbeschluß (BVerfGE 23, 98) ging es dabei konkret um NS-Normen, die auf die Ausrottung der Juden abzielten. Siehe dazu § 4 A. 68 Coing , Die obersten Grundsätze des Rechts, S. 59; ders., Rechtsphilosophie, S. 179; auf die Parallelen zu Radbruch weist auch Kühl, Die Naturrechtsrenaissance, in: Geschichtliche Rechtswissenschaft. FG-Söllner, S. 331/345, hin. 69 Coing, Die obersten Grundsätze, S. 58 f. 70 Coing, Die obersten Grundsätze, S. 56 ff., 59 Fn. 1; ders., Zur Frage der strafrechtlichen Haftung, in: SJZ 1947, Sp. 62 nimmt hier allerdings an, daß ein unsittliches oder naturrechtswidriges Gesetz wegfällt. 71 So Hubert Rottleuthner, Das Nürnberger Juristenurteil in Deutschland - Ost und West, in: NJ 1997, S. 617/619 unter Hinweis darauf, daß Coing zufolge die Unsittlichkeit von Gesetzen keine Strafbarkeit begründen kann.

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Philosophen Spranger 72, der Coing nicht ganz ohne Grund vorwirft, er habe mit den angeblich überzeitlichen Rechtsgrundsätzen nur „die Landkarte des modernen, abendländischen, stark christlich beeinflußten Wertbewußtseins gezeichnet".73 Ein unwandelbares naturrechtliches Wertesystem gebe es nicht, allenfalls ein schwer greifbares „historisch-elastisches Naturrecht". 74 Bei aller Skepsis will allerdings auch Spranger auf eine ethische Fundierung des Rechts nicht ganz verzichten und sieht zumindest im menschlichen Gewissen eine metaphysische Offenbarungsquelle des Rechts. Coing hält ihm dagegen nicht ohne Grund vor, daß er die Frage nach Existenz und Erkennbarkeit oberster sittlicher Werte damit praktisch nur verschiebe.75 Die Kritik am Coingschen Naturrechtskonzept in der frühen Nachkriegszeit wurde nicht von einem engen positivistischen Standpunkt aus geführt und richtete sich nicht gegen eine ethische Grundlegung des Rechts überhaupt. Streitpunkt war vielmehr die Herleitung und inhaltliche Ausgestaltung der obersten Rechtsgrundsätze und das Verhältnis von Naturrecht und Geschichtlichkeit. Daß eine historisch-vergleichende Rechtsbetrachtung nicht notwendig zur Ablehnung naturrechtlicher Vorstellungen führen muß, zeigt ζ. B. der Ansatz des Rechtshistorikers Mitteis, der ebenfalls an die menschliche Personenwürde als höchstes Ziel der Gerechtigkeit anknüpft. 76 Die wertphilosophische Rechtsbegründung war, wie die Auseinandersetzung zwischen Coing und Spranger zeigt, bereits früh umstritten; ihr wird insbesondere das Fehlen einer rationalen Grundlage vorgehalten. 77 72 Eduard Spranger, Zur Frage der Erneuerung des Naturrechts (1948), abgedruckt in: Maihofer (Hrsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus?, S. 87 ff.; dagegen wiederum die Verteidigung Coings, Um die Erneuerung des Naturrechts (1948), ebd., S. 108 ff. Zu der Kontroverse siehe Schelauske, Philosophische Probleme, S. 204ff.; kritisch gegenüber der Coingschen Konzeption in neuerer Zeit auch Kühl, Die Naturrechtsrenaissance, in: Geschichtliche Rechtswissenschaft, FG-Söllner, S. 331/343ff.; E.-W. Böckenförde, Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts, in: Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, ARSP Beiheft 37 (1990), S. 33 ff. 73 Spranger, Zur Frage der Erneuerung des Naturrechts, in: Maihofer (Hrsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus?, S. 87/88, 91; vgl. Welzel, Naturrecht, S. 222 f., Fn. 21, der feststellt, daß die obersten Rechtsgrundsätze Coings den Grundrechtskatalogen neuerer Verfassungen ähneln und der historischen Lage der letzten 150 Jahre entnommene rechtspolitische Forderungen, aber kein Naturrecht seien. 74

Spranger, Zur Frage der Erneuerung des Naturrechts, in: Maihofer (Hrsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus, S. 87/92. 75 Coing, Um die Erneuerung des Naturrechts, in: Maihofer (Hrsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus, S. 108/110. 76 Heinrich Mitteis, Uber das Naturrecht, 1948, insbes. S. 30 ff. Kritisch zu diesem die Rechtssicherheit allzu sehr vernachlässigenden Ansatz Würtenberger, Wege zum Naturrecht in Deutschland, in: ARSP 38 (1949/50), S. 113 ff. Vgl. auch den scholastischen Ansatz bei Georg Stadtmüller, Das Naturrecht im Lichte der geschichtlichen Erfahrung, 1949, insbes. S. 34 ff. 77 Siehe hierzu einerseits E.-W. Böckenförde, Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts, in: Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, ARSP Beiheft 37 (1988), S. 33 ff. und andererseits Christian Starck, Zur Notwendigkeit einer Wertbegründung des Rechts, ebd., S. 47 ff.

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Dennoch war die Konzeption Coings von Einfluß auch auf die Rechtspraxis, sie hat aber bei weitem nicht die Wirkungskraft der Radbruchschen Formel erlangt. 78

C. Gesetz und Recht aus der Sicht christlicher Naturrechtslehren (Rommen u. a.) In der nach 1945 geführten Diskussion um Gesetz und Recht waren Rechtsbegründungen, die auf christlichen Naturrechtslehren aufbauten, sehr verbreitet. Als bedeutendste Repräsentanten dieser Richtung sind Rommen, G. Küchenhoff und die Österreicher Messner, Utz und Marcie zu nennen.79 Zur Skizzierung des Verhältnisses von Gesetz und Recht aus der Sicht der katholischen Naturrechtslehre eignet sich am besten die Schrift Rommens mit dem programmatischen Titel „Die ewige Wiederkehr des Naturrechts". Das Werk erlebte nach seiner Erstpublikation 1933 im Jahre 1947 eine vielbeachtete Neuauflage. Es bewegt sich ganz in den Bahnen der katholischen Lehre. 80 Rommen sieht in der Scholastik jene Epoche, in der das Naturrecht zu seinem großartigsten Ausdruck gekommen ist und nimmt sich als Leitbild die thomasische Naturrechtslehre. Rommen zufolge gehören zum Inhalt des Naturrechts nur zwei evidente Prinzipien: ,Das Gerechte ist zu tun, das Ungerechte zu lassen' sowie die uralte Regel Jedem das Seine'. 81 Die beiden Prinzipien stellten nicht bloß inhaltsleere Formalien dar, vielmehr gebe es unabhängig vom geschichtlichen Wandel „das" Gerechte und „das" Seine. Erkenntnisprinzip hierfür ist die vernünftige soziale Natur des Menschen. Aus den beiden obersten Prinzipien ergeben sich im Anschluß an die thomasische Lehre durch unmittelbare Konklusion Naturrechtssätze, die im höchsten Grade an der Evidenz der beiden Urnormen teilhaben, unmittelbar einleuchtend sind und sich inhaltlich im wesentlichen mit den Normen des alttestamentarischen Dekalogs (Ex. 20, 1-21) decken. Den entfernteren Schlußfolgerungen hingegen eignet nicht dieselbe Allgemeinheit und Unveränderlichkeit, sie bilden 78 Siehe z. B. OLG Frankfurt, SJZ 1947, Sp. 621 /623. 79 Heinrich Rommen, Die ewige Wiederkehr des Naturrechts, 2. Aufl. 1947; Günther Küchenhoff, Naturrecht und Christentum, 1950; ders., Naturrecht und Liebesrecht, 1962; René Marcic, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, 1957; Arthur F. Utz, Naturrecht im Widerstreit zum positiven Gesetz (1951), abgedruckt in: Maihofer (Hrsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus?, S. 219ff.; Adolf Süsterhenn, Das Naturrecht (1947), abgedruckt ebd., S. 11 ff.; Johannes Messner, Das Naturrecht. Handbuch der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik, 2. Aufl., 1950. Siehe dazu Herbert Schambeck, Zur Lehre von der Gerechtigkeit und der Natur der Sache bei Johannes Messner, in: Gerechtigkeit in der sozialen Ordnung: die Tugend der Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung, hrsg. von Rudolf Weiler und Akira Mizunami, 1999, S. 153 ff. so Zu Rommen skizzenhaft Würtenberger, 38 (1949/50), S. 101 f.; eingehender Ritter, S. 22 ff. 81

Wege zum Naturrecht in Deutschland, in: ARSP Zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus,

Dazu und zum folgenden Rommen, Die ewige Wiederkehr, insbes. S. 225 ff., 252 ff.

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gleichsam ein „Naturrecht mit wechselndem Inhalt". 82 Daraus erklärt sich, so Rommen, auch die Verschiedenheit der positiven Gesetze bei den Volkern. Zur Gewinnung dieser Sätze bedürfe es der Empirie, auf deren Bedeutung für die Normwissenschaften schon Thomas von Aquin hingewiesen habe. Die positiven Gesetze sollen allerdings alle Ableitung oder Bestimmung aus dem Naturrecht sein. Nicht auszuschließen sind dabei tatsächliche Widersprüche zwischen Gesetz und Naturrecht, die nach Rommen aber nicht grundsätzlich die Nichtigkeit des positiven Rechts zur Folge haben. Schlechthin unverbindlich und als „magis inquitas quam lex" zu betrachten sind vielmehr nur solche Gesetze, die in sich Unsittliches und Ungerechtes zu tun gebieten, die also den verbietenden Normen des Naturrechts zuwiderlaufen. 83 Damit wird - der Radbruchschen Formel strukturell vergleichbar - nur dem absolut unvernünftigen, nicht schon dem lediglich unvollkommenen Gesetz der Rechtscharakter aberkannt. Das hohe Gut der Ordnung ist selbst dann zu bewahren, wenn ein einzelnes Gesetz vor der Vernunft nicht ganz zu rechtfertigen ist. Daß überhaupt noch Ordnung sei, wenn auch mit Unrecht gemischt, sei wertvoller als der Mangel jeder Ordnung. 84 Die Geltung des Naturrechts bleibt somit gleichsam latent und kommt erst zum Vorschein, wenn das positive Recht in krassen Widerspruch zu den verbietenden Naturrechtssätzen tritt. In diesem Fall wird Ungehorsam gegen das Gesetz, also ein Widerstandsrecht gebilligt. Damit stimmt die katholische Naturrechtslehre, die zwar auf anderen Grundlagen als der Radbruchsche Lösungsvorschlag aufbaut, in den Konsequenzen mit diesem überein. Für den Bereich des protestantischen Rechtsdenkens gestaltete sich die Erarbeitung naturrechtlicher Diskussionsvorschläge weitaus schwieriger. Im Gegensatz zum Katholizismus stand das Luthertum einer religiösen Fundierung des Rechts lange Zeit fremd gegenüber und gab es keine eigentliche naturrechtliche Tradition. 85 Die zentrale lutherische Lehre von der Verderbtheit der menschlichen Natur durch den Sündenfall und der Unfähigkeit des Menschen, die ewige Gerechtigkeit zu erkennen schließt im Grunde die Anerkennung eines Naturrechts aus und läßt die Gestaltung der positiven Rechtsordnung als ein notwendig unzulängliches menschliches Tun erscheinen. Das protestantische Rechtsdenken orientiert sich damit mehr am Leitgedanken der Rechtssicherheit, was ihm sogar den Vorwurf genuiner Nähe zum Positivismus und heimlicher Anfälligkeit für ihn eingetragen 82 Rommen, Die ewige Wiederkehr, S. 223, 228 f., 252 und S. 232. 83 Rommen, Die ewige Wiederkehr, S. 219, 250 ff. An die Unterscheidung zwischen naturrechtlichen Geboten und Verboten hat später der Bundesverfassungsrichter Willi Geiger angeknüpft und auf diese Weise versucht, die Radbruchsche Formel zu präzisieren; s. dazu unten § 4. 84 Rommen, Die ewige Wiederkehr, S. 206, 211. 85 Dazu Schelauske, Philosophische Probleme, S. 170 ff.; Ulrich Scheuner, Zum Problem des Naturrechts nach evangelischer Auffassung, in: Kirche und Recht, 1950, S. 27 ff.; ders., Recht und Gerechtigkeit in der deutschen Rechtslehre der Gegenwart, in: Dombois (Hrsg.), Recht und Institution, 1956, S. 34/46 ff.; A. Kaufmann, Problemgeschichte, in: ders./Hassemer, Einführung, S. 25/88.

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hat. 86 Im calvinistisch-reformierten Bereich entwickelten sich hingegen vor dem Hintergrund der Forderung nach aktivem Handeln in der Welt und der Lehre vom Widerstandsrecht naturrechtliche Vorstellungen oder stand man diesen zumindest aufgeschlossener gegenüber.87 Im deutschsprachigen Raum wurden nach 1945 auf der Grundlage der protestantischen Ethik vorsichtig Naturrechtskonzeptionen entwickelt. Erwähnung verdienen in diesem Zusammenhang E. Wolf, Scheuner, Dombois 88 sowie der spätere erste Präsident des Bundesgerichtshofes Weinkauff, der die anfängliche Judikatur stark mitprägte. 89 In der protestantischen Naturrechtsbegründung werden der Heiligen Schrift entnommene Weisungen als naturrechtliches Richtmaß für das positive Recht aufgezeigt. Gleichzeitig wird aber in zurückhaltender Weise das derart gefundene Naturrecht als ein unvollkommener Versuch der Gerechtigkeitserkenntnis gewertet und diesem kein absoluter Geltungsanspruch zuerkannt. Die nach 1945 ausgearbeiteten naturrechtlichen Konzeptionen weisen insgesamt bei aller Unterschiedlichkeit der Ausgangspunkte in der Frage der elementaren Naturrechtsinhalte ein hohes Maß an Übereinstimmung auf. 90 Gemeinsam ist den Lösungsvorschlägen der Rekurs auf einen Kernbestand an Menschen- und Grundrechten als Grundlage des Rechts. Einigkeit besteht weiterhin darin, daß der Ordnungsfunktion des gesetzten Rechts ein bedeutendes Gewicht zukommt und nur in Ausnahmefällen die Verbindlichkeit des positiven Rechts entfällt. Dieses Grund86 Siehe dazu Helmut Simon, Katholisierung des Rechtes?, 1961, S. 11 f.; Hans Dombois, Das Problem des Naturrechts, in: Maihofer (Hrsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus, S. 444/461; kritisch zum Zusammenhang von Protestantismus und Positivismus Scheuner, Recht und Gerechtigkeit, in: Dombois (Hrsg.), Recht und Institution, S. 34/43 f. 87 Dazu Scheuner, Zum Problem des Naturrechts nach evangelischer Auffassung, S. 380 f.; siehe insbesondere die bereits 1943 veröffentlichte Arbeit des dem Calvinismus nahestehenden Schweizer Rechtsphilosophen Emil Brunner, Gerechtigkeit: eine Lehre von den Grundgesetzen der Gesellschaftsordnung, mit dem sich Karl Barth kritisch auseinandersetzte. Vgl. auch die frühe calvinistische Rechts- und Politiklehre, wie sie etwa bei Johannes Althusius an der Wende vom 16. zum 17. Jh. hervortritt. Dazu Wyduckel, Johannes Althusius, in: Westfälische Jurisprudenz, hrsg. von Bernhard Großfeld (u. a.), 2000, S. 95 ff. 88 Erik Wolf, Das Problem der Naturrechtslehre, 3. Aufl. 1964; ders., Rechtsgedanke und biblische Weisung, 1948; Dombois, Das Problem des Naturrechts, in: Maihofer (Hrsg.), Naturrecht, S. 444 ff.; Scheuner, Zum Problem des Naturrechts, S. 375 ff. Zu den einzelnen Positionen Würtenberger, Neue Stimmen zum Naturrecht in Deutschland, in: ARSP 40 (1952/53), S. 576/584ff.; Ritter, Zwischen Naturrecht und Rechtspositivismus, S. 25 ff. 89 Hermann Weinkauff, Das Naturrecht in evangelischer Sicht, in: Zeitwende 23 (1951), S. 95 ff. Zum Einfluß Weinkauffs auf die Rechtsprechung des BGH siehe § 5 B. 90 Vgl. Messner, Naturrecht ist Existenzordnung, in: ARSP 43 (1957), S. 187. In der frühen Phase der Naturrechtsrenaissance gab es auch vereinzelt positivistische Stimmen. Diese wandten sich teils gegen den Begriff des Naturrechts, ohne aber selbst ganz auf Metaphysik verzichten zu wollen, seltener verwarfen sie das Naturrecht im ganzen, weil es mannigfach einsetzbar sei und bisher fast jeder politischen und philosophischen Richtung gedient habe, siehe ζ. B. Wilhelm R. Beyer, Rechtsphilosophische Besinnung, 1950, insbes. S. 13 f.; Ernst Kern, Die Grenzen der naturrechtlichen Rechtserneuerung in Justiz und Verwaltung, in: MDR 1949, S. 137 ff.

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anliegen erfaßt die Radbruchsche Formel wohl am griffigsten. Sie ist zwar inhaltlich unbestimmter als die wertphilosophische und die christliche Naturrechtslehre und verfügt überdies über keine bis ins letzte ausgearbeitete Theorie des übergesetzlichen Rechts. Vermutlich gründet sich aber darauf die Attraktivität der Formel für die Rechtspraxis, deren Aufgabe eben nicht unbedingt in der Darlegung und Begründung ganzer rechtsphilosophischer Konzeptionen liegt.

D. Der naturrechtlich geprägte Rechtsbegriff in der Judikatur der frühen Nachkriegszeit Die Rechtsprechung der frühen Nachkriegszeit sah sich vielfach mit den Folgen des NS-Unrechts konfrontiert und musste in diesem Zusammenhang zum Rechtsbegriff Stellung nehmen. Die Analyse der Judikatur soll unter der Fragestellung erfolgen, inwieweit die durch Radbruch eingeleitete rechtsphilosophische Diskussion über das Verhältnis von Gesetz und Recht ein Echo in der Rechtspraxis gefunden hat und von welchen naturrechtlichen Strömungen sich die Nachkriegsrechtsprechung leiten ließ.

I. Naturrechtsrekurs und Beginn der Radbruchrezeption

Eine Sichtung der Entscheidungen unterer Gerichte aus den Jahren 1945 bis 1949 ergibt, daß in einer Fülle von Judikaten auf Naturrecht, übergesetzliche Rechtsgrundsätze u. ä. Bezug genommen wird. 91 Dies geschieht in erster Linie, wenn auch nicht ausschließlich im Kontext der straf- und zivilrechtlichen Bewältigung von Folgen der NS-Gewaltherrschaft. Bereits am 13. 11. 1945 erklärte das AG Wiesbaden in einem zivilrechtlichen Fall diskriminierende NS-Rassegesetze, nach denen das Eigentum der Juden dem Staat verfiel, wegen eines Widerspruchs zum Naturrecht für ex tunc nichtig. 92 Zur Begründung führte es aus, daß nach „naturrechtlicher Lehre" zu den aus der Natur und dem Wesen des Menschen ableitbaren Rechten auch das auf Privateigentum gehört. Wenn das Gericht diese Lehre auch nicht näher präzisiert, kann zumindest festgestellt werden, daß sich die Rechtsprechung mit dem Rekurs auf Grund- und Menschenrechte als essentiellem Inhalt des Naturrechts im Ergebnis mit den im Schrifttum entwickelten Naturrechtslehren, insbesondere mit der Position Radbruchs trifft. 91 Siehe AG Wiesbaden, SJZ 1946, S. 36; OLG Stuttgart, SJZ 1946, S. 236; LG Konstanz, SJZ 1947, Sp. 337; OLG Saarbrücken, DRZ 1947, S. 341; KG Berlin, DRZ 1947, S. 198; OLG Köln, NJW 1947/48, S. 26; OLG Frankfurt, NJW 1947/48, S. 64; LG Bonn, MDR 1948, S. 153; OLG Stuttgart, DRZ 1949, S. 43. 92 AG Wiesbaden, SJZ 1946, S. 36. Der Auffassung des Gerichts zustimmend Walter G. Becker, Die symptomatische Bedeutung des Naturrechts im Rahmen des bürgerlichen Rechts, in: AcP 150 (1948), S. 97 ff. Siehe auch OLG Freiburg, DRZ 1946, S. 93.

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Zahlreicher noch sind die naturrechtlich geprägten Strafurteile, die vor allem Euthanasie- und Denunziationsfälle aus der NS-Zeit zum Gegenstand hatten.93 So mußte sich das OLG Frankfurt mit Tötungsaktionen in Anstalten befassen, die auf ein geheimes Ermächtigungsschreiben Hitlers vom 1. 9. 1939 zurückgingen. Das Gericht sah das Schreiben bereits aus formellen Gründen nicht als gültige Rechtsnorm an. 94 Des weiteren erklärte es zu der Frage, ob der Angeklagte sich der Rechtswidrigkeit der Tat bewußt war, unter expliziter Heranziehung der Radbruchschen Formel, daß der Inhalt des Geheimbefehls gegen „naturrechtlich evidente Sätze" verstoße und der Angeklagte sich daher nicht auf ihn rechtfertigend berufen könne.95 Mit diesem Urteil beginnt die Rezeption der Radbruchschen Formel in der Nachkriegsjudikatur, die das BVerfG und der BGH in den fünfziger Jahren in vielfältiger Weise fortsetzten. 96 Die in den einschlägigen Entscheidungen ausgesprochene These, daß typischen NS-Gesetzen, formlosen Hitler-Erlassen und Geheimbefehlen wegen evidenten Widerspruchs zu einem sich in den Menschenrechten konkretisierenden Naturrecht der Rechtscharakter abzusprechen ist, hat seinerzeit ganz überwiegend Zustimmung gefunden. 97 Es wurde allerdings von Radbruch selbst kritisch die Frage aufgeworfen, ob die Prüfungskompetenz am Maßstab übergesetzlichen Rechts jedem einzelnen Richter zugestanden werden könne oder diese Aufgabe vielmehr einem höheren Gericht oder dem Gesetzgeber vorzubehalten sei. 98 Die Bedenken erklären sich daraus, daß ein derartiges richterliches Prüfungsrecht neuartig war, die Rechtspraxis der Weimarer Zeit ein solches jedenfalls nicht kannte.99 Daher ist es umso erstaunlicher, daß die Gerichte nach 1945 eine solche richterliche Prüfungs- und Verwerfungskompetenz mutig und wie selbstverständlich für sich in Anspruch nahmen. 100 Mögliche theoretisch-philo93 ζ . B. O L G Frankfurt, NJW 1947/48, S. 23 u. 64 (Denunziation); O L G Frankfurt, SJZ 1947, S. 621; OGHSt M D R 1949, S. 370; OGHSt 1, 321 (Euthanasie).

94 OLG Frankfurt, SJZ 1947, Sp. 621 ff. Walter Ott, Der Euthanasie-Befehl Hitlers vom 1. September 1939 im Lichte der rechtspositivistischen Theorien, in: FS-R. Walter, hrsg. von Heinz Mayer (u. a.), 1991, S. 519 ff., stellt mit Recht fest, daß auch die meisten rechtspositivistischen Theorien den Geheimbefehl wegen formeller Mängel nicht als gültiges Recht betrachten würden. 95 OLG Frankfurt, SJZ 1947, Sp. 626 f. 96 Siehe auch OLG Kiel, SJZ 1947, Sp. 323/327. Zur Radbruchrezeption durch das BVerfG und den BGH siehe §§ 4, 5. 97 Radbruch, Anm. zum Urteil des OLG Frankfurt v. 12. 8. 1947, in: SJZ 1947, Sp. 633 ff.; Kleine, Anm. zum Urteil des AG Wiesbaden v. 13. 11. 1945, in: SJZ 1946, S. 36; Becker, Die symptomatische Bedeutung des Naturrechts, in: AcP 150 (1948), S. 97/103. Kritisch allerdings Welzel, Anm. zum Urteil des OGHSt v. 5. 3. 1949, in: MDR 1949, S. 373 ff., der einwendet, daß man es sich mit der naturrechtlichen Argumentation, insbesondere der Frage der Evidenz, zu leicht gemacht habe. 98 Radbruch, Gesetzliches Unrecht, in: SJZ 1946, S. 107 1. Sp; siehe Kleine, Anm. zum Urteil des AG Wiesbaden v. 13. 11. 1945, in: SJZ 1946, S. 36. 99 RGZ 102, 161 /164; 107, 375/379; Anschütz, Kommentar, Art. 102 WRV, Anm. 4. Für ein derartiges Prüfungsrecht Ernst von Hippel, Prüfungsrecht, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts II, hrsg. von G. Anschütz und R. Thoma, 1932, S. 546ff.; dazu Gusy, Richterliches Prüfungsrecht, S. 74 ff.

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sophische Grundlagen ihrer naturrechtlichen Argumentation, die vielfach sogar entscheidungstragend war, legen die Gerichte allerdings häufig nicht näher dar. Bisweilen erweist sich der Rückgriff auf Naturrechtsnormen auch als vorschnell und wenig hinterfragt. 101 Klarzustellen ist, daß die Gerichte nicht durchweg naturrechtlich judizierten, sondern vereinzelt auch, insbesondere in der britischen Besatzungszone, eine positivistische Haltung einnahmen. Dabei leugneten sie meist nicht, daß es unter der NS-Herrschaft krass ungerechte Gesetze gab, lehnten aber eine Nichtigerklärung ex tunc ab. 1 0 2 Es würde zu Verwirrung und Rechtsunsicherheit führen, wenn man die betreffenden NS-Gesetze und die auf ihnen basierende Rechtsverhältnisse praktisch als niemals vorhanden betrachten würde. Auch maße sich der einzelne Richter dadurch zuviel Macht gegenüber dem Gesetzgeber an. Der Einwand der Rechtssicherheit und der Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips erscheint nicht ganz unberechtigt, jedenfalls solange das Naturrecht nicht näher dargelegt wird. Die Argumente haben auch die Folgediskussion um Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG begleitet und sollen in diesem Rahmen später aufgegriffen werden. Die positivistisch argumentierenden Judikate, die in den Urteilsanmerkungen durchweg auf Ablehnung stießen 103 , konnten sich allerdings nicht durchsetzen und die Naturrechtskonjunktur entscheidend trüben. Ganz überwiegend hat die Judikatur zwischen Gesetz und Recht klar differenziert und mit dem Naturrecht als Grenze und Filter der NS-Gesetze argumentiert.

II. Die Diskussion um das Kontrollratsgesetz Nr. 10: Folgeprobleme des Naturrechtsrekurses

Die in der Nachkriegsjudikatur vorgenommene Unterscheidung zwischen Gesetz und Recht hat es einerseits ermöglicht, mit dem NS-Unrecht zusammenhängende Fallkonstellationen einer akzeptablen Lösung zuzuführen, andererseits wirft sie aber weitere dogmatische Probleme auf. So entfachte sich im Bereich des Strafrechts eine Auseinandersetzung um das Verhältnis von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit am Beispiel des Kontrollratsloo So ausdrücklich LG Bonn, MDR 1948, S. 153/155; OLG Stuttgart, SJZ 1946, S. 236/ 237. ιοί So ζ. B. OLG Stuttgart, DRZ 49, S. 43 m. Anm. Gallas, der kritisch einwendet, daß die Karte des Naturrechts nicht zu früh ausgespielt werden sollte. Siehe auch Welzel, Anm. zum Urteil des OGHSt v. 5. 3. 1949, in: MDR 1949, S. 373 ff. 102 OLG Hamburg, SJZ 1948, Sp. 37; LG Hagen, MDR 1947, S. 29; OLG Saarbrücken, DRZ 1947, S. 341; widersprüchlich die Argumentation des OLG Kiel, SJZ 1947, Sp. 323. Vgl. die Äußerungen des Hamburger Senatspräsidenten Waldow, Rechtspositivismus oder Naturrecht?, in: MDR 1948, S. 338 f. 103 Siehe OLG Hamburg, SJZ 1948, Sp. 35 m. Anm. Erdsiek; OLG Kiel, SJZ 1947, Sp. 323 und LG Hildesheim, SJZ 1948, Sp. 143 m. Anm. Arndt; OLG Saarbrücken, DRZ 1947, S. 341 m. Anm. Coing.

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gesetzes Nr. 10 vom 20. 12. 1945 104 , mit dem die Bestrafung in der NS-Zeit begangener „Verbrechen gegen die Menschlichkeit" ermöglicht werden sollte. Hierbei stellte sich das Problem der Durchbrechung des „nulla poena sine lege"-Grundsatzes durch das KRG Nr. 10. Die dahinter steckende grundlegende Frage, ob und inwieweit die Differenzierung zwischen Gesetz und Recht und die Nichtigerklärung von Gesetzen am Maßstab des Naturrechts mit dem - inzwischen in Art. 103 Abs. 2 GG positivrechtlich geregelten - strafrechtlichen Rückwirkungsverbot vereinbar ist, ist bis heute nicht zur Ruhe gekommen und hat sogar die jüngere höchstrichterliche Rechtsprechung intensiv beschäftigt. 105 Um das KRG Nr. 10 entbrannte im damaligen Schrifttum eine Kontroverse 106, in der sich vor allem Radbruch für die rückwirkende Anwendbarkeit aussprach. Seiner Auffassung zufolge verstößt das Gesetz nicht gegen den nulla poena-Satz, da die in ihm für strafbar erklärten Taten schon zur Zeit ihrer Begehung nach übergesetzlichem Recht Verbrechen darstellten, der wesentliche Gesetzesinhalt also schon vorher als Naturrecht gegolten habe. 107 Insofern stelle das KRG Nr. 10 sogar eine Positivierung des übergesetzlichen Rechts dar. Teilweise äußerte Radbruch allerdings auch vorsichtige Bedenken gegen das Gesetz, meinte aber, eine Verletzung des Rückwirkungsverbots müsse wohl angesichts der Notwendigkeit, vergangenes schweres Unrecht zu ahnden für eine Übergangszeit hingenommen werden und die Rechtssicherheit damit in Ausnahmefällen hinter der Gerechtigkeit zurücktreten. 108 Die Rechtsprechung bejahte fast einmütig, allerdings mit unterschiedlicher Begründung, die rückwirkende Anwendbarkeit des KRG Nr. 10. 1 0 9 Seit der Judikatur des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone, der von 1948 bis 1950 tätig war, war dies jedenfalls weitgehend anerkannt. Die Entscheidungen des OGH zeichnen sich dabei durch einen recht hohen theoretisch-philosophischen Gehalt in der Argumentation aus und scheinen von den Gedanken Radbruchs zur Humanität 104 ABl. des Kontrollrats, S. 50; dazu Laage, Auseinandersetzung, in: KJ 22 (1989), S. 409/414ff.; Stefan Zimmermann, Die strafrechtliche „Bewältigung" der deutschen Diktaturen, in: JuS 1996, S. 865/866 ff. Ähnliche Bestimmungen wie das KRG Nr. 10 enthielten Art. 135 der DDR-Verfassung vom 19. 3. 1949 sowie Art. 66 der Sächsischen Verfassung von 1946. 105 Siehe BGHSt 39, 1; BVerfGE 95, 96 - Mauerschützen. Dazu eingehend § 13. 1 06 Siehe nur die zum Thema „Humanitätsverbrechen und ihre Bestrafung" in der Sondernummer der SJZ 1947, Sp. 113 ff. publizierten Aufsätze von Frhr. v. Hodenberg, Wimmer und Radbruch. Zur Kontroverse Laage, Auseinandersetzung, in: KJ 22 (1989), S. 409/426. 107 Radbruch, Zur Diskussion über die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in: SJZ 1947, Sp. 131 /135; ders., Gesetz und Recht, in: G.R.G., Bd. 3, S. 96. los Radbruch, Entwurf der Menschenrechte, in: Neues Europa 2 (1947), S. 11 f.; ders., Die Erneuerung des Rechts, in: G.R.G., Bd. 3, S. 107/108 f. 109 OGHSt 1, 1/5; 2, 269/271 f.; 2, 375/380; LG Konstanz, SJZ 1947, Sp. 337; OLG Hamburg, SJZ 1948, Sp. 35; OLG Köln, NJW 1947/48, S. 70f. Einzig gegen die Anwendbarkeit LG Siegen, MDR 1947, S. 203, allerdings aufgehoben durch OLG Hamm, MDR 1947, S. 205. 4 Hoffmann

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

geprägt. 110 Die Begründung der rückwirkenden Anwendbarkeit des KRG Nr. 10 mutet zwar zunächst positivistisch an, wenn der OGH meint, der Kontrollrat könne kraft seiner uneingeschränkten Gesetzgebungsmacht auch eine rückwirkende Bestrafung von Verbrechen anordnen. 111 Sie wird dann aber eingehend naturrechtlich fundiert. Nach Auffassung des Gerichts läßt der nulla poena-Satz als Postulat der Rechtssicherheit um der allgemein anerkannten Grundsätze der Gerechtigkeit willen Ausnahmen zu. 1 1 2 Die rückwirkende Strafbarkeit stehe nicht im Widerspruch zur Gerechtigkeit, wenn die Taten gegen das Sittengesetz verstießen. Dem KRG Nr. 10 liege der Gedanke zugrunde, daß es bei allen der Kulturgemeinschaft angehörenden Staaten bestimmte, mit Wert und Würde der menschlichen Persönlichkeit zusammenhängende Grundsätze gibt, von denen sich kein Staat lossagen könne. Ein Verstoß gegen einen derartigen „Kernbereich des Rechts" - ein Topos, den auch der BGH später vielfach aufgegriffen hat - bleibe strafbares Unrecht. 113 Als Schutzgut des KRG Nr. 10 sieht der OGH den Menschen mit seinen fundamentalsten Rechten an, wie sie die abendländische Kultur geoffenbart habe. 114 Des weiteren würde die Funktion des nulla poenaGrundsatzes, der als Reaktion gegen strafgesetzliche Willkür zum Schutz des Individuums entstanden sei, ins Gegenteil verkehrt, wenn dadurch nun die gerechte Sühne für Verbrechen vereitelt würde 115 . Danach stellt also der Staat mit der rückwirkenden Bestrafung gerade die Übereinstimmung mit ethischen Grundsätzen nachträglich wieder her. Mit einer solchen Begründung hat der OGH sogar nach Inkrafttreten des GG die rückwirkende Anwendung des KRG Nr. 10 durch deutsche Gerichte mit Art. 103 Abs. 2 GG für vereinbar erachtet, durch den der nulla poena-Grundsatz explizit normiert ist. 1 1 6 Die Judikatur hat somit das sich für den Bereich des Strafrechts ergebende Folgeproblem mit deutlich naturrechtlich geprägter Argumentation gelöst und auf diese Weise die Hürde des strafrechtlichen Rückwirkungsverbotes genommen. Insgesamt hat die Rechtsprechung der frühen Nachkriegszeit bei der Bewältigung des NS-Unrechts ganz überwiegend einen naturrechtlichen Rechtsbegriff ho Dazu Lange, Die Rechtsprechung des OGH, in: SJZ 1948, Sp. 655/657ff. m OGHSt 1, 1/5f.; 2, 375/378; vgl. OLG Hamburg, SJZ 1948, Sp. 35, das bei dieser positivistischen Begründung stehenbleibt. 112 OGHSt 1, 1/6; 2, 269/271; OLG Köln, NJW 1947/48, S. 70; anders LG Siegen, MDR 1947, S. 203/204 und OLG Hamburg, SJZ 1948, Sp. 35, die den nulla poena-Satz schlechthin als „Naturrecht" bezeichnen. Zum unterschiedlich verwendeten Naturrechtsargument in diesem Kontext siehe Lange, Das Kontrollratsgesetz Nr. 10 in Theorie und Praxis, in: DRZ 1948, S. 155 ff. 113 OGHSt 2, 269/271 f.; LG Konstanz, SJZ 1947, Sp. 337/341 f. Zur BGH-Rechtsprechung s. § 5. 114 OGHSt 1, 11/14f.; 2, 269/271; eingehend auch LG Konstanz, SJZ 1947, Sp. 337/ 340 f. 115 OGHSt 2, 375/380; 2, 269/271; vgl. auch OGHSt 1, 264/269; OLG Köln, NJW 1947/48, S. 70; Erdsiek, Anm. zum Urteil des OLG Hamburg, in: SJZ 1948, Sp. 39/41. 116 OGHSt 2, 375/378 ff.

§ 3 Die Genese des Art. 20 Abs. 3 GG

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zugrundegelegt. Sie hat sich dabei von der im Schrifttum geführten Naturrechtsdiskussion inspirieren lassen, besonders von Radbruchs Gesetzes- und Rechtsverständnis nach 1945. Bisweilen wirkt der Rückgriff auf das Naturrecht allerdings auch voreilig und theoretisch nicht hinreichend reflektiert. Die Judikatur zwischen 1945 und 1950 hat, was die Rezeption der Radbruchschen Formel und die Frage des Rechtsbegriffs anbelangt, der späteren höchstrichterlichen Rechtsprechung jedenfalls vorgearbeitet, auf die noch einzugehen ist. 1 1 7

§ 3 Die Genese des Art. 20 Abs. 3 GG Die in Art. 20 Abs. 3 GG statuierte Bindung der vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung an Gesetz und Recht ist, wie der historische Rückblick zeigt, ohne wirkliches Vorbild in der deutschen Verfassungsgeschichte. Dies gibt Anlaß, der Frage nachzugehen, ob die an zentraler Stelle in das GG eingefügte Bindungsformel eine Wende zu einem neuen Verständnis von Recht und Rechtsstaatlichkeit dokumentieren sollte. Klärungsbedürftig ist, ob und inwieweit die nach 1945 einsetzende Naturrechtsdiskussion in den Verfassunggebungsprozeß eingeflossen ist und in ihm spezifische Wirkungen entfaltet hat. Die Entstehungsgeschichte kann Aufschluß darüber geben, ob die Formel Gesetz und Recht bewußt und aus guten Gründen in das GG aufgenommen wurde oder - wie mitunter behauptet wird lediglich ein redaktionelles Versehen bzw. ein Zufallsprodukt der Verfassunggebung darstellt. 118 In die Untersuchung ist auch die Entstehungsgeschichte des Art. 97 Abs. 1 GG einzubeziehen, da die Vorschrift prima facie in einem widersprüchlichen Verhältnis zu Art. 20 Abs. 3 GG steht und gern als Argument für eine tautologische Interpretation des Begriffspaars ins Feld geführt wird.

117 Siehe unten §§ 4, 5. 118 Bemerkenswert ist, daß Verfechter sowohl einer naturrechtlichen wie auch einer tautologischen Deutung des Art. 20 Abs. 3 GG in der Normgenese Anhaltspunkte für ihre Auffassung sehen. So befürworten ζ. B. Werner Maihof er, Die Bindung des Richters an das Gesetz (Art. 20 Abs. III GG), in: Annales Universitatis Saraviensis, Vol. VIII (1960), S. 5/11 ff., A. Kaufmann, Gesetz und Recht, in: FS-Ε. Wolf, S. 357/361, Ingwer Ebsen, Gesetzesbindung und „Richtigkeit" der Entscheidung. Eine Untersuchung zur juristischen Methodenlehre, 1974, S. 48 ff. und Jerzy Zajadlo, Uberwindung des Rechtspositivismus als Grundwert des Grundgesetzes, in: Der Staat 26 (1987), S. 207/218 ff. auf der Grundlage einer entstehungsgeschichtlichen Analyse eine nichtpositivistische Auslegung des Begriffspaars. Dagegen liefert nach Ansicht von Ingeborg Maus, Rechtstheorie und Politische Theorie im Industriekapitalismus, 1986, S. 46 f. die Entstehungsgeschichte des Art. 20 Abs. 3 GG Anhaltspunkte für eine tautologische Interpretation von Gesetz und Recht. Teilweise wird wiederum behauptet, den Materialien zur Entstehungsgeschichte der Norm sei praktisch nichts über die Bedeutung der Formel zu entnehmen, vgl. Klaus Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 798.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

A. Entwürfe und Vorarbeiten zum Grundgesetz Die Formulierung Gesetz und Recht in Art. 20 Abs. 3 GG kam erst in einer relativ späten Phase des Verfassunggebungsprozesses auf. Die seit 1947 ausgearbeiteten Verfassungsentwürfe einzelner Parteien und Länder enthielten keine dem Art. 20 Abs. 3 GG vergleichbare Bindungsformel, sondern sahen lediglich in Wiederholung des Art. 102 WRV die Unterwerfung des Richters unter das Gesetz vor. 119 In dem am 25. August 1948 als Bericht vorgelegten Verfassungsentwurf des Herrenchiemseer Verfassungskonvents findet sich gleichfalls keine vergleichbare Bestimmung. 120 Aufschlußreich erscheint allerdings die im Verfassungskonvent geführte Kontroverse um Art. 132 HChE, demgemäß die Richter nur dem Gesetz und ihrem Gewissen unterworfen sind. 121 Dieser Artikel bildete die Beratungsgrundlage für den späteren Art. 97 Abs. 1 GG. Der Zusatz ,und ihrem Gewissen' in Art. 132 HChE geht maßgeblich auf einen Antrag des Christdemokraten Süsterhenn zurück und greift Art. 121 der Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18. 5. 1947 122 , an deren Entstehung Süsterhenn maßgeblich beteiligt war, in ähnlicher Form auf. Im Verfassungskonvent befürworteten die einen den Antrag, da man gerade nach den Erfahrungen der NS-Zeit Wert darauf legen müsse, daß der Richter das Recht auch aus einer ethischen Grundlage heraus zu sprechen habe. Im Verfassungstext selbst müsse zum Ausdruck gebracht werden, daß man dem „sturen Positivismus" entgegentreten wolle. 1 2 3 Andere hingegen wie Nawiasky und Carlo Schmid hielten die Gewissensbindung für eine u.U. mißbräuchliche und daher gefährliche Formulierung. Unter Berufung auf sein Gewissen hätte gerade auch der NS-Richter das Gesetz vollkommen beiseite schieben können. 124 Gleichzeitig wurde allerdings betont, das Wort „Gesetz" sei selbstverständlich nicht eng auszulegen im Sinne des formellen Gesetzes, sondern als „Recht" zu verstehen. 125 119 Z. B. Art. 82 des Bayerischen Entwurfs eines GG für den Verfassungskonvent von 1948; § 57 des Zweiten Menzel-Entwurfs für ein GG vom 2. 9. 1948 (SPD). Vgl. aber die Richtlinien für den Aufbau der Deutschen Republik (SPD) von 1947: Die unveränderlichen Ideen der Menschenwürde, der Freiheit und Gerechtigkeit ... müssen ein wesentlicher Bestandteil der Verfassung sein. Zu den wichtigsten Entwürfen sowie den Verfassungsvorstellungen der einzelnen Parteien siehe Der Parlamentarische Rat 1948-1949, Akten und Protokolle, Bd. 2, 1981, S. XXXV ff. und S. 1 ff. 120 Abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 579 ff. Siehe allerdings Art. 29 Abs. 2 HChE: „Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, ... die Unabhängigkeit der Gerichte müssen gesichert sein" und Art. 101 HChE.

121 Plenarsitzung vom 23. August 1948, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 403 ff., insbes. S. 432 ff. zu dem damaligen Art. 115 und späteren Art. 132 HChE. 122 „Die richterliche Gewalt üben unabhängige, allein der Verfassung, dem Gesetz und ihrem Gewissen unterworfene Richter aus". Vgl. dazu Adolf Süsterhenn/Hans Schäfer, Kommentar zur Verfassung von Rheinland-Pfalz, 1950, Einl. S. 23, Anm. zu Art. 121. 123 Siehe die Äußerungen von Beyerle und Süsterhenn in der Plenarsitzung vom 23. August 1948, in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 2, S. 432 ff., 439. 124 Nawiasky und Schmid in der Plenarsitzung vom 23. August 1948, ebd., S. 434 u. 438 f. 125 Nawiasky in der Plenarsitzung vom 23. August 1948, ebd., S. 434.

§ 3 Die Genese des Art. 20 Abs. 3 GG

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Aus der Diskussion geht hervor, daß unter den Konventsmitgliedern jedenfalls Einigkeit über die Ablehnung einer strikten, buchstabengetreuen Gesetzesbindung der Dritten Gewalt bestand. Ergeben mithin die Herrenchiemseer Beratungen erste vorsichtige, wenn auch noch keine konkreten Anhaltspunkte für die Aufnahme der Wendung Gesetz und Recht in den Text des GG, sind nunmehr die Beratungen des Parlamentarischen Rates selbst und seiner Ausschüsse zu beleuchten.

B. Die Beratungen im Parlamentarischen Rat Der Vorsitzende des Ausschusses für Grundsatzfragen v. Mangoldt (CDU) legte am 14. 10. 1948 dem Grundsatzausschuß einen Entwurf des damaligen Art. 21 Abs. 4 1 2 6 vor. Dieser wandelte den Entwurf leicht ab zu der schlichten, positivistisch klingenden Formulierung „Rechtsprechung und Verwaltung stehen unter dem Gesetz". Erst der Allgemeine Redaktionsausschuß127 unter Federführung von Dehler (FDP) schlug schließlich am 16. 11. 1948 eine differenziertere Fassung vor: Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, Rechtsprechung und vollziehende Gewalt sind an Gesetz und Recht gebunden. Dehler erklärte vor dem Hauptausschuß, daß man die Formulierung zur Abgrenzung der Rechtsstaatlichkeit für nötig gehalten habe und damit die Grundlage des GG besser ausgedrückt glaube. 128 Es ging ihm bei der neuen pointierteren Fassung offenbar um eine gewichtigere Verankerung des Rechtsstaatsprinzips im GG. Speziell das Begriffspaar Gesetz und Recht wurde zwar nicht näher erläutert - die internen Beratungen des Allgemeinen Redaktionsausschusses sind zudem leider nicht protokolliert - , aufschlußreich dürfte aber die darauf folgende Stellungnahme v. Mangoldts sein, der die Fassung des Grundsatzausschusses verteidigte. Der Grundsatz der Gesetz126 „Rechtsprechung und Verwaltung stehen unter der Herrschaft des für alle gleichen Gesetzes". Siehe zum Gang der Beratungen Werner Matz (Bearb.), Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JÖR N.F. 1 (1951), S. 195 ff. 127 Der Allgemeine Redaktionsausschuß, dem neben Dehler noch von Brentano (CDU) und Zinn (SPD) angehörten, war hauptsächlich für Textredigierung und Formalien zuständig, nahm häufig allerdings auch inhaltliche Änderungen vor und übte so erheblichen Einfluß auf die Textfassung des GG aus. Siehe dazu Matz, Entstehungsgeschichte, in: JÖR N.F. 1 (1951), Einl. S. 10f.; Henning von Wedel, Das Verfahren der demokratischen Verfassunggebung, 1976, S. 250 ff. π* Dehler, in: Hauptausschuß, Sten. Bericht, 4. Sitzung vom 17. 11. 1948, S. 47; s. ders., Die Schranken des Rechts (1965), in: Hermann Maassen/Elmar Hucko, Thomas Dehler, der erste Bundesminister der Justiz, 1977, S. 71 /73: „Rechtsstaatlichkeit ist mehr als die Garantie der Gesetzmäßigkeit von Justiz und Verwaltung". Ders., Vom liberalen Recht (1965), abgedruckt ebd., S. 33/37: „Irrig ist die Annahme, das Recht sei lediglich eine formelle, wertneutrale Ordnung, deren Inhalt sich nach dem Belieben des Gesetzgebers richte. Unsere jüngste deutsche Geschichte ist eine einzige Warnung vor der Pervertierung, die das Gesetzesrecht erfahren kann". Dazu Maassen/Hucko, Thomas Dehler, in: dies., Thomas Dehler, S. 9/ 27 f.: „Recht ist für Thomas Dehler nicht das Gesetz".

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

mäßigkeit aller Staatsgewalt verstehe sich bei der Rechtsprechung von selbst, weil sie nur die Aufgabe habe, die Gesetze anzuwenden und auszulegen.129 Mit einer derartigen Aufgabenbegrenzung der Dritten Gewalt wollte sich die Mehrheit aber wohl nicht zufriedengeben, denn angenommen wurde schließlich der Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses, der geringfügig geändert Eingang in das GG fand. 130 Die überwiegende Mehrzahl hielt offenbar die traditionelle Formel von der Gesetzesbindung für ungenügend und eine Ergänzung für notwendig, um ihrem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit im Bereich der Judikative Ausdruck zu verleihen. 131 Der kurze Wortwechsel im Hauptausschuß läßt vorsichtige Schlüsse darauf zu, daß die Formulierung Gesetz und Recht dem Parlamentarischen Rat nicht bloß zufällig unterlaufen ist, sondern mit Grund gewählt wurde. Schließlich ist die Entstehungsgeschichte des Art. 97 Abs. 1 GG, demgemäß der Richter nur dem Gesetz unterworfen ist, zu untersuchen unter der Fragestellung, ob inhaltliche Widersprüche zwischen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 GG gesehen wurden. Ein Vorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses zu Art. 97 GG sah vor, daß die Richter nur dem Gesetz unterworfen sind und griff den im HChE vorgesehenen Zusatz ,und ihrem Gewissen4 nicht auf. 1 3 2 Sowohl Rechtspflegeausschuß als auch Hauptausschuß billigten diese Fassung, was sich vor allem daraus erklärt, daß der Begriff des Gewissens in diesem Zusammenhang als bedenklich oder unklar empfunden und überdies der Ausdruck Gesetz nicht eng verstanden wurde. 133 Die Nichtaufnahme des ,,Gewissens"-Passus' kann nicht als Ausdruck einer verengten positivistischen Haltung gewertet werden und läßt keine Rückschlüsse auf die Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG zu. Insoweit ist eine inhaltliche Reduzierung des Art. 20 Abs. 3, 2. HS GG auf eine bloße Gesetzesbindung aufgrund der Normgenese des Art. 97 Abs. 1 GG unzulässig. Uber beide Bestim129 v. Mangoldt, in: HA-Sten. Bericht, 4. Sitzung vom 17. 11. 1948, S. 47; siehe auch Matz, in: JÖR N.F. 1 (1951), S. 200. 130 Geändert wurde schließlich im wesentlichen nur noch - auf Antrag des Abg. Zinn - die Reihenfolge der Nennung von vollziehender Gewalt und Rechtsprechung, siehe HA-Sten. Bericht, 57. Sitzung vom 5. 5. 1949, S. 748 f. 131 Die Ersetzung des Abs. 4 in der Fassung des Grundsatzausschusses durch den Vorschlag des ARA beschloß der Hauptausschuß mit 17 gegen 2 Stimmen, siehe HA-Sten. Bericht, 4. Sitzung vom 17. 11. 1948, S. 47; siehe Maihofer, Die Bindung des Richters, S. 11. 132 Dazu Matz, in: JÖR N.F. 1 (1951), S. 716f. Der Abg. Walter (CDU) regte im Hauptausschuß erneut an, hinter dem Wort Gesetz „und ihrem Gewissen" einzufügen, nahm dabei irrtümlich an, diese Formulierung sehe auch das GVG vor, siehe HA-Sten. Bericht, 38. Sitzung vom 20. 1. 1949, S. 481. 133 Becker (FDP), in: HA-Sten. Bericht, 25. Sitzung vom 9. 12. 1948, S. 297 sowie ders., in: 7. Sitzung Rechtspflegeausschuß, Stenoprot. S. 122 f. erklärte, daß unter Gesetz nicht ausschließlich der positive Gesetzestext, sondern das „Gesetz im höheren Sinne" bzw. das „Recht als solches" zu verstehen sei. Der Allgemeine Redaktionsausschuß meinte, wenn von Gesetzen gesprochen werden, seien darunter selbstverständlich „Gesetze im materiellen Sinne, also in jeder Form" zu verstehen, siehe Matz, in: JÖR N.F. 1 (1951), S. 717; Dehler, in: HA-Sten. Bericht, 38. Sitzung vom 13. 1. 1949, S. 481 war der Ansicht, es würde zu weit führen, das „große Problem der Gewissensgebundenheit des Richters" zu erörtern.

§ 3 Die Genese des Art. 20 Abs. 3 GG

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mungen hat der Parlamentarische Rat gesondert verhandelt und eine Diskrepanz zwischen ihnen dabei offenbar nicht bemerkt. 134 Aus der Entstehungsgeschichte des Art. 20 Abs. 3 GG kann folglich geschlossen werden, daß das Begriffspaar Gesetz und Recht nicht eine zufällig aufgegriffene, synonym verstandene Wendung darstellt. Da sich die Bedeutung des Ausdrucks Recht, vor allem im Hinblick auf einen möglichen naturrechtlichen Gehalt, aus den bisher ausgewerteten Materialien nicht ganz erschließen läßt, sind nunmehr über die engere Genese der beiden Vorschriften hinaus einschlägige Plenarreden zu untersuchen, die zur Klärung des Rechts- und Rechtsstaatsverständnisses des Parlamentarischen Rates beitragen könnten.

C. Das Rechtsstaatsverständnis des Parlamentarischen Rates Die ganz überwiegende Mehrheit der Delegierten im Parlamentarischen Rat, von denen nicht wenige über politische Erfahrungen in der Weimarer Zeit verfügten, war sich einig über Grundsatzfragen wie den demokratischen Charakter der neuen Ordnung, rechtsstaatliche Gewährleistungen und auch die Geltung einer überstaatlichen Wertordnung, wobei über deren weltanschauliche Bestimmung kein sehr weitreichender Konsens bestand.135 Die christlich-konservativen Kräfte bekannten sich dezidiert zu einem Naturrecht christlicher Prägung und setzten auf die Bindung der Verfassungsordnung an diese Werte. Süsterhenn, der prononcierte Vertreter eines neothomistischen katholischen Naturrechtsdenkens im Parlamentarischen Rat, faßte das neue Rechtsstaatsverständnis prägnant in den Worten zusammen, daß man sich „endgültig von dem Geiste des Rechtspositivismus abwenden (muß), wonach der in ordnungsmäßiger Form zustande gekommene staatliche Gesetzesbefehl immer Recht schafft ohne Rücksicht auf seinen sittlichen Inhalt. Es gibt, wie auch der Herr Kollege Schmid hervorhob, vor- und

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Zur Nichtaufnahme des Gewissens-Passus' in Art. 97 GG vgl. Zinn, Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, IX. Die Rechtsprechung. Anlage zum stenographischen Bericht der 9. Sitzung des PR am 6. Mai 1949, S. 48: „Damit wäre in dem Grundgesetz selbst das überaus schwierige Problem des Verhältnisses von positivem zu überpositivem ... Recht, das Problem von Recht und Gesetz in seiner Gesamtheit aufgerollt worden, ohne daß darauf gleichzeitig eine befriedigende Antwort hätte gegeben werden können. Andernfalls hätte ... die Frage aufgeworfen werden können, ob Sätzen des positiven Rechts etwa auch wegen eines ... Verstoßes gegen angebliche allgemein anerkannte Grundsätze ... der Moral die Gültigkeit abgesprochen werden könne". Hieraus wird klar ersichtlich, daß man die unterschiedlichen Formulierungen in Art. 20 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG offenbar nicht bedacht hat. 135 Dazu Reinhard Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes, in: HBStR I, 1987, § 6, Rn. 47 ff.; Volker Otto, Das Staatsverständnis des Parlamentarischen Rates, 1971, S. 58 ff., insbes. S. 62; Werner Sörgel, Konsensus und Interessen. Eine Studie zur Entstehung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland, 1969, S. 236 ff.; siehe auch BVerfGE 3, 225/233 f.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

überstaatliche Rechte, die sich aus der Natur und dem Wesen des Menschen ergeben". 136 Liberale und Sozialdemokraten hingegen meldeten vorsichtige Bedenken gegen die Wiederbelebung des Naturrechts und eine zu starke Verankerung des GG im Metaphysischen an, wenngleich sie nicht die Geltung vorstaatlichen Rechts grundsätzlich in Frage stellten. So empfand es Heuss (FDP) zwar als notwendig, sich vom Naturrecht her anregen zu lassen für die Überprüfung rechtlicher Normen, äußerte sich aber skeptisch gegenüber einem Rückgriff auf thomistisches Gedankengut. 137 Bei den Beratungen zur Präambel und der Diskussion um die Grundrechte als von Gott gegebene, im Naturrecht wurzelnde Rechte wurden die unterschiedlichen Auffassungen erneut deutlich. Während die Christdemokraten die Grundrechte explizit auf eine naturrechtliche Basis gestellt wissen wollten, warnten Abgeordnete von SPD und FDP vor einer zu starken theologischen Fundierung und einem Absolutsetzen des Naturrechts. 138 Von den Meinungsverschiedenheiten abgesehen verband die Abgeordneten im ganzen allerdings nach den Erfahrungen der Weimarer Zeit und des noch klar vor Augen stehenden NS-Gewaltregimes die gemeinsame Uberzeugung, daß das GG jedenfalls als materialer Rechtsstaat konstituiert werden müsse. Diese Vorstellung fand ihren Niederschlag wohl auch in Art. 20 Abs. 3 GG und spiegelt sich am klarsten in der dort statuierten Bindung an „Gesetz und Recht". 139 Die Vermutung wird gestützt durch die sicher noch der Genese des GG verpflichteten Ausführungen v. Mangoldts in seinem Grundgesetzkommentar von 1953. Die fortgesetzten Verstöße gegen den Rechtsstaatsgedanken in der NS-Zeit machten - so v. Mangoldt verständlich, daß im Gegensatz zur WRV auf eine ausdrückliche Festlegung der Rechtsstaatlichkeit Gewicht gelegt wurde. Die Formel Gesetz und Recht des Art. 20 Abs. 3 GG weise dabei auf die ewige Spannung zwischen den beiden Begriffen hin, die sich bis zum Widerspruch verdichten könne. 140 Gesetz und Recht wurden also 136 Süsterhenn in der 2. Sitzung des PR vom 8. 9. 1948, PR-Sten. Bericht, S. 20 f. Vgl. dazu Otto, Das Staatsverständnis, S. 60 ff., 198 ff. Zur Person Süsterhenns siehe Winfried Baumgart, Art. „Süsterhenn", in: Staatslexikon in 5 Bänden, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 5. Bd., 7. Aufl. 1989, Sp. 402 f. 137 Heuss in der 3. Sitzung des PR vom 9. 9. 1948, in: PR-Sten. Bericht, S. 40; dazu Otto, Das Staatsverständnis, S. 61 ff. 138 Siehe die Aussprachen zur Präambel in der 6. Sitzung des PR vom 20. 10. 1948, PRSten. Bericht, S. 69 ff. sowie die Beratungen zu Art. 1 GG, dazu Matz, in: JÖR N.F. 1 (1951), S. 48 ff. Wenig aufschlußreich ist hingegen die Genese des Art. 28 Abs. 1 GG, die zwar explizit den Begriff »Rechtsstaat* enthält. In einer früheren Fassung der Norm wurde zur Erläuterung des Rechtsstaatsbegriffs aber lediglich wiederum auf die Bestimmungen des Art. 20 GG und die im Abschnitt »Rechtspflege4 verwiesen, siehe Matz, in: JÖR N.F. 1 (1951), S. 250f. 139 Klaus Kröger, Einführung in die Verfassungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, 1993, S. 21, 25; Ebsen, Gesetzesbindung, S. 49; Friedrich Karl Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz, 1960, S. 186 f.; Stern, Staatsrecht I, S. 798. 140 y. Mangoldt, GG-Kommentar, 1953, Art. 20, Anm. 6, S. 139 f.; vgl. dazu Stern, Staatsrecht I, S. 798.

§ 3 Die Genese des Art. 20 Abs. 3 GG

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offenbar nicht als Synonyme verstanden. Mit dem dezidierten Rechtsstaatsbekenntnis sollte vielmehr zum Ausdruck gebracht werden, daß die Bundesrepublik nicht als bloß formaler Gesetzesstaat, sondern als wahrer Rechtsstaat angelegt und auf die Verwirklichung materieller Gerechtigkeit ausgerichtet ist. 1 4 1 Der Einfluß von westalliierter Seite auf die Beratung und Endfassung des Art. 20 Abs. 3 GG ist dabei eher als gering einzuschätzen, zumal dem angelsächsischen Rechtsdenken die Unterscheidung von Gesetz und Recht weniger geläufig ist. 1 4 2 Die im Frankfurter Dokument Nr. 1 von 1948 enthaltenen Richtlinien sind hinsichtlich der Ausgestaltung der Rechtsstaatlichkeit sehr allgemein gehalten.143 Spätere Interventionen der Alliierten während der Verfassungsberatungen betrafen, soweit ersichtlich, zwar Fragen des Richterstatus, nicht aber unmittelbar der Rechtsbindung der Staatsgewalt, so daß die Fassung des Art. 20 Abs. 3 GG eine genuin deutsche Schöpfung darstellt.

D. Die vor 1949 erlassenen Länderverfassungen Die meisten westdeutschen Länder hatten sich bereits bis September 1948 eine Verfassung gegeben, deren Entstehungsprozeß teilweise intensiv von den Besatzungsmächten begleitet wurde. 144 Die Länderverfassungen enthalten in ihren Grundentscheidungen Richtlinien, an denen sich der Parlamentarische Rat orientieren konnte und auch vielfach orientiert hat, und liefern insoweit Anhaltspunkte für die Auslegung des GG. 1 4 5 Sie stellen erste Versuche dar, sich mit den aus der Kritik an der WRV ergebenden Problemen auseinanderzusetzen und zu neuen, besser funktionierenden staatsrechtlichen Lösungen zu kommen. 146 Insoweit sind 141

Christian-Friedrich Menger, Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 8. Aufl., 1993, Rn. 417; A. Kaufmann, Gesetz und Recht, in: FS-Ε. Wolf, S. 357/360; vgl. Dieter Grimm, Das Grundgesetz nach 40 Jahren, in: NJW 1989, S. 1305/1307; Fromme, Bonner Grundgesetz, S. 187. 142 Siehe Gerhard Ehrlich, Einfluß des angelsächsischen Verfassungsdenkens auf die Entstehung des Grundgesetzes, in: Klaus Stern (Hrsg.), 40 Jahre Grundgesetz, 1990, S. 23/25. 143 Die Frankfurter Dokumente sind abgedruckt in: Der Parlamentarische Rat, Bd. 1, S. 30ff.; zum Einfluß der Alliierten auf die GG-Beratungen siehe Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes, in: HBStR I, § 6, Rn. 52f., 76ff.; Bodo Pieroth, Amerikanischer Verfassungsexport nach Deutschland, in: NJW 1989, S. 1333/1336 f. 144

Ausnahmen bildeten Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Berlin; dazu Stolleis, Besatzungsherrschaft und Wiederaufbau deutscher Staatlichkeit, in: HBStR I, § 5, Rn. 43ff.; Diestelkamp, Die Verfassungsentwicklung, in: NJW 1989, S. 1312/ 1316 ff. 145 Karl Dietrich Erdmann, in: Bruno Gebhardt, Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd. 4/2, 9. Aufl., 1976, S. 717; Diestelkamp, Die Verfassungsentwicklung, in: NJW 1989, S. 1312/1318; Volker Schockenhoff, Wirtschaftsverfassung und Grundgesetz, 1986, S. 21 f.; Der Parlamentarische Rat, Band 5/1, Einl. S. XXI. 14 6 Wolf gang Zeidler, Auswirkungen der westdeutschen Länderverfassungen auf das Bonner Grundgesetz, 1950, S. 4 f.; Fromme, Bonner Grundgesetz, S. 22.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

sie eine Art Filter, durch den die Erfahrungen der späten Weimarer Republik und der NS-Zeit für den Parlamentarischen Rat gegangen sind. 147 Eine Bindung der Staatsgewalt an Gesetz und Recht findet sich in den Landesverfassungen nicht explizit. Diese besondere Formulierung ist erst in den Beratungen zum GG aufgekommen. Aus den Landesverfassungen lassen sich allerdings Aufschlüsse über das zugrundeliegende Gesetzes- und Rechtsverständnis gewinnen. Unter den Verfassungen ragt, was das Bekennntnis zum Naturrecht angeht, die maßgeblich von Süsterhenn geprägte Verfassung von Rheinland-Pfalz heraus. Sie erteilt einer positivistischen Gleichsetzung von Gesetz und Recht eine deutliche Absage und öffnet sich am weitgehendsten dem christlich-naturrechtlichen Denken. 148 Dies kommt in der Präambel zum Vorschein, die Gott als den Urgrund des Rechts bezeichnet, des weiteren vor allem in der expliziten Verwendung der Begriffe naturrechtlich, natürliches Recht bzw. Sittengesetz in Art. 1 sowie der Gewissensunterwerfung der Richter gem. Art. 121 der Verfassung. 149 Die starke naturrechtliche Fundierung der rheinland-pfälzischen Verfassung ist als be wußte Reaktion auf die NS-Gewaltherrschaft zu verstehen. 150 In den anderen Landesverfassungen ist der Naturrechtsgedanke auch, allerdings in weit geringerem Maße, zum Durchbruch gelangt, so ζ. B. in dem Bekenntnis zu den Grundsätzen des christlichen Sittengesetzes und der Bindung der Staatsgewalt an die Gebote der Sittlichkeit und Menschlichkeit. 151 Hier wirkten gleichfalls spätere Delegierte des Parlamentarischen Rates mit, so C. Schmid an der Entstehung der Verfassung von Württemberg-Baden und Nawiasky in Bayern. Diese nahmen allerdings eine vorsichtigere Haltung gegenüber Naturrechtsvorstellungen ein als Süsterhenn, was sich auch in den Landesverfassungstexten niedergeschlagen hat. 1 5 2 Es bestand ins-

147

Fromme, Bonner Grundgesetz, S. 22. Siehe Hellmut Georg Isele, Naturrechtsgedanken in der Verfassung für RheinlandPfalz, in: Kultur und Wirtschaft im Rheinischen Raum. FS-Christian Eckert, 1949, S. 181 ff.; Bengt Beutler, Das Staatsbild in den Länderverfassungen nach 1945, 1973, S. 106 ff.; zur skeptischen Haltung der SPD gegenüber einem unwandelbaren Naturrecht und Sittengesetz in den Verfassungsberatungen siehe Winfried Baumgart, Voraussetzungen und Wesen der rheinland-pfälzischen Verfassung, in: Die Entstehung der Verfassung für Rheinland-Pfalz, bearbeitet von Helmut Klaas, 1978, S. 1 / 24 ff. 149 Siehe Süsterhenn/Schäfer, Kommentar der Verfassung für Rheinland-Pfalz, Einl., S. 23 u. Art. 1 Anm. 1 ff., Art. 121 Anm. 4. 150 Baumgart, Voraussetzungen und Wesen der rheinland-pfälzischen Verfassung, in: Die Entstehung der Verfassung für Rheinland-Pfalz, S. 1/25. 151 Präambel und Art. 1 der Badischen Verfassung (1947); Art. 1 Verfassung der Freien Hansestadt Bremen (1947); vgl. Präambel und Art. 124 Abs. 1 der Bayrischen Verfassung (1946); dazu Süsterhenn, Der Durchbruch des Naturrechts in der deutschen Verfassungsgesetzgebung nach 1945, in: Gegenwartsprobleme des Rechts, 1950, S. 43/47 ff.; eingehend zu den Verfassungsberatungen in den einzelnen Ländern Beutler, Das Staatsbild in den Länderverfassungen, S. 55 ff. 148

152 Siehe Eduard Schmidt, Staatsgründung und Verfassungsgebung in Bayern, 1993, S. 137 ff., 244 ff., 377 f.; Hans F. Zacher, Hans Nawiasky - ein Leben für Bundesstaat,

§ 3 Die Genese des Art. 20 Abs. 3 GG

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gesamt zwischen den Verfassungsberatungen in den Ländern und den Grundgesetzberatungen eine hohe personelle Kontinuität. Die Durchsicht der vor 1949 erlassenen Länderverfassungen zeigt, daß die Verfassunggeber meist bewußt Raum für ein den positiven Gesetzen übergeordnetes Recht, ein wohl an christliche Traditionen anknüpfendes Naturrecht geben wollten. 153 Der Parlamentarische Rat hat davon einiges bewahrt, sich aber wesentlich zurückhaltender gegenüber einer ausdrücklichen Verankerung des Naturrechtsgedankens im Text des GG gezeigt. 154 Aus der Analyse der Grundgesetzgenese und vor dem Hintergrund der Länderverfassungen kann gefolgert werden, daß der Parlamentarische Rat die Wendung Gesetz und Recht bewußt in das GG aufgenommen und die Begriffe nicht als identische Größen aufgefaßt hat. Der Ausdruck Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG läßt sich dabei aus den Gesetzesmaterialien in seinem Bedeutungsgehalt zwar nicht vollständig entschlüsseln. Aus entstehungsgeschichtlicher Perspektive verbietet sich aber jedenfalls eine schlichte Reduktion des Begriffspaars Gesetz und Recht auf den Gesetzesbegriff. 155 Die kurz nach Inkrafttreten des GG erlassenen Landesverfassungen haben überwiegend eine parallel zu Art. 20 Abs. 3 GG formulierte Staatszielbestimmung in ihre Verfassungstexte aufgenommen und damit auch die Bindungsformel Gesetz und Recht. 156 Ebenso ist die Wendung nach der Wiedervereinigung Deutschlands in den Verfassungen der fünf neuen Bundesländer aufgegriffen worden. 157 Schließlich sind noch die in der sowjetischen Besatzungszone 1946/47 verabschiedeten Landesverfassungen in die Untersuchung einzubeziehen. Ihnen lag ein einheitlicher Verfassungsentwurf der SED zugrunde, der sich an der WRV Rechtsstaat und Demokratie, in: Festgabe für Theodor Maunz, hrsg. von Hans Spanner (u. a.), 1971, S. 477/493 ff. 153 Vgl. Süsterhenn, Der Durchbruch des Naturrechts, S. 46. 154 In Art. 1 Abs. 2 GG wird ein Bekenntnis zu den „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage ... der Gerechtigkeit in der Welt" abgelegt. Art. 2 Abs. 1 GG bezieht sich auf das „Sittengesetz" und Art. 6 Abs. 2 GG auf das „natürliche Recht" der Eltern. Im übrigen weist das GG wenig naturrechtlichen Bezug auf. 155 So auch Maihofer, Bindung des Richters, in: Annales UniveFsitatis Saraviensis, Vol. VIII (1960), S. 5/12; Ebsen, Gesetzesbindung, S. 49; Zajadlo, Überwindung des Rechtspositivismus, in: Der Staat 26 (1987), S. 207/218ff. 156 Art. 25 Abs. 2 Verfassung Baden-Württemberg (1953), dazu Rudolf Spreng/Willi Birn/Paul Feuchte, Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg. Kommentar, 1954, Art. 25, Anm. 4: „Im Grunde regelt Art. 25 I I LV, der dem Art. 20 III GG entspricht, Selbstverständlichkeiten, deren Betonung aus dem Wunsch zu erklären ist, die mit einem autoritären Regiment verknüpften Gefahren abzuwehren"; Art. 2 Abs. 2 Niedersächsische Verfassung (1951); Art. 36 Abs. 1, 38 Abs. 1 Landessatzung für Schleswig-Holstein (1949). Hingegen findet sich in der Verfassung von Berlin vom 1. 9. 1950 keine parallele Bestimmung zu Art. 20 Abs. 3 GG, im Abschnitt über die Rechtspflege sind vielmehr in Art. 63 ähnlich wie Art. 97 Abs. 1 GG nur dem Gesetz unterworfene Gerichte vorgesehen und darüber hinaus wird in Art. 64 nochmals statuiert, daß die Richter an die Gesetze gebunden sind.

157 Siehe dazu § 16 A.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

orientierte. Die Landesverfassungen sahen dementsprechend in Wiederholung des Art. 102 WRV vor, daß die Richter nur dem Gesetz unterworfen sind. 158 Darüber hinaus enthielten sie die Bestimmung, daß die Rechtsprechung „nach Maßgabe der Gesetze ... im Sinne sozialer Gerechtigkeit" ausgeübt wird. 1 5 9 Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit, der auch in der Präambel der Verfassung der DDR von 1949 verwendet wird, war dabei mit den Vorstellungen des dialektischen und historischen Materialismus verknüpft. 160 Die Verfassung der DDR von 1949 regelt im Abschnitt über die Rechtspflege, daß die Richter unabhängig und nur der Verfassung, den Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften der Deutschen Demokratischen Republik unterworfen sind (Art. 127). 161 Dasselbe sehen die novellierten Verfassungen der DDR von 1968 und 1974 im Abschnitt über „Sozialistische Gesetzlichkeit und Rechtspflege" vor (Art. 96). Die Unabhängigkeit im Sinne der Vorschriften bedeutet lediglich Unabhängigkeit im Rahmen der sozialistischen Gesellschafts- und Staatsordnung. Die sozialistische Gesetzlichkeit, auf die die Verfassungen von 1968 und 1974 abheben, definiert als dialektische Einheit von strikter Einhaltung der Gesetze und der Parteilichkeit ihrer Anwendung, ist das Prinzip, nach dem Recht angewendet wird. 1 6 2 Nach der novellierten Verfassung der DDR ist die sozialistische Gerechtigkeit bereits verwirklicht, die Verfassung trifft nur noch eine Aussage über den erreichten Zustand der Gesellschaft, die nun den Gesetzmäßigkeiten folgt. Ein Auseinanderfallen von Gesetz und Recht in Form einer Divergenz zwischen positivem Recht und natur- bzw. vernunftrechtlichen Normen ist dem sozialistischen Rechtsdenken fremd. Im Verständnis dieses Rechtskreises sind die Gerichte an das Gesetz, nicht aber auch an ein Recht im Sinne präpositiver Rechtsideen gebunden163. Insoweit erscheint verständlich, daß eine richterliche Bindung an Gesetz und Recht, wie sie das GG vorsieht, im Rahmen der Verfassung der DDR nicht normiert wurde.

158

Art. 38 Verfassung für die Mark Brandenburg (1947), Art. 61 Demokratische Verfassung für Mecklenburg-Vorpommern (1947), Art. 61 Verfassung des Landes Sachsen (1947), Art. 61 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt (1947), Art. 44 Verfassung des Landes Thüringen (1946). Zur Entstehung dieser Verfassungen Siegfried Mampel, Die Entwicklung der Verfassungsordnung in der Sowjetzone Deutschlands von 1945-1963, in: JÖR N.F. 13 (1964), S. 455/504 ff. 159

Art. 40 Verfassung Mark Brandenburg, Art. 61 Verfassung Mecklenburg-Vorpommern, Art. 62 Abs. 1 Verfassung Sachsen, Art. 64 Verfassung Sachsen-Anhalt; Art. 47 Abs. 1 Verfassung Thüringen; dazu Mampel t Verfassungsordnung in der Sowjetzone Deutschlands, in: JÖR N.F. 13 (1964), S. 455/504ff. 160 Siehe Mampel, Die Verfassung der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Text und Kommentar, 1962, Erl. 4 zur Präambel. 161 Dazu Mampel Die Verfassung der sowjetischen Besatzungszone, Erl. zu Art. 127. 162 Dazu Mampel, Die Verfassung der sowjetischen Besatzungszone, Art. 127, Anm. 2. 163 Valentin Petev, Rechtsfindung und Bindungen des Richters im sozialistischen Rechtskreis, in: Recht und Gesellschaft. FS-Schelsky, hrsg. von Friedrich Kaulbach und Werner Krawietz, 1978, S. 391/397; Imre Szabó, Marxismus und Menschenrechte, in: ARSP 65 (1979), S. 503ff., insbes. S. 510ff.

§ 4 Die Rechtsprechung des BVerfG seit 1950

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§ 4 Das Verhältnis von Gesetz und Recht in der Rechtsprechung des BVerfG seit 1950 In die geschichtliche Betrachtung ist über das Rechtsverständnis im Zeitpunkt der Normgenese hinaus ein späterer Bedeutungswandel der Vorschrift einzubeziehen. Daher ist zu untersuchen, wie die Bindung an das Recht seit der Entstehung des GG in der höchstrichterlichen Judikatur und im Schrifttum verstanden wurde. Hierbei soll zunächst die Rechtsprechung des BVerfG seit den fünfziger Jahren thematisiert werden. Eine Sichtung des einschlägigen Entscheidungsmaterials ergibt, daß die Frage nach der Beziehung zwischen Gesetz und Recht in der Judikatur des BVerfG hauptsächlich in drei Konstellationen bedeutsam wurde. Zum einen wurde die Fragestellung bei der Auseinandersetzung mit NS-Unrechtsakten relevant und betraf damit eine Ausnahmelage. Derartige Judikate konzentrieren sich zeitlich gesehen auf die Anfangsphase der Tätigkeit des BVerfG. 164 Hierbei nimmt die Rezeption der Radbruchschen Formel eine nicht unbedeutende Rolle ein. Art. 20 Abs. 3 GG findet in den Entscheidungen zwar nicht explizit Erwähnung, die Ausführungen des Gerichts bringen aber zum Vorschein, wie es die Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht auslegt. Insofern ist eine Einbeziehung dieser Entscheidungen in die vorliegende Untersuchung gerechtfertigt und notwendig. Zum anderen erörterte das BVerfG das Verhältnis von Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG vor dem Hintergrund der Problematik richterlicher Rechtsfortbildung. Diese Konstellation zielt nicht lediglich auf verfassungsrechtliche Ausnahmesituationen ab, sie ist vielmehr in der Normallage des demokratischen Rechtsstaats von Relevanz. 165 Das BVerfG hat schließlich im Kontext des Problems des verfassungswidrigen Verfassungsrechts darüber hinaus zu den Bindungsmaßstäben des Verfassunggebers Stellung genommen und dabei die Radbruchsche Formel rezipiert. 166 Für die vorliegende Untersuchung ist die Problematik des NS-Unrechts und der richterlichen Rechtsfortbildung von besonderer Relevanz. Im folgenden soll anhand ausgewählter Entscheidungen zu diesen zwei Themen das Rechtsverständnis des BVerfG herausgearbeitet werden.

164 ζ . B. BVerfGE 3, 58 - Beamtenurteil - ; 3, 288 - Soldatenurteil - ; 6, 132 - GestapoBeschluß - ; 6, 389 - Homosexualität - . 165 BVerfGE 34, 269/286ff.; 65, 182/190f. Alexy, Begriff und Geltung, S. 18ff. untersucht die praktische Bedeutung des Streits um den Rechtsbegriff anhand jeweils einer Entscheidung des BVerfG zum gesetzlichen Unrecht und zur Rechtsfortbildung. 166 Z. B. BVerfGE 1, 14 - Südweststaat - ; 3, 225 - Gleichberechtigung - ; 4, 294 - Beamtenruhestand -; Gerhard Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip. Uber den Begriff der Gerechtigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1980, S. 26, nennt als weiteren Problemkreis zur Frage von Recht und Gerechtigkeit die Judikatur zum Willkürverbot.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

A. Die Ausnahmekonstellation: Die Auseinandersetzung mit NS-Normen Während der in der juristischen Praxis zugrundegelegte Rechtsbegriff im allgemeinen als selbstverständlich erscheint und nicht weiter hinterfragt wird, tritt er in ungewöhnlichen Fällen zum Vorschein und wird zu einem drängenden Problem. 167 Derartige Fallkonstellationen tauchten gehäuft in der anfänglichen Judikatur des BVerfG im Zusammenhang mit der Überprüfung von NS-Rechtsvorschriften auf. Aus der Vielzahl der frühen Entscheidungen soll exemplarisch das sog. Beamtenurteil des Ersten Senats von 1953 168 herausgegriffen und unter dem Aspekt des zugrundeliegenden Gesetzes- und Rechtsbegriffs analysiert werden. Der GestapoBeschluß von 1957 (BVerfGE 6, 132-222), in dem der Senat seine im Beamtenurteil vertretene Rechtsauffassung gegen die Kritiken - insbesondere die des BGH verteidigt hat, ist dabei ergänzend einzubeziehen. Um mögliche Entwicklungslinien in der Judikatur zu verfolgen, wird zusätzlich eine relativ späte Entscheidung, der Staatsangehörigkeitsbeschluß des Zweiten Senats von 1968 (BVerfGE 23,98-113) herangezogen, in dem das BVerfG zum ersten Mal eine NS-Vorschrift für nichtig erklärt hat. I. Der realistisch-positivistische Ansatz des Ersten Senats (BVerfGE 3,58 - Beamtenurteil)

Im Beamtenurteil erhoben die Beschwerdeführer - größtenteils Beamte, die nach dem Zusammenbruch des NS-Systems keine Wiederverwendung im Beamtenverhältnis mehr gefunden hatten - Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zu Art. 131 GG (sog. G 131), das abweichende Regelungen vom allgemeinen Beamtenrecht enthielt. Das Gesetz entziehe ihnen ihre unverändert gebliebenen Beamtenrechte und verletzte sie dadurch in ihren Grundrechten. Kernpunkt der Entscheidung war die Frage, ob die in der NS-Zeit begründeten bzw. bereits bestehenden Beamtenverhältnisse über den Zeitpunkt des 8. Mai 1945 hinaus unverändert fortbestanden haben oder erloschen sind. Nach Ansicht des BVerfG hat das NS-Beamtentum, das nur auf den NS-Staat und seine Ideologie zugeschnitten war, mit dem Zusammenbruch des Systems seine rechtliche Grundlage verloren und sind infolgedessen alle Beamten Verhältnisse am 8. Mai 1945 automatisch erloschen. Darüber hinaus wirft der Erste Senat die hier interessierende und auch entscheidungsrelevante Frage auf, ob die NS-Beamtengesetze169 und die darauf basierenden 167 Vgl. Alexy, Begriff und Geltung, S. 18. 168 BVerfGE 3, 58. Das Urteil ist grundlegend in der Reihe der umfangreichen Judikatur zum Gesetz zu Art. 131 GG. Mit dem Beamtenurteil ergingen am 17. 12. 1953 fünf weitere G 131-Urteile und das sog. Soldatenurteil (BVerfGE 3, 288); zur G 131-Rechtsprechung und den Kritiken eingehend Michael Kirn, Verfassungsumsturz oder Rechtskontinuität?, 1972. 169 Gemeint sind vor allem das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4. 1933 (RGBl. I S. 175), das Beamtenrechtsänderungsgesetz vom 30. 6. 1933 (RGBl. IS. 433) und das Deutsche Beamtengesetz vom 26. 1. 1937 (RGBl. I S. 39).

§ 4 Die Rechtsprechung des BVerfG seit 1950

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Rechtsverhältnisse sogar als von Anfang an nichtig und damit als rechtlich nicht vorhanden zu betrachten seien, was er im Ergebnis verneint. Nach Auffassung des Ersten Senats haben die NS-Beamtengesetze, obschon sie zu einer tiefgreifenden Umgestaltung der Beamtenverhältnisse führten, die in schärfstem Widerspruch zum rechtsstaatlichen Begriff des Beamtentums stand, Geltung erlangt und können nicht ex post als nichtig angesehen werden. 170 In den Entscheidungsgründen stützt das Gericht sich in erster Linie auf das Argument der Rechtssicherheit. Diese wird gewährleistet durch zwei Kriterien, das ordnungsgemäße Zustandekommen der Normen und ihre soziale Wirksamkeit.

1. Ordnungsgemäße Setzung der NS-Beamtengesetze

Eine erste notwendige Geltungsbedingung des positiven Rechts bildet nach Auffassung des BVerfG die Setzung der Normen im ordnungsgemäßen, den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Verfahren. Insoweit komme auch den formell ordnungsgemäß erlassenen NS-Gesetzen eine gewisse Geltungsvermutung zu. Allerdings bestehen gegen die aufgrund des sog. Ermächtigungsgesetzes 171 erlassenen NS-Beamtengesetze bereits unter dem bloßen formellen Aspekt insofern Einwände, als das Verfahren nur von den verfassungsrechtlichen Grundlagen her, die sich das „Dritte Reich" selbst geschaffen hatte, als ordnungsgemäß bezeichnet werden kann. So stellt der Senat im Gestapo-Beschluß klar, er habe nicht übersehen, daß das Ermächtigungsgesetz selbst als formelle Grundlage der Regierungsgesetzgebung schwersten Wirksamkeitsbedenken - gemessen an der WRV - unterliegt. 172 Daraus folgert er mit Recht allerdings nicht generell die Nichtigkeit der auf dieser Grundlage erlassenen Gesetze. Die Tatsache, daß das Verfahren nach dem Ermächtigungsgesetz seinem Ursprung nach nicht legitim ist, schließt nicht von vornherein die Möglichkeit der Entstehung gültigen Rechts aus. 173 Das Kriterium des ordnungsgemäßen Zustandekommens meint also ledig170 BVerfGE 3, 58/118 ff. 171 „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" vom 24. 03. 1933, RGBl. I S. 141; zur Frage der Legalität und Legitimität des Gesetzes siehe Ulrich Matthée, Die Legalität des Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933 und die Schranke der Verfassungsrevision in der Weimarer Verfassung, Diss. 1971, der zu dem Schluß kommt, daß das Gesetz formell ordnungsgemäß zustandegekommen ist; Jörg Biesemann, Das Ermächtigungsgesetz als Grundlage der Gesetzgebung im nationalsozialistischen Staat. Ein Beitrag zur Stellung des Gesetzes in der Verfassungsgeschichte 1919-1945, 3. Aufl. 1988, insbes. S. 283 ff.; Elmar Wadle, Das Ermächtigungsgesetz. Eine Erinnerung, in: JuS 1983, 170/174ff. hingegen will - u. a. wegen der Bedrohung der Abgeordneten bei der Abstimmung - das Zustandekommen des Gesetzes als nicht „legal" einstufen. 172 BVerfGE 6, 132/198; nach Ansicht des Zweiten Senats (BVerfGE 6, 309/331 Reichskonkordat) ist das Ermächtigungsgesetz sogar, gemessen an der WRV, ungültig. Vgl. Matthée, Legalität des Ermächtigungsgesetzes, S. 33 ff. 173 BVerfGE 6, 132/199; 6, 389/414f.; 28, 119/139; a. A. OLG Tübingen, DRZ 1948, 141 und Adolf Arndt, Zur Rechtsgültigkeit nationalsozialistischer Gesetze, in: DRZ 1948,

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

lieh die Übereinstimmung mit den selbstgeschaffenen Verfahrensgrundlagen, die innere formelle Widerspruchsfreiheit und setzt einen Riickbezug des bestehenden Systems auf sich selbst. 174 Damit verschafft der bloße Setzungsakt einer Norm ein gewisses Maß an Geltungskraft, das bei einem als demokratisch zu qualifizierenden Entstehungsprozeß verhältnismäßig groß sein wird. 1 7 5 Im Fall der ihrem Ursprung nach totalitären NS-Beamtengesetzgebung ist die Legitimationskraft des Setzungsprozesses eher als gering einzustufen. Daher stellt der Senat entscheidend auf das weitere Kriterium der soziologischen Geltungskraft der Normen ab.

2. Die „soziologische " Rechtsgeltungslehre

Der Erste Senat des BVerfG differenziert zwischen zwei Rechtsgeltungsbegriffen, der Geltung im „höheren, philosophischen Sinne" und der „soziologischen", die zutreffender soziale Geltung heißen müßte 176 . Daß Normen, wie ζ. B. die NSBeamtengesetze, möglicherweise kein „wirkliches Recht" oder im philosophischen Sinne „Unrecht" darstellten, sei für die Geltungsfrage nicht von Belang. Der Senat dürfte dabei unter wirklichem, höherem Recht einen stark moralisch aufgeladenen Rechtsbegriff verstanden haben. 177 Der Auffassung, daß eine Übereinstimmung des positiven Rechts mit höherem Recht für die Geltung nicht von Relevanz ist, kann allerdings nur insoweit zugestimmt werden, als damit keine vollständige Deckung des Rechts mit der Moral gefordert wird, Moraldefizite geringeren Ausmaßes also nicht schlechthin zur Nichtigkeit positiven Rechts führen. Maßgeblich ist für den Senat die soziologische Normgeltung, die dem Begriffe nach auf den Rechtssoziologen Max Weber, im weiteren Sinne auch auf Georg Jellinek und Rudolph v. Ihering zurückgeht. Nach Weber beruht die „empirische" oder „soziologische" Geltung einer Norm, die er von der juristischen oder „idealen" Geltung unterscheidet, auf der Anerkennung durch die Rechtsgemeinschaft, womit die „Durchschnittschance" des tatsächlichen Befolgtwerdens gleich aus welchen Motiven gemeint ist. 1 7 8 Der Erste Senat geht offensichtlich von einer 240, die vertreten, daß auf der Grundlage des Ermächtigungsgesetzes generell keine gültigen Gesetze entstehen konnten. 174 Vgl. Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, S. 32. 175 Denninger, Menschenrechte und positives Recht, in: JZ 1987, S. 227/229; vgl. Laage, Auseinandersetzung, in: KJ 22 (1989), S. 409/412. 176 BVerfGE 3, 58/118 f. Zur sozialen Geltung s. Lewald, Anm. zum Beamtenurteil, in: NJW 1954, S. 1274/1275 Fn. 10; R. Dreier, Recht und Moral, in: Recht-Moral-Ideologie, S. 180/194; Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 1994, S. 299. 177 Siehe BVerfGE 6, 132/168 f. „Diesen Zwang (der Beamten zur Treue gegenüber einer bestimmten parteipolitischen Auffassung) mag man moralisch verwerfen; er ist aber nicht an sich schon Unrecht". 17 8 Max Weber, Rechtssoziologie, hrsg. von Johannes Winckelmann, 1960, S. 53 ff.; ders., Wirtschaft und Gesellschaft, 1. Halbbd., 1956, S. 181 ff.; vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 176 ff.

§ 4 Die Rechtsprechung des BVerfG seit 1950

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solchen empirischen Betrachtungsweise aus, wenn er die Rechtsgeltung im philosophischen Sinne als eine „höchst unrealistische Betrachtungsweise" ansieht. Die NS-Beamtengesetze hält er für sozial wirksam, da sie „von der Rechtsgemeinschaft hingenommen worden sind (von den unmittelbar Betroffenen weithin sogar mit innerer Zustimmung) und jahrelang unangefochten bestanden"179 haben. Soziale Geltung kann zum einen auf Zwang und bloßer faktischer Durchsetzbarkeit, zum anderen auf Anerkennung basieren. So unterscheidet Radbruch beispielsweise zwischen Macht- und Anerkennungstheorien, wobei im Rahmen seiner Formel bereits das „durch Satzung und Macht gesicherte Recht" Rechtssicherheit verbürgt. 180 Nach Ansicht des Senats gründet sich die soziale Wirksamkeit der Beamtengesetze nicht allein auf zwangsweise Durchsetzung, sondern auf die Befolgung und Anerkennung durch die Normadressaten und ihre gerichtliche Anwendung. Dadurch sieht das BVerfG die NS-Beamten nicht einseitig in der Rolle der bloßen Regimeopfer. Die Theorie von der soziologischen Rechtsgeltung setzt der Senat offenbar als dogmatisches Instrument ein, um Moraldefizite einer Norm jedenfalls bis zu einem gewissen Grade zu kompensieren. 181

3. Der Einfluß des Richters Drath auf den Urteilstopos der soziologischen Rechtsgeltung

Der im Beamtenurteil verwendete Topos der soziologischen Geltung ist vermutlich dem Einfluß des Bundesverfassungsrichters Martin Drath (1902-1976) zuzuschreiben. 182 In der 1952 erschienenen Festschrift für Rudolf Smend vertritt Drath den Standpunkt, daß das positive Recht als ein sozio-kulturelles Phänomen ohne außerrechtliche, soziale Bezüge nicht vollständig erfaßbar ist und plädiert für die Uberwindung eines rein rechtsimmanenten Denkens durch eine - vor allem an Weber orientierte - soziologische Sichtweise.183 Rechtsanwendung und Rechtswissenschaft haben danach einen gesellschaftlichen Standort, aus dem heraus sich der Geltungsgrund des Rechts und die Vorstellung vom Gerechten ergebe. Die Rechtsordnung müsse als eine besondere, Rechtssicherheit begründende Art gesellschaftlicher Ordnung erkannt werden, ihre „soziale Wirksamkeit" beruhe auf der „Chance" der Normbefolgung bzw. Durchsetzung. Die spezifische Verbindlichkeit des Rechts kann, so Drath, aufgrund seiner „Gesellschafts-Immanenz" nur aus dem sozialen Sinn, d. h. mittels soziologischen Denkens, verstanden und erklärt werden. 184 179 BVerfGE 3, 59/119. 180 Radbruch, Gesetzliches Unrecht, in: SJZ 1946, S. 105/107. Zum Begriff der sozialen Geltung Thomas Raiser, Rechtssoziologie, S. 252 ff.; Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 299. 181 Vgl. Schumacher, Rezeption, S. 78. 182 So auch Ernst Kern, Probleme der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes gemäß Artikel 131 GG, in: DVBl. 1954, S. 211/218; Kirn, Verfassungsumsturz, S. 181, Fn. 65. 183 Martin Drath, Zur Soziallehre und Rechtslehre vom Staat, ihren Gebieten und Methoden, in: FS-Rudolf Smend, 1952, S. 41 /44ff. 5 Hoffmann

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

Die wahrscheinlich von Drath beeinflußten Urteilspassagen, die die soziologische Geltungskraft des Rechts betonen, verleihen dem Beamtenurteil ein auf den ersten Blick positivistisches Gepräge. Sie haben überdies zu Mißverständnissen Anlaß gegeben. Das BVerfG beabsichtigte nicht, mittels des Topos auch offensichtliches gesetzliches Unrecht zu legitimieren, sondern suchte über diese Brücke lediglich geringe Moraldefizite einer Norm auszugleichen. Daß die soziologische Geltungskraft bei krassem Unrecht ihre Grenzen findet, hat das Gericht im Gestapo-Beschluß klarzustellen versucht. 185 Die vom Ersten Senat vertretene These der sozialen Rechtsgeltung ist nicht zuletzt wegen ihrer starken Hervorhebung im Beamtenurteil und der dadurch etwas merkwürdig anmutenden Argumentation überwiegend auf Kritik gestoßen.186 So hat sich insbesondere der Zweite Senat mit Grund diese These nicht zu eigen gemacht.

4. Ablehnende Haltung des Zweiten Senats gegenüber der soziologischen Geltungslehre (BVerfGE 23, 98 - Staatsangehörigkeitsbeschluß)

Dem Staatsangehörigkeitsbeschluß von 1968 lag eine Verfassungsbeschwerde gegen Zivilurteile zugrunde, die eine Erbscheinerteilung versagten, weil der Erblasser - ein während der NS-Zeit ausgewanderter Jude - gem. § 2 der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. 11. 1941 die deutsche Staatsangehörigkeit verloren habe und daher nicht nach deutschem Recht zu beerben sei. Auch hatte der Erblasser, da vermutlich vor Kriegsende verstorben, von den Möglichkeiten des Art. 116 Abs. 2 GG zur Wiedererlangung der deutschen Staatsangehörigkeit keinen Gebrauch gemacht. Der Zweite Senat des BVerfG gelangte bei der inzidenten Uberprüfung der NS-Verordnung zu der Auffassung, daß diese niemals gültiges Recht war. 187 Im Staatsangehörigkeitsbeschluß des Zweiten Senats von 1968 klingt deutliche Zurückhaltung gegenüber der vom Ersten Senat verfochtenen soziologischen Rechstgeltungslehre an. Zwar können, so der Zweite Senat, die durch das gesetz184 Drath, Grund und Grenzen der Verbindlichkeit des Rechts, 1963, S. 24f., 39f.; ders., Über eine kohärente sozio-kulturelle Theorie des Staats und des Rechts, in: FS-Gerhard Leibholz, Bd. 1, 1966, S. 35/60 ff. iss BVerfGE 6, 132/199. 186 Siehe Β GHZ 13, 265/298; Ernst Forsthoff, Bundesverfassungsgericht und Berufsbeamtentum, in: DVB1. 1954, S. 68/71; Kern, Probleme der Rechtsprechung des BVerfG, S. 218; dem BVerfG zustimmend Otto Bachof Das Bundesverfassungsgericht und die Beamtenverhältnisse, in: DOV 1954, S. 33/34. Auf die - teilweise unberechtigte - Kritik geht BVerfGE 6, 132/142, 147 kurz ein. 187 BVerfGE 23, 98/105 ff. In BVerfGE 54, 53 m. Sondervotum von F. v. Schlabrendorff - 2. Staatsangehörigkeitsbeschluß - ist gleichfalls ein NS-Rassegesetz für ungültig erklärt worden. Der Beschluß ist allerdings wegen seiner positivistischen Auslegung des Art. 116 Abs. 2 GG auf Kritik gestoßen; dazu Schumacher, Rezeption, S. 90.

§ 4 Die Rechtsprechung des BVerfG seit 1950

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liehe Unrecht der NS-Zeit geschaffenen Fakten, wie die Ausbürgerung von Juden nicht nachträglich beseitigt werden. Der Zweite Senat fügt aber, nachdem er die NS-Verordnung am Maßstab der Radbruchschen Formel für nichtig erklärt, unmißverständlich hinzu, die Norm sei auch nicht dadurch wirksam geworden, daß sie „über einige Jahre hinweg praktiziert worden ist" oder die Betroffenen sich mit den darauf basierenden NS-Maßnahmen „abgefunden oder gar einverstanden erklärt haben". 188 Er bedient sich damit der klassisch nichtpositivistischen Argumentation, daß die Rechtsgeltung sich nicht auf bloße Faktizität gründen kann und offenbares Unrecht auch nicht durch jahrelange Anwendung und Befolgung zu Recht wird. Hierin zeigt der Zweite Senat eine vorsichtige Skepsis gegenüber der vom Ersten Senat vertretenen soziologischen Geltungslehre, ohne sich allerdings von ihr ausdrücklich zu distanzieren. Er stellt nachdrücklich klar, daß der These der soziologischen Geltungskraft Grenzen gesetzt sind, was eigens in einen Leitsatz des Beschlusses aufgenommen ist. Hierin kann eine Abwendung des Zweiten Senats von einer realistisch-positivistischen Betrachtungsweise gesehen werden, die die Anerkennungswürdigkeit einer Norm weitgehend unberücksichtigt läßt. Die vorsichtige Haltung gegenüber der soziologischen Geltungsthese dürfte maßgeblich auf die Senatsrichter Geiger und Leibholz zurückzuführen sein. So erklärte Geiger in einem Vortrag, unter Normgeltung wolle er nicht lediglich ein in Anerkennung und Befolgung zum Ausdruck kommendes „faktisches, sozial-wirksames Gelten der Regel" verstanden wissen, vielmehr gebe es einen tieferen - in Gott, dem Urheber aller Ordnung, liegenden - Geltungsgrund als den bloßen staatlichen Setzungsakt.189 Leibholz betont zwar wesentlich stärker den Zusammenhang zwischen Rechtsbegriff und „empirischer potentieller Geltung", ergänzt dies aber durch die Einbeziehung eines „bestimmten Minimums an Gerechtigkeitsgehalt". 190

II. Die Rezeption der Radbruchschen Formel im Beamtenurteil

Der Erste Senat bleibt im Beamtenurteil nicht bei dem positivistisch wirkenden Ansatz der soziologischen Geltungslehre stehen. Er stellt vielmehr klar, daß die soziologische Normgeltung ihre Kraft verliert, wenn eine „äußerste Geltungsgrenze" erreicht ist, d. h. wenn Vorschriften „in so evidenten Widerspruch mit den alles formale Recht beherrschenden Prinzipien der Gerechtigkeit treten", daß der sie anwendende Richter „Unrecht statt Recht spräche". 191 iss BVerfGE 23, 98/106. 189 Willi Geiger, Das Verhältnis von Naturrecht zu positivem Recht, in: ders., Grundrechte und Rechtsprechung, 1959, S. 58 f., 64 f. 190 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, 2. Aufl., 1959, S. 63 ff.; dazu Manfred Wiegandt, Norm und Wirklichkeit. Gerhard Leibholz (1901 -1982) - Leben, Werk und Richteramt, 1995, S. 79 ff.; Welzel, Die Frage nach der Rechtsgeltung, S. 15. 191 BVerfGE 3, 58/119; vgl. BVerfGE 6, 132/168, 199. 5*

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

Die Radbruchsche Formel wird im Urteil zwar nicht explizit herangezogen, die verwendeten Formulierungen erinnern aber stark an Aussagen Radbruchs. In der Sache dürften sich die Begriffe des „evidenten" Gerechtigkeitsverstoßes, des „schlechthin unbeachtlichen" bzw. „offenbaren Unrechts" mit Radbruchs Wendung vom „unerträglichen Maß" des Widerspruchs zur Gerechtigkeit decken. Radbruch selbst variierte in der Terminologie, so daß eine inhaltliche Ubereinstimmung mit dem vom BVerfG verwendeten Evidenzbegriff anzunehmen ist. 1 9 2 Während im Beamtenurteil eine Rezeption der Radbruchschen Formel nur der Sache nach stattfindet, zieht der Senat im Gestapo-Beschluß ausdrücklich eine Formulierung Radbruchs aus der Schrift ,Fünf Minuten Rechtsphilosophie' (1945) heran, an der er aufzeigt, daß unerträglich ungerechten und gemeinschädlichen NS-Gesetzen der Rechtscharakter abzusprechen ist. 1 9 3 Wenn das BVerfG klarstellend hinzufügt, daß nicht alle Gesetze der NS-Regierung als rechtsunwirksam anzusehen, sondern jeweils einzeln auf ihren Inhalt hin zu überprüfen seien, stimmt dies ebenfalls mit Radbruch überein, der vor einem extensiven Einsatz seiner Formel warnte und sie auf die Überprüfung von Einzelnormen beschränkt wissen wollte. Begriffliche Affinität zu Radbruch liegt auch in der Betonung des jedem gesetzten Recht „innewohnenden Ordnungselements", das die positivistische Komponente der Radbruchschen Formel unterstreicht. 194 Damit wird die in der frühen Nachkriegszeit einsetzende Formelrezeption in der Rechtspraxis fortgesetzt und intensiviert. Im Ergebnis läßt der Erste Senat die NS-Beamtengesetze nach Überprüfung anhand der Formel Radbruchs bestehen und erklärt dazu relativ lapidar, die Vorschriften hätten die umschriebene „äußerste Geltungsgrenze" nicht erreicht. Während die Radbruchsche Formel gewöhnlich der Delegitimierung von Normen dient, war hier umgekehrt aufzuzeigen, daß der Widerspruch zur Gerechtigkeit nicht evident ist. Bei der knapp gehaltenen Begründung stützt sich der Senat nur in sehr geringem Maße auf eine inhaltliche Übereinstimmung der Normen mit einem Gerechtigkeitsminimum. Während er im Beamtenurteil auf den Inhalt der NS-Gesetze in diesem Rahmen mit keinem Wort eingeht, stellt er im Gestapo-Beschluß zumindest vorsichtig und etwas zwiespältig fest, die NS-Beamtengesetzgebung enthalte zwar auch Unrechtsvorschriften und Rechtszerstörungen, ihr Kernpunkt aber, die Bindung der Beamten an das NS-System, sei noch „nicht schlechthin unbeachtliches Unrecht". Eine differenzierte inhaltliche Beurteilung der Beamtenvorschriften unter Abwägung zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit unterbleibt fast gänzlich. Stattdessen legt der Senat das Gewicht auf den Wert der Rechtssicherheit, der ordnungsgemäß gesetztem und sozial wirksamem Recht zukomme und zumindest innerhalb gewisser Grenzen immer noch „einem völligen Rechtschaos 192 Siehe Schumacher, Rezeption, S. 78 ff. 193 BVerfGE 6, 132/198; dazu Schumacher, Rezeption, S. 80. 194 BVerfGE 3, 58/119; 6, 132/199. Vgl. die begriffliche Variation bei Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 181.

§ 4 Die Rechtsprechung des BVerfG seit 1950

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gegenüber das geringere Übel" bedeute.195 Dies stellt eine etwas fragwürdige, zu sehr der positivistischen Komponente der Radbruchschen Formel verhaftete Begründung des Ersten Senats dar, der ansonsten in den beiden Beamtenentscheidungen recht deutlich mit dem NS-System abrechnet 196 und insgesamt nicht so rechtspositivistisch argumentiert, wie es in den erörterten Passagen scheint.

III. Delegitimierungsfunktion der Radbruchschen Formel im Staatsangehörigkeitsbeschluß

Der Zweite Senat gelangt im Staatsangehörigkeitsbeschluß von 1968 demgegenüber zum Ergebnis, daß der zu überprüfende § 2 der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz, der die Ausbürgerung emigrierter Juden vorsah, niemals gültiges Recht war. Die Verordnung verstieß gegen die „fundamentalen Prinzipien" der Gerechtigkeit, in ihr hat „der Widerspruch zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß sie von Anfang an als nichtig erachtet werden muß". 1 9 7 Der Senat prüft der Sache nach sehr deutlich am Maßstab der Radbruchschen Formel und übernimmt einschlägige Wendungen aus den frühen Judikaten des BVerfG, ohne dabei allerdings Radbruch nochmals eigens zu erwähnen. Die sich an Radbruch anlehnenden Passagen haben sogar Eingang in die Leitsätze des Beschlusses gefunden. 1. Der materialisierte

Gerechtigkeitsbegriff

Der Zweite Senat prüft die Verordnung unter inhaltlichem Aspekt nicht isoliert, sondern stellt sie in den größeren Zusammenhang der NS-Rassegesetzgebung und des „politischen Ziels des Nationalsozialismus", das Judentum auszurotten. Von dort aus zeigt er den Widerspruch zur Gerechtigkeit auf und bezieht die Intentionen des NS-Gesetzgebers in die Argumentation ein. Damit erinnert die Argumentation an die Radbruchsche Verleugnungsthese, nach der ein Gesetz bei bewußter Verleugnung der Gerechtigkeit durch den Gesetzgeber der Rechtsnatur entbehrt. 198 Des weiteren wird ersichtlich, daß eine einzelne Norm häufig nicht losgelöst vom Gesamtsystem richtig beurteilt werden kann. Daß das gesamte System mit seinen grundlegenden politischen und normativen Vorgaben auf die Einzelbestimmungen 195 BVerfGE 6, 132/199; vgl. Radbruch, Gesetzliches Unrecht, in: SJZ 1946, S. 105/107 l.Sp.: „Einen Wert führt jedes positive Gesetz mit sich: Es ist immer noch besser als kein Gesetz, weil es zum mindesten Rechtssicherheit schafft". 196 Siehe BVerfGE 3, 58/112ff.; 6, 132/193 ff.; vgl. Ingo Müller, Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz, 1987, S. 210; Schumacher, Rezeption, S. 79. 197 BVerfGE 23, 98/106. 198 BVerfGE 23, 98/105 f.: Die Regelung sollte „dazu beitragen", die „Juden ins Elend zu stürzen". Sie war der „Versuch" bzw. ein „Mittel, die verfolgten Juden ... zu vernichten"; Radbruch, Gesetzliches Unrecht, in: SJZ 1947, 105/107.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

ausstrahlt, ist eine Erkenntnis, an die später auch Kriele mit seiner systembezogenen Formel version anknüpft. 199 In der Begründung des Gerichts tritt ein material angereicherter Gerechtigkeitsbegriff zu Tage. 200 Zum einen umfaßt Gerechtigkeit den Grundsatz formaler Gleichheit, insofern zählt der Senat das Willkürverbot zu den konstituierenden Rechtsgrundsätzen. Zum anderen enthält der Begriff der Gerechtigkeit eine materielle Komponente, wenn der Senat die Verordnung als den Versuch einstuft, „nach rassischen' Kriterien bestimmte Teile der eigenen Bevölkerung ... physisch und materiell zu vernichten/'. 201 Dieser Ansatz weist durchaus Parallelen zu Radbruchs Konzept des übergesetzlichen Rechts mit dem Rekurs auf Menschenrechte als fundamentale Gerechtigkeitsprinzipien auf. So sprach Radbruch z. B. explizit Gesetzen, die „Menschen als Untermenschen behandelten und ihnen die Menschenrechte versagten", den Rechtscharakter ab. Vor allem durch den inhaltlichen Bezug auf die abendländische Tradition der Menschen- und Bürgerrechte erweist sich die Radbruchsche Formel damit als praktikabel. 202 Der Zweite Senat setzt sich mit der NS-Verordnung vorrangig unter inhaltlichen, die Gerechtigkeitsfrage betreffenden Gesichtspunkten auseinander und läßt formelle Aspekte weitgehend außer Betracht. Die Rechtssicherheit, auf die der Erste Senat im Beamtenurteil das entscheidende Gewicht legte, wird nicht einmal erwähnt. Angesichts dieses Befundes und der Tatsache, daß der Beschluß nur im Ergebnis einstimmig ergangen ist, lohnt es sich zu klären, welche Verfassungsrichter vermutlich maßgeblichen Einfluß auf die Begründung hatten.

2. Der Einfluß der Richter Leibholz und Geiger

Gerade weil das Willkürverbot tragender Entscheidungsgrund ist, dürfte der Beschluß von Verfassungsrichter Gerhard Leibholz (1901-1982) inspiriert sein, der die Willkürformel des Zweiten Senats (,Leibholz'-Senat) prägte. 203 Darüber hinaus scheint insbesondere Willi Geiger (1909-1994) von Einfluß gewesen zu sein. Die stark nichtpositivistischen, auf den Gedanken materieller Gerechtigkeit bezogenen Passagen des Beschlusses dürften auf Geiger, einen Anhänger der christlich-scholastischen Naturrechtslehre, zurückgehen. Geiger nahm in einem Aufsatz im Kontext der „neuen Formel" des Art. 20 Abs. 3 GG zur Frage eines jedermann 199

Zur sog. Krieleschen Formel eingehender in § 19 B. II. 1. Dazu Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, S. 33 ff.; Schumacher Rezeption, S. 85. 201 BVerfGE 23, 98/106. 202 R. Dreier, Gesetzliches Unrecht im SED-Staat?, in: FS-Α. Kaufmann, S. 57/58. 203 Dazu Wiegandt, Gerhard Leibholz, Leben, Werk, Richteramt, S. 100 ff.; ders., Gerhard Leibholz (1901 -1982): ein deutscher Staatsrechtslehrer des 20. Jahrhunderts, in: JuS 2001, S. 1156 ff.; Ernst Benda, Gerhard Leibholz als Bundes Verfassungsrichter, in: Christoph Link (Hrsg.), Der Gleichheitssatz im modernen Verfassungsstaat, 1982, S. 19 ff. 200

§ 4 Die Rechtsprechung des BVerfG seit 1950

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erkennbaren Naturrechts Stellung. 204 Nach ontologischer Methode folgert er aus der Wesensbestimmung des Menschen erste evidente Naturrechtssätze, vor allem Verbotsnormen, und entwickelt daraus im Wege der Konklusion spezielle Naturrechtssätze. Danach wäre ζ. B. eine positivrechtliche Vorschrift, die „irgendeine Bevölkerungsgruppe rechtlos stellte", wegen Widerspruchs zum Naturrecht nichtig. Bemerkenswert ist auch Geigers Versuch, die in der Tendenz zutreffende, aber sehr vorsichtig gefaßte Radbruchsche Formel zu präzisieren durch die Unterscheidung von naturrechtlichen Ge- und Verboten. 205 Die Radbruchsche Formel stelle zwar keinen Satz des positiven Rechts dar. Zur Gesamtrechtsordnung, an die der Richter gebunden ist, gehöre allerdings auch das überpositive Recht. Der Rechtsbegriff Leibholz' war demgegenüber eher positivistisch geprägt. Bereits während der NS-Zeit ist bei ihm allerdings eine vorsichtige Hinwendung oder zumindest positivere Grundeinstellung zum Naturrechtsgedanken erkennbar. 206 Aus der im ganzen doch eher zurückhaltenden Einstellung von Leibholz gegenüber Naturrechtsvorstellungen erklärt sich vermutlich, daß der Senat im Staatsangehörigkeitsbeschluß die Ungültigkeit der NS-Verordnung nicht allein naturrechtlich fundiert, sondern Begründungen nachschiebt, die auf das positive Recht, insbesondere den Gleichheitssatz des Art. 3 GG, abzielen.

3. Der Stellenwert des Gerechtigkeitsarguments

Der Zweite Senat bedient sich im Staatsangehörigkeitsbeschluß, nachdem er die Nichtigkeit der NS-Verordnung am Maßstab überpositiven Rechts festgestellt hat, noch zweier positivrechtlicher Argumente. Zum einen gibt er zu erkennen, daß die Ausbürgerungen nicht als rechtswirksam anerkannt werden können wegen Verletzung des nunmehr in Art. 3 GG positivierten Willkürverbots, welches zu den fundamentalen Gerechtigkeitsprinzipien gehöre. Des weiteren zeige die Genese des Art. 116 Abs. 2 GG, daß auch der Verfassunggeber von der Nichtigkeit der Verordnung ausgegangen sei. 207 Die Tatsache, daß die Verfassungsbeschwerde im Ergebnis wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 und 3 GG für begründet erklärt wird und die Auslegung des Art. 116 Abs. 2 GG breiten Raum einnimmt, wirft die Frage nach dem Stellenwert 204 Geiger, Der Richter und seine Bindung an Gesetz und Recht, in: DRiZ 1963, S. 170/ 172ff.; ders., Naturrecht, S. 61 f., 75 ff. Zu Geigers Werdegang Hans Herbert von Arnim, Eröffnung der akademischen Gedenkfeiern zu Ehren von Willi Geiger, in: Akademische Gedenkfeier, 1994, S. 7 ff. 205 Geiger, Bindung an Gesetz und Recht, S. 173 f.; ders., Naturrecht, S. 76f. Dieser Ansatz ist bei Rommen, Wiederkehr des Naturrechts, S. 255 f. bereits vorgezeichnet. 206 Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz und das Bonner Grundgesetz, in: DVBl. 1951, S. 193 ff.; ders., Gleichheit, S. 53 ff.; dazu näher Wiegandt, Gerhard Leibholz, S. 138 ff.; Christoph Link, Gerhard Leibholz - Leben und Werk, in: ders. (Hrsg.), Der allgemeine Gleichheitssatz im modernen Verfassungsstaat, 1982, S. 23/24. 207 BVerfGE 23, 98/107 ff.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

des Gerechtigkeitsarguments im Beschluß auf. So wird behauptet, die überpositive Begründung sei nicht tragend, es hätten vielmehr auch - aus dem positiven Verfassungsrecht ableitbare - Begründungsalternativen zur Verfügung gestanden.208 Bisweilen folgert man daraus sogar, daß das Gerechtigkeitsargument völlig verdrängt wird und lediglich dazu dient, einen methodisch anfechtbaren Begründungszusammenhang zu stützen. 209 Diese These erscheint allerdings überzogen. Immerhin wird im Beschluß als erster Prüfungsmaßstab der NS-Verordnung das überpositive Recht herangezogen und haben die von der Radbruchschen Formel inspirierten Aussagen Einzug in die vier ersten Leitsätze gehalten. Zutreffend ist aber, daß die überpositive Begründungslinie im Beschluß zunehmend in den Hintergrund tritt und doch deutlich an Gewicht verliert.

IV. Vergleich der Rechtsauffassungen der beiden Senate des BVerfG

Die Analyse ausgewählter Entscheidungen zur Problematik des NS-Unrechts ergibt, daß beiden Senaten des BVerfG eine unterschiedliche Vorstellung von der richterlichen Gesetzes- und Rechtsbindung zugrundeliegt. Die differierende Haltung dürfte wesentlich auf einzelne Richterpersönlichkeiten in den Senaten zurückzuführen sein. Die Entscheidungen orientieren sich alle begrifflich und inhaltlich an der Geltungslehre des späten Radbruch. Hierbei betont der Erste Senat allerdings mehr die positivistische Komponente der Radbruchschen Formel und verhält sich wesentlich reservierter gegenüber naturrechtlichen Vorstellungen. 210 Er stützt sich in den Beamtenentscheidungen bei der Prüfung der NS-Normen vorwiegend auf formelle Aspekte wie das ordnungsgemäße Setzungsverfahren und die Rechtssicherheit. Der etwas mißverständliche Topos der „soziologischen" Geltungskraft des Rechts läßt dabei den Argumentationsgang in einem merkwürdigen Licht erscheinen. Der Senat verfolgte aber mit der soziologischen Geltungslehre wohl nicht das Ziel, Unrechtsgesetze aufgrund ihrer sozialen Wirksamkeit zu rechtfertigen. Mit dem Topos sollte zum Ausdruck gebracht werden, daß die aufgrund von Unrechtsgesetzen durchgeführten Maßnahmen und geschaffenen Tatsachen nicht nachträglich ungeschehen zu machen sind. Kritisch einzuwenden ist gegen das Beamtenurteil, daß eine Erörterung der Anerkennungswürdigkeit der überprüften Normen und eine detailliertere, inhaltliche Auseinandersetzung mit der NS-Beamtengesetzgebung weitgehend fehlt. Bei 208

Dazu Schumacher, Rezeption, S. 86 f.; vgl. Alexy, Begriff und Geltung, S. 21. Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, S. 33; siehe auch Alexy, Begriff und Geltung, S. 21; Christoph Gusy, Richterrecht und Grundgesetz, in: DÖV 1992, 461/465; a. Α. Schumacher, Rezeption, S. 86. 210 Vgl. BVerfGE 6, 132/153: Es gebe „keinen naturrechtlichen Begriff des Beamtentums"; BVerfGE 10, 59; 24, 119/150; siehe Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, S. 80f.; Friedrich Müller, Einheit der Verfassung, S. 21 u. 81; Gebhard Müller, Naturrecht und Grundgesetz, 1969, S. 38. 209

§ 4 Die Rechtsprechung des BVerfG seit 1950

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einzelnen Vorschriften der NS-Beamtengesetze und sonstigen Maßnahmen wäre durchaus zu fragen, ob hier nicht bereits die äußerste Grenze zum Unrecht erreicht ist. 2 1 1 Im ganzen ist die Haltung des Ersten Senats allerdings nicht so formalpositivistisch wie sie auf den ersten Blick scheint. In einigen, teils von eindringlichem Pathos getragenen Passagen der Beamtenentscheidungen rechnet der Senat mit dem NS-System gründlich ab. Er wendet sich insbesondere gegen die Annahme, totalitäres Gedankengut sei bloßer „Zierat" des NS-Beamtenrechts gewesen.212 Insoweit sind die Judikate sogar als bemerkenswerte Dokumente, sogar Glanzpunkte justizieller Aufarbeitung der NS-Vergangenheit gewürdigt worden. 213 Der Erste Senat hat in einer weiteren Entscheidung, dem Gleichberechtigungsbeschluß von 1953, explizit mit der Radbruchschen Formel operiert und dabei ausdrücklich vor einem „Rückfall in eine Geisteshaltung eines wertungsfreien Gesetzespositivismus" gewarnt. 214 Insgesamt ist zu folgern, daß der Rechtsbegriff, den der Erste Senat in den einschlägigen Judikaten zugrundelegt, auf einer allerdings sehr schwachen Verbindungsthese basiert. Demgegenüber erweist sich die Argumentation des Zweiten Senats, wie insbesondere aus dem Staatsangehörigkeitsbeschluß von 1968 hervorgeht, als klassisch nichtpositivistisch. Daß der Senat deutlich zu einer überpositiven Begründungsstrategie tendiert, bestätigt auch das frühe Südweststaatsurteil, in dem der Senat eine Bindung des Verfassunggebers an die , jedem geschriebenen Recht vorausliegenden überpositiven Rechtsgrundsätze" postuliert und sich für zuständig hält, das gesetzte Recht daran zu messen.215 In einem Leitsatz des Südweststaatsurteils wird sogar ein vollmundiges Bekenntnis zur „Existenz überpositiven Rechts" abgelegt, das allerdings im Urteil selbst keine Spezifizierung erfährt und insoweit ohne zwingenden Zusammenhang ausgesprochen ist. 2 1 6 Der Zweite Senat sieht sich bei der Entscheidungsfindung nicht strikt an das gesetzte Recht gebunden, sondern 211 BGHZ 13, 265/297 f. nimmt die Überschreitung einer äußersten Grenze hinsichtlich der Reichstagsrede Hitlers vom 26. 4. 1942 an, die es unternahm, die Beamten völlig rechtlos zu stellen, sowie bei sonstigen Maßnahmen gegen Beamte wie etwa die Ausübung von Gesinnungszwang unter Drohung des Konzentrationslagers. Vgl. Schumacher, Rezeption, S. 80; Bachof, Beamtenverhältnisse, in: DÖV 1954, 33/35. 212 Siehe BVerfGE 3, 58/112ff.; 6, 132/171 ff., 193 ff. 213 /. Müller, Furchtbare Juristen, S. 210, Schumacher, Rezeption, S. 79. 214 BVerfGE 3,225/232. Zentrale Frage war die Verfassungsmäßigkeit des Art. 117 Abs. 1 GG, die im Ergebnis bejaht wird. Nach Ansicht des BVerfG ist allerdings auch ein originärer Verfassunggeber „nicht der Gefahr entrückt ist, die äußersten Grenzen der Gerechtigkeit zu überschreiten". Bei einem freiheitlich demokratischen Verfassunggeber käme die „theoretische Möglichkeit der Setzung originärer »verfassungswidriger Verfassungsnormen' allerdings einer praktischen Unmöglichkeit nahezu gleich".

215 BVerfGE 1, 14/17f. (LS 21 und 27) und 61. 216 Siehe Ule, Urteilsanm., in: DVBl. 1952, S. 17 f.; Bachof, Zum richterlichen Prüfungsrecht, in: NJW 1952, S. 242; ders., Urteilsanm., in: DVBl. 1954, S. 121; vgl. auch F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 83.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

behält sich eine Prüfung am Maßstab fundamentaler Gerechtigkeitsprinzipien vor und differenziert damit deutlich zwischen Gesetz und Recht. Beide Senate des BVerfG gelangen in den analysierten Entscheidungen bei der Uberprüfung der NS-Normen am Maßstab der Radbruchschen Formel zu unterschiedlichen und nicht unbedingt erwartungsgemäßen Ergebnissen. Während der Erste Senat in den frühen fünfziger Jahren, die noch sehr im Zeichen der Naturrechtsrenaissance standen, die betreffenden NS-Vorschriften für gültig erachtet, erklärt der Zweite Senat die von ihm überprüften Normen am Maßstab überpositiven Rechts 1968 für nichtig, also in einer Phase, für die im allgemeinen eher ein Rückgang der Naturrechtskonjunktur konstatiert wird. Der Entwicklungsverlauf der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung scheint im Kontext der Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht mithin weniger vom Zeitgeist als von einzelnen Richterpersönlichkeiten maßgeblich beeinflußt zu sein. In der Folgezeit hatte sich das BVerfG nur noch gelegentlich mit Gesetzgebungsakten aus der NS-Zeit zu befassen. Dabei handelte es sich meist um systemuntypische, d. h. in keinem spezifischen Zusammenhang mit der NS-Ideologie stehende Rechtsvorschriften, so daß sich eine eingehende Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Recht in den Judikaten erübrigte. Dementsprechend erklärte das BVerfG die Normen unter knappem Hinweis auf seine früheren Aussagen für rechtsgültig. 217

B. Richterliche Rechtsfortbildung auf der Grundlage des Art. 20 Abs. 3 GG (BVerfGE 34,269 - Soraya) In den vorangehend untersuchten Entscheidungen des BVerfG tauchte die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Recht vor dem Hintergrund einer singulären Situation auf, nämlich des NS-Systems und seines Zusammenbruchs. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zu dem politischen Systemumbruch ging die Zahl der Entscheidungen zur Problematik des NS-Unrechts verständlicherweise deutlich zurück. Dafür ist ein neuer Gesichtspunkt in das Blickfeld um Gesetz und Recht gerückt. Der Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG erscheint zusätzlich im Rahmen der Thematik der richterlichen Rechtsfortbildung als klärungsbedürftig. Daran wird deutlich, daß sich die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Recht nicht nur in Ausnahmefällen, sondern in jedem entwickelten Rechtssystem stellt und insoweit ein Dauerthema bildet. Das BVerfG hat sich in mehreren Entscheidungen mit dem Phänomen des Richterrechts befaßt und dabei speziell zum Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG Stellung genommen. Aus der Judikatur soll die Grundsatzentscheidung, der sog. Soraya-Beschluß des Ersten Senats von 1973 herausgegriffen werden. 218 217 BVerfGE 28, 119/139f. - Spielbankengesetz - ; BVerfGE 28, 191/196f. - § 353 b StGB Amtsverschwiegenheit.

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I. Das Recht als Korrektiv gegenüber dem geschriebenen Gesetz

Im Soraya-Beschluß wandten sich eine Verlagsgesellschaft und ein Redakteur gegen ihre Verurteilungen zu Schmerzensgeldzahlungen wegen Veröffentlichung eines frei erfundenen Interviews mit Prinzessin Soraya. Der BGH hatte - in konsequenter Fortsetzung seiner Rechtsprechung - der Prinzessin eine Entschädigung in Geld wegen schwerer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugesprochen. 219 Die Beschwerdeführer machten geltend, der BGH gewähre entgegen dem klaren Wortlaut des § 253 BGB Geldersatz auch für immaterielle Schäden und judiziere damit contra legem, was einen Verstoß gegen das Gewaltenteilungsprinzip darstelle. Das BVerfG hat hingegen die Schmerzensgeldrechtsprechung des BGH für verfassungsmäßig erklärt. Dabei stellte sich zentral die Frage, ob es mit dem GG vereinbar ist, eine Rechtsfolge trotz Fehlens einer eindeutigen Grundlage im geschriebenen Recht durch richterliche Entscheidung herbeizuführen. Das BVerfG sah sich hierdurch veranlaßt, zu Umfang und Grenzen der richterlichen Bindung, wie sie das GG vorgibt, grundsätzlich Stellung zu nehmen. Ausgangspunkt der Erörterungen des BVerfG ist die traditionelle Bindung des Richters an das Gesetz. Die richterliche Gesetzesbindung sei allerdings im GG „jedenfalls der Formulierung nach" dahin abgewandelt, daß Art. 20 Abs. 3 GG eine Bindung an Gesetz und Recht statuiert. Der Senat hält sich somit zunächst einmal eng an den klaren, differenzierten Wortlaut der Verfassungsnorm und deutet das Begriffspaar nicht als bloße pleonastische Wendung. Er stellt klar, daß damit „nach allgemeiner Meinung ein enger Gesetzespositivismus abgelehnt" werde. Die Distanzierung vom Gesetzespositivismus hat das BVerfG bereits in seinen frühen Entscheidungen eindringlich ausgesprochen.220 Insoweit ist eine Kontinuität in seiner Rechtsprechung zu verzeichnen. Das jetzige knapp gehaltene Bekenntnis klingt allerdings eher halbherzig und bezieht sich nur auf eine Abkehr von einem „engen" Gesetzespositivismus. Weiter hält nach Ansicht des BVerfG „die Formel das Bewußtsein aufrecht, daß sich Gesetz und Recht zwar faktisch im allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken". 221 Diese Äußerung der Rechtsprechung ist in der verfassungsrechtlichen Diskussion um Art. 20 Abs. 3 GG wohl am häufigsten zitiert worden 222 , ob218 BVerfGE 34, 269 ff. Das BVerfG hat später im wesentlichen an seinen Aussagen zur richterlichen Rechtsfortbildung festgehalten, dabei sich allerdings in der Frage der Rechtsfortbildung gegen den Gesetzeswortlaut vorsichtiger gezeigt. Siehe BVerfGE 35, 263/ 278ff.; 38, 386/396f.; 49, 304/318ff.; 65, 182/190ff.; 82, 6/11 f. 219 BGH NJW 1965, S. 685 ff.; st. Rspr. des BGH seit BGHZ 26, 349 - Herrenreiter - . 220 Siehe insbesondere BVerfGE 3, 225/232, wo vor einem „Rückfall in die Geisteshaltung eines wertungsfreien Gesetzespositivismus, wie sie in der juristischen Wissenschaft und Praxis seit längerem überwunden ist" gewarnt wird.

221 BVerfGE 34, 269/286 f. 222 Siehe Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20 GG, Rn. 53; Stern, Staatsrecht I, S. 799; Wolfgang Heyde, Die Rechtsprechung, in: HBdVerfR, 2. Aufl. 1994, § 33, Rn. 93.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

gleich sie an sich eher vage ist. Das BVerfG schreibt damit der Wendung Gesetz und Recht in erster Linie Besinnungs- und Mahnfunktion zu. Danach decken sich im Regelfall die Begriffe und wird ein Auseinanderfallen von Gesetz und Recht praktisch kaum aktuell. Wann der denkbare Ausnahmefall gegeben und in welcher Weise er zu lösen ist, läßt das BVerfG in der Formulierung noch offen. Auf den im Kontext richterlicher Rechtsfortbildung naheliegenden Art. 97 Abs. 1 GG und sein Verhältnis zu Art. 20 Abs. 3 GG geht es mit keinem Wort ein, was mit Recht auf Kritik gestoßen ist. 2 2 3 Eine Klärung des Verhältnisses der beiden Verfassungsnormen wäre wünschenswert gewesen, zumal dieses in der Diskussion um Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG einen häufigen Streitpunkt und beliebten Argumentationstopos der „Tautologie"-Auffassung bildet. Daß das BVerfG die Vorschrift des Art. 97 Abs. 1 GG nicht erwähnt, beruht möglicherweise darauf, daß es Art. 20 Abs. 3 GG in diesem Rahmen für vorrangig erachtet. Im Gegensatz zu den frühen Urteilen zum NS-Unrecht äußert sich das BVerfG im Soraya-Beschluß explizit und relativ ausführlich zur Bedeutung des Ausdrucks Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG. Die in der Wendung nebeneinander genannten Begriffe Gesetz und Recht sind seiner Auffassung nach keine identischen Größen. Recht könne nicht gleichgesetzt werden mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze, sondern sei ihnen gegenüber „ein Mehr" und gleichzeitig ein mögliches „Korrektiv", das seine Quelle in der „verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen" habe. 224 Hiermit bestimmt der Senat auf der einen Seite das Recht als etwas über die positiven Satzungen Hinausgehendes, das er andererseits wiederum in der positiven Rechtsordnung selbst verwurzelt wissen will. Der Gedankengang wirkt insoweit nicht ganz schlüssig, was vor allem mit dem unpräzisen, noch zu erörternden Begriff des „Sinnganzen" zusammenhängt. Das BVerfG spricht offensichtlich bewußt nicht von überpositiven Rechtsgrundsätzen oder von im GG positivierten übergesetzlichen Normen, wie vielfach in den frühen Judikaten geschehen225, sondern richtet seine Argumentation betont positivrechtlich aus. 226 Bezeichnend dafür ist die Hervorhebung, daß die im Gesetzestext bisweilen nur ungenügend ausgedrückten Wertvorstellungen bzw. die durch Rechtsfortbildung gefundenen Rechtssätze „der positiven Rechtsordnung immanent" seien. 227 223

Siehe F. Müller, Richterrecht - rechtstheoretisch formuliert, in: Festschrift der Juristischen Fakultät Heidelberg, 1986, S. 65/67 f.; Detlev Merten, Die Bindung des Richters an Gesetz und Verfassung, in: DVB1. 1975, S. 677/680; Menger, Zu den Grenzen richterliche Rechtsfortbildung, in: VerwArch 65 (1974), S. 195/198. 22 4 BVerfGE 34, 269/287. Ähnlich Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., S. 346, Fn. 4, der das Verhältnis von Gesetz und Recht als das von „Teil und Ganzem" sieht. Der Richter sei an das Gesetz insoweit gebunden, als es sich „als Teil in das Sinnganze der Rechtsordnung einfügt". 22 5 BVerfGE 1, 14/LS 21 u. 27; 3, 225/230, 233. 226 Vgl. fi Müller, Einheit der Verfassung, S. 43 ff.; Kühler, Urteilsanmerkung, in: JZ 1973, S. 667. 22 7 BVerfGE 34, 269/287, 291 f.: Der BGH habe mit seiner Schmerzensgeldjudikatur „nicht das System der positiven Rechtsordnung verlassen . . . , sondern lediglich Grundgedan-

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Damit erweckt das Gericht den Anschein, daß sich Zweifelsfälle, d. h. wenn das Gesetz keine eindeutige Lösung vorgibt, stets gesetzes- bzw. verfassungsimmanent, also auf positivrechtlicher Ebene lösen lassen und der Richter keine außerrechtlichen Maßstäbe an das positive Recht heranträgt. 228 Recht i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG sind danach Rechtssätze, soweit sie „nicht im Gegensatz, sondern als Ergänzung und Weiterführung des geschriebenen Gesetzes" gefunden werden. 229 Dies nimmt das BVerfG im Ergebnis auch für die vom BGH entwickelte Schmerzensgeld] udikatur an, womit es dem Vorwurf der Billigung einer contra legemRechtsprechung zu entgehen sucht. Auf die Radbruchsche Formel geht es in diesem Zusammenhang nicht ein. Lediglich einige beiläufige Formulierungen erinnern vage an die Lehre Radbruchs von der Antinomie zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit. 230 Allerdings hat Radbruch seine Formel auch für die singuläre Problematik des NS-Unrechts konzipiert und nicht auf das Phänomen des Richterrechts, das zwar auch eng mit Gerechtigkeitsfragen verbunden ist, zugeschnitten.

II. Maßstäbe und Grenzen richterlicher Rechtsschöpfung

Klärungsbedürftig ist, was das BVerfG unter dem Sinnganzen der verfassungsmäßigen Rechtsordnung versteht und wie das Sinnganze und die der Rechtsordnung immanenten Wertvorstellungen vom Richter zu ermitteln sind. Das BVerfG erörtert diese Fragen, ohne allerdings eine genaue Explikation des Begriffs des Sinnganzen vorzunehmen, im Zusammenhang mit grundsätzlichen Ausführungen zur richterlichen Tätigkeit nach dem GG und den Methoden der Rechtsfindung. Dem BVerfG zufolge muß die richterliche Entscheidung auf „rationaler Argumentation" beruhen und sind Gesetzeslücken nach den Maßstäben der „praktischen Vernunft" und den „fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft" zu schließen231. Über diesen allgemeinen Rahmen hinaus lassen sich nach Ansicht des BVerfG die Grenzen richterlicher Rechtsschöpfung nicht in einer für alle Rechtsgebiete gleichermaßen geltenden Formel erfassen. 232 Mit dem Topos der allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen scheint das Gericht allerdings kein Bekenntnis zu vorgegebenen überzeitlichen Gerechtigkeitspostulaten und Werten ablegen zu wollen. Es schließt vielmehr aus der Tatsache, daß die Schmerken der von der Verfassung geprägten Rechtsordnung mit systemimmanenten Mitteln weiterentwickelt". 228 Vgl. Gusy, Richterrecht, in: DÖV 1992, S. 461 /465. 229 BVerfGE 34, 269/291. 230 BVerfGE 34, 269/289, 292 spricht vom „Konflikt der Norm mit den materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen einer gewandelten Gesellschaft" und der Bewahrung der „formalen Gesetzestreue um den Preis einer erheblichen Einbuße an Gerechtigkeit". 231 BVerfGE 34, 269/287. Hinsichtlich der „fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen" wird auf BVerfGE 9, 338 / 349 verwiesen. 232 BVerfGE 34, 269/288. Daher beschränkt das BVerfG im Soraya-Fall die Fragestellung auf das Gebiet des Privatrechts.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

zensgeldjudikatur des BGH „weitgehende Zustimmung in der Rechtswissenschaft" gefunden habe, daß sie den allgemeinen GerechtigkeitsVorstellungen entspricht. 233 Damit orientiert es sich an den wandelbaren gemeinschaftlichen Wertvorstellungen, die in einer pluralistischen Gesellschaft allerdings nicht immer leicht bestimmbar sein dürften. 234 Auf den - rechtsphilosophisch umstrittenen - Begriff der praktischen Vernunft 235 geht das BVerfG nicht näher ein. Anscheinend setzt es als selbstverständlich voraus, daß es die Kategorie der Vernunft als Maßstab für die praktischen Rechtsfindung gibt. Ausdrücklich stellt das BVerfG die Forderung nach rationaler Argumentation bei der richterlichen Entscheidung auf. Dabei impliziert die Pflicht, Urteile vernünftig zu begründen in gewisser Weise einen Gerechtigkeits- oder Richtigkeitsanspruch des Richterspruchs. 236 So äußert das BVerfG im SorayaBeschluß, der Richter müsse in Zweifelsfällen einsichtig machen können, daß das geschriebene Gesetz seine Funktion, ein Rechtsproblem „gerecht" zu lösen, nicht erfülle. Der Richter ist dann zu freierer Handhabung der Rechtsnormen gezwungen, da er sonst seine Aufgabe, „Recht" zu sprechen, verfehle. 237 Hieran zeigt sich klar, daß die Fragen nach Umfang und Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung letztlich einen deutlichen Gerechtigkeitsbezug aufweisen. Dabei kommt in Zweifelsfällen das Mehr an Recht und seine Korrektivfunktion gegenüber dem geschriebenen Gesetz zum Zuge. Insoweit nimmt das BVerfG die in Art. 20 Abs. 3 GG normierte Bindung der Rechtsprechung auch an das Recht als Anhaltspunkt für die Lösung der Fragen um das Phänomen Richterrecht.

I I I . Stellungnahme zum Rechtsbegriff des Ersten Senats im Soraya-Beschluß

Das BVerfG differenziert im - viel kritisierten 238 - Soraya-Beschluß zwar zwischen Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG, ist dabei aber sichtlich bemüht, 233 BVerfGE 34, 269/290; siehe BVerfGE 49, 304/321; 65, 182/195. 234 Vgl. Kühler, Urteilsanmerkung, in: JZ 1973, S. 667/668; Martina R. Deckert, Folgenorientierung in der Rechtsanwendung, 1995, S. 162ff.; Theodor Schramm, „Praktische Vernunft" und „fundierte allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft" als Rechtserkenntnisquelle, in: ARSP 68 (1982), S. 320/327 ff., hält den Topos letztlich für kaum mehr als eine methodologische Leerformel. 235 Siehe nur die zahlreichen Beiträge in: Rechtssystem und praktische Vernunft, hrsg. von Ralf Dreier und Robert Alexy, ARSP Beiheft 51 (1993). Deckert, Folgenorientierung, S. 169 stellt mit einigem Grund fest, es bleibe unklar, was das BVerfG im Soraya-Beschluß mit der „praktischen Vernunft" gemeint hat. 236 Siehe dazu Alexy, Theorie der juristischen Argumentation. Die Theorie des rationalen Diskurses als Theorie der juristischen Begründung, 2. Aufl. 1991, S. 34, 44 f., 264 ff.; ders., Begriff und Geltung, S. 132 ff. 237 BVerfGE 34, 269/287, 289. 238 Der Soraya-Beschluß stieß in vielen Punkten auf Kritik, vor allem wegen seiner unzureichenden Auseinandersetzung mit der contra-legem-Problematik. Siehe Menger, Rechts-

§ 4 Die Rechtsprechung des BVerfG seit 1950

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einen Rekurs auf überpositives Recht begrifflich zu vermeiden und die Entscheidungsfindung auf das positive Verfassungsrecht und sein Wertsystem zu stützen. 239 Die deutliche Tendenz des Ersten Senats zu einer eher positivrechtlichen Begründungsstrategie zeichnete sich bereits in seiner frühen Judikatur ab. Obwohl äußerlich der Anschein erweckt wird, die Problematik der richterlichen Rechtsfindung und Rechtsfortbildung lasse sich methodologisch ausschließlich unter Rückgriff auf das positive Recht befriedigend lösen, wird doch deutlich, daß dahinter über das positive Recht hinausweisende Richtigkeits- und Gerechtigkeitsfragen stehen und außerrechtliche Faktoren sich nicht ganz ausblenden lassen. Dies klingt im Soraya-Beschluß selbst an, wenn die Gerechtigkeitsfunktion der Rechtsprechung hervorgehoben wird, auf die der Begriff des Sinnganzen der Rechtsordnung letztlich wohl hinweist 240 , und von einem „möglichen Konflikt der Norm mit den materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen einer gewandelten Gesellschaft" die Rede ist. Indessen verschleiert das BVerfG allerdings eher den Bezug des positiven Rechts, insbesondere des GG, auf außerrechtliche Wertvorstellungen unter dem Mantel des Sinnganzen der positiven Rechtsordnung. 241 Gegen den SorayaBeschluß wurde insoweit mit Grund eingewandt, das Sinnganze sei lediglich eine Formel von suggestivem Wert, deren Bedeutung zudem widersprüchlich dargelegt werde. 242 Die Berufung auf das Sinnganze der Rechtsordnung habe mehr die Funktion, sich notwendige dogmatische und methodische Einzelschritte zu ersparen. Des weiteren hätte das Ergebnis - die Billigung der Schmerzensgeldjudikatur des BGH - zumindest auf anderem, methodisch weniger angreifbarem Wege erzielt werden können. 243 Die Bestimmung des Art. 20 Abs. 3, 2. HS GG nimmt das BVerfG zunächst beim Wort und folgert aus dem Zusatz ,und Recht4 mit Grund, daß der Richter keiner strikten Gesetzesbindung unterliegt. Es gesteht dem Richter vielmehr einen fortbildung, in: VerwArch 65 (1974), S. 195 ff.; Volker Krey, Rechtsfindung contra legem als Verfassungsproblem, in: JZ 1978, S. 465 insbes. Fn. 4; Jürgen Schwabe, Urteilsanm., in: DVBl. 1973, S. 788; F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 45 ff.; Hans-Peter Schneider, Gesetzmäßigkeit der Rechtsprechung, in: DÖV 1975, S. 443 meint sogar, mit dem Beschluß sei ein erster Schritt in Richtung auf die „unbegrenzte Auslegung" getan. 239 Vgl. dazu Gusy, Richterrecht und GG, in: DÖV 1992, S. 461 /465f.; F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 46 f. 240 Dreier, Konstitutionalismus und Legalismus. Zwei Arten juristischen Denkens im demokratischen Verfassungsstaat, in: Rechtsstaat und Menschenwürde. FS-Maihofer, 1988, S. 87/97, faßt den Begriff des Sinnganzen daher so, daß mit ihm „die Prinzipienebene des Rechts im allgemeinen und der Verfassung im besonderen gemeint ist". 241 Siehe Schramm, „Praktische Vernunft", in: ARSP 68 (1982), S. 321/331. 242 F. Müller, Einheit der Verfassung, S. 45 ff. 243 Gusy, Richterrecht und Grundgesetz, in: DÖV 1992, S. 461/465; F. Müller, Richterrecht, in: Festschrift der Juristischen Fakultät Heidelberg, S. 65/76: Begründung über Normwandel oder Teilnichtigkeit des § 253 BGB wegen Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG. Zur Frage, ob die Zivilgerichte zunächst eine Richtervorlage gem. Art. 100 Abs. 1 GG hätten einleiten müssen siehe Alexy, Begriff und Geltung, S. 24 f.; BVerfGE 34, 269/292 geht auf diese Frage am Rande ein und scheint dies zu verneinen.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

relativ weiten Spielraum bei der Rechtsschöpfung zu, dem durch das GG und seine Wertordnung ein Rahmen gezogen ist. An dieser Auffassung hat es in späteren Rechtsfortbildungsentscheidungen im Grundsatz festgehalten. 244 Eine Grenzziehung durch überpositives Recht thematisiert das BVerfG im Soraya-Beschluß nicht eigens, was zum einen mit der damals vorliegenden Fallkonstellationen zusammenhängen dürfte und sich zum anderen nicht zuletzt daraus erklärt, daß sich der Erste Senat gegenüber Naturrechtsvorstellungen ohnehin von Anfang an eher bedeckt verhielt. Es läßt sich im ganzen eine zunehmende Tendenz in der Rechtsprechung insbesondere des Ersten Senats feststellen, auf überpositivrechtliche Begründungsansätze zu verzichten und in Konfliktfällen Lösungen auf der Ebene des positiven Rechts zu suchen. Die Rechtsfortbildungsentscheidungen des BVerfG machen deutlich, daß die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Recht nicht nur in verfassungsrechtlichen Ausnahmelagen für die Rechtspraxis relevant wird, sich vielmehr auch in der rechtsstaatlichen Normallage - allerdings in anderer Gestalt - stellt. Die Bindung an Gesetz und Recht gewinnt über extreme Ausnahmelagen hinaus Bedeutung im Rahmen der richterlichen Rechtsschöpfung und Rechtsfortbildung, die sich als notwendig erweist bei Gesetzeslücken oder - wie im Soraya-Beschluß, der sich mit einer vorkonstitutionellen Vorschrift beschäftigte - bei zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen Entstehung und Anwendung einer Norm. Insoweit zeigt die Soraya-Entscheidung, daß Konflikte um Gesetz und Recht auch im Rechtsstaat aufleben und nicht als erledigt angesehen können.

§ 5 Entwicklungslinien der Rechtsprechung des BGH zum Verhältnis von Gesetz und Recht Die Rechtsprechung des 1950 eingerichteten BGH soll nunmehr unter der Fragestellung analysiert werden, ob und inwieweit das Gericht an die deutlich naturrechtlich geprägte Judikatur zwischen 1945 und 1950 angeknüpft hat. Darüber hinaus sind Entwicklungslinien und Positionsänderungen im Rechtsverständnis des BGH seit 1950 nachzuzeichnen und deren mögliche Ursachen zu erforschen. Daher werden zunächst Entscheidungen aus dem ersten Jahrzehnt der Rechtsprechung unter der Präsidentschaft Weinkauffs analysiert, anschließend die Judikatur seit Anfang der sechziger Jahre, beginnend mit dem Wechsel der Präsidentschaft auf Heusinger.

244 Vgl. BVerfGE 35, 263/278ff.; 38, 386/396f.; 49, 304/318ff.; 65, 182/190ff. - Sozialplan - .

§ 5 Entwicklungslinien der Judikatur des BGH

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A. Die Naturrechtseuphorie in der frühen Judikatur unter dem Präsidenten Weinkauff Eine Sichtung des Entscheidungsmaterials bringt zum Vorschein, daß der BGH in den fünfziger Jahren vielfach und in unterschiedlichen Zusammenhängen zum Verhältnis von Gesetz und Recht Stellung bezogen hat. 245 Dies geschieht meist unter Rückgriff auf den Naturrechtsgedanken, selten wird dabei Art. 20 Abs. 3 GG eigens genannt. Bereits aus der Vielzahl derartiger Entscheidungen kann der vorsichtige Schluß gezogen werden, daß der BGH naturrechtsfreundlicher eingestellt ist als das BVerfG und erst recht als das Reichsgericht. 246 Die einschlägigen Judikate sollen insbesondere unter dem Aspekt der Rezeption der Radbruchschen Formel beleuchtet werden mit Blick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zur Rechtsprechung des BVerfG.

I. Die Auseinandersetzung mit NS-Unrechtsakten

Ein Rekurs auf überpositives Recht unter Rezeption der Radbruchschen Formel taucht in der frühen Β GH-Judikatur, ebenso wie in der Rechtsprechung des BVerfG primär im Kontext der justiziellen Bewältigung der NS-Vergangenheit auf. In den einschlägigen Entscheidungen mußte sich der BGH überwiegend mit Legislativakten der NS-Gewalt befassen, deren Rechtswirksamkeit er deutlich getrennt unter formellen und materiellen Aspekten überprüfte.

1. Formelle Gültigkeit der NS-Gesetzgebung

Nach Auffassung des BGH kann den in der NS-Zeit erlassenen Rechtsnormen die formelle Gültigkeit nicht abgesprochen werden, selbst wenn sie aufgrund des umstrittenen Ermächtigungsgesetzes ergangen sind. Die Verfahrensvoraussetzungen schaffe sich nämlich jedes Staatswesen selbst und ihre Wahrung könne nur nach dem jeweils geltenden Staatsrecht beurteilt werden. Eine Regierungsgewalt, die sich durchgesetzt und etabliert hat, sei grundsätzlich zur Setzung formalgültigen Rechts befugt. Anderenfalls käme man zu dem „unmöglichen Ergebnis", daß „nahezu die ganze Gesetzgebung der NS-Zeit rechtsunwirksam wäre". 247 Mit dieser realistisch-positivistischen Betrachtungsweise des Gesetzgebungsprozesses 245 Siehe nur BGHZ 3, 94; 5, 76; 6, 270; 11, Anh. 34; 13, 265; 16, 350; 23, 175; 29, 163; BGHSt 1, 391; 2, 173; 2, 234; 2, 333; 3, 357; 4, 375; 4, 161; 6, 46; 9, 302. 246 Vgl. die markante Passage in RGZ 118, 325/327: „Der Gesetzgeber ist selbstherrlich und an keine anderen Schranken gebunden als diejenigen, die er sich selbst in der Verfassung oder anderen Gesetzen gezogen hat". Ganz selten geht das RG überhaupt auf das Naturrecht ein, siehe RGSt 62, 65/67, wo eine Berufung der Angeklagten auf das Naturrecht i. E. aber abgelehnt wird. 247 BGHZ 5, 76/95 f.; 3, 94/106; BGH NJW 1952, S. 1139 mit Hinweis auf Richard Thoma, Urteilsanm. zu OLG Tübingen, in: DRZ 1948, S. 142 f. Dabei hält der BGH allerdings 6 Hoffmann

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

liegen BGH und BVerfG weitgehend auf einer Linie. Bemerkenswert ist allerdings, daß der BGH seine Position überdies naturrechtlich fundiert und ihr auf diese Weise eine tiefere Legitimation zu geben versucht. Er erklärt, seine Auffassung entspreche auch „naturrechtlichen Anschauungen", wonach jedenfalls die Rechtstatsache der staatlichen Neukonstituierung auch eine revolutionär erlangte Regierungsgewalt legitimiere, wozu er sich auf J. Messners Hauptwerk zum Naturrecht beruft. 248 Damit wird bereits aus der formellrechtlichen Argumentation ersichtlich, daß der BGH im Gegensatz zum BVerfG um einen Rekurs auf das Naturrecht, der hier allerdings eher vordergründig wirkt, geradezu bemüht ist.

2. Inhaltliche

Beurteilung der NS-Normen

Entscheidendes Gewicht legt der BGH auf die materiellrechtliche Überprüfung der NS-Normen. Dabei stellt er sich insbesondere die Frage, ob die Vorschriften „Recht im wahren Sinne" darstellen oder aber ihr Inhalt gegen „naturrechtliche Forderungen", „allgemein gültige Sittengesetze" bzw. „übergesetzliche Rechtsnormen" verstößt. 249 Die Reihe der Entscheidungen, die in diesem Zusammenhang die Radbruchsche Formel explizit oder der Sache nach rezipieren 250 , beginnt mit dem Staatshaftungsurteil vom 12.7.1951, das exemplarisch herausgegriffen werden soll. Darüber hinaus ist anhand eines einschlägigen Strafurteils der fünfziger Jahre die Entwicklung des BGH im Umgang mit der Radbruchschen Formel zu verfolgen.

a) Beginn der Rezeption der Radbruchschen Formel (BGHZ 3, 94) Im Staatshaftungsurteil von 1951 (BGHZ 3, 94) ging es zentral um die Frage, ob die Erschießung eines fahnenflüchtigen Soldaten gerechtfertigt werden kann durch einen sog. Katastrophenbefehl Himmlers vom März 1945, der jeden Waffenträger zur Tötung von Deserteuren auch ohne Standgerichtsverfahren ermächtigt haben soll. Hierbei mußte die Gültigkeit des Befehls geklärt werden. Der BGH spricht dem angeblichen Geheimbefehl bereits aus formellen Gründen die Rechtswirksamkeit ab, da er weder auf einer gesetzlichen Ermächtigung beruhte noch selbst als Gesetz verkündet war. Die in der NS-Zeit teilweise vertretene Auffassung, jede rechtserhebliche Willensäußerung des Führers sei gesetzesgleich, nicht schon jede Willensäußerung Hitlers für gesetzesgleich und rechtsverbindlich. Dazu Peter Schneider, Naturrechtliche Strömungen in deutscher Rechtsprechung, in: ARSP 42 (1956), S. 98/103ff. 248 BGHZ 5, 76/96 mit Verweis auf Messner, Das Naturrecht, 2. Aufl. 1950, S. 496; Weinkauff, Der Naturrechtsgedanke, in: NJW 1960, S. 1689/1691 hält die naturrechtliche Herleitung durch den BGH für unzutreffend. 249 BGHZ 5, 76/97; BGH NJW 1952, S. 1139. 250 BGHZ 3, 94/107; 16, 350/353f.; 23, 175/181; BGHSt 2, 173/177; 2, 234/238f.; 3, 357/362ff.; 10, 294/300f.

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lehnt er ausdrücklich ab. 2 5 1 Daß Unrechtsmaßnahmen häufig nicht in ordnungsgemäßen rechtlichen Formen, sondern aufgrund von Geheimbefehlen ohne gesetzliche Grundlage vollzogen werden, erscheint für Diktaturen typisch. 252 Insofern hätte auch eine rechtspositivistische Position, der an der strikten Einhaltung von Form- und Verfahrensvorschriften gelegen ist, keine Schwierigkeiten, zu einer befriedigenden Lösung derartiger Fälle zu gelangen. Zu einem anderen Ergebnis kämen nur diejenigen Spielarten des Rechtspositivismus, die als gültiges Recht alles ansehen, was nach der jeweils herrschenden Doktrin als Rechtsquelle anerkannt wird, da somit auch geheime Führerbefehle rechtsverbindlich wären. 253 Der BGH nimmt im Staatshaftungsfall darüber hinaus noch zur materiellrechtlichen Seite des Geheimbefehls Stellung und erklärt ihn auch wegen seines Inhalts für rechtlich nicht verbindlich. Eine Geltungsgrenze sei erreicht bei einem Widerspruch zu „allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechtes oder zu dem Naturrecht" oder wenn der Widerspruch zur „Gerechtigkeit" ein „unerträgliches Maß" erreicht. Hierbei zitiert der BGH ausdrücklich die Unerträglichkeits- sowie die Verleugnungsthese Radbruchs 254. Es erfolgt im Anschluß zwar keine Subsumtion unter die einzelnen, alternativ genannten Kriterien, vielmehr eine Gesamtbeurteilung. Die Begründung der Ungültigkeit des Befehls über die „unveräußerlichen Rechte eines Menschen", zu denen auch das Recht gehöre, nicht ohne Gerichtsverfahren seines Lebens beraubt zu werden, läßt sich aber jedenfalls gut der Radbruchschen Formel zuordnen, die die fundamentalen Menschenrechte in das übergesetzliche Recht einbezieht und sich auf diese Weise als praktikabel erweist. Bemerkenswert ist, daß der BGH die Radbruchsche Formel in der hilfsweise vorgenommenen materiellrechtlichen Prüfung nicht nur vorsichtig als möglichen Lösungsvorschlag benennt, wie es bisweilen der Stil des BVerfG war, sondern sie konkret anwendet. Die Tatsache, daß die Geltungsthesen Radbruchs hier sogar in einem obiter dictum herangezogen werden, in einer späteren Entscheidung überdies in einem atypischen Zusammenhang255, dokumentiert die Wirkungskraft des Naturrechtsgedankens in der frühen BGH-Judikatur. 256 251 BGHZ 3, 94/106 im Anschluß an die Rechtsprechung des OGHSt 1, 321/324. 252 Dieter Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 385 folgert mit Grund, daß der Positivismus, der nach verbreiteter Annahme ursächlich für das Verhalten vieler NS-Juristen gewesen sein soll, die Rechtswissenschaft gegen den Nationalsozialismus hätte immunisieren müssen. 253 Siehe dazu Ott, Der Euthanasie-Befehl Hitlers, S. 519 ff., der einen Euthanasiefall an zahlreichen rechtspositivistischen Theorien durchspielt und zum Ergebnis kommt, daß nur ganz wenige Spielarten des Rechtspositivismus, darunter der Institutionalistische Rechtspositivismus, den untersuchten Geheimbefehl als geltendes Recht anerkennen würden; Schumacher, Rezeption, S. 94 f. 254 BGHZ 3, 94/107. 255 BGHZ 23, 175/181. Hier ging es um die Prüfung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Energieversorgung von 1942. In einem obiter dictum zitierte der BGH dabei die Radbruchsche Formel, ohne sie allerdings tatsächlich zur Anwendung zu bringen. 256 Schumacher, Rezeption, S. 97. 6*

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b) Modifizierung der Radbruchschen Formel als Rechtsgeltungsmaßstab (BGHSt 2, 234) Die Analyse der frühen Strafrechtsjudikatur des BGH kann sich unter dem Aspekt der Rezeption der Radbruchschen Formel im wesentlichen auf das grundlegende Deportationsurteil vom 29. 1. 1952 konzentrieren, da sie insoweit ein sehr homogenes Bild vermittelt. 257 Das Urteil soll auch deshalb herausgegriffen werden, da sich der BGH in seiner jüngeren Rechtsprechung darauf erneut bezogen hat. 2 5 8 Im Deportationsfall (BGHSt 2, 234) ging es um die Strafbarkeit von vier ehemaligen Gestapo-Angehörigen, die in der NS-Zeit an Judenverschleppungen mitgewirkt hatten und nun u. a. wegen Beihilfe zur Freiheitsberaubung angeklagt waren. Hierbei war die Rechtswidrigkeit der Taten, sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht, fraglich. Die Vorinstanz hatte die Angeklagten freigesprochen. Sie seien sich der Widerrechtlichkeit ihres Tuns nicht bewußt gewesen. Rechtsgrundlage für die Deportationen sei eine Verordnung von 1933, die jegliche Freiheitsbeschränkungen durch die Gestapo rechtfertigte. Der BGH hält demgegenüber den Freispruch für nicht gerechtfertigt. Die von ethisch-moralischen Erwägungen geprägte Urteilsbegründung des BGH läuft zentral auf die These hinaus, daß „Anordnungen, die die Gerechtigkeit nicht einmal anstreben, den Gedanken der Gleichheit bewußt verleugnen und die allen Kulturvölkern gemeinsame Rechtsüberzeugungen ... deutlich mißachten, kein Recht (schaffen)". 259 Der BGH rezipiert im ersten Teil der These deutlich die Verleugnungsformel Radbruchs, ohne diesen explizit zu nennen. Daneben läßt er ein zweites Kriterium einfließen, das auf einen bei allen Kulturvölkern geltenden „Kernbereich des Rechts" hinweist. Das Kriterium gewinnt in den Urteilsgründen aufgrund seiner häufigen Verwendung sogar ein größeres Gewicht als die Radbruchsche Formel. Mit dem „Kernbereich des Rechts" aller „zivilisierten Völker" 2 6 0 greift der BGH einen Topos auf, der bereits in der frühen Nachkriegsjudikatur, in der Rechtsprechung des OGH entwickelt wurde. 261 Fraglich ist, ob und inwieweit dahinter die Vorstellung eines unwandelbaren Naturrechts steckt. Der BGH selbst legt das Kriterium etwas widersprüchlich und in schwankender Termi257 BGHSt 2, 173/177 - Standgerichtsverfahren - und BGHSt 3, 357/362-2. Deportationsfall - nehmen jeweils auf das erste Deportationsurteil Bezug und fügen im Grunde keine neuen Gesichtspunkte hinzu. Dazu Schumacher, Rezeption, S. 97 ff.; Hans-Joachim Kerkau, Der Naturrechtsgedanke in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, 1966, S. 145 ff. 258 BGHSt 39, 1 /16 - Mauerschützen - . 259 BGHSt 2, 234/238 f.; vgl. BGHSt 2, 173/177; 3, 357/363. 260 BGHSt 2, 234/237. 261 OGHSt 1,11/14; 2, 269/271 f.; OLG Stuttgart, SJZ 1947, Sp. 206; LG Konstanz, SJZ 1947, Sp. 337/341; Arndt, in: SJZ 1948, Sp. 144. Ähnliche Erwägungen finden sich bereits im sog. Nürnberger Urteil von 1946; dazu Kerkau, Der Naturrechtsgedanke, S. 59 ff.

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nologie dar. 262 Einerseits spricht er von „Grundsätzen, die sich bei allen Kulturvölkern im Laufe der Zeit herausgebildet haben", dabei teilweise sogar unter Begrenzung auf den abendländischen Kulturkreis. Dies deutet auf einen empirischen Begründungsansatz und insofern auf ein geschichtlich wandelbares Recht hin. Andererseits bezeichnet der BGH diese Grundsätze vielfach als „unantastbaren Grundstock und Kernbereich des Rechts" wie er „im Rechtsbewußtsein der Allgemeinheit lebt", als eine „überall und jederzeit" geltende Beschränkung staatlicher Willkür. Das weist wiederum auf die Vorstellung allgemeingültiger, überzeitlicher Grundsätze hin. Damit dürfte das Geltungskriterium auch eine normativ-ethische Komponente und eine gewisse Naturrechtsnähe aufweisen. Die Vermutung bestätigt sich durch den Rekurs des BGH auf die „Grundgedanken der Menschlichkeit", die „menschliche Moral" sowie „Wert und Würde der menschlichen Persönlichkeit" 2 6 3 , womit erneut eine enge Verbindungslinie zu Radbruchs Begriff des übergesetzlichen Rechts geschaffen wird. Beide meist in einem Atemzug genannten Geltungsmaßstäbe greifen offenbar ineinander und sind nicht scharf abgrenzbar. Eine Konstellation, die das eine Kriterium bejaht, das andere verneint, ist wohl nicht denkbar. 264 Die Verwendung mehrerer Rechtsgeltungskriterien, deren Verhältnis zueinander nicht ganz klar wird, deutet allerdings auch darauf hin, daß der BGH-Judikatur kein einheitliches, geschlossenes Naturrechtssystem zugrundeliegt. Im Deportationsfall verneint der Senat - gemessen an den genannten Kriterien die Rechtmäßigkeit der zu überprüfenden NS-Anordnungen und Maßnahmen, die damit das Verhalten der Angeklagten objektiv nicht rechtfertigen können. 265 Von hier aus leitet der Senat über auf die Frage, ob die Angeklagten das extreme Unrecht der Maßnahmen erkannt haben. Objektive und subjektive Rechtswidrigkeit der Tat verknüpft er insoweit, als objektiv „grobe Verstöße gegen die Grundgedanken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit" für ihn „regelmäßig auch ein sicheres Anzeichen" dafür sind, daß die Angeklagten im Bewußtsein der Widerrechtlichkeit handelten.266 Die zum unantastbaren Kernbereich des Rechts gehörenden Grundsätze sind demnach im Regelfall dem einzelnen erkennbar. Im Deportationsfall sei dies ebenfalls anzunehmen, zumal die Angeklagten „die Eindrücke, nach denen sich solche Überzeugungen bilden", noch vor der Zeit der ungehemmten NS-Propaganda empfingen. Die Betrachtungsweise der Vorinstanz, die lediglich auf die Übereinstimmung des Handelns mit damals geltenden Gesetzen und Anordnungen 262 Siehe BGHSt 2, 234/239; 2, 333/334; 3, 357/362 f.; 4, 161/162; 9, 302/307; BGHZ 3, 94/106; 9, 34/44; dazu Eleonore Linsmayer, Das Naturrecht in der deutschen Rechtsprechung der Nachkriegszeit, 1963, S. 79 ff.; Weinkauff, Der Naturrechtsgedanke, in: NJW 1961, S. 1689/1691. 263 BGHSt 2, 234 / 238; 2, 333 / 334; 3, 357 / 362. 264 Schumacher, Rezeption, S. 101. 265 BGHSt 2, 234/239; 3, 357/363. Hier entschied der BGH, daß ein Erlaß des Reichssicherheitshauptamtes, der Judendeportationen anordnete, „offensichtlich und bewußt den Kernbereich des Rechts" verletze. 266 BGHSt 2, 234/239.

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abstellt, greife demgegenüber zu kurz. In der Entscheidung wird damit das brisante, in jüngerer Zeit wieder aktuell gewordene Problem umrissen, ob und inwieweit grundlegende Gerechtigkeitspostulate evident sind für jemanden, der in einem Unrechtssystem unter Indoktrination aufgewachsen ist. Bereits Radbruch hat es im Blick, wenn er 1946 Bedenken äußert, ob NS-Richter, die „von dem herrschenden Positivismus soweit verbildet waren", daß sie ein anderes als das gesetzte Recht nicht kannten, überhaupt Rechtsbeugungsvorsatz hatten. 267 In den strafgerichtlichen Urteilen des BGH bildet die moralische Rechtsgeltungslehre unter Einschluß der Radbruchschen Formel den tragenden Entscheidungsgrund und wird nicht durch nachgeschobene positivrechtliche Begründungen überlagert, wie es in der BVerfG-Rechtsprechung bisweilen der Fall war. Im ganzen bekennt sich der BGH offener und entschiedener zu einem nichtpositivistischen Rechtsbegriff als das BVerfG, was schon aus der verwendeten Terminologie deutlich wird. Er spricht vielfach von „Naturrecht", „naturrechtlichen Forderungen" oder „Grundsätzen der Moral" 2 6 8 , während das BVerfG derartige Formulierungen eher zu vermeiden sucht und die Radbruchsche Formel nur vorsichtig heranzieht. Die Formelrezeption taucht in der Rechtsprechung des BVerfG überwiegend in der Gegenüberstellung von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit auf. Die Antinomie findet sich in der Β GH-Judikatur dagegen eher selten, was damit zusammenhängen dürfte, daß der BGH überwiegend geheime Anordnungen und formlose NS-Erlasse zu überprüfen hatte, während Prüfungsgegenstand in der Judikatur des BVerfG formelle NS-Gesetze und Verordnungen waren. 269

c) Zurückweisung der soziologischen Geltungslehre des BVerfG Die unterschiedlichen Auffassungen des BGH und des BVerfG zum Verhältnis von Gesetz und Recht lassen sich besonders eindrucksvoll aufzeigen an der Auseinandersetzung der beiden Gerichte mit dem Gesetz zu Art. 131 GG, das den ehemaligen NS-Beamten ihre Beamtenrechte teilweise entzog. Das BVerfG vertrat im Beamtenurteil die These, daß alle Beamten Verhältnisse am 8. 5. 1945 erloschen sind, die NS-Beamtengesetzgebung allerdings nicht ex post als nichtig angesehen werden könne, dies unter Hinweis auf die soziologische Geltungskraft des positiven Rechts. 270 Eine offene Gegenposition dazu nimmt der Große Zivilsenat des BGH unter Vorsitz von Weinkauff in seinem Beschluß von 1954 ein. Darin wendet er sich gegen die These des automatischen Erlöschens der Beamtenverhältnisse, die den 267 Radbruch, Gesetzliches Unrecht, in: SJZ 1946, S. 105/108 1. Sp. 268 BGHZ 3, 94/106; 5, 76/97; BGHSt 10, 294/301. 269 So Schumacher, Rezeption, S. 102. 270 BVerfGE 3, 58/118 ff. In BVerfGE 6, 132/177 f. geht das BVerfG auf die Kritik des BGH ein.

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teilweisen Entzug der Beamtenrechte zur Folge hatte. Seiner Auffassung nach entbehrten zahlreiche Maßnahmen zur Entrechtung der Beamten, selbst wenn sie „in das äußere Gewand von Rechtsnormen gekleidet waren, jeglicher Rechtsgültigkeit". 2 7 1 Ausdrücklich lehnt er eine soziologische Geltungslehre ab. Unrecht könne auch nicht durch dauernde faktische Durchsetzung zu Recht werden. Die vermutlich auf Verfassungsrichter Drath zurückgehende These des BVerfG legt der BGH dabei allerdings insoweit nicht ganz zutreffend aus, als er annimmt, das BVerfG habe über den Topos der soziologischen Geltungskraft jegliches, auch krass ungerechtes positives Recht als gültiges Recht anerkennen wollen. 272 Im Gegensatz zum BVerfG geht er auf einzelne gegen Beamte gerichtete NS-Maßnahmen inhaltlich ein und grenzt sich jedenfalls bewußt und entschieden von einem realistischpositivistischen Standpunkt ab. Des weiteren führt der BGH aus, das Berufsbeamtentum sei als Institution nicht wesensmäßig entartet worden. Die überwiegende Mehrheit der Beamtenschaft hätte die Bindung an den NS-Staat nur unwillig, unter scharfer Ablehnung und Terror ertragen und sei gerade das Opfer der Unrechtsmaßnahmen gewesen.273 In diesem Punkt erscheint die historische Beurteilung der damaligen Verhältnisse aus heutiger Sicht allerdings zu einseitig. Demgegenüber hat das BVerfG klar herausgestellt hat, daß die NS-Beamtenschaft jedenfalls teilweise das Regime freiwillig gestützt und insoweit eine wesenhafte Umgestaltung des Beamtentums stattgefunden hat. 2 7 4 Der sich gegen das BVerfG offen auflehnende Beschluß des Großen Zivilsenats dürfte maßgeblich vom Senatsvorsitzenden, dem ersten BGH-Präsidenten und ehemaligen Richter am Reichsgericht Weinkauff (1894-1981) beeinflußt sein. Die naturrechtliche Betrachtungsweise und Zurückweisung der soziologischen Geltungslehre scheint in der Tat auf Weinkauff zurückzugehen, der sich nach 1945 entschieden für eine Rückbesinnung auf das Naturrecht aussprach und darin einen Weg sah, einer erneuten Pervertierung des Rechts vorzubeugen. 275 Bei der Diagnose der Rolle der Justiz und Beamtenschaft im NS-System nahm Weinkauff allerdings eine recht einseitige Perspektive ein. Er sah in den Beamten und Richtern zu sehr nur Opfer des NS-Regimes und berücksichtigte zu wenig, daß sie teilweise das Unrecht auch mit verwirklichten und zur Aufrechterhaltung des Systems beitrugen. 276 271 BGHZ 13, 265/297 f. 272 Siehe Albrecht Langner, Der Gedanke des Naturrechts seit Weimar und in der Rechtsprechung der Bundesrepublik, 1959, S. 149: „Der Bundesgerichtshof hätte dem Bundesverfassungsgericht hier allerdings zugute halten müssen, daß es sehr wohl eine Grenze der »soziologischen' Geltungskraft... anerkennt". 273 BGHZ 13, 265/298 ff. 274 BVerfGE 3, 58/113 ff.; 6, 132/135ff., 197ff. 275 Weinkauff, Die deutsche Justiz und der Nationalsozialismus, Teil I, 1968, S. 28 ff.; ders., Das Naturrecht in evangelischer Sicht, in: Zeitwende 23 (1951/52), S. 95 ff.; dazu Walter Odersky, Hermann Weinkauff zur Erinnerung, in: NJW 1994, S. 370. 276 So zutreffend Odersky, Hermann Weinkauff, in: NJW 1994, S. 370; siehe Weinkauff, Die deutsche Justiz, insbes. S. 170ff.; vgl. J. Friedrich, Die kalte Amnestie, S. 167 f.

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Seine Einschätzung der damaligen Verhältnisse hat aber offenbar in den Entscheidungsgründen des Beamtenbeschlusses Niederschlag gefunden.

II. Der Naturrechtsgedanke außerhalb des NS-Kontextes: Die umstrittene Berufung auf das Sittengesetz

Bekenntnisse des BGH zum Naturrecht tauchen nicht nur im Rahmen der Beurteilung von NS-Unrechtsakten auf, wo sie weitgehend zu zufriedenstellenden Lösungen führten und auch überwiegend Zustimmung fanden. Auffallend oft bemüht der BGH aber auch losgelöst vom NS-Kontext das Naturrecht und setzt es somit nicht als bloßes Krisenrecht ein. 2 7 7 So erkennt er beispielsweise zahlreichen Grundrechten des GG überpositiven Charakter zu. 2 7 8 Daneben hat er sich auf ein „allgemeingültiges Sittengesetz" in einigen Strafrechtsentscheidungen ohne NSBezug berufen, was ein sehr widerspruchsvolles Echo erfahren, teilweise sogar scharfen Protest ausgelöst hat. Markantes Beispiel dazu ist der im Schrifttum 279 und auch unter den BGH-Richtern 280 heftig umstrittene Kuppeleibeschluß des Großen Strafsenats von 1954. 281 Dem Großen Senat für Strafsachen war hierbei die Frage vorgelegt worden, ob der Geschlechtsverkehr zwischen Verlobten stets Unzucht im Sinne der damaligen Kuppeleitatbestände der §§ 180, 181 StGB sei. Der Senat hat die Frage im Grundsatz bejaht, seine Begründung erscheint fragwürdig. Nach Auffassung des Großen Senats beruht die innere Verbindlichkeit des Rechts auf seiner „Ubereinstimmung mit dem Sittengebot" und sind der richterlichen Entscheidung ethische Wertungen zugrundezulegen, insbesondere wenn das positive Recht - wie hier die Kuppeleivorschriften - auf einen außerrechtlichen ethischen Maßstab verweist. Die Begründung läuft auf die These hinaus, daß die Normen des Sittengesetzes - im Unterschied zur bloßen wandelbaren Konvention - aus sich selbst heraus gelten, unabhängig davon, ob die Normadressaten sie wirklich befolgen und anerkennen. Ihre Verbindlichkeit beruhe vielmehr auf der „vorgegebenen und hinzunehmenden Ordnung der Werte". Apodiktisch wird erklärt, 277 Vgl. Gebhard Müller, Naturrecht und Grundgesetz, 1969, S. 18. 278 BGHZ 11, Anh. 34 (LS l)/40ff., 64ff.; 6, 270/275; 13, 265/297; 16, 350/353 i.H.a. Art. 3 Abs. 1 und 14 GG; BGHSt 4, 375/376f.; 4, 385/390 für Art. 12 Abs. 2 GG; dazu Langner, Der Naturrechtsgedanke, S. 108 ff.; G. Müller, Naturrecht und Grundgesetz, S. 10 ff. 279 Walter Sax, Zur Frage der Kuppelei bei Geschlechtsverkehr unter Verlobten, in: JZ 1954, S. 474 ff.; Linsmayer, Der Naturrechtsgedanke, S. 12 ff.; A. Kaufmann, Recht und Sittlichkeit aus rechtsphilosophischer Sicht, in: Johannes Gründel (Hrsg.), Recht und Sittlichkeit, 1982, S. 48/50 ff. 280 Siehe Robert Fischer, Das Entscheidungsmaterial in seiner Bedeutung für die höchstrichterliche Rechtsprechung, in: ders. (u. a.), Das Entscheidungsmaterial der höchstrichterlichen Rechtsprechung, 1976, S. 11 /12. 281 BGHSt 6, 46/52ff. Vgl. auch BGHSt 6, 147/151, wonach das „Sittengesetz jeden Selbstmord - von äußersten Ausnahmefällen vielleicht abgesehen - streng mißbilligt".

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das Sittengesetz setze dem Menschen die Einehe als verbindliche Lebensform und wolle, daß sich der Verkehr der Geschlechter grundsätzlich nur in der Ehe vollziehe. 2 8 2 Die Existenz eines unwandelbaren Sittengesetzes, von dem der Große Senat dann aber inkonsequenterweise doch gewisse Ausnahmen zulassen will, wird nicht wirklich näher begründet, sondern rigoros behauptet. Den Thesen liegen bestimmte christlich-abendländische Wertvorstellungen zugrunde, die der BGH in den Rang eines überzeitlich geltenden Normbereichs erhebt. Einflüsse sowohl der katholischen Naturrechtslehre als auch der materialen Wertethik sind hier erkennbar. 283 Nicht unbedenklich erscheint auch, daß auf der Grundlage solcher, von der Anerkennung durch die Rechtsgemeinschaft unabhängiger Leitbilder zudem strafrechtliche Konsequenzen abgeleitet werden. 284 Die überpositive Begründungsstrategie des BGH gerät in diesem Kontext an ihre Grenzen und erscheint nicht ungefährlich. Vereinzelt haben Strafsenate des BGH hingegen - in anderem Zusammenhang die historische Bedingtheit sittlicher Anschauungen anerkannt und von einem wandelbaren Sittengesetz gesprochen. 285 Ebenso äußert sich das BVerfG vorsichtiger und gesteht zumindest die Schwierigkeit ein, die Geltung eines Sittengesetzes festzustellen. 286 Es orientiert sich zwar wie auch der BGH an christlichen Lehren, ohne aber die Frage der Anerkennung sittlicher Werturteile durch die Rechtsunterworfenen völlig aus dem Blick zu verlieren. Man wird das Bekenntnis des Großen Strafsenats zum unwandelbaren Sittengesetz nicht aus der historischen Situation herauslösen und vor allem nicht von den Richterpersönlichkeiten, die es abgelegt haben, isolieren dürfen. 287 Maßgeblicher Einfluß kann auch hier wiederum dem BGH-Präsidenten Weinkauff als entschiedenem Verfechter des christlichen Naturrechtsdenkens zugeschrieben werden. Als einer der wenigen würdigte er den Kuppeleibeschluß ausdrücklich positiv und betrachtete ihn sogar als Höhepunkt der naturrechtlichen Entwicklungslinie in der BGH-Judikatur. 288 Mit dem Beschluß sei der BGH über anfängliche Unklarheiten über den Geltungsgrund des Naturrechts hinausgelangt und habe sich folgerichtig zu einer vorgegebenen Wertordnung bekannt. Dem Einwand, der Beschluß lasse 282 BGHSt 6,46/52 f. 283 Vgl. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 225 ff.; Kerkau, Das Naturrecht, S. 115 ff.; Wilhelm Weischedel, Recht und Ethik, S. 20ff. 284 H. Simon, Katholisierung des Rechts?, S. 39 f.; A. Kaufmann, Recht und Sittlichkeit, in: Gründel (Hrsg.), Recht und Sittlichkeit, S. 61 f.; Wieacker, Rechtsprechung und Sittengesetz, in: JZ 1961, S. 337/344; Sax, Zur Frage der Kuppelei, in: JZ 1954, S. 474ff. 285 BGHSt 11, 241 /248f. - Züchtigungsrecht - ; vgl. BGHSt 4, 24/32; 6, 263/265; dazu Kerkau, Der Naturrechtsgedanke, S. 119 ff.; Richard M. Honig, Bemerkungen zum Sittengesetz in der Strafrechtsjudikatur, in: FS-Dreher, 1977, S. 40 ff. 286 BVerfGE 6, 389/434 f.; vgl. Evers, Zum unkritischen Naturrechtsbewußtsein, in: JZ 1961, S. 241. 287 A. Kaufmann, Recht und Sittlichkeit, in: Gründel (Hrsg.), Recht und Sittlichkeit, S. 54. 288 Weinkauff, Der Naturrechtsgedanke, in: NJW 1961, S. 1689/1691.

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offen, wie das Sittengesetz erschaut werden kann, hält er lapidar entgegen, rechtsphilosophische Ausführungen dazu seien nicht Aufgabe eines Gerichts. Diese Seite der BGH-Judikatur macht deutlich, daß die Berufung auf einen überzeitlich geltenden Normbereich nicht stets zu akzeptablen Ergebnissen führt, sogar sehr fragwürdig sein kann. Indessen läßt sich daraus nicht generell ein Argument gegen eine naturrechtliche Betrachtungsweise ziehen noch automatisch der Rechtspositivismus legitimieren. 289 Der Kuppeleibeschluß macht allerdings die Gefahren und Grenzen sichtbar, an die ein extensiver, rigoroser Umgang mit moralisch-ethischer Argumentation, zumal im Bereich der Sexualmoral, in der Rechtspraxis stoßen kann.

III. Richterliche Rechtsfortbildung im Lichte des Art. 20 Abs. 3 GG

Während der BGH in den bisher untersuchten Entscheidungen das Verhältnis von Gesetz und Recht ohne explizite Nennung des Art. 20 Abs. 3 GG erörtert, äußert er sich im Zusammenhang der Problematik richterlicher Rechtsfortbildung spezifisch zu der Wendung ,Gesetz und Recht 4 . 290 In einer Entscheidung wurde der BGH mit der Frage konfrontiert, ob die in § 137 GVG a. F. vorgesehene Fortbildung des Rechts als Aufgabe des Großen Senats mit dem GG vereinbar ist. Zum Ausgangspunkt seiner Erörterungen nimmt er die Vorschrift des Art. 97 Abs. 1 GG, wonach der Richter nur dem Gesetz unterworfen ist. Diese Norm setzt der BGH in Beziehung zu Art. 20 Abs. 3 GG, der den Richter an Gesetz und Recht bindet und prima facie in Diskrepanz zu Art. 97 GG steht. Hingegen verortet das BVerfG im Soraya-Beschluß von 1968 die Problematik der Rechtsfortbildung sogleich in Art. 20 Abs. 3 GG, ohne überhaupt Art. 97 Abs. 1 GG zu erwähnen und auf das Verhältnis der beiden Normen einzugehen. Der BGH löst das Verhältnis der einschlägigen Verfassungsnormen folgendermaßen: Art. 97 Abs. 1 GG statuiert danach keinesfalls eine strikte richterliche Bindung an das Gesetz als eine nicht mehr fortbildungsfähige Norm. Dem Richter ist die Rechtsfortbildung nicht nur gestattet, er ist dazu sogar verpflichtet, wenn die Findung einer gerechten Entscheidung dies erfordert. Diese Aufgabe habe das GG selbst mit besonderer Klarheit durch die in Art. 20 Abs. 3 GG hervorgehobene Bindung an „Gesetz u n d Recht" zum Ausdruck gebracht. 291 Der Richter würde seiner Aufgabe nicht gerecht, wenn er bei der Auslegung des positiven Rechts beim Gesetzeswortlaut stehen bliebe. Er dürfe, wie Radbruch es auch ausgedrückt habe, den Gedanken des Gesetzgebers nicht nur nachdenken, sondern solle ihn auch zu Ende denken. 292 Damit faßt der BGH Gesetz und Recht nicht als tautologische 289 Vgl. A. Kaufmann, Wozu Rechtsphilosophie heute?, in: ders., Beiträge zur juristischen Hermeneutik, 2. Aufl. 1993, S. 1 /13. 290 BGHZ 3, 308 (LS 2)/315; 29, 163/170 f. 291 BGHZ 3, 308/315. 292 BGHZ 29, 163/171 unter Verweis auf Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Aufl., S. 211.

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Wendung auf, er interpretiert vielmehr die Vorschrift des Art. 97 GG im Lichte des Art. 20 Abs. 3 GG und löst so überzeugend den scheinbaren Widerspruch der beiden Verfassungsnormen. Der Ausdruck Recht verweist danach auf die Gerechtigkeitsfunktion der Rechtsprechung. Inhalt und Maßstab der Gerechtigkeitspostulate läßt der BGH in diesem Kontext allerdings weitgehend offen.

IV. Ursachen der Wiederbelebung des Naturrechts in der frühen Rechtsprechung des BGH

Die Analyse der Judikatur der fünfziger Jahre hat gezeigt, daß sich der BGH sehr offen und in vielfältigen Zusammenhängen zum Naturrecht bekennt. Einer Gleichsetzung von Gesetz und Recht, wie sie für eine streng rechtspositivistische Vorstellung kennzeichnend ist, will er keineswegs folgen. 293 Es bleibt allerdings zu klären, aus welchen rechtsphilosophischen Strömungen sich die naturrechtlich geprägte frühe Rechtsprechung des BGH speist und worin die Ursachen der Naturrechtsrenaissance in der Judikatur liegen. Von der Rechtsprechung kann sicher nicht im Rahmen konkreter Einzelentscheidungen eine Explikation eines geschlossenen Naturrechtssystems erwartet werden. Immerhin eröffnen die entschiedenen Fälle Ausblicke auf naturrechtliche Bezüge, die mosaikartig zusammengesetzt gewisse Verbindungslinien sichtbar machen. 294 Bei seinem Bekenntnis zum überpositiven Recht stützt sich der BGH nicht selten ausdrücklich auf christlich-katholische Lehren und Anschauungen.295 Die Ansicht Weinkauffs, hinter sämtlichen naturrechtlich geprägten Entscheidungen stünden, teilweise unausgesprochen, Einflüsse der christlichen Naturrechtslehre und die Judikate erwiesen sich als „Bruchstücke einer großen Konfession", erscheint allerdings als zu harmonistisch. 296 Wie beispielsweise der Kuppeleibeschluß gezeigt hat, sind auch Anknüpfungen an die materiale Wertethik erkennbar. 297 Darüber hinaus begnügt sich der BGH häufig mit der Berufung auf übergesetzliche Rechtsgrundsätze, ohne weiter nach ihrem Geltungsgrund zu fragen oder sie gar in einem bestimmten Naturrechtssystem zu verorten, so daß sie mitunter mehr wie das eindrucksvolle persönliche Bekenntnis hoher Richter wirken. Dies hat dem BGH nicht ganz zu Unrecht den Vorwurf eines unkritischen Naturrechtsbewußtseins eingetragen. 298 Angesichts des vielfältigen und variierenden Naturrechtsbezugs ist 293 So BGHZ 11, Anh. 34/41 f. 294 Vgl. G. Müller, Naturrecht und Grundgesetz, S. 7 f., 32; Evers, Zum unkritischen Naturrechtsbewußtsein, in: JZ 1961, S. 241 /242. 295 BGHZ 5, 76/97; 11, Anh. 34/61 ff.; BGHSt 6, 147/151. 296 Weinkauff, Der Naturrechtsgedanke, in: NJW 1960, S. 1689/1696; kritisch dazu Schumacher, Rezeption, S. 93; Evers, Zum unkritischen Naturrechtsbewußtsein, in: JZ 1961, S. 241/242. 297 Siehe Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 225 f.; G. Müller, Naturrecht und Grundgesetz, S. 32 ff.

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es kaum möglich, die überpositiven Begründungsversuche der frühen Judikatur einer bestimmten Lehre zuzuordnen. Festgehalten werden kann aber, daß die Erwägungen zentral um Wert und Würde des Menschen, um fundamentale Menschenrechte kreisen, Vorstellungen also, wie sie sich in der Rezeption der Radbruchschen Formel niedergeschlagen haben und als kleinster gemeinsamer Nenner angesehen werden können. 299 Die deutliche Hinwendung des BGH zu einer naturrechtlichen Betrachtungsweise des Rechts dürfte entscheidend durch einzelne Richterpersönlichkeiten geprägt sein. Maßgeblichen Einfluß wird man in diesem Zusammenhang dem ersten BGH-Präsidenten Weinkauff und auch Geiger, der parallel als Richter am BVerfG tätig war, zuschreiben können. Geigers Einfluß auf naturrechtlich inspirierte Entscheidungen des Zweiten Senats des BVerfG ist oben bereits nachgegangen worden. 300 Zu Weinkauff ist folgendes zu sagen: Sein entschiedenes Bekenntnis zum überpositiven Recht erklärt sich daraus, daß er im Anschluß an Radbruchs Wehrlosigkeitsthese die Pervertierung der Rechtsordnung im „Dritten Reich" dem „schwächlichen Rechtspositivismus" und dem angeblich blinden Gesetzesgehorsam der Juristen anlastet, die von den ethischen Grundlagen des Rechts nichts mehr gewußt hätten. 301 Diese damals weit verbreitete Meinung erscheint aus heutiger Sicht allerdings als eine zu einseitige Schuldzuweisung. Weinkauff sieht in der Rückbesinnung auf die naturrechtliche Grundlage des Rechts die Möglichkeit, einer erneuten totalitären Bedrohung vorzubeugen. Dabei will er in Anknüpfung an christliche Naturrechtslehren wenige grundlegende, aus der Personhaftigkeit des Menschen sich ergebende und mit „großer intuitiver Sicherheit" zu ergreifende Rechtssätze nachweisen.302 Die ersten Schritte zu einer naturrechtlichen Grundlegung des Rechts, die der BGH entschlossen unternommen habe, sollen seiner Ansicht nach noch stärker fortgesetzt werden. Abgesehen von dem besonderen Einfluß einzelner Richterpersönlichkeiten dürfte die Hinwendung zu einem bisweilen auch wenig hinterfragten Naturrecht sicher zuvorderst durch die erschütternde Erfahrung des NS-Unrechtssystems motiviert gewesen sein und eine Reaktion auf die Ereignisse darstellen. Hauptantrieb für die Naturrechtsrenaissance in der anfänglichen Phase der Tätigkeit des 298

So Evers, Zum unkritischen Naturrechtsbewußtsein, in: JZ 1961, S. 241 ff.; siehe Heinrich Lau, Naturrecht und Restauration. Zur Kritik eines Legitimationsmusters in Justiz und Rechtstheorie der Nachkriegszeit, 1994, insbes. S. 17 ff.; H. Simon, Katholisierung des Rechts?, S. 18. 299 G. Müller, Naturrecht und Grundgesetz, S. 33 f. 300 Siehe oben § 4 A. III. 2. 301 Weinkauff, Die deutsche Justiz, S. 28 ff.; ders., in: Ansprachen zur Verabschiedung des Präsidenten des BGH, S. 43 ff.; kritisch dazu Odersky, Hermann Weinkauff, in: NJW 1994, S. 370. 302 Weinkauff, Das Naturrecht in evangelischer Sicht, in: Zeitwende 23 (1951 / 52), S. 95/ 98 ff.; ders., Richtertum und Rechtsfindung in Deutschland, S. 30ff.; ders., Der Naturrechtsgedanke , in: NJW 1960, S. 1689 ff.

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BGH war wohl die vorherrschende Vorstellung, durch eine Abkehr von einer rechtspositivistischen Sichtweise die Wiederkehr einer Rechtspervertierung für die Zukunft unmöglich zu machen. 303

B. Der Rechtsbegriff des BGH seit den sechziger Jahren Zu klären ist, ob der BGH - wie Weinkauff es erhoffte - seine nichtpositivistisch geprägte Rechtsprechung über die fünfziger Jahre hinaus fortgesetzt hat oder mit dem Ubergang der BGH-Präsidentschaft Anfang der sechziger Jahre auf Heusinger und anschließend auf Fischer eine Wende eingeleitet wurde.

I. Der schwindende Einfluß des Naturrechtsgedankens

Eine Durchsicht der seit Anfang der sechziger Jahre ergangenen Entscheidungen bringt zum Vorschein, daß der Rekurs auf überpositives Recht spürbar zurückgegangen ist, naturrechtlich inspirierte Judikate nur noch selten auffindbar sind. 304 Die Tatsache läßt darauf schließen, daß der BGH gegenüber einer naturrechtlichen Fundierung des Rechts wesentlich zurückhaltender geworden ist. Sie hängt zum anderen aber auch entscheidend damit zusammen, daß Fallkonstellationen mit einem spezifischen NS-Bezug seltener geworden sind. Die Radbruchsche Formel, die der BGH in den fünfziger Jahren vielfach als Lösungsvorschlag im Kontext des NS-Unrechts bemühte, wird in der Folgezeit so gut wie nicht mehr aufgenommen. In einer Entscheidung, die sich mit einem NSGesetz befaßt, zieht der BGH unter Anknüpfung an die Judikatur des BVerfG Radbruchs Rechtsgeltungslehre allerdings zumindest der Sache nach heran und verneint dabei im Ergebnis einen „evidenten Widerspruch" des Gesetzes zu den „beherrschenden Prinzipien der Gerechtigkeit". 305 Des weiteren verzichtet der BGH weitgehend darauf, die im GG normierten Grundrechte naturrechtlich zu fundieren und ihren überpositiven Charakter herauszustellen, wie es in der Anfangsphase sehr extensiv geschah. Auf das Naturrecht bezieht er sich auch nicht mehr stets mit klarer positiver Einstellung. 306 Die spezifische Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG wird in der späteren Judikatur des BGH zwar nicht mehr eigens erörtert. Wenn der BGH sich aber bei Fragen der Rechtsfortbildung auf Art. 20 Abs. 3 GG 303

G. Müller, Naturrecht und Grundgesetz, S. 14; Weinkauff, Der Naturrechtsgedanke, in: NJW 1961, S. 1689/1691; vgl. Odersky, Ansprache, in: 40 Jahre Bundesgerichtshof, Vorträge von Othmar Jauernig und Claus Roxin, 1991, S. 16/22. 3 04 BGHZ 36, 296/305 spricht das „überpositive Recht" nur am Rande an; BGH JZ 1980, S. 657/658; BGH JZ 1981,S. 66; siehe G. Müller, Naturrecht und Grundgesetz, S. 13 ff. 305 In dem Urteil des BGH JZ 1981, S. 66 ging es um das Gesetz über den Grundbesitz der russisch-orthodoxen Kirchen in Deutschland vom 25. 2. 1938. 3 06 Vgl. BGHSt 20, 342/355 ff.; 36, 296/305; BGH JZ 1980, 657.

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stützt, so legt er das Gewicht auf die richterliche Bindung an das Gesetz und mißt der Rechtsbindung offenbar keine besondere Bedeutung mehr bei. 3 0 7 Bei der Überprüfung von Gesetzesrecht scheint er es eher zu vermeiden, die Frage der Rechtsgeltung an überpositivem Recht auszurichten. Prüfungsmaßstab sind vielmehr zuvorderst das GG, insbesondere die Grundrechte sowie sonstiges höherrangiges Gesetzesrecht.308 Damit verlagert der BGH das Spannungsverhältnis zwischen Gesetz und Recht praktisch auf die Ebene des positiven Rechts, insbesondere des Verfassungsrechts. In seiner frühen Judikatur ließ er bereits beiläufig verlauten, daß im demokratischen Rechtsstaat des GG der Rekurs auf überpositives Recht weitgehend verzichtbar werde vor allem wegen der Bedeutung der Grundrechte, durch die das GG die Grundgedanken der Gerechtigkeit positiviert habe. Die äußerste Geltungsgrenze, die der BGH zu Anfang anhand der Radbruchschen Formel und des unantastbaren Kernbereichs des Rechts aller Kulturvölker ermittelt hat, ergebe sich nunmehr aus den Art. 1 - 1 9 GG. 3 0 9 Unter einer solchen Verfassung wie der des GG, die der Gerechtigkeit zu dienen bestrebt ist und Wert und Würde des Menschen achtet, sei der Gedanke fernliegend, daß die staatlich gesetzten Normen den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit widersprechen könnten. 310 In diesem Punkt liegen die Auffassungen des BGH und des BVerfG auf einer Linie. Das BVerfG hält ebenfalls einen Widerstreit einer Norm mit Gerechtigkeitspostulaten im demokratischen Verfassungsstaat nur für „entfernt denkbar". 311 Gewisse naturrechtliche Bezüge weist die BGH-Rechtsprechung über die fünfziger Jahre hinaus im Rahmen der Argumentation mit dem Sittengesetz auf. Erstmals berief sich der Große Strafsenat des BGH recht apodiktisch auf unwandelbare, zeitlos gültige Normen des Sittengesetzes in dem frühen Kuppeleibeschluß, der wie gezeigt mit Recht auf heftige Kritik gestoßen ist. Anhand der ,Sittengesetz'-Rechtsprechung läßt sich anschaulich die Entwicklung des BGH verfolgen. Während ein Strafsenat 1962 in einem ähnlichen Fall an der im Kuppeleibeschluß vertretenen Auffassung des Großen Strafsenats noch festhielt und weiterhin die Geltung eines von menschlicher Anerkennung unabhängigen Sittengesetzes beschwor 312 , offenbarte sich gegen Ende der sechziger Jahre eine tiefgreifende Wende. Das Abrücken des Gerichts von einem rigorosen moralisch-ethischen Standpunkt zeigte sich besonders im ,Fanny Hiir-Urteil, in dem über die Frage der Unzüchtigkeit einer Schrift zu entscheiden war. Der BGH erklärte hier gerade entgegengesetzt, es komme für die Beurteilung auf die sittlichen Grundanschauungen der Gemeinschaft an, die zeitbedingt und damit dem Wandel unterworfen seien 307 Siehe BGHSt 22, 146/153; 23, 176/179: „Der Rechtsfortbildung sind durch Art. 20 Abs. 3 GG enge Grenzen gezogen". 308 BGHZ 100, 1 /9; vgl. BGHZ 116, 319/325. 309 BGHSt 2, 234/238; 3, 357/362. 310 BGHSt 2, 234/240. 311 BVerfGE 3, 225/232. 312 BGHSt 17, 230/233.

§ 5 Entwicklungslinien der Judikatur des BGH

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und an denen auch die Rechtsprechung nicht vorbeigehen könne. 313 Er stellt überdies - in deutlichem Gegensatz zum Kuppeleibeschluß - fest, daß das Strafgesetz nicht die Aufgabe habe, auf geschlechtlichem Gebiet einen moralischen Standard des erwachsenen Bürgers durchzusetzen. 314 Von einem vorgegebenen, zeitlos gültigen Sittengesetz spricht der BGH nicht mehr, vielmehr nimmt er eine historischrelativierende Perspektive ein. Die Judikatur zum Sittengesetz macht sichtbar, daß der BGH seit Mitte der sechziger Jahre von einer absoluten naturrechtlichen Position Abstand genommen hat und der Anerkennung eines unwandelbaren, überzeitlichen Normenbereichs wesentlich zurückhaltender gegenübersteht. Damit schließt sich die Frage an, worin die Gründe für den Rechtsprechungswandel liegen.

II. Ursachen der Abwendung des BGH vom Naturrechtsargument

Die Ursachen für die abnehmende Bedeutung des Naturrechts in der Β GH-Judikatur sind sicher vielschichtig. Einmal ist zu beachten, daß der BGH mit Fällen zum NS-Unrecht mit zunehmendem zeitlichen Abstand seltener konfrontiert wurde und die Frage nach dem Rechtsbegriff sich damit nicht mehr so häufig aufdrängte. Der Schwerpunkt der Entscheidungstätigkeit des Gerichts verschob sich von der Bewältigung der Ausnahmelage der NS-Zeit und seiner rechtlichen Folgen hin zur Entscheidung bürgerlichrechtlicher Streitigkeiten im Rechtsstaat. Darüber hinaus ist die Abkehr des BGH von einer naturrechtlich geprägten Position vor allem im Zusammenhang mit der zentralen Bedeutung der Grundrechte des GG zu sehen, die nunmehr als Gerechtigkeitsmaßstab fungieren. Diesen Gesichtspunkt hat auch der zweite Präsident des BGH Heusinger in seiner Antrittsrede angesprochen. 315 Aufschlußreich erscheint ein Vergleich der Ansprache Heusingers mit der seines Vorgängers Weinkauffs anläßlich der Verabschiedung aus dem Präsidentenamt im Jahre 1960. Hier deutet sich hinsichtlich des Bekenntnisses zum Naturrecht vorsichtig eine Wende an. Während Weinkauff rückblickend auf ein Jahrzehnt Rechtsprechung feststellt, der BGH habe die naturrechtliche Grundlegung des Rechts mit bemerkenswertem Elan und Folgerichtigkeit in Angriff genommen und für eine Fortsetzung dieser Rechtsprechung plädiert, ist bei Heusinger leise Skepsis gegenüber dem Naturrechtsgedanken nicht zu überhören. 316 Als Grunderlebnis, so Heusinger, habe seine Richtergeneration die erschreckende Erfahrung des politischen Systems des Nationalsozialismus geprägt, dessen Frucht die Naturrechts313 BGHSt 23, 40/42; vgl. BGHSt 23, 240/243; 24, 318/319; 92, 213/219; A. Kaufmann, Recht und Sittlichkeit, in: Gründel (Hrsg.), Recht und Sittlichkeit, S. 48/52, meint, die Quintessenz des „Fanny Hill"-Urteils mute „fast revolutionär" an; vgl. Honig, Bemerkungen zum Sittengesetz, in: FS-Dreher, S. 39/40 f. 314 BGHSt 23, 40/43. 315 Bruno Heusinger, in: Ansprachen zur Verabschiedung des Präsidenten des BGH Dr. Hermann Weinkauff, 1960, S. 53/56 f.; dazu Roderich Glanzmann, Geleitwort, in: Ehrengabe für Bruno Heusinger, 1968, S. 9/10 f. 316 Weinkauff, in: Ansprachen, S. 41/49; Heusinger, in: Ansprachen, S. 55 ff.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

renaissance war. Sogleich räumt er aber ein, mit Wort und Begriff des Naturrechts gerate man in einen Kreis von Zweifeln und Streitpunkten. Heusinger legt im ganzen kein so klares Bekenntnis zum Naturrecht ab wie Weinkauff, distanziert sich allerdings auch nachdrücklich von einem engen Gesetzespositivismus. Unter der Geltung des GG hält er zwar Gesetze für möglich, die das Gerechtigkeitsbedürfnis nicht hinreichend befriedigen. Die Positivierung der Grundrechte sei aber dicht genug, um jedes Gesetz zu entkräften, das einen unerträglichen Widerspruch zur Gerechtigkeit erreiche. Die Gefahr zerreißender Pflichtenkonflikte zwischen Gesetzesunterworfenheit und Gewissenstreue erscheine für den Richter zudem durch grundgesetzliche Sicherungen insbesondere verfahrensrechtlicher Art institutionell ausgeräumt. Heusinger mahnt gleichzeitig zu Wachsamkeit, denn die verfassungsrechtlichen Garantien könnten letzte Geborgenheit nicht geben. In späterem Zusammenhang bezog er speziell zu »Gesetz und Recht4 gem. Art. 20 Abs. 3 GG Stellung. Seiner Ansicht nach wirkt das GG mit dem Zusatz ,und Recht4 einer zu engen Auffassung von der Gesetzesunterworfenheit des Richters entgegen. Mit der Lockerung der Gesetzesbindung erkenne das GG Befugnisse der Gerichte zur Rechtsfortbildung im Sinne einer Anpassung überkommener Normen an eine sich wandelnde Welt an. 3 1 7 Dem Rechtsbegriff mißt Heusinger damit nur sehr begrenzte Bedeutung bei. Ähnlich deutet auch sein Amtsnachfolger Fischer die umstrittene Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG. Ihm zufolge sind die Begriffe Gesetz und Recht nicht synonym gebraucht, die Formel weise im wesentlichen lediglich auf das Problem des Richterrechts hin, ohne dabei für den Einzelfall eine klare Lösung anzubieten.318 Die dargelegten Ansichten der beiden auf Weinkauff folgenden BGH-Präsidenten können als exemplarisch gelten für die seit den sechziger Jahren zunehmend skeptischere Einstellung gegenüber dem Naturrecht. Angesichts der Geltung einer Verfassung, die die wesentlichen Werte des unveräußerlichen Rechts, namentlich die Würde des Menschen, zum Ausdruck bringt, glaubt man sich der Notwendigkeit eines Rekurses auf überpositives Recht im wesentlichen enthoben.319 Diese Tendenz hat sich in der Entscheidungspraxis niedergeschlagen. Mit Blick auf die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung kann festgehalten werden, daß der BGH sich in den fünfziger Jahren deutlich stärker naturrechtlich orientierte, seit den sechziger Jahren aber ein Umschwung und eine weitgehende Angleichung an die zurückhaltendere Rechtsprechung des BVerfG stattgefunden hat.

317 Heusinger, Rechtsfindung und Rechtsfortbildung im Spiegel richterlicher Erfahrung, 1975, S. 39ff., 78 ff.; vgl. Odersky, Ansprache, in: Jauernig/Roxin, 40 Jahre Bundesgerichtshof, S. 16/23. 318 Robert Fischer, Die Weiterbildung des Rechts durch die Rechtsprechung, 1971, S. 11, insbes. Fn. 12. 319 Siehe Odersky, Ansprache, in: Jauernig / Roxin, 40 Jahre Bundesgerichtshof, S. 22 f.

§ 6 Auseinandersetzung um Gesetz und Recht im Schrifttum

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§ 6 Die Auseinandersetzung um Gesetz und Recht im Schrifttum Das Begriffspaar des Art. 20 Abs. 3 GG hat von Anfang an nicht nur der Rechtspraxis erhebliche Auslegungsschwierigkeiten bereitet, mehr noch war sie Gegenstand lebhafter Erörterungen im rechtswissenschaftlichen Schrifttum. Der Verlauf der im Schrifttum geführten Diskussion über Gesetz und Recht soll in den wesentlichen Zügen nachgezeichnet und Entwicklungslinien im Gesetzes- und Rechtsverständnis herausgearbeitet werden.

A. Die fünfziger Jahre: Tendenz zu einem nichtpositivistischen Rechtsverständnis Zunächst ist das im rechtswissenschaftlichen Schrifttum der fünfziger Jahre vertretene Meinungsspektrum aufzuzeigen, wobei das besondere Augenmerk den ersten Auflagen der Grundgesetzkommentare gilt. 3 2 0

I. Der naturrechtlich geprägte Rechtsbegriff (Bachof, Süsterhenn u. a.)

In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre ist, gleichsam als Nachwirkung und Fortsetzung der in der frühen Nachkriegszeit einsetzenden Naturrechtsrenaissance vielfach eine naturrechtliche Deutung des Rechtsbegriffs des Art. 20 Abs. 3 GG anzutreffen. Repräsentativ für diese Richtung sind Bachof, Hamann, E. von Hippel sowie Süsterhenn. 321 Dieser Meinungsgruppe zufolge weist die Bindung der vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung an Gesetz und Recht auf einen möglichen Konflikt des positiven Gesetzes mit überpositivem Recht hin und werden über Art. 20 Abs. 3 GG 320 Vgl. den Überblick über das Meinungsspektrum bis Anfang der sechziger Jahre bei Baumeister, Die Bedeutung von „Gesetz und Recht", S. 13 ff. u. bei Nikolaus Achtmann, Möglichkeiten und Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung auf der Grundlage des Bonner Grundgesetzes, 1965, S. 30 ff. 321 Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, 1950, S. 23 ff., 50 ff.; Friedrich Giese, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, 1949, Vorbem. zu Art. 1, Art. 20 Anm. II 7 f.; Andreas Hamann, Das Grundgesetz. Kommentar für Wissenschaft und Praxis, 1956, Einf. S. 4 f., 22 ff., 46 ff. und Art. 20 GG, Anm. C 10; Ernst von Hippel, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, in: VVDStRL 10 (1952), S. 1 ff.; Hermann Jahrreiß, Gesetz und Recht - Recht und Gesetz, in: NJW 1950, S. 3 ff.; W Mallmann, ... la bouche qui prononce les paroles de la loi?, in: JZ 1951, S. 245 f.; Curt Staff, Gesetz und Recht, in: Vortrage gehalten anläßlich der Hessischen Hochschulwochen für staatswissenschaftliche Fortbildung, 1953, S. 128 ff.; Ekkehard Stein, Die Bindung des Richters an Recht und Gesetz, 1958, insbes. S. 17ff., 35 ff.; Süsterhenn/Schäfer, Kommentar der Verfassung für Rheinland-Pfalz, Einl. S. 18 ff. u. Art. 121, Anm. 4 ff.; Franz Wieacker, Gesetz und Richterkunst. Zum Problem der außergesetzlichen Rechtsordnung, 1957, S. 7. 7 Hoffmann

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metaphysische Weitungen in das Verfassungsrecht einbezogen. Die Formel unterstreiche, daß der Richter sich nicht von seiner Verantwortung für den Rechtsgehalt eines Gesetzes freizeichnen und gesetzliches Unrecht als verbindliches Recht anerkennen könne. 322 Der Zusatz ,und Recht4 ist danach auch unter der Geltung des GG keineswegs überflüssig, zumal ein Staat nie ganz „Rechts-Staat" sei. 323 Wie der Inhalt der postulierten übergesetzlichen Rechtsgrundsätze zu bestimmen und eine mögliche Kollision des Gesetzes mit dem Naturrecht aufzulösen ist, wird innerhalb dieser Richtung nicht ganz einheitlich beantwortet. Überwiegend greift man dabei auf die nach 1945 im rechtsphilosophischen Schrifttum entwickelten Lösungsvorschläge zurück. Während sich ζ. B. Süsterhenn und E. v. Hippel am neothomistischen katholischen Naturrechtsdenken orientieren, folgen andere der wertethischen Konzeption Coings. Einigen wie Bachof erscheint die vorsichtige Grenzziehung Radbruchs zur Kennzeichnung gesetzlichen Unrechts trotz ihrer Konturenunschärfe weiterhin vorbildlich. 324 Im Ergebnis ist man sich unterdessen in zweierlei Hinsicht weitgehend einig. Zum einen besteht Ubereinstimmung darüber, daß das übergesetzliche Recht seine inhaltliche Ausprägung vor allem in den unveräußerlichen Menschenrechten findet, zu denen sich auch Art. 1 Abs. 2 GG bekennt. Zum anderen wird übereinstimmend festgestellt, daß als übergesetzliches Recht nur dasjenige ethische Minimum anzuerkennen ist, ohne daß eine Ordnung nicht mehr die Bezeichnung Rechtsordnung verdienen würde. Der Rückgriff auf ganz grundlegende Gerechtigkeitspostulate kann danach also stets nur die ultima ratio des Rechtsstaats sein. Diesen sollte man sich deshalb als „Notausgang" allerdings nicht versperren. 325 Mit dem Hinweis auf die Korrektivfunktion des übergesetzlichen Rechts im Ausnahmefall wird gleichzeitig dem Einwand begegnet, die Rechtssicherheit werde zu sehr vernachlässigt und dem Richter eine allzu weitgehende Prüfungsbefugnis zugebilligt. Die Vertreter dieser Richtung sehen sich zudem durch die Naturrechtsjudikatur der frühen Nachkriegszeit bestätigt. Diese habe gezeigt, daß die Schwierigkeiten, die mit der Anerkennung übergesetzlichen Rechts verbunden sind, nicht unüberwindlich sind und die Gefahren einer naturrechtlich orientierten Rechtsprechung eher überschätzt würden. In verfassungssystematischer Hinsicht wird mit Grund geltend gemacht, daß die Bestimmung des Art. 97 Abs. 1 GG einer naturrechtlichen Deutung des Art. 20 322

Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, S. 27 f., 51 unter Hinweis auf Erdsiek, Anmerkung zum Urteil des OLG Hamburg, in: SJZ 1948, Sp. 42. 323 Jahrreiß, Gesetz und Recht, in: NJW 1950, S. 3/5. 324 Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, S. 53 f.; Süsterhenn/Schäfer, Kommentar, Einl. S. 21 ff.; E. v. Hippel, Gewaltenteilung im modernen Staat, S. 44. Der Coingschen Konzeption folgt z. B. Staff, Gesetz und Recht, in: Vorträge, S. 128/143. 325 Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen, S. 28 f., 53 ff. im Anschluß an Erdsiek, Anmerkung zum Urteil des OLG Hamburg, in: SJZ 1948, Sp. 42; E. v. Hippel, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, in: VVDStRL 1952 (10), S. 1/10 f.; Staff, Gesetz und Recht, in: Vorträge, S. 128/140 ff. Siehe dazu Birgit von Bülow, Die Staatsrechtslehre der Nachkriegszeit (1945-1952), 1996, S. 103 f.

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Abs. 3 GG nicht entgegensteht. Mit der traditionellen Formel von der Gesetzesunterworfenheit des Richters werde nur der Grundsatz der Weisungsfreiheit festgelegt, nicht aber eine abschließende Aussage über den Umfang der richterlichen Bindung getroffen. 326 Zudem habe das GG selbst - insbesondere durch Art. 1 Abs. 1, 2 GG und die Grundrechte - das überpositive Recht zum bindenden Bestandteil der Verfassung erhoben. 327 Bachof hebt dabei hervor, daß die durch das GG erfolgte Positivierung des Naturrechts den übergesetzlichen Rechtsgehalt wohl nicht voll ausschöpft. 328 Die in den frühen fünfziger Jahren sehr verbreitete naturrechtliche Interpretation des Art. 20 Abs. 3 GG gründet sich, wie ihre Vertreter selbst feststellten, in erster Linie auf die noch frische Erinnerung der erschütternden Ereignisse der NS-Zeit. In der Besinnung auf das Naturrecht als Quelle und Grundlage der staatlichen Gesetze und einer Abkehr vom engen Rechtspositivismus, der meist pauschal und einseitig als Wurzel der Rechtspervertierung im Dritten Reich angesehen wurde, sah man die beste Lösung und teils auch einzige Alternative, um eine Wiederholung derartiger Zustände zu vermeiden. Allerdings war man sich dabei durchaus bewußt, daß die Berufung auf ein Naturrecht Gefahren birgt, zumal auch der Nationalsozialismus vielfach mit einem - mißverstandenen - Naturrecht jongliert habe. 329

II. Das abgeschwächte Recht-vor-Gesetz-Denken (v. Mangoldt, F. Klein u. a.)

Ein abgeschwächtes Recht-vor-Gesetz-Denken findet sich überwiegend in den frühen Kommentaren zum Grundgesetz und kristallisiert sich insoweit als vorherrschende Position im verfassungsdogmatischen Schrifttum der fünfziger Jahre heraus. Zu nennen sind hier der Kommentar zum Grundgesetz von H. v. Mangoldt, den F. Klein 1957 fortführte, die Kommentierung Hamanns seit der zweiten Auflage sowie der Bonner Kommentar in der Bearbeitung von Wernicke. 330 Die Rich326

Bachof, Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, S. 52, Fn. 103; vgl. Jahrreiß, Gesetz und Recht, in: NJW 1950, S. 3, Fn. 4, der mit Recht auf den nicht eindeutigen Sprachgebrauch des GG hinsichtlich des Gesetzesbegriffs hinweist; Hamann, GG-Kommentar, Art. 97, Anm. C 3; Mallmann, ... la bouche, in: JZ 1951, S. 245 unter Hinweis auf die Genese des Art. 97 GG. 327 Süsterhenn/Schäfer, Kommentar, Art. 121 Verfassung Rheinland-Pfalz, Anm. 4; Giese, GG-Kommentar, Art. 20, Anm. I I 7; E. v. Hippel, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, in: VVDStRL 1952 (10), S. 1 /16; Hamann, GG-Kommentar, Einf. I A 2; vgl. Jahrreiß, Gesetz und Recht, in: NJW 1950, S. 3/5. 328

Bachof Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, S. 27 f.; dazu kritisch v. Bülow, Die Staatsrechtslehre, S. 109 f. 329 Staff, Gesetz und Recht, in: Vorträge, S. 128/137 f., 142; Bachof Verfassungswidrige Verfassungsnormen?, S. 30; E. Stein, Bindung des Richters, S. 17 ff. 33 0 v. Mangoldt, GG-Kommentar, 1953, Art. 20 Anm. 6 f., Art. 97 Anm. 3; F. Klein, in: v. Mangoldt/Klein, GG-Kommentar, 2. Aufl. 1957, Art. 20 GG, Anm. V I 4; ders., Bonner Grundgesetz und Rechtsstaat, in: ZgesStW 106 (1950), S. 390 ff.; Kurt Georg Wernicke, in: 7=

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tung läßt sich grob dergestalt umreißen, daß Gesetz und Recht in ein Spannungsverhältnis gesetzt und damit eine streng positivistische Identifikation der Begriffe negiert wird, andererseits aber deutliche Vorbehalte gegenüber einer naturrechtlichen Aufladung des Rechtsbegriffs bestehen. Η. v. Mangoldt war selbst als Vorsitzender des Grundsatzausschusses an den Beratungen im Parlamentarischen Rat maßgeblich beteiligt. Der Genese des GG noch ganz verpflichtet, sieht er in Art. 20 Abs. 3 GG vor allem den Gedanken des materiellen Rechtsstaats zum Ausdruck gebracht, dies als Reaktion auf die fortgesetzten Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip in der NS-Zeit. Die Wendung verweise mit dem Zusatz ,und Recht' zum einen auf das Gewohnheitsrecht und darüber hinaus auf „die ewige Spannung zwischen Gesetz und Recht", die sich bis „zum vollen Widerspruch verdichten kann". 331 Nach v. Mangoldt können derartige Konflikte vor allem dann auftreten, wenn überkommene Normen veränderten Sachlagen nicht mehr gerecht werden. Insoweit seien Widersprüche zwischen Gesetz und Recht zumindest auf längere Sicht unvermeidlich. Die Lösung hat sich dann am „allgemeinen Rechtsempfinden" der billig und gerecht Denkenden zu orientieren. 332 Im ganzen bleibt bei den relativ knappen Ausführungen v. Mangoldts der Gehalt des Rechtsbegriffs und der mögliche Lösungsweg im Kollisionsfalle undeutlich. Der bloße Hinweis auf ein Spannungsverhältnis zwischen Gesetz und Recht ohne genauere Explikation des Gerechtigkeitsbegriffs kann die an Art. 20 Abs. 3 GG herangetragenen Fragen nicht hinreichend beantworten und wirft seinerseits ungelöste Probleme auf. Ausführlicher als v. Mangoldt nimmt in der zweiten Auflage des Kommentars F. Klein zum Ausdruck Recht Stellung und spricht sich dabei klar gegen naturrechtliche Konnotationen des Begriffs aus. Im Anschluß an v. Mangoldt und unter schlichtem Hinweis auf die Genese des Art. 20 Abs. 3 GG vertritt Klein, daß die Formel „die ewige Spannung" zwischen Gesetz und Recht widerspiegele. Dabei faßt er die beiden Begriffe lediglich als formal-abstrakte Relationsbegriffe auf, Gesetz bedeutet „Positivität ohne Wertgehalt" und Recht „Wertgehalt ohne PositiBK, Art. 20 GG, Anm. II 3 e); Hamann, GG-Kommentar, 2. Aufl. 1961, Art. 20 Anm. 8 a) cc) im Anschluß an die Kommentierung F. Kleins; Ipsen, Verfassung, in: DV 1949, S. 486ff.; H. J. Wolff, Rechtsgrundsätze und verfassunggestaltende Grundentscheidungen, in: GSW. Jellinek, S. 33 ff.; E. Schmidt, Gesetz und Richter. Wert und Unwert des Positivismus, 1952, S. 12 ff. 331 v. Mangoldt, GG-Kommentar, Art. 20, Anm. 7, S. 140. 332 v. Mangoldt, GG-Kommentar, Art. 20, Anm. 7, S. 140 unter Hinweis auf ein Urteil des OLG Oldenburg, NJW 1950, S. 38/39, in dem es um Normen des Wirtschaftsstrafrechts ging, die einer „veränderten wirtschaftlichen Lage seit langem nicht mehr Rechnung trugen". Aus der Gegenüberstellung von Gesetz und Recht in Art. 20 Abs. 3 GG folgert das OLG, daß die Verfassung davon ausgehe, die Begriffe könnten zueinander in Widerspruch stehen und erklärt weiter: „Stellt ein Richter fest, daß ein Rechtsgedanke eine herrschende Rechtsüberzeugung in dem Sinne ist, daß es das Rechtsgefühl des billig und gerecht denkenden Mitbürgers verletzen würde, verhülfe er ihm nicht zum Zuge, so ist ein solcher Richter nach der Verfassung nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, ihn anzuwenden".

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vität". 3 3 3 Von hier aus löse sich auch der scheinbare Widerspruch zu Art. 97 Abs. 1 GG dergestalt, daß der dortige Ausdruck Gesetz in Art. 20 Abs. 3 GG in seine Bestandteile Positivität und Wertgehalt zerlegt und insofern eben keine Identität der verfassungsrechtlichen Gesetzesbegriffe gegeben sei. Art. 20 Abs. 3 GG selbst gibt nach Ansicht von F. Klein keine nähere Auskunft über den Maßstab, an dem der Wertgehalt eines Gesetz zu messen ist. Infolgedessen dürfe in der Verfassungsnorm kein Hinweis auf einen Rechtsbegriff bestimmten Inhalts gesehen werden, insbesondere nicht auf eine Verwurzelung allen positiven Rechts im Naturrecht oder auf die Geltung einer Rechtsordnung naturrechtlichen Gehalts. Als Maßstäbe kommen vielmehr ausschließlich die Wertentscheidungen des GG selbst in Betracht, wozu Klein u. a. das Willkürverbot, aber auch das in Art. 1 Abs. 2 GG zum Ausdruck gekommene überpositive Recht zählt. Die formalistische Interpretation der Wendung durch Klein erscheint nicht ganz überzeugend. Gesetz und Recht werden danach im Grunde nur als inhaltsleere Begriffshülsen aufgefaßt. Die Konstruktion einer begrifflichen Aufspaltung des Begriffspaars in „Positivität" und „Wertgehalt" wirkt künstlich und mutet merkwürdig an. Auch die Lösung des Verhältnisses von Art. 20 Abs. 3 GG zu Art. 97 Abs. 1 GG über die Annahme zweier verschiedener Gesetzesbegriffe vermag nicht zu überzeugen. Schließlich bringt Klein, indem er für die Bestimmung der inhaltlichen Maßstäbe des Rechts auf andere Vorschriften des GG verweist, Art. 20 Abs. 3 GG weitgehend um seine eigenständige Bedeutung.334 Klein hat sich in seiner Kommentierung des Art. 20 Abs. 3 GG teilweise explizit Wernicke angeschlossen, der im Bonner Kommentar im Ergebnis eine ähnliche Auffassung vertritt, dabei allerdings in der Argumentation klarer erscheint. Wernicke zufolge bringt die Formulierung des Art. 20 Abs. 3 GG eine entschiedene Abkehr von einer streng rechtspositivistisch verstandenen Gesetzesunterworfenheit zum Ausdruck. Mit Grund stellt Wernicke fest, daß der Ausdruck Recht nicht lediglich auf die Bindung auch an das Gewohnheitsrecht verweisen wolle, da sich dies bereits aus dem Einzelbegriff Gesetz herleiten ließe. Vorbehalte meldet er andererseits auch gegenüber der verbreiteten metaphysischen oder naturrechtlichen Deutung des Rechtsbegriffs an. Er begründet dies damit, daß das GG im Gegensatz ζ. B. zur Rheinland-Pfälzischen Verfassung das Naturrecht nicht explizit anspricht und der Verfassunggeber es bewußt vermieden habe, das Naturrecht als ein das GG beherrschendes Prinzip anzuerkennen. Dies belege auch die Entstehungsgeschichte des GG. Der Argumentation kann in diesem Punkt nur bedingt gefolgt werden. Zwar enthält das GG nicht ausdrücklich die Begriffe Naturrecht oder überpositives Recht, 333 F. Klein, in: v. Mangoldt / Klein, GG-Kommentar, 2. Aufl. 1957, Art. 20 GG, Anm. V I 4. 334 Kritisch zur Konstruktion Kleins auch Maihofer, Die Bindung des Richters, in: Annales Univ. Saraviensis VIII (1960), S. 5/12 ff. u. Achtmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 32 ff.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

aus Art. 6 Abs. 2 GG sowie Art. 1 Abs. 2 GG ergeben sich allerdings durchaus naturrechtliche Bezüge des GG. Zudem geht aus der Genese des GG, besonders aus den Beratungen des Art. 1 GG hervor, daß die Verfassunggeber die Grundrechte in einem naturrechtlichen Zusammenhang gesehen und auch sonst vielfach den Naturrechtsgedanken beschworen haben. 335 Des weiteren folgert Wernicke aus der Reihenfolge der Nennung der Begriffe Gesetz und Recht, daß der vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung in erster Linie Gesetzesgehorsam abverlangt wird. Das Gesetz hat danach gewissermaßen grundsätzlich die Vermutung für sich, zugleich Recht zu sein. Nur ausnahmsweise entfaltet der Begriff Recht seine Wirkung, weshalb Wernicke ihm im allgemeinen nur eine „normativ-kritische Funktion" zuschreibt. 336 Der positive Gehalt des Rechtsbegriffs bestimme sich durch die das GG fundierenden Wertentscheidungen, wie sie vor allem in den Grundrechten zum Ausdruck kommen. Damit wird das Recht inhaltlich wiederum an das positive Verfassungsrecht gekoppelt und im Ergebnis recht eng gefaßt. Der engen Auslegung der Bindungsformel liegt, wie Wernicke selbst klarstellt, die Befürchtung zugrunde, daß ein weit gefaßter Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG erheblich Gefahren für die Rechtssicherheit birgt. Die Staatsgewalt könnte sich sonst über den Begriff des Rechts beliebiger metaphysischer Wertungsmaßstäbe bedienen und sich „allzu schöpferisch" in der Rechtsanwendung betätigen.337 Dies stellt sicherlich eine nicht unberechtigte Sorge dar, liefert aber nicht generell ein Argument gegen eine weite Auslegung des Rechtsbegriffs, denn es könnten sich praktikable Verfahren und Maßstäbe finden lassen, um die beschriebenen Gefahren in Grenzen zu halten.

I I I . Die spannungslose Deutung des Art. 20 Abs. 3 GG (Maunz u. a.)

Während der überwiegende Teil der Grundgesetzkommentatoren Gesetz und Recht in ein gewisses Spannungsverhältnis setzt und dieses in unterschiedlicher Weise auflöst, wollen einige Verfassungsinterpreten dem Begriffspaar des Art. 20 Abs. 3 GG jegliche Spannung absprechen. Eine solche Position vertreten Maunz in seinem seit 1951 erschienenen Staatsrechtslehrbuch, Bettermann und Darmstaedter. 338 Dabei wird innerhalb der Richtung das spannungslose Verhältnis von Gesetz und Recht differenziert interpretiert. 335 Siehe Matz, in: JÖR N.F. 1 (1950), S. 48 ff. 336 Wernicke, in: BK, Art. 20 GG, Anm. II 3 e). 337 Wernicke, in: BK, Art. 20 GG, Anm. II 3 e). 338 Theodor Maunz, Deutsches Staatsrecht, 1951, S. 43 f.; Karl August Bettermann, Die Unabhängigkeit des Richters, in: Die Grundrechte III/2, 1959, S. 523ff.; Friedrich Darmstaedter, Der Begriff „Recht" in Art. 20 Abs. 3 GG, in: NJW 1957, S. 769 ff., ferner Felix Buse, Gesetzespositivismus, in: JR 1949, S. 361/365 Fn. 34; vgl. Paul Bockelmann, Richter und Gesetz, in: FS-Rudolf Smend, 1952, S. 23 ff.

§ 6 Auseinandersetzung um Gesetz und Recht im Schrifttum

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1. Unterscheidung von gesetzten und ungesetzten Rechtsnormen

Maunz versteht unter Gesetz i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG jedes formelle Gesetz sowie alle hiervon abgeleiteten geschriebenen Rechtssätze. Der Ausdruck Recht hingegen meine das ungesetzte Recht, wozu die aus den Grundprinzipien des GG unmittelbar ableitbaren und alle sonstigen ungeschriebenen Rechtsnormen zählen. Diesen schreibt Maunz Positivität und rechtliche Durchsetzbarkeit zu und folgert daraus, daß Recht nicht naturrechtliche Sätze umfassen kann. Die Konjunktion ,und' bringt die Begriffe in ein Ergänzungsverhältnis dergestalt, daß die Staatsgewalt sich nicht ausschließlich auf ungeschriebenes Recht oder ethische Prinzipien stützen darf, sondern stets einer Grundlage in einer geschriebenen Rechtsnorm bedarf, die wiederum in Übereinstimmung mit dem Recht stehen müsse. Seit der vierten Auflage des Lehrbuchs 1955 hat Maunz allerdings, unter dem Eindruck neuerer Gedanken seines Lehrers Nawiasky 339 , die als gemäßigt positivistisch charakterisiert werden können, den Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG neu akzentuiert und seine spannungslose Auslegung modifiziert. Seinen bisherigen Ausführungen fügt er die These hinzu, daß Gesetz und Recht jenen Gegensatz zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit meine, den Radbruch mit seiner Unerträglichkeitsthese umschrieben habe. 340 Diese Aussage erscheint widersprüchlich und inkonsequent gegenüber seinem bisher vertretenen naturrechtskritischen Standpunkt. Maunz schiebt allerdings sogleich nach, daß er sich hierbei auf Nawiasky stützt, der nachgewiesen habe, daß auch die Radbruchsche Formel Bestandteil des positiven Rechts sein könne. Nawiasky hatte in einem 1954 erschienenen Aufsatz engagiert gegen den Begriff des überpositiven Rechts Stellung genommen und die These vertreten, daß vorrechtliche, vom Verfassunggeber zugrundegelegte Ideen, zu denen möglicherweise auch der Rechtsgedanke der Radbruchschen Formel zähle, aus dem positiven Recht selbst ableitbar seien und nicht von außen an die Rechtsordnung herangetragen werden. Daher gebe es kein legitimes Bedürfnis nach Rückgriff auf einen metapositiven Normbereich, der überdies leicht der Gefahr einer mißbräuchlichen Verwendung ausgesetzt sei. In diesem Sinne will Maunz die Radbruchsche Formel als inhärenten Bestandteil des positiven Rechts, entweder als vorrechtliche Idee oder als Staatsfundamentalnorm ausweisen und entzieht damit dem Begriffspaar des Art. 20 Abs. 3 GG doch wieder weitgehend die Spannung. Er verlagert den Konflikt zwischen Gesetz und Recht auf die positivrechtliche Ebene und relativiert seinen positivistischen Standpunkt nicht so gravierend, wie es zunächst scheint. Insgesamt bleibt in der Maunzschen Konzeption weitgehend offen, inwieweit sich die Radbruchsche Formel dogmatisch und methodisch im positiven Verfassungsrecht verorten läßt. 339

Hans Nawiasky, Positives und überpositives Recht, in: JZ 1954, S. 717 ff.; siehe Zacher, Hans Nawiasky, in: FS-Maunz, S. 493 ff.; Hans Julius Wolff, Rechtsgrundsätze, in: GS-W. Jellinek, S. 33/36. 3 40 Maunz, Deutsches Staatsrecht, 4. Aufl. 1955, S. 55.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

Noch spannungsloser als Maunz deutet Ende der fünfziger Jahre Bettermann das Begriffspaar des Art. 20 Abs. 3 GG. Es kann danach nur auf die Unterscheidung von Gesetz im formellen und materiellen Sinn bzw. von gesetztem und ungesetztem Recht hindeuten, dagegen nicht auf einen Konflikt zwischen Rechtssatz und Gerechtigkeit. 341 Dies begründet er - anders als Maunz - mit teleologischen und funktionalen Gesichtspunkten. Das Auseinanderfallen von Gesetz und Recht war nach 1945 bei der Bewältigung des NS-Unrechts praktisch bedeutsam geworden, was Bettermann selbst damals anerkannt hat. 3 4 2 Unter der Geltung des GG könnten aber derartige Konflikte nicht mehr auftauchen. Das als materiale Wertordnung konzipierte GG garantiert Bettermann zufolge selbst den notwendigen Mindestgehalt an Gerechtigkeit, vor allem durch die Grundrechte, und läßt kein Gesetz zu, das der Gerechtigkeit evident widerspricht. Insoweit kommt dem Recht in Art. 20 Abs. 3 GG keine eigenständige Bedeutung mehr neben dem Gesetz zu. Der Argumentation Bettermanns ist entgegenzuhalten, daß die justizielle Bewältigung des NS-Unrechts - wie insbesondere später der Staatsangehörigkeitsbeschluß des BVerfG 343 von 1968 gezeigt hat - damals noch nicht als abgeschlossen gelten konnte und überdies ein neuerliches Auftreten einer Ausnahmelage nicht undenkbar war und ist. Ferner ist es zwar zutreffend, daß das GG die Verwirklichung materieller Gerechtigkeit in verschiedenen Bestimmungen sicherstellt und dem Problem des gesetzlichen Unrechts zumindest die Spitze nimmt. Dennoch bleibt fraglich, ob das GG tatsächlich lückenlosen Schutz vor gesetzlichem Unrecht bieten und Gerechtigkeitspostulate abschließend konstitutionalisieren kann.

2. Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG als objektives Recht

Weitgehend spannungsentladen sieht auch Darmstaedter das Verhältnis von Gesetz und Recht. 344 Die Nennung von Recht in Parallele zu Gesetz in Art. 20 Abs. 3 GG veranlasse dazu, unter Recht zunächst das objektive Recht, d. h. die Gesamtheit der innerhalb einer Rechtsordnung geltenden Rechtsvorschriften zu verstehen. Bindungswirkung entfalten danach für Exekutive und Judikative sowohl subjektive Rechte, insbesondere die Grundrechte, als auch das objektive Recht. Beide sieht Darmstaedter in engem Zusammenhang stehend, nicht als spannungsgeladene Gegensätze. Mit dieser Deutung weist er im Ergebnis dem Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG keine eigenständige Bedeutung zu, da das objektive Recht seinerseits erst sub341 Bettermann, Die Unabhängigkeit der Gerichte, in: Die Grundrechte, Bd. III/2, S. 523/ 531 ff.; dazu Baumeister, Die Bedeutung von „Gesetz und Recht", S. 13 f. 342 Bettermann, Rechtsstaat ohne unabhängige Richter, in: NJW 1947/48, S. 217/218: „Wir, die wir heute wieder um den Unterschied von Recht und Gesetz wissen, die wir erfahren haben, daß es gesetzliches Unrecht gibt und daher auch übergesetzliches Recht geben muß...". 343 BVerfGE 23, 98. 344 Darmstaedter, Der Begriff „Recht", in: NJW 1957, S. 769 ff.

§ 6 Auseinandersetzung um Gesetz und Recht im Schrifttum

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jektive Rechte verleiht. So umfaßt die Bindung an das Gesetz gem. Art. 20 Abs. 3 GG als objektives Recht auch die Verfassung selbst, die ihrerseits in Art. 1 Abs. 3 GG die unmittelbare Geltung der Grundrechte anordnet. Die Gesetzes- und Rechtsbindung des Art. 20 Abs. 3 GG hebt diese enge Verbindung danach nur besonders hervor. Darüber hinaus faßt Darmstaedter - ähnlich wie Maunz und Bettermann Gesetz und Recht als Unterscheidung von gesetztem und ungesetztem Recht auf. Die Begriffe weichen danach nicht in ihrem Gehalt, lediglich in der Setzungsform voneinander ab. Dem Recht kommt gegenüber dem Gesetz ergänzende, komplementäre Funktion zu. Dabei will Darmstaedter das ungesetzte Recht nicht im Sinne der Radbruchschen Rechtsidee oder metaphysischer Wertungen verstanden wissen, eher als eine Art Gewohnheitsrecht. Das Recht empfange seinen Inhalt aus dem „Rechtsgefühl", das als Bestandteil der psychischen Wirklichkeit aufgefaßt wird. 3 4 5 Hierbei wird nicht ganz klar, welche ungesetzten Rechtsnormen als aus dem natürlichen Rechtsgefühl erwachsen anzuerkennen sind. Das ungesetzte Recht scheint bei Darmstaedter im Ergebnis mit dem durch die Gerichte anerkannten Gewohnheitsrecht gleichgesetzt und ist insoweit enger gefaßt als bei Maunz und Bettermann.

IV. Gesetz und Recht als weitgehend identische Begriffe (Evers, Forsthoff)

In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre, die durch eine naturrechtsfreundliche Atmosphäre gekennzeichnet ist, findet sich eine tautologische Deutung des Begriffspaars ,Gesetz und Recht4 nur ganz vereinzelt und dazu mit recht vordergründiger Argumentation. So setzt beispielsweise Schräder die Begriffe Recht und Gesetz gleich mit der lapidaren Begründung, andernfalls ließe sich die Vorschrift des Art. 20 Abs. 3 GG nicht mit Art. 97 Abs. 1 GG vereinbaren. 346 Oberflächlich und überzogen wirkt auch sein Argument, eine größere Freiheit der Richter im Umgang mit Gesetzen würde auf eine Befreiung von der Bindung an die Gesetze überhaupt hinauslaufen und damit zu unerträglicher Rechtsunsicherheit führen. Ein mögliches tatsächliches Auseinanderfallen von Gesetz und Recht leugnet Schräder dabei indessen nicht. Dieses läßt sich seiner Auffassung nach aber nur de lege ferenda lösen durch eine Erweiterung der Prüfungszuständigkeit des BVerfG über Art. 100 GG hinaus auf eine „unbeschränkte Rechtskontrolle" der Gesetze. 345 Darmstaedter, Der Begriff „Recht", in: NJW 1957, S. 769/771; kritisch dazu mit Recht R. Buchsbaum, Nochmals: Der Begriff „Recht" in Art. 20 Abs. 3 GG, in: NJW 1957, S. 1181. 346 Hans-Wilhelm Schräder, Recht und Gesetze, in: Recht-Staat-Wirtschaft, Bd. 3, 1951, S. 78/84 f.; kritisch dazu Maihofer, Die Bindung des Richters, in: Annales Univ. Saraviensis VIII (1960), S. 5/7f.; vgl. Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Teil I, 1952, S. 222.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

Gegen Ende der fünfziger Jahre mehren sich allerdings die positivistischen Stimmen und werden vielschichtigere Argumente in die Diskussion eingebracht. Beispielhaft für eine verstärkte Hinwendung zu einer Identifizierung des Gesetzesmit dem Rechtsbegriff in den späten fünfziger Jahren sind die Auffassungen von Evers und Forsthoff. Evers kann dem Zusatz ,und Recht' gem. Art. 20 Abs. 3 GG nicht viel Sinn abgewinnen. Die Bindung an das Recht könne allenfalls Bedeutung für positivrechtlich nicht geregelte Aufgabenbereiche der vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung haben, etwa für politische Aufgaben der Regierung oder die richterliche Gesetzesauslegung und Lückenfüllung. Naturrechtliche Implikationen des Rechtsbegriffs lehnt Evers entschieden ab. Die Formel würde sonst zu einem „das Staatsleben gefährdenden und hemmenden Doppelbegriff 4 . 347 Hauptargument ist, daß das Naturrecht für den Richter nicht greifbar vorhanden ist, sondern allenfalls widersprüchliche Naturrechtssysteme existieren, die nicht als allgemeinverbindlich gelten können wie das positive Gesetz. Damit bringt Evers einen Gedanken in die Diskussion ein, der zu einem Standardargument gegen eine weite Interpretation des Rechtsbegriffs geworden ist und in der Auseinandersetzung um Art. 20 Abs. 3 GG bis heute gern ins Feld geführt wird. Kritisch einzuwenden ist, daß Evers hier lediglich lapidar behauptet, daß das Naturrecht vieldeutig und in der Rechtspraxis unbrauchbar sei, ohne sich mit dem Naturrechtsgedanken näher auseinanderzusetzen. Weiter macht er geltend, im GG fehle jeglicher Hinweis darauf, welches Naturrechtssystem als verbindlich anzusehen sei, im Gegensatz ζ. B. zu der naturrechtlich geprägten Verfassung von Rheinland-Pfalz, die in der Präambel Gott als den Urgrund des Rechts benenne. Der Vergleich dieser Landesverfassung mit dem insoweit zurückhaltenderen Text des GG wurde in den fünfziger Jahren häufig als Begründung für eine enge Auslegung des Rechtsbegriffs herangezogen. Auch Bettermann beruft sich auf das Argument, das allerdings, wie dargelegt, nicht ganz stichhaltig ist. Schließlich führt Evers systematische Aspekte an. So könne es nicht richtig sein, die Gesetzgebung gem. Art. 20 Abs. 3, 1. HS GG nur an die verfassungsmäßige Ordnung, die beiden anderen Gewalten hingegen zusätzlich an überpositives Recht zu binden. Des weiteren gehe insbesondere aus Art. 100 GG und dem Institut der Richteranklage gem. Art. 98 GG hervor, daß der Richter nicht zur Entscheidung über die Naturrechtswidrigkeit eines Gesetzes befugt sei. Die Argumente finden sich größtenteils auch in der neueren verfassungsrechtlichen Diskussion um Art. 20 Abs. 3 GG wieder und sollen daher im zweiten Teil der Arbeit eingehender behandelt werden. 348 Das Gesetzes- und Rechtsverständnis Forsthoffs gleicht im Ergebnis und in den Begründungsansätzen der tendenziell positivistischen Auffassung Evers4. Forsthoff führt darüber hinaus noch rechtspolitische Erwägungen gegen eine sittlich-ethische Anreicherung des Rechtsbegriffs des Art. 20 Abs. 3 GG ins Feld. 349 Nach Forst347 Evers, Der Richter und das unsittliche Gesetz, S. 105 ff. 348 Siehe § 11 B. 349 Forsthoff, Die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG). Strukturanalytische Bemerkungen zum Übergang vom Rechtsstaat zum Justizstaat, in: DÖV 1951, S. 41 ff.; weni-

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hoff spiegeln sich zwar in der Bindungsformel die Erfahrungen mit der Legalität in der NS-Zeit. Die der Formel ursprünglich zugedachte Schutzfunktion für extreme Situationen könne sie aber schwerlich erfüllen. Mit krassem gesetzlichen Unrecht sei unter der Geltung des GG nicht ernsthaft zu rechnen. Die rechtstechnischen Strukturen der rechtsstaatlichen Verfassung bieten demnach vielmehr gegenüber offenbarem Unrecht wirksameren Schutz als die Berufung auf überpositive Gehalte. Dahinter steckt wiederum die Vorstellung, daß mit dem GG ein nahezu perfektes, lückenloses Instrument zum Schutz gegen extremes Unrecht geschaffen sei. Des weiteren warnt Forsthoff davor, die Formel des Art. 20 Abs. 3 GG mit den „schweren ideologischen Gewichten der Ethik, des Naturrechts usw." aufzuladen, die sich zudem zu beliebigen Zwecken einsetzen ließen. 350 Ihm zufolge birgt die Wendung insoweit sogar spezifische Gefahren für den Rechtsstaat, der mit der unbezweifelten Verbindlichkeit des positivierten Rechts stehe und falle. Die Berufung auf überpositives Recht läuft danach auf die Preisgabe der Rationalität des Rechts hinaus und enthüllt zumindest die Unsicherheit des Rechtsstaats, ob seine Gewährleistungen der gesetzmäßigen Freiheit ausreichend sind. Hiermit greift Forsthoff in überspitzter, polemischer Form das klassische Argument der Rechtssicherheit gegen das Naturrecht auf, das bereits Evers ins Feld führte. Demnach erscheint jegliche Öffnung des Rechtsbegriffs notwendig als ein Einströmen des Irrationalen in das positive Recht. Forsthoff diagnostiziert darüber hinaus eine gefährliche Machterweiterung der Dritten Gewalt in der Bundesrepublik, eine Wendung vom Rechtsstaat zum Justizstaat, in dem der Richter selbst entscheidet, wann er an das Gesetz gebunden ist und wann er unter Berufung auf das Recht frei judiziert. Diese nicht unbedenkliche Entwicklung habe zwar nicht ihren Urspung in Art. 20 Abs. 3 GG, sei aber durch ihn ermöglicht worden. Angesichts dessen plädiert Forsthoff für eine sehr restriktive Auslegung der Verfassungsnorm. Die Formel könne sinnvoll nur so verstanden werden, daß das Recht lediglich als allgemeine Aushilfe bei der Korrektur technischer Fehler wie Koordinationsversehen von Normen fungiert. Mithin weist Forsthoff dem Rechtsbegriff aus funktionalen und rechtspolitischen Erwägungen heraus nur minimale eigenständige Bedeutung gegenüber dem Gesetzesbegriff zu. Aus den skizzierten Auffassungen von Evers und Forsthoff wird deutlich, daß sich gegen Ende der fünfziger Jahre allmählich eine Tendenz zu einem positivistischen Verständnis von Gesetz und Recht abzeichnet, während zu Anfang jenes Jahrzehnts noch ein naturrechtlich geprägtes Rechtsdenken dominierte. ger positivistisch noch ders., Zur Problematik der Rechtserneuerung, in: Zeitwende 19 (1947/48), S. 679: „Die Gleichsetzung des Rechts mit den staatlich gesetzten (positivierten) Rechtsnormen findet heute in Deutschland schwerlich mehr einen wissenschaftlich ernst zu nehmenden Verfechter". Dazu Baumeister, Die Bedeutung von „Gesetz und Recht", S. 14 ff. 350 Forsthoff, Zur Problematik der Rechtserneuerung, in: Zeitwende 19 (1947/48), S. 679/684: „So wäre es nicht falsch, in der „rassegesetzlichen Rechtslehre" des Nationalsozialismus den Ansatz zu einer Naturrechtsbildung zu sehen. ... Mit dem Naturrecht kann man alles beweisen und rechtfertigen".

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

B. Die Diskussion um Art. 20 Abs. 3 GG seit den sechziger Jahren Der weitere Verlauf der im Schrifttum geführten Diskussion um den Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG ist unter dem Aspekt zu untersuchen, ob sich der Ende der fünfziger Jahre einsetzende Trend zur positivistischen Auslegung der Wendung fortgesetzt und verfestigt hat.

I. Recht als konkrete Natur der Sache (Maihofer, A. Kaufmann)

Überblickt man die Grundgesetzkommentare und das sonstige Schrifttum seit den sechziger Jahren, läßt sich feststellen, daß die Formel,Gesetz und Recht4 seltener als Hinweis auf die Bindung an überpositives Recht gedeutet wird. Die naturrechtlichen Stimmen sind stark rückläufig, allerdings nicht gänzlich verstummt. Erwähnung verdienen in diesem Zusammenhang die Auffassungen Maihofers und des Radbruch-Schülers A. Kaufmann. In umfangreichen Aufsätzen nahmen beide Anfang der sechziger Jahre zum Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG unter eingehender Auseinandersetzung mit den bisherigen Interpretationsansätzen Stellung. 351 Maihofer und A. Kaufmann plädieren auf der Basis rechtsontologischer Überlegungen für einen nichtpositivistischen Rechtsbegriff, den sie allerdings nicht im Sinne des klassischen Naturrechts verstanden wissen wollen. Ausgehend von der Genese der Verfassungsnorm legen sie dar, daß die Wendung ,Gesetz und Recht' nicht auf den bloßen Gesetzesbegriff reduziert werden darf, Art. 20 Abs. 3 GG vielmehr den Gedanken des wahren, materialen Rechtsstaats zum Ausdruck bringen will. Die kumulative Erwähnung der beiden Begriffe habe nur dann einen vernünftigen Sinn, wenn hiermit eine Bindung auch an nichtpositiviertes Recht ausgesprochen ist. Die überpositive Bindung kann dabei in zweifacher Hinsicht von Bedeutung sein. Zum einen fungiert das ungesetzte Recht in Ausnahmesituationen als Regulativ und Korrektiv des positiven Rechts. Für die Lösung derartiger Konflikte zwischen Gesetz und Recht, die auf Fälle extremen gesetzlichen Unrechts zu beschränken seien, trifft nach A. Kaufmann die Radbruchsche Formel durchaus das Richtige. 352 351 Maihofer, Die Bindung des Richters, in: Annales Univ. Saraviensis VIII (1960), S. 5 ff.; ders., Naturrecht als Existenzrecht, 1963; vgl. dens., Zum Verhältnis von Rechtssoziologie und Rechtstheorie, in: Rechtstheorie. Beiträge zur Grundlagendiskussion, hrsg. von G. Jahr und W. Maihofer, 1971, S. 247 ff., insbes. S. 255 ff. A. Kaufmann, Gesetz und Recht, in: FSE. Wolf, S. 357 ff. und die Weitelführung seiner Gedanken in: Die Geschichtlichkeit des Rechts im Licht der Hermeneutik (1969), in: ders., Beiträge zur juristischen Hermeneutik, 2. Aufl. 1993, S. 25 ff., insbes. S. 45 f. Weitere nichtpositivistische Ansätze finden sich bei Kurt Eichenberger, Die richterliche Unabhängigkeit als staatsrechtliches Problem, 1960, S. 194 ff., insbes. S. 197: „Das Recht kann es sich offenbar nicht leisten, eine Korrekturmöglichkeit gegenüber mangelhaftem Gesetzesrecht ungenutzt zu lassen..."; Dieter Brüggemann, Die rechtsprechende Gewalt. Wegmarken des Rechtsstaats in Deutschland, 1962, S. 41 ff., Manfred Bertelmann, Die Ratio decidendi zwischen Gesetzesanwendung und Rechtssatzbildung, 1975, S. 52 ff.

§ 6 Auseinandersetzung um Gesetz und Recht im Schrifttum

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Zum anderen enthält Art. 20 Abs. 3 GG das permanente Gebot an die rechtsprechende Gewalt, nicht nur die formale Gesetzlichkeit, sondern vor allem konkret materiale Gerechtigkeit zu verwirklichen, indem der Richter die abstraktgenerelle Lösung des Gesetzes mit dem wirklichen Leben im Einzelfall konfrontiert. 353 Die Rechtsfindung hat sich dabei nach Maihofer an den aus der Natur des Menschen ableitbaren Grundsätzen, die inzwischen weitgehend Grundbestand des positiven Verfassungsrechts geworden sind, zu orientieren sowie an den abstrakten Prinzipien der Vernunft. Da diese nur allgemeine Leitgrundsätze darstellen, die dem Richter die konkrete Fallentscheidung nicht ganz abnehmen können, ist zudem der Rekurs auf die konkrete „Natur der Sache" notwendig. Das Sein des Menschen werde nämlich durch seine jeweilige konkrete Existenz bestimmt, die Lebens Verhältnisse haben ihre eigene konkrete Natur und Sachgesetzlichkeit.354 Der Rückgriff des Richters auf die Natur der Sache biete sich insoweit an, als eine positive Norm unvollständig oder unklar ist oder aber gänzlich fehlt. A. Kaufmann sieht in Gesetz und Recht Begriffe von wesensmäßiger, ontologischer Verschiedenheit, die sich zueinander verhalten wie Möglichkeit und Wirklichkeit. 355 Das abstrakte staatliche Gesetz ist erst eine notwendige Stufe auf dem Weg zur Verwirklichung des Rechts, eine graduelle Konkretisierung, aber noch nicht die Wirklichkeit des Rechts selbst. Erst in der richterlichen Entscheidung eines Lebenssachverhalts, die stets ein Mehr gegenüber der Leistung des Gesetzgebers ist, gewinne das Recht seine seinshafte Dichte.,Recht4 ist damit ein immerwährender Prozeß, keine statische, feststehende Größe, und auch nicht identisch mit einem absoluten und unveränderlichen Naturrecht. Es entsteht nicht einfach durch Deduktion aus gesetzten Normen, sondern wird gesprochen. In diesem Zusammenhang weist Kaufmann darauf hin, daß auch die Sprache nicht von ungefähr zwischen ,Gesetz-Gebung' und ,Recht-Sprechung' unterscheide. 356 Insgesamt fällt damit die entscheidende Rolle den Richtern zu, wenn es darum geht, den „mutigen Schritt" mitzugehen, den das GG mit der Formulierung ,Gesetz und Recht' gewagt habe und der aus dem Gesetzesstaat erst eigentlich einen Rechtsstaat macht. 357 Maihofer und Kaufmann sehen in der Wendung keinesfalls eine Gefahr für den Rechtsstaat, bewerten sie im Gegenteil sehr positiv und weisen 352 A. Kaufmann, Gesetz und Recht, in: FS-Ε. Wolf, S. 357/366ff.; vgl. auch Maihofer, Die Bindung des Richters, in: Annales Univ. Saraviensis VIII (1960), S. 5/18 Fn. 36. 353 Maihofer, Die Bindung des Richters, in: Annales Univ. Saraviensis VIII (1960), S. 5/ 22, 29; ders., Naturrecht als Existenzrecht, 1963, insbes. S. 21 ff. 354 Maihofer, Die Bindung des Richters, in: Annales Univ. Saraviensis VIII (1960), S. 5/ 25 f.; ders., Die Natur der Sache, in: ARSP 44 (1958), S. 145 ff. Zum Begriff der „Natur der Sache" siehe Günther Ellscheid, Das Naturrechtsproblem, in: Kaufmann / Hassemer, Einführung, S. 179/226 ff. 355 A. Kaufmann, Gesetz und Recht, in: FS-Ε. Wolf, S. 357/381 ff. 356 A. Kaufmann, Die Geschichtlichkeit des Rechts, in: ders., Beiträge zur juristischen Hermeneutik, S. 25/45; ders., Gesetz und Recht, in: FS-Ε. Wolf, S. 367/381 ff. 357 Maihofer, Bindung des Richters, in: Annales Univ. Saraviensis VIII (1960), S. 5/32.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

ihr eine nützliche Funktion sowohl für Ausnahmesituationen als auch im Rahmen der richterlichen Rechtsanwendung im Rechtsstaat zu. Von der Vorstellung eines a priori gegebenen Rechts nehmen sie dabei allerdings Abstand.

II. Übergang zu einer positivistischen Interpretation der Bindungsformel

Während die Strafrechtler und Rechtsphilosophen Maihofer und A. Kaufmann dem Zusatz ,und Recht' in Art. 20 Abs. 3 GG noch beachtliche Bedeutung beimessen, zeichnet sich im verfassungsrechtlichen Schrifttum seit den sechziger Jahren insgesamt eine deutliche Neigung zu einer positivistischen Auslegung des Rechtsbegriffs ab bis hin zu weitgehender Hilflosigkeit im Umgang mit der Wendung. Diese Grundtendenz soll anhand der neueren Grundgesetzkommentierungen und des übrigen einschlägigen Schrifttums aufgezeigt werden.

1. Die Verfassungsrechtskommentare

Den Grundgesetzkommentierungen der fünfziger Jahre lag, wie dargelegt, überwiegend kein eigentlich naturrechtlicher Rechtsbegriff, vielmehr ein gemäßigt positivistisches Recht-vor-Gesetz-Denken zugrunde. An dem in der Frühphase eingeschlagenen Weg haben die Kommentatoren in der Folgezeit im wesentlichen festgehalten, allerdings lassen sich vereinzelt aufschlußreiche Veränderungen festzustellen. Bezeichnend ist beispielsweise, daß Hamann in den verschiedenen Auflagen seines Grundgesetzkommentars das Verhältnis von Gesetz und Recht in Nuancen unterschiedlich bestimmt. Während die erste Auflage von 1956 im wesentlichen durch naturrechtliche Vorstellungen geprägt ist 3 5 8 , schließt sich Hamann in der zweiten Auflage von 1961 - allerdings in sehr knapper Form - der gemäßigt positivistischen Auffassung F. Kleins im v. Mangoldtschen Grundgesetzkommentar an und betrachtet dementsprechend Gesetz und Recht lediglich als abstrakt-formale Begriffe, wobei Recht als „Wertgehalt ohne Positivität" gedeutet wird. Darüber hinaus sieht Hamann die Bedeutung des Art. 20 Abs. 3 GG darin, daß die Norm die richterliche Aufgabe der Fortentwicklung von Gesetzen im Sinne einer Annäherung an das Recht zum Ausdruck bringe, ohne allerdings den Bedeutungsgehalt des Rechtsbegriffs weiter aufzuhellen. Die knappen, nicht sehr eigenständigen Kommentierungen Hamanns zu Art. 20 Abs. 3 GG bleiben insofern insgesamt recht blaß. 359 358

Hamann, GG-Kommentar, 1. Aufl. 1956, Einführung I A 2. Die Kommentierung des Art. 20 GG selbst ist bei Hamann allerdings recht knapp gehalten und für die Frage des Rechtsbegriffs nicht sehr ergiebig. 3 59 Hamann, GG-Kommentar, 2. Aufl. 1961, Art. 20, Anm. 8 a) cc).

§ 6 Auseinandersetzung um Gesetz und Recht im Schrifttum

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Aufschlußreich ist des weiteren, daß in den Grundgesetzkommentaren erstmals explizit vom „tautologischen" Charakter des Begriffspaars des Art. 20 Abs. 3 GG gesprochen wird, namentlich im Kommentar von Maunz/Dürig. 360 Dürig zufolge kommt der Formel in normalen Zeiten einer freiheitlich-demokratischen Gesetzgebung in der Tat nur tautologische Bedeutung zu. Dann bestehe auch kein Widerspruch zwischen Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG. Einen Dualismus von Gesetz und Recht könne es jedenfalls solange nicht geben, wie der Staat den Verfassungsbefehl zur Grundrechtsverwirklichung befolgt. Dürigs Haltung ist allerdings nicht derart streng positivistisch, wie es auf den ersten Blick scheint. Für den Fall nämlich, daß sich die Gesetze anmaßen sollten, die Grundrechte (und damit das „Recht") zu beugen, bedeute die Formel für den Rechtsanwender einen verfassungsrechtlichen Anruf, sein Unrechtsbewußtsein zu schärfen. Dürig fordert, daß die Gesetze in Grundrechtsübereinstimmung stehen, damit sie dem Recht i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG entsprechen und weist der Bindungsformel damit letztlich keine über die Bestimmung des Art. 1 Abs. 3 GG weit hinausgehende Bedeutung zu. Die Analyse der beiden Grundgesetzkommentare läßt den vorsichtigen Schluß zu, daß sich die Tendenz zu einem gemäßigt positivistischen Rechtsdenken in den sechziger Jahren verfestigt hat.

2. Weitere Stellungnahmen im Schrifttum

Deutlicher noch als in den Grundgesetzkommentaren zeichnet sich im verfassungsrechtlichen und verfassungstheoretischen Schrifttum seit den sechziger Jahren eine Wende von einem naturrechtlichen zu einem gemäßigt positivistischen Rechts- und Gesetzesverständnis ab. a) Die sog. verfassungsrechtliche Position Auffallend ist zunächst, daß bei der Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG die Radbruchsche Formel in ihrer Bedeutung deutlich zurückgedrängt wird. So sieht ζ. B. Schnorr 361 in dem Begriffspaar Gesetz und Recht zunächst zwar eine Spannung zwischen Positivismus und Rechtsidee. Eine Lösung über die Radbruchsche Formel lehnt er aber ausdrücklich ab, da sie wegen ihrer Unschärfe und der damit verbundenen Unsicherheiten in der praktischen Anwendung nicht viel Gewinn bringe. Vielmehr halte das GG selbst durch die Einbeziehung der elementaren Grundsätze der Rechtsidee in Art. 1 - 3 GG die Lösung für Konfliktfälle bereit. 362 Die Wendung ist nach Ansicht von Schnorr nicht so antinomisch zu denken wie früher vielfach angenommen wurde. Der Auslegung liegt die Vorstellung zugrunde, daß das 360 Günter Dürig, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, 1961, Art. 20, Rn. 72. 361 Gerhard Schnorr, Die Rechtsidee im Grundgesetz. Zur rechstheoretischen Präzisierung des Art. 20 Abs. 3 GG, in: AöR 85 (1960), S. 121 ff. 362 Schnorr, Die Rechtsidee im Grundgesetz, in: AöR 85 (1960), S. 121 / 134 f., 139.

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1. Teil: Geschichtliche Grundlagen von Gesetz und Recht

positive Verfassungsrecht ausreichende Instrumente zur Lösung von Konflikten zwischen Gesetz und Recht bereithält und dem GG selbst daher die inhaltlichen Maßstäbe des Rechtsbegriffs zu entnehmen sind. Diese Auffassung scheint sich auch immer mehr durchzusetzen. Sie kann mit Roellecke als die ,verfassungsrechtliche4 Position bezeichnet werden. 363 Danach liefert der Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG nur einen Hinweis auf die Verfassung selbst. Die richterliche Bindung an Gesetz und Recht wird somit im Grunde als Bindung an Gesetz und Verfassung gelesen.364 In diesem Sinne wird vertreten, daß Art. 20 Abs. 3 GG zwar die Spannung zwischen formaler Gesetzlichkeit und materieller Gerechtigkeit aktuell im Bewußtsein hält, in der Normallage einer freiheitlich-demokratischen Gesetzgebung aber die Gesetzestexte die entscheidenden Aussagen über das Recht treffen und die strikte Beachtung des Gesetzes um des Rechtsfriedens willen erforderlich ist. 3 6 5 Der Konflikt zwischen Gesetz und Recht verliert damit an Schärfe und verlagert sich praktisch auf die Ebene des Verfassungsrechts, wenn die Verfassung selbst die Idee des Rechts lückenlos gewährleistet. Die verfassungsrechtliche Position ist von einem recht optimistischen Vertrauen in die positiven Gehalte und Gerechtigkeitsgewährleistungen des GG getragen. Neben der Position, die das Recht mit Verfassung gleichsetzt, findet sich in den siebziger Jahren noch die bereits früher vertretene spannungslose Deutung von Gesetz und Recht als Unterscheidung von gesetztem Recht und Gewohnheitsrecht. Für diese Auffassung werden meist keine wesentlich neuen Gesichtspunkte, vielmehr Standardargumente ins Feld geführt. So wird auf das ansonsten widersprüchliche Verhältnis des Art. 20 Abs. 3 GG zu Art. 97 Abs. 1 GG hingewiesen. Des weiteren lehnt man den Rückgriff auf überpositive Rechtsgrundsätze ab wegen der Konturenlosigkeit und Vielfalt des Naturrechts und weil man zudem einen gefährlicher Machtzuwachs der Judikative befürchtet, der in den Justizstaat oder gar ein Richterkönigtum münden könne. 366 Schließlich sind noch die Auffassungen zu erwähnen, die - ähnlich wie der Soraya-Beschluß des BVerfG - Art. 20 Abs. 3 GG Bedeutung beimessen im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung und hierbei unter Recht die „fundierten allgemeinen gesellschaftlichen Rechtsauffassungen 4' verstehen. 367 363

Gerd Roellecke, Die Bindung des Richters an Gesetz und Verfassung, in: VVDStRL 34 (1975), S. 7/9f. 3 64 Roellecke, Bindung des Richters, in: VVDStRL 34 (1975), S. 7/9f.; Christian Starck, Die Bindung des Richters an Gesetz und Verfassung, in: VVDStRL 34 (1975), S. 43/48f.; vgl. auch Detlef Christoph Göldner, Verfassungsprinzip und Privatrechtsnorm in der verfassungskonformen Auslegung und Rechtsfortbildung, 1969, S. 31, 173, 177 f. 3 65 Paul Kirchhof, Rechtsquellen und Grundgesetz, in: BVerfG und GG II, 1976, S. 50/ 60f.; ders., Der Auftrag des Grundgesetzes an die rechtsprechende Gewalt, in: Festschrift der Juristischen Fakultät Heidelberg, S. 12 f. 366 Detlef Merten, Die Bindung des Richters an Gesetz und Verfassung, in: DVBl. 1975, S. 677ff.; vgl. Hans Heinrich Rupp, Die Bindung an das Gesetz, in: NJW 1973, S. 1769/ 1770. 367 Wolfgang Birke, Richterliche Rechtsanwendung und gesellschaftliche Auffassungen, 1968, S. 13 ff.; vgl. Achtmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 49 ff.

§ 6 Auseinandersetzung um Gesetz und Recht im Schrifttum

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b) Zunehmende Hilflosigkeit bei der Deutung des Art. 20 Abs. 3 GG Wahrend die einen dem Rechtsbegriff immerhin noch eine, wenn auch begrenzte Bedeutung beimessen, können manche Verfassungsinterpreten hingegen mit der Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG nicht mehr viel anfangen und ihr zumindest keine konkreten Aussagen über den Rechtsbegriff entnehmen. So legt nach Ansicht von J. Ipsen Art. 20 Abs. 3 GG nur ein allgemeines Staatsprinzip fest, von dem man nicht die Klärung detaillierter Probleme erwarten könne. 368 Die Verfassungsnorm wirft danach Fragen nach dem Verhältnis von Gesetz und Recht auf, ohne sie aber selbst lösen zu können. Eine Antwort müsse daher aus spezielleren Vorschriften des GG, wie denen über die Rechtsprechung gem. Art. 92 ff. und Art. 1 Abs. 3 GG, gewonnen werden. Zunehmend wird in diesem Rahmen auch explizit vom „tautologischen" Charakter der Wendung gesprochen und die Rechtsbindung als eine Leerformel bezeichnet. 369 Darin offenbart sich zunehmende Rat- und Hilflosigkeit im Umgang mit der Bindungsklausel des Art. 20 Abs. 3, 2. HS GG. Es wird behauptet, daß dem GG im Gegensatz zum verfassungsrechtlichen Gesetzesbegriff kein bestimmbarer Inhalt des Rechtsbegriffs zu entnehmen sei. Damit erweise sich die Berufung auf außerpositive Normen als unbegründet. Der Verfassunggeber habe sich in Art. 20 Abs. 3 GG nur einer unpräzisen und tautologischen Rechtssprache bedient. Eine Verankerung der Gerechtigkeit in Art. 20 Abs. 3 GG wird zudem auch für unnötig gehalten, da das GG selbst in zahlreichen Einzelbestimmungen die Gerechtigkeit konkretisiert habe. 370 Im ganzen scheint seit den sechziger Jahren eine Gleichsetzung von Gesetz und Recht im Vordringen begriffen, die bisweilen sogar auf ein schlichtes Ignorieren des Rechtsbegriffs neben dem des Gesetzes in Art. 20 Abs. 3 GG hinausläuft. Naturrechtliche Deutungsansätze sind mehr und mehr in den Hintergrund getreten und durch eine verfassungsrechtliche oder eine tautologisch-positivistische Position abgelöst worden, was auch eine Reaktion auf die frühere bisweilen unkritische und voreilige Berufung auf das Naturrecht darstellen dürfte. Die im verfassungsrechtlichen Schrifttum vollzogene Wendung zu einer restriktiven Auslegung des Rechtsbegriffs geht einher mit der Entwicklung in der Judikatur, die ebenfalls von einer naturrechtlichen Argumentation weitgehend abgerückt ist.

368

Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, 1975, S. 117 ff.; Klaus Adomeit, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 1969, S. 40 spricht von der „unbestimmten Kompetenzformel" des Art. 20 Abs. 3 GG. 3 69 Detlef Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, 1975, S. 22 ff.; Rupert Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, 1966, S. 221 ff. Schwerdtner, Privatrechtsordnung, S. 58 f. bezeichnet Art. 20 Abs. 3 GG als „leerlaufendes Postulat". Achtmann, Richterliche Rechtsfortbildung, S. 46 spricht von einer „gewissen Tautologie" des Begriffspaars, die Tautologie sei allerdings „keine gedankenlose". 3 70 R. Schreiber, Geltung, S. 224 ff. 8 Hoffmann

Zweiter Teil

Das Verhältnis von Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht Im zweiten Teil der Untersuchung sind die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Bindung an Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG zu erarbeiten, die im Rahmen der einschlägigen Diskussion nicht zureichend zur Sprache kommen. Der Rechtsbegriff ist mit den Methoden der Verfassungsauslegung möglichst präzise zu bestimmen und die verfassungsrechtlich noch zulässigen Interpretationsmöglichkeiten auszuloten. Anhand neuerer Rechtsprechung und des verfassungsrechtlichen Schrifttums soll dabei aufgezeigt werden, wie sich das Verhältnis von Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Perspektive aktuell darstellt. Dabei wird insbesondere die im Vordringen begriffene Auffassung vom tautologischen Charakter des Begriffspaars kritisch beleuchtet. Die Diskussion um die Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG, um die es einige Zeit still geworden war, hat in jüngerer Zeit mit dem Zusammenbruch des politischen Systems der DDR erneute Aktualität erfahren. Besonderes Augenmerk ist insoweit darauf zu richten, welchen Rechtsbegriff die Rechtspraxis in diesem Kontext zugrundelegt. Die verfassungsrechtliche Interpretation der Norm hat sich an den klassischen Auslegungsmethoden zu orientieren. Darüber hinaus sind in topischer Vorgehensweise leitende Gesichtspunkte und Argumente aufzufinden, die die Entscheidung für eine bestimmte Auslegung möglichst einleuchtend und überzeugend begründen.1 Im Ergebnis soll gezeigt werden, daß der Rechtsbegriff auch gegenwärtig von praktischer Relevanz sein kann und ihm bei verständiger Verfassungsauslegung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zukommt.

§ 7 Die Bindung an das Gesetz Die dogmatische Bestimmung des Gesetzesbegriffs des Art. 20 Abs. 3, 2. HS GG wird im allgemeinen als einfacher empfunden als die Präzisierung des Rechtsbegriffs. 2 Da die Bindungsformel zudem das Gesetz vor dem Recht nennt, soll 1 Dazu Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rn. 67. 2

Vgl. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 41; Wolf gang Fikentscher, Methoden des Rechts, Bd. IV, 1977, S. 327.

§ 7 Die Bindung an das Gesetz

115

zuerst die Bedeutung des Ausdrucks Gesetz mit den Methoden der Verfassungsauslegung herausgearbeitet werden. Zu berücksichtigen ist aber, daß eine Untersuchung des Gesetzesbegriffs isoliert vom Rechtsbegriff nur bis zu einem gewissen Grad gelingen kann und die Formel letztlich doch als Sinnganzes betrachtet werden muß. A. Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes Art. 20 Abs. 3 GG selbst legt weder den Gesetzes- noch den Rechtsbegriff eigens fest, sondern setzt beide Begriffe im Grunde voraus. Eine ausdrückliche Definition des verfassungsrechtlichen Gesetzesbegriffs findet sich auch sonst weder im GG noch in den Landesverfassungen. 3 Aus dem Abschnitt über die Gesetzgebung des Bundes gem. Art. 70 ff. GG läßt sich allerdings schließen, daß das GG in erster Linie von einem formellen Gesetzesbegriff ausgeht, wenngleich daraus nicht zwingend eine für die gesamte Verfassung gültige Definition des Begriffs gefolgert werden kann.4 Im GG taucht der Ausdruck ,Gesetz4 selbständig und in Zusammensetzungen mehr als 300mal auf und wird dabei durchaus mit unterschiedlichen Bedeutungsgehalten gebraucht.5 Das BVerfG hat bereits in seiner frühen Rechtsprechung festgestellt, daß der Sprachgebrauch des GG bei der Verwendung des Wortes Gesetz nicht einheitlich ist, der Begriff bald im formellen, bald im materiellen Sinne verwendet wird. 6 Der damit umrissene dualistische Gesetzesbegriff geht auf die im späten 19. Jh. maßgeblich von Laband entwickelte Unterscheidung zwischen Form und Inhalt des Gesetzes zurück. 7 Danach ist Gesetz im materiellen Sinne jeder 3

Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 5; Stern, Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 825. Auf einfachgesetzlicher Ebene dagegen wird meist ein materieller Gesetzesbegriff festgelegt: So ist ζ. B. gem. Art. 2 EGBGB, § 12 EGZPO, § 7 EGStPO unter Gesetz „jede Rechtsnorm" zu verstehen. Siehe dazu Hans Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, S. 10 f. 4 Siehe Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes. Ein Beitrag zum juristischen Gesetzesbegriff, 1970, S. 151 ff.; Roellecke, Der Begriff des positiven Gesetzes und das Grundgesetz, 1969, S. 304 f.; Achterberg, Kriterien des Gesetzesbegriffs unter dem Grundgesetz, in: DÖV 1973, S. 289ff.; auch ders., Theorie und Dogmatik des öffentlichen Rechts, 1980, S. 295 ff.; Christoph Degenhart, Staatsrecht I, 13. Aufl. 1997, Rn. 220, 230; f.; Siegfried Magiera, Parlament und Staatsleitung in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes, 1979, S. 175 f. Zu eng erscheint die These Schreibers, Geltung von Rechtsnormen, S. 219 ff., wonach aus Art. 70 ff. GG eindeutig hervorgehe, was als Gesetz i. S. d. Grundgesetzes anzusehen sei. 5 Starck, Der Gesetzesbegriff, S. 21 ff.; Roellecke, Der Begriff des positiven Gesetzes, S. 17; Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 34; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 220, 230 ff. 6 BVerfGE 1, 184/189 ff. Die Einteilung in formelle und materielle Gesetze findet im GG selbst Niederschlag. So ist in Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG explizit von einem „förmlichen Gesetz", in Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG von der „Form eines Bundesgesetzes" die Rede. 7 Paul Laband, Das Budgetrecht nach den Bestimmungen der preußischen Verfassungsurkunde unter Berücksichtigung der Verfassung des Norddeutschen Bundes, 1871, insbes.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Rechtssatz, während der förmliche Gesetzesbegriff an die Form des Zustandekommens im verfassungsmäßig vorgesehenen Verfahren anknüpft ohne Rücksicht auf den Inhalt. Beide Begriffe sind zwei sich teilweise deckenden Kreisen vergleichbar.8

B. Der Ausdruck Gesetz gem. Art. 20 Abs. 3 GG In Anbetracht der doppelten Bedeutung des Ausdrucks Gesetz fragt sich, welcher Gesetzesbegriff dem Art. 20 Abs. 3 GG zugrundeliegt. Außerdem ist zu klären, ob und inwieweit eine exakte Zuordnung der unterschiedlichen Arten von Rechtsnormen unter die Begriffe Gesetz und Recht überhaupt möglich ist. 9

I. Formelles Gesetz und Verfassung

Der Begriff Gesetz lenkt im demokratischen Verfassungsstaat die Vorstellung zu allererst auf das schriftlich fixierte, vom Parlament in einem besonderen Verfahren beschlossene Gesetz.10 Unbestritten ist daher zunächst, daß Gesetz i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG jedes förmliche, d. h. im ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren nach den Vorschriften der Art. 76 ff. GG bzw. der Länderverfassungen zustandegekommene Parlamentsgesetz meint. 11 Weitgehend anerkannt ist inzwischen auch, daß nicht nur die generell-abstrakte Regelung, sondern auch die Gruppe der Maßnahmegesetze, Einzelfall- und Haushaltsgesetze sowie Vertragsgesetze gem. Art. 59 Abs. 2 GG grundsätzlich die Bindungswirkung des Art. 20 Abs. 3 GG auslösen, da der Gesetzgeber nicht auf bestimmte Typen von Regelungen beschränkt ist und es auf eine bestimmte inhaltliche Qualität dieser förmlichen Gesetze insoweit nicht ankommt.12 S. 3 ff.; dazu Ulrich Karpen, Verfassungsgeschichte des Gesetzesbegriffs, in: GS-Wolfgang Martens, S. 137 ff. s Siehe Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 9. 9 Schmidt-Aßmann, Gefährdungen der Rechts- und Gesetzesbindung der Exekutive, in: FS-Stern, 1997, S. 745/751 meint, daß eine solche Zuordnung nicht endgültig geklärt ist. 10 Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 15 und 19 ff.; Schneider, Gesetzgebung, S. 10. π BVerfGE 18, 389/391; 78, 214/227; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20 GG, VI, Rn. 50; Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 34; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 93; v. Münch/Kunig-Schnapp, GG-Kommentar, Bd. 1, 5. Aufl. 2001, Art. 20, Rn. 43. 12 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 34 f.; Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 11 ff.; Stern, Staatsrecht I, S. 825 f.; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 230ff. BVerfGE 25, 371/396; 36, 383/400; 42, 263/305 erklärt den Gesetzestyp der „Maßnahmegesetze" ohnehin für „verfassungsrechtlich irrelevant". Zur Kritik am Begriff des Maßnahmegesetzes siehe bereits Karl Zeidler, Maßnahmegesetz und „klassisches" Gesetz, 1961, insbes. S. 58 ff.

§ 7 Die Bindung an das Gesetz

117

Darüber hinaus umfaßt der Gesetzesbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG nach allgemeiner Auffassung auch das Grundgesetz selbst.13 Zum einen belegt die Entstehungsgeschichte der Norm, daß die Bindung der Staatsgewalt an das GG als selbstverständlich angesehen wurde. 14 Zum anderen ist aus dem verfassungssystematischen Kontext ersichtlich, daß die Verfassung unmittelbare Bindungswirkung für Rechtsprechung und vollziehende Gewalt entfaltet. So binden gem. Art. 1 Abs. 3 GG die Grundrechte des GG die Staatsgewalt als unmittelbar geltendes Recht. Aus Art. 100 Abs. 1 GG geht zudem hervor, daß das GG für die Rechtsprechung Bindungsmaßstab ist. Die Verfassungsbindung der Zweiten und Dritten Gewalt wollte Art. 20 Abs. 3 GG offensichtlich nicht in Frage stellen.15

II. Bindung an untergesetzliche Rechtsnormen

Der Gesetzesbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG könnte neben den förmlichen Gesetzen einschließlich des Verfassungsgesetzes auch untergesetzliche Rechtsnormen wie Rechtsverordnungen, Satzungen und Verwaltungsvorschriften umfassen und damit als Gesetz im materiellen Sinne auszulegen sein.

1. Rechtsverordnungen und Satzungen

Das BVerfG und der überwiegende Teil der Rechtslehre fassen den Gesetzesbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG weit und erstrecken ihn auch auf Rechts Verordnungen und Satzungen.16 Der Ausdruck Gesetz i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG meint danach alle gültigen Rechtssätze, also das gesamte gesetzte Recht, und bindet vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an dieses. Demgegenüber vertritt insbesondere Schmidt-Aßmann, daß Art. 20 Abs. 3 GG nur den Vorrang des Parlamentsgesetzes regelt, nicht aber die Stufung der Rechts13 Siehe BVerfGE 78, 214/227; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20, VI, Rn. 51; Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 27; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 6. Aufl. 2002, Art. 20, Rn. 38. 14 Vgl. die Äußerung insbesondere v. Mangoldts zur Fassung des heutigen Art. 20 GG, in: Parlamentarischer Rat, Hauptausschuß Bonn 1948/49, 4. Sitzung vom 17. 11. 1948, Sten. Bericht, S. 47: „Wir haben die verfassungsmäßige Ordnung bewußt weggelassen weil es uns selbstverständlich erschien, daß die Verfassung alles bindet, Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung, so daß das nicht mehr besonders gesagt zu werden braucht." Siehe auch Matz, in: JÖR N.F. 1 (1951), S. 200. 15 Vgl. Wolf-Rüdiger Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, S. 100; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20, VI, Rn. 49. 16 BVerfGE 78, 214/227; BVerfGE 18, 52/59; 19, 17/31 fassen auch den Gesetzesbegriff des Art. 97 Abs. 1 GG weit; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20, VI, Rn. 51; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 29. Aufl., S. 93; v. Münch/Kunig-Schnapp, GGKomm., Bd. 1, Art. 20, Rn. 43; Riggert, Selbstbindung der Rechtsprechung, S. 20; Hermes, Der Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 57 f.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

quellen schlechthin.17 Daher umfasse der Gesetzesbegriff nicht Rechtsverordnungen und Satzungen. Diese seien wie die gesamte administrative Normsetzung vielmehr Adressaten des Bindungsgebotes des Art. 20 Abs. 3 GG, nicht aber zugleich Bindungsmaßstab. Die Frage der richterlichen Bindung an untergesetzliche Normen liege außerhalb des Art. 20 Abs. 3 GG und auch des Art. 97 Abs. 1 GG. Die letztgenannte Auffassung berücksichtigt zum einen im Hinblick auf die Bindungsadressaten des Art. 20 Abs. 3 GG den Wortlaut der Norm nicht hinreichend. In der Verfassungsnorm werden explizit die Zweite und Dritte Gewalt als Bindungsadressaten benannt, nicht die durch die vollziehende Gewalt gesetzten Rechtsnormen als solche. Zum anderen bestätigt die Genese zumindest des Art. 97 GG, daß die Verfassunggeber den Ausdruck Gesetz nicht eng, sondern im Sinne des materiellen Gesetzesbegriffs verstanden haben.18 Der Meinungsverschiedenheit kommt indessen im Ergebnis praktisch keine Bedeutung zu, da sich jedenfalls alle einig sind, daß untergesetzliche Rechtsnormen Bindungswirkung für Rechtsprechung und vollziehende Gewalt entfalten. Differenzen bestehen nur über die dogmatische Herleitung und Begründung. Dabei vermag die Auffassung, die das untergesetzliche Recht weder unter den Begriff des Gesetzes noch den des Rechts gem. Art. 20 Abs. 3 GG fassen will, die Bindungsfrage vielmehr aus dieser grundlegenden Verfassungsnorm ausklammert, argumentativ nicht ganz zu überzeugen. Während Schmidt-Aßmann u. a. die Frage der Bindungskraft von Rechtsverordnungen und Satzungen aus Art. 20 Abs. 3 GG gänzlich herausverlagern, wird vereinzelt vertreten, das untergesetzliche Recht müsse innerhalb des Art. 20 Abs. 3, 2. HS GG nicht dem Gesetzesbegriff, sondern dem Ausdruck Recht zugeordnet werden, wenn diesem überhaupt eine spezifische Bedeutung zukommen solle. 19 Danach weist das Begriffspaar auf die Unterscheidung von Gesetz im formellen und im materiellen Sinne hin. Dieser Auffassung ist bereits vom Wortlaut her entgegenzuhalten, daß auch Rechtsverordnungen und Satzungen in einem bestimmten Verfahren ,gesetzt4 werden und das untergesetzliche Recht daher ohne größere Schwierigkeiten auch unter den Gesetzesbegriff gefaßt werden kann. Die Aufspaltung des Begriffspaars in förmliche Gesetze und Gesetze im materiellen Sinne wirkt insoweit konstruiert. Auf diese heute eher selten vertretene Auffassung soll an späterer Stelle näher eingegangen werden. 20 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 37 f.; ihm folgend PeterMichael Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 1997, S. 24 und Tsai, Die verfassungsrechtliche Umweltschutzpflicht des Staates, S. 168 f. 18 Allgemeiner Redaktionsausschuß und Rechtspflegeausschuß waren sich einig, daß wenn von Gesetzen gesprochen werde, darunter „selbstverständlich Gesetze im materiellen Sinne, also in jeder Form: Grundgesetz, Gesetz, Rechtsverordnung und Gewohnheitsrecht" zu verstehen seien, siehe Matz, in: JÖR N.F. 1 (1951), S. 717. Dazu oben § 3 A. 19 So Merten, Bindung des Richters, in: DVBl. 1975, S. 667/680; früher bereits Bettermann, Unabhängigkeit des Richters, in: Die Grundrechte III/2, S. 531/533; vgl. dazu Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20, VI, Rn. 51. 20 Siehe unten § 10 B.

§ 7 Die Bindung an das Gesetz 2. Bindungswirkung

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von Verwaltungsvorschriften?

Fraglich ist, ob auch administratives Innenrecht, insbesondere Verwaltungsvorschriften als Gesetz i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG anzusehen sind. Unter Verwaltungsvorschriften versteht man Regelungen, die innerhalb der Verwaltungsorganisation von übergeordneten Verwaltungsinstanzen an nachgeordnete Behörden, also im Innenbereich der Verwaltung ergehen 21. Im Hinblick auf die ΒindungsWirkung des administrativen Innenrechts ist zwischen vollziehender Gewalt und Rechtsprechung als Bindungsadressat zu differenzieren. Judikatur und Rechtslehre lehnen im Grundsatz eine Bindung der rechtsprechenden Gewalt an VerwaltungsVorschriften ab. 22 Das administrative Innenrecht zählt danach weder zum Gesetzesbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG noch dem des Art. 97 Abs. 1 GG und bindet prinzipiell nur die Verwaltung selbst beim Gesetzes Vollzug, nicht aber den Richter. Verwaltungsvorschriften entfalten damit keine Außenwirkung, sie sind - wie das BVerfG prägnant formuliert hat - „grundsätzlich Gegenstand, nicht jedoch Maßstab richterlicher Kontrolle". 23 Inzwischen wird allerdings in begrenzter Form eine abgestufte Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften anerkannt. Gewisse Außenwirkung entfalten Verwaltungsvorschriften einmal über den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Besondere Bedeutung kommt darüber hinaus in diesem Zusammenhang den sog. normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften - wie ζ. B. der TA Luft - zu, die im Gegensatz zu den bloßen norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften gewisse Außenwirkung entfalten und im gerichtlichen Verfahren als beachtlich anzusehen sind. 24 Im einzelnen ist die Frage der Bindungsreichweite des administrativen Innenrechts für die Judikative umstritten und noch nicht vollständig geklärt. 25 Sie soll und braucht hier nicht weiter vertieft zu werden, da die Problematik in erster Linie die Kompetenzabgrenzung zwischen Rechtsprechung und Verwaltung und insoweit nicht spezifisch die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Recht betrifft. Schließlich erscheint es auch nicht angängig und wird soweit ersichtlich nicht ernsthaft erwogen, die administrative Normsetzung, die man früher sogar als Rege21

Ossenbühl, Autonome Rechtsetzung der Verwaltung, in: HBStR III, § 65, Rn. 4 f. BVerfGE 78, 214/227; 80, 257/265ff.; BVerwGE 55, 250/255; Jarass, in: Jarass/ Pieroth, Art. 20 GG, Rn. 38; ders., Β indungs Wirkung von Verwaltungsvorschriften, in: JuS 1999, S. 105 ff.; vgl. v. Münch-Meyer, GG-Kommentar, Bd. 3, Art. 97, Rn. 22. 23 BVerfGE 78, 214/227; dazu Jarass, Bindungswirkung von Verwaltungsvorschriften, in: JuS 1999, S. 105/107. 24 BVerwGE 72, 300/320f.; BVerwG DVB1. 1995, S. 516; NuR 1996, S. 522/523; NVwZ 1988, S. 824; vgl. VGH München, UPR 1982, S. 98; Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 61, Rn. 40. Zur Unterscheidung von norminterpretierenden oder gesetzesauslegenden und normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften siehe Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl. 2000, § 24, Rn. 9 u. 20 ff. 22

25 Dazu Ossenbühl, in: Erichsen /Martens (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 42 ff.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

lung im rechtsfreien Innenbereich, als ,Nicht-Recht4 betrachtete, unter das Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG zu fassen. 26 Ansonsten würde man den Rechtsbegriff praktisch zum Auffangbecken für alle Rechtssätze machen, die nicht dem Außenrecht unterfallen, und auf diese Weise dem Innenrecht eine allgemeine Bindungsklausel vindizieren. 27 Demzufolge kann auch sonstigem Innenrecht wie insbesondere den parlamentarischen Geschäftsordnungen nicht über Art. 20 Abs. 3 GG Bindungswirkung gegenüber der rechtsprechenden Gewalt zugeschrieben werden. Die Geschäftsordnung, die ganz überwiegend als autonome Satzung qualifiziert wird 28 , bindet im wesentlichen nur die Parlamentsmitglieder selbst, besitzt keine unmittelbare Außen Wirkung und ist weder als Gesetz noch als Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG anzusehen.29

III.,Gesetz' als ungeschriebenes Recht, insbesondere Gewohnheitsrecht

Schließlich könnte der Gesetzesbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG auch ungeschriebenes Recht, insbesondere das Gewohnheitsrecht umfassen. Gewohnheitsrecht gehört zu den nicht in einem förmlichen Verfahren zustandegekommenen Rechtsquellen, ist allmählich gewachsenes Recht im Gegensatz zum geplanten, organisierten, gesetzten Recht. 30 Unter dem ungeschriebenen, nicht staatlich gesetzten Recht werden zudem allgemeine Rechtsgrundsätze des Verwaltungsrechts, Richterrecht, Observanzen usw. verstanden, die enge Verbindungen zum Gewohnheitsrecht aufweisen und für die teilweise der Begriff des Gewohnheitsrechts als Oberbegriff verwendet wird. Daß ungesetztes Recht, vornehmlich das Gewohnheitsrecht, ΒindungsWirkung sowohl für vollziehende als auch rechtsprechende Gewalt entfaltet, ist im Grunde allgemein anerkannt. 31 Unstrittig ist auch, daß allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts jedenfalls die vollziehende Gewalt binden.32 Indessen gehen die Meinungen darüber auseinander, ob das Gewohnheitsrecht und das sonstige un26

Siehe Ossenbühl, Autonome Rechtsetzung, in: HBStR III, § 65, Rn. 5. 27 So zutreffend Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 41. 28 BVerfGE 1, 144/148; Norbert Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 59ff.; Stern, Staatsrecht II, S. 82. 29 Vgl. Volker Haug, Bindungsprobleme und Rechtsnatur parlamentarischer Geschäftsordnungen, 1994, S. 72 ff.; Achterberg, Parlamentsrecht, S. 59 ff. Davon zu unterscheiden ist die Frage der richterlichen Prüfungskompetenz hinsichtlich Geschäftsordnungsnormen, die ganz überwiegend bejaht wird, siehe BVerfGE 80, 188/229. 30 Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 42ff.; vgl. BVerfGE 22, 114/ 121; 28, 21 /28 f.; eingehend Hauke Witthohn, Gewohnheitsrecht als Eingriffsermächtigung, 1997, S. 17 ff. 31 BVerfGE 78, 214/227; BVerwGE 25, 72/76; BSGE 11, 126/128; Stern, Staatsrecht I, S. 800; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20, VI, Rn. 51. 32 Schmidt-Aßmann, Gefährdungen der Gesetzes- und Rechtsbindung, in: FS-Stern, S. 745/754 f.

§ 7 Die Bindung an das Gesetz

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geschriebene Recht dem Gesetzes- oder dem Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG unterfällt. Auf den ersten Blick scheint es naheliegend, unter Gesetz nur das in einem förmlichen Verfahren gesetzte Recht zu verstehen und demzufolge das Gewohnheitsrecht sowie alle sonstigen nicht schriftlich fixierten Rechtssätze aus dem Gesetzesbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG herauszunehmen und dem Ausdruck Recht zuzuordnen. 33 Überwiegend wird allerdings der Gesetzesbegriff nicht derart restriktiv gefaßt, sondern vielmehr vertreten, daß das ,Gesetz4 alle materiellen Rechtssätze einschließlich des Gewohnheitsrechts umfaßt. 34 Das Gewohnheitsrecht, das nur bei Vorliegen bestimmter Entstehungsvoraussetzungen als verbindlich anerkannt wird 3 5 , ist in gewisser Weise ebenfalls durch längeren Prozeß von Menschen gesetzt. Zudem wird auf einfachgesetzlicher Ebene - so ζ. B. in Art. 2 EGBGB, § 12 EGZPO, § 7 EGStPO - bestimmt, daß unter Gesetz „jede Rechtsnorm" zu verstehen ist und damit explizit ein materieller Gesetzesbegriff festgelegt. Für eine Einbeziehung des Gewohnheitsrechts in den Gesetzesbegriff sprechen auch verfassungssystematische Gründe. Die Grundgesetzinterpreten fassen im allgemeinen unter den Gesetzesbegriff des Art. 97 Abs. 1 GG auch das Gewohnheitsrecht.36 In der Weise haben auch die Verfassunggeber den Begriff gedeutet, wie die Normgenese bestätigt37. Eine weite Auslegung des Gesetzesbegriffs des Art. 97 Abs. 1 GG einerseits und eine begriffliche Aufspaltung desselben Normkreises in Gesetz und Recht in Art. 20 Abs. 3 GG andererseits wirkt nicht plausibel. Daher spricht einiges dafür, auch das Gewohnheitsrecht zum Begriff des Gesetzes zu zählen. Im übrigen kann eine exakte Zuordnung des Gewohnheitsrechts und sonstigen ungeschriebenen Rechts unter den Gesetzesoder Rechtsbegriff offen bleiben, da über deren Verbindlichkeit für Rechtsprechung und Verwaltung jedenfalls Einigkeit besteht. Insoweit wird mit Recht erklärt, daß es müßig ist, Rechtsnormen nach Gesetz und Recht zu sortieren. 38 Das ist jedenfalls zutreffend, solange man nicht annimmt, daß sich die Bedeutung 33 So ζ.. B. Hesse, Grundzüge, Rn. 195, 507; Merten, Bindung des Richters, in: DVB1. 1975, S. 677/680. 34 BVerfGE 78, 214/227; Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 15f.; 42 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20, VI, Rn. 52; Witthohn, Gewohnheitsrecht als Eingriffsermächtigung, S. 141 f. u. 173; siehe bereits die frühe Kommentierung Wernickes, in: BK, Art. 20 GG, Anm. II 3e), der vertritt, das Gewohnheitsrecht lasse sich ohne weiteres dem Einzelbegriff Gesetz zuordnen. Hans O. Freitag, Gewohnheitsrecht und Rechtssystem, 1976, S. 164 f. hält hingegen Art. 20 Abs. 3 GG für eine zu inhaltsoffene Formulierung, um daraus eindeutig und zwingend etwas für den Gesetzes- oder den Rechtsbegriff abzuleiten. 35 Dazu Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 24 f. 36 BVerfGE 18, 52/59; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 97, Rn. 5; Holtkotten, in: BK, Art. 97 GG, Erl. 2a); Wassermann, in: AK-GG, Bd. II, Art. 97 GG, Rn. 53; a.A. v. MxmcYi-Meyer, GG-Kommentar, Bd. 3, Art. 97, Rn. 22: Danach ist das „angebliche Gewohnheitsrecht" kein Gesetz i. S. d. Art. 97 Abs. 1 GG, sondern nur „Hilfsmaßstab bei der Rechtserkenntnis". 37 Siehe Matz, in: JÖR N.F. 1 (1951), S. 717. 38 Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 17.

2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

122

des Ausdrucks Recht in einem Verweis auf das Gewohnheitsrecht erschöpft. 39 Auf die Auffassung, die in dem Begriffspaar ,Gesetz und Recht' die bloße Unterscheidung von gesetztem Recht und Gewohnheitsrecht sieht, wird noch einge40

gangen. IV. Volker- und europarechtliche Bindungsmaßstäbe

Ferner erstreckt sich die in Art. 20 Abs. 3 GG statuierte Gesetzesbindung auf völker- und europarechtliche Bindungsmaßstäbe. Daß die auf europäischer Ebene gesetzten Rechtsnormen auch für die nationale Staatsgewalt abgestufte Bindungswirkungen entfalten, ist allgemein anerkannt 41. Das GG selbst ist auf Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für supranationales Recht angelegt.42 Dabei wird man allerdings nicht das gesamte, sondern nur das unmittelbar anwendbare Gemeinschaftsrecht für vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als verbindlich i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG erachten können.43 Ein weiteres Bindungspotential ergibt sich aus den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gem. Art. 25 GG, die das universell geltende Völkergewohnheitsrecht umfassen und für Behörden und Gerichte als objektives, den Gesetzen im Rang vorgehendes Bundesrecht zu beachten sind 4 4 Zunehmende Bedeutung als Bindungsmaßstab für Exekutive und Judikative gewinnt auch das innerstaatlich umgesetzte Völkervertragsrecht. 45 Die Verfassungsinterpreten lassen allerdings hinsichtlich der völker- und europarechtlichen Bindungsmaßstäbe die genaue Zuordnung zum Gesetzes- oder Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG meist offen. 46 Auch hier bringt ein Zuordnen der Rechtsnormen 39 So aber Hesse, Grundzüge, Rn. 195; Merten, Bindung des Richters, in: DVBl. 1975, S. 677/680. 40 § 10 A. 41

Schmidt-Aßmann, Gefährdungen der Rechts- und Gesetzesbindung, in: FS-Stern, S. 745/748 ff.; Friedrich Schoch, Die Europäisierung des Allgemeinen Verwaltungsrechts, in: JZ 1995, S. 108/111. 42 Dazu Hartmut Bauer, Europäisierung des Verfassungsrechts, in: Juristische Blätter 122 (2000), S. 750/753ff.; Helmut Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 1985, S. 157ff. u. 247 ff.; siehe bereits Klaus Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964. 43 BVerwGE 74, 214/248 f. verneinend für EG-Richtlinien; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., Art. 20, Rn. 38; Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 48 ff.; siehe Bleckmann, Europarecht, 1994, S. 334 ff. Zum unmittelbar verbindlichen Gemeinschaftsrecht zählen ζ. B. Verordnungen gem. Art. 189 Abs. 2 EGV, dagegen sind Richtlinien gem. Art. 189 Abs. 3 EGV an die Mitgliedstaaten gerichtet und bedürfen der Umsetzung. Zu weitgehend daher Volker Neßler, Europäisches Richtlinienrecht wandelt deutsches Verwaltungsrecht: ein Beitrag zur Europäisierung des deutschen Rechts, 1994, S. 96, der unter Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG alle EG-Rechtsnormen fassen will. 44 BVerfGE 63, 343/373; 75, 1/19; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., Art. 25, Rn. 7, 11 f. 45 Schmidt-Aßmann, Gefährdungen der Rechts- und Gesetzesbindung, in: FS-Stern, S. 745/755.

§ 8 Der Wortsinn des Ausdrucks Recht

123

zum Ausdruck Gesetz oder Recht nicht viel Gewinn, da über ihre Bindungskraft Einigkeit besteht. Das in einem bestimmten rechtlichen Verfahren gesetzte unmittelbar anwendbare europäische Gemeinschaftsrecht ließe sich dabei ohne große Schwierigkeiten dem Ausdruck Gesetz zuordnen. Zu weit gehen dürfte es allerdings, in dem Begriff des Rechts gem. Art. 20 Abs. 3 GG ein Auffangbecken für sämtliches supranationales Recht zu sehen. Im ganzen ergibt die vom Ausdruck Recht zunächst isoliert durchgeführte Auslegung des Gesetzesbegriffs, daß Gesetz i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG das Grundgesetz selbst, alle formellen Gesetze, Gesetze im materiellen Sinne einschließlich des Gewohnheitsrechts sowie partiell Volker- und Europarecht umfaßt.

§ 8 Der Wortsinn des Ausdrucks Recht Im Anschluß an die Analyse des Gesetzesbegriffs des Art. 20 Abs. 3 GG ist nunmehr die Bedeutung des Ausdrucks ,Recht4 in der Bindungsformel herauszuarbeiten, wobei zunächst der allgemeine und der juristische Sprachgebrauch, sodann die spezifische Verwendung des Rechtsbegriffs im GG selbst untersucht werden sollen. Aus der Wortlautexegese könnten sich erste Anhaltspunkte für eine bestimmte Auslegung des Begriffspaars ergeben.

A. Der Rechtsbegriff im allgemeinen und juristischen Sprachgebrauch Der Begriff des Rechts wird sowohl im Alltags- wie auch im juristischen Sprachgebrauch nicht eindeutig verwendet, sondern weist eine erhebliche Variationsbreite an Bedeutungen auf. Aus einer philologischen Analyse des Wortes Recht läßt sich entnehmen, daß der Begriff in vielen Sprachen verwandt ist mit ,richtig 4, ,gerecht 4.47 Der Jurist Ulpian stellte in nachklassischer Zeit fest, daß ius seinen Namen von iustitia ableitet. Ius sei, wie Celsus trefflich definiert habe, die Kunst des Guten und Gerechten („ars boni et aequi 44 ). 48 Im heutigen allgemeinen Sprachgebrauch ist mit dem Ausdruck Recht meist eine positive Bewertung, der Beigeschmack des Guten und Richtigen verbunden. 49 Die Ähnlichkeit von ,Recht4 und ,richtig 4 bzw.,gerecht 4 ist sicher kein Zufall, liefert aber wohl auch nicht mehr als vage Anhaltspunkte. 46 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., Art. 20, Rn. 38; Schmidt-Aßmann, Gefährdungen der Rechts- und Gesetzesbindung, in: FS-Stern, S. 745/751. 47 A. Kaufmann, Rechtsbegriff und Rechtsdenken, in: Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. XXXVII, S. 21/37 f. 48 Ulpian, Corpus Iuris Civilis, Dig. 1,1,1 pr. 49 Vgl. Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1982, S. 286.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Läßt sich dem Alltagssprachgebrauch zwar eine Tendenz, aber keine ganz eindeutige Definition des Rechts entnehmen, so kennt die juristische Fachsprache erst recht eine breite Skala an Bedeutungsgehalten. Im juristischen Sprachgebrauch wird Recht im Sinne der Rechtsordnung als ganzer oder einzelner Rechtsnormen, also als objektives Recht verwendet und vom Recht im subjektiven Sinne unterschieden, des weiteren als abstrakt-generelle Regelung sowie als konkrete Entscheidung der Rechtsprechung begriffen. Schließlich ist die Verwendung des Begriffs Recht zum einen als positives Recht und zum anderen im Sinne von Naturrecht von Relevanz.50 Hiergegen wird bisweilen eingewandt, positives Recht und Naturrecht wiesen derartige strukturelle Unterschiede auf, daß es eine unzulässige Äquivokation sei, beide in dem umfassenden Begriff Recht aufgehen zu lassen.51 Beim Naturrecht handele es sich gar nicht um ,Recht4. Damit wird allerdings dem Rechtsbegriff bereits eine bestimmte Bedeutung unterlegt. Naturrecht und positives Recht weisen zweifellos strukturelle Differenzen auf, die nicht eingeebnet werden dürfen. Allerdings spricht allein vom Wortlaut und Sprachgebrauch her nichts gegen eine Einbeziehung des Naturrechts und kann der Rechtsbegriff nicht von vornherein ausschließlich dem positiven Recht vorbehalten sein. 52 Auf die in der Rechtstheorie geführte Debatte um den Sprachgebrauch der Begriffe Recht und Unrecht wird im dritten Teil der Untersuchung noch näher einzugehen sein.53 Hier ist zunächst festzuhalten, daß es keinen festumrissenen juristischen Sprachgebrauch des Begriffs Recht gibt, dieser weitgehend offen ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch weist der Ausdruck Recht allerdings eher Konnotationen zu Gerechtigkeit, Richtigkeit usw. auf. Die Wortlautanalyse bietet im ganzen noch keine eindeutigen Hinweise für eine bestimmte Verwendung des Rechtsbegriffs. 54

so Siehe Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 3, hrsg. von Horst Tilch, 2. Aufl. 1992, Art. Recht, S. 28 f.; A. Kaufmann, Rechtsbegriff und Rechtsdenken, in: Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. XXXVII, S. 21 f.; Peter Koller, Theorie des Rechts. Eine Einführung, 1992, S. 19 ff. 51 Krawietz, Recht als Regelsystem, S. 171; ders., Rechtstheorie und Rechtsstaatlichkeit, in: Rechtstheorie 27 (1995), S. 435/436: „Wer heute von Naturrecht oder Wernunitrecht spricht, um beides mit dem positiven, von Menschen für Menschen gemachten Recht zu identifizieren, gerät in Gefahr, einer bloßen Homonymie zu erliegen". Vgl. Hoerster, Begriff des Rechts, in: NJW 1986, S. 2480/2481. 52 Vgl. R. Dreier, Der Rechtsstaat im Spannungsverhältnis zwischen Gesetz und Recht, in: ders., Recht-Staat-Vernunft, S. 73/79; A. Kaufmann, Rechtsbegriff und Rechtsdenken, in: Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. XXXVII, S. 21 ff., 37 f. 53 Zur Auseinandersetzung um die Begriffe Recht, Unrecht und Nichtrecht zwischen Norbert Hoerster, Zur Verteidigung des Rechtspositivismus, in: NJW 1986, S. 2480 ff. und Joachim Hruschka, Recht und Unrecht bei Norbert Hoerster, in: ARSP 72 (1993), S. 421 ff. siehe § 18 C.II. 1. 54 Vgl. Ott, Der Rechtspositivismus, 2. Aufl. 1992, S. 145 ff.

§ 8 Der Wortsinn des Ausdrucks Recht

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B. Der Ausdruck Recht im Sprachgebrauch des Grundgesetzes Der Ausdruck Recht kommt im GG selbständig und in Wortverbindungen fast ebenso oft vor wie der Gesetzesbegriff. Gehäuft taucht er im Abschnitt über die Grundrechte auf. In dem Abschnitt findet sich der Ausdruck Recht zunächst in Art. 1 Abs. 3 GG, der die gesamte Staatsgewalt an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht bindet und insofern eine besondere Ausformung der Bindungsklausel des Art. 20 Abs. 3 GG darstellt. Mit der Formulierung wird zum Ausdruck gebracht, daß aus den Grundrechten nicht lediglich Rechtsreflexe erwachsen, sie vielmehr subjektive Rechte gewährleisten und voll gültiges Verfassungsrecht bilden. 55 Aus der Entstehungsgeschichte geht darüber hinaus hervor, daß man den vorstaatlichen Charakter der Grundrechte betonte und in ihnen den „Gedanken des natürlichen Rechts, des gewachsenen Rechts der alten Freiheitsrechte" unmittelbar verkörpert sah.56 Der Begriff des natürlichen Rechts taucht im GG explizit in der Grundrechtsbestimmung des Art. 6 Abs. 2 GG auf. Der Ausdruck Recht findet sich zudem vielfach im Kontext der einzelnen Grundrechtsgewährleistungen. Danach hat ζ. B. jeder das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Leben usw. ,Recht4 ist hier vornehmlich als ein dem Berechtigten zustehendes subjektives Recht, im Sinne von Freiheit gemeint. Bestätigt wird dies zum einen durch einen Vergleich der einzelnen Grundrechtsartikel. Statt vom ,Recht4 des Einzelnen ist teils von der »Freiheit4 die Rede.57 Zum anderen ergibt sich die Auslegung aus der Grundgesetzgenese. So sah der HChE beispielsweise in Art. 2 Abs. 2 GG die Fassung vor: Jedermann hat die Freiheit, ... alles zu tun4, während im GG schließlich die entsprechende Formulierung lautet: Jeder hat das Recht auf ... 4 (Art. 2 Abs. 1 GG). In den Grundrechtsartikeln tauchen überdies teilweise die Begriffe Recht und Gesetz im selben Satz auf, allerdings nicht kumulativ wie in Art. 20 Abs. 3 GG. Vielmehr kann danach ein bestimmtes Recht, d. h. eine gewährleistete Einzelfreiheit durch Gesetz beschränkt werden (z. B. Art. 2 Abs. 2 S. 2, 5 Abs. 2, 8 Abs. 2 GG), was zeigt, daß die beiden Begriffe nicht beliebig austauschbar sind. Es lassen sich weitere Bedeutungsgehalte des grundgesetzlichen Rechtsbegriffs nachweisen. So stellt das GG in Art. 6 Abs. 2, 33 Abs. 1, 93 Abs. 1 Nr. 3 GG den Rechten die Pflichten gegenüber. In den Vorschriften über die Gesetzgebungskompetenz wird der Ausdruck Recht im Sinne von Zuständigkeit oder Befugnis gebraucht, wie aus dem Vergleich der Art. 70 Abs. 1 und 2, 71 und 105 Abs. 2 a GG deutlich wird. In den Übergangs- und Schlußbestimmungen der 55

Stern, Idee und Elemente eines Systems der Grundrechte, in: HBStR V, § 109, Rn. 36. Zu den Erörterungen im Parlamentarischen Rat siehe Matz, in: JÖR N.F. 1 (1951), S. 51 f. 57 Art. 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 S. 2 GG. Während in Art. 18 GG von der „Freiheit der Meinungsäußerung" die Rede ist, normiert Art. 5 Abs. 1 GG das „Recht, seine Meinung ... zu äußern". 56

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Art. 123 ff. GG über das Fortgelten von Recht sind mit ,Recht4 Rechtsnormen jeglicher Art gemeint.58 Der Uberblick über die Verwendung des Rechtsbegriffs im GG zeigt, daß der Begriff jeweils einen bestimmten, definierbaren Inhalt besitzt und nirgends überflüssigerweise aufgenommen ist. In den Bestimmungen des GG kommen Facetten ein- und desselben Rechtsbegriffs zum Vorschein. Der Ausdruck Recht wird keineswegs gedankenlos gebraucht, erst recht ist er nicht beliebig austauschbar durch den Gesetzesbegriff. Dies spricht dafür, den Rechtsbegriff auch in Art. 20 Abs. 3 GG zunächst einmal als gewichtigen Zusatz zu nehmen.

C. Die kumulative Nennung von Gesetz und Recht in Art. 20 Abs. 3 GG Während das GG den Gesetzes- wie auch den Rechtsbegriff in vielfältigen Zusammenhängen verwendet, findet sich die unmittelbare Konjunktion der beiden juristischen Grundbegriffe jedenfalls in der ursprünglichen Fassung des GG ausschließlich in Art. 20 Abs. 3 GG. Inzwischen ist die Wendung ,Gesetz und Recht4 nochmals in den parallel zu Art. 20 Abs. 3 GG formulierten Art. 20 a GG aufgenommen worden. Hält man sich zunächst einmal eng an den Verfassungstext, der Gesetz und Recht nebeneinander nennt, ist die Annahme naheliegend, daß es sich hierbei nicht um identische Begriffe handelt. Daher wird mit Grund vertreten, die kumulative Erwähnung von Gesetz und Recht könne nur dann einen vernünftigen Sinn haben, wenn die Begriffe nicht synonym gebraucht sind bzw. sie setze sogar voraus, daß beide Begriffe auseinanderfallen können.59 Andererseits könnte sich die Verfassung hier lediglich eines ästhetischen, getragenen Sprachstils bedient haben und die Verbindung von Gesetz und Recht einen besonders einprägsamen, feierlichen Pleonasmus ohne Differenzierungswert darstellen. 60 Diese Annahme wird allerdings zum einen von der Grundgesetzgenese nicht gedeckt und will zum anderen mit den nüchtern klingenden und präzise formulierten übrigen Absätzen des Art. 20 GG nicht recht zusammenpassen. Das BVerfG mißt dem Wortlaut des Art. 20 Abs. 3 GG ebenfalls gewisse Bedeutung zu. So argumentiert es im Soraya-Beschluß, die traditionelle Bindung des Richters an das Gesetz sei in Art. 20 Abs. 3 GG „jedenfalls der Formulierung 58 BVerfGE 28, 119 (LS 1)/133: „Der Ausdruck ,Recht' in Art. 126 GG bezeichnet Rechtsnormen jeglicher Art". Vgl. BVerfGE 34, 293/303. 59 A. Kaufmann, Gesetz und Recht, in: FS-Ε. Wolf, S. 357/360 f.; Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: HBVerfR, 2. Aufl., § 17, Rn. 25; Heyde, Die Rechtsprechung, in: HBVerfR, 2. Aufl., § 33, Rn. 92 ff. 60 Vgl. Jahrreiß, Recht und Gesetz - Gesetz und Recht, in: NJW 1950, S. 3; Schnorr, Die Rechtsidee im Grundgesetz, in: AöR 85 (1960), S. 121/123; vgl. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 41.

§ 9 Gesetz und Recht - eine tautologische Formel?

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nach" dahin abgewandelt, daß die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden sei. 61 Daraus folgert das Gericht zumindest die Abkehr von einem engen Gesetzespositivismus. Schließlich sollte im Rahmen der Wortlautauslegung die Reihenfolge der Nennung der Begriffe nicht unbeachtet bleiben. In Art. 20 Abs. 3 GG dürfte das Gesetz nicht von ungefähr vor das Recht gestellt sein. Daraus kann geschlossen werden, daß vollziehende Gewalt und Rechtsprechung zuvorderst an das Gesetz gebunden sind und der Gesetzesbindung jedenfalls im Regelfall die größere Bedeutung zukommt. 62 Das BVerfG und die Rechtslehre scheinen indessen den Wortlaut der Norm insoweit nicht immer genau zu nehmen und sprechen bisweilen umgekehrt von der Bindung an „Recht und Gesetz" gem. Art. 20 Abs. 3 GG. 63 Nimmt man den Verfassungstext des Art. 20 Abs. 3 GG ernst, spricht im ganzen mehr dafür, daß zum einen Gesetz und Recht keine identischen Begriffe darstellen und zum anderen der in der Wendung zuerst genannten Bindung an das Gesetz im Normalfall das entscheidende Gewicht zukommt. Präzise inhaltliche Aussagen über den Bedeutungsgehalt der Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG lassen sich aus der grammatikalischen Auslegung indessen noch nicht treffen. Eine einzelne Verfassungsnorm darf auch nicht allein aus ihrem Wortlaut heraus isoliert betrachtet werden, sondern ist im Hinblick auf die gesamte Verfassungsordnung auszulegen. 64 Daher soll die Wendung ,Gesetz und Recht4 nunmehr unter verfassungssystematischen Gesichtspunkten erforscht werden.

§ 9 Gesetz und Recht - eine tautologische Formel? In der gegenwärtigen Diskussion um Art. 20 Abs. 3 GG wird nicht selten die Meinung vertreten, das Begriffspaar Gesetz und Recht stelle eine bloße Tautologie dar. Dieser Auffassung soll im folgenden entgegengetreten werden, da sie unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu überzeugen vermag.

61 BVerfGE 34, 269/287; dazu kritisch F. Müller, Richterrecht - rechtstheoretisch formuliert, in: Festschrift der Juristischen Fakultät Heidelberg, S. 65/67. 62 Vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 798; so bereits Wernicke, in: BK, Art. 20 GG, Erl. II 3e) Abs. 2; Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, S. 319. Insoweit greift das GG nicht die Formulierungen der frühkonstitutionellen Verfassungsurkunden auf, die meist das „Recht" vor dem „Gesetz" nannten, z. B. Art. 23, 33 VU Hessen (1820), § 123 VU Kurhessen (1831), umgekehrt hingegen in § 27 VU Sachsen (1831). 63 BVerfGE 87, 273 (LS 2)/279f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., 3. Aufl. 1995, Art. 20, Rn. 26, anders seit der 4. Aufl. 1997; siehe auch Geiger, Die Unabhängigkeit des Richters, in: DRiZ 1979, S. 65/66, 68 allerdings ohne konkreten Bezug auf Art. 20 Abs. 3 GG. Auch die Verfassung des Landes Brandenburg von 1992 bestimmt in Art. 108 Abs. 1, daß der Richter nur Recht und Gesetz unterworfen ist, dazu noch unten § 16 A. 64 BVerfGE 1, 14/32; 30, 1 /19; Stern, Staatsrecht I, S. 123ff.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

A. Die Tendenz des Begriffspaars zur Tautologie (Jarass, Schnapp) In den neueren Grundgesetzkommentaren findet sich zunehmend die Auffassung vom tautologischen Charakter der Wendung ,Gesetz und Recht'. Der Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG wird praktisch ignoriert, man weiß ihm neben dem Gesetzesbegriff keine eigenständige Bedeutung mehr abzugewinnen. Dabei wird zum einen die enge Auffassung vertreten, daß der Hinweis auf das Recht lediglich tautologischer Natur und im Grunde eine Leerformel ist 65 , zum Teil etwas vorsichtiger von der Tendenz zur Tautologie gesprochen.66 Die Bindung an Gesetz und Recht ist danach als Bindung an die Verfassung und förmliche Gesetze sowie an sämtliche andere Rechtsvorschriften einschließlich des Gewohnheitsrechts zu verstehen. Da dem Gesetzesbegriff bereits alle genannten Rechtssätze unterfallen, bringt nach Auffassung der Tautologen der Zusatz ,und Recht' nichts über die Gesetzesbindung Hinausgehendes und ist somit im Grunde überflüssig. Die These, daß der Ausdruck Recht praktisch bedeutungslos ist, läßt deutliche Hilflosigkeit im Umgang mit Art. 20 Abs. 3 GG erkennen. Hinzuweisen ist allerdings darauf, daß der „Tautologie"-These nicht notwendig ein streng positivistischer Rechtsbegriff zugrundeliegt. 67 In der aktuellen verfassungsrechtlichen Diskussion nehmen die Verfechter der These vielmehr an, daß jedenfalls unter der Geltung des GG Legalität zugleich Legitimität bedeutet und nur insoweit Gesetz und Recht zusammenfallen. Die Tautologie-These stützt sich im wesentlichen auf drei Argumente. Zum einen wird unter verfassungssystematischem Gesichtspunkt auf das widersprüchliche Verhältnis des Art. 20 Abs. 3 GG zu Art. 97 Abs. 1 GG hingewiesen, zum anderen auf die Konturenlosigkeit und Offenheit des Rechtsbegriffs. Schließlich wird die Rechtsbindung praktisch als entbehrlich empfunden, da das GG selbst ausreichende Sicherungen der materiellen Gerechtigkeit ent65

Jarass, in: Jarass /Pieroth, GG-Kommentar, Art. 20, Rn. 38; Karl Doehring, Diskussionsbeitrag, in: Die Autorität des Rechts. Verfassungsrecht, Völkerrecht, Europarecht, hrsg. von Torsten Stein, 1985, S. 132; Helmut Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, 1975, S. 149 f.; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, 1975, S. 22; Otto Rudolf Kissel, Gerichtsverfassungsgesetz. Kommentar, 2. Aufl. 1994, § 1 GVG, Rn. 110; Karl Schäfer, in: Löwe / Rosenberg, Strafprozeßordnung und Gerichtsverfassungsgesetz, § 1 GVG, Rn. 6. Die These der Identität von Gesetz und Recht findet sich bereits im 18. Jh. bei Marsilius von Padua, The Defensor Minor, ed. by C. Kenneth Brampton, 1922, cap. I, nr. 2, S. 1: „lus autem idem est quod lex." Dazu Wyduckel, Recht und Rechtswissenschaft im nachpositivistischen Rechtsrealismus, in: Eugene Kamenka (u. a. Hrsg.), Soziologische Jurisprudenz und realistische Theorien des Rechts, Rechtstheorie Beiheft 9 (1986), S. 349/351. 66 Friedrich E. Schnapp, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1,5. Aufl. 2001, Art. 20, Rn. 43. Eine streng tautologische Auffassung vertrat Schnapp noch in der 1. Aufl. des Kommentars 1975, Art. 20, Rn. 36 im Anschluß an Dürig in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20, Rn. 72. Vgl. Bäumlin/Ridder, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, 2. Aufl. 1989, Art. 20, Rn. 54 ff. u. Frankenberg, in: AK-GG, 3. Aufl. 2001, Art. 20 Abs. 1 - 3 , IV, Rn. 25. 67 Zu dem der »Tautologie'-These zugrundeliegenden rechtstheoretischen Rechtsbegriff eingehend § 18.

§ 9 Gesetz und Recht - eine tautologische Formel?

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hält. Die Begründungen sollen im einzelnen auf ihre Tragfähigkeit hin untersucht werden. I. Der scheinbare Widerspruch zwischen Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG

Ein im Rahmen der Diskussion um den Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG immer wieder, nicht nur seitens der Tautologen vorgebrachtes Argument ist das prima facie widersprüchliche, „schwierige" 68 Verhältnis des Art. 20 Abs. 3, 2. HS GG, der die Rechtsprechung an Gesetz und Recht bindet, zu Art. 97 Abs. 1 GG, demgemäß der Richter nur dem Gesetz unterworfen ist. Die Systematik der beiden Verfassungsnormen ist, da sie den in der Formeldiskussion wohl am häufigsten verwendeten Topos bildet, eingehender zu beleuchten. Teilweise vertreten die Tautologen lapidar und ohne nähere Begründung, der Zusatz ,und Recht' könne keine eigenständige, weitergehende Bedeutung haben, da anderenfalls ein normativer Widerspruch zu Art. 97 Abs. 1 GG auftreten würde. 69 Nur durch Gleichsetzung von Gesetz und Recht ließen sich die beiden Verfassungsnormen interpretatorisch zur Deckung bringen. Damit wird die Formel ,Gesetz und Recht' inhaltlich praktisch auf den Gesetzesbegriff reduziert und dem Art. 97 GG eine absolute Vorrangstellung gegenüber Art. 20 Abs. 3 GG eingeräumt. Zum Teil gehen die Vertreter der Tautologie-These auf das Verhältnis der beiden Vorschriften zwar näher ein 70 , die dabei vorgebrachten systematischen Argumente sind aber nicht ganz überzeugend. So wird behauptet, die Bedeutung des Art. 20 Abs. 3 GG liege lediglich im Grundsätzlichen und man würde Art. 20 Abs. 3 GG wie auch alle anderen in Art. 20 GG niedergelegten Staatsprinzipien überfrachten, wollte man hier die Klärung detaillierter Verfassungsprobleme erwarten. 71 Die Lösung der üblicherweise an Art. 20 Abs. 3 GG herangetragenen Fragen sei vielmehr in spezielleren Verfassungsvorschriften wie ζ. B. denen über die Rechtsprechung gem. Art. 92 ff. GG zu suchen, die einen deutlicheren Rechtsgehalt aufwiesen und aus denen sich gesichertere Aussagen gewinnen ließen. Teilweise hält man Art. 20 Abs. 3 GG sogar aus sich heraus für unverständlich. Dem ist entgegenzuhalten, daß Art. 20 Abs. 3 GG im Unterschied zu Art. 20 Abs. 1 GG, der Verfassungsprinzipien wie ζ. B. das Bundesstaatsprinzip nur begrifflich erwähnt, ohne sie näher auszuformen, gerade nicht lapidar vom Rechtsstaatsprinzip 68

So Rüthers, Das Ungerechte an der Gerechtigkeit. Defizite eines Begriffs, 1991, S. 118. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 20, Rn. 38; vgl. v. Münch/KunigSchnapp, GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 20, Rn. 43; Riggert, Die Selbstbindung der Rechtsprechung, S. 21; vgl. auch Gusy, Der Vorrang des Gesetzes, in: JuS 1983, S. 189/193. 70 J. Ipsen, Richterrecht, S. 119 ff.; Merten, Die Bindung des Richters, in: DVBl. 1975, S. 676/678, 680; Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 291 ff. verweist insbesondere auf die Genese des Art. 97 Abs. 1 GG. 69

71 Siehe J. Ipsen, Richterrecht, S. 120f.; vgl. Schnorr, Die Rechtsidee im Grundgesetz, in: AöR 85 (1960), S. 121/128 f. 9 Hoffmann

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

spricht, sondern eine detailliertere Formulierung enthält. Daher ist es wenig überzeugend, die aufgeworfenen Fragen im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG offen zu lassen und schlicht auf Art. 97 Abs. 1 GG zu verweisen. Zutreffend ist, was die Systematik der beiden Verfassungsnormen angeht, daß Art. 97 Abs. 1 GG für die rechtsprechende Gewalt zunächst einmal eine speziellere Regelung gegenüber Art. 20 Abs. 3 GG darstellt. Art. 20 GG sind in erster Linie allgemeine Verfassungsgrundsätze zu entnehmen, die in anderen Vorschriften des GG, wie ζ. B. im Abschnitt über die Rechtsprechung ihre Konkretisierung und Ausformung erfahren haben.72 Art. 97 Abs. 1 GG unterwirft nun - im äußerlichen Gegensatz zu Art. 20 Abs. 3, HS 2 GG - die Richter nur dem Gesetz. Der Ausdruck Gesetz wird dabei in den beiden Normen überwiegend gleich weit gefaßt. 73 Es fragt sich indessen, ob Art. 97 Abs. 1 GG als Spezialregelung die nach Art. 20 Abs. 3 GG bestehende Bindung auch an das Recht aufheben kann, wie die Tautologen unterstellen. Zunächst ist festzuhalten, daß Art. 20 GG die fundamentalen Strukturprinzipien des Staates festlegt und damit die zentralere Verfassungsnorm darstellt. Der Norm ist durch die Unantastbarkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG eine herausgehobene Stellung eingeräumt, was in gewisser Weise zu einer Uberlagerung und einem Interpretations Vorrang gegenüber anderen von der Garantie des Art. 79 Abs. 3 GG nicht erfaßten Verfassungsnormen führt. 74 Zudem muß sich der Verfassungsinterpret nicht zuletzt wegen Art. 79 Abs. 3 GG stets fragen, welche eigenständige Bedeutung den Garantien des Art. 20 GG über die an anderen Stellen des GG normierten speziellen Strukturelemente hinaus zukommt. 75 Insofern kann Art. 97 Abs. 1 GG den Gehalt der Bindungsnorm des Art. 20 Abs. 3 GG nicht einschränken, sondern ist seinerseits im Lichte der Grundsatzbestimmung auszulegen.76 Der Norm kann daher die Stellung einer nicht-verdrängenden Spezialität zugeschrieben werden, neben der Art. 20 Abs. 3 GG in Bezug auf den richterlichen Bindungsmaßstab gleichsam als allgemeiner Teil Bedeutung erlangt. 77 Somit geht es bei 72 Dazu Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 20,1, Rn. 21 ff. 73 BVerfGE 18, 52/59; 19, 17/31 f.; 78, 214/227; v. Münch/Kunig-Meyer, GG-Kommentar, Bd. 3, Art. 97, Rn. 21 f.; Holtkotten, in: BK, Art. 97 GG, Erl. 2a); a.A. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 39, der Rechtsverordnungen und Satzungen aus dem Gesetzesbegriff ausnimmt, siehe dazu oben § 7 B.II. Diejenigen, die in dem Ausdruck Recht das Gewohnheitsrecht repräsentiert sehen, fassen den Gesetzesbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG ebenfalls enger. 74 v. Münch / Kwnig-Schnapp, GG-Kommentar, Art. 20, Rn. 63; Stern, Staatsrecht I, S. 113 f., 132; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 20, I, Rn. 22 ff. weist allerdings zu Recht darauf hin, daß die erschwerte Abänderbarkeit einer Norm rechtslogisch nicht unbedingt mit ihrem höheren Rang verbunden sein muß. 75 v. Münch / Kunig-Schnapp, GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 20, Rn. 1. 76 Heyde, Die Rechtsprechung, in: HBdVerfR, § 33, Rn. 92 ff.; Neuner, Rechtsfindung, S. 8; vgl. Maihofer, Bindung des Richters, in: Annales Univ. Saraviensis VIII (1960), S. 5 / 8 f. 77 F. Müller, ,Richterrecht\ S. 117 f.; ders., Richterrecht - rechtstheoretisch formuliert, in: Festschrift der Juristischen Fakultät Heidelberg, S. 65/67; Heyde, Die Rechtsprechung, in:

§ 9 Gesetz und Recht - eine tautologische Formel?

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Art. 20 Abs. 3 GG um das Prinzip, bei Art. 97 Abs. 1 GG dagegen um dessen Ausformung für den Regelfall des Rechtsprechens, in dem der Richter zuvorderst der Gesetzesbindung unterliegt und ihm die Berufung auf ein irgendwie geartetes Recht verwehrt ist. 78 Der Gedanke, daß Art. 20 Abs. 3 GG für die Dritte Gewalt über Art. 97 Abs. 1 GG hinaus noch Gewicht zukommt, liegt offenbar auch der Judikatur des BVerfG zugrunde. So nahm das BVerfG im Soraya-Beschluß zwar nicht explizit zum Verhältnis der beiden Vorschriften Stellung, zog aber im Kontext des Problems der Rechtsfortbildung unmittelbar Art. 20 Abs. 3 GG als normative Grundlage heran und maß der Grundsatznorm insoweit eine über Art. 97 Abs. 1 GG hinausgehende eigenständige Bedeutung zu. 79 Die differierende Fassung der beiden Verfassungsnormen erklärt sich aus den unterschiedlichen Regelungszwecken und aus der Normgenese. 80 Während Art. 20 Abs. 3 GG im Rahmen des Gewaltenteilungsprinzips die Bindung des Richters inhaltlich positiv ausformt, hat der Verfassunggeber in Art. 97 Abs. 1 GG die traditionelle, bereits in § 1 GVG und Art. 102 WRV enthaltene Unterwerfung des Richters unter das Gesetz aufgegriffen. In Art. 97 Abs. 1 GG sollte wohl nicht positiv der ganze Umfang der richterlichen Bindung festgelegt, sondern zur Hervorhebung der sachlichen Unabhängigkeit - durch die Worte ,und nur 4 - eine Art negativer Feststellung getroffen werden. 81 Die Genese liefert auch keine Hinweise darauf, daß die Vorschriften in einem sachlichen Gegensatz gesehen wurden. 82 Daher kann nicht unterstellt werden, daß mit der in Art. 97 Abs. 1 GG normierten Unterwerfung des Richters nur unter das Gesetz die Aussage des Art. 20 Abs. 3 GG über die richterlichen Bindungsmaßstäbe re vidiert werden sollte. 83 Somit können aus der abweichenden sprachlichen Fassung des Art. 97 Abs. 1 GG keine besonderen FolHBdVerfR, § 33, Rn. 92 ff.; vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 20, I, Rn. 25: Art. 20 GG ziehe die grundlegenden Ideen des GG sozusagen „vor die Klammer". 78 Vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 798. 79 BVerfGE 34, 269/286f.; kritisch zu dieser Rspr. insbesondere wegen Nichterwähnens der einschlägigen Vorschrift des Art. 97 Abs. 1 GG F. Müller, Richterrecht, in: Festschrift der Juristischen Fakultät Heidelberg, S. 65/67 f. 80

Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 97, Rn. 4 f.; Neuner, Rechtsfindung, S. 8 f. Die unterschiedliche sprachliche Fassung - zum einen die „Rechtsprechung", zum anderen der „Richter" - bedeutet sachlich keinen Unterschied, wie auch aus Art. 92 GG hervorgeht. Siehe hierzu Maihofer, Bindung des Richters, in: Annales Univ. Saraviensis VIII (1960), S. 5/8f. 81 Maihofer, Bindung des Richters, in: Annales Univ. Saraviensis VIII (1960), S. 5/9f.; Barbey, Der Status des Richters, in: HBStR III, § 74, Rn. 32, insb. Fn. 79; Neuner, Rechtsfindung, S. 8 f.; vgl. Holtkotten, in: BK, Art. 97 GG, Anm. 2. Die traditionelle Gesetzesunterworfenheit findet sich einfachgesetzlich auch in § 25 DRiG. 82 Siehe dazu oben § 3. Die Ausführungen von Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 291 ff. sind insofern ungenau. 83 Eingehend Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion - Grundlegung einer verfassungsrechtlichen Theorie der rechtsgestaltenden Rechtsprechung, 1997, S. 129 ff. 9*

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

gerungen für den Bedeutungsgehalt des Art. 20 Abs. 3, 2. HS GG gezogen werden. 84 Insbesondere stellt die tautologische Verengung des Begriffspaars auf den Gesetzesbegriff keine überzeugende Auflösung des äußerlichen Widerspruchs der beiden Normen dar. Aus der Systematik der beiden Verfassungsvorschriften ergibt sich vielmehr, daß für die Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG neben Art. 97 Abs. 1 GG noch ein Anwendungsbereich verbleibt und der Begriff des Rechts damit nicht als weggefallen betrachtet werden darf.

II. Rechtsbindung als Leerformel aufgrund der Offenheit des Rechtsbegriffs?

Die Tautologie-These stützt sich des weiteren auf das Argument, daß Recht ein inhaltsoffener, konturenloser Begriff ist und sich die Rechtsbindung daher als eine Leerformel erweist. Da das GG keine Aussage darüber enthält, was unter Recht zu verstehen ist, dürfe die Gesetzmäßigkeit nicht gegen die Rechtmäßigkeit ausgespielt werden. 85 Im Gegensatz zum Gesetzesbegriff, der im Abschnitt über das Gesetzgebungsverfahren durch das GG selbst definiert sei, lasse sich der Ausdruck Recht aus der Verfassung selbst nicht entschlüsseln und könne ihm auch aus dem allgemeinen Sprachgebrauch kein klarer und präziser Inhalt zugewiesen werden. Der Argumentation ist zunächst entgegenzuhalten, daß das GG den Gesetzesbegriff ebenfalls nicht explizit definiert. 86 Die Vorschriften der Art. 70 ff. GG liefern zwar einen Anhaltspunkt dafür, daß die Verfassung in erster Linie von einem formellen Gesetzesbegriff ausgeht, geben aber keine für das GG verbindliche Definition. Auch geht es nicht an, einem im Verfassungstext verwendeten Begriff allein deswegen jegliche Bedeutung abzusprechen, weil das GG keine ausdrückliche Aussage über seinen Inhalt trifft. Verfassungsrechtliche Grundbegriffe wie der Gesetzes- und der Rechtsbegriff können nicht dem blanken Verfassungstext entnommen werden, sie sind vielmehr durch Auslegung zu ermitteln. 87 Verfassungstexte sind im übrigen typischerweise durch eine gewisse Offenheit gekennzeichnet.88 Den Tautologen ist zwar insoweit zuzustimmen, als der Rechtsbegriff weder nach dem allgemeinen noch dem juristischen Sprachgebrauch einen festumrisse84 Dies ist inzwischen ganz überwiegende Auffassung, siehe Herzog, in: Maunz/Dürig, Art. 97 GG, Rn. 5; Wassermann, in: AK-GG, Bd. II, Art. 97 GG, Rn. 52; Neuner, Rechtsfindung, S. 8 ff.; Hasso Hofmann, Das Recht des Rechts, das Recht der Herrschaft und die Einheit der Verfassung, 1998, S. 18, 35; Curt Wolfgang Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung, 1995, S. 174f.; ausführlich Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 129 ff. 85 v. Münch / Kunig-Schnapp, GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 20, Rn. 43; Schreiber, Die Geltung der Rechtsnormen, S. 221 ff. 86 Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 5. 87 Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 153. 88 Siehe Bryde, Verfassungsentwicklung, S. 80 ff.

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nen Inhalt besitzt.89 Daraus kann aber nicht geschlossen werden, daß er ins Belieben der Verfassungsinterpreten gestellt ist. Auch unter logischem Aspekt erscheint das Tautologie-Argument nicht überzeugend. Von der These, der Rechtsbegriff lasse sich mit wissenschaftlichen Methoden nicht eindeutig erkennen, kann logisch nicht seine Identität mit einem anderen Begriff, nämlich dem des Gesetzes, gefolgert werden. 90 Damit stützt das Argument der Offenheit des Rechtsbegriffs die Tautologie-These nicht schlüssig.

III. Legalität gleich Legitimität unter der Geltung des GG?

Während sich die beiden bisher behandelten Argumente als recht vordergründig und oberflächlich erwiesen haben, scheint die folgende Begründung auf den ersten Blick plausibler. Die Tautologen machen geltend, daß Gesetz und Recht unter der Geltung des GG dasselbe bedeuten und miteinander versöhnt erscheinen, da die Verfassungsordnung selbst genügend Sicherungen für eine materiell verstandene Gerechtigkeit bietet.91 Für die Verwirklichung von Gerechtigkeit sorgen u. a. die Verankerung der Menschenwürde sowie das Bekenntnis zu den Menschenrechten in Art. 1 GG, der durch Art. 79 Abs. 3 GG besonderen Anderungsschutz besitzt, der Grundrechtskatalog einschließlich der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG und darüber hinaus unter prozeduralem Aspekt die Ausgestaltung des Gesetzgebungsverfahrens und die Möglichkeit der Normenkontrolle. Mit Blick auf die genannten grundgesetzlichen Vorkehrungen wird vertreten, daß unter der Geltung des GG Legalität Legitimität indiziert. 92 Das Argument zeigt, daß die Tautologen - wie bereits oben erwähnt - den Begriff des Rechts nicht generell streng positivistisch verstehen. Nicht jedes Gesetz ist ihnen bereits automatisch Recht. Es läge ihnen daher auch fern, extrem ungerechte Gesetze wie spezifische NS-Vorschriften für Recht zu erklären. Ihrer Auffassung zufolge besteht aber unter der Herrschaft des GG kein Bedarf mehr dafür, dem Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG einen über das Gesetz hinausweisenden Sinn beizumessen, da die nach dem GG zustandegekommenen und mit ihm inhaltlich in Einklang stehenden Gesetze Ausdruck materieller Gerechtigkeit sind. Die Gefahr von Unrecht in Gesetzesform würde durch das vorbeugende Konzept des GG in kaum zu übertreffender Weise minimiert, wenn nicht gar eliminiert. 93 Zutreffend an dieser Argumentation ist, daß das GG die Idee der Gerechtigkeit vielfach in seinen positivrechtlichen Normenbestand aufgenommen hat und um 89 Dazu oben § 8 A. 90 v. Münch/ Y&mg-Meyer,

GG-Kommentar, Bd. 3, Art. 97, Rn. 17.

91 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 20, Rn. 38. 92 v. Münch / Kunig-Schnapp, GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 20, Rn. 43; Stern, Staatsrecht I, S. 789; Bäumlin/ Ridde r, in: AK-GG, 2. Aufl. 1989, Art. 20, Rn. 55. 93 Merten, Bindung des Richters, in: DVBl. 1975, S. 677/679; vgl. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 45, der allerdings nicht die Tautologie-These vertritt.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

größtmögliche Verwirklichung von Gerechtigkeitspostulaten bemüht ist. Die Setzung gesetzlichen Unrechts durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber des GG ist dadurch weitgehend ausgeschaltet. Vor allem durch die Positivierung der Grundrechte und das Bekenntnis zu den Menschenrechten hat die Kontroverse um Gesetz und Recht erheblich an Brisanz verloren. Zu fragen bleibt aber, ob die Gerechtigkeitsidee vollständig verfassungsrechtlich positivierbar ist und das GG lückenlosen Schutz gegen Unrecht in Gesetzesform bietet. Trotz der Affinität des GG zum Gedanken der Gerechtigkeit wird man ihm wohl ebensowenig wie anderen Verfassungen eine völlige Verwirklichung der Gerechtigkeit und der sie gewährleistenden Rahmenbedingungen prädizieren können.94 Überdies sind die grundgesetzlichen Vorkehrungen gegen das Entstehen gesetzlichen Unrechts, wie insbesondere die Verfassungsprinzipien und die Wesensgehaltsgarantie, von hohem Abstraktionsgrad und daher leicht aushöhlbar.95 Das Stichwort ,ziviler Ungehorsam' soll hier zunächst genügen, um anzudeuten, daß das Problem der Gerechtigkeit des positiven Rechts auch im demokratischen Verfassungsstaat nicht völlig an Aktualität verloren hat. 96 Zudem kann das staatliche Rechtsetzungsverfahren auch durch gerechteste Strukturen niemals automatisch gerechte Ergebnisse garantieren. 97 Schließlich ist zu berücksichtigen, daß die Frage nach dem Rechtsbegriff für die nach den Vorschriften des GG zustandegekommenen Gesetze zwar selten praktisch relevant wird, wohl aber für die in einem totalitären System gesetzten Normen. Daß sich das Problem der Bindung des Richters an solche Gesetze auch unter der Geltung des GG stellen kann, haben die - noch zu erörternden - Entscheidungen zum DDR-Unrecht, insbesondere die „Mauerschützen"-Judikate gezeigt. Somit erweist sich die Argumentation der Tautologie-Vertreter als nicht ganz stichhaltig und durchdacht. Die vorgebrachten begrifflichen und systematischen Begründungen für eine Gleichsetzung von Gesetz und Recht sind angreifbar, die tautologische Auffassung vermag unter diesen Aspekten nicht zu überzeugen. Mit der These der Tautologie des Art. 20 Abs. 3 GG unterstellt man dem Verfassunggeber letztlich an zentraler Stelle „Geschwätzigkeit"98, ohne sich hinreichend um eine Abgrenzung und Konturierung des Rechtsbegriffs zu bemühen.

94

Karl-Peter Sommermann, Taugt die Gerechtigkeit als Maßstab der Rechtsstaatlichkeit?, in: Jura 1999, S. 337/342. 95 Vgl. Hermes, Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 37. 96 R. Dreier, Recht und Gerechtigkeit, in: Grimm (Hrsg.), Einführung in das Recht, 2. Aufl., 1991, S. 95/123 ff.; Renzikowski, Naturrechtslehre versus Rechtspositivismus, in: ARSP 81 (1995), S. 335/338. 97 Maus, Die Trennung von Recht und Moral als Begrenzung des Rechts, in: Rechtstheorie 20 (1989), S. 191/210. 98 Vgl. Ernst Hauck, Wirtschaftsgeheimnisse - Informationseigentum kraft richterlicher Rechtsbildung?, 1987, S. 209.

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B. Orientierungslosigkeit im Umgang mit,Gesetz und Recht4 Die neueren staats- und verwaltungsrechtlichen Lehrbücher gehen auf die Wendung ,Gesetz und Recht' nur vereinzelt ein. Vielfach zeigt sich in den Interpretationsansätzen deutliche Rat- und Hilflosigkeit im Umgang mit dem Rechtsbegriff, mitunter herrscht sogar gänzliches Schweigen. Art. 20 Abs. 3 GG wird in den Lehrbüchern meist im Rahmen des Rechtsstaatsprinzips des GG behandelt." Dabei gehen die Autoren selten auf den zweiten Halbsatz der Norm eigens ein. Vielfach wird lediglich festgestellt, daß mit Art. 20 Abs. 3 GG ein Grundanliegen der Rechtsstaatlichkeit verwirklicht werde, nämlich die rechtliche Bindung der Staatsgewalt. Was unter Rechtsbindung näher zu verstehen ist, wird dann aber offengelassen. Eine begriffliche Unterscheidung zwischen Gesetz und Recht fehlt entweder ganz oder wirkt sehr unklar. 100 Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns und Rechtsbindung werden unausgesprochen gleichgesetzt. Betont wird zwar der materielle Gehalt des Rechtsstaatsbegriffs des GG im Gegensatz zum bloßen Gesetzesstaat, dies aber nur unter Hinweis auf die Grundrechtsbindung gem. Art. 1 Abs. 3 GG und selten auf die Formel,Gesetz und Recht'. Anscheinend wird der Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG keine besondere Bedeutung im Rahmen der Verfassungsrechtsdogmatik beigemessen. Andere Autoren wiederum lehnen zwar eine positivistische Gleichsetzung der Begriffe Gesetz und Recht unter Hinweis auf die Entstehungssituation des GG explizit ab und sehen Gesetz und Recht in einem gewissen Spannungsverhältnis.101 Sie scheuen aber eine weitere Auseinandersetzung über den Gehalt des Rechtsbegriffs und lassen die umstrittene Frage, inwieweit in dem Ausdruck Recht eine Bezugnahme ζ. B. auf vorstaatliches Naturrecht gesehen werden kann, ausdrücklich offen. Bisweilen wird dies auch damit begründet, daß die Frage der Existenz überpositiven Rechts in die Rechtsphilosophie oder Theologie gehöre und insoweit im Rahmen des Staatsrechts nicht näher zu vertiefen sei. 102 Auf die Staatsrechtslehrbücher, die sich dagegen näher mit der Wendung befassen, wie das ursprünglich auf Maunz zurückgehende, sodann von Zippelius bearbeitete Lehrbuch zum deutschen Staatsrecht, ist an späterer Stelle noch einzugehen. 103 99 Degenhart, Staatsrecht, Rn. 208 ff.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 180; 7. Ipsen, Staatsorganisationsrecht, 4. Aufl. 1992, S. 244; Katz, Staatsrecht, Rn. 162 ff., 189 sieht Art. 20 Abs. 3 GG als Ausdruck des formellen Rechtsstaatsverständnisses. Karl Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. 1984, S. 128 f., 185 ff., 205 ff. erwähnt Art. 20 Abs. 3 GG auch im Rahmen des Demokratieprinzips. Die Lehrbücher zum Verwaltungsrecht behandeln die Gesetzes- und Rechtsbindung des Art. 20 Abs. 3 GG meist im Rahmen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, siehe P.-M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 24. 100 Katz, Staatsrecht, Rn. 189: „Der im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Primat des Gesetzes und allgemein der Primat des Rechts ist besonders deutlich in Art. 20 Abs. 3 GG normiert". 101 v. Münch, Staatsrecht, Rn. 339; J. Ipsen, Staatsorganisationsrecht, S. 244, 255. 102

Doehring, Staatsrecht der Bundesrepublik, S. 128 f.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

§ 10 ,Gesetz und Recht' als spannungsloses Begriffspaar Einige Verfassungsinterpreten sehen die Begriffe Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG in einem weitgehend spannungslosen Verhältnis. 104 Sie grenzen sich von der Gruppe der Tautologen dadurch ab, daß sie der kumulativen Erwähnung von Gesetz und Recht in der Verfassungsnorm Beachtung schenken und über eine schlichte Gleichsetzung der Begriffe hinauszugelangen suchen. So deuten sie das Begriffspaar des Art. 20 Abs. 3 GG als. Unterscheidung von geschriebenem Recht und Gewohnheitsrecht oder von Gesetzen im formellen und im materiellen Sinne, bisweilen auch als Differenzierung zwischen staatlicher und privater Normsetzung. Allerdings weisen sie ebenso wie die Tautologen entschieden die Vorstellung zurück, daß Art. 20 Abs. 3, 2. HS GG ein SpannungsVerhältnis zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zum Ausdruck bringt. Die vielfältigen Unterscheidungen innerhalb der Interpretationsrichtung sollen im einzelnen kritisch beleuchtet werden.

A. Unterscheidung zwischen gesetztem Recht und Gewohnheitsrecht Häufig wird der Zusatz ,und Recht' als Hinweis auf Existenz und Bindungskraft des Gewohnheitsrechts verstanden. 105 Eine solche Deutung ist auf den ersten Blick insoweit naheliegend, als der Begriff Gesetz die Vorstellung zunächst auf schriftlich fixierte, in einem förmlichen Verfahren erlassene Normen lenkt. Wenn das Recht nicht als weggefallen betrachtet werden soll, müßte der Begriff demzufolge das allmählich gewachsene, nicht auf einem förmlichen Setzungsakt und dem Willen einer gesetzgebenden Autorität beruhende Recht meinen. Daher deuten einige 103 Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl. 1998, S. 96f.; siehe dazu § 10 C. III. Vgl. auch P.-M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 24. 104 Hesse, Grundzüge, Rn. 195, 507; v. Münch, Staatsrecht, Bd. I, 5. Aufl. 1993, Rn. 338 f.; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 96; F. Müller, Richterrecht, in: Festschrift der Juristischen Fakultät Heidelberg, S. 65/76; Merten, Bindung des Richters, in: DVB1. 1975, S. 677/680. 105 Hesse, Grundzüge, Rn. 195, 507; v. Münch, Staatsrecht I, Rn. 338 f.; Michael Sachs, GG-Kommentar, 1996, Art. 20, Rn. 64; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-Kommentar, 9. Aufl. 1999, Art. 20, Rn. 39; P.-M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 24; Merten, Bindung des Richters, in: DVB1. 1975, S. 677/680; Ferdinand Kirchhof, Private Rechtsetzung, 1987, S. 56 f.; Hans H. Klein, Richterrecht und Gesetzesrecht, in: DRiZ 1972, S. 333; Model/ Müller, GG-Kommentar, 11. Aufl., Art. 20 GG, Rn. 37; Günther Schmidt-Ränsch/Jürgen Schmidt-Ränsch, Deutsches Richtergesetz. Kommentar, 5. Aufl., 1995, § 25 DRiG, Rn. 11; Karl Schäfer (Bearb.), in: Löwe / Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, 6/1, 24. Aufl. 1996, § 1 GVG, Rn. 6. Einige der genannten bleiben allerdings nicht bei dieser Interpretation stehen, sondern messen der Wendung „Gesetz und Recht" über die bloße Unterscheidung von gesetztem Recht und Gewohnheitsrecht hinaus Bedeutung bei.

§ 10 »Gesetz und Recht' als spannungsloses Begriffspaar

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Interpreten die Wendung als Unterscheidung von gesetztem und ungeschriebenem Recht, wobei sie unter letzterem das Gewohnheitsrecht 106, mitunter sogar Verfassungsgewohnheitsrecht 107, allgemeine Rechtsgrundsätze, Observanzen sowie innerstaatlich bindende allgemeine Grundsätze des Völkerrechts 108 oder schließlich auch das Richterrecht verstehen. 109 Die Auffassung, daß der Begriff des Rechts auf das Gewohnheitsrecht hinweist, kommt im Ergebnis und in den praktischen Folgerungen der Tautologie-These sehr nahe. Nach beiden Ansichten bringt Art. 20 Abs. 3 GG nicht mehr als eine Bindung an Verfassungs-, Gesetzes- und Gewohnheitsrecht zum Ausdruck und ist somit der Kreis der von Gesetz und Recht umfaßten Normen derselbe. Wie den Tautologen geht es auch den Verfechtern der Gewohnheitsrechts-These vor allem darum, eine naturrechtliche Interpretation der Formel auszuschließen, die man für gefährlich hält, weil sie die in Art. 97 Abs. 1 GG normierte Gesetzesunterworfenheit des Richters aufweiche. Daher wird der Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG sehr restriktiv ausgelegt und keinesfalls für überpositives Recht geöffnet. Die gewohnheitsrechtliche Deutung der Formel des Art. 20 Abs. 3 GG erscheint bereits unter verfassungssystematischem Aspekt fragwürdig. Es ist nicht ganz schlüssig, daß es den Vertretern dieser Auffassung einerseits keine größeren Schwierigkeiten bereitet, in den Gesetzesbegriff des Art. 97 Abs. 1 GG auch ungesetztes Recht, insbesondere Gewohnheitsrecht, einzubeziehen und sie andererseits unterstellen, in Art. 20 Abs. 3 GG sei derselbe Normenkreis in die Begriffe Gesetz und Recht aufgespalten. Weiterhin argumentieren die Befürworter einer spannungslosen Interpretation des Begriffspaars mit folgender Überlegung: Wenn allgemein Einigkeit darüber besteht, daß unter der Geltung des GG auch das Gewohnheitsrecht für Rechtsprechung und vollziehende Gewalt ΒindungsWirkung entfaltet, seine Geltungskraft aber in keiner anderen Vorschrift des GG ausdrücklich angesprochen wird, muß sie in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegt sein. 110 Durch die Erwähnung des Rechts neben dem Gesetz habe die Verfassung dem Gewohnheitsrecht allgemein einen Platz in der Rechtsordnung eingeräumt. Der Argumentation ist zunächst entgegenzuhalten, daß sie durch die Entstehungsgeschichte in keiner Weise gedeckt wird. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß mit zunehmender Durchnormierung und Verrechtlichung vieler Lebensbereiche das Phänomen des Gewohnheitsrechts stark in den Hintergrund getreten ist. Das allmählich 106 Hesse, Grundzüge, Rn. 195, 507; Merten, S. 677/680; F. Müller, ,Richterrecht', S. 118.

Bindung des Richters, in: DVBl. 1975,

107 So Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, S. 292; zu diesem Phänomen grundlegend und sehr kritisch Christian Tomuschat, Verfassungsgewohnheitsrecht? Eine Untersuchung zum Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1972. 108 Ζ. B. Schmidt-Ränsch, Deutsches Richtergesetz, § 25 DRiG, Rn. 11; vgl. auch Sachs, GG-Kommentar, Art. 20, Rn. 64. 109 Zur Problematik des Richterrechts im Kontext des Art. 20 Abs. 3 GG siehe § 14.

no F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 56 f. Auch auf einfachgesetzlicher Ebene ist das Gewohnheitsrecht nur ganz selten explizit erwähnt, ζ. B. in § 293 ZPO.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

gewachsene, aus Sitten und Gebräuchen des menschlichen Zusammenlebens herausgebildete Recht war vor allem in Zeiten, in denen das Gesetzesrecht weitgehend fehlte, bedeutsam.111 Wenn man ferner berücksichtigt, daß es gewohnheitsrechtliche Rechtssätze heute fast nur noch bei Anerkennung durch die obersten Gerichte gibt, dann verschwimmt der Unterschied zwischen gesetztem und ungesetztem Recht vielleicht nicht vollständig, aber doch so sehr, daß eine besondere Hervorhebung im Rahmen einer so zentralen Vorschrift wie Art. 20 Abs. 3 GG nicht plausibel erscheint. 112 Gerade weil das GG in seinen sonstigen Bestimmungen gewohnheitsrechtliche Phänomene nicht anspricht und diese auch auf einfachgesetzlicher Ebene selten explizit Erwähnung gefunden haben, 113 ist anzunehmen, daß der Zusatz in Art. 20 Abs. 3 GG nicht eingefügt worden ist, um gerade hier einmal des Gewohnheitsrechts zu gedenken.114 Daß dem Gewohnheitsrecht grundsätzlich Geltungskraft zukommt, erscheint als so selbstverständlich, daß es nicht einer besonderen Hervorhebung in der Verfassung bedarf. Die Ansicht, daß in Art. 20 Abs. 3 GG lediglich auf die Β indungs Wirkung des Gewohnheitsrechts hingewiesen wird, läßt sich nicht überzeugend begründen, sie nivelliert die Intention der Vorschrift. 115

B. Bindung an Gesetze im formellen und im materiellen Sinne Vereinzelt wird ,Gesetz und Recht' als Unterscheidung von Gesetzen im formellen und im materiellen Sinne gedeutet.116 Danach bedeutet die Bindung an das Gesetz die Bindung an Parlamentsgesetze und das GG selbst, während der Ausdruck Recht alle untergesetzlichen, aus formellen Gesetzen ableitbaren und mit diesen in Einklang stehenden Rechtsnormen sowie das Gewohnheitsrecht umfaßt. Der Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG wird somit relativ eng gefaßt und eine Öffnung für überpositives Recht, das man für konturenlos und praktisch unbrauchbar hält, auf diese Weise vermieden. Der Ansicht ist ähnlich wie der gewohnheitsrechtlichen Deutung - abgesehen von fehlenden Anhaltspunkten in der Genese der Verfassungsnorm - unter syste111

Dazu Ossenbühl in: Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 74f.; Ulrich Meyer-Cording, Die Rechtsnormen, 1971, S. 70 ff. 112 Sehr zutreffend Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 20, VI, Rn. 52. 113 § 293 ZPO, vgl. Art. 2 EGBGB. Im Schweizerischen Recht wird in Art. 1 Abs. 2 ZGB das Gewohnheitsrecht explizit genannt. Die österreichische Rechtsordnung erwähnt das Gewohnheitsrecht in § 271 ZPO, die „Gewohnheit" in § 1 ABGB, dazu Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 219 f. 114 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20, VI, Rn. 52. 115

Karl Albrecht Schachtschneider, Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes, in: JA 1978, S. 185/186; vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 798. h 6 P.-M. Huber, Allgemeines Verwaltungsrecht, S. 24; Merten, Bindung des Richters, in: DVB1. 1975, S. 677/680 unter Bezug auf Bettermann, Die Unabhängigkeit des Richters, in: Die Grundrechte III/2, S. 523 /543 ff.

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matischem Aspekt entgegenzuhalten, daß sie das Verhältnis von Art. 97 Abs. 1 GG zu Art. 20 Abs. 3 GG nicht schlüssig auflöst. Während der Gesetzesbegriff des Art. 97 Abs. 1 GG allgemein weit gefaßt und eine Unterwerfung des Richters unter Gesetze im formellen wie auch im materiellen Sinne angenommen wird, konstruiert man eine begriffliche Aufspaltung desselben Normenkreises in Art. 20 Abs. 3 GG. Die Konstruktion wirkt nicht zuletzt auch deshalb künstlich, als der dualistische Gesetzesbegriff seine frühere staatsrechtliche Bedeutung inzwischen weitgehend verloren hat. 117 Eine Deutung der Wendung als Unterscheidung von Gesetz im formellen und materiellen Sinne bereitet an sich zwar keine Schwierigkeiten, hilft aber auch bei der Lösung schwieriger Fallkonstellationen kaum weiter.

C. Dichotomie von staatlicher und privater Rechtsetzung Vereinzelt wird in Art. 20 Abs. 3 GG die Unterscheidung zwischen staatlicher und privater Rechtsetzung gesehen. Der Ausdruck Recht impliziert danach eine Öffnung des Rechtssystems für nichtstaatliche Rechtserzeugungsquellen und bedeutet eine verfassungsrechtliche Verbürgung der Zulässigkeit privater Normsetzung. 118 Im GG selbst ist kein staatliches Rechtsetzungsmonopol vorgesehen, vielmehr ergibt sich insbesondere aus Art. 9 Abs. 3 GG sowie Art. 24, 25 GG, daß die staatliche Rechtsordnung Raum für außerstaatliche und private Rechtsetzung läßt, was heute ganz überwiegend anerkannt wird. 1 1 9 Demnach können auch nichtstaatliche Stellen in bestimmtem Umfang normsetzungsbefugt sein. Die Differenzierung zwischen staatlicher und privater Normsetzung gewinnt im Zeichen wachsender gesellschaftlicher Selbstregulierung und schwindender staatlich-zentraler Steuerung 120, die sich vor allem im Umwelt- und Technikrecht bemerkbar macht, zunehmend an Bedeutung. Das BVerfG hat ebenfalls die Zulässigkeit privater Rechtsetzung bejaht und die Qualität der auf diese Weise geschaffenen Normen als Rechtsregeln ausgesprochen, dies freilich nicht explizit im Kontext des Art. 20 Abs. 3 GG. 1 2 1 Dabei hat es allerdings gleichzeitig betont, daß der Staat sich seines 117 Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 10. us F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 124f.; Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 30 f., 46 f., die die nichtstaatliche Normgebung im Kontext des „Rechts" gem. Art. 20 Abs. 3 GG allerdings in erster Linie auf „fremdgesetztes Gewohnheitsrecht" beziehen; Meyer-Cording, Rechtsnormen, S. 40; Model/Müller, GG-Kommentar, 11. Aufl., Art. 20 GG, Rn. 37; vgl. v. Münch -Meyer, GG-Kommentar, Bd. 3, Art. 97, Rn. 20 f. 119 Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 30ff.; F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 57; dagegen schließt sich Peter Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979, S. 330 f., 351 im Ausgangspunkt der Lehre vom staatlichen Rechtsquellenmonopol an. ι 2 0 Siehe dazu nur die Beiträge von Matthias Schmidt-Preuß und Udo di Fabio zum Thema: Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung, in: VVDStRL 56 (1997), S. 160ff., insbes. S. 202ff., 235ff., die die faktische Bindungswirkung privater Normgebung betonen.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Normsetzungsrechts nicht völlig entäußern darf. Staatliche und private Normsetzung müssen somit in einem ErgänzungsVerhältnis stehen. Zu fragen bleibt, inwieweit die durch nichtstaatliche Setzung geschaffenen Normen für Exekutive und Rechtsprechung verbindliches Recht i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG darstellen. Hier wird man nur begrenzte Bindungswirkung privater Normsetzung annehmen können und im einzelnen differenzieren müssen. Ist den gesellschaftlichen Normgebern keine Normsetzungskompetenz durch Gesetz verliehen, kommt den Normierungen - wie beispielweise Vereinssatzungen - keine Allgemeinverbindlichkeit zu. Eine allgemeine Geltung kann den Normierungen nicht einfach über den Zusatz ,und Recht4 zuerkannt werden. Technische Normen privatrechtlicher Normungsverbände stellen als solche gleichfalls keine für Exekutive und Judikative verbindlichen Rechtsnormen dar. Bindungswirkung können technische Normen aber entfalten, wenn sie von staatlich gesetzten Normen im Wege der Verweisung einbezogen werden, ihr Geltungsbefehl also dem Gesetz zu entnehmen ist. 1 2 2 Die auf diese Weise inkorporierten privaten Normsetzungen, wie technische Regelwerke, ergänzen und konkretisieren staatlich gesetzte Normen. 123 Insofern stehen Gesetz und Recht in dieser Interpretationsvariante in einem Ergänzungsverhältnis. Zwar mögen die Verfassunggeber das Phänomen der nichtstaatlichen Rechtsetzung bei der Schaffung der Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG nicht besonders im Blick gehabt haben - die Genese liefert zumindest insoweit keinerlei Anhaltspunkte - , angesichts der zunehmenden Bedeutung nichtstaatlicher Steuerung scheint eine Einbeziehung dieser Normsetzungsart aber angezeigt. Dabei reicht es allerdings nicht aus, in dem Begriffspaar einen Verweis auch auf private Rechtsetzung zu sehen, ohne zu klären, an welchen inhaltlichen Maßstäben sich die private Rechtsetzung zu orientieren hat. Es erscheint nicht zulässig, jeglicher privater Rechtsnormierung über den Ausdruck Recht Bindungswirkung zu verleihen. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, daß der private Normsetzer i. d. R. nicht demokratisch legitimiert ist. 1 2 4 Solange die Verfassungsinterpreten die An121 BVerfGE 34, 307/317; 44, 322/341 ff.; 64, 208/214f. im Zusammenhang mit Tarifnormen gem. Art. 9 Abs. 3 GG; siehe auch BVerwG DVB1. 1962, S. 137 unter Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3, 28 GG. 122 Model/Müller, GG-Kommentar, Art. 20, Rn. 37. So beziehen z. B. §§ 48, 66 Abs. 2 BImSchG die TA Luft, TA Lärm usw. ein. Die TA als solche stellt eine allgemeine Verwaltungsvorschrift dar, gehört also nicht zur privaten Rechtsetzung im eigentlichen Sinne. Sie verweist aber wiederum auf VDI-Richtlinien und DIN-Normen und ist insofern eng mit gesellschaftlicher Normierung verbunden. Siehe dazu Peter Marburger /Thomas Gebhard, Gesellschaftliche Umweltnormierungen, in: Alfred Endres/Peter Marburger, Umweltschutz durch gesellschaftliche Selbststeuerung: gesellschaftliche Umweltnormierungen und Umweltgenossenschaften, 1993, S. 1/32 ff. 123 Marburger/Gebhard, Gesellschaftliche Umweltnormierung, in: Endres / Marburger, Umweltschutz, S. 1/28 f. 124 Vgl. BVerfGE 64, 208/214f.: „Auch eine Verweisung von staatlichen Gesetzen auf tarifvertragliche Regelungen darf nicht dazu führen, daß der Bürger schrankenlos der normsetzenden Gewalt der Tarifvertragsparteien ausgeliefert wird, die ihm gegenüber weder staatlich-demokratisch noch mitgliedschaftlich legitimiert sind. Das widerspräche sowohl dem

§ 11 Gemäßigte positivistische Sichtweise von Gesetz und Recht

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forderungen, die inhaltlich an die gesellschaftliche Normen zu stellen sind, offenlassen oder nicht hinreichend konturieren, ist mit dieser Deutung des Art. 20 Abs. 3 GG noch nicht sehr viel gewonnen.125

§ 11 Die gemäßigt positivistische Sichtweise des Verhältnisses von Gesetz und Recht Eine gemäßigt positivistische Deutung des Art. 20 Abs. 3 GG vertreten u. a. Herzog, Schmidt-Aßmann, Stern. 126 Ausgehend von der Genese der Verfassungsnorm lehnen sie eine tautologisch-positivistische Gleichsetzung von Gesetz und Recht explizit ab. Auch erscheint es ihnen zu einfach, sich auf die Ansicht zurückzuziehen, daß das Recht lediglich auf die Existenz des Gewohnheitsrechts hinweist. Andererseits stehen sie aber auch einer naturrechtlichen Deutung des Rechtsbegriffs deutlich ablehnend gegenüber. Wenn die Verfassung in Art. 20 Abs. 3 GG Gesetz und Recht nebeneinander aufführt, setzt sie zwar ein Spannungsverhältnis zwischen den beiden Begriffen voraus. Das Spannungsverhältnis wird aber im wesentlichen lediglich als Spannung zwischen Gesetz und Verfassung und nur ausnahmsweise als Widerspruch zur Gerechtigkeit interpretiert. Innerhalb der gemäßigt positivistischen Richtung sieht man die mit dem Begriffspaar Gesetz und Recht angesprochene Spannungslage in Nuancen differenziert.

A. Die appellative Funktion des Rechts gem. Art. 20 Abs. 3 GG Vorsichtig äußern sich Ossenbühl u. a. 1 2 7 , die der Wendung in erster Linie Mahnfunktion zuweisen. Die Formulierung des Art. 20 Abs. 3 GG läßt sich danach nur retrospektiv erklären und zwar aus dem Bestreben der Verfassunggeber heraus, ihre sich auf die NS-Zeit gründenden Erfahrungen der Diskrepanz zwischen positivem Recht und Gerechtigkeit als Mahnung in der Verfassung festzuhalten. Während der Wendung ursprünglich eine bestimmte Bedeutung und Funktion zugedacht war, stellt sie heutzutage nicht mehr als einen „bloßen programmatischen Rechtsstaatsprinzip ... als auch dem Demokratieprinzip". Siehe Denninger, Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Normsetzung im Umwelt- und Technikrecht, 1990, insbes. S. 148 ff. 125 Vgl. F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 173 ff. 126 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 20, VI, Rn. 49 ff.; Sachs, Art. 20 GG, Rn. 64; Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 61 ff.; Stern, Staatsrecht I, S. 796ff.; Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 17 ff.; Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: HBdVerfR, 2. Aufl. 1994, § 17, Rn. 25 ff.; Badura, Staatsrecht, S. 215 f.; P. Kirchhof, Richterliche Rechtsfindung, gebunden an „Gesetz und Recht", in: NJW 1986, S. 2275 ff.; ders., Rechtsquellen und GG, in: FG-BVerfG und Grundgesetz, Bd. 2, S. 50ff. 127

Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 17 f.; im Ergebnis ähnlich auch Sachs, GG-Kommentar, Art. 20, Rn. 64.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Erinnerungsposten" 128 in der Verfassung dar. Die Bindungsklausel des Art. 20 Abs. 3 GG hat einen „nicht sogleich in kleine juristische Münze umsetzbaren Sinn", sondern erfüllt vielmehr eine appellative Funktion, die sich zuvorderst an den parlamentarischen Gesetzgeber wendet, der zur Schaffung gerechter Gesetze aufgerufen ist. 1 2 9 Gegen letzteres ist allerdings einzuwenden, daß Adressaten der Bindung an Gesetz und Recht gerade die Zweite und Dritte Gewalt sind. Die Rechtsbindung dürfte insoweit einen über die gem. Art. 20 Abs. 3, 1. HS GG bestehende Verfassungsbindung der Legislative hinausgehenden Sinn haben und soll gerade im Falle des Versagens des Gesetzgebers zum Zuge kommen. Der Interpretationsansatz Ossenbühls u. a. stellt unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Verfassungsnorm zunächst eine wichtige Bedeutung des Art. 20 Abs. 3 GG heraus, nämlich die symbolische Funktion der Wendung. Allerdings wird der Inhalt des Rechtsbegriffs nicht weiter dargelegt, so daß die aktuelle verfassungsrechtsdogmatische Bedeutung von Gesetz und Recht insgesamt eher dunkel bleibt.

B. Rechtsbindung als Legitimität nach Maßgabe der Verfassung Während Ossenbühl bei der vornehmlich appellativen Funktion des Art. 20 Abs. 3 GG stehenbleibt, ohne die aktuelle verfassungsrechtliche Bedeutung des Zusatzes ,und Recht4 näher zu ergründen, gehen Schmidt-Aßmann, Gusy u. a. bei der Auslegung des Begriffspaars einen Schritt weiter. 130 Schmidt-Aßmann weist zwar zunächst ebenfalls der „getragenen, aber unscharfen Formel" des Art. 20 Abs. 3 GG keine präzise dogmatische Funktion, sondern in erster Linie eine appellative Aufgabe zu. Mit Blick auf die entstehungsgeschichtliche Situation erklärt er, daß das GG mit dem Zusatz ,und Recht' auf die Idee der Gerechtigkeit hinführe, von der sich die Gesetzgebung im NS-Staat entfernt hatte. Seiner Auffassung nach hat die Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG auch darüber hinaus, also losgelöst vom historischen Kontext, aktuell insofern noch Sinn, als ein Konflikt zwischen dem Gesetz und der Gerechtigkeit „im Horizont des Rechtsstaats nicht undenkbar" 131 ist. Derartige Spannungslagen könnten insbesondere zwischen Gesetz und höherrangigen Rechtsnormen, zwischen materiellen und formellen Elementen des 128 Oppenheimer, Richterliche Rechtsfortbildung, in: KritV 71 (1988), S. 57/61 f. 129 Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: HBStR III, § 61, Rn. 18; so bereits in den fünfziger Jahren Bockelmann, Richter und Gesetz, in: FS-Smend, S. 123 ff., der den Appell an den Gesetzgeber richtet. 130 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 33 ff., 41 ff.; Gusy, Der Vorrang des Gesetzes, in: JuS 1983, S. 189/193 f.; vgl. dens., Staatsrechtlicher Positivismus, in: JZ 1989, S. 505 ff. Im Ergebnis ähnlich auch Karl-Peter Sommermann, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 2, 4. Aufl. 2000, Art. 20 GG, Rn. 252 ff. und Doehring, Staatsrecht, S. 185 ff., 205 f.; siehe auch die Beiträge von Roellecke und Starck, Die Bindung des Richters, in: VVDStRL 34 (1976), S. 1 ff. und S. 43 ff. 131 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 41.

§11 Gemäßigte positivistische Sichtweise von Gesetz und Recht

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Rechts bzw. Rechtssicherheit und Anpassungsbedürftigkeit des Rechts auftauchen. Positivistisch mutet nun an, wie die Vertreter dieser Richtung die angesprochenen Grundfragen der Rechtsstaatlichkeit gelöst wissen wollen. Sie betonen, daß diese Konflikte mit den Mitteln der Rechtsdogmatik, den Methoden und Institutionen des positiven Rechts, also ohne Rückgriff auf rechtsphilosophische und rechtstheoretische Erwägungen zu lösen seien. Die Formel gebe dem Richter keine Handhabe für eine naturrechtliche Kritik des Gesetzes.132 Das GG selbst fange vielmehr Kollisionen des einfachen Gesetzes mit grundlegenden Normen der Gerechtigkeit auf. Konflikte zwischen Gesetz und Recht lassen sich danach einer Klärung auf der Grundlage des positiven Verfassungsrechts zuführen. Folglich bezieht sich die Rechtsbindung des Art. 20 Abs. 3 GG auf die Verfassung selbst als die höchste Quelle und Garantie des Rechts. 133 Ein vom positiven Verfassungsrecht verschiedenes, ihm vor- oder übergeordnetes Recht könne es im demokratischen Rechts- und Verfassungsstaat hingegen nicht geben. Die Idee der Gerechtigkeit gilt danach in dem Umfang und in der Weise, wie sie das GG rezipiert und verwirklicht hat. Die Bindung an das Recht bringt folglich nur in anderer, hervorgehobener Form die Verfassungsbindung der Staatsgewalt zum Ausdruck. Im Ergebnis gelangen die Formelinterpretationen Schmidt-Aßmanns, Gusys u. a. damit nicht über eine Identifizierung des Rechts mit dem GG hinaus. Der Zusatz in Art. 20 Abs. 3 GG hat danach letztlich nur Klarstellungsfunktion und kaum eigenständige Bedeutung, da die Verfassung selbst bereits vom Gesetzesbegriff umfaßt ist. Die Vertreter dieser Auffassung stützen ihre These u. a. auf verfassungssystematische Argumente, die im einzelnen auf ihre Plausibilität hin überprüft werden sollen. Sie verweisen zum einen auf die unterschiedlichen Bindungsmaßstäbe der Staatsgewalt in Art. 20 Abs. 2, HS. 1 und HS. 2 GG, zum anderen auf das Verhältnis des Art. 20 Abs. 3 GG zu Art. 100 Abs. 1 GG. Schließlich machen sie geltend, daß der Rückgriff auf einen überpositiven Normenbestand über den Ausdruck Recht wegen dessen Konturlosigkeit äußerst gefährlich ist und den Gewaltenteilungsgrundsatz verletzt.

I. Unterschiedliche Bindungsmaßstäbe der drei Gewalten

Zur Begründung der These, daß Rechtsbindung i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG im Ergebnis Bindung an das GG bedeutet, führen die Verfassungsinterpreten an, ein Ansetzen jenseits der Ebene des positiven Verfassungsrechts würde zu widersprüchlichen Bindungsmaßstäben der drei Gewalten führen. Für die Gesetzgebung sei die verfassungsmäßige Ordnung gem. Art. 20 Abs. 3, 1. HS GG ohnehin als einziger Bindungsmaßstab vorgegeben, daher könnten die Zweite und Dritte 132 Badura, Staatsrecht, S. 215 f. 133 Gusy, Vorrang des Gesetzes, in: JuS 1983, S. 189/ 193.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Gewalt nicht darüber hinaus gebunden sein. Die Tatsache, daß das GG die Legislative nicht ausdrücklich auch an das Recht bindet, deute zumindest negativ darauf hin, daß der Begriff in diesem Zusammenhang nicht ein irgendwie geartetes überpositives Recht meinen könne. 134 Der Argumentation ist entgegenzuhalten, daß für die einzelnen Staatsgewalten hinsichtlich der Bindungsmaßstäbe durchaus Unterschiedliches gelten kann und die in Art. 20 Abs. 3 GG vorgesehene Differenzierung zwischen Legislative einerseits und Exekutive sowie Judikative andererseits gerade nicht eingeebnet werden darf. Eine interpretative Angleichung der Bindung an Gesetz und Recht an den Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung erscheint daher weder erforderlich noch sinnvoll. Daß für die drei Gewalten nicht gleiche Bindungsmaßstäbe gelten, ist durchaus verständlich, da die Legislative jedenfalls nicht in gleicher Weise wie Rechtsprechung und Verwaltung an das Gesetz gebunden ist. Der Gesetzgeber selbst unterliegt der Gesetzesbindung nur insoweit, als er die von ihm erlassenen, bestehenden Gesetze nicht in einem neuen, förmlichen Gesetzgebungsverfahren ändert oder aufhebt. 135 Darüber hinaus ist der Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung nicht unumstritten. Das BVerfG hat hierzu festgestellt, daß der Begriff im GG nicht überall denselben Inhalt hat. 1 3 6 Teilweise ist er weit gefaßt im Sinne der gesamten mit der Verfassung in Einklang stehenden Rechtsordnung, in anderem Zusammenhang, z. B. in Art. 9 Abs. 2 GG, dagegen auf gewisse elementare Grundsätze der Verfassung beschränkt, in Art. 20 Abs. 3 GG schließlich meint er die Verfassung schlechthin, also sämtliche Normen des GG. In seiner frühen Rechtsprechung hat der Zweite Senat des BVerfG sogar vertreten, daß jedenfalls der Verfassungsgesetzgeber auch an überpositive Rechtssätze gebunden ist, was im Schrifttum allerdings kaum auf Zustimmung gestoßen ist. 1 3 7 Vor diesem Hintergrund kann in den in Art. 20 Abs. 3 GG normierten unterschiedlichen Bindungsmaßstäben der drei Gewalten kein Widerspruch gesehen werden, der durch Gleichsetzung des Rechts mit der Verfassung aufzulösen wäre. ,Gesetz und Recht' stehen nicht in einem gegensätzlichen Verhältnis zur verfassungsmäßigen Ordnung, vielmehr umfaßt das Begriffspaar mehr als die Gesamtheit der Verfassungsnormen und bildet der Ausdruck Recht gleichsam den Oberbegriff innerhalb der in Art. 20 Abs. 3 GG normierten Bindungsmaßstäbe. Insofern nimmt Art. 20 Abs. 3 GG zuvorderst bestimmte Staatsorgane, nämlich die Exekutive und die Gerichte für das Recht in Verantwortung. 138 Damit liefert die differen134 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 42; vgl. Siegfried Magiera, Parlament und Staatsleitung, S. 74 f. 135 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 20, VI, Rn. 23; Katharina Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, 1997, S. 77. 136 BVerfGE 6, 32/38; siehe v. Münch-Schnapp, GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 20, Rn. 42. 137 BVerfGE 1, 14/18 (LS 27); zustimmend Giese, GG-Kommentar, 4. Aufl. 1955, Art. 20, Anm. II 7; gegen eine Einbeziehung überpositiven Rechts in die „verfassungsmäßige Ordnung" v. Münch-Schnapp, GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 20, Rn. 42 und Jarass, in: Jarass/ Pieroth, GG-Kommentar, Art. 20, Rn. 32.

§ 11 Gemäßigte positivistische Sichtweise von Gesetz und Recht

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zierte Fassung der Verfassungsnorm mit unterschiedlich ausgestalteten Bindungsmaßstäben kein Argument dafür, die Bindung an das Recht auf die Verfassungsbindung zu reduzieren.

II. Rechtsbindung im verfassungsprozessualen Kontext des Art. 100 Abs. 1 GG

Die Vertreter der gemäßigt positivistischen Auffassung ziehen des weiteren aus dem systematischen Zusammenhang des Art. 20 Abs. 3 GG mit der verfassungsprozessualen Vorschrift des Art. 100 Abs. 1 GG Folgerungen für die Interpretation der richterlichen Gesetzes- und Rechtsbindung. Der systematische Kontext der Norm bestätige insoweit, daß die Rechtsbindung als Verfassungsbindung zu verstehen sei. 139 Gem. Art. 100 Abs. 1 GG muß ein Gericht die Entscheidung des BVerfG einholen, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig hält. Das GG eröffne damit dem Richter nur die Möglichkeiten, ein Gesetz im Wege eines konkreten Normenkontrollverfahrens vorzulegen, wobei ausschließlich die Verfassungswidrigkeit der Norm beanstandet werden kann, oder aber das Gesetz anzuwenden. Keine Instanz habe dagegen die Möglichkeit, ein Gesetz unter dem Aspekt allgemeiner Gerechtigkeit zu überprüfen und ihm wegen Verstoßes gegen überpositives Recht die Anerkennung zu versagen. 140 Das BVerfG kann demzufolge im Verfahren gem. Art. 100 Abs. 1 GG ein Gesetz nur auf seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und keinem sonst irgendwie gearteten Recht prüfen, muß also den Konflikt einer Klärung auf der Grundlage des positiven Verfassungsrechts zuführen. Wenn schon das BVerfG bei der Entscheidung auf die Verfassung als Prüfungsmaßstab beschränkt sei, könne der einfache Richter nicht freier gestellt sein. Insofern bleibe jede über die Verfassungsbindung hinausreichende Rechtsbindung unter verfassungsprozessualem Aspekt notwendig folgenlos. 141 Zudem sei das überpositive Recht für sich genommen kein geeigneter Maßstab verfassungsgerichtlicher Prüfung, da es sich der nachvollziehbaren Erkenntnis entzieht. 138 R Kirchhof, Rechtsquellen und Grundgesetz, in: FG-BVerfG und GG, II, S. 50/61; Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: HBdVerfR, § 17, Rn. 26 ff. Daneben ist selbstverständlich auch der Gesetzgeber gehalten, Konflikte zwischen positivem Recht und Gerechtigkeit möglichst zu vermeiden. 139 Gusy, Vorrang des Gesetzes, in: JuS 1983, S. 189/193 f.; Merten, Bindung des Richters, in: DVBl. 1975, S. 677/678; Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 45; Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: HBVerfR, § 17, Rn. 29 ff.; Badura, Staatsrecht, S. 216; Starck, Bindung des Richters, in: VVDStRL 34 (1976), S. 43/49. 140 Merten, Bindung des Richters, in: DVBl. 1975, S. 676/678; dagegen zu Recht Neuner, Rechtsfindung, S. 10 Fn. 35, 180 ff.; vgl. v. Münch-Meyer, GG-Kommentar, Bd. 3, Art. 100, Rn. 4. 141 Gusy, Der Vorrang des Gesetzes, in: JuS 1983, S. 189/193. 10 Hoffmann

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Ähnlich wie der Tautologie-These, die sich auf die von Art. 20 Abs. 3, HS. 2 GG abweichende Formulierung des Art. 97 Abs. 1 GG stützt, ist auch hier entgegenzuhalten, daß das systematische Verhältnis der beiden Grundgesetzvorschriften - Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 100 Abs. 1 GG - nicht hinreichend gewürdigt wird. Unter verfassungssystematischem Aspekt ist im Blick zu behalten, daß Art. 20 Abs. 3 GG die zentralere Norm darstellt und die verfassungsprozessualen Regelungen insoweit ihrerseits im Lichte der Grundsatzbestimmung gesehen werden müssen. Daher ist es nicht zulässig, den Anwendungsbereich des Art. 20 Abs. 3 GG umgekehrt aus prozessualer Perspektive zu verengen. Zudem verfolgen die Verfassungsvorschriften unterschiedliche Zwecke und Funktionen. Während Art. 20 Abs. 3 GG als Grundsatznorm den vollen Bindungsumfang der Zweiten und Dritten Gewalt festlegt, wird in Art. 100 Abs. 1 GG der richterliche Prüfungsmaßstab für ein spezielles verfassungsrechtliches Verfahren ausgestaltet. Allgemein wird die ratio des Art. 100 GG darin gesehen, die Autorität des parlamentarischen Gesetzgebers zu wahren und zu vermeiden, daß jedes einzelne Gericht sich durch Nichtanwendung der Gesetze über den Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt.142 Die in Art. 20 Abs. 3 GG statuierte Bindung der Judikative an Gesetz und Recht kann nicht aus verfassungsprozessualen Regelungen heraus inhaltlich bestimmt werden. Daher darf die richterliche Gesetzes- und Rechtsbindung nicht unter Verweis auf Art. 100 Abs. 1 GG auf eine Bindung an die Verfassung, die allein Prüfungsmaßstab im Verfahren der konkreten Normenkontrolle ist, reduziert werden. Zudem sind im Normenkontrollverfahren des Art. 100 Abs. 1 GG nach dem Regelungszweck nur bestimmte Rechtsnormen - grundsätzlich nur formelle, nachkonstitutionelle Gesetze - vorlagefähig. 143 Auch ist das BVerfG selbst Bindungsadressat des Art. 20 Abs. 3 GG und hat daher die Rechtsbindung bei seiner Entscheidung über Richtervorlagen gem. Art. 100 GG zu beachten. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist - jedenfalls in der frühen Judikatur des BVerfG - anläßlich der Vorlage einer Verfassungsnorm festgestellt worden, daß unter Verfassung nicht nur das geschriebene Verfassungsrecht einschließlich der sich aus dem Gesamtinhalt des GG ergebenden Grundprinzipien und Leitideen zu verstehen sei. 144 Das BVerfG hat dabei die Existenz überpositiven Rechts bejaht und sich für zuständig erklärt, das gesetzte Recht daran zu messen. Damit hat es den Begriff der Verfassung, die gem. Art. 100 Abs. 1 GG und §§ 78, 82 Abs. 1 BVerfGG Prüfungsmaßstab bei der Normenkontrollentscheidung ist, weit ausgelegt. Das Schrifttum hingegen steht einer Einbeziehung überpositiven Rechts 142 BVerfGE 1, 184/197; 22, 373/378; 63, 131/141; 68, 337/344f.; Klaus Schiaich/ Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht. Stellung, Verfahren, Entscheidungen, 5. Aufl. 2001, Rn. 128 ff.; Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 534f. 143 Siehe v. Münch-Meyer, GG-Kommentar, Bd. 3, Art. 100, Rn. 5; Neuner, Rechtsfindung, S. 10 Fn. 35, 178 ff. 144 BVerfGE 1, 14/32; siehe auch BVerfGE 2, 380/403; 3, 225/230f.; 4, 269; 5, 137; 12, 50. Gegen eine Einbeziehung des Naturrechts spricht sich explizit der Hessische StGH, AöR 77 (1950/51), S. 323/330 aus.

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in den Verfassungsbegriff eher ablehnend gegenüber. 145 Aber auch unabhängig davon, wie weit man den Bindungsmaßstab im Normenkontrollverfahren gem. Art. 100 Abs. 1 GG faßt, bleibt festzuhalten, daß die spezielle verfassungsprozessuale Regelung nicht die richterliche Rechtsbindung des Art. 20 Abs. 3 GG in ihrer Bedeutung einschränken und zwingend auf eine Verfassungsbindung einengen kann.

I I I . Gesetz und Recht - eine gefährliche Formel?

Der Auffassung von der Rechtsbindung als Verfassungsbindung wie auch der Tautologie-These liegt die Vorstellung zugrunde, daß das Begriffspaar Gesetz und Recht bei weiter Auslegung des Rechtsbegriffs eine gefährliche und daher schädliche Formel wird. In den fünfziger Jahren klang diese Sorge sehr vereinzelt an, wenn z. B. Evers ,Gesetz und Recht4 als einen „das Staatsleben hemmenden und gefährdenden Doppelbegriff' 146 bezeichnete und daher für eine weitgehende Gleichsetzung der beiden Begriffe plädierte. Eine derartige Befürchtung ist heute unter den Verfassungsinterpreten verstärkt anzutreffen. Aus der Sorge heraus, daß die Bindung an Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG andernfalls zu einer Gefahr wird, interpretiert man den Begriff des Rechts restriktiv und sieht darin entweder nur eine Klarstellung der Verfassungsbindung der Staatsgewalt oder ignoriert den Begriff gänzlich. Auf diese Weise glaubt man die Fragen um das Verhältnis von Gesetz und Recht am besten bewältigen zu können. Gegen eine Öffnung des Rechts gem. Art. 20 Abs. 3 GG für überpositives Recht wird zunächst dessen Konturenlosigkeit angeführt.

1. Subjektive Wertbeliebigkeit als notwendige Folge einer Öffnung des Rechtsbegriffs?

Die Vertreter der gemäßigt positivistischen Interpretationsrichtung betonen nachdrücklich, daß die Formel Gesetz und Recht nicht dazu ermächtige, überpositive Normen nach eigenem Gutdünken zu verfolgen. 147 Die Auffassung ist von der Vorstellung getragen, bei einer Öffnung des Rechts über das Verfassungsrecht 145 Nach Auffassung von Ulsamer, in: Maunz (u. a.), BVerfGG-Kommentar, § 76, Rn. 35 f., § 80, Rn. 150 kann überpositives Recht als Prüfungsmaßstab nur bei der Vorlage von Verfassungsnormen in Betracht kommen. Ansonsten sei der Rückgriff auf naturrechtliche Vorstellungen weder erforderlich noch geeignet. Vgl. Hans Lechner/Rüdiger Zuck, Bundesverfassungsgerichtsgesetz. Kommentar, 4. Aufl. 1996, Vor § 76 BVerfGG, Rn. 17 f.; Sabine Stuth, in: Umbach / Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 1992, Vor §§ 76 ff. BVerfGG, Rn. 16; Stern, in: BK, Art. 100 GG, Rn. 108; Benda/ Klein, Verfassungsprozeßrecht, 2. Aufl., Rn. 734. 146 Evers, Richter und das unsittliche Gesetz, S. 105; siehe dazu oben § 6. 147 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 45 f.; Merten, Bindung des Richters, in: DVBl. 1975, S. 677/678ff. 10*

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

hinaus breche automatisch Irrationales und subjektive Wertbeliebigkeit in das positive Recht ein. Rechtssicherheit und Verläßlichkeit des Rechts würden zerstört oder zumindest unerträglich gefährdet, wenn man von außen an die Rechtsordnung vermeintliche naturrechtliche Grundsätze heranträgt. 148 Zudem fehle es bislang an Hilfsmitteln, um die Anwendung überpositiver Rechtsprinzipien transparent und nachvollziehbar zu machen. Für die Lösung eines konkreten Rechtsfalles bleibt die überpositive Ebene schon wegen ihres hohen Abstraktionsgrades meist unergiebig 1 4 9 . Über Inhalt und Grenzen des Naturrechts lasse sich vielfach keine Einigkeit weder durch logische noch empirische Begründung erzielen. Jede Aussage über Naturrecht beruhe vielmehr auf einer Gewissensentscheidung des einzelnen, über die mit wissenschaftlichen Mitteln nicht gestritten werden kann. Eine naturrechtliche Interpretation des Rechtsbegriffs mache das GG sogar zum „Freipaß der Anarchie" 150 , sie hat „verfassungszerstörende Wirkung" und verkehrt damit den Schutz der Verfassung in sein Gegenteil. 151 Wenn Art. 20 Abs. 3 GG auf Gesetz und Recht verweist, mag man zwar durchaus von überpositivem Recht sprechen, gemeint sein könne jedoch nur dasjenige Recht, das das GG selbst positi viert hat. Teilweise wird die gemäßigt positivistische Interpretationsrichtung auch historisch begründet. In Umkehrung der Radbruchschen Wehrlosigkeitsthese wird vertreten, nicht der Positivismus, sondern das Naturrecht habe die NS-Juristen wehrlos gemacht. Jedenfalls hätte das nach 1945 hervorgeholte Naturrecht der NS-Gewaltherrschaft noch weniger entgegensetzen können als der Positivismus.152 Die Äußerungen offenbaren tiefe Skepsis gegenüber dem Rückgriff auf einen überpositiven Rechtsbereich. Befürchtet wird eine Aufweichung der Gesetzesbindung, sobald man über den Begriff des Rechts ein Tor für Gerechtigkeitsgehalte öffnet. Dem will man durch eine Bindung an das positive Gesetzes- und Verfassungsrecht beikommen. Nicht bestritten werden kann zwar zunächst, daß das Naturrecht vielseitig eingesetzt worden ist und sich verschiedene Richtungen darauf berufen haben. So wurde auch das ,völkische Recht4 im NS-System als naturrechtlich ausgegeben.153 Überdies hat sich die Wehrlosigkeitsthese Radbruchs insoweit als nicht haltbar erwiesen, als das NS-System mit doppelter Strategie operierte, so daß weder einseitig dem Gesetzespositivismus noch dem Naturrecht Schuld an der Rechtsperversion in der NS-Zeit zugewiesen werden kann. Daher ist fraglich, ob eine naturrechtlich geprägte Verfassung das Unrecht tatsächlich hätte verhindern können. Auch erheben sich in einer pluralistischen Gesellschaft erheb148 Doehring, Staatsrecht, S. 185 ff., 205 ff. 149 Riggert, Selbstbindung der Rechtsprechung, S. 23; vgl. Merten, Bindung des Richters, in: DVB1. 1975, S. 677/678 ff.; Doehring, Diskussionsbeitrag, in: Die Autorität des Rechts, S. 133; ders., Staatsrecht, S. 124ff. 150 Ridder, Soziale Ordnung, S. 150. 151 Doehring, Staatsrecht, S. 185 ff., 205 ff. 152 Merten, Bindung des Richters, in: DVB1. 1975, S. 677/678 ff. 153 Dazu Klaus Anderbrügge, Volkisches Rechtsdenken. Zur Rechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, 1976, S. 179 ff.

§ 11 Gemäßigte positivistische Sichtweise von Gesetz und Recht

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liehe Zweifel an der Existenz allgemeingültiger Naturrechtssätze. Dennoch muß eine Öffnung des Rechtsbegriffs nicht notwendig in subjektivistische Wertbeliebigkeit einmünden. Entscheidend ist, Standards, Verfahren und Kriterien zu erarbeiten, die überpositives Recht begründbar und seine Anwendung nachvollziehbar machen, so daß der Grad der Öffnung in Grenzen gehalten wird und nicht in Beliebigkeit umschlägt. Jedenfalls kann nicht pauschal alles nichtpositivierte Recht diskreditiert und Theorien des überpositiven Rechts vorschnell und ohne nähere Auseinandersetzung mit dem Hinweis abgetan werden, ein solches Recht sei nicht aufzeigbar. Daß ein derartiges Recht schwierig zu begründen ist, schließt nicht generell seine Existenz und praktische Einsetzbarkeit aus. 154 Auch schlägt das von der positivistischen Gegenposition vorgebrachte Argument des Verlustes an Rechtssicherheit nicht durch. Eine Gefährdung der Rechtssicherheit kann im Gegenteil auch der positivistischen Sicht vorgehalten werden. Nicht zu Unrecht wird gesagt, daß das Recht infolge der Maßlosigkeit der modernen Gesetzgebung zum Verzweifeln unsicher geworden sei - ein Hohn auf die Lehre des Rechtspositivismus, nach der die dem Gesetzgeber eingeräumte Omnipotenz gerade um der Rechtssicherheit willen erforderlich sein soll. 1 5 5 Eine vermehrte Gesetzesproduktion bringt nicht notwendig mehr Rechtsklarheit und -bestimmtheit, sondern ruft ihrerseits Gegentendenzen hervor. Die Verrechtlichungsflut kann ebenso zum Ansteigen der Unbestimmtheit bis hin zur Porosität des positiven Rechts führen. 156

2. Gewaltenteilungsprinzip und Legitimationsfunktion des Parlamentsgesetzes

Über die dargelegten allgemeinen Bedenken gegen einen Einsatz des Naturrechts hinaus werden konkrete verfassungsrechtliche Argumente vorgebracht. Einer Einbeziehung übergesetzlichen Rechts in den Rechtsbegriff stehen die Verfassungsinterpreten kritisch gegenüber unter Verweis darauf, daß das Gesetz ansonsten um die ihm nach der Verfassung zukommende rationalisierende und stabilisierende Funktion gebracht wird. 1 5 7 Die Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG eröffne insoweit keine Möglichkeit, sich unter Berufung auf das Recht über das Gesetz hinwegzusetzen. Hingewiesen wird auch auf das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1, 2 GG, aus dem abgeleitet werden kann, daß im demokratischen Verfassungsstaat dem formellen Gesetz - aufgrund der unmittelbaren Legitimation des Parlaments und der legitimierenden Kraft des demokratisch-parlamentarischen 154 Siehe Hassemer, Ziviler Ungehorsam - ein Rechtfertigungsgrund?, in: FS-Wassermann, 1985, S. 325/339. 155 A. Kaufmann, Tendenzen im Rechtsdenken der Gegenwart, in: ders., Beiträge zur juristischen Hermeneutik, S. 127/139. 156 Vgl. Teubner, Recht als autopoietisches System, S. 129, 131; Wyduckel, Normativität und Positivität, in: FS-Krawietz, S. 437/465; vgl. Isensee, Mehr Recht durch weniger Gesetze?, in: ZRP 1985, S. 139 ff. 157

Hesse, Grundzüge, Rn. 193; Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 346, Fn. 582.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Gesetzgebungsverfahrens - eine überragende Bedeutung zukommt. 158 Das Parlament habe eine vorrangige Grundzuständigkeit, die die Verpflichtung des Richters bedingt, möglichst weitgehend die politischen Sachziele des Gesetzgebers zu verfolgen. 159 Der Gesetzgeber sei dabei im ganzen zunächst frei, ob er der Rechtssicherheit oder der materiellen Gerechtigkeit den Vorrang gibt und welche Wertvorstellungen und Ideale er verwirklicht. Des weiteren wird mit dem Gewaltenteilungsprinzip des GG argumentiert und werden aus diesem Rückschlüsse für eine restriktive Auslegung der richterlichen Bindung an Gesetz und Recht gezogen. Das Gewaltenteilungsprinzip verbiete es dem Richter, sich über das geschriebene Recht hinwegzusetzen. Der Richter maße sich sonst das Amt des Gesetzgebers an, ohne daß Gewähr dafür besteht, daß die richterliche Wertung die „richtige" ist. 1 6 0 Befürchtet wird ein Übergewicht, ja sogar eine Entfesselung der Dritten Gewalt, falls man über den Ausdruck Recht auch den Rückgriff auf Naturrecht gestatte. Die Gefahren, die eine „gerecht" gerierende Einzelfalljustiz heraufbeschwört, hält man für weitaus größer als diejenigen, die durch eine streng an das positive Gesetzes- und Verfassungsrecht gebundene Rechtsprechung entstehen können. Der Argumentation ist zunächst insoweit beizupflichten, als das positive Recht, insbesondere das formelle Gesetz nach der Verfassung Ordnungs- und Rationalisierungsfunktion besitzt. Es fragt sich aber zum einen, ob sich die Funktion des Gesetzes nach dem GG wirklich darin erschöpft. Das Rechtsstaatsprinzip des GG enthält nach allgemeiner Auffassung sowohl die Komponente der Rechtssicherheit als auch der materiellen Gerechtigkeit. 161 Das GG sieht in der Ordnungsfunktion nicht die ausschließliche und einzige Funktion des Gesetzes, darüber hinaus ist die Legislative auch auf Verwirklichung von Gerechtigkeit angelegt. Ob das förmliche Verfahren stets Gewähr dafür bietet, daß das Gesetz dieses Grundanliegen verwirklicht, erscheint zumindest zweifelhaft. Zum anderen kann im Falle grob ungerechter Gesetze kaum eine rationalisierende Funktion des positiven Rechts angenommen werden und greift somit der Hinweis auf die verfassungsrechtlichen Funktionen des Gesetzes nicht ganz durch. Was den Einwand des Gewaltenteilungsgrundsatzes angeht, wäre eine Verletzung des Kernbereichs dann anzunehmen, wenn man über die Bindung auch an das Recht dem Richter gestatten würde, sich die Funktion des Gesetzgebers an158 Doehring, Staatsrecht, S. 129 f.; Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 331 ff., 344 ff.; Birke, Rechtsanwendung, S. 15 ff., 41 ff.; Hermes, Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 74 f. 159 Kriele, Rechtsgewinnung, S. 240; Bertelmann, Ratio decidendi, S. 62 f. 160 Löwe/Rosenberg-Schäfer, § 1 GVG, Rn. 6; Birke, Richterliche Rechtsanwendung, S. 16 ff.; Merten, Bindung des Richters, in: DVBl. 1975, S. 677/679. Hans-Gerd von Dücker, Der Richter als Ersatzgesetzgeber, in: Staat - Kirche - Verwaltung, FS-Η. Maurer, S. 49 ff. spricht in diesem Zusammenhang von der „berühmten Formel des Art. 20 Abs. 3 GG". 161 BVerfGE 3, 225/237f.; 15, 313/319f.; 25, 269/290; 41, 323/326; 52, 131/144f.; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 90ff.; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 335 ff.

§ 11 Gemäßigte positivistische Sichtweise von Gesetz und Recht

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zumaßen. Eine derartiger genereller Dispens des Richters von der Gesetzesbindung kann in Art. 20 Abs. 3 GG, der der Judikative gerade Bindungsmaßstäbe auferlegen will, aber nicht gesehen werden und wäre zudem verfassungsrechtlich unzulässig. Die im Verfahren nach dem GG zustandegekommenen Rechtsnormen entfalten zuvorderst Bindungskraft für die Judikative und Exekutive. Wenn man indessen davon ausgeht, daß die normativ-kritische Funktion des Rechts gegenüber dem Gesetz nur in engen Ausnahmefällen zum Zuge kommt, ist eine Berührung des Gewaltenteilungsprinzips nur im Randbereich gegeben. Diese erscheint insbesondere angesichts der vom GG gestatteten sonstigen Funktionsüberschneidungen und Durchbrechungen des Grundsatzes als zulässig und führt zu keiner gravierenden Verschiebung der verfassungsmäßigen Funktionen. Zudem sieht das GG selbst den Richter nicht als bloßen Gesetzesvollzieher. 162 Damit trägt das Gewaltenteilungsargument die These von der Rechtsbindung als Verfassungsbindung ebenfalls nicht hinreichend. Insgesamt laufen die Interpretationen Schmidt-Aßmanns, Gusys u. a. im Ergebnis auf eine Gleichsetzung der Rechtsbindung mit der Verfassungsbindung hinaus. Die Verfechter der gemäßigt positivistischen Auffassung versuchen, das Spannungsverhältnis zwischen Gesetz und Recht mit den Mitteln des positiven Rechts und der Verfassungsrechtsdogmatik zu lösen und verzichten bewußt auf theoretisch-philosophische Implikationen des Rechtsbegriffs. Letztere empfinden sie als gefährlich und meinen, die durch Art. 20 Abs. 3 GG aufgeworfenen Fragen am besten in den Griff zu bekommen, indem man Verfassungsrechtsdogmatik und Rechtstheorie deutlich voneinander trennt. Im ganzen gewinnen sie dem Zusatz ,und Recht4 damit keine weitreichende Bedeutung und schöpfen durch die Reduktion der Rechtsbindung auf die Verfassungsbindung die durch Art. 20 Abs. 3 GG gebotenen Möglichkeiten zur Korrektur des Gesetzes nicht vollständig aus. C. Gesetz und Recht als Spannung zwischen positivem Recht und Gerechtigkeit Im Gegensatz zu den diskutierten Ansätzen orientieren sich einige Grundgesetzinterpreten bei der Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG explizit an rechtstheoretischen Lösungsvorschlägen. In diesem Zusammenhang wird meist die Radbruchsche Formel aufgegriffen, so von Herzog, Stern, Benda und Zippelius. 163 Dabei beziehen die Verfassungsinterpreten jeweils auf unterschiedliche Weise die Rad162 V. Münch-Meyer, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 1983, Art. 97 GG, Rn. 16; Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, 1997, S. 150. Vgl. § 132 Abs. 4 GVG. 163 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 20, VI, Rn. 49ff.; Stern, Staatsrecht I, S. 798 ff.; Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: HBdVerfR, § 17, Rn. 25 ff.; Zippelius, Recht und Gerechtigkeit in der offenen Gesellschaft, 2. Aufl. 1996, S. 140ff.; Kirchhof, Rechtsquellen und GG, in: FG-BVerfG und GG, S. 50/59 ff.; Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 2, hrsg. von H. Tilch, Art. „Gesetz und Recht", S. 193 f.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

bruchschen Geltungsthesen in ihre Konzeption des Rechts ein und bewerten sie in ihrem Gehalt auch verschieden.

I. Auflösung des Spannungsverhältnisses unter Rückgriff auf die Radbruchsche Formel (Herzog, Stern)

Weitgehend auf einer Linie liegen die Konzeptionen Herzogs und Sterns zum Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG. Danach spricht die Wendung die möglichen Konflikte zwischen positivem Gesetz und Gerechtigkeit an und erinnert daran, daß die lex nicht schlechthin ius ist. 1 6 4 Ausgangspunkt der Überlegungen sind entstehungsgeschichtliche Aspekte. Nach Auffassung von Herzog und Stern spiegeln sich in der Bindungsklausel des Art. 20 Abs. 3 GG die Erfahrungen der NS-Gewaltherrschaft. In der NS-Zeit habe sich praktisch gezeigt, was der Theorie nach auch vorher schon bekannt gewesen sei, nämlich daß es ungerechte, sogar gerechtigkeitsfeindliche Gesetze geben kann. Den Schöpfern des GG habe deshalb daran gelegen, dem rechtsstaatlichen Prinzip im GG eine Eigenprägung, eine über die bloße Legalität hinausführende Dimension zu verleihen. Mit der Verknüpfung von Gesetz und Recht in Art. 20 Abs. 3 GG dokumentiere das GG den Übergang zu einem „Rechtsstaat höherer Stufe", in dem das Gesetz nicht automatisch mit dem Recht identifizierbar sei. 165 Ein Auseinanderklaffen von Gesetz und Recht ist danach jedenfalls nicht „denkunmöglich". Klärungsbedürftig ist, wie potentielle Konflikte adäquat aufgelöst werden können. Herzog betont, daß sich eine allgemeingültige, befriedigende Antwort nicht finden lasse, was bereits die Vielzahl der in Rechtstheorie und Rechtsphilosophie vorgelegten Konzeptionen belege. Zur Kennzeichnung der theoretisch denkbaren krassen Ausnahmefälle erscheint den Verfassungsinterpreten - im Anschluß an die Rechtsprechung des BVerfG - der Lösungsvorschlag Radbruchs tauglich und einleuchtend.166 Dabei schließen sie sich allerdings vor allem Judikaten des im ganzen positivistischer urteilenden Ersten Senats des BVerfG an, in denen die Radbruchsche Formel rezipiert wird. Daß dem GG ein Recht-vor-Gesetz-Denken grundsätzlich nicht fremd ist, zeige sich auch in dem Bekenntnis des Art. 1 Abs. 2 GG zu den unveräußerlichen und unverletzlichen Menschenrechten. Herzog äußert dabei größere Skepsis als Stern hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Radbruchschen Formel. Diese wird seiner Ansicht nach als Konfliktlösungmodell wohl überschätzt, denn sie könne Konflikte zwischen Gesetz und Recht niemals restlos auflösen, nicht einmal in jedem denkbaren Einzelfall konkret 164 Stern, Staatsrecht I, S. 777, 798 f.; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 20, VI, Rn. 53 f. 165 Stern, Staatsrecht I, S. 799. 166 Stern, Staatsrecht I, S. 799; ders., Staatsrecht V, S. 2119f.; vgl. Herzog, in: Maunz/ Dürig, GG-Kommentar, Art. 20, VI, Rn. 53; Deutsches Rechts-Lexikon, Bd. 2, hrsg. von H. Tilch, Art. „Gesetz und Recht", S. 193.

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lösen. 167 Die Radbruchsche Formel zeigt eben nur einen Lösungsweg auf, ohne selbst bereits das Abwägungsergebnis zu liefern. Einig sind sich Herzog und Stern wiederum in der Beurteilung der Funktion der Radbruchschen Formel im demokratischen Rechtsstaat. Der Rückgriff auf die Radbruchschen Geltungsthesen ist danach unter der Herrschaft des GG praktisch entbehrlich angesichts der engen Annäherung der Verfassung an die Idee der Gerechtigkeit, die ζ. B. in Art. 1 Abs. 1 und 2, 3, 19 Abs. 2 und 100 GG zum Ausdruck kommt. Dadurch nähert sich die Bandbreite, innerhalb deren sich Radbruch gegen die Beachtung des positiven Rechts aussprach, sehr stark dem „Nullpunkt" an. 1 6 8 Konflikte zwischen Gesetz und Recht werden damit gewissermaßen von der Ebene des überpositiven Rechts auf die Ebene des positiven Verfassungsrechts herabgezogen. Mit dem Rekurs auf die Radbruchschen Geltungsthesen scheinen Herzog und Stern zwar zunächst eine theoretisch-philosophische Fundierung der Problematik um den Rechtsbegriff anzuvisieren, äußern sich dann aber eher zurückhaltend und argumentieren gemäßigt positivistisch, wie die Bezugnahme auf Aussagen des Ersten Senats des BVerfG belegt. Indem Herzog und Stern die Frage der inhaltlichen Bestimmung der Gerechtigkeit an das GG selbst anbinden, setzen sie letztlich die Rechtsbindung im wesentlichen mit der Verfassungsbindung gleich. Damit nähern sie sich den oben dargelegten Auffassungen Schmidt-Aßmanns und Gusys an, die auf anderem Wege zu demselben Ergebnis gelangen, indem sie nämlich von vornherein rechtstheoretische Konzeptionen des Rechts außer Betracht lassen. Der Radbruchschen Formel messen die Verfassungsinterpreten im Ergebnis wenig aktuelle praktische Bedeutung bei. Stern hebt allerdings hervor, die These, daß das förmliche Gesetz Ausdruck der materiellen Gerechtigkeit ist und Konflikte zwischen Gesetz und Recht insoweit kaum denkbar sind, treffe nur für einen rechtsstaatlich-demokratischen Gesetzgeber zu. Insoweit sei es beim Gesetzgeber des GG praktisch ausgeschlossen, daß er die „auch für ihn unübersteigbaren Barrieren des Rechts" überschreitet. 1 6 9 Spannungslagen zwischen Gesetz und Recht, wie sie die Radbruchsche Formel umschreibt, sind damit zumindest dann noch denkbar, wenn es sich um Gesetze eines nicht-rechtsstaatlichen Gesetzgebers handelt. Die Problematik, die Stern hier anreißt, aber nicht weiter verfolgt, ist im Rahmen der justiziellen Bewältigung des DDR-Unrechts praktisch relevant geworden. Hierbei erhebt sich die Frage, ob und inwieweit eine Bindung des dem GG verpflichteten Richters auch an das von einem totalitären, nicht freiheitlich-demokratischen Gesetzgeber positivierte Recht anzunehmen ist. 1 7 0 Daran zeigt sich jedenfalls, daß die Problematik um Konflikte 167 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 20, VI, Rn. 54. 168 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Kommentar, Art. 20, VI, Rn. 54; vgl. Deutsches Rechtslexikon, Bd. 2, hrsg. von H. Tilch, Art. „Gesetz und Recht", S. 194. 169 Stern, Staatsrecht I, S. 799 f. 170

BVerfGE 95, 96 - Mauerschützen - . Das BVerfG differenziert hier ausdrücklich zwischen einer rechtsstaatlich-demokratischen und einer totalitären Gesetzgebung. Dazu eingehend § 12 B.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

zwischen Gesetz und Recht im geltenden Verfassungsrecht nicht gänzlich verschwunden ist und ein möglicher Anwendungsbereich für die Geltungsthesen Radbruchs verbleibt. Der Argumentation Herzogs und Sterns ist zwar insoweit beizupflichten, als das GG um Verwirklichung materieller Gerechtigkeit bemüht ist und die Möglichkeit des Entstehens gesetzlichen Unrechts durch entsprechende Verfahrensvorschriften und materielle Vorgaben für die Legislative erheblich minimiert hat. Es bestehen aber Zweifel, ob lückenloser Schutz gegen gesetzliches Unrecht durch das positive Verfassungsrecht gewährleistet werden kann und die Verfassungsnormen, die vermeintlich absolute Sicherheit gegen das Entstehen gesetzlichen Unrechts bieten, selbst angesichts ihres relativ hohen Abstraktionsgrades vor Aushöhlung sicher sind.

II. Die positivistische Komponente der Radbruchschen Geltungsthesen (Benda)

Benda bezieht in seine Erwägungen zur Rechtsbindung der Staatsgewalt gem. Art. 20 Abs. 3 GG ebenfalls die Radbruchsche Formel und ihre Rezeption durch die höchstrichterliche Judikatur ein. 171 Dabei stellt er allerdings anders als Herzog und Stern ihren positivistischen Gehalt in den Vordergrund. So zitiert er die Radbruchsche Formel aus einer frühen Entscheidung des BVerfG, um klarzustellen, daß das Gericht unter Berufung auf Radbruch schon frühzeitig vom Richter grundsätzlich Gehorsam gegenüber dem Gesetz verlangt habe. 172 Damit betont er die positivistische Formelkomponente, derzufolge für den Regelfall der Rechtssicherheit, die dem positiven Recht als Wert zukommt, Vorrang gegenüber der Gerechtigkeit gebührt. Benda verliert die nichtpositivistische Komponente der Radbruchschen Formel zwar nicht ganz aus dem Blick und erkennt durchaus an, daß sie für besonders krasse Fälle einen Vorbehalt macht und der Gerechtigkeit ausnahmsweise den Vorrang einräumt. Einen solchen Ausnahmefall bezieht er aber weniger auf eine Spannung zwischen Gesetz und überpositivem Recht, als vielmehr auf Konflikte zwischen Gesetz und höherrangigem Verfassungsrecht. Im Konfliktfall sei nicht die Intensität des Unbehagens, das der Richter nach seinem subjektiven Gerechtigkeitsgefühl empfindet, entscheidend. Der Gesetzgeber dürfe grundsätzlich seine Gerechtigkeitsvorstellungen dem Gesetz zugrunde legen, die der Richter zu akzeptieren habe, jedenfalls solange sich die Legislative im Rahmen der Verfassung halte und die Grundrechte, insbesondere das Willkürverbot beachte. Konflikte zwischen dem Gesetzesbefehl und den eigenen Gerechtigkeitserwägungen kann der 171 Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: HBVerfR, § 17, Rn. 25 ff. 172 Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: HBVerfR, § 17, Rn. 27 unter Verweis auf BVerfGE 3,225/233.

§ 11 Gemäßigte positivistische Sichtweise von Gesetz und Recht

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Richter demzufolge über den Weg des Normenkontrollverfahrens gem. Art. 100 Abs. 1 GG zur Lösung bringen. Damit deutet Benda die Radbruchsche Formel im ganzen sehr restriktiv und schöpft ihr Potential bei weitem nicht aus. Mit der eigentlichen Problematik, auf die die Unerträglichkeitsthese Radbruchs verweist, setzt er sich im Grunde nicht näher auseinander. Die von Radbruch skizzierte Spannung zwischen gesetzlichem Unrecht und übergesetzlichem Recht verlagert und reduziert Benda schlicht auf Kollisionen zwischen einfachem Gesetz und Verfassung. Damit läuft seine Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG gleichfalls auf eine Identifizierung der Rechtsbindung der Staatsgewalt mit der Verfassungsbindung hinaus und wird dem Zusatz ,und Recht4 kaum mehr als deklaratorische Bedeutung abgewonnen.

I I I . Die Radbruchsche Formel als Bestandteil des positiven Rechts (Zippelius)

Schließlich zieht auch Zippelius die Radbruchsche Formel als Hilfe bei der Lösung von Konflikten zwischen Gesetz und Recht heran. 173 Auffällig ist dabei, daß die Radbruchsche Formel in dem zusammen mit Maunz verfaßten Staatsrechtslehrbuch bei der Erörterung der Rechtsbindung gem. Art. 20 Abs. 3 GG keine Erwähnung findet 174 . Hingegen hatte Maunz noch in den Vorauflagen des Lehrbuchs die Radbruchsche Unerträglichkeitsthese zur Kennzeichnung des Spannungsverhältnisses von Gesetz und Recht zitiert. 175 Zippelius deutet in dem Lehrbuch indessen das Begriffspaar des Art. 20 Abs. 3 GG weitgehend spannungsfrei. Unter Gesetz versteht er alle geschriebenen Rechtssätze, während zum Recht die ungeschriebenen Normen des Gewohnheitsrechts und die „in der Gemeinschaft herrschenden Grundsätze der Gerechtigkeit" gehören. Die Wendung habe insoweit, wie auch der Soraya-Beschluß des BVerfG zeige, Bedeutung insbesondere für die richterliche Rechtsfortbildung. Aus der Tatsache, daß Zippelius im Staatsrechtswerk die Radbruchsche Formel im Zusammenhang des Art. 20 Abs. 3 GG nicht erwähnt, kann man vorsichtig schließen, daß er ihr für das geltende Verfassungsrecht keine nennenswerte Bedeutung und Funktion beimißt. In einer rechtstheoretischen Monographie dagegen nimmt Zippelius im Kapitel über Recht und Moral zum Sinn des Begriffspaars des Art. 20 Abs. 3 GG unter theoretisch-philosophischem Aspekt Stellung. 176 Hierbei hält er es für naheliegend, daß die Wendung die Unterscheidung von gesetztem Recht und materieller 173 Zippelius, Juristische Methodenlehre, 7. Aufl. 1999, S. 61, 77; ders., Recht und Gerechtigkeit, S. 160 ff., 382; ders., Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1994, S. 75. 174 Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl., 1998, S. 96 f.

175 Seit der 4. Aufl. 1955 geht Maunz, Deutsches Staatsrecht, S. 55 auf das Begriffspaar näher ein. 176 Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, S. 160 ff., 382 f.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Gerechtigkeit meine. Unter letzterer versteht er - im Anschluß an eine Formulierung aus dem Soraya-Beschluß des BVerfG - die „mehrheitlich konsensfähigen Gerechtigkeitsvorstellungen" der Gemeinschaft. Daß diese bei Wertungsproblemen zum gesetzten Recht ergänzend hinzutreten, hält Zippelius indessen wiederum für so selbstverständlich, daß es auch gelten würde, wenn es die Formulierung ,Gesetz und Recht4 in Art. 20 Abs. 3 GG nicht gäbe. Zudem führt seiner Auffassung nach die Verfassungsnorm selbst bei Fragen nach der Auflösung des Konfliktes von positiven Gesetzen zu vorrechtlichen Normen nicht weiter, da sie keine Aussage darüber treffe, was im Konfliktfall geschehen solle. Insoweit mißt er auch in diesem Zusammenhang dem Zusatz ,und Recht4 gem. Art. 20 Abs. 3 GG keine weiterreichende Bedeutung bei, sieht darin lediglich einen Hinweis auf die unabweisbaren Weitentscheidungen der Verfassung. 177 Losgelöst von der Bindungsklausel des Art. 20 Abs. 3 GG konstruiert Zippelius in der genannten rechtstheoretischen Schrift eine Lösung eines möglichen Widerspruchs zwischen positivem Recht und vorrechtlichen Normen mit Hilfe der Radbruchschen Formel. Im Anschluß an die Lehre Nawiaskys vom „vorrechtlichen Gesamtbild44 der Verfassung - auf die sich bereits Maunz in den Vorauflagen des Staatsrechtslehrbuchs stützte - geht er davon aus, daß vorrechtliche, allgemeine Grundsätze der Gerechtigkeit in das positive Recht aufgenommen und transformiert sein können. Auf diese Weise könne auch die Radbruchsche Formel als Bestandteil der jetzigen Rechtsordnung im Range einer Staatsfundamentalnorm aufgefaßt werden. Hierbei wird allerdings nicht ganz deutlich, wo genau er die Formel im positiven Verfassungsrecht verortet wissen will, zumal er Art. 20 Abs. 3 GG zur Lösung von Konfliktfällen für zu wenig aussagekräftig hält und die Norm selbst damit als Anknüpfungspunkt bereits ausscheiden dürfte. Darüber hinaus bezieht Zippelius das Radbruchsche Lösungsmodell nicht auf Konflikte zwischen Gesetz und übergesetzlichem Recht im Sinne allgemeingültiger Naturrechtssätze, sondern vielmehr auf einen Widerstreit des positiven Rechts mit den „mehrheitlich konsensfähigen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft". Erste Anhaltspunkte für deren Bestimmung liefern wiederum die Rechts- und Gerechtigkeitsgrundsätze der Verfassung. Im übrigen kommt es Zippelius zufolge hierbei lediglich auf das Faktum eines möglichst breiten gesellschaftlichen Wertungskonsens im demokratischen Gemeinwesen an, nicht darauf, ob die konsensfähigen Vorstellungen einen „Wahrheitsgehalt" besitzen.178 Die reine Bezugnahme auf das formale Mehrheitsprinzip als Legitimationsfaktor ohne inhaltliche Kriterien des Konsenses erscheint allerdings fraglich und die Theoriekonzeption Zippelius' insgesamt nicht ganz einleuchtend. Der Ausdruck Recht erschöpft sich danach im wesentlichen in der Verweisung auf die im GG positivierten Gerechtigkeitsvorstellungen. Ansonsten bleibt der Sinn der Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG eher blaß, insbesondere auch ihr Bezug zur Radbruchschen Formel. 177 Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, S. 160 f. 178 Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, S. 382 f.

§ 11 Gemäßigte positivistische Sichtweise von Gesetz und Recht

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D. Stellungnahme Den gemäßigt positivistischen Auffassungen ist zunächst insoweit beizupflichten, als sie eine Gleichsetzung von Gesetz und Recht unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ablehnen. Im Gegensatz zu den Verfechtern der verfassungsrechtsdogmatisch nicht überzeugenden Tautologie-These wird dem Ausdruck Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG eine eigenständige Bedeutung gegenüber dem Gesetzesbegriff beigelegt. Dabei greift allerdings die von Schmidt-Aßmann, Gusy u. a. vertretene Ansicht, die im Ergebnis die Rechtsbindung als Verfassungsbindung deutet, zu kurz. Mögliche Konflikte zwischen Gesetz und Recht werden danach im rechtsstaatlichdemokratischen Staat lediglich als Spannungslage zwischen Gesetz und höherrangigen Rechtsnormen aufgefaßt, die auf der Grundlage des positiven Verfassungsrechts und ohne Rückgriff auf rechtstheoretische Gerechtigkeitserwägungen zu lösen seien. Durch die Deutung der Rechtsbindung als Verfassungsbindung erhält der Zusatz ,und Recht4 letztlich nur deklaratorische Bedeutung, da unter den Gesetzesbegriff ohne größere Schwierigkeiten auch das Verfassungsgesetz subsumiert werden kann. Zutreffend ist zwar, daß das GG vielfache Vorkehrungen zur Gewährleistung materieller Gerechtigkeit geschaffen hat, insbesondere durch die Positivierung der Grundrechte und sein Bekenntnis zu den Menschenrechten. Gleichwohl maßt sich das GG nicht an, materielle Gerechtigkeitsgehalte vollständig und abschließend konstitutionalisiert zu haben, sondern gibt vielmehr der Suche nach Gerechtigkeit Raum. 179 Auch fragt sich, ob es genügen kann, einen „Katalog edelster Staatsziele, bester Grundrechte und evident untadeliger Sätze sonstigen Rechts" in der Verfassung zu normieren. 180 Es müssen zum einen ausreichend institutionelle und verfahrensrechtliche Sicherungen zur Verfügung gestellt werden und zum anderen sind die betreffenden Verfassungsnormen relativ offen formuliert und daher auch dehnbar. Insoweit muß man sich vor Augen halten, daß die Gefahr der Entartung des Rechts oder seines Mißbrauchs nicht mit jeweils überwundenen Unrechtssystemen überstanden ist, sie vielmehr der Gesetzgebung immanent ist und das Problem des gesetzlichen Unrechts auch im Rechtsstaat ein Daueraufgabe bildet. 181 Andere gemäßigt positivistische Deutungsansätze wie die von Herzog u. a. berufen sich bei der Lösung von Konflikten zwischen Gesetz und Recht auf die Radbruchsche Formel und sehen in Art. 20 Abs. 3 GG weitergehend einen Hinweis auf die Spannung von positivem Recht und Gerechtigkeit. Wie der Gehalt der Radbruchschen Formel dabei bestimmt wird, überzeugt allerdings nicht ganz. So wird 179

Vgl. Sommermann, Taugt die Gerechtigkeit als Maßstab der Gerechtigkeit?, in: Jura 1999, S. 337/342. 180 Siehe Zacher, Was kann der Rechtsstaat leisten?, in: FS-Stern, S. 393/404. 181 Lecheler, Unrecht in Gesetzesform? Gedanken zur „Radbruch'schen Formel", S. 6, 16 ff.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

der positivistische Teil der Radbruchschen Formel teils zu sehr betont und zudem die Bedeutung und Leistungsfähigkeit der Radbruchschen Formel als Konfliktlösungsmodell im demokratischen Rechtsstaat im Ergebnis auf Null reduziert. Der Rückgriff auf Radbruchs Thesen ist danach unter der Geltung des GG praktisch entbehrlich angesichts der engen Annäherung der Verfassung an die Idee der Gerechtigkeit. Damit wird letztlich wiederum die Rechtsbindung gem. Art. 20 Abs. 3 GG im wesentlichen mit der Bindung an das GG gleichgesetzt und kann gleiches wie der gemäßigt positivistischen Auffassung Schmidt-Aßmanns entgegengehalten werden. Die Radbruchsche Formel ist in ihrer inhaltlichen Bestimmung zwar nicht sehr präzise, ihr grundlegende Bedeutung, dem Recht Korrektivfunktion gegenüber dem Gesetz einzuräumen, kann aber auch im Rechtsstaat von praktischer Bedeutung sein, wie etwa die noch zu erörternde Mauerschützenjudikatur gezeigt hat. Sie kann daher als Grundlage der Bestimmung des Rechts gem. Art. 20 Abs. 3 GG dienen, da sie Möglichkeiten zur Korrektur des positiven Rechts in Ausnahmefällen offenhält. Insofern ist einer gemäßigt positivistischen Interpretation des Art. 20 Abs. 3 GG zu folgen, die die Radbruchsche Formel in ihrer Funktion im Grenzbereich heranzieht. Schließlich darf auch die appellative Funktion der Wendung, auf die insbesondere Ossenbühl hinweist, nicht unterschätzt werden. Die Formulierung des Art. 20 Abs. 3 GG ist insoweit zukunftsgerichtet und besitzt eine wichtige symbolische Bedeutung.

§ 12 Der nichtpositivistische Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG Eine nichtpositivistische, natur- oder vernunftrechtliche Deutung des Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG und eingehendere Stellungnahmen zu Grund und Grenzen überpositiven Rechts finden sich in der gegenwärtigen verfassungsrechtlichen Diskussion vergleichsweise selten. Am bedeutendsten sind hierbei die vernunftrechtlichen Konzeptionen Alexys und R. Dreiers, die im verfassungsrechtlichen Teil der Arbeit kurz vorgestellt und im dritten Teil unter rechtstheoretischem Aspekt noch eingehender diskutiert werden sollen.

A. Gesetz und Recht als Spannung zwischen Rechtsregeln und Rechtsprinzipien (Alexy, R. Dreier) Nach Alexy und R. Dreier liegt Art. 20 Abs. 3 GG ein rechtsethisch modifizierter Begriff des Rechts zugrunde, der den Merkmalen der Gesetztheit und Wirksamkeit eine Richtigkeits- oder Gerechtigkeitsklausel hinzufügt. 182 In der Bindungs182 Siehe Ralf Dreier, Der Rechtsstaat im Spannungsverhältnis zwischen Gesetz und Recht, in: ders., Recht-Staat-Vernunft, S. 73/78 ff.; Alexy, Begriff und Geltung des Rechts,

§ 12 Nichtpositivistischer Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG

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formel des Art. 20 Abs. 3 GG umfaßt der Gesetzesbegriff danach alle Rechtssätze im materiellen Sinne. Unstreitig sei, daß die traditionelle Formel der Bindung des Richters an das Gesetz, wie sie der Grundgesetzgeber - wohl unabgestimmt mit Art. 20 Abs. 3 GG - in Art. 97 Abs. 1 GG aufgenommen habe, nicht den formellen, sondern den materiellen Gesetzesbegriff meint. Dies spricht dafür, den Gesetzesbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG ebenfalls in dieser Weise zu interpretieren 183. Die Wendung spiegelt danach bei Zugrundelegung eines nichtpositivistischen Rechtsbegriffs ein doppeltes Spannungsverhältnis wider. Auf der einen Seite ist mit dem Begriffspaar die Problematik des gesetzlichen Unrechts angesprochen. Für die Auflösung derartiger Spannungen zwischen positivem Gesetz und übergesetzlichem Recht dient Dreier und Alexy die Radbruchsche Formel als Konfliktlösungsmodell, wonach im Ausnahmefall das positive Recht der Gerechtigkeit weichen muß. Mit der Annahme eines vernunftrechtlich angereicherten Rechtsbegriffs, wie er der Unerträglichkeitsthese Radbruchs zugrundeliegt, nehmen sie eine relativ weite Öffnung des Rechtsbegriffs des Art. 20 Abs. 3 GG vor. Die Radbruchschen Geltungsthesen werden über den Ausdruck Recht in das positive Verfassungsrecht inkorporiert. Da Art. 20 Abs. 3 GG die Rechtsprechung an Gesetz und Recht bindet, könne ein Richter, wenn er zur Begründung der Nichtigkeit einer Norm auf die Radbruchsche Formel zurückgreift, sogar mit guten Gründen vertreten, daß er den Boden positiven Rechts nicht verläßt. Es erscheint danach nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern geradezu erforderlich, zur Legitimierung einer juristischen Entscheidung auch moralische Normen heranzuziehen. 184 Abgesehen von dieser nur singulär, bei Systemumbrüchen auftauchenden Konstellation des gesetzlichen Unrechts, verbleibt Alexy und Dreier zufolge der Formel ,Gesetz und Recht' auch im juristischen Alltag des demokratischen Rechtsstaats eine nicht unbedeutende Funktion. In der verfassungsrechtlichen Normallage spiegelt die Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG das SpannungsVerhältnis zwischen der Regel- und der Prinzipienebene der Rechtsordnung wider. Rechtsregeln werden dabei als definitive Gebote, Rechtsprinzipien als in unterschiedlichem Grade erfüllbare Optimierungsgebote verstanden. 185 Entscheidende These Dreiers und Alexys ist in diesem Zusammenhang, daß die Prinzipienebene den Gerechtigkeitsbezug des positiven Rechts zum Ausdruck bringt und die Einbeziehung der Prinzipienebene in das geltende Recht den rechtspositivistischen S. 117 ff.; Delf Buchwald, Der Begriff der rationalen juristischen Begründung, 1990, S. 40ff. Vgl. auch Jan-Reinard Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, insbes. S. 52 ff., 172 ff., allerdings ohne spezifischen Bezug auf Art. 20 Abs. 3 GG. 183 R. Dreier, Der Rechtsstaat im Spannungsverhältnis, in: ders., Recht-Staat-Vernunft, S. 73/79. 184 Buchwald, Der Begriff der rationalen juristischen Begründung, S. 38 f. 185 Dazu Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Geltungs- und Erkenntnisbedingungen im modernen Rechtsdenken, hrsg. von Neil MacCormick (u. a.), ARSP Beiheft 25 (1985), S. 13 ff.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Rechtsbegriff sprengt. 186 Auf das Prinzipienargument ist im verfassungstheoretischen Teil noch näher einzugehen. Die Konzeptionen Dreiers und Alexy s übertragen mithin den recht weiten in der rechtstheoretischen Diskussion vertretenen Rechtsbegriff auf die Verfassungsrechtsdogmatik. Die Auswirkungen und Folgen, die diese Position etwa für die Frage des Widerstandsrechts im Verfassungsstaat hat, sollen an späterer Stelle noch erörtert werden. 187 Hier sei bereits angemerkt, daß die nichtpositivistische Konzeption des Rechtsbegriffs zwar insoweit überzeugend erscheint, als sie den Zusatz ,und Recht4 ernst nimmt und durch die Korrekturfunktion des Rechts eine Hilfe für die Lösung schwieriger Fragen des richterlichen Bindungsmaßstabs bietet. Andererseits erscheint sie unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten angesichts der weiten Öffnung des Rechts bedenklich, da sie in Konflikt mit dem grundgesetzlichen Gebot der Rechtssicherheit geraten kann.

B. Weitere nichtpositivistische Interpretationsansätze Abgesehen von den Konzeptionen Dreiers und Alexys finden sich im verfassungsrechtlichen Schrifttum noch vereinzelt nichtpositivistische Deutungen des Art. 20 Abs. 3 GG, die aber meist über kein hinreichend ausgearbeitetes theoretisches Konzept verfügen. 188

I. Die Grundgesetzkommentare

In den Grundgesetzkommentaren ist eine nichtpositivistische Interpretation des Art. 20 Abs. 3 GG sehr selten anzutreffen. Teilweise wird knapp, ohne eigenständige Argumentation und nähere Begründung der nichtpositivistisch geprägten Rechtsprechung des Zweiten Senats des BVerfG gefolgt. So wird im Anschluß an den Staatsangehörigkeitsbeschluß von 1968 angenommen, daß Rechtsvorschriften aus der NS-Zeit wegen evidenten Widerspruchs zu fundamentalen Gerechtigkeitsprinzipien, trotz ihrer jahrelangen Anwendung und Befolgung, die Geltung als Recht abgesprochen werden kann. Für das nach dem GG zustandegekommene positive Recht gelte hingegen eine widerlegbare Gültigkeitsvermutung. 189 186 R. Dreier, Der Begriff des Rechts, in: NJW 1986, S. 890 ff.; Alexy, Begriff und Geltung, S. 117 ff. 187 Siehe § 15 D. 188 v. Münch-W. Meyer, GG-Kommentar, Bd. 3, Art. 97, Rn. 10 ff., Model/Müller, GGKommentar, 11. Aufl., Art. 20 GG, Rn. 37 und Art. 97 GG, Rn. 7; Bleckmann, Staatsrecht II Die Grundrechte, S. 75ff.; Brugger, Gesetz, Recht, Gerechtigkeit, in: JZ 1989, S. 1/3ff.; Fiedler, Stillstand oder Fortentwicklung des Rechtsstaatsprinzips, in: FS-Jahr, S. 71 / 89. 189 Model/Müller, GG-Kommentar, Art. 20, Rn. 37 und Art. 97, Rn. 7 im Anschluß an BVerfGE 23, 98; vgl. Schulze-Fielitz, in: H. Dreier, Grundgesetzkommentar, Bd. 2, 1998, Art. 20, Rn. 83 ff.

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Eingehender setzt sich W. Meyer im Grundgesetzkommentar v. Münchs mit der Bindung des Richters an das Recht auseinander. In der Kommentierung von 1983 lehnt er eine Gleichsetzung von Gesetz und Recht entschieden ab und plädiert für eine nichtpositivistische Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG, die er allerdings in der neueren Auflage (1996) in Auseinandersetzung mit der Diskurstheorie Alexy s deutlich abschwächt.190 Meyer stellt in der Vorauflage mit Recht fest, daß Art. 20 Abs. 3 GG „nicht der inhaltsleeren Tautologie bezichtigt werden" darf. 191 Im verfassungsdogmatischen Sinne könne nicht ernsthaft bezweifelt werden, daß das GG selbst zwischen Gesetz und Recht differenziert. Dafür spricht der klare Wortlaut der Verfassungsnorm, das Bekenntnis zu den Menschenrechten in Art. 1 Abs. 2 GG sowie die Genese des GG. Das GG ordnet überdies dem Richter nicht die Rolle des bloßen Gesetzesvollziehers zu. Da die Gesetze unausweichlich ergänzungsbedürftig sind, sei der Richter immer wieder gezwungen, ohne Widerspruch zum geltenden Normensystem über dieses hinauszugehen. Der frühen Rechtsprechung des naturrechtlich judizierenden Zweiten Senats des BVerfG 192 folgend nimmt Meyer an, daß sogar die Naturrechtsmäßigkeit einer Verfassungsnorm der Kontrolle durch das BVerfG unterliegen kann. Allerdings vertritt er keinen klassischen natur- oder vernunftrechtlichen Rechtsbegriff, wie die neuere Bearbeitung bestätigt. Er hält in der jüngeren Kommentierung an der Verwerfung der Tautologie-These fest, äußert sich aber wesentlich zurückhaltender gegenüber einem moralisch-ethischen Rechtsbegriff und beruft sich nicht mehr so entschieden auf die Judikatur des BVerfG. Das GG habe die wichtigsten natur- und vernunftrechtlich entwickelten Moralnormen in positives Verfassungsrecht umgesetzt. Die „gerechten", „richtigen" Maßstäbe des Rechts sind daher die dem inhaltlichen Rechtsstandard des GG genügenden, durch das Gesetz vermittelten Maßstäbe. Die seit Mitte der achtziger Jahre heftig diskutierte, von Alexy vertretene Theorie des idealen Diskurses, die einen Richtigkeitsanspruch des Rechts impliziert, lehnt er scharf ab. Die Theorie sei ein bloßes Konstrukt, juristisch unzutreffend und rechts wissenschaftlich unbrauchbar. 193 Art. 97 Abs. 1 GG verbiete es sogar dem Richter, sich der Diskurstheorie zu unterwerfen. Die Theorie führe zu einer Vermischung von parlamentarischem und richterlichem Normensystem bis hin zur Richteroligarchie. Meyer warnt eindringlich vor der Gefahr, daß sich der Richter über eine Berufung auf überpositive Optimierungsgebote zum letztverbindlichen Normsetzer aufschwingt und seine Vorstellung von „praktischer Vernunft" zum Maßstab des Gesetzes macht. Die Kritik an der Diskurstheorie wirkt im ganzen sehr polemisch. Meyer setzt sich nicht wirklich mit der Theoriekonzeption auseinander, die Regeln und Be190 v. Münch-W Meyer, GG-Kommentar, Bd. 3, 2. Aufl. 1983, Art. 97, Rn. 16 ff., 3. Aufl. 1996, Art. 97, Rn. 10 ff. 191 v. Münch-W Meyer, GG-Kommentar, Bd. 3, 3. Aufl., Art. 97, Rn. 16. 192 BVerfGE 1, 14/18; 22, 387/423. 193 v. Münch-W Meyer, GG-Kommentar, Bd, 3, 3. Aufl., Art. 97, Rn. 17. 11 Hoffmann

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

dingungen des Diskurses festlegt und nicht jedes beliebige inhaltliche Ergebnis zuläßt. Die Bedenken hinsichtlich eines unkontrollierten Machtzuwachses der Dritten Gewalt und einer eklatanten Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips dürften daher überzogen sein. Die Vorbehalte gegen eine Einbeziehung der Theorie in das geltende Verfassungsrecht sind allerdings insoweit berechtigt, als man durch bloße Verfahrensregeln zu unterschiedlichen Inhalten, jedoch nicht zu genau einem richtigen Ergebnis gelangen kann. Insoweit führt die diskurstheoretische Konzeption, wenn man sie auf das Verfassungsrecht überträgt, zu einer relativ weiten Öffnung des Rechts, die in Konflikt mit dem Gebot der Rechtssicherheit geraten kann.

II. Naturrechtliche Deutungsansätze im Schrifttum

Vereinzelt gehen die Interpreten hinsichtlich der zulässigen Öffnung des Rechtsbegriffs sehr viel weiter als die Verfassungskommentatoren. So plädiert Nordsieck auf der Grundlage theologischer Erwägungen für einen unbedingten Vorrang des überpositiven natürlichen Rechts vor dem gesetzten Recht. 194 Wenn das Recht von dem Gesetz in Art. 20 Abs. 3 GG besonders unterschieden wird, könne es nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch sein und auch nicht mit der Verfassung, da diese bereits vom Gesetzesbegriff umfaßt ist und es dann bei Verfassungsänderungen kein wirkliches Korrektiv mehr gäbe. Recht muß daher eine „Offenheit" und einen „Unterschied zum positiven Gesetz" besitzen, die es als wirklich abgehoben gegenüber dem Gesetz erscheinen lassen.195 Auch das GG selbst weise ζ. B. in der Präambel und in Art. 1 Abs. 1 und 2 GG darauf hin, daß es sich um dem staatlichen Zugriff entzogene, über- und außergesetzliche Normen handeln muß. Nordsieck sieht dabei einen Bezug zu einem - vom traditionellen Naturrecht verschiedenen und über es hinausgehenden - eschatologischen Recht, das Gehalt und Maßstab von dem kommenden, endgültigen Reich der Freiheit, Gleichheit und Solidarität erhält und die Gerechtigkeit Gottes bildet. Dem Rechtsbegriff schreibt er anders als die Radbruchsche Formel nicht nur im Ausnahmefall Korrektivfunktion zu. Vielmehr will er jedes Gesetz in überpositives materielles Recht eingebunden wissen. Insoweit müsse mit Art. 20 Abs. 3 GG Ernst gemacht werden. 196 Andere sehen - ebenfalls recht weitgehend - in dem Ausdruck Recht eine Öffnung für ein Naturrecht, das sich an den Erkenntnissen der modernen biologischen Anthropologie und der Verhaltensbiologie zu orientieren habe. 197 194 Nordsieck, Recht und Gesetz, insbes. S. 63 ff., 100ff., 156 ff.; vgl. auch Wolfgang Huber, Recht und Gerechtigkeit. Grundlinien christlicher Rechtsethik, 1995, S. 80 ff.; Katharina Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat. Verfassungs- und verwaltungsrechtliche Aspekte, 1997, S. 86 ff., 490 ff. 195 Nordsieck, Recht und Gesetz, S. 64. 196 Nordsieck, Recht und Gesetz, S. 157. 197 Quambusch, Der Naturrechtsgedanke - Verlegenheitslösung oder Orientierungshilfe?, in: Kriminalistik 1994, S. 74 ff.

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Die auf theologischer bzw. anthropologischer Basis ansetzenden Interpretationsversuche stoßen wegen der nahezu uferlosen, schwer kontrollierbaren Öffnung des Rechts mit Grund auf wenig Resonanz und sind aus Gründen der Rechtssicherheit verfassungsrechtlich bedenklich. Der Ansatz kann zur Aufweichung der richterlichen Gesetzesbindung und zum Mißbrauch führen. Insoweit weist die Radbruchsche Formel, die auf einen unerträglichen Widerspruch zur Gerechtigkeit in singulären Fällen abhebt, einen zutreffenderen, mit den Vorgaben des GG besser zu vereinbarenden Weg auf.

I I I . Unverfügbare Menschenrechte als Gerechtigkeitsmaßstab

Interpretationsansätze, die den naturrechtlichen Gerechtigkeitsmaßstab über unverfügbare, auf internationaler Ebene niedergelegte Menschenrechte konkretisieren, erscheinen verfassungsrechtlich überzeugender. Bleckmann tritt dabei für ein „konkretes Naturrechtsdenken" ein, das die zahlreichen Gemeinsamkeiten im Kernbestand der Grundrechte berücksichtigt, die sich aus einem Vergleich des Verfassungsrechts westlicher Staaten ergeben. 198 Art. 1 Abs. 2 GG weise darauf hin, daß das GG selbst von der Existenz vorstaatlicher, im Naturrecht wurzelnder Grundrechte ausgeht. Die Verfassung selbst bildet nicht die Geltungsgrundlage der Menschenrechte, sie kann sich zu den unveräußerlichen Rechten, die nicht erst durch die Staatsgewalt geschaffen werden, nur „bekennen". 1 9 9 Die Grundrechte enthalten danach nicht in vollem Umfang Naturrecht, sie haben einen menschenrechtlichen Kern und einen nur positivrechtlichen Hof. Weitere naturrechtliche Einbruchstellen im GG kommen in Art. 19 Abs. 2 GG sowie Art. 6 Abs. 2 GG zum Vorschein, so daß das GG zumindest einen naturrechtlichen Hintergrund besitzt. Bleckmann stellt gleichzeitig mit Grund fest, daß die Existenz der zahlreichen im GG positivierten Grundrechte den Naturrechtsgedanken zunehmend haben zurücktreten lassen. In der frühen Nachkriegsrechtsprechung war der Rückgriff auf überpositives Recht erforderlich, weil man nur so die ursprüngliche Nichtigkeit grob ungerechter NS-Akte begründen konnte. Indessen besitze man heute mit den Grundrechten einen positiven, konkretisierten Maßstab der Gerechtigkeit. 200 Damit schränkt Bleckmann im Ergebnis die Bedeutung des Rechtsbegriffs wieder ein, da er den Gerechtigkeitsmaßstab im positiven Verfassungsrecht selbst sieht. Sein Ansatz weist aber insoweit eine zutreffende Richtung auf, als auf einen gemeinsamen Kernbestand an Grundrechten der Rechtsgemeinschaft rekurriert wird. Der sich aus dem Vergleich des Verfassungsrechts demokratischer 198 Bleckmann, Staatsrecht II, S. 76; siehe auch Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, S. 233 ff. 199 Bleckmann, Staatsrecht II, S. 75 ff.; vgl. auch Hans Herbert v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 114, Fn. 24. Zur Entstehungsgeschichte des Art. 1 Abs. 2 GG siehe Matz, in: JÖR N.F. 1 (1951), S. 52. 200 Bleckmann, Staatsrecht II, S. 76.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Staaten ergebende Grundrechtskonsens kann dabei als aktuelle Präzisierung der Radbruchschen Formel dienen. Fiedler zufolge findet der Gedanke der Abwehr „rechtsstaatswidrigen", gegen materielle Gerechtigkeit verstoßenden Gesetzesrechts in Art. 20 Abs. 3 GG seinen Ausdruck, ohne daß aber das Tor für das leicht zu diffamierende „Naturrecht" geöffnet würde. 201 Art. 20 Abs. 3 GG spreche gegen eine verengte, auf formale Aspekte reduzierte Sicht des Rechtsstaatsprinzips und gegen einen Verzicht auf die Kategorie der Gerechtigkeit. In der Norm sei eine „unscheinbare Waffe gegen jede Diktatur" geschmiedet worden. Die inhaltliche Bestimmung des Rechts läßt Fiedler weitgehend offen, deutet aber an, daß unter neueren Bedingungen neue Akzente zu setzen seien, die zu einer stärkeren Berücksichtigung internationalrechtlicher Standards wie etwa der Menschenrechtspakte führen sollten. Damit wird eine wichtige Funktion des Rechts hervorgehoben, die angesichts der Erfahrung der Entstehung und des Untergangs verschiedener totalitärer Systeme im 20. Jh. nicht unterschätzt werden sollte. Neuner mißt der Bindung an das Recht eine normativ-kritische Funktion zu, die die Gesetzesbindung relativiert. Dabei können die unverfügbaren Menschenrechte ein Korrektiv gegenüber dem Gesetz bilden. 202 Die Verfassung selbst geht in Art. 1 Abs. 2 GG von übergesetzlichen, vorstaatlichen Rechten aus. An die fundamentalen Menschenrechte sei die rechtsprechende Gewalt über Art. 20 Abs. 3 GG gebunden. Neuner weist auf die Bedeutung der nach 1945 getroffenen multilateralen Menschenrechtsvereinbarungen wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen hin, die zwar nur programmatische Wirkung hat, und die EMRK, die beide als Konkretisierungshilfe herangezogen werden können. Der Ansatz erscheint plausibel, da nicht schlicht auf ein diffuses Naturrecht rekurriert wird, sondern die Herleitung universeller Rechte aus positivrechtlichen Grundlagen erfolgt, die auf einem breiten Konsens der Rechtsgemeinschaft beruhen. Auch bietet er Möglichkeiten zur Fortentwicklung und inhaltlichen Präzisierung der Radbruchschen Formel, die die nach 1946 getroffenen internationalen Menschenrechtsvereinbarungen noch nicht berücksichtigen konnte.

C. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis der aktuellen verfassungsdogmatischen Analyse des Art. 20 Abs. 3 GG läßt sich zunächst festhalten, daß eine Gleichsetzung von Gesetz und Recht nicht in Betracht kommt. 203 Die These, daß das Begriffspaar 201

Fiedler, Stillstand oder Fortentwicklung des Rechtsstaatsprinzips, in: FS-Jahr, S. 71/ 89; ders., Diskussionsbeitrag, in: VVDStRL 51 (1992), S. 147. 202 Neuner, Rechtsfindung contra legem, S. 6 ff., 25 ff. 203 Vgl. Neuner, Rechtsfindung, S. 26ff., der zu demselben Ergebnis insbesondere unter Verweis auf das Bekenntnis zu den Menschenrechten gem. Art. 1 Abs. 2 GG gelangt.

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lediglich tautologischen Charakter besitzt oder zur Tautologie tendiert, kann argumentativ in keinem Punkt überzeugen. So greift insbesondere der beliebte Topos, daß andernfalls ein Widerspruch zwischen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG auftritt, unter verfassungssystematischem Aspekt nicht durch. Darüber hinaus schneiden sich die Verfechter der Tautologie-These jede Möglichkeit der Korrekturfunktion des Rechts gegenüber dem Gesetz ab, was hinsichtlich einer Beurteilung von Gesetzen eines totalitären, nicht rechtsstaatlich-demokratischen Gesetzgebers bedenklich erscheint. Gleichfalls macht es sich zu einfach, wer in Gesetz und Recht lediglich die Dichotomie von gesetztem Recht und Gewohnheitsrecht erblickt. Die Bindungskraft des Gewohnheitsrechts erscheint so selbstverständlich, daß es keines besonderen Verweises auf diesen Normenkreis in einer solch zentralen Verfassungsnorm wie Art. 20 Abs. 3 GG bedarf. Auch erscheint die These von der Rechtsbindung als Verfassungsbindung zu kurzsichtig, da unter den Gesetzesbegriff ohne weiteres auch das Verfassungsgesetz gefaßt werden kann. Zudem kann man nicht davon ausgehen, daß das GG materielle Gerechtigkeitsgehalte vollständig inkorporiert hat, es gibt vielmehr über Einbruchstellen wie Art. 20 Abs. 3 GG Raum für Gerechtigkeitsvorstellungen. Die vielfach anzutreffende Begründung der Gleichsetzung von Gesetz und Recht durch pauschale Diskreditierung überpositiver Gerechtigkeitsvorstellungen, ohne eingehende Auseinandersetzung mit entsprechenden Theoriemodellen, kann nicht überzeugen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht spricht einiges dafür, daß dem Recht gegenüber der Gesamtheit der geschriebenen Rechtssätze einschließlich des Gewohnheitsrechts ein „überschießender Sinngehalt" 204 zukommt. Auch das Bekenntnis zu den unveräußerlichen Menschenrechten in Art. 1 Abs. 2 GG bietet einen deutlichen Hinweis in diese Richtung. Nimmt man an, daß das Recht einen Gerechtigkeitsbezug aufweist, ist der verfassungsrechtlich zulässige Inhalt näher zu bestimmen, da sich eine beliebige Öffnung des Rechts aus Gründen der Rechtssicherheit verbietet. Dabei erscheint die nichtpositivistische Rechtskonzeption Alexys unter verfassungsrechtlichen Aspekten nicht unbedenklich, da sie eine relativ weite Öffnung schafft. Die Radbruchsche Formel kann aber durchaus als Grundlage dienen, da sie die Korrekturfunktion des Rechts anerkennt, muß allerdings auf verfassungsrechtlicher Ebene restriktiv angewandt werden. Es bietet sich an, diese am Maßstab internationaler Menschenrechtsstandards zu konkretisieren. Auch die Erfahrung des Zusammenbruchs unterschiedlicher Diktaturen und totalitärer Systeme im 20. Jh. zeigt, daß eine Anwendung der Radbruchschen Thesen am Maßstab von Menschenrechten und Menschenwürde gefordert ist.

204 So Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 368.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

§ 13 Das Verständnis von Gesetz und Recht in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung Es ist nunmehr zu fragen, welche Positionen das BVerfG und der BGH in der gegenwärtigen Diskussion um das Verhältnis von Gesetz und Recht einnehmen. Während in den fünfziger Jahren die Auseinandersetzung mit dem NS-Unrecht die Rechtsprechung zur Offenlegung ihres Rechtsbegriffs zwang und der BGH dabei noch weit mehr als das BVerfG im wesentlichen naturrechtlich judizierte, wurde es in der Folgezeit merklich ruhiger um die Problematik des gesetzlichen Unrechts und trat eine gewisse „Naturrechtsmüdigkeit" 205 ein. Erst mit der Wiedervereinigung Deutschlands ist die Diskussion um die Bindung an Gesetz und Recht wieder aufgelebt und muß sich die deutsche Justiz erneut mit der Hinterlassenschaft eines an sein Ende gekommenen Unrechtssystems auseinandersetzen. Die folgende Analyse der justiziellen Auseinandersetzung mit Unrechtsakten des DDR-Systems konzentriert sich vorrangig auf die strafrechtliche Unrechtsbewältigung, da diese Kategorie die schwierigsten und gehaltvollsten rechtsphilosophischen Fragen aufwirft. 206 Sie bildet gewissermaßen einen Kristallisationspunkt der Grundfragen um Recht und Rechtsstaatlichkeit. Aus diesem wiederum vielfältige Aspekte 207 umfassenden Bereich soll die inzwischen stark angewachsene „Mauerschützen"-Judikatur herausgegriffen werden, die charakteristisches Anschauungsmaterial für aktuelle Fragestellungen um Gesetz und Recht bietet. Hierbei ist zu klären, ob und inwieweit die Rechtsprechung ihren früher zugrundegelegten nichtpositivistischen Rechtsbegriff aufrechterhalten hat und die damals oft zitierte Radbruchsche Formel heute noch zum Einsatz bringt. Die Bindung an das Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG wird in den einschlägigen höchstrichterlichen Judikaten zwar nicht eigens thematisiert. Gleichwohl geben die Gerichte, indem sie zentral die Frage der richterlichen Bindung an positives Recht der DDR erörtern, inzident Aufschluß über ihr Verständnis der richterlichen Gesetzes- und Rechtsbindung. Entsprechend wird im Schrifttum, das sich mit der 205 Walter Leisner, Verfassungswidriges Verfassungsrecht - Zum Bodenreform-Urteil des BVerfG, in: DÖV 1992, S. 432/436. 206 Vgl. Bernd Schiinemann, Aufarbeitung von Unrecht aus totalitärer Zeit, in: Der Universalitätsanspruch des demokratischen Rechtsstaates, hrsg. von Hans-Martin Pawlowski und Gerd Roellecke, ARSP Beiheft 65, 1996, S. 97/104. Daneben spielen insbesondere Eigentums- und Vermögensfragen eine zentrale Rolle, siehe BVerfGE 84, 90 - Bodenreform - ; dazu Leisner, Verfassungswidriges Verfassungsrecht, in: DÖV 1992, S. 432/436 ff. 207

Ζ. B. Rechtsbeugung, Wahlfälschung, Strafvereitelung. Zur Rechtsbeugung siehe BGHSt 40, 30; 40, 169; 40, 272. Der BGH operiert dabei nicht explizit, aber der Sache nach mit der Radbruchschen Formel. Siehe auch Klaus Letzgus, Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Richtern, Staatsanwälten und Untersuchungsorganen der ehemaligen DDR wegen Rechtsbeugung, in: FS-Helmrich. Hrsg. von Letzgus (u. a.), 1994, S. 73 ff., insbes. S. 82ff.; Bettina Möller-Heilmann, Die Strafverfolgung von Richtern und Staatsanwälten der ehemaligen DDR wegen Rechtsbeugung, 1999; Frank Scholderer, Rechtsbeugung im demokratischen Rechtsstaat. Zur Rekonstruktion des § 336 StGB für die Gegenwart, 1993.

§ 13 Die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung

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Mauerschützen-Problematik befaßt, die Verfassungsnorm des Art. 20 Abs. 3 GG nicht selten in die Diskussion eingebracht. 208 Die Rechts- und Gesetzesbindung ist darüber hinaus im Zusammenhang mit dem Rechtsbeugungstatbestand, der die Rechtspraxis nach 1990 ebenfalls häufig beschäftigt hat, ins Blickfeld gerückt. Hierbei ist bemerkenswert, daß in § 224 StGB/DDR von gesetzwidriger' Entscheidung die Rede ist, in § 336 StGB (a.F.) hingegen von der Beugung des ,Rechts', was das verschiedenartige Gesetzes- und Rechtsverständnis plastisch hervortreten läßt. 209 Das StGB/DDR vermeidet die Bezugnahme auf den Eigenwert von Recht; der Gedanke, daß Gesetze in irgendeiner Form einem höheren Recht unterliegen könnten, wurde so von vornherein ausgeblendet.210 Hingegen bringt § 336 StGB mit der Formulierung der Beugung des Rechts schon begrifflich zum Ausdruck, daß es tatbestandlich nicht nur um gesetzwidrige Handlungen geht, was mit der in Art. 20 Abs. 3 GG statuierten Bindung an Gesetz und Recht insoweit korrespondiert.

A. Die „Mauerschützen"-Judikatur des BGH Aus der „Mauerschützen"-Judikatur des BGH 2 1 1 sollen das erste, grundlegende Urteil vom 3. 11. 1992 212 , das sich mit Todesschüssen an der innerdeutschen Grenze aus dem Jahr 1984 befaßt, und ergänzend das Spree-Urteil vom 26. 7. 1994 213 herausgegriffen werden, das sich auf Mauerschüsse von 1972 bezieht und damit auf einen Tatzeitpunkt vor der Ratifizierung des IPbürgR durch die DDR. Mit letz208

Buchner, Die Rechtswidrigkeit der Taten von „Mauerschützen", S. 284 ff.; Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 239 f.; Fiedler, Stillstand oder Fortentwicklung des Rechtsstaatsprinzips, in: FS-Jahr, S. 71 / 89f.; vgl. dens., Vom Gesetz zur „richtig interpretierten" Norm - Bemerkungen zum Mauerschützen-Urteil des BGH, in: Osteuroparecht 39 (1993), S. 259/268; Quambusch, Der Naturrechtsgedanke - Verlegenheitsargument oder Orientierungshilfe? Eine Bestandsaufnahme anläßlich des Mauerschützenprozesses, in: Kriminalistik 1994, S. 74ff.; siehe auch die Diskussionsbeiträge von Vogel und Fiedler, in: Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vorrechtsstaatlichen Vergangenheit, VVDStRL 51 (1992), S. 146 f., 150. 209 Manfred Maiwald, Rechtsbeugung im SED-Staat, in: NJW 1993, S. 1881 /1883 f.; Möller-Heilmann, Strafverfolgung wegen Rechtsbeugung, S. 17 ff., 188 f.; Klaus Marxen/Gerhard Werle, Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Unrecht. Eine Bilanz, 1999, S. 37 ff., insbes. S. 60 ff. Karl Lackner/Kristian Kühl, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 23. Aufl. 1999, § 339 StGB, Rn. 5: Rechtsbeugung ist die „Verletzung objektiven materiellen oder prozessualen Rechts, und zwar des Gesetzes-, Gewohnheits- oder überpositiven Rechts". 210 Siehe Maiwald, Rechtsbeugung im SED-Staat, in: NJW 1993, S. 1881 /1883. 211 Mittlerweile liegen mehr als zehn Urteile vor: BGHSt 39, 1; 39, 168; 39, 199; 39, 353; BGH NStZ 1993, 488; BGHSt 40, 48; 40, 113; 40, 218; 40, 241; 41, 101. 212 BGHSt 39, 1. Dazu eingehend Alexy, Mauerschützen. Zum Verhältnis von Recht, Moral und Strafbarkeit, 1993, S. 7 ff.; Knut Seidel, Rechtsphilosophische Aspekte der „Mauerschützen"-Prozesse, 1999; Amelung, Strafbarkeit von „Mauerschützen" - BGH, NJW 1993, 141, in: JuS 1993, S. 637 ff. 213 BGHSt 40, 241.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

terem Urteil hat der BGH gewissermaßen eine zweite Phase seiner Mauerschützenrechtsprechung eingeleitet und Klarheit über rechtsphilosophische Grundannahmen seiner anfänglichen Mauerschützenjudikatur geschaffen. 214 Dem ersten Mauerschützenurteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Zwei Angehörige der DDR-Grenztruppen hatten 1984 bei einem Einsatz an der Berliner Mauer auf einen Flüchtenden, der sich anschickte, mit einer Leiter die Mauer zu übersteigen, nach Zurufen und Warnschüssen mit Dauerfeuer geschossen. Sie wollten den Fliehenden zwar nicht töten, wußten allerdings, daß das Dauerfeuer das Risiko eines tödlichen Treffers in sich barg. Auch um diesen Preis wollten sie gemäß der für bindend gehaltenen Befehlslage das Gelingen der Flucht verhindern. Der BGH hat die Revisionen der beiden Angeklagten gegen ihre Verurteilungen wegen Totschlags durch das LG Berlin 2 1 5 verworfen. Der BGH erörtert in der Entscheidung zentral die Frage, ob sich die Grenzsoldaten auf die Schußwaffenregelung des § 27 Abs. 2 DDR-Grenzgesetz 216 als Rechtfertigungsgrund berufen können und muß dabei zu dem Problem Stellung nehmen, inwieweit positives DDR-Recht für den Richter verbindlich war.

I. Bindung des Richters an faktisch geltendes positives Recht?

In einem ersten Schritt klärt der BGH, ob die Mauerschützen nach dem DDRRecht, wie es in der Staatspraxis gehandhabt wurde, gerechtfertigt sind, und schlägt somit den Weg über eine wirklichkeitsnahe, „systemimmanente" Auslegung des § 27 DDR-GrenzG ein. 2 1 7 Die Norm ähnelte ihrem Wortlaut nach vergleichbaren westdeutschen Regelungen über den Schuß Waffengebrauch durch 214 Siehe Amelung, Anmerkung zum BGH-Urteil vom 26. 7. 1994, in: NStZ 1995, S. 29; Knut Seidel, Rechtsphilosophische Aspekte der „Mauerschützen"-Prozesse, 1999, insbes. S. 37 ff. u. 205 ff.; Eckardt Buchholz-Schuster, Rechtsphilosophische Legitimation der Rechtspraxis nach Systemwechseln, 1999, S. 178 ff. u. 250 ff. spricht in Bezug auf die Spree-Entscheidung des BGH vom 20. 3. 1995 von einem partiell erhellenden Urteil; Walter Gropp, Naturrecht oder Rückwirkungsverbot? - Zur Strafbarkeit der Berliner „Mauerschützen", in: FS-Triffterer, S. 103 hält die Spree-Entscheidung bemerkenswert, weil der BGH hier die Strafbarkeit der Grenzsoldaten unmittelbar auf eine naturrechtliche Grundlage gestellt habe und spricht von einem „Offenbarungseid" des BGH. 215 LG Berlin vom 20. 1. 1992, NStZ 1992, 492. Das LG erachtet § 27 DDR-GrenzG wegen seines menschenrechtswidrigen Gehalts für nichtig. Frommel, Die Mauerschützenprozesse, in: FS-Α. Kaufmann, S. 81: „Stark vereinfacht könnte man das Urteil einer Naturrechtstradition zuordnen, die einen überpositiven Gehalt universaler Prinzipien unterstellt." 216 Gesetz über die Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik vom 25. 3. 1982 (Grenzgesetz), GB1.-DDR I 1982, S. 197. § 27 Abs. 2 S. 1 GrenzG lautet: Die Anwendung der Schußwaffe ist gerechtfertigt, um die unmittelbar bevorstehende Ausführung oder die Fortsetzung einer Straftat zu verhindern, die sich den Umständen nach auch als ein Verbrechen darstellt. 217 BGHSt 39, 1/10 ff.; dazu Fiedler, S. 206/207.

Anmerkung zu BGH JZ 1993, 20, in: JZ 1993,

§13 Die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung

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staatliche Organe 218 und beachtete scheinbar das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Sie war - wie vielfach das positive Recht der DDR - offensichtlich ganz bewußt so konstruiert, daß sie äußerlich den Anschein von Rechtsstaatlichkeit vermittelte, in der Praxis aber auch anders ausgelegt werden konnte. 219 Die Schwierigkeiten im Umgang mit der Norm beginnen insofern bei der Auslegungsmethode, die in „westlichen" und „sozialistischen" Rechtsordnungen differiert. 220 Nach Ansicht des BGH ist aus § 27 DDR-GrenzG selbst nicht unmittelbar abzulesen, wie im Konfliktfall die Abwägung zwischen dem Leben des Flüchtlings einerseits und dem Interesse an der Unverletzlichkeit der Staatsgrenze andererseits auszufallen hatte. Gerichtsurteile und rechtsdogmatische Lehrmeinungen zur Auslegung der gesetzlichen Schußwaffenregelung gab es in der DDR ebensowenig wie öffentlich diskutierte rechtsethische Erwägungen. 221 Allerdings war die damalige, an „realsozialistischen" Auslegungsprinzipien orientierte und durch die Befehlslage vermittelte Staatspraxis dadurch gekennzeichnet, daß der Staatsraison unbedingter Vorrang vor persönlichen Rechtsgütern einschließlich des Lebens eingeräumt und das Leben der Flüchtlinge faktisch rechtlos gestellt wurde. 222 Im Hinblick darauf, daß das Regime nur unter der Voraussetzung einer geschlossenen und bewachten Grenze überlebensfähig war, blieb der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz praktisch unbeachtet.223 Legt man das in der faktischen Handhabung zum Ausdruck gekommene Verständnis des § 27 Abs. 2 DDR-GrenzG zugrunde, ist - so der BGH - das Verhalten der Angeklagten gerechtfertigt. Bei dieser wirklichkeitsnahen, systemkonformen Beurteilung bleibt der BGH aber nicht stehen. Er stellt vielmehr klar, daß die in einem Staat über Jahre hinweg geübte Rechtspraxis, die bloße Faktizität nicht allein maßgeblich ist. Diese schafft aus sich heraus kein gültiges, für den Richter verbindliches Recht. Damit distant s Vgl. § 10 Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes; §§ 15, 16 Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen. 21 9 F.-Chr. Schroeder, Strafrechtliche Verfolgung von Unrechtstaten des SED-Regimes, in: Georg Brunner (Hrsg.), Juristische Bewältigung des kommunistischen Unrechts in Osteuropa und Deutschland, 1995, S. 211/220; ders., Die Rechtswidrigkeit der Flüchtlingserschießungen zwischen Transzendenz und Immanenz, in: JR 1993, S. 45/47. 220 Amelung, Strafbarkeit von „Mauerschützen", in: JuS 1993, S. 637/638; eingehend Fikentscher, Methoden des Rechts, III, 1976, S. 455 ff. 221 Vgl. BGHSt 39, 1/11;/?. Dreier, Gesetzliches Unrecht im SED-Staat?, in: FS-Α. Kaufmann, S. 57/66; Alexy, Mauerschützen, S. 29 bezeichnet die DDR insoweit auch als eine „nicht-diskursive Gesellschaft". 222 BGHSt 39, 1/10 ff. 223 Michael Pawlik, Strafrecht und Staatsunrecht. Zur Strafbarkeit der „Mauerschützen", in: GA 1994, S. 472/474; R. Dreier, Gesetzliches Unrecht im SED-Staat?, in: FS-Α. Kaufmann, S. 57/65 f.; A. Kaufmann, Die Radbruchsche Formel, in: NJW 1995, S. 81/82 betont, daß „das Verhältnismäßigkeitsprinzip umgekehrt wurde: nicht der Mensch vor der Staatsraison (Verhinderung der Republikflucht), sondern die Staatsraison vor dem Menschen".

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

ziert sich der BGH von einem reinen Faktenpositivismus, der das Recht auf ein schlichtes faktisches Sein reduziert 224 , und lehnt in konsequenter Fortführung seiner frühen Judikatur 225 eine soziologische Rechtsgeltungslehre ab. Folglich erschöpft sich die richterliche Bindung an Gesetz und Recht, wie sie Art. 20 Abs. 3 GG normiert, nicht in der Bindung an faktisch geltendes positives Recht. Hinzukommen muß eine Übereinstimmung mit übergeordnetem Recht, dessen Quelle und Inhalt es noch zu entfalten gilt. Der BGH tritt damit einer im Schrifttum zum DDR-Staatsunrecht - am konsequentesten und fundamentalsten von Jakobs - vertretenen Position entgegen, die den Rechtsbegriff auf das rein Empirische reduzieren w i l l . 2 2 6 Diese Gegenauffassung, die die Rechtswirklichkeit der DDR mit dem geltenden Recht identifiziert, müßte hier zur Rechtfertigung der Taten durch § 27 DDR-GrenzG gelangen und im Ergebnis für eine Straflosigkeit der Mauerschützen plädieren. Gleichfalls würden diejenigen, die die Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG streng tautologisch deuten und das ordnungsgemäß zustandegekommene Gesetz mit dem Recht gleichsetzen, hier auf gewisse Schwierigkeiten stoßen. Allerdings bliebe ihnen noch die Möglichkeit, die gesetzliche Schußwaffenregelung, die unterschiedlicher Auslegung fähig ist und als solche möglicherweise noch nicht extremes Unrecht darstellt, anders als die DDR-Praxis restriktiv auszulegen, so daß sie rechtsstaatlichen Ansprüchen, insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügt.

II. Unbeachtlichkeit faktisch geltender Normen wegen Verstoßes gegen übergeordnetes Recht

Der BGH prüft in einem zweiten Schritt, ob der gesetzliche Rechtfertigungsgrund des § 27 DDR-GrenzG, wie er in der Staatspraxis gehandhabt wurde, wegen Verletzung „vorgeordneter, auch von der DDR zu beachtender allgemeiner Rechtsprinzipien und wegen eines extremen Verstoßes gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip" unbeachtlich sein könnte. 227 Im Ergebnis nimmt er an, daß der Rechtfertigungsgrund gegen übergeordnetes Recht verstößt und bei der Rechtsfindung daher außer Betracht bleiben muß.

224

Zu Begriff und Arten des juristischen Reduktionismus siehe Wyduckel, Normativität und Positivität des Rechts, in: FS-Krawietz, S. 437/453ff.; Kriele, Recht, Vernunft, Wirklichkeit, 1990, S. 453/460 ff. 22 5 BGHZ 13, 265/297 f.; dazu oben § 5 A. 226

Günther Jakobs, Untaten des Staates - Unrecht im Staat. Strafe für die Tötungen an der Grenze der ehemaligen DDR?, in: G A 1994, S. 1 ff.; ders., Vergangenheitsbewältigung durch Strafrecht, in: Isensee (Hrsg.), Vergangenheitsbewältigung durch Recht, S. 36 ff.; vgl. Pawlik, Strafrecht und Staatsunrecht, in: GA 1994, S. 472 ff.; kritisch zu dieser Konzeption F.-Chr. Schroeder, Zur Strafbarkeit von Tötungen in staatlichem Auftrag, in: JZ 1992, S. 990 ff.; Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 177 ff. 227 BGHSt 39, 1/14 f.

§ 13 Die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung 1. Schwierigkeiten

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bei der Anwendung der Radbruchschen Formel

Bei der Prüfung der Verletzung vorgeordneter Rechtsprinzipien stellt der BGH zunächst klar, daß die Unbeachtlichkeit eines zur Tatzeit angenommenen Rechtfertigungsgrundes auf seltene Ausnahmen beschränkt bleiben müsse. Zur Kennzeichnung eines solchen Extremfalls stützt er sich zum einen auf das Kriterium eines offensichtlich groben Verstoßes gegen die „Grundgedanken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit" und die „allen Völkern gemeinsame Rechtsüberzeugungen" und zieht zum anderen die Radbruchsche Formel heran. Auf diese Weise schlägt der BGH die Brücke zu seiner frühen Judikatur zum NS-Unrecht und auch zur Rechtsprechung des BVerfG, das in den fünfziger Jahren die Radbruchsche Formel ebenfalls intensiv rezipierte. 228 Mit dem Rekurs auf seine frühen Judikate schafft der BGH eine erste Weichenstellung zu einem nichtpositivistischen Lösungsansatz. Gleichzeitig äußert er allerdings vorsichtige Bedenken, ob die damaligen, im Kontext des NS-Unrechts entwickelten Maßstäbe ohne weiteres auf die jetzt zu beurteilende Situation übertragbar sind, da die Mauerschüsse nicht mit dem NS-Massenmord gleichgesetzt werden können. Er scheut sich, aus den primär auf das NS-Unrecht zugeschnittenen Geltungsthesen Radbruchs unmittelbare Rechtsfolgen abzuleiten.229 Die nicht ganz einfache Frage, ob die Todesschüsse an der Berliner Mauer als extremes Unrecht im Sinne der Radbruchschen Formel zu qualifizieren sind 230 , läßt der BGH zunächst offen. Im Grundsatz geht er davon aus, daß die Rechtsverletzungen in der NS-Zeit und unter dem DDR-System nicht vergleichbar sind, drückt sich dabei aber zurückhaltend, fast gewunden aus und folgert jedenfalls nicht die Unanwendbarkeit der Radbruchschen Formel. 231 Vielmehr sind seiner Ansicht nach die Rechtsgeltungsthesen Radbruchs und die auf dieser Basis in der frühen Judikatur gewonnene Einsicht, daß der Staat gewisse „äußerste Grenzen" nicht überschreiten darf, nach wie vor gültig und können auch bei der Beurteilung von DDRUnrechtsakten fruchtbar gemacht werden. 232 Der BGH geht mit Grund davon aus, 228 BGHSt 39, 1 /15 f. mit Hinweis auf BGHSt 2, 234/239 und BVerfGE 3, 225/232; 6, 132/198 f. 229 Siehe Buchner, Die Rechtswidrigkeit der Taten von „Mauerschützen", S. 114. 230 Gegen die Qualifizierung der Grenzbestimmungen der DDR als extremes Unrecht i. S. d. Radbruchschen Formel Seidel, Rechtsphilosophische Aspekte der „Mauerschützen"Prozesse, S. 206 ff.; Stefan Zimmermann, Anmerkung zum Urteil des LG Berlin vom 10. 6. 1994, in: NJ 1994, S. 589 f.; differenzierend Jörg Polakiewicz, Verfassungs- und völkerrechtliche Aspekte der strafrechtlichen Ahndung des Schußwaffeneinsatzes an der innerdeutschen Grenze, in: EuGRZ 1992, S. 177/189 f., der nur bei Exzeßtaten krasses Unrecht annimmt. Siehe auch Volkmar Schöneburg, Recht im nazifaschistischen und im „realsozialistischen" deutschen Staat - Diskontinuitäten und Kontinuitäten, in: NJ 1992, S. 49 ff.; Arnold/ Kühl, Forum - Probleme der Strafbarkeit von „Mauerschützen", in: JuS 1992, S. 991/995. 231 Siehe Fiedler, Vom Gesetz zur „richtig interpretierten" Norm, in: Osteuroparecht 39 (1993), S. 259/263. 232 BGHSt 39, 1/16; vgl. BGHSt 2, 234/239; 3, 357/362; 4, 161/162.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

daß das Anwendungsfeld der Radbruchschen Formel nicht auf eine singuläre Situation verengt werden darf, ihr vielmehr allgemeine Bedeutung beizumessen ist, da es auch außerhalb des NS-Kontextes schweres Unrecht geben kann. 233 Die Gegenansicht, vertreten von Seidel u. a. 2 3 4 , die die Anwendung der Radbruchschen Formel ausschließlich auf das NS-Unrecht und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschränken will mit der Begründung, dass Radbruch selbst auf die inhaltliche Entsprechung seines übergesetzlichen Rechts zum Tatbestand des KRG Nr. 10 hingewiesen habe, überzeugt nicht. Die Formel kann aus dem engen historisch-politischen Rahmen ihrer Genese herausgehoben werden. 235 Allein die Intention des Schöpfers kann nicht der Fortentwicklung und Anwendung der Formel auf aktuelle Fragestellungen entgegenstehen. Auch der Hinweis darauf, dass den DDR-Grenzbestimmungen im Gegensatz zur NS-Gesetzgebung noch eine Zweckrationalität eignete - die präventive Verhinderung des Grenzübertritts 236 - ist wenig plausibel, da zum einen die Zwecke fragwürdig erscheinen und zum anderen auch NSUnrechtsakten noch gewisse Zweckrationalität bescheinigt werden kann. Insoweit ist die Auffassung der Rechtsprechung, die von einem weiten Anwendungsfeld der Formel ausgeht, vorzugswürdig. Im Kern hält der BGH an seinem in der frühen Judikatur entwickelten nichtpositivistischen Rechtsbegriff fest und weiß sich seiner alten Position durchaus verpflichtet. Er nimmt dabei allerdings eine vorsichtigere Haltung ein, erörtert insbesondere auch die Frage der Bindung an überpositives Recht wesentlich knapper und zurückhaltender als in den Entscheidungen der fünfziger Jahre.

2. Die ,Neo-Radbruchsche ' Konzeption des BGH

Der BGH wendet die Radbruchsche Formel, an deren Grundgedanken er festhält, nunmehr mit verfeinertem, präzisiertem Maßstab auf das DDR-Unrecht an. Dabei bedient er sich einer anscheinend am positiven Recht orientierten Argumentation, die ihm vermutlich weniger angreifbar erscheint als eine naturrechtliche Begründung. 237 Nach Auffassung des BGH sind mit den internationalen Menschenrechtspakten heute konkretere Prüfungsmaßstäbe hinzugekommen, die Anhaltspunkte dafür bieten, wann der Staat universelle Menschenrechte verletzt und eine 233 So auch Alexy, Mauerschützen, S. 23; A. Kaufmann, Die Radbruchsche Formel, in: NJW 1995, S. 81/84; Saliger, Radbruchsche Formel, S. 34ff.; Limbach, Vergangenheitsbewältigung durch die Justiz, in: DtZ 1993, S. 66/68. 234 Seidel, Rechtsphilosophische Aspekte der „Mauerschützen"-Prozesse, S. 206 ff.; Stefan Zimmermann, Anmerkung zum Urteil des LG Berlin vom 10. 6. 1994, in: NJ 1994, S. 589 f.; vgl. Polakiewicz, Ahndung des Schußwaffeneinsatzes, in: EuGRZ 1992, S. 177/ 189 f. 235 Siehe Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 113; Fiedler, Vom Gesetz zur „richtig interpretierten" Norm, in: Osteuroparecht 39 (1993), S. 259/262. 23 6 Seidel, Rechtsphilosophische Aspekte der „Mauerschützen"-Prozesse, S. 148, Fn. 258 u. S. 206. 237

Vgl. Dannecker, Die Schüsse an der innerdeutschen Grenze, in: Jura 1994, S. 585/590.

§ 13 Die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung

173

äußerste Grenze zum Unrecht überschreitet. Besondere Bedeutung mißt das Gericht in diesem Zusammenhang dem IPbürgR von 1966 zu, den die DDR 1974 ratifiziert, im Tatzeitpunkt aber noch nicht gem. Art. 51 DDR-Verfassung in die innerstaatliche Rechtsordnung eingefühlt hatte. Gleichwohl nimmt der BGH eine innerstaatliche Bindungswirkung des Paktes an, was nicht ohne Grund auf Kritik gestoßen ist. 2 3 8 Indessen geht es ihm im Grunde nicht um eine Beurteilung der Taten am Maßstab positiven Völkerrechts und ist die Frage der innerstaatlichen Transformation des Paktes insofern nicht entscheidend.239 Vielmehr dient ihm der Menschenrechtspakt als Erkenntnisquelle überpositiven Rechts und wesentliches Indiz für die Feststellung, daß universell anerkannte Menschenrechte verletzt und damit extremes Unrecht begangen wurde. 240 Daß hinter der prima facie positivrechtlich ausgerichteten Begründung im Grunde eine rechtsphilosophische Argumentationslinie steckt, bestätigt sich deutlich im Spree-Urteil, das Mauerschüsse im Zeitpunkt vor der Ratifizierung des IPbürgR durch die DDR zum Gegenstand hatte. 241 Der BGH stellt hier klar, daß aus der Tatsache, daß die DDR damals noch nicht an den Menschenrechtspakt gebunden war, nicht gefolgert werden kann, daß die von ihm entwickelten Grundsätze zur Unwirksamkeit menschenrechtswidriger Rechtfertigungsgründe unanwendbar wären. Nunmehr knüpft das Gericht an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 an, die als Grundlage auch für den IPbürgR diente. Ungeachtet der umstrittenen Frage ihrer Bindungswirkung komme der UN-Erklärung jedenfalls insoweit „ein hohes Maß an rechtlicher Bedeutung" zu, als sie „den ungefähren Inhalt" der universell anerkannten Menschenrechte zum Ausdruck bringe und als Konkretisierung dessen aufgefaßt werden könne, was als die „allen Völkern gemeinsame, auf Wert und Würde des Menschen bezogene Rechtsüberzeugung verstanden wird". 2 4 2 Hieraus wird deutlich, daß dem BGH nicht so sehr an einer exakten dogmatischen Prüfung anhand positiver Normen des Völkerrechts gelegen ist, sondern durch den Rückgriff auf die inzwischen positivierten Menschenrechte der mangelnden Bestimmtheit der Radbruchschen Formel Rechnung getragen und sie so praktikabler gemacht werden soll. 2 4 3 Mit dem Hinweis auf die Universalität der Menschenrechte klingen naturrechtliche Vorstellungen an. 2 4 4 Durch Zugrundelegung des konkreteren Maßstabs der inzwischen positivierten Menschenrechte entwickelt der BGH mit einer „Neo-Rad238 BGHSt 39, 1/16; dazu Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 148 ff.; Amelung, Strafbarkeit von „Mauerschützen", in: JuS 1993, S. 637/641 hält dies für die fragwürdigste Passage der Entscheidung; Pawlik, Strafrecht und Staatsunrecht, in: GA 1994, S. 472/474. Hingegen stimmt Schreiber, Die strafrechtliche Aufarbeitung, in: ZStW 107 (1995), S. 157/166 der Auffassung des BGH zu. 239 So auch Seidel, Rechtsphilosophische Aspekte, S. 41 f. 240 Ähnlich bereits BGHSt 1, 391/397 ff.; vgl. Alexy, Mauerschützen, S. 26. 241 BGHSt 40, 241; dazu Amelung, Urteilsanmerkung, in: NStZ 1995, S. 29. 242 BGHSt 40, 241/247 f. 243 Vgl. Dannecker, Die Schüsse an der innerdeutschen Grenze, in: Jura 1994, S. 585/590. 244 Hermann Ott, Die Staatspraxis an der DDR-Grenze und das Völkerrecht, in: NJ 1993, S. 337/340.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

bruchschen Konzeption" 245 seinen nichtpositivistischen Rechtsbegriff der frühen Judikate fort. Der gedankliche Ansatz ist in gewisser Weise bereits bei Radbruch selbst vorgezeichnet. Die Rechtsgrundsätze, die stärker als jede Satzung sind und Naturrecht oder Vernunftrecht genannt werden, sind - so Radbruch - im Einzelnen von manchem Zweifel umgeben, aber die „Arbeit der Jahrhunderte hat doch einen festen Bestand herausgearbeitet und in den sogenannten Erklärungen der Menschen- und Bürgerrechte mit ... weitreichender Übereinstimmung gesammelt" 246 . Dabei klingt zugleich an, daß die Bestimmung fundamentaler Menschenrechte im einzelnen nicht frei von Unsicherheiten ist. Die Verletzung von Menschenrechten überprüft der BGH konkret am Maßstab des Art. 6 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 2 IPbürgR, die Recht auf Leben und freie Ausreise garantieren. Danach verstößt § 27 Abs. 2 DDR-GrenzG, wie er in der Staatspraxis gehandhabt wurde, gegen beide Menschenrechte, da das Ausreiserecht nicht nur in Ausnahmefällen vorenthalten und das Recht auf Leben willkürlich eingeschränkt wurde. Mithin ist der im positiven Recht der DDR vorgesehene Rechtfertigungsgrund von Anfang an unwirksam. 247 Die Einschätzung des BGH hat im Hinblick auf den Verstoß gegen die im IPbürgR garantierten Rechte im Ergebnis vielfach Zustimmung gefunden. 248 Allerdings wird auch nicht ohne Grund eingewandt, daß die Interpretation des IPbürgR vor dem Hintergrund zweier entgegengesetzter Menschenrechtskonzeptionen zu sehen ist, der bürgerlich-liberalen und der sozialistischen, wobei letztere die Interessen der Gemeinschaft gegenüber denen des Individuums weit stärker betont. 249 Der BGH hat, wie er im Spree-Urteil hervorhebt, die erheblichen Unterschiede zwischen dem westlichen und dem sozialistischen Menschenrechtsverständnis, auf die das DDR-Regime stets hingewiesen hat, nicht übersehen, mißt diesem Argument aber keine durchschlagende Wirkung bei, da auch die DDR fundamentale, vom Staat zu achtende Lebens- und Freiheitsrechte sogar in ihrer Verfassung anerkannt hat. Überdies habe eine rechtliche Entwicklung in Form einer Annäherung der beiden Grund- und Menschenrechtskonzeptionen stattgefunden. 250 245 Schünemann, Aufarbeitung von Unrecht aus totalitärer Zeit, in: Der Universalitätsanspruch des demokratischen Rechtsstaates, hrsg. von Pawlowski und Roellecke, ARSP Beiheft 65, 1996, S. 97/110. 246 Radbruch, Fünf Minuten Rechtsphilosophie, in: G.R.G. III, S. 78/79; siehe Alexy, Mauerschützen, S. 26 f. 247 BGHSt 39, 1/22. 248 Dem BGH im Ergebnis zustimmend Alexy, Mauerschützen, S. 25 ff.; A. Kaufmann, Die Radbruchsche Formel, in: NJW 1995, S. 81/84; Hruschka, Die Todesschüsse an der Berliner Mauer vor Gericht, in: JZ 1992, S. 667 ff.; Starck, Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit, in: VVDStRL 51 (1992), S. 27. Fiedler, Vom Gesetz zur „richtig interpretierten" Norm, in: Osteuroparecht 39 (1993), S. 259/265 hält die Erörterungen des BGH zu Art. 6 IPbürgR sogar für einen Glanzpunkt der Entscheidung. 249 Dazu Alexy, Mauerschützen, S. 27; H. Ott, Staatspraxis an der DDR-Grenze, in: NJ 1993, S. 337/340f.; Klenner, Die marxistische Menschenrechts-Konzeption, in: GS-Marcic, Bd. 2, S. 793 ff.; Herwig Roggemann, Die DDR-Verfassungen, 4. Aufl., 1989, S. 270 ff.

§13 Die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung

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Im Ergebnis erklärt der BGH die Schußwaffenregelung des DDR-Rechts nicht als solche im ganzen für menschenrechtswidrig, sondern nur in ihrer damals praktizierten Auslegung, was gewissermaßen auf eine Teilnichtigkeit der Norm hinausläuft. 251 Dabei operiert er mit einer an der Radbruchschen Formel orientierten, diese aber präzisierenden Konzeption und bekennt sich klar zu einem überpositivrechtlichen Lösungsweg in der Mauerschützenproblematik. Die richterliche Bindung an Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG dürfte der BGH dabei so verstanden haben, daß zwar zuvorderst das positive Recht den Bindungsmaßstab für die Judikative bildet, die bloße faktische Normgeltung aber kein hinreichendes Kriterium darstellt. Als weitere Hürde wird durch Art. 20 Abs. 3 GG die Übereinstimmung des positiven Rechts mit fundamentalen Menschenrechten als Ausdruck materieller Gerechtigkeit eingebaut. Insoweit kann im Ausnahmefall die positive Rechtsetzung einer Staatsgewalt für die Judikative unbeachtlich sein.

III. Die Schuldfrage: Erkennbarkeit krassen Unrechts

Über die schwierige Frage der rechtfertigenden Wirkung des § 27 DDR-GrenzG hinaus stellt sich das Problem der subjektiven Erkennbarkeit krassen Unrechts. Der BGH thematisiert die Frage, ob und inwieweit die Mauerschützen überhaupt wußten und wissen konnten, daß die Tötung von Flüchtlingen an der Grenze gegen übergeordnetes Recht verstößt, auf der Schuldebene und bejaht sie im Ergebnis. Er räumt ein, daß die Annahme der Evidenz elementarer Menschenrechtsverstöße vorliegend Schwierigkeiten bereitet, da es sich bei den Angeklagten um Menschen handelt, die kaum Möglichkeiten hatten, der Indoktrination des Systems eine kritische Einschätzung entgegenzustellen. Mit einigem argumentativen Aufwand bejaht er letztlich die subjektive Erkennbarkeit. Die Tötung eines unbewaffneten Flüchtlings durch Dauerfeuer sei - wie die Vorinstanz zutreffend festgestellt habe - „ein derart schreckliches und jeder vernünftigen Rechtfertigung entzogenes Tun . . . , daß der Verstoß gegen das elementare Tötungsverbot selbst für einen indoktrinierten Menschen ohne weiteres einsichtig, also offensichtlich war". 2 5 2 Überdies habe die Mehrheit der Bevölkerung die Anwendung von Schußwaffen an der Grenze mißbilligt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem Urteil zur Frage der Vorhersehbarkeit der Verurteilung für einen jungen Grenzsoldaten, der sich freiwillig auf drei Jahre bei der Volksarmee verpflichtet hatte, eine ähnliche Auffassung vertreten. 253 250 BGHSt 40, 241/248 f. Stephan Hobe/Christian Tietje, Schießbefehl an der DDRGrenze und ius cogens. Zur Nichtigkeit des § 27 DDR-Grenzgesetz unter völkerrechtlichen Aspekten, in: ArchVR 32 (1994), S. 130/145 hält die Auslegung durch den BGH für zu einseitig westlich orientiert. 251 V g l Alexy, Mauerschützen, S. 33, Fn. 78. 252 BGHSt 39, 1/33 ff.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Somit legen die Gerichte bei der Frage der Entschuldigung der Mauerschützen einen strengen Maßstab an. Die restriktive, täterungünstige Linie des BGH deutete sich allerdings bereits vorsichtig in der frühen Judikatur zum NS-Unrecht an. Damals vertrat der BGH die Auffassung, daß den Angeklagten die wenigen zum unantastbaren Kernbereich des Rechts gehörenden Grundsätze unbekannt gewesen wären, sei „um so weniger anzunehmen, als sie die Eindrücke, nach denen sich solche Uberzeugungen bilden, sämtlich noch zu einer Zeit empfingen, ehe der Nationalsozialismus seine verwirrende und vergiftende Propaganda ungehemmt entfalten konnte". 254 In den Mauerschützen-Prozessen stellt sich die Situation insoweit noch verschärft dar, als die Angeklagten in dem auf Indoktrination angelegten System aufgewachsen sind und ihr bisheriges Leben darin verbracht haben. Dem BGH ist mit einigem Grund entgegengehalten worden, er verkenne, daß bei den überwiegend jungen Grenzsoldaten eine unvermeidbare, auf ideologischer Verblendung beruhende „moralische Blindheit" vorlag und überfordere mit seinen Maßstäben die Täter kognitiv. 255 Der BGH versetze sich unzureichend in die Lage der Betroffenen und berücksichtige nicht, daß in der DDR insbesondere die kommunikativen Bedingungen für eine moralische Urteilsbildung fehlten, da die Schüsse an der Mauer öffentlich kaum kritisiert worden seien. 256 Bedenklich erscheint auch, daß der BGH viele Seiten benötigt, um die Offensichtlichkeit eines Verstoßes gegen übergeordnetes Recht darzulegen. 257 Der BGH berücksichtigt Erwägungen dieser Art im übrigen erst auf der Ebene der Strafzumessung, nicht bereits bei der Schuld.

253 EGMR, Urteil vom 22.3.2001-37201/97 (K.-H. W. / Deutschland) - mit mehreren Sondervoten - , abgedruckt in: NJW 2001, S. 3042 ff. (7. LS): „Auch ein einfacher Soldat kann sich nicht voll und blindlings auf Befehle berufen, die offensichtlich nicht nur die ureigenen Rechtsgrundsätze der DDR, sondern auch die völkerrechtlich geschützten Menschenrechte verletzten, insbesondere das Recht auf Leben." 254 BGHSt 2, 234/239; vgl. auch BGHSt 18, 87/96 - Staschynskij - , allerdings im Rahmen der Abgrenzung Täter oder Tatgehilfe: „Dem Angeklagten ist es zu glauben, daß jemand, der elf Jahre hindurch als bildsamer junger Mensch ununterbrochen im Kern des sowjetischen Machtbereichs zugebracht hat und dort ständig indoktriniert worden ist, große Schwierigkeiten damit hat, westliche Lebens- und Denkweise zu verstehen ...". H. Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, in: JZ 1997, S. 421 /S. 430 weist darauf hin, daß der BGH hier noch sehr viel Verständnis für einen indoktrinierten Menschen aufbrachte. Dannecker, Die Schüsse an der innerdeutschen Grenze, in: Jura 1994, S. 585/594; Gropp, Naturrecht oder Rückwirkungsverbot?, in: FS-Triffterer, S. 103/120 meint, die Äußerung des BGH im Staschynskij-Fall sollte hinsichtlich der Beurteilung der Offensichtlichkeit zu denken geben. 255 Alexy, Mauerschützen, S. 24, 37 f.; dazu kritisch Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 254 f. 256 Dannecker, Die Schüsse an der innerdeutschen Grenze, in: Jura 1994, S. 585/594; Arnold/Kühl, Probleme der Strafbarkeit von „Mauerschützen", in: JuS 1992, S. 995/996 f. 257 Amelung, Strafbarkeit von „Mauerschützen", in: JuS 1993, S. 637/642.

§ 13 Die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung

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IV. Die Problematik des Rückwirkungsverbots

Nimmt man wie der BGH an, daß der Richter in Ausnahmefällen an positives Recht, das gegen übergeordnetes Recht verstößt, nicht gebunden ist und daher ein gesetzlich normierter Rechtfertigungsgrund für ihn unbeachtlich ist, stellt sich die Frage, ob dies mit dem Rückwirkungsverbot vereinbar ist, das für den Bereich des Strafrechts in Art. 103 Abs. 2 GG sowie in Art. 7 Abs. 1 EMRK normiert ist. Das Problem zählt gegenwärtig wohl zu den brisantesten im Rahmen der strafrechtlichen Unrechtsbewältigung. Bedenken gegen die Annahme der Unbeachtlichkeit des Rechtfertigungsgrundes gem. § 27 Abs. 2 DDR-GrenzG ergeben sich daraus, daß die Todesschützen in der DDR faktisch nicht bestraft, vielmehr für Fluchtvereitelungen sogar belobigt wurden und bis zum Ende der SED-Herrschaft keine Strafverfolgung zu befürchten hatten. 258

1. Die Bindung an übergeordnetes Recht im Kontext des Art. 103 Abs. 2 GG

Nach Ansicht des BGH verstößt die Bestrafung der Mauerschützen nicht gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG. Dabei stützt sich das Gericht auf zwei Argumentationslinien, zum einen auf die Möglichkeit der ,menschenrechtsfreundlichen' Auslegung des DDR-Rechts, zum anderen auf die Schutzrichtungen des Art. 103 Abs. 2 GG. Bei der Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG stellt sich zentral die Frage, ob die Strafbarkeit der Mauerschützen bereits zur Tatzeit gesetzlich bestimmt war. Stellt man hierbei auf die faktische Anwendung des DDR-Rechts ab, käme man zur Straflosigkeit des Verhaltens der Todesschützen im Tatzeitpunkt. Das Rückwirkungsverbot würde somit einer Bestrafung entgegenstehen. Der BGH betont demgegenüber, daß der Richter bei der Prüfung der gesetzlichen Bestimmtheit der Tat „nicht im Sinne reiner Faktizität" an diejenige Norminterpretation gebunden ist, die in der Staatspraxis Ausdruck gefunden hat. 2 5 9 Die faktische Auslegung des positiven Rechts kann danach nicht allein maßgeblich sein. Der BGH schlägt den Weg über eine rechtsstaatliche, ,menschenrechtsfreundliche' Auslegung des § 27 Abs. 2 DDR-GrenzG ein. 2 6 0 Danach war der gesetzliche Rechtfertigungsgrund bereits im Tatzeitpunkt einer menschenrechtsfreundlichen Auslegung zugänglich und 258 Vgl. BGHSt 39, 1/11 f.; Polakiewicz, Schußwaffeneinsatz, in: EuGRZ 1992, S. 183/ 189; Amelung, Strafbarkeit von „Mauerschützen", in: JuS 1993, S. 637/641; Gropp, Naturrecht oder Rückwirkungsverbot?, in: FS-Triffterer, S. 103/113 spricht in diesem Zusammenhang sogar von „Garantiezusagen der DDR an die Mauerschützen", selbst bei vorsätzlicher Tötung von Republikflüchtigen Straffreiheit zu gewähren. 259 BGHSt 39, 1/29. 260 BGHSt 39, 1 /28 ff.; kritisch zu dieser Auslegung Joachim Hermann, Menschenrechtsfeindliche und menschenrechtsfreundliche Auslegung von § 27 des Grenzgesetzes der DDR, in: NStZ 1993, S. 208 ff. 12 Hoffmann

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

zwar mit Auslegungsmethoden, die auch „dem Recht der DDR eigentümlich" waren. Dazu nimmt das Gericht eine Auslegung der Norm im Lichte der DDR-Verfassung vor, welche den Schutz des Lebens sowie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz garantierte. Die menschenrechtsfreundliche Auslegung des § 27 DDR-GrenzG, die insoweit bereits zur Tatzeit möglich war, stelle die „richtige" Interpretation der Norm dar, die der BGH im Rahmen des Art. 103 Abs. 2 GG zugrundelegt. Folglich waren nach dieser Auslegung die Todesschüsse an der Mauer durch das DDRGrenzG nicht gedeckt und bereits zur Tatzeit nicht gerechtfertigt. Durch diese spezifische Interpretationsmethode, die der BGH anwendet, wird der Rechtfertigungsgrund nicht nachträglich eingeschränkt und steht die Bindung an übergeordnetes Recht nicht im Widerspruch zum Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG. Neben der menschenrechtsfreundlichen Auslegung des DDR-GrenzG stützt der BGH seine Auffassung, daß die Bestrafung der Mauerschützen nicht mit Art. 103 Abs. 2 GG kollidiert, auf die Schutzrichtung des Rückwirkungs Verbots. Die Schutzzwecke des Art. 103 Abs. 2 GG - Vertrauensschutz und Schutz vor Willkür - seien bei einer Bestrafung der Mauerschützen noch gewahrt, da die Erwartung, das Recht werde auch in Zukunft menschenrechtswidrig angewandt, nicht schutzwürdig sei. 261

2. Das Rückwirkungsverbot

des Art. 7 Abs. 1 EMRK

Das Rückwirkungsverbot ist darüber hinaus in Art. 7 Abs. 1 EMRK normiert, wobei Art. 7 Abs. 2 EMRK - im Gegensatz zum GG - ausdrücklich eine Durchbrechung des nulla-poena-Grundsatzes für die Verurteilung einer Person vorsieht, deren Tat zur Begehungszeit nach den „von der Völkergemeinschaft anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen strafbar" war. Gegenüber Art. 7 Abs. 2 EMRK hat die Bundesregierung bei der Ratifizierung der EMRK 1954 allerdings den Vorbehalt gemacht, daß die Vorschrift nur in den Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG angewandt wird. 2 6 2 Hieraus wird teilweise gefolgert, der Vorbehalt laufe auf ein strikt formal zu verstehendes Rückwirkungsverbot hinaus und schließe positivrechtlich die Anwendbarkeit der Radbruchschen Formel im Bereich des Strafrechts aus. 263 Der BGH reißt die Frage, ob eine Bestrafung der Mauerschützen gegen Art. 7 EMRK verstößt, nur kurz an und verneint sie im Ergebnis. Seiner Ansicht nach stellt der Vorbehalt nur klar, daß das Rückwirkungsverbot in den Grenzen des GG gilt und mithin die Verfassungsnorm des Art. 103 Abs. 2 GG bei der Interpretation maßgeblich ist. Aus Art. 103 Abs. 2 GG wiederum liest er - wie oben 261 BGHSt 39, 1/29 f. 262 Siehe „Bekanntmachung über das Inkrafttreten der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten" vom 15. 12. 1953, BGBl. 1954 II, S. 14. 263 Vgl. Dannecker/Stoffers, Die strafrechtliche Aufarbeitung der Todesschüsse, in: JZ 1996, S. 490/492; Gerald Grünwald, Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Gesetzlichkeitsprinzip, in: FS-Α. Kaufmann, S. 433/446 f.

§ 13 Die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung

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gezeigt - kein absolutes Rückwirkungsverbot heraus. Daher verfolgt er die Frage eines Verstoßes gegen Art. 7 EMRK nicht weiter und konzentriert sich auf die Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG. Dieses Vorgehen ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Es hat sich mittlerweile die Uberzeugung durchgesetzt, daß der Vorbehalt unnötig war, weil zum einen Art. 7 Abs. 2 EMRK keine Verpflichtung zu einer rückwirkenden Bestrafung enthielt, so daß das engere nationale Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG daneben Bestand haben konnte und zum anderen Art. 103 Abs. 2 GG als Verfassungsrecht der EMRK vorgehe. 264 Aus dem bundesdeutschen Vorbehalt gegen Art. 7 Abs. 2 EMRK kann insoweit auch nicht die Unanwendbarkeit der Radbruchschen Formel geschlußfolgert werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seinen Entscheidungen zu den Verurteilungen wegen der Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 EMRK ebenfalls verneint, da die Taten zur Tatzeit bereits Straftaten gewesen seien. Er kommt bei der Begründung allerdings ohne die Radbruchsche Formel aus und verweist vielmehr auf die auch in der DDR-Verfassung verankerten Grundrechte. Die Befehle an die Grenztruppen, „Grenzverletzer ... zu vernichten und den Schutz der Staatsgrenze unter allen Bedingungen zu gewährleisten" verletzen nach Ansicht des Gerichts offenkundig die Grundrechte aus Art. 19 und 30 DDR-Verfassung, die im wesentlichen durch das Strafgesetzbuch der DDR sowie das Grenzgesetz bekräftigt wurden. 265

V. Stellungnahme zum Lösungsweg des BGH

Die Auseinandersetzung des BGH mit der Rückwirkungsproblematik ist auf heftige Kritik gestoßen. Auch Vertreter eines nichtpositivistischen Rechtsbegriffs stimmen der Auffassung des Gerichts meist nur im Ergebnis zu, während sie die Begründung größtenteils als unbefriedigend empfinden. 266 Fragwürdig erscheint jedenfalls der Weg über die menschenrechtsfreundliche, „richtige" Auslegung des DDR-GrenzG. Der BGH greift damit auf eine in der politisch-sozialen Wirklichkeit so nicht existierende „richtige" Interpretation des positiven Rechts der DDR, eine bloße Fiktion zurück, so daß der Weg auf den ersten Blick als Verlegenheitslösung erscheint. 267 Das Gericht unterschiebt dem positiven Recht der DDR 264 Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 235 ff.; Fiedler, Anmerkung, in: JZ 1993, S. 206/208. 265 EGMR (Große Kammer), Urteile v. 22. 03. 2001-34044/96, 35532/97 und 44801/ 98 (Streletz, Keßler und Krenz / Deutschland) sowie 37201/97 (K.-H. W. / Deutschland) - jeweils mit mehreren Sondervoten - , abgedruckt in: NJW 2001, S. 3035 ff. und 3042 ff. (nichtamtliche Übersetzung). Siehe dazu Starck, Die Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze, in: JZ 2001, S. 1102/1104ff. 266 Alexy, Mauerschützen, S. 30; Kuhlen/Gramminger, Der Mauerschütze und der Denunziant, in: JuS 1993, S. 32/37. 267 Fiedler, Anmerkung, in: JZ 1993, S. 206/208; Gropp, Naturrecht oder Rückwirkungsverbot?, in: FS-Triffterer, S. 103/109 f.; Hermann, Menschenrechtsfeindliche und menschenrechtsfreundliche Auslegung von § 27 des Grenzgesetzes der DDR, in: NStZ 1993, S. 118 ff. 12*

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Inhalte, die von den Interpretationsmethoden und der Staatspraxis der DDR nicht gedeckt waren. Es unterstellt letztlich, daß das GrenzG die Aufgabe gehabt habe, die Befugnisse der Staatsgewalt der DDR den ,Grenzverletzern 4 gegenüber zu beschränken, was eine typisch rechtsstaatliche Denkweise darstellt, die sich auf das DDR-Recht mit seinen sozialistischen Auslegungsmethoden schwerlich übertragen läßt. Für die marxistische Rechtstheorie ist eine mögliche Konkurrenz des in ihrem Sinne instrumentalisierten positiven Rechts mit „idealistischen" Naturrechtsstandards kein Thema. 268 Zwar beschränkt sich der BGH darauf, die Vorgaben zu berücksichtigen, die im Recht der DDR-Verfassung für eine menschenrechtsfreundliche Gesetzesauslegung angelegt waren. Allerdings unterlag auch die Verfassung selbst einer bestimmten realsozialistischen Interpretationsmethode. 269 Die Normtexte werden auf diese Weise von ihrer konkreten Interpretation und Anwendung in einem bestimmten politisch-ideologischen Kontext getrennt. Der BGH interpretiert das DDRRecht in einer idealisierten Weise, um nachzuweisen, daß durchaus eine andere Praxis auf der Grundlage derselben Rechtsnormen an sich möglich gewesen wäre. Das Recht wird so durch die „unhistorische Interpretationsbrille" der rechtsstaatlichen Gegenwart betrachtet. 270 Der BGH scheint den Weg über die „richtige" menschenrechtsfreundliche Interpretation des DDR-GrenzG zu gehen, um sich nicht dem Vorwurf einer naturrechtlichen Begründung der Strafbarkeit, auf die das Dictum Radbruchs hinausläuft, auszusetzen.271 Um zu demselben Ergebnis zu gelangen, hätte er auch in konsequenter Anwendung der Radbruchschen Geltungsthesen, an deren Maßstab er den gesetzlichen Rechtfertigungsgrund bereits für von Anfang an unwirksam erklärt hat, vertreten können, die Strafbarkeit der Mauerschützen sei schon im Tatzeitpunkt gegeben. Der BGH hätte sich dann freilich entschiedener zu einem nichtpositivistischen Rechtsbegriff bekennen müssen. Die Heranziehung Radbruchscher Gedanken bleibt insgesamt in den Grenzen, in denen sie praktische Brauchbarkeit verheißt, die theoretischen Aspekte der Formel läßt der BGH eher im Hintergrund. 272 Durch die Argumentation über die „richtige" menschenrechtsfreundliche Auslegung des DDR-Rechts legt er eine spürbare Zurückhaltung gegenüber einer 268

Herdegen, Extrakonstitutionelle Grundnormen der deutschen Rechtsordnung?, in: Staat und Recht 39 (1990), S. 697/698. 2 69 Jakobs, Untaten des Staates, in: GA 1994, S. 1/7 Fn. 25; Alexy, Mauerschützen, S. 30; Amelung, Strafbarkeit von „Mauerschützen", in: JuS 1993, S. 637/641; Fiedler, Anmerkung, in: JZ 1993, S. 206/208. 270

Isensee, Nachwort, in: ders. (Hrsg.), Vergangenheitsbewältigung durch Recht, S. 91/

106. 27 1 Jakobs, Untaten des Staates, in: GA 1994, S. 1/12; Pawlik, Strafrecht und Staatsunrecht, in: GA 1994, S. 472; Pieroth, Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der Vergangenheit, in: VVDStRL 51 (1992), S. 103 spricht von einem „nicht ausräumbaren Ideologieverdacht". 272 Siehe Seidel, Rechtsphilosophische Aspekte, S. 141.

§ 13 Die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung

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naturrechtlichen Begründung an den Tag. Das Verhältnis der menschenrechtsfreundlichen Auslegungsmethode zur Radbruchschen Formel bleibt daher im ganzen unklar. Der BGH ist aber vermutlich mit seiner menschenrechtsfreundlichen Auslegung der Radbruchschen Idee näher, als ihm bewußt ist. 2 7 3 Dies wird auch deutlich, wenn er bei der Erörterung des Rückwirkungsverbots hinzufügt, im Ergebnis könne nichts anderes gelten, wenn ein gesetzlicher Rechtfertigungsgrund, der gleich schweren Bedenken wie § 27 DDR-GrenzG ausgesetzt ist, keiner an den Menschenrechten orientierten Auslegung zugänglich wäre. 274 Die Auffassung des BGH, daß die Strafbarkeit der Mauerschützen das Rückwirkungsverbot nicht verletzt, verlangt von den Grenzsoldaten, daß sie ein ganz anderes Rechtsverständnis hätten zugrundelegen müssen, als dies in der staatlichen Wirklichkeit akzeptiert und gefördert wurde. Für sie war zur Tatzeit aber größtenteils kaum vorstellbar, daß später Gerichte eines vereinigten Deutschlands über ihr Verhalten urteilen würden, ihr Verbotsirrtum war nur bei Spekulation auf den Untergang der DDR vermeidbar. 275 Andererseits ist zu bedenken, daß sich der Rechtsstaat in Selbstwiderspruch setzen würde, wenn er von seinen Gerichten eine Bindung an rechtsstaatswidriges Recht einer fremden Staatsgewalt verlangte. 276 Auch die Gegner der Radbruchschen Formel räumen teilweise ein, daß ein Freispruch der Mauerschützen dem Rechtsgefühl zuwiderlaufen würde, sehen aber keine Möglichkeit, an dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot vorbeizukommen. 277 Der BGH legt seiner Argumentation einen Rechtsbegriff zugrunde, der sich nicht auf das empirische Moment reduziert und versteht demzufolge auch das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht strikt formal. Vielmehr scheint in seinem Lösungsweg das grundgesetzliche Rückwirkungsverbot durch die nichtpositivistisch verstandene Bindung der Judikative an Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG überlagert. Verfolgt man die Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung seit Anfang der fünfziger Jahre, läßt sich feststellen, daß der BGH seine in den frühen Judikaten eingeschlagene Linie im wesentlichen fortgesetzt hat und sich in der erneuten Ausnahmelage zu einem nichtpositivistischen Rechtsbegriff bekennt. Dabei zeichnet sich allerdings doch gewisse Zurückhaltung gegenüber einer überpositivrechtlichen Argumentation ab. Die Gründe dafür dürften nicht zuletzt in der teilweise heftigen Kritik an seiner frühen Naturrechtsrechtsprechung und im allgemeinen gegenwärtigen Trend des Unbehagens gegenüber naturrechtlichen Phänomenen zu suchen sein. 278 Die Radbruchsche Formel, die in den frühen Judikaten intensiv 273 A. Kaufmann, Die Radbruchsche Formel, in: NJW 1995, S. 81/86. 274 BGHSt 39, 1/30. 275 Dannecker, Die Schüsse an der innerdeutschen Grenze, in: Jura 1994, S. 585/594. 276 Hruschka, Todesschüsse, in: JZ 1992, S. 665/668; Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 239. 277 Dannecker, Schüsse an der innerdeutschen Grenze, in: Jura 1994, S. 585/594. 278 Vgl. Sprenger, Fünfzig Jahre Radbruchsche Formel, in: NJ 1997, S. 3.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

rezipiert wurde, wendet der BGH mit größerer Vorsicht an. Er fühlt sich offenbar wohler bei dem Rekurs auf inzwischen positivierte Menschenrechte. Die richterliche Bindung an Gesetz und Recht versteht der BGH offenbar nicht tautologisch, sie bedeutet für ihn jedenfalls keine bloße Bindung an faktisch geltendes positives Recht. Vielmehr schafft danach die in Art. 20 Abs. 3 GG vorgesehene Rechtsbindung eine zusätzliche Hürde, indem sie eine Übereinstimmung der positiven Satzungen mit übergeordnetem Recht, insbesondere mit elementaren Menschenrechten, fordert.

B. Die Bindung an Gesetz und Recht im Lichte der neueren Rechtsprechung des BVerfG Das BVerfG mußte sich in jüngerer Zeit ebenfalls mit DDR-Unrechtsakten befassen und dabei sein Verständnis von Gesetz und Recht offenlegen. Aus den vorliegenden Entscheidungen soll der Grundsatzbeschluß zu den Mauerschützen vom 24. 10. 1996 herausgegriffen werden 279 , der für die Frage der richterlichen Rechtsbindung am ergiebigsten erscheint und einen Vergleich mit der Mauerschützen-Judikatur des BGH ermöglicht. Der Zweite Senat des BVerfG hatte im Mauerschützen-Beschluß über Verfassungsbeschwerden von Mitgliedern des Nationalen Verteidigungsrates der DDR sowie eines Angehörigen der DDR-Grenztruppen zu entscheiden. Die Beschwerdeführer griffen damit ihre Verurteilungen durch den BGH wegen der Tötung von Flüchtlingen an der innerdeutschen Grenze an und rügten eine Verletzung des Art. 103 Abs. 2 GG. Kernpunkt der Entscheidung ist die Frage, ob die Bestrafung der Mauerschützen und der für die Schießbefehle verantwortlichen Hintermänner gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstößt. In diesem Rahmen mußte sich das BVerfG auch mit der Auffassung des BGH, daß der Richter nicht an menschenrechtswidrige gesetzliche Rechtfertigungsgründe gebunden ist, auseinandersetzen.

I. Keine Bindung des Richters an gesetzliches Unrecht

Das BVerfG billigt im Ergebnis die Mauerschützen-Judikatur des BGH und weist die Verfassungsbeschwerden zurück. Es hält die Rechtsauffassung des BGH zur Unbeachtlichkeit menschenrechtswidriger Rechtfertigungsgründe für vereinbar mit dem GG. 279 BVerfGE 95, 96. Dazu H. Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, in: JZ 1997, S. 421 ff.; Starck, Anmerkung, in: JZ 1997, S. 147 ff.; Arnold, Einschränkung des Rückwirkungsverbotes sowie sorgfältige Schuldprüfung bei den Tötungsfällen an der DDRGrenze - BVerfG, NJW 1997, 929, in: JuS 1997, S. 400 ff. Weitere grundlegende Urteile des BVerfG zum DDR-Unrecht in BVerfGE 92, 277/323 ff. - Spionage; BVerfGE 84, 90 Bodenreform.

§ 13 Die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung

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Den Aussagen des BGH fügt es dabei kaum eigenständige, neue Gesichtspunkte hinzu, es referiert vielmehr lediglich die Thesen des BGH und schließt sich ihnen im wesentlichen an. Die These des BGH, daß ein gesetzlicher Rechtfertigungsgrund keine Bindungswirkung entfaltet, wenn er nach der Radbruchschen Formel und ihrer Konkretisierung durch internationale Menschenrechts standards als extremes staatliches Unrecht einzustufen ist, kann nach Ansicht des BVerfG verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden. In diesem Rahmen verweist das BVerfG ergänzend - allerdings ohne nähere Auseinandersetzung - auf die Rechtsprechung des OGH und des BGH aus den fünfziger Jahren. Diese mußten sich mit vergleichbaren Fragen bei der Beurteilung von NS-Unrecht befassen und vertraten die Auffassung, daß einer Norm, die gegen höherrangige, unabhängig von jeder staatlichen Anerkennung geltende Rechtsprinzipien verstößt, der Rechtscharakter abzusprechen sei. Das BVerfG billigt die vom BGH in der Mauerschützenentscheidung vorgenommene Rezeption der Radbruchschen Formel samt ihrer Präzisierung durch universell anerkannte Menschenrechte. Darüber hinaus weist es auf seine eigene frühere Rechtsprechung zum NS-Unrecht hin, in der es erwogen hat, positivem Recht in Ausnahmefällen - gemessen an den Radbruchschen Geltungsthesen - die Anerkennung zu versagen. Dabei hebt das BVerfG hervor, daß das Problem des gesetzlichen Unrechts sich in seiner bisherigen Judikatur im Bereich des Strafrechts nicht stellte und enthält sich insoweit einer expliziten Aussage darüber, ob an den früher aufgestellten Grundsätzen im vorliegenden strafrechtlichen Kontext festzuhalten ist. Der Beurteilung des BGH, daß § 27 DDR-GrenzG, wie er in der Staatspraxis der DDR gehandhabt wurde, „extremes Unrecht 4 ' 280 darstellt, schließt sich das BVerfG ausdrücklich an. Argumentativ legt es dabei den Schwerpunkt auf die fehlende Interessenabwägung und Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Handhabung des DDR-GrenzG. Daß in der Staatspraxis der Durchsetzung des staatlichen Interesses an der Verhinderung von Grenzübertritten schlechthin Vorrang gegenüber dem Lebensrecht des Einzelnen gegeben wurde, hält das BVerfG für materiell schwerstes Unrecht. Es erklärt den Rechtfertigungsgrund des § 27 DDR-GrenzG nicht explizit anhand der Radbruchschen Formel für unwirksam; die in diesem Zusammenhang verwendeten Formulierungen - „gesetzliches Unrecht", „unerträglicher Widerspruch zur Gerechtigkeit" - zeigen jedoch deutlich, daß sich das Gericht der Grundidee des Radbruchschen Lösungsvorschlags verpflichtet weiß. Auch die Einschätzung des BGH, daß der Verstoß gegen elementare Menschenrechte offensichtlich und daher auch für einen indoktrinierten Menschen ohne weiteres erkennbar war, begegnet nach Ansicht des BVerfG jedenfalls unter den festgestellten Umständen - Dauerfeuer auf einen unbewaffneten Flüchtling - im 280 Den Ausdruck, den das BVerfG hier benutzt, hat der BGH nicht verwendet. Der Begriff geht in diesem Kontext wohl auf Alexy, Mauerschützen, S. 4 zurück, worauf auch H. Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, in: JZ 1997, S. 421 /428 hinweist.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Ergebnis keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf das Schuldprinzip. 281

II. Absolute und eingeschränkte Geltung des Rückwirkungsverbots gem. Art. 103 Abs. 2 GG

Kernpunkt der verfassungsgerichtlichen Prüfung durch das BVerfG ist die Frage, ob die Bestrafung der Mauerschützen noch mit dem Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist. Bejaht man wie das BVerfG und der BGH eine Bindung des Richters an übergeordnetes Recht und nimmt infolgedessen die Unwirksamkeit eines gesetzlichen Rechtfertigungsgrundes an, stellt sich die Frage einer Kollision mit dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot. Das BVerfG billigt im Ergebnis auch hier die Rechtsauffassung des BGH, der unter Zugrundelegung einer menschenrechtsfreundlichen Auslegung des DDRRechts keine Verletzung des Art. 103 Abs. 2 GG annimmt. 282 Das BVerfG arbeitet dabei argumentativ stärker mit der Schutzfunktion der Verfassungsnorm sowie den Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips. Das Rechtsstaatsprinzip des GG, das im nullapoena-Grundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG eine spezielle Ausprägung erfahren hat, gewährt nach st. Rspr. des BVerfG nicht nur Rechtssicherheit, sondern umfaßt auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit. 283 Vor diesem Hintergrund differenziert das BVerfG zwischen einer absoluten und einer eingeschränkten Geltung des Rückwirkungsverbotes. Grundsätzlich ist danach das Verbot rückwirkender Strafgesetze gem. Art. 103 Abs. 2 GG absolut und erfüllt seine rechtsstaatliche und grundrechtliche Gewährleistungsfunktion durch eine strikte Formalisierung. Dies gelte uneingeschränkt für den Normalfall, daß die Tat im Anwendungsbereich des Strafrechts der Bundesrepublik Deutschland begangen wurde und rechtfertige sich aus der besonderen Vertrauensgrundlage, die diese Strafgesetze tragen. Das bundesdeutsche Strafrecht genüge prinzipiell den „Forderungen materieller Gerechtigkeit", da es von einem den Grundrechten verpflichteten demokratischen Gesetzgeber erlassen ist. 2 8 4 In diesem Falle kommt dem Gedanken der Rechtssicherheit das entscheidende Gewicht zu. 281 BVerfGE 95, 96/142 f. Auf seine frühere Judikatur zur „Verstrickung in ein Unrechtssystem" als Strafminderungsgrund - siehe BVerfGE 54, 100/108 ff. - geht das BVerfG mit keinem Wort ein; kritisch dazu Albrecht, Das BVerfG und die strafrechtliche Verarbeitung von Systemunrecht - eine deutsche Lösung!, in: NJ 1997, S. 1/2; vgl. Arnold, Einschränkung des Rückwirkungs Verbotes, in: JuS 1997, S. 403 f. 282 BVerfGE 95, 96/130ff.; vgl. BVerfGE 92, 277/323 f. - Spionage - . Auf Art. 7 Abs. 2 EMRK geht das BVerfG im Gegensatz zum BGH mit keinem Wort ein, siehe hierzu auch H. Dreier, Gustav Radbruch und die Mauerschützen, in: JZ 1997, S. 421/432, Fn. 144; Arnold, Einschränkung des Rückwirkungsverbotes, in: JuS 1997, S. 400/402. 283 BVerfGE 95, 96/130; 45, 187/246. 284 BVerfGE 95, 96/132.

§ 13 Die neuere höchstrichterliche Rechtsprechung

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Anderes gelte hingegen im Ausnahmefall, wenn das Recht eines fremden Staates anzuwenden ist, der weder die Grundsätze der Demokratie und Gewaltenteilung noch die Grundrechte verwirklicht, sondern universell anerkannte Menschenrechte mißachtet und extremes staatliches Unrecht setzt. In dieser ganz besonderen Situation entfällt die besondere Vertrauensgrundlage und kann das Rückwirkungsverbot keine uneingeschränkte Geltung mehr beanspruchen. Die eingeschränkte Reichweite des Art. 103 Abs. 2 GG rechtfertigt das BVerfG letztlich aus dem Rechtsstaatsprinzip des GG, welches eben auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit umfaßt, die in der Ausnahmesituation zum Tragen kommt. Die Auflösung des rechtsstaatlichen Dilemmas des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots wirkt in der Argumentation des BVerfG allerdings überzeugender als in den knappen Erörterungen des BGH.

I I I . Vergleich der Judikatur von BVerfG und BGH

Der analysierte Mauerschützen-Beschluß zeigt, daß das BVerfG die richterliche Bindung an das Gesetz - in weitreichender Übereinstimmung mit seiner frühen Judikatur zum NS-Unrecht - nicht strikt versteht. Das BVerfG beschränkt sich allerdings in dem Beschluß weitgehend auf eine Wiedergabe der Aussagen des BGH, entwickelt keinen wirklich eigenständigen Standpunkt und äußert sich zur Bindung an übergeordnetes Recht insgesamt eher zurückhaltend. Eine vorsichtige Haltung legt das BVerfG auch im Urteil zur „Bodenreform" in der SBZ an den Tag, in dem es sich mit dem Rekurs auf überpositive Gerechtigkeitsvorstellungen sehr zurückhält. 285 Insgesamt liegen die Auffassungen von BVerfG und BGH zur Frage der richterlichen Rechts- und Gesetzesbindung in der neueren Judikatur dennoch weitgehend auf einer Linie. Beide Gerichte verstehen Gesetz und Recht nicht tautologisch, sondern sprechen sich für eine am Maßstab elementarer Menschenrechte ausgerichtete Prüfung des positiven Rechts aus. Ohne eine solche Grundannahme hätten sie kaum zum Ergebnis der Strafbarkeit der Tötungen an der innerdeutschen Grenze gelangen können. Die Rechtsprechung hält sich mit dem Rekurs auf die Radbruchsche Formel die Möglichkeit zur Korrektur evident ungerechten positiven Rechts offen und konnte so in den Mauerschützenfällen zu einer im Ergebnis befriedigenden und weitgehend akzeptierten Lösung gelangen.

285 BVerfGE 84, 90/121; dazu Leisner, Verfassungswidriges Verfassungsrecht, in: DÖV 1992, S. 432/438; Herdegen, Die Eigentumsregelungen des Einigungsvertrages vor dem Bundesverfassungsgericht - Zum Urteil des BVerfG vom 23. 4. 1991 - , in; Jura 1992, S. 21/23.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

§ 14 Bindung an Gesetz und Recht im Kontext der Rechtsfortbildung Die Bindung an Gesetz und Recht wird nicht nur vor dem Hintergrund der eher singulär auftretenden Problematik gesetzlichen Unrechts diskutiert, sondern auch im Kontext richterlicher Rechtsanwendung und Rechtsfortbildung im Rechtsstaat. Die Tendenz, den Passus ,und Recht' in Art. 20 Abs. 3 GG auch auf das Phänomen des sog. Richterrechts, der richterlichen Rechtsfortbildung zu beziehen, hat deutlichen Aufschwung erfahren seit der Soraya-Entscheidung des BVerfG von 1973, in der das Gericht sich mit der Frage der contra legem-Rechtsprechung befassen mußte und Art. 20 Abs. 3 GG zum verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt seiner Erörterungen machte. 286 Unter dem Eindruck der Rechtsfortbildungsentscheidungen des BVerfG und in Auseinandersetzung mit ihnen wird im Schrifttum vielfach vertreten, daß ,Gesetz und Recht' nicht nur die Spannung zwischen positivem Recht und Gerechtigkeit in verfassungsrechtlichen Ausnahmelagen widerspiegelt, sondern darüber hinaus auf den Problemkomplex des Richterrechts in der rechtsstaatlichen Normallage lenkt. 287 Bisweilen wird in letzterem sogar die eigentliche aktuelle Problematik der Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG gesehen und die Frage des gesetzlichen Unrechts in den Hintergrund gerückt. 288

Α.,Recht' als Ausdruck der Legitimation richterlicher Rechtsfortbildung In dem Begriffspaar Gesetz und Recht erblicken die Verfassungsinterpreten die Unterscheidung zwischen gesetztem und ungesetztem Recht, wobei sie unter letzterem nicht nur das Gewohnheitsrecht sowie allgemeine Rechtsgrundsätze, sondern auch das Richterrecht, das durch richterliche Rechtsfortbildung entstandene Recht verstehen. 289 Bei der richterlichen Rechtsfortbildung geht es um die 286 BVerfGE 34, 269/286ff. Dazu eingehend oben § 4 B. Vgl. BVerfGE 65, 182/ 190ff.; 96, 375/393 f. 287 Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 93 f.; Stern, Staatsrecht I, S. 800 f.; Sachs, Art. 20 GG, Rn. 64; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, S. 33 ff.; Gusy, Richterrecht und Grundgesetz, in: DÓV 1992, S. 461 ff.; F. Müller, ,Richterrecht', 1986, S. 22ff., 117 f.; Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl., S. 368 ff.; Fikentscher, Methoden des Rechts, IV, S. 325 ff.; Hans-Joachim Koch/Helmut Rüßmann, Juristische Begründungslehre, 1982, S. 253 ff.; Neuner, Rechtsfindung, S. 47 ff.; Langenbucher, Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, S. 23 ff., 121 ff.; Rolf Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, 1978, S. 87 ff.; J. Ipsen, Richterrecht und Verfassung, S. 117 ff. 288 So Stern, Staatsrecht I, S. 800. 289 Stern, Staatsrecht I, S. 800f.; ders., Staatsrecht II, S. 581 ff.; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 93 f.; Sachs, Art. 20 GG, Rn. 64; Benda, Der soziale Rechtsstaat, in:

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Ausfüllung von Gesetzeslücken und darüber hinaus um die Aufnahme und Ausbildung neuer Rechtsgedanken, die im Gesetz selbst allenfalls eine Andeutung erfahren haben. 290 Im einzelnen ist der Komplex des sog. Richterrechts, das ein Dauerthema der Methodenlehre und Rechtstheorie bildet, bislang nicht vollständig geklärt. 291 Der Bindung an das Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG wird insoweit eine eigenständige Bedeutung zugeschrieben, als dadurch die Rechtsprechung zur Weiterbildung des geschriebenen Rechts und zur Ausfüllung von Gesetzeslücken legitimiert werde. 2 9 2 Mit der Aussage, daß der Passus ,und Recht4 die Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung hervorhebt, ist allerdings noch nicht viel gewonnen. Die Aufgabe und Befugnis der rechtsprechenden Gewalt zur Rechtsfortbildung, zur „schöpferischen Rechtsfindung" ist, wie das BVerfG hervorhebt, im Grundsatz unbestritten 293 und zudem auf einfachgesetzlicher Ebene verankert. 294 Daß der Richter in Gesellschaftsordnungen, in denen es geschriebene Gesetze, ja Kodifikationen ganzer Rechtsgebiete gibt, zumindest durch seine Mitwirkung an der Auslegung und Konkretisierung der Gesetze, durch die Schließung gleichwohl vorhandener Regelungslücken und durch eine bescheidene Adaptierung an sich verändernde reale Verhältnisse auch rechtsschöpferisch wirkt, ist seit langem bekannt. 295 Die Lückenlosigkeit der positiven staatlichen Rechtsordnung ist ein praktisch unerreichbarer Zustand, eine Idealvorstellung 296, wie sie um 1800, aber auch in der Hochzeit des Gesetzespositivismus virulent war, in unserer Zeit aber als Fiktion erkannt und justizpolitisch aus guten Gründen aufgegeben ist. 2 9 7 Auch im modernen Rechts- und Verfassungsstaat tauchen unvermeidlich Rechtsfragen auf, die durch das Gesetz nicht gänzlich vorentschieden sind. Das Gesetz verweist überdies vielfach auf außergesetzliche Maßstäbe, ist zwangsläufig lückenhaft und unterliegt einem natürlichen Alterungsprozeß, dem die Rechtsprechung Rechnung HBdVerfR, § 17, Rn. 30; Claus-Wilhelm Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, S. 33 ff., insbes. S. 37, Fn. 95; Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, S. 23 ff., 121 ff.; Deckert, Folgenorientierung, S. 160ff.; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 87 ff.; anders Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 20, Rn. 38. 290 Larenz, Methodenlehre, S. 366. 291 Insbesondere die Frage der Rechtsquelleneigenschaft des Richterrechts ist umstritten, siehe Gusy, Richterrecht und Grundgesetz, in: DÖV 1992, S. 461 ff.; F. Müller, ,Richterrecht 4, S. 9; Larenz, Methodenlehre, S. 366 ff. 292 Siehe nur Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, S. 94; Sachs, Art. 20 GG, Rn. 64. 293 BVerfGE 34, 269/288; 96, 375 /393 f.; vgl. auch BVerfGE 3, 225 /242 f. 294 Siehe § 132 Abs. 4 GVG, § 11 Abs. 4 VwGO, § 45 Abs. 4 ArbGG. 295 Herzog, Gesetzgeber und Richter - Zwei Legalitätsquellen?, in: ders. (u. a.), Gesetz und Richterspruch in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland, 1990, S. 5 Π f. 296 BVerfGE 34, 269/287; vgl. Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: HBdVerfR, § 17, Rn. 30; eingehend Claus-Wilhelm Canaris , Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, S. 15 ff., 172 ff. 297 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl., 1967, S. 436 f.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

zu tragen hat. 298 Für die Frage der Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung würde also kaum etwas anderes gelten, wenn es den Zusatz ,und Recht' in Art. 20 Abs. 3 GG nicht gäbe. 299 Die These, daß die Bindung der Rechtsprechung an das Recht Ausdruck der Legitimation richterlicher Rechtsschöpfung ist, führt also für sich noch nicht viel weiter. Entscheidend ist vielmehr, wie Umfang und Grenzen der richterlichen Tätigkeit in diesem Bereich abgesteckt werden. 300

B. Maßstäbe und Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung Klärungsbedürftig ist, woran sich die richterliche Entscheidung im gesetzesfreien Bereich, außerhalb der klaren Gesetzesbindung zu orientieren hat und welchen Maßstab Art. 20 Abs. 3 GG dabei dem Richter sinnvollerweise an die Hand geben kann. Die Auffassungen darüber, was unter der Rechtsbindung im Kontext richterlicher Rechtsfortbildung zu verstehen ist und welchen inhaltlichen Bindungsmaßstab Art. 20 Abs. 3 GG liefert, gehen im einzelnen auseinander.

I. Verfassungsimmanente Rechtsfortbildung

Stern u. a. fordern, daß die richterliche Rechtsfortbildung sich an den Maßstäben der Gesetze, der Verfassung und insbesondere der grundgesetzlichen Wertentscheidungen zu orientieren hat. 301 Der Richter ist nicht befugt, das Gesetz nach seinen subjektiven Gerechtigkeitsvorstellungen und rechtspolitischen Wertungen zu korrigieren und fortzubilden, vielmehr darf jede Rechtsfortbildung nur „gesetzes- oder verfassungsimmanent" erfolgen. Rechtsfindung contra legem ist danach mit Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbar. Die Maßstäbe der richterlichen Rechtsfortbildung sind vielmehr dem Verfassungs- und Gesetzesrecht selbst zu entnehmen. Damit wird die Rechtsbindung des Art. 20 Abs. 3 GG im wesentlichen mit Verfassungsbindung gleichgesetzt und insofern relativ eng ausgelegt. Andernfalls - so wird befürchtet - werde der Richter zum Ersatzgesetzgeber, die Judikative zu einer entfesselten Gewalt und damit das Gewaltenteilungsprinzip 298 j. Ipsen, Richterrecht, S. 25; Stern, Staatsrecht II, S. 582 ff.; Wieacker, Gesetz und Richterkunst, S. 14 ff. 299 Vgl. Stern, Staatsrecht II, S. 913: „Die Gesetzesbindung schließt auch die begrenzte Lückenschließung und Rechtsfortbildung nicht aus". 300 Vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 800; vgl. BVerfGE 34, 269/288. 301 Stern, Staatsrecht I, S. 800f.; vgl. Gusy, Der Vorrang des Gesetzes, in: JuS 1983, S. 189/193, Roellecke, Die Bindung des Richters an das Gesetz, in: VVDStRL 34 (1976), S. 7 ff. Siehe Larenz, Methodenlehre, S. 370ff., der bei der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung allerdings nicht stehenbleibt, diese vielmehr nur als einen Aspekt richterlicher Rechtsfortbildung ansieht, hierzu sogleich unten. Vgl. BVerfGE 38, 386/396; 49, 304/322, wonach sich der Richter nicht wie ein Gesetzgeber von rechtspolitischen Erwägungen leiten lassen dürfe.

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verletzt. 302 Das BVerfG hat im Soraya-Beschluß zwar in ähnlicher Weise geäußert, daß es Aufgabe der Judikative sei, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung „immanent" sind, in Entscheidungen zu realisieren. Es ist aber im Soraya-Beschluß insgesamt über eine „gesetzes- und verfassungsimmanente" Rechtsfortbildung hinausgegangen, wie auch der Hinweis auf das „Sinnganze der Rechtsordnung" zeigt. 303 Dieser Auffassung ist insoweit zuzustimmen, als Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung sich in erster Linie an den wertentscheidenden Grundsätzen der Verfassung zu orientieren haben. Es fragt sich aber, ob die Verfassungsnormen angesichts ihrer recht offenen Formulierung geeignet sind, in allen Einzelfragen als Bewertungsmaßstab zu dienen. In manchen Fällen mag sich aus der Verfassung als solcher nicht der geringste Hinweis auf eine bestimmte Lösung für den Einzelfall entnehmen lassen.304 Insoweit kann die postulierte gesetzes- und verfassungsimmanente Rechtsschöpfung als Bindungsmaßstab dem Richter nur bedingt helfen. Auch bei Verweisungen des einfachen Gesetzesrechts auf außerrechtliche Maßstäbe würde man den Richter bei der Entscheidungsfindung weitgehend allein lassen. Schließlich überzeugt das Argument der Verletzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes insofern nicht, als gewisse Funktionsüberschneidungen nach dem GG zulässig sind und ein Kernbereichsverstoß in eng umgrenzten Fällen wie in diesem Bereich nicht angenommen werden kann.

II.,Recht' als Hinweis auf die mehrheitlich konsensfahigen Gerechtigkeitsvorstellungen

Nach Auffassung von Zippelius ist die Rechtsprechung durch die Formulierung des Art. 20 Abs. 3 GG legitimiert, das geschriebene Recht weiterzubilden und hierbei die „in der Gemeinschaft herrschenden Grundsätze der Gerechtigkeit" zum Maßstab zu nehmen.305 Um die Bindung an den Wortlaut des Gesetzes zu überschreiten, bedarf es danach sehr gewichtiger Gründe des Rechts. Solche Gründe seien in unabweisbaren Wertentscheidungen der Verfassung oder in den - wie es das BVerfG im Soraya-Beschluß ausgedrückt hat - „fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft" zu finden. Danach weist der Begriff Recht in Art. 20 Abs. 3 GG nicht auf absolut gültige, sondern auf die jeweiligen 302 stem, Staatsrecht I, S. 801; Merten, Bindung des Richters, in: DVB1. 1975, S. 677/ 7679, 683. 303 BVerfGE 34, 269/287; Stern, Staatsrecht I, S. 801, Fn. 22 hält daher manche Formulierungen in BVerfGE 34, 269/287 für „zu großzügig". 304 Vgl. Jürgen Jekewitz, Bundesverfassungsgericht und Gesetzgeber, in: Der Staat 19 (1980), S. 535/545; Deckert, Folgenorientierung, S. 170. 305 Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl., S. 96 f.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, 7. Aufl. 1999, S. 67 f., 85; ders., Recht und Gerechtigkeit, 2. Aufl., S. 159 ff., 382 ff.; Deckert, Folgenorientierung, S. 163 f.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

zeitabhängigen gesellschaftlichen Gerechtigkeits- und Moralvorstellungen hin. Teilweise wird im Schrifttum das Recht auch als Ausdruck des - freilich nur schwer faßbaren - Zeitgeistes, d. h. der sich wandelnden kollektiven Wert-, Gerechtigkeits· und Rechtsvorstellungen begriffen. 306 Hierbei erhebt sich die Frage, wie die in der Gesellschaft vorherrschenden Gerechtigkeits- und Moralvorstellungen angesichts des Wertepluralismus und raschen Wertewandels im demokratischen Gemeinwesen ermittelt und praktikabel gemacht werden können. Das BVerfG hat in der Soraya-Entscheidung, auf die sich Zippelius ausdrücklich bezieht, zur Bestimmung der fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft auf die herrschende Auffassung in der Rechtslehre abgestellt. Diese Gerechtigkeitsvorstellungen seien heranzuziehen, wenn sich bei zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen Gesetzesbefehl und richterlicher Einzelfallentscheidung die Lebensverhältnisse und Rechtsanschauungen tiefgreifend ändern. 307 Allerdings hat das BVerfG zusätzlich gefordert, daß die richterliche Entscheidung auf „rationaler Argumentation" beruhen muß und Gesetzeslücken nach den Maßstäben der „praktischen Vernunft" zu schließen sind. 308 Damit läßt es den bloßen tatsächlichen Konsens der Rechtsgemeinschaft nicht genügen, sondern will die richterliche Rechtsfortbildung durch den ergänzenden Maßstab der Vernunft abgesichert wissen. Zippelius zufolge bieten die Rechts- und Gerechtigkeitsgrundsätze der Verfassung, die Rechtstradition sowie die Erkenntnisse der Rechtsprechung wichtige Anhaltspunkte für die mehrheitlich konsensfähigen Gerechtigkeitsvorstellungen. Dabei sei der Rückgriff auf den breitestmöglichen gesellschaftlichen Konsens in der Wertung legitim, auch ohne Rücksicht darauf, ob er „Wahrheiten" erschließt. 309 Hierfür die breitestmögliche Konsensbasis aufzusuchen, rechtfertige sich aus demokratischen Gründen. Damit orientiert sich Zippelius an dem bloßen faktischen Konsens, ohne zusätzlich inhaltliche Kriterien oder einen Richtigkeitsmaßstab anzulegen. Zweifelhaft ist, ob ein solcher Konsens einen geeigneten Maßstab richterlicher Rechtsfortbildung bildet, zumal die rein tatsächliche Übereinstimmung auch ein Konsens des „Bösen" sein kann, der möglicherweise inhumane Züge aufweist. 310 Zippelius räumt selbst ein, daß die Entscheidung dann Schwierigkeiten bereitet, wenn die vorherrschenden sozialethischen Anschauungen Lücken und Widersprüche aufweisen. 311 Ob das kollektive Rechtsbewußtsein stets 306 Siehe Würtenberger, Zeitgeist und Recht, 1987, insbes. S. 154 ff.; Rennert, Die Verfassungswidrigkeit „falscher" Gerichtsentscheidungen, in: NJW 1991, S. 12/17. 307 BVerfGE 34, 269/288 f. 308 BVerfGE 34, 269/287, 290; vgl. BVerfGE 42, 64/73, wo zur Bestimmung der allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen auf die „in den Grundrechten konkretisierten Wertentscheidungen und fundamentalen Ordnungsprinzipien des Grundgesetzes" abgestellt wird. 309 Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, S. 383 f. 310 Deckert, Folgenorientierung, S. 164. Der Einwand wird auch gegen den Konsens des idealen Diskurses erhoben. 311 Zippelius, Recht und Gerechtigkeit, S. 383.

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„im Recht" ist, bedarf also sorgfältiger Vergewisserung, in einzelnen Bereichen muß man es sich aus besserer Einsicht versagen. 312

I I I . Überschießender Sinngehalt des Rechts gegenüber dem Gesetz

Larenz zufolge bringt die Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck, daß Gesetz und Recht zwar keine Gegensätze sind, dem Recht aber gegenüber dem Gesetz ein „überschießender Sinngehalt" zukommt. 313 Danach verhalten sich Gesetz und Recht wie Teil und Ganzes, wobei das Ganze mehr als die Summe der Teile ist. Die richterliche Gesetzesbindung ist also nur ein, wenngleich sehr bedeutender Ausschnitt aus der umfassenderen Bindung des Richters an das Recht. Das BVerfG hat im Soraya-Beschluß in ähnlicher Weise davon gesprochen, daß das Recht nicht identisch ist mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze, vielmehr gegenüber den positiven Satzungen der Staatsgewalt unter Umständen ein „Mehr" an Recht bestehen kann. 314 Larenz erkennt über die sog. gesetzesimmanente Rechtsfortbildung, d. h. die Ausfüllung von Gesetzeslücken hinaus auch eine sog. gesetzesübersteigende - über den Plan des Gesetzes hinausgehende - Rechtsfortbildung an. Letztere sei zwar „extra legem", außerhalb der gesetzlichen Regelung, aber „intra ius", d. h. innerhalb des Rahmens der Gesamtrechtsordnung und der ihr zugrundeliegenden Rechtsprinzipien. 315 Für die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung müßten Kriterien gelten, die nicht mehr allein dem Gesetz, sondern nur der Rechtsordnung als einem Sinnganzen entnommen werden können. Soll das Ergebnis der richterlichen Rechtsfortbildung Recht im Sinne der geltenden Rechtsordnung sein, bedürfe es der methodisch geleiteten Begründung. Als Maßstab dienen bei der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung insbesondere die Natur der Sache sowie rechtsethische Prinzipien, die sich durch einen materialen Gerechtigkeitsgehalt auszeichnen und besondere Ausprägungen der Rechtsidee darstellen. Darauf, daß es derartige Kriterien der richterlichen Entscheidungsfindung gibt, weist Larenz zufolge die Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG hin. Die zusätzliche Bindung an das Recht bildet damit eine Legitimationsgrundlage für eine richterliche Rechtsfortbildung nach materialen Gerechtigkeitskriterien. Der Begriff des Rechts, der auf einen außergesetzlichen Richtigkeitsmaßstab verweist, erfüllt somit im gesetzesfreien Bereich eine komplementäre Funktion gegenüber dem Gesetz. 316 In ähn312 So zutreffend Würtenberger, Zeitgeist und Recht, S. 225 f. 313 Larenz, Methodenlehre, 6. Aufl. 1991, S. 368 f., 2. Aufl. 1969, S. 346ff.; ders., Richtiges Recht, S. 155; ähnlich Canaris, Lücken im Gesetz, S. 33, 37, Fn. 95; Neuner, Rechtsfindung, S. 52 ff. 314 BVerfGE 34, 269/287. 315 Larenz, Methodenlehre, S. 414ff.; Canaris, Lücken im Gesetz, S. 33, 37. 316 Neuner, Rechtsfindung, S. 65 ff.; vgl. Canaris, Lücken im Gesetz, S. 37, Fn. 95; siehe auch Deckert, Folgenorientierung, S. 165 ff.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

licher Weise schreibt Canaris dem Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG neben seiner „kritischen" Funktion gegenüber dem Gesetz eine „komplementäre" Funktion insoweit zu, als der Richter das geschriebene Gesetz aus dem ungeschriebenen Recht zu ergänzen und weiterzubilden hat. 3 1 7 Als Recht könnten dabei nicht nur die im GG zum Ausdruck gekommenen Fundamentalwerte der Verfassung anerkannt werden, da das GG keinen abschließenden Katalog von Werten enthalte und über die Staatsstrukturprinzipien selbst Ansatzpunkte für den Einbruch neuer Wertungen aufweise. Gleichwohl aber sind die grundgesetzlichen Weitungen von maßgeblicher Bedeutung als Schranke der richterlichen Rechtsfortbildung. 318

IV. Art. 20 Abs. 3 GG als Ausdruck des Vorgangs der Normkonkretisierung

F. Müller zufolge bringt die Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG den Vorgang der Normkonkretisierung zum Ausdruck. 319 Eine Norm ist nicht fertig und anwendbar, ihr Sinn vollendet sich jeweils erst durch Konkretisierung in der richterlichen Einzelfallentscheidung. Nach der von Müller begründeten Strukturierenden Rechtslehre, die durchgängig zwischen Norm und Normtext unterscheidet, ist richterliches Tun stets schöpferisch, notwendig fortbildend und erschöpft sich nicht in der Subsumtion. Zwischen Normtext und Sachverhalt am Anfang, Entscheidungsnorm und verbindlich geregeltem Rechtsfall am Ende richterlicher Tätigkeit steht der Vorgang der Normkonkretisierung, nicht nur ausnahmsweise, sondern generell. Das gesetzeskonkretisierende Richterrecht stellt daher kein Sonderphänomen dar, aus Art. 20 Abs. 3 GG ergibt sich für die Frage der Zulässigkeit richterlicher Rechtsschöpfung keine besondere Aussage. Die Bindung des Richters an Gesetz und Recht hat weitgehend deklaratorische Funktion, als damit die Konkretisierungsbedürftigkeit der Norm zum Ausdruck gebracht wird. Das Gesetz im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG könne nicht von dem Recht überspielt werden. Primärer Richtpunkt bleibe jedenfalls im Verfassungsrecht, dessen normativer Gehalt sich noch weit weniger als jener des Zivilrechts in konkreter Fallgerechtigkeit erschöpfe, die Norm 3 2 0 . Art. 20 Abs. 3 GG gibt danach dem Richter keine Ermächtigung zur selbständigen Normtextsetzung, was eine verfassungswidrige Funktionsanmaßung bedeuten würde, sondern ordnet gerade seine Bindung an. Mit dem Ausdruck ,Recht4 wird F. Müller zufolge die Bindung an das Gewohnheitsrecht billigend zur Kenntnis genommen und dieses neben das geschriebene Recht gestellt. 321 Keineswegs ermächtige die Formel zur Flucht in „außergesetz317

Canaris , Lücken im Gesetz, S. 37, Fn. 95. Canaris, Lücken im Gesetz, S. 37 f., Fn. 95. 319 Dazu und zum folgenden F. Müller, Richterrecht, in: Festschrift der Juristischen Fakultät, S. 65/68ff., 79f.; ders., ,Richterrecht', S. 46ff., 54f. Kritisch dazu Neuner, Rechtsfindung, S. 47 ff., 56 f. 320 F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 66 f., 107. 318

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liehe Richtlinien" oder weise auf die Unterscheidung von gesetztem Recht und naturrechtlichen, überpositiven Gehalten hin 3 2 2 . Als Argument für seine restriktive Auffassung führt F. Müller insbesondere die für die rechtsprechende Gewalt speziellere Norm des Art. 97 Abs. 1 GG an. Unter diesem Gesichtspunkt kritisiert er auch den Soraya-Beschluß des BVerfG, das in dieser Entscheidung den einschlägigen Art. 97 Abs. 1 GG neben Art. 20 Abs. 3 GG zu Unrecht völlig ignoriert habe, was sogar an Verfälschung grenze. 323 Der Hinweis auf das widersprüchliche Verhältnis von Art. 20 Abs. 3 GG zu Art. 97 Abs. 1 GG und die hierauf gestützte Kritik an der Soraya-Entscheidung kann aber aus den bereits dargelegten Gründen verfassungsrechtlich nicht überzeugen. 324 Insgesamt mißt F. Müller in seiner Konzeption der Bindung an das Recht wenig eigenständigen Sinngehalt bei. Die Gesetzes- und Rechtsbindung wird unter Hinweis auf Art. 97 Abs. 1 GG als Bindung an das gesamte positive Recht, an geschriebenes wie an Gewohnheitsrecht aufgefaßt.

V. Rechtsbindung als Präjudizienbindung?

Verschiedentlich werden richterrechtlich gebildete Präjudizien als Recht i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG aufgefaßt. 325 Präjudizien sind Entscheidungen, in denen dieselbe Rechtsfrage, über die neuerlich zu entscheiden ist, von einem Gericht in einem anderen Fall bereits einmal entschieden worden ist. 3 2 6 Präjudiziell kann hierbei nicht die in Rechtskraft erwachsende Einzelfallentscheidung als solche sein, sondern nur die im Rahmen der Urteilsbegründung gegebene Antwort auf eine Rechtsfrage. Allgemein wird eine unbedingte Präjudizienbindung wie im System des Common law nicht angenommen, sondern allenfalls eine beschränkte Bindungswirkung. 327 Dem kontinentaleuropäischen Rechtskreis ist die Vorstellung einer richterlichen Bindung an Vorentscheidungen fremd. Eine von dem Gericht geäußerte Rechtsauffassung hat danach unmittelbar immer nur Bedeutung für den entschiedenen Einzelfall. Uberwiegend wird daher mit Grund vertreten, daß Prä321 F. Müller, Richterrecht, in: Festschrift der Juristischen Fakultät, S. 65/82; ders., ,Richterrecht 4, S. 54, 69 f., 100, 112 ff. 322 F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 107; ders., ,Richterrecht', S. 112. 323 F. Müller, Richterrecht, in: Festschrift der Juristischen Fakultät, S. 65/67 f., 75 ff.; ders., ,Richterrecht', S. 22, 68 ff.; ders., Die Einheit der Verfassung, S. 43 ff. 32 4 Siehe oben § 9 Α. I. 325

Fikentscher, Methoden des Rechts, IV, S. 336ff.; Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, S. 243 ff.; Rüthers, Unbegrenzte Auslegung, S. 427; kritisch dazu Riggert, Selbstbindung des Gesetzgebers, S. 23 f.; dagegen auch v. Münch/Kunig-Meyer, GG-Kommentar, Bd. 3, Art. 97, Rn. 22; Schmidt-Ränsch, § 25 DRiG, Rn. 13; Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion, S. 461 ff., 517 ff. 32 6 Larenz, Methodenlehre, S. 429 ff. 327

Kriele, Rechtsgewinnung, S. 160, 243 ff., 258 ff. geht von einer Vermutung zugunsten der Richtigkeit des Präjudizes aus und spricht von einer „präsumtiven" Bindungswirkung von Präjudizien. 13 Hoffmann

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judizien keine eigenständige Quellen geltenden Rechts sind, wohl aber Rechtserkenntnisquellen. 328 Präjudizien mögen, wenn ihnen die Gerichte folgen, gleiche faktische Geltung und Bindungswirkung erlangen wie ein Gesetz, normative Geltung im Sinne von Verbindlichkeit kommt ihnen aber nicht zu. Zwar erwachsen Entscheidungen des BVerfG gem. § 31 BVerfGG in Gesetzeskraft und entfalten somit eine gewisse Bindungswirkung. Das BVerfG hat in diesem Zusammenhang aber klargestellt, daß höchstrichterliche Urteile kein Gesetzesrecht sind und keine damit vergleichbare Rechtsbindung erzeugen. 329 Von ihnen abzuweichen, verstoße grundsätzlich nicht gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Ihr Geltungsanspruch über den Einzelfall hinaus beruhe vielmehr allein auf der Uberzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und Kompetenz des Gerichts. Eine strikte Präjudizienbindung lehnt das BVerfG damit ausdrücklich ab. Andernfalls wären die Gerichte an eine einmal feststehende Rechtsprechung gebunden, auch wenn diese sich im Lichte geläuterter Erkenntnis oder angesichts des Wandels der sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Verhältnisse als nicht haltbar erweist. 330 Anders als beim Gesetz besteht beim Richterspruch die jederzeitige Möglichkeit der formlosen Kassation kraft besserer Einsicht. 331 Deutet man den Ausdruck Recht in Art. 20 Abs. 3 GG als Präjudiz, müßte man zudem im Grunde eine unbedingte Bindung annehmen, ansonsten ließe die Norm den Richter im unklaren über den jeweiligen Bindungsumfang. Eine Auslegung der Rechtsbindung im Sinne einer Präjudizienbindung ist somit grundsätzlich abzulehnen.

C. Zwischenergebnis Die Verfassungsinterpreten sind sich trotz divergierender Ansichten über die Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG im Kontext des Richterrechts weitgehend einig, daß der legitimierende Grund der Rechtsfortbildung in der Gerechtigkeitsfunktion des Rechts liegt. Das BVerfG und ihm folgend die Rechtslehre betonen, daß der Richter, um die Bindung an das Gesetz unter Berufung auf das Recht zu überschreiten, nachweisen muß, daß im Einzelfall das Gesetz seine Funktion, Rechtsprobleme gerecht zu lösen, nicht erfüllt. 332 Richterrecht steht folglich unter dem Gebot der Legitimität und dient der Verwirklichung materialer Gerechtigkeit. 3 3 3 Damit läuft das Problem des Richterrechts auf die Frage hinaus, wie der 328

Larenz, Methodenlehre, S. 430; ablehnend auch v. Münch/ Kunig-Meyer, GG-Kommentar, Bd. 3, Art. 97, Rn. 22; Schmidt-Ränsch, § 25 DRiG, Rn. 13; Picker, Richterrecht oder Rechtsdogmatik - Alternativen der Rechtsgewinnung? - Teil 2, in: JZ 1988, S. 62/72 ff. 3 29 BVerfGE 84, 212/227; 38, 386/396; 1, 89/90; Benda/Klein, Verfassungsprozeßrecht, Rn. 1313. 330 BVerfGE 18, 224/240 f. 331 Picker, Richterrecht oder Rechtsdogmatik, in: JZ 1988, S. 62/73. 332 BVerfGE 34,269 / 287; 42,64/ 72 f.; Maunz/Zippelius, Deutsches Staatsrecht, 30. Aufl., S. 96 f. 333 Vgl. BVerfGE 42, 64 (LS 2)/72f.; K-R Schneider, Richterrecht, S. 37f.

§ 14 Gesetz und Recht im Kontext der Rechtsfortbildung

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Gerechtigkeitsbegriff und der Richtigkeitsmaßstab zu bestimmen sind, was wiederum von dem zugrundeliegenden Rechtsbegriff abhängt. Eine Gesetz und Recht identifizierende, tautologische Auffassung würde hierbei mit den Maßstäben richterlicher Rechtsfortbildung im gesetzesfreien Bereich, im Offenheitsbereich des Rechts in Schwierigkeiten geraten und kann dem Phänomen gesetzesübersteigender Rechtsfortbildung kaum hinreichend Rechnung tragen. Sie müßte im Grunde von der Lückenlosigkeit der Rechtsordnung ausgehen oder vorgeben, die Entscheidungsmaßstäbe stets und allein dem positiven Gesetzes- und Verfassungsrecht zu entnehmen. Daher überzeugt die Tautologie-These auch vor dem Hintergrund des Problemkomplexes Richterrecht nicht. Besser gelingt die Bewältigung des Fragenkomplexes um das Richterrecht, wenn man inhaltliche, an materialer Gerechtigkeit orientierte Maßstäbe fordert. 334 Bei der richterlichen Rechtsfortbildung sind auch die in der Gesellschaft vorherrschenden, veränderlichen Gerechtigkeitsvorstellungen zu berücksichtigen. Die Bindung des Richters an Gesetz und Recht gebietet, daß nicht nur die Akzeptanz, sondern auch Akzeptanzfähigkeit der richterlichen Entscheidungen zu berücksichtigen ist. 3 3 5 Die Auslegung und Fortbildung des Rechts gewinnen an demokratischer Legitimität, wenn sie zum einen an die sich wandelnden Wert-, Gerechtigkeits- und Rechtsvorstellungen rückgebunden werden, zum anderen sind sie aber auch durch rationale Argumentation abzusichern. 336 In der Bindung des Richters an das Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG kann ein Maßstab richterlicher Rechtsfortbildung im gesetzesfreien Bereich gesehen werden. Die Entstehungsgeschichte der Norm liefert zwar keinen unmittelbaren Hinweis darauf, daß die Wendung Gesetz und Recht auf die richterliche Rechtsfortbildung bezogen wurde, dieser Fragenkreis kann aber als ein Dauerproblem im Rechtsstaat bei der Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Recht nicht ausgeklammert werden. Die Norm des Art. 20 Abs. 3 GG gibt dem Richter zum einen die Berechtigung zur Rechtsfortbildung, bildet zum anderen aber auch die Schranke. Der Maßstab der Rechtsfortbildung darf außergesetzlich, aber nicht außerrechtlich sein. Das geltende Recht gründet sich auf eine Fülle außergesetzlicher Bewertungsgrundlagen wie allgemeine Rechtsprinzipien und übergesetzliche Werte, an die auch der Richter gem. Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist.

334 Siehe dazu Kriele, Kriterien der Gerechtigkeit, 1963, S. 33ff. u. 50ff.; ders., Rechtsgewinnung, S. 167 ff. 335 Benda, Zur gesellschaftlichen Akzeptanz verwaltungs- und verfassungsgerichtlicher Entscheidungen, in: DÖV 1983, S. 305/307. 336 Würtenberger, Zeitgeist und Recht, S. 225 f. 13*

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

§ 15 Verfassungsrechtliche Konsequenzen der Deutung des Rechtsbegriffs Die Interpreten legen bei der Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG mehr oder weniger bewußt einen bestimmten Rechtsbegriff zugrunde, ohne weitere verfassungsrechtliche Konsequenzen ihrer Auffassung näher zu erörtern oder zu bedenken. Sowohl die Verfechter einer tautologischen Deutung wie auch die mit der Radbruchschen Formel operierenden Grundgesetzinterpreten machen sich die Auswirkungen, die ihr jeweiliger Standpunkt etwa auf die Frage des Verfassungsänderungsverbots, des Rechtsstaatsverständnisses u. a. hat, nicht immer hinreichend klar.

A. Das Verfassungsänderungsverbot des Art. 79 Abs. 3 GG Art. 79 Abs. 3 GG erklärt die in den Art. 1 und 20 GG niedergelegten Grundsätze für unberührbar und entzieht damit wichtige Grundprinzipien des GG der Verfassungsänderung. Zu den unabänderlichen Grundsätzen des Art. 20 GG zählen auch die dort normierten rechtsstaatlichen Garantien. 337 Es fragt sich, inwieweit die in Art. 20 Abs. 3 GG normierte Gesetzes- und Rechtsbindung der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt der sog. Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG unterfällt. Die Bindung der Staatsgewalt an „Gesetz und Recht" dürfte jedenfalls einen wesentlichen Teil des Rechtstaatsprinzips wiedergeben, wenn nicht sogar den Grundgedanken der Rechtsstaatlichkeit zum Ausdruck bringen. 338 Nach allgemeiner Auffassung legt Art. 20 Abs. 3 GG die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und der beiden anderen Gewalten an Gesetz und Recht als Grundsatz i. S. d. Art. 79 Abs. 3 GG nieder. 339 Wenn man der Rechtsbindung neben der Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG noch eine eigenständige Bedeutung zuerkennt, sind beide als Kernbestand der Rechtsstaatlichkeit der Verfassungsänderung entzogen. Wer hingegen Gesetz und Recht i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG als ein Begriffspaar von streng tautologischem 337 γ. Münch/Yjxmg-Bryde, GG-Kommentar, Bd. 3, Art. 79 GG, Rn. 42ff.; Ρ Kirchhof, Die Identität der Verfassung in ihren unabänderlichen Inhalten, in: HBStR I, § 19, Rn. 73; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 79, Rn. 11. Hingegen genießt das Rechtsstaatsprinzip als solches nicht insgesamt Bestandsschutz vor dem Verfassungsgesetzgeber, siehe Sachs-Lücke, GG-Komm., Art. 79, Rn. 46. 338 Degenhart, Staatsrecht I, Rn. 208; Bleckmann, Staatsrecht I, Rn. 392; Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 33; v. Münch/Kunig-Schnapp, GG-Komm., Bd. 1, Art. 20, Rn. 43; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 77 zufolge spricht der Wortlaut des Art. 20 Abs. 3 GG nur einen „Teilaspekt der dem Rechtsstaatsprinzip zugeordneten Norminhalte" an. 339 Vgl. BVerfGE 30, 1 /28; Sachs -Lücke, Art. 79 GG, Rn. 46; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 79, Rn. 48; Ρ Kirchhof, Die Identität der Verfassung, in: HBStR I, § 19, Rn. 73; Stern, Staatsrecht I, S. 655; Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 317.

§ 15 Verfassungsrechtliche Konsequenzen des Rechtsbegriffs

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Charakter deutet, müßte schlußfolgern, daß eine Streichung des Zusatzes ,und Recht' verfassungsrechtlich zulässig ist. Hält man das Recht mit der Gesamtheit der Gesetze einschließlich des Gewohnheitsrechts für identisch, würde die Gesetzesbindung der Zweiten und Dritten Gewalt als Kern des Rechtsstaatsprinzips den normativen Gehalt des Art. 20 Abs. 3 GG ausmachen. Dann müßte man annehmen, daß die Rechtsbindung nicht essentieller Bestandteil der rechtsstaatlichen Garantien des Art. 20 Abs. 3 GG ist und insofern nicht zu den unabänderlichen Grundsätzen i. S. d. Art. 79 Abs. 3 GG zählt. Eine Verfassungsänderung in Form einer ersatzlosen Streichung des Zusatzes „und Recht" wäre dann durch Art. 79 Abs. 3 GG im Prinzip nicht ausgeschlossen und möglicherweise sogar empfehlenswert. Denn die Verfechter einer positivistisch-tautologischen Deutung des Art. 20 Abs. 3 GG halten das Recht neben dem Gesetz für entbehrlich und unter Umständen gar gefährlich, da der Begriff erhebliche Auslegungsschwierigkeiten bereitet und der Richter sich dadurch ermächtigt sehen könnte, das Gesetz beiseitezuschieben und subjektivistische Gerechtigkeitsvorstellungen zu verfolgen. Wenn der Begriff also zu mißbräuchlicher Auslegung verleitet, wie die Tautologen befürchten, sollte er besser gestrichen werden. Auf diese Weise könnten sich die Probleme um die undeutliche, mysteriöse Formulierung des Art. 20 Abs. 3 GG lösen. Eine derartige Konsequenz wird indessen soweit ersichtlich im Schrifttum nirgends gezogen. Auch diejenigen, die dem Begriffspaar Gesetz und Recht tautologischen Charakter bzw. eine Tendenz zur Tautologie bescheinigen, ziehen eine Streichung der Worte ,und Recht' nicht in Erwägung. Vielmehr gehen sie im Kontext des Art. 79 Abs. 3 GG wie selbstverständlich davon aus, daß die Grundlagen der rechtsstaatlichen Ordnung, insbesondere die Bindung der vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung an Gesetz und Recht einer Verfassungsänderung entzogen sind 3 4 0 oder nehmen an, daß die von Art. 79 Abs. 3 GG in Bezug genommenen Normen in vollem Umfang Schranken für Verfassungsänderungen darstellen. 341 Daß man die Gesetzes- und Rechtsbindung der Staatsgewalt offenbar für unabänderlich und daher eine Streichung des Passus ,und Recht' für verfassungsrechtlich unzulässig hält, zeigt, daß die Tautologie-These, jedenfalls in ihrer engen Variante, nicht konsequent durchdacht ist und der Rechtsbindung des Art. 20 Abs. 3 GG im Grunde doch eine gewisse Bedeutung beigemessen wird. Die These der Identität von Gesetz und Recht erweist sich somit auch unter dem Aspekt der Auswirkung auf das Verfassungsänderungsverbot des Art. 79 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 20 GG als nicht überzeugend.

B. Das grundgesetzliche Rechtsstaatsprinzip Der Begriff Rechtsstaat taucht - abgesehen von seiner Erwähnung in den Landesverfassungen - im GG ausschließlich in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG auf. Indessen 340 Hesse, Grundzüge, Rn. 705; Kirchhof, Identität der Verfassung, in: HBStR I, § 19, Rn. 73. 341 Pieroth, in: Jarass / Pieroth, GG-Kommentar, Art. 79, Rn. 7.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

ist Art. 20 Abs. 3 GG diejenige Norm, die in Rechtsprechung und Literatur wohl am häufigsten als Sitz des Rechtsstaatsprinzips genannt wird. 3 4 2 Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 20 Abs. 3 GG gibt einen deutlichen Hinweis in diese Richtung. Die jetzige differenzierte Fassung wurde statt des schlicht klingenden Entwurfs Rechtsprechung und Verwaltung stehen unter dem Gesetz4 gewählt, „um die Rechtsstaatlichkeit abzugrenzen" und sie als „Grundlage unseres Grundgesetzes" besser zum Ausdruck zu bringen. 343 Das bedeutet, daß in Art. 20 Abs. 3 GG ein wesentlicher Teil des Rechtsstaatsprinzips niedergelegt ist, wenngleich sich das Prinzip nicht ausschließlich und umfassend aus dieser Norm ergibt. Die Rechtsstaatlichkeit des GG schließt sowohl materielle als auch formelle Elemente ein. Der formelle Rechtsstaatsbegriff besagt, daß alle staatlichen Machtäußerungen anhand von Gesetzen meßbar sein müssen, zentraler Bezugspunkt also das Gesetz ist. 3 4 4 Als ein „nur" formeller Rechtsstaat gilt ein Staat, der sich in der Beachtung von Formelementen wie Gewaltenteilung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Unabhängigkeit der Richter usw. erschöpft. 345 Ein materieller Rechtsstaat kennt daneben auch eine inhaltliche Ausrichtung der Gesetzgebung an einer höheren Normenordnung und sichert sie insbesondere durch die Verfassungsbindung der Gesetzgebung und die Normierung von Grundrechten. 346 Das BVerfG betont in ständiger Rechtsprechung, daß das Rechtsstaatsprinzip des GG sowohl formelle Aspekte wie insbesondere die Rechtssicherheit als auch die materielle Gerechtigkeit als inhaltliche Komponente umfaßt. 347 Auffallend ist, daß die Verfassungsinterpreten, die dem Begriffspaar des Art. 20 Abs. 3 GG lediglich tautologischen Charakter bescheinigen, gewisse Zurückhaltung gegenüber dem Begriff des materiellen Rechtsstaats als eines auf die Idee der Gerechtigkeit bezogenen Staates üben. Ein solcher Rechtsstaatsbegriff sei jedenfalls insoweit unbrauchbar, als Gerechtigkeit im Sinne einer überpositiven Rechtsidee kein möglicher Erkenntnisgegenstand der Rechtswissenschaft sei. 348 342 Dazu Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 76f.; siehe BVerfGE 32, 111 /122; 35, 41 /47; 36, 264/275. 343 Siehe Matz, in: JÖR N.F. 1 (1951), S. 200; dazu oben § 3. 344 v. Münch, Rechtsstaat versus Gerechtigkeit?, in: Der Staat 33 (1994), S. 165/170; Stern, Staatsrecht I, S. 775. 345 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 18. Ein formelles Rechtsstaatsverständnis liegt der bekannten Äußerung der DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley zugrunde: „Wir haben den Rechtsstaat bekommen und Gerechtigkeit gewollt"; dazu v. Münch, Rechtsstaat versus Gerechtigkeit?, in: Der Staat 33 (1994), S. 165 ff. 346 Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 19. 347 BVerfGE 25, 269/290; 35, 41/47; 49, 148/164; 52, 131/144f.; ebenso SchmidtAßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 19. 348 γ. Münch / Kunig-Schnapp, GG-Kommentar, Bd. 1, 4. Aufl. 1992, Art. 20, Rn. 22; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 16; vgl. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 335 ff.: Danach geben die Grundrechte abschließend darüber Aufschluß, was das GG unter materieller Gerechtigkeit versteht, sie zeichnen ein „lückenloses Gerechtigkeitsbild".

§ 15 Verfassungsrechtliche Konsequenzen des Rechtsbegriffs

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Es kann danach von einem materiellen Rechtsstaat des GG nur insofern gesprochen werden, als man sein Charakteristikum in der Gewaltenteilung und der Gewährung von Grundrechten erblickt und die Gerechtigkeitsfrage aus der Verfassung selbst zu lösen sucht. Entsprechend sehen die Verfechter der TautologieThese in der Bindung der Staatsgewalt an Gesetz und Recht vorwiegend ein formelles Element der Rechtsstaatlichkeit.349 Diejenigen hingegen, die den Ausdruck Recht offener deuten, betonen die materielle Komponente des Rechtsstaats, die in dem Bindungsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG liegt. Danach greift das Rechtsstaatsprinzip des GG über den formalen Rechtsstaat hinaus und hat im GG eine Eigenprägung, eine neue Dimension erfahren, die in Art. 1 Abs. 3, 79 Abs. 3 GG und nicht zuletzt in der Verknüpfung von Gesetz und Recht in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommt. 350

I. Integrales und summatives Rechtsstaatsverständnis

Unterschiedlich ist auch das Verständnis des grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzips, je nachdem ob man von einem engen rechtspositivistischen oder einem offeneren Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG ausgeht. Hier stehen sich das integrale und das summative bzw. additive Rechtsstaatsverständnis gegenüber. 351 Nach dem integralen Verständnis ist das Rechtsstaatsprinzip nicht eine bloße Sammelbezeichnung für einzelne Gewährleistungen des Verfassungsrechts, sondern ein Prinzip mit einem eigenständigen, über die positivrechtlichen Konkretisierungen hinausgehenden dogmatischen Gehalt. 352 Ihm kommt gegenüber anderen Verfassungsnormen aufgrund seiner Eigenschaft als Prinzip ein besonderer Status zu. Die durch den Prinzipiencharakter implizierte Offenheit und Abwägungsfähigkeit ermöglicht auch, daß in ihm mehrere vertretbare Auffassungen einen Platz finden können. 353 Das Rechtsstaatsprinzip als Staatsstrukturprinzip stellt - nach der insbesondere von Alexy ausgearbeiteten Prinzipienlehre - ein Optimierungsgebot dar und nicht lediglich eine Rechtsregel i. S. e. normativen Festsetzung. Auf ein 349 Meyn, Kontrolle als Verfassungsprinzip, S. 319 zufolge kommt in Art. 20 Abs. 3 GG das formale Element des Rechtsstaatsprinzips zum Ausdruck. 3 50 Stern, Staatsrecht I, S. III u. 775: „Materielle Rechtsstaatlichkeit heißt freilich nicht, die Form über Bord zu werfen und den Inhalt alles sein zu lassen. Worum es geht, ist lex und ius in Einklang zu halten". Vgl. Herzog, in: Maunz /Dürig, GG-Komm., Art. 79, Rn. 48; Hermes, Bereich des Parlamentsgesetzes, S. 57. 3

51 Dazu Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 7; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 86 ff., 417 ff.; Christoph Görisch, Die Inhalte des Rechtsstaatsprinzips, in: JuS 1997, S. 988/991. 3 52 BVerfGE 2, 380/403; 30, 1/24f.; Herzog, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20,1, Rn. 29 und VII, Rn. 30ff.; Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: HBStR I, § 24, Rn. 2 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 20, Rn. 29; Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 414 f. 3 53 Benda, Der soziale Rechtsstaat, in: HBdVerfR, 2. Aufl., § 17, Rn. 100.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

umfassenderes Verständnis scheint auch das BVerfG abzuzielen, wenn es das Rechtsstaatsprinzip zu den „allgemeinen Grundsätzen und Leitlinien des GG" zählt, die die Verfassung „nicht zu einem besonderen Rechtssatz verdichtet hat", das sich vielmehr aus einzelnen besonderen verfassungsrechtlichen Regelungen sowie aus der Gesamtkonzeption des GG ergibt. 354 Weiter geht das BVerfG von einem Verfassungsgrundsatz aus, der der Konkretisierung bedarf und weist auf die „im Rechtsstaatsprinzip selbst angelegten Gegenläufigkeiten" hin 3 5 5 , was eher auf ein integrales Verständnis des grundgesetzlichen Rechtsstaats hindeutet. Mit dem integralen Rechtsstaatsverständnis ist meist ein nichtpositivistischer oder zumindest ein nicht ganz eng verstandener Begriff des Rechts verbunden. Dementsprechend wird in der Gesetzes- und Rechtsbindung der Staatsgewalt gem. Art. 20 Abs. 3 GG ein materielles Rechtsstaatselement gesehen. Eine tautologisch-positivistische Interpretation der Formel des Art. 20 Abs. 3 GG wäre mit einem solchen „offenen" Rechtsstaatsverständnis kaum kompatibel. Die Gegenposition, vertreten insbesondere von Kunig, begreift das Rechtsstaatsprinzip nicht als allgemeinen verfassungsrechtlichen Rechtsgrundsatz, sondern als additives Prinzip. Danach ergibt es sich aus der Zusammenschau verschiedener Regelungen des GG wie z. B. Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 1 und Abs. 3, 28 Abs. 1, 97 GG und erschöpft sich auch darin. 356 Es stellt also lediglich eine Sammelbezeichnung für einzelne normative Gewährleistungen dar und reicht nicht weiter als die Gesamtheit der verfassungsrechtlich belegbaren Einzelforderungen. Für Forderungen aus einem allgemeinen überpositiven Rechtsstaatsprinzip ist kein Raum. Alle rechtsstaatlichen Fragestellungen lassen sich danach durch einzelne positivrechtliche Normen beantworten, der Rückgriff auf ein dahinterstehendes Prinzip des Rechtsstaates ist methodisch verwehrt. Mit der summativen Deutung verbindet sich ein Verständnis des Rechtsstaatsprinzips als Rechtsregel, als normative Festsetzung. Ein solches Rechtsstaatsverständnis geht meist mit einem positivistischtautologisch verstandenen Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG einher. 357

II. Rechtsbegriff und Rechtsstaatsverständnis

Gegen ein integrales Verständnis, das den Rechtsstaat als Prinzip bzw. Optimierungsgebot begreift, kann zunächst eingewandt werden, daß das Rechtsstaats354

BVerfGE 2, 380/403 spricht von den Leitlinien, die der Verfassunggeber, weil sie das „vorverfassungsmäßige Gesamtbild" geprägt haben, nicht zu einem besonderen Rechtssatz verdichtet hat; BVerfGE 25, 269/290; 45, 187/246; 49, 148/164; 52, 131 /144ff. 3 55 BVerfGE 57, 250/274ff.; 35, 41/47. 356 Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, insbes. S. 293 ff.; v. Münch/Kunig-Schnapp, GGKommentar, Bd. 1, Art. 20, Rn. 24ff.; dazu Görisch, Die Inhalte des Rechtsstaatsprinzips, in: JuS 1997, S. 988/991 f. 3 57 Siehe v. Münch/ Kunig-Schnapp, GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 20, Rn. 43; Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 5; Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, S. 16, 22.

§15 Verfassungsrechtliche Konsequenzen des Rechtsbegriffs

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prinzip bei einem sehr weiten Verständnis leicht zu einer mit beliebigen Inhalten ausfüllbaren „Supergeneralklausel" gerät und insoweit einen Konturenverlust erleidet. 358 Andererseits bietet eine offene, flexiblere Deutung des Rechtsstaatsprinzips Raum für verfassungsrechtlich unverzichtbare Abwägungen, wie ζ. B. zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit, und kann bestimmten Fallkonstellationen, die nicht in eindeutiger Weise entscheidbar sind, besser gerecht werden. Das additive Rechtsstaatsverständnis gelangt demgegenüber zwar, wie seine Verfechter betonen, auf den ersten Blick durchaus zu klareren, rechtlich belegbaren Lösungen. Zweifelhaft erscheint aber, ob es auch in schwierigeren Fällen genügend Möglichkeiten zur einer befriedigenden Lösung bietet. Ein Vorteil des integralen Rechtsstaatsverständnisses liegt gerade darin, daß sich aus dem Verfassungsgrundsatz Ausprägungen entwickeln lassen, die in den einzelnen rechtssatzmäßigen Konkretisierungen nicht enthalten sind, wie ζ. B. das Bestimmtheitsgebot, Ubermaßverbot oder die Verfahrensgerechtigkeit. 359 Im Hinblick auf diese nicht ausdrücklich im GG normierten Unterprinzipien des Rechtsstaatsprinzips muß die additive Auffassung letztlich doch Rekurs auf ein allgemeines Prinzip nehmen oder die gesamte Problematik auf die Grundrechte verlagern. 360 Gegen eine Deutung des Rechtsstaatsprinzips als lediglich additives Prinzip spricht im übrigen auch der geschichtliche Ursprung. 361 Somit dürfte das Rechtsstaatsprinzip des GG mehr als die Summe der verfassungsrechtlichen Einzelausprägungen darstellen und als Abstraktum neben den einzelnen Konkretisierungen noch eigenständige Bedeutung, gleichsam überschießenden Sinngehalt besitzen. Andernfalls käme auch Art. 20 Abs. 3 GG keine herausgehobene Stellung mehr im Verfassungsgefüge zu. Man müßte sonst annehmen, daß der normative Gehalt durch andere spezielle Regelungen wie Art. 97 Abs. 1 GG u. a. voll eingelöst würde. Schließlich hat das summative Verständnis zur Folge, daß die Rechtsstaatlichkeit dem Schutz des Art. 79 Abs. 3 GG zu einem großen Teil entzogen wäre, da die speziellen rechtsstaatlichen Ausprägungen nicht direkt von Art. 20 GG umfaßt sind. Bezeichnend ist auch, daß die Vertreter der additiven Auffassung sich mit der ,Gesetz und Recht'-Formel des Art. 20 Abs. 3 GG kaum näher beschäftigen oder hierbei zumindest recht oberflächlich argumentieren. So behandelt Kunig in seiner Monographie über das Rechtsstaatsprinzip die Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG nur ganz marginal und kann in dem Begriffspaar allenfalls eine „mysteriöse Alter358 Görisch, Die Inhalte des Rechtsstaatsprinzips, in: JuS 1997, S. 988/991 f.; vgl. Stern, Staatsrecht I, S. 778. 359 Siehe Stern, Staatsrecht I, S. 778. 360 Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 316 ff., 350 ff. zufolge ist ζ. B. das Unterprinzip des Gesetzesvorbehalts und der „gesamte Gedankengang des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit seinen einzelnen Ausprägungen" in den Grundrechten angelegt. Dazu kritisch Görisch, Die Inhalte des Rechtsstaatsprinzips, in: JuS 1997, S. 988/991 f. 361 Zur geschichtlichen Entwicklung des Rechtsstaatsprinzip siehe Stern, Staatsrecht I, S. 764ff.; Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaats, in: Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, S. 229 ff.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

native" erblicken. 362 Verfassungs-, Gesetzes- und Rechtsbindung i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG erscheinen bei ihm weitgehend eins. Die materielle Gerechtigkeit begreift er zwar auch als ein Unterprinzip des Rechtsstaatsprinzips, setzt sie aber nicht zu der Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG in Beziehung. Ebenso bleibt Schnapp, der dem additiven Rechtsstaatsverständnis Kunigs weitgehend folgt, in der Begründung seiner These, daß der Ausdruck ,Gesetz und Recht' eine Tendenz zur Tautologie hat, wie dargelegt, recht vordergründig. 363 Somit sprechen für die Tautologie-These auch unter dem Gesichtspunkt der Konsequenzen für das Verständnis des Rechtsstaatsprinzips keine guten Gründe.

C. Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG Die Verfassungsinterpreten, die von einer Bindung des Richters an das Recht i. S. e. übergeordneten Rechts ausgehen, sehen sich nicht selten dem Einwand ausgesetzt, daß ihre Auffassung zumindest im Bereich des Strafrechts eine Grenze im Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG findet. Daher ist zu klären, inwieweit die Anerkennung der Bindungskraft überpositiven Rechts mit dem nulla poenaGrundsatz vereinbar ist oder anders gesprochen, ob die Regelung des Art. 103 Abs. 2 GG Rückschlüsse auf eine enge, positivistische Interpretation des Rechtsbegriffs des Art. 20 Abs. 3 GG zuläßt. Die Rückwirkungsproblematik ist, wie bereits gezeigt, für die Rechtspraxis bei der Bewältigung des DDR-Unrechts in den Mauerschützenprozessen aktuell geworden. Zu der Frage, ob ein nichtpositivistischer Standpunkt, wonach ein gesetzlicher Rechtfertigungsgrund wegen Verstoßes gegen übergeordnetes Recht unbeachtlich ist, mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar ist, werden verschiedene Ansichten vertreten, die eng mit dem jeweils zugrundegelegten Rechtsbegriff zusammenhängen. 364 Der Streit um das Rückwirkungsverbot ist daher unter dem Aspekt seiner Bedeutung für die Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG zu beleuchten.

I. Bindung an die Faktizität des Rechts?

Extreme Standpunkte vertreten auf der einen Seite Verfechter einer faktenpositivistischen Sichtweise, an ihrer Spitze Jakobs, und auf der anderen Seite Nichtpositivisten wie Alexy, die auf der Grundlage der Radbruchschen Formel operieren. 362 3 3

^

364

Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 5 im Anschluß an Zacher, u. S. 317, 458. v. Münch/ Kunig-Schnapp, GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 20, Rn. 24 ff., 43.

Siehe Alexy, Mauerschützen, S. 30 ff., insbes. S. 31 Fn. 71 m. w. N. Eingehend zur Problematik des Rückwirkungsverbots im Zusammenhang mit den „Mauerschützen"-Fällen Buchner, Die Rechtswidrigkeit der Taten von „Mauerschützen", S. 257 ff. und Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 179 ff.

§15 Verfassungsrechtliche Konsequenzen des Rechtsbegriffs

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Nach Ansicht von Jakobs u. a. verstößt der Einsatz der Radbruchschen Formel im Bereich gesetzlicher Rechtfertigungsgründe gegen das strikt formal zu verstehende Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, wonach die Strafbarkeit im Tatzeitpunkt gesetzlich bestimmt sein muß. Läßt der Richter bei der Entscheidungsfindung einen praktizierten gesetzlichen Rechtfertigungsgrund, mag er auch übergeordneten Normen widersprechen, außer acht, sei dies mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar. 365 Demnach ist im Falle der Mauerschützen die faktische Straflosigkeit der Todesschützen in der DDR im Tatzeitpunkt maßgeblich. Der These liegt eine faktenpositivistische Sichtweise des Rechts zugrunde, die die wirkliche Ordnung in einem Staat als alleinigen Beurteilungsmaßstab nimmt und den Rechtsbegriff damit auf das empirische Moment reduziert. Die Verfechter dieser Auffassung setzen also das Recht mit dem positiven, faktisch geltenden Gesetz gleich und dürften damit bei der Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG zur Tautologie-These tendieren. Das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG schiebt danach der Annahme einer Bindung des Richters an übergeordnetes Recht und damit auch einer nichtpositivistischen Deutung des Begriffspaars Gesetz und Recht - jedenfalls für den strafrechtlichen Bereich - einen Riegel vor. Klarzustellen ist hierbei allerdings, daß aus dem grundgesetzlichen Rückwirkungsverbot nicht generell auf eine Gleichsetzung des Rechts mit dem Gesetz geschlossen werden kann, da im außerstrafrechtlichen Bereich weiterhin Raum für die Anerkennung überpositiven Rechts bliebe. Insoweit liefert die Regelung des Art. 103 Abs. 2 GG, auch wenn man sie wie die Faktenpositivisten strikt formal versteht, zwar ein wichtiges, aber kein zwingendes Argument für die Ansicht, daß das Begriffspaar lediglich von tautologischem Charakter ist. In diese Richtung geht auch die Argumentation Isensees, der im Ergebnis zu einer ähnlichen Auffassung wie Jakobs gelangt, sich jedoch von einer faktenpositivistischen Sichtweise deutlich abgrenzt. Isensee zufolge bricht sich die naturrechtliche Idee der Gerechtigkeit auf dem Felde des Strafrechts an den Formerfordernissen des nulla-poena-Grundsatzes gem. Art. 103 Abs. 2 GG. Vor dem Hintergrund des DDR-Unrechts wendet er ein, daß Strafvorschriften nicht aus ihrem zeitlichräumlichen Kontext gelöst und durch die „unhistorische Interpretationsbrille der rechtsstaatlichen Gegenwart" betrachtet werden dürfen. 366 Seinem Rechtsstandpunkt könne aber, so betont Isensee, nicht der Vorwurf des Positivismus gemacht werden. Vielmehr betrifft seine Position eine andere, rechtspraktische Ebene, es geht nicht um die Frage nach Recht und Unrecht aus der Sicht des Naturrechts, 365

Jakobs, Vergangenheitsbewältigung durch Strafrecht?, in: Isensee (Hrsg.), Vergangenheitsbewältigung durch Recht, 1993, S. 36ff.; ders., Untaten des Staates - Unrecht im Staat, in: GA 1994, S. 1 ff.; Pawlik, Strafrecht und Staatsunrecht, in: GA 1994, S. 472ff.; Saliger, Radbruchsche Formel, S. 38; Pieroth, Der Rechtsstaat und die Aufarbeitung der vor-rechtsstaatlichen Vergangenheit, in: VVDStRL 51 (1992), S. 103 f.; Dannecker, Die Schüsse an der innerdeutschen Grenze, in: Jura 1994, S. 585/594 f.; im Ergebnis ähnlich, aber weit weniger fundamental Isensee, Nachwort, in: ders. (Hrsg.) Vergangenheitsbewältigung, S. 91 /106. 366 Isensee, Nachwort, in: Vergangenheitsbewältigung durch Recht, hrsg. von dems., S. 91/106 f.

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sondern darum, unter welchen Bedingungen der Rechtsstaat seine schärfste Sanktion, die Strafe, einsetzen darf. Im Bereich der strafrechtlichen Aufarbeitung von Systemunrecht müssen danach also Gerechtigkeitsbelange hinter Formalerfordernissen zugunsten individueller Freiheit zurücktreten, ohne daß dieser Standpunkt im ganzen als streng rechtspositivistisch deklariert werden kann. Hieraus wird deutlich, daß diejenigen, die das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG strikt formal verstehen, nicht notwendig für einen positivistischen Rechtsbegriff und für die Tautologie-These im Rahmen des Art. 20 Abs. 3 GG optieren müssen.

II. Grundgesetzliches Rückwirkungsverbot und Radbruchsche Formel

Einen zu Jakobs diametral entgegengesetzten Standpunkt vertritt Alexy, der für einen Rechtsbegriff eintritt, der auch inhaltliche Richtigkeit impliziert und im wesentlichen dem Rechtsbegriff der Radbruchschen Geltungsthesen entspricht. 367 Danach wird durch die Anwendung der Radbruchschen Formel auf extrem ungerechte gesetzliche Rechtfertigungsgründe Art. 103 Abs. 2 GG nicht verletzt, da die Rechtslage gar nicht rückwirkend geändert, sondern nur festgestellt wird, was bereits damals Recht war. Dies sei gerade der „Witz der Radbruchschen Formel", die das Recht nicht mit der Faktizität identifiziert, sondern an der Schwelle zum extremen Unrecht eine Grenze setzt, indem sie den Rechtscharakter entfallen läßt. 368 Andernfalls würde ihre Anwendung im Bereich des Strafrechts stets am „nulla poena"-Grundsatz scheitern. Zudem sei ein wesentlicher Grund für den Einsatz der Radbruchschen Formel, daß sie einen „Risikoeffekt" erzeugt für Täter in einem Unrechtssystem, die die Möglichkeit einer späteren strafrechtlichen Verfolgung ihrer Taten nach dem Zusammenbruch des Systems durchaus in ihre Erwägungen einbeziehen könnten, zumal mit Entstehen und Untergang von Unrechtssystemen immer wieder zu rechnen sei. 369 Das Vertrauen auf das Fortbestehen des Unrechtsregimes verdient jedenfalls keinen Schutz. Insoweit kommt der Bestrafung derjenigen, die in einem Unrechtsregime gesetzlich gedecktes extremes Unrecht begangen haben, auch generalpräventive Wirkung zu. Schließlich würden sonst die in ihren fundamentalen Rechten verletzten Opfer für schutzlos erklärt. Der Aspekt des Opferschutzes wird im Schrifttum vereinzelt auch zu einem verfassungsrechtlichen Argument ausgeformt, indem das rechtsstaatliche Dilemma 367

Alexy, Mauerschützen, S. 30 ff., insbes. S. 33, Fn. 79; vgl. Buchner, Rechtswidrigkeit von Taten der „Mauerschützen", S. 283 ff.; Hruschka, Die Todesschüsse an der Berliner Mauer vor Gericht, in: JZ 1992, S. 665 ff.; F.-Chr. Schroeder, Zur Strafbarkeit von Tötungen in staatlichem Auftrag, in: JZ 1992, S. 990ff. Siehe auch LG Berlin, JZ 1992, 691/694 Mauerschützen - , das einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG verneint, da „andernfalls der Rechtssatz von der Nichtigkeit (sc. extrem ungerechter Rechtfertigungsgründe) ins Leere" liefe. 368

Alexy, Mauerschützen, S. 33; vgl. Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 221 f. Hierzu und zum folgenden Alexy, Mauerschützen, S. 34ff.; vgl. Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 239. 369

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des Rückwirkungsverbotes durch eine verfassungsimmanente Einschränkung des Art. 103 Abs. 2 GG gelöst wird. So nimmt man teilweise eine staatliche Pönalisierungspflicht aufgrund der aus Art. 2 Abs. 2 GG ableitbaren Schutzpflicht des Staates für das menschliche Leben an, die gem. Art. 1 Abs. 3 GG auch für die Judikative gilt. Das grundrechtsgleiche Recht aus Art. 103 Abs. 2 GG erweise sich als abwägungsfähig und gelte nicht absolut. 370 Dieser Ansatz zeigt, daß auch mit den Mitteln der Verfassungsdogmatik - ohne Rückgriff auf die Radbruchsche Formel eine einschränkende Auslegung des Rückwirkungsverbots gem. Art. 103 Abs. 2 GG in Ausnahmefällen als möglich erscheint. Aus den dargelegten Konzeptionen Alexy s u. a. wird deutlich, daß eine nichtpositivistische Interpretation des Verhältnisses von Gesetz und Recht nicht notwendig in Widerspruch zu dem strafrechtlichen Rückwirkungsverbot geraten muß. Ein an der Radbruchschen Formel orientierter Rechtsbegriff, der nicht die faktische Handhabung des Rechts zum alleinigen Bezugspunkt des Art. 103 Abs. 2 GG macht, zielt danach geradezu auf eine Bestrafung für extremes Unrecht.

I I I . Stellungnahme

Sowohl die extreme Position Jakobs als auch die Konzeption Alexys begegnen einigen Einwänden. Dem Standpunkt Jakobs ist entgegenzuhalten, daß eine ausschließlich an der faktischen Rechtslage orientierte Sichtweise den Rechtsbegriff aus einem sehr eingegrenzten Blickwinkel und damit insgesamt nur unzulänglich erfaßt. Zwar darf die Wirklichkeit des Rechts bei der Rechtsfindung nicht gänzlich unbeachtet bleiben, auch muß ihr der Richter in gewissem Rahmen Rechnung tragen. An der Position Jakobs scheint aber bedenklich, daß die reine Faktizität zum ausschließlichen Geltungskriterium des Rechts und zum Bezugsrahmen des Art. 103 Abs. 2 GG erhoben und damit letztlich auch die Rechtsstaatlichkeit des GG auf die formelle Komponente reduziert wird. 3 7 1 Die nichtpositivistische Position Alexys trägt demgegenüber zwar den verschiedenen Ebenen des Rechts besser Rechnung, verliert dabei allerdings bisweilen die Rechtswirklichkeit zu sehr aus den Augen. Dies zeigt sich insbesondere bei der Argumentation mit dem „Risikoeffekt' 4, den die Radbruchsche Formel für Täter in einem Unrechtssystem erzeuge, der aber wohl nur sehr abstrakt existiert. Auch wenn man die Möglichkeit der Beseitigung eines totalitären Systems und späterer strafrechtlicher Konsequenzen durchaus in Erwägung ziehen kann, ist doch für den einzelnen, der in einer Diktatur an extremem Unrecht teilnimmt, der Untergang 370

Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 212 ff. gegen die h. M., die annimmt, daß das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG der Abwägung nicht zugänglich ist. Vgl. SchmidtAßmann, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 103, Abs. II, Rn. 167, 177; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 1095 ff. 371 Mit Recht kritisch zu der Faktizitätsthese Jakobs auch Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 202 f.

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des Systems konkret kaum vorstellbar. Insoweit erscheint die nichtpositivistische Argumentation teilweise wirklichkeitsfremd. Zweifelhaft ist auch, ob - wie von Alexy behauptet - der „Witz' 4 der Radbruchschen Formel gerade in der Ermöglichung einer späteren Bestrafung der Täter liegt. Radbruch selbst schwankte hinsichtlich der Frage, welche Konsequenzen aus seinen Rechtsgeltungsthesen für das strafrechtliche Rückwirkungsverbot - selbstverständlich noch ohne Bezug auf Art. 103 Abs. 2 GG - zu ziehen sind. 372 Für die Lösung der Fragen um den Rechtsbegriff und das grundgesetzliche Rückwirkungsverbot ist zunächst festzuhalten, daß die Bestimmung des Art. 20 Abs. 3 GG selbst Elemente der materiellen und formellen Rechtsstaatlichkeit umgreift. Aus der Norm wird als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips das allgemeine Rückwirkungsverbot abgeleitet; Art. 103 Abs. 2 GG stellt eine spezielle Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips dar und liefert gewissermaßen bereits das Ergebnis der Abwägung zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit für den strafrechtlichen Bereich zugunsten des formellen Elements. Daraus läßt sich allerdings noch nicht zwingend folgern, daß die materielle Komponente des Art. 20 Abs. 3 GG hinter der speziellen Regelung des Rückwirkungsverbotes ganz verschwindet. Für den Normalfall liefert Art. 103 Abs. 2 GG insoweit bereits die Lösung, als der Rechtssicherheit der Vorrang vor der materiellen Gerechtigkeit im Bereich des Strafrechts, das wesentlich auf dem Gedanken der Gesetzlichkeit beruht, eingeräumt wird. Der Rechtsstaat würde aber in einen Selbstwiderspruch geraten, wenn er von seinen Gerichten die Bindung an rechtsstaatswidriges positives Recht ausnahmslos verlangt. 373 Dies wäre mit der vornehmsten Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt, auch materielle Gerechtigkeit zu verwirklichen, und dem in Art. 20 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommenden Gedanken der Rechtsstaatlichkeit, die auch materielle Aspekte umgreift, nicht vereinbar. Auch aus verfassungssystematischen Gründen hat daher die Auslegung des Art. 103 Abs. 2 GG im Lichte der Grundsatzbestimmung des Art. 20 Abs. 3 GG zu erfolgen und dürfte danach das Rückwirkungsverbot nicht bloß strikt formal zu verstehen sein. Jedenfalls kann aus dem nulla poena-Grundsatz nicht zwingend eine positivistische Deutung des Rechtsbegriffs des Art. 20 Abs. 3 GG geschlußfolgert werden und liefert Art. 103 Abs. 2 GG auch kein Argument für eine tautologische Interpretation von Gesetz und Recht.

372 Radbruch, Gesetz und Recht, in: G.R.G., Bd. 3, S. 96 f.; ders., Zu dem internationalen Entwurf der Menschenrechte, in: Neues Europa 2 (1947), S. 11 f.; siehe dazu bereits oben § 2 D. 373 Hruschka, Die Todesschüsse, in: JZ 1992, S. 665 / 669; ihm zustimmend Rosenau, Tödliche Schüsse, S. 239; Büchner, Die Rechtswidrigkeit der Taten von „Mauerschützen'4, S. 284 f.; vgl. auch Fiedler, Stillstand oder Fortentwicklung des Rechtsstaatsprinzips, in: FSJahr, S. 71 / 89 f.

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D. Die Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG und das Widerstandsrecht Das Verständnis des Rechtsbegriffs des Art. 20 Abs. 3 GG hat darüber hinaus Konsequenzen für das Problem des Widerstandsrechts und des sog. zivilen Ungehorsams unter der Geltung des GG. Die Frage, wie der Staat auf „zivilen Ungehorsam" zu reagieren hat, wird sogar als ein Prüfstein für das Spannungsverhältnis zwischen Gesetz und Recht in der Praxis der Exekutive angesehen.374 In diesem Rahmen ist zunächst zu differenzieren zwischen dem - im Zuge der Notstandsgesetzgebung 1968 - in Art. 20 Abs. 4 GG positivierten Recht auf Widerstand und dem sog. zivilen Ungehorsam als dem Protest gegen einzelne, als ungerecht empfundene Akte der Staatsgewalt in einem im übrigen funktionsfähigen Rechtsstaat.375 Ersteres wird auch als „großes Widerstandsrecht" der Ausnahmelage charakterisiert, letzteres als das „kleine" Widerstandsrecht der Normallage. 376 Art. 20 Abs. 4 GG gibt die Notbefugnisse, um die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen, wenn keine intakte staatliche Organisation zur Verteidigung der Grundordnung mit legalen Mitteln mehr vorhanden ist. Der Widerstand ist danach nur zulässig gegen eine Beseitigung derjenigen Bestandteile der Verfassung, die, in Art. 20 Abs. 1 - 3 GG bezeichnet, die freiheitliche demokratische Grundordnung des GG konstituieren und durch Art. 79 Abs. 3 GG jeder Verfassungsänderung entzogen sind. 377 Zu dem durch Art. 79 Abs. 3 GG geschützten Kernbestand zählt auch die Bindung der Staatsgewalt an Gesetz und Recht als ein Wesensmerkmal des Rechtsstaats. Hierbei ist allerdings zu beachten, daß nicht in jeder einzelnen Gesetzesverletzung durch Rechtsprechung oder vollziehende Gewalt ein Unternehmen i. S. d. Art. 20 Abs. 4 GG gesehen werden kann, das darauf ausgeht, die in Art. 20 Abs. 3 GG vorgesehene Gesetzes- und Rechtsbindung zu beseitigen. 378 Gegen die Einfügung des Art. 20 Abs. 4 GG ist von Beginn an geltend gemacht worden, daß das Widerstandsrecht der Positivierung weder bedürftig noch 374

R. Dreier, Der Rechtsstaat im Spannungsverhältnis, in: ders., Recht-Staat-Vernunft, S. 73/89; siehe auch Stefan Langer, Staatliches Gewaltmonopol und „ziviler Ungehorsam", in: Rechtstheorie 17 (1986), S. 220 ff., insbes. S. 227. 37 5 Vgl. BVerfGE 73, 206/250 ff.; Thomas Laker, Ziviler Ungehorsam und bundesdeutsches Verfassungsrecht, in: Juristische Logik, Rationalität und Irrationalität im Recht, hrsg. von André-Jean Arnaud (u. a.), Rechtstheorie Beiheft 8, 1985, S. 333/334 ff. 376 R. Dreier, Widerstandsrecht im Rechtsstaat? Bemerkungen zum zivilen Ungehorsam, in: FS-Scupin, S. 573/583; Hassemer, Ziviler Ungehorsam - Ein Rechtfertigungsgrund?, in: FS-Wassermann, S. 325/326; A. Kaufmann, Das Widerstandsrecht der kleinen Münze, in: ders., Beiträge zur juristischen Hermeneutik, S. 197/203. 377 Siehe Hesse, Grundzüge, Rn. 758; Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht. Eine staatsrechtliche Analyse des Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz, 1969, S. 17. 378 H Schneider, Widerstand im Rechtsstaat, 1969, S. 14; Isensee, Das legalisierte Widerstandsrecht, S. 17 stellt fest, daß eine „pauschale Garantie aller Rechtsnormen ... auch nicht durch die in Art. 20 III GG statuierte Bindung an ,Gesetz und Recht' geschaffen" werde mit der nicht ganz klaren Begründung, daß „Gesetz und Recht grundsätzlich abänderbar" seien.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

zugänglich sei und sogar die Gefahr des Mißbrauchs mit sich bringe. 379 Das Widerstandsrecht sei entweder naturrechtlich begründet und gelte daher ohnehin kraft höheren Rechts oder aus einer Interpretation der grundsätzlichen, konstituierenden Rechtsprinzipien unserer Verfassungsordnung abzuleiten.380 Als überflüssig erscheint es zudem, da bei erfolglosem Angriff auf die in Art. 20 Abs. 1 - 3 GG niedergelegten Grundsätze der Verfassungsordnung es einer nachträglichen Rechtfertigung der Verteidigungshandlungen nicht bedarf und anderenfalls, wenn der Angriff erfolgreich ist, die Abwehrmaßnahmen nicht mehr an Art. 20 Abs. 4 GG gemessen werden. 381 Art. 20 Abs. 4 GG setzt also eine Situation voraus, in der die in Art. 20 Abs. 1 - 3 GG statuierten Grundsätze bereits außer Kraft gesetzt sind bzw. solches droht und der legale Abwehrmechanismus der Normallage nicht mehr effektiv oder ganz ausgeschaltet ist. Mehr Schwierigkeiten als das in Art. 20 Abs. 4 GG positi vierte Widerstandsrecht bereitet jener Widerstand außerhalb oder im Randbereich des Art. 20 Abs. 4 GG, der keine explizite Regelung im GG gefunden hat. Die Verfassungsnorm des Art. 20 Abs. 4 GG enthält keine abschließende Regelung des Widerstandsfalls 382, so daß neben dem konservierenden Widerstandsrecht auch der Protest gegen einzelne staatliche Ungerechtigkeiten unter bewußter Regelverletzung in Betracht zu ziehen ist. Ziviler Ungehorsam ist seinem Selbstverständnis nach darauf gerichtet, Ungerechtigkeit anzuprangern und dadurch den Gerechtigkeitsgehalt des GG zur Geltung zu bringen. 383 Daß die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Recht auch in der verfassungsrechtlichen Normallage eines Rechtsstaats, der Grundrechtsbindung der Staatsgewalt und weitere Gewährleistungen materieller Gerechtigkeit in seine Verfassung aufgenommen hat, nicht gänzlich verschwunden ist, zeigen insbesondere die öffentlichen Proteste im Zuge der Friedens- und Umweltschutzbewegungen.384 Je nachdem wie das Verhältnis von Gesetz und Recht gem. Art. 20 379 γ. Münch/Kunig-Schnapp, GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 20, Rn. 58 m. w. N.; Hesse, Grundzüge, Rn. 760. 380 R. Dolzer, Der Widerstandsfall, in: HBStR VII, § 171, Rn. 11; Isensee, Legalisiertes Widerstandsrecht, S. 8 f. bezeichnet das „Naturrecht" als „die eigentliche Quelle dieses ungeschriebenen Rechts"; Hesse, Grundzüge, Rn. 760; Karpen, „Ziviler Ungehorsam" im demokratischen Rechtsstaat, in: JZ 1984, S. 249/251. Das BVerfG hat - vor Einfügung des Art. 20 Abs. 4 GG - die Frage, ob ein „Widerstandsrecht gegen einzelne Rechtswidrigkeiten" grundgesetzlich zu begründen sei und ob überhaupt ein Bedürfnis danach bestehe, offen gelassen, siehe BVerfGE 5, 85 / 376 ff. - KPD-Urteil - . 381 Hesse, Grundzüge, Rn. 760; v. Münch / Kunig-Schnapp, GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 20, Rn. 58 ff.; Enders, Bürgerrecht auf Ungehorsam? Von den Grundlagen und Grenzen bürgerlicher Freiheit, in: Der Staat 25 (1986), S. 351/361: „Ist die Zeit berechtigten Widerstands gekommen, besteht der Rechtsstaat nicht mehr." 382 Herzog, in: Maunz /Dürig, GG-Komm., Art. 20, IX, Rn. 9; R. Dreier, Widerstandsrecht im Rechtsstaat, in: FS-Scupin, S. 573/583. 383 R. Dreier, Der Rechtsstaat im Spannungsverhältnis, in: ders., Recht-Staat-Vernunft, S. 73/89.

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Abs. 3 GG bestimmt wird, ob man darin ein tautologisches Begriffspaar sieht oder den Rechtsbegriff nichtpositivistisch deutet, ergeben sich unterschiedliche Konsequenzen für die Frage der Zulässigkeit und Rechtfertigungsfähigkeit zivilen Ungehorsams. Die Verfechter einer strengen Tautologie-These können schwerlich ein Widerstandsrecht außerhalb des Art. 20 Abs. 4 GG unter Berufung auf höheres Recht rechtlich anerkennen, sondern werden strikte Gesetzesbindung und -befolgung fordern. Auf der Grundlage eines tautologischen Verständnisses von Gesetz und Recht stellen Proteste gegen einzelne Ungerechtigkeiten keine Spannung zwischen Legalität und Legitimität, sondern schlichten Gesetzes- und Rechtsbruch dar. 385 Ungehorsamshandlungen, die gegen geltendes Recht verstoßen, sind danach illegale Handlungen, die die gesetzlich vorgesehenen Sanktionen auslösen. Konsequenz einer tautologischen Betrachtungsweise ist, daß ziviler Ungehorsam als Diskussionsgegenstand zwar der Soziologie und Ethik, nicht aber für die Rechtsdogmatik von Relevanz ist. 3 8 6 Die Berufung auf eine Legitimität jenseits der Legalität wird danach nicht gehört, jedenfalls solange die legale Rechtsordnung insgesamt noch funktioniert. Hingegen muß man auf der Grundlage eines nichtpositivistischen Rechtsverständnisses, das eine Bindung an das Gesetz und darüber hinaus an das Recht im Sinne von Gerechtigkeit verlangt, entgegengesetzte Folgerungen für die Rechtfertigungsfähigkeit zivilen Ungehorsams ziehen. Nach nichtpositivistischer Auffassung kann ziviler Ungehorsam u. U. auf der Grundlage eines moralisch angereicherten Rechtsbegriffs nicht nur als ethisch, sondern auch rechtlich gerechtfertigt angesehen werden. 387 R. Dreier hat dabei ein Konzept vorgelegt, wonach Widerstand gegen einzelne, als ungerecht empfundene staatliche Anordnungen sich unter bestimmten Voraussetzungen als grundrechtlich gerechtfertigt erweist. Die grundrechtstheoretische Begründung stellt darauf ab, daß die Verletzung unveräußerlicher Menschenrechte durch Staatsorgane in eng umgrenzten Fällen den Widerstandsfall auslösen kann. Nach diesem Ansatz hat jeder das „Recht, allein oder gemeinsam mit anderen öffentlich, gewaltlos und aus politisch-moralischen Gründen den Tatbestand einer Verbotsnorm zu verletzen, wenn er dadurch gegen schwerwiegendes Unrecht protestiert und sein Protest verhältnismäßig ist". 3 8 8 Der zivile 384 Vgl. Renzikowski, Naturrechtslehre versus Rechtspositivismus, in: ARSP 81 (1995), S. 334/338; Karpen, „Ziviler Ungehorsam", in: JZ 1984, S. 249 ff. 38 5 Siehe v. Münch/Kunig-Schnapp, GG-Kommentar, Bd. 1, Art. 20, Rn. 43, 58, der der Wendung „Gesetz und Recht" gem. Art. 20 Abs. 3 GG eine Tendenz zur Tautologie bescheinigt. 386 Vgl. Denninger, Verfassungsrechtliche Schlüsselbegriffe, in: FS-Wassermann, S. 279/ 281; Hassemer, Ziviler Ungehorsam, in: FS-Wassermann, S. 325/336 ff., 346 f. 387 Siehe R. Dreier, Widerstandsrecht im Rechtsstaat?, in: FS-Scupin, S. 573/593ff.; eingehend Laker, Ziviler Ungehorsam - Geschichte, Begriff und Rechtfertigung, 1986. 388 R. Dreier, Widerstandsrecht im Rechtsstaat?, in: FS-Scupin, S. 573/593 ff.; ders., Der Rechtsstaat im Spannungsverhältnis, in: ders., Recht-Staat-Vernunft, S. 73/90; Laker, Ziviler

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Ungehorsam ist demzufolge nur prima facie illegal, nach Vornahme einer Güterabwägung kann er sich als legale Ausübung von Grundrechten, insbesondere der Gewissens-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit erweisen und damit auch rechtlich gerechtfertigt sein. Dem Dreierschen Ansatz wird vorgeworfen, er ziele auf eine pauschale Rechtfertigung zivilen Ungehorsams oder könne gar als Aufforderung zum Ungehorsam verstanden werden. Dies verkennt allerdings, daß Dreier das Widerstandsrecht an enge dogmatische Voraussetzungen knüpft, indem nur Protest gegen schwerwiegendes Unrecht unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als gerechtfertigt angesehen wird. Zudem will Dreier bei der Bestimmung des schwerwiegenden Unrechts auf den konturenlosen Begriff der Evidenz verzichten und die Grundrechts- und Staatszielbestimmungen, in denen die Hauptprinzipien des neuzeitlichen Vernunftsrechts inkorporiert seien, als Maßstab heranziehen. 389 Einzuräumen ist aber, daß die Voraussetzungen sich im einzelnen als vage und schwer handhabbar erweisen können, sowohl für den einzelnen Bürger als auch in der Praxis der Exekutive. Daher könnten auch Widerstandshandlungen gegen nur vermeintliche, subjektiv empfundene Ungerechtigkeiten für gerechtfertigt gehalten und insoweit die Gefahr des Mißbrauchs heraufbeschworen werden. Der Dreiersche Ansatz führt insoweit zu einer sehr weitgehenden Rechtfertigung zivilen Ungehorsams, wenn nicht strenge Maßstäbe bei der Güterabwägung angelegt und die Rechtfertigung auf enge Ausnahmefälle beschränkt werden. Verdienst seiner Gerechtigkeitstheorie ist es allerdings, offengelegt zu haben, daß parlamentarische Mehrheitsentscheidungen allein nur bedingt eine Annäherung an die Gerechtigkeit gewährleisten können, es vielmehr auch auf die Qualität der vorausgegangenen Argumentationsprozesse ankommt. 3 9 0 Den Vertretern der tautologischen Auffassung von Gesetz und Recht, die die Ebene der moralischen und der rechtlichen Rechtfertigung zivilen Ungehorsam scharf voneinander trennen, ist andererseits entgegenzuhalten, daß sie es sich zu einfach machen, wenn sie das Problem des öffentlichen Protestes gegen staatliche Ungerechtigkeiten als rechtlich irrelevant betrachten und für die Rechtspraxis keine wirkliche Lösung anbieten. Auf diese Weise werden Protestaktionen, die in einzelnen Fällen durchaus berechtigte Anfragen an Inhalt und Form demokratischer Entscheidungen darstellen, nicht ernst genommen.391 Die Verfechter der Tautologie-These schneiden sich damit die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Diskussion und Lösung der Frage des Widerstands im Rechtsstaat selbst ab. Ungehorsam, in: Juristische Logik, Rationalität und Irrationalität im Recht, hrsg. von Arnaud (u. a.), Rechtstheorie Beiheft 8, 1985, S. 333/339 ff.; kritisch gegenüber der Konzeption Dreiers Krawietz, Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus?, in Rechtstheorie 18 (1987), S. 209 ff.; Hassemer, Ziviler Ungehorsam, in: FS-Wassermann, S. 325/336 ff. 389 R. Dreier, Widerstandsrecht im Rechtsstaat?, in: FS-Scupin, S. 573/594 f. 390

Karl-Peter Sommermann, Taugt die Gerechtigkeit als Maßstab der Rechtsstaatlichkeit?, in: Jura 1999, S. 337/340. 39 1 Siehe auch BVerfGE 73, 206/250 ff. - Sitzblockade - unter Hinweis auf die Denkschrift „Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie", 1985, S. 21 f.

§ 16 Verfassungen der neuen Bundesländer und Art. 20 a GG

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§ 16 ,Gesetz und Recht4 in den Verfassungen der neuen Bundesländer und in Art. 20 a GG Die Formulierung ,Gesetz und Recht4, die in der ursprünglichen Fassung des GG ausschließlich in Art. 20 Abs. 3 GG auftauchte, ist nach der Wiedervereinigung Deutschlands in die Verfassungen der neuen Bundesländer eingegangen und hat zudem im Grundgesetz selbst im Zuge der Verfassungsreform von 1994 erneut Aufnahme gefunden (Art. 20 a GG). Zu klären ist, welches Verständnis von Gesetz und Recht die Landesverfassunggeber und der grundgesetzändernde Gesetzgeber bei der Aufnahme der Wendung hatten.

A. Die Wiederholung der Bindungsformel in den Verfassungen der neuen Bundesländer Die seit 1992 erlassenen Verfassungen der neuen Bundesländer enthalten sämtlich einen parallel zu Art. 20 Abs. 3 GG formulierten Grundlagenartikel, der eine Bindung der vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung an Gesetz und Recht vorsieht. 392 Es fragt sich in diesem Zusammenhang, ob die Landesverfassunggeber schlicht in Anlehnung an die Formulierung des Art. 20 Abs. 3 GG die Bindungsformel wiederholt oder aber sie mit gutem Grund gewählt haben, was vor dem politischen Hintergrund des Zusammenbruchs eines totalitären Systems und der erneuten Unrechtsbewältigung naheliegen würde. Darüber hinaus findet sich in den Verfassungen der neuen Bundesländer eine mit Art. 97 Abs. 1 GG übereinstimmende Vorschrift über die richterliche Gesetzesunterworfenheit. Bemerkenswert ist dabei, daß die Brandenburgische Verfassung über die Regelung des GG und der anderen Landesverfassungen hinaus vorsieht, daß der Richter ,nur Recht und Gesetz4 unterworfen ist und damit die Wendung ein weiteres Mal - allerdings in umgekehrter Reihenfolge der Begriffe - verwendet. 393 392

Art. 2 Abs. 5 Verfassung des Landes Brandenburg (1992); Art. 4 Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern (1993); Art. 3 Abs. 3 Verfassung des Freistaates Sachsen (1992); Art. 2 Abs. 4 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt (1992); Art. 47 Abs. 4 Verfassung des Freistaates Thüringen (1993). Während Art. 20 Abs. 3, 2. HS GG in den Landesverfassungen wörtlich übernommen ist, wird die in Art. 20 Abs. 3, 1. HS GG normierte Bindung der Gesetzgebung unterschiedlich und teilweise abweichend vom GG geregelt. Die sächsische und thüringische Verfassung übernehmen die Bindung an die verfassungsmäßige Ordnung, die anderen Landesverfassungen sehen hingegen eine Bindung an Bundesrecht und Landesverfassung, an die verfassungsmäßige Ordnung in Bund und Land bzw. an das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und an die Landesverfassung vor. 393 Die Richter sind unabhängig und nur Recht und Gesetz unterworfen (Art. 108 Abs. 1 Verfassung des Landes Brandenburg). Dagegen übernehmen Art. 77 Abs. 2 Verfassung des Freistaates Sachsen, Art. 83 Abs. 2 Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, Art. 76 Abs. 1 S. 2 14*

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht I. Die Genese der einschlägigen landesverfassungsrechtlichen Normen

Aus den entstehungsgeschichtlichen Materialien geht hervor, daß die Aufnahme der Bindungsformel Gesetz und Recht in die Texte der Landesverfassungen nicht sehr intensiv, zudem nicht kontrovers diskutiert wurde. 394 Viele Verfassungsentwürfe einzelner Parteien und Gruppen sahen bereits in Anlehnung an Art. 20 Abs. 3 GG eine Bindung der Landesstaatsgewalt an Gesetz und Recht vor 3 9 5 . Über die Verwendung der Bindungsklausel bestand mithin weitgehend Einigkeit. In den Plenardebatten wurden vielfach eindringliche Bekenntnisse zur Rechtsstaatlichkeit abgelegt, die Unabhängigkeit der Gerichte und der Ausschluß von Gewalt- und Willkürherrschaft beschworen und insbesondere auf die Einfügung der Landesverfassungsbestimmungen in die grundgesetzlichen Strukturen hingewiesen.396 Dabei erörterte man aber kaum eigens die Bindung an Gesetz und Recht, allein in den Beratungen der Sächsischen Verfassung wurde sie angesprochen. Die Untersuchung soll sich daher im wesentlichen auf die Genese des Art. 3 der Sächsischen Verfassung konzentrieren. Der erste vollständige Verfassungsentwurf für den Freistaat Sachsen, der die Diskussionsgrundlage für die weiteren Verfassungsarbeiten bildete, wurde von der sog. Gruppe der 20 am 29. 3. 1990 der Öffentlichkeit vorgelegt. 397 Dieser sah abweichend vom GG in seinem Art. 25 Abs. 2 eine Bindung der Zweiten und Dritten Staatsgewalt an ,diese Verfassung und das durch diese Verfassung begründete geltende Recht' vor und richtete den Bindungsmaßstab somit mehr positivrechtlich aus. Der sog. Gohrischer Entwurf einer Verfassung des Freistaates Sachsen, der in überarbeiteter Fassung am 27. 9. 1990 dem Landtag zugeleitet wurde 398 , knüpfte Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Art. 86 Abs. 2 Verfassung des Freistaates Thüringen wörtlich die Formulierung des Art. 97 Abs. 1 GG. 394 Zur Entstehungsgeschichte der Verfassungen der neuen Bundesländer allgemein siehe Hans von Mangoldt, Die Verfassungen der neuen Bundesländer. Einführung und synoptische Darstellung, 2. Aufl. 1997, S. 25 ff.; Peter Häberle, Der Entwurf der Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR" des Runden Tisches (1990), Textanhang: Verfassungen und Verfassungsentwürfe der neuen ostdeutschen Bundesländer, in: JÖR N.F. 39 (1990), S. 319 ff. 395

Z. B. Art. 3 Abs. 3 Gohrischer Entwurf einer Verfassung des Freistaates Sachsen (1990); Art. 2 Abs. 5 Entwurf der Verfassung für das Land Brandenburg, erstellt von der Arbeitsgruppe Landesverfassung (1990); Art. 2 Abs. 3 Entwurf der Verfassung für SachsenAnhalt, erstellt von der Arbeitsgruppe Landtag (1990), alle abgedruckt bei Häberle, Entwurf, in: JÖR N.F. 39 (1990), S. 387 ff., 439 ff., 455 ff. 396 Siehe nur die Redebeiträge von Goldbeck und Jelen, 53. Sitzung des Landtags Mecklenburg-Vorpommern am 7. 5. 1992, LT-Plenarprot. 1 /53, S. 2717 u. 2719 sowie von Reiche, Dr. Bräutigam und Dr. Diestel, Landtag Brandenburg, Sitzungen vom 19. 12. 1991, LTPlenarprot. 1/34, S. 2507 und vom 14. 4. 1992, LT-Plenarprot. 1 /45, S. 3216, 3232. 397 Dazu Karl Bönninger, Verfassungsdiskussion im Lande Sachsen, in: LKV 1 (1991), S. 9 f. 398 Art. 3 Abs. 3 des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Freistaats Sachsen (1990) - Überarbeitete Fassung: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung,

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dagegen bereits an Art. 20 Abs. 3 GG an und legte eine Bindung der vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung an Gesetz und Recht fest. Die wörtliche Übernahme der grundgesetzlichen Formulierung erklärt sich daraus, daß die Arbeitsgruppe als Ziel ihres Vorgehens ansah, die zu erarbeitende Landesverfassung paßfähig und maßstabgerecht zum GG zu gestalten.399 Die Verfassungsentwürfe der Fraktionen Bündnis 90/Grüne und Linke Liste/ PDS enthielten eine erweiterte Formel, nämlich eine Bindung an die Verfassung sowie an Gesetz und Recht. 400 Die kumulierte Formulierung, die sich noch eng an Art. 20 Abs. 3 GG anlehnt, findet sich bereits im Entwurf einer neuen DDRVerfassung des Runden Tisches von 1990. 401 Der sächsische Verfassungs- und Rechtsausschuß, dem der Gohrischer Entwurf sowie die Fraktionsentwürfe überwiesen wurden, übernahm in Art. 3 Abs. 3 seines Verfassungentwurfs vom 7. 6. 1991 die mit Art. 20 Abs. 3 GG wörtlich übereinstimmende Formulierung des Gohrischer Entwurfs. Über die Bindungsformel Gesetz und Recht bestand nach den ihm vorliegenden Verfassungsentwürfen ohnehin kein Dissens, auch wurden keine Änderungsvorschläge dazu unterbreitet. In den Lesungen des Sächsischen Landtags hat man speziell die Wendung ,Gesetz und Recht4 - wohl aufgrund der weitgehenden Übereinstimmungen der Verfassungsentwürfe der Parteien und des Verfassungsausschusses in diesem Punkt - nicht mehr eingehend erörtert. Bekräftigt wurde allerdings in der Diskussion um das Rechtsstaatsprinzip der Bruch mit der totalitären Vergangenheit und das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung des GG, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsdie vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden", LT-Drs. 1/25. Der Name des Entwurfs geht zurück auf den Tagungsort der Arbeitsgruppe einer gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg - in der Sächsischen Schweiz. Zu dem Entwurf Bönninger, Verfassungsdiskussion im Lande Sachsen, in: LKV 1 (1991), S. 9/10 f. 399 Siehe dazu Bönninger, Verfassungsdiskussion im Lande Sachsen, in: LKV 1 (1991), S. 9/10. 4 o° Art. 2 Abs. 3 Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Grüne vom 8. 11. 1990 und Art. 2 Abs. 3 Gesetzentwurf der Fraktion Linke Liste-PDS vom 9. 11. 1990 lauteten: „Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an die Verfassung sowie an Gesetz und Recht gebunden"; LT-Drs. 1/29 und 1 / 26; abgedruckt auch bei Rolf Stober, Quellen zur Entstehungsgeschichte der Sächsischen Verfassung. Dokumentation, 1993, S. 175ff., 214ff. 401

Entwurf einer Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik des Zentralen Runden Tisches vom 4. 4. 1990, Art. 42 Abs. 2 des Entwurfs sieht eine Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an die Verfassung sowie an Gesetz und Recht vor. Des weiteren findet sich das Begriffspaar in Art. 72 des Entwurfs, der folgende - wohl positivistisch zu verstehende - Eidesformel des Ministerpräsidenten und der Minister vorsieht: „Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des Volkes widmen, Recht und Gesetz der Deutschen Demokratischen Republik wahren ... werde", abgedruckt bei Häberle, Entwurf, in: JÖR N.F. 39 (1990), S. 319/350ff.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Ordnung garantiere. 402 Man plädierte für eine Übernahme der sich aus dem GG ergebenden rechtsstaatlichen Anforderungen und Grundsätze, die sich über 40 Jahre zuverlässig bewährt haben. 45 Jahre staatlichen Unrechtssystems hätten auch auf dem Gebiete der Rechtsprechung - angesichts parteilich entscheidender Richter große Schäden hinterlassen. Angesichts der Erfahrungen mit den totalitären Gewaltherrschaften in diesem Jahrhundert sei sogar Widerstand gegen „unerträgliche, unsittliche oder ungerechte staatliche Anordnungen vielfach gerechtfertigt". 403 Vor diesem Hintergrund erschien den Verfassunggebern die Verankerung des Rechtsstaatsprinzips als eines der elementarsten Verfassungsprinzipien in der Landesverfassung in wortgleicher Ausgestaltung wie im GG von großer Bedeutung. Bekräftigt wurde dabei, daß durch Art. 3 Abs. 3 der Sächsischen Verfassung „die gesamte Staatsgewalt dem Recht untergeordnet und damit jede Willkürherrschaft ausgeschlossen" ist. 4 0 4 Der Artikel stellt damit gleichsam eine Art versteckter Antwort der Landesverfassung auf eine totalitäre Diktatur dar. 405 Ob sich der mit der ,Gesetz und Recht'-Formel verbundene Anspruch auch tatsächlich einlösen läßt, ist dabei eine andere Frage. Insgesamt dürften die Landesverfassunggeber bei der Aufnahme der Bindungsformel in erster Linie die Übereinstimmung mit der grundgesetzlichen Formulierung im Blick gehabt haben, zumal sie die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Recht nicht explizit erörterten. Schließlich ist noch auf die Genese der Brandenburgischen Verfassung einzugehen, die gegenüber den anderen Landesverfassungen die Besonderheit aufweist, daß sie die Bestimmung des Art. 97 Abs. 1 GG nicht wortgleich übernimmt, sondern in Art. 108 Abs. 1 vorsieht, daß der Richter nur Recht und Gesetz unterworfen ist. Vorentwürfe einer brandenburgischen Verfassung sahen vielfach zunächst die eher traditionelle Formulierung vor, daß die Rechtsprechung nach Maßgabe der Gesetze ausgeübt wird. 4 0 6 Erst auf Vorschlag der SPD-Fraktion hat der branden402 Kühnrich, (CDU), Zweite Lesung des Verfassungsentwurfs vom 25./26. 5. 1992, LTPlenarprot. 1 /46, S. 3063; vgl. Goliasch (CDU) und Kunckel (SPD), ebd., S. 3025 u. 3029. 403 Schimpff (CDU), ebd., S. 3057, Richter (FDP), Erste Lesung der Gesetzesentwürfe vom 15. 11. 1990, LT-Plenarprot. 1/3, S. 106. 404 Kühnrich (CDU), Zweite Lesung des Verfassungsentwurfs vom 25./26. 5. 1992, LTPlenarprot. 1 /46, S. 3063; vgl. Richter (SPD), ebd., S. 3066. 405 Vgl. Fiedler, Diskussionsbeitrag, in: VVDStRL 51 (1992), S. 147 i.H.a. Art. 20 Abs. 3 GG. 406

Art. 92 Abs. 1 Entwurf einer Verfassung für das Land Brandenburg von Wolfgang Borkenhagen, Karl-Heinz Kuke, Dr. Lutz Niebel (Leiter der Arbeitsgruppe) im Auftrag des Koordinierungsausschusses zur Bildung des Landes Brandenburg vom 22. 4. 1990: „Die Rechtsprechung wird nach Maßgabe der Gesetze durch unabhängige Richter im Sinne der Rechtsstaatlichkeit ausgeübt"; Art. 94 Abs. 1 II. Überarbeiteter Entwurf der Verfassung für das Land Brandenburg vorgelegt von den Regierungsbevollmächtigten der Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam im September 1990: „Die Rechtsprechung wird nach Maßgabe dieser Verfassung und der Gesetze durch unabhängige Richter ausgeübt"; abgedruckt in: Landtag Brandenburg, Dokumentation: Verfassung des Landes Brandenburg vom 20. August 1992, 1. Wahlperiode, Bd. 2, S. 317 und 387.

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burgische Verfassungsausschuß die besondere Unterwerfungsklausel in seinen Entwurf aufgenommen. In den Beratungen des Verfassungsausschusses über den Abschnitt Rechtspflege wurde auf diese Besonderheit gegenüber der grundgesetzlichen Formulierung aufmerksam gemacht. Weitere Diskussionen erfolgten dazu allerdings nicht; der Vorschlag fand die Zustimmung der Verfassungsausschußmitglieder. 407 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang noch, daß in Zuschriften zum Verfassungsentwurf zum einen sogar die Formulierung vorgeschlagen wurde, daß niemand die Richter von ihrer „moralischen Verantwortung gegenüber den allgemeingültigen in dieser Verfassung garantierten Grundrechten" entbindet und zum anderen bei dem Art. 20 GG entsprechenden Art. 2 des Verfassungsentwurfs eingefügt werden sollte, daß die Rechtsprechung „der Gerechtigkeit verpflichtet" ist. 4 0 8 Beide Vorschläge fanden zwar letztlich keinen Eingang in die Endfassung des Verfassungstextes, verdeutlichen aber, daß über die Frage der Bindung und Verantwortung des Richters ernsthaft nachgedacht wurde und die Wendung ,Recht und Gesetz4 nicht zufällig Aufnahme in die Verfassung gefunden hat.

II. Stellungnahmen im Schrifttum zu Gesetz und Recht

Die bisher erschienenen, meist nicht sehr umfangreichen Kommentare der Verfassungen der neuen Bundesländer behandeln die Frage des Verhältnisses von Gesetz und Recht recht knapp und orientieren sich bei der Verfassungsauslegung eng an den Kommentierungen des Art. 20 Abs. 3 GG. Eigenständige Interpretationsversuche unter Einbeziehung des historischen Hintergrundes werden nur vereinzelt vorgelegt. Ganz überwiegend vertreten die Kommentatoren, daß die landesverfassungsrechtlichen Regelungen über die Bindung der Staatsgewalt inhaltlich mit der des Art. 20 Abs. 3 GG übereinstimmen. Daher verweisen sie meist lediglich auf die entsprechenden Grundgesetzkommentierungen und die einschlägige bundesverfassungsgerichtliche Judikatur ohne weitere kritische Auseinandersetzung. So wird unter Bezug auf Grundgesetzinterpreten, die die Tautologie-These vertreten, erklärt, das Begriffspaar meine die Verfassung und förmliche Gesetze sowie alle anderen Rechtsnormen, daneben auch das Gewohnheitsrecht und Richterrecht, nicht aber VerwaltungsVorschriften. 409 Soweit man überhaupt die Frage anspricht, 407 Siehe Ausschußprotokoll V 1/UA I I / 8 , in: Landtag Brandenburg, Dokumentation, Bd. 2, S. 920. 4 8 Siehe Landtag Brandenburg, Dokumentation, Bd. 2, S. 122 u. 184. 409

Bernd Kunzmann (u. a.), Die Verfassung des Freistaates Sachsen. Kommentierte Textausgabe, 2. Aufl. 1997, Art. 3 Rn. 12; Hans Heinrich Mahnke, Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, 1993, Art. 2 Abs. 4, Rn. 18 f.; Andreas Reich, Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt. Kommentar, 1994, Art. 2, Rn. 6 u. Art. 83, Rn. 2; Jürgen Pirsch, in: Burkhard Thiele (u. a.), Die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, 1994, Art. 4, Rn. 7 f.; Joachim Linck, in: ders. (u. a.), Die Verfassung des Freistaats Thüringen, 1994, Art. 47,

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

ob der Zusatz ,und Recht4 auf Gerechtigkeit oder überpositives Recht verweist, erfolgt ein schlichter Hinweis auf frühe nichtpositivistische Judikate des BVerfG ohne eigene Stellungnahme zu der doch umstrittenen Problematik. 410 Im übrigen konturieren die Verfassungsinterpreten den Bedeutungsgehalt des Rechtsbegriffs nicht hinreichend und wissen anscheinend auch vor dem geschichtlich-politischen Hintergrund mit der Wendung nicht sehr viel anzufangen. Dies bestätigt auch der Befund, daß Rechts- und Gesetzesbindung der rechtsprechenden Gewalt häufig nicht klar unterschieden werden und schlicht erklärt wird, daß sich der Umfang der richterlichen Bindung, wie er in der Art. 20 Abs. 3 GG entsprechenden Landesverfassungsnorm festgelegt ist, mit dem in Art. 97 Abs. 1 GG vollständig deckt. 411 Vereinzelt hingegen setzen sich die Landesverfassungsinterpreten sorgfältiger und tiefgründiger mit der Frage des Verhältnisses von Gesetz und Recht auseinander. Zu erwähnen ist hier eine Kommentierung der Verfassung Brandenburgs 4 1 2 Dabei erklärt sich die gründlichere Auseinandersetzung mit der Thematik vor allem aus der Tatsache, daß sich die brandenburgische Verfassung wie erwähnt von den anderen Verfassungen der neuen Bundesländer dadurch abhebt, daß sie in der dem Art. 97 Abs. 1 GG nachgebildeten Vorschrift den Richter nicht nur dem Gesetz, sondern Recht und Gesetz unterwirft. Nach Auffassung der Verfassungskommentatoren wird mit der Betonung der richterlichen Unterwerfung unter Recht und Gesetz „mehr als nur deklaratorisch 44 wiederholt, was schon nach Art. 20 Abs. 3 GG feststeht. 413 Die Formulierung gewinne ihren besonderen Stellenwert erst vor dem historischen Hintergrund, der dadurch gekennzeichnet sei, daß der Richter im ehemaligen SED-Staat einem strikten Gesetzesgehorsam unterworfen war, die sozialistische Gesetzlichkeit zu gewährleisten hatte sowie letzthin der ideologiegerechten RechtsanWendung verpflichtet war. 414 Demgegenüber bedeute die Bindung des Richters sowohl an die positiven staatlichen Satzungen als auch Rn. 6. Klaus Müller, Verfassung des Freistaats Sachsen, 1993, Art. 3 Anm. 2, legt das Gewicht auf das Richterrecht allerdings ohne spezifischen Bezug zu „Gesetz und Recht". 410 Kunzmann (u. a.), Verfassung des Freistaates Sachsen. Kommentar, Art. 3, Rn. 11. 411 Pirsch, in: Thiele (u. a.), Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Art. 4, Rn. 7; Kunzmann (u. a.), Verfassung des Freistaates Sachsen, Art. 3, Rn. 11 und Art. 77, Rn. 3; Mahnke, Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, Art. 2 Abs. 4, Rn. 19; Reich, Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, Art. 83, Rn. 2 leitet aus der Verfassungssystematik ab, daß der Gesetzesbegriff in der Norm materiell zu verstehen ist; Jutzi, in: Linck (u. a.), Verfassung des Freistaats Thüringen, Art. 86, Rn. 16 weist hingegen mit Grund auf den Unterschied in den Formulierungen der beiden Normen hin, die seiner Ansicht nach aber letztlich dasselbe meinen. 412 Rüdiger Postier/Hasso Lieber, Rechtspflege, in: Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, hrsg. von Helmut Simon (u. a.), 1994, § 19, Rn. 3 ff. 413 Postier/Lieber, Rechtspflege, in: Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, hrsg. von H. Simon (u. a.), § 19, Rn. 5. 414 Postier/Lieber, Rechtspflege, in: Handbuch der Verfassung des Landes Brandenburg, hrsg. von H. Simon (u. a.), § 19, Rn. 4 f.

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an das Recht, daß dieser nicht unter allen Umständen, insbesondere nicht im Falle eines Wertungswiderspruchs zwischen gesetztem und überpositivem Recht, das Gesetz anwenden muß. Der strikten Gesetzesbindung der DDR-Rechtsprechung setze die Landesverfassung bewußt ein anderes Verständnis der richterlichen Rechtsbildung entgegen. In ähnlicher Weise, gleichfalls mit Blick auf die entstehungsgeschichtliche Situation, aber zurückhaltender hinsichtlich der aktuellen verfassungsrechtsdogmatischen Bedeutung der Wendung Gesetz und Recht äußern sich die Verfassungsinterpreten in einer Kommentierung zur thüringischen Verfassung. 415 Danach kommt in der Bindung an das Recht die Skepsis zum Ausdruck, ob sich Gesetz und Recht tatsächlich immer decken. Diese sei beim Grundgesetzgeber ebenso verständlich gewesen wie beim Landesverfassunggeber nach den Erfahrungen mit dem SED-Regime. Jedoch lasse sich aus dieser Formel in absehbarer Zeit kaum eine rechtliche Konsequenz ziehen, womit sie zumindest „derzeit nur als Tautologie" bewertet werden könne. Daß hiermit der Bindungsformel im Ergebnis nur ein geringer verfassungsdogmatischer Stellenwert zuerkannt wird, erscheint angesichts der Tatsache, daß die justizielle Bewältigung des DDR-Unrechts noch nicht als abgeschlossen gelten kann, fragwürdig. Der Überblick über das verfassungsrechtliche Schrifttum zeigt, daß zumindest einige Verfassungsrechtsinterpreten davon ausgehen, daß die Wendung Gesetz und Recht in den Landesverfassungen keine bloße gedankenlose Übernahme der grundgesetzlichen Formulierung darstellt und sich ihr insbesondere vor dem geschichtlichen Hintergrund durchaus eine eigenständige Bedeutung abgewinnen läßt. B. Die Wiederholung der Wendung in Art. 20 a GG Im Zuge der durch die Wiedervereinigung Deutschlands angestoßenen Grundgesetzreform hat der verfassungsändernde Gesetzgeber eine neue Staatszielbestimmung in das GG eingefügt. Der am 15. 11. 1994 in Kraft getretene Art. 20 a GG statuiert - in Parallele zu Art. 20 Abs. 3 GG - den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und Rechtsprechung. Zur Klärung der Frage, was den verfassungsändernden Gesetzgeber zur Übernahme der in Art. 20 Abs. 3 GG verwendeten Formel bewogen hat, soll zunächst ein Blick in die Gesetzesmaterialien geworfen und das Rechtsund Gesetzesverständnis des verfassungsändernden Gesetzgebers herausgearbeitet werden.

415

Linck, in: ders. (u. a.), Verfassung des Freistaats Thüringen, Art. 47, Rn. 8.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht I. Die Diskussion um den Rechtsbegriff in der Gemeinsamen Verfassungskommission

Während über die Fassung des Art. 20 Abs. 3 GG im Parlamentarischen Rat - wie gezeigt - nicht sehr ausführlich diskutiert wurde, lassen sich aus der Entstehungsgeschichte des Art. 20 a GG weitaus mehr Anhaltspunkte für das zugrundeliegende Verständnis von Gesetz und Recht gewinnen. In der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat entbrannte sogar eine kontroverse Diskussion um den Zusatz ,und Recht4 in Art. 20 a GG, woraus sich bereits schließen läßt, daß man nicht einfach die Formulierung des Art. 20 Abs. 3 GG wortgleich übernommen, sondern über den Rechtsbegriff intensiv nachgedacht hat. Der Gang der in der GVK geführten Diskussion soll im folgenden nachgezeichnet werden. Die nunmehr geltende Fassung des Art. 20 a GG geht zurück auf eine Empfehlung der GVK, die in den parlamentarischen Beratungen im wesentlichen nicht mehr in Frage gestellt wurde und das Vermittlungsverfahren sowie die Abstimmungen in Bundestag und Bundesrat unverändert passierte. 416 Nach mühevollen Beratungen innerhalb der GVK konnte man sich erst in der 25. Sitzung vom 1. 7. 1993 - dies war die letzte Kommissionssitzung, in der inhaltliche Fragen beraten wurden - auf einen Formulierungsvorschlag zu einem Umweltschutzartikel einigen. Hierbei entwickelte sich eine lebhafte Kontroverse unter den Kommissionsmitgliedern über die Ausgestaltung des Gesetzesvorbehalts in Art. 20 a GG. Dabei wurden vor allem von CDU / CSU-Seite Vorbehalte gegen den maßgeblich auf H.-J. Vogel zurückgehenden, von der SPD zum Antrag erhobenen Vorschlag mit dem Passus „nach Maßgabe von Gesetz und Recht44 geltend gemacht. So plädierte der CDU-Abgeordnete Jahn stattdessen für die Formulierung „nach Maßgabe der Gesetze44 und fragte ausdrücklich, warum auf die Worte „und Recht44 nicht verzichtet werden könne. Gleichzeitig stellte er allerdings auch klar, daß er keineswegs grundsätzlich eine Streichung der Formel Gesetz und Recht im GG befürworte. Die Wendung stünde jedenfalls in Art. 20 Abs. 3 GG in einem Kontext, der richtig und gut sei und den er nicht in Zweifel ziehen wolle. 4 1 7 Als Hauptargument machte die CDU / CSU-Seite, der an der Normierung eines eindeutigen Gesetzesvorbehalts in Art. 20 a GG gelegen war, geltend, der Zusatz ,und Recht4 berge in sich die Gefahr, daß letztlich nicht mehr die Parlamente, sondern die Gerichte über die inhaltliche Ausgestaltung des Umweltschutzes befinden 416

Die Abstimmung im Bundestag ergab 622 Ja-Stimmen, 3 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen, BT-Plenarprot. 12/238, S. 21029; zum Gang des Verfahrens siehe Michael Kloepfer, Verfassungsänderung statt Verfassungsreform. Zur Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission, Berlin 1995, S. 37 ff.; Klaus G. Meyer-Teschendorf, Verfassungsmäßiger Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen - Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission für einen neuen Art. 20a GG, in: ZRP 1994, S. 73 ff.; Uwe Berlit, Die Reform des Grundgesetzes nach der staatlichen Einigung Deutschlands, in: JÖR N.F. 44 (1996), S. 17/ 62 ff. 417 Abg. Jahn, in: GVK-Prot., 25. Sitzung vom 1. 7. 1993, S. 9, 21.

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und insoweit ein „Öffnungstor für eine Dominanz der Rechtsprechung" geschaffen wird 4 1 8 . Verantworteter Umweltschutz ist demzufolge nur durch klare gesetzliche Regelungen, nicht durch ausuferndes, unvorhersehbares Richterrecht zu erreichen. Daher muß die Bindung allein an das Gesetz, also das positiv gesetzte Recht, deutlicher im Vordergrund stehen. Wenn man mit dem Rechtsbegriff gewissermaßen den Horizont der ganzen Verfassung eröffne, werde letztlich einer Entwicklung in Richtung „Rechtsprechungsstaat" Vorschub geleistet 419 . Diese sich auf das Gewaltenteilungsprinzip stützende Argumentation offenbart deutliches Mißtrauen gegenüber der Tätigkeit der rechtsprechenden wie auch der vollziehenden Gewalt. 4 2 0 Sie wirkt bisweilen überzogen, zumal wenn man berücksichtigt, daß im Umweltschutzrecht ein Zustand völliger gesetzlicher Durchnormierung ohne wesentlichen Spielraum für Verwaltung und Rechtsprechung kaum zu verwirklichen ist. Ein Teil der christdemokratischen Abgeordneten hielt den Zusatz schlicht für überflüssig, da die Bindung der Staatsgewalt ohnehin bereits in Art. 20 Abs. 3 GG statuiert sei oder sah - wie der Kommissions Vorsitzende Scholz keinen wirklich substantiellen Unterschied zwischen den beiden Vorschlägen. 421 Die Sozialdemokraten dagegen insistierten auf dem Vorschlag Vogels und legten großen Wert auf die Aufnahme der Worte ,und Recht'. Aufschlußreich ist dabei der Redebeitrag des SPD-Abgeordneten Schmude, der nachdrücklich betont, daß durch den Zusatz ,und Recht4 die Gesetzesbindung nicht aufgehoben oder relativiert werden soll. Ein Staatsziel aber verdiene nur dann seinen Namen wirklich, wenn es eine Wertentscheidung trifft und damit eine „Orientierung für Zweifelsund Grenzfragen über das hinaus gibt, was unmittelbar und ausdrücklich in Gesetzen geregelt ist". 4 2 2 Dahinter klingt das Verständnis einer Staatszielbestimmung als ein Rechtsprinzip, also im Sinne eines Optimierungsgebots, und nicht lediglich als eine Rechtsregel an. 4 2 3 Eine Reduzierung auf die bloße Gesetzesbindung hat Schmude zufolge im Bereich des Umweltschutzes sogar eine verheerende Wirkung. Man würde der politischen Mehrheit in den gesetzgebenden Körperschaften das letzte und ausschließliche Wort ohne jede zusätzliche Orientierung geben und den Umweltschutz damit letztlich zur Disposition des Gesetzgebers stellen. Von sozialdemokratischer Seite wurde auch der Bezug zur Entstehungssituation des GG und der Bewältigung des NS-Unrechts hergestellt. So betonte die damalige Justizsenatorin Limbach im Anschluß an Schmude, daß wir die Wendung ,Gesetz 418 Abg. Jahn, in: GVK-Prot., 25. Sitzung vom 1. 7. 1993, S. 21; siehe BT-Drs. 12/6000, S. 67 f. 419 Abg. Geis, GVK-Prot., S. 15; ähnlich Abg. Friedrich und Staatsminister Leeb, ebd., S. 10f., 19. 420 Vgl. die Äußerungen der SPD-Abg. Schmude und Bachmaier, GVK-Prot., S. 12 u. 20. 421 Scholz, in: GVK-Prot., S. 14f.; Geis, ebd., S. 15. 422 Schmude, GVK-Prot., S. 12 f. 423 Zur Unterscheidung von Rechtsregel und Rechtsprinzip siehe Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Geltungs- und Erkenntnisbedingungen im modernen Rechtsdenken, hrsg. von Neil MacCormick (u. a.), ARSP Beiheft 25, 1985, S. 13 ff.

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und Recht' den Erfahrungen aus der NS-Zeit verdanken. 424 Die damit beabsichtigte Uberwindung eines rein positivistischen Standpunkts hält sie auch im Rahmen der gegenwärtig zu leistenden Vergangenheitsbewältigung hinsichtlich des DDR-Unrechts für eine wichtige Einsicht. Insofern stelle eine Verengung der Formel im Bereich des Umweltschutzes einen Rückschritt hinter das GG dar. Darüber hinaus machte Limbach gegen Scholz und mit Hinweis auf das BVerfG geltend, es greife zu kurz, in dem Begriff des Rechts nur eine Bindung an die Verfassung zu sehen, vielmehr umfasse der Begriff auch das überpositive Recht. 425 Mit der Anknüpfung des Art. 20 a GG an die differenziert ausgestaltete Rechtsbindung in Art. 20 Abs. 3 GG sollte zudem - wie aus dem Schlußbericht der GVK hervorgeht - das verfassungspolitische Signal gesetzt werden, daß die neue Staatszielbestimmung sich in die bestehenden Grundstrukturen des GG einfügen muß. 426 Einig war man sich im übrigen auch, daß die Begriffe der verfassungsmäßigen Ordnung und ,Gesetz und Recht4 im Kontext des Art. 20 a GG einen mit Art. 20 Abs. 3 GG identischen Begriffsinhalt haben. Der von der CDU / CSU-Seite zur Abstimmung gestellte Vorschlag verfehlte schon die einfache Mehrheit, der SPD-Vorschlag mit dem erweiterten Passus „nach Maßgabe von Gesetz und Recht44 überwand hingegen die geforderte ZweidrittelHürde. 427 Offenbar konnte die überwiegende Mehrheit der Kommissionsmitglieder dem Recht doch eine sinnvolle Bedeutung abgewinnen und befürchtete keinen übermäßigen politischen Machtzuwachs der rechtsprechenden und vollziehenden Gewalt. Man wollte vermutlich sogar gerade vermeiden, daß der Umweltschutz vollständig dem Gesetzgeber überantwortet wird und daß daneben in verfassungssystematischer Hinsicht Diskrepanzen zu Art. 20 Abs. 3 GG entstehen. Nach den Vorstellungen der Mehrheit der GVK-Mitglieder ist das Begriffspaar Gesetz und Recht also nicht von bloßem tautologischen Charakter, sondern hat durchaus noch aktuelle Relevanz. Die in der kontroversen Debatte geäußerten Thesen zum Verhältnis von Gesetz und Recht samt der vorgebrachten Argumente gleichen sich insgesamt mit den im Schrifttum zu Art. 20 Abs. 3 GG vertretenen Auffassungen, auf die teilweise auch explizit verwiesen wurde. 424 Limbach, GVK-Prot., S. 14; Schmude, ebd., S. 12 hält es für einen „Fortschritt unserer Verfassungsordnung, daß unsere Staatsgewalten eben nicht nur, wie in der Nazizeit, an Gesetze, die auf dem Papier stehen, gebunden sind, sondern darüber hinaus auf die Prinzipien der Rechtsordnung im Ganzen zu achten haben". 425 Limbach, GVK-Prot., S. 14; Bachmaier, ebd., S. 20 sieht im „übergesetzlichen Recht" sogar eine der Grundsäulen unserer verfassungsrechtlichen Ordnung; vgl. auch H.-J. Vogel, ebd., S. 18: Die vollziehende Gewalt und Rechtsprechung seien „nicht nur an die Verfassung, sondern auch an Recht und Gesetz gebunden". 42 6 BT-Drs. 12/6000, S. 68; BT-Drs. 12/6633, S. 7. 427

Der von der SPD zum Antrag erhobene Vorschlag erreichte mit 43 Ja-Stimmen bei 14 Nein-Stimmen und 3 Enthaltungen die erforderliche Zweidrittelmehrheit, während der CDUAntrag von 25 Kommissionsmitgliedern befürwortet und von 32 abgelehnt wurde bei 2 Enthaltungen, siehe BT-Drs. 12/6000, S. 67 u. 68; Meyer-Teschendorf, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, in: ZRP 1994, S. 73/76.

§ 16 Verfassungen der neuen Bundesländer und Art. 20 a GG

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II. Die Auslegung des Art. 20 a GG im verfassungsrechtlichen Schrifttum

Wurde bereits in den Beratungen der GVK auf die parallele Begriffsverwendung in Art. 20 Abs. 3 und 20 a GG hingewiesen, so orientieren sich auch die Verfassungsinterpreten vornehmlich an der Auslegung der Formel des Art. 20 Abs. 3 GG. Vielfach mißt man dem Rechtsbegriff des Art. 20 a GG keine eigenständige Bedeutung bei und zeigt sich insoweit unbeeindruckt von der in der GVK geführten Kontroverse um den Zusatz ,und Recht'. So halten einige die Formulierung „nach Maßgabe von Gesetz und Recht" in Art. 20 a GG schlicht für überflüssig, da sie in der Sache ohnehin nur Selbstverständliches normiere. Sie diene höchstens der Erinnerung an bereits geltende Grundsätze bzw. bekräftige nur die in Art. 20 Abs. 3 GG enthaltene Aussage, daß Exekutive und Judikative formellen Gesetzen und anderen Rechtsnormen gegenüber nachgeordnet sind. 428 Daher verweisen die Verfassungsinterpreten auf die entsprechenden Kommentierungen des Art. 20 Abs. 3 GG. Jarass erklärt beispielsweise, daß mit dem Begriffspaar lediglich die ohnehin geltende Vorgabe des Art. 20 Abs. 3 GG betont werde. 429 Im einzelnen sei die Exekutive verpflichtet, den Gehalt des Art. 20 a GG bei der Gesetzesauslegung und Ermessensausübung sowie generell im Bereich der gesetzesfreien Verwaltung zu beachten. Eingehender als Jarass setzt sich Scholz in der Kommentierung des Art. 20 a GG mit dem Begriffspaar auseinander. Als Vorsitzender der GVK hatte er - wie erwähnt - in der Diskussion vertreten, daß zwischen den Fassungen „nach Maßgabe von Gesetz und Recht" und „nach Maßgabe der Gesetze" ohnehin kein substantieller Unterschied besteht. In ähnlicher Weise stellt er im GG-Kommentar klar, daß die Formel im Gesamtkontext der Verfassung im Grunde über keinen gesondert-konstitutiven Regelungsgehalt verfügt und ihr in Art. 20 a GG nur deklaratorische Bedeutung zukommt. 430 Allerdings schreibt er ihr doch eine „wichtige verfassungspolitische Verdeutlichungsfunktion" zu, als durch die explizite Bezugnahme auf Art. 20 Abs. 3 GG klargestellt wird, daß vollziehende Gewalt und Rechtsprechung in Konkretisierung und Erfüllung des ökologischen Schutzauf428

Ulrich Becker, Die Berücksichtigung des Staatsziels Umweltschutz beim Gesetzesvollzug - Zum Erlaß abfall vermeidender Maßnahmen durch die Verwaltung - , in: DVBl. 1995, S. 713/717; H.-R Schneider, Das Grundgesetz - auf Grund gesetzt?, in: NJW 1994, S. 558/ 560; Friedrich-Adolf Jahn, Empfehlungen der Gemeinsamen Verfassungskommission zur Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes, in: DVBl. 1994, S. 177/185; Arnd Uhle, Das Staatsziel „Umweltschutz" im System der grundgesetzlichen Ordnung, in: DÖV 1993, S. 947/952 f. 429 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, Art. 20 a, Rn. 13f.; siehe auch SchmidtBleibtreu/Klein, Art. 20 a GG, Rn. 16; Model/Müller, GG-Kommentar, 11. Aufl., Art. 20 a, geht auf die Wendung „Gesetz und Recht" nicht nochmals eigens ein. Tsai, Umweltschutzpflicht, S. 168 f. mißt der Bindungsformel des Art. 20 a GG keinen eigenständigen Bedeutungsgehalt zu und verweist schlicht auf die Verfassungsinterpretationen zu Art. 20 Abs. 3 GG. 4 30 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20 a, Rn. 53 ff.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

trags nicht anders und vor allem auch nicht besser gestellt werden als in anderen Bereichen. 431 Scholz betont in diesem Zusammenhang nachdrücklich den Vorrang der gesetzgeberischen Steuerungsfunktion und damit den politischen Primat der Legislative. Den Gerichten erwachse aus dem Zusatz „und Recht" keine spezielle Legitimation zu verstärkter originärer Rechtsbildung bzw. Rechtsfortbildung im Umweltrecht. Die praktische Bedeutung des Rechtsbegriffs schätzt er äußerst gering ein, sie bewege sich - wie Herzog bereits für Art. 20 Abs. 3 GG festgestellt hat - auf den „Nullpunkt" zu. Eine Divergenz zwischen positiver Rechtsordnung und überpositiver Rechtsidee dürfte im Bereich des Umweltschutzes noch weniger als in sonstigen Politikbereichen aktuell werden. Fallkonstellationen, in denen der „wirkliche" Konflikt zwischen Gesetz und Recht und nicht nur zwischen Gesetz und Verfassung stattfindet, seien kaum denkbar. 432 Zu demselben Ergebnis gelangen auch Stellungnahmen einzelner im Schrifttum, die hierbei sogar ausdrücklich die Radbruchsche Formel in ihre Erwägungen einbeziehen.433 Die äußerst seltenen Fälle eines Konfliktes zwischen positiver Rechtsordnung und Gerechtigkeit, auf die die Radbruchsche Formel anspielt, dürften danach im vorliegenden Kontext ebenso wenig wie im Bereich des Art. 20 Abs. 3 GG relevant werden, so daß der Zusatz ,und Recht4 im Staat des GG keine praktische Bedeutung besitzt. Der Überblick über das Spektrum der zu Art. 20 a GG vertretenen Auffassung zeigt, daß die Interpreten hinsichtlich ihrer Thesen zum Verhältnis von Gesetz und Recht und ihrer Argumentation eng an die Deutungen des Art. 20 Abs. 3 GG anknüpfen und sich nicht erneut mit der Formel Gesetz und Recht auseinandersetzen, obgleich die Diskussion in der GVK dazu Anlaß geboten hätte. Abschließend sei erwähnt, daß die Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG in der höchstrichterlichen Judikatur bisher nur selten eine nennenswerte Rolle gespielt hat. Das BVerwG hat in einem Beschluß, der sich mit Art. 20 a GG beschäftigt, in Übereinstimmung mit den gängigen Grundgesetzkommentierungen betont, daß sich der ökologische Schutzauftrag in erster Linie an den Gesetzgeber wende, dabei allerdings zur Bedeutung der Formulierung „nach Maßgabe von Gesetz und Recht44 nicht eigens Stellung bezogen.434 431

Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20 a, Rn. 56; so auch Schmidt-Bleibtreu/ Klein, GG-Kommentar, Art. 20 a, Rn. 16; H.-J. Vogel, Die Reform des Grundgesetzes nach der deutschen Einheit, in: DVB1. 1994, S. 497/499 spricht von einer „nachdrücklichen Pflichtenmahnung ohne eigenen Regelungsgehalt"; Meyer-Teschendorf, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, in: ZRP 1994, S. 73/78 f.; Berlit, Die Reform des Grundgesetzes, in: JÖR N.F. 44 (1996), S. 17/64. 432 Scholz, in: Maunz/Dürig, GG-Komm., Art. 20 a, Rn. 58. 433

Ohle, Das Staatsziel „Umweltschutz", in: DÖV 1993, S. 947/952 f.; Meyer-Teschendorf, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, in: ZRP 1994, S. 73/78; vgl. auch Tsai, Umweltschutzpflicht, S. 168 f. 434 BVerwG, Beschluß vom 13. 4. 1995, UPR 1995, S. 309 ff.; dazu Uhle, Das Staatsziel „Umweltschutz" und das Bundesverwaltungsgericht - Anmerkungen zu dem Beschluß vom 13. 4. 1995-4 Β 70/95 - , in: UPR 1996, S. 55ff.

§ 16 Verfassungen der neuen Bundesländer und Art. 20 a GG

223

C. Rechtsvergleichende Aspekte Eine Bindung der Staatsgewalt an Gesetz und Recht, wie sie das Grundgesetz in Art. 20 Abs. 3 GG statuiert, kennen die Verfassungen anderer Staaten Europas in dieser Form nicht. In einigen Verfassungstexten europäischer Staaten findet sich lediglich eine mit Art. 97 Abs. 1 GG vergleichbare Regelung, daß der Richter nur dem Gesetz unterworfen ist. 4 3 5 Die unter dem Einfluß Kelsens entstandene österreichische Verfassung ist rechtspositivistisch ausgerichtet; die Rechtsordnung zeigt sich bereits gegenüber der Anerkennung von Gewohnheitsrecht vorsichtig. 436 Auf einfachgesetzlicher Ebene ist allerdings in § 7 ABGB von „natürlichen Rechtsgrundsätzen" die Rede. Die schweizerische Rechtsordnung enthält am deutlichsten einen Hinweis auf die Einbeziehung ungeschriebenen Rechts, insbesondere des Gewohnheits- und Richterrechts. In Art. 1 Abs. 2 ZGB, der in der Schweiz auch als Magna Charta des Richterrechts bezeichnet wird, wird die Lückenhaftigkeit des gesetzten Rechts anerkannt. 437 Während die Schweizerische Bundesverfassung das richterliche Unabhängigkeitsprinzip nicht ausdrücklich aufführt, nennen es einzelne Kantonsverfassungen zusammen mit dem Grundsatz der Rechtsbindung der Gerichte, wobei die Kantonsverfassung Aargau in § 95 Abs. 1 bestimmt, daß die Gerichte unabhängig und nur Gesetz und Recht unterworfen sind. 438 Im übrigen findet sich keine der Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG vergleichbare Formulierung auf Verfassungsebene in Europa. Insofern scheint die grundgesetzliche Bindungsformel eine spezifische, aus den Erfahrungen der NS-Zeit in Deutschland heraus entstandene Formulierung zu sein. Erst recht ist dem angloamerikanischen Rechtskreis eine Bindung des Richters an Gesetz und Recht fremd. Bereits die begriffliche Unterscheidung zwischen «5 Z. B. Art. 101 Verf. der Republik Italien, Art. 117 Verf. des Königreichs Spanien, Art. 206 Verf. der Republik Portugal, § 64 Verf. des Königreichs Dänemark. Vgl. auch Art. 87 Abs. 2 Verf. Griechenland und Art. 35 Abs. 2 Verf. der Republik Irland: „ . . . nur der Verfassung und den Gesetzen unterworfen". 436 Vgl. Art. 89 Bundes-Verfassungsgesetz: Die Prüfung der Gültigkeit gehörig kundgemachter Gesetze ... steht, soweit in diesem Artikel nichts anderes bestimmt wird, den Gerichten nicht zu. § 271 ZPO erwähnt immerhin das Gewohnheitsrecht. Siehe auch Bydlinski, Juristische Methodenlehre, S. 286. Herbert Spehar, Die Bindung des österreichischen Richters an Gesetz und Recht, in: Richard Frank (Hrsg.), Unabhängigkeit und Bindungen des Richters in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich und in der Schweiz, 2. Aufl., 1997, S. 55 ff. weist darauf hin, dass der österreichische Richter, wenn die Anwendung eines Gesetzes den Anforderungen seines individuellen Gewissens widerspricht, nur berechtigt ist, entweder das Gesetz trotzdem anzuwenden oder die Ausübung seines Amtes im konkreten Fall abzulehnen. 437 Siehe dazu Giovanni Biaggini, Verfassung und Richterrecht, 1991, S. 49, 93 f. 438 Dazu Kurt Eichenberger, Sonderheiten und Schwierigkeiten der richterlichen Unabhängigkeit in der Schweiz, in: R. Frank (Hrsg.), Unabhängigkeit und Bindungen des Richters in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich und in der Schweiz, 1997, S. 69 ff., insbes. S. 72, Fn. 2.

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2. Teil: Gesetz und Recht aus verfassungsrechtlicher Sicht

Gesetz und Recht ist in dem auf Fallrecht basierenden Rechtssystem nicht so klar vorhanden wie im europäischen Rechtsdenken.439 Die Statuierung einer richterlichen Bindung an Gesetz und Recht wäre im angloamerikanischen Rechtskreis daher eher ungewöhnlich.

439 Vgl. Stanley L. Paulson , Lon L. Fuller, Gustav Radbruch and the „Positivist" Theses, in: Law and Philosophy 13 (1994), S. 313/329f. Paulson übersetzt „Gesetz und Recht" bei Radbruch mit „the statute and the law" und weist zugleich auf die Schwierigkeiten der Übersetzung der Begriffe hin.

Dritter Teil

Verfassungstheoretischer Rahmen der Bindung an Gesetz und Recht Im dritten Teil ist nunmehr der verfassungstheoretische Rahmen der Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG zu entfalten. Das im verfassungsrechtlichen Teil der Untersuchung erarbeitete Verständnis von Gesetz und Recht ist m. a. W. auf theoretischer Ebene abzusichern. Unter verfassungsdogmatischen Gesichtspunkten läßt sich, wie gezeigt, eine tautologische Deutung der Wendung ebenso wenig plausibel vertreten wie ein offener, ins Beliebige gehender Begriff des Rechts, der das Argument der Rechtssicherheit gegen sich hat. Vielmehr erscheint ein gemäßigt positivistischer Rechtsbegriff vorzugswürdig, der unter rechtstheoretischem Aspekt näher zu konturieren ist. Zunächst ist das Verhältnis von Verfassungsrecht und Verfassungstheorie vor dem Hintergrund der Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG zu klären. Anschließend widmet sich die Untersuchung der Frage, welche Konzeption des Rechtsbegriffs den jeweilig vertretenen Positionen zu Art. 20 Abs. 3 GG zugrundeliegt und befragt diese auf ihre Leistungsfähigkeit. Hierbei ist eine Auseinandersetzung mit dem Grundlagen- und Dauerstreit um ein positivistisches und nichtpositivistisches Rechtsverständnis unumgänglich. Besonderes Augenmerk gilt unter theoretischem Aspekt der nach wie vor in Rechtsprechung und Schrifttum eingesetzten Radbruchschen Formel als Konfliktlösungsmodell und den Ansätzen zur Fortentwicklung der Formel. Es ist schließlich ein tragfähiges theoretisches Fundament für die hier vertretene gemäßigte Öffnung des verfassungsrechtlichen Rechtsbegriffs herauszuarbeiten.

§ 17 Das Verhältnis von Verfassungsrecht und Verfassungstheorie im Kontext des Art. 20 Abs. 3 GG Bei der Explikation eines Theorierahmens zu Art. 20 Abs. 3 GG ist eingangs zu klären, inwieweit die Analyse des verfassungsrechtlichen Rechtsbegriffs einer rechtstheoretischen Fundierung bedarf.

15 Hoffmann

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

A. Notwendigkeit einer theoretischen Fundierung des Rechtsbegriffs Wenn man die Notwendigkeit einer theoretischen Fundierung des Rechts diskutiert, stellt sich sogleich die Frage der Einbeziehung rechtsphilosophischer Aspekte des Rechtsbegriffs bzw. der Abgrenzung zwischen Theorie und Philosophie.1 Hierbei ist vorweg klarzustellen, daß in die Untersuchung beide Aspekte einbezogen werden sollen und insoweit keine scharfe Abgrenzung vorgenommen wird. Vom Standpunkt und Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit ist die Unterscheidung zwischen Theorie und Philosophie nicht von großem Interesse. Gegen eine immer noch gebräuchliche terminologische Differenzierung spricht R. Dreier zufolge auch, daß sich erstens Philosophie nicht auf eine Wertlehre reduzieren läßt und zweitens auch eine Theorie des positiven Rechts philosophische Prämissen und Implikationen hat.2 Im folgenden wird daher auf eine Unterscheidung verzichtet und die theoretische Ebene nicht eng im Sinne einer analytischen verstanden, zumal die Radbruchsche Formel, die von besonderer Relevanz für die Untersuchung ist, philosophische wie auch theoretische Elemente enthält. Unterschiedlich gesehen wird nun, ob und inwieweit sich die Disziplinen der Verfassungsrechtsdogmatik und Verfassungstheorie gegenseitig beeinflussen und Wechselwirkung entfalten. 3 Teils steht man der Rezeption philosophischer Themen und Problemlösungen im Verfassungsrecht eher skeptisch gegenüber. So wird angenommen, daß eine Verfassungstheorie ohne naturrechtliche Rückgriffe und Anleihen auskommen kann und muß.4 Hauptargument gegen einen solchen Rückgriff ist die Vielfalt der Naturrechtslehren und ihre vielseitige Einsatzmöglichkeit. Eingeräumt wird aber, daß das GG selbst evidente Einbruchsteilen des Naturrechts enthält, insbesondere in Art. 1 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 2 GG, und das Naturrecht im Vorgang der Verfassunggebung eine unverzichtbare, geschichtsmächtige Kraft war. Mittlerweile haben sich danach aber das Verfassungsrecht, insbesondere die Grundrechte so verselbständigt, daß das Naturrecht in diesem Rahmen zurücktrete. Das GG bedürfe der naturrechtlichen Legitimierung nicht mehr, folglich müsse eine zeitgemäße demokratische Verfassungstheorie jenseits des Naturrechts ansetzen. Auch im systemtheoretischen Modell, in dem das Recht als autopoietisches System begriffen wird und das eine gewisse Verwandtschaft zum Rechtspositivismus aufweist, wird die Wechselwirkung zwischen Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik eher gering eingeschätzt.5 1 Dazu R. Dreier, Was ist und wozu Allgemeine Rechtslehre?, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, S. 17/27 ff. 2 R. Dreier, Was ist und wozu Allgemeine Rechtslehre?, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, S. 17/27. 3 Siehe dazu Günter Frankenberg, Stichworte zur „Drittwirkung" der Rechtsphilosophie im Verfassungsrecht, in: Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik in Zeiten des Umbruchs, hrsg. von Gröschner und Morlok, ARSP Beiheft 71, 1997, S. 105/108. Eingehend Martin Morlok, Was ist und zu welchem Ende studiert man Verfassungstheorie?, 1988, insbes. S. 91 ff. 4 Häberle, Verfassungstheorie ohne Naturrecht, in: AöR 99 (1974), S. 437 ff.

§17 Verfassungsrecht und -theorie und Art. 20 Abs. 3 GG

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Wer hingegen annimmt, daß Verfassungsrecht als das Arbeitsfeld von Rechtsdogmatikern mit Rechtstheorie und Rechtsphilosophie in Verbindung steht, kann zum einen die starke These vertreten, daß der eine Bereich den anderen beeinflußt oder gar steuert und insoweit Gerechtigkeitstheorien unvermittelt im Verfassungsrecht Anwendung finden. 6 Überwiegend wird aber nur die schwache These vertreten, die besagt, daß ein Transfer von den in der Theorie entwickelten Problemlösungsansätzen in das Verfassungsrecht zumindest nicht ausgeschlossen ist. Es bedarf dabei besonderer Übersetzungsleistungen und einer ausdrücklichen Rezeption durch die Filter der Verfassungsrechtsdogmatik. Nichtpositivisten vertreten daher die Auffassung, daß der in rechtstheoretischem Kontext entwickelte Rechtsbegriff auch Auswirkung auf den Bereich des Verfassungsrechts hat und die Rechtstheorie zumindest Kritik zu bieten vermag. Die Aussagen der Rechtstheorie sind danach an die Rechtsdogmatik adressiert und haben über diese mittelbaren Praxisbezug.7 Verfassungsrecht und Rechtstheorie durchdringen sich somit gegenseitig. Die Analyse des Rechts gem. Art. 20 Abs. 3 GG kann demzufolge nicht vollständig gelingen, wenn sie losgelöst von einer theoretischen Grundlegung erfolgt. Konzeptionen des Rechtsbegriffs, die auf einer Trennung von Moral und Recht insistieren, favorisieren hingegen die Auffassung, daß ein Transfer zwischen Rechtstheorie und Verfassungsrecht eher unwahrscheinlich ist. Dabei gehen allerdings auch diese Modelle nicht so weit, daß man annehmen müßte, die Rechtsdogmatik wäre mit einer jedwede Rezeption ausschließenden philosophisch-theoretischen Blindheit geschlagen.8 Ein gewisser Wirkungszusammenhang von philosophischen Ideen und Rechtsdogmatik läßt sich kaum leugnen.9 Gerade die Fundamentalgrundsätze der Verfassung, zu denen die Rechtsbindung der Staatsgewalt gem. Art. 20 Abs. 3 GG gehört, zeichnen sich durch eine besondere Moralnähe aus und dürften als Einbruchstellen philosophischer Lehren und Erkenntnisse vorrangig in Betracht kommen. 10 Des weiteren läßt sich feststellen, daß in Bereichen, 5 Vgl. Luhmann, Gerechtigkeit in den Rechtssystemen der modernen Gesellschaft (1973), in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, 1999, S. 374/377 ff.; ders., Rechtstheorie im interdisziplinären Zusammenhang, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts, S. 191 ff.; Teubner, Recht als autopoietisches System, insbes. S. 123 ff. 6 Dazu und zum folgenden Frankenberg, „Drittwirkung" der Rechtsphilosophie, in: Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik, hrsg. von Gröschner und Morlok, ARSP Beiheft 71, 1997, S. 105/108. 7 R. Dreier, Was ist und wozu Allgemeine Rechtslehre?, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, S. 17/31 f.; vgl. Alexy, Begriff und Geltung, S. 18ff. in Bezug auf Art. 20 Abs. 3 GG. 8 Vgl. auch Lege, Was heißt und zu welchem Ende studiert man als Jurist Rechtsphilosophie?, in: Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik, hrsg. von Gröschner und Morlok, ARSP Beiheft 71, 1997, S. 83/96: Rechtsphilosophie ist „nicht eine Sache nur der akademischen ,Rechtstheorie', sondern auch der Rechtspraxis". 9 Vgl. Martin Schulte, Recht und Gesellschaft - rechtsrealistisch betrachtet, in: Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. FS-Krawietz, S. 317/330. !0 Frankenberg, „Drittwirkung" der Rechtsphilosophie, in: Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik, hrsg. von Gröschner und Morlok, ARSP Beiheft 71, 1997, S. 105/110.

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

wo der gesellschaftliche Grundkonsens zerbricht und Funktionsstörungen des Rechtssystems sichtbar werden, die Theoriebedürftigkeit der Praxis am größten ist und also auch die Praxisrelevanz der Theorie. 11 Schließlich ist man sich weitgehend einig, daß der Verfassung die Funktion der Gerechtigkeitsreserve zukommt. Das GG soll nicht nur irgendeine, sondern eine legitime Ordnung gewährleisten, wozu eine „Richtigkeitskontrolle" gehört, die über das Dogmatische hinausgreift. 12 Der Streit um den Rechtsbegriff und die Skepsis gegenüber rechtsethischen Implikationen verfassungsrechtlicher Begriffe betreffen in erster Linie den vorbelasteten Begriff des Naturrechts. Sogar die Befürworter einer naturrechtslosen Verfassungstheorie meinen, daß Teile unbezweifelten Naturrechts in ihrer Funktion als „Notbremse" im verfassungsdogmatischen Bewußtsein bleiben sollen und es Grenzsituationen geben könne, in denen der Rückgriff auf Naturrecht gegenüber der Arroganz staatlicher Macht effektiver ist. 13 Aus diesen Erwägungen heraus kann bei der Auslegung des Rechtsbegriffs auf eine Fundierung auf theoretischer Ebene nicht verzichtet werden. Die verfassungsrechtsdogmatische Analyse des Art. 20 Abs. 3 GG bedarf jedoch einer Präzisierung und Absicherung durch einen Theorierahmen. B. Das Verhältnis der beiden Disziplinen im Rahmen der Verfassungsauslegung Bei einer Durchsicht der einschlägigen Verfassungsrechtskommentierungen könnte man zunächst meinen, daß die Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG ohne rechtstheoretische und rechtsphilosophische Reflexionen auskommt. Gleichwohl haben, wie R. Dreier zu Recht meint, alle Juristen eine Rechtsphilosophie, nur die meisten wissen es nicht und die Folgen können verheerend sein. 14 Selten nehmen die Verfassungsinterpreten zu theoretischen Konzeptionen des Rechts gem. Art. 20 Abs. 3 GG eigens Stellung. So operieren die Vertreter der Tautologie-These unausgesprochen mit einem bestimmten rechts- oder gesetzespositivistischen Rechtsbegriff, ohne sich aber mit rechtstheoretischen Konzeptionen wie etwa dem Radbruchschen Lösungsvorschlag auseinanderzusetzen, und ignorieren diese vielmehr schlichtweg. Ansonsten erfolgt die Rezeption rechtstheoretischer Ideen in den Verfassungskommentierungen auf unterschiedliche Weise.15 Teils begnügt man sich mit einem bloßen Hinweis auf Theoriemodelle 11

Siehe R. Dreier, Was ist und wozu Allgemeine Rechtslehre?, in: ders., Recht-MoralIdeologie, S. 17/32. 12 Morlok, Verfassungstheorie, S. 91 ff.; vgl. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 2. Aufl. 1972, insbes. S. 142 ff. 13 Häberle, Verfassungstheorie ohne Naturrecht, in: AöR 99 (1974), S. 437/445. 14 R. Dreier, Was ist und wozu Allgemeine Rechtslehre?, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, S. 17/32. 15 Vgl. Frankenberg, „Drittwirkung" der Rechtsphilosophie, in: Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik, ARSP Beiheft 71, S. 105/113 ff., der vier Weisen der Rezeption rechts-

§ 18 Rechtsbegriff als Grundlage der Tautologie-These

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und Autoren und nimmt sie also immerhin zur Kenntnis. Teils wird die Radbruchsche Formel explizit zitiert, ohne daß eine differenzierte Auseinandersetzung mit ihr erfolgt. Schließlich wird die Radbruchsche Formel bisweilen eher unauffällig rezipiert und, ohne sie eigens zu nennen, sinngemäß in den Gedankengang aufgenommen. Den jeweiligen Positionen zum Verhältnis von Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG liegt ein unterschiedlicher rechtstheoretischer Rechtsbegriff zugrunde, der wiederum Konsequenzen für die Verfassungsdogmatik, ζ. B. für das Verständnis des Rechtsstaatsprinzips, hat. Insoweit lohnt es sich, die Ansätze der Verfassungsinterpreten unter rechtstheoretischem Blickwinkel zu beleuchten. Daher bedarf auch die Tautologie-These einer theoretischen Reflexion, wenngleich ihre Verfechter auf theoretische Überlegungen zum Rechtsbegriff weitgehend verzichten.

§ 18 Der rechtspositivistische Rechtsbegriff als Grundlage der Tautologie-These Klärungsbedürftig ist, welcher Rechtsbegriff der Auffassung vom tautologischen Charakter des Begriffspaars des Art. 20 Abs. 3 GG bzw. von der Tendenz der Formel zur Tautologie aus rechtstheoretischer Sicht zugrundeliegt und worin dessen Vorzüge und Defizite liegen. Der Tautologie-These zufolge hat der Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG neben dem Gesetzesbegriff im wesentlichen keine eigenständige Bedeutung, er erweist sich praktisch als überflüssig. Das theoretische Fundament der Bemühungen, den Begriff des Rechts in Art. 20 Abs. 3 GG zu ignorieren, liefern verschiedene Varianten des Gesetzes- und Rechtspositivismus.16 Die Verfassungsinterpreten, die für eine Gleichsetzung von Gesetz und Recht plädieren, legen ihren Begriff des Rechts dabei selten offen oder definieren ihn gar explizit, sie operieren aber teilweise unbewußt mit einem bestimmten positivistischen Rechts Verständnis. Die Bindungsformel erscheint auf der Grundlage eines eng verstandenen positivistischen Konzepts des Rechts als inhaltsleerer Pleonasmus und Tautologie. Hervorzuheben ist allerdings, daß die im Schrifttum vertretene Tautologie-These nicht notwendig von einem streng positivistischen, insbesondere einem gesetzespositivistischen Verständnis des Rechts getragen ist. Überwiegend befürworten die Tautologen kein striktes ,Gesetz ist Gesetz'-Denken. Vielmehr sind sie lediglich der Auffassung, daß, wenn die Verfassung selbst genügend Sicherungen materieller Gerechtigkeit gewährleistet wie das GG, kein Bedürfnis mehr dafür besteht, dem Recht eine über die Gesamtheit der im Einklang mit der Verfassung stehenden Gesetze hinausweisende Bedeutung beizumessen. philosophischer Ideen in den Verfassungskommentaren unterscheidet und dies anhand der Kommentierungen zu Art. 3 GG nachweist. 16 Siehe Sobota, Das Prinzip Rechtsstaat, S. 92.

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

Ahnlich legen die Verfassungsinterpreten, die in der Bindung an das Recht lediglich einen Verweis auf das Gewohnheitsrecht oder eine Bekräftigung der Verfassungsbindung erblicken, unausgesprochen ein positivistisches Rechtsverständnis zugrunde. Die unterschiedlichen Facetten des positivistischen Rechtsbegriffs, der die rechtstheoretische Basis des Tautologie-Arguments wie auch der These von der Rechtsbindung als Bindung an das Grundgesetz bildet, sind nunmehr zu beleuchten.

A. Definitionselemente des rechtspositivistischen Rechtsbegriffs Zentrale These der rechtspositivistischen Theorien des Rechtsbegriffs ist, daß es keinen begrifflich notwendigen Zusammenhang zwischen Recht und Moral, zwischen dem Recht, wie es ist und dem Recht, wie es sein soll, gibt. Die Behauptung, daß der Rechtsbegriff unter Ausschluß moralischer Elemente zu definieren ist, wird im Grundlagenstreit um Naturrecht und Rechtspositivismus als Trennungsthese bzw. Neutralitätsthese bezeichnet.17 Da sich die positivistischen Rechtstheorien auf das positiv gegebene Recht beschränken und die Frage nach seiner Richtigkeit ausklammern, kann - wie Kelsen es formuliert hat - jeder beliebige Inhalt Recht sein. 18 Damit verbunden ist die Nonkognitivismusthese, die besagt, daß es keine Erkenntnis absolut geltender Normen und Werte gibt und daher bei der Bestimmung des Rechts auf metaphysische Annahmen zu verzichten ist. Inhaltliche Kriterien scheiden als Definitionsmerkmaie des Rechtsbegriffs aus, so daß den Positivisten als Hauptelemente die ordnungsgemäße oder autoritative Gesetztheit und die soziale Wirksamkeit der Normen zur Verfügung stehen. Diese Merkmale können wiederum in verschiedener Weise interpretiert und kombiniert werden, woraus sich die zahlreichen Varianten der positivistischen Rechtsbegriffe erklären. 19 Eine sehr enge Version innerhalb dieser Theorie stellt der Gesetzespositivismus, die wohl bedeutendste Spielart der juristischen Positivismen dar.

17 Dazu Hoerster, Zur Verteidigung der rechtspositivistischen Trennungsthese, in: R. Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, ARSP Beiheft 37 (1990), S. 27 ff.; Alexy, Begriff und Geltung, S. 15 ff.; R. Dreier, Der Begriff des Rechts, in: NJW 1986, S. 890 ff. is Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S. 201; vgl. auch Carl Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, 2. Aufl. 1934, Nachdr. 1990, S. 20: „ . . . die Autorität beweist, daß sie, um Recht zu schaffen, nicht Recht zu haben braucht". 19 Alexy, Begriff und Geltung, S. 16; dazu Ott, Der Rechtspositivismus, 2. Aufl., 1992, S. 32 ff.

§18 Rechtsbegriff als Grundlage der Tautologie-These

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B. Gesetz und Recht aus der Sicht des Gesetzespositivismus und der Reinen Rechtslehre Der Gesetzespositivismus identifiziert das Recht mit dem im verfassungsmäßigen Verfahren zustandegekommenen staatlichen Gesetzesrecht. Danach ist jedes Gesetz eo ipso auch Recht. 20 Der vom Rechtsbegriff umfaßte Normenkreis deckt sich mit dem Gesetzesbegriff im materiellen Sinne.21 Da der Gesetzespositivismus ausschließlich auf formale Kriterien Bezug nimmt und positives Recht und Moral scharf unterscheidet, kann man von einer „starken" Trennungsthese sprechen.22 Eine solche Trennungsthese ist Grundlage der Reinen Rechtslehre Kelsens in ihrer klassischen Gestalt. Der Rechtsbegriff in der Reinen Rechtslehre ist charakterisiert durch die Trennung zwischen dem positiven Recht und der Moral, unter welcher Kelsen sämtliche nichtrechtliche soziale Normativordnungen faßt. 23 Demzufolge verficht Kelsen das Reinheitspostulat, d. h. die Forderung nach Eliminierung aller „unjuristischen" Betrachtungsweisen und Methoden - insbesondere der Ethik, Politik und Soziologie - aus der Rechtswissenschaft. Indessen weist die Theorie der Reinen Rechtslehre innere Unstimmigkeiten auf, beispielsweise wenn von einer „im großen und ganzen wirksamen" Rechtsordnung24 gesprochen und damit im Grunde eingeräumt wird, daß sich empirisch-soziologische Gegebenheiten nicht gänzlich ausblenden lassen. Eine weitergehende Öffnung für außerrechtliche und empirische Phänomene ist zudem im Kelsenschen Spätwerk „Allgemeine Theorie der Normen" erkennbar, was zeigt, daß das Reinheitspostulat als Kernpunkt der Theorie nur schwer durchzuhalten ist. 25 Auch vertritt Kelsen in der Spätphase die Zwangstheorie des Rechts nicht mehr ganz so konsequent, baut vielmehr Elemente der Anerkennungstheorie in seine Rechtslehre ein. Er setzt sich mit der Frage des Naturrechts durchaus auseinander, will dieses aber vom positiven Recht deutlich getrennt wissen und keineswegs zum Gegenstand der Rechtswissenschaft machen.26 Demzufolge hält Kelsen moralischen Protest gegen ungerechte Gesetze 20 Siehe Ott, Der Rechtspositivismus, S. 39 ff. 21

Ott, Der Rechtspositivismus, S. 40, Fn. 3: Vom gesetzespositivistischen Standpunkt aus gilt dabei das Gewohnheitsrecht nur insoweit, als es vom Gesetz ausdrücklich oder stillschweigend anerkannt wird. 22 Dazu Alexy, Begriff und Geltung, S. 83; ders., Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Geltungs- und Erkenntnisbedingungen im modernen Rechtsdenken, hrsg. von MacCormick (u. a.), ARSP Beiheft 25 (1985), S. 13/15. 23 Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 60. Zur Trennung von Recht und Gerechtigkeit bei Kelsen eingehend H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl. 1990, S. 160 ff. 24 Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 206ff., 215 ff. 25 Siehe Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, insbes. S. 191 ff.; dazu Krawietz, Recht als Regelsystem, S. 182 ff.; Paulson, Stellt die „Allgemeine Theorie der Normen" einen Bruch in Kelsens Lehre dar?, in: Die Reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, S. 122 ff. 26 Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 70; ders., Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus (1928), in: WRS, Bd. 1, S. 281 ff.; ders., Natur-

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

selbstverständlich nicht für ausgeschlossen. Der wissenschaftliche Jurist identifiziere sich nämlich mit keinem, auch nicht mit dem von ihm beschriebenen Rechtswert. 27 Der gesetzespositivistische Standpunkt als eine streng auf das normative Element des Rechts verengte Spielart des Rechtspositivismus setzt Gesetzes- und Rechtsbindung gleich mit der praktischen Folge, daß der Richter beispielsweise auch extrem ungerechten NS-Gesetzen nicht den Gehorsam verweigern darf. Der Richter muß sie danach als verbindliches Recht anerkennen, wenngleich er gewissermaßen als Privatperson außerhalb seines Amtes eine andere Beurteilung vornehmen kann und vielleicht sogar muß. Die damit vorgenommene Aufspaltung in eine moralische und rechtliche Bewertungsebene, die dem wissenschaftlichen Juristen abverlangt wird, wirkt nicht sehr plausibel und läuft auf die Identifikation von Recht und Macht hinaus. Eine starke Trennungsthese, wie sie dem Gesetzespositivismus und der Reinen Rechtslehre in der klassischen Gestalt zugrundeliegt, wird indessen von den heutigen Verfassungsinterpreten in dieser Schärfe nicht vertreten. Den Verfechtern der Tautologie-These kann kein enges ,Gesetz ist Gesetz4-Denken unterstellt werden. Wenngleich sie das Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG mit dem Gesetz identifizieren, liegt es ihnen doch fern, extrem ungerechtes positives Recht wie ζ. B. spezifische NS-Gesetze zu legitimieren und als gültiges Recht anzuerkennen. Ihre Auffassung ist vielmehr von der Vorstellung getragen, daß unter der Geltung des GG für ein Auseinanderfallen von Recht und Gesetz kein Raum ist und mögliche Konflikte sich vollständig mittels des positiven Verfassungsrechts angemessen lösen lassen. Nach Ansicht der Tautologen wie auch der Verfechter der These von der Rechtsbindung als Verfassungsbindung umfassen die positivrechtlichen Gehalte des GG, insbesondere die Grundrechte, die Idee der Gerechtigkeit, so daß ein Rückgriff auf überpositive Gerechtigkeitsvorstellungen entbehrlich wird. 28 Die tautologische wie auch die spannungslose Deutung des Begriffspaars des Art. 20 Abs. 3 GG ist also nicht notwendig durch ein starke Trennungsthese geprägt. Daher sind andere Spielarten des Positivismus, nämlich schwächere Trennungsthesen für die Diskussion um die Bindungsformel unter rechtstheoretischem Aspekt von größerer Bedeutung. Ein weniger auf normativistische Verselbständigung angelegter Rechtsbegriff findet sich vor allem im analytischen Rechtspositivismus.

recht und positives Recht (1927/28), in: WRS, Bd. 1, S. 215 ff. Zu Kelsens Auseinandersetzung mit dem Naturrecht s. H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl. 1990, S. 166 ff. 27 Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., S. 70. 28 Siehe Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, 6. Aufl. 2002, Art. 20, Rn. 30, 38.

§ 18 Rechtsbegriff als Grundlage der Tautologie-These

233

C. Der Rechtsbegriff des analytischen Rechtspositivismus Dem vor allem im angelsächsischen Rechtskreis beheimateten analytischen Rechtspositivismus liegt, verglichen mit dem gesetzespositivistischen Standpunkt und der Position der Reinen Rechtslehre, insgesamt eine schwächere Trennungsthese zugrunde. Der rechtspositivistische Rechtsbegriff der analytischen Richtung soll vor dem Hintergrund des Verständnisses des Art. 20 Abs. 3 GG diskutiert werden. Dabei ist vorweg klarzustellen, daß die Grundgesetzinterpreten, die zu einer Gleichsetzung von Gesetz und Recht tendieren, selten ausdrücklich auf die in Rechtstheorie und Rechtsphilosophie gewonnenen Erkenntnisse zurückgreifen, sondern meist unbewußt ein positivistisches Rechts Verständnis zugrundelegen. Daher findet sich in den Grundgesetzkommentierungen kaum eine explizite Anknüpfung an eine bestimmte rechtspositivistische Richtung. In der verfassungsrechtlichen Diskussion um Art. 20 Abs. 3 GG spielen aber vielfach Argumente eine Rolle, die der analytische Rechtspositivismus zur Begründung seines Rechtsbegriffs heranzieht und auf die besonderes Augenmerk gelegt werden soll.

I. Der Rechtsbegriff H. L. A. Harts in der Auseinandersetzung mit Radbruch

Im Bereich des analytischen Rechtspositivismus, dem an einer logischen und begrifflich-sprachlichen Analyse der juristischen Praxis gelegen ist, findet sich ein primär setzungsorientierter Rechtsbegriff. 29 Als Vorläufer der analytischen Rechtstheoretiker im anglo-amerikanischen Bereich gilt John Austin (1790-1859), wobei die Ursprünge des setzungs- und befehlsorientierten Rechtsdenkens allerdings viel weiter, mindestens bis auf Hobbes zurückreichen dürften. 30 Austin definiert das Recht als den Inbegriff der sanktionsbewehrten Befehle eines politischen Souveräns und orientiert damit den Rechtsbegriff in stärkster Weise am Setzungs- und Zwangsmoment.31 Die These, menschliche Gesetze hörten auf Gesetze zu sein, wenn sie den Grundprinzipien der Moral widersprechen, hält er für „stark nonsense",32 was die begriffliche Trennung zwischen Recht und Moral in seiner Theorie pointiert aufzeigt. Die Austinsche Rechtstheorie kann einem reduktionistischen Theorietypus zugerechnet werden, da sie die Rechtsnorm auf einen ganz bestimmten Aspekt, nämlich das schlichte Faktum der Befehl s Setzung reduziert. 33 In Aus29 Alexy, Begriff und Geltung, S. 34 f. 30

Siehe Wyduckel, Normativität und Positivität, in: FS-Krawietz, S. 437/450, wonach sich Ansätze einer setzungsorientierten Definition des Rechts bereits bei Marsilius von Padua ausmachen lassen. 31 John Austin, Lectures von Jurisprudence or the Philosophy of Positive Law, Bd. 1, 4. Aufl., 1873, S. 87 ff.; vgl. dazu Alexy, Begriff und Geltung, S. 35 f. 32 Austin, Lectures von Jurisprudence, Bd. 1, S. 87. 33

Paulson, Analytische Rechtstheorie, in: Lexikon des Rechts, Gruppe 2: Rechtsphilosophie 27/1987, S. 1; Wyduckel, Normativität und Positivität, in: FS-Krawietz, S. 437/454; vgl. Kriele, Recht, Vernunft, Wirklichkeit, 1990, S. 453/460ff.

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

einandersetzung mit der Imperativentheorie Austins entwickelte H. L. A. Hart (1907-1992), der wohl bedeutendste Repräsentant der „Analytical Jurisprudence" in diesem Jahrhundert und schärfste Kritiker Kelsens innerhalb der rechtspositivistischen Richtung, eine ebenfalls setzungsorientierte, im ganzen aber wesentlich offenere Konzeption des Rechts. Sein Rechtsbegriff ist gekennzeichnet durch eine gewisse Öffnung gegenüber außerrechtlichen, empirischen Phänomenen und einer spezifischen Sichtweise des Verhältnisses von Recht und Moral. 34 In diesem Zusammenhang ist zum einen die über die verkürzte Sichtweise Austins hinausgehende Einsicht in die dichotomische Struktur des Rechts als Verbindung von Primär- und Sekundärregeln, d. h. Rechtsnormen, die Pflichten auferlegen und mit Sanktionsandrohungen verbunden sind und solchen, die Befugnisse übertragen, zu erwähnen, zum anderen die sog. rule of recognition. Letztere entspricht zwar funktional der Kelsenschen Grundnorm, ihre Existenz leitet Hart aber im Gegensatz zur bloß vorausgesetzten Grundnorm aus der Faktizität ab und schlägt damit eine Brücke zwischen Normativität und sozialer Praxis. 35 Bedeutsamer noch für die Frage des Verhältnisses von Gesetz und Recht in der Hartschen Theorie erscheint die Explikation der für alle Arten des Rechtspositivismus charakteristischen Trennungsthese, die bei Hart weitaus schwächer ausfällt als in der Reinen Rechtslehre. 36 Anhaltspunkte für eine Entschärfung und Abschwächung der Trennungsthese bei Hart bietet die sich vermutlich auf die Erfahrung des NS-Unrechts gründende These vom „minimum content of natural law". Danach gibt es aus der Natur des Menschen ableitbare Binsenwahrheiten („truisms"), die aus dem Uberlebensinteresse des einzelnen resultieren und mit bestimmten biologisch-anthropologischen sowie soziologischen Grundfaktoren der menschlichen Existenz verbunden sind. 37 Sie stellen Hart zufolge bestimmte Minimalanforderungen inhaltlicher Art an das Recht dar und sind jeder Rechtsordnung immanent. Hierbei handelt es sich anscheinend - nicht zuletzt aufgrund der Etikettierung als natural law - um zeitlos gültige, aus dem Wesen des Menschen

34 H. L. A. Hart, The Concept of Law, 1961, insbes. S. 189 ff. (deutsch u.d.T.: Der Begriff des Rechts, 1973). Dazu Horst Eckmann, Rechtspositivismus und sprachanalytische Philosophie. Der Begriff des Rechts in der Rechtstheorie H. L. A. Harts, 1969; Alexy, Begriff und Geltung, S. 38, 75 ff. 35 Hart, The Concept of Law, S. 104 ff., 245 f.; dazu eingehend Pawlik, Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts. Ein kritischer Vergleich, 1993, insbes. S. 150ff.; Kunz, Die analytische Rechtstheorie: Eine „Rechts"-theorie ohne Recht?, 1977. 36

Vgl. Per Mazurek, Analytische Rechtstheorie, in: Kaufmann/Hassemer (Hrsg.), Einführung, S. 331 / 338 ff. 37 Hart, Concept of Law, S. 189 ff. Menschliche Grundgegebenheiten seien ζ. B. die körperliche Verwundbarkeit des Menschen, aus der das Verbot von Totschlag und Körperverletzung folge, die annähernde Gleichheit aller Menschen, die Tatsache der begrenzten Vorräte an Nahrung, Kleidung und Obdach, die begrenzte Einsicht und Willensstärke des Menschen. Hart folgt hierin einem Ansatz Austins, der von einer Notwendigkeit fundamentaler Rechtsbegriffe auf der Basis der menschlichen Natur ausgeht. Dazu Pawlik, Rechtstheorie H. L. A. Harts, S. 30ff.; Eckmann, Rechtspositivismus, S. 44ff.

§18 Rechtsbegriff als Grundlage der Tautologie-These

235

ableitbare Naturrechtssätze, die das positive Recht notwendig enthalten muß. Hart will allerdings, obwohl er die Überschneidungen von Recht und Moral sowie ihren starken wechselseitigen Einfluß nicht leugnet, das ethisch-moralische Element nicht in die Definition des Rechtsbegriffs einbeziehen, sondern begreift es vielmehr als reines Faktum und spricht von einer empirischen Version des Naturrechts. 38 Im Einklang mit dem Selbstverständnis Harts wird insoweit vielfach gesagt, daß seine Konzeption nicht ein Naturrecht im klassischen Sinne darstellt, da sie an keiner Stelle die Ebene der Faktizität verläßt und nur die tatsächlichen Beziehungen zwischen Recht und Moral aufzeigt. 39 Indessen kann nicht übersehen werden, daß Hart von einer notwendigen Entsprechung von Recht und Moral und nicht lediglich zufällig anzutreffenden aus der menschlichen Natur sich ergebenden Übereinstimmungen ausgeht, die als Vernunftgründe im positiven Recht enthalten sein müssen und einen Richtigkeitsmaßstab zu bilden scheinen. In dem Rekurs auf den Mindestinhalt des Naturrechts liegt die unbewußte Annahme, wenn nicht sogar das Eingeständnis, daß der Inhalt des Rechts nicht völlig beliebig sein und ohne Rückgriff auch auf vor- und außerrechtliche Gegebenheiten und Maßstäbe offenbar sinnvoll nicht bestimmt werden kann. 40 Dabei wird deutlich, daß sich die Trennungsthese offenbar nur in abgeschwächter Form und mit einigem argumentativen Aufwand konsequent durchhalten läßt. Hart übt von der Warte seines positivistischen Rechtsbegriffs und der spezifischen Version der Trennungsthese deutliche Kritik am Rechtsbegriff Radbruchs. Der vielschichtigen Auseinandersetzung Harts mit der Verbindungsthese im allgemeinen und dem Nachkriegsplädoyer Radbruchs im besonderen soll näher nachgegangen werden. Die Kritikpunkte Harts lassen sich dabei grob in fünf Argumente unterteilen. 7. Das disziplinäre

Argument

Das disziplinäre Argument 41 besagt, daß sich ein enger moralbehafteter Rechtsbegriff nicht empfiehlt, weil damit moralisch verwerfliche Gesetze aus dem Gegenstandsbereich der Rechtswissenschaft ausscheiden, was weder sinnvoll sei noch dem Selbstverständnis der Disziplin entspreche.42 Insbesondere für Teildisziplinen 38 Hart, Concept of Law, S. 195. 39 So Pawlik, Rechtstheorie H. L. A. Harts, S. 32 ff., insbes. Fn. 103; Eckmann, Rechtspositivismus, S. 44 ff.; Ott, Der Rechtspositivismus, S. 93. 40 Wyduckel, Normativität und Positivität, in: FS-Krawietz, S. 437/464. Unstimmigkeiten in der Theorie Harts sieht auch Eckmann, Rechtspositivismus, S. 49 f. 41 Die Bezeichnung stammt von R. Dreier, Recht und Moral, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, S. 180/192; vgl. Pawlik, Rechtstheorie H. L. A. Harts, S. 22; Schumacher, Rezeption, S. 57. 42 Vgl. Hart, Concept of Law, S. 288 f.; Hoerster, Zum begrifflichen Verhältnis von Recht und Moral, in: Recht und Moral, hrsg. von Rüdiger Bubner (u. a.), Neue Hefte für Philosophie, H. 17, 1979, S. 77/84 f.; siehe Ott, Der Rechtspositivismus, S. 175 f.

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

wie Rechtsgeschichte und Rechtssoziologie wäre ein enges Konzept des Rechts inadäquat, da sonst Normen wie etwa spezifische NS-Gesetze, die vom Standpunkt der Radbruchschen Formel aus des Rechtscharakters entbehren, als Forschungsobjekt herausfielen. Die Verwendung eines einheitlichen Rechtsbegriffs in der Rechtswissenschaft sei aber zweckmäßig. Insofern bietet danach ein weiter, d. h. alles positive Recht unabhängig von seinem Inhalt umfassender Rechtsbegriff einen größeren Vorteil. Dem disziplinären Argument kann allerdings entgegengehalten werden, daß umgekehrt auch der weite setzungsorientierte Rechtsbegriff insoweit verengende Wirkung hat, als er moralische Fragen als außerrechtliche behandelt und Probleme der ethischen Rechtfertigung des positiven Rechts aus dem Gegenstandsbereich der Rechtswissenschaft ausblendet. Gerade der enge moralbehaftete Rechtsbegriff könnte bestimmte Fragen wie die nach der Legitimität des Rechts wieder stärker ins Blickfeld rücken und auf diese Weise der Reduzierung des Gegenstandsbereichs entgegenwirken. 43 Schließlich dürfte es wohl kaum zu großer Verwirrung führen, wenn die jeweiligen Teildisziplinen mit unterschiedlichen Rechtsbegriffen operieren. 2. Das Klarheitsargument

Des weiteren hat nach Ansicht von Hart der auf der Trennungsthese basierende Rechtsbegriff gegenüber einem ethisch angereicherten Rechtsbegriff den Vorteil größerer begrifflich-analytischer Klarheit und Präzision. Die Radbruchsche These, daß gewisse positive Rechtsnormen wegen moralischer Unhaltbarkeit kein Recht darstellen, bringe „Verwirrung in einer der stärksten, weil einfachsten Formen moralischer Kritik" und stelle eine Behauptung dar, die „viele Leute nicht glauben und ... eine ganze Fülle philosophischer Streitfragen auf den Plan rufen dürfte, bevor man (sie) akzeptieren kann". 44 Moralische Kritik an Normen sei von der Rechtsdefinition getrennt zu halten, da man sonst Gefahr laufe, die wahre Natur des Problems, nämlich seinen ethischen Charakter, zu verschleiern. Diese Uberlegung Harts, die Hoerster in ähnlicher Form aufgegriffen hat, 45 ist in die Diskussion um Trennungs- und Verbindungsthese als begrifflich-sprachliches Argument, als Klarheitsargument bzw. „Argument der Verwirrung" oder der „Verschleierung" eingegangen.46 43 Vgl. R. Dreier, Recht und Moral, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, S. 180/192; Kriele, Recht und praktische Vernunft, S. 113 f.; Pawlik, Rechtstheorie H. L. A. Harts, S. 22 f. Hoerster, Zur Verteidigung der rechtspositivistischen Trennungsthese, in: Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, hrsg. von R. Dreier, ARSP Beiheft 37, 1990, S. 27/31 betont, daß jedenfalls Legitimitätsfragen der Rechtsethik den Juristen angehen. 44 Hart, Recht und Moral, S. 45 f. 45

Hoerster, Die rechtsphilosophische Lehre vom Rechtsbegriff, in: JuS 1987, 181/187; ders., Zur Verteidigung der rechtspositivistischen Tennungsthese, in: Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, hrsg. von R. Dreier, ARSP Beiheft 37, 1990, S. 27.

§18 Rechtsbegriff als Grundlage der Tautologie-These

237

Auf den ersten Blick hat der Gedanke einiges für sich. Auf der Grundlage der Trennungsthese ist jede gesetzte Rechtsnorm unabhängig von ihrer mitunter doch schwierigen inhaltlichen Bewertung als Recht einzustufen. Der positivistische Rechtsbegriff schafft in der Tat zunächst größere Klarheit, als strittige Zuordnungen und Grenzziehungen, wie sie die Radbruchsche Formel erfordert, entfallen. Insofern kann eine wesentliche Leistung des juristischen, insbesondere des analytischen Positivismus darin erblickt werden, daß er zur begrifflich-theoretischen Präzisierung und methodologischen Eigenständigkeit der Rechtswissenschaft beigetragen hat. Das hierin liegende, für alle Fachwissenschaften charakteristische Bestreben, den eigenen Gegenstandsbereich so genau wie möglich zu bestimmen und sich von anderen Disziplinen wissenschaftlich abzugrenzen, ist legitimer Ausdruck erkenntnistheoretischer Selbstvergewisserung. 47 Indessen darf dieses Bestreben nicht zu Selbstgenügsamkeit oder gar Selbstentmündigung führen. 48 Wissenschaftliche Klarheit des Ausdrucks und Einfachheit sind für die juristische Begriffsbildung sicherlich ein oberstes Gebot, aber nicht die ausschließliche Zielsetzung. Als Kehrseite der Entwicklung und Defizit des Konzeptes zeigt sich, ohne dabei die Leistung des Positivismus im ganzen schmälern zu wollen, daß das Bemühen um begriffliche Präzision zu einer bloß partiellen und perspektivistischen Wahrnehmung und damit unzureichenden Erfassung des Gegenstands führen kann. 49 Eine Betrachtungsweise, die das Recht aus sich selbst heraus zu erklären sucht und die Vielfalt seiner Aspekte nicht erfaßt, dürfte dem komplexen Gegenstand nicht gerecht werden. Mithin erfährt das Recht als Mehrebenenphänomen in der analytischen Rechtstheorie eine Verkürzung auf eine bestimmte Dimension und droht ihm die Gefahr einer „formalistischen Amputation". 50 Dagegen könnte ein Einschluß ethisch-moralischer Fragestellungen die durch das positivistische Denken herbeigeführte Verengung des Blickfelds sprengen. Weiterhin ist gegen das Klarheitsargument einzuwenden, daß es für Juristen keine besonderen Schwierigkeiten bereiten dürfte, eine mehrdimensionale Blickrichtung zugrundezulegen, da sie ohnehin den Umgang mit komplexen Begriffen 46 Alexy, Begriff und Geltung, S. 75 ff.; R. Dreier, Recht und Moral, in: ders., RechtMoral-Ideologie, S. 180/192; Ott, Der Rechtspositivismus, S. 199 f.; Pawlik, Rechtstheorie H. L. A. Harts, S. 24 f. 47 Wyduckel, Normativität und Positivität, in: FS-Krawietz, S. 437/462f.; ders., Nachpositivistischer Rechtsrealismus, in: Soziologische Jurisprudenz und realistische Theorien des Rechts, hrsg. von E. Kamenka (u. a.), Rechtstheorie Beiheft 9, 1986, S. 349/352; vgl. Kunz, Die analytische Rechtstheorie, S. 64 ff. 48 Vgl. Hruschka, Vorpositives Recht als Gegenstand und Aufgabe der Rechtswissenschaft, in: JZ 1992, S. 429/437. 49 Wyduckel, Normativität und Positivität, in: FS-Krawietz, S. 437/462f., 473; ders., Nachpositivistischer Rechtsrealismus, in: Soziologische Jurisprudenz, hrsg. von Kamenka (u. a.), Rechtstheorie Beiheft 9 (1986), S. 349/352; Maihofer, Rechtssoziologie und Rechtstheorie, S. 248 f., 277.

50 Maihofer, S. 77.

Rechtssoziologie und Rechtstheorie, S. 277; Alexy, Begriff und Geltung,

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

gewohnt sind. Für den Bürger dürfte es vermutlich ebenso Verwirrung stiften, wenn ihm gesagt wird, eine moralisch verwerfliche Norm oder ein extrem ungerechtes Urteil seien dennoch „Recht". 51 Auch der Einwand der „Verschleierung" überzeugt nicht. Während der Nichtpositivist Legitimitationsfragen in den Rechtsbegriff hineinverlagert, hält der Positivist deutlich auseinander, was auf der einen Seite das Recht, auf der anderen Seite die Moral gebietet. Der Nichtpositivist leugnet aber nicht, daß es sich um ein ethisches Problem handelt, auch wenn er es im Zusammenhang mit rechtlichen Fragen erörtert und rechtsbegriffsintern zu lösen versucht. Er zieht aus der moralischen Bewertung einer Norm rechtliche Konsequenzen, während bei der Trennungsthese die verschiedenen Ebenen verbindungslos nebeneinander erscheinen. Letztere hat die nicht ganz befriedigende Konsequenz, daß man als Jurist dem positiven Recht Folge zu leisten hat, auch wenn man demselben Recht möglicherweise als Privatperson vom moralischen Standpunkt aus den Gehorsam verweigern müßte.52 Aus diesen Gründen bietet die Trennungsthese auf der sprachlich-begrifflichen Argumentationsebene keinen entscheidenden Vorteil gegenüber der Verbindungsthese.

3. Das Effektivitätsargument:

Wirkungskraft

des Rechtsbegriffs?

Kritik an der Verbindungsthese bringt Hart weiterhin unter dem Gesichtspunkt der praktischen Effizienz. Das sog. Effektivitätsargument oder „Argument der Naivität" 53 besagt, daß ein ethisch modifizierter Rechtsbegriff nicht geeignet ist, die moralische Bereitschaft der Juristen zur Gehorsamsverweigerung gegenüber gesetzlichem Unrecht zu stärken und letztlich nichts bewirken kann. Die sog. Wehrlosigkeitsthese Radbruchs, also die Annahme, der Positivismus habe den deutschen Juristenstand gegen verbrecherische NS-Gesetze wehrlos gemacht, hält Hart für außerordentlich naiv. 54 Darüber hinaus würden die Äußerungen des späten Radbruch auf dem grundlegenden Mißverständnis beruhen, daß mit der Anerkennung einer Norm als einer gültigen Rechtsnorm auch schon die moralische Frage der Gehorsamspflicht entschieden sei. Hoerster hat das Argument noch plastischer und schärfer formuliert. Die Rechtsphilosophen erlägen einer gewaltigen Überschätzung, wenn sie glauben, daß man durch eine moralbehaftete Definition des Rechtsbegriffs etwas ausrichten und die Wirklichkeit verändern könne. 55 51 Alexy, Begriff und Geltung, S. 75 ff.; Ott, Der Rechtspositivismus, S. 200. 52 Siehe Alexy, Begriff und Geltung, S. 78. 53 /?. Dreier, Recht und Moral, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, S. 180/192; Alexy, Begriff und Geltung, S. 80ff.; Ott, Der Rechtspositivismus, S. 195 ff.; Schumacher, Rezeption, S. 57 f. 54 Radbruch, Gesetzliches Unrecht, in: SJZ 1946, S. 107; Hart, Recht und Moral, S. 42; ders., Concept of Law, S. 205. 55 Hoerster, Die rechtsphilosophische Lehre vom Rechtsbegriff, in: JuS 1987, S. 185 f.

§ 18 Rechtsbegriff als Grundlage der Tautologie-These

239

Die Kritik ist, was die Wehrlosigkeitsthese Radbruchs und die damit verbundene Forderung nach einer grundsätzlichen Überwindung des Positivismus angeht, um sich gegen die Wiederkehr einer Unrechtsherrschaft besser zu wappnen, größtenteils berechtigt. Die in der frühen Nachkriegszeit weit verbreitete, auch von dem BGH-Präsidenten Weinkauff vertretene Ansicht, die Perversion des Rechts im NSSystem sei aus dem ,Gesetz ist Gesetz'-Denken der deutschen Juristen erwachsen, kann heute als weitgehend widerlegt gelten.56 Die pauschale Schuldzuweisung an den Rechtspositivismus, der die Haltung des gesamten deutschen Juristenstandes gekennzeichnet habe, hält einer genaueren Analyse nicht stand. Ihr liegt eine verkürzte, einseitige Ursachenforschung zugrunde, die insbesondere das Doppelgesichtige des NS-Systems verkennt, das in Rechtsetzung und Rechtsanwendung einerseits durch streng formalistische, andererseits durch entformalisierte Strukturen geprägt war. Die NS-Juristen bedienten sich zur Erreichung ihrer Ziele sowohl betont rationaler wie auch irrationaler Argumentation. Fraglich ist aber, ob der nichtpositivistische Rechtsbegriff wie behauptet im allgemeinen nichts gegen gesetzliches Unrecht auszurichten vermag oder gar für Rechtspervertierungen anfälliger ist als ein positivistischer. Definitionen des Rechtsbegriffs können sicher für sich genommen praktisch nicht viel bewirken, auf das Verhalten der Bürger, die derartige Definitionen gewöhnlich nicht kennen, üben sie allemal keinen besonderen Einfluß aus.57 Anders sieht die Lage aber wohl für Juristen, insbesondere die Richterschaft aus. Hier könnte ein offener Rechtsbegriff eine bessere Garantie für die Bekämpfung gesetzlichen Unrechts bieten. Für einen Richter in einem etablierten Unrechtsstaat birgt moralisch wie auch rechtlich motivierter Widerstand gegen extrem ungerechte Gesetze allerdings ein potentielles Martyriumsrisiko. 58 In einem gefestigten Unrechtssystem können 56

Siehe die kritischen Beiträge von Walther, Hat der juristische Positivismus die deutschen Juristen im „Dritten Reich" wehrlos gemacht?, in: Recht und Justiz im „Dritten Reich". Hrsg. von Ralf Dreier und Wolfgang Sellert, 1989, S. 323 ff. u. Maus, „Gesetzesbindung" der Justiz und die Struktur der nationalsozialistischen Rechtsnormen, ebd., S. 80 ff.; Luf, Zur Verantwortlichkeit des Rechtspositivismus für „gesetzliches Unrecht" - Überlegungen zur „Radbruch-These", in: Recht und Nationalsozialismus, hrsg. von Ulrike Davy (u. a.), S. 18 ff.; Hubert Rottleuthner, Substantieller Dezisionismus. Zur Funktion des Rechtsphilosophie im Nationalsozialismus, in: ders. (Hrsg.), Recht, Rechtsphilosophie und Nationalsozialismus, ARSP Beiheft 18 (1983), S. 20ff.; vgl. Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat, 1941, der treffend die Kombination von tradiertem Formalrecht und entformalisiertem Recht, von Maßnahmeund Normativstaat als eigentliche Struktur des NS-Rechtssystems beschreibt. Grimm, Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, 1987, S. 385 weist mit Recht darauf hin, daß der Positivismus die Rechtswissenschaft gegen den Nationalsozialismus gerade hätte immunisieren müssen. Siehe auch H. Dreier, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, in: VVDStRL 60 (2001), S. 9/67 f. 57 Ott, Der Rechtspositivismus, S. 195; ders., Die Radbruch'sche Formel, in: ZfSchwR N.F. 107 (1988), S. 335/346 ff.; Alexy, Begriff und Geltung, S. 86; Hoerster, Zur Verteidigung des Rechtspositivismus, in: NJW 1986, S. 2480/2482; vgl. Weinberger, Der Institutionalistische Rechtspositivismus, S. 151: „Gegen reine Gewaltherrschaften können theoretische Überlegungen wenig ausrichten".

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

Definitionen des Rechts nicht mehr viel bewirken. Stellt man auf die Rechtspraxis insgesamt ab, wäre aber zumindest in der Anfangsphase eines Unrechtsregimes die mögliche Wirkungskraft eines nichtpositivistischen Rechtsbegriffs nicht gering zu veranschlagen. Besteht weitgehender Konsens unter der Richterschaft über moralische Minimalanforderungen an das Recht und kann sich die Rechtspraxis dabei auf das rechtswissenschaftliche Schrifttum, somit auf fundierte rechtliche Begründungen stützen, scheint erfolgreicher Widerstand nicht ganz aussichtslos.59 Überdies kann der nichtpositivistische Rechtsbegriff mit einem Risikoeffekt verbunden sein, als sich der Richter - nach den historischen Erfahrungen - des Überdauerns des Unrechtsstaates nicht gewiß sein kann. 60 Angesichts des Risikos, vom Nachfolgesystem juristisch belangt zu werden, dürfte der Richter zur Mitwirkung am Unrecht weniger motiviert sein. In der Situation nach dem Zusammenbruch eines Unrechtsregimes sind dem Richter jedenfalls auf der Grundlage eines nichtpositivistischen Rechtsbegriffs bessere Möglichkeiten eröffnet, schwierige Fragen im Zusammenhang mit dem Systemunrecht befriedigend zu lösen. Aus der Kritik an der Verbindungsthese kann insgesamt zumindest kein Pluspunkt für die Trennungsthese verzeichnet werden. Dürfte die praktische Wirkungskraft eines nichtpositivistischen Rechtsbegriffs zwar eher gering einzuschätzen sein, so bietet erst recht ein positivistischer Rechtsbegriff keine bessere Garantie gegen gesetzliches Unrecht. Der juristische Positivismus trägt im Gegenteil mit seiner weitgehenden Ausblendung der Legitimitätsfrage und der Verlagerung der Probleme auf die moralische Ebene zu einer Verkümmerung des Problembewußtseins der Juristen bei. 61 Die strikte Trennung zwischen Moral- und Rechtspflicht, das Credo des Rechtspositivismus, kann zu merkwürdigen Bewertungen führen. So müßten Widerstandskämpfer moralisch geehrt und gleichzeitig gerichtlich verurteilt werden. 62 Judikate auf der Grundlage eines positivistischen Rechtsbegriffs erscheinen für den Bürger unter Umständen wenig einsichtig und akzeptabel, sie stellen sich möglicherweise sogar als eine Verfehlung der Aufgabe der Gerichte dar, die wesensmäßig auf die Idee der Gerechtigkeit verpflichtet sind. 63 Hofmann weist mit Recht darauf hin, daß Hart offenbar eine Gesellschaft vorschwebt, die stark genug ist, die Anwendung oder Ausnutzung extrem ungerechter Gesetze auch im nachhinein straffrei zu lassen und zugleich als moralische Verfehlung zu verurteilen. 64 58

Kriele, Recht und praktische Vernunft, S. 113 ff.; ders., Rechtspositivismus und Naturrecht - politisch beleuchtet, in: JuS 1969, S. 149/ 153; R. Dreier, Das kirchliche Amt, S. 54. 59 Alexy, Begriff und Geltung, S. 86f.; Ott, Der Rechtspositivismus, S. 195 f.; siehe auch Bernd Rüthers, Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, 2. Aufl. 1989, S. 216 ff. 60 Alexy, Begriff und Geltung, S. 86 f. 61 R. Dreier, Recht und Moral, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, S. 180/192. 62 Kriele, Recht und praktische Vernunft, S. 113. 63 BVerfGE 3, 225/235; R. Dreier, Recht und Moral, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, S. 180/193. 64 H. Hofmann, Neuere Entwicklungen in der Rechtsphilosophie, S. 12.

§ 18 Rechtsbegriff als Grundlage der Tautologie-These

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Hart gehe vor einem ganz anderen Erfahrungshintergrund als Radbruch von einer selbstbewußten freien Bürgergesellschaft aus, in der „ungerechtes" Recht nicht das Moralbewußtsein erschüttert. 65 Die Rechtsgemeinschaft darf nach Harts Vorstellung eine richterliche Entscheidung, die das positive Recht als strikten Bindungsmaßstab nimmt und zu einem Freispruch kommt, nicht als eine Art moralische Rechtfertigung mißverstehen, womit ihr einiges abverlangt wird. Insofern ist es zweifelhaft, ob die Trennungsthese eine moralkritische Haltung gegenüber dem Recht ermöglicht oder dafür sensibilisiert, indem sie dazu zwingt, moralische Probleme als solche zu bezeichnen und offenzulegen. Schließlich kann man das Effektivitätsargument auf die Ebene des geltenden Verfassungsrechts übertragen und sich die Frage stellen, welche praktische Bedeutung dem Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG zukommt. Die Tautologen können insoweit für ihre Auffassung geltend machen, daß der Zusatz ,und Recht4 bzw. eine nichtpositivistische Deutung des Rechtsbegriffs nichts gegen gesetzliches Unrecht oder das Entstehen eines Unrechtsstaates bewirken kann. Sicher gäbe man sich einer Illusion hin, glaubte man, allein durch die versteckte Formulierung im Verfassungstext Willkürherrschaft ausschließen zu können. Insoweit enthält die Formel des Art. 20 Abs. 3 GG in der Tat eine Utopie. 66 Entscheidend wird daher sein, inwieweit die Bindung der Rechtsprechung und Verwaltung an das Recht in der Rechtspraxis ausgefüllt und der Verfassungstext ernst genommen wird. Verfassungen sind denn auch in erster Linie daran zu messen, ob sie Gerechtigkeit nicht nur in Form von Grundrechten und Grundsätzen versprechen und bloße Lippenbekenntnisse ablegen, sondern ob und inwieweit sie Wort halten.67 Zumindest in Grenzfällen der juristischen Praxis zeigt sich, daß die tautologisch-positivistische und die nichtpositivistische Deutung des Rechts gem. Art. 20 Abs. 3 GG zu verschiedenen Ergebnissen führen und der jeweils zugrundegelegte Rechtsbegriff praktische Auswirkungen hat.

4. Das Argument der Anarchiegefahr

Nach Ansicht Harts birgt ein moralbehafteter Rechtsbegriff in sich eine Gefahr für die Rechtssicherheit. Fordere man sogar völlige Ubereinstimmung des positiven Rechts mit der Moral, also im Falle einer starken Verbindungsthese, bedeute dies sogar eine Anarchiegefahr. 68 Das sog. Rechtssicherheits- oder Anarchieargument besagt, daß sich die Grenze zum extremen Unrecht, die die Radbruchsche 65

H. Hofmann, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, 2000, S. 119 f. Vgl. A. Kaufmann, Vierzig Jahre Rechtsentwicklung - dargestellt an einem Satz des Grundgesetzes, in: Ein ganz normaler Staat?, hrsg. von Maull, S. 51/69: „Daß aus dem Gesetz Recht werde, das ist die Utopie des Art. 20 Abs. 3 GG". 67 Frankenberg, Die Verfassung der Republik, 1996, S. 21. 68 Hart, Concept of Law, S. 206; Hoerster, Zur Verteidigung des Rechtspositivismus, in: NJW 1986, S. 2480/2482. 66

16 Hoffmann

242

3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

Formel aufzeigt, nur ungenau bestimmen läßt und der Richter daher dazu verleitet werden könnte, voreilig Gesetze für ungültig zu erklären. Auf diese Weise würde die richterliche Gesetzesbindung aufgeweicht. Das Anarchieargument wirkt im ganzen überzogen und ist von tiefer Skepsis gegenüber einer irgendwie gearteten Öffnung des positiven Rechts für außerrechtliche Faktoren getragen. Zunächst vertritt im Grunde kaum ein Nichtpositivist gegenwärtig ernsthaft eine starke Variante der Verbindungsthese, so daß das Anarchieargument praktisch von geringer Bedeutung ist. Unter den Verfassungsinterpreten, die in dem Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG eine Öffnungsklausel für Gerechtigkeitspostulate sehen, ist eine solche Auffassung kaum anzutreffen. Der Bindung an das Recht wird vielmehr ganz überwiegend nur in besonders gelagerten Fällen Korrektivfunktion zugeschrieben.69 Was die Radbruchsche Formel als Ausdruck einer schwachen Verbindungsthese anbelangt, ist festzuhalten, daß sie sich auf Fälle evidenten Unrechts beschränkt und auch Radbruch selbst auf einer restriktiven Anwendung der Formel beharrte. Zweifel an der Feststellung extremen Unrechts sind selbstverständlich dadurch nicht ganz ausgeschlossen und insofern bedeutet der Einsatz der Formel durchaus eine Gratwanderung. Die Radbruchsche Formel liefert eben für den einzelnen Fall nicht bereits ein fertiges Ergebnis, sondern verlangt einen Prozeß der Abwägung zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. Die mit der Formel verbundenen Unsicherheiten dürften aber nicht entscheidend ins Gewicht fallen im Vergleich mit den Unsicherheiten, denen sich die Rechtsprechung bei der Rechtsfindung allgemein ausgesetzt sieht. So teilt die Radbruchsche Formel die Vagheit insbesondere mit jeder Generalklausel. 70 Das Rechtssicherheitsargument taucht im Rahmen der verfassungsrechtlichen Diskussion um die Bindung an Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG in ähnlicher Form auf. Die Verfassungsinterpeten, die dem Begriffspaar bloßen tautologischen Charakter bescheinigen, bringen als Standardargument vor, es würde andernfalls ein Tor für beliebige subjektivistische Gerechtigkeitsvorstellungen geöffnet, wobei sie sich dann meist mit Moral- und Gerechtigkeitsfragen nicht weiter wissenschaftlich auseinandersetzen. Sie legen von vornherein eine abwehrende Haltung gegenüber den in der rechtsphilosophischen Diskussion um den Rechtsbegriff gewonnenen Erkenntnissen an den Tag und lassen die Frage nach der Legitimität des Rechts nicht zu. Einzuräumen ist aber, daß der aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbare Grundsatz der Rechtssicherheit der Öffnung des Rechts gewisse Grenzen 69

R. Dreier, Recht und Moral, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, S. 180ff. meint mit Bezug auf die „Gesetz und Recht"-Formel mit Grund, daß aufgrund der Vielfalt der Naturrechtslehren eine Bindung sowohl an positives Recht als auch an Naturrecht zu einer Preisgabe der Gesetzesbindung und damit der Rechtssicherheit führen würde. Die Ablehnung der naturrechtlichen Interpretation entbinde aber nicht von der Beantwortung der Frage, ob Art. 20 Abs. 3 GG ein positivistischer oder ein ethisch angereicherter Rechtsbegriff zugrundeliegt. 70 Gegen das Anarchieargument Ott, Der Rechtspositivismus, S. 200ff.; Alexy, Begriff und Geltung, S. 90ff.; Bydlinski, Rechtsbegriff, S. 288.

§ 18 Rechtsbegriff als Grundlage der Tautologie-These

243

setzt und mit einem konturenlosen, beliebigen Rechtsbegriff aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht kompatibel wäre.

5. Umgehung des Rückwirkungsverbots

Schließlich führt Hart gegen die Anwendung der Radbruchschen Formel das Problem des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots ins Feld. Dieses bildet mit das schärfste Argument gegen den nichtpositivistischen Rechtsbegriff und stellt, wie bereits gezeigt, auch in der aktuellen Rechtsprechung zum DDR-Unrecht eines der schwierigsten Probleme dar. Hart veranschaulicht seine Überlegung anhand eines Denunziationsfalles, den ein deutsches Gericht 1949 zu entscheiden hatte. Das OLG Bamberg verurteilte eine Frau, die 1944 ihren Mann den Behörden wegen abfälliger Bemerkungen über Hitler angezeigt hatte und sich nun darauf berief, ihr Verhalten sei nach den NSGesetzen nicht strafbar gewesen, wegen Freiheitsberaubung. Nach Auffassung des Gerichts verstieß die Anzeige gröblich gegen das „Billigkeits- und Gerechtigkeitsgefühl aller anständig Denkenden".71 Gegen die naturrechtliche Argumentation des Gerichts wendet Hart ein, sie stelle eine verdeckte Strategie dar, weil nicht offengelegt werde, daß das Gericht in Wirklichkeit den Grundsatz „nulla poena sine lege" umgeht. Bei positivistischer Lösung des Falles wären zwei Alternativen in Betracht gekommen. Einmal hätte man die Denunziantin freisprechen können, was Hart allerdings selbst als ein unbefriedigendes Ergebnis empfindet. Zum anderen hätte ein unverhüllt rückwirkendes Strafgesetz ergehen müssen, wenn man zur Strafbarkeit gelangen wollte. Die offene Rückwirkung im Bereich des Strafrechts sei zwar abstoßend - zumal die NS-Gewalt selbst den Grundsatz des strafrechtlichen Rückwirkungsverbots bereits früh nach der Machtübernahme durch Änderung des § 2 StGB außer Kraft setzte - , hätte aber den „Vorzug der Redlichkeit" gehabt. Im Rahmen des geltenden deutschen Verfassungsrechts würde dies der Forderung nach einer Änderung des Art. 103 Abs. 2 GG entsprechen. Die Hartsche Kritik an der Verwendung eines nichtpositivistischen Rechtsbegriffs wird in diesem Punkt als „Redlichkeitsargument", Argument der „Ehrlichkeit", der „Transparenz" oder als „Vorwurf der versteckten Strategie" bezeichnet. 72 Es ist zunächst nicht von der Hand zu weisen, daß sich im strafrechtlichen Bereich ein rechtsstaatliches Dilemma ergibt und der Einsatz der Radbruchschen Formel das Problem in gewisser Weise verdeckt. Allerdings kann das Argument 71 OLG Bamberg, SJZ 1950, Sp. 207 f.; dazu Hart, Recht und Moral, S. 43, der den Fall allerdings nicht ganz korrekt wiedergibt, was er später selbst einräumt, siehe dens., Concept of Law, S. 234 f., 265. Hart nimmt nämlich unzutreffend an, das OLG habe die betreffenden NS-Normen selbst für nichtig erklärt. Der Fall ließe sich allerdings, wie Alexy, Begriff und Geltung, S. 103 f. aufzeigt, leicht umformen, um das hier interessierende Problem zu illustrieren. 72 Siehe Alexy, Begriff und Geltung, S. 101 ff.; Ott, Der Rechtspositivismus, S. 202 ff. 16*

244

3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

nicht generell gegen die Anwendung der Radbruchschen Formel ins Feld geführt werden. So können auch Nichtpositivisten durchaus vertreten, daß die Radbruchsche Formel zum Schutz des Bürgers ihre Grenze am nulla poena-Satz findet und damit nur Wirkung außerhalb des Strafrechts entfaltet. 73 Nimmt man allerdings an, daß auf der Grundlage eines nichtpositivistischen Rechtsbegriffs auch die Hürde des Rückwirkungsverbots genommen werden kann, ist der Vorwurf der verdeckten Strategie zwar durchaus berechtigt. Dagegen kann auf der Basis einer schwachen Verbindungsthese, wie sie auch den Radbruchschen Geltungsthesen zugrundeliegt, der Vorwurf weitgehend entkräftet werden. Die Radbruchsche Formel zielt auf gravierendes, offensichtliches Unrecht ab, so daß die Ungerechtigkeit jederzeit, somit auch bereits im Tatzeitpunkt erkennbar gewesen sein muß. 74 Hiervon ausgehend wird mit der Formel die Rechtslage nicht rückwirkend geändert und läuft das Redlichkeitsargument weitgehend leer. Zudem kann man dem Verdeckungsvorwurf entgehen, indem man fordert, daß die Gerichte in den Entscheidungsgründen den Zusammenhang von Radbruchscher Formel und Rückwirkungsverbot offenlegen, wie es teilweise auch geschieht.75 Insoweit erweist es sich als nachteilig, daß Hart nur ein einziges Urteil der Nachkriegsrechtsprechung herausgegriffen hat, an dem sich die Problematik nicht in ihrer ganzen Dimension aufzeigen läßt. Schließlich ist zu bemerken, daß auch die Positivisten einer Einschränkung des strafrechtlichen Rückwirkungsverbotes nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen, um zu einer befriedigenden Fallösung zu gelangen. Diese solle aber durch den verfassungsändernden Gesetzgeber erfolgen, während die Nichtpositivisten auf den Richter setzen. Der nulla-poena-Grundsatz bringt also beide Positionen in gewisse Verlegenheit und stellt sie vor die Wahl zwischen zwei Übeln, entweder evidentes Unrecht ungesühnt zu lassen oder die Einschränkung eines fundamentalen rechtsstaatlichen Grundsatzes in Kauf nehmen zu müssen. Während den Nichtpositivisten über die letztgenannte Alternative in Ausnahmefällen der Weg zu einem gerechten Ergebnis möglich ist, muß der Positivist eine auch ihm selbst unbefriedigend erscheinende Lösung in Kauf nehmen und es dabei belassen, wenn der Gesetzgeber nicht oder nicht schnell genug reagiert. Aus diesen Überlegungen heraus hat das Redlichkeitsargument keine durchschlagende Wirkung. Die fünf untersuchten Argumente, die Hart gegen die Verbindungsthese vorbringt, decken zwar gewisse Schwachstellen der nichtpositivistischen Argumentation auf, können sie allerdings nicht ganz widerlegen. Daraus, daß die Verbindungsthese in einigen Punkten auf Schwierigkeiten stößt, kann nicht notwendig die Vorzugswürdigkeit der Trennungsthese gefolgert werden. 73

Alexy, Mauerschützen, S. 33, Fn. 81. So Alexy, Begriff und Geltung, S. 105 f.; kritisch Ott, Der Rechtspositivismus, S. 202 ff. 7 5 Siehe BGHSt 2, 234/237: „Damit wird das Verhalten der Angeklagten nicht etwa nach Maßstäben gemessen, die erst später allgemeine Geltung erlangten, und es wird ihnen nicht zugemutet, sie hätten die Frage, ob Recht oder Unrecht, nach damals nicht oder nicht mehr gültigen Grundsätzen beantworten müssen"; dazu oben § 5. 74

§ 18 Rechtsbegriff als Grundlage der Tautologie-These

245

II. Der positivistische Rechtsbegriff analytischer Prägung bei Hoerster

Im deutschsprachigen Raum vertritt gegenwärtig am nachdrücklichsten Hoerster die positivistische Trennungs- und Neutralitätsthese. Seine Position kann dem analytischen Rechtspositivismus zugeordnet werden, wobei sie mit dem des angelsächsischen Bereichs nicht ganz kongruent ist. Die Argumente, die Hoerster zur Verteidigung der Trennungsthese vorbringt, gleichen vielfach denen Harts und sind in obigem Zusammenhang erörtert worden. Im folgenden soll die Hoerstersche Position noch insoweit diskutiert werden, als Hoerster über den analytischen Rechtspositivismus angloamerikanischer Prägung hinausgeht und Kritikpunkte gegen die Verbindungsthese schärfer herausarbeitet. Hoerster hat in mehreren Beiträgen eine „Richtigstellung" über den bzw. eine „Verteidigung" des Rechtspositivismus vorgenommen, was bereits zeigt, daß die positivistische Position zunehmend in eine Defensivstellung geraten ist. 76

7. Die Hoerster/Hruschka-Kontroverse

um sprachlich-begriffliche

Aspekte

der Unterscheidung von Recht und Unrecht

Intensiver und gründlicher als Hart argumentiert Hoerster im Streit um Trennungs- und Verbindungsthese mit begrifflich-semantisehen Kategorien. Anliegen des Rechtspositivisten sei es, den in der Sprachgemeinschaft vorgefundenen Rechtsbegriff unter wissenschaftlicher Zielsetzung so weit wie möglich zu klären und zu präzisieren. Die wissenschaftliche Klarheit des Ausdrucks ist Hoerster zufolge oberstes Gebot für den Rechtspositivisten.77 Eine moralneutrale Definition des Rechts erweist sich danach als gut begründet, da sie die auftretenden Fragen in einer möglichst klaren, unzweideutigen Sprache erfassen und behandeln kann. In Auseinandersetzung mit Hruschka tritt Hoerster dafür ein, den Ausdruck Recht dem positiven Recht, also der Gesamtheit der gesetzten und sozial wirksamen Normen vorzubehalten. Hruschka hingegen ist der Ansicht, die Begriffe Recht und Unrecht stünden in einem Gegensatz bzw. Ausschließungsverhältnis, so daß ζ. B. die Nürnberger Rassegesetze, die offensichtlich gesetzliches Unrecht darstellen und allgemein als solches bezeichnet werden, nicht gleichzeitig Recht sein 76 Hoerster, Richtigstellung über den Rechtspositivismus, in: ARSP 79 (1993), S. 416 ff.; ders., Zur Verteidigung der rechtspositivistischen Trennungsthese, in: R. Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, ARSP Beiheft 37 (1990), S. 27 ff.; ders., Zur Verteidigung des Rechtspositivismus, in: NJW 1986, S. 2480ff.; vgl. dazu Wyduckel, Normativität und Positivität, in: FS-Krawietz, S. 437/464 ff. Inzwischen gehen vereinzelt allerdings auch die Nichtpositivisten in die Defensivstellung, siehe Alexy, Zur Verteidigung eines nichtpositivistischen Rechtsbegriffs, in: Öffentliche oder private Moral? FS-Valdéz, hrsg. von Krawietz und von Wright, 1992, S. 85 ff. 77 Hoerster, Zur Verteidigung der rechtspositivistischen Trennungsthese, in: R. Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, ARSP Beiheft 37 (1990), S. 27; ders., Richtigstellung über den Rechtspositivismus, in: ARSP 79 (1993), S. 416/417.

246

3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

können.78 Hoerster macht dagegen mit Grund geltend, daß sich die Begriffe Recht und Unrecht keinesfalls notwendig gegenseitig ausschließen, die Vorsilbe „Un-", wie der Vergleich Wetter/Unwetter zeigt, nicht stets eine Negation zum Ausdruck bringt, sondern bisweilen nur eine negative Bewertung. 79 Daher müsse im juristischen Kontext der Begriff „Unrecht" nicht notwendig „Nicht-Recht" bezeichnen, sondern könne durchaus auch lediglich „schlechtes Recht" meinen. Zu bemerken ist zunächst, daß sich aus der Vorsilbe „Un-" nichts zwingend ableiten läßt, da sie in zweifachem Sinne verwendet wird. Hruschka weist beispielhaft für ein Ausschließungsverhältnis auf die Begriffe Sinn/Unsinn hin. Des weiteren ist festzustellen, daß der Rechtspositivist die Unterscheidung von Recht / Unrecht im rechtlichen Kontext praktisch nicht kennt, sondern nur die Unterscheidung Recht/Nicht-Recht. 80 So waren Hoerster zufolge die Nürnberger Rassegesetze „natürlich ... Unrecht. Doch warum sollte etwas, das aus moralischen Gründen Unrecht ist, nicht gleichwohl Recht sein können?".81 Die Kategorie des Unrechts klammert der Positivist aus der rechtlichen Betrachtung weitgehend aus und verlagert sie auf die moralische Ebene. Dies erweist sich nicht unbedingt als vorteilhaft, zumal der Begriff des Unrechts auch in der Strafrechtsdogmatik - ζ. B. im Zusammenhang mit Unrechtsbewußtsein - eine wichtige Rolle spielt, aber nach dem positivistischen Standpunkt nur schwer theoretisch abzubilden ist. 82 Hoerster will den Rechtsbegriff den staatlich gesetzten und sozial wirksamen Normen vorbehalten, die ein „so wichtiges soziales Phänomen" seien, daß ein eigener, spezifischer Ausdruck zu ihrer Bezeichnung verwendet werden sollte und kein Begriff der Alltags- oder der juristischen Fachsprache zu ihrer Kennzeichnung so geeignet wäre wie der Ausdruck „Recht". Dagegen ist wiederum einzuwenden, daß sich der Ausdruck „positives Recht" anbieten würde - so auch der Vorschlag Hruschkas - , was allerdings seinerseits wieder begriffliche Probleme aufwirft. Zudem erscheint fraglich, ob eine präzise Begriffsbildung das einzige wissenschaftliche Ziel darstellt, wie Hoerster behauptet. Schließlich stellt Hoerster selbst fest, daß die Begriffsbestimmung für den Rechtspositivisten letztlich eine normativsemantische Festsetzung, ein bloßer definitorischer Vorschlag ist, der sich also nicht zwingend aus dem Sprachgebrauch ergibt. Beide Standpunkte und Argumen78 Hruschka,, Vorpositives Recht, in: JZ 1992, S. 429 ff.; ders., Recht und Unrecht bei Norbert Hoerster, in: ARSP 79 (1993), S. 421 ff.; dazu Renzikowski, Naturrechtslehre versus Rechtspositivismus - ein Streit um Worte?, in: ARSP 81 (1995), S. 335 f. 79 Hoerster Die rechtsphilosophische Lehre vom Rechtsbegriff, in: JuS 1987, S. 181/185; ders., Richtigstellung über den Rechtspositivismus, in: ARSP 79 (1993), S. 416/417 f. so Gusy, Staatsrechtlicher Positivismus, in: JZ 1989, S. 505/510 Fn. 25.

81 Hoerster, Richtigstellung über den Rechtspositivismus, in: ARSP 79 (1993), S. 416/ 417 f. 82 Zum Unrechtsbegriff der Rechtspositivisten siehe Kelsen, Was ist juristischer Positivismus?, in: JZ 1965, S. 465: „Recht ist hier die normative Ordnung, die ein bestimmtes menschliches Verhalten dadurch herbeizuführen sucht, daß sie vorschreibt, daß im Falle eines gegenteiligen, des sog. rechtswidrigen Verhaltens, des »Unrechts4, ein Zwangsakt als Unrechtsfolge, als sog. Sanktion erfolgen soll".

§18 Rechtsbegriff als Grundlage der Tautologie-These

247

tationen sind demnach nicht frei von Unstimmigkeiten. In begrifflicher Hinsicht lassen sich für keine Seite entscheidende Vorteile ausmachen, so daß der Streit um den Rechtsbegriff sich nicht auf dieser Ebene vorentscheiden läßt.

2. Die Nonkognitivismusthese

Hoerster stellt als zweites Kernstück seines rechtspositivistischen Rechtsbegriffs die sog. Nonkognitivismusthese heraus, also die Behauptung, daß es keine Erkenntnis absolut geltender Normen gibt. Mit einigem Grund hält er den „Antipositivisten" entgegen, daß es nicht damit getan sein kann, den Rechtsbegriff irgendwie moralisch aufzuladen oder anzureichern. 83 Wer dem Recht einen über das gesetzte, positive gegebene Recht hinausgehenden Sinn zuweisen will, muß gleichzeitig Stellung dazu beziehen, welchen Moralbegriff er zugrundelegt und inwieweit er das Recht für ethisch-moralische Vorstellungen öffnen will. In diesem Punkt sind nach Ansicht Hoersters die Aussagen der Nichtpositivisten sehr weich und verschwommen. Formeln wie „lebendige Sittlichkeit" und „gleiche Freiheit und Menschenwürde für jeden" würden hier nicht sehr viel weiterhelfen, sie hätten zwar maximale politische Appellfunktion, aber nur minimalen Gehalt. Entweder sind sie bloße Leerformeln oder werden als ideologische Begriffsinstrumente verwendet, mit denen nach Belieben bestimmte Normen diskreditiert werden können. Einzuräumen ist, daß Hoerster hiermit eine Schwachstelle der nichtpositivistischen Argumentation aufzeigt. Wie vor allem aus der gegenwärtigen verfassungsrechtlichen Diskussion um Art. 20 Abs. 3 GG hervorgeht, verzichten die Vertreter einer nichtpositivistischen Interpretation des Rechtsbegriffs vielfach darauf, genauere Aussagen über ihren Gerechtigkeitsbegriff sowie den Offnungsgrad des Rechts zu treffen. Wenn solche Überlegungen unterbleiben, erweist sich die von positivistischer Seite vorgebrachte Kritik, daß der Begriff des Rechts zu einem beliebig einsetzbaren, schwer kontrollierbaren Instrument wird, durchaus als berechtigt. Die Absicht der Instrumentalisierung des Rechts kann indessen nicht allen Nichtpositivisten unterstellt werden. Zum einen liegen von nichtpositivistischer Seite ausgearbeitete Konzeptionen der Gerechtigkeit vor, um die Öffnung des Rechts für außerrechtliche Faktoren in gewissen Grenzen zu halten. Zum anderen unterliegen positivistische und nichtpositivistische Positionen dem wechselseitigen Ideologieverdacht. Nicht nur den „Antipositivisten" kann der Ideologievorwurf gemacht werden, umgekehrt kann auch den Positivisten vorgehalten werden, sie immunisierten durch die Trennung von Rechts- und Moralpflicht zumindest auf rechtswissenschaftlicher Ebene das gesetzte Recht gegen ethischmoralische Kritik.

83 Hoerster, Zur Verteidigung der rechtspositivistischen Trennungsthese, in: R. Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, ARSP Beiheft 37 (1990), S. 27/31 f.

248

3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht 3. Die abgeschwächte Trennungsthese

Die Explikation der Trennungsthese erfolgt bei Hoerster, verglichen mit der positivistischen Konzeption Harts, in abgeschwächter Form. Hoerster stellt klar, daß die Neutralitätsthese nur besagt, daß es keine begrifflich notwendige Verbindung von Recht und Moral gibt, nicht aber faktische Zusammenhänge leugnet, insbesondere nicht die Möglichkeit kausaler Einflüsse der Moral auf das Recht. 84 Was in einer Gesellschaft positives geltendes Recht geworden ist, könne durchaus auf genuin moralische Vorstellungen oder Ideale zurückgehen. Die positive Rechtsordnung kann explizite Verweise auf Gerechtigkeit und Moralvorstellungen enthalten, wie ζ. B. in §§ 138, 242 BGB oder im polizeirechtlichen Begriff der „öffentlichen Ordnung" 85 , und sogar im Verfassungsrecht, wie der Verweis auf das Sittengesetz in Art. 2 Abs. 1 GG zeigt. Diese positivrechtliche Anordnung des Einflusses der Moral hält Hoerster mit der Trennungsthese für vereinbar, sie stelle in der Tat nicht einmal ein Problem für den Rechtspositivisten dar. Es sei schlicht eine Frage der jeweiligen konkreten positiven Rechtsordnung, ob sie derartige Verweise enthält oder nicht, keinesfalls aber seien sie in jeder Rechtsordnung notwendig enthalten. Zu fragen bleibt, ob der Rechtspositivismus der Inkorporation von Moralvorstellungen im geltenden Recht wirklich so problemlos Rechnung tragen kann, wie behauptet wird. Zumindest müßte man sich mit der Gegenposition, der sog. Inkorporationsthese eingehender auseinandersetzen, die besagt, daß jedes wenigstens minimal entwickelte Rechtssystem notwendig Prinzipien und damit Öffnungen für Moralvorstellungen enthält. 86 Auch ist zweifelhaft, ob das positive Recht trotz vielfältiger Verweise auf ethische Vorstellungen tatsächlich für jedes Rechtsproblem eine ausreichende Lösung bereithält oder nicht doch stets mit einem Restbestand zu rechnen ist, der sich einer adäquaten Lösung allein auf positivrechtlicher Grundlage entzieht. Des weiteren erscheint es nicht ganz stimmig, wenn die Positivisten einerseits davon ausgehen, daß rechtliche Entscheidungen stets nur rechtlich bedingt sind, andererseits aber über besagte Verweise im positiven Recht außerrechtliche Normen in die Rechtsfindung miteinfließen lassen. Hoerster betont in seiner rechtspositivistischen Konzeption des Rechts im ganzen stärker als etwa Hart die rechtsethische Ebene, an der sich auch das positive Recht messen lassen muß. Die Nonkognitivismusthese hält er für vereinbar mit der Behauptung der Existenz und Erkennbarkeit relativ geltender Normen, etwa einer bestimmten von einer Gesellschaft akzeptierten Sozialmoral und mit der Tatsache, daß in bestimmten Kernbereichen von Recht und Moral ein hohes Maß an inter84 Hoerster, Zur Verteidigung der rechtspositivistischen Trennungsthese, in: R. Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, ARSP Beiheft 37 (1990), S. 27/28 f. 85 Der Begriff der öffentlichen Ordnung findet sich z. B. in §§ 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen. Aus vielen Landespolizeigesetzen ist der Begriff allerdings inzwischen gestrichen. Vgl. auch Art. 6 Abs. 1 EMRK. 8 6 Alexy, Begriff und Geltung, S. 121 ff.

§ 18 Rechtsbegriff als Grundlage der Tautologie-These

249

kultureller Übereinstimmung feststellbar ist. 8 7 Der positivistische Standpunkt habe mit einer Legitimation des geltenden Rechts, einer Befolgungsempfehlung oder Immunisierung nicht das Geringste zu tun. Vom Moralstandpunkt des jeweiligen Individuums, nicht aber von einem absoluten Moralstandpunkt, sei Kritik am geltenden Recht durchaus möglich. Die Konzeption Hoersters erweist sich auf diese Weise als offener gegenüber moralisch-ethischen Fragestellungen, ohne dabei die Trennungs- und Nonkognitivismusthese aufzugeben. Sie ist insoweit aber auch weniger konsequent und in sich nicht ganz so geschlossen wie andere rechtspositivistische Konzeptionen. Hoerster unterscheidet sich in einem weiteren Punkt von einem strengen, reduktionistischen Rechtspositivismus. Bei der begrifflichen Bestimmung des Rechts geht er zwar grundsätzlich von der Zwangs- und Sanktionstheorie des Rechts aus, stützt sich dabei aber neben der Kelsenschen Rechtslehre auch auf realistische Normentheorien. So will er die Geltung einer Norm von der Akzeptanz durch die Rechtsunterworfenen abhängig machen, genauer davon, daß diese oder doch eine größere Gruppe innerhalb dieser sich den Verhaltensmaßstab zu eigen macht und internalisiert. 88 Damit rückt er das Zusammenspiel der Rechtsnormen mit ihrem jeweiligen sozialen Kontext stärker ins Blickfeld und nähert sich einem rechtsrealistischen Rechtsverständnis an. Die Trennungsthese erscheint in der Hoersterschen Version des analytischen Rechtspositivismus insgesamt deutlich abgeschwächt, da zum einen die Moralebene nicht gänzlich ausgeblendet und zum anderen das Recht nicht auf das Zwangsmoment reduziert wird. Diese Konzeption des Rechtsbegriffs dürfte keine tragfähige theoretische Grundlage mehr für eine strenge Tautologie-These im Rahmen des Art. 20 Abs. 3 GG bilden, sie wäre vielmehr mit einer offeneren, gemäßigt positivistischen Deutung des Rechts kompatibel.

D. Das systemtheoretische Modell des Rechts (Luhmann) Schließlich ist zu fragen, inwieweit sich die systemtheoretische Rekonstruktion des Rechts nach Luhmann in den entfalteten theoretischen Rahmen des Art. 20 Abs. 3 GG einfügt. Dabei ist zunächst klarzustellen, daß die Systemtheorie nach Luhmanns Selbstverständnis keine rechtspositivistische Theorie des Rechts im eigentlichen Sinne darstellt. Zudem wird die verfassungsrechtliche Bedeutung der Begriffe Gesetz und Recht bei Luhmann nicht ausdrücklich erörtert. 89 87 Hoerster, Richtigstellung über den Rechtspositivismus, in: ARSP 79 (1993), S. 416/ 418. 88 Hoerster, Die rechtsphilosophische Lehre, in: JuS 1987, S. 181/183; dazu Wyduckel, Normativität und Positivität, in: FS-Krawietz, S. 437/469; Krametz, Sind Zwang und Anerkennung Strukturelemente der Rechtsnorm?, in: Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker, 1988, S. 315/337 ff. 89 Vgl. aber Luhmann, Politische Verfassungen im Kontext des Gesellschaftssystems, in: Der Staat 12 (1973), S. 1 ff. u. 165 ff.; ders., Verfassung als evolutionäre Errungenschaft, in: Rechtshistorisches Journal, Bd. 9 (1990), S. 176 ff.

250

3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

Bei der Frage der Einordnung des systemtheoretischen Ansatzes in den Rahmen des Art. 20 Abs. 3 GG ist von Bedeutung, daß das systemtheoretische Rechtsmodell - anders als andere ebenfalls prozedurale Theorien wie etwa das Diskursmodell - Fragen nach Gerechtigkeit, Wahrheit, Richtigkeit weitgehend unbeantwortet läßt und Inhalte praktisch nicht zuläßt. 90 Die Idee der Gerechtigkeit faßt Luhmann als Kontingenzformel des Rechtssystems auf, die aus der Einsicht erwachsen ist, daß die Voraussetzungen eines naturrechtlichen Gerechtigkeitsbegriffs entfallen sind. Gerechtigkeit wird in allgemeiner Form als das formale Prinzip der Gleichheit, als Repräsentation der Einheit des Systems im System verstanden. Jede Legitimation ist Selbstlegitimation, also eine Leistung, die nur das Rechtssystem selbst erbringen kann. 91 Weiter richtet sich Luhmann mit der These von der normativen Geschlossenheit des Rechtssystems vor allem gegen die Vorstellung, Moral könne im Rechtssystem unmittelbar gelten.92 Moralprinzipien sind danach in einer komplexen Gesellschaft nicht geeignet, die Geltung von Rechtsnormen zu begründen, sie erweisen sich als nicht konsensfähig. Zwar bleibt moralische Rechtskritik möglich und verlangt die Moral nicht für jeden Fall Rechtsgehorsam, woraus aber nicht gefolgert werden dürfe, daß entsprechende Argumente auch rechtlich überzeugen. Juristische Argumentation beschränkt sich auf das durch das Recht gefilterte Recht und darf nicht durch moralische oder sonstige Vorurteile ins Schleudern kommen.93 Nur das Rechtssystem selbst kann über Recht und Unrecht entscheiden, eine andere gesellschaftliche Instanz gibt es darüber hinaus nicht. Alles, was nicht von der „binären Codierung" des Systems, dem Schematismus Recht / Unrecht erfaßt wird, gehört nicht zum Rechtssystem, sondern zur Systemumwelt94. Gerechtigkeit kann weder als dritter Wert neben Recht und Unrecht hinzugefügt werden, noch bezeichnet sie eines der Programme des Systems. Die strikte Codierung, die einen dritten Wert logisch ausschließt, läßt keinen Raum für Abstufungen, damit ist auch eine Schwelle, an der Recht in „gesetzliches Unrecht" umschlägt, nicht denkbar. Insofern wäre für eine Normbeurteilung anhand der Radbruchschen Formel kaum Platz. Der in der Systemtheorie verwendete Rechtsbegriff bringt keinen Gerechtigkeitsbezug zum Ausdruck: „Recht ist, was das Recht als Recht bestimmt". 95 Über sog. strukturelle Koppelungen wird allerdings die radikale Kontingenz des Rechts 90

Siehe das Diktum Luhmanns, Positives Recht und Ideologie, in: Soziologische Aufklärung, 2. Aufl., 1971, S. 180: „Die Positivierung des Rechts bedeutet, daß für beliebige Inhalte legitime Rechtsgeltung gewonnen werden kann, und zwar durch eine Entscheidung, die das Recht in Geltung setzt und ihm seine Geltung auch wieder nehmen kann". Ders., Legitimation durch Verfahren, 1993, S. 27 ff., 123. 91 Luhmann, Selbstlegitimation des Staates, in: Achterberg / Krawietz (Hrsg.), Legitimation des modernen Staates, ARSP Beiheft 15 (1981), S. 65 ff. 92 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 79 f., 216 f. 93 94

Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 338.

Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 165 ff., 185. 9 5 Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, S. 144.

§ 18 Rechtsbegriff als Grundlage der Tautologie-These

251

abgeschwächt. Jedoch gelingt es gleichwohl nicht, die Normativität des Rechts systemtheoretisch adäquat abzubilden.96 Die systemtheoretische Konzeption dürfte am ehesten einer Position zuzuordnen sein, die zur Gleichsetzung von Gesetz und Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG neigt und könnte die These stützen, daß die Wendung eine Tendenz zur Tautologie aufweist. 97

E. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, daß die Auffassung, die der Wendung ,Gesetz und Recht4 lediglich tautologischen Charakter bescheinigt und die - wie im zweiten Teil aufgezeigt - unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten argumentativ wenig überzeugt, auch kaum Vorzüge auf rechtstheoretischer Ebene aufweisen kann. Mit der Deutung des Art. 20 Abs. 3 GG im Sinne einer Gleichsetzung von Gesetz und Recht verbindet sich als theoretisches Gerüst ein positivistischer Rechtsbegriff auf der Grundlage einer schwachen Trennungsthese. Die im verfassungsrechtlichen Schrifttum vertretenen tautologischen Positionen erreichen hierbei allerdings argumentativ nicht annähernd das Niveau der in der Rechtstheorie entwickelten positivistischen Konzeptionen. Die Verfassungsinterpreten legen vielfach latent einen positivistischen Rechtsbegriff zugrunde, wobei sie sich über dessen theoretische Hintergründe wenig Klarheit verschaffen. Auch die Argumente, die der analytische Rechtspositivismus Hartscher Prägung für eine Identifikation von Gesetz und Recht vorbringt, konnten nicht entscheidend überzeugen. Die positivistische Position Hoersters, die die Trennung von Recht und Moral nicht ganz so strikt durchhält, dürfte dabei den theoretischen Rahmen der Tautologie-These sprengen und eher ein Fundament für eine gemäßigt positivistische Deutung des Verhältnisses von Gesetz und Recht abgeben.

96

Vgl. Krawietz, Zur Einführung: Neue Sequenzierung der Theoriebildung und Kritik der allgemeinen Theorie sozialer Systeme, in: Kritik der Theorie sozialer Systeme, hrsg. von dems./Welker, 2. Aufl., 1993, S. 14 if. u. 29 ff. 97 Auf die Nähe der Luhmannschen Theorie zu Kelsen und zum Gesetzespositivismus weisen Lege, Was heißt und zu welchem Ende studiert man als Jurist Rechtsphilosophie?, in: Rechtsdogmatik und Rechtsphilosophie, ARSP Beiheft 71, S. 83/93 Fn. 50 und Frankenberg, Stichworte zur „Drittwirkung", ebd., S. 105/109 hin. Von einer „Tautologie" spricht Luhmann, Recht der Gesellschaft, S. 424 f. explizit allerdings nur im Zusammenhang mit dem Begriff des Rechtsstaats. Vom Rechtssystem aus gesehen sei die „Rechtsstaatsformel" eine „grandiose Tautologie, ... wenngleich eine »trotzige4, gegen politische Übergriffe gerichtete Tautologie".

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

§ 19 Der theoretische Rahmen des Rechtsbegriffs und das Richtigkeitsproblem Die Position, die die Formulierung ,Gesetz und Recht4 als Hinweis auf einen Maßstab der Gerechtigkeit und eine Richtigkeitskontrolle des positiven Rechts egreift, erscheint unter verfassungsrechtlichen Aspekten vorzugswürdiger als die Tautologie-These, wie die bisherigen Darlegungen ergeben haben. Jedoch bedarf es für die in unterschiedlichen Varianten vertretene Konzeption des Rechts eines passenden Theorierahmens, der wiederum mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben kompatibel sein muß. Die Verfassungsinterpreten beziehen sich dabei auch heute noch vielfach auf die Radbruchsche Formel, um den Grenzfall des Auseinanderklaffens von Gesetz und Recht zu kennzeichnen. Der von Radbruch 1946 vorgelegte Lösungsvorschlag ist daher unter spezifisch rechtstheoretischem Aspekt zu würdigen. Des weiteren sind neuere Ansätze, die das Radbruchsche Konfliktlösungsmodell fortentwickeln, auf ihre Leistungsfähigkeit hin zu untersuchen.

A. Art. 20 Abs. 3 GG als Ausdruck der Spannung von Regeln und Prinzipien des Rechts Nach der von Dreier und Alexy vertretenen nichtpositivistischen Deutung des Art. 20 Abs. 3 GG spiegelt der Ausdruck ,Gesetz und Recht' ein doppeltes Spannungsverhältnis wider. Zum einen enthält das Begriffspaar einen Hinweis auf die Möglichkeit gesetzlichen Unrechts und zielt somit auf extreme Ausnahmelagen wie Systemumbrüche ab. Für die Lösung damit zusammenhängender Fragen bietet den Nichtpositivisten die Radbruchsche Formel nach wie vor eine geeignete Hilfestellung, wobei sie diese unter Beibehaltung ihrer Kernaussage fortentwickelt haben. Abgesehen von ihrer Bedeutung für singuläre Situationen besitzt die Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG nach Ansicht von Dreier und Alexy auch im juristischen Alltag des demokratischen Verfassungsstaates eine berechtigte Funktion. In der verfassungsrechtlichen Normallage ist sie insoweit von Bedeutung, als sich in ihr das Spannungsverhältnis zwischen der Regel- und Prinzipienebene der positiven Rechtsordnung niederschlägt. 98 Das Verhältnis von Gesetz und Recht ist damit auch losgelöst von der Ausnahmelage diskussionsbedürftig und von aktueller Relevanz.

98

R. Dreier, Der Rechtsstaat im Spannungsverhältnis, in: ders., Recht-Staat-Vernunft, S. 73/80 ff.; Alexy, Begriff und Geltung, S. 117 ff.; Jan-Reinard Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle des Rechtssystems, 1990, insbes. S. 141 ff.

§19 Der Rechtsbegriff und das Richtigkeitsproblem

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I. Das Prinzipienargument als Einwand gegen die Trennungsthese

Die rechtstheoretische Diskussion um Regeln und Prinzipien im positiven Recht wird in Deutschland seit den achtziger Jahren lebhaft geführt und soll hier nur insoweit beleuchtet werden, als sie für die Fragen um Art. 20 Abs. 3 GG von Relevanz ist. Ausgelöst wurde die internationale Kontroverse um die Unterscheidung von Rechtsregeln und Rechtsprinzipien durch die Arbeiten des englischen Rechtsphilosophen Dworkin." Regeln sind in der Definition Dworkins Normen, die aus Tatbestand und Rechtsfolge bestehen, und zwar derart, daß die Rechtsfolge stets eingreift, wenn der Tatbestand erfüllt ist. Sie sind somit auf eine „Alles oder Nichts"-Weise anwendbar. Demgegenüber legen Prinzipien die rechtliche Entscheidung nicht zwingend fest, sondern enthalten lediglich Gründe für die eine oder andere Entscheidung. Sie können im Gegensatz zu Regeln im Kollisionsfalle auch zurückgedrängt werden. Ausgehend von der These der notwendigen Zugehörigkeit von Prinzipien zum Rechtssystem unternimmt Dworkin einen „general attack on positivism". Der Positivismus akzeptiere nämlich nur ein Regelmodell des Rechts. Im deutschsprachigen Raum sind grundlegende Impulse für die Prinzipiendebatte von Alexy ausgegangen, der die Dworkinsche Konzeption des Prinzipienmodells aufgegriffen und sie insbesondere für die Grundrechtstheorie fruchtbar gemacht hat. Alexy definiert Prinzipien als „Optimierungsgebote", die auf die Realisierung eines Ziels oder Wertes in einem möglichst hohen Maße ausgerichtet sind und dementsprechend in unterschiedlichem Grade erfüllt sein können. 100 Auf verfassungsrechtlicher Ebene sind als Prinzipien in diesem Sinne etwa die Staatszielbestimmungen und die Grundrechte des GG anzusehen. Für Prinzipien ist die kennzeichnende Form ihrer Anwendung die Abwägung, während für Regeln die Subsumtion charakteristisch ist. Regeln sind Normen, die stets entweder nur erfüllt oder nicht erfüllt werden können und daher als definitive Gebote bezeichnet werden. Demgegenüber sind Prinzipien gewissermaßen nach oben hin offen und zeichnen sich durch graduelle Erfüllbarkeit aus. Ihnen wohnt ein dynamischer, überschießender Gehalt inne. 101

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Ronald Dworkin, Taking rights seriously, 1977, S. 14 ff.; dazu Claudia Bittner, Recht als interpretative Praxis, 1988. Die Dichotomie von Regeln und Prinzipien findet sich der Sache nach bereits bei Josef Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Rechtsfortbildung des Privatrechts, 3. Aufl. 1974. 100 Alexy, Begriff und Geltung, S. 119f.; ders., Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: MacCormick (Hrsg.), Geltungs- und Erkenntnisbedingungen im modernen Rechtsdenken, ARSP Beiheft 25 (1985), S. 13/19 ff.; ders., Theorie der Grundrechte, 2. Aufl. 1994, S. 71 ff.; kritisch zum Begriff des Optimierungsgebots Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle, S. 62 ff. 101 H. Dreier, Subjektiv-rechtliche und objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalte, in: Jura 1994, S. 505; vgl. Schlink, Grundrechte als Prinzipien?, in: Osaka University Law Review 39 (1992), S. 41 ff.

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

Dreier und Alexy zufolge spiegelt die Wendung »Gesetz und Recht' die aufgezeigte dichotomische Struktur des Rechts wider. Das Begriffspaar ist somit Ausdruck der Spannung zwischen der Regel- und Prinzipienebene des positiven Rechts. Die Verfassungsnorm des Art. 20 Abs. 3 GG enthält einen Kerngedanken des Rechtsstaatsprinzips und ist daher selbst als ein approximativ zu realisierendes Prinzip zu qualifizieren. Die Wendung könnte man daher in der Weise deuten, daß das Recht die Funktion hat, zur Optimierung des Gesetzes beizutragen. Für die Frage der Definition des Rechts ist nun entscheidend, daß die Vorstellung von der strukturellen Differenz zwischen Regeln und Prinzipien zu einem Argument gegen einen positivistischen Rechtsbegriff ausgeformt wird. Die Prinzipienebene bringt danach den Gerechtigkeitsbezug des positiven Rechts zum Ausdruck. Das GG habe auf der Prinzipienebene den materialen wie den prozeduralen Gerechtigkeitsgehalt der vernunftrechtlichen Rechtsstaatstheorie, das Ideal einer auf die Prinzipien der Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit gegründeten Rechtsordnung inkorporiert. 102 Die annäherungsweise Realisierung dieser Dimension sei den Staatsgewalten vom GG als Rechtspflicht aufgegeben. Das sog. Prinzipienargument, das gegen die Trennungsthese eingewandt wird, besagt, daß allen entwickelten Rechtssystemen notwendig Prinzipien immanent sind, die kraft ihrer Struktur oder Geltungsbegründung die Grenzen des positivistischen Rechtsbegriffs sprengen. 103 Alexy führt dabei in mehreren Argumentationsschritten den Weg von der strukturellen Unterscheidung von Regeln und Prinzipien zu einer notwendigen Verbindung von Recht und Moral, die er gegen mögliche Einwände aus positivistischem Lager verteidigt. 104 Die Begründung setzt an einer Tatsache an, die auch Positivisten wie Hart nicht leugnen, nämlich daß das positive Recht eine offene Struktur aufweist und es daher „Zweifelsfälle" geben kann, die aufgrund der Vagheit der Rechtssprache oder aufgrund von Lücken im Gesetz entstehen 105 . Wer rechtspositivistisch argumentiert oder sogar ein reines Regelmodell vertritt, muß das Problem so lösen, daß in diesem Offenheitsbereich nicht aufgrund des positiven Rechts entschieden werden kann, sondern irgendwie geartete nichtrechtliche Maßstäbe angelegt werden müssen.106 Die Vertreter des nichtpositivistischen Rechtsbegriffs hingegen nehmen auch im Offenheitsbereich eine rechtliche Bindung des Richters an. Als Maßstab der Entscheidungsfindung dienen dem Richter eben nicht nur Regeln, sondern auch 102

R. Dreier, Der Rechtsstaat im Spannungsverhältnis, in: ders., Recht-Staat-Vernunft, S. 73/84 f.; ders., Der Begriff des Rechts, in: NJW 1986, S. 890/892 f. 103 Alexy, Begriff und Geltung, S. 117 ff.; R. Dreier, Der Rechtsstaat im Spannungsverhältnis, in: ders., Recht-Staat-Vernunft, S. 73/80ff.; ders., Der Begriff des Rechts, in: NJW 1986, S. 890/892ff. 104 Alexy, Begriff und Geltung, S. 120 ff. nennt die Inkorporations-, Moral- und Richtigkeitsthese. 105 Hart, Concept of Law, S. 121 ff. spricht von „open texture". 106 Alexy, Begriff und Geltung, S. 118.

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abwägungsfähige Prinzipien, welche eine notwendige Verbindung von Recht und Moral herstellen. Die Positivisten wenden dagegen ein, die Rechtsordnung könne zwar im einzelnen moralische Forderungen aufnehmen oder sich genereller Verweise auf Gerechtigkeits- und Moralanschauungen bedienen, diese seien aber nicht begriffsnotwendig. 107 Gegen die positivistischen Einwände kann zunächst die Notwendigkeit von Abwägungsprozessen im Offenheitsbereich des Rechts bei der richterlichen Entscheidungsfindung ins Feld geführt werden. 108 In sog. Zweifelsfällen, wenn die Subsumtion unter eine Rechtsnorm keine eindeutige Entscheidung bringt, muß der Richter eine Abwägung vornehmen, die ein Indiz für das Vorhandensein von Prinzipien ist. Für das Prinzipienargument kann auch folgende Erwägung ins Feld geführt werden. Setzt man die Bindung an das Gesetz mit der Rechtsbindung gem. Art. 20 Abs. 3 GG gleich, bleiben in dem in entwickelten Rechtssystemen unvermeidbaren Offenheitsbereich des positiven Rechts praktisch keine rechtlich kontrollierbaren Bindungsmaßstäbe, zumal von rechtspositivistischer Seite kaum ein fundiertes Konzept für die richterliche Entscheidung im außerrechtlichen, moralisch-ethischen Bereich vorgelegt wird. Damit würde der Richter in sog. Zweifelsfällen von seiner rechtlichen Bindung überhaupt freigestellt, was mit dem verfassungsrechtlichen Bindungspostulat nicht vereinbar wäre. Sieht man hingegen in der zusätzlichen Bindung an das Recht einen Verweis auf die Prinzipienebene des Rechts, läßt sich der Verfassungsnorm auch ein rechtlicher Entscheidungsmaßstab entnehmen für Fallkonstellationen, in denen die Anwendung und Auslegung des Gesetzes für sich zu keinem eindeutigen Ergebnis führt. Die Prinzipienlehre verleiht den bei der Entscheidungsfindung notwendigen Abwägungsprozessen juridisch kontrollierbare Strukturen. 109 Das Prinzipienmodell des Rechts findet eine gewisse Stütze in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und ist, wie Alexy feststellt, mit der in der frühen Judikatur des BVerfG entwickelten Wertordnungslehre äquivalent, die einen paradigmatischen Fall des Abwägungsmodells darstellt. 110 Danach hat der Verfassunggeber mit dem GG eine wertgebundene Ordnung aufgerichtet, die ihren Ausdruck in den Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung findet. So sieht 107 Hoerster, Die rechtsphilosophische Lehre vom Rechtsbegriff, in: JuS 1987, S. 181 ff.; vgl. Hart, Concept of Law, S. 124. Zur Kritik des Prinzipienarguments siehe die Beiträge von Koch, Zur Methodenlehre des Rechtspositivismus. Das Prinzipienargument - eine methodische Widerlegung des Rechtspositivismus? und Böckenförde, Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts, in: R. Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, ARSP Beiheft 37 (1990), S. 33 ff. und S. 152 ff. los Vgl. Walter Leisner, Der Abwägungsstaat, 1997, S. 231: „Im Staat der Verhältnismäßigkeit ... gibt (es) etwas wie eine wirkliche Einzelfallgerechtigkeit... Hier siegt das Recht über die Gesetze". 109 R. Dreier, Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus?, in: Rechtstheorie 18 (1987), S. 368/382; ders., Konstitutionalismus und Legalismus, in: FS-Maihofer, S. 87/105. 110

Alexy, Theorie der Grundrechte, insbes. S. 134ff.; R. Dreier, Der Rechtsstaat im Spannungsverhältnis, in: ders., Recht-Staat-Vernunft, S. 73/75 ff.; Sieckmann, Regelmodelle und Prinzipienmodelle, S. 18.

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

das BVerfG in den Grundrechten wertentscheidende Grundsatznormen, die die Staatsgewalt verpflichten, sie in größtmöglichem Maße zu verwirklichen. 111 Des weiteren bezeichnet das Gericht das Rechtsstaatsprinzip als ein - nicht in besonderen Rechtssätzen normiertes - „leitendes" oder „elementares Prinzip". 112 Wenngleich damit aus naheliegenden Gründen keine Option für das neuere Prinzipienmodell verbunden sein kann, so eröffnet das so verstandene Rechtsstaatsgebot Abwägungsmöglichkeiten, die auf der Grundlage eines additiven, mit einem Regelmodell korrespondierenden Rechtsstaatsverständnisses schwerlich möglich wären. Das BVerfG operiert auch in den Rechtsfortbildungsentscheidungen mit dem Begriff der Wertordnung. So erklärt es im Soraya-Beschluß im Kontext des Art. 20 Abs. 3 GG, daß das Recht ein Mehr gegenüber den positiven Satzungen der Staatsgewalt darstellt und dieses seine Quelle im Sinnganzen der Verfassung habe. 113 Der zunächst unklar erscheinende Begriff des Sinnganzen gewinnt, wie Dreier aufzeigt, Konturen, wenn man ihn als die Prinzipienebene des GG deutet. 114 Gegen das Prinzipienmodell wird nicht ganz ohne Grund eingewandt, daß dadurch an die geschriebene Verfassung von außen Moralvorstellungen herangetragen und die verfassungsgestaltenden Grundentscheidungen ex post ihrem Inhalte nach verändert werden könnten. Prinzipien gerieten auf diese Weise zu ideologischen Einfallstoren in die Verfassung 115, die als Natur- oder Vernunftrechtssurrogat und als permanent nichterfüllt erscheint. 116 Der Vorwurf ist insofern nicht von der Hand zu weisen, als die auf Abwägung basierende Prinzipientheorie Grundrechte und Staatszielbestimmungen des GG für die verschiedensten Interpretationen offen hält. Der Einwand trifft allerdings auch auf Generalklauseln einfachgesetzlicher Art zu. Gleiches gilt für den Einwand, die Prinzipientheorie führe zur Unbestimmtheit und Auflösung klarer Begrifflichkeiten, zum Verlust an Rechtssicherheit oder gar zur Beliebigkeit des Wertbegriffs. 117 Dies vor allem deshalb, weil ganz unterschiedliche Gewichtungsergebnisse als verfassungsrechtliche Gebote ausgegeben und die als Optimierungsgebote verstandenen Verfassungs1Π BVerfGE 7, 198/208; dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, insbes. S. 125 ff.; Schlink, Grundrechte als Prinzipien?, in: Osaka University Law Review 39 (1992), S. 41 ff. 112 BVerfGE 1, 14/18; 6, 55/72; 45, 187/246; 52, 131/144f.; dazu Stern, Staatsrecht I, S. 780 f. 113 BVerfGE 34, 269/287; vgl BVerfGE 28, 243/261; 30, 173/193. 114 R. Dreier, Konstitutionalismus und Legalismus, in: FS-Maihofer, S. 83/96 f. 115 Krawietz, Rechtstheorie und Rechtsstaatlichkeit, in: Rechtstheorie 27 (1995), S. 435/ 448. 116 Lerche, Verfassung, in: FS-Stern, S. 197/201 f.; Böckenförde, Diskussionsbeitrag, in: VVDStRL 30 (1972), S. 165 unter Hinweis auf eine Formulierung von Hennis. 117 Böckenförde, Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts, in: R. Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, ARSP Beiheft 37, 1990, S. 33 ff. Vgl. die Sondervoten von Böckenförde u. Mahrenholz zu BVerfGE 69, 1 - Kriegsdienstverweigerung. Kritisch zur Wertordnungsjudikatur des BVerfG bereits Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, 1973, insbes. S. 135 ff.

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normen zu Supergeneralklauseln werden können. 118 Damit stellt sich die Frage, wodurch wiederum im Prinzipienmodell die Rechtsanwender wirklich gesteuert werden. So gesehen stellt das Prinzipienargument keinen hinreichenden Einwand gegen die Trennungsthese dar. 119 Ein reines Regelmodell erweist sich allerdings seinerseits als inadäquat.120 Es wird den Fragen, die sich im Zusammenhang mit durch eine gewisse Offenheit gekennzeichneten Normen stellen, nicht ganz gerecht und kann insbesondere Abwägungsprozesse im Bereich der Grundrechte nicht hinreichend erklären. Eine Ergänzung der Regel- durch die Prinzipienebene, deren Vorzug auch im Offenhalten von Korrekturmöglichkeiten des gesetzten Rechts liegt 1 2 1 , erweist sich daher als notwendig. Auch die Kritiker des Prinzipienmodells leugnen nicht eine gewisse Fremdreferenz der Verfassung. 122 Bedenken ergeben sich vor allem aus der Festlegung auf bestimmte Gerechtigkeitsinhalte. Die Irritationen, die die Prinzipientheorie auslöst, dürften sich nicht zuletzt daraus erklären, daß Juristen eher den Umgang mit Normen, die Regelstruktur besitzen, und mit dem Subsumtionsmodell gewohnt sind. 123 Im ganzen scheint die Entwicklung zu einem Verständnis der Grundrechte und Staatszielbestimmungen als Prinzipien jedoch als kaum mehr umkehrbar und wird die Grundatmosphäre für Optimierungsvorstellungen im Verfassungsrecht als günstig eingeschätzt.124 Damit die Anwendung des Prinzipienmodells aber nicht zur Beliebigkeit und damit zu einem Verlust an Rechtssicherheit führt, sind Maßstäbe, wie sie ζ. B. in den prozeduralen Gerechtigkeitstheorien entwickelt wurden, anzulegen.

II. Der Richtigkeitsanspruch des Rechts: Die Alexy/Bulygin-Kontroverse

Ein zentrales Element des Prinzipienmodells bildet das sog. Richtigkeitsargument, welches besagt, daß jedes Rechtssystem wie auch jede einzelne Rechtsnorm und rechtliche Entscheidung notwendig einen Anspruch auf Richtigkeit erheben, der auf der Ebene der Verfassung vor allem einen Anspruch auf Gerechtigkeit us Dazu Görisch, Das Rechtsstaatsprinzip, in: JuS 1997, S. 988/991 f. 119 Hofmann, Das Recht des Rechts, S. 49 ff. meint nicht ohne Grund, daß sich auch umgekehrt aus der Trennungsthese kein stichhaltiger Einwand gegen die Prinzipienlehre ergebe. Falsch sei die Exklusivität jener Anthithese von positivem Recht und Moral i. S. beliebiger individueller Richtigkeitsvorstellung. 120 Dazu Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 156 f. 121 Morlok, Verfassungstheorie, S. 95. 1 22 Krawietz, Rechtstheorie und Rechtsstaatlichkeit, in: Rechtstheorie 27 (1995), S. 435/ 448. 123 R. Dreier, Der Rechtsstaat im Spannungsverhältnis, in: ders., Recht-Staat-Vernunft, S. 73/84. 124 Lerche, Verfassung, in: FS-Stern, S. 197/203; Zacher, Was kann der Rechtsstaat leisten?, in: FS-Stern, S. 393 ff.

17 Hoffmann

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impliziert. 125 Nicht entscheidend ist dabei, ob dieser Anspruch auch voll eingelöst wird. Alexy illustriert das Argument anhand einer fiktiven Verfassungsnorm und eines fiktiven Urteilsspruchs, welche den Anspruch auf Richtigkeit explizit negieren. Eine Formulierung wie „X ist eine ungerechte Republik" in einem Verfassungstext ist danach nicht nur unzweckmäßig und unkonventionell, sondern enthält einen Widerspruch, einen begrifflichen Fehler. Die Fehlerhaftigkeit werde daran deutlich, daß sich umgekehrt die explizite Aufnahme einer Gerechtigkeitsklausel in eine Verfassungsnorm oder einen Urteilsspruch als redundant erweise. Insofern hätte etwa auch auf Verfassungsebene die Aufnahme einer Klausel, die in Abkehr von Art. 20 Abs. 3 GG vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an gesetzliches Unrecht binden würde und damit den Richtigkeitsanspruch negiert, etwas Absurdes. Bulygin dagegen behauptet in seiner Kritik, auf die wiederum eine scharfsinnige und eingehende Replik Alexys folgte 126 , daß das Argument die Verbindungsthese nicht hinreichend stützen könne. Ihm zufolge sind Verfassungsnormen, die eine Ungerechtigkeitsklausel enthalten, zwar politisch unzweckmäßig, weisen aber keinen begrifflichen Fehler auf. 127 Mit Blick auf das Beispiel eines Urteilsspruchs, in dem die Entscheidung selbst als falsch bezeichnet wird, macht Bulygin geltend, Alexy verwechsle zwei verschiedene Funktionen der Sprache. Eine Aussage über die Richtigkeit des Urteils kann danach nicht Bestandteil des Urteilsspruchs sein, da dieser keine beschreibende Funktion hat und es nicht Aufgabe des Richters ist, eine derartige Aussage zu treffen. Sie stellt allenfalls eine persönliche Meinung des Richters dar. Dagegen kann man allerdings einwenden, daß solche deskriptive Aussagen in einem Urteil zwar ungewöhnlich, aber nicht grundsätzlich undenkbar oder gar logisch ausgeschlossen sind. Eine im Urteilstext erfolgende Einstufung des Urteils als falsche Interpretation ist nämlich keine bloße Privatsache, es handelt sich Alexy zufolge vielmehr um eine öffentliche Absurdität. 128 Bisweilen begründet die Rechtspraxis ihre Entscheidungen zudem mitunter explizit mit Gerechtigkeitsaspekten.129 Die Tatsache, daß dies gewöhnlich nicht geschieht, zeigt, daß 125 Alexy, Begriff und Geltung, S. 62, 64ff.; vgl. Valdés, Weitere Überlegungen zur Beziehung zwischen Recht und Moral, in: Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit, FS-Krawietz, S. 477/487 f. 126 Alexy, Bulygins Kritik des Richtigkeitsarguments, in: Normative Systems in Legal and Moral Theory, FS-Alchourron and Bulygin, 1997, S. 235 ff. 127 Bulygin, Alexy und das Richtigkeitsargument, in: Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit, FS-Krawietz, S. 19 ff. Die Alexy sehe Unterscheidung von klassifizierender und qualifizierender Bedeutung in Bezug auf Einzelnormen und das Rechtssystem im ganzen ist - wie Bulygin zuzugeben ist - nicht ganz einleuchtend. Kritisch auch Renzikowski, Naturrecht versus Rechtspositivismus, in: ARSP 81 (1995), S. 335/341. 128 Alexy, Bulygins Kritik des Richtigkeitsarguments, in: Normative Systems in Legal and Moral Theory, FS-Alchourron and Bulygin, S. 235/249. 129 BGH NJW 1989, 1932/1934: „Dieses Ergebnis ist allein sach- und interessengerecht"; BGHSt 3, 165/168 f.: „Dieses Ergebnis entspricht auch der Gerechtigkeit". BGHSt 36, 105/ 115: Das Gericht habe „Gerechtigkeitserwägungen wesentliches Gewicht beigemessen".

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der Richtigkeitsanspruch als selbstverständlich vorausgesetzt wird und solchermaßen beschreibende Aussagen redundant sind. Für das obige Verfassungsbeispiel schlägt das normative Argument zudem fehl, da hier deskriptive Aussagen durchaus denkbar sind. Gegen Bulygins These, es handle sich bei Ungerechtigkeitsklauseln in Verfassungsnormen um sinnlose Anordnungen und einen „politischen" Fehler, ist einzuwenden, daß die politische Unzweckmäßigkeit solcher Artikel sicher nicht bestritten werden kann, dies aber nicht ausschließt, daß darüber hinaus auch ein begrifflicher Fehler vorliegt. Es kann aber noch eine weitere, rechtlich fundierte Überlegung für das Richtigkeitsargument ins Feld geführt werden. Der Richtigkeitsanspruch des Rechts kann, was die Judikative anbelangt, aus der Forderung nach Begründung der richterlichen Entscheidung abgeleitet werden. Wer etwas begründet, beansprucht, daß seine Begründung stichhaltig und seine Behauptung deshalb richtig ist. 1 3 0 Die Pflicht zur Offenlegung der Entscheidungsgründe ergibt sich aus den Regelungen der einzelnen Prozeßordnungen. 131 Der Anspruch kann sich dabei aber kaum auf eine Begründung irgendwelcher Art beziehen, sondern auf eine richtige und vernünftige, da andernfalls auch krass ungerechte Urteile, wie sie etwa in der NS-Zeit gefällt wurden, Richtigkeit für sich in Anspruch nehmen könnten. Insbesondere das GG soll nicht nur irgendeine Ordnung, sondern eine inhaltlich bestimmte, „richtige" und deshalb legitime Ordnung gewährleisten. 132 An die Verfassung als höchster Rechtsebene wird die Erwartung gestellt, daß sie eine Reservefunktion für die Gerechtigkeit des Rechts einnimmt und Gerechtigkeitsgarant ist. 1 3 3 Damit spricht die richterliche Begründungspflicht, die der staatlichen Selbstkontrolle dient, für die Plausibilität des Richtigkeitsarguments. Teilweise wird in diesem Zusammenhang zudem explizit auf die Formulierung des Art. 20 Abs. 3 GG verwiesen und mit Grund vertreten, daß der Begründungszwang und damit einhergehende Richtigkeitsanspruch entscheidend auf der Bindung an Gesetz ,und Recht4 fußen. 134 Gegen das Richtigkeitsargument könnte allerdings ins Feld geführt werden, daß die Darlegung abweichender Meinungen einzelner Richter jedenfalls in der höchstrichterlichen Judikatur zulässig ist und es daher nicht nur eine richtige Entschei130

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 34, 266 f. 131 Vgl. § 30 Abs. 1 BVerfGG, § 313 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, §§ 267, 275 Abs. 1 StPO, § 117 VwGO. 132 Morlok, Verfassungstheorie, S. 94 ff. 133 Vgl. Hassemer, Ziviler Ungehorsam - ein Rechtfertigungsgrund?, in: FS-Wassermann, S. 325/338. 134 Lücke, Begründungszwang, S. 40 f. nennt des weiteren die Grundrechte und das Demokratieprinzip; Morlok, Verfassungstheorie, S. 92 f.; Jürgen Brüggemann, Die richterliche Begründungspflicht. Verfassungsrechtliche Mindestanforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen, 1971, S. 118 f., 125 ff.; Ule, Verfassungsrecht und Verwaltungsprozeßrecht, in: DVB1. 1959, S. 537/542 f.; vgl. Schwintowski, Theorie der juristischen Argumentation, in: JA 1992, S. 102/103. 1

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dung geben kann. 135 Insofern erscheint das Richtigkeitsargument eher als ein schwaches Argument zur Stützung der Verbindungsthese. Die Tatsache der dissenting votes dürfte indessen mehr die Erfüllung des Anspruchs einer rechtlichen Entscheidung auf Richtigkeit betreffen als die Erhebung dieses Anspruchs. Da das Richtigkeitsargument in erster Linie auf die Erhebung des Anspruchs abzielt, kann der Einwand dieses Argument nicht zu Fall bringen.

B. Die Korrektivfunktion des Rechts in Grenzfällen Zur Lösung von Fallkonstellationen, die in Ausnahmelagen auftreten und das Auseinanderklaffen von Gesetz und Recht zum Vorschein bringen, rekurrieren die Verfassungsinterpreten nach wie vor auf die inzwischen über fünfzig Jahre alte Radbruchsche Formel. Klärungsbedürftig ist, ob das Konfliktlösungsmodell Radbruchs aktuell noch eine adäquate Hilfestellung bieten kann oder ergänzungsbedürftig ist und inwieweit rechtsphilosophische Lösungsansätze im Verfassungsrecht Geltung beanspruchen können.

I. Die Radbruchsche Formel als aktuelles „Unrechtsargument"

Die Radbruchsche Formel stellt die markanteste Version des „Unrechtsarguments" dar, das auch als „Hitler"-, „lex corrupta"- oder „Totalitarismus"-Argument bezeichnet wird und als Kardinalbeweis gegen den Rechtspositivismus gilt. 1 3 6 Das Argument besagt in der sich auf die Erfahrungen der NS-Zeit gründenden Version Radbruchs, daß es Einzelnormen geben kann, die in einem solchen Maße ungerecht sind, daß ihnen der Rechtscharakter abzusprechen ist. Dabei hat die Rechtssicherheit, der Radbruch weiterhin einen hohen Stellenwert einräumt, nur im extremen Ausnahmefall der Gerechtigkeit zu weichen. 137 Mit seinen Rechtsgeltungsthesen hat Radbruch einen Anspruch artikuliert, der in keine Patentlösungen einmündet, sondern jeweils konkret geschichtlich einzulösen ist. 1 3 8 In Anbetracht der Tatsache, daß die Judikatur die Radbruchsche Formel auch noch fünfzig Jahre später in Ausnahmefällen heranzieht und ihr insoweit Gültigkeit beimißt, fragt sich, worin ihre übergreifende Bedeutung liegt. Formelkritiker meinen, wer heute zur Kennzeichnung der Grenze zwischen Recht und Unrecht 135

Gem. § 30 Abs. 3 BVerfGG sind Sondervoten in Entscheidungen des BVerfG zulässig. Die Frage der generellen Zulässigkeit von Sondervoten thematisiert Heyde, Rechtsprechung, in: HBVerfR, § 33, Rn. 94 explizit im Kontext des Art. 20 Abs. 3 GG. 136 Dazu Alexy, Begriff und Geltung, S. 70 ff.; Ott, Der Rechtspositivismus, S. 187 ff. 137

A. Kaufmann, Die Radbruchsche Formel vom gesetzlichen Unrecht, in: NJW 1995, S. 81/82. 138 Luf, Verantwortlichkeit des Rechtspositivismus, in: Nationalsozialismus und Recht, hrsg. von Davy (u. a.), S. 18/37.

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nur mit der Radbruchschen Formel operiere, bringe Hilflosigkeit zum Ausdruck oder mache es sich im Schatten der Formel recht bequem. 139 Sich mit der vagen Radbruchschen Formel zu begnügen, offenbare sogar Sprach- und Denknot der Juristen. 140 Zutreffend ist dabei, daß man allein mit der Berufung auf Evidenz im Bereich des Werthaften heute nicht mehr allzu weit kommt, Begründungen vielmehr über Konsens, Diskurs u. ä. herzustellen sind. 141 Als anderer erfolgversprechender Lösungsansatz, der über die Unbestimmtheit der Radbruchschen Formel hinausführt, erscheint manchen der Rückgriff auf die Menschenrechte, die sich inhaltlich präziser erfassen lassen.142 Dagegen wiederum wird eingewandt, daß der Rekurs auf eine hinter dem Grundgesetz stehende Weitordnung, auf Menschenwürde und andere Versatzstücke jüngeren Datums das Problem der Grenzziehung lediglich auf andere sprachliche Behelfe verlagert. Der von Radbruch stammende Formulierungsvorschlag hält zwar für sich noch keine inhaltliche Lösung zur Bestimmung des gesetzlichen Unrechts bereit, zeigt aber doch einen Weg auf. Der Rückgriff auf die Formel in jüngerer Zeit macht deutlich, daß man für das Maß des Gerechten, das Uberschreiten der Ebene des positiven Rechts und Überwechseln in einen „naturrechtlichen" Bereich offensichtlich noch immer auf der Suche nach der richtigen Kennzeichnung ist. 1 4 3 Im Rückgriff auf die Radbruchsche Formel, das Menschenrechtsdenken oder seltener auf das - vielfach nicht mehr als zeitgemäß empfundene - Naturrecht kommt jedenfalls der Wille zur Optimierung des Rechts zum Ausdruck. 144 Die Tatsache, daß die Verfassungsinterpreten zur Lösung von Konflikten zwischen Gesetz und Recht nach wie vor die Radbruchsche Formel heranziehen, zeigt, daß man anscheinend noch kein wirklich tragfähigeres, dem Grunde nach besseres Konzept gefunden hat. Die Radbruchsche Formel enthält offenbar einen zutreffenden Kerngedanken, dem auch heute noch weitgehend zugestimmt wird, ist aber in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung recht vage und daher ergänzungsbedürftig. Inzwischen gibt es in der rechtstheoretischen Diskussion Konzeptionen, die die Radbruchsche Formel weiterentwickelt haben und die auf ihre Leistungsfähigkeit hin untersucht werden sollen.

139 Dietmar Willoweit, Rechtsgedanke und Unrechtserfahrung. Ein Plädoyer für die Wiedergewinnung des Rechtsbegriffs, in: Kleinstaat und Menschenrechte. Festgabe für Gerard Batliner zum 65. Geburtstag, 1993, S. 527/531. 140 Gerhard Sprenger, 50 Jahre Radbruchsche Formel oder: Von der Sprachnot der Juristen, in: NJ 1997, S. 3 ff. 141 E.-W. Böckenförde, Zur Kritik der Wertbegründung des Rechts, in: R. Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, ARSP Beiheft 37 (1990), S. 33 ff.; A. Kaufmann, Recht und Rationalität, in: FS-Maihofer, S. 11/26. 142 Willoweit, Rechtsgedanke und Unrechtserfahrung, in: Festgabe für Batliner, S. 527/ 531 f. 1 43 Sprenger, 50 Jahre Radbruchsche Formel, in: NJ 1997, S. 3 f. 1 44 Sprenger, 50 Jahre Radbruchsche Formel, in: NJ 1997, S. 3 f., 7.

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht II. Neukonzeptualisierungen der Radbruchschen Formel

Im deutschsprachigen Raum wurde die Radbruchsche Formel vielfach positiv aufgenommen und hat es nicht an Versuchen gefehlt, das Konfliktlösungsmodell fortzuentwickeln und die Schwächen zu beheben. Am bekanntesten ist die von Kriele vorgelegte Reformulierung des Unrechtsarguments. Seine Thesen sind als Krielesche Formel 145 in die Diskussion um den Rechtsbegriff eingegangen und wurden wiederum von R. Dreier und Alexy ergänzt und präzisiert.

1. Das Unrechtsargument in Gestalt der Krieleschen Formel

Ausgangs- und Bezugspunkt der Formel Krieles zum Dilemma des gesetzlichen Unrechts ist das staatlich organisierte Normensystem als ganzes. Im Gegensatz zu Radbruch und insoweit über dessen Lösungsvorschlag hinausgehend nimmt Kriele nicht nur eine Einzelnorm bzw. einzelne Normenkomplexe ins Visier, sondern die Rechtsordnung als ganze. Das Problem des gesetzlichen Unrechts und des zulässigen Widerstands dagegen stellt sich nach Kriele unterschiedlich dar, je nachdem auf welchen Prinzipien das Rechtssystem fußt. Basiert das Rechtssystem auf den Prinzipien des demokratischen Rechts- und Verfassungsstaates auf und trägt es „im großen und ganzen" der Sittlichkeit Rechnung, d. h. den Grundsätzen der Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit, also aufklärerischen Maßstäben, ist es Pflicht, dem positiven Recht Folge zu leisten. Die Rechtspflicht wird in diesem Falle sogar durch Gesetze begründet, die im einzelnen sittlich zu mißbilligen sind. Denn die Verpflichtungskraft des einzelnen Gesetzes leitet sich dann grundsätzlich aus der Legitimität der Rechtsordnung als ganzer ab. Wenn die Rechtsgemeinschaft die Rechtsordnung im großen und ganzen moralisch billigt, können, ja müssen auch einzelne Ungerechtigkeiten hingenommen werden. 146 In ähnlicher Weise spricht auch der amerikanische Rechtstheoretiker Rawls von einer „fast gerechten" Gesellschaft bzw. einer Situation der Fast-Gerechtigkeit, in der man auch einzelne als ungerecht empfundene Gesetze gewöhnlich als bindend anerkennen und ihnen Folge leisten muß. Dieser Zustand setze eine demokratische Regierungsform voraus. 147 Anders stellt sich Kriele zufolge die Situation dar, wenn die Ungerechtigkeiten in einem Staat derart überhandnehmen, daß die Rechtsordnung auch im großen 145 Die Bezeichnung „Krielesche Formel" geht zurück auf R. Dreier, Der Begriff des Rechts, in: NJW 1986, S. 890/892; ders., Bemerkungen zur Theorie der Grundnorm, in: Die Reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, 1982, S. 38/41 f.; vgl. Krawietz, Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus?, in: Rechtstheorie 18 (1987), S. 209/218; Schumacher, Rezeption, S. 64 ff. 146 Kriele, Recht und praktische Vernunft, S. 117 ff.; vgl. dens., Einführung in die Staatslehre, S. 25 f. Systembezogene Reflexionen über das Unrechtsargument finden sich auch bei Höffe, Politische Gerechtigkeit, S. 158 ff., 170 f. 147 Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 386 ff., 399.

§ 19 Der Rechtsbegriff und das Richtigkeitsproblem

263

und ganzen nicht mehr gebilligt werden kann. Beim Umschlagen in eine totalitäre Diktatur verlieren die Vorschriften für die Normadressaten ihre Verbindlichkeit. Der Unrechtscharakter des Gesamtsystems, d. h. seiner grundlegenden inhaltlichen Normen, zieht den der systemtypischen Normen nach sich. 148 Allerdings spricht Kriele nicht sämtlichen Normen eines Unrechtssystems die Rechtsverbindlichkeit ab. Hier führt er den Gedanken der „unmittelbaren Gesetzeslegitimität" ein, der besagt, daß es auch in Systemen, die im ganzen der rechtsethischen Legitimität entbehren, „systemuntypische" Gesetze geben kann (ζ. B. Regeln des Straßenverkehrsrechts, Mordverbot usw.), die mit der Sittlichkeit in Einklang stehen und daher rechtsverbindlich sind. Umgekehrt ist es Kriele zufolge auch nicht völlig ausgeschlossen, daß das Rechtssystem eines demokratischen Verfassungsstaates einzelne grob unsittliche Gesetze enthält, denen der Rechtscharakter abzusprechen ist. Insofern erfüllt das Krielesche Modell in Bezug auf Einzelnormen dieselbe Funktion wie die Radbruchsche Formel. Es ist darauf gerichtet, grob ungerechten Gesetzen die Rechtsverbindlichkeit abzusprechen und Widerstand gegen sie auch rechtlich zu rechtfertigen. 2. Die Ansätze R. Dreiers und Alexy s

R. Dreier hat in Auseinandersetzung mit der Radbruchschen und der Krieleschen Formel ein kombiniertes Unrechtsargument vorgeschlagen. Dieses stellt allerdings kein ganz eigenständiges Modell dar und ist daher wohl mit Grund bisher nicht als neue Formel bezeichnet worden. Dreier will in seiner auf einem rechtsethisch angereicherten Rechtsbegriff beruhenden Konzeption für extreme Ausnahmefälle im Hinblick auf Einzelnormen die Radbruchsche Formel und in Bezug auf Normensysteme eine abgeschwächte Fassung der systembezogenen Krieleschen Formel anwenden.149 Das Gesamtsystem muß dementsprechend „im großen und ganzen" ethisch gerechtfertigt und sozial wirksam sein, die Einzelnormen müssen ein Minimum an ethischer Rechtfertigungsfähigkeit aufweisen. Deutliche Kritik an der Krieleschen Formel hat hingegen Alexy geübt. Die Konzeption Krieles führe dazu, daß eine einzelne Norm aufgrund des Unrechtscharakters des Gesamtsystems ihren Rechtscharakter möglicherweise bereits unterhalb der Schwelle extremer Ungerechtigkeit verliert. 150 Daher will Alexy den Einzel148 Alexy, Begriff und Geltung, S. 110 bezeichnet dies als „Ausstrahlungsthese" im Gegensatz zur „Zusammenbruchsthese", die besagt, daß eine einzelne Norm nicht schon beim Unrechtscharakter des Gesamtsystems die Rechtsverbindlichkeit verliert, sondern erst dann, wenn sie selbst extrem ungerecht ist. 149 R. Dreier, Der Begriff des Rechts, in: NJW 1986, S. 890/892, 895; ders., Recht und Moral, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, S. 180/198 ff.; dazu Schumacher, Rezeption, S. 66 ff. 150 Alexy, Begriff und Geltung, S. 108 ff. Die neuere Formelrezeption Alexys würdigt Buchholz-Schuster, Rechtsphilosophische Legitimation der Rechtspraxis, S. 133 ff. als herausragend unter der Vielzahl der nach 1990 vorgelegten Beiträge zur Radbruchschen Formel.

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

normenbezug, wie ihn die Radbruchsche Formel zum Ausdruck bringt, wieder stärker in den Vordergrund rücken. Darüber hinaus weist Alexy auf die - im übrigen nicht nur in seiner Theorie - grundlegende Unterscheidung zwischen Beobachterund Teilnehmerperspektive hin. 1 5 1 Die Beobachterperspektive nimmt ein, wer fragt, wie in einem bestimmten Rechtssystem tatsächlich entschieden wird und nicht, was die richtige Entscheidung ist. Andernfalls würde die Position des Beobachters verlassen und die des Kritikers eingenommen. Für einen Beobachter gehört dasjenige zum Recht, was die Gerichte und Behörden tun, wenn sie sich auf Normen stützen, die in dem jeweiligen Rechtssystem ordnungsgemäß gesetzt sind. Dagegen nimmt die Teilnehmerposition ein, wer als Akteur an einer Argumentation darüber teilnimmt, was in diesem Rechtssystem geboten und welches die richtige Entscheidung ist. Klassisches Beispiel eines Teilnehmers ist der Richter. Die Radbruchsche Formel ist Alexy zufolge aus der Perspektive eines externen Beobachters nicht zu akzeptieren, da sich aus dessen Sicht die Frage des Richtigkeitsanspruchs nicht stellt. Vom Standpunkt eines Beobachters, der Einzelnormen eines Rechtssystems betrachtet, lasse sich die Radbruchsche Verbindungsthese nicht auf einen begrifflich notwendigen Zusammenhang zwischen Recht und Moral stützen und erscheine vielmehr die Trennungsthese im wesentlichen als richtig.152 Hingegen ist die Radbruchsche Formel aus der Sicht eines Teilnehmers ein akzeptables Instrument bei der Rechtsanwendung. Die besseren normativen Argumente sprechen nach Alexy dafür, daß vom Standpunkt eines Teilnehmers aus einzelne Normen eines Rechtssystems ihren Rechtscharakter verlieren, wenn sie extrem ungerecht sind. Hinsichtlich der Frage, wie weit der Rechtsbegriff für Gerechtigkeits- und Moralvorstellungen zu öffnen ist, sind Dreier und Alexy über die vage Radbruchsche und Krielesche Konzeption hinausgegangen. Die von ihnen in diesem Zusammenhang entwickelte Diskurstheorie der Gerechtigkeit ist noch eingehender zu thematisieren.

3. Leistungsfähigkeit

und Defizite der Neukonzeptualisierungen

Die neueren Formelversionen, die auf der Grundlage der Geltungsthesen Radbruchs basieren, stellen den Versuch dar, Mängel und Unzulänglichkeiten der Ursprungsformel zu beseitigen, was teilweise auch gelingt. Andererseits werfen sie selbst wiederum gewisse Schwierigkeiten auf. Kriele und Dreier fügen der Radbruchschen Formel den Aspekt hinzu, daß es für die Beurteilung gesetzlichen Unrechts auf den Charakter des Normsystems als ganzem ankommt. Die neuen Theoriekonzepte sind insoweit dem Radbruchschen Konzept überlegen, als sie bei der rechtlichen Qualifizierung von Einzelnormen das Gesamtsystem stärker ins Blickfeld rücken. Auch anhand der Rechtspraxis läßt 151

Dazu und zum folgenden Alexy, Begriff und Geltung, S. 47 ff., 55 f., 63 ff. 152 Alexy, Begriff und Geltung, S. 56 f., 63.

§ 19 Der Rechtsbegriff und das Richtigkeitsproblem

265

sich aufzeigen, daß der Zusammenhang von Einzelnorm und Gesamtsystem nicht unbeachtet bleiben darf. So hat das BVerfG im Staatsangehörigkeitsbeschluß von 1968 die zu überprüfende NS-Verordnung nicht isoliert betrachtet, sondern betont, daß die Einzelnorm nur richtig beurteilt werden kann, wenn sie „im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Rassegesetzgebung und dem politischen Ziel des Nationalsozialismus", das Judentum auszurotten gesehen wird, welches „mit Recht und Gerechtigkeit nichts gemein" hat. 1 5 3 Der Unrechtscharakter des Gesamtsystems strahlt damit auf die einzelne systemtypische Norm aus. Gleichfalls bettet der BGH in der Mauerschützenrechtsprechung die entscheidungsrelevante Norm des § 27 DDR-GrenzG in den Zusammenhang der Staatspraxis und der Ziele des SED-Regimes - Verhinderung des Grenzübertritts als ein gegenüber dem Schutz des Lebens überragendes Interesse - ein. 1 5 4 Durch die Erweiterung der Konzeption mit Blick auf das Gesamtsystem kann zugleich einem bisweilen vorgebrachten Kritikpunkt an der Radbruchschen Formel entgegnet werden. Formelkritiker wenden ein, daß sich die Lehre vom überpositiven Recht auf die Delegitimierung von Einzelnormen in Ausnahmefällen beschränkt. Die punktuelle Betrachtung aber bewirke, daß für jeden Staat zu jeder Zeit festgestellt werden könne, daß in ihm eine intakte Rechtsordnung gilt bzw. gegolten hat, nämlich eine Rechtsordnung, bestehend aus den jeweiligen staatlichen Gesetzen, korrigiert durch die Normen des überpositiven Rechts. Die Welt des geltenden Rechts ist damit immer eine „heile Welt". 1 5 5 Durch den Bezug auf das Gesamtsystem in den neueren Konzeptionen wird dieser Argumentation der Formelgegner der Boden entzogen. Nicht übersehen werden kann aber, daß die aktuelleren Versionen des Unrechtsarguments wiederum neuen Einwänden ausgesetzt sind. Sie sind insoweit voraussetzungs- und anspruchsvoller, als sie eine Differenzierung zwischen Rechtsund Unrechtsstaat sowie eine Klassifizierung der Normen als systemtypisch bzw. systemuntypisch erfordern. Durch diese Anforderungen sind sie schwieriger praktikabel, denn die Dichotomie Rechts- / Unrechtsstaat kann unscharf sein, da sie auf Idealtypen ausgerichtet und zudem ideologiebelastet ist. 1 5 6 So gibt praktisch jeder Staat zumindest vor, demokratisch verfaßt und legitimiert zu sein. Dem halten die Urheber der neuen Formeln allerdings mit Grund entgegen, daß es zwar fließende Übergänge zwischen Rechts- und Unrechtsstaat gibt, die empirisch-typologische Brauchbarkeit der Kategorie aber außer Frage stehe. 157 Eine gewisse Unschärfe 153 BVerfGE 23, 98/105 f.; siehe dazu oben § 4 Α. I. 4. 1 54 BGHSt 39, 1/10 ff. Die Bezugnahme auf das politische System geschieht hier allerdings, weil die Norm selbst in der Staatspraxis anders gehandhabt wurde und ist insofern nicht ganz vergleichbar. 1 55 Grünwald, Kritik der Lehre vom überpositiven Recht, S. 14. 1 56 Kritisch gegenüber der Krieleschen Formel daher mit Recht R. Dreier, Recht und Moral, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, S. 180/197 ff. 157 R. Dreier, Recht und Moral, in: ders., Recht-Moral-Ideologie, S. 180/199f.; ders, Der Begriff des Rechts, in: NJW 1986, S. 890/892.

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

kann man aber dem Kriterium der Systemtypik vorwerfen. Eine Norm kann mehr oder weniger am Unrechtsgehalt des Gesamtsystems teilhaben. 158 Damit läuft man Gefahr, auch unterhalb der Schwelle extremen Unrechts einer Einzelnorm den Rechtscharakter abzusprechen. Insoweit erweist sich der stärkere Einzelnormenbezug, wie er dem kombinierten Modell Dreiers und Alexys zugrundeliegt, vorzugswürdiger gegenüber der Krieleschen Version des Unrechtsarguments. Die Krielesche Formel ist überdies, da sie keine ganz ausgearbeitete Theorie der Gerechtigkeit enthält, ähnlich vage wie die Radbruchsche Formel. Der bloße Verweis auf „Sittlichkeit" bzw. „Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit" als Maß des Gerechten erscheint nicht ganz befriedigend und liefert seinerseits eine Angriffsfläche für Kritik. Hinsichtlich der inhaltlichen Gerechtigkeits- und Moralvorstellungen sind die Ausarbeitungen Dreiers und Alexys differenzierter und erweisen sich gegenüber der Krieleschen Formel als überlegen. Die neueren Reformulierungsansätze präzisieren in einigen Aspekten die Radbruchsche Formel. Allerdings bleibt bei Kriele die Konturierung der Unerträglichkeitsgrenze blaß und geht die Konzeption im ganzen nicht wesentlich über Radbruchs Rechtsgeltungsthesen hinaus. Dreier und Alexy hingegen bieten darüber hinaus auch Konzepte zur inhaltlichen Präzisierung der vagen Formel, die im folgenden vorgestellt werden sollen.

I I I . Der Radbruchsche Lösungsansatz im Lichte neuerer Gerechtigkeitstheorien

Damit der Begriff des Rechts in Art. 20 Abs. 3 GG nicht, wie vielfach befürchtet, zu einem Öffnungstor für subjektivistische Gerechtigkeits Vorstellungen wird, muß eine Konzeption mit inhaltlichen Maßstäben entwickelt werden, die den Öffnungsgrad in vernünftigen, mit den grundgesetzlichen Vorgaben kompatiblen Grenzen hält. Der Rechtsbegriff muß hinreichend konturiert und einer beliebigen Ausfüllung, die das grundgesetzliche Prinzip der Rechtssicherheit gefährden würde, vorgebeugt werden. Konzeptionen des Rechts, die auf der Verbindungsthese basieren, bauen wesentlich darauf, daß es eine objektive und richtige, weil rational begründbare Moral gibt, die sich mit inhaltlicher Wertbeliebigkeit nicht verträgt. Werte können in der heutigen pluralistischen Gesellschaft kaum mehr allein durch Berufung auf Evidenz begründet werden. Insofern würde sich auch der schlichte Rekurs auf die recht vage Radbruchsche Formel, die wesentlich an das Kriterium der Evidenz anknüpft, als unzulänglich erweisen. Gerechtigkeits- und Richtigkeitsmaßstäbe müssen vielmehr einsichtig und nachprüfbar gemacht werden, damit sie akzeptabel sind. Vor diesem Hintergrund sind in der Rechtstheorie Gerechtigkeitskonzeptionen entwickelt worden, die an die vernunftrechtliche Tradition anknüpfen. 159 Die pro158 Alexy, Begriff und Geltung, S. 112 f. 159 Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, in: Geltungs- und Erkenntnisbedingungen, hrsg. von MacCormick (u. a.), ARSP Beiheft 25 (1985), S. 13/29.

§ 19 Der Rechtsbegriff und das Richtigkeitsproblem

267

zeduralen Gerechtigkeitstheorien geben unterschiedliche Antworten auf die schwierige Frage, wie man von Verfahrenskonzepten zu inhaltlichen Lösungen gelangt. Bedeutsam und grundlegend sind dabei die am Vertrags- und am Diskursmodell orientierten, von Rawls, Habermas und Alexy entwickelten Konzep· 160 tionen. f

Die wichtigsten Modelle sollen exemplarisch untersucht werden unter der Fragestellung, inwieweit sie ein adäquates theoretisches Fundament der Gesetzes- und Rechtsbindung des Art. 20 Abs. 3 GG bilden und mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar sind. Dies erscheint auch deshalb erforderlich, weil in den Verfassungskommentaren zu Art. 20 Abs. 3 GG die entsprechenden Theoriekonzeptionen bei der Interpretation des Rechtsbegriffs zu Unrecht kaum Beachtung finden. 161 7. Das kontraktualistische

Gerechtigkeitsmodell

(Rawls)

Zunächst ist klarzustellen, daß die Gerechtigkeitstheorie des amerikanischen Philosophen Rawls hier nicht im einzelnen dargelegt und der vielfältigen Kritik, die sie erfahren hat, nachgegangen werden kann. Das Modell wird im vorliegenden Rahmen nur daraufhin befragt, ob es im Ergebnis ein geeignetes theoretisches Fundament für den Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG darstellen kann. Die von Rawls entwickelte Gerechtigkeitstheorie sucht nach kontraktualistischem Vorbild universalisierbare Normen zu gewinnen auf der Grundlage einer gedachten ursprünglichen Ubereinkunft freier und vernünftiger Menschen, die sich unter einem „Schleier des Nichtwissens" hinsichtlich ihrer Position befinden. 162 Ausgehend von der Vorstellung eines Urzustandes der Gleichheit („original position") gelangt Rawls zu dem Schluß, daß sich die Menschen auf zwei oberste Gerechtigkeitsprinzipien einigen würden. Der erste Grundsatz besagt, daß jedermann gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten hat. Nach dem zweiten Grundsatz sind soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten hinzunehmen, wenn sie auch dem Schwächsten noch größtmöglichen Vorteil bringen und wenn Amter und Positionen gemäß fairer Chancengleichheit jedem offenstehen. 163 Diese als Alternative zum utilitaristischen Nutzenprinzip gedachte Betrachtungsweise der Gerechtigkeitsgrundsätze bezeichnet Rawls als eine Theorie der Gerechtigkeit als Fairneß. 160 Auf weitere Konzeptionen, wie ζ. B. das utilitaristische Gerechtigkeitsmodell, das in Deutschland nur wenig Anhänger gefunden hat, soll hier nicht eigens eingegangen werden. 161 Deutliche, teils auch sehr polemische Kritik an der Diskurstheorie Alexy s findet sich allerdings in v. Münch-W. Meyer, GG-Komm., Art. 97 GG, Rn. 17 f. 162 John Rawls, A Theory of Justice, 1971, dt. u. d. T. Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1979, insbes. S. 27 ff. Zur Kritik dieser Gerechtigkeitskonzeption siehe Peter Koller, Neue Theorien des Sozialkontrakts, 1987, inbes. S. 77 ff. sowie Otfried Höffe, Uber John Rawls' Theorie der Gerechtigkeit, 1977; E. Geis, Das revidierte Konzept der Gerechtigkeit als Fairneß, in: JZ 1995, S. 324 ff. 163 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 336.

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

Bedeutsame Konsequenzen hat die Rechtskonzeption für das Problem des Widerstandsrechts im demokratischen Rechtsstaat, das Rawls zufolge ein Prüfstein für jede Theorie der moralischen Grundlage der Demokratie ist. 1 6 4 Den zivilen Ungehorsam als Widerstand gegen einzelne Ungerechtigkeiten in einer „fast gerechten" Gesellschaft, den es nach positivistischer Auffassung so nicht geben kann, erachtet Rawls unter ganz bestimmten Voraussetzungen als gerechtfertigt. 165 Zivilen Ungehorsam definiert er als eine öffentliche, gewaltlose, gewissensbestimmte, aber politische gesetzwidrige Handlung, die gewöhnlich eine Änderung der Gesetze oder der Regierungspolitik herbeiführen soll. 1 6 6 In einer größtenteils wohlgeordneten, also fast gerechten Gesellschaft müsse man grundsätzlich auch ungerechte Gesetze als bindend anerkennen, falls sie nicht ein „gewisses Maß der Ungerechtigkeit" überschreiten. Der Zustand der Fast-Gerechtigkeit der Gesellschaft setzt dabei eine demokratische Regierungsform voraus. Den zivilen Ungehorsam begreift Rawls als eine Art Appell an den Gerechtigkeitssinn der Gesellschaft vor dem Forum der Öffentlichkeit. Insoweit fordert er von den Gesetzesübertretern die Bereitschaft, die gesetzlichen Folgen ihrer Handlungsweise auf sich zu nehmen. Was die Befolgung von Gesetzen betrifft, stellt er klar: „Die Ungerechtigkeit eines Gesetzes ist nicht allgemein ein hinreichender Grund, sich nicht an es zu halten, ebensowenig wie formale Gültigkeit eines Gesetzgebungsverfahrens (im Sinne der geltenden Verfassung) ein hinreichender Grund ist, sich an das Gesetz zu halten". 167 Damit räumt Rawls der Rechtssicherheit einen hohen Stellenwert ein, begreift die ordnungsgemäße Setzung aber nicht als einziges Geltungskriterium. Ungerechtigkeit nimmt er nicht nur bei Abweichung von öffentlich anerkannten, mehr oder weniger gerechten Grundsätzen an, sondern auch dann, wenn die Verhältnisse zwar der Gerechtigkeitsauffassung der Gesellschaft entsprechen, diese aber „selbst unvernünftig" und „eindeutig ungerecht" ist. Insoweit besitzt seine Theorie der Gerechtigkeit als Fairneß auch nach eigener Aussage kennzeichnende Eigenschaften einer Naturrechtstheorie. 168 Rawls versucht mit seiner Gerechtigkeitstheorie universalisierbare inhaltliche Maßstäbe der Gerechtigkeit nachzuweisen. Nicht ganz ohne Grund wird der Theorie vorgehalten, daß sie inhaltliche Gerechtigkeitsmaßstäbe bereits unterstellt, und zwar die Grundprinzipien der heutigen amerikanischen Gesellschaft, und daher nicht Geltung für jede Gesellschaft beanspruchen kann. Fraglich ist auch, ob sich aus einem bloßen, auf utopischen Voraussetzungen basierenden Verfahren präzise Gerechtigkeitsinhalte gewinnen lassen, ohne daß man stillschweigend auf Kenntnisse zurückgreift, die in dem Verfahren eigentlich ausgeblendet bleiben 164 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 400. ι 6 5 Hierzu und zum folgenden Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 387 ff. 166 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 401, der auf eine ähnliche Definition H. Thoreaus hinweist. 167 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 387. 168 Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 549, Fn. 30.

§ 19 Der Rechtsbegriff und das Richtigkeitsproblem

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sollen. 169 Die vielfältige Kritik an dem Theoriedesign soll hier indessen nicht weiter verfolgt werden. Zu klären ist vielmehr, inwieweit die Theorie im Ergebnis ein geeignetes Fundament für den Begriff des Rechts bilden kann und mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist. Unter Rückgriff auf die Konzeption würde der Begriff des Rechts gem. Art. 20 Abs. 3 GG die Verfassung für bestimmte materiale Gerechtigkeitsvorstellungen öffnen. Dabei hält sich der entwickelte erste Gerechtigkeitsgrundsatz, der auf gleiche Grundfreiheiten und -pflichten für jedermann in größtmöglichem Umfang ausgeht, im Rahmen der Vorgaben des GG. Die Theorie läuft im Ergebnis auf gleiche Grundfreiheiten für jedermann als inhaltliche Ausfüllung des Gerechtigkeitsgedanken hinaus, was mit den grundgesetzlichen Wertungen im ganzen übereinstimmt und die Konzeption als geeignetes Fundament der Rechtsbindung des Art. 20 Abs. 3 GG erscheinen läßt. Sie fügt sich auch mit der Konzeption der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung zum DDR-Unrecht zusammen, die die vage Radbruchsche Formel durch den Grund- und Menschenrechtsstandard, wie er in Kodifikationen Ausdruck gefunden hat, ergänzt. 170 Weiterhin korrespondiert die Rawlssche Theorie, indem eine Bindung an evidentes legislatives Unrecht abgelehnt wird und Gesetz und Recht somit nicht für identisch gehalten werden, mit dem im verfassungsrechtlichen Teil gefundenen Ergebnis. Insoweit bildet die Theorie einen zulässigen Rahmen für die Auslegung des Rechts gem. Art. 20 Abs. 3 GG. Die Konsequenzen, die sich für die Rechtfertigung von zivilem Ungehorsam ergeben, erscheinen maßvoll und mit der grundgesetzlichen Ordnung vereinbar. Rawls fordert nämlich Gewaltlosigkeit bei Widerstandshandlungen sowie die Bereitschaft, die Sanktionen der Gesetzesübertretung hinzunehmen und nimmt lediglich eine moralische Rechtfertigung des Widerstands an.

2. Diskurstheoretische

Gerechtigkeitsmodelle

(Habermas, Alexy)

Innerhalb der prozeduralistischen Gerechtigkeitstheorien steht der kontraktualistischen Konzeption die diskurstheoretische gegenüber. Dem Vertrags- wie auch dem Diskursmodell der Gerechtigkeit liegt die Vorstellung zugrunde, daß eine Norm genau dann richtig ist, wenn sie das Ergebnis einer bestimmten Prozedur sein kann. 171 Die Konzeptionen unterscheiden sich allerdings in der Ausgestaltung 169 So Koller, Neue Theorien des Sozialkontrakts, S. 134, der daher die Theorie Rawls insoweit modifizieren will, als er eine Konkretion der Gerechtigkeitsvorstellung fordert, indem man in die zweite Stufe der Gerechtigkeitserwägung eintritt und nun eingehende Kenntnisse über seine Gesellschaft verfügt, über Art und Rangordnung der menschlichen Bedürfnisse, Werteinstellungen usw. Die daraus resultierenden Grundsätze könnten dabei aber weder zeitlose Gültigkeit noch Geltung für alle Gesellschaften beanspruchen, no BGHSt 39, 1 - Mauerschützen - .

171 Alexy, Eine diskurstheoretische Konzeption der praktischen Vernunft, in: Rechtssystem und praktische Vernunft, hrsg. von dems./R. Dreier, ARSP Beiheft 51 (1993), S. 11 / 16. Eingehend Gralf-Peter Calliess, Prozedurales Recht, 1999, S. 29 ff. u. Paroussis, Theorie des juristischen Diskurses, S. 24 ff.

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

des Verfahrens. Nach dem Diskursmodell nehmen an der Prozedur Individuen in dem Zustand teil, in dem sie tatsächlich existieren, d. h. mit ihren jeweils vorhandenen normativen Uberzeugungen und Interessen, während beim Vertragsmodell Rawls' die Verhandlungspartner durch ein Informationsdefizit, den sog. Schleier des Nichtwissens gekennzeichnet sind.

a) Diskursmodell als rational-universalistische Gerechtigkeitskonzeption Im Rahmen des Diskursmodells, das eine universalistische Rationalitätskonzeption verfolgt, hat Habermas eine vernunftrechtliche Konsensustheorie der Wahrheit entworfen 172 , die Alexy wiederum auf das Rechtssystem und die juristische Argumentation bezogen hat. 1 7 3 Die Konsensustheorie erhebt den Anspruch, wahre Inhalte aus dem Prozeß rationaler Kommunikation zu gewinnen. Voraussetzung dafür ist ein praktischer Diskurs über die Richtigkeit normativer Aussagen bzw. ein theoretischer Diskurs, der auf die Wahrheit empirischer Aussagen zielt und unter den Bedingungen einer sog. idealen Sprechsituation stattfindet. Diese schließt Rede- und Herrschaftsfreiheit, Chancengleichheit der Teilnehmer und Verzicht auf Privilegien ein. Als Wahrheitskriterium kann nun aber nicht die bloße Herstellung von Konsens überhaupt dienen, ansonsten müßte auch ein Pseudokonsens, eine beliebige, zufällig zustandegekommene Ubereinstimmung legitimiert werden. Vielmehr muß es sich um einen begründeten Konsens handeln, in dem die Kraft des „besseren Arguments" gilt. 1 7 4 Wahrheit bzw. Richtigkeit sind dabei als diskursiv einzulösende Geltungsansprüche zu verstehen. Vom positivistischen Standpunkt grenzt sich Habermas ab, wenn er betont, daß prozeduralisiertes Recht und moralische Begründung von Prinzipien aufeinander verweisen und daß Legalität nur in dem Maße Legitimität erzeugen kann, „wie die Rechtsordnung reflexiv auf den mit dem Positivwerden des positiven Rechts entstandenen Begründungsbedarf reagiert, und zwar in der Weise, daß juristische Entscheidungsverfahren institutionalisiert werden, die für moralische Diskurse durchlässig sind". 175 Nach positivistischer Auffassung hingegen sind normative Urteile überhaupt nicht wahrheits- bzw. richtigkeitsfähig und fallen Legalität und Legitimität weitgehend in eins. 176 172 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 135 ff., 272 ff., 541 ff.; ders., Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, 6. Aufl. 1996, S. 76 f.; ders., Wie ist Legitimität durch Legalität möglich?, in: KJ 20 (1987), S. 1 ff. 173 Alexy, Eine diskurstheoretische Konzeption der praktischen Vernunft, in: Rechtssystem und praktische Vernunft, hrsg. von dems. und R. Dreier, ARSP Beiheft 51, 1993, S. 11 ff.; ders., Theorie der juristischen Argumentation, S. 263 ff. 174 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 282. 175 Habermas, Legalität durch Legitimität, in: KJ 20 (1987), S. 1 /13. 176

Siehe A. Kaufmann, Läßt sich die Hauptverhandlung in Strafsachen als rationaler Diskurs auffassen?, in: Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens, hrsg. von Heike Jung und Heinz Müller-Dietz, 1989, S. 15 ff.

§ 19 Der Rechtsbegriff und das Richtigkeitsproblem

271

Die anspruchsvollste Ausarbeitung der allgemeinen Diskurstheorie für die juristische Argumentation und Entscheidung hat Alexy vorgelegt. Seine Konzeption, die die Diskurstheorie anhand der sog. Sonderfallthese 177 in eine Theorie des positiven Rechts einbettet, ist zentral am Begriff der praktischen Vernunft orientiert. Alexy stellt einen Katalog von Diskursregeln auf, der die Bedingungen rationalen praktischen Argumentierens gewährleisten soll. 1 7 8 Eine Norm gilt danach als richtig, wenn sie die potentielle Zustimmung aller Diskursteilnehmer findet. Prämisse ist allerdings, daß die Teilnehmer gute von schlechten Gründen unterscheiden können und Urteilsvermögen besitzen. Alexy selbst sieht hierin eine Schwäche der Diskurstheorie, da insoweit inhaltliche Vorgaben bereits an das Verfahren herangetragen werden. Des weiteren ist in einer Vielzahl von Fällen das Ergebnis des Diskurses nicht festgelegt, in praktischen Diskursen gibt es zudem nicht stets genau eine richtige Antwort. Daher sei Verschiedenes möglich, woraus aber eben nicht folge, daß alles möglich sei. Eine wesentliche Leistung der Prozedur bestehe gerade im Ausschluß von Möglichkeiten. 179 Die Gemeinsamkeit des juristischen Diskurses mit dem allgemeinen praktischen Diskurs besteht in dem Anspruch auf Richtigkeit, der nach Alexy einen Bezug zur Vernunft impliziert. 180 Der mit juristischen Urteilen erhobene Anspruch geht auf vernünftige Begründbarkeit im Rahmen der geltenden Rechtsordnung. Die Forderung nach juristischer Entscheidungsbegründung und der damit verbundene Richtigkeitsanspruch lassen sich Alexy zufolge auch aus Art. 20 Abs. 3 GG herleiten, der die Rechtsprechung an Gesetz „und Recht" bindet. 181 Um zu klären, inwieweit die prozeduralistische Gerechtigkeitstheorie als theoretisches Fundament der Rechtsbindung gem. Art. 20 Abs. 3 GG dienen kann, ist die Frage von Bedeutung, wie sich die Diskurstheorie zu den Menschenrechten, die heute gern als Präzisierung und Ergänzung der Radbruchschen Formel herangezogen werden, verhält. Alexy zufolge ist ein direkter Schluß von den Diskursregeln auf Menschenrechte nicht möglich. Unter der Prämisse aber, daß alle Diskursteilnehmer ein Interesse an Richtigkeit haben, argumentativ unparteilich sind und nur einen berechtigten Vorteil anstreben erweisen sich bestimmte Menschenrechte, wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, die Meinungsfreiheit sowie ein minimaler Standard sozialer Grundrechte, als mittelbar diskursiv 177 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 261 ff., 349 ff. Danach ist der juristische Diskurs ein Sonderfall des allgemeinen praktischen Diskurses und sind die Diskursregeln und -prämissen auch auf das Recht anwendbar, wobei allerdings die juristische Argumentation unter einschränkenden Bedingungen stattfindet. Kritisch dazu Ulfrid Neumann, Juristische Argumentationslehre, 1986, S. 84 ff. 178 Alexy, Eine diskurstheoretische Konzeption der praktischen Vernunft, in: Rechtssystem und praktische Vernunft, hrsg. von dems. und R. Dreier, ARSP Beiheft 51, 1993, S. 11/14 f. 179 Alexy, Idee einer prozeduralen Theorie, in: Methodologie und Erkenntnistheorie, hrsg. von Aarnio, Rechtstheorie Beiheft 2, 1981, S. 177 /183 f. 180 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 264 ff. 181 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 34.

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

notwendig. 182 Während sich die Existenz von Menschenrechten diskurstheoretisch begründen lasse, könne allerdings für die schwierigen Fragen ihrer Interpretation allein auf der Basis der Diskurstheorie keine Lösung als diskursiv notwendig oder unmöglich erwiesen werden. Der Diskurs gibt auch keine Gewähr dafür, daß die einmal erzielte Einigung endgültig und unumstößlich ist, da nicht alle Argumentationsschritte durch die Diskursregeln festgelegt sind, jeder Diskurs vielmehr an historisch vorgegebene und damit wandelbare Vorstellungen anknüpfen muß. 183 Er gewährleistet einen relativ hohen, wenn auch nicht den höchsten Grad an Rationalität, womit auch die Grenzen der Diskurstheorie umrissen wären. Der Diskurstheorie wird wie auch dem Vertragsmodell nicht ganz zu Unrecht entgegengehalten, daß inhaltliche Ergebnisse kaum allein durch formale Eigenschaften und Verfahrensregelungen gewonnen werden können, der Diskurs nur ein formales Konstrukt, ein leeres Prinzip ist. 1 8 4 Das Modell kann nur zu der Feststellung berechtigen, daß ein Konsens formal korrekt zustandegekommen ist, nicht aber eine Letztbegründung von Wahrheit bzw. Richtigkeit verbürgen. Die Schwäche der Diskurstheorie erblickt A. Kaufmann insoweit darin, daß der Diskurs keinen Gegenstand, kein Thema hat, weshalb unklar bleibe, wie daraus Wahrheit oder Richtigkeit entstehen solle. Er vertritt daher eine Konvergenztheorie der Wahrheit als eine „sachlich begründete prozedurale Theorie richtigen Rechts". Dabei betont er, daß Wahrheit bzw. Richtigkeit zwar im Verfahren hergestellt wird, aber nicht ausschließlich durch den Diskurs. 185 Im Ergebnis stimmt Kaufmanns Gerechtigkeitstheorie allerdings mit der Diskurstheorie weitgehend überein. Der Diskurstheorie wird des weiteren mit Grund entgegengehalten, daß die rechtspraktischen Situationen mit den Bedingungen des Diskursmodells nicht kompatibel sind. Gerichtsverfahren kann man schon wegen ihrer autoritativen Struktur nicht als ideale Sprechsituation bezeichnen.186 Der ideale Diskurs über normative Fragen sei zudem angesichts der Komplexität der Wirklichkeit, der Unerschöpflichkeit der Themen und Aspekte weder möglich noch effektiv. Der Einwand spricht allerdings nicht gegen die prinzipielle Möglichkeit rationaler 182 Alexy, Eine diskurstheoretische Konzeption der praktischen Vernunft, in: Rechtssystem und praktische Vernunft, hrsg. von dems. und R. Dreier, ARSP Beiheft 51, 1993, S. 11 / 25 ff. Cortina, Diskursethik und Menschenrechte, in: ARSP 76 (1990), S. 44 ff. versucht hingegen durch direkten Schluß Menschenrechte diskurstheoretisch zu begründen. 183 Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 255, 139. 184 Kritisch gegenüber den Prozeduraltheorien A. Kaufmann, Recht und Rationalität, in: Rechtsstaat und Menschenwürde, FS-Maihofer, S. 11 ff.; ders., Problemgeschichte der Rechtsphilosophie, in: ders. / Hassemer, Einführung, S. 168 ff.; Krawietz, Editorial: Wahrheit und Vernunft versus Recht? Zur Neuen Unübersichtlichkeit von Prinzipien und Prozeduren, in: ders. / Preyer (Hrsg.), Habermas-SondtxhdX: System der Rechte, demokratischer Rechtsstaat und Diskurstheorie des Rechts nach Jürgen Habermas, 1996, S. 271 ff. 185 A. Kaufmann, Über die Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft. Ansätze zu einer Konvergenztheorie der Wahrheit, in: ARSP 72 (1986), S. 425/440ff. 186 A. Kaufmann, Hauptverhandlung in Strafsachen als rationaler Diskurs?, in: Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens, hrsg. von Jung und Müller-Dietz, S. 15/20 ff.

§ 19 Der Rechtsbegriff und das Richtigkeitsproblem

273

Diskurse, sondern nur gegen die Absehbarkeit eines Endes im Konsens. Die Diskurstheoretiker betonen zudem, daß das Modell nicht voraussetzt, daß alle juristischen Diskurse in zwangloser, unbegrenzter Kommunikation stattfinden, sondern nur, daß sie unter dem Anspruch auf Richtigkeit und damit unter Bezugnahme auf ideale Bedingungen geführt werden. 187 Die prozedural-rationalistische Gerechtigkeitskonzeption legt insgesamt zumindest Maßstäbe vor, um den Öffnungsgrad des Rechts zu bestimmen. Sie bildet insoweit ein wichtiges Argument, um dem seitens der Tautologen geäußerten Vorwurf entgegenzutreten, daß sich über das Recht gem. Art. 20 Abs. 3 GG automatisch ein Tor für beliebige, subjektivistische Gerechtigkeitsvorstellungen öffnet, wenn man es nicht mit dem Gesetz gleichsetzt. Bei Einhaltung der Diskursregeln sind nicht mehr beliebig viele Optionen möglich und werden bestimmte Inhalte ausgeschlossen. Die Gerechtigkeitstheorie bildet zwar insoweit, als sich danach die Menschenrechte als mittelbar diskursiv begründbar erweisen, als adäquates theoretisches Fundament des Art. 20 Abs. 3 GG. Allerdings erscheint die Einbruchsstelle, die das Recht der Konzeption zufolge für Moralvorstellungen schafft, insgesamt als relativ groß, da man durch bloße Verfahrensregeln zu recht unterschiedlichen Inhalten kommen kann und sich eine richtige Moral dadurch kaum begründen läßt. Die prozeduralen Gerechtigkeitstheorien sind somit von begrenztem Wert, was die Erarbeitung einer tragfähigen Grundlage für den verfassungsrechtlichen Rechtsbegriff angeht.

b) Konsequenzen der Theorie für die Rechtfertigung zivilen Ungehorsams Die prozeduralistische Gerechtigkeitstheorie hat bestimmte Konsequenzen für die Rechtfertigung von Widerstand im Rechtsstaat und es fragt sich, inwieweit das theoretische Modell mit den grundgesetzlichen Vorgaben vereinbar ist. Es soll das Problem des zivilen Ungehorsams erörtert werden, also der Protest gegen einzelne, als ungerecht empfundene Akte der Staatsgewalt im demokratischen Rechtsstaat. Die Frage, wie der Staat, insbesondere die Polizei auf zivilen Ungehorsam zu reagieren haben, sieht Dreier als einen der Prüfsteine für das Verhältnis von Gesetz und Recht in der Praxis der Exekutive. 188 Insbesondere der öffentliche Protest gegen Nachrüstung, Atomkraftpolitik u. ä. zeigt, daß sich die Frage des Auseinanderklaffens von Gesetz und Gerechtigkeit auch im demokratischen Verfassungsstaat, der die Naturrechtsprinzipien weitgehend inkorporiert hat und angeblich aus187

Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 271. R. Dreier, Der Rechtsstaat im Spannungsverhältnis, in: ders., Recht-Staat-Vernunft, S. 73/89; ders., Widerstandsrecht im Rechtsstaat? Bemerkungen zum zivilen Ungehorsam, in: FS-Scupin, S. 573 ff. Vgl. Rawls, Theorie der Gerechtigkeit, S. 400: „Das Problem des zivilen Ungehorsams ist ein Prüfstein für jede Theorie der moralischen Grundlage der Demokratie". 188

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

reichend Gewähr für materielle Gerechtigkeit bietet, nicht erledigt hat. 1 8 9 Während Rawls den zivilen Ungehorsam nur unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten rechtfertigt 190 , geht Dreier in Auseinandersetzung mit der Konzeption Rawls einen Schritt weiter und sucht für die Theorie des zivilen Ungehorsams eine konzeptionelle Verlängerung im positiven Recht. Dreier unternimmt den Versuch, Protesthandlungen im demokratischen Rechtsstaat unter bestimmten Voraussetzungen auch rechtlich, insbesondere grundrechtlich zu rechtfertigen. Danach ist, wer allein oder gemeinsam mit anderen öffentlich, gewaltlos und aus politisch-moralischen Gründen gegen schwerwiegendes Unrecht protestiert und dabei den Tatbestand einer Verbotsnorm erfüllt, grundrechtlich gerechtfertigt, wenn sein Protest verhältnismäßig ist. 1 9 1 Die grundrechtstheoretische Begründung nimmt Bezug auf das Bekenntnis zu den Menschenrechten gem. Art. 1 Abs. 2 GG und insbesondere die Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. 192 Ausgangspunkt ist die Feststellung, daß dem positiven Recht vernunftrechtliche Prinzipien - Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit - als Verfassungsprinzipien inkorporiert sind und sich der Konflikt zwischen Recht und Moral daher bis zu einem gewissen Grade in das positive Recht verlagert und als Kollision zwischen einfachen Gesetzen und Verfassungsnormen bzw. Prinzipien äußert. Handlungen, die prima facie als illegal erscheinen, weil gegen einfachgesetzliche Verbotsnormen verstoßend, können sich insgesamt als legal, nämlich verfassungsrechtlich gerechtfertigt erweisen. Der zivile Ungehorsam stellt, wenn er einer am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierten Güterabwägung standhält, Dreier zufolge eine legale Grundrechtsausübung dar. Dabei trägt allerdings der Widerstandleistende selbst das „Prozeßrisiko", daß seine Handlung ex post als illegal beurteilt wird. Zur Bestimmung des „schwerwiegenden Unrechts" nimmt Dreier auf die Grundrechte des GG, in denen er die Hauptprinzipien der neuzeitlichen Vernunftsrechtsund Gerechtigkeitstheorien inkorporiert sieht, Bezug. Damit entzieht er dem Vorwurf, die Theorie des zivilen Ungehorsams stütze sich auf eine diffuse Naturrechtsdoktrin, die das bessere Recht, auf das sich die Protestierenden berufen, nicht einsichtig machen könne, teilweise den Boden. Nicht ganz konsequent erscheint allerdings, daß Dreier ausgehend von seinem auf der Verbindungsthese basieren189

Vgl. Renzikowski, Naturrechtslehre versus Rechtspositivismus, in: ARSP 81 (1995), S. 334/338; Thomas Laker, Ziviler Ungehorsam: Geschichte - Begriff - Rechtfertigung, 1986, S. 98 ff. 190 Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 140 ff., S. 403. 191 R. Dreier, Widerstandsrecht im Rechtsstaat?, in: FS-Scupin, S. 573/589. Laker, Ziviler Ungehorsam, S. 160ff.; vgl. Horst Schiiler-Springorum, Strafrechtliche Aspekte zivilen Ungehorsams, in: Peter Glotz (Hrsg.), Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, 1983, S. 76/79: „Ziviler Ungehorsam" steht für „eine bewußte Regelverletzung als Mittel zum Zweck eines öffentlich bekundeten und ethisch-normativ begründeten symbolischen Protestes, der gewaltlos bleibt und für dessen Folgen einzustehen der Protestierende bereit ist". 192 R. Dreier, Widerstandsrecht im Rechtsstaat?, in: FS-Scupin, S. 573/589 ff.

§ 19 Der Rechtsbegriff und das Richtigkeitsproblem

275

den Rechtsbegriff nicht unmittelbar aus der moralischen Rechtfertigung auch rechtliche Konsequenzen zieht, sondern den Weg über eine grundrechtliche Rechtfertigung geht. Gegen die Rechtfertigung zivilen Ungehorsams unter bewußter Regelverletzung wird weiter geltend gemacht, sie stelle einen Angriff auf die Mehrheitsregel im demokratisch verfaßten Staat dar. Dagegen kann allerdings eingewandt werden, daß das Gesetz als Ausdruck des Mehrheitsprinzips bisweilen von einer dünnen Legitimationsdecke einer einfachen Bundestagsmehrheit getragen ist und Mehrheitsentscheidungen allein nur bedingt eine Annäherung an die Gerechtigkeit gewährleisten. 193 Die positivistische Auffassung, die den zivilen Ungehorsam schlicht als illegal und nicht rechtfertigungsfähig einstuft, spielt das tatsächlich auftretende Problem des Ungehorsams gegen einzelne Staatsakte im demokratischen Rechtsstaat herunter und entzieht die Frage dem rechtswissenschaftlichen Gegenstandsbereich. 194 Die Dreiersche Konzeption hingegen nähert sich dem Problem des Auseinanderfallens von Gesetz und Recht im Rechtsstaat zwar besser, öffnet allerdings recht breiten Raum für die Rechtfertigung zivilen Ungehorsams und birgt Unsicherheiten auch für die Praxis der Exekutive. Sie wird insoweit dem rechtsstaatlichen Gebot der Rechtssicherheit nicht ganz gerecht und dürfte daher mit den Vorgaben des GG nicht vollständig vereinbar sein. Insoweit kann die prozedurale Gerechtigkeitstheorie auch nur bedingt ein tragfähiges theoretisches Fundament für den Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG liefern.

3. Kritik aus der Perspektive

eines nachpositivistischen

Rechtsrealismus

Den Diskurstheoretikern wird nicht ohne Grund eine verengte Sichtweise vorgeworfen, da sie den Blick auf das Verhältnis von Recht und Moral konzentrieren und sich nicht ausreichend der sozialen und politischen Bezüge des Rechts vergewissern. 195 Eine Theorierichtung, die über die analytische Engführung des Denkens der vernunftrechtlichen Gerechtigkeitskonzeption und über die Alternative Trennungs- oder Verbindungsthese hinauszugelangen sucht, ist der nachpositivistische Rechtsrealismus. 196 Diese Richtung verfolgt ähnlich wie der Institutiona193 Siehe Habermas, Ziviler Ungehorsam - Testfall für den demokratischen Rechtsstaat. Wider den autoritären Legalismus in der Bundesrepublik, in: Glotz (Hrsg.), Ziviler Ungehorsam, S. 29/47 ff.; Sommermann, Taugt die Gerechtigkeit als Maßstab der Rechtsstaatlichkeit?, in: Jura 1999, S. 337/340; Hassemer, Ziviler Ungehorsam - ein Rechtfertigungsgrund?, in: FS-Wassermann, S. 325/339. 194 Denninger, Verfassungsrechtliche Schlüsselbegriffe, in: FS-Wassermann, S. 279/281. 195 Siehe dazu Krawietz, Rechtssystem und Rationalität, in: Methodologie und Erkenntnistheorie, hrsg. von Aarnio (u. a.), Rechtstheorie Beiheft 2 (1981), S. 299/308; Carl Braun, Diskurstheoretische Normenbegründung in der Rechtswissenschaft, in: Rechtstheorie 19 (1988), S. 238/253 ff. 196 Dazu Wyduckel, Recht und Rechtswissenschaft im nachpositivistischen Rechtsrealismus, in: Soziologische Jurisprudenz, hrsg. von Kamenka, Rechtstheorie Beiheft 9 (1986),

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

listische Rechtspositivismus das Anliegen, das Recht wieder stärker in seine realen, insbesondere sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bezüge einzubetten. Der nachpositivistische Rechtsrealismus wird selbst wiederum in verschiedenen Varianten vertreten, von denen hier im Rahmen der Themenstellung nur einige grundlegende Aspekte berücksichtigt und vorgestellt werden können. Der juristische Positivismus in der Gestalt des reinen Normativismus wird kritisiert wegen seiner isolierenden Sichtweise, die das soziale Gesamtphänomen Recht auf einen seiner formalen Teilaspekte reduziert und empirische Fragestellungen ausklammert. 197 Die Tatsache, daß Recht bestimmter institutioneller und verfahrensmäßiger Vorgaben bedarf, um zu gelten, stellt der nachpositivistische Rechtsrealismus nicht in Abrede. Darüber hinaus fragt er aber nach der inhaltlich-materiellen Seite der Institutionalisierung, den zugrundeliegenden Interessen und ihrer Bewertung 1 9 8 sowie der Qualität der Rechtsetzung und vermeidet auf diese Weise die Beliebigkeit positiver Setzung, wie sie charakterisch für eine streng rechtspositivistische Konzeption ist. 1 9 9 Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, daß das Postulat inhaltlich-materieller Kriterien des Rechtsbegriffs nicht notwendig sogleich eine moralische Argumentation impliziert. Die nachpositivistische Konzeption gibt nicht vor, allgemeinverbindliche inhaltliche Vorgaben und normative Letztbegründungen zu liefern. 200 Natur- bzw. vernunftrechtlich orientierte Rechtstheorien unterzieht sie einer scharfen Kritik, wie insbesondere die Mitte der achtziger Jahre geführte Kontroverse zwischen Dreier und Krawietz gezeigt hat. 201 Nicht zu Unrecht wirft Krawietz der in der Tradition des vernunftrechtlichen Rationalismus stehenden prozeduralen Gerechtigkeitstheorie Eindimensionalität vor. Sie rücke den Vernunftbezug des Rechts zu stark in den Vordergrund und lasse sich zu wenig auf die gesellschaftliche Wirklichkeit des Rechts und andere nichtrechtliche normative

S. 349ff.; ders., Normativität und Positivität, in: FS-Krawietz, S. 437/466ff.; Krawietz, Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis. Eine Untersuchung zum Verhältnis von dogmatischer Rechtswissenschaft und rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung, 1978, S. XIII; ders., Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus?, in: Rechtstheorie 18 (1987), S. 209 ff.; Martin Schulte, Recht, Staat und Gesellschaft - rechtsrealistisch betrachtet, in: FS-Krawietz, S. 317 ff., insbes. S. 320 f. Der Begriff findet sich - allerdings in anderem Kontext - bereits bei F. Müller, Art. Positivismus, in: Ergänzbares Lexikon des Rechts, 1983, S. 1 / 3 f.; ders., Strukturierende Rechtslehre, S. 233, 331 f., 438f. 197 Krawietz, Recht als Regelsystem, S. 81. 198 Vgl. Krawietz, Interessenjurisprudenz, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Bd. 4, 1976, Sp. 494 ff. i " Wyduckel, Normativität und Positivität, in: FS-Krawietz, S. 437/467, 471. 200 Wyduckel, Normativität und Positivität, in: FS-Krawietz, S. 437/471. 201 Krawietz, Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus? Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff des Rechts bei Ralf Dreier und Norbert Hoerster, in: Rechtstheorie 18 (1987), S. 209 ff.; R. Dreier, Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus? In Erwiderung auf Werner Krawietz, in: Rechtstheorie 18 (1987), S. 368 ff.; ders., Der Begriff des Rechts, in: NJW 1986, S. 890 ff.

§ 19 Der Rechtsbegriff und das Richtigkeitsproblem

277

Ordnungen ein. 2 0 2 Die Reduzierung auf das Verhältnis von Recht und Moral erscheint angesichts der zunehmenden Ausdifferenzierung und Komplexität des Rechts nicht adäquat. Der Vorwurf, die Dreiersche Gerechtigkeitstheorie ziehe sich auf diffuse Moralprinzipien zurück, wirkt allerdings überzogen, da im Diskursmodell Standards und Verfahren zur Bestimmung moralischer, überpositiver Prinzipien vorgelegt werden. Der nachpositivistische Rechtsrealismus steht einer sich im rationalistischen Vernunftdenken bewegenden Gerechtigkeitskonzeption mit Recht skeptisch gegenüber und optiert für eine reflektierte, historisch-sozial angeleitete Vernunft, die gegenüber dem positiven Recht korrigierend-optimierend wirkt. 2 0 3 Dabei wird die Moral nicht ausgegrenzt, aber in den umfassenden Zusammenhang der übrigen nichtrechtlichen normativen Ordnungen eingerückt. In Zweifelsfällen ist danach eine Abwägung notwendig, die auch zuungunsten des positiven Rechts ausfallen kann mit der Folge, daß es seine Verbindlichkeit einbüßt und die Normadressaten von der Rechtspflicht zum Gehorsam befreit. Das ist der Fall, wenn das positive Recht der inhaltlichen Uberprüfung im Lichte kritisch-vergleichender Vernunft unter keinem grundsätzlich diskutablen Aspekt standzuhalten vermag. Damit wird in eng umgrenzten Ausnahmefällen die Möglichkeit des Auseinanderfallens von Gesetz und Recht durchaus anerkannt und dem Recht korrigierende Funktion gegenüber dem Gesetz zuerkannt. Das nachpositivistische Konzept kann somit eine tragfähige theoretische Grundlage für die im verfassungsrechtlichen Teil erarbeitete Auffassung bilden, die dem Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG Bedeutung als Korrektiv des gesetzten Rechts beimißt und insoweit der Tautologie-These entgegentritt. Der nachpositivistischen Konzeption zufolge darf die Rechtsgeltung nicht nur Imperativisch verstanden werden, sondern sind auch Akzeptanz und Akzeptabilität zu berücksichtigen. 204 Dem haben inzwischen auch positivistische Theorien in gewisser Weise Rechnung getragen. So hat Hoerster seinen Rechtsbegriff für den soziologischen Kontext des Rechts insoweit geöffnet, als er die Frage der Akzeptanz durch die Rechtsunterworfenen in den Rechtsbegriff einbezieht und das Zwangsmoment mehr in den Hintergrund treten läßt. 205 Die normativ-realistische Rechtskonzeption wird dem komplexen Gegenstand des Rechts damit im ganzen besser gerecht als einerseits Theorien, die die Geltung zeitunabhängiger, absoluter 202 Krawietz, Neues Naturrecht oder Rechtspositivismus?, in: Rechtstheorie 18 (1987), S. 209/212 f., 223 ff. 203 Dazu und zum folgenden Wyduckel, Normativität und Positivität, in: FS-Krawietz, S. 437/471 ff. 204 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 57 f. 205 Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, S. 191 f.; Hoerster, Der rechtsphilosophische Begriff des Rechts, in: JuS 1987, S. 181/182; dazu Koller, Theorie des Rechts, S. 152 f.; Krawietz, Sind Zwang und Anerkennung Strukturelemente der Rechtsnormen?, in: Die Reine Rechtslehre im Spiegel ihrer Fortsetzer und Kritiker, hrsg. von O. Weinberger und W. Krawietz, 1988, S. 315 ff.

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3. Teil: Verfassungstheoretischer Rahmen von Gesetz und Recht

Moralprinzipien proklamieren und andererseits solche, die die Frage der Legitimität gänzlich abschneiden. 4. Stellungnahme

Die von Alexy und Dreier entwickelte vernunftrechtliche Gerechtigkeitskonzeption bietet anhand von Verfahren Maßstäbe, die den von den Tautologen gern vorgebrachten Vorwurf der Beliebigkeit und Irrationalität des Rechts entkräften können. Während formale Gerechtigkeitstheorien ein Mindestmaß an Gerechtigkeit durch Verwirklichung bloß formaler Gleichheit zu erreichen suchen und materiale Gerechtigkeitstheorien objektiv erkennbare, absolute Werte als Maßstab des Gerechten behaupten, weist die prozedurale Theorie einen mittleren Lösungsweg.206 Sie entgeht dem Dilemma, sich entweder auf inhaltsleere formale Aussagen zurückziehen oder aber die Existenz vermeintlich objektiver materialer Prinzipien behaupten zu müssen, indem sie Gerechtigkeitskriterien durch Verfahren und Konsens begründet. Eine Norm ist in diesem Sinne gerecht, wenn sie Ergebnis eines durch bestimmte Bedingungen und Regeln ausgezeichneten Verfahrens ist. Damit kann dem Vorwurf der Beliebigkeit bei der Konkretisierung der Gerechtigkeit entgangen werden. Allerdings erscheint das vernunftrechtliche, prozedurale Diskursmodell insofern eindimensional, als von den nichtnormativen Ordnungen ausschließlich die Moralordnung einbezogen und andere Aspekte wie etwa die gesellschaftlich-soziale Dimension des Rechts vernachlässigt werden. In der juristischen Argumentationstheorie Alexys beschäftigt sich das Recht ausschließlich mit sich selbst und seiner Beziehung zur Moral. 2 0 7 Dabei werden aus einer Teilnehmerperspektive heraus Einzelnormen und Normanwendung analysiert und einer Kritik unter moralischem Blickwinkel unterzogen. Des weiteren ist im prozeduralen Modell die Bestimmung des Verhältnisses von Richtigkeit und Verfahren nicht ganz klar. Allein durch die Festlegung von Verfahrensstrukturen des Diskurses kann kaum inhaltliche Richtigkeit gewährleistet werden. Auch bleibt offen, wie die Einhaltung der Regeln und Bedingungen eines vernünftigen, nicht nur irgendeines faktischen Konsenses sichergestellt werden kann. Nur wenige Aussagen werden sich als diskursiv unmöglich, d. h. als gegen die Diskursregeln verstoßend und umgekehrt meist mehrere als diskursiv möglich erweisen. Dem weiten Raum des diskursiv Möglichen kann kein gleich weiter Raum des rechtlich Erlaubten entsprechen. 208 Der von Alexy und Dreier konzipierte rechtstheoretische Rechtsbegriff läßt sich nicht ohne weiteres auf die Ebene des Verfassungsrechts übertragen, da damit ein weites Einfallstor für das Einfließen von Moralvorstellungen in das Recht geschaffen und auf diese Weise den verfassungsrechtlichen Forderungen der Rechtssicher206 Dazu Calliess, Prozedurales Recht, S. 29. 207 Calliess, Prozedurales Recht, S. 142. 208 Calliess, Prozedurales Recht, S. 94.

§ 19 Der Rechtsbegriff und das Richtigkeitsproblem

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heit und Bestimmtheit des Rechts nicht hinreichend genügt wird. Aus diesen Gründen ist die prozedurale Gerechtigkeitstheorie für die Bestimmung des verfassungsrechtlichen Rechtsbegriffs nur von begrenztem Wert. Gegenüber dem vernunftrechtlichen Ansatz erweist sich ein normativ-realistisches Konzept, das zum einen den Bezug des Rechts zur gesellschaftlichen Wirklichkeit und zum anderen über die Moralordnung hinaus andere nichtnormative Ordnungen berücksichtigt, zeitgemäßer und vorzugswürdiger. Es trägt der Rechtssicherheit, die wesentliches Element des grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzips ist, besser Rechnung, indem eine Korrektur des Gesetzes durch das Recht nur in Ausnahmefällen nach Abwägung in Betracht kommt. Dabei wird dem Recht Optimierungsfunktion zuerkannt. Die Konzeption hält den Öffnungsrahmen des Rechts für übergesetzliche Maßstäbe in engeren Grenzen als die vernunftrechtliche Gerechtigkeitstheorie. Maßstab des Rechts ist nicht ein zeitlos gültiges, invariables Vernunft- oder Naturrecht, sondern eine historisch-sozial angeleitete, kritisch-vergleichende Vernunft, die auch der Geschichtlichkeit des Rechts Beachtung schenkt. Eine solchermaßen gemäßigt positivistische Konzeption des Rechts erweist sich als geeigneter Theorierahmen der Rechtsbindung des Art. 20 Abs. 3 GG. Die Analyse im dritten Teil der Arbeit zeigt, daß eine solche Deutung des Rechts auch auf rechtstheoretischer Ebene besser zu überzeugen vermag als eine streng rechtspositivistische. Die tautologisch-positivistische Interpretation des Begriffspaars, für die keine plausiblen verfassungsrechtlichen Argumente vorgebracht werden können, erscheint auch unter rechtstheoretischem Blickwinkel nicht vorzugswürdig. Ihr liegt ein reduktionistisches Konzept zugrunde, das das Recht nicht in seiner Ganzheit erfaßt. Letztlich hängt die Frage, ob man einen positivistischen oder nichtpositivistischen Standpunkt einnimmt, entscheidend davon ab, ob man das Recht besser bei der Justiz oder beim Parlament aufgehoben weiß. 209 Die Tautologen stellen sich auf die Seite des Gesetzgebers und sind bemüht, eine mit dem Rückgriff auf materiale Wertgehalte verbundene Kompetenzausweitung der Judikative zu vermeiden. Sie wollen die Optimierung des Rechts lieber dem demokratischen Gesetzgeber als der Justiz überlassen. Dagegen stehen die Vertreter eines nichtpositivistischen bzw. eines gemäßigt positivistischen, offeneren Rechtsbegriffs einem Kompetenzzuwachs der Rechtsprechung nicht derart skeptisch gegenüber. Sie können Lösungswege anbieten, insbesondere wenn der Gesetzgeber nicht oder nicht rechtzeitig reagiert und seiner Aufgabe der Optimierung des Rechts nicht hinreichend nachkommt. Eine gemäßigte Öffnung des Rechts kann die Fragen, die sich auch der Rechtspraxis in Ausnahmefällen aufdrängen, einer adäquaten und akzeptableren Lösung zuführen als eine enge positivistische Konzeption. Dieser Möglichkeit der Korrektur und Optimierung, die Art. 20 Abs. 3 GG der Rechtspraxis bietet, sollte man sich nicht ohne Grund verschließen.

209 Dazu R. Dreier, Konstitutionalismus und Legalismus, in: FS-Maihofer, S. 83/97 f.

Zusammenfassung und Ausblick Die Bedeutung der Gesetzes- und Rechtsbindung der rechtsprechenden und vollziehenden Gewalt läßt sich, wie die Untersuchung gezeigt hat, nur unter mehrperspektivischem Zugriff hinreichend erschließen. Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit lag dabei auf der bislang unzureichend gewürdigten verfassungsrechtlichen Auslegung der Bindungsformel des Art. 20 Abs. 3 GG. I. Die Analyse der Verfassungsnorm wurde im ersten Teil durch eine geschichtliche Grundlegung abgesichert. 1. Als Untersuchungsergebnis läßt sich dabei festhalten, daß die Bindung der Staatsgewalt nicht nur an das Gesetz, sondern auch an das Recht, wie in Art. 20 Abs. 3 GG normiert, in der deutschen Verfassungsgeschichte neuartig ist und keinen eigentlichen Vorläufer kennt (§ 1). 2. Die Wendung ,Gesetz und Recht4 stellt eine spezifische, durch die Erfahrungen des NS-Unrechts geprägte Schöpfung des Parlamentarischen Rates dar. Zwar ergeben sich aus der engeren Entstehungsgeschichte des Art. 20 Abs. 3 GG noch keine eindeutigen Hinweise zum Verständnis des Rechtsbegriffs, zumal die Beratungen des Grundgesetzartikels teilweise nicht protokollarisch festgehalten sind. Die Diskussionen im Parlamentarischen Rat liefern aber Anhaltspunkte dafür, daß die nach 1945 einsetzende, maßgeblich durch Radbruch beeinflußte naturrechtliche Sichtweise von Einfluß auf die Formulierung des GG war (§§ 2, 3). 3. Während in der Zeit der Genese des GG bis in die fünfziger Jahre hinein ein naturrechtliches Rechtsverständnis vorherrschte, hat sich allmählich eine Entwicklung hin zu einem tendenziell positivistischen Rechtsbegriff vollzogen, was in der höchstrichterlichen Judikatur wie auch im verfassungsrechtlichen Schrifttum nachweisbar ist. Die Wende stellt eine Reaktion auf die frühe bisweilen unkritische Berufung auf das Naturrecht dar. Sie erklärt sich auch daraus, daß es mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Zusammenbruch des NS-Systems in der Rechtspraxis kaum noch Anlaß zum Rückgriff auf einen naturrechtlichen Beurteilungsmaßstab gab (§§ 4, 5, 6). II. Die aktuelle verfassungsrechtliche Bedeutung der Gesetzes- und Rechtsbindung, der im zweiten Teil der Arbeit nachgegangen wurde, stellt sich wie folgt dar: 1. Die Bindung an das Gesetz gem. Art. 20 Abs. 3 GG umfaßt die Bindung an formelle Gesetze einschließlich des Grundgesetzes, alle Gesetze im materiellen Sinne wie Rechts Verordnungen und Satzungen sowie partiell auch das Völker- und

Zusammenfassung und Ausblick

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Europarecht. Bloß interne Verwaltungsvorschriften ohne Außenwirkung fallen dagegen weder unter den Gesetzes- noch den Rechtsbegriff. Über die Bindungskraft des Gewohnheitsrechts besteht im Ergebnis Einigkeit, wenngleich seine Zuordnung zum Gesetzes- oder Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG strittig ist. Es spricht viel dafür, es unter den Gesetzesbegriff zu fassen, da nicht anzunehmen ist, daß die Bindung an das Recht eingefügt wurde, um gerade im Rahmen einer so zentralen Verfassungsnorm das Gewohnheitsrecht besonders hervorzuheben (§§ 7, 8). 2. Aus verfassungsrechtlichen Gründen kann eine tautologische Interpretation des Art. 20 Abs. 3 GG nicht überzeugen. Das systematische Verhältnis von Art. 20 Abs. 3 GG und dem enger gefaßten Art. 97 Abs. 1 GG liefert kein Argument zugunsten einer Gleichsetzung von Gesetz und Recht, da die Grundsatznorm nicht durch Art. 97 Abs. 1 GG vollständig überlagert werden darf. Zwar indiziert Legalität unter der Geltung des GG im wesentlichen Legitimität. Indessen gibt die Tautologie-These ohne hinreichenden Grund vor, daß sich die Frage des Auseinanderfallens von Gesetz und Recht unter dem GG überhaupt nicht mehr stellt (§9). 3. Das Begriffspaar ,Gesetz und Recht4 als schlichte Unterscheidung von geschriebenem Recht und Gewohnheitsrecht bzw. Gesetz im formellen und materiellen Sinne zu deuten, würde der Intention der Norm nicht gerecht. Rechtsbindung geht auch über Verfassungsbindung hinaus. Das GG trifft zwar vielfach Vorkehrungen zur Sicherung materieller Gerechtigkeit, so daß das Entstehen gesetzlichen Unrechts deutlich minimiert ist. Es kann aber nicht als Schlußpunkt der Verfassungsentwicklung angesehen werden, sondern läßt der Suche nach einem Maßstab des Gerechten Raum. Darüber hinaus hält die Wendung des Art. 20 Abs. 3 GG die Erinnerung an die Erfahrung extremen Unrechts wach und besitzt eine symbolische Mahnfunktion (§§ 10, 11). 4. Sieht man in dem Ausdruck Recht eine Öffnung für Gerechtigkeitserwägungen, führt dies nicht notwendig zu subjektiver Wertbeliebigkeit. Aus Art. 1 Abs. 1, 2 GG und dem Gebot der Rechtssicherheit ergeben sich bereits äußerste Grenzen der zulässigen Öffnung des Rechts, so daß nicht jede beliebige Gerechtigkeitsvorstellung Eingang in das Verfassungsverständnis finden kann. Als Grundlage eines Lösungsmodells, das dem Recht im Ausnahmefall Korrekturfunktion gegenüber dem Gesetz zuweist, kann die Radbruchsche Formel dienen, die einen zutreffenden Kerngedanken enthält, allerdings in ihrer Ursprungsversion inhaltlich recht unbestimmt ist und am Maßstab anerkannter Menschenrechte konkretisiert werden sollte (§ 12). 5. Mit dem Zusammenbruch des DDR-Systems und der Bewältigung des Systemunrechts ist die Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Recht erneut aufgeworfen und für die Rechtspraxis zu einem drängenden Problem geworden. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat in diesem Zusammenhang wiederum auf die Radbruchsche Formel als Lösungshilfe zurückgegriffen und sie anhand der Menschenrechte präzisiert. Dabei findet die Auffassung der Judikatur zumindest im Ergebnis Zustimmung (§ 13).

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Zusammenfassung und Ausblick

6. Die mögliche Differenz von Gesetz und Recht wird nicht nur bei der singulär auftretenden Problematik extremen Unrechts in Ausnahmesituationen relevant, sondern ebenfalls in der rechtsstaatlichen Normallage. Dies zeigt die mit der Soraya-Entscheidung des BVerfG von 1973 einsetzende Diskussion um die richterliche Rechtsfortbildung. Die Bindung an das Recht ist Ausdruck der Legitimation richterlicher Rechtsfortbildung und gibt im Offenheitsbereich einen Entscheidungsmaßstab vor (§ 14). 7. Der zugrundegelegte Rechtsbegriff ist nicht nur für das Verständnis des Art. 20 Abs. 3 GG von Relevanz, sondern hat auch verfassungsrechtliche Konsequenzen etwa für die Auslegung des Rechtsstaatsprinzips, das Rückwirkungs- sowie Verfassungsänderungsverbot des Art. 79 Abs. 3 GG. Es zeigt sich, daß die auf einem positivistischen Rechtsverständnis basierende Tautologie-These im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Auswirkungen und Folgen des Rechtsbegriffs nicht genügend durchdacht ist. So wird das Recht neben dem Gesetz zwar für überflüssig gehalten, keinesfalls aber seine Streichung im Wege der Verfassungsänderung gem. Art. 79 Abs. 3 GG erwogen, die überdies unzulässig erscheint (§ 15). 8. Die Wendung ,Gesetz und Recht' hat in den Verfassungen der neuen Bundesländer und in Art. 20 a GG erneut Aufnahme gefunden. Die Verfassungsberatungen zeigen, daß das Verhältnis von Gesetz und Recht auch gegenwärtig noch diskussionsbedürftig ist und sich eine schlichte Gleichsetzung der Begriffe verbietet. Die Untersuchung ergibt unter rechtsvergleichendem Aspekt, daß sich in europäischen Verfassungstexten keine vergleichbare Formulierung findet und die aus der historischen Erfahrung des NS-Unrechts erwachsene Bindungsformel des GG insoweit einzigartig ist (§ 16). III. Schließlich besitzt der Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG, wie im dritten Teil der Untersuchung aufgezeigt, eine rechtstheoretische Dimension. 1. Eine Analyse der Rechtsbindung gem. Art. 20 Abs. 3 GG kann ohne eine Fundierung auf theoretischer Ebene nicht vollständig gelingen. Verfassungsrecht und Verfassungstheorie sind insoweit aufeinander bezogen. Insbesondere wenn man keinen engen positivistischen Rechtsbegriff vertritt, ist zur Bestimmung des zulässigen Öffnungsgrades des Rechts die Erarbeitung eines Theorierahmens notwendig. Aber auch eine tautologische Interpretation muß sich der theoretischen Grundlagen und Konsequenzen ihres Rechtsbegriffs vergewissern (§ 17). 2. Mit der These der Identität von Gesetz und Recht verbindet sich auf theoretischer Ebene ein positivistischer Rechtsbegriff auf der Grundlage einer schwachen Trennungsthese. Die Tautologie-These, der ein positivistischer Rechtsbegriff in verschiedenen Varianten zugrundeliegt, vermag aufgrund ihres reduktionistischen Konzeptes des Rechts nicht zu überzeugen. Hingegen dürfte die Position des analytischen Rechtspositivismus, wie sie von Hoerster vertreten wird, nicht mehr der Tautologie-These zuzuordnen sein, sondern Grundlage eines gemäßigt positivistischen Konzeptes bilden (§ 18).

Zusammenfassung und Ausblick

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3. Während einerseits ein tautologisch-positivistisches Konzept theoretisch nicht überzeugt, erscheint andererseits ein nichtpositivistischer, vernunftrechtlicher Rechtsbegriff nur schwer mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Die mit einer nichtpositivistischen Konzeption, wie von Alexy vertreten, verbundene weite Öffnung des Rechts für Moralvorstellungen trägt dem Gebot der Rechtssicherheit nicht mehr hinreichend Rechnung. Daher erscheinen prozedurale Gerechtigkeitstheorien als Theorierahmen des Rechtsbegriffs nur bedingt geeignet. Zu der hier vertretenen Deutung des Art. 20 Abs. 3 GG paßt am besten ein gemäßigt positivistischer Rechtsbegriff, der die normativ-realistische Seite des Rechts nicht aus dem Blick verliert. Dem Rechtsbegriff des Art. 20 Abs. 3 GG kann im ganzen keine bestimmte Gerechtigkeitstheorie als allgemeinverbindlich und endgültig zugeordnet werden. Sinnvoll erscheint ein gemäßigt positivistisches Konzept, mit dem man sich die Korrekturmöglichkeit des gesetzten Rechts nicht versperrt und die Möglichkeiten, die Art. 20 Abs. 3 GG insoweit bietet, ausschöpft. Die Bindungsformel bringt die Vorstellung der Optimierung des Rechts zum Ausdruck und bleibt gleichzeitig einer Fortentwicklung des Gerechtigkeitsgedankens zugänglich (§ 19). IV. Eine andere als eine tautologische Deutung des Begriffspaars muß nicht notwendig eine konturenlose Einbruchsteile für Gerechtigkeits- und Moralvorstellungen schaffen. Zwar erscheint die Radbruchsche Formel in ihrer ursprünglichen Form noch relativ unscharf und bietet keine ausreichenden inhaltlichen Maßstäbe für die Bestimmung der Schwelle zum gesetzlichen Unrecht. Insoweit ist ihre aktuelle praktische Brauchbarkeit und Leistungsfähigkeit eingeschränkt und die Befürchtung, eine Öffnung des Art. 20 Abs. 3 GG führe zu Rechtsunsicherheit, zunächst durchaus berechtigt. Allerdings läßt sich eine gemäßigt positivistische, im Kern auf den Radbruchschen Geltungsthesen basierende Konzeption des Rechts durch inhaltliche Standards und Maßstäbe, insbesondere anhand der in der Rechtsgemeinschaft anerkannten Menschenrechte präzisieren. Die nach 1945 ζ. B. in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN und in der EMRK niedergelegten Menschenrechte, auf die die 1946 geschaffenen Geltungsthesen Radbruchs noch nicht Bezug nehmen konnten, bieten eine Konkretisierungshilfe für den Maßstab des Gerechten. In der Präambel der EMRK ist explizit die Rede von Grundfreiheiten, die die Grundlage von Gerechtigkeit in der Welt bilden. Eine Stütze findet der Ansatz in der Verfassung selbst, die sich in Art. 1 Abs. 2 GG zu den unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage der Gerechtigkeit bekennt. Damit lassen sich elementare, von der Rechtsgemeinschaft anerkannte Menschenrechte als inhaltliche Konkretisierung der Radbruchschen Formel herauskristallisieren. Überdies ist die Erfahrung des Zusammenbruchs unterschiedlicher totalitärer Gesellschaftssysteme im 20. Jh. eine nachdrückliche Bestätigung dafür, daß eine Auslegung der Radbruchschen Formel am Maßstab von Menschenrechten und Menschenwürde geboten ist. Die Thesen Radbruchs zur Bestimmung gesetzlichen Unrechts sind insoweit dem demokratischen Fortschritt verpflichtet. Sie haben nicht nur nationale Bedeutung, sondern drängen nach internationaler Anerkennung und Anwendung in der Rechtspraxis.

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Zusammenfassung und Ausblick

Daß die Thematik des Verhältnisses von Gesetz und Recht nicht bloß von historischer Bedeutung ist, sondern auch in Zukunft interessante Fragen aufwerfen wird, belegt die Rechtsentwicklung auf europäischer Ebene.1 So konnte eine unter Vorsitz von Herzog ausgearbeitete, vieldiskutierte Charta der Grundrechte der EU im Dezember 2000 feierlich proklamiert werden.2 Die Charta stellt eine Kodifizierung des in der EU erreichten Standes des Grundrechtsschutzes dar und bringt einen Konsens über gemeinsame Werte und Gerechtigkeitsmaßstäbe in der Rechtsgemeinschaft zum Ausdruck. Ihr kommt eine wesentliche Legitimations- und Integrationsfunktion im Prozeß der europäischen Einigung zu. Die Tatsache, daß man sich auch auf europäischer Ebene der Problematik um einen Weitkonsens und Maßstab des Gerechten intensiv annimmt, zeigt, daß dem Rechtsbegriff in Zukunft ein noch stärkeres Gewicht beizumessen sein wird.

1 Zur wechselseitigen Beeinflussung von nationalem und Gemeinschaftsrecht siehe Bauer, Europäisierung des Verfassungsrechts, in: Juristische Blätter 122 (2000), S. 750/753 ff. 2 Dazu Ingolf Pernice, Eine Grundrechte-Charta für die Europäische Union, in: DVBl. 2000, S. 847 ff. Der Entwurf der Grundrechte-Charta der EU nebst einer Einführung von Meinhard Hilf ist abgedruckt in: NJW 2000, Sonderbeilage zu H. 49, S. 3 ff.

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Habermas, J. 267, 269 f. Hamann, A. 97, 99, 110 Hart, H. L. A. 39, 233 ff., 248 Hartmann, N. 40 Herzog, R. 151 ff., 157, 222, 284 Heusinger, B. 80, 93, 95 f. Heuss, Th. 56 Himmler, H. 82 Hippel, E. von 97 f. Hitler, A. 47, 73 (Fn. 211), 81 (Fn. 248), 243, 260 Hobbes, Th. 233 Hoerster, N. 236, 238, 245 ff., 277, 282 Hofmann, H. 240 Hruschka, J. 245 f. Ihering, R. von 64 Ipsen, J. 113 Isensee, J. 203 Jahn, F.-A. 218 Jakobs, G. 170, 202 ff. Jarass, H. D. 128, 221 Jellinek, G. 64 Kaufmann, A. 108 ff., 272 f. Kelsen, H. 35, 38 f., 223, 230 ff., 249 Klein, F. 99 ff., 110 Krawietz, W. 276 Kriele, M. 70, 262 ff. Küchenhoff, G. 43 Kunig, Ph. 200 ff. Laband, P. 115 Larenz, K. 191 f. Leibholz, G. 67,70 f. Limbach, J. 219 Luhmann, N. 249 f.

Personenverzeichnis Maihofer, W. 108 ff. Mangoldt, H. von 53 ff., 99 f., 110 Marcie, R. 43 Maunz, Th. 102 ff., 111, 135 Messner, J. 43, 82 Meyer, W. 161 Mitteis, H. 42 Müller, F. 192 f. Nawiasky, H. 52, 58, 103, 105, 156 Neuner, J. 164 Nordsieck, R. 162 Ossenbühl, F. 141 f., 158 Radbruch, G. 27, 32 ff., 46, 49, 68, 70, 152 ff., 233, 239, 260 ff., 280, 283 Rawls, J. 262, 267 ff. Roellecke, G. 112 Rommen, H. 43 f. Scheler, M. 40 Scheuner, U. 45 Schmid, C. 52, 55, 58

331

Schmidt-Aßmann, E. 117 f., 142 ff., 153, 157 f. Schmitt, C. 230 (Fn. 18) Schmude, J. 219 f. Schnapp, F. E. 128, 202 Schnorr, G. l l l f . Scholz, R. 219 ff. Schräder, H.-W. 105 Smend, R. 65 Spranger, E. 42 f. Stern, K. 141, 151 ff. Süsterhenn, A. 52, 55, 58, 97 ff. Ulpian 123 Utz, A. F. 43 Vogel, H.-J. 218 f. Weber, M. 64 f. Weinkauff, H. 45, 80, 87 ff., 95 f., 239 Wernicke, Κ. G. 102 ff. Wolf, E. 45 Zippelius, R. 135, 151, 155f., 189f.

averzeichnis Abwägung 36, 68, 153, 169, 183, 199, 201, 205 f., 210, 253, 255 ff., 274, 277, 279 Akzeptanz 249, 277 Akzeptabilität 277 Analytischer Rechtspositivismus, s. Positivismus Anarchie 148, 241 ff. Anerkennungstheorie 65 Anthropologie 162 f., 234 Auslegung, s. Verfassungsauslegung Ausnahmelage 61, 80, 95, 104, 181, 186, 207, 252, 260 Beamtenurteil, s. Bundesverfassungsgericht Befehl 82 f., 233 - Befehlslage bei den DDR-Grenztruppen 168 f., 176 (Fn. 253), 179, 182 - Geheimbefehl Hitlers 47, 82 f. Beobachterperspektive 264 Berufsbeamtentum 87 - Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums 32 Bestimmtheit 149, 173, 177, 201, 278 Bindung, s. Verfassungsbindung Bundesgerichtshof 47, 50, 61, 75, 78, 80 ff., 167 ff., 239, 265 - Deportationsurteil 84 - Fanny Hill-Urteil 94 - Kuppeleibeschluß 88 ff., 95 - „Mauerschützen"-Rechtsprechung 167 ff., 265 Bundesländer, neue 59, 211 ff., 282 Bundesverfassungsgericht 47, 61 ff., 112, 115, 117, 119, 126 f., 131, 139, 144ff., 152 f., 156, 161, 182 ff., 194, 198, 200, 216, 220, 255 f., 282 - Beamtenurteil 62 ff. - Bodenreformurteil 185

- „Mauerschützen"-Rechtsprechung 182 ff. - Soraya-Beschluß 74ff., 90, 112, 126, 155 f., 189 ff., 256, 282 - Staatsangehörigkeitsbeschluß 62, 66 ff., 104, 160, 186, 265 - Siidweststaatsurteil 73 Chancengleichheit, s. Gleichheit Christliche Naturrechtslehre, s. Naturrecht DDR-Grenzgesetz 168 ff., 265 DDR-Verfassung 60f., 173, 178ff., 213 Delegitimierung 36, 68 f., 265 Demokratie 165, 268 - Demokratieprinzip 149 - demokratische Regierungsform 262, 268 Denunziant 33, 243 Deportationsurteil, s. Bundesgerichtshof Deserteure 82 Diktatur 83, 164 f., 205, 214 Diskurstheorie 161 f., 250, 264, 267, 269 ff. Effektivitätsargument 238 ff. Eigentum 30, 46, 166 (Fn. 206) Empirische Geltung, s. Geltung EMRK 164, 177 ff., 283 Ermächtigungsgesetz 63, 81 Ethik 45, 107, 209 - ethische Prinzipien 103, 191 - ethischer Rechtsbegriff, s. Rechtsbegriff Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 175, 179 Europarecht 122 f. Euthanasie-Fall 47, 83 (Fn. 253) Evidenz 37, 43, 47 (Fn. 97), 68, 175, 210,

261,266

Exekutive 104, 122, 140, 144, 151, 207, 210, 221,273,275

Sachverzeichnis Faktenpositivismus, s. Positivismus Faktische Normgeltung, s. Geltung Faktizität 67, 169, 177, 202 f., 234 f. Fanny Hill-Urteil, s. Bundesgerichtshof Freiheit 30, 107, 125, 162, 174, 204, 210, 247, 254, 262, 266 f., 269, 274, 283 - Freiheit des Richters 99, 105 - freiheitlich-demokratische Gesetzgebung l l l f . , 153 - freiheitliche demokratische Grundordnung 207, 214, 255 Friedensbewegungen 208 Frühkonstitutionalismus 29 Geltung - empirische Geltung 64, 67 - faktische Geltung 67, 175 - Geltungsthesen Radbruchs, s. Radbruchsche Formel - Geltungsvermutung 36, 63, 160 - philosophische Geltung 64 f. - „soziologische" Rechtsgeltungslehre 64 ff., 72, 86 f., 170 Gemeinsame Verfassungskommission 218 ff. Genese - des Art. 20 Abs. 3 GG 51 ff. - des Art. 20 a GG 218 ff. - des Art. 97 Abs. 1 GG 52, 54 f. Gerechtigkeit - als Fairneß 267 ff. - formale Gerechtigkeit 36, 70, 250, 278 - „fundierte allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen der Gesellschaft" 77 f., 189 ff. - Gerechtigkeit Gottes 162 - Gerechtigkeit und Rechtssicherheit 33, 48, 77, 86, 103 f., 136, 198, 206, 242 - Gerechtigkeitsfunktion der Rechtsprechung 79,91, 206, 215 - Gerechtigkeitstheorie, diskurstheoretische 269 ff. - Gerechtigkeitstheorie, kontraktualistische 267 ff. - Gerechtigkeitstheorie, prozedurale 267 ff., 278,283 - Gerechtigkeitstheorie, vernunftrechtliche 269 ff.

333

- materielle Gerechtigkeit 57, 69 f., 79, 104, 109, 112, 128, 133, 136, 150, 153 f., 156 f., 163 f., 184, 191, 194 f., 198, 206, 274, 278 - soziale Gerechtigkeit 60 - subjektives Gerechtigkeitsgefühl 154, 188, 197, 242, 266 - Verfahrensgerechtigkeit 201 Geschichtlichkeit 42, 279 Gesellschaft, pluralistische 78, 148, 266 Gesetz - „Gesetz ist Gesetz"-Denken 35, 229, 232, 239 - Gesetzesbegriff des GG 115 f. - Gesetzesbegriff, dualistischer 115, 139 - Gesetzesbegriff, formeller 28, 104, 116, 138 f. - Gesetzesbegriff, materieller 28 f., 104, 138 f. - Gesetzeslücke 77, 79, 106, 187, 190f., 254 - Gesetzespositivismus, s. Positivismus - Gesetzesunterworfenheit des Richters 31, 96, 99, 101, 137,211 - Gesetzgebungsverfahren 116, 132 ff., 144, 150, 268 - „gesetzliches Unrecht" bei Radbruch 27, 33 ff. - Parlamentsgesetz 116 f., 138, 149 f. Gewaltenteilung 48, 75, 131, 143, 149 ff., 162, 185, 188 f., 198 f., 219 Gewissen 42, 52, 54, 58,96, 148,210, 268 Gewohnheitsrecht lOOf., 105, 112, 120ff., 128, 136 ff., 141, 155, 165, 186, 192 f., 197,215,223,230, 281 - Verfassungsgewohnheitsrecht 137 - Völkergewohnheitsrecht 122 Gleichheit 34, 70, 84, 162, 250, 254, 262, 266 f., 274, 278 - Chancengleichheit 267, 270 - Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG 71, 119 Grundnorm 234 Grundrechte - Grundrechte der DDR-Verfassung 179 - Grundrechte der EU 284 - Grundrechte des GG 88, 93 ff., 99, 117, 125, 157, 163,232, 253, 256, 274

334

averzeichnis

Ideologie 37, 62, 107, 265 - ideologiegerechte Rechtsanwendung 216 - Ideologieverdacht 180 (Fn. 271), 247 - NS-Ideologie, s. Nationalsozialismus Inkorporationsthese 248 Innenrecht 119 f. Institutionalistischer Rechtspositivismus, s. Positivismus Interessen 174, 183, 270, 276 Internationaler Menschenrechtsstandard, s. Menschenrechte IPbürgR 167, 173 f. lus 23, 27 ff., 123, 152, 191 - ius und lex 23, 27 ff. Juden(tum) 46, 66 f., 69, 84, 265 Juristischer Positivismus, s. Positivismus Kernbereich des Rechts 50, 84 f., 94, 176, 248 Konsens 55, 156, 164, 190, 240, 261, 270, 272 f., 278, 284 - Grundrechtskonsens 164 - konsensfähige Gerechtigkeitsvorstellungen 156, 189 f. - Konsensustheorie der Wahrheit 270 Kontingenzformel 250 Kontrollratsgesetz Nr. 10 48 ff., 172 Korrektivfunktion 26, 75 ff., 98, 158, 162, 242, 260 Krielesche Formel 70, 262 ff. Kultur - abendländische Kultur 50 - Kulturvölker 84 f., 94 Kuppeleibeschluß, s. Bundesgerichtshof Landesverfassungen 30 f., 57 ff., 106, 115, 197, 211 ff. Leerformel 78 (Fn. 234), 113, 128, 132, 247 Legalität 107, 128, 133, 209, 270, 281 Legeshierarchie 29 Legitimation 82, 250, 275 - Legitimationskraft 64 - Selbstlegitimation 250 Legitimität 128, 133, 142, 194 f., 209, 236, 240, 262 f., 270, 278, 281 - „unmittelbare Gesetzeslegitimität" 263

Lex 23, 27 ff., 44, 152 - „extra legem" 191 - „legis corruptio" 29 - „lex corrupta"-Argument 260 Machttheorie 65 Machtzuwachs der Judikative 107, 112, 162, 220 „Mauerschützen", s. Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof Meinungsfreiheit 271, I I A Menschenrechte 37, 46 f., 70, 83, 92, 98, 133, 134, 152, 157, 161, 163 ff., 173 ff., 181 ff., 209, 261, 271 ff., 281 - internationaler Menschenrechtsstandard 163 ff., 183 - universelle Menschenrechte 172 f., 183, 185 Menschenwürde 42, 133, 165, 247, 254, 261 f., 266, 274, 283 Menschlichkeit 58, 85, 94, 171 f. - Verbrechen gegen die Menschlichkeit 49, 172 Minimum content of natural law 234 Moral 64 f., 85 f., 155, 190, 227, 230f., 233 ff., 237 f., 241 f., 247 f., 250 f., 254, 264, 266, 272, 274 f., 277 ff. - Moraldefizite 64 ff. - moralisch-ethische Argumentation des BGH 84, 90, 94 - moralische Rechtfertigung 210, 241, 269, 275 - moralische Verantwortung des Richters 215 - moralischer Rechtsbegriff 64, 161, 209, 235 f., 238, 241,247 - Moralnormen 159, 161 - Sexualmoral 90 Nachkriegsrechtsprechung 46 f., 84, 163, 244 Nationalsozialismus 69, 95, 99, 176, 265 - NS-Beamtengesetze 62 ff., 68, 72 f., 87 - NS-Ideologie 74 - NS-Rassegesetze 46, 69, 245 f., 265 - NS-Unrecht 35, 38, 46,48, 50, 61, 72, 74, 76 f., 81, 88, 92 f., 95, 104, 166, 171 f., 176, 183, 185,219, 234, 280

Sachverzeichnis Naturrecht - christliches 40,43 f., 70, 89, 91 f. - katholisches 43 f., 55, 89, 91, 98 - Naturrechtsrenaissance 25, 32, 74, 91 f., 95 ff. - Naturrechts Widrigkeit 41, 106 - protestantische Naturrechtsbegründung 44 f. - rationales Naturrechtssystem 40 Neutralitätsthese 230, 245, 248 Nichtpositivistischer Rechtsbegriff, s. Rechtsbegriff Nonkognitivismusthese 230, 248, 257 ff. Norm - gesellschaftliche Normen 141 - Moralnormen, s. Moral - Normadressaten 65, 88, 277 - Normativismus 39, 276 - Normativität 234, 251 - Normenkontrollverfahren 133, 145 f., 155 - Normgeltung, s. Geltung - Normgenese, s. Genese - Normkonkretisierung 192 Nulla poena sine lege 49 f., 202 ff., 243 f. Oberster Gerichtshof für die Britische Zone 49 f. Öffentliche Ordnung 248 Optimierungsgebot 159, 161, 199 f., 219 Ordnungsfunktion 45, 150 Parlamentarischer Rat 53 ff., 218, 280 Parlamentsgesetz, s. Gesetz Pflichten 96,125, 234, 269 Philosophische Geltung, s. Geltung Pluralistische Gesellschaft, s. Gesellschaft Politik 231,268, 273 Positivismus 38, 44, 52, 86, 111, 148 f., 203, 232, 237 ff., 253 - analytischer Rechtspositivismus 39, 232 ff., 249, 251,282 - Faktenpositivismus 170, 202 f. - Gesetzespositivismus 27, 29, 73, 75, 96, 127, 148, 187, 230 f. - Institutionalistischer Rechtspositivismus 275 f. - juristischer Positivismus 29, 240, 276 - normativer Positivismus 38 f.

335

- Rechtspositivismus 37, 39, 55, 83, 90, 92, 99, 226, 229 f., 232, 234, 239 f., 245, 248 f., 260 Positivität 100 ff., 110 Präambel 56, 58, 60, 106, 162, 283 Präjudizien 193 f. Primärregel 235 Prinzipien, s. Rechtsregeln und Rechtsprinzipien Private Rechtsetzung, s. Rechtsetzung, private Radbruchsche Formel - Begriff 33 ff. - „Neo-Radbruchsche" Konzeption des BGH 172 ff.. - Neukonzeptualisierungen 262 ff. - Rezeption in der Judikatur 46 ff., 67 ff., 82 ff., 167 ff. - Unerträglichkeitsthese 34, 83, 103, 155, 159 - Verleugnungsthese 34,41, 69, 83 f. Rassegesetze, s. Nationalsozialismus rational - rationale Argumentation 77 f., 190, 195, 239, 271 - Rationalisierungsfunktion des Gesetzes 150 - Rationalismus 276 - Rationalität 107, 272 - rational-universalistische Gerechtigkeitskonzeption 270 ff. Rechtsbegriff - allgemeiner Sprachgebrauch 123 ff. - des Grundgesetzes 125 f. - ethischer Rechtsbegriff 106, 158, 161, 228, 235 f., 247, 263 - göttliches Recht 28 f. - naturrechtlicher Rechtsbegriff 46 ff., 91 ff., 97 ff., 148, 161 ff., 261 - nichtpositivistischer Rechtsbegriff 67, 97 ff., 108, 158 ff., 172 ff., 202 ff., 238 ff., 252 ff. - objektives Recht 104 f., 122, 124 - positivistischer Rechtsbegriff 34 ff., 62 ff., 110ff., 141 ff., 229 ff. - Recht-vor-Gesetz-Denken 99, 110, 152 - subjektives Recht 104 f., 124 f.

336

averzeichnis

- übergesetzliches Recht 27, 30, 33, 36 f., 46 f., 70 ff., 82 f., 85, 98 f., 144 ff., 155, 158 ff., 164, 172 - überpositives Recht, s. übergesetzliches Recht - vorstaatliches Recht 55 f., 125, 135, 163 f. Rechtsetzung, private 139 ff. Rechtsfortbildung, richterliche 74 ff., 90 f. Rechtsfrieden 112

- Richtigkeitsanspruch 78, 161, 257 ff., 271 - Richtigkeitskontrolle 252 Rückwirkungsverbot 49 f., 177 ff., 202 ff., 243 ff., 282 Rule of recognition 234

Satzungen 117 f. SED-Regime 59, 177, 216 f., 265 Sein und Sollen 39 Sekundärregel 235 Rechtsgefühl 105, 181 Selbstlegitimation, s. Legitimation Rechtsgeltung, s. Geltung Sinnganzes der Rechtsordnung 76 ff., 189, Rechtspflicht 240, 247, 254, 262, 277 191,256 Rechtsphilosophie und Rechtstheorie 152, Sittengesetz 50, 58, 82, 88 ff., 94 f., 248 226 ff., 233 Sonderfallthese 271 Rechtspositivismus, s. Positivismus Soraya-Beschluß s. BundesverfassungsRechtsprechende Gewalt, s. Unabhängiggericht keit, richterliche Souveränität 29 Rechtsprechung, s. BundesverfassungsSowjetische Besatzungszone 59 gericht und Bundesgerichtshof Sozialistische Gesetzlichkeit 60 Rechtsprinzipien, s. Rechtsregeln und Soziologie 209, 231 Rechtsprinzipien Soziologische Rechtsgeltungslehre, s. GelRechtsquelle 83, 117 f., 120 tung Rechtsrealismus, nachpositivistischer 275 ff. Staatsangehörigkeitsbeschluß, s. BundesverRechtsregeln und Rechtsprinzipien 158 f., fassungsgericht 199,219, 252 ff. Staatsfundamentalnorm 103, 156 Rechtssicherheit 35 ff., 68, 70, 148 ff., 184, Südweststaatsurteil, s. Bundesverfassungs198, 241 f., 256 f., 275, 278 f. gericht - s. auch Gerechtigkeit und RechtssicherSymbolische Bedeutung des Art. 20 Abs. 3 heit GG 142, 158, 281 Rechtsstaatsprinzip 164, 184 f., 197 ff., Systemtheorie 226, 249 ff. 214 f., 256 - formelles und materielles 57, 198 f. Tautologie-These 76, 111, 113, 127 ff., 210, - integrales und summatives 199 ff., 256 229 ff., 281 Rechtsstaatsverständnis des ParlamentariTeilnehmerperspektive 264, 278 schen Rates 55 ff. Theologie 25, 56, 135, 162 f. Rechtsüberzeugungen der Volker 84, 171, Totalitäres System 134, 164f., 205, 211, 173 214, 263,283 Rechtsvergleichende Aspekte 223 ff. Trennungsthese 230 ff., 244 f., 248 f., 251, Rechtsverordnung 117 f., 280 253 f., 257, 264, 277, 282 Redlichkeitsargument 243 f. Regierungsform, demokratische, s. DemoÜbergesetzliches Recht, s. Rechtsbegriff kratie Umwelt- und Technikrecht 139 Reine Rechtslehre 35, 37 ff., 231 ff. Umweltschutz 218 ff. Richterrecht 74, 77 f. 96, 120, 137, 186 f., - Umweltschutzartikel 218 192 ff., 215, 219, 223 - Umweltschutzbewegungen 208 Unabhängigkeit, richterliche 60, 131, 198, Richtigkeit 79, 158, 190f., 195, 204, 228, 212, 223 250, 252, 278

Sachverzeichnis Unerträglichkeitsthese, s. Radbruchsche Formel Ungehorsam, s. Ziviler Ungehorsam Ungerechtigkeiten 209 f., 244, 262 f., 268 - Ungerechtigkeitsklausel 258 f. Ungleichheiten 267 Universelle Menschenrechte, s. Menschenrechte Unrechtsargument 260, 262 ff. Unrechtsregime 204, 239 f., 265 Utilitaristisches Nutzenprinzip 267

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- praktische 77 f., 161, 190, 271 - Vernunftrecht(lich) 60, 158 f., 161, 174, 190, 210, 254, 256, 266, 270, 274 ff., 283 Verwaltungsvorschrift 119 f., 281 Völkerrecht 29,122 f., 137 „Völkisches Recht" 148 Vorstaatliches Recht, s. Rechtsbegriff Wahrheit 156, 190, 250, 270, 272 Wehrlosigkeitsthese 37, 92, 148, 238 f. Weimarer Reichsverfassung 31, 52, 56 f., 59 f., 63, 131 Wert 35, 40, 42, 55, 77 f., 190, 192, 195, 278,284 - Wertbeliebigkeit 147 f. - Wertepluralismus 190 - Wertethik, materiale 40 ff., 89, 91 - Wertordnungslehre 255 f. - wertrelativistisch 34, 36 Widerspruch zwischen Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG 51, 54, 90f., 98f., 101, 105, l l l f . , 129ff., 139 Widerstandsrecht 41, 45, 207 ff., 239, 269 Wiedervereinigung Deutschlands 59, 166, 211,217 Willkür - Willkürabsicht 41 - Willkürherrschaft 214, 241 - Willkürverbot 70 f., 101, 154 Wirklichkeit des Rechts 109, 238, 276, 279

Verbindlichkeit des Rechts 41, 45, 65, 88, 107, 121, 194, 263, 277 Verbindungsthese 73, 235 f., 238, 240 ff., 258, 260, 264, 266, 274 f. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, s. Menschlichkeit Verfassung - Verfassungsänderungenverbot 196 f., 282 - Verfassungsauslegung 114 f., 215, 228 - Verfassungsbeschwerde 62, 66, 71, 182 - Verfassungsbindung 26, 117, 142 f., 145, 147, 151, 153, 155, 157, 165, 188, 198, 230, 232, 281 - Verfassungsdogmatik 205, 229 - verfassungsmäßige Ordnung 53, 106, 143 f., 196, 207, 220 - Verfassungsstaat, demokratischer 94, 116, 134, 143, 149, 160, 187, 252, 262f., 273 - Verfassungstheorie 225 ff., 282 - verfassungswidrig 61, 73 (Fn. 214), 145 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 169 f., 178, Ziviler Ungehorsam 134, 207 ff., 269, 183,210, 274 273 ff. Verleugnungsthese, s. Radbruchsche Formel Zwangstheorie des Rechts 39, 65, 231, 249 Vernunft 44, 78, 109, 190, 235, 271 Zweckmäßigkeit 36 (Fn. 37), 258 f. - kritisch-vergleichende 277, 279

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